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Full text of "Volkswirthschafts-lexikon der Schweiz. (Urproduktion, handel, industrie, verkehr, etc.)"

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der  Schweiz. 

(Urproduktion,  Handel,  Industrie,  Verkehr  etc.) 


Herausgegeben   und  redigirt 

von 

unter  Mitwirkung 

von  Fachkundigen  in  und  ausser  der  Bundesverwaltung. 


Alle  Rechte  gewaht^t. 


IL  Band : 

Handelsexpeditionen  —  Sohiedsgeriohte 

nebit  einigen  Ergänzungen. 


Bern. 

Verlag  von  Schmid,  Francke  &  Co.  (vorm.  J.  Dalp'sche  Buchhandlung). 

1889. 


Druck  Toa  .Tent  ä  Reiiiert  \a  Bern. 


Uandelsexpeditionen,  Weil  nicht  vom  Meere  be«pUlt  und  nicht  im 
Besitze  einer  Handels-  oder  Kriegsflotte,  wird  e«  der  Schweiz  selbstverötändlich 
weniger  leicht,  Handelsexpeditionen  nach  überseeischen  Gebieten  durchzuführen, 
als  den  Seemächten.  Es  sind  denn  auch  wirklich  wenige  solche  Unternehmungen 
größeren  Styls  gewagt  worden,  d.  h.  es  war,  bis  an  eine  einzige  Ausnahme, 
dem  Unternehmungsgeiste  des  Handelsstandes  überlassen,  .fremde  Gebiete  auf- 
zusuchen, zu  erforschen  und  (im  friedlichen  Sinne)  zu  erobern.  Daß  es  der 
HandelsHtand  an  solchen  Wagnissen  nicht  fehlen  ließ,  dafür  sprechen  die  zahl- 
reichen Niederlassungen  schweizerischer  Firmen  in  fast  allen  zivilisirten  und  halb- 
zivilisirteu  Gegenden  und  die  beinahe  über  den  gesammten  Erdball  verbreiteten 
Spuren  seiner  Thätigkeit.  Oder  sollten  die  schweizerischen  Handelshäuser  in 
liombay,  ('alcutta,  Sicgapore,  Batayia,  Manilla,  Canton,  Hongkong,  Shanghai 
u.  d.  E.  entstanden  sein,  ohne  daß  vorher  eine  Rekognoszirung,  eine  Expedition 
im  Kleinen,  stattgefunden  hätte?  Kaum!  Es  geschah  aber  im  Stillen,  gleichwie 
der  in  der  Defensive  sich  befindliche  Kriegführende  im  Rücken  seiner  Linie  ge- 
räuschlos neue  Aufnahms-  und  Gefechtspositionen  schaii't.  Einem  solchen  Rückzug 
ist  in  der  That  die  vor  manchem  Jahrzehnt  begonnene  Eröffnung  überseeischer 
Geschäfte  nicht  unähnlich,  denn  es  war  ein  Abdrängen  auf  neue  Handelsbahnen, 
da  ältere  und  näher  liegende  sich  zu  verschließen  begannen. 

Betrachtet  man  also  dieses  Eindringen  des  schweizerischen  Handels  in  die 
fernen  Welttheile  als  Handelsexpeditionen  en  miniature,  so  sind  dagegen  zwei 
größere  Unternehmungen  bekannt,  die  sich  den  von  Zeit  zu  Zeit  von  Seemächten 
ausgeführten  würdig  an  die  Seite  stellen,  d.  i.  die  Handelsmission  nach  Japan 
(1862/Ö4)  und  diejenige  nach  Ostafrika  (1869/71). 

Die  erstere  vollzog  sich  unter  der  Mitwirkung  des  Bundes  und  hatte  zum 
Zweck,  zu  einem  Handelsvertrag  mit  Japan  zu  gelangen. 

Der  Hiindel  der  Schweiz  mit  Japan  fand  anfänglich  durch  die  Vermittlung 
holländischer  Häuser  statt.  Kein  Schweizer  durfte  sich  in  Japan  aufhalten,  noch 
viel  weniger  daselbst  ein  Geschäft  eröffnen ;  die  Holländer  gaben  sich  für  schwei- 
zerische Waaren  nicht  viel  Mühe  und  somit  blieb  der  Absatz  nach  Japan  stationär. 
Man  hielt  aber  in  der  Schweiz  das  Reich  der  aufgehenden  Sonne  für  ein  sehr 
gutes  Konsumtionsgebiet  und  trachtete  darnach,  gleiche  Rechte  wie  die  Vereinigten 
Staaten  von  Nordamerika,  Holland,  England,  Frankreich,  Rußland,  Portugal  und 
Preußen  zu  erlangen,  welche  im  Jahrzehnt  1850/60  Verträge  mit  Japan  ab- 
geschlossen und  dadurch  ihrem  Handel  einige  japanische  Häfen  geöffnet  hatten, 
neben  dem  Recht  der  Niederlassung  für  ihre  Staatsangehörigen. 

Die  Initiative  zur  Erlangung  der  nämlichen  Vortheile  und  Rechte  für  die 
Schweiz  ging  von  der  Union  horlogere  in  La  Chaux-de- Fonds  und 
Loc  le  aus,  indem  sie,  unterstützt  vom  Kautmännischen  Direktorium  in  St.  Gallen, 
beschloß,  eine  Handelsexpeditiun  nach  Ostasien,  China  und  Japan  zu  organisiren. 
Der  Bundesrath  gewährte  den  Initianten  seine  Unterstützung,  indem  er  dem  Chef 
der  Expedition  eine  Zirkularempfehlung  an  die  in  jenen  Ländern  akkreditirten 
diplomatischen  Vertreter  aller  befreundeten  Staaten  ausstellte  und  das  Zoll- 
departement anwies,  den  Chef  der  Expedition,  Herrn  Dr.  Paul  Lindau  aus 
Preußen,  als  seinen  Delegirten  nach  Japan  anzuerkennen,  der  beauftragt  sei, 
Erkundigungen    über    die    Handels-    un<l  Verkehrsverhültnisse  Japans    anzustellen 

Furrt-r,  HtlkiiwirthsrliAftit-Loxikon  der  Stliwi-i?,,  { 

166302 


Handelsexpeditionen  —      2     —  Handelsexpeditioneii 

und  zu  erforschen,  ob  die  japanesische  Regierung  geneigt  wäre,  auch  mit  der 
Schweiz  in  nähere  Beziehungen  zu  treten. 

Dr.  Paul  Lindau  gelangte  im  September  1859  nach  Japan  und  erhielt  dort 
den  Bescheid,  daß  Japan  einstweilen  keine  Handelsverträge  mehr  abschließe^ 
wenn  dies  aber  später  wieder  geschehen  sollte,  werde  die  Schweiz  in  erster 
Linie  berücksichtigt. 

In  der  That  erhielt  die  Schweiz  im  Frühjahr  1861  den  Bericht,  Japan  sei 
nun  zu  Yertragsunterhandlungen  bereit.  Der  Bundesrath  wollte  sich  diese  günstige 
Stimraunt;  nicht  entgehen  lassen,  sondern  arbeitete  sofort  eine  Botschaft  an  die 
gesetzgebenden  Käthe  aus,  in  welcher  er  die  Bewilligung  eines  Kredites  von 
Fr.  100,000  empfahl,  damit  der  Vertragsunterhändler  gemäß  einer  in  Japan 
be8tehen<len  Uebung  reichlich  mit  Geschenken  für  die  dortige  Regierung  versehen 
werden  könne.  Der  Kredit  wurde  bewilligt  und  als  Vertragsunterhändler  Herr 
alt-Ständerathspräsident  Aime  Humbert  in  La  Chaux-de-Fonds  gewonnen.  Es 
wurden  ihm  der  Titel  und  Rang  eines  außerordentlichen  Gesandten  verliehen. 
Als  er  Ende  1862  seine  Mission  antrat,  schlössen  sich  ihm  an  die  Herren 
C.  Brenuwald,  Kaufmann,  aus  Männedorf,  als  Legationssekretär,  Stabsmajor 
Bring olf  von  ünterneuhaus,  Ingenieur  Iwan  Kaiser  aus  Zug,  Mechaniker 
Favre-Brand  aus  Locle  und  Kaufmann  Eduard  Bavier  aus  Chur,  letztere 
vier  freiwillig.  Viele  mit  Geschenken  des  Bundes,  der  Kantone  und  des  Kaufmanns- 
standes bepackte  Kisten  gehörten  zur  Reise-Ausriistung  der  Handelsexpedition.  ^) 
Im  April  1863  traf  diese  in  Japan  ein  und  Ende  Januar  1864  hatte  sie  ihre 
Aufgabe  gelöst.  Seitdem  hat  sich  der  Handelsverkehr  mit  Japan  in  erfreulicher 
Weise  entwickelt.    (Vgl.  Bundesblatt   1861,  II,  pag.  315,  und   1864,  11,   197.) 

Die  zweite  Handelsexpedition  hatte  Ostafrika  zum  Ziel.  Sie  wurde 
veranstaltet  vom  Kaufmännischen  Direktorium  in  St.  Gallen  in  Verbindung  mit 
sieben  st.  gallischen  und  einer  appeuzellischen  Geschäftsfirma.  Es  galt,  die  wich- 
tigsten Plätze  am  Rothen  Meere  und  an  der  Ostküste  Afrikas  mit  den  ost- 
schweizerischen Fabrikaten  bekannt  zu  maclien.  Dem  wissenschaftlich  gebildeten 
Herrn  Richard  Brenner  von  Merseburg  und  dem  jungen  Kaufmann  Karl  Fisch 
von  St.  Gallen  wurde  ein  vom  Konsortium  gemiethetes,  im  Hafen  von  Triest 
ankerndes  Schilf  („Marietta**)  zur  Verfügung  gestellt.  Ihnen  schloß  sich  ein  in 
Triest  ansässiger  Schweizer,  Herr  Heinrich  Escher,  an. 

Am  31.  Dezember  1869  stach  die  „Marietta**  in  See;  von  ihrer  Waaren- 
ladung  war  der  st.  gallisch-appenzellische  Antheil  (Herr  Escher  hatte  ebenfalls 
Güter  eingeschifft)  mit  Fr.  70,000  versichert.  Leider  gestaltete  sich  die  Reise 
zu  einer  beinahe  ununterbrochenen  Kette  von  Verrechnungen  und  Mißgeschicken 
Unfreiwillige  Verspätungen,  konträrer  Wind,  Schiffbruch  bewirkten,  daß  die  Reise 
viel  länger  dauerte,  als  berechnet  war,  daß  die  Waaren  unzeitig  und  zu  billig 
abgesetzt  werden  mußten,  und  daß  das  Konsortium  Verluste  erlitt.  Die  Reisenden 
kamen  mit  heiler  Haut  davon.  Sie  hatten  folgende  Plätze  besucht:  Port  Said, 
Aden,  Makalleh,  Maskat,  Buscheir,  Kismayu  (Schitt'bruch),  Zanzibar. 

Das  Kaufmännische  Direktorium  in  St.  Gallen  hatte  für  diese  Expedition 
Fr.  21,546  geopfert;  die  Einbuße  der  übrigen  Theilnehmer  ist  unbekannt  ge- 
blieben, immerhin  war  dieselbe  nicht  groß  genug,  um  letztere  an  einer  Fort- 
setzung   des    Unternehmens    zu    hindern:    Sechs    derselben   gründeten    im    Jahre 

*)  Vor  der  üeberjrabe  der  Geschenke  wurden  diese  in  Yokohama  öffentlich  aus- 
gestellt. Von  Nah  und  Fern  strömten  die  Jaiiancsen  herbei,  um  die  seltenen  Gegenstände 
m  Augenschein  zu  nehmen. 


Hiiniiel^expeditiunen  —      3     —  Handelskammern 

1872  eine  Ge8chiiftsnicderla$8ung  in  Zanzibar  nnd  Übertrugen  deren  Leitung  den 
beiden  Führern  der  früheren  Expedition,  Brenner  und  Fiscb.  (Vgl.  „Die  Kanf- 
männiKche  Korporation  und  das  Kaufmännische  Direktorium  in  St.  Gallen  in  den 
Jahren   18(>4— 1880-.     Kälin'sche  Buchdruckerei  in  St.  Gallen,   1882.) 

Seit  der  ErBchließung  des  Kongogebictes  hat  es  auch  in  der  Schweiz 
nicht  an  Stimmen  gefehlt,  welche  zu  einer  Betheiligung  an  der  allgemeinen  Jagd 
dorthin,  in  Form  einer  Haudelsexpedition,  riethen.  Einstweilen  iat  aber  keine 
Hand  an's  Werk  gelegt  worden,  wozu  vielleicht,  abgesehen  von  den  in  Ostafrika 
gemachten  Erfahrungen,  die  Erinnerung  an  die  im  7.  Jahrzehnt  bestandene 
„Sehweizerische  Exportgesellschaft **  in  Zürich  beigetragen  haben  mag,  die  an 
mehreren  von  ihr  gegründeten,  anfanglich  viel  versprechenden,  übersiieischen 
Etablissementen  Enttäuschungen  aller  Art  erlebte.  (Die  Geselltschuft  war  mit 
5  Millionen  Franken  Aktien-  und  Obligationenkapital  fundirt.) 

Uandelsfirnien  s.  G^schäfbürmen. 

Handelsmarken  s.  Fabrik-  und  Handelsmarken. 

Handelskammern,  Handelskommissionen,  Handels-  und 
Industrievereine.  Den  Namen  Handelskammer  fähren  in  der  Schweiz 
1)  die  geschäftsleitende  Kommission  des  Basier  Handels-  und  In dnstiie vereine, 
2  die  geschäftsleitende  Kommission  der  „Association  commerciale  et  industrielle" 
in  Genfj  3)  die  der  Kegieruug  von  Luzern  beigesellte  offizielle  Kommission  für 
Handel  und  Gewerbe,  4)  ein  zwischen  dem  Vorort  und  der  Delegirteuversammlung 
des  Schweizerischen  Handels-  und  Industrie  Vereins  stehendes  Organ  des  letztern, 
genannt   „Schweizerische   Handelskammer"   (s.  unten). 

fIandel.'ikommf<si'one>f  (Handels  und  Gewcrbek.,  Handels-  und  Industriek.) 
bestehen  in  einigen  Kantonen  (Appenzell  A.-Rh.,  Glanis,  Luzern,  Schaffhausec, 
Zürich)  als  begut^ichtende  und  vorberathende  Kollegien  der  Regierung;  sie  haben 
somit  offiziellen  oder  offiziösen  Charakter.  Im  Kt.  Lmern  führt  die  betreffende 
Kommission  den  Namen  „ Handelskammer'*,  im  Kt.  Schaffhausen  „Kaufmännisches 
Direktorium**. 

Ha}ideh-  nnd  Indttstrieüereitie  mit  vollständig  privatem  Charakter  gibt  es 
in  sehr  erheblicher  Zahl.  Ihr  Zweck  ist  stets  in  erster  Linie  die  Besprechung 
gemeinsamer  Interessenfragen.  Die  in  einem  Kanton  bestehenden  Lokalvereine 
bilden  in  der  Regel  einen  kantonalen  oder  noch  größeren  Verband  und  die 
Mehrzahl  dieser  Verbände  bildet  wiederum  den  Schweizerischen  Handels- 
und  Industrie  vorein. 

Sektionen  dieses  schweizerischen  Verbandes  sind  zur  Zeit  (Mitte  1886): 

Die  kantonalen  amtlichen  Ortjane:  Kommission  liir  Handel  und  Gewerbe 
des  Kts.  Apj>enzell  A.-Rh.;  Handelskommission  des  Kts.  Glarus;  Handelskammer 
des  Kts.  Luzern;  Kantonale  Kommission  für  das  Handelswesen  in  Zürich. 

Die  Fachverebie  :  Schweizerischer  Spinner-,  Zwirner-  und  Weber  verein  ; 
Verein  schweizerischer  Woll-  und  Halbwoll-Industrieller;  Verein  schweizerischer 
Maschinen- Industrieller;  Verein  schweizerischer  Geschäftsreisender;  Association  des 
fSabricants  et  marchands  de  bijonterie,  joaillerie,  orfevrerie  de  et  a  Geneve;  Seiden- 
Industrie-G^ellschaft  des  Kts.  Zürich;  Getreidebörse  Zürich. 

Der  interkantonale  Verein:  Socicte  intercantonale  des  Industries  du  Jura 
(umfassend  Vereine  in  Genf,  Waadt,  Neuenbui*g,  Bemer  Jura). 

Die  kantonalen  und  lokalen  Vereine:  Aargauischer  Handels-  und  Industrie- 
verein; Basler  Handels-  nnd  Industrieverein;  Bemischer  Verein  für  Handel  und 
Industrie;  Association  commerciale  et  industrielle  genevoise;  Börsenverein  Glarus; 


Handelskammern  —     4     —  Handelskammern 

Handels-  und  Industrieverein  Solothnm;  Tbarganischer  Handels-  nnd  Gewerbe- 
verein;  Societ6  indasirielle  et  commerciale  du  canton  de  Vaud;  Kaufmännisches 
Direktorium  St.  Grallen ;  Kaufmännische  Gesellschaft  Zürich ;  Handels-  und  Industrie- 
yerein  Herisau;  Kau&iännische  Gresellschaft  Winterthur. 

Nicht  in  Verbindung  mit  dem  Schweiz.  Handels-  und  Industrieverein  stehen 
die  mehr  oder  weniger  bedeutenden  Fachvereine  der  Seidenzwimer,  der  Leinen- 
Industriellen,  der  Holz-Industriellen,  der  Kalk-  und  Cementfabrikanten,  der  Gerber, 
Müller,  Buchhändler,  Buchdruckereibesitzer,  der  Basler  Bandfabrikanten,  der  Ober- 
länder Holzschnitzler,  der  Parqueteriefabrikanten  u.  s.  w. 

Die  Wirksamkeit  der  aufgezählten  Vereine  macht  sich  nach  Außen  in  sehr 
verschiedener  Weise  bemerkbar.  Während  einige  selten  von  sich  hören  lassen, 
sind  andere  ungemein  initiativ  und  weithin  einflußreich.  Dies  gilt  besonders  von 
jenen  Vereinen,  welche  Über  bedeutende  Fonds  und  über  besoldete  Sekretariate 
verfügen.  Eines  der  Lieblingsziele  einzelner  dieser  Vereine  ist  die  Förderung  der 
industriellen  Bildung,  wofür  sehr  namhafte  Opfer  aus  den  Vereinskassen  gebracht 
werden. 

Von    allgemein   schweizerischer  Bedeutung   ist   vermöge   seiner  Gliederung 

und  Organisation  der  Schweizerische  Handels-  und  Industrieverein.    Durch  die 

Centralleitung,  welche  abwechselnd  je  4  Jahre  lang  einer  der  Sektionen  (Vorort) 
obliegt,  steht  der  Verein  in  ausgedehntem  schriftlichen  Verkehr  mit  den  Bundes - 
behörden  und  bringt  hier  über  die  verschiedensten  Materien  die  Anschauungen, 
Erfahrungen  und  Kenntnisse  des  Handelsstandes  zum  Ausdruck.  Um  diese  frucht- 
bringenden Wechselbeziehungen  zu  sichern,  subventionirt  der  Bund  den  genannten 
Verein  mit  einer  Summe,  welche  der  Centralleitung  gestattet,  ein  tüchtiges 
Sekretariat  und  ein  gut  ausgestattetes  Bureau  zu  halten.  Die  Centralleitung  war 
1870/71  in  Bern,  1872/73  in  Zürich,  1874/75  in  St.  Gallen,  1876/77  in  Basel, 
1878/79  in  Zürich,   1880/81  in  Genf,   1882/90  in  Zürich. 

Die  Anregung  zur  Gründung  des  Vereins  ging  im  Mai  1869  von  der 
Handelskommission  des  Kantons  Glarus  aus.  Der  Vorschlag  fand  Anklang,  und 
am  15.  November  1869  fand  in  Bern  eine  aus  13  Kantonen  beschickte  Delegirt^n- 
versanunlung  statt ;  diese  berieth  die  Statuten,  nahm  die  Mitgliedschafts- Erklärungen 
von  21  Handelsvereinigungen  entgegen  und  wählte  ein  Komite  (Ausschuß).  Dieses 
erste  Komite  bestand  aus  den  Herren  Alfred  Ernst  in  Bern,  Präsident,  Adolf 
Lasche  in  Bern,  Sekretär,  Heinrich  Fehr  in  Burgdorf,  Friedrich  Born  in 
Herzogen buchsee,  Nationalrath  Jenny  in  Glarus,  Oberst  Siber-Gysi  in  Zürich, 
Oberst  v.  Gonzenbach  in  St.  Gallen,  Nationalrath  Feer^ Herzog f  in  Aarau,  Burkhard- 
Bischojf  in  Basel,  Martin- Fr anel  in  Genf,  Oberst  Jules  Grandjean  in  La  Chaux- 
de-Fonds. 

Eine  der  ersten  Aufgaben  des  jungen  Verbandes  war,  die  Mittel  ausfindig 
zu  machen,  um  der  durch  den  deutsch-französischen  Krieg  entstandenen  G^ld- 
krisis  zu  steuern. 

Als  komplizirter  Apparat  und  mit  unbesoldeten  Kräften  arbeitend,  konnte 
der  Verein  in  den  ersten  Jahren  seines  Bestehens  nicht  alle  auf  ihn  gesetzten 
Hoffnungen  verwirklichen ;  es  wollte  sich  namentlich  kein  inniger  Kontakt  mit 
den  Bundesbehörden  herstellen,  so  daß  man  endlich  zu  dem  Gedanken  Zuflucht 
nahm,  eine  ^Schweizerische  Handelskammer **  mit  dem  Charakter  eines  offiziellen 
Berathers  des  eidg.  Handelsde|)artementes  zu  schaffen. 

Diesem  Gedanken  gab  Dr.  Alfred  Esther  am  16.  Dezember  1869  im 
Nationalrath    durch    eine  Motion  Ausdruck ;    sie    wurde   aber  verworfen  und  die 


Hundelskammern  —      5     —  Handeläkammern 

gute  Folge  davon  war,  daß  der  Schweiz.  Handels-  und  Industrie  verein  nun 
beschloß  (Juli  1878),  das  unbesoldete  Sekretariat  in  ein  besoldetes  zu  verwandeln 
und  eine  geeignete  Kraft  beizuzieben.  Das  half!  Der  Verein  könnt«  von  nun  an 
eine  so  ersprießliche  Thätigkeit  entwickeln  und  so  rege  Beziehungen  zu  den 
Bundesbehörden  unterhalten,  daß  letztere  sich  des  ersteren  bald  nicht  mehr  ent- 
rathen  konnten  und,  als  das  Projekt  einer  offiziellen  Schweizerischen  Handels- 
kammer wieder  auftauchte  (1880/82),  dem  Verein  eine  jährliche  Subvention 
zuzuwenden  begannen,  damit  derselbe  in  den  Stand  gesetzt  werde,  alles  das  zu 
leisten,  was  man  von  einer  offiziellen  Handelskammer  erwartet  hatte.  Seitdem 
bildet  der  Schweiz.  Handels-  und  Industrie  verein  eine  volkswirthschaftliche  Macht 
im  Staate  und  seine  Jahresberichte  über  Handel  und  Industrie  der  Schweiz  sind 
berühmt. 

PräHidenten  des  Vereines  waren  die  Herren:  Alfred  Ernst  in  Bern, 
Leouhard  Steiner  in  Zürich,  £.  Gonzenbach  in  St.  Gallen,  Eöchlin-Geigy  in 
Basel,  Eonrad  BUrkli  in  Ztlrich,   Emest  Pictet  in  Genf,  C.  Cramer-Frey  in  Zürich. 

Sekretäre  des  Vereines  waren  die  Herren;  Adolf  Lasche  in  Bern, 
J.  J.  Binder  in  Zürich,  Dr.  H.  Wartmann  in  St.  Gallen,  Dr.  Alfred  Geigy  in 
Basel,  Dr.  Arnold  Eichmann  in  Zürich  und  Genf,  Alfred  Frey  in  Zürich. 

Folgendes  sind  die  neuesten  (vom  11.  November  1882  datirten)  Statuten 
des  Vereins: 

Zweck  und  Zusammensetzung  des  Vereins.  §  1.  Unter  dem  Namen  „Schwei- 
zerischer Handels-  und  Induslrieverein  *  (Union  suisse  du  Commerce  et  de  Tlndustrie) 
bilden  die  Organe  des  schweizerischen  Handels-  und  Industrie^Uindes  einen  Verband, 
zum  Zwecke,  sowohl  ihre  gemeinschaftlichen  Interessen  zu  erörtern  und  zu  vertreten, 
als  auch,  soweit  möglich,  mit  dem  zu  sammelnden  diesbezüglichen  Material  und  mit 
anden^'eitigen  Informationen  über  Fragen  des  Handel,  der  Industrie  und  des  Verkehrs- 
wesens den  Bundesbehörden  begutachtend  an  die  Hand  zu  gehen. 

§  2.  Als  Sektionen  können  dem  Verbände  auf  Grund  der  gegenwärtigen  Statuten 
beitreten:  alle  freiwilligen  Vereinigungen,  deren  Beruf  die  Förderung  von  industriellen 
und  kommerziellen  Interessen  ist,  sowie  kantonale  Handelskammern,  Handelskommis- 
sioncn,  Kantonsregierungen  oder  einzelne  Departemente  der  letztern. 

Die  Selbständigkeit  der  einzelnen  Sektionen  und  namentlich  das  Recht  derselben, 
mit  den  kantonalen  und  eidgenössischen  Behörden  direkt  zu  verkehren,  soll,  abgesehen 
von  den  durch  Anerkennung  dieser  Statuten  übernommenen  Verpflichtungen,  durch  den 
Verband  in  keiner  Weise  beeinträchtigt  werden. 

Organisation  des  Vereins.  §  3.  Die  Orgjine  des  Vereins  sind :  A.  die  Delegirten- 
versammlung;  B.  die  schweizerische  Handelskammer  (Chambre  suisse  du  Commerce); 
C  der  Vorort. 

§  4.  Delegirtenver Sammlung.  Alljährlich,  und  zwar  in  der  Regel  im  Laufe  des 
Monats  April,  treten  die  Delegirten  der  Sektionen  zur  ordentlichen  Generalversammlung 
behufs  Entgegennahme  des  Jahresberichtes  und  Abnahme  der  Jahresrechnung,  sowie 
zur  Behandlung  allßlliger  weiterer  Vorlagen  zusnnmien. 

Außerordentliche  Delegirtenversammlungen  finden  nach  Erforderniß,  sei  es  auf 
Veranlassung  des  Vorortes  oder  der  Handelskammer,  sei  es  auf  das  Verlangen  von 
mindestens  drei  Sektionen  statt. 

Die  Delegirtenversammlung  entscheidet  über  die  Aufnahme  neuer  Sektionen ;  doch 
kann  die  letztere  auch  auf  dem  Zirkularwege  erfolgen. 

Es  muß  mindestens  die  Hälfte  der  Sektionen  vertreten  sein,  damit  bindende  Be- 
schlüsse gefaßt  werden  können. 

Die  Zahl  der  Delegirten  jeder  Sektion  ist  unbeschränkt.  Jedoch  hat  bei  Abstim- 
mungen jede  Sektion  nur  eine  Stimme. 

§  5.  Schweizerische  Handelskammer.  Als  Vertretung  der  Gesammtinteressen  von 
Handel  und  Industrie  wird  unter  dem  Namen  Schweizerische  Handelskammer  (Ciiambre 
suisse  du  Commerce)  ein  zwischen  der  Delegirtenversammlung  und  dem  Vororte  stehendes 
Organ  bestellt. 

Die  Handelskammer  besteht  aus  15  Mitgliedern  und  den  Delegirten  des  Bundes- 
rathes,   letztere   mit   berathender   Stimme.    Vier  dieser  Mitglieder  werden   durch   den 


Handelskammern  —      6      —  HandeLskainmein 

Vorort  und  eilf  durch  die  Delepirtenversaminlunjr  auf  die  Dauer  von  4  Jaiiren  (rewählt. 
Die  Mitglieder  der  Handelskammer  sind  nach  Ablauf  ihrer  Amtsdauer  wieder  wählbar. 

Mit  Ausnahme  derjenigen  des  Vororts  soll  keine  Sektion  mehr  als  einen  Vertreter 
in  der  Handelskammer  haben. 

Die  Handelskammer  hat  vom  Standpunkte  der  allgemeinen  schweizerischen  Inte- 
ressen aus  mitzuwirken  bei  der  Begutachtung  sowohl  der  dem  Vereiu  von  den  Bundes- 
behörden überwiesenen,  als  auch  der  aus  dem  Schooße  des  Vereins  selbst  angeregten 
Fragen.  Ferner  liegt  ihr  die  Berathung  aller  derjenigen  AnlrSge,  Berichte,  Gutachten 
und  sonstigen  Angelegenheiten  des  Vereins  ob,  welche  ihr  von  der  Delegirten Versamm- 
lung zur  Berichterstattung  ilberwiesen  werden. 

Sie  wählt  auf  Vorschlag  dos  Vorortes  die  ständigen  Beamten  des  Bureau  des 
Schweizerischen  Handels-  und  Industrievereins  und  bestimmt  die  Gehalte  und  Verpllich- 
tungen  derselben.    Sie  bezeichnet  ferner  alljährlich  zwei  Rechnungsrevisoren. 

Abstimmungen  und  Beschlulofassungen  der  Handelskammer  sind  in  der  Hegel  in 
Sitzungen  vorzunehmen,  welche  der  Vorort  nach  BedurfniL)  anberaumt,  doch  können 
sie  nöthigen  Falles  auch  auf  dem  Zirkularwege  stattlinden. 

Zur  Beschhißtahigkeit  der  Handelskammer  be<larf  es  der  Anwesenheit  von  min- 
destens 8  Mitgliedern ;  bei  Stimmengleichlieit  zählt  die  Stimme  des  Vorsitzenden  doppelt. 

§  6.  Vorort.  Je  auf  die  Dauer  von  4  Jahren  wird  von  der  Delegirten  versammhing 
eines  der  zum  Verl»ande  gehörenden  Organe  als  Vorort  gewählt.  Der  abtretende  Vorort 
ist  mit  Ablauf  der  Amtsdauer  wieder  wählbar. 

Der  Vorort  bildet  die  Präsidialbehörde  des  Verbandes.  Kr  bestellt  von  sich  aus 
das  Präsidium,  das  auch  in  den  Sitzungen  der  Handelskammer  und  den  Versamndungen 
der  Delegirten  den  Vorsitz  führt. 

Dem  Vororte  liegt  als  leitender  und  ausfulirender  Behörde  insbesondere  ub:  die 
Besorgung  der  linanzieilen  und  übrigen  administrativen  Angelegenheiten  des  Verbandes, 
die  Vermittlung  der  Beziehungen  zwischen  den  Bundesbehörden  und  den  Sektionen, 
die  Zusammenstellung  und  Bearbeitung  der  von  den  Sektionen  eingehenden  Infor- 
mationen, die  vorgängige  Begutichtung  anhängiger  Fragen,  jährliche  Rechnungsablagen, 
die  Bericliterstattung  über  seine  Thätigkeit  und  diejenige  des  Gesammtvereins,  sowie 
über  Handel  und  Industrie  der  Schweiz. 

In  dringUchen  Fällen  kann  der  Vorort  wie  auch  die  Handelskammer  in  Fragen, 
die  ihrer  Natur  nach  vor  das  Forum  der  Delegirtenversammlung  zur  Beschlußfassung 
gehören,  von  sich  aus  im  Namen  des  Vereins  handeln,  innnerhin  unter  Vorbehalt 
nachtraglicher,  möglichst  beförderlicher  Berichterstattung  an  die  Organe  des  Vereins. 

Zur  Bewältigung  der  ihm  zugewiesenen  Aufgaben  wird  dem  Vororte  ein  ständiges 
Bureau  zur  Verfügung  gestellt,  des.sen  Personalbestand  sich  nach  den  Bedürfnissen  und 
den  zu  Gebote  stehenden  linanzieilen  Mitteln  richtet. 

Finanzen.  ^  7.  Die  ünanziellen  Hülfsmittel  des  Vereins  setzen  sich  zusammen 
aus:  1)  obligatorischen  und  freiwilligen  Beiträgen  der  Sektionen;  2)  Beiträgen  des 
Bundes ;  3)  allfälligen  sonstigen  außerordentlichen  p]innahmen. 

Der  obligatorische  Jahresbeitrag  jeder  Sektion  belauft  sich  auf  Fr.  2()0  im  Minimum 
und  Fr.  30()  im  Maximum. 

Die  Sektionen  sind  verptlichtel,  auf  erste  Aufforderung  des  Vorortes  mit  Beginn 
jedes  Vereinsjahres  den  Miniinalbeitrag,  und  mit  Abschluß  der  Jahresrechnung  ein  all- 
fölliges  Mehrbetretfniß  bis  auf  den  Maximalbetrag  sofort  einzuzahlen. 

Sollte  die  Jahresrechnung  einen  Ueberschuß  <ler  aus  den  Minimalbeiträgen  der 
Sektionen,  aus  dem  Bundesbeitrage  und  aus  außerordentlichen  Einküntten  bestehenden 
Jahreseinnahmen  ergeben,  so  ist  derselbe  zu  Gunsten  der  Einnahmen  des  nächsten 
Jahres  vorzutragen,  wenn  nicht  die  Delegirtenversammlung  üi»er  die  Verwendung  ander- 
weitig bescldießt.  Sollten  aber  die  Maximalbeiträge  von  je  Fr.  3(K)  nicht  genügen,  um 
die  Ausgaben  des  Vereins  zu  decken,  so  soll  der  Vorort  zunächst  den  Versuch  machen, 
die  Knsteliung  eines  Detizits  durrh  freiwillige  Nachschüsse  der  Sektionen  zu  vermeiden; 
gelingt  dies  nicht,  so  sind  außerordentliche  Vorschüsse  des  V^norts  vorab  aus  den  Ein- 
nahmen des  nächsten  Jahres  zu  vergüten. 

Bei  anfälliger  x\uflösung  des  Verbandes  sind  etwaige  Vermögensbe-stondtheile, 
bestehend  in  Reserven  aus  Rechnungsüberschüssen,  Bibliothek  u.  s.  w.  durch  Beschluß 
der  Delegirlenversatninlung  ähnlichen  ölTentlichen  schweizerischen  Zwecken  zuzuwenden, 
wie  sie  der  aufgelöste  Verband  verfolgt  hat. 

Efleklive  Auslagen  der  Mitglieder  der  Handelskammer  werden  aus  der  Vereins- 
kasse bestritten,  währenci  diejenigen  der  Abgeordneten  an  die  Delegirtenversammlung 
von  den  betretlendon  Sektionen  zu  tragen  sind. 


Handelbikammern  —      7      —  HandeLspolitik 

Verschiedene  Bestimmungen.  §  8.  Dur  Verein  verpflichtet  sich  gegenüber  der 
hohen  Bundesl»ehOrde,  mit  Rücksicht  auf  den  zu  leistenden  fixen  jährlichen  Bundes- 
beitrag, zur  Begutaclitung  der  ihm  von  den  verschiedenen  Departementen  des  h.  Bundes- 
ralhes  vorgelegten  Fragen  betreflend  Handel,  Industrie  und  Verkehr  und  die  bezügliche 
Gesetzgebung.  Er  veranstaltet  auf  Ansuchen  des  Bundesrathes  Enqueten,  welche  in 
den  Bereich  seiner  Wirksamkeit  fallen  und  verfallt  jährlich  einen  Bericht  über  Handel 
und  Industrie  der  Schweiz. 

Der  Bundesrat!),  ])ezw.  da^  Handels-  und  LanriwirthschafLsdepartement  soll  jeweilen 
eingeladen  werden,  sich  an  den  Sitzungen  der  Handelskammer  und  der  Delegirten  durch 
Abgeordnete  mit  berat  hender  Stinuiie  vertreten  zu  lassen. 

§  9.  Abgesehen  von  den  finanziellen  Verpllichtungen  ist  jod<?  Sektion  gegenüber 
dem  Vereine  verbunden,  innerhalb  der  anberaumten  Zeit  schriftliche  Gutachten  über 
alle  Fragen  abzugeben,  welche  ihr  vom  Von)rt.e  unterbreitet  werden.  In  Fallen,  wo 
ihr  dies,  sei  es  aus  materiellen,  sei  es  aus  sonstigen  in  der  Natur  tier  Frage  liegenden 
Gründen,  absolut  nicht  möglich  ist,  soll  sie  hievon  zeitig  dem  Vororte  Anzeige  machen. 

§  10.  Sämmtlichen  Gutachten,  welche  den  Rundesbehorden  von  der  Delegirten- 
ven^ummlung  oder  von  der  Handelskammer  unterbreitet  werden,  ist  die  Ansicht  der 
Minoritfit,  sofern  diese  es  verlangt,  beizufügen. 

§  11.  Anträge  auf  Abänderung  der  Statuten,  sowie  andere  zur  BeschluljfjLssung 
an  die  Delegirten vei-sammlung  gelangende  Vorlagen  müssen  dem  Vororte  einen  Monat 
vor  dem  Zusammentritte  der  Delegirten  eingereicht  werden. 

§  12.  Der  Austritt  aus  dem  Verbände  steht,  die  Erfüllung  der  betrelTenden  finan- 
ziellen Verbindlichkeiten  für  das  laufende  Uechnungsjahr  vorausgesetzt,  den  Sektionen 
zu  je«ler  Zeit  frei. 

§  13.  Die  Auflösung  des  Schweizerischen  Handels-  und  Industrievereins  kann 
von  tler  ordentlichen  Dclegirtenversammlung  beschlossen  wenlen,  wenn  nach  recht- 
zeitiger Bekanntgebung  dieses  Traktandums  mindestens  -/s  der  Vereinsorgane  vertreten 
sind  und  sich  eine  Mehrheit  von  zwei  Drittlheilen  der  vertretenen  Sektionen  dafür 
ausspricht. 

Ist  eine  erste  Versammlung  beseht ußunlahig.  so  kann  eine  zweite  anziionlnende 
Dclegirtenversammlung,  ohne  Rücksicht  auf  die  Zahl  der  vertretenen  Sektionen,  die 
x\uflösung  beschließen. 

Uandelspolitik.  Die  Schweiz  befolgte  bisher  nach  Außen  eine  freihiind- 
lerische  Handelspolitik.  Sie  war  und  ist  vermöge  ihres  beschränkten  territorialen 
Umfanges  auf  diese  Politik  angewiesen ;  denn,  indem  die  Schweiz  nur  für  einen 
kleinen  Theil  ihrer  eigenen  industriellen  Produktion  aufnahmsfähig  ist,  muß  für 
den  Haupttheil  der  Produktion  im  Ausland  Unterkunft  gesucht  werden.  Die» 
bedingt,  daß  die  Beschaffung  der  Roh-  und  Hülfsmaterialien  für  die  industrielle 
Produktion  eine  möglichht  billige,  namentlich  von  Zöllen  möglichst  wenig  be- 
schwerte sei. 

Daraus  folgt,  daß  die  Schweiz  bich  SchutzzlUle  nur  erlauben  darf  für  solche 
Gegenstände,  welche  keiner  weiteren  Verarbeitung  im  Tnlande  fähig  sind  und  die 
im  Inlande  in  genügender  Menge  hergestellt  werden  können;  dessenungeachtet 
hat  die  Schweiz  auch  diese  Gegenstände,  von  einigen  wenigen  Luxusartikeln 
abgesehen,  von  ihrer  freihänd krischen  Politik  bisher  niclit  ausgenommen,  und  sie 
hat  ohne  Zweifel  gut  daran  gethan,  denn  sie  lieferte  dem  Ausland  keinen  Vor- 
wand zu  Repressalien.  Nun  aber  das  Ausland  gleichwohl  Schutzzollpolitik  treibt 
nnd  durch  seine  Massenproduktion  dem  schweizerischen  (lewerbe  die  Existenz 
streitig  macht,  wird  die  Schweiz  kaum  auf  die  Dauer  der  Nothwendigkeit  wider- 
stehen können,  eine  genauere  Unterscheidung  derjenigen  Objekte  zu  treH'en,  welchen 
gegenüber  ein  geringes  oder  höheres  Zollmaß  zuträglich  ist. 

Seit  die  Schweiz  ein  einheitliches  Zollgebiet  ist  (184*.)),  ist  ihre  Handels- 
politik eine  zielbewußtere  und  umsichtigere.  Die  Zahl  der  Handelsverträge  wurde 
bedeutend  vermehrt,  wie  auch  die  Zahl  der  Konsulate  im  Auslande.  Im  Innern 
hat  sich  ein  enger  Kontakt  zwischen  dem  Staat  und  den  wirthschaftlichen 
Interessengruppen  entwickelt  und  die  staatliche    Förderung  der  Volkswirthschaft 


Handelspolitik  —     8     —  Handelsregister 

ist  eine  ganz  intensive  geworden.  Ein  Gltick  war  es,  daß  die  Interessen  der 
Finanzpolitik  und  der  Handelspolitik  zusammentrafen;  denn,  indem  der  Staat 
verhältnißmäßig  geringer  Einnahmen  bedurfte,  war  es  ihm  leicht,  die  Volks- 
wirthschaft  unwesentlich  mit  2jöllen  zu  belasten. 

Handelsregister«  (Mitgetheilt  von  Herrn  Leo  Weber,  eidg.  Gresetz- 
gebungs-Sekretär.j  Seit  dem  1.  Januar  188'-^  werden  in  sämmtlichen  schweize- 
rischen Kantonen  Handelsregister  nach  einheitlichen  Bundesvorschrifsen  geführt. 
Der  Art.  85'J  des  Bundesgesetzes  über  das  Obligationenrecht  hat  die  Führung 
solcher  Register  den  Kantonen  zur  Pflicht  gemacht. 

Durch  Art.  893  des  O.-R.  war  dem  Bundesrathe  der  Auftrag  ertheilt,  über 
Einrichtung,  Führung  und  Kontrolirung  der  Handelsregister,  über  das  bei  den 
Eintragungen  in  dieselben  zu  beobachtende  Verfahren,  die  zu  entrichtenden  Taxen 
und  die  Beschwerdeführung  eine  gleichzeitig  mit  dem  Obligationenrecht,  d.  h.  auf 
1.  Januar  1883,  in  Kraft  tretende  Verordnung  zu  erlassen. 

Das  eidg.  Justiz-  und  Polizeidepartement  hatte  die  Vorarbeiten  zu  dieser 
Verordnung  zu  besorgen,  mit  Rücksicht  darauf,  daß  die  Materie  in  engem  An- 
schluß an  die  Bestimmungen  des  Obügationenrechtes  steht  und  daher  einen  vor- 
herrschend juridischen  (privatrechtlichen)  Charakter  trägt.  Die  einfache  Anlehnung 
an  bereits  vorhandene  Vorbilder  (ausländische  oder  kantonale  Einrichtungen) 
erwies  sich  als  unstatthaft.  Unser  Obligationenrecht  hat  bei  Norrairung  der  auf 
be^iondern  Bedürfnissen  des  Handelsstandes  beruhenden  Rechtsinstitute  die  ent- 
sprechenden Bestimmungen  der  deutschen  und  französischen  Handelsrechts-Gesetz- 
gebung zwar  nicht  außer  Acht  gelassen,  aber,  wie  die  bundesräthliche  Botschaft 
vom  27.  November  1879  mit  Recht  bemerkt,  es  ist  doch  dabei  seine  eigenen 
Wege  gegangen  und  hat  „alle  diese  Institute  ihres  ausschließlich  für  Handels- 
leute berechneten  Charakters  entkleidet". 

In  das  Handelsregister  müssen  sich  eintragen  lassen  die  Kollektiv-  und 
KommandiUjeselkchaflen,  die  Aktien-  und  Kommanditaktietigesellschaften,  die 
Genossenschaften  und  Vereine,  welche  juristische  Persönlichkeit  (das  Recht, 
auf  ihren  eigenen  Namen  Rechte  zu  erwerben  und  Verbindlichkeiten  einzugehen) 
erlangen  wollen,  sowie  alle  diejenigen  Personen,  welche  in  kaufmännischer  Art 
ein  Gewerbe  betreiben. 

Es  kann  aber,  wer  immer  unter  einer  Firma  ein  Geschäft  betreibt,  sei  dies 
auch  in  nicht  kaufmännischer  Weise,  diese  Firma  eintragen  lassen.  Ueberdem 
kann  sich  jeder  Handlungsfähige  eintragen  lassen,  um  dadurch  im  vollen  Sinne 
wechselfähig  zu  werden,  indem  er  sich  der  prozessualischen  Wechselstrenge  unter- 
wirft, d.  h.  auf  nicht  wechselmäßige  Einreden  verzichten  und  den  schnellen 
Rechtstrieb  über  sich  ergehen  lassen  will. 

Prokuristen  sind  zur  Eintragung  in  das  Handelsregister  anzumelden,  ver- 
pflichten jedoch  schon  vor  der  Eintragung  kaufmännische  Prinzipale.  Prokuristen 
zur  Betreibung  anderer  als  kaufmännischer  Gewerbe  oder  Geschäfte  können  nur 
durch  Eintragung  in  das  Handelsregister  bestellt  werden. 

Es  wurde  demnach  vom  Justizdepartement  die  Aufstellung  eines  selbst- 
etändigen  Entwurfes  als  durchaus  nothwendig  erkannt.  Herr  Advokat  Ad,  Fick, 
Sohn,  in  Zürich,  übernahm  dessen  Abfassung.  Eine  Expertenkommission,  bestehend 
ans  den  Herren  Ad.  Fick,  vorgenannt,  Charles  Soldan,  Kantonsrichter  in  Lau- 
sanne, und  Dr.  Paul  Speiser,  Professor  in  Basel,  in  Verbindung  mit  den  Herren 
Leo  Weber  als  Vertreter  des  eidg.  Justizdepartementes  und  Dr.  Ph.  Willi  als 
Vertreter  des  Schweiz.  Handels-  und  Landwirthschaftsdepartementes,  wurde  berufen, 
einen   ersten    Entwurf  zu   Händen    des  Justiz-    und   Polizeidepartementes   durch- 


UandeUfregister  —      9      —  Handelsre^fister 

zuberathen  und  festzustellen.  Aus  eigener  luitiative  hatte  aueh  Herr  Dr.  Paul 
Speiser  einen  Entwurf  ausgearbeitet.  So  lagen  im  Juli  1882  der  Experten- 
kommission zwei  Entwürfe  vor.  Dieselben  unterschieden  sich  in  folgenden  Punkten : 
Nach  dem  Entwürfe  Fick  waren  vier  tabellarische  Abtheilungen  des  Registers 
vorgesehen,  in  welche  die  Eintragungen  auf  Grundlage  von  (11  rubrizirten) 
Anmeldescheinen  geschehen  sollten.  Speiser  dagegen  ließ  das  Handelsregister  in 
zwei  Abtheilungen  zerfallen:  das  eigentliche  Handelsregister  mit  zwei  EUchem, 
dem  Journal  und  dem  Firmenbuch,  und  das  Register  der  sog.  Voll  wechselfähigen. 
Mehrfache  Bemerkungen  und  Gutachten  waren  eingegang:en  vom  Vorort  des 
Schweizerischen  Handels-  und  Industrievereins  (Zürich),  von  der  Kaufmännischen 
Gesellbchatt  in  Zürich,  von  der  Handelskammer  in  G^nf,  sowie  von  der  Soci^ti 
industrielle  et  commerciale  du  canton  de  Vaud,  von  letzterer  unter  Einbegleitung 
eines  (skizzirten)  Reglementsentwurfes. 

Die  vorgenannte  fünfgliedrige  Expertenkommission  tagte  vom  24.  bis  und 
mit  26.  Juli  1882  zu  erster  und  am  14.  August  1882  zu  zweiter  Berathung 
in  Bern.  Zwischen  der  ersten  und  zweiten  Berathung  war  den  kaufmännischen 
und  industriellen  Kreisen  nochmals  Gelegenheit  zu  sachbezüglichen  Bemerkungen 
gegeben  worden.  Auf  Grundlage  des  Speiser'schen  Entwurfes  stellte  die  Kom- 
mission den  Text  einer  Bundesverordnung  fest  und  es  machte  hierauf  das  eidg. 
Jnstizdepartement  am  22.  August  desselben  Jahres  seine  Voilage  an  den  Bundes- 
rath.  Der  Buudesrath  adoptirte  das  vorgeschlagene  System  und  erließ  am 
2*.>.  August  1882  die  „Verordnung  über  Handelsregister  und  Handelsamtsblatt •*. 
In  Art.  3  derselben  wurde  die  fernere  Besorgung  der  auf  das  Handelsregister 
und  Handelsamtsblatt  sich  beziehenden  Geschäfte  dem  Schweiz.  Handels-  und 
Landwirthschaftsdepartement  zugewiesen.  Der  Handelsstand  hatte  sich  einstimmig 
für  das  letztgenannte  Departement  als  leitende  und  kontrolirende  Behörde  aus- 
gesprochen. Ein  Dualismus  in  der  Departementalleitung  konnte  nicht  als  zweck- 
mäßig erachtet  werden.  Für  Fragen  juristischer  Natur,  die  sich  bei  der  Führung 
des  Handelsregisters  sehr  häufig  aufdrängen,  ist  dadurch  selbstverständlich  die 
begutachtende  Mitwirkung  des  Justizdepartementes  nicht  ausgeschlossen. 

Das  Handelsregister  zerfällt  nach  der  bundesräthlicheii  Verordnung  vom 
29.  August  1882  in  zwei  Abtheilungen :  1)  das  Hauptregister  zur  Aufnahme 
der  Eintragungen  von  Geschäftsfirmen  (Einzelfirmen),  Prokura  -  Ertheilungen, 
Kollektiv-  und  Kommanditgesellschaften,  von  Aktiengesellschaften  und  Kommandit- 
aktiengesellschaften,  von  Genossenschaften  und  Vereinen  und  2)  das  Besondere 
Register  für  diejenigen  Personen,  welche  (der  vollen  Wechselfähigkeit  wegen) 
die  Eintragung  verlangen,  ohne  einer  der  oben  genannten  Kategorien  anzu- 
gehören. 

Das  Hauptregister  besteht:  a.  aus  ü^m  Journal,  in  welchem  in  Form 
eines  Verbalprozesses  und  in  chronologischer  Reihenfolge  alle  (mündlich  oder 
sohriftlich)  angemeldeten  Eintragungen,  einschließlich  der  Löschungen  und  Aende- 
rungen,  zu  erfolgen  haben,  und  b.  aus  dem  in  Tabellenform  geführten  Firmen- 
buthy  in  welchem  der  Registerführer  jeder  Firma  eine  Blattseite  zutheilt,  um 
darauf  alle  die  Firma  betreffenden  Journaleinträge  einzuschreiben.  Zum  Firmen- 
buch gehört  ein  alphabetisches  Nachschlafieverzeichniß. 

Die  sehr  seltenen  Prokura- Ertheilungen  seitens  nicht  kaufmännischer  Prinzipale 
werden  in  einem  eigenen  Hefte  mit  alphabetischem  Verzeichnisse  eingetragen. 
Ebenso  wird  das  Verzeichniß  der  persönlich  haftbaren  Mitglieder  einer  Ge- 
nossenschaft als  besonderes  Heft  geführt,  dieses  jedoch  des  starken  Raumanspruchs 
und  häufigen  Wechsels  wegen. 


Handelsregister  —      10     —  HaIlciels^egi^4ter 

Das  Besondere  Begister  besteht  aus  einem  chronologischen  Buche  und 
aus  einem  alphabetischen  Buche  —  in  einfachster  Form  dem  Journal  und  dem 
Firmenbuch  des  Hauptregisters  nachgebildet. 

Die  Eintragungen  geschehen  nicht  von  Amtswegen,  sondern  auf  die 
mündlich  abgegebene  oder  beglaubigte  schriftliche  Erklärung  der  nach  dem  Ge- 
setze hiezu  berechtigten,  bezw.  verpflichteten  Personen.  Der  Bundesrath  hat  es 
wiederholt  abgelehnt,  den  Registerbehörden  bindende  Instruktionen  betreifend  die 
Eintragspflicht  zu  ertheiien.  Das  Obligationenrecht  vermeidet  mit  voller  Absicht 
eine  gesetzliche  Detinition  des  Kaufmanns,  wie  sie  das  deutsche  Handelsgesetzbuch 
enthält.  Keine  Detinition  könnte  die  Mannigfaltigkeit  der  einschlägigen  Fälle 
erschöpfen.  An  die  Eigenschaft  eines  Eintragspflichtigen  knüpfen  sich  einschneidende 
civilrechtliche  Folgen  —  man  «lenke  z.  B.  an  die  solidarische  Haftbarkeit  der 
Kollektivgesellschafter  fiir  die  Verbindlichkeiten  der  Gesellschaft  —  in  Bezug 
auf  welche  den  Gerichten  vorkommenden  Falles  das  souveräne  Entscheidungsrecht 
trotz  einer  vorgängigen  bundesräthlichen  Weisung  vorbehalten  bleibt. 

Die  Registerführer  haben  jedoch  von  Anitswegen  darauf  zu  achten,  daß  die 
zu  Eintragungen,  Aenderungen  und  Löschungen  Verpflichteten  dieser  Verpflichtung 
nachkommen.  (Nur  in  einigen  wenigen  Fällen  geschieht  nach  der  Verordnung 
die  Löschung  von  Amtswegen.)  Bei  Säumniß  des  Pflichtigen  schreitet  der 
Registerführer  vorerst  zur  Mahnung;  hernach  überweist  er  im  Falle  ungerecht- 
fertigter Säumniß  oder  Weigerung  die  Sache  an  die  kantonale  Aufsichtsbehörde, 
welche  entscheidet  und  gegen  Fehlbare  mit  (den  Kantonen  zufallenden)  Ordnungs- 
bußen im  Betrage  von  Fr.  10  bis  Fr.  500  so  lange  einschreitet,  bis  der  Ein- 
tragspflicht Genüge  geleistet  oder  der  Grund  derselben  weggefallen  ist. 

Gegen  die  Verfügungen  der  kantonalen  Organe  kann  übrigens  in  allen  Fällen 
Beschwerde  an  die  Bundesaufsichtsbehörde  (Schweiz.  Handels-  und  Land- 
wirthschaftsdepartement  zu  Händen  des  Bundesrathes)  stattflnden. 

Die  im  Journal  und  im  chronologischen  Buche  des  Besonderen  Registers 
erfolgten  Einträge  werden  nach  ihrem  ganzen  Inhalte  durch  das  Schtveizerische 
Handelsamtsblatt  veröffentlicht.  Erst  von  dem  Zeitpunkte  an,  in  welchem  sie 
durch  dieses  Organ  zur  Kenntniß  des  Publikums  gelangt  sein  können,  werden 
die  Eintragungen  in  der  Regel  auch  diesem  —  dritten  Personen  —  gegenüber 
wirksam. 

In  die  streitigen  Beziehungen  zwischen  Privaten  in  Betrefl"  von 
Eintragungen,  Löschungen  oder  Aenderungen  mischt  sich  die  Registerbehörde  in 
keiner  Weise;  der  Entscheid  über  dieselben  fällt  ausschließlich  den  Gerichten 
an  heim. 

Die  territoriale  Organisation  der  Registerführung  ist  in  den  einzelnen 
Kantonen  verschieden.  In  den  kleinern  Kantonen  konnte  man  sich  füglich  mit 
einem  einzigen  Register,  das  am  Hauptorte  geführt  wird,  begnügen.  So  in  den 
Kantonen  üri,  Schwyz,  Unterwaiden,  Glarus,  Zug,  Baselstadt,  Baselland,  Appen- 
zell L-  und  A.-Rh.,  Schafl'hausen,  Genf.  Aber  auch  die  Kantone  Zürich,  Luzem^ 
Thurgau,  Graubünden  gaben  mit  Rücksicht  auf  die  Vortheile  der  einheitlichen 
Durchführung  und  der  leichteren  und  strengeren  Ueberwachung  einem  Zentral- 
register im  Hauptorte  den  Vorzug.  Die  Kantone  Bern,  Freiburg,  Solothum, 
St.  Galleu,  Tessin,  Waadt,  Wallis  dagegen  haben  ihr  Register  bezirksweise  ein- 
gerichtet. Aargau  führt  ein  nach  Bezirken  abgetheiltes  Zentralregister ;  deßgl eichen 
that  Neuenburg,  bis  die  vor  1.  Januar  1883  entstandenen  Firmen  eingetragen 
waren,  dann  ließ  es  die  Dezentralisation  nach  Bezirken  eintreten.  Seit  der  Zeit 
bestehen    in    der   ganzen    Schweiz    113   Registerbureaux    (30   Bern,    19  Waadt, 


Handelsregister  —      11      —  Handelsregister 

15  St.  Gallen,  8  Solothurn,  8  Tessin,  7  Freiburg,  6  Neuenburg,  3  Wallis,  je 
1   in  den  17  übrigen  Kantonen  und  Halbkantonen). 

Die  Verordnung  des  Bundesratbes  vom  29.  August  1882  batte  für  die 
Eintragungen,  Löschungen  und  Aenderungen  Gebühren  festgesetzt,  die  schon 
vor  Inkrafttreten  der  Verordnung  Gegenvorstellungen  von  Seite  des  Schweiz. 
Handels-  und  Industrievereins,  sowie  Seitens  einer  von  15  Kantonsregierungen 
beschickten  Konferenz  in  Zürich  hervorriefen.  Neben  dem  Wunsche  einer  all- 
gemeinen Ermäßigung  wurde  dem  Begehren  Ausdruck  gegeben,  daß  die  Abstufung 
der  Gebühren  nach  dem  Gesellschaftskapital,  namentlich  bei  Kollektiv-  und 
Kommanditgesellschaften,  fallen  gelassen  werde.  Der  Bundesrath  beschloß  darauf- 
hin am  7.  Dezember  1882  eine  Abänderung  jener  Verordnung.  Danach  sind  die 
nach  dem  Kapital  abgestuften  Gebühren  für  Kollektiv-  und  Kommanditgesellschaften 
durch  eine  mäßige  Taxe  ersetzt.  Die  Abstufung  nach  dem  Kapital,  bezw.  nach 
dem  Reserve-  oder  Garantiefonds,  wurde  dagegen  für  Aktiengesellschaften,  Kom- 
manditgesellschaften und  Genossenschaften  beibehalten. 

Die  zufolge  der  revidirten  Verordnung  (7.  Dezember  1882)  nun  bestehenden 
Gebuhren  werden,  seitdem  die  Kantone  über  die  ihnen  auffallenden  Kosten  ein 
genaueres  ürtheil  sich  haben  bilden  können,  von  der  großen  Mehrzahl  derselben 
nicht  mehr  als  zu  hoch  erachtet.    Sie  betragen: 


Für  Inhaber  von  Einzelürmen 

„     Kollektiv-  und  Kommanditgesellschaften     .... 
„     Aktiengesellschaften ,     Kommanditaktiengesellschaften 
und  Genossenschaften: 

a.  bei  einem  Gesellschaftskapital    bis    Fr.     100,000 

b.  r,        .  «  n       «  r 000,000 

c.  „        „  „  über     „   r 000,000 

„     Vereine  nach  O.-R.   716    . 

„     Bevollmächtigungen  (Prokuristen,   Direktoren,  Liqui- 
datoren)       

Eine  Löschung  oder  Aenderung,  die  mit  einer  neuen  Eintragung  verbunden 
ist,  geschieht  gebührenfrei. 

Für  Zioei(/f/esch(ifle  (Filialen)  ist  je  die  Hälfte  der  oben  für  Hauptnieder- 
lassungen erwähnten  Gebühren  zu  entrichten.  Befindet  sich  die  Hauptniederlassung 
im  Auslande,  so  ist  für  die  erste  zur  Eintragung  gelangende  schweizerische 
Zweigniederlassung  die  volle,   für  jede  folgende  die  halbe  Gebühr  zu  entrichten. 

Institute  mit  kaufmännischem  Betrieb,  welche  auf  Rechnung  öffentlicher 
Gemeinwesen  (Staat,  Bezirk,  Gemeinde)  betrieben  werden,  entiichten  die  für 
Aktiengesellschaften  bestimmten  Gebühren,  wenn  ihnen  ein  eigenes  Betriebskapital 
zugeschieden  ist,  oder  wenn  sie  ein  Aktienkapital  besitzen;  ist  weder  das  Eine 
noch  das  Andere  der  Fall,  so  entrichten  sie  die  Gebühr  für  Einzelfirmen. 

Für  Einträge  in  das  Besondere  Befjister  beträgt  die  Gebühr  Fr.  3. 
Streichungen  in  demselben  geschehen  unentgeltlich. 

Ein  Fünftel  der  hie  vor  erwähnten  Gebühren  ist  von  den  Kantonen  für  die 
Veröffentlichung  der  betreffenden  Eintragungen  durch  das  Handelsamtsblatt  an 
die  Bundeskasse  abzuliefern.  Der  Rest  sowie  die  Ordnungsbußen  fallen  den 
Kantonen   zu.     Die   kantonalen  Vorschriften    über  Stempelung  sind  vorbehalten. 

Seit  1.  Januar  1883  hat  sich  in  einer  Reihe  von  Fällen  das  Bedürfniß 
beransgestellt,    über    einschlagende    Bestimmungen    des    Obligationenrechts    mit 


Eintrug. 
Fr. 

L«>8churig. 
Fr. 

Aend«»- 

rangoii. 

Fr. 

5 

3 

10 

6 

3 

20 

10 

10 

50 

25 

25 

100 

50 

50 

10 

6 

3 

5 

3 

Handelsregister  —      12     —  Handelsschulen 

spezieller  Benehung  auf  das  Hiandelsregister  wegleitende  Entscheidungen 
der  Bundesaufsichtsbebörde  zu  veranlassen.  Diese  Entscheide  bilden  einen  prak- 
tischen Kommentar  zu  den  bezüglichen  Gesetzesstellen  und  werden  jeweilen  im 
Handelsamtsblatt  zur  Eenntniß  des  Publikums  gebracht. 

Die  Einnahmen  aus  den  RegistergebUhren  (exM.  derjenigen  für  AuszUge, 
Bescheinigungen,  Ordnungsbußen  und  Stempel)  haben  in  der  ganzen  Schweiz 
betragen:  Im  Jahre  1883  Fr.  246,925,  im  Jahre  1884  Fr.  28,238,  im  Jahre 
1885  Fr.  28,337.  Der  Fütiflel  des  Bundes  belief  sich  somit  je  auf  Fr.  49,385, 
5648,  5667. 

Folgende  Zahlen  zeigen,  in  welchem  Maße  das  Handelsregister  benützt 
worden  ist: 

EhUrä{jfe.  issa  i884  i885 

Einzelfirmen 24669  1874  1661 

Kollektiv-  und  Kommanditgesellschaften      .     .     .  3872  512  480 

Aktiengesellschaften  und  Genossenschaften  .     .     .  1008  157  167 

Vereine  nach  O.-R.   716  u.  ff. 134  71  93 

Bevollmächtigungen  (Prokuristen,  Direktoren  etc.)  3142  619  601 

Filialen 378  68  80 

Besonderes  Register  oder  Register  B     .     .     .     .  2097  82  58 

Löschungen. 

Einzelfirmen 446  922  1128 

Kollektiv-  und  Kommanditgesellschaften      .     .     .  206  405  429 

Aktiengesellschaften  und  Genossenschaften  ...  29  18  38 

Vereine —  1  2 

Bevollmächtigungen 102  263  322 

Fiüalen 10  33  37 

Register  B 45  40  17 

Aenderungen. 

Einzelfirmen 2  39  42 

Kollektiv  und  Kommauditgesellschaften      ...  45  88  87 

Aktiengesellschaften  und  Genossenschaften  ...  20  86  116 

Vereine 1  12  13 

Bevollmächtigungen 2  6  4 

(S.  auch  den  Artikel   „ Geschäftsfirmen **.) 

Handelsschulen.  (Mitgetheilt  von  Herrn  Huber,  Beamter  des  eidg.  Handels- 
departements.) In  der  Schweiz  bestehen  keine  eigentlichen  und  selbständig  organi- 
sirte  Handelsschulen,  sondern  es  können  unsere  bezüglichen  Einrichtungen  eher 
als  Vorbildungsanstalten  bezeichnet  werden. 

An  den  meisten  unserer  Kantons  schulen  findet  sich  gewöhnlich  auch  eine 
merkantile  Abtheilung  als  Bifurkationszweig  der  Realabtheilungen  mit  2 — 3 
Jahreskursen  bei  einem  durchschnittlichen  Eintrittsalter  von   15  Jahren. 

Die  fachtechnischen  Lehrgegenstände  in  diesen  Mittelschulen  sind:  Neuere 
Sprachen  (Französisch  und  Englisch,  in  den  letzten  Jahren  auch  Italienisch), 
Handelsarithmetik,  Komptabilität,  Waarenkunde,  Lehre  von  den  Wertbpapieren  etc. 
Im  üebrigen  richtet  sich  der  speziellere  Aufbau  des  Lehrplans  nach  der  Handels- 
nnd  Industrierichtung  der  betreffenden  Landesgegend. 

Die  Kantonsschulen,  bei  deren  Realabtheilungen  eine  Bifurkation  in  eine 
technische  und  eine  merkantile  Sektion  stattfindet,  sind  nach  C.  Grob's  Schul- 
statistik (1882): 


Handelsschulen  —     13     —  Handelsstatistik 


Schalort  Kintritt8«Itor  Jahr«- 

j^jjj.^  Kurse 


Zürich 15  2 

Luzem 15  2 

Freiburg  (('ollege  St-Miciifl)  14  3 

Solothurn 14  3 

Basel-Stadt    ....  15 

St.  Gallen      ....  15  3 


SchLlort  EintrItUalter   Jahres- 

Jahre  Kurse 


Chur 15  2 

Frauenfeld      ....  15  2 

Lugano 11  4 

LauHanne 15  2 

Genf    (Gymnasium  und 

College)      ....  16  2 

Ferner  sind  als  staatlich  subventionirte  Anstalten  aufzuführen : 


Schulort  ^"*?a^r*o*"      J»hre«-K«r.e 

Zürcherisches  Technikum  in  Winterthur 15  4  *) 

Handelsschule  in  Bern 14  2 

Ober-Mädchenschule  in  Bern,  Handelsklasse     ....  15  1 

Die  nachfolgenden  Privatlehranstalten  haben  Handelsföcher  in  ihren  Lehr- 
plan aufgenommen:  Lehr-  und  Erziehungsanstalt  Concordia  in  Hirslanden-Zürich, 
Knabeninstitut  Rytfel  in  Stäfa,  Kollegium  Mariahilf  in  Schwyz,  Institut  Wiget 
in  Rorschach,  Handelsschule  Zwickel  in  Wattwil. 

Außerdem  sind  die  kaufmännischen  Vereine  in  den  Städten  und  größern 
Ortschaften  durch  Abhaltung  von  Kursen,  bcHonders  in  den  modernen  Sprachen 
und  übrigen  kaufmännischen  Disziplinen,  bemüht,  ihre  Mitglieder  mit  den  für 
die  Handelspraxis  nöthigen  und  nützlichen  Kenntnissen  auszurüsten.  Die  bezüg- 
lichen Bestrebungen  werden  infolge  dessen  auch  in  einigen  Kantonen  durch 
staatliche  Subventionen  zu  fördern  gesucht. 

Handelsstatistik,  £ine  die  ganze  Schweiz  umfassende  Handelsstatistik 
besteht  erst  seit  1848,  in  welchem  Jahre  das  Zollwesen  von  den  Kantonen  auf 
den  Bund  überging.  Die  erste  Statistik  wurde  nicht  gedruckt;  die  zweite  trug 
die  üeberschrift:  „Generaltableau  der  dem  eidgenössischen  GränzzoU  unterworfenen, 
im  Jahre  1849  in  die  Schweizerische  Eidgenossenschaft  eingeführten  Waaren  ** . 
In  diesem  10  Seiten  umfassenden  Tableau  sind  die  eingeführten  Gegenstände 
nach  der  Höhe  des  entrichteten  Zolles  (1  und  2  Batzen)  klassifizirt  und  als 
Fingangsrichtungen  waren  die  13  Grenzkantone  angegeben. 

Die  nächste  Statistik  vom  Jahre  1850  war  in  Folge  der  seit  1848  voll- 
zogenen gesetzlichen  Organisation  des  Zollwesens  Inhalt-  und  umfangreicher.  Sie 
beschiänkte  sich  nicht  mehr  bloß  auf  die  Finfuhr,  sondern  brachte  auch  die  Aus- 
fuhr und  die  Durchfuhr  zur  Darstellung.  Ganz  summarische  Angaben  waren 
auch  über  den  Freipaß-,  den  Geleitschein-  und  den  Nieder] ags verkehr  gemacht. 
An  Stelle  der  13  Grenzkantone  figurirten  die  durch  das  Zollgesetz  von  1849 
geschaffenen  5  schweizerischen  Zollkreise  als  Yerkehrsrichtungen. 

In  der  Statistik  pro  1851  war  die  Zahl  der  Zollkreise  auf  6  erhöht.  Sie 
hieß  nun  nicht  mehr  Generaltableau,  sondern   „  üeberHichtstabelle  **   etc. 

Die  Statistik  von  1852  wies  den  Unterschied  auf,  daß  anstatt  der  Batzen- 
währung die  1851  adoptirte  Franken  Währung  zum  Ausdruck  kam  und  daß  aus 
den  mit  Differentialzöllen  aus  den  sardinifchen  Staaten  und  dem  Pays  de  Gex 
eingeführten  Objekten  eine  besondere  Waarenklasse  gebildet  war. 

Im  Jahre  1853  kam  als  Neuerung  hinzu  eine  „  Uebersicht  der  Eichtungen 
der  Interimsabfertigungen  mittelst  Greleitscheinen  auf  langen  Strecken  " . 

Dazu  gesellte  sich  1856  eine  „  Uebersicht  der  bei  jeder  einzelnen  Zollstätte 
verzollten  Waarenmengen  " . 

*)  Semesterkurse. 


■'♦. 


Handelsstatistik  —     14     —  Handelsstatistik 

Im  Jahre  1857  wurden  die  Waaren  nicht  mehr  nach  der  Höhe  der  Zölle, 
Bondern  nach  (4ewicht,  Stück  und  Werth  klassifizirt;  die  hesondere  Elategorie 
der  mit  Differentialzöllen  eingeführten  Artikel  fiel  dahin. 

Im  Jahre  1869  wurde  mit  der  Ausecheidung  des  zollfreien  Grenzverkehrs 
hegonnen. 

Vom  folgenden  Jahre  an  wurden  die  Verkehrsrichtungen  nicht  mehr  nach 
den  sechs  Schweiz.  Zollkreisen,  sondern  nach  den  4  Landesgrenzen  hezeichnet. 

Im  Jahre  1876  wurden  die  üehersichten  betreffend  die  Kichtungen  der 
Interimsabfertigungen  und  betreffend  die  bei  jeder  Zollstätte  verzollten  Waaren- 
mengen  fallen  gelassen,  um  einer  „  Uebersicht  des  Durchfuhrverkehrs  auf  den 
hauptsächlichsten  Transitstrecken "  Kaum  zu  gewähren ;  auch  wurde  mit  einer 
neuen  Klassifikation  der  Waaren,  derjenigen  nach  Gattunf/j  der  Anfang  gemacht. 
Diese  Klassifikation  wurde  im 

Jahre  1877  noch  rationeller  durchgeführt.  Wichtiger  war  jedoch  die  statistische 
Aufnahme  des  Veredlungsverhehrs  mit  Angabe  des  Veredlungsgegenstandes,  der 
Veredlungsart  und  des  schweizerischen  Zollkreises,  über  dessen  Grenzen  dieser 
Verkehr  stattfand. 

Schon  im  nächsten  Jahre  wurde  die  Angabe  der   Zollkreise  ersetzt  durch 
die  Namen  der  vier  umliegenden  Länder. 

Die  Statistik  blieb  nun  unverändert  bis  Ende  1884.  Im  Jahre  1885  da- 
gegen wurde  mit  ihr  eine  gründliche  Veränderung  vorgenommen.  Die  bloßen 
Angaben  des  Verkehrs  nach  Quantität  (nur  bei  ganz  wenigen  Artikeln  nach  dem 
Werth)  und  nach  Landesgrenzen  hatten  längst  nicht  mehr  befriedigt  und  genügt; 
denn  man  sah  die  übrigen  Staaten  ihre  Statistik  nach  allen  Kichtungen  erweitern 
und  daraus  praktischen  Nutzen  ziehen. 

Die  erste  Anregung  zu  einer  wesentlichen  Umgestaltung  der  schweizerischen 
Handelsstatistik  ging  um  1870  von  der  Schweizerischen  statistischen  Gesellschaft 
aus.  Der  Schweizerische  Handels-  und  Industrie  verein  griff  die  Anregung  auf 
und  1874  arbeitete  der  sachkundige  Aktuar  des  Kaufmännischen  Direktoriums 
St.  Gallen  ein  „Programm  für  eine  schweizerische  Industrie-  und  Handelsstatistik " 
aus,   welches  großen  Anklang  fand. 

Zwei  Jahre  später  machte  sich  das  Ständerathsmitglied  Jenny  aus  Glarus 
in  der  Bundesversammlung  zum  Fürsprecher  des  Handelsstandes,  indem  er  fol- 
gendes Postulat  durchsetzte :  „  Der  Bundesrath  ist  eingeladen  zu  untersuchen  und 
Bericht  zu  erstatten,  ob  und  wie  bei  der  Zollbehandlung  der  schweizerischen 
Ein-  und  Ausfuhr  die  Ausmittlung  der  betreffenden  Werthe,  sowie  des  Unrsprungs- 
und  des  Bestimmungslandes  der  Waaren  anzuordnen  sei  ** . 

Der  Bundesrath  aber  setzte  in  seiner  Vernehmlassung  über  das  Postulat  so 
viele  Zweifel  in  die  Möglichkeit  der  Ausführung,  daß  die  Bundesversammlung 
sich  bewogen  fand,  den  Gegenstand  bis  nach  Feststellung  eines  neuen  Zolltarifs 
zu  vertagen.  Dieser  neue  Zolltarif  jedoch,  schon  damals  besprochen  und  ent- 
worfen, rückte  nicht  vom  Fleck  und  als  der  1882  mit  Frankreich  abgeschlossene 
Handelsvertrag  die  Unzufriedenheit  eines  Theiles  des  Gewerbe-,  Industrie-  und 
Handelsstandes  wach  rief,  brach  sich  der  Ruf  nach  einer  besseren  Handelsstatistik 
von  Neuem  Bahn.  Der  Bundesbehörde  ging  ans  jenen  Kreisen  eine  bezügliche 
Petition  zu,  der  Vorort  des  Schweiz.  Handels-  und  Industrie  Vereins  arbeitete 
treffliche  Vorschläge  und  Gutachten  aus,  der  Ständerath  sekundirte  die  Initianten 
durch  ein  neues  Postulat  des  Inhalts,  der  Bundesrath  möge  baldmöglichst  eine 
Vorlage  über  Einrichtung  und  Durchführung  einer  Handelsstatistik  machen,  und 


Handelest  sitistik  —      15      —  HiindelsJstatlstik 

80    kam    .schließlich,    nachdem    mittlerweile   auch    der    neue  Zolltarif   seinen  Ab- 
Bchluß  gefunden  hatte,  am  10.  Oktober  1884  und  am  13.  November  1885  folgende 

Verordnung  betreffend  die  Statistik  des  Waaren verkehre 
der  Schweiz  mit  dem  Ausland  zu  Stande : 

Art.  1.  Sämmtliche  Waaren,  welche  über  die  Grenzen  der  Schweiz.  Eidgenossen- 
schaft ein-,  aus-  oder  durchgefülirt  werden,  sind  den  mit  dem  Zollbezug  beauftragten, 
oder  alltmiig  anderweitigen,  diesfalls  vom  Zolldepartement  zu  bezeichnenden  Stellen, 
nach  Maüg.ibe  der  nachstehenden  Vorschrilten  zu  deklariren. 

Art.  2.  Die  Deklarationen  haben  folgende  Angaben  zu  enthalten :  a.  Gattung  der 
Waare:  h,  Menge  (Gewicht  oder  Stfickzahl);  c.  Verpackungsart:  d.  Zeichen,  Nummern, 
Anz«ibl  der  Colli:  r.  Herkunfts-  und  Bestimmungsland;  f.  Werth:  bei  der  Einfulu*  für 
die  nach  dem  Werth  verzollbaren,  sowie  für  diejenigen  Waaren,  deren  statistische  An- 
schreibung  nach  dem  Werthe  speziell  vorgeschrieben  ist;  bei  der  Ausfuhr  für  alle 
Waaren;  g.  Erklärung,  ob  die  Waare  zur  Ein-,  Aus-  oder  Durchfulir,  zur  Einlagerung 
oder  zur  Freipaßabfertigung  bestimmt  sei;  /*.  Unterschrill  des  Deklaranten:  i.  Datum 
ihrer  Ausstellung. 

Art.  :{.  Die  Gattung  der  Waare  ist  bei  der  Einfuhr,  Ausfuhr  und  Durchfuhr  nach 
Numuier  und  Wortlaut  des  statistischen  W'aarenverzeichnisses  zu  deklariren. 

Art.  i.  Die  Mengenangabe  hat,  außer  dem  für  die  Verzollung,  bezw.  für  den  Be- 
^ug  der  statislisclien  Gebühr,  maßgebenden  Bruttogcwiirhte,  für  die  Statistik  auch  das 
Netlogewiclit  der  Waaren  in  Kilogrammen  zu  liefern. 

Die  Angabe  der  Stückzahl  ist  erforderlich  für  die  per  Stück  verzollbaren  Gegen- 
stände und  für  solche,  deren  Deklaration  per  Stück  im  statistischen  W'aarenverzeiclmiß 
speziell  vorgeschrieben  ist. 

Art.  5.  Als  Land  der  Herkunft  ist  dasjeni^'e  Land  anzusehen,  aus  welchem  die 
gekaufte  Waare  zur  Versendung  gelangt;  als  Land  der  Bestimmung  dasjenige,  in  welches 
die  Waare  verkautl  wird. 

Art.  6.  Der  Werth  «1er  ausgehenden  Waaren  ist  vom  Versender  jeweilen  in  der 
Weise  zu  berechnen,  dali  zum  Marktpreise  am  Versendungsorte  die  Traasportkosten  bis 
zur  Ijandesjrrenze  geschlagen  werden.  Die  WVTthe  sowohl  der  aus-  als  auch  der  ein- 
gehenden Waaren  werden  alljälnlich  durch  eine  besondere,  vom  Zolldepailement  zu 
ernennende  Scliätzun^'skommission  geprüft,  bezw.  festgestellt. 

Ali.  7.  Bei  Zusammenpackung  verschiedener  Waarengattungen  sollen  die  oben 
erwälmten  .Vngaben  für  jede  Waarengattung  l)esonders  gegeben  werden. 

Art.  8.  Für  die  nachstehend  verzeichneten  Gegenstände  und  Verkehrsarten  wird 
das  Zolldepartenient  ermächtigt,  besondere  erleichlernde  Bestimmungen  hinsichtlich  der 
Deklaration  zu  trelTen :  «.  Gegenstände,  welche  von  einer  Person  eingebracht  werden, 
die  höchstens  1  kg  Waaren  mit  sieh  führt,  sofern  der  Zoll  von  der  Gesammtheit  dieser 
Waaren  den  Betrag  von  5  Rappen  nicht  übersteigt:  b.  Waaren  bei  der  Einfuhr  und 
bei  der  Ausfuhr,  deren  W^erth  Fr.  10  und  deren  Gewicht  5()0  gr  nicht  erreicht;  c.  Ueber- 
siedlungsetTekten:  (/.  Heiraths-  und  ErbschafL«gut:  e.  EITekten  und  Verzehrungsgegenstände 
von  Reisenden :  /'.  Wahren  und  Schilfe,  «lie  nur  zum  Transport  von  Personen  oder  W^aaren 
über  die  Grenze  dienen :  /;.  der  kleine  Marktverkehr :  /<.  der  Grenzverkelir:  t.  unverkauft 
zurückkehrende  Waaren  scliweizerischer  Herkunft:  k.  Kunstsachen  für  ülfeutliche  Zwecke, 
sowie  Naturalien  und  gewerblich-technische  (legenstände  für  öffentliche  Sammlungen ; 
l.  Musterkarten  und  Muster  in  Abschnitten  oder  Proben,  die  nur  zum  Gebrauche  als 
solche  geeignet  sind:  m.  leere  Fä.sser,  Säcke  u.  dgl.,  nach  Art.  llü  der  Vollziehungs- 
verordnung zum  Zollgesetz ;  n.  Armenfuhren  mit  deren  Gepäck;  o.  die  Ein-  und  Durch- 
fuhr im  Postverkelir. 

Art.  9.  Die  Deklaration  erfolgt  scliriftlich  durch  den  Waarenführer  nach  einem 
vom  Zolldepartenient  aufzustellenden  Formular.  Die  Dekhirationsformulare  mit  Instruktion 
zum  Ausfüllen  derselben  sind  bei  den  Zollstellen  gegen  Vergütung  <les  Kostenpreises  zu 
beziehen. 

Art.  10.  Die  ötfentlichen  Transportanstalten  und  diejenigen  Personen,  welche  Güter 
gewerbsmäßig  zur  Spedition  übernehmen,  dürfen  nach  dem  Auslande  gerichtete  Sen- 
dungen nur  dann  befördern,  wenn  ihnen  die  vorgeschriebenen  Angaben  für  die  Aus- 
fiihrdeklaration  eingehändigt  worden  sind. 

Art.  11.  Für  die  Richtigkeit  und  Vollständigkeit  der  Angaben  der  Deklarationen 
ist  gegenüber  der  Zollverwaltung  der  Deklarant  verantwortlich  (Art.  50  und  IV.  des 
Zollgesetzes):  ihm  bleibt  jedoch  der  Regreß  gegen  den  Aussteller  der  Begleitpai)iere 
Torbehalten,  sofern  letztere  Anlaß  zu  unrichtiger  Deklaration  gegeben  haben. 


HaiKk'lsslatislik  _      IG      —  Handeli^stat  istit 

Art.  li.  Die  Zollstellon  <ind  zu  einer  Ilevit«ion  der  Waareii  befupt  (Art.  32  der 
VolIzieUunpiverordnun^  zum  Zoll^esetzi.  Sie  prüfen  die  Deklarationen  und  machen  nach 
erfoljrler  Abfertitrunp  die  erforderlichen  Eintrajruniren  in  die  zur  Aufnahme  der  statistischen 
Antraben  bestimmten  Ansohreibebialter.  welche  je  halbmonatlich  von  der  zuständigen 
Hauptzollslätte  dem  Bureau  ITir  Handeisstal istik  in  Bern  direkt  zuzusenden  sind. 

Art.  ll\.  Kur  die  Kontrolirun^'  der  die  schweizerische  Zollgrenze  rtberschreitenden 
Waaren  ist  die  im  Art.  4  des  Bundes^'esetzes  betreß'end  einen  neuen  schweizerischen 
Zi>lltarif  vorjrt^schriebene  statistische  Gebühr  zu  entrichten.  Dermalen  beträ^rt  dieselbe: 
1  Bappen  i>er  q  für  die  nach  dem  Gewichte.  1  Bappen  per  Fr.  50  Werth  für  die  nach 
dem  \Vertlie,  1  Bappen  per  Stück  für  die  nach  der  Stückzahl  zu  deklarirenden  Waaren. 

Diese  Gebühr  soll  für  je  eine  Abferti^'ung,  bezw.  Sendunj?,  nicht  wenitjrer  als 
5  Bappen  betrafen.  Für  die  Kntriclitunp  der  statistischen  Gebühr  haftet  jeweilen  der 
Waa reu fü lirer.  Von  der  Bezahlung'  derselben  sind  aufgenommen:  n.  Waaren,  für  welche 
ein  Zoll  entrichtet  winl:  h,  Waaren,  welche  hu  Greuzverkehr  oder  im  kleinen  Markt- 
verkehr ein-  tkier  ausgehen  »siehe  oben  Art.  S,  litt.  «,  b,  c,  f,  g,  /*,  /  und  n):  c.  Fosi- 
sendungen:  d.  die  durch  Verkehrsverbindungen  bedingten  Durchfuhren  auf  kurzen 
Stri-cken.  z.  B.  über  Enclavt-n.  etc.:  t\  leere  FässiT,  Sacke  u.  dgl.,  nach  Art.  119  der 
Vv>llziehungs\erordnung  zum  Zollgeselz. 

Art.  14.  Die  Eutriclitung  iler  statistischen  Gebühr  geschieht  durch  Aufkleben  von 
Pt^stwerthzeichen  im  erforderlichen  Betrage  auf  der  Deklaration.  Die  infolge  dessen  in 
die  Tostkasse  falU-uden  Betrag<>  ^ind  in  der  Jahresrechnung  jeweilen  den  Kinnahmen 
der  Zidl Verwaltung  gut  zu  si.*hreibeii. 

Art.  15.  IVr  Verkehr  mit  Waaren.  die  der  statistischen  Gebühr  unterworfen  sind, 
fallt  im  Telirigeu  unter  die  nämlichen  Bestimmungen,  wie  sie  in  der  Vollziehungs- 
veroninung  zum  Z<^Hges<^tz  l>ezüglich  der  Kinhaltung  der  ZollstraLW.>n  und  Zollstuuden. 
sinvie  hinsichtlich  der  lV*k!arationsfrist  für  den  Verkehr  mit  zollpflichtigen  Waaren  vor- 
geschrieben >iiui. 

Art.  Ui.  Die  amtliche  Statistik  über  den  Waaren  verkehr  der  Schweiz  mit  dem 
Ausland  wir*:  aii!  Grundlage  der  von  den  Zollslellen  gemachten  Aufzeichnungen  (Axt.  12) 
durcti  d»is  Zoil..lepar:ei:u:i:  ausgearl»eitet  und  in  nachstehenden  l'ebersichten  ve rotte ntlicht : 

ti.  ijuartar:ber*:ch:en  der  in  den  freien  Verkehr  eingeführten  und  aus  dem  freien 
Verkehr  aus^erriiir:?::  wichtigeren  Waaren  nach  Mengen  und  wichtigeren  Herkunfts-, 
l»e2w.  Bt^stimir.v.iiiTr'rin-i'.ra-  Ffir  die  ausgeführten  Waaren  wird  neben  den  Mengen  noch 
der  de£l.irir:e  Wrr:::  Angegeben  stnn. 

b.  Jai:res'.":;»^rs:vr":-!r'^ :  1  Tebei-sicht  des  Generalhandels  und  des  Spezialhandels 
mit  dem  gtsr.*^::::e-  A'.:s'»i:id  für  Hin-  uml  Ausfuhr  sämml lieber  Waareuartikel  nach 
Maüig-abe  «ies  Wa.wrvr.Tvr;r:c::'^i>>es.  unter  Angabe  der  Mengen  und  Werthe.  ohne  Be- 
rück sich::  ^-i:::^  ie>  Fr^iiÄwveriehrs.  *J»  rebei-sichl  des  General-  und  Spezialhandels  mit 
iede:v.  eiiut  Liie-j.  drr  irii  Vc-rieicimili  genannten  HeikuntV-  und  Bestimmungsländer  in 
Me::ge::  :;::  *  Wvr±r::  irr  -.viohtigeren  Artikel.  'W  Tebersicht  der  Durchfuhr  der  im 
statis'.isol;-::  W.iAr-::Trr:r:ol:::-.w  genannten  Artikel  nach  Herkunft  und  Besthumung. 
4    Tciervic: :   .:-:s  N>:-rrlv?ver£vhrs.  ö»  L'ebersichl  des  Vereiilung.>verkehrs. 

Ar:.  17.  Ims  Z-.  li  i-e:  Ar.erj-e:;!  ist  beaultragt.  da>  für  die  Statistik  bestimmte 
W.u:rx':>  :ir. :  LA::.:-?rvrr;-r ::;.:::-;  ^.it'^ustellen  und  die  zur  Vollziehun;.'  gegenwärtigrer 
Ve^."'^■::;u::^  er:. riTrli. :.-::-  A:.:r.:'j.-.:::j:e!'.  und  Dienstvorschriften  zu  erlas.-en. 

P:eA.-  V.r^ric'i::*  ^urir  rr^iuzz  V-  durch  eine  ln>truktio:i  wm  *JI.  Oktober 
1>>4,    -     iure"-  ri-    L.i:.  :.rrrrz-:Uhü:!j   ^s.  p.  SJ7  «S\    :i'   durch  ein  stati^tiaches 

I:-:.  ^^iZTr  l^^-'  -"-  i^"  -i-  >:d:is:ik  nach  den  n:.uen  Prinzipien  angelegt 
worir"  i-i  z'-z  Fr:  It  ^l.^r  ..■..  ii.-^rin  F-j-rtsi  hrin  lutero>^:r:cn  aii-i^efallerj,  Sie 
isl  v.-i  .:.  1  v  --.  rr  ..■:-■-.  'C-s^'U-az  a'.*-  j  :.t  vom  Jahre  ISi;»  iin.l  gi^t  an: 
L^.f  V.rie::"s. :■-"••  7  i  r  M-lj:  .  .:  i  W  rTii-r.  iie  B.stiür.v.-.i:  :>-  :;::  i  "ie  Uerkunft«- 
jTr  :•-"■-  T-i--.-  .  1  .  "**.tI...i.-  ::. :  •'  ::.t. *!':.. iii  :t\  >.  ;  .i;:.  m*T  -iic^i^  Lexikons*, 
un ^::r . . :  ,i  rr  1  -l:  .  - :  - 1 : .  > .  t  ;  r :  .■-.:-■.'  ^  .  r  .  ^' er .  U  .i : .  .> v..- rk ;  h r  .  G  r'.  :.z verkehr, 
V--i     -   —    •     --      I    '-•-—:' -:    :  '..:d:...:-._:  ■     W.i. .:■•:«.    Ke:.::rvrrk^hr. 

Xi  „  -  1-j:-  '-"  — ■:  -1---  '-  •  -""  A::.  r  .i.-.Li^  ;".>  S:  .S>  wir.;  die  M?hwei- 
£,»7-,.  j^-  ^ ;.._:- .—'i  -"'.€.  1""  c?:."-.  ->..:.  L> .  .:'::i  :.■■>:.■».  g  v:  .;:rs  >  ^»'.nre^  eben- 
:  i.— -^   -  . :l      Lr  .  '    -  - :  -*    -^ '    -  *    7  _  .•--.:.. .     .  - ^    '. .     w -. :  k . .  :.  /    Lu  -t .nimung  und 


Handelsstatistik  —      17      —  Handelsfreiheit 

Herkunft  der  Waaren  nicht  von  allen  Deklaranten  angegeben  wird.  Ic  Sezug 
anf  die  Werthe  herrscht,  wie  es  übrigens  in  der  Natnr  der  Sache  liegt,  ebenfalls 
keine  völlige  Sicherheit. 

Neben  dieser  eidgenössischen  Statistik  ist  auch  das  von  den  United-States- 
Konsulaten  seit  1864  veröffentlichte  Zahlenmaterial  betreffend  die  Ausfuhr  nach 
den  Ver.  Staaten  von  Nordamerika  handelsstatistisch  verwerthet  worden.  Im 
Fernem  hat  die  private  Thätigkeit  viele  schöne  handelsstatistische  Leistungen 
vollbracht;  sie  traten  namentlich  zu  Tage  in  Frans(dni^s  Statistik  der  Schweiz, 
in  den  Berichten  Über  die  Industrie- Ausstellungen,  in  den  Jahresberichten  der 
Handels-  und  Industrievereine  der  Schweiz. 

Handels-  und  Gewerbefreiheit.  Im  Artikel  „Gewerbe*',  besonders  im 
Abschnitt  Gesetzgebung  (pag.  738/9),  ist  bereits  gezeigt  worden,  daß  es  mit 
der  Handels-  und  Gewerbefreiheit  in  der  Schweiz  bis  in  das  5.  Jahrzehnt  dieses 
Jahrhunderts  nicht  rosig  bestellt  war.  Das  Gewerbe  lag  im  Banne  der  Zünfte 
und  die  meisten  kantonalen  Gesetzgeber,  die  Eirchthurmspolitiker  und  Dorfmagnaten 
verstanden  es  vortrefflich,  allerlei  Barrikaden  gegen  den  freien  Verkehr  und  die 
freie  individuelle  Thätigkeit  zu  errichten.  Es  bedurfte  der  stürmischen  Geistes- 
wehen des  Jahres  1848,  um  jene  Schranken  zu  stürzen.  Die  Aufklärung  ergriff 
die  Zügel  und  schrieb  in  die  schweizerische  Bundesverfassung  den  zwar  aus 
prosaischen  Worten  zusammengesetzten,  aber  für  die  damalige  Zeit  nichtsdesto- 
weniger poesievollen  Satz: 

Art.  29.  Für  Lebensmittel,  Vieh-  und  Kaufmanns  waaren,  Landes-  und  Gewerbs- 
erzeugnisse jeder  Art  sind  freier  Kauf  und  Verkauf,  freie  Ein-,  Aus-  und  Durch- 
fuhr von  einem  Kanton  in  den  andern  gewährleistet.    Vorbehalten  sind  etc. 

Es  üelen  nun  unzählige  Schlagbäume,  doch  nicht  genug,  so  daß  es  nöthig 
war,  bei  der  1874er  Revision  der  Bundesverfassung  den  in  obigen  Satz  gelegten 
Gedanken  bestimmter  zu  formuliren.    Dies  geschah  durch  folgenden  Artikel  31: 

Die  Freiheit  des  Handels  und  der  Gewerbe  ist  im  ganzen  Umfange  der  Eid- 
genossenschaft gewährleistet.    Vorbehalten  sind  etc. 

(Jm  nun  diesem  Yerfassungsartikel  Nachdruck  zu  verschaffen,  verlangte  die 
Exekutivbehörde  des  Bundes  alle  auf  die  Ausübung  von  Handel  und  Gewerbe 
bezüglichen  kantonalen  Gesetze  zur  Einsicht.  Es  wurden  in  der  Folge  (meist  auf 
Grund  von  Rekursen)  eine  Anzahl  von  kantonalen  Vorschriften  und  Gebräuchen 
unzulässig  erklärt.    Z.  B. : 

1)  Das  Verbot,  die  zu  hohe  Besteuerung  oder  die  ungleiche  Besteuerung  des 
Hausirgewerbes  (grundsätzlich  verboten,  theils  nur  den  Kantonsfremden 
verboten  war  das  Hausirgewerbe  in  den  Kantonen  Bern,  Luzern,  Zug, 
Freiburg,  Baselland,  Schaffhausen,  Waadt,  Wallis).  Einzelne  Kantone 
besteuerten  das  Hausirgewerbe  so  hoch,  daß  dadurch  die  Ausübung  des 
letztem  faktisch  unmöglich  wurde.  Ein  Kanton  (Genf)  machte  die  Höhe 
der  Besteuerung  von  der  Dauer  abhängig,  während  welcher  eine  Person 
im  Kanton  niedergelassen  war. 

2)  Die  Verweigerung  von  Wirthschaftspatenten  wegen  mangelnden  Bedürf- 
nisses (Bern,  Luzern,  Obwalden,  Nidwaiden,  Freiburg,  Baselland,  St.  Gallen, 
Aargau,  Wallis). 

3)  Die  amtliche  Preistaxirung  von  Mehl  und  Brod  (mehrere  Kantone). 

4)  Verbote  betreffend  Vorkauf  von  Lebensmitteln  (Neuenburg). 

5)  Verbot  des  Grabens  nach  Mineralien  durch  Nichtkantonsbürger  (üri). 

Furrer,  Volkswirthdchftfts-Lexikun  der  Schweiz.  g 


Handelsfreiheit  —      18      —  Handelsfreiheit 

6)  Verbot    der    Errichtung   von  Apotheken   wegen   mangelnden  Bedürfnisses 
(Basel). 

7)  Zu  hohe  Besteuemng  des  Kutsohergewerbes  (Wallis). 

8)  Amtliche  Festsetzung  von  Minimal taxen  für  Kutscher  (Nidwaiden). 

9)  Bestrafung  des  Holzverkanfs  außer  Kanton  (Uri,  Wallis). 

10)  Monopolisirung  des  Handels  mit  Spielkarten  (Tessin). 

11)  Verweigerung  des  Rechtsschutzes  für  Forderungen,  welche  durch  Verkaut 
von  Branntwein  und  anderen  gebrannten  Wassern  entstanden  (Obwalden). 

Die  jährliche  Zahl  der  Rekurse  wegen  vermeintlicher  oder  wirklicher  Be- 
schränkung der  Handels-  und  Gewerbefreiheit  war  seit  1875  folgende: 

1875  59,  davon  Wirthschaftswesen      28,  Hausirgewerbe    7 

1876  40,  ,  ,18,  «4 

1877  36,  ,  ,20,  ,  - 

1878  38,  ,  ,15,  ,5 

1879  51,  .,  ,  11,  ,              12 

1880  40,  ,  ,  11,  ,              13 

1881  30,  ,  ,  7,  ,8 

1882  31,  ,  ,  14,  ,5 

1883  39,  ,  ,  22,  ,6 

1884  30,  ,  ,  15,  ,4 

1885  2],  ,  ,  12,  ,                4 

415,        ,  ,  173,  =  42  7o  .  68=16  7o 

Wie  nun  in  keinem  geordneten  Staat  die  Freiheit  des  Handels  und  des 
Gewerbes  eine  vollkommen  unbeschränkte  sein  kann,  sondern  gewisse  Zweige 
dem  Staat  vorbehalten  oder  im  Interesse  der  öffentlichen  Sicherheit  und  Wohlfahrt 
an  gewisse  Bedingungen  geknüpft  sein  müssen,  so  auch  in  der  Schweiz.  Daher 
die  folgenden  Vorbehalte,  die  im  Anschluß  an  die  oben  zitirten  Bundes verfassungs- 
artikel  statuirt  wurden : 

1848.  Vorbehalten  sind: 

a.  In  Beziehung  auf  Kauf  und  Verkauf  das  Salz-  und  Pulverregal,  h.  Polizeiliche 
Verfugungen  der  Kantone  über  die  Ausübung  von  Handel  und  Gewerbe  und  über  die 
Benutzung  der  Straßen,  c.  Verfügungen  gegen  schädlichen  Vorkauf,  d.  Vorübergehende 
sanitätspolizeiliche  Maßregeln  bei  Seuchen,  e.  Die  von  der  Tagsatzung  bewilligten  oder 
anerkannten  Gebühren,  welche  der  Bund  nicht  aufgehoben  hat.  f.  Die  Konsumgebühren 
auf  Wein  und  anderen  geistigen  Getränken  nach  Vorschrift  von  Art.  32. 

1874,  ohne  die  kursiv  gedruckten  Worte: 

a.  Das  Salz-  und  Pulverregal,  die  eidgenössischen  Zölle,  die  EingangsgebQhren  von 
Wein  und  andern  geistigen  Getränken,  sowie  andere  vom  Bunde  ausdrücklich  anerkannte 
Verbrauchssteuern,  nach  Maßgabe  des  Art.  32. 

h.  Die  Fabrikation  und  der  Verkauf  gebrannter  Wasser,  nach  Maßgabe  des 
Art.  32  bis.  c.  Das  Wirthschaftswesen  und  der  Kleinhandel  mit  geistigen  Cretränken, 
in  dem  Sinne,  daß  die  Kantone  auf  dem  Wege  der  Gesetzgebung  die  Ausübung  des 
Wirthschaftsgewerbes  und  des  Kleinhandels  mit  geistigen  Getränken  den.  durch  das 
öffentliche  Wohl  geforderten  Beschränkungen  unterwerfen  können. 

d.  Sanitätspolizeiliche  Maßregeln  gegen  Epidemien  und  Viehseuchen. 

e.  Verfügungen  über  Ausübung  von  Handel  und  Gewerben,  über  Besteuerung  des 
Gewerbebetriebes  und  über  die  Benutzung  der  Straßen.  Diese  Verfügungen  dürfen  den 
Grundsatz  der  Handels-  und  Gewerbefreiheit  selbst  nicht  beeinträchtigen. 

Die  hie  vor  kursiv  oder  schräg  gedruckten  Stellen  sind  am  26.  Juni  1885 
":  von  der  Bundesversammlung  beschlossen  worden.     Durch  Volksabstimmung  vom 

^  25.  Oktober  1885  wurde  der  Beschluß  sanktionirt  (230,250  Ja,   157,463  Nein). 

Die  Veranlassung  zu  diesem  Beschluß,  bezw.  zu  der  Revision  des  Art.  31 
der  Bundesverfassung  von  1874  lag  nun  nicht  etwa  in  der  Absicht,  einen  früheren 


Handelsfreilieit  —      19     —  Handelsverträge 

Fortschritt  aufzuheben,  sondern  in  dem  Wunsche:  1)  Dem  in  einigen  Landes- 
theilen  zu  stark  verbreiteten  Genuß  alkoholischer  Gretränke  entgegenzuwirken, 
2)  den  Ohmgeldkantonen  einen  Ersatz  für  das  laut  Bundesverfassung  Ende  1890 
aufzuhebende  Ohmgeld    zu    verschaffen    (s.   den  Artikel   „Ohmgeld   und  Octroi**). 

Abgesehen  von  den  oben  erwähnten  Vorbehalten  bestehen  noch  solche  seitens 
des  Bundes  für  die  Münzprägung,  für  den  Betrieb  der  Posten,  der  Telegraphen 
und  des  Telephons. 

Die  Bewilligung  der  Bundesbehörden  ist  erforderlich  für  den  Bau  von 
Eisenbahnen,  für  die  Ausübung  des  Yersicherungsgewerbes,  für  die  Ausgabe  von 
Banknoten. 

Den  Kantonen  steht  das  Recht  zu,  die  Ausübung  der  wissenschaftlichen 
Berufsarten  von  Be^higungsausweisen  abhängig  zu  machen;  es  geschieht  dies  in 
der  großen  Mehrzahl  der  Kantone. 

Die  Errichtung  von  Spielhöllen  ist  untersagt ;  der  Handel  mit  Lotterieloosen 
(Kollektiren)  darf  verboten  werden. 

Von  den  polizeilichen  Verfügungen,  deren  Erlaß  den  Kantonen -zusteht, 
werden  hauptsächlich  betroffen:  Das  Wirthschaftswesen,  das  Hausirgewerbe,  die 
Jagd,  die  Fischerei,  der  Handel  mit  Heilmitteln,  der  Handel  mit  Lebensmitteln, 
das  Baugewerbe. 

Handels-  und  Landwirthschaftsdepartement,  eidg.  Siehe  zuerst  p.  333 
die«e8  Lexikons.  —  Nach  dem  Bundesbeschluß  vom  21.  August  1878  über  die 
Organisation  und  den  Geschäftsgang  des  Bundesrathes  liegt  dem  genannten  De- 
partemente die  Vorberathung  und  Besorgung  folgender  Geschäfte  ob: 

1)  Die  Förderunjjf  des  Handels-  und  Gewerbewesens  im  Allgemeinen,  wozu  der 
Verkelir  mit  den  Handelskonsuln  gehört,  soweit  sich  derselbe  auf  Handel  und  Aus- 
wanderung bezieht.  2)  Die  Vorarbeiten  für  Absch ließung  von  Handelsverträgen  und  die 
Mitwirkung  bei  der  Aufstellung  des  Zolltarifs.  3)  Die  Anstände  über  den  internationalen 
Verkehr.  4)  Maß  und  Gewicht.  5)  Ausstellungen  im  In-  und  Auslande  (ausgenommen 
Schul-  und  Kunstausstellungen).  6)  Ausführung  des  Fabrikgesetzes.  7)  Schutz  des  ge- 
werblichen, literarischen  und  künstlerischen  Eigenthums,  auf  Grund  von  Bundesgesetzen 
oder  internationalen  Verträgen.  8)  Das  Versicherungswesen.  9)  Die  Förderung  der  Land- 
wirthschaft  im  Allgemeinen  und  Beiträge  an  landwirthschafUiche  Unternehmungen  im 
Besondern.  10)  Die  Viehseuchenpolizei.  11)  Allgemeine  Maßnahmen  gegen  die  Schäden, 
welche  die  laudwirthschaftliche  Produktion  bedrohen.  12)  Die  Forstpolizei  im  Hochgebirge. 
13)  Die  Jagd  und  Fischerei,  soweit  die  Aufsicht  dem  Bunde  zukommt.  14)  Die  Aufsicht 
über  das  Auswanderungswesen. 

Behufs  Bewältigung  dieser  Aufgaben  ist  das  Departement  in  fünf  Abtheilungen 
gegliedert.  Der  Handelsabtheilung  fallen  die  sub  1  — 7  erwähnten  Verrichtungen 
SU  nebst  den  seither  durch  Gesetze  neu  entstandenen:  Begistrirung  von  Fabrik- 
nnd  Handelsmarken,  Gold-  und  Silberwaarenkontrole,  Eontrolirung  der  kantonalen 
Handelsregister  und  Herausgabe  des  Handelsamtsblattes.  Für  Kr.  8  besteht  seit 
Anfang  1886  das  eidg.  Versicherungsamt.  Nr.  9 — 11  werden  von  der  Land- 
wirthschaftsabtheilung  besorgt,  Kr.  12  und  13  von  der  Forstabtheilung.  Für 
Nr.    14  funktionirt  ein  „Auswanderungsbureau**. 

Handelsverbote  s.  Handels-  und  Gewerbefreiheit. 

Handelsverträge*  Das  Folgende  ist  eine  Uebersicht  der  zur  Zeit  (Mitte 
1886)  in  Euraft  bestehenden  und  der  früheren  Handelsverträge  ^): 


')  Eine  «Sammlung  der  Handels-,  Niederlassungs-  und  Konsularverträge '^  nebst 
umfassendem  Materienregister  ist  von  Dr.  A.  Eichmann,  eidg.  Handelssekretär,  heraus- 
gegeben worden.    Verlag  von  Orell  Füßli  &  Co.  in  Zürich,  1885. 


HandelsYerträge 


—     20     — 


Handelsverträge 


Stftaten 


Elrloschene  Verträge 


Vrankreich      .    •    .    . 
Deutschland : 

Baden«) 

W&rttemberg  .    .    . 

Zollverein    .    .    .    . 

Deattcbes  Reich  .    . 


In  Kraft  stehende  Verträge 

Abgeechloseen     In  Kraft  getret.  Dauer  Abgeschloeeen  Erloechen 

23.  Febr.    1882    16.  Hai      1882     16.  Febr.   1892     i)dO.  Juni  1884    16.  Mai      1882 


26.  Juni  1812  15.  M&rs  1827 

30.  Sept.  1825  31.  Des.  1835 

13.  Mali  1869      1.  Jali  1881 
.    23.  Hai      1881      1.  Juli      1881    «)lJ.n.Kündg. 

.    29.  April    1861      1.  Okt     1861    >)  1.  Okt.    1889    25.  Nov.  1^38  { ^*jj^*^**j*^gg^j 

.    19.  Ang.     1875      1.  Okt.     1878      1.  Okt.     1888    21.  Sept.  1840  31.  Des.  1841 
Ter.  Staaten  von  Amerika    25.  Nov.     1850      8.  Nov.     1855     1  J.  n.  Kfindg. 


Türkei    .    . 
Niederlande 


ItaUen 
Sardinien     .    . 
Sisilien,  Neapel 
Königreich  Italien 

Groubritannlen  . 

Belgien  .... 

Japan      .... 

Hawaii-Inseln 

Oesterreich-Ungarn 

Liechtenstein 

Spanien  .    . 

Bnssland 

Persien  .    . 

Portugal    ' 

Dinemark  . 

Niederlande 

Baminien  . 

Serbien  .    • 

Salvador 

Transvaal    . 


Ecuador 


8.  Juni     1851       1.  Mai       1869 
24.  Febr.    1860 
22.  M&rs    1883      1.  Febr.   1884    «)1.  Febr.  1892     22.  Juli      1868      1.  Ft^br.   1884 
6.  Sept.    1855      6.  Mars    1856    1  J.  n.  Kiiudg. 
18.  Nov.     1879    18.  Nov.     1879     ^)BiB  s.  Bücktr.     11.  Des.     1862     18.  Nov.     Ib79 
6.  Febr.   1864      6.  Febr.   1864    *)ad  perpetaum 
20.  Joli      1864    26.  Febr.   1869     1 J.  n.  Kündg. 


I     14.  Joli      1868      5.  Febr.   1869     "rjl  J.  n.  Kündg. 


\ 


14.  Hars    1883    18.  Ang.    1883  30.  Jani     1887     27.  Ang.     1869    18.  Aug.     1883 

.     26.  Des.     1872    30.  Okt      1873  1  J.  n.  Kündg. 

.    23.  Juli      1873    27.  Okt.     1874  1  J.  n.  Kündg. 

.      6.  Des.     1873     30.  Joli      1876  1  J.  n.  Küudg. 

.  10.  Febr.  1875  10.  Juli  ltt75  1 J.  n.  Kündg. 
.     19.  Aug.    1875       1.  Okt.      1878      1.  Okt       1888 

.      7.  Juni     1886      1.  Juli      1886  10.  Juli      1891     30.  Mars    1878    13.  Jan.      1886 

.  10.  Joni  1880  10.  Juni  1880  1  J.  n.  Kündg. 
.  30.  Okt.  1883  7.  Febr.  1885  7.  Febr.  1895 
.     •)6.  Nov.   18H5 

{Unterhandlungen   über   den  Abschlus»  eines   ähnlichen  Vertrages  wie  derjenige 
mit  Salvador  sind  im  Gange. 

Der  Umfang,  welcher  für  dieses  Werk  bereohnet  ist,  erlaubt  nicht,  den 
Wortlaut  der  Verträge  mitzutheilen.  £inen  Begriff  über  Form  und  Inhalt 
derselben  gibt  der  auf  pag.  439/47  dieses  Lexikons  abgedruckte  schweizerisch- 
deutsche Handelsvertrag.  Am  ausführlichsten  sind  die  Verträge  mit  den  um- 
liegenden Staaten,  weil  da  Grenzverhältnisse,  Yeredlungsverkehr,  Markt-  und 
Hausirverkehr  etc.  in  Betracht  kommen,  während  es  bei  Verträgen  mit  entfernten 
Staaten  genügen  kann,  sich  gegenseitig  die  Zusicherung  zu  geben,  daß  man 
einander  in  Zoll-  und  oder  Handelssachen  (z.  B.  Patenttaxen)  nicht  ungünstiger 
behandeln  wolle,  als  man  andere  Staaten  behandle.  Indessen  benützt  man  auch 
die  Handelsverträge  mit  entfernteren  Staaten  meistens,  um  gleichzeitig  noch  andere 
Verhältnisse  (freies  Recht  der  Niederlassung,  Recht  der  Ernennung  von  Konsuln, 
Befreiung  vom  Militärdienst,  Schutz  des  literarischen  und  künstlerischen  Eigen- 
thums  u.  s.  w.)  zu  statuiren.  Der  volle  Titel  der  Verträge  lautet  daher  oft: 
Freundschafts-,  Handels-,  Niederlassungs-  (etc.)  Vertrag. 

Aus  der  vorhin  erwähnten  Zusicherung  resultirt,  daß,  wenn  von  zwei 
Vertragsstaaten    einer   einem   dritten   Staat   eine   Zollermäßigung   etc.    einräumt, 

1)  Dieser  Handelsvertrag  ist  der  erste,  welchen  die  neue  Eidgenossenschaft  mit  Frankreich  abge- 
schlossen hat.  Im  vorigen  and  in  den  früheren  Jahrhunderten  wurden  hingegen  sahireiche  Verträge 
theilweise  kommensleller  Natar  swlschen  der  Schweis  und  Frankreich,  wie  auch  swischen  der  Schweia  und 
den  oberitalienischen  Staaten,  vereinbart.  Die  wichtigsten  Quellen  für  das  Studium  dieser  älteren  Verträge 
sind  folgende :  Les  Privileges  des  Snisses.  Paris,  1751  Par  Vogel,  grande-Juge  des  gardes  suisses,  ä  Paris. 
—  Sammlung  der  vornehmsten  Bündnunen,  Verträgen,  Vereinigungen  etc.,  welche  die  Oron  Frankrych  mit 
Lobt.  Eydgnosuschaft  und  dero  Zugewandten  insgesamt  und  insbesonders  aufgerichtet.  Von  Hölzer.  Bern, 
1782.  —  Darstellung  der  Handelsverhältnisse  swischen  der  Schweis  und  Frankreich  während  lies  Jahres 
1840,  sammt  einem  Bückblick  auf  die  Verträge,  Gesetze  und  Verordnungen  über  die  Handelsbeziehungen 
swischen  der  Schweiz  und  Frankreich  vom  XV.  Jahrhundert  bis  sur  Gegenwart.  Von  Dr.  A.  von  Oonzenbach, 
•idg.  Staatsschreiber.  Bern,  1842.  —  Ludwig  XIV.  und  die  schweiserischen  Kaufleute.  Von  Paul  Schweiser, 
Privatdozent  In  Tübingen  (Jahrbuch  f&r  schweizerische  Geschichte,  VI,  8.  139).    Zürich,  1881. 

*)  Am  5./14.  November  1826  wurde  ein  Handelsprovisorium  vereinbart,  das  am  31.  Dezember  1835, 
d.  h.  mit  dem  Inslebontreten  des  Zollvereins,  erlosch.  —  ')  In  Revision  begriffen.  —  *)  Kündung  auf  Ende 
Besamber  1887  vorbehalten.  —  *)  Blosse  Heistbegünstlgungsdeklaration.  —  *)  Der  Vertrag  wurde  am 
M.  April  1867  erweitert;  zur  Zeit  in  Revision  begriffen.  —  "f)  Der  Vertrag  gilt  auch  für  das  Fürstebthum 
Liechtenstein.  —  *)  Von  Transvaal  noch  nicht  ratiflzirt. 

Die  Abkürzung  1  J.  n.  Kündg.  will  belesen  1  Jahr  nach  Anfkündung.  In  der  Regel  ist  in  den  Vor- 
trägen  eine  Vertragsdauer  flxirt,  mit  dem  Zusatz,  der  Vertrag  bleibe,  wenn  derselbe  von  keiner  Seite  ein 
Jahr  vor  Ablauf  gekündet  worden,  ein  Jahr  bis  nach  erfolgter  Aafkücdung  in  Kraft. 


HandelsYertr&ge  —     21     —  Handstickerei 

diese  ohne  weiteres  gleichzeitig  auch  dem  Yertragsstaat  eingeräamt  ist.  Man 
nennt  dies  die  Gleichstellung  mit  der  meisthegünstigten  Nation  oder  kurzweg 
Meisthegttnstigungsverhältniß. 

Alle  schweizerischen  Handelsverträge,  exkl.  diejenigen  mit  Japan  nnd  der 
Türkei,  enthalten  eine  Meistbegünstigungsklausel.  (Ln  Verkehr  mit  Japan  und 
der  Türkei  besteht  das  Meisthegünstignngsyerhältniß  faktisch  ebenfalls.) 

In  den  Verträgen  mit  Frankreich,  Italien,  Spanien  ist  nebst  dem  Meist- 
begttnstignngsverhältniß  u.  A.  auch  das  Abkommen  getroffen,  daß  gewisse  Zölle 
während  der  Yertragsdauer  nicht  erhöht  werden  dürfen ;  man  nennt  jene  Verträge 
deßhalb  auch  Tarifverträge  und  jene  Zölle  gebundene  Zölle.  Serbien  und  Ru- 
mänien haben  der  Schweiz  gegenüber  auch  eine  Anzahl  Zölle  gebunden.  (Siehe 
auch  „Einfuhrzölle«,  Seite  482/517.) 

Uandfertigkeitsunterricht  s.  Knabenarbeitsunterricht. 

Handschuhe  werden  in  der  Schweiz  relativ  wenig  fabrizirt. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  bestand  in  Bern  eine  Firma 
J,  H.  Nä{/eli,  welche  eine  für  damals  bedeutende  Fabrikation  von  floretsei denen 
Handschuhen  und  Strümpfen  betrieb  und  ihre  Produkte  weithin  exportirte. 

Versuche  zur  Einführung  der  Fabrikation  von  jLederhandschuhen  wurden  zu 
Anfang  dieses  Jahrhunderts  in  der  Westschweiz  gemacht,  wo  der  Artikel  auch 
heute  am  meisten  fabrizirt  wird.  In  Zürich  wurde  sie  vor  ca.  30  Jahren  durch 
deutsche  Arbeiter  eingeführt,  ohne  jedoch  größere  Bedeutung  gewonnen  zu  haben. 

Im  Jahre  1882  kannte  man  in  der  Schweiz  im  Ganzen  5  Fabrikanten  von 
Lederhandschuhen,  die  zusammen  ca.  20  männliche  Arbeiter,  meist  Ausländer, 
und  80  Näherinnen  nobst  Hülfsarbeitem  beschäftigten.  Die  Gresammtproduktion 
dieser  5  Geschäfte  betrug  6000 — 7000  Dutzend  im  Werthe  von  höchstens 
Fr.  200,000,  wogegen  die  Einfuhr  sich  ungefähr  auf  das  Fünffache,  d.  h.  auf 
eine  Million  Franken,  beläuft.  Ausgeführt  wird  von  eigenen  Fabrikaten  nichts. 
Die  Halbfabrikate  werden  größtentheils  vom  Auslande  bezogen,  ebenso  ausschließ- 
lich die  Maschinen. 

Nach  der  Volkszählung  vom  1.  Dezember  1880  beschäftigten  sich  zu  dieser 
Zeit  in  der  Schweiz  31  männliche  und  29  weibliche  Personen  mit  der  Hand- 
schuhfabrikation (26  im  Kanton  Zürich,  15  Waadt,  5  Baselstadt,  5  Genf,  9  in 
den  übrigen  Kantonen). 

Von  den  Ende  1884  im  Handelsregister  eingetragenen  Firmen  haben 
15  die  Fabrikation  von  Handschuhen  als  ihren  Geschäftszweig  bezeichnet  (8  im 
Kanton  Genf,  5  Zürich,   1  Baselstadt,  1  Waadt). 

Handschuhe,  lederne.  Einfuhr  von  ledernen  Handschuhen  im  Jahre  1885: 
94  q  ä  Fr.  12,000  =  Fr.  1^128,000.  42  q  kamen  aus  Deutschland,  38  q  aus 
Frankreich.  Von  1877  bis  1884  bewegte  sich  die  Einfuhr  zwischen  65  und  135  q. 

Ausfuhr  1885:  5  q  ä  Fr.  3567  =  Fr.  17,830  (2  q  nach  Deutschland, 
3  q  nach  Frankreich).  Von  1877  bis  1884  bewegte  sich  die  Ausfuhr  zwischen 
1  und  6  q. 

Handschuhleder  (aus  Zicklein-  und  Lammfellen)  wird  z.  Th.  in  inländischen 
Grerbereien  (Lausanne,  Zürich,  Bern)  bereitet,  größerntheils  aber  vom  Ausland 
bezogen.  Die  Fabrikation  von  Lederhandschuhen  ist  übrigens  nicht  sehr  bedeutend, 
der  Bedarf  an  geeignetem  Leder  also  ebenfalls  nicht  groß. 

Handstickerei«  Unter  Handstickerei  versteht  man  heute  gemeiniglich  nur 
noch  die  Feinstickerei  in  Plattstich  auf  Battiste,  Mousseline,  Jaconat  etc.  Was 
sonst  noch  von  Hand  gestickt  wird,  sind  die  bessern  Qualitäten  Vorhänge  mit 
Kettenstich  (Grobstickerei).  Alle  übrigen  Zweige  der  Stickerei,  sowohl  in  Ketten- 


Handstickerei  —     22     —  Hardenpont's  Winterbutterbirne 

Btioli  als  in  Plattstich,  sind  dem  Bereich  der  Maschine  verfallen.  Aber  auch  die 
wenigen  Beste  der  frühem  nmfangreichen  feinen  Handstickerei,  auf  den  Kanton 
Appenzell  I.-Bh.  beschränkt,  sind  noch  in  fortwährendem  Bückgang  begriffen. 
Einestheils  ist  die  Plattstich-Stickmaschine  zu  einer  quantitativen  und  qualitativen 
Leistungsfähigkeit  gebracht  worden,  die  der  Handstickerei  nur  noch  die  alier- 
feinsten  Arbeiten  läßt,  anderntheils  hat  der  Begehr  nach  feinen  Stickereien,  wie 
nach  feinen  Geweben  überhaupt,  sehr  nachgelassen;  als  Folge  dieser  beiden 
Erscheinungen  ist  dann  auch  allmälig  der  Mangel  an  geeigneten  Arbeitskräften 
eingetreten.  Die  guten  Stickerinnen  sterben  aus  oder  wandern  in  die  Gebiete 
der  Maschinenstickerei  aus,  wo  sie  durch  das  Nachsticken  (Nachbessern)  der 
Maschineustickereien  leichtern  Verdienst  finden. 

Was  in  feiner  Handstickerei  noch  gearbeitet  wird,  geschieht  vorwiegend  im 
Lohn  für  Pariser  Geschäfte,  nach  von  ihnen  gelieferten  Zeichnungen.  Die  Wieder- 
erweckung eines  selbstständigen  und  wirklich  geschäftsmäßigen  Betriebs  erhofft 
man  von  der  kürzlich  durch  das  Kaufmännische  Direktorium  in  St.  Gallen 
organisirten  Fachschule  für  Stickerei,  (lieber  den  Ursprung  der  Handstickerei, 
d.  h.  der  Stickerei  überhaupt,  vergl.  Stickerei.) 

Handwerk  s.  Gewerbe. 

Hanf-  und  Leinengarne.  Einfuhr  pro  1885:  4463  q  a  Fr.  275 
(1867  q  aus  Belgien,  924  q  aus  Italien,  896  q  aus  Deutschland,  494  q  aus 
focßbritannien,  194  q  aus  Frankreich,  67  q  aus  Oesterreich). 

Ausfuhr  pro  1885:  1070  q  ä  Fr.  236  (400  q  ä  Fr.  219  nach  Frank- 
reich, 265  q  ä  Fr.  227  nach  Deutschland,  229  q  a  Fr.  215  nach  Oesterreich, 
157  q  ä  Fr.  296  nach  Italien). 

Betreffend  Hanf  und  Flachs  s.  Flachs. 

Hanfsamen  wird  vom  Elsaß  und  Breisgau,  sowie  aus  Ungarn  und  Galizieu 
eingeführt.    In  der  Schweiz  selbst  wird  wenig  Hanf  gebaut.    (Vergl.  Flachs.) 

Hans  Ulrichs-Apfel,  auch  Haus  Ueri- Apfel,  Hans-Uli,  gelber  Hans  Müller, 
Krönli-Apfel  genannt  (Herbstfrucht),  ist  als  Tafelobst  nicht  ersten  Ranges,  da- 
gegen als  Wirthschaftsobst  übertrifft  ihn  keine  andere  Sorte.  Der  Baum  kommt, 
BO  viel  bis  jetzt  bekannt  ist,  in  den  Kantonen  Zürich,  Zug,  St.  Gallen,  jedoch 
am  häufigsten  in  ersterem  vor.  Der  Stammbaum  dieser  Sorte  stand  in  den  20er 
Jahren  in  Oberrieden,  Kanton  Zürich,  dessen  Eigenthümer  Hans  Ulrich  Staub 
hieß.  Von  Oberrieden  verbreitete  sich  der  Baum  zunächst  an  dem  linken,  hernach 
in  zahlreichen  Exemplaren  auch  an  dem  rechten  Zürichsee-Ufer,  und  von  hier 
aus  wurde  er  direkt  nach  St.  Fiden  bei  St.  Gallen  verpflanzt,  wo  derselbe  sehr 
gut  gedeiht  *und  reichlich  trägt.  Alle  zwei  Jahre  ist  der  Baum  volltragend  und 
ist  er  nicht  zu  stark  beladen,  so  kann  man  jedes  Jahr  Früchte  erwarten.  80 — 110 
Bester  wurden  schon  öfters  von  ihm  geemtet.  („Schweizerische  Obstsorten", 
Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhom  in  St.  Güllen.) 

Hardenpont's  Winterbutterbirne,  auch  Kronprinz  Ferdinand  von  Oester- 
reich, Schinkenbirn,  Amalie  von  Brabant  genannt,  ist  eine  der  besten  Tafelfrüchte, 
stammt  von  Mona  in  Belgien  und  findet  sich  auch  in  den  Gilrten  der  Schweiz. 
Zwergbäume  dieser  köstlichen  Sorte  werden  in  neuerer  Zeit  dureh  die  stets  sich 
mehrenden  Baumschulen  häufiger  gezogen  und  verbreitet.  Sie  bedürfen  einen 
nahrhaften  Boden  und  warmen  Standort.  Der  Baum  trägt  bald  und  alljährlich 
reichlich.  Auf  Wildling  veredelt,  bildet  er  schöne  und  baldtragende  Pyramiden. 
Für  Zwergform  eignet  sich  der  Baum  besser  als  für  Hochstamm;  er  gedeiht 
auch  auf  Quitte.  („Schweizerische  Obstsorten**,  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt 
J.  Tribelhom  in  St.  Gallen.) 


Hartweizengriese  —     23     —  Haushaltungskurse 

Hartweizengriese  werden  in  den  sohweizerieichen  Teigwaarenfabriken  in 
bedeutenden  Quantitäten  verwendet,  aber  noch  vorwiegend  meiBteuH  von  Marseille 
bezogen.  Dieselben  können  in  den  schweizerischen  Mühlen  mindestens  eben  so  gut 
fabrizirt  werden,  wenn  auch  weniger  lohnend,  weil  die  bei  dieser  Fabrikation 
sich  ergebenden  Mehle  in  der  Schweiz  nur  zu  sehr  schlechten  Preisen  abzusetzen 
sind,  während  die  Marseiller  Griesmiihlen  sie  im  nördlichen  Afrika  und  im  Orient 
vortheilhaft  unterbringen. 

Harze,  gereinigte.  J^tn/tiAr  im  Jahre  1885:  2191  q  ä  Fr.  150;  davon 
1920  q  aus  Deutschland,   150  q  aus  Frankreich,  85  q  aus  Belgien. 

Ausfuhr  1885:   10  q  ä  Fr.  33.  80  nach  Deutschland. 

Harzöl  wird  auch  in  der  Schweiz  durch  Destillation  von  Harz  erzeugt; 
es  dient  u.  a.  zur  Bereitung  von  Wagenfett. 

Hausgesinde  s.  pag.  228  d.  Lexikons. 

Haushaltungs-  und  Kochkurse,  (Mitgetheilt  von  Herrn  Fürsprech 
Niederer  in  Trogen,  Präsident  der  Spezialkommission  der  Schweiz,  gemein- 
nützigen Gesellschaft  fttr  Förderung  der  Haushaltungskunde.)  Nachdem  im  König- 
reich Württemberg  schon  im  Jahre  1878  fünf  Haushaltungsschulen  errichtet  und 
nachdem  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  auf  dem  gleichen  Gebiete 
schon  schöne  Erfolge  erzielt  worden,  hat  man  in  neuerer  Zeit  auch  in  der  Schweiz 
der  60  wichtigen  Koch-  und  Haushaltungskunde  größere  Aufmerksamkeit  zuge- 
wendet. Dem  Kanton  Luzern  gebührt  die  Ehre,  die  Initiative  ergriffen  zu  haben 
ftUr  eine  bessere  Ausbildung  des  weiblichen  Geschlechtes  für  Küche  und  Haushalt. 
Im  September  1879  fand  in  Nebikon  und  im  Mai  1880  in  Malters  ein  Koch- 
und  Haushaltungskurs  statt.  Diese  Kurse  hatten  einen  so  überraschend  guten 
Erfolg,  daß  sehr  bald  die  Aufmerksamkeit  weiterer  Kreise  auf  den  gleichen 
Gegenstand  hingelenkt  wurde.    In  ihrer  Jahresversammlung  in  Zug  im  September 

1880  setzte  die  Schweiz,  gemeinnützige  Gesellschaft  einen  Kredit  von  500  Fr. 
aus  zur  Förderung  von  Kochschulen  im  Allgemeinen,  sowie  für  den  besondern 
Zweck,  tüchtige  Lehrerinnen  in  diesem  Fache  heranzubilden.  Die  hierauf  bestellte 
Spezialkommission  kam  zu  dem  Schlüsse,  es  dürfte  bei  dem  fühlbaren  Mangel 
an  Lehrkräften  am  besten  sein,  wenn  für  einmal  die  Heranbildung  einer  tüchtigen 
Lehrerin  in^s  Auge  gefaßt  würde.  Eine  bezügliche  Ausschreibung  hatte  dann 
aber  auffallenderweise  nur  eine  einzige  Anmeldung  zur  Folge,  und  zwar  diejenige 
der  Frau  Wyder- Ineichen  in  Luzern,  welche  bereits  zwei  Kurse  für  Koch-  und 
Haushaltungskunde  in  Cham  (Zug)  und  Malters  (Luzern)  geleitet  und  sich  dabei 
als  eine  sehr  tüchtige  Lehrerin  in  diesem  Fache  erwiesen  hatte,  so  daß  dieselbe 
mit  gutem  Grewissen  als  Wanderlehrerin  empfohlen  werden  konnte.  In  den  Jahren 

1881  — 1885  hat  dann  Frau  Wyder  in  den  Kantonen  Zürich,  Bern,  Luzern, 
Schaff  hausen.  Appenzell  A.-Rh.,  St.  Gallen,  Graubünden,  Aargau  und  Thurgau 
mehr  als  30  Kursen  vorgestanden. 

Mittlerweile  waren  auch  im  Kanton  Bern  Schritte  gethan  worden,  um  für 
die  dortigen  Bedürfnisse  eine  Lehrerin  t\ir  Koch-  und  Haushaltungskunde  heran- 
zubilden. Ais  solche  wurde  Frl.  Marie  Dhlmann  in  Hindelbank  gewonnen  und 
es  hat  dieselbe,  nachdem  ihr  die  nöthige  Vorbildung  zu  Theil  geworden,  im 
Kanton  Bern  mehrere  Kurse  mit  sehr  anerkennenswerthem  Erfolge  geleitet.  Die 
Erfahrungen,  welche  man  mit  den  schon  erwähnten  Kursen  gemacht,  führten  in 
immer  weitem  Kreisen  zu  der  Ueberzeugung,  daß  diese  Kurse  allerdings  ver- 
hältnißmäßig  sehr  günstige  Resultate  aufzuweisen  haben,  daß  aber,  wenn  das 
vorgesteckte  Ziel  voll  und  ganz  erreicht  werden  soll,  nach  dem  Vorbilde  von 
Württemberg    eigentliche    Schulen    für    Haushaltungskunde   eingerichtet    werden 


Haushaltungäkurse  —      24     —  Hausirverkehr 

müssen,  um  solohe  errichten  zu  können,  bedarf  es  aber  einer  größern  Zahl  von 
Lehrerinnen,  welche  theoretisch  nnd  praktisch  die  nöthige  Befähigung  haben,  um 
derartigen  Schulen  vorzustehen.  Nachdem  Frau  Wyder  bei  Luzern  eine  ständige 
Haushaltungsschule  eingerichtet  hat  (seit  März  1885)  und  nachdem  Frl.  Uhlmann 
zur  Leitung  der  im  Mai  1886  in  Worb  (bei  Bern)  eröffneten  Haushaltungsschule 
berufen  worden  ist,  stehen  aber  keine  Lehrerinnen  mehr  zur  Verfügung.  Die 
Eochschulkommission  der  Schweiz,  gemeinnützigen  Gesellschaft  hat  daher  die 
Sache  an  die  Hand  genommen.  In  erster  Linie  hat  dieselbe  sich  an  die  Bundes- 
behörden gewendet,  um  von  ihnen  einen  entsprechenden  Beitrag  an  die  Kosten 
für  Heranbildung  von  Lehrerinnen  zu  erhalten.  Die  Bundesversammlung  hat 
dem  gestellten  Gesuche  in  verdanke nswerthester  Weise  entsprochen  und  einen 
Beitrag  von  5300  Fr.  bewilligt,  sofern  von  anderer  Seite  ein  gleich  großer 
Betrag  aufgebracht  werde.  Bisher  (Oktober  1886)  hat  der  Appell  an  die  Kantons- 
regierungen und  an  die  gemeinnützigen  und  landwirthschaftiichen  Kantonalvereine 
zur  Aufbringung  der  noch  fehlenden  Summe  nicht  den  gewünschten  Erfolg  ge- 
habt; doch  ist  alle  Aussicht  vorhanden,  daß  binnen  Kurzem  auch  die  Geldfrage 
in  befriedigender  Weise  gelöst  werden  kann.  Was  die  Tendenz  bei  der  Heran- 
bildung von  Lehrerinnen  und  bei  der  Errichtung  von  Haushaltungsschulen  betrifft, 
so  wird  vor  Allem  Werth  darauf  gelegt  werden,  den  Bedürfnissen  des  ärmern 
Theiles  der  Bevölkerung  gorecht  zu  werden  —  von  der  Voraussetzung  ausgehend, 
daß  die  besser  situirten  Klassen  sich  eher  selbst  zu  helfen  im  Stande  sind.  Nur 
wenn  von  Anfang  an  an  diesem  Fundamentalgrundsatze  festgehalten  wird,  werden 
die  Hanshaltungsschulen  dem  Schweizerlande  zum  Glück  und  zum  Segen  gereichen. 

Hausirverkehr«  So  lange  das  Zunftwesen  bestand,  konnte  der  Hausir- 
verkehr keine  große  Bedeutung  erlangen.  Auch  nach  Aufhebung  der  Zünfte 
bestanden  noch  genug  Schranken  aller  Art,  um  jene  Erwerbsart  nicht  so  rasch 
aufkommen  zu  lassen.  Der  Wunsch,  dieselbe  darniederzuhalten,  war  ohne  Zweifel 
mitbestimmend,  als  in  der  Bundesverfassung  von  1848  die  freie  Gewerbeausübung 
nur  den  Kantonsbürgern  und  den  NiedergelaHsenen  gewährleistet  wurde  (Art.  41). 
So  konnte  es  auch  kommen,  daß  noch  bei  Inkrafttreten  der  Bundesverfassung 
von  1874  in  den  Kantonen  Baselland,  Bern,  Freiburg,  Luzern,  Schaffhausen, 
Waadt,  Wallis  und  Zug  das  Hausiren  grundsätzlich  verboten  war,  und  daß  noch 
im  Jahre  1860  im  Kanton  Baselland  ein  kantonsfremder  Maler  gerichtlich  bestraft 
werden  durfte,  weil  er  ein  Gartenhäuschen  angestrichen  hatte. 

Da  diese  Hindernisse  erst  dahin  fielen,  als  die  Bundesverfassung  von  1874 
«Handels-  und  Gewerbefreiheit  im  ganzen  Umfang  der  Eidgenossenschaft"  pro- 
klamirt  hatte,  so  kann  das  Hausirgewerbe  erst  von  da  an  den  Aufschwung 
genommen  haben,  den  man  heute  so  ziemlich  allgemein  als  eine  Landesplage 
empfindet. 

Unter  den  Begriff  des  Hausirverkehrs  fallen  namentlich: 

I.  Das  Feilbieten  von  Waaren  von  Hans  zu  Haus. 

IL   Ausverkäufe,    Liquidationen,    nichtamtliche  Versteigerungen  von  Waaren- 
lagem  außerhalb  der  Wohngemeinde  und  der  Dauer  von  Märkten. 

III.  Das  Aufsuchen  von  Bestellungen  bei  Privaten,  d.  i.  bei  Personen,  welche 
weder  mit  dem  betreffenden  Artikel  Handel  treiben,  noch  denselben  in 
ihrem  Gewerbe  verwenden. 

IV.  Die  Ausübung  eines  Handwerks  von  Ort  zu  Ort. 

V.  Schaustellungen,  öffentliche  Aufführungen,  Produktionen  von  umherziehenden 
Künstlern  (im  Kanton  Glarus  verboten). 


Hausirverkehr  —     25     —  Hausirverkehr 

VI.  Der  Ankauf,    das   Sammeln   und   Tauschen   von  Gegenständen   von  Hans 
zu  Haus. 
Ans  polizeilichen  fittcksichten  werden  zahlreiche 

Bedingungen 
an  die  Ausühung  des  Hausirgewerhes  geknüpft,  z.  B.  daß  das  Gewerbe  nicht 
sittenwidrig  sei;  daß  keine  Ausbeutung  des  Publikums  stattfinde  (z.  B.  durch 
lotterieähnliche  Spiele);  daß  keine  körperlichen  Gebrechen  zur  Schau  gestellt 
werden ;  daß  die  Patentbewerber  guten  Leumund  besitzen,  nicht  mit  ansteckenden 
nnd  ekelhaften  Krankheiten  behaftet,  mit  Ausweisschriften  versehen,  eigenen 
Rechtes  oder  vom  Patron  gehörig  bevollmächtigt  und  mindestens  14 — 20  Jahre 
alt  seien  (Glarus  14,  Wallis  20). 

Verboten  ist  das  Mitfuhren  schulpflichtiger  Kinder,  femer  in  den  meisten 
Kantonen  das  Hausiren  zur  Nachtzeit,  sowie  an  Sonn-  und  anderen  kirchlichen 
Feiertagen;  mehrere  Kantone  schützen  auch  die  Wirthschaften  gegen  die  Hausirer. 
Allein  reisende  Ehefrauen  müssen  in  mehreren  Kantonen  eine  Bewilligung  des 
Ehemannes  vorweisen  können. 

£xplodirbare  Stoffe,  Arzneimittel,  Gifte,  geistige  Getränke  sind  in  der  Regel 
vom  Hausirverkebr  ausfieschlosseHj  Gold-  und  Silberwaaren  in  mehreren  Kantonen. 

Patent  fr  ei  sind  meistens  die  Produkte  des  Land-,  Forst-  und  Gartenbaues, 
sowie  die  nothwendigsten  Nahrungsmittel  (Milch,  Brod,  Eier,  Fleisch). 

Patentgebtihren. 
Die  Patentgebuhren  hatten  anfänglich  den  Zweck,  das  Hausirgewerbe  un- 
möglich zu  machen ;  sie  wurden  daher  von  mehreren  Kantonen  so  hoch  geschraubt, 
daß  die  Bundesbehörden  gegen  dieselben  Einspruch  erheben,  resp.  Rekurse  gegen 
die  Höhe  gewisser  Taxen  begründet  erklären  mußten.  In  Folge  dessen  hat  eine 
etwas  mäßigere  Taxirung  Platz  gegriffen,  insbesondere  in  der  Weise,  daß  die 
Waaren  je  nach  ihrem  Werth  in  mehrere  Klassen  eingetheilt  wurden,  nach  denen 
sich  nun  auch  die  Taxen  richten.  Es  wird  demgemäß  wenig  mit  theuern  Waaren, 
dagegen  stark  mit  Kurz-  und  Quincailleriewaaren  hausirt,  für  welche  die  Gebühren 
niedrig  angesetzt  sind.  Als  Beispiel  für  die  Klassifikation  der  Waaren  mag  die 
im  Kanton  Zürich  gültige  hier  angeführt  werden: 

I.  Klasse:  1 — 10  Franken  per  Monat  an  den  Staat. 
Geringe  Holzwaaren  (Kellen,  Spundhahnen,  Klüpperli,  geringe  Korhwaaren, 
Schachteln),  Stroh-  und  Seegrasteppiche,  Kalender,  Schiefeilafeln,  Griffel,  Tinte,  Kreide, 
Zündholz,  Dochten,  Wichse,  Nägel,  Putzpulver,  Wagenschmiere,  Harz  und  Pech,  Kubier- 
waaren,  hölzerne  Gabeln  und  Rechen,  Watten,  ungesohlte  EndeÜnken,  Holzschuhe, 
Glamerthee,  Käse,  Ziger. 

n.  Klasse:  2 — 20  Franken  per  Monat  an  den  Staat. 
Greringere  Mercerie-  und  Quincailleriewaaren:  Nadeln,  Haften,  Faden,  Bändel, 
Litzen,  Knöpfe,  wollene  und  baumwollene  Halstücher  und  Nastücher,  Baumwollgame, 
Strickwolle,  geringere  Handschuhe  und  Strumpf  waaren,  Hosenträger,  Kamniartikel,  Rauch- 
atensilien,  Schreibmaterialien,  Kinderspiel  waaren,  Wachskerzen,  Seife;  geringere  Leder- 
waaren,  Zinn-  und  Eisenwaaren,  Löffel,  Messer  und  Gabeln ;  Spengler-,  Seiler-,  Drechsler-, 
Sattler-,  Bürsten-  und  geringere  Töpferwaaren ;  Sensen,  Sicheln,  Wetzsteine,  Handwerkszeug, 
feinere  Korhwaaren,  Drahtgeflecht  (Siebe  u.  s.  w.) ;  Firniß,  Gypsüguren,  künstliche  Blumen, 
Gartenmöbel,  Bücher  und  Drucksachen,  geringere  Bilder;  Baum wolltuch waaren  (rohe 
und  gefärbte).  Sing-  und  Luxusvögel,  Spezereien,  Gewürze,  Sämereien,  ausländische 
Früchte,  Gonditorei-  und  Teigwaaren,  Thee,  Tabak,  Cigarren. 

III.  Klasse:    5—50  Frauken  per  Monat  an  den  Staat. 

Feine  Quincaillerie-  und  Merceriewaaren :  Glas-,  Kristall-,  Porzellan-,  Neusilberwaaren, 

Muschelwaaren,    Schmucksachen,   Toilette-    und   Parfümerie- Artikel,    Musikinstrumente, 

Spielkarten,  feinere  Messerschmied  waaren,  Broderien,  feine  Handschuhe,  Corsets,  Schürzen, 

Hüte;   alle  Kleiderstoffe  mit  Ausnahme  von  Seide,  baumwollene  und  wollene  Schirme, 


Hausirverkehr  —     26      —  Hausirverkehr 

Wanduhren,  Barometer,  Thermometer,  Brillen,  Kupfergeschirr,  feinere  Töpferwaaren^ 
Farbendruckbilder. 

IV.  Klasse:   10 — 100  Franken  per  Monat  an  den  Staat. 
Seidenstoffe,   seidene  Foulards,   seidene  Schirme,   feinere  Spitzen  und  Stickereien, 

fertige  Kleider  und  Bettstücke,  feinere  Wäsche  und  Schuhwaaren,  Pelzwaaren,  Damenhüte. 

V.  Klasse:   30—300  Franken  per  Monat  an  den  Staat. 

Juwelen,  werthvollere  optische  und  physikalische  Instrumente,  kostbare  Oelgemälde,^ 
SalonspiegeL 

Die  beiden  Halbkantone  Appenzell  nehmen  nur  von  den  Kantonsfremden 
Grebühren.  Baselland,  BaselstaUt  und  Schaffhausen  begünstigen  nur  ihre  Hand- 
werker, Bern,  St.  Gallen,  lessin,  Thurgau,  Wallis  und  üri  die  einheimischen 
Handelsreisenden,  Solothurn  sowohl  die  einheimischen  als  diejenigen  jener  Kantone^ 
welche  die  Aufnahme  von  Bestellungen  patentft-ei  geschehen  lassen.  Sowohl  für 
Einheimische  als  für  kantonsfremde  Schweizer  und  Gegenrecht  haltende  Ausländer 
ist  die  Aufnahme  von  Bestellungen  bei  Privaten  frei  in  Baselstadt,  Freiburg, 
Genf,  Graubünden,  Luzern,  Neuenburg,  Obwalden,  Solothurn  (s.  oben),  Waadt 
und  Zürich, 

Außer  an  den  Staat  sind  auch  Gebühren  an  die  Gemeinden  zu  entrichtea 
in  den  Kantonen : 

Aargau :  bis  zum  doppelten  Betrage  der  staatlichen  Gebühr. 

Baselland:  bis  zur  Hälfte  der  staatlichen  Gebühr. 

Bern:  wie  der  Staat,  im  Verhältniß  zur  Zeit. 

Freiburg :  wie  der  Staat,  im  Verhältniß  zur  Zeit. 

Graubünden :  wie  der  Staat,  im  Verhältniß  zur  Zeit. 

Luzern:  wie  der  Staat,  für  Ausverkäufe. 

Solothurn:  bis  zur  Hälfte  der  staatlichen  Gebühr. 

St,  Gallen:   wie  der  Staat,  für  Ausverkäufe  und  von  wandernden  G«- 

Werbeleuten. 
Thurgau:  für  Ausverkäufe,  wie  der  Staat,  im  Verhältniß  zur  Zeit. 
Uri:  für  Ausverkäufe  die  hallte  Staatsgebühr. 
Waadt:  für  Ausverkäufe  bis   10  Fr.  per  Tag. 
Wallis:  V2— 10  Fr.  per  Tag. 

Zürich :  Per  Tag  höchstens  den  30.  Theil  der  staatlichen  Monatsgebühr^ 
Zug:  bis  zu   ^Ja  der  kantonalen  Taxe. 

Keine  Gebühren  beziehen  die  Gemeinden  der  Kantone  Appenzell,  Baselstadt,. 
Genf  (der  Staat  theilt  seine  Einnahmen  mit  den  Gemeinden),  Glarus,  Nidwaiden,. 
Neuenburg,  Obwalden  (exkl.  Engelberg),  Schaffhausen,  Schwyz. 

Die  meisten  Gemeinden,  auch  jene,  wo  Patentgebühren  zu  entrichten  sind^ 
erheben  eine  Visumgebühr;  im  Kanton  Waadt  muß  das  Visum  ä  20  Ct.  sogar 
jeden  Tag  eingeholt  werden. 

In  mehreren  Kantonen  ist  es  den  Gemeinden  überlassen,  Schau  Vorstellungen^ 
Produktionen  von  herumziehenden  Künstlern  trotz  dem  bezahlten  Staatspatent  zu 
untersagen. 

Folgende  Uebersicht  zeigt,  welcher  Betrag  von  den  vier  wichtigsten  Kate- 
gorien des  Hausirverkehrs  in  jedem  Kanton  an  Staat  und  Gemeinde  zusammen 
per  Monat  zu  entrichten  ist  (Jahr  1886): 

Kanton  Hauairerei  Ausverkäufe 

Fr.  Fr. 

Aargan      ...  3—300  180—900 

Appenzell  A.-Rh.  3—30  260—1300 


Bestellungen 

bei  Privaten 

Fr. 

Wandernde 

Gewerbeleute 

Fr. 

3     300 

15—30 

3—30 

8        20 

Hausirverkehr 

-     27     — 

Hausirverkehr 

Appenzell  I.- 

Bb. 

5—50 

200—320 

40—80 

26—130 

Baselland  . 

9— 360») 

225—450 

9     360          3     107« 

Baselstadt . 

8—100 

i 
i 

2     300 

2—100 

Bern     .     . 

2—100 

80—400 

80 — 400          2—40 

Freibnrg    . 

20—133  ^) 

40—200 

4—40 

Genf     .     .     . 

2—100 

10     200 

— 

Grlaros  . 

4     15 

260—910 

4—15 

4 

Granbünden 

2—170 

52—1385 

— 

2—85 

Lnzem 

1     20 

« 

2—100 

-') 

2     9 

Nenenborg 

10—120 

20—200 

10—90 

Nidwaiden 

26—52 

40—200 

52 

18 

Obwalden  . 

12—80 

12—400 



8      16 

SchaffhanBen 

1—5 

1     5 

1—5 

2 

Schwyz 

1—50  2) 

? 

1-50 

1     5 

Solotbum  ■)    . 

.     1 

V«— 90 

IV 

2-225       Ou. 

.  1 72     90 

*)     172-3 

St.  Gallen 

1—10 

200     400 

10—40 

2—10 

Teasin  *)    .     . 

10     70 

20—80 

100 

Thorgau    .     . 

1—20 

200     600 

20     50 

72     10 

Uli       .     .     . 

10     40 

150     300 

10—40 

10 

Waadt       .     , 

5-100 

60—  460 

1     30 

Wallis .     .     . 

2—460 

23     460 

23—460              ? 

Zürich  .     .     . 

1. 

30—560 

157 

2-560 

1—97« 

Zug      .     .     . 

6 

74-627^ 

325     812 

25     125      272     6272 

Zahl  der 

vom  Staate  ertheilten  Patente  und  bezü| 

gliche  Ein- 

nahmen 

im 

Jahre  1885. 

,.,          Durchschn. 
per  Patent 

„.          Darchflchu. 

».K»l«      Einnahme 
nahmen    ^^^  p^^^^^ 

Kanton 

Patente 

I               Kanton 

1 

Patente 

Fr.               Fr 

■ 

I 

Fr.               Fr. 

Aargau 

.  4085 

22287        5. 

40 

Obwalden  . 

.     292 

1233       4.  20 

App.  A.-Rh. 

.   1296 

5605       4. 

30 

Schaffhausen 

.     640 

4659       7. 30 

App.  I.-Rh. 

.     116 

712       6. 

10 

Schwyz 

.     364 

11687     32.10 

Baselland  . 

.     389 

10340     26. 

60 

Solothum  . 

.   1491 

6889       4.  60 

Baselstadt . 

.  1023 

7066        6. 

90 

St.  Gallen 

.  4185 

28607       6. 80 

Bern     .     . 

.  5865 

51643       8. 

80 

Tessin  . 

.     542 

5755     10. 60 

Freiburg    . 

.     597 

8537     14. 

30 

Thurgau 

.   2096 

19256       9.  20 

Genf     .     .     . 

.  4927 

?              1 

} 

Uri.     .     . 

.     208 

2690     13.— 

Glarus .     . 

.     668 

7447      11. 

10 

Waadt 

.  2058 

45791      22. 20 

Granbünden 

.   1743 

9377        5. 

40 

Wallis .     . 

.     767 

4904        6. 40 

Lnzem 

.     607 

10343     17. 

— 

Zürich  .     . 

.  2889 

54445     18. 80 

Neuenbürg 

.     785 

6440       8. 

20 

Zug       .     . 

.     446 

5181      11.60 

Nidwaiden 

, 

608 

1156       1. 

90 

Gesetze. 

Kantonale.  Die  zur  Zeit  (Mitte  1886)  in  Kraft  bestehenden  Gesetze  und 
Verordnungen  über  den  Hausirverkehr  sind  datirt  wie  folgt: 

*)  Die  gleiche  Taxe  für  3  Monate.  —  «)  Die  gleiche  Taxe  für  6  Monate  gültig.  — 
*)  Die  doppelte  Taxe  fOr  Orte  mit  periodischen  Märkten.  —  *)  Jahr  1880;  ob  seitdem 
eine  Revision  stattgefunden,  konnte  nicht  in  Erfahrung  gebracht  werden.  —  '')  Nichts 
von  den  einheimischen  Reisenden  und  denjenigen  solcher  Kantone,  welche  Gegenrecht 
halten. 


Hausirverkehr  —      28     —  Hausirverkehr 

Aargau  12.  März  und  21.  Jnni  1879;  Appengell  A.-Rh,  11.  März  1879; 
Äppeneeh  L-Rh,  13.  April  1882;  Baselland  2.  April  1877,  15.  Nov.  1880 
und  30.  Juni  1881;  Baselsiadt  13.  Nov.  1882  und  6.  Febr.  1884;  Bern 
27.  Nov.  1877,    26.  Juni  1878    und  9.  Mai  1885;   Freiburg  13.  Mai  1878, 

I.  Sept.  1882  und  20.  Nov.  1883;  Genf  18.  Okt.  1884;  Glarus  26.  Nov. 
1879;  Graubünden  23.  Jan.  1884;  Lueern  29.  Aug.  1877  und  28.  Nov.  1877; 
Nidwaiden   29.  Jan.   1879;    Neuenburg  24:  Dez.   1878,    18.  April  1885  und 

19.  Jan.  1886;  Obwalden  28.  April  1878;  Schaff  hausen  4.  Dez.  1875  und 
17.  Jan.  1879;  Schwitz  12.  März  1851  und  4.  Juli  1877  (eine  neue  Ver- 
Ordnung  ist  entworfen);  Solothurn  19.  April  1879,  19.  April  1881  und  20.  Nov. 
1884;    SL  Gallen    23.  Nov.   1878   und  31.  Aug.   1885;    Tessin  ?;    Thurgau 

II.  April  1880;  Uri  29.  Mai  1883;  Waadt  28.  Mai  1878;  Wallis  21.  Mai 
1879    und    19.  Mai   1882;    Zürich    13.  Juni  1880   und   12.  Juni  1881;    Zug 

20.  Nov.  1879  und  26.  Dez.  1879. 

Bundesgesetzgebung.  Der  Bund  bat  bisher  in  Bezug  auf  den  Hausir- 
verkehr keine  Gesetze  erlassen.  Dagegen  hat  er  durch  Eechtsprechung  in  Rekurs- 
fällen in  die  kantonale  Gesetzgebung  eingreifen  müssen  (s.  p.  18,  II.  Bd.) ;  femer 
hat  er  durch  Handelsverträge  die  Geschäftsreisenden  mehrerer  Staaten  (s.  p.  35, 
n.  Bd.)  von  der  Pflicht,  Patenttaxen  in  der  Schweiz  zu  bezahlen,  ausgenommen 
(sofern  t<ie  nur  Bestellungen  aufnehmen  und  nicht  mit  Waaren  hausiren),  endlich 
sind,  theils  in  Folge  des  letzteren  Umstandes,  theils  ohne  denselben,  einige  Bundes- 
beschlUsse  gefaßt  worden,  durch  welche  eine  gewisse  Einheit  in  den  Kantonen 
erzielt  werden  sollte.    Was  in  dieser  Beziehung  geschehen  ist,  wurde  im 

Bericht  des  Bundesrathes  an  die  Bundesversammlung ,  d.  d.  9.  November 
18d3j  beireffend  die  Frage  der  Befreiung  der  schweizerischen  Handels' 
reisenden  von  Patentgebühren,  sowie  über  die  Frage  der  Formnlirung 
allgemeiner  Grundsätze  zur  Prüfung  der  kantonalen  Hausirpatentgesetze 
und  zur  Entscheidung  darauf  bezüglicher  Rekursbeschwerden 

dargestellt.     Es  heißt  in  diesem  Bericht  u.  a. : 

Am  20.  Januar  1854  hatten  die  eidgenössischen  Kammern  den  Bundesrath 
eingeladen,  die  kantonalen  Vorschriften  über  Erhebung  von  Patenttaxen  gegenüber 
Handelsreisenden  auf  ihre  Uebereinstimmung  mit  Ai*t.  29  und  Art.  48  der 
Bundesverfassung  von  1848  (Gleichbehandlung  der  Schweizerbürger  mit  den 
Bürgei'n  des  eigenen  Kantons)  zu  prüfen.  Entgegen  dem  wiederholten  Gutachten 
des  Bundesrathes  (1857  und  1859),  daß  es  verfassungsgemäß  keinen  rechtlichen 
Anhaltspunkt  dafür  gebe,  das  Patentsystem  für  Aufnahme  von  Bestellungen,  habe 
nun  dasselbe  einen  mehr  fiskalischen  oder  einen  vorherrschend  polizeilichen 
Charakter,  den  Kantonen  zu  untersagen,  faßte  die  Bundesversammlung  am  29.  Juli 
1859  den  Beschluß,  die  Kantone  seien  anzuweisen, 

von  schweizerischen  Handelsreisenden  keine  Patenttaxen  oder  anderweitig 
Gebühren  mehr  zu  beziehen,  insofern  diese  Handelsreisenden  nur  Bestellungen, 
sei  es  mit  oder  ohne  Vorweisung  von  Mustern,  aufnehmen  und  keine  Waaren 
mit  sich  führen. 

Ausschlaggebend  für  diesen  Bundesbeschluß  war  die  Motivirung  der  Mehrheit 
der  nationalräth liehen  Kommission  (Bundesblatt  1859,  II,  420),  dahin  gehend, 
daß  der  Art.  29  (der  Verfassung  von  1848),  allerdings  unter  Vorbehalt  rein 
polizeilicher  Verfügungen,  aber  mit  Ausschluß  jeder  Besteuerung,  den  freien  Kauf 
und  Verkauf  nur  von  einem  Kanton  in  den  andern  und  nicht  im  Innern  der 
Kantone  garantire,  daß  aber  eben  die  Handelsreisenden  den  interkantonalen  Ver- 


Hausirverkehr  —     29     —  Hausirverkebr 

kehr  vermittelD,  was  sich  bei  den  EUiQBirern,  die  Waaren  mit  sich  führen,  ganz 
anders  verhalte. 

Der  Bandesbeschluß  bildete  fortan  unanfechtbares  Bundesrecht.  Als  im  Jahre 
1860  die  Regierung  von  Thurgau,  der  sich  diejenige  von  Zug  anschloß,  dagegen 
sich  auflehnte,  daß  auch  das  Aufnehmen  von  kleinern  Bestellungen  von  Haus  zu 
Haus,  im  Gegensatz  zur  Aufsuchung  von  Bestellungen  bei  den  Gewerbsgenossen, 
unter  den  Begritf  des  freien  Reisenden  Verkehres  falle,  erklärten  der  Bnndesrath 
und  die  Bundesversammlung  (Bundesbeschluß  vom  12.  Dezember  1860)  mit  aller 
Bestimmtheit,  daß  der  Bundesbeschluß  vom  29.  Juli  1859  als  das  einzige 
charakteristische  Moment  für  den  Hausirhandel  das  Mitsichführen  von  Waaren 
aufgestellt  habe,  demzufolge  auch  solche  Personen,  welche  von  Haus  zu  Haus, 
jedoch  ohne  Waaren  mitzuftthren,  Bestellungen  erheben,  als  steuerfreie  Handels- 
reisende anzusehen  seien. 

Während  nun  der  Grundsatz  der  Yerkehrsfreiheit  in  der  speziellen  Richtung 
der  Befreiung  der  Handelsreisenden  von  allen  Steuern  und  Abgaben  sich  in  dieser 
Weise  Bahn  brach,  konnten  im  Uebrigen  die  Beschränkungen  des  Verkehrs,  der 
Freiheit  der  Arbeit,  des  Handels  und  der  Gewerbe  ungehemmt  fortbestehen. 
Insbesondere  blieben  der  Haasirhandel  und  das  Hausirgewerbe  der  willkürlichen 
Verfügung  der  Kantone  unterstellt.  Meist  lief  es  dabei  auf  eine  Begünstigung 
der  Kantonsbewohner  gegenüber  den  andern  Schweizerbürgern  hinaus. 

Der  Bundesrath  wollte  schon  anläßlich  der  Partialrevision  der  Bundes- 
verfassung im  Jahre  1865  diese  Schranken  beseitigen  und  einer  der  Revisions- 
punkt«« die  er  in  seiner  Botschaft  an  die  gesetzgebenden  Räthe  der  Eidgenossen- 
schaft vom  1.  Juli  1865,  betreffend  die  Revision  der  Bundesverfassung,  aufstellte 
und  begründete,  war 

y^das  Recht  zur  freien  Gewer  bsausübufif/  im  ganzen  Um  fange  der 
Eidgenossenschaft^ . 

Allein  die  Räthe  traten  darauf  nicht  ein.  Uebereinstiromend  findet  sich  in 
den  Kommissionalberichten  derselben  der  Satz,  daß  es  unbillig,  ein  Privilegium 
zu  Gunsten  des  nicht  niedergelassenen  und  zu  Ungunsten  des  niedergelassenen 
Schweizerbürgers  sein  würde,  wenn  man  die  Gewerbsausübung,  ohne  Nieder- 
lassung, über  die  Kantonsgrenzen  hinaus  unbedingt  freigäbe,  weil  der  nieder- 
gelassene Gewerbtreibende  alle  Steuern  und  Abgaben  zu  bezahlen  hätte,  während 
der  andere  davon  vollständig  befreit  wäre. 

So  kam  es,  daß  der  Bundesrath  in  seiner  Revisionsbotschaft  vom  17.  Juni 
1870  noch  immer  von  solchen  Ungleichheiten  und  Abnormitäten,  die  wie  eine 
Ironie  auf  die  Idee  des  Bundesstaates  klingen,  sprechen  konnte,  wonach  z.  B. 
kantonsfremde  Handwerker,  Führer,  Kutscher,  in  der  Ausübung  ihres  Berufs  ganz 
gehindert  oder  doch  sehr  belästigt  waren,  der  Erwerb  von  Liegenschaften  allen 
nicht  Niedergelassenen  untersagt  war  u.  s.  w.  Der  Bundesrath  postulirte  solchen 
Zuständen  gegenüber  die  Freiheit  des  Handels  und  Verkehrs,  das  Recht  der 
freien  Berufs-  und  Gewerbsausübung,  als  ein  dem  Schweizerbürger  im  ganzen 
umfange  der  Eidgenossenschaft  zu  gewährleistendes  Grundrecht,  und  sprach  sich 
speziell  mit  Rücknicht  auf  die  von  den  Kommissionen  der  Räthe  1865  erhobene 
(eben  erwähnte)  Einwendung  folgendermaßen  aus : 

«Der  Bundesrath  kann  diesen  Einwurf  (die  Besteuerungsfrage)  nicht  als  stich- 
haltig betrachten.  Die  Frage  der  Besteuerung  der  Gewerbetreibenden  ist  eine 
sekundäre  Frage,  die  jeder  Kanton  lösen  mag,  wie  er  für  gut  findet;  es  recht- 
fertigt sich  aber  gewiß  nicht,  dem  Schweizerbürger  sein  allernatürlichstes  Hecht 
zu  verkünmiem,  blos  weil  der  Kantonalfiskus  einige  Schwierigkeiten  hat,  alle 
Gewerbetreibenden  zur  Besteuerung  heranzuziehen.    Um  übrigens  alle  Zweifel 


Hausirverkehr  —      30     —  Hausirverkehr 

zu  beseitigen,  daß  es  darauf  abgesehen  sei,  das  heeügliche  Bestetierungsrecht 
der  Kantone  zu  beschränken,  schlägt  der  Bundesraih  vor,  solches  in  dem 
Verfassungsartikel  selbst  ausdrücklich  vorzubehalten.  Die  Kaatone  können  sich 
in  weit  den  meisten  Fällen  leicht  helfen  durch  Ausgabe  von  PÄtenten  für  den 
mehr  vorübergehenden  Erwerb,  wie  solches  schon  jetzt  geschieht.  In  andern 
Fällen  steht  auch   der  Anwendung  der  regelmäßigen  Besteueningsweise  nichts 

entgegen Die  Vorbehalte,  die  dem  Hauptgrundsatze  beigefügt  werden,  sisd 

außer  dem  schon  genannten  Besteueruugsrechte  so  ziemlich  die  bisherigen 

Dagegen  wünscht  der  Bundesrath,  daß  ausdrücklich  gesagt  werde,  daß  die  Ver- 
fügungen der  Kantone  über  Ausübung  von  Handel  und  Gewerben  und  über 
Besteuerung  den  Grundsatz  der  Handels-  und  Gewerbefreiheit  selbst  nicht  beein- 
trächtigen dürfen,  um  nicht  der  irrigen  Meinung  Raum  zu  geben,  daß  es  nun 
in's  Belieben  der  Kantone  gelegt  sei,  in  dieser  Materie  ganz  willkürlich  zu  ver- 
fügen und  auf  Umwegen  die  durch  Aufstellung  des  Grundsatzes  beseitigten  Be- 
schränkungen wieder  neu  einzuführen." 

Diese  Ausführungen  des  Bandesrathes  sind  in  den  Kevisionsberathnngen  der 

eidgenössischen  Kammern  von  1871/72  und  1873/74  nicht  angegriffen,  sondern 

durchweg  gutgeheißen  worden,  so  daß  sie  gewissermaßen  als  das  Programm  für 

die  in  dem  nunmehrigen  Art.  31   der  Bundesverfassung  von  1874  niedergelegten 

Grundsätze   und   als  die  Wegleitung  zu  deren  richtiger  Interpretation  betrachtet 

werden  konnten. 

*  * 

Nachdem  die  neue  Bundesverfassung  mit  dem  29.  Mai  1874  in  Kraft  ge- 
treten war,  wurden  vom  Bundesrathe  schon  am  30.  gleichen  Monats  sämmtliche 
Kantonsregierungen  ersucht,  ihre  auf  Ausübung  von  Handel,  Gewerbe  und  Be- 
steuerung des  Gewerbebetriebes  bezüglichen  Gesetze  vorzulegen. 

Es  ergab  sich  aus  der  Untersuchung  derselben,  daß  das  Hausiren  in  den 
Kantonen  Bern,  Lueern,  Zuf/^  Freiburg^  Baselland,  Schaffhausen,  Waadt  und 
Wallis  grundsätzlich  verboten,  in  allen  Übrigen  Kantonen  grundsätzlich,  unter 
der  Bedingung  einer  Patentlösung,  geiitattet  und  einzig  in  Appenzell  I.Rh,  ganz 
freigegeben  war. 

Sämmtliche  wegen  Verbot  des  Hausirhandels  oder  Patentverweigerung  beim 
Bundesrathe  erhobenen  Rekursbeschwerden  ^)  wurden  als  begründet  erklärt  und 
die  Kantone  durch  ein  Kreisschreiben  vom  11.  Dezember  1874  mit  besonderm 
Nachdruck  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  der  Art.  31  ^)  der  neuen  Bundes- 
verfassung nicht  etwa  blos  eine  redaktionelle,  sondern  eine  materielle,  grund- 
sätzliche Verschiedenheit  vom  frühern  Art.  29  in  sich  schließe,  zufolge  welcher 
ein    Verbot    des   Hausirhandels,    als    im    Widerspruch    mit    dem   Grundsatz    der 

*)  Es  mag  hier  daran  erinnert  werden,  daß  bis  31.  Dezember  1878  das  „Eisenbahn- 
und  Handelsdepartement",  welchem  gemäß  Bundesgesetz  vom  28.  Juli  1873  die  Sorge 
für  Handhabung  des  freien  Verkehrs  im  Innern  der  Schweiz  zufiel,  sich  mit  diesen 
Beschwerden  zu  befassen  hatte.  ZuColge  Bundesbeschluß  vom  21.  August  1878  über  die 
Organisation  und  den  Geschäftsgang  des  Bandesrathes  liegt  seit  1.  Januar  1879  die 
Prüfung  von  Beschwerden  betreffend  die  Handels-  und  Gewerbefreiheit  dem  Justiz-  und 
Polizeidepartemente  oh. 

*)  Lautend:  Die  Freiheit  des  Handels  und  der  Gewerbe  ist  im  ganzen  Umfange 
der  Eidgenossenschaft  gewährleistet. 

Vorbehalten  sind:  a.  Das  Salz-  und  Pulverregal,  die  eidgenössischen  Zölle,  die 
Eingangsgebühren  von  Wein  und  geistigen  Getränken,  sowie  andere  vom  Bunde  aus- 
drücklich anerkannte  Verbrauchssteuern,  nach  Maßgtibe  von  Art.  32.  b.  Sanitätspolizei- 
liche Maßregeln  gegen  Epidemien  und  Vieliseuchen.  c.  Verfügungen  über  Ausübung  von 
Handel  und  Gewerben,  über  Besteuerung  des  Gewerbebetriebes  und  über  die  Benützimg 
der  Straßen. 

Diese  Verfügungen  dürfen  den  Grundsatz  der  Handels-  und  Gewerbefreiheit  selbst 
nicht  beeinträchtigen. 


Hausir  verkehr  —      31     —  Hausirverkehr 

Handels-  und  Gewerbefreiheit  stehend,  nicht  mehr  z.i  Recht  bestehen  könne, 
wenn  anoh  nicht  zu  verkennen  sei,  daß  dieser  Handel  in  verschiedenen  Richtungen 
besonderer  Ueberwachung  von  Seite  des .  Staates  bedürfe. 

In  Folge  dessen  waren  die  oben  genannten  Kantone  im  Falle,  ihre  saoh- 
bezUgliche  Gresetzgebung  einer  Revision  zu  unterwerfen  und  mit  den  Bestimmungen 
der  Bundesverfassung  in  Einklang  zu  setzen.  Da  über  die  Stellung  der  Kant<)ne 
zum  Bunde  bei  Erlaß  diesbezüglicher  Verordnungen  verschiedene  Ansichten 
herrschten,  eröffnete  ihnen  der  Bundesrath  durch  Kreisschreiben  vom  20.  Januar 
1875,  daß  er  nichts  dagegen  einzuwenden  habe,  wenn  die  Kantone  die  in  litt,  c 
des  Art.  31  vorbehaltenen  Verfügungen  über  Ausübung  von  Handel  und  Gewerben, 
über  Besteuerung  des  (rewerbebetriebes  und  über  die  Benutzung  der  Straßen  von 
sich  aus  erlassen  und  in  Vollziehung  setzen.  Nur  behalte  sich  der  Bundesrath 
selbstverständlich  vor,  jederzeit,  sei  es  bei  Anlaß  von  einlaufenden  Beschwerden 
von  Bürgern,  sei  es  in  Folge  der  Durchsicht  der  kantonalen  Gesetze  und  Ver- 
ordnnngen,  die  fernere  Anwendung  von  Bestimmungen  zu  untersagen,  welche  er 
als  mit  dem  in  Art.  31  der  Bundesverfassung  aufgestellten  Grundsatze  der 
Handels-  und  G^werbefreiheit  unvereinbar  erachten  würde. 

Trotz  dieser  wiederholten  Vorstellungen  war  der  Bundesrath  noch  im  Jahre 
lb75  genöthigt,  die  Beschwerde  eines  Bürgers  gegenüber  einer  Kantonsregierung 
als  begründet  zu  erklären,  welch^  letztere  das  Gesuch  um  Ausstellung  eines  Hausir- 
patentes  aus  dem  Motive  abgewiesen  hatte,  daß  das  kantonale  G-esetz  über  Auf- 
enthalt und  Niederlassung  für  die  Ausübung  eines  Berufes  oder  Grewerbes  die 
Niederlassung  verlange,  welche  Bedingung  vom  Petenten  nicht  erfüllt  worden 
sei.  Der  Bundesrath  legte  in  seinem  Entscheid  das  Hauptgewicht  darauf,  daß  es 
einer  völligen  Aufhebung  des  Hausirhandels  gleichkäme,  wenn  man  den  Hausirer 
nöthigen  wollte,  in  jedem  Kanton,  den  er  betrete,  oder  gar,  was  auch  möglich 
wäre,  in  jeder  Gemeinde,  innerhalb  welcher  er  seinen  Handel  treiben  will,  die 
Niederlassung  zu  erwerben.  Vom  schweizerischen  Standpunkte  aus  erfülle  der 
Hausirer  seine  bürgerlichen  Pflichten  in  genügender  Weise,  da  er  sie  in  dem- 
jenigen Kanton  erfülle,  wo  er  ansässig  ist.  Die  Frage,  ob  das  Hausirgewerbe  in 
den  Kantonen,  wo  es  ausgeübt  wird,  besteuert  werden  dürfe,  wurde  vom  Bundes- 
rathe  nicht  verneint,  wohl  aber  im  einzelnen  Falle  die  Größe  der  geforderten 
fjteuer  angefochten,  sofern  durch  dieselbe  der  Grundsatz  der  Handels-  und 
Gewerbefreiheit  beeinträchtigt  erschien. 

Im  Jahre  1877  legte  die  Regierung  von  Lueern  das  neue  Gesetz  dieses 
Kantons  über  den  Markt-  und  Hausirverkehr  vor.  Dasselbe  enthält  die  Bestimmung, 
daß  zur  Aufnahme  von  Bestellungen  bei  Privaten  (nicht  Gewerbegenossen)  auf 
verkäufliche  oder  unverkäufliche  Muster  eine  Patentgebühr  von  Fr.  5 — 200 
Jährlich  zu  bezahlen  seL 

Der  Bundesrath  fand,  daß  diese  Bestimmung  nicht  im  Einklang  mit  den 
Bundesbeschlüssen  vom  29.  Juli  1859  und  12.  Dezember  1860  stehe.  Es  sei 
auch  nicht  zu  übersehen,  daß  dieselbe  zu  Anständen  mit  auswärtigen  Staaten, 
die  mit  der  Schweiz  Handelsverträge  abgeschlossen  haben,  führen  könnte. 

Die  im  Berichte  des  Bundesrathes  über  seine  Geschäftsführung  im  Jahre 
1877  enthaltene  Mittheilung  seiner  diesfälligen  Vorstellung  (vom  11.  September 
1877)  gegenüber  der  Regierung  von  Luzern  (Bundesblatt  1878,  II,  79)  ver- 
anlaßte  die  nationalräthliche  Geschäftsprüfungskommission,  sich  mit  diesem  Gegen- 
stände einläßlich  zu  beschäftigen.  Die  Kommission  wies  namentlich  darauf  hin, 
daß  in  Wirklichkeit  unter  der  Scheinform  von  „ Bestellung  auf  Muster**  gar  oft 
ein  eigentlicher  Waaren verschleiß  praktizirt  werde,  indem  der  sogenannte  „Muster- 


Hausirverkehr  —      32     —  Hausirverkehr 

reisende"  aaf  irgend  einem  Centralpunkte  seine  Waaren  lagere,  um  sie  von  doi*t 
aas  sofort  nach  der  Bestellungsaufnahme  überall  hin  zu  versenden,  so  daß  er  in 
That  und  Wahrheit  ein  taxfreier  £Uindler  sei.  Diese  Betrachtung  führte  die 
Kommission  zur  Aufstellung  des  Postulates: 

«Der  Bundesrath  wird  eingeladen,  alle  diese  Verhältnisse  einer  nochmaligen 
reiflichen  Prüfung  zu  unterwerfen,  beziehungsweise  den  getroffenen  Entscheid  in 
Wiedererwägung  zu  ziehen.* 

Gleichzeitig  lenkte  die  nationalräthliche  Geschäftsprüfungskommission,  ver- 
anlaßt durch  eine  Bemerkung  im  Berichte  des  Justiz-  und  Polizeidepartementes^ 
die  Aufmerksamkeit  der  Bundesversammlung  auf  die  Vorschriften  der  deutschen 
Gewerbeordnung  vom  7.  März  1877,  aus  denen  hervorgeht,  daß  das  Deutsche 
Beich  die  Ausländer  im  Hausirhandel  den  Bundesangehörigen  nicht  gleichstellt, 
vielmehr  den  Hausirhandel  von  Ausländern,  abgesehen  von  den  allgemeinen 
Polizei  Vorschriften,  von  der  Erwerbung  eines  Legitimationsscheines  und  dem  Be- 
dürfniß  des  eingelnen  Bezirks  abhängig  macht.  Vom  Standpunkte  des  Gegen- 
rechts und  der  Verträge  aus  hätten  also  unsere  Grenznachbaren  keinen  Grand 
zu  Beschwerden,  wenn'  auch  die  Schweizerkantone  den  Hausirhandel  gleich  sehr 
beschränken.  Zum  Hausirhandel  gehöre  aber  offenbar  auch  das  Aufsuchen 
van  Bestellungen  von  Haus  zu  Haus  (bei  Nicht-Gewerbegenossen) ;  audemfalls 
wäre  es  unmöglich,  eine  Umgehung  der  verfassungsgemäß  zulässigen  Gewerbe-- 
Steuer  auf  dem  Hausirhandel  zu  kontroliren.  Auch  Deutschland  behalte  bezüglich 
der  Handelsreisenden  die  Gewerbesteuervorschriften  der  Landesgesetzgebungen  vor ; 
die  im  deutschen  Handelsvertrag  vorgesehene  Freiheit  von  „Abgaben"  bedeute 
übrigens  nicht  Befreiung  von  der  auf  den  Hausirhandel  gelegten  ordentlichen 
Gewerbesteuer. 

Die  Bundesversammlung  nahm  am  28,  Juni  1878  das  oben  erwähnte 
Postulat  der  nationalräthlichen  Kommission  in  etwas  veränderter  Redaktion 
an.    (Postulate-Samml.  n.  F.,  Nr.  159.) 

Die  Kantone  Bern  und  Baselland  hatten  im  Jahre  1877  neue  G^etze  über 
den  Marktverkehr  und  das  Hausir wesen  erlassen,  welche,  wie  das  luzemische,. 
unter  den  Begriff  des  Hausirens  auch  das  Aufeuchen  von  Bestellungen  bei  andern 
Personen  als  solchen,  die  mit  dem  betreffenden  Artikel  Handel  treiben  oder  ihn 
in  ihrem  Gewerbe  verwenden,  faßten  und  mit  Patentgebühren  —  im  Kanton 
Bern  Fr.  1  —  200  monatlich,  in  Baselland  Fr.  12 — 150  jährlich  —  belegten. 
Als  nun  im  Jahre  1878  gegen  diese  Bestimmungen  mehrere  Rekurse  beim 
Bundesrathe  einliefen,  beriefen  sich  die  beiden  Kantonsregierungen  darauf,  daß 
die  Bundesbeschlüsse  von  1859  und  1860  unter  der  neuen  Bundesverfassung 
nicht  mehr  zu  Recht  beständen.  Die  Handelsfreiheit  könne  nicht  mehr  als  Recht 
des  freien  Verkehrs  von  Kanton  zu  Kanton,  sondern  müsse  als  individuelles  Recht 
der  Berufsausübung  im  Innern  jedes  Kantons  aufgefaßt  werden.  Die  Besteuerung 
des  Gewerbebetriebs  in  den  Kantonen  sei  eine  von  der  Bundesverfassung  in  Art.  31 
ausdrücklich  zugelassene  Auflage,  welche  Kantonseiuwohner  und  Angehörige 
anderer  Kantone  gleichmäßig  treffe.  Die  Forderung  der  Patentlösung,  auch  im 
fiskalischen,  nicht  nur  im  polizeilichen  Interesse,  sei  daher  durchaus  zulässig  und 
schon  in  der  bundesräthlichen  Revisionsbotschaft  vom  17.  Juni  1870  als  solche 
anerkannt  worden. 

Der  Bundesrath  ging  angesichts  des  Postulates  vom  28.  Juni  1878  auf 
diese  Anschauungsweise  ein  Er  erklärte  durch  Beschluß  vom  8.  Oktober  1878 
die  Rekurse  gegen  die  Gesetze  von  Bern  und  Baselland  als  grundsätzlich  nicht 
begründet,  indem  der  Art.  31  der  Bundesverfassung  die  Gleichstellung  der  Auf- 


Hausirverkehr  —      33     —  Hjuwirverkelir 

nähme  von  Bestellungen  bei  Privaten  mit  dem  Hausirhandel  und  die  Besteuerung 
jenes  Geschäftsbetriebes  durch  Patenterhebung  nicht  untersage,  vielmehr  in  un- 
zweideutiger Weise  gegenüber  der  Freiheit  von  Handel  und  Gewerbe  Verfüfiunf/en 
über  Besteuerung  vorbehalte,  welche  freilich  dem  GrundsoUze  der  Freiheit  nicht 
widersprechen  dürfen.  Von  diesem  Standpunkte  aus  lasse  sich  gegen  das  basel- 
landschaftliche Gesetz  gar  nichts  einwenden,  gegenüber  dem  bernischen  aber, 
dessen  Taxbestimmungen  unter  Umständen  zu  einer  Verunmöglichung  des  frag- 
lichen Gewerbebetriebes  führen  könnten,  sei  es  angezeigt,  den  ausdrücklichen 
Vorbehalt  der  Prüfung  jedes  konkreten  Beschwerdefalles  hinsichtlich  der  An- 
wendung des  Gesetzes  zu  machen. 

Damit  war  —  da  eine  Weiterziehung  der  Bekurse  an  die  Bundesversammlung 
nicht   erfolgte    —    auch  das  lueernische  Gresetz  sanktionirt.     Das  Postulat  vom 

28.  Juni  1878  wurde  vom  Bundesrathe  als  erledigt  erklärt  (s.  Geschäftsbericht 
pro  1878,  Bundesblatt  187D,  II,  451).   Ebenso  waren  die  Bundesbeschlüsse  vom 

29.  Juli  I8«ö9  und  12.  Dezember  1860  thatsächlich,  wenn  auch  nicht  formell, 
außer  Kraft  gesetzt,  und  die  Handelsreisenden,  welche,  ohne  Waaren  mit  sich 
jfu  f&^hren,  bei  Nichi-Gewerbef/enossen  Bestellungen  aufsuchen,  als  eigentliche 
Hausirer  denjenüfen,  die  Waaren  durch  Umhertragen  oder  Umherfnhren  in 
den  Straßen  oder  Häusern  oder  in  Ausverkäufen  und  Liquidationen  von 
Lagern  außerhalb  der  Marktjseit  feilbieten,  gleichgestellt  worden. 

Nun  beeilten  sich  die  Kantone  in  den  Jahren  1878,  1879  und  1880  um 
die  Wette,  ihre  Gresetzgebung  über  Markt-  und  Hausirverkehr  nach  der  neuen 
eidgenössischen  Jurisprudenz  einzurichten.  Drei  vom  eidgenössischen  Justiz-  und 
Polizeidepartement  angefertigte  und  bis  Ende  März  1882  fortgeführte  bezügliche 
Tabellen  bilden  eine  wahre  Musterkarte  von  Taxbestimmungeu  und  Besteuerungs- 
klassen,  wobei  als  besonders  beachtenswerth  erscheint,  daß  viele  Kantone  die 
Besteuerung  nicht  blos  zu  Gunsten  der  Staatskasse,  sondern  überdem  in  einer  mehr 
oder  weniger  starken  Proportion  auch  zu  Händen  der  Gemeinden  eingeführt  haben. 

Die  von  den  Bundesbehörden  seit  1874,  beziehungsweise  seit  1878  ein- 
geschlagene Praxis  in  Rekursfällen  betreffend  das  Hausirwesen  läßt  sich  in 
folgende  Sätze  zusammenfassen: 

Die  Besteuerung  des  daherigen  Gewerbebetriebes  (einschließlich  der  Bestellungs- 
aufnahme bei  Nicht-6e werbegenossen)  ist  verfassungsgemäß  zulässig,  sofern  sie 
den  Grundsatz  der  Handels-  und  Gewerbe freiheit  selbst  nicht  beeinträchtigt.  Eine 
solche  Beeinträchtigung  liegt  vor,  wenn  die  Kantone  fixe  Ansätze  aufstellen  und 
anwenden  wollen,  weiche  ein  billiges  Ermessen  im  einzelnen  Falle,  eine  an- 
gemessene Würdigung  des  Hausirgewerbes  nach  der  Natur  und  dem  Umfange 
des  Geschäftes  und  nach  der  Zeit,  während  welcher  es  ausgeübt  wird,  nicht 
gestatten.  Wenn  aber  die  kantonalen  Gesetze  und  Verordnungen  ein  Minimum 
und  Maximum  der  Patenttaxen  enthalten,  innerhalb  deren  eine  billige  Abschätzung 
eines  einzelnen  Gewerbes  möglich  ist,  so  unterliegen  dieselben  grundsätzlich  vom 
bundesrechtlicben  Standpunkte  aus  keiner  weitern  Kritik,  es  wäre  denn,  daß  im 
konkreten  Falle  auf  ein  bestimmtes  Gewerbe  eine  offenbar  unbillige,  unverhältniß- 
mäßig  hohe  Taxe  angewendet  werden  wollte. 

*  * 

* 

Rechtsverhältniß  gegenüber  den  Handelsreisenden  derjenigen  Länder,  mit 
welchen  die  Schweiz  Niederlassungs-  oder  Handelsverträge  abf/eschlossen  hat. 

Als  mit  Frankreich  über  den  Handelsvertrag  vou  1864  unterhandelt  wurde, 
war  in  der  Schweiz  die  Aufnahme  von  Bestellungen  durch  Geschäftsreisende  des 
eigenen  Landes  oder  fremder  Nationen  keinen  Taxen  unterworfen.  Die  Bundes- 
beachlüsae  von  1h59  und  1860  hatten  diese  Schranke  der  freien  Ausübung  von 
Handel  und  Gewerbe  vorbehaltlos  beseitigt. 

rnrrer,  Volktwirthichaftt-Lexikon  der  Schweiz.  3 


Hausirverkehr  —      34      —  Hausirverkehr 

Als  Frankreich  in  jenen  Unterhandlungen  eine  einheitliche  Patentgebühr  von 
zwanzig  Franken  für  die  Handelsreisenden  eines  jeden  der  beiden  Länder  vor- 
schlug, konnte  daher  der  Bundesrath  auf  diesen  Vorschlag  nicht  wohl  eintreten. 
£r  fand  es  vielmehr  angemessen,  von  vornherein  auf  die  Abschaffung  solcher 
Taxen  im  Sinne  der  erwähnten  Bundesbeschlüsse  hinzuwirken.  Frankreich,  das 
schon  mit  Preußen  des  Gleichen  übereingekommen  war,  bot  gerne  die  Hand 
hiezu,  und  so  wurde  im  französisch-schweizerischen  Handelsvertrage  von  1864 
der  Grundsatz  bedingungsloser  Abgabenfreiheit  der  Handelsreisenden  aufgenommen. 
Es  war  damit  dem  Ausländer  in  der  Schweiz  nur  gleiches  Recht  wie  dem  In- 
länder gewährt  und  damit  der  Yortheil  der  Taxfreiheit  der  schweizerischen 
Geschäftsreisenden  in  Frankreich  erreicht. 

Die  gleiche  Bestimmung  fand  1868  folgerichtig  Eingang  in  den  Handeb- 
verträgen  mit  Italien  und  Oesterreich,  sowie  dem  Wortlaute  nach  1869  im 
Vertrage  mit  dem  deutschen  Handels-  und  Zollverein,  So  war  mit  unsern  vier 
großen  Nachbarstaaten  ein  völlig  gebührenfreier  Verkehr  der  Geschäftsreisenden 
vertraglich  ausbedungen,  während  sich  die  von  1869  bis  1878  mit  Spanien, 
Rußland,  Dänemark,  den  Niederlanden  und  Persien  abgeschlossenen  Nieder- 
lassungs-  oder  Handelsverträge,  sowie  die  heute  noch  gültigen  Verträge  mit  den 
Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  (1850)  und  mit  Großbritannien  und 
Irland  (1855)  auf  die  Stipulation  der  Meistbegünstigung  in  Beeug  auf  Handel 
und  Industrie,  also  auch  hinsichtlich  der  Gebühren  von  Geschäftsreisenden, 
beschränkten. 

In  den  Verträgen  mit  Portugal  (1873)  und  mit  Rumänien  (1878)  dagegen 
wurde  blos  das  Recht  zur  Aufiiahme  von  Bestellungen  gegenseitig  garantirt;  die 
1880  vereinbarte  provisorische  Handelskonvention  mit  Serbien  läßt  dieses  Ver- 
hältniß  ganz  unberührt. 

So  lagen  die  Dinge,  als  im  Jahre  1878  der  Bundesrath  durch  Beschluß 
vom  8.  Oktober  und  die  Bundesversammlung  durch  ihre  stillschweigende  Ge- 
nehmigung dieses  Beschlusses  die  von  verschiedenen  Kantonen  in  Anspruch 
genommene  Zulässigkeit  der  Erhebung  von  Patenttaxen  gegenüber  denjenigen 
Handelsreisenden,  welche  auch  bei  ^/cÄ^-Ge werbetreibenden  Bestellungen  suchen, 
anerkannte  und  dadurch  den  Bundesbeschluß  von  1859  in  dieser  Beziehung 
faktisch  außer  Kraft  setzte. 

Diese  internfe  Beschränkung  der  Steuerfreiheit  von  Geschäftsreisenden  legte 
es  dem  Bundesrath  nahe,  in  der  Folge  auch  beim  Abschluß  von  Handelsverträgen 
der  veränderten  Anschauungsweise  Rechnung  zu  tragen  und  ihr  wo  möglich 
Geltung  zu  verschaffen. 

Die  Verhandlungen  über  einen  neuen  Vertrag  mit  Deutschland  gaben  die 
erste  Gelegenheit  hiezu.  Das  schweizerische  Begehren  mußte  insofern  in  Deutsch- 
land günstige  Aufnahme  finden,  als  es  mit  der  daselbst  angestrebten  schärferen 
TJeherwachung  des  Hansirgewerbes  zusammentraf.  Die  deutsche  Regierung  erklärte 
sich  bereit,  im  Protokoll  über  die  Auswechslung  der  Ratifikationsurkunden  zum 
Handelsvertrag,  am  29.  Juni  1881,  den  ausdrücklichen  Vorbehalt  aufzunehmen, 
daß  die  aus  dem  frühern  in  den  neuen  Vertrag  herühergenommene  Bestimmung 
über  Taxbefreinng  der  Geschäftsreisenden  so  verstanden  werden  solle,  wie  sie 
bisher  schon  interpretirt  worden  sei,  nämlich  so,  daß  die  im  betreffenden  Artikel 
Btipulirte  Taxfreiheit  der  Geschäftsreisenden  nur  auf  das  Aufsuchen  von  Waaren- 
beetellungen  bei  Gewerbetreibenden  Anwendung  finde. 

In  den  bald  darauf  mit  Frankreich  angeknüpften  Unterhandlungen  über 
einen    neuen    Handelsvertrag    wurde    hingegen    den    gleichen    Bemühungen    der 


Haus^irverkehr  —      35      —  Hausirverkehr 

schweizerischen  Unterhändler  eino  andere  Auffassung  entgegengestellt,  gegen 
welche  nm  so  weniger  aufzukommen  war,  als  das  schweizerische  Begehren  an- 
gesichts der  18  Jahre  früher  von  der  Schuftig  selbst  beantragten  gänzlichen  Tax- 
freiheit im  eigentlichen  Sinne  als  ein  rückschriUliches  erscheinen  mußte.  Frank- 
reich, das  von  einheimischen  Waarenreisenden  keine  Gebühren  bezieht,  wollte  im 
Hinblick  auf  die  bedeutenden  Interessen  von  Weinhändlem  und  ähnlichen  Gewerbs- 
leuten, welche  ihren  Absatz  direkt  bei  den  Konsumenten  zu  betreiben  pflegen, 
keine  Erklärung  eingehen,  welche  den  Geschäftsreisenden  die  Aufisuchung  von 
Bestellungen  bei  Nicht-Gewerbetreibenden  in  den  Kantonen  nur  gegen  Erlegung 
von  Pateutgebühren  gestattet  hätte.  Die  französischen  Kommissäre  schreckten 
vor  dieser  Eventualität  um  so  mehr  zurück,  als  es  sich  nicht  um  eine  einmalige, 
einheitliche  Taxe,  wie  in  andern  Staaten,  sondern  um  Abgaben  handelte,  welche 
—  an  und  für  sich  nicht  unbedeutend  —  von  Kanton  zu  Kanton  sich  wieder- 
holen und  in  ihrer  Gesammtheit  eine  Summe  repräsentiren,  die  in  vielen  Fällen 
außer  allem  Verhältniß  zu  dem  aus  den  Bestellungen  resultirenden  Grewinne  steht. 
Von  schweizerischer  Seite  konnten  diese  Erwägungen  nicht  zurückgewiesen  werden ; 
zu  einem  Nachgeben  in  diesem  Punkte  bestimmte  überdies  die  schuldige  Rücksicht 
auf  die  zahlreichen  schweizerischen  Geschäftaleute,  welche  Frankreich  bereisen 
und  für  welche  die  von  diesem  Lande  gewährte  Taxfreiheit  nicht  minder  von 
Bedeutung  ist.  Es  ist  daher  die  frühere  bedingungslose  Taxfreiheit,  die  übrigens 
auch  im  Verkehr  mit  Oesterreir.h  laut  Handelsvertrag  von  1868  in  Geltung  war 
und    noch  ist,    in  den  neuen  Vertrag  mit  Frankreich  unverändert  übergegangen. 

AVas  Frankreich  aus  den  genannten  Gründen  zugestanden  worden,  konnte 
Spanien  im  neuesten  Vertrag  von  1883  und  Italien  im  Handelsvertrag  vom 
22.  März  1883  nicht  verweigert  werden. 

(So  kommt  es,  daß  di^  Handelsreisenden  aus  Belgien,  Dänemark,  Frankreich, 
Großbritannien  und  Irland,  Hawaii,  Italien,  den  Niederlanden  inkl.  Kolonien,  Oestef 
reich'üngam,  Persien,  Eumänien,  Bußland,  Salvador,  Spanien  und  den  Ver.  Staaten 
von  Nordamerika  keine  Patenttaxen  zu  zahlen  haben,  wenn  sie  mit  oder  ohne  Muster 
Bestellungen  [selbst  von  Haus  zu  Haus]  aufnehmen,  ohne  Waaren  mit  sich  zu  führen,) 

Einige  der  bundesräthlichen  Rekursalentscheide  seit  1874,  bezw.  1878, 
hatten  zur  Folge,  daß  die  Regierung  des  Kantons  Freiburtf  das  Begehren  stellte, 
die  Bundesbehörden  möchten  für  aUe  Kantone  verbindliche  und  bestimmte  Vor- 
schriften über  die  zulässige  Höhe  der  Besteuerung  des  Hausirhandels  erlassen, 
worauf  die  Bundesversammlung,  namentlich  auch  in  Anbetracht  eines  fast  gleich- 
zeitig von  Advokat  Dr.  Ityf  in  Zürich  im  Namen  von  53  Handelsfirmen  und 
Gewerbetreibenden  verschiedener  Kantone  eingegebenen  Petitums,  daß  auf  Grund- 
lage von  Art.  31  der  Bundesverfassung  durch  ein  Bundesgesetz  die  Grenzen  für 
Erhebung  der  Hausirpatenttaxen  festgestellt  werden  möchten,  am  23.  Juni  1882 
beschloß,  durch  den  Bundesrath  untersuchen  und  berichten  zu  lassen, 

ob  nicht  leitende  Grundsätze  zu  formuliren  und  der  Genehmigung  der  Bundes- 
versammlung zu  unterstellen  seien,   nach  welchen  die  kantonalen  Hausirpatent 
gesetze  geprüft  und  die  Beschwerden  wegen  zu  hoher  Belastung  mit  Hausirtaxen 
im  Sinne  des  Art.  31,   Schlußlemma,   der  Bundesverfassung  entschieden  werden 
sollen. 

Diesem    Beschluß   der   Bundesversammlung   war   eine    vom  Ständerath   sub 

12.   Juni  1882  erheblich  erklärte  Motion   Cornae  vorausgegangen,    des  Inhalts: 

Der  Bundesrath  wird  eingeladen,  der  Bundesversammlung  Bericht  und  Antrag 
zu  erbringen,  ob  die  schweizerischen  Handelsreisenden  in  der  Schweiz  von  Be- 
zahlung von  Gebühren,  denen  die  ausländischen  Handelsreisenden  laut  Handels- 
verträgen  nicht   unterworfen  werden  können,   nicht  ebenfalls  zu  befreien  seien. 


Hausirverkehr  —     36     —  Heizungseinrichlungen 

Noch  ehe  der  Bnndesrath  diesen  Aufträgen  der  Bondesvcrsammlang  nach- 
kommen konnte,  petitionirte  auch  der  Verein  schweieerischer  Geschäftsreisender 
in  dem  Sinne,  daß  die  Kantonsregiemngen  veranlaßt  werden  möchten,  ihre  durch 
die  Handelsverträge  mit  Art.  31  der  Bundesverfassung  in  Widerspruch  gerat henen 
Verordnungen  Uher  die  Besteuerung  des  Gewerbehetriebes  entsprechend  zu  revidiren 
und,  bis  dies  geschehen,  die  Wirksamkeit  jener  Verordnungen  zu  sistiren. 

Der  bundesräthliche  Bericht  erschien  am  9.  November  1883.  Er  konstatirte, 
daß  klare  und  bestimmte  leitende  Prinzipien,  auf  denen  eine  sichere,  allseitig 
gerechte  Praxis  sich  aufbauen  ließe,  fehlen  und  daß  angesichts  der  vertraglichen 
Beziehungen  zu  auswärtigen  Staaten  die  Belastung  schweieerischer  Handelsreisenden 
mit  Patenttaxen  ein  unlogisches  Verhält niß  sei.  Der  Bundesrath  zögere  daher 
auch  nicht,  die  Befreiung  der  schweizerischen  Handelsreisenden  von  Patenttaxen 
zu  beantragen. 

In  der  That  kam  in  der  Bundesversammlung  ein  Beschluß  zu  Stande 
(11.  Dezember  1883),  welcher  lautete: 

Die  Handelsreisenden»  welche  für  Rechnung  eines  inländischen  Handelshauses 
die  Schweiz  bereisen,  können,  ohne  dafür  eine  Patenttaxe  entrichten  zu  müssen, 
auf  den  einfachen  Ausweis  ihrer  Identität  hin,  mit  oder  ohne  Muster  Bestellungen 
aufnehmen,  sofern  sie  keine  Waaren  mit  sich  führen. 

.* 
Der  durch  die  Verwerfung  von  vier  eidgenössischen  Vorlagen  denkwtirdige 

11.  Mai  1884  brachte  auch  den  durch  obigen  Bundesbeschluß  angestrebten  Fort- 
schritt  zu  Falle.  189,550  BUrger  stimmten  gegen  die  Sache,  174,195  für  dieselbe. 
Seitdem  herrscht  einstweilen  in  Bezug  auf  die  Hausir-  und  Patenttaxen  der  alte 
Zustand;  doch  ruht  die  Angelegenheit  keineswegs:  Zwischen  Vertretern  von  12 
Kantonsregierungen  (Aargau,  Baselstadt,  Baselland,  Freibnrg,  Genf,  Glarus,  Neuen- 
burg, Solothurn,  Schaifhausen,  St.  G-allen,  Waadt  und  Zürich)  hat  im  Juli  1885 
in  Neuenburg  eine  von  der  Zürcher  Regierung  angeregte  Konferenz  stattgefunden, 
zum  Zwecke,  die  Gleichstellung  der  schweizerischen  Handelsreisenden  mit  den 
ausländischen  hinsichtlich  der  Patenttaxen  herbeizuführen.  Die  Konferenz  faßte 
den  Beschluß,  an  den  Bundesrath  das  Gesuch  zu  stellen,  den  am  11.  Mai  1884 
vom  Volke  verworfenen  Bundesbeschluß  neuerdings  vor  die  Bundesversammlung 
zu  bringen.  Der  Bundesrath  hielt  indessen  dieses  Vorgehen  für  inopportun,  so 
lange  nicht  gewisse  statistische  Ermittlungen  in  den  Kantonen  gemacht  seien. 
Diese  statistischen  Ermittlungen  sind  zur  Zeit  (Mitte  1886)  im  Gange. 

Hawaii-Inseln.  Mit  diesen  steht  die  Schweiz  in  vertraglicher  Beziehung 
durch  den  Handels-  und  Niederlassungs vertrag  vom  20.  Juli  1864  (A.  S,  VIII, 
pag.  497,  frz.  464),  sowie  durch  den  Weltpostvertrag,  dem  die  Havaii-Iu»eln 
am  30.  August  1881  beigetreten  sind  (A.  S.  n.  F.  VI,  pag.  291,  frz.  281). 

Hebammen.  Als  H.  bezeichneten  sich  anläßlich  der  eidg.  Volkszählung 
vom  1.  Dezember  1880  2519  Personen. 

Hebers  Apfel  (Rümlicher  Chrüslicher),  auch  RUmechrUslicher  und  saurer 
Chrüslicher  genannt,  Wirthschaftsobst  ersten  Ranges,  ist  als  Koohobst  sehr  beliebt 
und  gesucht,  um  so  mehr,  da  der  Apfel  seine  Frische  über  ein  Jahr  lang  behält. 
Der  Apfel  ist  im  Kanton  Baselland  sehr  verbreitet  und  fand  von  da  auch  seinen 
Weg  in  den  aargauischen  Bezirk  Rheinfei  den.  („  Schweizerische  Obstsorten", 
Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhorn  in  St.  Gallen.) 

Heilquellen  s.  Kurorte. 

Heizungs-  und  Ventilationseinrichtungen  werden  in  der  Schweiz  von 
mindestens  30  Fabrikanten  hergestellt.     AIh  Heizungseinrichtungs-Geschäfte  sind 


Heizungseinrichtungen  —     37     —  Herbstbutterbirae 

dem  Fabrikgeseie  die  Firmen  Weibel  Briquet  &  Co.  in  Crenf  und  H.  Chevallier 
in  Genf  unterstellt. 

Hektographenfabrikation,  Mit  diesem  Greschäftszweig  befassen  sich  laut 
Handelsregister  die  Firmen  KrebH-Gygax  in  Schatfhausen,  N.  Obrecht  in  Basel, 
F.  Wohlgrath  in  Neuen  bürg. 

Uelianthin«  1881  entdeckter  Theerfarbstoff,  zuerst  von  L,  Mannet  dt  Cie, 
in  La  Plaine  bei  Genf  fabrikmäßig  dargestellt. 

Ueliogravur«  Neues  Verfahren,  welches  bezweckt,  auf  chemischem  und 
mechanischem  Wege,  also  mit  Umgehung  des  Kupferstechers,  Naturaufnahmen, 
Gemälde  oder  Handzeichnungen  für  den  Kupferpressendruck  (vertieft)  zu  repro- 
duziren.    £&  werden  hierin  in  der  Schweiz  tretfliche  Arbeiten  geliefert. 

Ueliosin.  1881  entdeckter  Theerfarbstoff,  zuerst  von  L,  Monnet  <£:  Cie, 
in  La  Plaine  bei  Genf  fabrikmäßig  dargestellt. 

Hemden  s.  Lingerie.  Als  Hemdenfabriken  sind  dem  Fabrikf/esetz  die 
Firmen  Emil  Meyer  in  Aarburg  und  BuÜ'  &  Sturzenegger  in  Trogen  unter- 
stellt. 

Uemdenflaneli  (Flanell-Cotun)  ist  ein  Gewebe,  welches  zu  den  Artikeln 
der  Buntweberei  gehört.  Zumeist  gestreift,  aber  auch  carrirt,  ist  dasselbe  auf 
der  Rückseite  gerauht  (gekrazt),  was  der  Waare  ein  weiches,  wollähnliches 
Ansehen  gibt.    Das  Garn  ist  einheimisches  Gespinnst. 

Hemloek-Leder.  Sohlenleder,  welches  in  Amerika  mit  dem  Saft  der 
Bohierlingstanne  (Hemlock)  gegerbt  wird.  Das  Hemlock-Gerben  erfordert  nur  drei 
Monate,  während  in  der  Schweiz  und  anderswo  zum  Sohllederger ben  ein  Jahr 
erforderlich  ist.  Die  Einfuhr  der  billigen  Hemlocks  ist  bedeutend,  obschon  das 
solide  Schweizer  Sohlleder  sich  für  die  gebirgige  Schweiz  besser  eignet  als  jenes. 
Sie  werden  deßhalb  fast  nur  in  den  schweizerischen  Schuhfabriken  verwendet, 
wogegen  die  Handwerksschuster  fast  ausschließlich  inländisches  Sohlleder  oder 
französisches  und  deutsches,  wozu  die  rohen  Häute  aus  der  Schweiz  bezogen 
werden,  verarbeiten. 

Uendschikon-Brugg  s.  Aargauische  SUdbahn. 

Uerbstbirne,  lange  grüne,  auch  Glas-,  späte  Glas-,  Herbstsaft-,  grüne 
Melonen-,  Schmalz-,  Mund-,  grline  Herbst-,  Herbstwasser  ,  grüne  lange,  Mundnetz-, 
lange  GrUnbirn,  lange  grüne  Winterbirn,  Schmeckerin,  MuUebusch,  Mouille-bouche 
u.  8.  w.  genannt,  ist  eine  vortreffliche  Tafelfrucht.  Diese  Birne  kommt  in  allen 
Obstbau  treibenden  Gegenden  der  Schweiz  vor;  der  Baum  verlangt  guten,  warmen 
Boden  un4  einen  vor  dem  Winde  geschützten  Standort,  woselbst  er  in  hohen 
Lagen  (2000  Fuß  ü.  M.)  noch  gut  fortkommt.  Der  Baum  trägt  sehr  bald,  fast 
alljährlich  reichlich  und  gibt  auf  Quitten  sehr  schöne  Pyramiden.  („  Schweize- 
rische Obstsorten**,  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhorn  in  St.  Gallen.) 

Uerbstbutterbirne,  graue,  auch  rothe  Butterbirne,  Ankenbime,  Isembart 
genannt,  ist  eine  Tafelfruclit  ersten  und  eine  WirthschaiWrucht  vierten  Ranges, 
welche  auch  in  der  Schweiz  vorkommt.  Unter  günstigen  Verhältnissen  ist  der 
Baum  sehr  firuchtbar.  („Schweizerische  Obstsorten**,  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt 
J.  Tribelhorn  in  St.  Gallen.) 

Uerbstbutterbirne,  weiße,  auch  Butter-,  Dechants-,  weiße  oder  gelbe 
Butter-,  Franz-,  Schmalz-,  Spalier-,  Citronen-,  Kaiser-,  Weiß-,  Pfalzgrafen-, 
Herbsteitronen-,  G^bhardts-,  Schwertbirne,  Bergamotte,  Herbstbergamotte,  Gold- 
bergamotte  etc.  genannt,  ist  eine  Tafelfrucbt  «ersten  Ranges  und  auch  in  der 
Schweiz  verbreitet.  Der  äußerst  fruchtbare  Baum  trägt  auf  nur  einigermaßen 
günstigem    Standort    alljährlich    und    reichlich.     Er    errei(7ht    ein    hohes    Alter. 


Herbstbutterbime  —     38     —  Hinterrhein-Korrektion 

( ttSchweiaseriBche  Obstsorten*',  Verlag  der  Litbogr.  Anstalt  J.  Tribelhorn  in 
St,  Gallen.) 

Uerbstgfitler,  eine  Wirtbscbaftsbime  ersten  Banges,  ist  im  Kanton  Tburgau 
ttberall  verbreitet  und  daselbst  scbon  seit  mehreren  Jahrhunderten  bekannt,  stammt, 
wie  yermuthet  wird,  aus  dem  Bezirk  Arbon,  wo  sie  am  häufigäten  vorkommt. 
Der  Baum  liebt  einen  kalkhaltigen,  tiefgründigen,  mittelfeuchten,  schweren  Lehm- 
boden, gedeiht  in  Thälern  wie  in  Grebirgen  bis  auf  eine  Höhe  von  2000  Fuß  ü.  M. 
Der  Baum  trägt  alljährlich  und  oft  sehr  reichlich  und  erreicht  ein  Alter  von 
180 — 190  Jahren.  („Schweizerische  Obstsorten",  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt 
J.  Tribelhorn  in  St.  Gallen.) 

Uerdebücher  s.  Viehzucht. 

Uermannsbirne  s.  St.  Germain-Birne. 

Herzogenbuehsee-Lyss  s.  Centralbahn. 

Herzogin  von  Angouleme  ist  der  Name  einer  Tafelbirne  zweiten  Ranges, 
die  in  der  Schweiz  noch  nicht  sehr  lange  bekannt  und  meist  nur  in  Gärten  2^ 
finden  ist.  Dieselbe  verlangt  einen  geschützten  Standort  und  guten  Boden. 
(m Schweizerische  Obstsorten**,  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhorn  in 
St.  Gallen.) 

Heu,  grünes  Futter,  Stroh,  Häckerling  und  Spreu.  Einfuhr 
1853:  66,854  q,  1863:  35,765  q,  1873;  195,540  q,  1872/81  durchschnittlich 
199,344  q,  1883:  198,643  q,  1884:  192,608  q;  1885:  41,042  q  ä  Fr.  7 
=  Fr.  287,294  (22,013  q  aus  Deutschland,  7885  q  aus  Oesterreich,  7269  q 
aus  Frankreich,  3875  q  aus  Italien. 

Ausfuhr  1853:  18,132  q,  1863:  36,432  q,  1873:  29,045  q,  1883: 
33,420  q,  1884:  42,642  q;  1885:  35,093  q  a  Fr.  7.02  =  Fr.  246,452 
(25,428  q  a  Fr.  7.  12  nach  Deutschland,  8754  q  a  Fr.  6.  86  nach  Italien, 
791  q  ä  Fr.  5.  70  nach  Frankreich,   120  q  ä  Fr.  7.  94  nach  Oesterreich. 

Heimisch  (Hiinsch).  Sehr  robuste  und  fruchtbare  weiße  Traubentiorte,  die 
früher  allgemein  verbreitet  war,  der  schlechten  Qualität  des  Weines  wegen  indessen 
an  den  meisten  Orten  ausgerottet  wurde  und  sich  jetzt  nur  noch  vereinzelt  in 
den  Weinbergen  findet.  Kr. 

Uinterrhein- Korrektion  im  Domleschg  (^Kanton  Graubünden).  Die- 
selbe umfaßt  die  etwas  mehr  als  6  km  lange  Strecke  von  der  Mündung  des 
Summapraderbaches  oberhalb  dem  Dorfe  Katzis  bis  etwas  unterhalb  der  Rothen- 
brunnerbrücke.  Die  diesbezüglichen  Arbeiten  bestehen  in  der  nothwendig  ge- 
wordenen Rekonstruktion  der  schon  bestehenden  Korrektions  werke,  •  nebst  der 
Vervollständigung  derselben  auf  den  Strecken,  die  noch  nicht  ganz  ausgeführt 
waren.  Das  Korrektionssystem  basirt  auf  der  Anlage  von  nicht  überström  baren, 
beiderseits  an  das  höhere  Terrain  zurücklaufenden  Quer  dämmen,  welche  aus  Kies 
erstellt  und  am  Flusse  mit  einem  in  der  Korrektionslinie  liegenden  Kopfe  aus 
starker  Steinkonstruktion  abgeschlossen  sind;  femer  von  Parallelwuhren,  welche 
für  die  höhern  Wassei*stände  überströmbar  sind,  so  daß  dadurch  die  Kolmatirung 
der  Becken  zwischen  den  Querdämmen  ermöglicht  wird,  ebenfalls  aus  Stein  be- 
stehend. Als  Fundamentsicherung  dienen  Vorlagen  aus  großen  Steinen.  An  den 
bestellenden  Korrektionswerken  wurde  schon  seit  Langem  gearbeitet,  um  den 
Verheerungen  des  üinterrheins  Einhalt  zu  thun,  der  namentlich  seit  den  Hoch- 
wasserkatastrophen von  1817  und  1834  die  ganze  Thalsohle  beherrschte  und 
den  Fuß  der  beidseitigen  Hänge  und  Hochufer  unterspülte,  den  Grundbesitz  der 
Bewohner  der  anliegenden  Ortschaften  Thusis,  Sils,  Katzis,  Fürstenau,  Koteis, 
Paspels,  Healta,  Tomils  und  Bothenbrunnen  nicht  nur  in  der  Ebene,  sondern  auch 


Hinterrhein-Eorrektioti  —      39     —  Hochofenschlaiken 

in  höheren  Lagen  mit  sich  fortriß,  ja  diese  Ortschaften  selbst  zn  gefährden  drohte, 
sowie  die  Splägen-Bernhardinerstraße,  welche  trotz  ihrer  erhöhten  Lage  bei  Realta 
nur  mit  großer  Mühe  unversehrt  erhalten  werden  konnte.  Die  Korrektionsarbeiten 
waren  so  weit  gediehen,  daß  der  Fluß  sich  innert  den  Eorrektionslinien  befand, 
soweit  diese  mehr  oder  weniger  zusammenhängend  bestanden,  und  die  Ausbildung 
des  Flußbettes  war  so  weit  fortgeschritten,  daß  Fundamentsicherungen  uoth wendig 
wurden.  Besagte  Arbeiten  erlitten  durch  die  bekannte  Hochwasserkatastrophe 
vom  Jahre  1868  nicht  sehr  schwere  momentane  Beschädigungen,  aber  desto  ver- 
derblicher wurde  sie  denselben  durch  ihre  Nachwirkungen.  Die  Nolla,  welche 
bei  Thusis  in  den  Uinterrhein  fließt,  übt  nämlich  auf  das  Verhalten  dieses  Flusses 
eine  eigenthümliche  Wirkung  aus.  Ununterbrochen  iührt  sie  demselben  Geschiebe 
SU  und  zwar  bei  starken  Ausbrüchen  in  solcher  Menge,  daß  der  Hinterrhein 
sogar  momentan  aufgehalten  und  hoch  aufgestaut  wird.  Dies  war  auch  beim 
vorgenannten  Hochwasser  der  Fall  und  es  blieben  damals  sehr  große  Geschiebs- 
massen  sowohl  im  Rheinbett  zunächst  unterhalb  der  Nollamündung,  als  in  der 
NoUaschlucht  selbst  liegen,  die  nach  und  nach  abgeschwemmt  wurden,  aber  den 
Rhein  im  untern  Theile  des  Thaies  belästigten.  Durch  die  bei  diesem  Hochwasser 
bewirkten  Veränderungen  im  NoUathale  erfolgten  diese  stärkern  Ausbrüche  häufiger 
und  die  Entleerungen  großer  Geschiebsmassen  in  den  Rhein  dauerten  oft  längere 
Zeit  ohne  Unterbrechung  fort;  sie  vermochten  denselben  bis  auf  14  m  zu  stauen. 
In  der  unterhalb  der  Korrektion  liegenden  Flußstrecke  verringerte  sich  das  Gefall 
in  Folge  der  fehlenden  Einschränkungen  und  es  erfolgten  Geschiebsanhäufungen 
und  Stauungen,  welche  sich  immer  weiter  flußaufwärts  fortsetzten,  so  daß  in 
der  Gegend  von  Realta  nicht  nur  eine  Erhöhung  des  Flußbettes,  sondern  auch 
der  ganzen  Thaisohle,  von  3  m  stattfand  und  die  vormals  ausgeführten  Korrektions- 
werke zugedeckt  wurden. 

An  die  Kosten  für  den  vollständigen  Ausbau  der  Korrektion,  wofür  eine 
Bauzeit  von  12  Jahren  vom  Jahre  1883  an  vorgesehen  ist,  wurde  im  April  1883 
eine  Bundessubvention  im  Maximalbetrage  von  Fr.  436,000  zugesichert  (40  ^/o 
der  auf  Fr.  T  090,000  berechneten  Kosten)  unter  dei  Bedingung,  daß  der  Kanton 
Grraubünden  sofort  die  erforderlichen  Maßnahmen  behufs  Ausführung  von  Ver- 
bauungsarbeiten  an  der  Nolla  zu  treffen  habe.  Br. 

Uobelmaschinen  eigener  Konstruktion  fabrizirt  u.  A.  die  Werkzeug- 
Maschinenfabrik  in  Oerlikon  bei  Zürich. 

Uoehglanzmaschme  s.  Calander. 

Hochöfen  mit  Gießerei  haben  die  Gesellschaft  der  L.  von  RolFschen  Eisen- 
werke in  Choindez  (Jura)  und  die  Soci6t6  des  üsines  de  Vallorbes  et  des  Rondez 
in  Las  Rondez  (Jura)  in  Betrieb.  In  diesen  beiden  Etablissementen  waren  zur 
Zeit  der  Unterstellung  unter  das  Fabrikgesetz  335  Arbeiter  beschäftigt. 

Uochofenschlacken.  (Mitgetheilt  von  Herrn  Professor  Tetmajer.)  Der 
fianptsache  nach  sind  Hochofenschlacken  Kalk-Thonerde,  Silikate,  die  als  Neben- 
produkte bei  Reduktion  des  Eisens  aus  eisenhaltigen  Erzen  gewonnen  werden. 
Nach  Beschaffenheit  der  Erze,  des  Zuschlags  TFlußmittel),  des  Brennstoffs,  der 
Schmelztemperatur  u.  a.  m  varirt  die  chemische  Zusammensetzung  und  mit  ihr 
die  physikalisch-chemische  Beschaffenheit  der  Schlacke.  Man  unterscheidet  saure, 
neutrale  und  basische  Hochofenschlacken.  Erstere  enthalten  auf  ein  Aequivalent 
der  Säure  weniger,  letztere  mehr  als  ein  Aequivalent  Basen.  Jede  basische  Hoch- 
ofeni>chlacke  besitzt  eine  bestimmte  Kalkgrenze,  innerhalb  welcher  nach  erfolgter 
Abkühlung  die  Schlacke  den  angenommenen  festen  Aggregat-Zustand  dauernd 
beibehält.    Ueberschreitet  der  Kalkgehalt  der  Schlacke  besagte  Grenze,  so  erfolgt 


Hochofenschlacken  40     HolläDdiseh  Indien 

nach  kurzer  oder  längerer  Lnftlagening,  wahrscheinlich  in  Folge  Moleknlar- 
spannungen,  ein  Zerfallen  des  Materials  in  ein  hell  weißlich  graues,  oft  grtSn- 
liches,  stets  scharf  kömiges  Mehl. 

Bis  auf  die  neueste  Zeit  spielte  die  Hochofenschlacke  lediglich  nur  die  Bolle 
eines  werthlosen,  meist  lästigen  Ballastes.  Erst  vor  wenisjen  Jahren  ist  es  ge- 
lungen, einzelne  Varietäten  der  Hochofenschlacken  ökonomisch  zu  verwerthen  und 
damit  die  Gewinnungskosten  des  Roheisens  zu  reduziren. 

Die  sauren,  glasartigen  Hochofenschlacken  verwendet  man  zur  Herstellung 
gegossener  Mauersteine  für  Hochhau  und  Pflasterzwecke.  Zerkleinert  dienen  sie 
als  Chaussirungsmaterial.  Wird  die  flüssige  Schlacke  in  einen  Strom  kalten 
Wassers  abgeschreckt,  so  liefert  sie  den  granulirten  Schlackensand,  ein  zur  Mörtel- 
bereitung geschätztes  Material.  Durch  Auftreiben  der  Schlacke  in  Wasserdampf 
erzeugt  man  die  sog.  Schlackenwolle,  welche  als  schlechter  Wärmeleiter  mannig- 
fache Verwendung  besitzt. 

Der  granulirte  Sand  thonreicher,  basischer  Hochofenschlacken  besitzt  die 
Eigenschaft,  mit  Aetzkalk  hydraulisch  zu  erhärten.  Wird  der  granulirte  Sand 
solcher  Schlacken  mit  Kalkbrei  oder  trocken  gelöschtem  Aetzkalk  angemacht  und 
in  Formen  gestampft,  so  liefert  er  vorzügliche,  für  Luft-  und  Wasserbauten 
gleich  gut  geeignete  Mauersteine  (Dachsteine,  Belagsplatten,  ordinäre  Mauer- 
steine etc.).  Die  granulirte  und  entwässerte  Schlacke  (der  Schlackensand),  staubfein 
gemahlen,  in  bestimmten  Verhältnirisen  mit  trocken  gelöschtem  Aetzkalk  gemischt, 
liefert  ein  hydraulisches  Bindemittel,  den  sog.  Schlackencement  oder  Schlacken- 
Puzzolane,  welches  je  nach  Beschaffenheit  der  Schlacke  schon  nach  siebentägiger 
Erhärtnngsdauer  eine  ansehnliche  Sandfestigkeit,  Adhäsion,  und  Wasser-Ündurch- 
lässigkeit  besitzt  und  welches  wegen  seiner  absoluten  Zuverlässigkeit,  Frost-  und 
Wetterbeständigkeit  mit  Recht  in  die  Kategorie  der  vorzüglichsten  Mörtelbildner 
zählt. 

In  der  Schweiz  werden  sowohl  Schlackenwolle,  Schlackensteine,  Dach-  und 
Belagsplatten,  als  auch  der  vorerwähnte  Schlackencement  fabrikmäßig  erzeugt. 
Die  bei  Verhüttung  der  jurassischen  Bohnerze  in  Choindez  bei  Delsberg  gewonnene 
Hochofenschlacke  zeigt  folgende  Znsammensetzung: 

SiOä         AI2O3        FeO     MnO      CaO        Mg  0        S  O3  S  H2  0 

20,9770    22,1270    1,3370     Sp.    47,5070  0,4270    0,08  7o  0,Gl7o  0,2970 

100  Gewichtstheile  dieses  Schlackenmehls  mit  40,0  Gewichtstheilen  staub- 
förmigen Kalkhydrats  gemischt  und  homisgenisirt  lieferte  einen  Cement  mit  28 
bis  35  kg  Zug-  und  200  bis  250  kg  normengemäßer  Druckfestigkeit,  nach 
28tägiger  Wasserlageruiig.  Somit  gibt  dieses  Material  Mörtelfestigkeiten,  die 
man  bisher  nur  bei  ausgesuchten  Portlandcementen  beobachtet  hatte.  Dabei  ist 
die  Mörtelausgiebigkeit  um  ca.  15  7«  größer,  der  Preis  des  Materials  um  ca. 
45  7"  kleiner,  als  derjenige  des  Portlandcementes. 

Bei  normalem  Ofengang  liefert  das  v.  Roirsche  Eisenwerk  Choindez  pro 
Tag  ca.  2  bis  27«  Wagenladungen,  also  beiläufig  25,000  kg  fertigen  Schlacken- 
cement. Die  Schlackensteinfabrikation  wurde  in  Choindez  im  Herbste  1878,  die 
Cementfabrikatioii  im  Herbste  1880  eingerichtet.  Bisher  wurden  ca.  6  Millionen 
Mauer-  und  ca.    150,000  Stück  Dachsteine  erzeugt. 

UollUiiderkäse  (Limburger)  wird  in  vielen  kleineren  Käsereien  der  Schweis 
bereitet. 

Holländisch  Indien,  Nach  der  schweizerischen  Waarenverkehrsstatistik 
pro   1885    exportirte   die  Schweiz  in  diesem  Jahre  im  Spezialhandel  nach  Hol- 


Holländisch  Indien  —     41      —  Holland 

ländisch  Indien  Waaren  im  Werthe  von  Fr.  4'797,957  (0,7  7o  der  Totalausfuhr 
im  Spezialhandel),  und  importirte  fdr  Fr.  226,047  (0,03  ^o). 

Die  wichtigsten  Ausfuhrobjekie  waren:  Baumwollene  Artikel  Fr.  4^275,852 
(Gewebe  Fr.  3*690,939  [7  %],  Game  Fr.  474,815,  Stickereien  Fr.  102,098), 
Seidengewebe  und  -Bänder  Fr.  416,708,  I^eder  Fr.  22,610,  Maschinen  Fr.  14,146, 
Steinkohlentheerfarben  Fr.  12,100,  Musikdosen  und  SpielwerUe  Fr.  12,000, 
Wollengewebe  Fr.   7400,    kondensirte  Milch  Fr.  6204,    Leibwäsche    Fr.  4200. 

Die  wichtigsten  Ein  fuhr  Objekte  waren:  Rohe  Baumwolle  Fr.  160,200,  roher 
Kaffee  Fr.  15,555,  Farbhölzer,  Farbrinden  etc.  Fr.  11,680,  Catechu  Fr.  9675, 
Tabakblätter  etc.  Fr.   9130. 

Betreffend   Verträge  s.   „Indien**. 

UoUund.  Nach  der  schweizerischen  Waarenverkehrsstatistik  pro  1885 
exportirte  die  Schweiz  in  diesem  Jahre  im  Spezialhandel  nach  Holland  Waaren 
im  Werthe  von  Fr.  5'879,955  (0,9  %  der  Gesammtausfahr  im  Spezialhandel) 
und  importirte  für  Fr.  9'286,012  (1,2  7o). 

Die  wichtigsten  Objekte  der  Ausfuhr  waren :  Baumwollene  Artikel  Fr. 
1^782,748  (Gewebe  Fr.  980,698,  Stickereien  Fr.  510,034,  Game  Fr.  269,978), 
Uhren  und  Uhrentheile  Fr.  1'503,887  (inklusive  Musikdosen  und  Spielwerke 
Fr.  35,540),  Seide  und  seidene  Artikel  Fr.  939,839  (Game  Fr.  349,367, 
Gewebe  Fr  329,559,  Floretseide  Fr.  153,544,  Bänder  Fr.  105,384),  konden- 
sirte Milch  Fr.  683,524,  Maschinen  und  Maschinentheile  Fr.  302,347,  Wolle, 
Kunstwolle,  Wollabfälle  Fr.  149,257,  Käse  Fr.  78,667,  Chocolade  etc.  Fr.  50,522, 
ötrohgeflechte  Fr.  29,013,  Konfektions-  und  Modewaaren  Fr.  27,572,  Holz  waaren 
Fr.  25,325,  Seilerarbeiten  Fr.  19,005,  Gold-  und  Silberschmiedwaaren,  Bijouterie 
Fr.  16,540,  Farbwaaren  Fr.  16,463,  Cigarren  und  Cigarretten  Fr.  16,137, 
Eisenwaaren  Fr.  14,601,  Chemikalien  für  den  gewerblichen  Gebrauch  Fr.  11,664, 
wollene  Strumptwaaren  Fr.   10,455. 

Die  wichtigsten  Objekte  der  Einfuhr  waren :  Roher  Kaffee  Fr.  2*701,342, 
unverarbeiteter  Tabak  Fr.  419,670,  Leinöl  Fr.  379,020,  rohe  Baumwolle 
Fr.  326,550,  Chemikalien  für  den  gewerblichen  Gebrauch  Fr.  256,680  (Amlung, 
Dextrin  Fr.  61,968,  Stearin  Fr.  45,630,  Anilin  Fr.  38,150),  Leder  Fr.  194,905, 
Weizen  Yt.  178,206,  Zion  Fr.  157,780,  Cigarren  und  Cigarretten  Fr.  138,600, 
Fische  Fr.  133,742,  Wollengewebe  Fr.  128,800,  Farbstoffe  und  Farbwaaren 
Fr.  106,02(),  Eisen  und  Eisenwaaren  Fr.  97,719,  Baumwollgarne  Fr.  95,750, 
Pferde  Fr.  87,500,  Petroleum  etc.  Fr.  77,638,  Gewürze  Fr.  60,375,  Schweine- 
schmalz Fr.  50,265,  Kammgame  Fr.  49,450,  Maschinen  und  Maschinentheile 
Fr.  47,065,  lebende  Pflanzen  Fr.  37,600,  Rauch-,  Schnupf-  und  Kautabak 
Fr.  36,300,  Sämereien  Fr.  30,910,  Mais  Fr.  26,215,  Cacaobohnen  Fr.  25,420, 
Apotheker-  und  Drogueriewaaren  Fr.  23,305,  Leinen-  und  Hanfgewebe  Fr.  22,800, 
Wollenteppiche  Fr.  22,800,  Uhren  und  Uhrentheile  Fr.  20,360,  Blumenzwiebebi 
Fr.  19,800,  Flachs  und  Hanf  Fr.  19,465,  Holz  und  Holzwauren  Fr.  16,175, 
Kupfer  Fr.  15,660,  Liqueurs  Fr.  14,300,  Thee  Fr.  11,500,  Chocolade  etc. 
Fr.   11,000. 

Verträge: 

Zwischen  der  Schweiz  und  den  Niederlanden  bestehen  Verträge  in  Kraft 
betreffend : 

Die  Ai^lieferuHf/  von  Verbrechern,  d.  d.  21.  Dez.  1853  (A.  S.  IV,  pag.  98, 
frz.    108). 

Militärdienstbefreiting  der  gegenseitigen  Angehörigen,  d.  d.  4./30.  Aug. 
1862  (A.  S.  VU,  pag.  342,  frz.  337). 


BoHand  _     42     —  Holz 

Verwundete  im  Kriege  (Genfer  Konvention),  d.  d<  22.  Aug.  1864  (A.  S. 
Vm,  pag.  520,  frz.  480). 

Sprenggeschosse  (Nichtanwendung  solcher  im  Kriege),  d.  d.  29.  Nov./ll.  Dez. 
1868  (A.  S.  IX,   pag.  597,  frz.  543). 

Handel  und  Niederlassung,  d.  d.  19.  Aug.  1875  (A.  S.  n.  F.  III,  pag.  52 2, 
frz.  495). 

Posl.  1)  Weltpostvertrag  vom  1.  Jani  1878  (A.  S.  n.  F.  III,  pag.  673, 
frz.  636);  2)  Geldanweisungsvertrag  vom  15./18.  Juli  1879  (A.  S.  n.  F.  IV, 
pag.  276,  frz.   242). 

Fabrikmarkenschutz,  d.  d.  27.  Mai  1881  (A.  S.  n.  F.  5,  pag.  398,  frz.  367). 

Schutz  des  gewerblichen  EUfenthums ,  internationale  Konvention,  d.  d. 
20.  März  1883  (A.  S.  n.  F.  VII,  pag.   517,  frz.  469). 

Phylloxera,  internationale  Uehereinkunft,  Beitritt  der  Niederlande  sub 
8.  Dez.  1883  (A.  S.  n.  F.   VIII,  pag.  341). 

Holz  und  Holzwaaren.  Im  Artikel  „Forstwirthschaft*"  (S.  651)  ist 
der  jährliche  Holzertrag  der  schweizerischen  Waldungen  auf  rund  2' 789,000 
Kubikmeter  veranschlagt  worden.  Nimmt  man  dazu  den  Holzertrag  der  Obst-, 
Allee-,  Park-  und  einzeln  stehenden  Waldbäume,  der  Weinberge,  der  Hecken 
und  des  als  Brennmaterial  verwendbaren  alten  Bau-  und  Zaunholzes,  welchen 
Ertrag  Herr  Professor  Landolt  auf  rund  200,000  Kubikmeter  schätzt,  so  ergibt 
sich  ein  jährlicher  Gesammtholzertrag  von  rund  3  Millionen  Kubikmeter.  Diesem 
Ertrag  steht  ein  noch  erheblich  größerer  Verbrauch  gegenüber.  Es  ist  wieder- 
um Professor  Landolt,  welcher  berechnet,  daß  allein  in  den  607,725  Haus- 
haltungen, welche  Ende  1880  in  der  Schweiz  bestanden,  jährlich  3^646,350 
Kubikmeter  Holz  (6  Kubikmeter  per  Haushaltung)  in  Asche  verwandelt  werden. 
Dazu  kommt  sodann  noch  der  Holzverbrauch  zur  Feuerung  in  den  Fabriken,  in 
den  Werkstätten,  in  den  öffentlichen  Gebäuden,  sowie  der  Holzbedarf  in  der 
Holzwaaren-Industrie.  Es  besteht  also  ein  großer  Unterschied  zwischen  Ertrag 
und  Verbrauch,  ja  der  Ausfall  an  Holzertrag  wird  nicht  einmal  durch  die  ein- 
heimische Produktion  von  fossilen  Brennstoffen  (Torf,  Kohlen,  Anthracit)  gedeckt, 
80  daß  noch  Raum  für  eine  bedeutende  Holzeinfuhr  übrig  bleibt  (s.  unten). 

In  Folge  der  großen  Verwendungsfähigkeit  ist  das  Holz  selbstverständlich 
der  Gegenstand  eines  regen  Handels.  Im  Handelsregister  waren  Ende  1884 
658  Holzhandlungen  eingetragen,  und  Birkhäuser's  Adreßbuch  (Basel,  1885) 
verzeichnet  deren  ca.  1900.  Der  auswärtige  Handel  arbeitet,  wie  sich  aus 
der  unten  folgenden  Ein-  uud  Ausfuhrstatistik  ergibt,  hauptsächlich  mit  den  vier 
Nachbarstaaten. 

Betreffend  die  in  der  Schweiz  wachsenden  Holzarten  s.  S.  653/655. 

Einfuhr   und    Ausfuhr    von    Holz  im   Jahre    1885    (Spezialhandel). 

a,  Einfuhr 

UU8  Deutschi.     OeNterreich     Frankroicli  Italien  Rest  Total 

Gemeines  Bau- u.  Nutzholz    q     427,409  130,214  41,027  5,795  357  604,802 

Fr.  2*601,629  918,575  207,848  35,664  2,520  3'826,236 

Brennholz q     877,040  38,757  26,189  23.764  —  965,750 

Fr.  2*192,600  96,892  05,472  59,410  —  2*414,375 

Ebenistenholz      .     .     .     .    q         1,024  84  1,041  21  2,201  4,431 

Fr.      56,930  4,595  70,435  1,370  94,420  227,750 

üebrige  Holzarten  .    .    .    q     120,766  4,107  74,773  4,064  3,059  206,769 

Fr.     573,543  25,010  970,043  09,337  119,936  1'763^69 

Total    q  1*426,239      173,162      143,030       33,644      5,677  1*781,752 
,      Fr.  o  424,702  1*045,072  1*379,798     165,781  216,876  8*232,230 


Holz 

6. 

43     - 

Ausfuhr 

■ 

Holzdestillation 

nach 

DeuUcbl.     Oesterreich 

PrAokrelch 

Italien 

ReRt              Total 

Gemeines  Bau-  u.  Nutzholz 

q 

140,245 

1,106 

875,794 

92,244 

830  r  110,219 

Fr. 

728,881 

7,087  - 

4706,554 

515,092 

10,272  5'967,886 

Brennholz 

q 

20,115 

400 

72,485 

177,584 

270,584 

Fr. 

31,345 

539 

124,943 

369,908 

526,735 

Ebenistenholz     .    .    .    . 

q 

89 

1 

13 

31 

34            168 

Fr. 

5,830 

67 

2,306 

698 

2,180       11,081 

Uehrige  Holzarten  .    .    . 

q 

6,940 

1,082 

2,497 

36.646 

13,701        60,866 

Fr. 
q 

76,031 

10,513 

34,466 

280,086 

199,228     600,324 

Total 

167,389 

2,589 

950,789 

306,505 

14,565  r441,837 

» 

Fr. 

842,087 

18,206  4'868,269  ri65,784  201,680  7'106,026 

Einfuhr   und   Ausf 

uhr 

von  Holzwaaren 

im  Jah 

re  1885 

(Spezialhaiidel). 

a. 

Einfuhr 

HUB 

DeutHchl.    Oesterrelch 

Frniikreich 

Italien 

Keflt              Total 

MGbel  und  -Theile      .    . 

q 

3,095 

673 

1,679 

617 

135         6,199 

Fr. 

757,150 

155,780 

364,550 

153,020 

33,690  r464,190 

Korbflechterwaaren      .    . 

q 

2,460 

371 

712 

123 

9         3,675 

Fr. 

350,940 

45,670 

108,260 

15,240 

4,500     524,610 

Bfirstenbinderwaaren  .    . 

q 

812 

9 

102 

22 

9            954 

Fr. 

434,500 

6,300 

66,300 

11,300 

6,300     524,700 

Andere  Holzwaaren    .    . 

q 

11,140 

1,168 

2,954 

1,032 

302        16,596 

Fr. 

858,512 

81,539 

219,545 

75,222 

19,657  r 254 ,475 

Total 

q       17.507 

.     2,221 

5,447 

1,794         455       27,424 

1» 

Fr.  2*401,102 

289,289 
Ausfuhr 

758,655 

254,782    64,147  3767,975 

nach  Deatschl.     Ooiit«rr<<ich 

Franli  reich 

Italien           Rc'st             Tutul 

Möbel  und  -Theile  .    .    . 

q            723 

206 

1,139 

1.255         333         3,656 

Fr.    216,005 

49,226 

356,857 

180,703  147,686     950,477 

Korbflechterwaaren     .    . 

q              67 

8 

28 

11             1             115 

Fr.        8,121 

1,062 

19,184 

3,264      1,408       33,039 

Bürstenblnderwaaren  .    . 

q              27 

6 

14 

45           50            142 

Fr.      15,744 

2.166 

6,278 

24,891     26,540       75,619 

Andere  Holzwaaren    .    . 

q         2,929 

361 

9,276 

3,790         643        16,999 

Fr.    346,378 

95,978 

516,641 

184,711  279,752  1*423,460 

Total    q         3,746  581        10,457         5,101       1,027       20,912 

.     Fr.    586,248      148,432     898,960     393,569  455,386  2*482,595 

Betreifend  Holzwaarenindustrie  s.  Holzschnitzierei,  Holzstoff,  Möbel, 
Parqueteriefabrikati on,  Sägerei . 

Holzcement  ist  ein  durch  Kochen  von  Steinkohlentheer  mit  Theerpech 
(bisweilen  auch  mit  Holzthet^rpech)  und  Schwefel  dargest^jlltes  Produkt,  welches 
WUT  Herstellung  von  flachen,  feuersicheren  Dächern  vielfache  Verwendung  findet. 
Dasselbe  wurde  früher  ausschließlich  aus  Deutschland  eingeführt,  wird  aber  jetzt 
auch  im  Inlande  fabrizirt.  Jfolzcementdächer  haben  sich  seit  dem  Brande  von 
Layin  hauptsächlich  in  Graubünden  eingebürgert.  Fabrikanten  von  Holzcement 
und  -Bedachungen  sind  nach  dem  Handelsregister  Heinrich  Brand li  in  Horgen, 
Frölicher  &  Glutz  in  Solothnrn,  A.  Giesker  in  Zürich,  G.  Heß  in  Wald,  Kt. 
Zürich,  Otto  Lehmann-Huber  in  Zürich,  J.  Traber  in  Chur. 

Holzdestillation.  Es  sollen  4  Geschäfte  dieser  Art  in  der  Schweiz  bestehen 
(G.  Heß  in  Wald,  Kt.  Zürich,  Schneiter-Billeter  in  Feuerthalen,  J.  Ed.  Dändliker 
in  Seegubel  bei  Kapperswyl,  Marty  &  Co.  in  Ennenda,  Kt.  Glarus).  Die  Holz- 
destillation bezweckt  die  Gewinnung  von  Holzessig  und  Holzkohle  als  Haupt- 
prodnkte,  nebst  einer  Reihe  von  Nebenprodukten,  z.  B.  Holzesfiigsäure,  Holzgeist, 


Holzdestillation  —     44     —  Holzsohnitzlerei 

holzessigsaurer  Kalk,  destillirter  Holzesdg,  Borsäare,  Gerbsäure,  holzessigsaares 
Eisen,  Eisenbeize.  Die  Schweizer  Waare  ist  meist  von  guter  Qualität  und  ent- 
spricht allen  Anforderungen  der  Färber  und  Drucker.  Die  Destillation  des  Holzes 
geschieht  in  der  Schweiz  theils  in  liegenden  Eetorten  von  Schmied-  oder  Guß- 
eisen, theils  in  stehenden  Kesseln,  welche  nach  jeder  Operation  mittelst  eines 
Krahnes  zur  Abkühlung  herausgehoben  werden,  während  ein  neuer  vorher  mit 
Holz  beschickter  Kessel  eingesetzt  wird.  Das  verwendete  Holz  ist  großentheils 
Buchenholz  aus  dem  Schwarz wald. 

Holzessig  wird  an  mehreren  Orten  in  der  Schweiz  durch  trockene  Destillation 
von  Holz  (namentlich  Buchenholz)  in  eisernen  Retorten  erzeugt,  wobei  Holz- 
kohlen und  Holztheer  als  Nebenprodukte  entstehen.  Verwendet  wird  er  wesentlich 
zur  Darstellung  von  reiner  Holzessigsäure  und  einer  Lösung  von  holzessigsaurem 
Eisen,  welche  in  der  Seidenschwarzfärberei  und  im  Kattundruck  in  großen  Mengen 
gebraucht  wird.  Der  rohe  Holzessig  ist  durch  theerige  Substanzen  sehr  stark 
gefärbt  und  besitzt  einen  entsprechenden  Geruch,  kann  aber  durch  Kaffinirung 
in  ganz  reine  Essisgäure  (s.  d.)  umgewandelt  werden,  welche  für  alle  Zwecke 
brauchbar  ist.  Die  Schweiz  produzirt  lange  nicht  ihren  ganzen  Bedarf  an  den 
angeführten  Artikeln;  der  Rest  kommt  namentlich  aus  Deutschland. 

Dem  Fabrikgesetz  ist  als  Holzessiggeschäft  das  Etablissement  der  Firma 
E.  Wegmann  in  Uttweil  (Thurgau)  unterstellt. 

Uolzessigsäure,  rohe.  Einfuhr  im  Jahre  1885:  6075  q  k  Fr.  12; 
davon  4725  q  aus  Deutschland,   1350  q  aus  Frankreich. 

Ausfuhr  1885:  69  q  a  Fr.  19.  70;  davon  61  q  nach  Deutschland,  Rest 
nach  Oester reich. 

Holzessigsaurer  Kalk  wird  aus  roher  Holzessigsäure  dargestellt  und  zur 
Herstellung  von  reiner  Essigsäure  verwendet.  Er  bildet  zuweilen  einen  Gegen- 
stand des  Zwischenhandels  und  wird  auch  ziemlich  stark  in  die  Schweiz  eingeführt. 

Holzgeist  wird  in  den  größeren  Holzessigfabriken  als  Nebenprodukt  bei 
der  Darstellung  der  reinen  Essigsäure  gewonnen  und  in  immer  größerer  Menge 
bei  der  Fabrikation  von  Farbstoffen  verwendet.  Die  Schweiz  produzirt  nur  einen 
kleinen  Theil  des  hier  verwendeten  Holzgeistes.  Der  käufliche  Holzgeist  ist  ein 
mehr  oder  weniger  verdünnter  und  verunreinigter  Methylalkohol. 

Holzimprägniruiig,  Mehr  oder  weniger  vollkommene  Einrichtungen  für 
die  Imprägnirung  mit  Zinkchlorid  unter  hohem  Druck  bestehen  in  Zürich,  Dels- 
berg  und  Burgdorf,  fast  ausschließlich  für  Eisenbahnzwecke.  (Die  Schwellen  der 
Gotthardbahn  sind  sämmtlich  mit  Zinkchlorid  oder  Quecksilbersublimat  imprägnirt.) 
Kleinere  Einrichtungen  für  Knpfervitriol-Impräguirung  nach  Boucherie\  Verfahren 
bestehen  an  mehreren  Orten,  u.  a.  im  Sihlwald  bei  Zürich.  Sie  werden  nicht 
selten  mit  Vortheil  an  den  Schlagorten  in  den  Wäldern  vorübergehend  errichtet 
und  empfehlen  sich  besonders  beim  Buchenholz,  da  sich  dieses  am  leichtesten  in 
frischem  Zustand  imprägniren  läßt. 

Holzkohlen.  Einfuhr  im  Jahre  1885:  56,010  q  a  Fr.  9;  davon  27,989  q 
aus  Deutschland,   23,841  q  aus  Frankreich,  3395  q  aus  Italien. 

Ausfuhr  1885:  31,379  q  a  Fr.   7.  57;  davon  30,918  q  nach  Italien. 

Holzschnitzlerei.  Mit  diesem  schönen  Industriezweig  befaßten  sich  im 
Jahre  1880  laut  eidg.  Volkszählungsstatistik  1307  Personen,  und  zwar  1236 
allein  im  Kanton  Bern.  Hauptsitze  der  Industrie  sind  die  Bezirke  Interlaken, 
Brienz  und  Mey ringen.  Der  Werth  der  Jahresproduktion  wird  auf  zwei  bis  drei 
Millionen  Franken  geschätzt.  Der  Absatz  bewerkstelligt  sich  zu  etwa  Y»  im 
Inlande  (meist  an  Touristen),  zn   '^Iz  im  Auslande. 


Holzschnitzlerei  —      45     —  Holzschnitzlerei 

Ihren  Ursprnni;^  hatte  die  Holzächnitzindastrie  in  der  natürlichen  Geschick- 
lichkeit eines  unternehmenden  Mannes  von  Brienz,  Christian  Fischer,  der  Heil- 
ktinstler,  Instrumentenmacher,  Musiker  etc.  war  und  im  Jahre  1825  auch  anfing, 
ganz  aus  sich  seihst  kleine  Gegenstände,  wie  Körbchen,  Besteckringe,  Teller, 
Eierbecher  u.  dgl.  mit  Blattyerzierungen  etc.,  zu  schnitzen  und  dieselben  an 
durchreisende  Fremde  als  Andenken  zu  verkaufen.  Die  guten  Geschäfte,  welche 
er  hiebei  machte,  führten  ihm  mehrere  Lehrlinge  aus  Brienz  in  die  Werkstätte. 
Von  diesen  übertrafen  bald  etliche  den  in  seinen  Beschäftigungen  unbeständigen 
Meister.  Das  Gelingen  der  Fischer'schen  Unternehmung  ermuthigte  auch  Fene 
in  Lauterbrunnen  und  Peier  Baumann  in  Grindelwald  zur  Schnitzlerei.  Sie  be- 
gannen mit  der  Fabrikation  der  bekannten  kleinen  Schweizerhäuschen.  Baumann 
und  seine  drei  Söhne  ließen  sich  später  in  Meiringen  nieder,  wo  Andreas  durch 
seine  meisterhafte  Nachahmung  von  Blumen  und  überhaupt  durch  den  Versuch, 
statt  der  bisherigen  flachen  Darstellung  das  erhabene,  vollständig  modellirte 
Ornament  auszuführen,  ein  neues  Feld  eröffnete,  das  bald  nachher  durch  Hwjgler 
mit  Thiergruppen,  Jagdstücken  und  Figuren,  wie  Gemsjäger  etc.,  erweitert  wurde. 
Die  Arbeiten  dieser  ersten  Meister  sollen  nach  kompetentem  Urtheil  jetzt  noch 
ihres  Gleichen  suchen;  sie  dienten  lange  Zeit  den  Schnitzlern  als  Vorbild.  Die 
Industrie  verbreitete  und  vervollkommnete  sich  allmälig,  namentlich  auch  hin- 
sichtlich der  künstlerischen  Auffassung  und  Durchführung  der  größeren  Arbeiten. 
Die  Berner  Regierung  sandte  in  den  30er  Jahren  den  Bildhauer  Christen  nach 
Brienz,  damit  er  dort  Unterricht  im  Zeichnen  und  Modelliren  ertheile.  Noch 
kräftigere  Förderung  erhielt  der  neue  schöne  Industriezweig  Ende  der  40er  Jahre, 
als  von  auswärts  kommende,  technisch  und  kommerziell  gebildete  und  erfahrene 
Persönlichkeiten  (u.  A.  ein  Herr  Wirth  aus  dem  Elsaß)  eingriffen.  Die  künst- 
lerisch bedeutend  vervollkommneten  Produkte  fanden  steigende  Anerkennung. 
Mit  den  Eisenbahnen  erweiterte  sich  auch  der  Fremdenstrom;  zugleich  begann 
der  Export,  so  daß  schließlich  mehrere  tausend  Personen  von  der  Schnitzlerei  zu 
leben  vermochten. 

Die  Abnahme  des  Fremdenverkehrs  in  den  70er  Jahren  und  eine  gewisse 
Stagnation  der  Formen  der  Schnitzlereiprodukte  bewirkten  eine  Krisis  und  be- 
trächtliche Abnahme  der  Schnitzlerzahl,  nach  allgemeinem  Urtheil  zum  Segen 
des  Industriezweiges,  denn  es  waren  vorwiegend  die  talentlosen  Kräfte,  die  ab- 
fielen ;  es  bildete  sich  überall  die  Ueberzeugung,  daß  ein  ernsteres  künstlerisches 
Streben  und  Fortschreiten  Platz  greifen  und  mehr  Neues  zu  Tage  gefördei*t 
werden  müsse.  Auch  wurde  im  Jahre  1881  in  Brienz  das  auf  dem  Prinzipe  der 
Kooperation  beruhende  „Oberländer  Holzschnitzerei-Institut*"  auf  Aktien  gegründet, 
zur  Ermöglichnng  einer  gleichmäßig  fortdauernden  Produktion  der  Arbeiter  und 
Künstler.  Die  Produkte  werden  in  einer  Verkaufshalle  aufgestapelt  und  es  können 
dafür  Vorschüsse  erhoben  werden.  Eben  dieses  Institut  wirkt  seit  einiger  Zeit 
auch  für  die  Aufnahme  der  Kunstmöbelfabrikation  und  die  Hebung  der  ange- 
wandten Holzschnitzlerei  überhaupt,  die  in  vergangenen  Jahrhunderten  in  der 
Schweiz  wie  anderswo  von  geschickten  Meistern  gehandhabt  wurde,  wie  heute 
noch  manches  bewunderte  Stück  jener  Zeit  beweist.  Aehnliche  Bestrebungen  zur 
künstlerischen  Hebung  der  Möbelschnitzlerei  und  Fabrikation  feiner  Möbel  über- 
haupt, für  welche  das  Land  so  treffliches  Eohmaterial  in  mannigfaltigster  Auswahl 
bietet,  werden  auch  in  andern  Kautonen  gemacht,  wobei  die  Kunstgewerbemuseen 
wesentliche  Unterstützung  gewähren.  Als  großes  Hinderuiß  wird  aber  hiebei  der 
Mangel  eines  schweizerischen  Muster-  und  Model Ischutzgesetzes  empfunden.  (Vgl. 
Bericht  über  die  Industrieausstellung  in  Bern  im  Jahre   1S57;    Bolley,    Bericht 


Holzschnitzlerei  —     46     —  Honig 

über  die  Pariser  AusstelluTig  von  1867;  Salvisbergy  Die  Holzschnitzerei  des 
Berner  Oberlandes ;  Baumgariner,  Einleitung  zum  Katalog  der  Landesausstellung 
in  Zürich,   1883;  Davinet,  Bericht  über  Gruppe  10  dieser  Ausstellung.) 

Die  Ausfuhr  von  Holzschnitzereien  betrug  im  Jahre  1883:  1342  q,  1884: 
1181  q,  pro  1885  sind  die  H.  in  der  Waaren Verkehrsstatistik  nicht  mehr  be- 
sonders aufgeführt. 

Die  Kinfuhr  betrug  im  Jahre   1883:  272  q,   1884:  331  q. 

Im  Handelsregister  waren  Ende  1884  46  Holzschnitzereigeschäfte  ein- 
getragen, wovon  32  als  Fabrikationsgeschäfte  (21  Kt.  Bern,   11  Kt.  Luzem). 

Dem  Fabrikgesetz  sind  2  Firmen  unterstellt. 

Holzstoff,  Es  bestehen  ca.  10  inläudische  Holzstofffabriken,  welche  weit 
mehr  produziren,  als  die  inländischen  Papierfabriken  bedürfen.  Es  findet  daher 
ein  bedeutender  Export,  namentlich  nach  Frankreich,  statt.  Die  erste  Holzschleif- 
maschine in  der  Schweiz  wurde  im  Jahre  1853  in  der  Nähe  von  Kriens,  in 
der  jetzt  eingegangenen  Büttenpapierfabrik  Horw,  gebaut  und  in  Isleten  (Uri) 
aufgestellt.  Im  gleichen  Jahre  wurde  eine  zweite  für  die  Papierfabrik  Worblaufen, 
eine  dritte  für  die  Herren  Turneisen  in  Basel,  eine  vierte  für  die  Papierfabrik 
Wülflingen  gebaut.  Die  fünfte  Maschine  lieferte  Papiermaschinenfabrikant  Voelters 
in  Heidenheim  im  Jahre  1854  der  Papierfabrik  an  der  Sihl  (Zürich).  Diese 
Maschinen,  einfach  und  primitiv  gebaut,  waren  noch  quantitativ  und  qualitativ 
von  geringer  Leistungsfähigkeit. 

Die  eigentliche  Entwicklung  der  Holzstofffabnkation  mit  neuen,  vervoll- 
kommneten Maschinen  fällt  in  die  zweite  Hälfte  der  60er  Jahre  und  in  die  ersten 
70er  Jahre. 

Den  hervoiTagendsten  Antheil  an  der  Vervollkommnung  und  Lieferung  der 
Schleifmaschinen  und  sonstigen  Einrichtungen,  auch  für  das  Ausland,  hat  das 
Haus  Theodor  Bell  dt  Co.  in  Kriens  (Luzern),  das  bis  jetzt  über  100  Schleif- 
maschinen geliefert  hat.  (Vergl.  Wnhrmanji  im  Bericht  über  Gruppe  22  der 
Landesausstellung  in  Zürich,   1883.J 

Dem  Fabrikgesetz  sind  (Ende  1885)  8  Etabl.  mit  256  Arb.  und  1500 
Pferdekräften  unterstellt. 

Die  Ausfuhr  von  Holzfaserstoff  zur  Papierfabrikation  betrug  im  Jahre 
1883:  55,548  q,  1884:  72,733  q,  1885:  112,538  q  zum  deklarirten  Werthe 
von  Fr.  1'634,983;    80,742  q  gingen  nach  Frankreich,   31,332  q  nach  Italien. 

Die  Einfuhr  betrug  pro  1883:  22,049  q,  1884:  19,710  q,  1885: 
23,632  q  zum  Werthe  von  Fr.  376,181;   22,254  q  kamen  aus  Deutschland. 

Uolztheer  wird  bei  der  Holzessigfabrikation  als  Nebenprodukt  gewonnen. 
Verwendet  wird  er  z.  B.  zur  Darstellung  von  Pech  und  Holzcement,  jedoch  wird 
er  meist  noch  unter  den  Ketorten  wieder  verbrannt. 

Holztypenfabrikation.  Diesen  Geschäftszweig  betreiben  laut  Fabrikregister 
die  Firmen  Koman  Scherer  in  Luzern  und  A.  Martin  &  Cie.  in  Ardon,  Wallis. 

Holz-  und  Blechinstrunieiitenfabrikation.  Mit  diesem  Erwerbszweig 
befaßten  sich  im  Jahre  1880  159  Personen  und  zwar  zumeist  im  Kanton  Aargau, 
ferner  in  den  Kantonen  Bern,  Zürich,  Waadt  und  Baselstadt. 

Honduras.  Mit  diesem  Staate  ist  die  Schweiz  in  vertraglicher  Beziehung 
durch  den  Weltpostvereinsverirag,  dem  H.  am  6.  Januar  1879  beigetreten  ist 
(A.  S.  n.  F.  IV,  pag.  12). 

Honig  s.  Bienenzucht.  Einfuhr  im  Jahre  1885:  1634  q  ä  Fr.  122.  50; 
davon  701  q  aus  Deutschland,  242  q  aus  Frankreich,  225  q  aus  Oesterreich, 
163  q  aus  Italien,   107  q  ans  Belgien,  98  q  aus  Großbritannien,  46  q  aus  Holland. 


Honig  —     47     —  Honigpflanzen 

Ausfuhr  1885:  243  q  a  Fr,  177.  50;  davon  127  q  nach  Dentschland, 
39  q  nach  Frankreich,  20  q  nach  Italien,  19  q  nach  Oesterreich,  18  q  nach 
Großbritannien,   15  q  nach  Belgien. 

Honiggras,  das  wollene,  eine  Futterpflanze  von  bestrittenem  landwirth* 
achaftlichem  Werth,  .auch  Honigschmale,  Zuckerdchmale,  Mehlhalm,  Wollgras, 
Darrgras,  Frauengras,  Pferdegras,  ßoßgras  etc.  genannt,  findet  sich  in  cfer  Schweiz 
auf  allen  Bodenarten,  auf  Wiesen,  Triften,  an  Dämmen  und  Waldrändern. 

Im  Jura  steigt  die  Pflanze  bis  1400  m,  in  den  Glarner  und  Graubündner 
Alpen  bis  ca.   1700  m. 

Besonders  üppig  entwickelt  sich  dieses  Gras  in  gereutetem  Waldboden, 
überhaupt  auf  humusreichen,  lockeren  Bodenarten,  und  wird  deßhalb  auf  diesen 
Standorten  häufig  zum  gefürchteten  Unkraut,  da  es  durch  Selbstbesamung  über- 
hand nimmt  und  im  Ertrag  in  Qualität  und  Quantität  anderen  Futterpflanzen 
nachsteht.  Sein  Anbau  empfiehlt  sich  nur  auf  Torfboden,  sowie  auf  mageren 
Sandböden,  wo  bessere  Futterpflanzen  nicht  mehr  gedeihen;  da  ist  es  ein  werth- 
voller  Lückenbüßer.  („Die  besten  Futterpflanzen ** ,  von  Dr.  F.  G.  Stehler,  Vorlag 
von  K.  J.  Wyß  in  Bern.) 

Honigpflanzen.  (Mitgetheilt  von  Herrn  Lehrer  Kr  am  er,  Aktuar  des 
TereiuR  schweizerischer  Bienenfreunde.)  Als  Honigpflanzen  qualifiziren  sich  zu- 
nächst diejenigen  Phanerogamen,  die  in  erheblichem  Maße  Nektar  absondern,  der 
von  den  Bienen  gesammelt  wird.  Unter  den  weitern  Begritt'  „Bienennährpflanzen'* 
fällt  sodann  noch  eine  beträchtliche  Zahl  nur   „Pollen"   liefernder  Pflanzen. 

Die  Nektarquellen  der  meisten  Honigpflanzen  sind  die  Blüthen,  bei  einigen 
sind  es  extrafloraie  Nektarien  am  Blattstiel  (Wicke),  bei  noch  andern  tritt  unter 
gewissen  atmosphärischen  Bedingungen  nektarähnlicher  Zellinhalt  aus  der  Blatt- 
flache (Honigthau),  und  endlich  beherbergen  gewisse  Pflanzen  thierische  Schmarotzer, 
die  den  Zellinhalt  in  einen  den  Bienen  angenehmen  »üßen  Saft  verarbeiten  (Stein- 
obst, Koniferen). 

Die  Zahl  bedeutsamer  Honigpflanzen  ist  eire  verhältnißmäßig  beschränkte, 
weil  1)  viele  Blüthen  den  Bienen  nicht  sympathisch  sind,  2)  die  Nektar- 
absonderung vieler  eine  sehr  minime  ist,  und  3)  manch'  qualitativ  vorzügliche 
Honigpflanze  numerisch  nicht  konkurriren  kann. 

Die  Bedeutung  ein  und  derselben  Honigpflanze  wechselt  je  nach  Standort , 
Bodenart  und  Witierunff.  So  honigt  die  Esparsette  am  reichlichsten  in  Kalk- 
boden, der  Buchweizen  in  leichtem  Sandboden,  der  Bärenklau  bei  anhaltender 
Hitze,  der  Kirschbaum  bei  feuchtwarmer  Witterung  etc. 

Zu  den  hervorragendsten  Honigpflanzen  zählen  die  Cruziferen :  Reps,  Arabis, 
Gardamine;  die  Compositen:  Löwenzahn,  Centaureen,  Skabiosen;  die  Labiaten: 
Salbei,  Thymian ;  die  Papilionaeeen :  Esparsette,  Bastardklee,  Akazien ;  die 
Bosaceen :  Obstbäume,  Himbeeren,  Linden ;   die   Umbelliferen :  Bärenklau. 

Unter  den  Kulturpflaneen  sind  von  meist  nur  lokaler  Bedeutung:  Reps, 
Flachs,  Buchweizen,  Wicke,  Esparsette,  Bastard-,  Weiß-  und  Inkarnatklee  und 
Luzerne. 

Ein  ausgiebiges  Arbeitsfeld  der  Bienen  sind  die  Wiesen :  Nasse  Wiesen  im 
März /April  und  Juli /August,  trockene  Wiesen  im  Mai /Juni. 

Im  besten  Ruf  als  Bienenweide  steht  auch  der  Wald,  ganz  besonders  der 
lichte  junge  Laubwald  mit  seiner  reichen  Flora  und  der  Weißtann\ 

Beaohtenswerth  ist  auch  die  Flora  der  Gärten  und  Anlagen.  Es  empfehlen 
doh  für  den  Bienengarten  als  Frühliwßs-  und  Sommerfior :  Christblume,  Winter- 
ling,   CrocoB,    Arabis,    £[aiserkrone,   Vergißmeinnicht,    Silene,   Lobelien,    Reseda, 


Honi^flanzen  —     48     —  Hopfenklee 

Polemonien,  Vanille;  als  Zier^  tmd  Beerensträucher:  Cornelkirsche,  Haseln, 
Lonizeren,  Blias,  Deozien,  Sclineebeeren,  Himbeeren,  Stachelbeeren.  Unter  den 
Hochstämmen  der  Anlagen  sind  von  Bienen  umworben :  Ulme,  Aspe,  Spitzahorn , 
Boßkastanie,  Akazie,  Linde. 

Fast  ausnahmslos  gute  Honigpflanzeu  sind  die  allbekannten  Arznei-  und 
Gewürzkränter :  Thymian,  Lawendel,  Ysop,  Pfeffermtlnze,  Boretsch,  Salbei, 
Maloen,  Zwiebeln. 

Versuche  im  Anbau  spezieller  Honigpflanzen  haben,  weil  meist  zu  kleinlich, 
noch  zu  keinen  namhaften  Erfolgen  geführt.  Es  empfieht  sich  selbstverständlich 
die  Berücksichtigung  solcher,  die  noch  anderweitige  Verwerthung  finden,  ganz 
besonders  der  Futterpflanzen. 

Etwelche  Verbesserung  der  Bienenweide  ist  auch  dadurch  zu  erreichen,  daß 
sterile  Halden  mit  anspruchslosen  Honigpflanzen  besetzt  werden,  die  von  selbst 
sich  fortpflanzen,  als :  Riesenhonigklee,  Sedum,  Natternkopf,  Wiesensalbei,  Boretsch. 

Gänzlich  bedeutungslos  für  die  Biene  sind  unkrautfreie  Weinberge,  Getreide-» 
Eartoflel-  und  Rtibenfelder. 

Hopfen.  Der  Hopfen,  welcher  in  allen  Gauen  der  Schweiz  als  wilde  Pflanze 
vorkommt,  wird  trotz  seines  riesigen  Verbrauchs  in  der  Schweiz  doch  nirgends 
in  großer  Ausdehnung  angebaut.  Wir  finden  kleinere  Hopfenpflanzungen  in 
Herzogenbuchsee  (Herr  S.  Fr.  Moser,  ca.  2Vs  Jucharten,  angelegt  1867),  auf 
der  Ackerbauschule  Bütti,  im  Strickhof  bei  Zürich,  in  Avenches,  in  Buchs,  in 
Dießenhofen  etc.;  wir  sind  aber  trotzdem  für  den  Hopfen  stark  vom  Auslande 
abhängig.  Derselbe  wird  hauptsächlich  aus  Bayern  und  Böhmen  bezogen.  Der 
durchschnittliche  Mehrimport  betrug  von  1875 — 1884  jährlich  3861  q  im  Werth 
von  1  */« — 2  Millionen  Franken.  Die  schweizerischen  Bierbrauereien  verwendeten 
im  Jahre  1882  (laut  den  Ermittlungen  des  Schweiz.  Bierbrauer  Vereins)  4058  q, 
wovon  nur  45  q  schweizerisches  Produkt. 

Nach  einer  von  Herrn  Sam.  Friedr.  Moser  in  Herzogenbuchsee  während 
einem  Zeitraum  von  16  Jahren  genau  geehrten  Bechnung  stellen  sich  Kosten 
und  Ertrag  per  Hektare  per  Jahr  durchschnittlich  auf:  Ausgaben  Fr.  1643^ 
Einnahmen  Fr.  2612,  Beingewinn  Fr.  969. 

Der  Hopfenbau  würde  sich  noch  besser  lohnen,  wenn  sog.  Hopfenmärkte 
Eingang  fänden.  Weil  diese  leichte  Absatzgelegenheit  fehlt,  sind  die  wenigen 
Hopfenpflanzer  in  der  Schweiz  gezwungen,  ihre  Produkte  unter  dem  Handelspreise 
abzugeben.  Weitere  Folgen  sind,  daß  die  Anpflanzungen  klein  bleiben  und  daß 
gut  eingerichtete  Trockenhäuser,  durch  welche  das  Produkt  im  Werth  gesteigert 
werden  könnte,  fehlen. 

Herr  Moser  in  Langenthai  hat  während  einer  Beihe  von  Jahren  seinen 
Hopfen  nach  Chili  verkauft,  später  nach  Frankreich. 

In  Bezug  auf  die  Qualität  kommt  der  Kchweizerische  Hopfen  den  besten 
ausländischen  Gewächsen  gleich;  er  gedeiht  am  besten  in  sandigem  Lehmboden 
und  in  vor  Winden  geschützter  Lage.  And. 

Einfuhr  im  Jahre  1885:  4077  q  zum  Werthe  von  Fr.  2^038,500.  3465  q 
zu  Fr.  1'732,500  kamen  aus  Deutschland,  601  q  zu  Fr.  300,500  aus  Oesterreich- 
Ungarn. 

Ausfuhr  im  Jahre  1885:   127  q  zum  Werthe  von  Fr.  40,372. 

Uopfenklee,  eine  nährstoffreiche  Futterpflanze,  auch  Hopfenluzerne,  großer 
Hopfenklee,  Wolfsschneckenklee,  Wolfsklee,  gelber  Klee,  Gelbklee,  gelber  Wiesen- 
klee, Steinklee,  Hirsenklee,  Minette  genannt,  gedeiht  besonders  auf  kalkhaltigen 
frischen  Aeckem,   Wiesen,   Weiden,   in  lichten  Waldungen  und  steigt  bis  in  die 


Hopfenklee 


—     49     — 


Hotelwesen 


alpine  Region  (im  Oberengadin  in  Pontresina  und  Celerina  1850  m,  im  Berner 
Oberland  am  Männlichen  1800  m).  Der  H.  kann  auf  allen  Böden,  die  einige 
Feuchtigkeit  und  einigen  Ealkgehalt  besitzen  und  nicht  zu  arm  sind,  gebaut 
werden,  mit  Ausnahme  von  ausgesprochen  nassen  und  sauren  Bodenarten.  Sogar 
auf  ziemlich  trockenen  Sand-  und  Moorböden  kommt  er  fort,  wenn  dieselben 
dttngerkräftig  und  kalkhaltig  sind.  Am  besten  gedeiht  er  aber  auf  Thonmergel- 
boden.  Weil  nicht  besonders  ergiebig  und  ausdauernd,  ist  seine  Kultur  nur  auf 
solchen  Bodenarten  am  Platze,  wo  die  besseren  Kleearten  nicht  mehr  gedeihen. 
(„Die  besten  Futterpflanzen",  von  Dr.  F.  G.  Stehler,  Verlag  von  K.  J.  Wyß  in 
Bern.) 

Uornassecher,  auch  Sigristenapfel,  später  süßer  Yerenacher  genannt, 
Wirthschaftsfrucht  ersten  und  Tafelfrucht  dritten  Ranges  (Herbstfrucht),  ist  im 
Kanton  Luzern  längst  einheimisch  und  verbreitet.  Es  ist  wohl  eine  hier  aus  Kern 
entstandene  Sorte,  die  sich  auch  in  den  ELantonen  Aargan,  Bern  und  Solothum 
häufig  vorfindet.  Mit  dem  Homußecher  dea  Aargau  ist  derselbe  nicht  zu  ver- 
wechseln. Der  Baum  liebt  einen  tiefgründigen,  humusreichen  Boden,  hat  guten 
Wuchs,  wird  groß  und  dauerhaft  und  ist  außerordentlich  finichtbar.  Man  hat 
Bäume,  die  über  100  Jahre  alt  sind.  Ausgewachsen  trägt  der  Baum  alljährlich, 
doch  je  nur  alle  zwei  Jahre  reichlich,  wo  dann  der  volle  Ertrag  auf  80 — 100 
Bester  steigt.  («Schweizerische  Obstsorten**,  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribel- 
hom  in  St.  Gallen.) 

Hotelwesen.  Ca.  1000  eigentliche  Gasthöfe  mit  ungef.  16,000  Angestellten 
und  58,000  Betten  stehen  den  Beisenden  in  der  Schweiz  zu  Gebote.  Der  Werth  der 
Immobilien  beträgt  240  Mill.  Fr.,  der  Mobilien  737«  Mill.  Fr.,  der  Yorräthe, 
reep.  des  Betriebskapitals,  6  Mill.  Fr.,  die  Brutto-Jahreseinnahme  52,8  Mill.  Fr., 
die  Ausgaben  pro  Jahr  36,8  MiU.  Fr.,  das  Netto-Ergebniß  ca.  16  Mill.  Fr. 
Diese  großen  Zifiem  für  ein  so  kleines  Land  deuten  hinlänglich  an,  wie  bedeutend 
der  Verkehr  von  Geechäits-  nnd  Yergnügungsreisenden  in  der  Schweiz  sich  ent- 
wickelt hat  und  wie  g^oß  das  materielle  Interesse  ist,  welches  sich  an  den 
Beisendenverkehr  in  der  Schweiz  heftet.  (Die  Schätzungen  des  Waarenkonsnms 
durch  Yergnügungsreisende  in  der  Schweiz  variren  zwischen  50  und  100  Mill. 
Fr.  per  Saison.)  Die  oft  gebrauchte  Bezeichnung  üotelindttstrie  ist  daher  eben 
80  gerechtfertigt  als  charakteristisch. 

Die  angegebenen  Zifiem  beziehen  sich  auf  Ermittlungen  des  Schweiz.  Gast- 
wirth Vereins  und  betreffen  speziell  das  Jahr  1880. 

Die  Kantone  folgen  sich  hinsichtlich  der  Zahl  der  Etablissements  in  folgender 
Ordnung: 

9.  (16)  Appenzell   .  39 

10.  (6)  Luzern  .     .  39 

11.  (20)  Unterwald.    29 

12.  (21)  Uri  .     .     .  27 

13.  (11)  Genf      .     .  25 

14.  (8)  Basel     .     .21 

15.  (7)  Tessin   .     .  20 

16.  (19)  Glarus  .     .   18 

Die  21ahlen  in  Klammer  bedeuten  den  Bang,  den  die  Kantone  hinsichtlich 
ihrer  Bevölkerungszahl  einnehmen.  Es  ergibt  sich  aus  der  Yergleichung  beider 
Bangzahlen  die  relative  Bedeutung,  welche  jeder  Kanton  als  Anfenthaltsgebiet 
von  Beisenden  hat.     Belativ  am  meisten  Hotels  haben  hienach  die  drei  kleinen 


1.  (14)  Graubttnden  179 

2.  (3)  Waadt  . 

3.  (1)  Bern      . 

4.  (17)  Schwyz 
5-  (12)  Wallis  . 

6.  (5)  Aargan 

7.  (2)  Zürich  . 

8.  (4)  St.  Gallen 


109 
107 
87 
79 
67 
51 
40 


17.  (13)  Thurgau     .  18 

18.  (10)  Neuenburg.  16 

19.  (22)  Zug.     .     .  13 

20.  (18)  Schaff  haus.  9 

21.  (15)  Solothum   .  6 

22.  (9)  Freiburg     .  3 


Forrer,  VolktwirtbichafU-Lexikon  der  Schweiz. 


Hotelwesen 


—     50     — 


Hülfsgesellschaften 


XJrkantone  Uri,  Schwyz  und  ünterwalden,  »owie  Graubünden,  dann  Wallis  und 
Appenzell.  Relativ  am  wenigsten  Gasthäuser  hat  Freiburg,  dann  Neuenburg  und 
Zürich. 

Die  ca.  1000  Gasthöfe  gaben  im  Jahre  1880  Fr.  23'800,000  für  Lebens- 
mittel und  Getränke  aus  und  zwar  machten  sie  folgende  Bezüge  vom  Ausland: 
Wein  Fr.  3'500,000,  Geflügel  Fr.  2^040,000,  Fische  Fr.  1^200,000,  Konserven 
Fr.  1*025,000,  Kaffee  Fr.  600,000,  Zucker  Fr.  500,000,  Thee  Fr.  240,000, 
Tafelöl  Fr.  200,000,  zusammen  Fr.  9^305,000.  (Vergl.  Ghi^er,  Bericht  über 
das  Hotel wesen  an  der  Landesausstellung  in  Zürich,   1883.) 

Im  Handelsregister  waren  Ende  1884  nur  680  Gasthöfe,  Kurhaus^ 
and  Pensionen  eingetragen,  obwohl  laut  einem  Rekursalentscheid  des  Bundestttthes 
das  Gtisthofgewerbe  zur  Eintragung  in  das  Handelsregister  verpflichtet. 

Hfilfsdünger  s.  pag.  459  d.   Lexikons. 

Hülfsgesellschaften.  a.  In  der  Schweiz:  Eine  Statistik  der  gegen- 
seitigen Hülfsgesellschaften  in  der  Schweiz  ist  erstmals  im  Jahre  1869  und  zum 
zweiten  Mal  im  Jahre  1879  von  Herrn  Professor  Dr.  Kinkelin  in  Basel  be- 
arbeitet worden.    Die  Hauptresultate  ans  diesen  Jahren  waren: 

Vereine     Mitglieder  Vermögen  Einnahmen  Ausgaben,  wovon  Krankengelder 

1869  636  96,003  Fr.  7'872,020  Fr.  r529,098  Fr.  r059,418  Fr.  550,671 
1879      1072      189,566        .    15'807,423        .    3*688,076        ,    2*867,015        ,    1*370,219 

Nach  der  Zahl  der  Vereine  nahmen  die  Kantone  im  Jahre  1879  folgende 
Bangordnung  ein: 


Bang          Kanton 

Vereine 

Rang          Kanton 

Vereine 

Rang          Kanton 

Vereine 

1.  Zürich 

.    211 
.     160 
.     124 

82 
72 
65 
46 
46 
39 

10.  Waadt      .     . 

11.  Baselland      . 

12.  Graubünden 

13.  Solothurn     .     . 

14.  Luzern     .     . 

15.  Grenf    .     .     .     . 

16.  Schaffhausen 

17.  Schwyz     .    . 

18.  Tessin      .     . 

.      .      Xi 

19.  Zug    .     .     . 

.     8 

2.  St.  Gallen  .     . 

3.  Bern  .... 

4.  Baselstadt  .     . 

5.  App.  A.-Rh.    .     . 

6.  Thurgau     .     .     . 

7.  Glarus    .     .     . 

8.  Aargau  .     .     . 

9.  Neuenburg .     . 

.    24 

.    23 
22 
22 
20 

.     19 
19 

.     14 

20.  WaUis    .    .     . 

21.  Obwalden  .     . 

22.  App.  I..Rh. 

23.  Uri     .     .     .    . 

.    7 
.    6 
.    4 
.    3 

24.  Nidwaiden  .    . 

25.  Freiburg     . 

,    2 
.    1 

Nach    den   Au 

sgaben 

nahmen    die  Kant 

one    im 

nämlichen    Jahre 

folgende 

Bangordnung  ein: 

1.  Baselstadt  .    Fr.  61 

2.  Zürich  .     .       ,51 

3.  St.  Gallen  .       „  31 

4.  Bern      .     .       ,31 

5.  Waadt  .     .       ,11 

6.  Neuenburg       ,   1' 

7.  Thurgau    .       „ 

8.  Glarus  .     .       , 

9.  Solothurn  .       ,     . 

36,151 
39,612 
37,585 
38,489 
34,425 
17,391 
96,774 
84,185 
58,238 

10.  App.  A.-Rh.    Fr 

11.  App.  I.-Rh.       „ 

12.  Schaffhaus.       , 

13.  Genf      .     . 

14.  Luzern  .     .       „ 

15.  Baselland  .       „ 

16.  Graubünd. 

17.  Schwyz      .       , 

18.  Tessin   .     .       „ 

.51 
5^ 

4t 
3( 
3^ 
2( 

2: 

K 

11 

3,931 
1,597 
^,489 
5,129 
t,346 
5,565 
3,556 
5,504 
5,803 

19.  Freiburg.     . 

20.  Zug     .    .     . 

21.  Wallis     .     . 

22.  Obwalden    . 

23.  App.  L-Rh. 

24.  Nidwaiden  . 

25.  Uri      ... 

Fr.  8,358 
.  7,281 
n  5,844 
,  3,548 
.  3,204 
.   1.988 
.   1,022 

b.  Schweizerische  Hülfsgesellschaften  im  Auslande.  Die  Zahl 
dieser  Gesellschaften,  so  weit  sie  den  schweizerischen  Behörden  bekannt  sind,  betrug 
Ende  1885  101.  Dieselben  besaßen  ein  Gesellschaftskapital  von  Fr.  1'639,909 
und  hatten  eine  Jahresausgabe  von  Fr.  475,926.  Der  Bund  und  die  Kantone 
unterstützen  jene  Gesellschaften  mit  finanziellen  Beiträgen,  welche  sich  im  Jahre 
1885  auf  Fr.  20,000  vom  Bund  und  auf  Fr.  21,340  von  den  Kantonen  beliefen. 

Schweizerische Hülfsgesellschaften  sind:  in Alexandrien  (2),  Algier,  Amsterdam, 
Ancona,  Augsburg,  Bahia,  Barcelona,  Beifort,  Berlin  (3),  BesanQon,  Bordeaux, 
Boston,    Brüssel,    Bucharcst,    Budapest,    Buenos- Aires  (2),  Cannes,  Chicago,  Cin- 


Hül%esellschaflen  —      51      —  Hutfabrikation 

<iiiinati,  Dresden,  Elberfeld-Bannen,  Florenz,  Frankfurt  a.  M.  (2),  Gebweiler, 
Oenaa,  Hamburg,  Havre,  Kairo  (2),  Karlsruhe,  Kaufbeuren,  Kharkoif,  Kiew, 
Kopenhagen,  Krefeld,  Leipzig,  Lille,  Lima,  Lissabon,  Livorno,  London  (2), 
Lyon  (2),  Madrid,  Mailand,  Manchester,  Mannheim,  Marseille  (2),  Melbourne, 
Menton,  Montevideo,  Montreal,  Moray,  Moskau,  Mülhausen,  Müllheim  a.  Rh., 
München,  Nancy,  Neapel  (2),  New  Orleans,  New  York,  Nizza  (2),  Nimee,  Nürn- 
berg, Odessa,  Paris  (4),  Petersburg  (2),  Pforzheim,  Philadelphia,  Bavensbnrg, 
fieutlingen,  Biga,  Bio  de  Janeiro,  Rom,  St.  Louis,  San  Francisko  (2),  Sao  Paolo, 
Straßburg,  Stuttgart  (2),  Triest,  Turin,  Valparaiso,  Venedig,  Warschau,  Was- 
hington, Wien. 

Uiilsenfrfichte  s.  Seite  692  d.  Lexikons. 

Humagne*  Weißgelbe  Traube  von  mittlerer  Größe  und  eine  der  ältesten 
Sorten  im  Wallis,  wo  sie  vor  Jahrhunderten  den  sogenannten  Vinum  humanum 
lieferte.  Kr. 

Hutfabrikation«  Die  eigentliche  Entwicklung  derselben  aus  dem  uralten 
Handwerk  heraus  datirt  nachweislich  in  die  50er  Jahre  zurück.  Die  Schweiz 
bezog  damals  die  meisten  Hüte  aas  Frankreich,  theils  direkt,  theils  durch  Genfer 
Kommissionäre,  die  die  Hüte  in  Frankreich  aufkauften  und  das  Gaiiiiren  und 
Fertigmachen  besorgten.  In  den  60er  Jahren  wurden  die  ersten  Maschinen  für 
die  Hutfabrikation  erfunden  und  gegen  Ende  des  gleichen  Dezenniums  ward  in 
Wädensweil  die  erste  eigentliche  schweizerische  Hutfabrik  mit  Dampfbetrieb  und 
Maschinen  errichtet.  Dieser  Fabiik  folgten  im  Jahre  1872  zwei  Etablissements 
in  Burgdorf  und  Bramois,  letzteres  speziell  für  Wollhüte;  endlich  eine  vierte 
in  Cossonay,  welche  aber,  sammt  derjenigen  in  Burgdorf,  wegen  Konkurs  wieder 
eingegangen  ist. 

Der  gesammte  Konsum  von  Herrenhüten  aus  Wolle«  Haaren  u.  dgl.  wird 
auf  den  Werth  von  4  Mill.  Fr.  veranschlagt,  wovon  nur  etwa  1  Mill.  auf  die 
inländische  Produktion  entfallen  soll. 

Ferner  schätzt  man  den  jährlichen  Verbrauch  von  Damenhüten  in  der 
Schweiz  auf  über  5  Mill.  Fr.,  zum  größten  Theil  eingeführtes  Fabrikat,  aber 
meist  in  der  Schweiz  durch  die  ca.  4000  Modistinnen  ausgerüstet. 

Strohhüte  werden  zum  großen  Theil  im  Inland  fabrizirt.  Das  Formen  der 
Slroh-  und  Filzhüte  nach  den  jeweiligen  Moden  besorgt  eine  größere  Zahl  hiefUr 
speziell  eingerichteter  Werkstätten.  (Vergl.  Bericht  über  die  Gruppe  „ Bekleidungs- 
industrie **   an  der  Landesausstellung  in  Zürich,  1883.) 

Nach  der  eidg.  Volkszählung  vom  1.  Dez.  1880  beschäftigten  sich  damals 
763  männliche  und  436  weibliche  Personen  mit  der  Hutmacherei,  inkl.  Filz- 
fabrikation, wovon  232  im  Kt.  Bern,  157  Genf,  142  Zürich,  116  Waadt,  99 
Aargau,  98  Neuenburg,  70  Wallis. 

Die  schweizerische  Waaren Verkehrsstatistik  verzeichnet  pro  1885  folgende 
Einfuhr  und  Ausfuhr: 

Einfuhr  Ausfuhr 

Ungamirte  Stroh- (Rohr- u.  Bast-)  Hüte  141  q,  Werth  Fr.   211,500  421  q,  Werth  Fr.  648,979 

Hüte  aus  FÜ2 205  ,       .       ,     451,000     35  ,       ,       ,     42,265 

Andere  Hüte  all.  Art,  exkl.  DamenhQte  480  .      „       .  r920,000   179  ,       ,       ,  464,441 

Im  Handelsregister  waren  Ende  1884  329  Hutgeschäfte  eingetragen, 
wovon  61  als  Fabrikationsgeschäfte.  Von  den  letzteren  waren  wiederum  20 
speziell  als  Strohhut-Fabrikationsgeschäfte  bezeichnet. 

Dem  Fabrikgesetz  waren  Ende  1885  5  Geschäfte  mit  194  Arbeitern 
unterstellt. 


Hydraulischer  Kalk  —     52     —  Jacconat 

Hydraulischer  Kalk.  Das  Verdienst  der  ersten  Erzeugung  von  hydraa- 
lischem  Kalk  in  erheblichem  Umfang  und  mit  maschinellen  Einrichtungen  dürfte 
E.  Sevestre  beanspruchen,  welcher  1857  in  St.  Aubin  (Neuenburg)  den  hydrau- 
lischen Kalk  für  den  Bau  der  Eisenbahnlinie  Neuen burg-Tverdon  lieferte.  Von 
ihm  wurden  weitere  Fabriken  errichtet  in  Bulle  1858,  Noiraig^e  1861  und 
Beckenried  1875.  Heute  existiren  ca.  12  Fabriken,  die  in  der  Mehrzahl  Ende 
der  70er  und  Anfangs  der  80er  Jahre  entstanden. 

Wesentlich  trug  zur  Entwicklung  dieser  Industriebranche  der  Bau  der 
Grotthardbahn  bei.  Nördlich  des  großen  Tunnels  wurde  mit  Ausnahme  von  un- 
gefähr 1000  Tonnen  Chaux  du  Teil  aus  dem  südlichen  Frankreich  fast  nur 
inländischer  Kalk  und  Cement  verwendet.  Auf  der  Südseite  kamen  dagegen  ca. 
27,000  Tonnen  fremder,  meist  italienischer,  Kalk  zur  Verwendung.  Im  üebrigen 
läßt  die  Anwendung  von  hydraulischem  Elalk  in  der  Schweiz  noch  sehr  viel  zu 
wünschen  übrig;  namentlich  wird  beim  Hochbau  noch  zu  sehr  am  altgewohnten 
Luftkalk  festgehalten. 

Der  Jahreskonsum  beträgt  ca.  40,000  Tonnen  im  Werthe  von  Fr.  900,000. 
Im  Jahre  1882  kamen  nach  zuverlässigen  Ermittlungen  auf  inländisches  Fabrikat 
32,000  Tonnen  k  Fr.  20  ^  Fr.  640,000,  auf  den  Import  9767  Tonnen  k 
Fr.  25  =  Fr.  244,175,  zusammen  41,767  Tonnen  =  Fr.  884,175.  Die  Deckung 
dieses  Gesammtkonsums  entspräche  ziemlich  genau  der  Leistungsfähigkeit  der 
schweizerbchen  Fabriken.  (Vergl.  Bolley,  Bericht  über  die  Pariser  Ausstellung^ 
1867;  ferner  Spezialkatalog  der  Baumaterialien  an  der  Landesausstellung  in 
Zürich,  1883;  Moser ^  Bericht  über  ^  Baumaterialien*"  an  dieser  Ausstellung.) 

Als  Fabriken  für  hydraulischen  Kalk  sind  dem  Fabrikgesetz  unterstellt 
die  Etablissements  der  Firmen  Leuba  freres  in  Noiraigues  und  Daistein  &  Cie. 
in  Vallorbes. 

Fundorte  von  hydraulischem  Kalk  (und  Cement)  sind  nach  Weheres  und 
Brosi's  Rohproduktenkarte  der  Schweiz  (Verlag  von  J.  Wurster  &  Co.  in  Zürich) : 

im  Kt.  Baselland:    Bubendorf,  Häfelfingen,  Lampenberg,  Lausen,  Lupsingen, 
Tenniken  und  Wittinsburg; 

im  Kt.  Bern:  Leißigen,  Liesberg,  Merligen  und  ünterseen; 

im  Kt.  Freiburg:  ChStel-St-Denis  und  Montbovon; 

im  Kt.  St.  Gallen:  Flums,  Quinten  und  Staad; 

im  Kt.  Glarus:  Mühlehom; 

im  Kt.  Neuenburg:  les  Convers,  Noiraigue  und  St-Sulpioe; 

in   Nidwaiden:  Hergiswil  und  Hotzloch; 

im  Kt.  Schwye:  Gersau,  Iberg,  Schwyz,  Studen; 

im  Kt.  Solothurn:  Balm,    Bärschwyl,  Günsberg  und  Wilihof  bei  Luterbaoh; 

im  Kt.  Tessin:  Aquila,  Caslano,  Castagnola,  Melano,  Melide,  Morbio,  Quinto 
und  Riva; 

im  Kt.   üri:  bei  Erstfeld; 

im  Kt.    Waadt:  Vallorbes  und  Villeneuve; 

im  Kt.  Wallis :  la  Batiaz,   Bramois,  Grengiols,  Morels,  Vissoye  und  Vonvry ; 

im  Kt.  Zürich:  Käpfhach. 

Ehemalige  Ausbeutungsorte  sind:  Albeuve  (Kt*  Freiburg);  Beckenried  und 
Büren  (Kt.  Nidwaiden);  Morschach  (Kt.  Schwyz). 

Jacconat*  Halbdichtes,  weißes  Baumwollgewebe,  das  namentlich  als  Unter- 
lage für  Maschinenstiokereien  in  Plattstich,  sowie  für  den  Druck  der  besseren, 
orientalischen  Kopftücher,   benützt   wird.     Dasselbe   war   von  Alters   her   nebst 


Jacconat  —     53     —  Jagd 

Honsseline  odcL  Percale  stets  einer  der  wicbtigsteD  Artikel  der  oßtschweizeriBchen 
Weberei.  In  neuerer  2^it  wird  derselbe  vorwiegend  mecbaniscb  gewoben,  meist 
im  Kanton  Züricb  (Wald). 

Jacquardweberei.  Der  seit  1802  bekannte,  von  dem  Lyoner  Seiden  weber 
Jacquard  erfundene  Webstuhl  kam  ohne  Zweifel  bald  nachher  auch  in  die  Schweiz, 
wo  er  vermuthüch  zuerst  in  der  Seidenweberei  Verwendung  gefunden  hat.  Außer 
Zweifel  ist  es  nach  Wartmann,  daß  der  Jacquardstuhl  in  den  ersten  20er  Jahren 
in  die  Ostschweiz  gelangte,  denn  um  1830  spielte  derselbe  in  der  Weißweberei 
bereits  eine  große  Rolle. 

In  Bezug  auf  die  Jacquard  Webereien  hat  der  Bundesrath  am  29.  November 
1H84  und  25.  Juni  1885  folgenden  Beschluß  gefaßt: 

1)  Jacquard  Webereien  mit  mehr  als  5  Arbeitern,  welche  in  einer  oder  mehreren, 
demselben  Besitzer  gehörigen  Räumlichkeiten  betrieben  werden,  sind  als  Fabriken  im 
Sinne  von  Art.  1  des  Bundesgesetzes  betreffend  die  Arbeit  in  den  Fabriken  zu  betrachten, 
falls  die  Webstühle  durch  Motoren  betrieben  werden  oder  mit  Bleistäbchengewichten 
versehen  sind.  Trifft  keine  dieser  beiden  Redingungen  zu,  so  sind  sie  erst  bei  einer 
Arbeiterzahl  von  mehr  als  25  als  Fabriken  zu  betrachten. 

2)  2)  Die  Rleistäbchengewichte  an  allen  JacquardwebstQhlen  sind  innerhalb  sechs 
Jahren,  vom  1.  Januar  1885  an  gerechnet,  durch  Eisengewichte  zu  ersetzen. 

3)  Bis  zur  vollständigen  Durchführung  dieser  Maßregel  wird  auf  die  Jacquard- 
webereien, in  welchen  Bleistäbchengewichte  verwendet  werden,  im  Sinne  von  Art.  5, 
litt,  d,  des  Bundesgesetzes  betreffend  die  Arbeit  in  den  Fabriken  die  Haftpflicht  aus- 
gedehnt f^db 

Jägerapfel,  auch  Harderapfel  genannt,  Wirthschaftsfrucht  zweiten  und 
Tafelobst  dritten  Ranges  (Winterfrucht),  ist  im  Kanton  Aargau  allgemein  ver- 
breitet. Der  Baum  trägt  je  alle  zwei  Jahre  reichlich,  60 — 80  Sester  auf  ein- 
mal. („Schweizerische  Obstsorten**,  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  F.  Tribelhom 
in  St.  GaUen.) 

Jagd  und  Vogelschutz.  (Mitgetheilt  von  Herrn  Sury,  Beamter  des 
eidg.  Handels-  und  Landwirthschaftsdepartements.)  Durch  Art.  25  der  Bundes- 
verfassung von  1874  ist  dem  Bunde  die  Befugniß  eingeräumt  worden,  gesetz- 
liche Bestimmungen  über  die  Ausübung  der  Jagd,  namentlich  zur  Erhaltung  des 
Hochwilds,  sowie  zum  Schutze  der  für  die  Land-  und  Forts wirthschaft  nützlichen 
Vögel  zu  treffen. 

In  Folge  dessen  ist  von  der  Bundesversammlung  am  17.  September  1875 
folgendes  (am  14.  Februar  1876  in  Kraft  getretene)  Bundesgesetz  erlassen 
worden : 

I.  Allgemeine  Bestimmungen.  Art.  1.  Jeder  Kanton  ist  verpflichtet,  auf 
seinem  Gebiete  das  Jagdwesen  auf  dem  Gesetzes-  oder  Verordnungswege  in  Ueber- 
einstimmung  mit  diesem  Gesetze  zu  regeln  und  demselben  durch  die  zuständigen  Organe 
den  erforderlichen  Schutz  angedeihen  zu  lassen. 

Art.  %  Jeder  Schweizer,  welcher  eine  kantonale  Jagdbewilligung  gelöst  hat,  ist, 
vorbehalten  die  Bestimmungen  des  Art.  24,  zur  Ausübung  der  Jagd  auf  dem  betreffenden 
Kantonsgebiete  befugt.  Die  Kantone  sind  berechtigt,  die  Jagd  auch  niedergelassenen 
Ausländem  zu  gestatten. 

Art.  3.  lä  steht,  immerhin  unter  Vorbehalt  der  nachstehenden  Verfügungen  des 
Bundesgesetzes,  bei  der  kantonalen  Gesetzgebung,  zu  bestimmen,  nach  welchem  Systeme 
der  Jagdbetrieb  in  jedem  Kanton  stattfinden  soll. 

Art.  4.  Die  kantonalen  Behörden  sind  berechtigt,  die  Verfolgung  schädlicher  oder 
reißender  Thiere,  und  bei  allzu  starker  Vermehrung  auch  des  Jagdgewiides,  wenn  das- 
selbe durch  Ueberzahl  Schaden  stiftet,  erforderlichenfalls  auch  während  der  geschlossenen 
Zeit  anzuordnen  oder  zu  erlauben. 

Es  soll  dies  jedoch  in  einer  den  übrigen  Wildstand  nicht  gefährdenden  Weise, 
während  einer  bestimmten  Zeit,  durch  eine  beschränkte  Anzahl  zuverlässiger,  in  be- 
sondere Verpflichtung  genommener  Jagdberechtigten  geschehen.    In  Pachtrevieren  hat 


Jagd  —      54      _  Jagd 

der  Beständer  das  Recht,  auch  wShrend  der  geschlossenen  Zeit  ohne  weitere  Bewilligung 
solches  Wild  zu  erlegen,  jedoch  ohne  Benutzung  von  Hunden. 

Art.  5.  Vom  acliten  Tage  nach  Schluß  der  Jagdzeit  an  ist  der  Kauf  und  Verkauf 
von  Wildpret  jeder  Art  verboten,  mit  Ausnahme  desjenigen,  welches,  amthch  nach- 
gewiesen, aus  dem  Auslande  eingeführt  ist.  Der  Verkauf  von  Gemskitzen,  Hirschkälbern^ 
Rehkitzen,  sowie  von  Auer-  und  Birkhennen,  ist  unbedingt  und  zu  jeder  Zeit  untersagt» 
Im  Uebertretungsfalle  unterliegt  das  betreffende  Wild  der  Konfiskation,  die  im  Art.  21 
angedrohte  Strafe  vorbehalten. 

Art.  6.  Die  Zerstörung  von  Nestern  und  Brüten,  das  Ausnehmen  der  Eier  des 
JagdgeflQgels,  das  Ausgraben  der  Murmelthiere,  das  Tragen  von  Stock-  oder  zusammen- 
geschraubten Flinten  ist  untersagt.  Ebenfalls  ist  untersagt  die  Anbringung  von  Fang- 
vorrichtungen jeder  Art  (Fallen,  Schlingen,  Drahtschnüre).  Eine  Ausnahme  ist  jedoch 
gestattet  bezüglich  der  Füchse,  Fischotter,  Iltisse,  Stein-  und  Edelmarder.  Die  Anbringung 
von  Selbstschüssen  und  der  Gebrauch  voij  explodirenden  Geschossen,  sowie  das  Gift- 
legen, ist  ausnahmslos  verboten. 

Art.  7.    Die  Jagd  zerfällt  in  die  niedere  und  die  HochwUdjagd. 

II.  Die  niedere  Jagd.  Art.  8.  Die  Eröffnung  der  Flugjagd  beginnt  mit  dem 
1.  September,  diejenige  der  allgemeinen  Jagd  mit  dem  1.  Oktober.  Der  Schluß  für 
beide  findet  (vorbehalten  Art.  9)  am  15.  Dezember  statt.  Es  ist  jedoch  den  Kantonen 
gestattet,  unter  Vorbehalt  besonderer  kantonaler  Polizeivorschriften,  die  allgemeine  Jagd 
gleichzeitig  mit  der  Flugjagd  zu  eröffnen.  Für  Pachtreviere  schließt  die  Jagd  am 
31.  Dezember.  Die  Frühlingsjagd  jeder  Art  zu  Lande  ist  im  ganzen  Umfange  der  Schweiz 
unbedingt  verboten.  Auf  der  Flugjagd  dürfen  vor  Beginn  der  allgemeinen  Jagd  keine 
anderen  Hunde  als  Hühnerhunde  verwendet  werden. 

Art.  9.  Die  Jagd  auf  Schwimmvögel  auf  Seen  ist  von  den  betreffenden  Kantonen 
zu  regeln,  wobei  bezüglich  der  internationalen  Grenzgewässer  die  Abkommnisse  mit  den 
Grenzstaaten  vorbehalten  bleiben. 

Art.  10.  Dem  Bundesrathe  sowohl  als  den  kantonalen  Behörden  steht  das  Recht 
zu,  nach  freiem  Ermessen  durch  besondere  Schlußnahme  einzelne  Gebietstheile  oder 
Wildarten  auf  kürzere  oder  längere  Zeit  mit  Jagdbann  zu  belegen. 

III.  Die  Hoch wildjagd.  Art.  11.  Die  Hochwildjagd  bezieht  sich  auf  die 
jagdbaren  Thiere  des  Hochgebirges,  zunächst  auf  Gemsen,  Murmelthierej  veränderliche 
Hasen  (Alpen-,  Schneehasen),  Gehirgshühner  (Auer-,  Birk-  oder  Schildhühner,  Hasel- 
oder Waldhühner,  Schnee-  oder  Weißhühner  und  Steinhühner  oder  Pernisen),  sowie 
auf  die  Raubthiere  des  Hochgebirges. 

Art.  12.  Die  Jagd  auf  Gemsen  und  Murmelthiere  ist  im  ganzen  Gebiete  der 
Schweiz  auf  die  Zeit  vom  1.  September  bis  1.  Oktober,  diejenige  auf  das  übrige  Hoch- 
wild auf  die  Zeit  vom  1.  September  bis  15.  Dezember  beschränkt.  Junge  Gemsen  vom 
gleichen  Jahr  (Gemskitzen)  und  die  sie  begleitenden  Mutterthiere  (säugende  Gemsgeißen) 
dürfen  weder  gefangen  noch  geschossen  werden.  Ebenso  sind  Auer-  und  Birkhennen 
zu  schonen. 

Art.  13.  Bei  der  Jagd  auf  Hochwild  ist  die  Verwendung  von  Laufhunden  und 
von  Repetirwaffen  untersagt. 

Art.  14.  Die  Jagd  auf  die  im  Hochgebirge  vorkommenden  Hirsche  und  Rehe  ist 
vom  1.  September  bis  1.  Weinmonal  gestattet,  sofern  die  kantonalen  Gesetze  und  Ver- 
ordnungen dieselbe  nicht  weiter  beschränken.  Weibliche  Thiere  (Hirschkühe  und  Reh- 
geißen) und  Junge  vom  gleichen  Jahre  (Hirschkälber  und  Rehkitzen)  dürfen  weder  ge- 
fangen noch  geschossen  werden,  ebensowenig  Steinböcke,  wo  und  wann  immer  sich 
solche  zeigen  mögen. 

Art.  15.  In  den  Kantonen  Appenzell,  St.  Gallen,  Glarus,  Uri,  Schwyz,  Unterwaiden, 
Luzem,  Freiburg  und  Waadt  sind  je  ein,  in  den  Kantonen  Bern  und  Tessin  je  zwei 
und  in  den  Kantonen  Wallis  und  Graubüuden  je  drei  Bannbezirke  (Freiberge)  von  an- 
gemessener Ausdehnung  für  das  Hochwild  auszuscheiden  und  unter  die  Oberaufsicht 
des  Bundes  zu  stellen.  Eine  besondere  bundesräthliche  Verordnung  stellt  die  genaue 
Abgrenzung  derselben  (ohne  Rücksichtnahme  auf  die  Kantonsgrenzen)  fest  und  ordnet 
eine  strenge  Wildhut  an,  wobei  je  nach  örtlicher  Lage  und  Verhältnissen  die  nähern. 
Bestimmungen  zu  treffen  sind,  welche  zu  Schutz  und  Pflege  der  Hochwildgattungen 
angemessen  erscheinen.  Soweit  als  möglich  sollen  die  Grenzen  der  Frei  berge  nach 
fiinf  Jahren  einer  Abänderung  unterworfen  werden.  Der  Bund  wird  die  Besiedlung 
der  Freiberge  mit  Steinböcken  anstreben. 


Jagd  —      55     —  Jagd 

Art  16.  Die  Verfolgung  schädlicher  und  reißender  Thiere  in  den  Bannbezirken 
datf  nur  unter  den  in  Art.  4  bezeichneten  Bestimmungen  und  unter  ausdrücklicher 
Bewilligung  des  Bundesrathes  stattfinden. 

rV.  Bestimmungen  über  den  Vogelschutz.  Art  17.  Nachfolgend  be- 
zeichnete Vogelarten  sind  unter  den  Schutz  des  Bundes  gestellt: 

Sämmtliche  Insektenfresser,  also  alle  Grasmücken-  (Sylvien)  -  Arten ,  alle 
Schmäzer-,  Meisen-,  Braunellen-,  Pieper-,  Schwalben-,  Fliegenfänger-  und  Bach- 
stelzen-Arten ; 

von  Sperlingsvögeln:  die  Lerchen,  Staare,  die  Amsel-  und  Drosselarten,  mit 
Ausnahme   der  Krammetsvögel  (Reckholdervögel),   die  Buch-   und  Distelfinken; 
von  Spähern   und   Klettervögeln:   die  Kukuke,   Baumläufer,   Spechtmeisen, 
Wendehälse,  Wiedehopfe  und  sämmtliche  Spechtarten; 
von  Krähen:  die  Dohlen  und  Saatkrähen; 

von  Raubvögeln:  die  Mäusebussarde  und  Tliurmfalken,  sowie  sämmtliche 
Eulenarten,  mit  Ausnahme  des  großen  Uhu's; 

von  Sumpf-  und  Schwimmvögeln:  der  Storch  und  der  Schwan. 
Es   dürfen   dieselben   weder  gefangen  noch  getödtet,   noch  der  Eier  oder  Jungen 
beraubt  oder  auf  Märkten  feilgeboten  werden.  Sperlinge,  Staare  und  Drosseln,  welche 
in  Weinberge  einfallen,  dürfen  vom  Eigenthümer  im  Herbste  bis  nach  beendigter  Wein- 
lese geschossen  werden. 

Art.  18.  Die  Erziehungsbehörden  haben  vorzusorgen,  daß  die  Jugend  in  der  Volks- 
schule mit  den  genannten  Vögeln  und  deren  Nutzen  bekannt  gemacht  und  zu  ihrer 
Schonung  ermuntert  werde. 

Art.  19.  Aller  Vogelfang  mittelst  Netzen,  Vogelherden,  Lockvögeln,  Käuzchen, 
Leimruthen,  Schlingen,  Bogen  und  andern  Fangvorrichtungen  ist  im  ganzen  Gebiete 
der  Schweiz  unbedingt  verboten. 

Art.  20.  Den  Kantonsregierungen  bleibt  das  Recht  vorbehalten,  einzelnen  zuver- 
lässigen Sachverständigen  Bewilligung  zu  erth eilen,  auch  außerhalb  der  Jagdzeit  für 
wissenschaftliche  Zwecke  Vögel  jeder  Art  (mit  Ausnahme  des  Jagdgeflügels)  zu  erlegen 
und  deren  Nester  und  Eier  zu  sammeln,  vorausgesetzt,  daß  dies  nicht  auf  gewerbs- 
mäßige Weise  geschieht 

V.  Strafbestimmungen.  Art.  21.  Als  Jagdfrevel  werden  bestraft:  das  Jagen 
oder  Einfangen  von  Gewild  in  der  geschlossenen  Zeit  oder  ohne  Bewilligung  (Art.  2) 
in  der  offenen  Zeil;  ferner  alles  Jagen  in  Banugebieten  und  von  Unberechtigten  in 
Pachtrevieren;  das  Jagen  an  Sonntagen,  soweit  es  in  den  Kantonen  untersagt  ist;  das 
Erlegen  oder  Einfangen  geschützter  Wildgattungen ;  verbotene  Fangarten,  das  Gifliegen ; 
die  Anwendung  von  Selbslschüssen  und  explodirenden  Geschossen  und  Repetirwaiten ; 
das  Tragen  von  Stock-  und  zusammengeschraubten  Flinten;  der  Gebrauch  von  andern 
als  Hühnerhunden  auf  der  Flugjagd  vor  Eröflnung  der  allgemeinen  Jagd ;  Eigenthums- 
beschädigung ;  Kauf  und  Verkauf  von  gefreveltem  Wildpret;  Zerstörung  von  Nestern 
und  Brüten  des  Jagdgeflügels,  sowie  die  Uebertretung  der  Bestimmungen  über  Hoch- 
wildjagd und  Vogelschutz.  Die  Käufer  von  gefreveltem  Wild  in  der  geschlossenen  Zeit 
oder  von  geschützten  Wildarten  sind  gleich  den  Frevlern  zu  bestrafen. 

Art  22.  Die  Kantone  werden  die  bezüglichen  Strafbestimmungen  aufstellen, 
immerhin  in  der  Art,  daß  bei  Uebertretung  der  Bestimmungen  über  Vogelschutz  die 
Strafe  nicht  unter  Fr.  10,  bei  denjenigen  der  niedern  Jagd  nicht  unter  Fr.  20  und  bei 
der  Hochwildjagd  nicht  unter  Fr.  40  angesetzt  werden  darf.  Unerhältliche  Bußen  sind 
in  Gefängniß  umzuwandeln,  wobei  ein  Tag  zu  Fr.  3  zu  berechnen  ist  Beim  Rückfalle 
soll  die  Jagdberechtigung  für  je  zwei  bis  sechs  Jahre  entzogen  oder  verweigert  werden. 
Jagdfrevel  bei  geschlossener  Jagd  und  solche  begangen  zur  Nachtzeit  sind  mit  der 
doppelten  Buße  zu  belegen.  Das  Jagenlassen  von  Hunden  zur  geschlossenen  Jagdzeit 
ist  zwar  gleichfalls  mit  Polizeistrafen  von  wenigstens  Fr.  5  für  jeden  Hund  zu  belegen, 
zählt  aber  nicht  als  Jagdfrevel.  Im  Rückfalle  sind  alle  Bußen  angemessen  zu  ver- 
schärfen. 

VI.  Schlußbestimmungen.  Art.  23.  Die  Kantone  sind  befugt,  gesetzliche 
Bestimmungen  aufzustellen,  nach  welchen  für  die  Erlegung  von  der  Landwirthschafl, 
Fischerei  und  dem  Wildstand  besonders  schädhchen  Thieren  (als  große  Raubthiere, 
Wildschweine,  Fischotter,  Adler,  Habichte,  Sperber,  Elstern,  Häher,  Fischreiher)  an- 
gemessene Prämien  zu  verabfolgen  sind. 

Art.  24.  Die  kantonalen  Jagdgesetze  und  Verordnungen  sind  dem  Bundesrathe 
zur  Einsichtnahme  und  Genelmiigung  vorzulegen. 


Ja^  —      56     —  Jagd 

Art  25.  Sobald  gegenwärtiges  Gresetz  in  Kraft  ervrachsen  ist,  wird  der  Bundes- 
rath  die  nOthigen  Vollzugsverordnungen  erlassen  und  gleichzeitig  die  Kantone  anhalten, 
ihre  betreffenden  Vorschriften  ohne  Verzug  mit  denselben  in  Einklang  zu  bringen. 

Außer  obigem  Geaetze  sind  von  Seite  des  Bundes  folgende  Verord- 
nungen und  Beschlüsse  erlassen  worden  (die  außer  Kraft  gesetzten  sind 
nicht  erwähnt): 

1)  Vollziehnngsverordnung  vom  12.  April  1876  über  das  Jagdgesetz  (A. 
S.  n.  F.,  Bd.  n,  pag.  156). 

2)  Bundesbeschluß  vom  28.  Juni  1878  betr.  die  Betheilig^ng  des  Bundes 
an  den  Kosten  der  Kantone  für  Ueberwachung  der  Bannbezirke  für  die 
Hochwildjagd  (A.  S.  n.  F.,  Bd.  III,  pag.  576). 

3)  Verordnung  vom  11.  März  1879  zum  gleichen  Zwecke  (A.  S.  n.  F., 
Bd.  IV,  pag.  38). 

4)  Verordnung  vom  11.  März  1879  betr.  Finfuhr  und  Verkauf  von  aus- 
ländischem Wildpret  während  der  geschlossenen  Jagdzeit  (A.  S.  n.  F., 
Bd.  IV,  pag.  41). 

5)  Verordnung  vom  16.  Juli  1886  über  die  Bannbezirke  für  die  Hochwild- 
jagd (A.  S.  n.  F.,  Bd.  IX,  pag.  77). 

6)  Verordnung  vom  26.  Nov.  1881  und  Bundesrathsbeschluß  vom  16.  Jan. 
1883  über  die  Jagd  auf  Sumpf-  und  Wasservögel  im  Bannbezirk  Bemina 
(A.  S.  n.  F.,  Bd.  V,  pag.  862  und  Bd.  VII,  pag.  5). 

7)  Instruktion  vom  16.  Juli  1886  für  die  Wildhüter  in  den  Jagdbann- 
bezirken. 

Die  kantonalen  Gesetze  und  Verordnungen  sind  wie  folgt  datirt  (G.  = 
Gesetz,  V.  -—  Verordnung):  Aargau,  V.  4.  Aug.  1876;  Appenzell  A. -Eh., 
V.  27.  März  1882;  Appenzell  I.-Rh.,  V.  4.  Sept.  1876;  Baselland 
V.  5.  Aug.  1876;  Baselstadt,  V.  10.  Febr.  1877;  Bern,  G.  29.  Juni 
1832,  V.  26.  Juli  1876;  Freiburg,  G.  10.  Mai  1876,  V.  10.  Juni  1876 
Genf,  V.  30.  Aug.  1876;  Glarus,  V.  23.  Aug.  1876;  Graubünden 
G.  14.  Jan.  1878;  Luzern,  G.  7.  März  1870,  nebst  Regierungsbeschlüssen 
vom  7.  März  1870,  4.  JuH  1871  und  31.  Mai  1878;  Neuenburg,  G.  29.  Mai 
1885;  Nidwaiden,  V.  9.  Aug.  1876;  Obwalden,  V.  11.  JuU  1876 
St.  Gallen,  V.  11.  Juli  1884 ;  Schaffhausen,  V.  20.  Juli  1876;  Schwyz 
V.  25.  Juli  1876  und  13.  Juli  1881;  Solothurn,  V.  18.  Mai  1876;  Tessin 
V.  28.  Juli  1876;  Thurgau,  V.  23.  Mai  1876  und  20.  Nov.  1882;  Uri 
V.  17.  Aug.  1876;  Waadt,  G.  1.  Juni  1876;  Wallis,  Arrete  vom  27.  Juni 
1876;  Zürich,  G.   22.  Aug.   1882;  Zug,  V.  31.  Juli   1876. 

Verträge. 

Mit  Frankreich  hat  die  Schweiz  am  31.  Okt.  1884  eine  Uebereinkunft 
abgeschlossen  zur  Bekämpfung  des  Jagdfrevels  in  den  Grenzwaldungen  (A.  S.  n.  F., 
Bd.  VIII,  pag.  183). 

Zwischen  den  Kantonen  Frei  bürg  und  Waadt  besteht  ein  Reglement 
betr.  die  Jagd  auf  dem  Murtensee, 

und  zwischen  den  Kantonen  Bern,  Freiburg,  Neuenburg  und  Waadt  ein 
Reglement  betr.  die  Jagd  auf  dem  Neuenburgersee. 

Die   jagdbaren    Thiere    der   Schweiz   sind: 

1)  Haarwild:  Alpenhase,  in  den  Hochalpen.  —  Fdelhirsch,  in 
Graubünden,  ziemlich  selten.   —  Feldhase,  allgemein  verbreitet.  —  Gemse, 


Jagd  —     57     —  Jagd 

ttberall  in  den  Alpen,  am  häufigsten  in  Graabttnden  and  Wallis.  —  Mnrmelthier, 
in  der  hochalpiuen  Eegion.  —  Eeh,  findet  sich  auf  der  Nordseite  der  Alpen  hie 
nnd  da,  am  häufigsten  in  den  Kantonen  mit  Beviersystem,  Aargau  und  Baselland, 
dann   im  st.  GalL  Rheinthal  und  Qraubünden  (Herrschaft,    Prätigau,  Oberland). 

—  Schwarzwild,  im  Jura,  namentlich  im  Et.  Aargau. 

2)  Federwild:  Auerhuhn,  in  der  subalpinen  Region,  am  häufigsten 
in  den  Yoralpen  und  Jura.  — Bekassine,  Zugvogel,  im  Herbst  in  Sümpfen. 

—  Birkhuhn,  an  der  obern  Waldgrenze  der  Alpen,  stellenweise  ziemlich 
häufig.  —  Brachvogel.  —  Fischreiher.  —  Gold-Regenpfeifer.  — 
Graugans.  —  Haselhuhn,  in  der  subalpinen  Region  und  auf  den  Hügel- 
ketten des  Jura  häufig.  —  Holztaube,  in  allen  unsern  Wäldern  häufig.  — 
Kampfbahn.  —  Kibitz.  —  Nachtreiher.  —  Purpurreiher.  —  Reb- 
huhn, ttberall  bis  700  m  Höhe,  im  Ünterengadin  bis  1600  m,  aber  nirgends 
häufig.  —  Rohrdommel,  groü^e  und  kleine.  —  Schneehuhn,  oberhalb  der 
Waldgrenze,  nicht  häufig.  —  Steinhuhn,  in  der  alpinen  Region,  nicht  häufig. 

—  Wachtel,  brütet  in  Niederungen,  wird  auf  dem  Zuge  auch  in  den  hohen 
Alpen  (1800  m)  angetroffen.  —  Waldschnepfe,  in  schattigen  Wäldern  der 
Voralpen  und  Alpen  —  Wasserhuhn,  überwintert  auf  unsern  Seen.  — 
Wasserralle,  in  sumpfigen  Wiesen,  zur  Zugzeit  ziemlich  häufig.  —  Wild- 
enten: Bergente,  Krickente,  Löffelente,  Nonnentaucher,  Pfeifente,  Sägetaucher, 
Schellente,  Spießente,  Stockente. 

3)  Raubthiere:  Bär,  nur  in  Graubünden,  im  ünterengadin,  hauptsächlich 
in  Zernez,  dann  auch  in  Klosters  und  Misox.  —  Dachs,  überall  häufig.  — 
Edelmarder.  —  Fischotter,  überall,  an  Flüssen  häufig.  —  Fuchs,  überall 
aehr  verbreitet.  —  Iltis.  —  Luchs,  kommt  zuweilen  noch  aus  Tyrol  und 
Savoy en  auf  Schweizergebiet.  —  Steinmarder,  überall  häufig.  —  Wildkatze, 
kommt  zuweilen  aus  den  Vogesen  und  dem  Schwarzwald  in  den  Jura;  in  den 
Alpen  verschwunden.  —  Wolf,  vereinzelt  im  Jura. 

4)  Raubvögel:  Baumfalke.  —  Flußadler,  ziemlich  häufig.  — 
Hühnerhabicht,  häufig.  —  Kornweihe,  sehr  seltener  Strichvogel.  — 
Lämmergeier,  sehr  selten.  —  Mäusebussard,  gemein.  —  Milan  (rother), 
im  Frühjahr  häufiger  Strichvogel.  —  Milan  (schwarzer),  selten.  —  Schrei- 
adler, seltener  Strichvogel.  —  Sperber,  häufig.  —  Steinadler,  allenthalben 
in  den  Alpen.  —  Uhu,  horstet  allenthalben  in  der  Schweiz.  —  Wanderfalke, 
ziemlich  selten.  —  Wespenbussard,  ziemlich  selten.  -  Zwergfalke, 
ziemlich  selten. 

Jagdpatente. 

Die  2iahl  der  Jagdpatente,  welche  jährlich  in  den  Kantonen  gelöst  werden, 
beträgt  für  die  ganze  Schweiz  9000  —  10,000  und  die  darauf  entfallenden  Taxen 
Fr.  160,000—170,000. 

Jagdbannbezirke  für  die  Hochwildjagd. 

Laut  Bundesgesetz  über  Jagd  und  Vogelschutz  haben  die  Kantone  Appen- 
zell A.-Rh.,  Appenzell  L-Rh.,  Freiburg,  Glarus,  Luzem,  Nidwaiden,  Obwalden, 
St.  Gullen,  Schwyz,  Uri  und  Waadt  je  einen,  Bern  und  Tessin  je  zwei  und 
Grraubttnden  und  Wallis  je  drei  Bannbezirke  (Freiberge)  von  angemessener  Aus- 
dehnung für  das  Hochwild  auszuscheiden  und  unter  die  Oberaufsicht  des  Bundes 
zo  stellen.  Soweit  als  möglich  sollen  die  Grenzen  dieser  Bannbezirke  nach  fünf 
Jahren  einer  Abänderung  unterworfen  werden. 


Jagd  —     58     —  Japan 

Nach  der  neuesten  diesbezüglichen  Verordnung  vom  16.  Juli  1886  sind  die 
Bannbezirke  folgendermaßen  festgestellt: 

Faulhom-Jungfrau,  Gifferhom  und  Hohgant  (3  Bezirke)  im  Kt.  Bern. 

Schratten-Rothborn  (1  Bezirk)  im  Kt.  Luzem. 

Eothstöcke  (1  Bezirk)  in  den  Kantonen  üri,  Ob-  und  Nidwaiden. 

Grieselstock-Bisithal  (1  Bezirk)  im  Kt.  Schwyz. 

Kärpfenstook  (1  Bezirk)  im  Kt.  Glarus. 

Schopfenspitze  (1  Bezirk)  im  Kt.  Freiburg 

Säntis  (1  Bezirk)  in  Appenzell  A.-  u.  I.-Bh. 

Churfirsten  (1  Bezirk)  im  Kt.  St  Gallen. 

Piz  d'Err  Nordseite,    Piz  d'Err   Südseite,    Piz   Beverin,  Erzhorn,  Bemina  (5 
Bezirke)  im  Kt.  Graubünden. 

Gottbard  und  Yerzasca-Leventina  (2  Bezirke)  im  Kt.  Tessin. 

Diablerets  Westseite  (1  Bezirk)  im  Kt.  Waadt. 

Weißhom,  Haut  de  Gry,  Grand  Combin  (3  Bezirke)  im  Kt.  Wallis. 

Der  Wildstand  an  Gemsen  und  Reben  in  den  Bannbezirken  wurde  im 
Jahre  188.5  auf  8600  Stück  geschätzt  (ca.  8500  Gemsen,  ca.  100  Rehe). 

Die  Zahl  der  Wildhüter  in  sämmtlichen  Bannbezirken  war  im  Jahre  1885 
37.  Sie  erstatteten  89  Frevelanzeigen  und  erlegten  1832  Stück  Raub  wild 
(1103  Vögel  und  729  Säugethiere) ,  wofür  ihnen  von  den  Kantonen  Fr.  559 
Schußprämien  verabfolgt  wurden.  Die  Kosten  der  Wildhut  in  den  Bannbezirken 
beliefen  sich  im  nämlichen  Jahre  in  allen  Kantonen  auf  Fr.  36,089,  an  welchen 
der  Bund  mit  Fr.  11,936  partizipirte  (1884  mit  Fr.  12,242,  1883  mit  Fr.  13,177» 
1882  mit  Fr.  12,696,  1881  mit  Fr.  12,718,  1880  mit  Fr.  8064,  1879  mit 
Fr.  10,067). 

Jagdvereine 
sind :  Diana  (mit  Sektionen  in  Bern,  Freiburg,  Genf,  La  Cote  (Waadt),  Chaux- 
de-Fonds,    Lausanne,    Luzern,    Neuenburg);    Berner    Oberländischer   Jagdverein; 
Berner  Seeländischer  Jägerverein ;  Glärnerischer  kantonaler  Jägerverein ;  Jagdklub 
Basel ;  Jagdschutz  verein  des  Kantons  Aargau ;  Soloth  urnischer  Jagdschntzverein. 

Vogelschutz. 
Um  den  Bestimmungen  des  Bundesgesetzes  vom  17.  September  1875 
nachzukommen,  ist  der  Bund  bestrebt,  die  Verbreitung  der  Kenntniß  der  nütz- 
lichen Vögel  durch  die  Volksschulen  zu  fordern  und  unterstützt  zu  diesem  Zwecke 
die  Anschaffung  des  illustrirten  Werkes  von  Lebet  in  Launanne  „Die  nützlichen 
Vögel "  durch  Bewilligung  eines  Beitrages.  Es  wurden  hiefür  vom  Bund  aus- 
gerichtet: im  Jahre  1882  Fr.  780,  1883  Fr.  2436,  1884  Fr.  2500,  1885 
Fr.  2500. 

Jakopfsapfel ,  gelber.  Wirtbschaftsfvuobt  ersten  und  Tafelobst  dritten 
Ranges  (Herbstfrucht),  kommt  in  der  Schweiz,  soweit  bis  jetzt  bekannt,  nur  im 
Thurgau  vor  und  zwar  am  häufigsten  in  der  Umgegend  von  Engishofen,  Erlen, 
Eggisbausen,  Buchackem  bis  gegen  Ziblscblacht  und  Bischofszeil  (unter  dem  Namen 
„Geljoggecher").  Der  Baum  erreicht  ein  Alter  von  100  bis  110  Jahren,  ist 
ergiebig  und  trägt,  wenn  die  Witterung  während  der  Blüthezeit  günstig  ist,  in 
der  Regel  alljährlich.  Der  höchste  Ertrag  des  ausgewachsenen  Baumes  war  bis- 
her 70 — 80  Sester.  („Schweizerische  Obstsorten**,  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt 
J.  Tribelhom  in  St.  Güllen.) 

Japan,  China,  französisch  Indien  und  übriges  Ostasien.  Nach 
der  schweizerischen  Waaren Verkehrsstatistik  pro  1885  exportirte  die  Schweiz  in 


Japan  —      59     —  Impf  Institute 

diesem  Jahre  im  Spezialhandel  nach  jenen  Gebieten  Waaren  im  Werthe  von 
Fr.  3'636,746  (0,5  7o  der  Totalansfnhr  im  Spezialhandel)  und  importirte  für 
Fr.  1'679,995  (0,2  7o). 

Die  wichtigsten  Ausfnhrobjekte  waren:  Baumwoll.  Artikel  Fr.  1*542,406 
(Gewebe  1\338,135,  Stickereien  109,050,  Garne  77,105,  Strumpfwaaren  18,116); 
Uhren  und  Uhrentheile  Fr.  1*001,429  (inkl.  Musikdosen  u.  Spielwerke  30,871); 
seidene  Artikel  Fr.  618,846  (Gewebe  596,566,  Bänder  14,480,  Garne  7800); 
Farbwaaren  Fr.  132,244;  Maschinen  Fr.  95,649;  Käse  Fr.  37,165;  elastische 
Gewebe  Fr.  19,100;  Eisenwaaren  Fr.  11,419;  kondensirte  Milch  Fr.  8495; 
Leder  Fr.  7073;  Wollgewebe  Fr.  6448;  Cigarren  und  Cigaretten  Fr.  6259; 
Eonfektions-  und  Modewaaren  Fr.  5928 ;  Sprengmaterialien  Fr.  4540 ;  Liqueurs 
Fr.  4456;  Gold-  und  Silberschmiedewaaren,  Bijouterie  Fr.  4150;  Strohhüte 
Fr.  3000. 

Die  wichtigsten  Einfuhrobjekte  waren :  Seide  und  Seidenabfälle 
Fr.  1*375,700;  Thee  Fr.  92,500;  Seidencocons  Fr.  60,500;  Schmuckfedern  etc. 
Fr.  52,500;  Catechu  Fr.  18,300;  roher  Katfee  Fr.  16,447;  feine  Strohwaaren 
Fr.  10,800;  Tabakblätter  etc.  Fr.  9020;  Cigarren  und  Ggaretten   Fr.  6300. 

Verträge.  Mit  Japan  steht  die  Schweiz  in  vertraglichen  Beziehungen, 
1)  durch  den  ELandels-  und  Niederlassungsvertrag  vom  6.  Februar  1864  (A.  S. 
VIII,  pag.  683  [frz.  618]);  2)  durch  den  Weltpostvereinsvertrag,  dem  Japan  am 
3.  März  1877  beigetreten  ist;  3)  durch  den  internationalen  Meter  vertrag,  dem 
Japan  im  Oktober  1885  beigetreten  ist  (A.  S.  n.  F.  VIII,  pag.  343). 

S.  auch  ,  Handelsexpeditionen ",  pag.  1,  II.  Bd. 

Jasmas.  Türkische  Bezeichnung  für  baumwollene,  bedruckte  Kopftücher. 
Siehe  Türkenkappen. 

Jaspe  ist  ein  zweitrettiges  Granzseidengewebe,  wovon  ein  Theil  des  Zettels 
oder  des  Schusses,  auch  wohl  beider,  vor  der  Verarbeitung  flammenartig  bedruckt 
worden  ist.  Jasp6  wird  zu  Kleidern  verwendet  und  von  der  einheimischen  (wie 
von  der  fremden)  Industrie  hergestellt. 

Jaune  Indien  ist  ein  schöner  und  verhältnißmäßig  ächter  gelber  Farb- 
stoff aus  der  Klasse  der  Azofarben,  zuerst  von  Monnet  &  Cie.  in  La  Plaine  bei 
G^nf  dargestellt,  dann  unter  verschiedenen  Namen  auch  in  Basel  und  auswärts. 

Jayroz-Brücke.  Diese  Brücke  gehört  zu  der  in  den  Jahren  1872  bis 
1877  erbauten  Bulle  -  Boltigen  -  Straße  und  führt  über  die  wilde  Schlucht  des 
Javrozbaches.  Ihr  Bau  wurde  Fnde  des  Jahres  1879  begonnen  und  im  Laufe 
des  Jahres  1880  zur  Hauptsache  vollendet.  Die  Brücke  ist  ein  Werk  von  außer- 
gewöhnlichen Dimensionen,  indem  ihre  Länge  einschließlich  der  Widerlager  und 
des  steinernen  Bogens  auf  der  linken  Seite  110  m,  die  Spannweite  des  eisernen 
Bogens  85,78  m  und  die  Höhe  der  Fahrbahn  über  der  Bachsohle  60  m  beträgt. 
An  die  Baukosten  im  Betrage  von  Fr.  197,016  leistete  der  Bund  */»  "^^ 
Fr.  65,672  (Bundesbeschluß  vom  8.  Februar  1872;  A.  S.  Bd.  10,  pag.  676). 

Impfinstitute,  von  welchen  zu  jeder  Zeit  reeller  Impfstoff  bezogen  werden 
kann,  bestehen  in  Lancy  bei  Genf  und  in  Seh  äff  hausen.  Zwischen  dem  ersteren 
Institut  und  den  B.egierungeu  von  neun  Kantonen  (Aargau,  Bern,  Freiburg,  Genf, 
Neuenbarg,  Solothnm,  Thurgan,  Waadt  und  Wallis)  besteht  seit  17.  Juni  1885 
folgender  Vertrag: 

Art.  1.  Das  schweizerische  Impfinstitul  verpflichtet  sieh,  gegen  eine  Gesammt- 
sobvention  im  Betrage  von  Fr.  15,000  ab  Seite  der  genannten  Kantone  den  Verwaltungs- 
behörden derselben  den  erforderlichen  animalen  Impfstoff  in  Emulsionsform  gratis  zu 
Mefem. 


Impfinstitute  —     60     —  Indien 

Art.  2.  Die  Impfstoffsendnngen  erfolgen  durch  das  schweizerische  Impfinstitut  auf 
direktes  Begehren  der  zuständigen  kantonalen  Behörde,  hezw.  Behörden,  oder  der  durch 
dieselben  bezeichneten  Beamten. 

Die  kantonalen  Behörden  werden  das  schweizerische  Impf  institut  womöglich  zehn 
Tage  vor  Beginn  der  amtlichen  Impfungen  von  der  approximativen  Anzahl  der  Impfungen 
in  Kenntniß  setzen. 

Art.  3.  Die  obbezeichneten  Kantone  liefern  zu  der  dem  schweizerischen  Impf- 
institut gewährten  Totalsubvention  von  Fr.  15,000  folgende  Beiträge:  Bern  Fr.  3300, 
Waadt  Fr.  2400,  Aargau  Fr.  2000,  Neuenburg  Fr.  1600,  Genf  Fr.  1600,  Freiburg  Fr.  1500, 
Thurgau  Fr.  1000,  WaUis  Fr.  900  und  Solothurn  Fr.  700. 

Art.  4.  Die  Beitragsquoten  der  verschiedenen  Kantone  sind  alljährlich  während 
der  Monate  März,  April  oder  Mai  an  die  Staatskasse  des  Kantons  Genf  einzusenden, 
welche  die  Auszahlung  an  das  schweizerische  Impfinstitut  besorgt. 

Art.  5.  Für  die  Dauer  der  gegenwärtigen  Uebereinkunfl  wird  eine  interkantonale 
Aufsichtskommission  ernannt,  worin  jeder  der  kontrahirenden  Kantone  durch  einen  Ab- 
geordneten vertreten  ist. 

Art.  6.  Die  Impfärzte  sind  verpflichtet,  nach  der  Verwendung  des  Impfstoffes 
dem  schweizerischen  Impf  institut  regelmäßig  die  Karten  über  den  Impferfolg  zuzustellen, 
welche  den  ImpfstolTsendungen  beigegeben  werden,  und  worauf  die  erzielten  Resultate, 
sowie  deren  Würdigung  mitzutheilen  sind. 

Art.  7.  Das  schweizerische  Impf  institut  verpflichtet  sich,  ausschließlich  Kälber- 
Impflymphe  erster  Qualität  zu  liefern.  Die  Sendungen  erfolgen  erst,  nachdem  die  Kälber 
geschlachtet  und  deren  Organe  von  der  zuständigen  Behörde  als  vollkommen  gesund 
anerkannt  worden  sind. 

Das  schweizerische  Impf  institut  ist,  nach  Maßgabe  des  genferischen  Gresetzes  vom 
27.  Oktober  1884,  durch  das  Bureau  für  das  öffentliche  Gesundheitswesen  des  Kantons 
Genf  zu  beaufsichtigen  und  zu  kontroliren. 

Art.  8.  Die  gegenwärtige  üebereiukunft  wird  auf  die  Dauer  von  fünf  Jahren 
geschlossen,  nämlich  für  die  Zeit  vom  1.  März  1885  bis  28.  Februar  1890. 

Art.  9.  Wenn  in  dieser  Zeit  andere  Kantone  der  vorliegenden  Uebereinkunft  bei- 
treten wollen  und  alle  vertragschließenden  Parteien  ihre  Einwilligung  hiezu  geben,  soll 
die  Uebereinkunft  revidirt  werden,  besonders  hinsichtlich  des  Betrages  der  Gesammt- 
subvention  und  seiner  Vertheilung  unter  die  kontrahirenden  Kantone. 

Art.  10.  Wenn  im  Falle  oder  in  Folge  einer  größeren  Pockenepidemie  die  für 
einen  Kanton,  namentlich  für  die  Revaccination,  gemachte  Impfstoflsendung  mehr  als 
das  Doppelte  der  durchschnittlichen  Sendung  für  denselben  betragen  würde,  könnte 
das  Institut  von  diesem  Kanton  einen  außerordentlichen  Beitrag  verlangen,  dessen  Höhe 
zwischen  dem  Institut  und  dem  betreffenden  Kanton  direkt  vereinbart  wird. 

Imprägniranstalt.  Als  solche  figurirt  im  Handelsregister  das  Etablissement 
von  J.  Gribi  in  Burgdorf. 

Imprime  en  pieee  nennt  man  alle  diejenigen  Ganz-  oder  Halbseiden- 
gewebe, welche  mit  ungefärbtem  Rohmaterial  gewoben  und  am  fertigen  StOck 
bedruckt  werden.  Diese  Spezialität  ist  meistens  Lyoner  Fabrikat,  wird  aber 
wohl  auch  von  einigen  zürcherischen  Seidenindustriellen  geliefert. 

India  Dhooties.  Ein  Gewebe,  das  mit  der  Jacquardmaschine  in  den  präch- 
tigsten Dessins  hergestellt  wird.  Der  Grund  ist  weiß  in  den  Garnnummern 
40 — 50,  die  Figur  meist  grün  und  roth,  mit  Bordüren;  wird  in  einigen  Bunt- 
webereien der  Ostschweiz  fabrizirt,  sowohl  mechanisch  als  auch  auf  dem  Hand- 
stuhl. 

Indien.  Betreffend  den  schweizerischen  Waarenverkehr  mit  Indien  siehe 
Britisch  Indien  (pag.  836)  und  Holländisch  Indien. 

Die  Schweiz  steht  in  vertraglicher  Beziehung 

a.  mit  Britisch  Indien  durch  Geldanweisungsvertrag  vom  13.  September 
1880  (A.  S.  n.  F.,  Bd.  5,  pag.  243  [frz.  225])  und  durch  den  Weltpostvereins- 
vertrag, 

b.  mit  Holländisch  Indien  durch  Geldanweisungsvertrag  vom  20./30.  April 
1876  (A.  S.  n.  F.,  Bd.  II,  pag.  172  [frz.  137]),  durch  den  Weltpostvereinsvertrag 


Indien  —      61      —  Industrie 

und  dnrch  Konsularvertrag  vom  19.  Jannar  1863  (A.  S.,  Bd.  VII,  pag.  461). 
Diese  Verträge  wurden  mit  der  Regierung  der  Niederlande  abgeschlossen. 

Indienne  spielt  in  der  Schweiz  keine  große  Rolle  mehr.  S.  Seite  167,  I.  Bd. 

Indigo  (Farbstoff)  kommt  bekanntlich  bis  jetzt  noch  ausschließlich  ans  den 
Tropenländem ;  seine  künstliche  Darstellung  ist  zwar  gelungen,  ist  aber  bis  jetzt 
ohne  kommerziellen  Erfolg  geblieben.  Einfuhr  1853:  1118  q,  1863:  855  q, 
1873:  1047  q,  1883:  676  q,  1884:  678  q.  Von  1885  an  ist  Indigo  nicht 
mehr  fdr  sich  besonders  in  der  Handelsstatistik  aufgeführt.  Ausfuhr  1853: 
52  q,   1863:  59  q,   1873:  73  q,  1883:  78  q,   1884:  258  q. 

Indigoersatz.  Dieser  Farbholzextrakt  wird  von  J.  R,  Geigy  in  Basel 
iabrizirt  und  ist  so  vervollkommnet  worden,  daß  er  in  ganz  Europa  und  Amerika 
in  der  Baumwollfärberei  und  -Druckerei  eine  große  Rolle  spielt. 

Indigoblau  wird  auch  von  der  Firma  Fr.  Nahrath  &  Cie.  (Fabrik  che- 
mischer Produkte)  in  Genf  fabrizirt. 

IndigofKrberei  und  -Draclcerei  (Blaufärberei  und  -Druckerei).  Das  Blau- 
drucken von  Baumwollgeweben  hatte  namentlich  im  vorigen  Jahrhundert,  nnd 
sw&r  speziell  im  Kt.  Glaros,  große  Bedeutung  und  Ausdehnnng.  Blaugefärbte 
Hals-,  Kopf-  und  Nastüoher  mit  weißen  Tapfen  etc.  waren  ein  Hauptartikel  sowohl 
fUr  den  Bedarf  der  inländischen  Landbevölkerung,  als  für  den  Export  nach  den 
süddeutschen  Staaten,  nach  Italien,  Afrika  etc.  Heute  ist  Blau  noch  eine  Haupt- 
farbe für  afrikanische  Tücher. 

Indoplienol  ist  ein  in  Basel  (aus  Dimethylanilin  und  Naphtol)  dargestellter 
Farbstoff,  welcher  dem  Indigo  ähnliche  Nuancen  giebt  und  im  Kattundruck  an- 
gewendet wird. 

Indulin  ist  ein  auf  verschiedenen  Wegen  aus  Anilin  dargestellter  Farb- 
stoff, welcher  namentlich  auf  Seide  fUr  bläuliche  und  graue  Nuancen  gebraucht 
wird.  Derselbe  wurde  im  Etablissement  von  Gerber  &  ühlmann  in  Basel  entdeckt. 

Industrie.  Ueber  die  Industrie  als  Gesanuntheit  jener  Gewerbe,  welche 
sich  mit  der  Verarbeitung  von  Bodenprodukten  und  andern  Stoffen  aller  Art  zu 
Gebrauchs-  und  Yerbrauchsgegenständen  befassen,  sind  im  Artikel  „Berufsverhält- 
nisse  der  Schweiz**  umÜEissende  statistische  Angaben  enthalten.  Ferner  ist  jeder 
Industriezweig  unter  seinem  eigenen  Titel  mehr  oder  weniger  einläßlich  behandelt; 
endlich  bieten  sämmtliche  Aufsätze  über  die  Kantone  je  einen  besonderen  Ab- 
schnitt «Industriegeschichtliches**.  £s  ist  somit  statthaft,  sich  hier  auf  eine 
lediglich  resumirende  Darstellung  zu  beschränken  und  vorzugsweise  die  Groß- 
industrie zu  berücksichtigen,  welcher  die  Schweiz  in  erster  Linie  ihre  wirth- 
sohafUiobe  Bedeutung  verdankt. 

«Cbroßindustrie**  ist  in  der  Schweiz  gleichbedeutend  mit  „Exportinduslrie'*, 
denn  für  jede  wirklich  bedeutende  innere  Produktion  ist  die  Schweiz  ein  zu 
beschränktes  Eonsumtionsgebiet. 

Sehr  zahlreich  sind  die  schweizerischen  Exportindustrien  nicht;  dagegen 
sind  einige  derselben  sehr  intensiv  entwickelt  und  auf  ihnen  beruht  der  Welt- 
ruf der  Schweiz  als  Industriestaat.  Es  sind  die  Baumwollindustrie,  die 
Seidenindustrie,  die  Uhrenindustrie,  die  Milchwirthschaft  ^),  die 
Maschinenindustrie  und  die  Strohflechterei.  Diesen  sechs  Industrien 
allein  sind  ca.  217,000  Personen  oder  Ye  der  ganzen  erwerbsthätigen  Bevölkerung 
des  Landes  dienstbar  und  die  Werthe  ihrer  Ausfuhren  summiren  sich  (1885)  auf 
nahezu  Fr.  600'000,000  oder  ca.  75  7»  ^'^^  Gesammtausfuhr. 

*)  Von  den  Statistikern  zwar  zur  Urproduktion  gerechnet. 


Industrie 


—      62     — 


Industrie 


« . 


Den  Beweis  hiefÜr  liefert  folgende  Statistik: 

lodustrie  Arbeiter 


Baumwollindustrie 88,470*) 

Davon  Stickerei 38,609 

Weberei 25,450 

Spinnerei 14,200 

Zwirnerei 1,019 

Druckerei 4,268 

Bleiche  und  Appretur    .     .  2,924 

Färberei 2,000*) 

Uebriges 

Seidenindustrie 57,705 

Davon  Stoffweberei 

Bandweberei 

Spinnerei 

Zwirnerei 

Färberei 

Uebriges 

Uhrenindostrie   (ohne  Musikdosen) 

Strohwaarenindustrie 15'095*) 

Maschinen  in  dostrie 12,847^) 

Milchwirthschaft 6,271*) 


Approx.  Ausfuhr 
pro  1885 


166^600,000 

89700,000 

52'000,000 

20'900,000 

r  600,000 


*)  Approx.  Kinfbhr 
ibnl.  KrEeugnleee 

32^900,000 

650,000 

25^200,000 

r500,000 

4'900,000 


oben  inbegriffen 


39,367 ') 


2*400,000 

172^300,000 

70*900,000 
28*600,000 

67*800,000 

oben  inbegriffen 
5*000,000 

79*000,000 

4*350,000 

21*360,000 

55' 130,000*) 


650,000 
121*100,000 

6*380,000 
2*740,000 

103*250,000 


30,270 
12,521 

6,846 

6,668 

1,400») 

8*730,000 

5*190,000 

1*190,000 

8'330,000 


3*630,000 

Größer   als  .  die  Zahl  der  Exportindustrien  ersten  BAnges  ist  die  Zahl  der- 
jenigen zweiten  und  dritten  Hanges.     Es  lassen  sich  dahin  zählen: 

Tabakindustrie  ...   mit  5389  Arb.  und  rund  Fr.  2*330,000  Ausfuhr  pro  1885 


Schuhfabrikation     . 
Leinen industrie  . 
Wollindustrie    . 
Papier-   und  Holzstoff- 
fabrikation    . 
Bijouterie 

Wirkwaarenindustrie 
Musikdosenfabrikation 
Elastiqu  efabrikation 
Holzschnitzerei  . 
Farbeuindustrie 
Chocoladefabrikation 


3590 
3249 
3141 

2283 
1975 
1856 
1684 
1130 
1098 
800 
354 


» 


6*500,000 
r420,000 
9*190,000 

3*740,000 
3*900,000 
1*840,000 
3*000,000 
2*400,000 
1*000,000 
8*800,000 
1 '800,000 


Der  Ursprung  der  schweizerischen  Industrien  läßt  sich  bis  zum  13.  Jahr- 
hundert zurück  verfolgen.  Dazumal  hatten  die  Wollen-  und  die  Leinen- 
manufaktur  schon  eine  gewisse  Bedeutung  und  Verbreitung.  Die  Anfänge  der 
Baumwoll-  und  der  Seidenmanufaktur  werden  ebenfalls  diesem  Jahr- 
hundort zugeschrieben.  In  Genf  nahm  die  Gold-  und  Silberschmiedekunst 
ihren  Anfang. 

Aus  dem  14.  Jahrhundert  vermeldet  die  Chronik  den  Betrieb  eines  Eisen- 
werkes (Genf). 

^)  Diese  Kolonne  ist  nur  zum  Zwecke  des  Vergleiches  mit  der  Ausführkolonne 
angefQgt. 

*)  Nach  Schlatter*s  Induslriekarte  von  1882/83.  —  *)  Approximative  Repartition 
der  Summe  aller  Färber,  minus  150,  welche  im  Dienste  der  WoU-  und  der  Leinen- 
färberei stehen  mögen.  —  *)  Voikszählungsstatistik  vom  1.  Dez.  1880  (Maschinen-  und 
Mühlenbauer,   Eisengießer,  Maschinen-Ingenieure   und   -Techniker).  ^)   Sennen   und 

Milchsieder,  laut  Volkszählungsstatistik  von  1880.  —  *)  Käse,  Butter  und  kondensirte  Milch. 


Industrie  —      63     —  Industrie 

Das  15.  Jabrhandert  brachte  die  Papier fabrikation  (Basel,  Freiburg) 
und  die  Uhr  macherei  (€tenf). 

Dem  16.  Jahrhundert  verdankt  man  die  Entstehung  der  Seidenspinnerei, 
-Zwirnerei  irad  -Färberei.  (Sporadisch  trat  auch  die  Sammetweberei  auf.)  Dazu 
gesellten  sich  im 

17«  Jahrhundert  die  Musselinemanufaktur,  die  Stoffdruckerei, 
die  Bleicherei,  die  Strumpfweberei,  die  Tabakverarbeitung,  die 
Spitzenklöpplerei. 

Das  18«  Jahrhundert  zeitigte  die  Baumwollspinnerei,  die  Stickerei, 
die  Strohflechterei,  die  Musikdosenfabrikation,  die  Roßhaar- 
spinnerei, während  Schöpfungen  des 

19.  Jahrhunderts  sind:  Die  Maschinenindustrie,  die  Farben- 
industrie, die  Elastiquefabrikation,  die  Zündholzindustrie,  die 
Instrumentenfabrikation,  die  Bierbrauerei,  die  Holzschnitzerei, 
die  Fabrikation  kondensirter  Milch  u.  s.  w. 

Selbstverständlich  haben  die  Industrien  im  Laufe  der  Zeit  wechselnde  Schick- 
sale gehabt,  doch  sind  diesen  nur  wenige  Zweige  erlegen.  Fast  vollständig  ein- 
gegangen ist  die  Spitzenklöpplerei,  die  im  Kanton  Neuenburg  ein  verhältnißmäßig 
kurzes  Dasein  fristete;  stark  rednzirt  ist  gegen  ehemals  die  Leinenmanufaktur 
und  erheblich  die  Wollmanufaktur.  Die  übrigen  älteren  Industrien  sind  trotz 
Wechselföllen  mehr  und  mehr  erstarkt,  während  die  neueren  Industrien  ohne 
weiteres  in  eine  dankbare  Zeit  fielen,  indem  das  gegenwärtige  Jahrhundert  den 
mechanischen  Betrieb,  die  Eisenbahnen,  Dampfschiffe  und  Telegraphen  brachte. 

So  lange  die  Eigenschaft  des  Dampfes  als  bewegende  Kraft  unbekannt  war, 
kam  der  schweizerischen  Industrie  vornehmlich  der  Wosserreichthum  des  Landes 
zustatten;  doch  weit  mehr  als  dies  tragen  zur  Entwicklung  der  Industrien  bei: 
Einmal  der  Thätigkeitssinn  und  der  Unternehmungsgeist  des  Volkes;  dann  die 
Einwanderung  fremder  industriekundiger  Elemente  (s.  pag.  519/20);  drittens 
der  schweizerische  Söldnerdienst  im  Auslande,  durch  welchen  sich  die  Schweiz 
Begünstigungen  für  ihren  Handel  erwarb ;  viertens  die  Lage  der  Schweiz  inmitten 
großer  konsumfähiger  Ländergebiete;  fünftens  die  stets  freihäudlerische  Politik 
des  Landes. 

Was  die  Gegenwart  von  der  Vergangenheit  übernommen  hat,  sucht  sie 
sorglich  zu  hüten  und  zu  mehren.  Ein  ernstliches  Mittel  hiefür  ist  die  Förderuug 
der  industriellen  Berufsbildung  (s.  pag,  253/74  und  760),  dann  die  vielseitigen 
Anstrengungen  zur  Vervollkommnung  bestehender  oder  zur  Pflanzung  neuer 
Industrien,  die  stetige  Erweiterung  des  Konsulametzes,  die  Sicherung  der  aus- 
wärtigen Handelsbeziehungen  durch  Handelsverträge,  die  Benützung  jeder  seriösen 
Ausstellungsgelegenheit  im  Auslande,  die  geschickte  Organisation  von  Ausstellungen 
im  Inlande,  die  gesetzliche  Regelung  wichtiger  industrieller  Interessen  etc. 

Nichtsdestoweniger  ist  zu  befürchten,  daß  die  schweizerische  Industrie  ihren 
Höhepunkt  bereits  hinter  sich  habe.  Grund  zu  dieser  Befürchtung  gibt  das  rapide 
Wachsthum  der  Konkurrenzindustrien  und  der  Schutzzöllnerei  des  Auslandes.  Ein 
fremdes  Grebiet  um  das  andere  wird  den  schweizerischen  Waaren  schwerer  zu- 
gänglich, theils  weil  dort  die  Baum  Wollindustrie,  die  Seidenindustrie,  die  Uhren- 
Industrie,  die  Bijouterie  oder  die  Milch wirthsohaft  Fuß  gefaßt  hat,  oder  weil  die 
2iölle  prohibitiv  wirken.  Ist  auch  nicht  anzunehmen,  daß  die  Schutzzöllnerei 
beständig  und  ununterbrochen  dauere,  so  ist  dafilr  die  Gewißheit  um  so  größer, 
daß,  je  weitere  Kreise  die  Zivilisation  auswärts  zieht,  dort  auch  um  so  mehr 
die  Fähigkeit  wächst,   das  selbst  zu  verfertigen,    was  bisher  zum  Theil  aus  der 


Industrie 


—     64 


lodustrie 


Schweiz  bezogen  wurde.  Unter  solchen  Verhältnissen  ist  es  wohltbuend,  zu 
beobachten,  daß  der  Pflege  des  einheimischen  Marktes  eine  entsprechend 
größere  Aufmerhsomkeit  zugewendet  wird.  Die  gegenwärtigen  Bemühungen  einea 
Meyer-Nägeli  in  Herisau  um  die  Popularisirung  der  Kammgarn weberei,  eines 
Direktor  Fischbach  in  St.  Gallen  um  die  Einführung  der  Teppichknüpferei,  ferner 
vieler  Vereine  und  Privaten  um  die  Einbürgerung  der  Korbflechterei  haben  alle 
zom  Zweck,  den  einheimischen  Markt  vom  Ausland  unabhängiger  zu  machen,  an 
Stelle  versiegender  Erwerbsquellen  neue  zu  erschließen. 

«  * 

Folgende    Statistik    zeigt,    wie    sich    die   Hauptindustrien    hinsichtlich    der 
Arbeiterzahl  auf  die  Kantone  vertheilen: 


Baamwoll- 

Seiden- 

Uhren- 

S^airkk 

MHaI* 

Kanton 

indnstrie 
und  Hfilfs- 
Induütrien 

Industrie 
and  Hülfs- 
indnstrien 

indnstrie 

(ohne  Hiuiik- 

dosen) 

scron- 
waaren- 
Industrie 

Maschinen- 
Industrie 

jniicn- 
wirth- 
schaft 

Aargau    . 

6,405 

3,141 

8,658 

659 

138 

Appenzell  A.-Rh. 

11,415 

1,327 



216 

73 

Appenzell  L-Bh. 

3,355 

— 

5 

114 

Baselland      .     . 

124 

7,013 

235 

— 

212 

50 

Baselstadt     .     . 

8 

8,237 

445 

— 

Bern  .     .     .     . 

1,386 

2,506 

17,468 

56 

1,176 

1416 

Freiburg .     . 

25 

475 

3,715 

116 

388 

(Jenf  .     .     .     . 

— 

2,950 

— 

573 

33 

Glarus 

7,879 

408 

148 

28 

Graubünden  .     . 

441 

— 

— 

68 

142 

Luxem     . 

290 

989 

— 

— 

436 

468 

Neuenburg    .     , 

197 

— 

14,525 

83 

301 

62 

Nidwaiden    .     . 

11 

118 

— 

7 

121 

Obwalden      .     . 

— 

4 

30 

Schaffhausen 

219 

— 

234 

— 

466 

25 

Schwyz    .     .     . 

1,108 

707 

— 

— 

51 

229 

Solothurn      .     . 

583 

815 

1,597 

— 

712 

271 

St.  Gallen     . 

.     32,560 

1,394 

1,012 

457 

Tessin      .     .     . 

60 

1,280 

80 

1,250 

40 

52 

Thurgau  .     .     . 

8,553 

789 

— 

— 

774 

306 

Dri     ...     , 

219 

— 

4 

12 

Waadt     .     . 

351 

— 

1,803 

230 

467 

953 

Wallis     .     .     , 

.         — — 

— 

59 

61 

66 

Zürich     .     .     . 

.     12,350 

26,875 

— 

1,014 

4,869 

422 

Zug    .     .     . 

.       1,150 

1,887 

30 

25 

415 

88,470 

57,705 

39,367 

15,095 

12,847 

6271 

Kanton 

Tabak-    Sohuh- 
Indu-      fabri- 
atrie      katton 

Papieren.  Leinen-  Wollen- 
HolBstoff-    Inda-       indo- 
fabrikat.      strie        ttrie 

BiJou-     Wlrk- 
terie     waaren 

Musik-      BlM- 
dosen      tiquM 

Holi- 
•ohnltk 

Aargau    .     . 

.  2605     715 

149 

72       60 

107 

128     750 

Appenzell  A.-Bh 

13 

70 

Appenzell  I.-Rh 

— 

Baselland 

7 

36 

25       40 

Baselstadt     . 

.     241 

102 

Bern  .     .     . 

.     350       31 

364  2033     996 

28     772 

1088 

Freiburg .     . 

.       44 

52 

66       15 

5 

Industrie 


—     65     — 


Industrie 


Genf  ..     .     .     . 

44 

20 

1550 

4G0 

Glarus 

48 

87 

240 

17 

Graabünden  .     . 

50 

98 

5 

18 

Luzern     .     .     . 

165 

206 

121 

79 

16 

Neuenburg    .     . 

44 

82 

18 

190 

Nidwaiden    .     . 

3 

5 

5 

Obwalden 

Sohafifhausen 

— 

78 

416 

76 

15 

Schwyz    .     .     . 

10 

Solotburn      .     . 

80 

1956 

370 

370 

50 

302 

St.  Gallen     .     . 

41 

93 

44 

8 

67 

130 

Teesin 

.     396 

53 

Tburgau  .     .     . 

68 

145 

18 

250 

394 

373 

Uri     .     .     . 

Waadt     .     . 

.   1087 

314 

85 

60 

145 

260 

1096 

5 

Wallis     .     . 

.       50 

28 

11 

Zürich      .     .     . 

42 

328 

396 

424 

267 

45 

217 

67 

Zug    .     .     . 

34 

77 

22 

5389  3589  2283  3249  3141  1975  1856  1684  1134  1098 

Zeigen  die  vorstehenden  Tabellen,  wie  sich  die  H  a  n  p  t  indostrien  über  die 
Schweiz  verbreiten  und  wie  jeder  Kanton  an  denselben  partizipirt,  so  ergibt  sich 
aus  folgender  Statistik  die  Rangordnung  der  Kantone  hinsichtlich  der  Zahl  aller 
industriell  (inkl.  kleingewerblich)  thätigen  Personen.  Von  je  1000  erwerbsthätigen 
Personen  sind  laut  eidg.  Volkszählungsstatistik  von  1 880  industriell  und  gewerblich 
thätig  (die  Miichwirthschaft  ist  in  der  Volkszählungsstatistik  zu  der  Urproduktion 
gerechnet  und  somit  in  folgenden  Zahlen  nicht  inbegriffen) : 


im  Kanton 

1.  Appenzell  A.-Rh. 

2.  Glarus .    .    . 

3.  Baselstadt     . 

4.  Neuenburg    . 

5.  Appenzell  L-Rh 

6.  Baselland 

7.  St.  Gallen      . 

8.  Zürich      .     . 

9.  Genf    .    .    . 


Per«. 

721 
682 
631 
606 
598 
569 
561 
527 
494 


im  Kanton 

10.  Zug    .     .     . 

11.  Thurgau 

12.  Solothum    . 

13.  Aargau  .    . 

14.  Bern  .    .    . 

15.  Schwyz  .    . 

16.  Scbaffhausen 

17.  Nidwaiden  . 

18.  Waadt    .    . 


Pers. 

482 
466 
446 
435 
380 
375 
364 
348 
307 


im  Kanton 

Per«. 

19. 

Obwalden   .    . 

.    .    305 

20. 

Luzern  .     .    . 

.     .    297 

21. 

Tessin    .     .    . 

.    270 

22. 

Freiburg     .    , 

.    267 

23. 

GraubQnden    , 

.     217 

24. 

Uri     .    .    . 

.    .     139 

25. 

Wallis     .    . 

.     .     121 

Die  Totalzahl  aller  industriell  und  gewerblich  thätigen  Personen  war  im  Jahre 
1880  550,824  (s.  Seite  230  d.  Lexikons);  davon  waren  Ende  1885  144,312 
=  26,2  7o  ^  Fabriken  beschäftigt,  somit  lagen  73,8  7^  ^^^  Haus- 
industrie und  dem  häuslichen  Gewerbe  ob. 

Der  Fabrikbetrieb  ist  vorherrschend  bei  der  Spinnerei  und  Zwirnerei,  der  Zeng- 
dmokerei,  der  Appretur  und  Bleicherei,  der  Färberei,  der  Glaserzeugung,  der 
Tabakindustrie,  der  Zündholzfabrikation,  der  filastiquefabrikatfon,  der  Maschinen- 
industrie, der  Papier-  und  Holzstofffabrikation. 

6e|setjzgeb|ung  übjejr  Ijndustjrie  und  HandeL 

Von  der  Zollgesetzgebung  und  den  Handelsverträgen  abgesehen,  greift  die 
schweizerische  Industrie-  und  Handelsgesetzgebung,  soweit  sie  vom  Bund  aus- 
geht, noch  nicht  in  viele  Gebiete  ein  und  ist  tlberhaupt  jüngeren  Datums.  Das 
bedeutendste  einschlägige  Gesetz  ist  unstreitig  dasjenige  über  die  Arbeit  in 
den  Fabriken,  vom  23.  März  1877  (s.  pag.  602  d.  Lexikons).     Demselben 

Tvrrer,  VolkawirthaohafU-Lazikon  der  Schwels.  5 


Industrie  —     66     —  Industrie 

schließt  sich  an  dasjenige  über  die  Haftpflicht  ans  Fabrikbetrieb,  vom 
25.  Jnni  1881  (s.  pag.  816),  das  gegenwärtig  (Mitte  1886)  in  Revision  begriffen 
ist.  ly«  Jahre  früher,  d.  i.  am  19.  Dezember  1879,  wurde  ein  Cresetz  sam 
Schatze  der  Fabrik-  und  Handelsmarken  erlassen  (s.  pag.  585),  dann 
am  23.  Dezember  1880  das  G^etz  betreffend  die  Kontrolirung  und 
Garantie  des  Feingehalts  der  Gold-  und  Silberwaaren  (s.  pag.  781) 
und  am  17.  Juni  1886  das  Gt^setz  betreffend  den  Handel  mit  Gold-  und 
Silberab fällen  (s.  pag.  779).  Ebenfalls  auf  die  Industrien  influirend  ist  der 
Bundesbeschluß  vom  27.  Juni  1884  betreffend  die  gewerbliche  und  indu- 
strielle Berufsbildung  (s.  pag.  254). 

Mehr  den  Handel  als  die  Industrie  berührt  das  eidgenössische  Obligati  oBe n- 
recht,  das  auf  Grund  ron  Art.  64  der  Bundesverfassung  angestellt  und  am 
1.  Januar  1883  in  Kraft  gesetzt  worden  ist.  Es  enthält  u.  A.  Bestimmungen 
tibar  die  Verträge,  über  Kauf  und  Tausch,  über  Prokuristen,  Handlungs- 
bevollmächtigte und  Handelsreisende,  über  Kommission,  Geschäftsführung  ohne 
Auftrag,  über  den  Wechsel  und  den  Check,  über  die  Handelsfirmen  und  das 
Handelsregister. 

Dem  Obligationenrecht  voraus  ging  das  Bundesgesetz  über  die  Ausgabe 
und  die  Einlösung  von  Banknoten,  vom  8.  März  1881  (s.  pag.  557); 
ein  Bundesgesetz  betreffend  die  Beaufsichtigung  der  Privatunter- 
nehmungen im  Gebiete  des  Versicherungswesens  folgte  am  25.  Juni 
1885.  Dem  ganzen  wirthschaftlichen  Leben  und  doch  zunächst  dem  Handel  und 
der  Industrie  zu  Statten  kommend  sind  die  Bundesgesetze  über  den  Bau  und 
Betrieb  der  Eisenbahnen  (pag.  539),  über  die  Posten  und  Telegraphen, 
das  Mtlnzwesen  und  über  Maß  und  Gewicht. 

Die  kantonale  G^etzgebung  über  Industrie  und  Handel  besteht  haupt- 
sächlich aus  Verordnungen  über  die  Ausführung  der  Bundesgesetze,  danebst 
kommen  aber  auch  selbstständige  Gesetze  vor,  namentlich  über  Hausir-  und 
Marktverkehr,  Lebensmittel  verkehr,  Trödlerei,  Inkasso-  und  Darleihensgeschäfte  etc. 

Literatur. 

Die  Literatur  über  Handel  und  Industrie  der  Schweiz  ist  eine  mannigfaltige, 
ohne  indeß  viele  größere  Werke  aufzuweisen.  Die  bedeutendsten  sind  unstreitig 
diejenigen  von  Dr.  H.  Wartmann,  Aktuar  des  Kaufmännischen  Direktoriums 
in  St.  Gallen;  sie  sind  betitelt:  „Industrie  und  Handel  des  Kantons  St.  Gallen*^ 
(Huber  (!k  Cie.  daselbst)  und  „Atlas  über  die  Entwicklung  von  Industrie  und 
Handel  der  Schweiz**. 

Als  periodiscae  Publikationen  haben  großen  Werth  die  Jahresberichte  des 
Schweizerischen  Handels-  und  Industrievereins,  sowohl  des  Vororts,  als  der 
Sektionen. 

Die  Tagesliteratur  ist  durch  mehrere  Fachzeitungen  vertreten :  Neue  Ztlrcher 
Zeitung  (Handelsabtheilung),  Basler  Handelszeitung,  Schweizer  Industrie-2ieitung, 
Stickerei-Industrie,  Journal  suisse  d'horlogerie,  Merkur,  Confidentia,  Schweizerisches 
Handelsamtsblatt  (die  Schweizerische  Handelszeitung  ist  Ende  Oktober  1886  ein- 
gegangen). 

Einführung  neuer  Industrien. 

Ob  das  industrielle  Leben  darniederliege  oder  mit  aller  Kraft  pulsire,  ob 
Noth  oder  üeberfluß  herrsche,  Zollmauern  zusammenstürzen  oder  entstehen  — 
der  Ruf  nach  neuen  Industrien  verstummt  nie  ganz;  er  ist  wie  ein  unter  der 
Asche   glimmendes  Feuer,    das    bald   nach   dieser  bald  nach  jener  Richtung  auf- 


Industrie  —     67     —  Industrie 

flackert.  Die  zahlreichen  Anregungen  zur  Schafifting  neuer  Industrien  liissen  sich 
in  zwei  Gruppen  sondern :  in  private,  nicht  üher  einen  kleinern  Kreis  hinaus- 
tretende, und  in  öffentliche.  Die  ersteren  hängen  vielfach  zusammen  mit  der 
Ertindurg  von  Maschinen  und  Mustern,  die  anderen  haben  ihren  Quell  meistens 
in  der  Nothlage  einer  Gregend  oder  in  den  Ausstellungen.  Die  Anregungen  der 
-erfiteren  Art  erfUUen  sich  oder  verschwinden  verhältnißmäßig  rasch,  diejenigen 
der  zweiten  Art  wiederholen  sich,  so  lange  sie  nicht  realisirt  sind,  bei  jeder 
schicklichen  Gelegenheit.  Beide  Arten  haben  Das  miteinander  gemein,  daß  ihre 
Ausführung  sich  oft  viel  schwieriger  macht,  als  vorausgesetzt  wird. 

Der  erfiüirene,  als  Industrieller  wie  als  Kaufmann  und  Handelspolitiker 
gleich  sehr  geschätzte  Herr  Steiger-Meyer  in  Herisau  sagt  im  1870er  Bericht 
der  appenzellischen  Industriekommission: 

^Die  Aufgabe,  neue  Industrien  einzufahren,  ist  leichter  gegeben,  als  erfUlt.  Nur 
wer  die  Einfölming  einer  Industrie  schon  versucht  hat,  kennt  die  enormen  Sdiwierig- 
keiten,  die  damit  verbunden  sind.  Sie  beginnen  damit,  fähige  Kräfte  zu  finden,  welche 
genügende  Geduld  und  Ausdauer  besitzen  und  mit  Vertrauen  bei  der  Sache  bleiben, 
bis  sie  den  nötbigen  Geling  haben,  um  den  in  Aussiebt  gestellten  Verdienst  zu  erreichen. 
Ein  ferneres  Hindemiß  liegt  in  der  Armuth  der  Leute,  welchen  gewöhnlich  die  Mittel 
fehlen,  um  den  Ausfall  zu  decken,  welchen  die  Lehrzeit  in  ihre  Einnahmen  bringt.  Es 
lassen  sich  allerdings  leicht  Leute  finden,  welche  bereit  sind.  Dieses  oder  Jenes  zu 
probiren,  aber  mit  solchen  ist  höchst  selten  gedient ;  ein  Mann,  der  ein  Geschäft  versteht 
und  die  eigenen  Mittel  hat,  ein  solches  zu  etabliren,  geht  selten  an  einen  Ort,  wo  er 
neben  den  natürlichen  Schwierigkeiten,  welche  die  Etablirung  jedes  Geschäftes  mit  sich 
bringt,  sich  noch  mit  den  Ansprüchen  und  Vorurtheilen  neuer  Arbeiter  herumschlagen 
soll,  wenn  ihm  nicht  billige  Arbeitslöhne,  günstige  Wasserkräfte  oder  billige  Brenn- 
materialien eine  Entschädigung  für  die  ersten  Opfer  bieten." 

Außer  diesen  Ursachen  wirkt  in  hohem  Maße  zur  Erschwerung  der  Ein- 
führung neuer  Industrien  mit,  daß  die  Konkurrenz  die  neuen  Versuche  nicht 
aufkommen  lassen  will,  daß  die  Mode  sich  bald  von  den  neuen  Fabrikaten  ab- 
wendet, daß  der  kaum  gefundene  Absatz  unvermuthet  wieder  stockt  etc.  So  hatte 
die  Tüll  Weberei  in  deu  Jahren  1826/28  im  St.  Gallischen  und  Appenzellischen 
bereits  schön  Boden  gefaßt  fKreisammann  Heer  in  Rheinek  war  der  Initiant  und 
die  St.  Galler  gemeinnützige  Gesellschaft  schloß  sich  ihm  an),  allein  der  englische 
Tüll  wurde  konstant  so  billig  gebandelt,  daß  jene  den  Kampf  nicht  aushalten 
konnte.  Nicht  reüssirt  hat  im  Femern,  ebenfalls  im  Appenzellischen,  die  C or set- 
webe r  ei,  die  um  1848  an  Hand  genommen  wurde,  aber  bald  der  billigeren 
Maschineimäherei  unterlag.  Die  Fabrikation  von  Halbwolldamast  war  in 
den  Jahren  1861  — 1865  ein  lohnendes  Geschäft;  man  importirte  sie  aus  Sachsen 
nach  dem  appenzellischen  Hinterland,  wo  man  sie  leicht  zu  handhaben  verstand, 
baldiger  Absatzstockung  wegen  aber  nicht  fortsetzen  konnte.  Die  Chinagarn- 
fipinnerei,  1865  im  St.  Gallischen  wegen  Baumwollthenerung  (amerikanischer 
Krieg)  unternommen,  konnte  sich  nur  bis  zur  Blickkehr  normaler  Baum  wollpreise 
behaupten.  Zwei  Anläufe  des  Kaufmännischen  Direktoriums  in  St.  Grallen  zur 
Einführung  der  Halbwoll-  und  Wollweberei,  der  eine  in  den  50er,  der  andere 
in  der  zweiten  Hälfte  der  70er  Jahre,  reüssirten  deßhalb  nicht  in  jener  Gegend, 
weil  zur  2^t  des  ersten  Anlanfes  der  st.  gallische  Handelsstand  zu  einem  Versuch 
nicht  disponirt  war,  während  beim  zweiten  Anlauf  es  sich  zeigte,  daß  die  Haus- 
industrie dem  anderwärtigen  mechanischen  Großbetrieb  schon  nicht  mehr  gewachsen 
war,  und  weil  Niemand  die  Anlage  einer  Fabrik  riskiren  wollte. 

Aehnliche  Beispiele  ließen  sich  auch  aus  den  übrigen  Industriegegenden  in 
Menge  zitiren;  indessen  ist  es  nicht  der  Zweck  dieser  Zeilen,  die  Anregungen 
2ur   Elinfdhrung   neuer  Industrien    als    unnütz   und    überflüssig   hinzustellen.     Sie 


Industrie  —     68     —  Instrumente 

mtlssen  im  Gegentheil  als  Zeichen  der  Strebsamkeit,  der  Fürsorge  und  der  Vater- 
landsliebe aufgefaßt  werden.  Oder  sollten  die  PreisausschreiboDgen  des  Kauf- 
männischen Direktoriums  in  St.  Gallen  (vom  Jahre  1813)  und  des  Herrn  Schindler- 
Eecher  in  Zürich  (vom  Jahre  1883)  für  die  besten  schriftlichen  Arbeiten  über 
einzuführende  neue  Industrien  anderen  als  den  edelsten  Motiven  entsprungen  sein  ? 

Uebrigens  sind  weder  die  Anregungen  dieser  Art,  noch  jene,  welche  in  der 
Regel  in  Ausstellungsberichten  formulirt  zu  werden  pflegen,  trotz  den  in  der 
Praxis  sich  ergebenden  Schwierigkeiten  immer  erfolglos.  So  ist  es  sehr  wahr- 
scheinlich, daß  ohne  die  Preisausschreibung  des  Herrn  Schindler- Escher  die 
Kammgarn  Weberei  sowohl  als  die  Teppichkniipferei  sich  noch  nicht  in  dem  gegen- 
wärtigen glückverheißenden  Stadium  befänden. 

Wie  zähe  sich  gute  Ideen  erhalten,  beweist  der  Umstand,  daß  der  schon 
auf  das  Preisausschreiben  des  Kaufinännischen  Direktoriums  gefallene  Vorschlag 
auf  Einführung  der  Spielwaarenfabrikation  auch  heute  noch  unablässig  wieder- 
kehrt. Die  Spiel waarenschule  in  Bern  ist  vermuthlich  unter  der  Pression  dieser 
steten  Anreizungen  entstanden ;  der  Korbflechterei  ist  Jahre  lang  gerufen  worden, 
bevor  ernstlich  Hand  an  dieselbe  gelegt  wurde  —  Grand  genug  somit,  zu  hoffen, 
daß  auch  noch  andere  alte  und  doch  nie  veraltende  Vorschläge,  wie  Ausdehnung 
der  Handschuhfabrikation,  der  Hutfabrikation,  der  Fabrikation  künstlicher  Blumen, 
der  Konfektion,  der  Rauchwaarenartikel-Fabrikation,  der  Cichoriensubereitung, 
Einführung  der  Stahlfedemfabrikation,  bessere  Ausnützung  der  inländischen  Roh- 
stoffe u.  s.  w.,  sich  nach  und  nach  verwirklichen.  Möge  dabei  nicht  vergessen 
werden,  daß  die  größte  Förderung  der  heimischen  Industrie  in  der  Hebung  des 
künstlerischen  Geschmackes  des  Volkes  besteht,  denn  vor  der  Kunst  in  der  Arbeit 
verneigen  sich  selbst  chinesische  Mauern. 

Industriebahnen  verfertigt  als  Spezialität  Alfred  Gehler,  Ingenieur  und 
Mechaniker  in  Wildegg,  Aargau. 

Industrielles  Eigenthum  s.  Gewerblicbes  Eigenthum. 

Informationsbureaux.  Die  schweizerischen  Adreßbücher  verzeichnen 
ca.  60  Informationsbureaux.  Im  Handelsregister  waren  Ende  1884  nur  8  ein- 
getragen. 

Ingenieure.  Birkhäuser's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  verzeichnet  ca.  500 
schweizerische  Ingenieurfirmen,  wovon  83  im  Kt.  Bern,  81  im  Kt.  Zürich,  57 
im  Kt.  Waadt,  50  im  Kt.  Genf,  44  im  Kt.  Tessin,  34  im  Kt.  Luzem,  33  im 
Kt.  St.  Gallen,  23  im  Kt.  Graubiinden,  19  im  Kt.  Aargau,  19  im  Kt.  Neuen- 
burg, 8  in  ßaselstadt,  8  im  Kt.  Freiburg,  7  im  Thurgau,  7  im  Kt.  Uri,  je  4 
in  den  Kantonen  Appenzell  A.-Rh.,  Scbwyz  und  Solothurn,  je  2  in  den  Kantonen 
Glarus,  Schaifhausen  und  Wallis,  je  1  in  Baselland,  Nidwaiden  und  Obwalden. 

Inkassogeschäfte.  Im  Handelsregister  waren  Ende  1884  94  Inkasso- 
geschäfte eingetragen.  Dazu  dürften,  nebst  den  Banken,  noch  alle  sog.  Geschäfts- 
und Recbtsagenten  zu  zählen  sein. 

Instrumente  zu  wissenschaftlichen  (chirurgischen,  mathematischen 
und  physikalischen)  Zwecken.  Diese  Fabrikation  steht  in  der  Schweiz  auf 
hoher  Stufe,  weniger  zwar  durch  die  Zahl  der  sie  ausübenden  Firmen  als  durch 
die  Qualität  der  Leistungen.  Hauptsitze  dieses  Industriezweiges  sind  Basel,  Aarau^ 
Schaff  hausen,  Genf  und  Zürich. 

Einfuhr  (inklusive  optische  Gläser,  Brillen,  Operngucker)  1883:  914  q^ 
1884:  908  q,  1885:  944  q  im  Werthe  von  Fr.  871,620  (424  q  kamen  aus 
Deutschland,  265  q  aus  Frankreich,  182  q  aus  Belgien,  35  q  aus  Ghroß- 
britannien.) 


Instrumente  —     69     —  Interessenvertretung 

Ausfuhr  1S83:  480  q,  1884:  840  q,  1885:  582  q  im  Werthe  von 
Fr.  965,917  (167  q  nach  Italien,  113  q  nach  Frankreich,  110  q  nach  Deutsch- 
land, 45  q  nach  Oesterreich,  36  q  nach  Belgien). 

Integrator  ist  der  Name  eines  im  Jahre  1856  von  Amsler-Laffon  in 
Schaff  hausen  erfundenen  Instrumentes,  das  u.  a.  zur  Ermittlung  des  Volumens 
des  von  einem  Schiff  bei  verschiedenem  Tiefgange  verdrängten  Wassers  dient. 

Interessenvertretung  im  Auslande.  Die  Interessen  der  Schweiz  im  Aus- 
lande sind,  wie  diejenigen  anderer  Staaten,  einerseits  politischer,  anderseits  wirth- 
schaftlicher  Natur.  Beide  Arten  haben  ihre  Vertretung:  Die  einen  in  den  Gesandt- 
schaften, die  andern  in  den  Konsulaten.  Ganz  streng  sind  zwar  die  Kompetenzen 
nicht  abgegrenzt,  sondern  die  Gesandtschaften  haben  ebensowohl  Angelegenheiten 
von  rein  wirthschaftlicher  Bedeutung  zu  besorgen  (Handelsverträge,  Zollanstände  etc.) 
als  manche  Konsulate  kleinere  Geschäfte  politischer  Natur,  letzteres  immerhin  nur  in 
Staaten,  wo  die  Schweiz  keine  diplomatische  Vertretung  (Gesandtschaft)  hat.  In 
neuerer  Zeit  richten  einige  Staaten  ihr  Augenmerk  noch  auf  eine  dritte  Form  der 
Interessenvertretung,  d.  i.  auf  Handelskammern  im  Ausland.  Die  Schweiz  sah  sich 
ebenfalls  veranlaßt,  Untersuchungen  in  dieser  Hinsicht  anzustellen ;  wie  und  mit 
welchem  Resultate,  soll  im  Anschluß  an  folgende  nähere  Darstellung  des  Ge- 
sandtschaft- und   des  Konsularwesens  gesagt  werden. 

Gesandtschaften. 

Vor  dem  Jahre  1798,  also  vor  der  sogenannten  Periode  der  Uehetik, 
unterhielt  die  Eidgenossenschaft  als  solche  keine  ständigen  Gesandtschaften.  Viel- 
mehr wurden  jeweilen  in  einzelnen  Fällen,  in  denen  eine  mündliche  Verhandlung 
angemessen  oder  unerläßlich  schien,  Spezial-Gesandtschaften  an  diesen  oder  jenen 
Staat  abgeordnet. 

Indessen  wäre  es  ein  Irrthum,  anzunehmen,  daß  die  Errichtung  ständiger 
Gesandtschaften  nicht  auch  schon  in  frühern  Zeiten  sich  als  ein  nahes  Bedürfniß 
geltend  gemacht  hätte  und  in  den  Berathungen  der  alten  Eidgenossen  zur  Sprache 
gebracht  worden  wäre.  Vielmehr  finden  sich  in  den  altern  Abschieden  (Tag- 
satzungsbeschlüssen) deutliche  Spuren  vom  Gegentheile,  und  es  wurd^  schon  um  die 
Mitte  des  17.  Jahrhunderts  die  Aufstellung  eines  ständigen  Vertreters  der  Eid- 
genossenschaft wenigstens  in  Paris  auf  den  eidgenössischen  Tagleistungen  zur 
Sprache  gebracht.  Zur  Ausführung  kam  dieser  Gedanke  freilich  nicht,  sondern 
es  behalf  sich  die  G^ammtheit  der  13  alten  Kantone  bis  zum  Jahr  1798  mit 
Spezialabordnungen.  Dagegen  unterhielten  nach  dem  Grundsatze  vollständiger 
Autonomie  die  katholischen  Orte,  wenigstens  zeitweise,  ständige  Agentschaften  in 
Madrid,  Mailand  und  Eom. 

In  Rom  war  gewöhnlich  der  schweizerische  Gardehauptmann  mit  diploma- 
tischem Charakter  umgeben;  doch  findet  sich  dort  auch  im  Jahr  1714  ein  Ab- 
bate  Guidobaldo  Giuliani  und  1743  ein  Herr  Fargna  als  Agent  der  katholischen 
Kantone,  und  zwar  der  letztere  mit  einem  Jahresgehalt  von   120  Dublonen. 

Für  Madrid  wurde  im  Jahr  1665  Karl  Konrad  von  Beroldingen  als 
Vertreter  bezeichnet  mit  einem  Jahresgehalt  von  1200  Kronen.  Nach  seinem 
Kticktritte  wurde  ein  gewisser  Giov.  Battista  Cassani  mit  der  Mission  betraut, 
welchem  im  Jahr  1680  sein  Sohn  Joseph  Cassani  nachfolgte. 

um  die  gleiche  Zeit  waren  in  Mailand  zuerst  Dr.  Burtholome  Crivelli 
und  nach  ihm  sein  Sohn  Franz  Crivelli  die  diplomatischen  Vertreter  der  katho- 
lischen Orte  mit  dem  Titel  ^ Agent**. 

Ausnahmsweise   und   seltener   bestellten  auch  die  evangelischen  Orte  solche 


Interessenvertretung  —      70     —  Interessenvertretung 

besondere  politische  Agenten.  So  zur  Zeit  Ludwig's  XIV.  in  Paris,  während 
freilich  ein  gleichfalls  daraaf  abzielender  Antrag  im  Jahr  1731  der  Kosten  wegea 
abgelehnt  wurde.  Diese  Thatsaohe,  nämlich  die  gesonderte  Vertretung  der  beiden 
Beligionsverwandtschaften,  dürfte  die  Erklärung  enthalten,  warum  es  trotz  wieder- 
holter Anregung  niemals  zu  einer  G^sammtvertretung  gekommen  ist.  Allerdings^ 
mögen  die  mit  solchen  Posten  verbundenen  großem  Auslagen  und  der  Mangel 
einer  Bundeskasse,  aus  welcher  die  Kosten  zu  bestreiten  gewesen  wären,  bedeutend 
mitgewirkt  haben. 

Eine  entschieden  andere  Gestaltung  nahm  die  Sache  mit  dem  Eintritte  der 
sogenannten  Helvetik;  die  helvetische  Regierung  nämlich  unterhielt  ständige  Ver- 
treter in  Paris,  Mailand  und  etwas  später  in  Wien. 

Nach  dem  Zusammenbruch  der  alten  Eidgenossenschaft  und  dem  Beginn 
der  Einheitsregierung  waren  naturgemäß  die  Beziehungen  zwischen  der  Schweiz- 
und  Frankreich  die  mannigfaltigsten  und  tief  eingreifendsten. 

Die  Schweiz  war  von  französischen  Truppen  besetzt;  sie  unterhandelte  mit 
der  französischen  Republik  den  Abschluß  eines  Allianz-  und  eines  Handels- 
vertrages, und  namentlich  mit  Rücksicht  auf  diesen  letztern  Vertrag  suchte  der 
Bürger  Xaver  Zeltner  von  Solothurn,  welcher  kurz  vor  dem  Eintritte  der 
Helvetik  im  Auftrage  seines  Kantons  in  Paris  gewesen  war,  das  Direktorium 
zur  Kreirung  eines  Gesandt^chaftspostens  bei  der  französischen  Republik  zu 
bestimmen. 

Das  Direktorium  ging  auf  diese  Anschauung  ein  und  übertrug  den  Posten 
am  27.  April  1798  dem  eben  genannten  Zeltner  als  Minisire  Plinipotentiaire^ 
welchem  gerade  wegen  des  im  Wurfe  liegenden  Handelsvertrages  der  Berner 
Amadeus  Jenner  bereits  am  27.  Mai  gleichsam  als  Legationsrath,  sonderbarer 
Weise  aber  ebenfalls  in  der  Eigenschaft  eines  außerordentlichen  Gesandten,  bei- 
gegeben wurde. 

Als  am  13.  Januar  1800,  also  nach  dem  Sturze  des  französischen  Direktoriums, 
der  mit  der  gestürzten  Regierung  nahe  befreundete  Zeltner  zurücktrat,  bekleidete 
der  mit  der  neuen  Regierung  mehr  s^mpathisirende  Jenner  die  Stelle  allein  bis 
zum  12.  Dezember  1800.  An  diesem  Tage  wurde  er  auf  seinen  Wunsch  ent- 
lassen, und  die  Regierung  gab  ihm  sofort  in  dem  helvetischen  Minister  der 
Künste  und  Wissenschaften,  Peter  Albrecht  Slapfer,  von  Brugg,  einen  Nachfolger, 
welcher  die  Schweiz  bis  zum  Ende  der  Helvetik  in  würdigster  und  ausgezeichnetester 
Weise  vertreten  hat.  Stapfer,  durch  die  Mediationsakte  zum  Präsidenten  der 
helvetischen  Liquidationskommission  ernannt,  kehrte  zu  Anfang  des  Jahres  1803^ 
nach  der  Schweiz  zurück. 

Die  Beglaubigung  eines  helvetischen  Repräsentanten  in  Mailand  resp.  bei 
der  cisalpinischen  Republik  wurde  hauptsächlich  durch  die  ennetbirgischen 
Kantone  Lugano  und  Bellinzona  betrieben  und  zunächst  mit  Rücksicht  auf  diese 
Kantone  beschlossen.  Der  Posten  wurde  am  5.  Juli  1798  dem  Bemer  Halter^ 
gewesenem  KommiKsär  bei  der  italienischen  Armee,  übertragen,  mit  dem  Titel 
Ministrcy  und  es  wurde  ihm  sein  Bruder  Albert  Hall  er  beigegeben.  Haller  ^ 
welcher  von  der  französischen  Regierung  in  Mailand  nicht  gerne  gesehen  wurde, 
während  der  erste  Konsul  der  französischen  Republik  ihn  in  Paris  wohl  leiden 
mochte,  wo  er  ohne  Zweifel  einen  auf  die  Geschicke  seines  Vaterlandes  bedeutenden 
Einfluß  ausgeübt  hat,  bekleidete  den  Posten  in  Mailand  bloß  bis  zum  Jahr  1799. 
Von  da  an  war  der  Posten  eine  Zeit  lang  unbesetzt,  indem  Haller  erst  am 
18.  August  1800   in    der   Person    eine«   gewissen   Taglioretti   einen    Nachfolger 


IntereasenTertretung  —      71      —  .  Interessenvertretung 

erhielt.  Dieser  Repräsentant  hieß  zunächst  hloß  Agent,  da  seine  Mission  nar 
eiue  vorübergehende  sein  sollte,  mit  dem  bestimmten  Zwecke,  die  Aufhebung 
des  Gktreideauflfuhrverbotes  aas  Cisalpinien  zu  erwirken.  Später  fand  man  es 
aber  für  angemessen,  diesen  Agenten  in  Mailand  zu  belassen,  während  man  es 
der  Würde  beider  Bepubliken  ^r  angemessener  erachtete,  dem  schweizerischen 
Vertreter  einen  höhern  Charakter  zu  verleihen,  worauf  Taglioretti  am  19.  Januar 
1801  zum  Charge  d^ Affaires  befördert  ward. 

Die  £mennung  eines  Vertreters  am  kaiserlichen  Hofe  in  Wien  wurde  erst 
gegen  das  Ende  der  Helvetik  vorgesehen.  Als  nämlich  aus  dem  am  10.  Oktober 
1801  in's  Werk  gesetzten  Staatsstreiche  die  unitarische  Partei  unterlegen  und 
eine  föderalistische  Regierung  hervorgegangen  war,  suchte  diese  letztere  die 
nähern  Beziehungen  zum  deutschen  Reiche,  namentlich  zum  Hause  Oesterreich, 
wieder  herzustellen.  Zu  diesem  Behufe  sandte  das  Haupt  der  damaligen  Regierung, 
Landammanu  Alois  Meding^  der  Übrigens  gegen  ständige  Repräsentation  gestimmt 
war,  den  Bemer  von  Dießbach  an  den  Hof  nach  Wien,  und  zwar,  wie  es  im 
ursprünglichen  Kreditive  hieß,  in  der  Eigenschaft  eines  außerordentlichen  Bot- 
schafters. Diesen  hochklingenden  Titel,  dem  übrigens,  wie  die  Rechnungen  nach- 
weisen, der  zeitweilige  Vertreter  alle  Ehre  anzuthun  gewußt  hat,  fand  man  doch 
den  bescheidenen  Verhältnissen  der  Schweiz  wenig  angemessen,  weßhalb  man 
später  dem  Vertreter  am  Kaiserhofe  nur  noch  den  Charakter  eines  außerordent- 
lichen Gesandten  und  bevollmächtigten  Ministers  bewilligte. 

Mit  dem  Sturze  des  föderalistischen  Regimentes  und  dem  Emporkommen 
der  Unitarier  am  17.  April  1802  fand  die  kurze,  aber  glänzende  Mission  des 
Herrn  von  Dießbach  durch  seine  am  26.  Mai  lb02  erfolgte  Abberufung  ihr 
EiUde.  Zu  seinem  Nachfolger  ernannte  die  Regierung  den  kaiserlichen  Hofagenten 
Freiherm  von  Müller- Mühleg f/,  dessen  Familie,  ursprünglich  aus  der  Schweiz 
stammend,  schon  seit  Jahren  in  Wien  niedergelassen  war. 

Im  ersten  Jahre  der  Mediationszeit  beschloß  die  neue  Tagsatzung  (16.  Sept. 
1803),  daß  nach  Anleitung  der  Vermittlungsakte  und  gemäß  dem  in  den  In- 
struktionen ausgesprochenen  Willen  der  meisten  Kantone  die  Schweiz  von  nun 
an  keine  immerwährenden  Gesandtschaften  mehr  bei  den  auswärtigen  Mächten 
haben  solle.  Allein  diesem  in  Erinnerung  an  die  Zeiten  vor  1798  gefaßten  Be- 
schlüsse vermochte  bei  den  mittlerweilen  völlig  veränderten  Verhältnissen  die 
Ausführung  nicht  nachzufolgen.  Demgemäß  behielt  man  die  Stellen  in  Paris  und 
Wien  von  Jahr  zu  Jahr  bei,  da  ihre  Aufhebung  für  den  Augenblick  nicht 
thnnlich  schien. 

Dagegeu  wurde  der  Landammann  der  Schweiz  eingeladen,  für  Aufhebung 
des  Gksandtschaftspostens  in  Mailand  die  erforderlichen  Schritte  zu  thun.  Diese 
Aufhebung  erfolgte  dann  auch  zu  Anfang  des  Jahres  1804,  jedoch  nur  fUr  kurze 
Zeit.  Denn  schon  am  4.  Dezember  '  gleichen  Jahres  wurde  in  Anbetracht  der 
Mannigfaltigkeit  und  Wichtigkeit  der  in  Berücksichtigung  kommenden  Interessen 
der  Fasten  wieder  besetzt,  und  zwar  in  der  Person  eines  Herrn  Antonio  Marcacci, 
von  Locamo,  dessen  sehr  bescheidene  Besoldung  zu  drei  Fünfteln  von  der  Eid- 
genossenschaft und  zu  zwei  Fünfteln  von  den  zunächst  betheiligten  Kantonen 
GraubUnden  und  Tessin  getragen  wurde. 

Nach  Paris  hatte  der  Landammann  der  Schweiz  den  Herrn  Konstantin  von 
Maillardoz  aus  Freiburg  abgeordnet,  welcher  dann  auch  von  der  Tagsatzung 
bestätigt  wurde,  und  der  die  Stelle  in  Paris  während  der  ganzen  Mediationszeit 
als  Envoy^  Extraordinaire  bekleidet  hat. 


InteressenTertretung  —      72      —  Interessenvertretung 

Auch  der  Gesandtschaftsposten  in  Wien  erlitt  während  der  Mediationszeit 
keine  Veränderung. 

£Un wieder  räumte  die  Tagsatzung  von  1804  den  katholischen  Orten  die 
Befugniß  ein,  in  eigenen  Kosten  einen  diplomatischen  Agenten  in  Rom  halten 
zu  dürfen,  wovon  jedoch  kein  Grebrauch  gemacht  worden  ist. 

Unter  der  Herrschaft  des  Bundesvertrages  von  1815  blieben  die][  Gesandt- 
schaftsposten in  Paris  und  Wien  unverändert  fortbestehen.  Dagegen  wurde  in 
Folge  der  veränderten  Stellung  der  Lombardei  der  Gesandtschaftsposten  in  Mai- 
land aufgehoben,  in  ein  Generalkonsulat  und  später  im  Jahr  1835  in  ein  ge- 
wöhnliches Handelskonsulat  umgewandelt.  Mit  der  Restauration  in  Frankreich 
trat  der  bisherige  schweizerische  Gesandte  von  Maillardoz  von  seinem  Posten 
zurück,  und  es  wurde  von  da  hinweg  bis  zum  Jahr  1847  die  Schweiz  in  Paris 
durch  Herrn  von  Tsckann  aus  Solothurn  mit  dem  Charakter  eines  ChargS 
d^ Affaires  vertreten.  Ihm  folgte  in  gleicher  Eigenschaft  seit  1847  bis  1857 
Herr  Dr.  Jos.  Hyacinthe  Barman  von  Wallis,  dessen  diplomatische  Thätigkeit 
mithin  in  die  Zeit  des  neuen  Bundes  hinüberreicht. 

In  Wien  versah  der  schon  unter  der  Helvetik  ernannte  Müller  von  Mühlegg 
die  Geschäftsträgerstelle  bis  zu  seinem  am  17.  Dezember  1824  erfolgten  Ableben. 
Bis  zu  seiner  Ersetzung  wurde  der  Posten  provisorisch  durch  Herrn  Freiherr 
von  Gaimiiller  verwaltet.  Die  Tagsatzung  des  Jahres  1826  wählte  zum  schwei- 
zerischen Geschäftsträger  am  kaiserlichen  Hofe  den  Herrn  Albrecht  Efßnger  von 
Wildegg  aus  Bern,  welcher  den  Posten  bis  1848  bekleidete  und  dann,  jedoch 
nur  vom  Juli  bis  Ende  Oktober  1848,  durch  Herrn  Dr.  Kern  ersetzt  wurde. 
Als  es  sich  um  die  Bestellung  des  G^schäftsträgerpostens  im  Jahr  1848  handelte, 
wurde  in  der  Tagsatzung  verschiedentlich  darauf  hingewiesen,  daß  die  Eidgenossen- 
schaft nicht  mehr  in  Wien,  sondern  bei  der  damaligen  deutscheu  Reichs  Versamm- 
lung in  Frankfurt,  welche  ein  einheitliches  Deutschland  zu  verheißen  schien, 
vertreten  sein  sollte,  gleich  wie  die  Reichsversammlung,  bezw.  der  damalige 
Reichs  Verweser,  während  einiger  Zeit  durch  den  bekannten  Abgeordneten  Mavaun 
in  der  Schweiz  vertreten  war.  Jene  Ansicht  fand  in  dem  Beschlüsse  ihre  Be- 
rücksichtigung, daß  der  neu  gewählte  Geschäftsträger  in  Wien  sich  darein  zu 
fügen  habe,  wenn  die  oberste  Bundesbehörde  eine  Verlegung  des  Gesandtschafts- 
sitzes für  angemessen  erachte. 

Ein  im  Jahr  1848  von  Tessin  gestellter  Antrag  auf  Errichtung  einer  Ge- 
schäftsträgerstelle in  Turin  fand  damals  keine  Berücksichtigung. 

Was  die  Wahl  der  diplomatischen  Vertreter  betrifft,  so  fiel  dieselbe  während 
der  Helvetik  verfassungsmäßig  der  Vollziehungsbehörde  zu.  Von  1803  bis  zum 
?]intritte  der  Buudesverfassung  von  1848  bildeten  dagegen  die  diplomatischen 
Vertretungen  ein  stehendes  Traktaudum  der  Tagsatzung,  indem  von  ihr  die  Ge- 
sandtschaften alljährlich  einer  Wiederwahl  unterworfen  wurden. 

Dies  änderte  sich  mit  der  neuen  Ordnung  der  Dinge,  obwohl  sich  die 
Bundesversammlung  in  der  Bundesverfassung  (Artikel  74,  AI.  3)  die  Wahl  der 
eidg.  Repräsentanten  vorbehielt.  Immerhin,  der  Gepflogenheit  der  alten  Tagsatzung 
entsprechend,  wurde  schon  in  der  zweiten  Session  des  neuen  gesetzgebenden 
Körpers  (1849)  verlangt,  daß  der  Bundesrath  berichte,  ob  nicht  die  Geschäfts- 
trägerstellen in  Paris  und  Wien  aufzuheben  und  durch  bloße  Konsulate  zu 
ersetzen  seien. 

Der  Bundesrath  erwiederte  darauf,  ein  Konsul  habe,  wenn  auch  Öffentlichen, 
80  doch  keinen  gesandtschaftlichen  Charakter,  er  werde  auch  nicht  als  regelmäßiger 


Interessenvertretung  —      73     —  Interessenvertretung 

Stellvertreter  seines  Staates  für  alle  Angelegenheiten,  namentlich  nicht  fdr  die 
politischen,  hei  einer  fremden  Regierung  akkreditirt,  sondern  erhalte  nur  einen 
Bestellungsbrief  als  Konsul,  und  bei  Ueberreichung  desselben  werde  um  das 
Exequatur  in  der  Stellung  als  Konsul  nachgesucht.  Daraus  folge,  daß  derselbe 
nicht  zu  dem  allgemeinen  diplomatischen  Verkehre  zugelassen  würde. 

Noch  deutlicher  zeichnete  der  Bundesrath  den  Unterschied  zwischen  den 
Getiiandten  und  den  Konsuln  in  einem  spätem  Berichte.     Er  sagt  daselbst: 

n  Die  Ersetzung  der  diplomatischen  Vertreter  durch  Konsuln  als  allgemeine  Maß- 
regel ist  heutzutage  nicht  möglich.  Vorerst  b<t  den  Konsuln  in  manchen  Ländern 
und  gerade  in  denen,  wo  die  Schweiz  vertreten  zu  sein  das  meiste  Interesse  hat, 
nicht  gestattet,  über  den  beschränkten  Kreis  ihrer  Befugnisse,  wie  er  durch  das  Völker- 
recht, den  Gebrauch  und  die  bestehenden  Reglemente  allgemein  gezogen  ist,  hinaus- 
zugehen. Sie  werden  nicht  als  Vertreter  einer  Regierung  bei  einer  andern  betrachtet. 
Gemeiniglich  ist  ihnen  nicht  nur  nicht  gestattet,  persönlich  mit  den  Ministern  der 
auswärtigen  Angelegenheiten  zu  verkehren,  sondern  selbst  ihre  schriftlichen  Mitthei- 
lungen werden  nicht  immer  entgegengenommen.  Insbesondere  ist  dies  der  Fall  in 
Frankreich,  Italien,  Oesterreich  und  Deutschland.  In  anderen  Staaten  hat  es  wohl 
Ausnahmen  gegeben,  die  Eegel  aber  will,  daß  die  Generalkonsuln  wie  die  andern  nur 
mit  untergeordneten  Behörden  verkehren.  Um  den  Generalkonsuln  das  Recht  zu  ver- 
schaffen, mit  den  auswärtigen  Regierungen  direkt  zu  verhandeln,  müßte  man  ihnen 
den  diplomatischen  Charakter  verleihen,  und  von  diesem  Augenblicke  an  wären  sie 
nicht  mehr  Konsuln.  Es  würde  das  unvermeidlich  einen  Wechsel  ihrer  ganzen  Stellung 
zur  Folge  haben ;  denn  sie  könnten  z.  B.  nicht  mehr  ihre  Handels-  oder  gewerblichen 
Geschäfte  leiten,  und  es  müßten  ihnen  feste  Gehalte  ausgeworfen  werden,  was  hinwieder 
die  beabsichtigte  Erspamiß  zu  nichte  machen  würde.'' 

Obigem  Antrag  auf  Ersetzung  zweier  Geschäftsträger  durch  Konsulate  wurde 
nun,  nach  den  bundesräthlichen  Aufklärungen,  keine  Folge  gegeben;  ja  es  ver- 
gingen blos  einige  Jahre,  bis  die  Bundesversammlung  statt  einer  Abschaffung  der 
Gesandtschaften  eine  Vermehrung  derselben  wünschte.  Sie  formulirte  nämlich 
anläßlich  der  Prüfung  des  bundesräthlichen  Geschäftsberichtes  pro  1852  das 
Postulat,  der  Bundesrath  sei  eingeladen,  der  Bundesversammlung  einen  Bericht 
über  die  Zweckmäßigkeit  einer  Vervollständigung  der  diplomatischen  Vertretung 
der  Schweiz  und  einer  Ausdehnung  derselben  über  diejenigen  Länder,  welche  die 
zahlreichsten  und  wichtigi>ten  Verbindungen  mit  derselben  pflegen,  vorzulegen. 
Dabei  hatten  die  Postulanten  speziell  Washington  und  London  im  Auge, 
wo  die  Konsulate  sehr  stark  in  Anspruch  genommen  waren. 

Mit  seiner  Antwort  auf  dieses  Postulat  leistete  der  Bundesrath  den  Beweis, 
daß,  wenn  er  früher  energisch  für  den  Fortbestand  der  Gesandtschaften  in  Paris 
und  Wien  eingetreten,  es  nicht  aus  Liebhaberei  oder  Rechthaberei,  sondern  aus 
Noth wendigkeit  geschehen  war;  denn  er  benützte  die  Neigung  der  Bundes- 
versammlung, die  Zahl  der  Gesandtschaften  zu  vermehren,  nicht,  sondern  argu- 
mentirte  (jetfen  eine  solche  Aenderung,  da  ein  wirkliches  Bedürfniß  dazu  sich 
noch  nicht  geltend  gemacht  habe.  Dagegen  wünschte  der  Bundesrath,  den  Rang 
der  Repräsentanten  in  Paris  und  Wien  zu  erhöhen  und  damit  ihre  Wirksamkeit 
zu  erweitern,  sowie  dem  Generalkonsul  in  Washington  eine  Entschädigung  für 
Kanzlei- Auslagen  zuzuwenden.  Die  Bundesversammlung  stimmte  zu  und  bewilligte 
Fr.  5000  Jahresentschädigung  für  das  Konsulat  in  Washington,  Fr.  36,000 
Jahresgehalt  für  den  Geschäftsträger  in  Paris  und  Fr.  18,000  für  den  Geschäfts- 
träger in  Wien.  Daraufhin  konnte  der  Bundesrath  den  Hrn.  Barmann  in  Paris 
mit  dem  Range  eines  bevollmächtigten  Ministers  der  Eidgenossenschaft  ausstatten, 
und  den  Hm.  Eid.  Steiger  in  Wien  vom  interimistischen  zum  definitiven  Geschäfts- 
träger promoviren  (1856). 

Hr.  Barmann  konnte  sich  dieser  finanziellen  Besserstellung  nicht  lange  freuen^ 


Interessenvertretung  —     74     —  Interessenvertretung^ 

denn  im  folgenden  Jahre  ernannte  der  Bnndesrath  wegen  der  Neuenburgerwirren 

und  der  freundschaftlichen  Beziehungen  zwischen    Napoleon  III.  und  dem  Thur- 

gauer  Dr.  Kern  den  letztem  zum  Nachfolger  Barmann's. 

Andere  Neuerungen  gab  es  im  diplomatischen  Korps  nicht  bis  anfangs  1860» 

als  der  Bnndesrath  den  Genfer  Staatsrath  Tourte  als  außerordentlichen  Gesandten 

nach  Turin    abordnete,    was   er   in   der   darauf   folgenden   Bundesversammlung 

folgendermaßen  begründete : 

« Durch  die  Einverleibung  der  Lombardei  in  das  Königreich  Sardinien  hat  di& 
Bedeutsamkeit  dieses  Staates  fOr  die  Schweiz  außerordentlich  zugenommen,  da  die 
Eidgenossenschatl  nunmehr  von  ihrem  äußersten  östlichen  Ende  bis  zum  westlichen 
ganz  an  Sardinien  grenzt.  Der  schon  früher  aufgetauchte  Wunsch,  in  Turin  diplomatisch 
vertreten  zu  sein,  mußte  in  doppelter  Stärke  auftreten,  da  die  Beziehungen  zu  Mailand 
und  zur  Lombardei  nicht  geringer  sind  als  diejenigen  zu  Turin  und  Piemont.  Man 
mußte  sich  vergegenwärtigen,  daß  schon  die  gewöhnlichen  Verkehrsverhältnisse  eine 
persönliche  Vertretung  der  Schweiz  in  Turin  bedingen  und  daß  namentlich  im  gegen- 
wärtigen Momente  eine  Reihe  von  Fragen  politischer,  militärischer  und  kommerzieller 
Natur  mit  Sardinien  zu  verhandeln  seien,  welche  nur  durch  eine  persönliche  Vertretung 
eine  entsprechende  Erledigung  finden  könnten/ 

Die  Bnndesyersammlung  approbirte  das  Geschehene,  freilich  in  der  Meinung^ 
die  Gesandtschaft  werde  sich  später  wieder  aufheben  lassen;  statt  dessen  ist  die- 
selbe eine  permanente  geworden. 

Im  Jahre  1862  wurden  die  Gehalte  aller  schweizerischen  Vertreter  im 
Auslande  einer  Revision  unterworfen  und  auf  Fr.  50,000  erhöht  fär  Paris,  auf  je 
Fr    22,000  für  Turin  und  Wien. 

Bei  der  Verlegung  des  Sitzes  der  italienischen  Regierung  und  mithin  auch 
des  diplomatischen  Korps  nach  Florenz  im  Jahre  1865  wurde  der  Gehalt  dea 
schweizerischen  Vertreters,  Hrn.  Pioda,  der  mit  dem  Range  eines  Ministers 
Herrn  Tourte  nachfolgte,  auf  Fr.  30,000  festgesetzt.  Im  Jahre  1866  starb 
Herr  Steiger  in  Wien  und  wurde  provisorisch  durch  Hrn.  Aepli  aus  St.  GtiUen» 
hernach  durch  Hrn.  v.  Tschudi  aus  Glarus  ersetzt. 

Das  war  der  Stund  der  diplomatiscben  Vertretung  der  Schweiz  im  Jahre 
1866  beim  Eintritt  der  kriegerischen  Ereignisse  in  Deutschland  und  Oesterreich. 
Die  tiefgreifenden  politischen  Vorgänge  in  diesen  zwei  Nachbarstaaten,  besonders 
die  Bildung  einer  neuen  Staatengruppe  um  Preußen,  veranlaßten  die  schweiee- 
rischen  Behörden,  die  Kreirung  einer  Gesandtschaft  in  Berlin  in's  Auge  zu 
fasHCu.  Die  Bundesversammlung  selbst  war  es,  welche  vom  Bundesrath  einen 
Bericht  verlangte  Über  die  Folgen,  welche  der  neue  Zustand  der  Dinge  in  Bezug^ 
auf  unsere  diplomatische  Vertretung  haben  könne. 

Der  Bundesrath  benützte  diese  Gelegenheit  zu  einer  umfassenden  Darstellung- 
unseres  Gesandtschaftswesens,  und  indem  er  die  Beibehaltung  der  diplomatischen 
Agentschaft  am  Wiener  Hofe  dringend  wünschte,  weil  trotz  dem  Ausscheiden 
Oesterreicbs  aus  dem  norddeutschen  Bunde  unsere  Beziehungen  zu  jener  Macht 
immer  noch  sehr  bedeutende  seien,  betonte  er  eben  so  sehr  die  Nothwendigkeit 
eines  Gesandtschaftspostens  am  preußischen  Hofe^  den  er  übrigens,  in  Anbetracht 
der  Dringlichkeit,  bereits  hatte  zur  That  werden  lassen.  (Herr  Landammann  Heer 
aus  Glarus  übernahm  provisorisch  die  Mission;  punkto  Gehalt  war  er  dem  Ge- 
sandten in  Wien  gleichgestellt.)  Die  übrigen  Staaten  betreffend,  bemerkte  der 
Bundesrath,  daß  die  politische  Konvenienz  zwar  geböte,  in  Anwendung  der  Rezi- 
prozität sich  wenigstens  bei  jenen  Staaten,  welche  bei  uns  Gesandtschaften  halten, 
vertreten  zu  lassen,  allein  man  wisse  überall,  daß  die  Schweiz  vermöge  ihrer 
finanziellen  und  politischen  Einrichtungen  nicht  in  der  Lage  sei,  für  ihre  Ver- 
tretung im  Ausland  Opfer  zu  bringen,   welche  außer   Verhäituiß  zu  den  auf  die 


Interessenvertretung  .— .     75     ^.  Interessenvertretung 

innere  Verwaltung  verwendeten  ständen;  man  habe  ihr  deshalb  auch  nie  zuge- 
muthet,  da  Gresandtschaften  zu  halten,  wo  sie  hiefttr  nicht  ein  genügendes  Interesse 
gefunden  und  wo  sie,  Dank  dem  freundschaftlichen  und  wohlwollenden  Entgegen- 
kommen der  auswärtigen  Regierungen,  dem  Bedürfnisse  in  anderer  Weise  genügen 
konnte.  Speziell  bei  England,  Rußland  und  der  nordamerikanischen  Union,  welche 
Staaten  in  erster  Linie  in  Betracht  fallen,  sei  die  geographische  Lage  nicht  derart, 
daß  diese  Staaten  die  Fragen,  welche  die  Schweiz  berühren  mögen,  in  so  nniiiittel- 
barer  Weise  beeinflussen,  wie  die  an  uns  grenzenden  Länder.  Allerdings  pflege 
die  Schweiz  mit  jenen  Staaten  zahlreiche  Beziehungen;  auch  seien  in  denselben 
viele  Schweizer  niedergelassen,  denen  die  Anwesenheit  eines  Repräsentanten  von 
Nutzen  sein  könnte;  indessen  habe  in  den  meisten  Fällen  die  Thätigkeit  der 
Konsuln  genügt  und  in  andern  Fällen  habe  der  Bundesrath  mit  Erfolg  die  guten 
Dienste  der  seitens  jener  Mächte  in  der  Schweiz  akkreditirten  Vertreter  angerufen. 
Die  schweizerischen  Generalkonsuln  in  London,  Petersburg  und  Washington  hätten 
stets  unbeanstandet  mit  den  Ministerien  in  offlzielleu  Verkehr  treten  können. 

Der  Bundesrath  beantragte  somit,  es  einstweilen  bei  den  in  den  oier  Grenz- 
Staaten  errichteten  Gesandtschaften  bewenden  zu  lassen,  mit  dem  Vorbehalte, 
fernerhin  die  Zahl  der  Gesandtschafton  festzustellen,  welche  der  Bundesversammlung 
jeweilen  durch  die  politischen  Ereignisse  der  Schweiz  als  geboten  erscheinen 
möchten. 

Die  Bundesversammlung  pflichtete  diesem  Autrage  bei.  Vortrefflich  war  die 
Begründung  seitens  der  über  die  Angelegenheit  referirenden  ständeräthlichen 
Kommission,  in  deren  Namen  der  gewesene  interimistische  Geschäftsträger  am 
Wiener  Hofe,  Herr  Aepli,  aus  eigener  Erfahrung  sprechen  konnte  und  namentlich 
auf  eine  Seite  des  Gesandtschaftsweseus  hinwies,  die  vorher  nie  betont  worden 
war.    Er  sagte  u.  A. : 

„  Die  wichtigste  Aufgabe  eines  (resandten  ist  unstreitig  die  spezifisch  politische. 
Schon  die  Absendung  eines  Gesandten  und  die  Annahme  eines  solchen  bei  einem 
fremden  Staate  bildet  einen  Akt  und  begründet  die  Anerkennung  der  vollsten  Souve- 
ränetät.  Welchen  Werth  alle  Staaten,  ob  Monarchien  oder  Republiken,  auf  dieses 
äußere  Zeichen  ihrer  Selbständigkeit  legen,  zeigt  nicht  nur  die  Thatsache  der  so  zahl- 
reichen stehenden  Gesandtschaften,  welche  die  Lander  diesseits  und  jenseits  des  Ozeans 
gegenseitig  und  oft  auch  da  halten,  wo  es  durch  materielle  Gründe  kaum  gerechtfertigt 
erscheint,  sondern  beweist  auch  der  Umstand,  daß  Länder,  die  nach  UnabhAngigkeit 
streben,  sobald  als  möglich  durch  die  Absendung  von  Gesandtschaften  ihre  Souve  ränetät 
zu  beurkunden  suchen.  Im  Jahre  1849,  als  in  mehreren  Ländern  Europas  Revolutionen 
walteten,  trafen  eigene  Abgesandte  von  Sicilien,  Rom  und  Ungarn  in  der  schweizerischen 
Bundesstadt  ein,  um  durch  ihre  Akkreditirung  die  Anerkennung  jener  Staaten  durch 
die  Eidgenossenschaft  zu  erlangen  zu  suchen.  Die  nordamerikanische  Regierung,  die 
damals  geneigt  schien,  die  ungarische  Republik  anzuerkennen,  soll  sogar  zum  Zciclien 
dieser  Anerkennung  bereit  gewesen  sein,  einen  diplomatischen  Vertreter  nach  Pest  ab- 
zusenden, der  nur  deßhiilb  nicht  an  seinen  Bestimmungsort  gelangte,  weil  vor  seiner 
Ankunft  Ungarn  wieder  der  österreichischen  Regierung  unterworfen  worden  war. 

,Die  Schweiz  hat  ein  entschiedenes  Interesse,  zunächst  mit  den  sie  umgebenden 
Staaten  im  Wohlvernehmen  zu  bleiben,  nicht  nur,  weil  eine  Masse  von  Beziehungen 
besteben,  von  denen  das  Wohl  so  manches  Einzelnen  ihrer  Angehörigen  abhängt,  sondern 
auch,  weil  ihr  die  Freundschaft  und  Achtung  ihrer  Nachbarn  bei  größern  Verwickelungen, 
von  denen  auch  sie  berührt  werden  könnte,  nur  vortheilhafl  sein  kann.  Der  Umstand, 
daß  diese  nächsten  Nachham  Monarchien  sind,  wird  sie  nicht  iiljhalten,  dieses  Wohl- 
vemehmen  zu  pflegen,  weil  die  engern  Beziehungen  der  Staaten  untei  einander  nicht 
sowohl  von  der  Gleichartigkeit  der  Regierungsformen,  als  derjenigen  der  Interessen 
abhängt,  wofQr  die  schon  lange  bestehende  innige  Allianz  der  nordamerikanischen 
Freistaaten  mit  dem  in  konstitutioneller  Hinsicht  so  wonig  verwandten  Rußland  ein 
sprechendes  Beleg  bildet 

»Auf  die  Erhaltung  und  Befestigung  der  Neutralität  und  damit  auch  der  Unab- 
hängigkeit des  Vaterlandes  hinzuwirken  und  die  Situationen  jeweilen  in  diesem  Siaii« 


Interessen  verti-etung  —     76      —     |  Interessenvertretung 

zu  benützen,  wird  eine  stete  Aufgabe  der  Bundesregierung  bleiben,  und  es  werden  ihr 
bei  diesen  Bestrebungen  eigene  Gesandte  bei  den  benachbarten  Regierungen  von  wesent- 
lichem Nutzen  sein  können.  Bei  den  mannigfaltigen  BerQhrungspuniten,  welche  zwischen 
einer  Regierung  und  einem  bei  ihr  akkreditirten  Gesandten  bestehen,  zeigt  sich  Grelegen- 
heit  genu^,  den  Institutionen,  Gesetzen,  Sitten  und  Gewohnheiten  seines  Landes  Achtung 
zu  verschaffen,  störende  Mißverständnisse  zu  beseitigen, .  den  Werth  gegenseitiger  guter 
Beziehungen  hervorzuheben  und  überhaupt  das  selbstständige  Streben  seines  Volkes 
nach  den  hohen  Zielpunkten  der  Zivilisation,  nach  geistiger  und  materieller  Entwicklung, 
nach  Freiheit  und  Ordnung,  durch  die  es  seine  Stellung  unter  den  übrigen  Völkern 
legitimirt,  auch  in  seiner  bescheidenen  Sphäre  zu  vertreten.* 

Trotz  der  so  erzielten  Uebereinstimmung  zwischen  Bundesversammlung  und 
Bundesrath  sollte  die  Frage  des  Gesandtschaftswesens  nicht  lange  schlummern. 
Der  Bundesrath  war  nämlich  im  Laufe  des  Jahres  1868  im  Falle,  1)  an  Stelle 
des  deraissionirenden  Herrn  Dr.  Heer  den  Herrn  Oberst  Bernhard  Hammer 
von  Öolotburn  als  außerordentlichen  Gesandten  und  bevollmächtigten  Minister 
beim  Norddeutschen  Bund,  bei  den  süddeutschen  Staaten  Baden,  Bayern,  Württem- 
berg und  beim  Großherzogthum  Hessen  zu  beglaubigen;  2)  den  Geschäftsträger 
in  Wien,  Herrn  Dr.  v.  Tschudi,  zum  außerordentlichen  Gesandten  und  bevoll- 
mächtigten Minister  zu  promoviren ;  3)  dem  Generalkonsul  in  Washington, 
Herrn  Hitz,  den  Charakter  eines  politischen  Agenten  zu  verleihen. 

Dieses  Vorgehen  des  Bundesrathes  gab  der  nationalräthlichen  Geschäfts- 
prüiungskommissiou  Anlaß,  die  Ansicht  auszusprechen,  die  Verhältnisse  der  schwei- 
zerischen Vertretung  im  Auslande  seien  mit  den  diesfälligen  Vorschriften  der 
Bundesverfassung  schwer  vereinbar.  Die  Bundesverfassung  von  1848  habe  die 
Wahl  der  eidgenössischen  Repräsentanten  der  Bundesversammlung  vorbehalten 
und  as  hätte  deshalb  der  Charakter  eines  Vertreters  der  Eidgenossenschaft  auch 
nur  einem  von  der  Bundesversammlung  Gewählten  zukommen  dürfen.  Unser 
sämmtliches  diplomatische  Personal  im  Auslande  sei  aber  nur  gelegentlich  vom 
Bundesrath  bestellt  worden,  ohne  Amtsdauer,  ohne  genauere  Regulirung  der 
Stellung  und  der  Verantwortlichkeit  gegenüber  dem  Vater  lande.  Da  das  diplo- 
matische Corps  nichtsdestoweniger  im  Verlauf  der  Zeit  einen  Charakter  von  Per- 
manenz angenommen  habe,  und  die  Neigung  vorhanden  zu  sein  scheine,  dem- 
selben einen  immer  weiteren  Umfang  zu  geben,  so  dürfte  es  an  der  Zeit  sein, 
diesen  Zweig  der  öli'entlichen  Verhältnisse  auf  dem  Wege  der  Gesetzgebung  zu 
organisiren;  namentlich  dürfte  die  Frage  in  Erwägung  fallen,  ob  nicht  diese 
Stellen  ebenso  wie  alle  politischen  Stellen  in  der  Eidgenossenschaft  einer  perio- 
dischen  Wiederwahl  unterworfen  werden  sollten. 

Diese  Kritik  und  die  Diskussion  darüber  hatten  nun  das  Resultat,  daß  der 
Bundesrath  zur  Berichterstattung  eingeladen  wurde  darüber,  ob  und  inwiefern 
die  Organisation  der  diplomatischen  Vertretung  der  Schweiz  im  Auslande  im 
Wege  der  Gesetzgebung  zu  ordnen  sei. 

Vom  Momente  dieser  Auftragsertheilung  bis  zur  Ausführung  des  Auftrages 
gingen  acht  Jahre  in's  Land.  Der  Bundesrath  erstattete  seinen  Bericht  erst  am 
28.  Se[)tember  1877.  Mittlerweile  war  die  Bundesverfassung  revidirt  worden 
(1874);  die  Wahl  der  eidgenössischen  Repräsentanten  gehörte  nicht  mehr,  wie 
1848,  in  die  Befugnisse  der  Bundesversammlung,  und  ein  Bundesbeschluß  vom 
21.  Dezember  1872  hatte  die  Gehalts  Verhältnisse  der  Gesandtschaften  geregelt 
(Fr.  50,000  Paris,  je  Fr.  40,000  Wien,  Berlin  und  Rom).  So  hatte  der  Bundes- 
rath jenem  Postulat  gegenüber  einen  wesentlich  leichteren  Stand.  Dazu  kam, 
daß  der  Zeitpunkt  der  Berichterstattung  ein  politisch  ruhiger  und  zu  keinen 
Aenderungen    lierausfordernder  war.      Indessen  ist  anzunehmen,    daß,    wenn  dem 


Interessenvertretung  —      77      —  Interessenvertretung 

auch  nicht  so  gewesen  wäre,  das  luoide,  von  gründlicher  Sachkenntniß  zeugende 
Gutachten  des  damaligen  Bundespräsidenten,  Dr.  Heer,  die  Bundesversammlung 
von  der  Unhaltharkeit  ihrer  ehemaligen  Ansichten  überzeugt  hätte. 

fH  3» Zwischen  der  Regierung  eines  Landes  und  ihren  diplomatischen  Vertretern  im 
Auslände/  sagte  Bundespräsident  Heer,  „muß  das  vollste  Vertrauen  herrschen.  Eine 
diplomatische  Vertretung,  von  welcher  die  Regierung  befürchten  müßte,  daß  sie  ander- 
weitigen, z.  B.  politischen  oder  Parteieinflüssen  aus  dem  Heimatlande  zugänglich  wäre, 
der  man  eben  deßhalb  nicht  jederzeit  und  mit  vollem  Vertrauen  auf  absolute  Diskretion 
die  delikatesten  Mittheilungen  machen  dürfte,  wäre  ein  Instrument,  das  gerade  in  den 
Fällen,  wo  es  sich  am  meisten  nützlich  erweisen  sollte,  praktisch  unbrauchbar  wäre. 
Dieses  Verhältniß,  das  in  der  Natur  der  Sache  und  des  Dienstes,  den  die  Diplomatie 
überhaupt  zu  leisten  bat,  begründet  ist,  läßt  es  unseres  Erachtens  als  durchaus  wünsch- 
bar, ja  unerläßlich  erscheinen,  daß  es  der  Regierung  freistehe,  die  Männer  ihres  Ver- 
trauens nach  eigenem,  freiestem  Ermessen  an  den  geeignet  scheinenden  Platz  zu  stellen. 
Die  Intervention  einer  gesetzgebenden,  überhaupt  einer  durch  mancherlei  besondere 
Gesichtspunkte  geleiteten  großen  politischen  Versammlung,  sei  es,  daß  sie  die  Beherr- 
schung der  Wahl  direkt,  oder  bloß  durch  den  Vorbehalt  eines  Bestätigungsrechtes,  in 
ihre  Hand  nähme,  würde  wenigstens  die  Möglichkeit  begründen,  daß  die  Wahl  auf 
PersOnUchkeiten  fiele,  denen  die  Regierung  nicht  mit  dem  vollen  Vertrauen  gegenüber- 
stände, wie  die  Natur  des  Verhältnisses  es  erfordert,  und  man  geht  schwerlich  zu  weit, 
wenn  man  behauptet,  daß  in  einem  solchen  Falle  die  Aufhebung  des  Gesandtschafls- 
postens  sich,  dem  Fortbestehen  unter  den  erwähnten  Voraussetzungen  gegenüber,  em- 
pfehlen würde. 

«Können  wir  demnach  nicht  empfehlen,  durch  die  Gresetzgebung  die  Wahl  unserer 
diplomatischen  Vertreter  in  andere  Hände  zu  legen,  ais  in  diejenigen,  in  denen  sie 
nach  der  BundesverfassunR  von  1874,  so  lange  das  Gresetz  nichts  Anderes  verfügt,  ohne- 
hin liegt,  so  müssen  wir  (und  zwar  wesentlich  mit  der  gleichen  Begründung)  uns  auch 
ge^en  die  Einführung  einer  festen  Ämts<iauer  für  die  Gresandten  aussprechen.  Es  ist 
durch  die  eigenthümUcbe  Natur  des  Verhältnisses  geboten,  daß  die  Regierung,  welche 
ihre  Vertreter  als  die  Männer  ihres  Vertrauens  ernennt,  dieselben  auch  fortwährend 
in  ihrer  Hand  behält  und  demgemäß  in  der  Lage  ist,  sie  j  e  d  e  r  z  e  i  t  von  ihrer  Stelle 
abzuberufen,  u.  s.  w.* 

Auf  diesen  Bericht  hin  wurde  das  Postulat,  das  dazu  Anlaß  gegeben,  fallen 
gelassen.  Seitdem  hat  die  Gesandtschaftsfrage  nur  noch  einmal  in  den  eidgenös- 
sischen Käthen  gespielt  und  zwar  nach  der  Demission  des  verdienstvollen 
Generalkonsuls  Hitz  in  Washington,  im  Jahre  1881.  Was  dieser  Mann  seit 
1864  als  Generalkonsul  und  politischer  Agent  (seit  1868,  in  welcher  Eigen- 
schaft er  aber  von  der  nordamerikanischen  Ünionsregierung  nicht  anerkannt  wurde, 
weil  das  internationale  Recht  den  Rang  eines  ,. politischen  Agenten*"  nicht  kenne) 
der  Schweiz  und  seinen  ausgewanderten  Mitbürgern  geleistet,  hätte  kaum  ein 
zweiter  Schweizer  in  Amerika  unter  den  gleichen  Bedingungen  zu  leisten  über- 
nommen. Der  Bundesrath  verlangte  daher,  um  eventuell  das  Generalkonsulat  in 
eine  Gesandtschaft  umwandeln  zu  können,  von  der  Bundesversammlung  einen 
entsprechenden  Kredit,  der  auch  gewährt  wurde  und  das  Referendum  anstandslos 
passirte.  Mit  einem  Jahresgehalt  von  Fr.  50,000  wurde  darauf  Herr  Oberst 
Emil  Frey  von  Ariesheim  zum  außerordentlichen  Gesandten  und  bevollmächtigten 
Hinister  in  Washington  gewählt  ri882).  Daß  sich  diese  Besoldung  für  Washington 
als  zu  niedrig  erwies,  eine  Erhöhung  um  Fr.  10,000  aber  vom  Schweizervolke 
verweigert  wurde,  ist  noch  Jedermann  in  frischer  Erinnerung. 

Mit  Washington  ist  der  Ring  der  schweizerischen  Gresandtschaften  im  Aus- 
land einstweilen  geschlossen.  Wie  lange,  steht  vielleicht  weniger  im  Belieben 
der  Schweiz,  als  der  auswärtigen  Regierungen. 

Siehe  auch  Seite  704  d.  Lexikons  (Vgl.  Bnndesblatt  1867,  II,  Seite  313 
bis  353  und  645,  sowie  1877,  IV,  Seite  31). 


Interessenvertretung  —      78     —  Interessenvertretung 

Konsularwesen. 

Die  ersten  schweizerischen  Konsulate  sind  zur  Zeit  der  üelvetik  (1798 
bis  1803)  entstanden  und  zwar  in  Bordeaux  (1798),  Marseille  und  Grenua  (1799), 
Nantes  (1801)  und  Triest  (1802).  Die  Konsularbrevets  waren  vom  Direktorium 
der  helvetischen  Republik  ausgestellt.  Der  offizielle  Titel  der  Konsuln  lautete 
vom  1.  Januar  1800  an:  „ Kommissär  der  Handelsverhältnisse  der  helvetischen 
Eepublik"  (Commissaire  des  relations  commerciales  de  la  R^publique  helv^tique). 
Dieser  weitläufige  Titel  kam  daher,  daß  die  französische  Regierung  den  Titel 
„Konsul''  ausschlieljlich  ihren  drei  obersten  Machthabern  (Napoleon  Bonaparte, 
Gambac^res  und  Lebrnn)  reservirt  wissen  wollte. 

Die  Aufgabe  der  Konsuln  war  nicht  genau  begrenzt ;  ein  formeller  Bosch  laß 
darüber  oder  eine  Instruktion  für  Konsuln  liegt  aus  jener  Zeit  nicht  vor  und 
auch  in  den  Anstellungsdekreten  wurde  kein  Autschluß  über  die  Obliegenheiten 
der  Konsuln  gegeben.  Diese  hatten  sich  alsdann  auf  dem  Korrespondenswege 
oder  durch  persöa liehe  Unterredungen  nach  ihren  Pflichten  zu  erkundigen.  Einem 
dieser  Frager  wurde  die  Antwort,  die  Instruktionen  würden  von  Fall  zu  Fall, 
je  nach  dem  Bedürfniß,  ert heilt;  unter  Anderm  aber  bestehe  die  Aufgabe  der 
Konsuln  darin,  die  Reklamationen  der  helvetischen  Kaufleute  zu  empfangen  und 
zu  unterstützen,  die  Handelsrechte  der  helvetischen  Republik  zu  wahren  und  den 
Handelsverträgen  zu  Hülfe  zu  kommen. 

Man  legte  also  das  Hauptgewicht  auf  die  Vertretung  der  Handelsinteressen, 
was  übrigens  schon  daraus  hervorgeht,  daß  die  drei  ersten  Konsularposten  auf 
die  bedeutenden  Hafen-  und  Handelsstädte  Bordeaux,  Marseille  und  Grenua 
Verlegt  wurden.  £s  geht  aus  den  zahlreichen,  meist  politische  und  auch  kom- 
merzielle Vorfälle  behandelnden  Korrespondenzen  der  ersteu  Konsulate  an  das 
helvetische  Ministerium  der  auswärtigen  Angelegenheiten  hervor,  daß  das  letztere 
bezw.  das  Direktorium  in  der  Auswahl  der  Persönlichkeiten  eine  glückliche 
Hand  hatte:  Die  Konsuln  zeigten  sich  als  gebildete  und  dienstfertige  Männer, 
die  sich  übrigens  durch  das  ihnen  anvertraute  Mandat  sehr  beehrt  fühlten.  Nur 
der  Konsul  in  Genua  wäre  gerne  noch  höher  gestellt  worden,  .weil,**  wie  er 
schrieb,  „in  den  Hafenstädten  die  Konsuln  kein  besonderes  Ansehen  genießen, 
nicht  über  dem  Kaufmann  stehen,  nur  merkantile  und  maritime  Greschäfte  be- 
sorgen und  keinen  Rang  neben  den  Gesandten  oder  £nvoy6s  haben.**  Der  näm- 
liche Konsul  schaffte  sich  auch  sofort  eine  Uniform  an,  obwohl  die  Frage  der 
Uniformirung  der  KouHuln  erst  zwei  Jahre  später  vom  helvetischen  Direktorium 
in  Erwägung  gezogen  wurde. 

Die  Bewilligung  zur  Ausstellung  von  Pässen  an  reisende  Schweizer  wurde 
den  Konsuln  im  Juli  1800  ertheilt.  Darüber,  daß  die  Konsuln  während  der 
Helvetik  etwelche  Entschädigung  für  ihre  Verrichtungen  bezogen  hätten,  liegt 
kein  Nachweis  vor. 

Als  durch  die  napoleonische  Mediationsakte  neue  politische  Zustände 
in  der  Schweiz  geschatfen  waren,  wollte  die  Tagsatzung  auch  die  Repräsentations- 
verhältnisse  im  Auslande  neu  regeln.  Sie  trug  daher  am  8.  Juli  1803  dem 
Landammann  der  Schweiz  auf,  ihr  über  die  diplomatischen  Agentschaften  einen 
Bericht  zu  erstatten.  Der  Landammann  kam  diesem  Auftrage  am  14.  September 
ISOii  nach  *)  und  die  Tagsatzung  faßte  daraufhin  am  16.  September  folgenden 
Beschluß : 

')  Nach  diesem  Bericht  soll  während  der  Helvetik  außer  den  früher  erwähnten 
fünf  Konsulaten  noch  ein  sechstes  in  Calais  bestanden  haben;  es  ist  aber  in  den  Akten 
nichts  darauf  Bezügliches  zu  tinden. 


liitereäj$eavertretiuig  —      79     —  Interessenvertretung 

1)  «Die  Schweiz  hält  keine  immerwähiende  Gesundtschaft  t>ei  den  auswärtigen 
Mächten,  und  bei  außerordentlichen  Sendungen,  welche  von  der  Tagsatzung  mit  Be- 
willigung der  Kantone  angeordnet  werden,  soll  auf  die  möglichste  Kostenersparniß  alle- 
mal Bücksicht  genommen  werden. 

2)  Die  ConsuU  oder  Cammissärs  der  Handelsverhältnisse,  welche  in  den  von 
schweizerischen  Handelsleuten  meisteas  besuchten  Plätzen  und  Seehäfen  angestellt  werden, 
sollen,  was  die  Kosten  ihrer  Verrichtungen  anbetriflt,  der  Schweiz  Jiuf  keine  Weise  zur 
La<;t  fallen. 

3)  Bei  der  Wahl  derselben  wird  jedes  Mal  auf  den  Wunsch  deijenigen  schweizeri- 
s<rhen  Gemeinden  oder  Handelshäuser  Rücksicht  genommen,  welche  in  einer  Handels- 
stadt oder  einem  Seehafen  die  Anstellung  eines  Konsuls  verlangen,  und  zu  dem  Ende 
die  Ernennung  auf  einen  dreifachen  Vorschlag  von  Seiten  derselben  eingeschränkt.  Die 
auf  diese  Weise  getroffene  Wahl  soll  alsdann  sämmtlichen  Kantonsregierungen  angezeigt 
werden. 

4)  Unter  den  oben  festgesetzten  Bedingungen,  und  bis  auf  die  künftige  Tagsatzung, 
ernennt  der  Herr  Landammann  der  Schweiz  zu  diesen  Stellen,  und  kann  demnach  die 
wirklich  bestehenden  Konsuls  bestätigen,  abändern,  und  nöthigenfalls  die  Zahl  derselben 
vermehren  oder  vereinbaren. 

5)  Der  Landammann  der  Schweiz  hat  die  Aufsicht  über  die  Verrichtungen  dieser 
Handelsagenten  und  soll  wachen,  daß  der  Name  der  schweizerischen  Nation,  welche  sie 
vorstellen,  nicht  gemißbraucht  und  der  gute  Huf  derselben  nicht  gefährdet  werde. 

E^  war  dies  der  einzige  gesetzgeberische  Akt  während  der  Mediationszeit, 
der  auf  das  Konsulatsweseii  Bezug  hatte;  auch  wurden  nur  zwei  neue  Konsulate 
kreirt,  d.  i.  diejenigen  in  Livorno  (1809)  und  Neapel  (1812). 

Der  nächste  Schritt  zur  Vervollkommnung  des  Konsularwesens  geschah 
durch  den  Tagsatzungsbeschluß  vom  8.  August  181B,  welcher  sich  von  den 
früheren  Beschlüssen  namentlich  dadurch  unterschied,  daß  er  die  Konsuln  nicht 
mehr  bloß  als  Vertreter  der  Handelsinteressen  hinstellte,  sondern  sie  gewisser- 
maßen ZQ  Rechtsbeiständen  und  Notaren  für  die  Angelegenheiten  schweizerischer 
Landsleute  erhob. 

Der  Beschluß  lautete  folgendermaßen : 

1)  ,Die  Eidgenössische  Tagsatzung  erkennt  den  Grundsatz,  daß  schweizerische 
Handelskonsuln  im  Auslande,  und  zwar  in  den  Staaten  und  Handelsstädten  ernannt 
werden,  in  denen  Schweizer  als  Kaufleute  etablirt  sind.  Da,  wo  es  die  Ausdehnung  des 
angewiesenen  Wirkungskreises  oder  ganz  besondere  Verhältnisse  erfordern,  mag  der 
Titel  (Generalkonsul  bewilligt  werden. 

2)  „Es  liegt  den  Handelskonsuln  ob,  den  im  Kreis  des  Konsulats  sich  aufhaltenden 
Schweizern  in  allen  VorfTdlen  Rath,  Beystand  und  Schutz  zu  leisten ;  alles  anzuwenden, 
daß  sie  als  Angehörige  eines  befreundeten  Staats»  anerkannt  und  behandelt  werden,  und 
in  dieser  Eigenschaft  die  durch  die  Gesetze  des  Staats  gestatteten  Rechte  und  Vortheile 
genießen. 

„Es  steht  den  Konsuln  zu:  Die  Ertheilung  der  Pässe  an  Schweizer,  die  Ausstellung 
von  Certlfikaten,  sowie  die  Legalisation  von  Akten,  welche  die  persönlichen  Verhältnisse 
der  Schweizer  oder  Objekte  ihres  Handels  betreffen ;  alles  in  dem  Ziel  und  Maße,  als 
es  die  Gesetze  des  Staats  den  Konsulaten  gestatten. 

„Es  liegt  den  Konsuln  ob,  bei  Todesfällen  von  Schweizern  das  Interesse  abwesender 
Erben  wahrzunehmen,  oder  auch  für  anwesende  Wittwen  und  Kinder  pflichtgemäß  zu 
sorgen,  bis  die  kompetente  Behörde  das  Weitere  verfQgt  hat.  Sie  werden  über  alle  er- 
theilten  Akten  jeder  Art  genaue  Register  führen,  allen  Verhandlungen  RechtschafTenheit 
und  Gewissenhaftigkeit  zum  Grund  legen  und  nichts  vornehmen,  was  die  Gesetze  des 
Staats,  in  dem  sie  residiren,  verbieten. 

„Die  Konsuln  werden  dem  Vororte  der  Schweiz  von  Ereignissen  und  Verfügungen, 
die  den  schweizerischen  Handel  betrcfTen,  sorgfaltig  Bericht  geben;  sie  werden  ebenso, 
wenn  ansteckende  Krankheiten  in  dem  Staat,  in  dem  sie  residiren,  oder  in  benachbarten 
Ländern  ausbrechen,  und  von  den  Maßregeln,  die  von  den  Regierungen  getroffen  werden, 
schleunige  und  sorgfältige  Anzeige  ertheilen.  Sie  werden  endlich  die  Aufträge  erfüllen, 
die  ihnen  vom  Vorort  ertheilt  werden. 


Interessenvertretung  —      80     —  Interessenvertretung 

3)  »Die  Konsuln  beziehen  weder  Gehalt  noch  irgend  eine  Entschädigung  aus  der 
Bundeskasse.  Hingegen  mögen  sie,  für  die  von  ihnen  ertheilten  Akten,  mäßige  Grebühren 
beziehen,  deren  bescheidene  Bestimmung  erwartet  wird.  Die  Passe  an  Unvermögende 
werden  unentgeltUch  ertheilt. 

„Das  Siegel  der  Konsuln  für  amtliche  Ausfertigungen  soll  in  der  Mitte  das  Eid- 
genössische Wappen  und  die  Umschrift  „, Schweizerische  Eidgenossenschaft.  Koasul  in 
N  .  .  .**  enthalten. 

4)  ,Der  Vorort  wird,  auf  angemessenem  Wege,  die  Anerkennung  der  Konsuln  oder 
das  Exequatur  des  Patent««  auszuwirken  trachten  und  nur  da,  wo  spezielle  Zwecke  es 
erfordern,  die  Korrespondenz  durch  die  diplomatischen  Agenten  gehen  lassen.  Der  Vor- 
ort wird  sich  fleißige  Berichte  über  ihre  Verrichtungen  und  die  Stellung  des  Konsulats 
zu  den  Landesbehörden  ertheilen  lassen.  Die  Kantonsregierungen  mögen  in  Spezialfällen 
denselben  direkte  Aufträge  ertheilen,  oder  aber  den  Vorort  dafür  ersuchen. 

5)  «Die  Ernennung  der  Handelskonsuln  steht  der  Tagsatzung  zu,  welche  die  Wahl 
auf  einen  einfachen  Vorschlag  des  Vororts,  der  von  den  Kantonsgesandtschaften  ver- 
mehrt werden  kann,  vornehmen  wird.  Wenn  sich  die  Tagsatzung  nicht  versammelt  be- 
findet, ist  der  Vorort  begwältiget,  dieselben  vorläufig  zu  ernennen,  welche  Wahl  dann 
aber  der  nächstfolgenden  Tagsatzung  zur  Bestätigung  vorgelegt  werden  soll.*' 

Obiger  Beschluß  wurde  am  10.  August  1819  durch  folgenden  Zusatz  er- 
gänzt : 

1)  «Die  schweizerischen  Handelskonsuln  haben,  weder  fOb:  allfällige  Taxen,  die  sie, 
um  das  Exequatur  ihrer  Patente  zu  erlangen,  zu  bezahlen  im  Fall  sein  möchten,  noch 
fOr  andere  zu  Erzielung  ihrer  Anerkennung  etwa  erforderUche  Leistungen  von  Gebühren, 
noch  unter  andern  Titeln,  irgend  eine  Entschädigungsansprache  zu  machen;  und  über- 
haupt soll  die  Zentralkasse,  der  Konsulate  wegen,  mit  keinerley  Lasten  oder  Beyträgen 
beschwert  werden. 

2)  «Der  Löbliche  Vorort  ist  eingeladen,  jedesmal  bei  Ernennung  eines  Konsuls» 
gegenwärtigen  Beschluß  demselben  zu  seinem  Verhalt  zu  eröffnen." 

Das  Motiv  zu  dieser  fast  hartherzig  scheinenden  Maßregel  bestand  darin ^ 
daß  der  Konsul  in  Lissabon  für  sein  Exequatur  1400  alte  Schweizerfranken  zu 
erlegen  hatte  und  um  Rückerstattung  der  Summe  bat,  die  ihm  auch,  weil  er 
sich  seinen  Landsleuten  gegenüber  sehr  wohlthätig  erwiesen  hatte,  gewährt  wurde. 
Glücklicherweise  sind  Gebühren,  namentlich  so  hohe,  für  die  Exequatnrertheilung 
heutzutage  nicht  mehr  üblich. 

Mit  den  obigen  Tagsatzungsbeschltlsseii  hatte  es  punkto  Eonsulargesetzgebung 
für  die  Restaurations-  und  Regenerationsperiode  sein  Bewenden;  dagegen  fielen 
in  der  Tagsatzung  viele  Anträge  auf  Errichtung  von  Konsulaten,  es  liefen  auch 
viele  und  überflüssige  Offerten  von  Konsulatskandidaten  ein,  so  daß  sich  die 
ziemlich  rasche  Erweiterung  des  Konsularn etzes  leicht  erklären  läßt.  Es  sind 
der  Reihe  nach  folgende  Konsulate  entstanden  (diejenigen  aus  der  Helvetik  werden 
der  Uebersicht  wegen  nochmals  erwähnt):  1798  Bordeaux,  1799  Marseille^ 
Genua,  1801  Nantes,  1802  Triest,  1809  Livorno,  1812  Neapel,  1815  Amster- 
dam, 1816  Petersburg,  Lyon,  Hävre,  1817  Lissabon,  London,  Odessa,  1818 
Rom,  1819  Antwerpen,  Liverpool,  Rio  de  Janeiro,  1822  New  York,  Washington, 
1826  Brüssel,  1827  Mexiko,  1828  Turin,  Femambnco  in  Brasilien,  Moskau, 
1829  New  Orleans,  1833  Bahia,  1834  Pemambuco,  Buenos  Ayres,  1835  Mai- 
land, Leipzig,  1840/41  ?  Palermo,  Messina,  1841  Philadelphia,  Savannah  in 
den  Vereinigten  Staaten,  1842  Madison  im  Staat  Indiana,  Algier,  Para  in  Brasilien, 
1846  Hamburg,  Galveston,  1847  Christiania,  Barcelona,  Rotterdam,  1848  Bastia 
auf  der  Insel  Korsika  —  in  Summa  44  Konsulate,  wovon  29  in  Europa,  14  in 
Amerika,  1  in  Afrika.  Die  Zahl  14  für  den  amerikanischen  Kontinent  beweist, 
wie  wichtig  dieser  Erdtheil  schon  in  der  ersten  Hälfte,  ja  schon  im  ersten  Drittel 
des  laufenden  Jahrhunderts  für  unsern  Handel  war. 


Interessenvertretung  —     81      —  Interessenvertretung 

Der  neue  Bund  von  1848,  dessen  Verfassung  dem  Schutz  der  Vülkswirth- 
schaftlichen  Interessen  einen  weit  größeren  Spielraum  eingeräumt  hatte,  als  die- 
jenige von  1815,  konnte  nicht  lange  zögern,  der  Frage  des  Konsularwesens 
nahe  zu  treten.  Der  wachsende  Handel  sowohl  wie  die  stets  sich  mehrende  An- 
Siedlung  schweizerischer  Angehöriger  in  fremden  Ländern  gehoten,  das  Pflichten- 
heft der  Konsuln  zu  erweitern.  Der  Bundesrath  erließ  daher  am  1.  Mai  1851 
ein  Reglement,  das  jenes  von  1816  punkto  Zahl  der  Paragraphen  um  das  Acht- 
fache übertraf. 

Schon  dadurch,  daß  dieses  Reglement  die  frühere  Bezeichnung  „ELandels- 
konsuln**  nicht  mehr  wiederholte,  sondern  durchweg  nur  von  „Konsuln*"  sprach, 
war  stillschweigend  ausgedrückt,  daß  den  Handelsinteressen  die  übrigen  Interessen 
koordinirt  sein  sollen.  Dementsprechend  war  auch  der  Theil  des  Reglementes, 
der  von  der  Mitwirkung  der  Konsuln  bei  der  Ordnung  zivilrechtlicher  Verhält- 
nisse von  Schweizern  im  Auslande  handelt,  nicht  weniger  umfangreich  als  der 
die  Wahrung  und  Förderung  der  Handelsinteressen  beschlagende  Theil.  Ganz 
neu  waren  gegenüber  früher  die  Vorschriften  betreffend  Führung  von  Büchern 
und  Verzeichnissen,  sowie  die  Normirung  der  Gebühren  für  die  einzelnen  Ver- 
richtungen. Auch  Jetzt  wieder  wurde  der  Grundsatz  ausgesprochen,  daß  die 
Konsuln  weder  eine  flxe  Besoldung  noch  eine  andere  Vergütung  aus  der  Bundes- 
kasse erhalten  sollen.  Dagegen  wurde  das  Tragen  einer  (genau  beschriebenen) 
Uniform  bei  amtlichen  Anlässen  gestattet,  sofern  ein  Konsul  sich  eine  solche 
auf  seine  eigenen  Kosten  anschaffen  mochte.  Nicht  übersehen  wurde  ferner,  in 
Bezug  auf  die  Korrespondenzauslagen  schützende  Bestimmungen  für  die  Konsuln 
zu  treffen,  was  übrigens  auch  schon  im  Februar  1849  durch  einen  Extrabeschluß 
geschehen  war. 

Abgesehen  von  einer  Aenderung  des  Gebühren tarifs  im  August  1852  und 
von  einigen  späteren  kleineren  Modifikationen  (wie:  Gestattung  der  Annahme 
eines  fremden  Konsulats,  wenn  keine  Kollision  der  Pflichten  zu  befürchten  sei  — 
daß  auch  ein  Nichtschweizer  zum  schweizerischen  Konsul  oder  Vizekonsul  er- 
nannt werden  könne  [1861]  —  Beseitigung  der  Paßvisa  fUr  nach  der  Schweiz 
reisende  Fremde)  blieb  nun  das  oben  besprochene  Reglement  in  Kraft  bis  zum 
26.  Mai  1875;  an  diesem  Tage  wurde  es  ersetzt  durch  das  heute  noch  gültige 
Reglement,  dessen  Haupt  bestimm  ungen  folgendermaßen  lauten  (die  ausgelassenen 
Stellen  beziehen  sich  auf  das  Konsulatsarchiv,  auf  den  Urlaub  und  die  Demiasionen) : 

I.  Abschnitt.  Allgemeine  Bestimmungen.  Art.  1.  Die  schweizerischen  Konsular- 
beamten sind  Agenten  des  Bundesrathes,  welche  die  Aufgabe  haben,  die  schweizerischen 
Interessen  inner  den  Schranken  ihrer  Befugnisse  zu  wahren,  und  als  Mittelspersonen 
zwischen  dem  Bundesrathe  und  den  in  ihrem  Konsulärbezirke  niedergelassenen  Schweizer- 
bürgem  zu  dienen. 

Art  2.  Die  schweizerischen  Konsularbeamten  sind  Greneralkonsuln,  Konsuln  oder 
Vizekonsnln.  In  Staaten,  wo  die  Aufstellung  von  Konsulaten  nicht  zulässig  ist,  nehmen 
sie  den  Titel  Generalagenten  oder  Handelsagenten  an. 

Art.  3.  Die  Konsularbeamten  stehen  unter  dem  Bundesrathe.  In  den  Ländern, 
wo  die  Eidgenossenschaft  einen  diplomatischen  Agenten  hat,  übt  dieser  im  Namen  des 
Bundesratbes  die  Aufsicht  über  das  Personal  des  Konsularkorps.  Er  kann  vom  Bundes- 
rathe mit  der  la^pizirung  der  Konsulate,  zum  Zwecke,  sich  der  regelrechten  Führung 
der  Bücher  und  Register  und  überhaupt  der  praktischen  Durchführung  des  Reglements 
zu  versichern,  betraut  werden. 

Art.  4.  In  den  Staaten,  wo  die  Eidgenossenschaft  keinen  diplomatischen  Agenten, 
aber  mehrere  Konsuln  hat,  trägt  einer  derselben  den  Titel  Generalkonsul,  und  es  ist 
derselbe,  in  dieser  Eigenschaft,  mit  den  Befugnissen  bekleidet,  welche  im  vorigen  Ar- 
tikel den  diplomatischen  Agenten  zugeschieden  sind.  Hie  von  abgesehen,  hat  der  General- 
konsul die  gleichen  Befugnisse  und  Verrichtungen  wie  der  Konsul.  In  größern  Staaten 
können  auch  neben  den  diplomatischen  Agenten  Generalkonsuln  bestellt  werden. 

Famr,  Volkiirlrthiehftfto-Lexiknn  der  Schwoix.  ^^ 


Interessenvertretung  —      82     —  Interessenvertretung 

Art.  5.  Jeder  Konsularbeamte  übt,  in  seiner  Residenz  oder  inner  den  Grenzen 
seines  Bezirks,  wenn  er  auf  seinem  Posten  ist,  die  aus  seinem  Mandate  herfließenden 
Befugnisse  in  ausschließlicher  Weise  aus. 

Art.  6.  Wo  sich  das  Bedürfniß  hiefür  zeigt,  sind  den  Generalkonsuln  und  Konsuln 
Vizekonsuln  als  Gehülfen  und  Stellvertreter  beizugeben.  Sie  verwalten  das  Konsulat  in 
Fällen  von  Abwesenheit  oder  Verhinderung  de.s  Konsuls;  sonst  üben  sie  nur  die  vom 
Konsul  ihnen  übertragenen  Funktionen  aus. 

Wo  ein  Konsularbezirk  zu  groß  ist,  als  daß  das  Konsulat  im  Falle  wäre,  in  er- 
sprießlicher Weise  seine  Thätigkeit  im  ganzen  Umfange  des  Bezirks  zur  Greltung  zu 
bringen,  können  Vizekonsulate  errichtet  werden  mit  eigenem  Amtssitze,  in  den  Ort- 
schaften, wo  sich  hie  für  das  Bedürfniß  kundgibt.  Diese  Vizekonsuln  stehen  unter  der 
Direktion  des  Konsulats,  in  dessen  Bezirk  sie  sich  befinden,  haben  aber  im  Uebrigen 
die  gleichen  Befugnisse  wie  die  Konsuln. 

Art.  7.  Die  Konsularbeamten  sind  befugt,  für  ihre  Konsulate  Kanzler  zu  ernennen ; 
sie  sind  für  dieselben  verantwortlich.  Sie  stellen  ihnen  ein  Brevet,  nach  Formular  1, 
aus  und  bringen  ihre  Ernennung  dem  Bundesrathe  zur  Kenntniß. 

Art.  8.  Die  Konsularbeamten  können  ausnahmsweise  und  unter  sofortiger  Kennt- 
nißgabe  an  den  Bundesrath  zur  Besorgung  einzelner  Geschäfte  von  sich  aus  Delegirte 
bezeichnen.  Sie  können  sich  in  Ländern,  wo  die  schweizerische  Eidgenossenschaft  nicht 
diplomatisch  vertreten  ist,  in  Nothfällen  von  sich  aus  an  die  Gesandtschaften  oder 
Konsulate  anderer  Länder  wenden,  wenn  ihnen  dies  zur  Wahrung  der  ihrem  Schutze 
anvertrauten  Interessen  ersprießlich  erscheint. 

II.  Abschnitt.  Ernennung  der  Konsularbeamten.  Art.  9.  Der  Bundesrath  er- 
nennt die  Generalkonsuln,  Konsuln  und  Vizekonsuln  auf  den  Vorschlag  des  politischen 
Departements,  das  auch  dem  Handelsdepartement  Gelegenheit  zur  Ansichtäußerung  über 
die  in  Vorschlag  gebrachten  Persönlichkeiten  geben  wird.  Das  politische  Departement 
ist  mit  Allem  beauftragt,  was  auf  das  Pers(jnelle  des  Konsularkorps  und  dessen  Ge- 
schäftsführung überhaupt  Bezug  hat. 

Art.  10.  Um  zum  Generalkonsul,  Konsul  oder  Vizekonsul  gewählt  werden  zu 
können,  muß  man  Schweizerbürger  sein,  in  vollen  politischen  und  bürgerlichen  Rechten 
und  Ehren  stehen,  in  dem  Lande  angesessen  sein,  in  welchem  man  die  Konsulatsfunktionen 
ausüben  soll,  oder  zu  diesem  Zwecke  daselbst  Wohnsitz  nehmen.  Unter  besondern  Ver- 
hältnissen und  wo  die  schweizerischen  Interessen  es  erheischen,  kann  indessen  auch  ein 
NichtSchweizer  zum  schweizerischen  Konsul  oder  Vizekonsul  ernannt  werden. 

Art.  11.  Für  die  Auswirkung  des  Exequatur  der  neugewählten  Konsularbeamten 
wird  der  Bundesrath  die  erforderlichen  Schritte  thun  oder  anordnen.  Er  wird  sich  auch 
dafür  verwenden,  daß  diesen  Beamten  die  gebührende  Achtung  geschenkt  und  ihnen 
der  Genuß  aller  Vergünstigungen  und  Vortheile  eingeräumt  werde,  welche  nach  den  inter- 
nationalen Verträgen  oder  nach  den  Gesetzen  des  Landes,  in  denen  sie  residiren,  mit 
solchen  Stellen  verbunden  sind. 

Art.  12.  Das  Exequatur  wird  verlangt:  1)  durch  den  schweizerischen  diplomatischen 
Agenten  oder  in  Ermanglung  desselben  durch  den  Generalkonsul:  2)  in  Ermanglung 
eines  diplomatischen  Agenten  oder  Generalkonsuls,  durch  den  Konsul  selbst,  oder  direkt 
durch  den  Bundesrath.  «___^^__ 

Art.  13.  Gleich  nachdem  der  neugewählte  Konsularbeamte  das  Exequatur  erlangt 
und  dem  Bundesrath  hievon  Anzeige  gemacht  hat,  tritt  er  in  Funktion.  f 

Art.  14.  Der  neugewählte  Konsularbeamte  gibt  von  seinem  Amtsantritte  dem 
diplomatischen  Agenten  oder  dem  Generalkonsul  Kenntniß,  welcher  hievou  sofort  allen 
im  Lande  residirenden  Mitgliedern  des  schweizerischen  Konsularkorps  Mittheilung  macht. 
Ist  der  neugewählte  ein  Vizekonsul,  so  erfolgt  die  Anzeige  von  seinem  Amtsantritte 
durch  das  Mittel  des  Konsulats,  unter  welchem  er  steht. 

III.  Abschnitt.  Befugnisse  und  Obliegenheiten  der  Konsularbeamten,  Ä.  AU- 
gemeine.  Art.  15.  Die  Konsularbeamten  werden  sich  bestreben,  alle  Aufträge  des  Bundes- 
rathes,  soweit  es  von  ihnen  abhängt,  nisch  und  gut  zu  vollziehen.  In  Angelegenheiten 
von  Privaten,  Gemeinde-  und  Bezirksbehörden,  welche  nicht  durch  die  Vermittlung  des 
Bundesrathes  anhängig  gemacht  sind,  verkehren  die  Konsularbeamten  mit  den  Kantons- 
regierungen. 

Art.  16.  Die  Konsularbeamten  haben  zu  .Vllem  mitzuwirken,  was  das  Gedeihen 
der  Eidgenossenschaft  in  kommerzieller,  industrieller  und  landwirthschafUicher  Beziehung 
fördern  kann.  Sie  werden  mit  allen  ihnen  zu  Gebote  stehenden  Mitteln  und  mit  Aus- 
dauer den  Handel  und  den  Verkehr  zwischen  der  Schweiz  und  ihren  Konsulärbezirken 


Interessenvertretung  —      i?3     —  Interessenvertretung 

zu  heben  suchen,  und  ebenso  bemüht  sein,   die  Gefahren  und  Nachtheile  alizuwenden, 
denen  dieser  Handel  und  Verkehr  ausgesetzt  sein  könnte. 

Art.  17.  Die  Konsuln  haben  die  Veqjflichtung,  die  Interessen  der  Schweizerbürger, 
wo  sie  darum  angegangen  werden  oder  die  Verhältnisse  es  sonst  erfordern,  nach  Kräften 
zu  wahren  und  zu  schützen,  insoweit  dieses  nach  den  Bestimmungen  der  Verträge  oder 
nach  den  Gesetzen  des  Landes,  wo  sie  residiren,  geschehen  kann.  Sie  sollen  ihren  Bitit- 
bürgern  mit  gutem  Rathe  zur  Seite  stehen,  sich  ihnen  nützlich  zu  machen  suchen, 
ihren  Personen  und  ihrem  Eigenthum  den  Schutz  des  Staates  verschaffen  und  gerechte 
Reklamationen  unterstützen. 

Art.  18.  In  Vollziehung  der  vorhergehenden  Artikel  haben  die  Konsularbeamten 
dem  Bundesrathe  sofort  Bericht  über  die  Ereignisse  zu  erstatten,  welche  die  Sicherheit 
von  Personen  und  Eigenthum  gefährden  können.  Ferner  berichten  sie  über  wichtige 
Entdeckungen  und  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Wissenschaften,  der  Künste  und 
der  Industrie.  Sie  haben  dem  Bundesrathe  alle  legislativen  Verfügungen  zur  Kenntniß 
zu  bringen,  welche  in  ihrem  Amtsbezirke  in  Handelsmaterien  erlassen  werden  und  die 
den  schweizerischen  Handelsstand  interessiren  könnten,  sowie  überhaupt  ihm  alles 
Wichtige  mitzutheilen,  das  für  ihn  von  Interesse  sein  möchte. 

Art.  19.  Wo,  behufs  ihrer  leichtern  Zulassung  oder  Behandlung  im  Ausland, 
schweizerische  Waaren  mit  Ursprungszeugnissen  versehen  sein  müssen,  werden  die 
Konsularbeamten  darüber  wachen,  daß  solche  Zeugnisse  gehörig  anerkannt  und  respektirt 
werden. 

Art.  20.  Die  besondern  Verpflichtungen,  die  den  Konsularbeamten,  welche  eine 
jährliche  Entschädigung  aus  der  Bundeskasse  erhalten  (Art.  62),  auferlegt  werden 
können,  sind  Gegenstand  spezieller  Bestimmungen  des  Bundesrathes. 

Art.  21.  Die  schweizerischen  Konsularbeamten  dürfen  von  auswärtigen  Regierungen 
weder  Pensionen  oder  Gehalte,  noch  Titel,  Geschenke  oder  Orden  annehmen.  Sind  sie 
bereits  im  Besitze  von  Pensionen,  Titeln  oder  Orden,  so  haben  sie  für  ihre  Amtsdauer 
auf  den  Genuß  der  Pensionen  und  das  Tragen  der  Titel  und  Orden  zu  verzichten. 
(Art.  12  der  BundesAerfassung.) 

Art.  22.  Die  schweizerischen  Konsularbeamten  dürfen  ohne  ausdrückliche  Er- 
mächtigung des  Bundesraths  kein  Konsulat  einer  auswärtigen  Macht  annehmen,  noch 
für  auswärtige  Regierungen  amtUche  Geschäfte  besorgen. 

Art.  23.  Die  schweizerischen  Konsularbeamten  dürfen  diplomatische  Aufträge  von 
Niemanden  als  vom  Bundesrathe  übernehmen. 

B,  Vom  Jahresbericht  Art.  24.  Abgesehen  von  den  Berichten,  welche  nach  Maß- 
gabe von  Art.  18  zu  unbestimmten  Zeiten  je  nach  Erfordemiß  der  Umstände  dem 
Bundesrathe  einzureichen  sind,  haben  die  Greneralkonsuln.  die  Konsuln  und  die  Vizekonsuln 
mit  eigenem  Amtssitze  (Art.  6,  Alinea  2)  demselben  am  Jahresschlüsse  einen  Bericht  über 
das  abgelaufene  Jahr  zu  erstatten. 

Art.  25.    Dieser  Bericht  hat  sich  über  folgende  Gegenstände  zu  verbreiten: 

Erster  TheiL  1)  Lage  im  Allgemeinen  und  Handelsgesetzgebung;  2)  a.  Erzeugnisse 
der  Landwirthschaft,  der  Bergwerke  und  der  Industrie;  b.  Bemerkungen;  3)  a.  Total- 
einfuhr und  Tolalausfuhr ;  6.  Vermehrung,  bezw.  Verminderung  gegenüber  dem  Vor- 
jahre: c.  besondere  Bemerkungen:  4)  a.  Einfuhr  aus  der  Schweiz  und  Ausfuhr  nach 
der  Schweiz ;  b.  Vermehrung,  bzw.  Verminderung  gegenüber  dem  Vorjahre ;  c.  besondere 
Bemerkungen;  5)  Veränderungen  in  den  Ansätzen  der  Ein-  und  Ausfuhrzolltarife  des 
resp.  Konsulardistrikts ;  6)  Elsenbahnen  und  Verkehrswege;  7)  Bauken;  8)  Zins-  und 
Diskontofuß;  9)  Versicherungen;  10)  neue  Erfindungen. 

Zweiter  Theil.  1)  Einwanderung;  2)  Schweizergesellschaften. 

Dritter  Theü,  Verzeichniß  der  behandelten  Geschäfte  während  des  laufenden 
Jahres  nach  Formular  Nr.  4. 

Art.  26.  Die  Jahresberichte,  welche  geeignet  sind,  den  schweizerischen  HandeLs- 
stand  und  das  weitere  Publikum  zu  interessiren,  werden  im  Handelsamtsblatt  durch 
Veranstaltimg  des  Handelsdepartements  veröffentHcht,  welches  mit  Allem  betraut  ist, 
was  die  Thätigkeit  des  Konsularkorps  in  kommerzieller  Beziehung  betrifft. 

C  Mitwirkung  der  Konsularbeamten  in  Bezug  auf  zivilrechtliche  Verhältnisse 
von  Schweizern.  Art.  27.  Wenn  Schweizer  in  einem  Konsularbezirk  geboren  werden, 
sich  verehelichen  oder  sterben,  und  dies  zur  Kenntniß  des  Konsularbeamten  kommt, 
so  hat  er  dafür  zu  sorgen,  daß  diese  Thatsachen  amtlich  konstatirt  werden,  und  die 
diesfäiligen  Urkunden,  als :  Geburts-,  Trauungs-  und  Todesscheine  der  Kantonsregierung 
des  betreffenden  Schweizers,  mit  seiner  Legalisation  versehen,  einzusenden,  wofern  für 
•diese  Mittheilung  nicht  bereits  durch  besondere  internationale  Uebereinkünfte  Vorsorge 


Interessenvertretung  —      84     —  Interessenvertretung- 

^troffen  ist.  Der  Konsularbeamte  hat  im  Weitern  die  Geburten,  Tniuungen  und  Sterbe- 
fklle  in  das  Matrikelregister  der  im  Konsulärbezirke  befindlichen  Schweizer  einzutragen 
(Art.  48,  50,  51  und  52). 

Art.  38.  Uneheliche  Kinder  sind  auf  den  Namen  der  Mutter  einzuschreiben.  Will 
der  Vater  ein  uneheliches  Kind  anerkennen,  so  muß,  wenn  er  ein  Schweizer  ist,  diese 
Anerkennung  in  den  von  der  Gesetzgebung  semes  Heimatkantons  vorgeschriebenen 
Formen  erfolgen.  In  diesem  Falle  wird  der  von  den  Parteien  angegangene  oder  zu 
Rath  gezogene  Konsularbeamte  deshalb  an  den  Bundesrath  gelangen,  welcher  ihm  dann 
die  erforderlichen  Instruktionen  ertheilen  wird. 

Art.  29.  Das  Recht  zur  Ehe  steht  unter  dem  Schutz  des  Bundes.  Dieses  Recht 
darf  weder  aus  kirchlichen  oder  ökonomischen  Rücksichten,  noch  wegen  bisherigen 
Verhaltens  oder  aus  andern  polizeilichen  Gründen  beschränkt  werden.  Die  in  einem 
Kantone  oder  im  Auslande  nach  der  dort  geltenden  Gresetzgebung  abgeschlossene  Ehe 
soll  im  Gebiete  der  Eidgenossenschaft  als  Ehe  anerkannt  werden.  Durch  den  Abschluß 
der  Ehe  erwirbt  die  Frau  das  Heimatrecht  des  Mannes.  Durch  die  nachfolgende  Ehe 
der  Eltern  werden  vorehelich  geborne  Kinder  derselben  legitimirt.  Jede  Erhebung  von 
Brauteinzugsgebühren  oder  andern  ähnlichen  Abgaben  ist  unzulässig.  (Bundesverfassung 
vom  29.  Mai  1874,  Art.  54.) 

Art.  30.  Die  von  den  Koasularbeamten  den  Regierungen  der  Heimatkantone  der 
Eheleute  übersandten  Trauungsscheine  sollen  die  genaue  Angabe  des  Ortes  und  des 
Zeitpunktes  ihrer  Geburt,  sowie  die  Angabe  der  Namen  und  des  Heimatortes  ihrer 
Eltern  enthalten,  damit  die  Einschreibung  in  den  Registern  des  Heimatkantons  regel- 
recht geschehen  kann. 

Enthält  der  Trauungsschein  diese  Angaben  nicht,  so  trägt  der  Konsularbeamte 
Sorge,  dies  zum  Gegenstande  einer  besondern  Erwähnung  zu  machen. 

Art  31.  Sind  vorehelich  geborne  Kinder  vorhanden,  so  muß  dies  im  Trauungs- 
akt der  Eltern  ausdrücklich  erwähnt  und  in  Ermanglung  dieser  Erwähnung  durch  den 
Konsularbeamten  der  Kantonsregierung  besonders  mitgetheilt  werden. 

In  beiden  Fällen  sind  die  Geburtsscheine  der  vorehelich  gebomen  Kinder  dem 
Trauungsakte  beizulegen. 

Art.  32.  Der  Bundesrath  wird  da,  wo  er  es  für  angemessen  erachtet,  die  Konsular- 
beamten ermä(!htigen,  innerhalb  ihrer  Kreise  Geburten  und  Todesfälle  schweizerischer 
Angehörigen  zu  erwahren  und  Ehen  zwischen  Schweizern  und  Ausländern  abzuschließen. 
(Art.  13  des  Bundesgesetzes  betreffend  Feststellung  und  Beurkundung  des  Zivilstandes 
und  die  Ehe,  vom  24.  Dezember  1874.)  Der  Bundesrath  wird  hierüber  eine  besondere 
Verordnung  erlassen  und  die  einschlägigen  Tarife  aufstellen. 

Art.  33.  Beim  Ableben  eines  im  Konsulärbezirke  wohnhaft  gewesenen  Schweizers 
übt  der  Konsularbeamte  provisorisch  das  Amt  einer  Vormundschaftsbehörde,  im  Interesse 
der  minderjährigen  oder  abwesenden  Erben,  wenn  er  darum  angegangen  wird  oder 
seine  Nichtintervention  Schaden  nach  sich  ziehen  könnte.  Die  Konsularbeamten  haben 
in  diesen  Materien  den  Bestimnmngen  der  bestehenden  Verträge,  oder  in  Ermanglung 
solcher  den  Gesetzen  und  Uebungen  des  Landes,  wo  sie  residiren,  nachzukommen. 
Innerhalb  dieser  Schranken  sind  sie  ermächtigt,  die  Versiegelung  der  Hinterlassenschaft 
vorzunehmen  oder  durch  die  zuständige  Behörde  vornehmen  zu  lassen:  ein  Inventar 
zu  fertigen;  die  der  Verderbniß  ausgesetzten  Gegenstände  zu  verkaufen;  provisorisch 
die  Verlassenschaft  zu  verwalten,  sei  es  selbst  oder  durch  das  Mittel  einer  Vertrauens- 
person; provisorischen  Besitz  zu  nehmen;  mit  einem  Worte  wie  ein  guter  Famihen- 
vater  alle  erforderlichen  Sicherungsvorkehrungen  zu  treffen.  Sie  erstatten  dem  Bundes- 
rathe  über  das  von  ihnen  diesfalls  Gethane  Bericht  und  erwarten  dessen  wöitere 
Weisungen. 

Art.  34.  Für  die  Gelder  und  Werthschriflen,  welche  einer  Hinterlassenschaft  oder 
einer  amtlichen  Liquidation  angehören  oder  die  als  solche  den  Konsularbeamten  durch 
die  zuständige  Behörde  zu  Händen  der  Erben  eingehändigt  werden,  sowie  für  die  Gelder 
und  Werthschriflen,  die  sie  von  der  Behörde  des  Landes,  wo  sie  residiren,  oder  vom 
Bundesrathe,  sei  es  zur  Aufbewahrung,  sei  es  zur  Uebermittlung  an  ihre  Bestimmung  er- 
halten, haben  die  Konsularbeamten  eine  von  ihrem  eigenen  Vermögen  strenge  getrennte 
Kas.se  zu  halten,  deren  Komptabilität  sie  gemäß  Art.  48,  §  4,  führen. 

Art.  35.  Außer  in  den  im  vorhergehenden  Artikel  vorgesehenen  Fällen  ist  es  den 
Konsularbeamten  der  Eidgenossenschaft  ausdrücklicli  untersagt,  in  ihrer  amtlichen 
Eigenschaft  Geldhinterlagen,  Titel  oder  Werthstücke  zu  empfangen,  oder  die  Verwaltung, 
Uebermittlung,  Einkassirung  oder  Zahlung  von  Werthschriflen,  Hinterlagen,  Darlehen  etc. 
zu  übernehmen,   ohne  eine  besondere  Ermächtigung  von  Seite  des  Bundesrathes.     Gre* 


Interessenvertretung  —      85      —  Interessenvertretang 

Schäfte  solcher  Natur  dürfen  nicht  in  die  amtlichen  Protokolle  oder  Register  des  Konsulat^ 
eingetragen  und  bezügliche  Akte  nicht  mit  dem  Konsulatssiegel  versehen  werden,  noch 
die  Angabe  der  Konsulareigenschaft  des  Unterzeichners  tragen.  Die  Konsularbeamten  sind 
gehalten,  das  durch  gegenwärtigen  Artikel  aufgestellte  Verbot  jedem  derartigen  Begehren, 
^as  an  sie  in  ihrer  amtlichen  Eigenschaft  gerichtet  werden  sollte,  entgegenzuhalten. 

Art.  36.  Es  ist  den  Konsularbeamten  untersagt,  Akten,  Dokumente  oder  Korre- 
iüpondenzen,  die  sie  außerhalb  der  Ausübung  ihres  Amtes  ausfertigen  oder  empfangen, 
in  ihrer  amtlichen  Eigenschaft  zu  unterzeichnen  und  ihnen  das  Konsulatssiegel  bei- 
zudrücken, sowie  überhaupt  außerhalb  ihres  amtlichen  Wirkungskreises  sich  ihre  Eigen- 
Si*haft  als  Konsularbeamte  zu  Nutze  zu  machen. 

Art.  37.  Die  Konsularbeamten  sind  ermächtigt,  Aktenstücke,  welche  durch  die 
Behörde  ihres  Konsularbezirks  ausgestellt  werden,  zu  legalisiren.  Ebenso  legalisiren  sie 
:^chweizerische  Akten,  die  von  der  Bundeskanzlei  oder  einer  kantonalen  Staatskanzlei 
ausgestellt  oder  beglaubigt  sind.  Sie  können  auch  andere  Akten  legalisiren,  über  deren 
Echtheit  kein  Zweifel  besteht. 

Art.  38.  Wenn  die  Konsularbeamten  Akten  fremder  Behörden  oder  Beamten 
legalisiren,  so  haben  sie,  wenn  dies  ihnen  bekannt  ist,  beizusetzen,  daß  die  betreffende 
Amtsstelle  zur  Ausstellung  jener  Aktenstücke  kompetent  sei. 

Art.  39.  Die  Konsuln  sind  berechtigt,  aber  nicht  verpflichtet,  Akten  zu  legalisiren, 
die  nur  von  Privaten  unterzeichnet  sind. 

Art.  40.  Die  Konsularbeamten  sind  befugt,  Zeugnisse  auszustellen,  welche  die 
persönlichen  Beziehungen  von  Schweizern  oder  Gegenstände  ihres  gewerblichen  Ver- 
kehrs betreflfen. 

Art.  41.  Alle  Erlasse,  welche  von  schweizerischen  Behörden  ausgehen,  können 
von  den  Konsuln  nur  vollzogen  werden,  wenn  sie  von  der  Bundeskanzlei  oder  einer 
kantonalen  Staatskanzlei  legalisirt  sind,  oder  überhaupt  über  die  Echtheit  des  Original- 
aktes kein  Zweifel  besteht. 

Art.  42.  Die  den  Konsularbeamten  zukommenden  Vorladungen,  Verfügungen,  Ur- 
theile  u.  dgl.  stellen  sie  den  betreffenden  Personen  entweder  direkte  oder  durch  Ver- 
mittlung der  zuständigen  Behörde  zu,  nach  Maßgabe  der  Bestimmungen  der  internationalen 
Ue))ereinkünfle  oder  der  I^andesgesetze. 

D.  Befugnisse  und  Pflichten  der  Konsularbeamten  in  Bezug  auf  das  Paßwesen. 
Art.  43.  Die  schweizerischen  Konsularbeamten  sind  ermächtigt,  denjenigen  Personen 
Reisepässe  nach  Formular  auszustellen,  welche  sich  über  ihre  Eigenschaft  als 
Srhweizerbürger  bei  ihnen  ausweisen  und  über  deren  Identität  sie  keine  Zweifel  hegen. 
Da  die  Heimatscheine  in  der  Regel  kein  Signalement  enthalten,  so  bedarf  es  besonderer 
Vorsicht,  um  auf  solche  hin  einen  Paß  au.szustellen.  In  Ermanglung  von  solchen  Aus- 
weisen kann  auch  das  schriftliche,  mit  Gutsprache  für  die  Folgen  verbundene  Zeugniß 
von  Personen  genügen,  die  dem  Konsul  bekannt  und  deren  Rechtlichkeit  und  Ehren- 
haftigkeit anerkannt  sind. 

Art.  44.  Die  altem  Reiseschriften  (Pässe,  Wunderbücher),  sowie  die  Gutsprachen, 
auf  welche  hin  der  neue  Paß  ausgestellt  worden  ist,  sind  im  Konsulatsarchiv  auf- 
zubewahren. 

Art.  45.  In  der  Regel  darf  ein  Paß  nur  fQr  sechs  Monate  gültig  sein;  in  Aus- 
nafamsfällen  jedoch  und  für  bekannte  Personen,  die  längere  Reisen  machen,  kann  die 
Gültigkeitsdauer  bis  auf  ein  Jahr  ausgedehnt  werden. 

Art.  46.  NichtSchweizern  dürfen  die  Konsularbeamten  unter  keinen  Umständen 
Pässe  ausstellen. 

Art.  47.  Die  Konsularbeamten  visiren  schweizerische  Pässe  für  ihren  Konsular- 
bezirk. Pässe  von  Fremden,  welche  in  die  Schweiz  reisen  wollen,  bedürfen  des  Visums 
eines  schweizerischen  Agenten  im  Auslande  nicht.  Die  Konsularbeamten  werden  die 
Fremden,  welche  von  ihnen  ein  Paßvisum  verlangen,  auf  das  Vorbemerkte  aufmerksam 
machen,  und  denselben  das  Visum  nur  dann  eilheilen,  wenn  es  dessen  ungeachtet 
nachgesucht  wird  und  die  Konsuln  überdies  sich  überzeugen,  daß  die  ihnen  vorgewiesenen 
S<*hriften  in  den  vorgeschriebenen  Formen  ausgefertigt  und  noch  nicht  abgelaufen  sind. 

E,  Van  der  Führung  der  Bücher  und  Register.  Art.  48.  Ueber  die  AraU?geschäfte 
führen  die  Konsularbeamten  folgende  Bücher  und  Verzeichnisse:  1)  Ein  ge- 
bundenes und  paginirtes  Protokoll,  mit  alphabetischem  Register,  in  welches  alle  amt- 
lichen Geschäfte  und  Ausfertigungen,  mit  Ausnahme  der  Pässe,  unter  fortlaufenden 
Ordnungsnummern  eingetragen  werden.  2)  Ein  Register  über  die  ausgefertigten  und 
•die  visirten  Pässe.  3)  Ein  Kopirbuch,  welches  die  Korrespondenz  in  wörtlicher  Abschritt 
und  dem  Datum  nach  aufeinanderfolgend  zu  enthalten  hat.  Es  ist  jedoch  den  Kou^wW- 


Interessenvertretung  —     86      —  Interessenvertretung 

beamten  unbenommen,  sich  darauf  zu  beschränken,  die  Konzepte  oder  Abschriften  der 
expedirten  Schreiben  und  sonstigen  Aktenstücke  aufzubewahren  und  zu  den  Akten- 
faszikeln der  Geschäfte,  auf  welche  sie  sich  beziehen,  zu  legen.  In  beiden  Fällen  ist 
von  solchen  Ausgängen  stets  im  Protokolle  Vormerkung  zu  nehmen,  unter  kurzer  An- 
gabe des  Inhalts  derselben.  4)  Ein  Kassabuch  und  ein  Kontokurrentbuch  über  die  den 
Konsularbeamten  in  amtlicher  Stellung  (Art.  34)  zur  Verwahrung  oder  zur  Verwaltung 
zugekommenen  Gelder  oder  Werthschriften.  5)  Ein  Matrikelregister  über  die  im  Konsulär- 
bezirke wohnhaften  Schweizerbürger. 

Art.  49.  Die  Konsularbeamten  sorgen  dafür,  daß  die  Bucheinträge  jeweilen  sofort 
stattfinden  und  daß  die  Bücher  sich  stets  in  bester  Ordnung  befinden. 

Art.  50.  Die  Immatrikulation  der  Schweizer  geschieht  durch  ihre  Eintragung  in 
ein  besonderes  Register,  welches  Geschlechts-  und  Vornamen  des  Requirirenden,  Alter. 
Heimat-  und  Geburtsort,  Beruf,  letztes  Domizil,  jetzigen  Aufenthaltsort,  Zivilstand  in. 
ehelicher  Hinsicht,  den  Namen  der  Frau,  den  sie  vor  ihrer  Verehelich ung  führte,  An- 
zahl, Vornamen  und  Greschlecht  der  Kinder,  sowie  die  Belege  für  sein  Heimatrecht 
enthalten  soll. 

Art.  51.  Es  darf  für  die  Eintragung  der  Schweizerbürger  in  das  Matrikelregister 
keinerlei  Gebühr  bezogen  werden.  Die  einzige  Bedingung,  an  welche  diese  Eintragung 
geknüpft  wird,  ist  der  Nachweis  des  Heimatrechts. 

Art.  52.  Im  Anfange  jedes  Jahres  erlassen  die  Konsularbeamten  in  den  öffent- 
lichen Blättern  oder  auf  einem  sonst  ihnen  geeignet  scheinenden  Wege  einen  Aufruf 
an  die  in  ihrem  Konsulärbezirke  ansässigen  Schweizerbürger,  durch  welchen  die  dies- 
falls Säumigen  eingeladen  werden,  sich  in  das  Matrikelregister  des  Konsulats  eintragen 
zu  lassen.  Die  Konsularbeamten  werden  überhaupt  keine  Vorsorge  versäumen,  um  ihre 
Mitbürger  von  der  Nützlichkeit  dieser  Einschreibung  zu  überzeugen  und  um  die  Register 
in  Vollständigkeit  zu  halten. 

VI.  Abschnitt.  Eintuihmcn  der  Konsulate,  Art.  62.  Die  schweizerischen 
Konsularbeamten  erhalten  von  der  Eidgenossenschaft  keine  fixe  Besoldung.  Es  können 
jedoch  vom  Bundesrathe  denjenigen  Konsuln  Entschädigungen  ausgesetzt  werden,  denen 
die  Auswanderung  beträclitliche  Ausgaben  verursacht  oder  denen  besondere  Verhältnisse 
ausnahmsweise  Lasten  auferlegen.  Diese  Entschädigungen  werden  alljährlich  festgesetzt, 
und  können  je  nachdem  die  Umstände,  welche  sie  veranlaßten,  wechseln  oder  aufhören, 
modifizirt  oder  gänzlich  fallen  gelassen  werden. 

Art.  63.  Die  Konsularbeamten  sind  ermächtigt,  Gebühren  nach  Maßgabe  des  dem 
Reglement  beigefügten  Tarifs  zu  beziehen.  Den  Armen  sind  diese  Taxen  nachzulassen. 
Es  soll  am  Konsulatsbureau  stets  ein  Tarif  angeschlagen  sein. 

Art.  64.  Für  Briefe  oder  Pakete,  welche  den  schweizerischen  Konsulaten  von 
Seite  der  schweizerischen  Bundeskanzlei  oder  einer  Kantonsregierung  unfrankirt  zu- 
kommen, haben  dieselben  mit  ihrem  Jahresberichte  eine  Rechnung  einzugeben,  welche 
so  gestellt  sein  muß,  daß  die  Bundeskanzlei  die  einzelnen  Kantone  für  die  sie  betreffenden 
Kosten  belasten  kann.  Der  Betrag  dieser  Rechnung  wird  den  Konsuln  vergütet 

Art.  65.  Die  Konsuln  sind  nicht  verpflichtet,  Briefe  von  Gemeinden  oder  Privaten 
anzunehmen,  wenn  sie  unfrankirt  sind. 

Art.  66.  Briefe  oder  Pakete,  welche  die  Konsuln  nach  der  Schweiz  senden,  können 
dieselben  entweder  unfrankirt  aufgeben,  oder  auf  andern  Wegen  sich  die  Kosten  ver- 
güten lassen.  Wenn  sie  jedoch  im  Auftrag  oder  Interesse  von  Personen,  welche  in  ihrem 
Konsularbezirk  wohnen,  mit  schweizerischen  Behörden  korrespondiren  müssen,  so  haben 
ihre  Auftraggeber  die  Kosten  zu  tragen. 

Art.  67.  Alle  andern  Baarauslagen,  welche  ein  Konsularbeamter  aus  Auftrag  von 
Bundesbehörden  oder  Kantonsregierungen  machen  muß,  sind  demselben  zu  ersetzen. 
Die  Erstattung  solcher  Auslagen  hingegen,  welche  ein  Konsul  ohne  Auftrag,  aber  nach, 
seiner  Ansicht  im  Interesse  dieser  Behörden  gemacht  hat,  hängt  von  der  nachträglichen 
Genehmigung  derselben  ab. 

VII.  Abschnitt.  Äeußere  Formen.  Art.  68.  Die  Konsularbeamten  sind  befugt^ 
insofern  die  Bestimmungen  der  internationalen  Verträge  oder  die  Landesgesetze  es  ge- 
statten, an  ihrer  Wohnung  das  eidgenössische  Wappen  mit  der  Aufschrift  , General- 
konsulat (Konsulat  oder  Vizekonsulat)  der  schweizerischen  Eidgenossenschaft*  anzubringen. 

Art.  69.  Das  Siegel,  dessen  sich  die  Konsularbeamten  bei  allen  amtlichen  Aus- 
fertigungen  bedienen,   trägt   das   Wappen   der   Eidgenossenschaft   mit   der   Umschrift 

^Schweizerisches  Generalkonsulat  (Konsulat,  Vizekonsulat)  in * 

\  Art.  70.    Sie   sind   berechtigt,    bei   amtlichen  Anlässen   die   Konsularuniform   za 

tragen.  Die  Kosten  derselben  fallen  ihnen  selbst  zur  Last. 


Interessenvertretung  —      87     — ^  Interessenvertretung 

In  AnsfÜhmng  von  Art.  32  des  vorstehenden  Reglementes  sind  die  Konsulate 
in  Japan  (seit  1877),  in  Manila  (seit  1877)  und  in  Buenos- Ayres  (seit  1879) 
ermächtigt  worden,  Geburten  und  Todesfälle  von  Schweieern  eu  beurkunden, 
sowie  Trauungen  von  Schweizern  (Schweizer  und  Schweizerin,  sowie  Schweizer 
and  Ausländerin)  vorzunehmen.  Damit  auch  in  andern  Staaten,  wo  die  Schweiz 
keine  Konsularbeamten  hat  und  wo  Ehehindemisse  aus  konfessionellen  Gründen 
bestehen,  die  Schweizer  nicht  darunter  zu  leiden  haben,  hat  die  schweizerische 
Bondesregierung  von  der  Deutschen  Reichsregierung  die  Vergünstigung  ausgewirkt, 
daß  die  zn  den  nämlichen  Verrichtungen  befugten  deutschen  Konsulate  jene  Funk- 
tionen zu  Grünsten  derjenigen  Schweizer  ausüben,  welche  sich  unter  ihren  Schutz 
gestellt  haben. 

Eine  weitere  Spezialfunktion  ist  diejenige,  welche  in  der  Ausübung  der 
Gerichtsbarkeit  über  Schweizer  besteht  und  womit  einzig  die  Konsuln  in  Japan 
investirt  sind.  Dieses  Recht  ist  vertraglich  stipulirt.  Es  heißt  im  schweizerisch- 
japanischen  Handelsvertrag  von   1864  (A.  S.  VIII,  pag.  683): 

«Alle  Streitigkeiten,  welche  zwischen  Schweizerbürgem,  die  in  Japan  nieder- 
gela^n  sind,  hinsichtlich  ihrer  Person  oder  ihres  Eigenthnms  entstehen  könnten, 
werden  der  Jurisdiktion  der  in  Japan  eingesetzten  schweizerischen  Behörde 
unterstellt. 

„Falls  ein  Schweizerbürger  über  einen  Japanesen  sich  zu  beklagen  hätte,  wird 
die  japanesische  Behörde  entscheiden;  dagegen  hat  die  schweizerische  Behörde 
zu  entscheiden,  wenn  ein  japanesischer  Unterthan  über  einen  Schweizer  Klage 
führt/ 

Im  Weitern  können  die  Konsuln  auch  in  den  Fall  kommen,  JJrtheile  von 
schweizerischen  Gerichten  zu  vollziehen^  wenn  diese  Urtheile  Schweizer  in 
Staaten  betreffen,  wo  Klagen  von  auswärts  gegen  im  Lande  wohnende  Ausländer 
von  den  Landesgerichten  nicht  angenommen  werden.  Eine  solche  Urtheils- 
volbtreckung  fand  im  Jahre  1881  zu  Gunsten  eines  in  der  Schweiz  wohnenden 
Gläubigers  statt  gegen  zwei  in  Japan  und  in  China  domizilirte  Schweizer,  welche 
dem  erstem  Fr.  196,500  schuldeten  (vgl.  Bundesblatt  1882,  Bd.  II,  pag.  11/13). 

Endlich  haben  die  schweizerischen  Konsuln  seit  1879  beim  Bezug  der 
Militärersatzsteuer  von  im  Auslande  wohnenden  Schweizern  mitzuwirken  (A.  S. 
n.  F.  5,  pag.  106). 

Es  ergibt  sich  aus  dem  bisher  Gesagten  zur  Evidenz,  daß  die  Mission  der 
Konsuln  eine  sehr  wichtige  ist  und  daß  diesen  große  Interessen  anvertraut  sind. 
Es  vnrd  dies  in  der  Heimat  auch  anerkannt;  wenn  dessenungeachtet  in  neuerer 
Zeit  (allerdings  nur  vereinzelt)  der  Ruf  nach  Berufskonsuln')  erhoben  worden 

^)  Die  Berufskonsuln  haben  keine  anderen  als  konsularische  Obliegenheiten,  im 
Gegensatz  zu  den  anderen  Konsuln  (auch  Handels-,  Honorar-  oder  Wahlkonsuln  genannt), 
die  in  der  Regel  gleichzeitig  Kaufleute,  Banquiers,  Professoren,  Mediziner  u.  s.  w.  sind. 

Beru&konsuln  werden  von  größeren  Staaten  meistens  da  eingesetzt,  wo  ftir  die 
Ausländer  Exterritorialität  in  Rechtssachen  besteht  (Orient),  wo  die  Konsuln  nicht  zum 
diplomatischen  Verhehr  zugelassen  werden  (Orient),  wo  die  Gehchtsverhältnisse  sehr 
komplizirt  sind  (Rußland  u.  s.  w.)  oder  wo  viele  Konsulate  zu  überwachen  sind.  Deutsch- 
land hatte  im  Jahre  1886  67  Berufskonsuiate,  Frankreich  220,   Italien  97,   Belgien  27. 

Die  deutschen  Berufiskonsulate  sind  wie  folgt  etablirt: 

Argentinische  Republik:  Buenos- Ayres ;  Brasilien:  Rio  de  Janeiro  und  Porto 
Alegre;  CentrtHamerika :  Guatemala;  Chile:  Valparaiso;  China:  Schanghai,  Amoy, 
Ganton,  Swatau,  Tientsin;  Columbien:  Bogota;  Dänemark:  Kopenhagen;  Frankreich: 
Hävre,  Marseille,  Nizza  und  Paris;  Französische  Besitzungen:  Algier;  Großbritannien 
und  lyrüische  Besitzungen:  London,  Gapstadt,  Hongkong,  Singapore,  Sydney;  Bepublik 
Haiti:  Port  au  Prince ;  lUHien :  Genua,  Mailand,  Messina ;  Japan :  Hiogo-Osaka,  Yokohama ; 
Korea:   Söul;   Niederlande:  Rotterdam;    Oesterreich-Üngarn :  Budapest;   Bumänien: 


Interessenvertretimg  ^     88     —  InteressenTertretung 

ist,  so  hat  dies  seinen  Crrand  yornehmlich  darin,  daß  nicht  alle  der  jetzigen 
Konsuln  ihren  Pflichten  als  Handels berichierstcUier  so  nachkommen  können,  wie 
es  gewünscht  wird.  Da  man  die  Ursache  dieses  Mangels  in  dem  Umstände  erblickt, 
daß  die  meisten  unserer  Konsuln  Kanfleute  sind,  die  ein  geschäftliches  Interesse 
daran  haben,  sich  in  ihrer  öffentlichen  Handelsberichterstattung  Reserve  aufEU- 
erlegen,  so  hoffen  Einzelne,  es  könnte  durch  die  Einsetzung  von  Berufskonsuln 
in  gewissen  Ländern  dem  schweizerischen  Handel  mehr  als  durch  gewöhnliche 
Konsulate  gedient  sein.  Der  Handelsstand,  auf  dessen  Wünsche  es  hiebei  haupt- 
sächlich ankommt,  gibt  in  seiner  großen  Mehrheit  den  Handelskonsnln  den 
Vorzug. 

Es  wird  sich  vermnthlich  im  Laufe  des  Jahres  1887  entscheiden,  ob  die 
Schweiz  einige  Berufskonsulate  in  ihr  Konsularnetz  einschalten  will,  da  der 
Bundesrath  von  der  Bundesversammlung  am  30.  Juni  1886  eingeladen  worden 
ist  CPostulat  Camtesse)j 

„die  Frage  zu  prüfen,  ob  es  tür  Handel  und  Industrie  der  Schweiz  nicht 
förderlich  wäre,  in  gewissen  Ländern  Berufskonsulate  zu  errichten,  welche  über 
unsere  Handelsinteressen  zu  wachen,  alle  die  Entwicklung  unserer  Ausfuhr  inte- 
ressirenden  Vorgänge  zu  kontroliren  und  daberige  Erkundigungen  einzuziehen, 
sowie  das  Resultat  derselben  zusammenzustellen  hätten**. 

Nachdem  auf  Seite  80  des  II.  Bandes  gesagt  worden  ist,  in  welcher  Reihen- 
folge die  vor  1848  geschaffenen  Konsulate  entstanden  sind,  sei  hiemit  auch  die 
Reihenfolge  der  seit   1848  kreirten  Konsulate  angegeben: 

1850  San  Francisco,  Detroit  (Nordamerika),  1851  Valparaiso,  St.  Louis 
resp.  Highland  (Nordamerika),  1854  Pallanza  (Italien),  1855  Sydney,  Vera- Cruz, 
1856  Melbourne,  1858  Bremen,  1859  Rio  grande  do  Sul  (Brasilien),  Montevideo, 
Oran  (Algerien),  1860  Cantagallo  (Brasilien),  Campinas  (Brasilien),  1861  Desterro 
(Brasilien),  Leopoldina  (Brasilien),  Sao-Paolo  (Brasilien),  Sa.  Catharina  (Brasilien), 
Madrid,  1862  Manila  (Philippinen),  Port-Louis  auf  der  Insel  Mauritius,  1863 
Batavia,  1864  Chicago,  Cincinnati,  Yokohama,  Nagasaki,  Hakodate  in  Japan, 
1865  Sevilla,  Havannah,  1866  Mühlhausen,  1867  Ancona,  Nizza,  1868  Riga, 
1869  Knoxville  (Nordamerika),  1870  Philippeville  in  Algerien,  Hiogo-Osaka 
(Japan),  1871  Pest,  1872  Santa  F^  in  Argentinien,  1873  Maranhäo  in  Brasilien, 
1874  Besangen,  Nancy,  1875  Warschau,  Montreal  in  Kanada,  1876  Nantes 
(nach  59jährigem  Unterbruch  neu  gegründet),  Bayonne,  Stuttgart,  1877  Frank- 
furt a.  M.,  München,  1879  Adelaide  in  Australien,  Königsberg  in  Preußen,  1881 
Bucharest,  Galatz,  1882  Karlsruhe  oder  Straßburg  (der  Gresandtschaft  in  Berlin 
unterstellt),  1883  Cannes,  Tiflis,  1884  Lima  in  Peru,  1884  Louisville  in  Nord- 
amerika (nach  20jährigem  ünterbruch  neu  gegründet),  Panama  in  Columbien, 
Rosario  in  Argentinien,  1885  Patras  in  Grriechenland,  Paysandü  in  Uruguay, 
Portland  in  Nordamerika,   1886  Brüssel  (als  Generalkonsulat  für  den  Kongostaat). 

Mehrere  dieser  Konsulate  sind  nach  kürzerem  oder  längerem  Bestand  wieder 
eingegangen;  der  gegenwärtige  Bestand  (Dezember  1886)  ist  im  Artikel  „Kon- 
sulate"*  mitgetheilt. 

Bucharest,  Galatz,  Jassy ;  Bussisches  Reich :  Kiew,  Kowno,  Moskau,  Odessa,  St.  Peters- 
burg, Tiflis,  Warschau,  Helsingfors;  Schiffer-  und  Tonga-Inseln:  Apia;  Schweden  %md 
Norwegen :  Stockholm,  Christiania ;  Serbien :  Belgrad ;  Siatn :  Bangkok ;  Spanien :  Barce- 
lona; Spanische  Besitzungen:  Havanna,  Manila;  Türkei:  Alexandrien,  Cairo,  Beiiut, 
Gonstantinopel,  Dardanellen,  Jerusalem,  Serajewo,  Smyma,  Sofia ;  Tunis:  Tunis ;  Uruguay : 
Montevideo;  Vereinigte  Staaten  von  Nordamerika:  Chicago,  Cincinnati,  New- York,  San 
Francisco,  St.  Louis ;  Zaneibar :  Zanzibar. 


InteressenYertretung  —      89     —  Interessenvertretung 

Handelskammern  im  Auslande. 

In  der  1883er  Jonisession  der  Bundesversammlung  erhob  diese  folgendes 
Poetnlat  des  Herrn  Nationalrath  Geigy  zum  Beschluß: 

«Der  Bundesrath  ist  eingeladen,  die  Frage  zu  prüfen  und  darüber  zu  berichten, 
ob  nicht  die  Vertretung  der  schweizerischen  wirthschaftlichen  und  kommerziellen 
Interessen  im  Auslande  einer  Vervollständigung  bedürfe." 

Als  Hauptmittel  zu  dieser  Yeryollständigung  dachte  sich  der  Urheber  des 
Postulates  die  Institution  schweizerischer  Handelskammern  im  Ausland,  welchen 
etwa  folgende  Aufgaben  zufallen  würden:  Fleißige  Berichterstattung  über  kom- 
merzielle Vorgänge;  Einsendung  von  Mustern  von  Rohprodukten,  Halbfabrikaten 
und  Granzfabrikaten  nebst  Preisangaben ;  Mitwirkung  beim  Abschluß  von  Handels- 
verträgen ;  Regulirung  von  Anständen  im  internationalen  Handels-  und  Zoll  verkehr ; 
Mitwirkung  bei  Ausstellungen. 

Das  eidgenössische  Handelsdepartement  richtete  nun  an  sämmtliche  schwei- 
zerische Gesandtschaften  und  Konsulate  ein  Rundschreiben,  um  ihre  Ansichten 
über  den  Gegenstand  und  ihre  Mittheilungen  über  etwaige  ähnliche  Institutionen 
des  Auslandes  zu  erfahren.  Mit  Ausnahme  der  Gesandtschaft  in  Washington  und 
des  Generalkonsuls  in  Petersburg  sprachen  sich  alle  Angefragten  mehr  oder 
weniger   gegen   die  Sache  aus.    ü.  a.  wurden  folgende  Einwendungen  erhoben: 

„Der  Widerstreit  der  Berufsinteressen  mit  den  vaterländischen  Interessen  würde 
die  Thätigkeit  der  Handelskammern  lähmen.  *" 

,Im  Widerstreit  der  Interessen  nehmen  die  in  einem  fremden  Lande  ansässigen 
Saufleute  oft  Partei  für  das  letztere  Land,  insbesondere  in  Zollfragen.* 

,Die  schweizerischen  Geschäftshäuser  haben  im  Auslande  ihre  Korrespondenten 
und  Agenten,  welche  jene  besser  mit  Berichten  und  Mustern  versehen,  als  eine  Handels- 
kammer es  thun  könnte.  *" 

,Bei  den  gegenwärtigen  Kommunikationsmitteln  ist  es  für  den  schweizerischen 
Kaufmann  oder  Fabrikanten  viel  vortheilhafter,  die  Chancen  für  den  Absatz  seiner 
Artikel  an  Ort  und  Stelle  selbst  zu  studiren,  anstatt  sich  auf  Angaben  von  Handels- 
kammern zu  verlassen.** 

»Die  Privatinitiative  ist  zäher  in  der  Verfolgung  ihrer  Zwecke  und  sichert  sich 
das  Gelingen  am  besten  durch  sich  selbst.* 

,Es  wäre  den  schweizerischen  Handelskammern  im  Auslande  unmöglich,  mit  dem 
steten  Wechsel  des  Bedürfnisses  nach  neuen  Erzeugnissen  Schritt  zu  halten,  und  ihre 
Berichte  kämen  zu  spät.* 

«Handelskammern  fremder  Nationalität  könnten  in  ein  nachtheiliges  Verhältniß 
zu  den  nationalen  Handelskammern  gerathen.* 

«Nach  der  Schwierigkeit  zu  urtheilen,  welche  man  hat,  um  von  den  Schweizer 
Häusern  im  Auslande  Angaben  selbst  allgemeiner  Natur  über  Einfuhr  und  Konsumtion 
von  schweizerischen  Artikeln  zu  erhalten,  darf  angenommen  werden,  daß  ein  Zentrum 
fOr  die  Diskussion  von  Fragen  oder  für  Auskunftsertheüung  keinen  reellen  Nutzen  haben 
könnte.* 

.Von  der  Mehrzahl  unserer  im  Auslande  etablirten  Schweizer  würde  die  Mitglied- 
schaft an  einer  schweizerischen  Handelskammer  gemieden,  weil  sie  darauf  angewiesen 
sind,  mit  den  Behörden  des  Landes  in  gutem  Einvernehmen  zu  sein.* 

Zu  diesen  Einwendungen  gesellten  sich  noch  folgende  Resolutionen  der 
Delegirtenversammlung  des  Schweizerischen  Handels-  und  Industrievereins: 

1)  Die  Vertretung  der  nationalen  schweizerischen  volkswirthschattlichen  und  kom- 
merziellen Interessen  im  Auslande  verdient  in  vielfacher  Beziehung  die  höchste 
Anerkennung.  Ihre  Unterstützung  auf  dem  Handelsgebiete  überhaupt,  sowie  ihre 
kommerziellen  Berichte  im  Besondern  sind  zum  Theil  vorzüglich.  Die  VeröfiTent- 
lichung  der  letztern  durch  das  schweizerische  Handelsamtsblatt  bietet  gegenüber 
früher  wesentliche  Vortheile. 

Eine  Vervollständigung  der  bestehenden  Einrichtung  in  ihrer  äußern  Form 
wäre  nur  dann  zu  empfehlen,  wenn  dieselbe  aus  privater  Initiative  angeregt 
würde.  In  diesem  Fall  wäre  eine  Unterstützung  durch  den  Bund  in  der  Erwartung 


InteressenTertretüQg  —      90     —  Interessenvertretung^ 

wünschbar,  daß  hiedurch  ausschließlich  die  vaterländischen  Interessen  gefordert 
würden. 

2)  Was  die  materielle  Ergänzung  der  gegenwärtigen  Organisation  anbelangt^  so  läßt 
sich  nicht  verkennen,  daß  in  sämmtlichen  Staaten  die  betreffenden  Regierungen 
es  sich  zur  Pflicht  machen,  die  Privatthätigkeit  kräftig  zu  unterstützen,  und  zwar 
einerseits  zur  Behauptung  des  innern  Marktes  durch  Vermehrung  der  Zoll- 
schwierigkeiten und  anderseits  zur  Gewinnung  des  äußern  Marktes  durch  zuver- 
lässige Handelsberichte  und  Zuwendung  von  bedeutenden  Unterstützungen  an 
Handelsschulen,  Industriemuseen  und  Mustersammlungen. 

Es  wird  deßhalb  bei  der  eminenten  Wichtigkeit  des  schweizerischen  Exports 
und  dessen  erschwerten  Absatzbedingungen  als  Pflicht  der  Bundesbehörden  er- 
achtet, die  bezüglichen  Interessen  zu  wahren,  hauptsächlich  da,  wo  die  private 
Thätigkeit  nicht  ausreicht. 

3)  Die  Organisation  der  Vertretung  der  wirthschaftlichen  Interessen  der  Schweiz  im 
Inlande  selbst  hat  sich  noch  fester  zu  gestalten.  Es  läßt  sich  dies  dadurch  er- 
reichen, daß  die  industriellen  und  gewerblichen  Körperschaften  eine  noch  regere 
Thätigkeit  als  bis  anbin  entwickeln,  und  daß  Behörden  und  Interessenten  ihren 
Bestrebungen  das  nöthige  Entgegenkommen  beweisen. 

Den  gegentheiligen  Standpunkt  (denjenigen  des  HeiTn  Nationalrath  Geigy) 
vertraten,  wie  bereits  bemerkt,  die  Gesandtschaft  in  Washington  und  der  General- 
konsul in  St.  Petersburg. 

Herr  Minister  Frey  bezeichnete  die  Ergänzung  und  Vervollständigung  der 
Vertretung  schweizerischer  Interessen  in  der  nordamerikanischen  Union  als  Noth- 
wendigkeit  und  die  Schaffung  einer  schweizerischen  Handelskammer  in  New-Tork 
als  in  hohem  Grade  wünschbar,  vorausgesetzt,  daß  sie  aus  solchen  Mitgliedern 
komponirt  werden  könnte,  deren  Interessen  mit  denjenigen  der  Industriellen  und 
SLandeltreibenden  in  der  Schweiz  zusammenfallen. 

Herr  Generalkonsul  Dupont  in  St.  Petersburg  empfahl,  den  Konsulaten  ein 
Kollegium  beizugeben,  das  aus  angesehenen  Schweizer  Kauf leuten  des  betreffenden 
Platzes  gebildet  und  dem  Konsul  als  „Handelsrath**  zur  Seite  stehen  würde» 
Dieser  Handelsrath  hätte  sich  periodisch  zu  versammeln,  um  dem  Konsul  die  in 
ihrem  Geschäftskreis  gemachten  Erfahrungen  mitzutheilen,  Anfragen  aus  der 
Schweiz  zu  beantworten  u.  s.  w.,  worauf  letzterer  wiederum  die  schweizerischen 
Behörden  oder  den  Handelsstand  entsprechend  informiren  könnte. 

Diese  Gutachten  pro  und  contra  Postulat  Geigy  führten  nun  den  Bundesrath. 
dazu,  der  Bundesversammlung  folgenden  Beschluß,  der  von  letzterer  auch  an- 
genommen wurde  (18.  Dezember  1884;  A.  S.  n.  F.  VII,  796)  zu  beantragen: 

„Die  VervoUständigTing  der  Vertretung  der  wirthschaftlichen  Interessen  der 
Schweiz  im  Auslande  ist  der  Privatinitiative  zu  überlassen. 

,  Insofern  im  Auslande  schweizerische  Handelskammern,  Handelsagenturen, 
Musterlager  oder  Auskunftsbureaux  in's  Leben  treten,  welche  sich  die  Förderung 
des  schweizerischen  Handels  und  Gewerbefleisses  in  gemeinnütziger  und  für  alle 
Betheiligten  gleichmäßig  zugänglicher  Weise  zur  Aufgabe  machen,  kann  ihnen 
auf  gestelltes  Ansuchen  finanzielle  oder  anderweitige  Unterstützung  bewilligt 
werden,  wenn  dieselbe  sich  nach  der  von  den  Bundesbehörden  vorzunehmenden 
Prüfung  als  nützlich  und  nothwendig  herausstellt.*' 

(Vgl.  Bundesblatt  1884,  III,  71/105.) 

Seit  dieser  Beschlußfassung  ist  in  Sachen  nichts  mehr  geschehen.  Die  Um- 
stände drängen  aber  wohl  dazu,  daß  Einiges  im  Sinne  des  vorstehenden  Beschlusses 
und  der  Anregungen,  welche  demselben  vorausgegangen  sind,  geschieht.  Die 
belgischen,  deutschen,  französischen  und  nordamerikanischen  Exportmnsterlager 
und  Handelsagenturen  können  sich  nicht  ohne  Naohtheil  für  den  schweizerischen 
Handel  mehr  und  mehr  Über  den  ganzen  Erdenrund  verbreiten ;  die  schwimmenden 
Ausstellungen,  von  deutschen,  französischen  und  österreichischen  BLandelsaseociationen 


InteressenYertretting  —     91     —  Italien 

nach  den  fernen  Küsten  geleitet,  plaidiren  daselbst  nicht  für  die  schweizerische, 
sondern  für  die  Konkurrenz-Industrie. 

Was  speziell  die  Handelskammern  anbetrifft,  so  bestehen  solche 

französischer  Nationalität  u.  a.  in  Montreal,  Shanghai,  Rosario,  Galatz, 
Charleroi,  San  Sebastian,  Lima,  Montevideo,  Neu-Orleans, 

itcdientscher  Nationalität  in  San  Francisco  (von  der  italienischen  Kegierung 
mit  Fr.  4000  subventionirt),  in  Paris, 

österreichischer  Nationalität  in  Konstantinopel. 

Eine  englische  Handelskammer  bestoht  in  Paris,  jedoch  nicht  zur  Förderung 
britischer  Interessen,  sondern  nur  der  eigenen  lokalen  Interessen. 

Projektirt  sind  spanischerseits  Handelskammern  in  Paris,  London,  New- York, 
Mexiko,  Tanger,  Lima,  Valparaiso,  Buenos-Ayres. 

Die  Wirksamkeit  der  genannten  Handelskammern  kann  keine  ganz  vergeb- 
liche sein;  denn  es  haben  einige  derselben  Musterlager  heimischer  Erzengnisse 
eingerichtet  (italienische  Kammer  in  Paris,  französische  in  Charleroi,  Rosario)^ 
die  französische  in  Galatz  betreibt  in  kaufinännischer  Weise  eine  Handelsagentur, 
die  übrigen  französischen  Handelskammern  senden  öfters  Berichte  an  das  Handels* 
ministerium  in  Paris. 

Johannisberg  (Weinsorte).  Bei  Sitten  im  Wallis  Lokalbezeichnung  für 
den  Riesling.  Wird  dort  auch  „  petit  Rhin  **  genannt.  In  andern  Gtsgenden  des 
Wallis  soll  mit  dem  Namen  Johannisberger  der  grüne  Sylvanner  (gros  Rhin) 
bezeichnet  werden.  Kr. 

Jougne-Eclepens  war  die  Bezeichnung  der  Eisenbahn  von  Ecl^pens  bei 
Cossonay  bis  zur  französischen  Grenze  bei  Jougne.  Diese  Linie  war  das  (Jnter- 
nehmen  einer  besondem  Aktiengesellschaft.  Der  Betrieb  zwischen  Cossonay  und 
Vallorbes  wurde  am  1.  Juli  1870  eröffnet  und  am  1.  Juli  1873  der  Gesellschaft 
der  Suisse  Occidentale  übertragen.  Den  1.  Juli  1875  wurde  die  Linie  Vallorbes- 
Pontarlier  eröffnet.  Mit  dem  1.  Januar  1877  ging  die  Linie  Jougne-Eclepens  in 
das  Eigenthum  der  Suisse  Occidentale  Über.  Die  bauliche  Länge  zwischen  Ecl6pens 
und  Jougne  (Grenze)  betrug  29,260  m,  die  Betriebslänge  zwischen  Cossonay  und 
der  Ghrenze  bei  Jougne  dagegen  rund  35  km. 

Italien.  Um  den  Waarenverkehr  zwischen  der  Schweiz  und  Italien  zu 
kennen,  ist  man  für  die  Zeit  vor  1885  auf  die  italienische  Statistik  angewiesen 
(die  Erklärung  dafür  ist  im  Artikel  „Handelsstatistik *"  gegeben).  Die  italienische 
Statistik  verzeichnet  folgenden  Spezialhandel  mit  der  Schweiz  (Einfuhr  zum 
Konsum  in  Italien  und  Ausfuhr  aus  der  italienischen  Produktion): 


Jahr 

Einftihr  kxm  d.  Schweiz 
Lire 

»/o 

Ausfuhr  nach  d.  Schweis 
Lire 

•/o 

1862 

107'412,365 

13,0 

144*694,371 

25,0 

1863 

100'830,228 

11,1 

121*138,163 

19,1 

1864 

86'750,130 

8,9 

96*271,009 

16,8 

1865 

72'397,657 

7,5 

82*498,296 

14,8 

1866 

70*415,681 

8,1 

103*835,047 

16,8 

1867 

75'806,837 

8,6 

109*148,271 

14,8 

1868 

71'929,951 

8,0 

127*303,457 

16,2 

1869 

53'065,196 

5,7 

125*051,985 

15,8 

1870 

49*372,952 

5,5 

135*103,415 

17,9 

1871 

52'009,000 

5,4 

156*931,000 

14,4 

1872 

49*260,000 

4,1 

176*416,000 

15,1 

1873 

40*977,000 

3,2 

159*677,000 

14,0 

Italien  _      92     ~  Italiea 

1874  41^665,000  3,2  107'909,000  11,0 

1875  36'028,000  3,0  108'792,000  10,5 

1876  33'117,000  2,5  151^472,000  12,4 

1877  28'007,000  2,4  79^848,000  8,4 

1878  33*519,000  3,1  98'926,000  9,4 

1879  32'430,000  2,6  107*409,000  9,7 

1880  34*401,000  2,8  102*241,000  9,5 

1881  37*073,000  2,8  134*620,000  11,3 

1882  46*190,000  3,4  129*892,000  11,2 

1883  64*874,000  4,7  124*408,000  10,4 

1884  75*241,000  5,6  129*147,000  11,8 

1885  76*970,000  4,9  124*869,000  11,0 
1885  *)  60' 316,777  112'095,995 

Es  ergibt  sich  aus  den  vorstehenden  Zahlen,  daß  die  schweizerische  Ausfuhr 
nach  Italien  von  1862  bis  1877  sucoessive  abgenommen,  von  da  an  aber  wieder 
successive  zugenommen  hat.  Diese  sucoessive  Zunahme  accentuirt  sich  noch  besser, 
wenn  man  die  Werthe  der  nach  Italien  expedirten  Gold-  und  Silber-Barren  und 
-Münzen  ausscheidet.     Dieselben  betrugen: 

Lire  1*728,420  pro  1878  Lire     2*785,340  pro  1882 

,     3*506,490     „     1879  „      13*335,190     „     1883 

21,500     „     1880  „       9*955,740     „     1884 

„     2*156,680     „     1881  „        7*497,035     „     1885 

Diese  Sunmien  abgezogen,  verbleibt 

Ital.  Einfuhr  aus  der  Schweiz  Ital.  Einfuhr  aus  der  Schweiz 

1878  Lire  31*790,580       1882   Lire  43*404,660 

1879  ,  28923,510       1883    ,  51*538,810 

1880  „  34*379,500       1884    „  65*285,260 

1881  „  34*916,320       1885    „  69*472,965 

Die  Ursache  der  geschäftlichen  Besserung  seit  1878  ist  theils  der  Gotthard- 
bahn,  theils  dem  Umstände  zuzuschreiben,  daß  Italien  durch  seine  HandeLsvertrüge 
mit  Oesterreich  (1878)  und  mit  Frankreich  (1881)  eine  sehr  erhebliche  Anzahl 
Zollreduktionen  einräumte,  zu  denen  sich  noch  einige  weitere  durch  den  Vertrag 
mit  der  Schweiz  von  1883  gesellten.    Die  hauptsächlichsten  Reduktionen  waren: 

BednktioD 

Artikel  ^ 

von  auf 

Taschenuhren  mit  goldenen  Gehäusen  .     .     .Fr.     3  per  Stk.  Fr.   1 

—  anderen  Grehäusen ^1  „  „  ^  — .  50 

Bijouterie  von  Gold „  140  i»  ^^  «70 

Goldschmiedewaaren  von  Silber,  auch  vergoldet     ,.9  „  „  «     5 

Seidengarne  .     .  ^       1 — 3  „  ^  frei 

Seidengewebe  und  andere  Seidenwaaren    .     .„       5  — 18  ^  »»  «     ^ — 12 

Seidenabfälle,  gekämmte 50  «<!  »1^ 

Wollgewebe 110—200  „  „  ^  93—150 

Leinengewebe,  exkl.  bestickte „     26 — 170  „  r  n  23 — 115 

—  bestickte .     .     „  300  ^  „  «250 

Leinengame „     11 — 78  „  „  ^  10—34 

Maschinen 8—10  „  ^  ,     6 — 8 

Käse 15  .  ,  «8 


*)  Nach  der  schweizerischen  Statistik. 


Italien  —     93     —  Italien 

Bntter^  frische Fj.  10           per  Stk.  Fr.  5 

Kaffeesorrogate,  gemahlene,  auch  gebrannte  .  „     20  „      ^  „     5 

Pianofortee 80—150  ,  Stk.  „  60—76 

Mnsikdosen „       2  ni>  n^ 

LCeoh-  und  Packpapier «>       5  n     ^           ^^i 

Buntpapier ,,25  ^      „  „20 

Liqnenrs „50  ^     hl  ^  25 

Mineralwasser „       3  w^  u  — •  ^^ 

Zündhölzer „11  „      „           frei 

Seifen,  parfümirte „30  „      „  „12 

Holz,  gemeines,  rohes „       1  «    m'         frei 

Parqnetbodenhols „6  „„             „ 

Möbel  Yon  feinem  Holz,  gepolstert      .     .     .  „     60  „     q  „  40 

Strohhüte,  gamirt«,  exkl.  Damenhüte  .     .     .  „     10  „  l(N)Stk.       frei 

—  nngamirte „10  „      „  „3 

Ochsen  nnd  Stiere „18  „  Stk.  „  15 

Kälber „3  „      ,  „     2 

Pelle,  lackirte „100  „     q  „75 

Leider  steht  Italien  im  Begriff  (Dezember  1886),  durch  Aufkündung  der 
Handelsverträge  die  meisten  der  obigen  Eonzessionen  anüzuheben,  in  der  Meinung, 
die  Junge  Industrie  des  Landes  noch  mehr  als  bisher  durch  Zollschutz  zu  kräftigen. 
Welche  Bedeutung  diese  Industrie  übrigens  bereits  erlangt  hat,  zeigen  folgende 
Zahlen:  ItaUenische  Einfuhr  im  Jahre  1862:  830^029,347  Lire,  1885: 
1,575'237,101  Lire;  itaHenische  Ausfuhr  im  Jahre  1862:  577'468,357  Lire, 
1885:   1,134'320,588  Lire. 

Ausfuhr  schweizerischer  Artikel   nach  Italien  (Spezialhandel), 

nach  der  italienischen  Statistik : 

Artikel  1880  1883  1885 

Mineralwasser q  133  368  445 

Bier  in  Fässern hl  84  2,130  3,104 

Cichorien  und  andere  Eaffeesurrogate      .     .     .     q  309  1,050  624 

Chocolade 183  485  918 

Tabakfabrikate,  andere  als  Havannacigarren     .      „  8  18  48 

Seife,  gewöhnliche „  38  286  384 

—  parfümirte „  —  90  92 

Theerfarben  in  festem  Zustande 77  202  310 

—  in  Teigform  oder  flüssig „  —  727  477 

Andere  Farbstoffextrakte 49  200  480 

Farben  in  Täfelchen,  Pulvern  etc „  18  301  439 

Seilerwaaren  aus  Flachs  und  Hanf 14  80  52 

Leinen-,  Hanf-  und  Jutegarne „  686  1,704  825 

Leinen-,  Hanf-  und  Jategewebe „  204  323  514 

Leinenwaaren,  genähte „  15  118  106 

Baumwollgame 4,478  4,260  4,247 

Baumwollgewebe   und   andere  Baumwollwaaren     „  8,479  16,116  14,782 

Davon  rohe  Gewebe ,  5,230  9,679  7,798 

gebleichte  Gewebe ,  581  1,053  1,128 

bunte  oder  gefärbte  Gewebe „  820  1,916  2,067 

bedruckte  Gewebe ,  1,578  2,702  2,801 

bestickte  Gewebe ,  71  14^  V^^ 


Italien                                                  —     94     —  Italien 

Tüll,  Gaze  und  Musseline. aller  Art     .     .     q              39  131  144 

andere  Gewebe  und  baumwollene  Waaren      ,             160  486  68S 

WoU-  und  Halbwollgewebe ,           216  1,189  1,383 

Wollgame —  222  678 

Seidencocons „        5,757  965  778 

Seidengarne „           213  275  334 

Seidenabfälle 503  133  403 

Seiden-  und  Floretseidengewebe „           103  111  333 

Andere  Seiden  waaren ^               3  23  89 

Brennholz Tonnen  11,997  17,191  14,811 

Bauholz m»    13,193  8,670  2,899 

Foamierholz  und  Parqueterie q         —  276  724 

Möbel  aus  Holz „           193  216  189 

Holzwaaren 315  6,575  2,874 

Korbwaaren „           109  395  ,        377 

Strohgeflechte ,           113  229  238 

Holzstoff  zur  Papierfabrikation —  5,932  21,947 

Papier „           541  1,930  1,753 

Carton „          —  170  97 

Häute  und  Felle „        1,205  3,083  3,695 

Maschinen  und  Theile  solcher ^           106  300  464 

Kardengamituren „             60  91  343 

Gold-  und  Silberwaareu,  acht  und  unächt    .     .    kg            98  1,491  993 

Taschenuhren  mit  goldenen  Schalen   ....  Stk.         832  2,851  43,545 

—  anderen  Schalen „        1,805  18,813  262,957 

Uhrfoumitüren q               6  106  312 

Ochsen  und  Stiere Stk.    .55  27  9 

Küho „        3,120  3,101  6,842 

Jungvieh „       3,344  3,199  8,311 

Kälber „      11,347  9,057  16,065 

Butter,  frische q             59  884  139 

Käse „     30,709  58,741  65,707 

Musikinstrumente  (Orgeln,  Klaviere,  Harm.)    .  Stk.        —  40  49 

—  andere ,           283  686  1,218 

Instrumente  zu  wissenschaftlichen  Zwecken .     .     q             40  104  198 

Elastische  Gewebe  u.  dgl ,           117  123  143 

Ausfuhr    schweizerischer   Artikel    nach   Italien   im   Jahre    1885, 

nach  der  schweizerischen  Statistik: 

Ausfnbr  im  %  der 

Spexialhandel  entsprecb. 
Fr.            TotoUusfnbr 

Baumwollene  Ajrtikel  und  Baumwolle 13'094,511  7,9 

Davon  Gewebe 9707,578  18,8 

Garne 2'190,222  9,8 

Stickerei 980,869  1,1 

Bänder  und  Posamenteriewaaren 48,980  9,5 

Strumpfwaaren 41,990  4,8 

rohe  Baumwolle 18,911  7,4 

Käse 10'29 1,205  26,0 

Uhren    und    TJhrentheile    (inkl.    Musikdosen   und    Spiel- 
werke 69,127) 7*063,196  8,6 

Rindvieh 6*205,736  30,6 


Italien  —     95     —  Italien 

Davon  Nutzvieh        5'465,218  46,4 

Seide  und  seiden     Artikel  (Ganz-,  Halb-,  Floretseide)  .  5'333,353        3,1 

Davon  Garne  und  Seide r951,413         ifi 

Gewebe  (ohne  Edehnetalle) r384,432         1,9 

Bänder 874,016         3,0 

Cocons 618.242  99,2 

Abfälle  etc 305,194         8,1 

Stickereien 150,562  14,0 

Maschinen  und  -Theile 5'069,611  23,7 

Holz  und  Holzwaaren 1'559,353  16,1 

Davon  gemeines  Bau-  und  Nutzholz 515,092         8,6 

Brennholz 369,908  70,0 

Holzkohlen 234,241  99,0 

Wolle  und  wollene  Artikel 1*193,975  10,3 

Davon  Kammgarne 441,564         6,3 

Wolle 367,808  18,0 

Gewebe 171,922  17,0 

Strumpfwaaren 109,159  19,2 

Filzstoflfe 35,383  17,3 

Stickereien 27,246         9,6 

Eisenwaaren  und  Eisen 1*136,173  32,0 

•Gold-  und  Silberschmiedwaaren,  Bijouterie      ....  1 '054,087  27,2 

Häute  und  Felle 744,546  10,2 

Papier  und  Papierwaaren  (s.  auch  Faserstoffe)    .     .     .  535,354  25,4 

Konfektions-  und  Modewaaren 448,356  10,6 

Farbwaaren  und  Farbstoffe 437,877  4,8 

Faserstoffe  zur  Papierfabrikation 422,705  25,8 

Chocolade  etc 405,757  22,3 

Edelmetalle,  unbearbeitet  oder  in  Münzen       ....  336,954  0.9 

Elastische  Gewebe 334,921  14,1 

Leinen-  und  Hanfgewebe 256,545  63,8 

Chemikalien  für  den  gewerblichen  Gebrauch  ....  242,338  7,4 

Leder 231,550  8,0 

Pferde 224,121  22,7 

Thonwaaren 207,713  31,1 

Apotheker-  und  Droguehewaaren 199,585  11,7 

Strohgeflechte 194,459        5,4 

Instrumente  zu  wis.senschaftlichen  Zwecken     ....  186,115  19,2 

Kupferwaaren  und  Kupfer 163,959  23,6 

Eisenbahnwagen 145,430  55,0 

Bttoher,  Karten,  Musikalien 144,387  5,4 

Weingeist,  Alkohol,  geistige  Getränke  (exkl.  Wein  u.  Bier)  1 35,632  13,3 

Wein 133,334  8,9 

Cigarren  und  Cigarretten 123,139  5,8 

Kindermehl  etc 98,022  4,8 

Kondensirte  Milch 83,245  0,6 

Thierhaare 83,177  22,2 

Bier  and  Malzextrakt 63,681  30,0 

Heu 60,041  24,3 

^sche 47,824  22,1 

Leinen-  und  Hanfgarne 46,467  18,3 

JUnsikinstromente 43,201  11,8 

«Schweine  und  Ferkel 32,590  1%^^ 


Kastanien 28,848  73,7 

Glae-  and  Gloswaaren 27,770  21,0 

Kaffeeaurrogato 26,531  61,7 

Talg 24,929  12,1 

Schafe  nnd  Ziegen 24,136  16,5 

Lederwaaren,  exkl.  Sekahwaaren 22,627  16,5 

Strohhnte,  nngarnirte 21,911  3,4 

Butter 13,806  0,6 

Einftihrartikel   aue  Italien  im  Jahve  1885,   nach  der  schweieerischen 
Statistik : 

fjHilmlhiDdal  ODUprHh. 
Fr.            TottWofuhr 

Seide  and  seidene  Artikel  (Gani-,  Kalb-,  Floreteeide)  .  65'676.350  52,7 

Davon  gezwirnte  Rohseide 55"198,800  87,5 

Seidencocons 3'S69,äO0  98Ji 

Gold,  Silber,  Piatina,  nnhearbeitet  oder  in  MUnzen       .  12'339,030  42,9 

Getreide  and  UUhlenfabrikate 6'564,638  7,9 

Wein 5'947,088  23,0 

lündvieh 2'440,U3  11,1 

Eier 1'046,880  23,1 

Weintraaben,  frisohe,  snr  Weinbereitang 1'001,662  94,5 

Geflügel,  lebende» 847,476  53,6 

Eonfektiona-  und  Modewaaren 621,100  3,4 

SUdfrächte 777,950  30,4 

Olivenßl  in  Fässern 755,580  63,4 

Schweine  und  Ferkel 691,472  14,6 

Cheroftalien  für  den  gewerblichen  Gebranoh  ....  576.787  3,6 

Flaohs  and  Hanf 553,010  52,0 

Schafe  und  Ziegen 531,120  34,7 

Holz  und  Holzwaaren 420,563  3,5 

Kaflee,  roher 341,062  3,0 

FWbrinden,  Farbbeeren,  Farbwoixeln,  roh      ...     .  322,840  59.6 

Apotheker'  und  Drogneriewaaren 322,498  10,6 

Obst,  gedörrtes 322,290  28,0 

Baumwolle,  robe 308,850  0,9 

Tabakblatter,  -Rippen,   -Stengel  eto 265,320  4,6 

Flache 257,519  12,5 

Eisen  und  Eisenwaaren 255,316  2,9 

Leinen-  und  Hanfgarne 254,100  20,7 

Leder 252,220  2,1 

Maschinen  nnd  -Theile 251,063  3,0 

Gold-  und  SÜberechmiedwaaren,  Bijouterie     ....  205,350  3,5 

äeidengewebe  und  -Bänder,  ohne  Edelmetalle      .     .     .  204,600  2,2 

Wollengewebt 187,600  0,5 

Banmwollgewobc 185,450  0,8 

Uhren  und  -Theile 178,050  3,4 

Häute  nnd  Felle 175,560  4,7 

Fleisch 160,463  9,2 

Teigwaaren 159,528  60,0 

Leinen-  und  Hanfgewebe 154,200  8,6 


Italien  —     97     — ""  Italien 

Petroleum  etc 151,448       2,^ 

Gemüse,  friaoh,  exkl.  Kartoffeln 150,810        6,3 

Pferde 149,220       4,0 

Eiee 147,445       7,1 

Alabaster  nnd  Marmor 145,604  71,5 

Seifen 138,970       6,6 

Papier  and  Papierwaaren 126,350       3,0 

Zucker 123,000       0,7 

Kupfer  and  Eupferwaaren 110,166        3,9 

Scbuhwaaren  aus  Leder 87,922       1,4 

Strohgefleohte 84, 600  1 1 , 3 

Seilerarbeiten 75,250  18,3 

Seidene  Stickereien  nnd  Spitzen 75,000        9,6 

Thierhaare 72,330        3,2 

Thouwaaren 70,014        2,8 

Butter «4,106       4,2 

Baumwollgarn 61,600        1,0 

Seidenwaarun  mit  Edelmetallen 60,000       8,6 

Handachaho,  lederne 60,000        5,3 

M(ihlHt«ine 59,724  36,0 

Steinkohlen 59,660       0,4 

Gras-  und  Kleeaaat 58,200        3,1 

Lederwaaren 51,920        2,2 

Banmwollene  ffinder  nnd  Poeamenteriewoaren     .           .  49,200        5,3 

SehwcineBchmalz 37,240        1,0 

Bildbauerarbeiten 37,000  66,6 

Liqoenra 36,400        6,7 

Wachs 36,100  15,0 

GemOse,  konservirte 33,810       8,6 

Glae  lind  Glasvaaren 32,199       1,1 

WoUene  Sbawle  nnd  ScbKrpen 28,800        7,0 

Hen 27,125       9,4 

Mals 25,248  0,6 

Wollene  BSnder  und  PoBamenteriewaaren       ....  24,000       1,7 

Wollene  Teppicbe 21,600       1,0 

Wollene  Tnchenden 21,000  34,2 

Schleif-  nnd  Wetzeteine 20,475        5,6 

Banrnwolldecken 20,400  12,6 

Gewürze 20,212       4,6 

Honig 19,967  10,0 

Thee 19,500       3,4 

Mosikinstmmente 19,475        2,2 

Wollendecken 19,000       1,6 

Cigarren  und  CHgarretten 18,900  0,6 

Zinn  tuid  Zinnwaaren 13,412        1,2 

Verträge. 

Die    mit  Itaben   seit    1848    ahgeachloaeenen    und    noch  in  Kraft    stehenden 
Verträge  betreffen: 

Farr«,  VolknirUnchalto-Lailkas  dar  ScIiKali.  1 


r. 


Italien  —     98      —  Italien 

Armenrecht  im  Prozeßverfahren :  Uebereinkunft  vom  8.  Nov.  1882  (A.  S.  VII, 
pag.  80). 

Ausdehnung  der  Verträge  mit  Italien  auf  das  Königreich  Italien :  Erklärungen 
vom  11.  Aug./ 10.  Sept.  1862  (A.  S.  VII,  pag.  309,  374  und  376). 

Auslieferung:  Vertrag  vom  22.  Juli  1868  (A.  S.  IX,  pag.  732),  nebst 
Zusatzartikel  vom  1.  Juli  1873  (A.  S.  XI,  pag.  294). 

Bisthumsverhältnisse :  Vertrag  vom  39.  Nov.  1862  (A.  S.  VII,  pag.  609) 
und  nachträgliche  Uebereinkunft  vom  20.  Nov.  1867  (A.  S.  IX,  pag.  347). 

Eisenbahnen:  a.  Gotthardbahn :  Vertrag  vom  15.  Okt.  1869  (A.  S.  10, 
pag.  555,  321,  441,  578,  583);  Vertrag  vom  23.  Dez.  1873  betreffend  den 
Anschluß  der  Gotthardbahn  bei  Ghiasso  und  Pino  (A.  S.  XI,  pag.  478) ;  Znsatz- 
vertrag vom  12.  März  1878  über  Nachsubvention  (A.  S.  n.  F.  IV,  pag.  169); 
Protokoll  vom  5.  Febr.  1880  betreffend  den  Anschluß  der  G-otthardbahn  zwischen 
Dirinella  und  Pino  (A.  S.  n.  F.  5,  pag.  49) ;  Uebereinkunft  betreffend  den  Polizei- 
dienst  auf  den  Gotthardbahnstationen  Ghiasso  und  Luino  (A.  S.  n.  F.  5,  pag.  577), 
nebst  bezügl.  Erklärung  vom  11.  Nov.  1884/12.  Jan.  1885  (A.  S.  n.  F.  VIII, 
pag.  65);  Uebereinkunft  vom  15.  Dez.  1882  betreffend  den  Zolldienst  in  den 
Gotthardbahnstationen  Ghiasso,  Luino,  Maccagno  und  Pino  (A.  S.  n.  F.  VIL, 
pag.  193).  b,  Monte-Genere-Bahn,  Vertrag  vom  16.  Juni  1879  (A.  S.  n.  F.  IV, 
pag.  352). 

Fischerei  in  den  Grenzge wässern :  Vertrag  vom  8.  Nov.  1882  (A.  S.  n.  F.  VII, 
pag.  114). 

Freiisügigkeit,  gegenseitige,  in  den  beiden  Staaten:  Erklärung  vom  11. 
Aug./ 10.  Sept.  1862  (A.  S.  VII,  pag.  376). 

Gewerbliches  Eigenthum :  Internationaler  Vertrag  vom  20.  März  1883 
(A.  S.  n.  F.  Vn,  pag.  517). 

Greneregulirung :  Uebereinkünfte  vom  5.  Okt.  1861,  27.  Aug.  1863, 
22.  Aug.  1864,  31.  Dez.  1873,  sowie  Bundesrathsbeschluß  vom  4.  Jan.  1875 
(A.  S.  vn,  pag.  210;  VIU,  430;  XI,  527,  539;  A.  S.  n.  F.  1,  pag.  226). 

Handel:  Vertrag  vom  22.  März  1863,  nebst  Protokoll  vom  27.  Nov.  1883 
(A.  S.  n.  F.  vn,  pag.  398). 

KonsularverhäUnisse :  Uebereinkunft  vom  22.  Juli  1868/22.  Jan.  1879 
(A.  S.  n.  F.  IV,  pag.  103). 

Literarisches  und  künstlerisches  Eigenthum:  Vertrag  vom  22.  Juli  1868/28. 
Jan.  1879  (A.  S.  d.  F.  IV,  pag.  103),  der  durch  die  im  September  1886  ab- 
geschlossene internationale  Konvention  ersetzt  sein  wird,  sofern  diese  die  Eati- 
fikation  aller  betheiligten  Staaten  erlangt. 

Maß'  und  Gewichtsbureau,  internationales,  in  Paris:  Vertrag  (sog.  inter- 
nationaler Metervertrag)  vom  20.  Mai  1875  (A.  S.  n.  F.  U,  pag.  3). 

Militärdienstbefreiung:  s.  weiter  unten  Niederlassung. 

Münzwesen :  Internationaler  Vertrag  vom  6.  Nov.  1885  (A.  S.  n.  F.  VllI, 
pag.  425/465). 

Niederlassung:  Vertrag  vom  22.  JuH  1868/28.  Jan.  1879  (A.  S.  IX, 
pag.  706,  729,   757,  758;  A.  S.  n.  F.  IV,  pag.  103). 

Postwesen:  Vertrag  betreffend  Geldanweisungen,  d.  d.  30.  Okt.  1865 
(A.  S.  VIII,  pag.  726);  Weltpostvertrag  vom  1.  Juni  1878;  internationale 
Uebereinkunft  vom  1.  Juni  1878  betreffend  Austausch  von  Briefen  mit  dekla- 
rirtem  Werth;  internationale  Uebereinkunft  vom  4<  Juni  1878  betreffend  den 
Austausch  von  Geldanweisungen ;  internationaler  Vertrag  vom  3.  Nov.  1880 
betreffend  Auswechslung  von   Poststttcken   bis    3  kg   ohne  Werthangabe;   inter- 


Juragewässerkorrektion  —     99     —  Juragewässerkorrektion 

nationale  Uebereinknnft  vom  21.  März  1885  (A.  S.  n.  F.  III,  pag.  673,  711, 
728;  V,  881;  IX,  132/217). 

Seerecht :  Internationale  üebereinkunft  vom  16.  April  1856  (A.  S.  5, 
pag.  337,  348). 

Sprenggeschosse,  Nichtanwendung  solcher  im  Kriege :  Internationale  Ueber- 
einknnft vom  29.  Nov./ 11.  Dez.  1868  (A.  S.  IX,  pag.  597). 

lelegraph:  Internationaler  Vertrag  vom  10./22.  Juli  1875  und  Special- 
vertrag  vom  29.  Juli  1879  (A.  S.  n.  F.  II,  pag.  296  und  IV,  pag.  380). 

Verpflegung  mittelloser  Kranken:  Erklärung  vom  6./15.  Okt.  1875  (A.  S. 
B.  F.  1,  pag.  745). 

Verwundete  im  Kriege:  Genfer  Konvention  vom  22.  Aug.  1864  (A.  S.  Ylli, 
pag.  520) 

Zolldienst  in  den  internationalen  Bahnhöfen  Chiasso  und  Luino  und  in  den 
Zwischenstationen  Macoagno  und  Pino:  Uebereinknnft  vom  15.  Dez.  1882  (A.  S. 
n.  F.  VII,  pag.  193). 

Zivilstandsakten,  gegenseitige  Zustellung:  üebereinkunft  vom  l./ll.  Mai 
1886  (A.  S.  n.  F.  IX,  pag.  32). 

Julier-Strasse  s.  „Obere  Straße  über  Julier  und  Maloja**. 

Jurabahn,  neuenburgische,  s.  Jura  neuohätelois. 

Jurabahnen,  Bemische,  s.  Bemische  Jurabahnen. 

Jura-Bem-Luzern-Bahn  war  bis  zum  1.  Juli  1884  die  Firmabezeichnung 
für  den  Betrieb  der  Bernischen  Jurabahnen,  der  Bera-Luzem-Bahn  und  der 
Bödelibahn.  Seit  1.  Juli  1884  ist  die  alte  Firma  „  Bemische  Jurabahnen  ** 
statutenmäßig  durch  „  Jura-Bern-Luzern-Bahn  "^  ersetzt.  ,i^ 

Juragewässerkorrektion.  Die  beinahe  vollendete  Juragewässerkorrektion 
ist  das  Werk  der  letzten  zwanzig  Jahre;  es  bedurfte  volle  zwei  Jahrhunderte, 
um  eine  Einigung  zwischen  den  interessirten  Landesgegenden  über  die  Art  und 
Weise  der  Korrektion  herbeizuführen  und  die  nothwendigen  finanziellen  Mittel 
zu  beschaffen.  Erst  als  der  Bund  seine  Millionen  zur  Verfügung  stellte,  konnte 
ernstlich  Band  an^s  Werk  gelegt  werden. 

Die  Korrektion  erwies  sich  als  nothwendig,  weil  die  Gegenden  längs  dem 
Bieler-,  dem  Murtner-,  dem  Neuenburgersee  und  ihren  Zu-  und  Abflüssen  von 
öfteren  uud  schweren  Ueberschwemmungen  heimgesucht  wurden;  um  nun  die 
Wassermassen  unschädlich  zu  machen,  galt  es,  den  Wasserspiegel  der  obgenannten 
Seen  tiefer  zu  legen  und  die  Aare  aus  ihrem  alten  Bette  in  den  Bielersee  ab- 
zuleiten. Dies  konnte  bewerkstelligt  werden  ducrh: 

a.  den  Bau  des  Hagneckkanals  behufs  Au&ahme  der  Aare  bei  Aarberg  und 

Ueberfdhrung  derselben  in  den  Bielersee; 
d.  den  Nidau-Büren-Kanal  behufs  Ableitung  der  im  Bielersee  vereinigten  Gre- 

wässer  der  Aare  und  der  Zihl; 
€.  Korrektion  der  obern  Zihl  zwischen  dem  Neuenburger-  und  dem  Bielersee; 

d.  Korrektion   der    untern   Broye    zwischen    dem   Murten-   und    dem   Neuen- 
burgersee; 

e.  Ausführung  der  Korrektionsarbeiten  auf  der  Flußabtheilung  Büren-Attisholz 
(Emme-Einmündung),  so  weit  solche  als  nothwendig  erachtet  werden. 

Die  Totalkosten  dieser  Korrektionen  waren  veranschlagt  auf  Fr.  14' 000 ,000, 
welche  sich  auf  die  verschiedenen  Werke  wie  folgt  vertheilten : 

1)  Aarberg-Hagneck-KanalFr.3'  700,000, 2)  Nidau-Büren -Kanal  Fr.4'900,000, 
3)   oberer   Zihl -Kanal  Fr.    1^460,000,    4)  untere   Broye -Kanal   Fr.  740,000, 


Joragewääserkorrektion  —      100     —  JuragewfisserlLorrektion 

5)  Bektifikations-  und  Ergänznngsarbeiten  zwischen  Büren  und  Attuholz  Fr» 
928,000,  6)  Entschädigungen  an  Landbesitzer,  Administrationskosten  u.  s.  w. 
Fr.  2'272,000. 

Durch  Bundesbeschluß  vom  25.  Juli  1867  (A.  S.,  Bd.  IX,  pag.  93)  über- 
nahm der  Band  die  Leistung  eines  Beitrages  von  Fr.  5'000,000  und  es  ist 
diese  Summe  folgendermaßen  auf  die  betheiligten  Elantone  yertheilt  worden: 

1)  An  den  Kanton  Bern  Fr.  4' 340,000,  bei  einer  deyisirten  Bausumme 
von  Fr.  10*266,000,  für  die  Ausführung  des  NidauBüren-  und  des  Aarberg- 
Hagneck-Eanals ;  2)  an  den  Kanton  Solothurn  Fr.  360,000,  bei  einer  deyi- 
sirten Bausumme  von  Fr.  1' 108,000,  für  die  Ausführung  der  Korrektionsarbeiten 
auf  der  Flußstrecke  Büren-Attisholz ;  3)  an  die  Kantone  Freiburg,  Waadt 
und  Neuenburg  zusammen  Fr.  300,000,  bei  einer  deyisirten  Bausumme  yon 
Fr.  2*626,000,  für  die  Ausführung  der  Korrektionen  der  untern  Broje  und  der 
obem  Zihl. 

Diese  Beiträge  erwiesen  sich  als  ungenügend  und  es  wurden  deßhalb  durch 
Bundesbeschluß  yom  7.  Juli  1883  (A.  S.,  Bd.  VII,  pag.  168)  folgende  Nach- 
subyentionen  bewilligt:  An  die  Kantone  Freiburg,  Waadt  und  Neuenburg  zu- 
sammen Fr.  200,000  und  an  den  Kanton  Bern  Fr.  180,000,  nebst  Fr.  73,000 
für  ein  am  Ausflasse  des  Bielersees  zu  erstellendes  Schleusenwerk. 

Beschreibung  der  Korrektionsarbeiten: 

A.  Aarherg-Uagneck-Kanal.  Derselbe  hat  eine  Gesammtlänge  yon  8600  m 
und  nimmt  seinen  Anfang  beim  felsigen  Abhang  der  Rappenfluh,  ungefähr  1000  m 
oberhalb  dem  Städtchen  Aarberg,  woselbst  die  Ableitung  der  Aare  in  den  Bieler- 
see  yermittelst  eines  Absperrwerkes  bewerkstelligt  wird.  Der  ELanal  besteht  aus 
drei  Hauptabtheilungen: 

1)  Dem  7350  m  langen  Kanal  yon  der  Einmündung  der  Aare  bei  der  Eappen- 
fluh  bis  zum  Hagneckdurchschnitt.  Das  projektirte  gleichförmige  SohlengefäU 
beträgt  l,4®/oo;  das  nun  in  Ausführung  begriffene  Normalprofll  ist  folgendes: 
Breite  des  Kanals  in  der  Sohle  60  m,  zwischen  den  Uferkanten  75  m, 
Höhe  yon  der  Sohle  bis  zur  Uferkante  ca.  4,8  m,  Uferböschung  2:3m, 
Breite  zwischen  den  innem  Hinterdammkronen  102  m,  die  Höhe  yon  der 
Kanalsohle  bis  zur  Dammkrone  7,5  kn;  die  Hinterdämme,  welche  6  m 
Kronenbreite  und  ^s  m  Böschung  besitzen,  dienen  nicht  nur  als  Parallel - 
Straßen,  sondern  hauptsächlich  zum  Schutze  gegen  außerordentliche  Hoch- 
wasser. 

2)  Aus  dem  900  m  langen  Durchschnitt  des  Hügelzuges  bei  Hagneck,  mit 
einem  Gefäll  yon  3,75  7oo  and  36  m  Sohlenbreite;  die  größte  Höhe  (oder 
Tiefe)  beträgt  34  m. 

3)  Aus  der  zukünftigen  Verlängerung  des  Flußbettes  über  den  Strandboden 
des  Sees. 

Seit  Beginn  der  Arbeiten  im  Jahre  1874  sind  bis  Ende  1885  von  der  nach 
Voranschlag  auszuhebenden  Masse  yon  3*822,800  m^  durch  Aushub  1'410,900  m^ 
=  ca.  37  7®  ^nd  durch  Abschwemmung  1'783,900  m®  =  ca.  46  7«  beseitigt 
worden,  bleiben  somit  noch  628,000  m^  ^  ca.  17  7o*  Gresammtkosten,  inklu- 
siye  Administration  etc.,  bis  Ende  1885  Fr.  4*734,267,  gleich  einer  Kosten- 
überschreitung yon  Fr.  314,267  oder  7,1  7o  ^^^  Voranschlagssumme. 

B.  NidauBüren-Kanal.  Dieser  ist  nebst  dem  Aarberg-Hagneck -Kanal  das 
wichtigste  Werk  der  Juragewässerkorrektion  und  zerfällt  in  zwei  Hauptabschnitte : 
1)  in  den  ca.  8910  m  langen,  im  Jahre  1868  begonnenen  und  im  Jahre  1882 
der  Hauptsache  nach  yollendeten  Kanal  Nidau-Meyenried  und 


* .       « •  •  • 


Juragewftsserkorrektion  —      101      —  Juragewässerkorrektion 

2)  in  den  Kanal  Mejenried-ßtiren  von  ca.  2790  m  Länge,  der  im  Jahre  1883 
begonnen  und  noch  in  AusfUhrang  begriffen  ist. 

Das  relative  Gefäll  der  Flaßeohle  beträgt  0,20  7oo  Normalprofil;  Breite 
in  der  Sohle  66  m;  Breite  beim  Sommerwasserstand  86  m;  obere  Breite  zwischen 
^en  Kanten  der  Ufer  wände  96  m;  größte  Tiefe  in  der  Mitte  der  Floßrinne  8  m, 
mit  doppelter  Böschung  der  Seiten  oder  üferwände.  Von  der  nach  Voranschlag 
auszuhebenden  Masse  von  5'256,100m'  waren  Ende  1885  ausgehoben  4'369,000m*, 
wovon  auf  Baggerangen  entfallen  2*612,500  m'  =  ca.  60  ^o,  auf  Grabarbeiten 
von  Hand  1 '450, 500  m»  =  ca.  33  7o,  auf  Absohwemmungen  306,000  m*  = 
7  7o. 

Gresammtkosten,  inkl.  Administration,  bis  Ende  1885  Fr.  5^861,292,  so- 
mit Kostenüberschreitung  von  Fr.  53,292  oder  ca.  0,9  ^o  ^^^  Yoranschlags- 
summe. 

C.  Zihl'Kanal.  Die  G^ammtlänge  des  im  Jahre  1874  begonnenen  und 
1883  vollendeten  Kanals  beträgt  8500  m,  wovon  3900  m  auf  Durchstiche, 
1400  m  auf  Ausmttndungsdämme  (sog.  Moles,  zur  Verhütung  von  Versandungen 
und  Verschlanunungen),  welche  die  Verbindnngen  der  Zihl  mit  dem  Neuenburger- 
und  dem  Bielersee  vermitteln,  und  3200  m  auf  die  übrige  Kanalstrecke  entfallen, 
welche  dem  alten  Flußlauf  folgt  und  dessen  Korrektion  erzielt  wurde  durch 
Abschneiden  der  schroffen  Krümmungen  und  Erweiterung  und  Ausbaggerung  des 
alten  Bettes.  Das  Geföll  der  Kanalsohle  beträgt  0,14  ^ooi  die  Breite  des  Qner- 
profils  in  der  Sohle  31,2  m,  in  der  Höhe  55,2  m.  Normaltiefe  6  m,  die  Ufer- 
böschungen 1  :  1,5  bis  2. 

D.  Broye-KanaL  Die  G^sammtlänge  des  zu  gleicher  Zeit  wie  derjenige 
der  obern  Zihl  begonnenen  und  vollendeten  £[anals  beträgt  8210  m,  wovon 
2100  m  auf  Durchstiche,  1900  m  auf  die  Seekanäle  (des  Murten-  und  des  Neuen- 
borgersees)  und  4210  m  auf  die  übrige  Flußstrecke  kommen;  letztere  wurde 
nach  den  gleichen  Grnndsätzen  korrigirt  wie  beim  Zihl-Kanal.  Das  Geföll  der 
Kanalsohle  beträgt  0,14  ®/oo;  Breite  des  Querprofils  in  der  Sohle  16,2  m,  in 
der  Höhe  35,4  m.  Normaltiefe  4,8  m,  die  Uferböschungen  sind  1  :  1,5  bis  2. 
Die  Gresammtkosten  für  diesen  Kanal  und  für  den  Zihlkanal  betragen  Fr.  4'380,187, 
wovon,  nach  Abzug  der  Bundessubvention,  Freiburg  415  ^/oo,  Waadt  385  ®/oo, 
Neuenburg  200  ^/oo  zu  übernehmen  hatte. 

E.  Korrektion  des  alten  Äariaufes  zwischen  Büren  und  Attishole,  Die- 
selbe besteht  hauptsächlich  aus  folgenden  pro'jekiirten  Bauwerken :  1)  des  Durch- 
stichs der  Aare  zwischen  Arch  und  Bachmatt  in  einer  Länge  von  855  m; 
2)  des  Durchstichs  zwischen  Bachmatt  und  Altreu  1890  m;  3)  des  Darchstichs 
zwischen  Altreu  und  Leußligen  1290  m  und  4)  der  Rektifikationen  der  Zwischen- 
atrecken  in  einer  Länge  von  2865  m,  wodurch  eine  Abkürzung  des  jetzigen 
19,300  m  langen  Aarlaufes  um  ca.  3700  m  und  dadurch  eine  wesentliche  Be- 
schleunigung des  Abflusses  der  Aare  erzielt  würde. 

Durch  die  bisherigen  Korrektionsarbeiten,  obwohl  sie  (Nov.  1886)  noch  nicht 
SU  Ende  geführt  sind,  hat  die  Juragewässerk.  schon  jetzt  günstige  Resultate  auf- 
zuweisen. Die  Wasserspiegel  der  Seen  wurden  tiefer  gelegt  und  zwar  derjenige 
des  Neuenburgersees  um  2  m,  des  Bielersees  um  2,4  m  und  der  des  Murtensees 
um  1,8  m;  das  Gefäll  und  die  Stoßkraft  der  vereinigten  Aare  und  Zihl  wurden 
vermehrt.  Der  Aare  wurde  durch  die  Ableitung  derselben  in  den  Bielersee  ein 
Ablagemngsbeoken  für  ihre  G-eschiebe  geboten;  ebenso  ist  die  üeberschwemmungs- 
gebhi  für  die  untern  Aargeg^nden  durch  das  Retentionsvermög^n  der  Seebeoken 


Juragewässerkorrektion  —     102     —  Käse 

verringert  (Vgl.  Schneider:  ^Das  Seeland  der  Westschweiz  and  die  Korrektion 
seiner  Gewässer",  Bern  1881;  femer  „ Jahresbericht  der  Juragewässerkorrektion 
1885«). 

Jura  industriel  war  die  Beseeichnang  für  die  Eisenbahn  von  Neuenborg 
nach  Convers,  Chanx-de-Fonds  und  Loole,  als  diese  Linien  noch  das  Eigentham 
einer  besonderen  Aktiengesellschaft  waren.  Die  Betriebseröffnnng  hat  wie  folgt 
stattgefunden:  den  2.  Juli  1857  die  Strecke  Chaux-de-Fonds  -  Locle  (8188  m); 
den  27.  November  1859  die  Strecke  Convers  -  Cbaux-de-Fonds  (3488  m);  den 
1.  Dezember  1859  die  Strecke  Neuenburg -Hauts-Greneveys  (19,760  m)  und  dea 
15.  JuH  1860  das  Schlußstfick  Hauts-Geneveys  -  Convers  (4533  m).  Die  ganze 
bauliche  Länge  der  eigenen  Bahn  betrug  35,915  m.  Am  1.  Januar  1865  ging 
die  Bahn  in  Folg^  Liquidation  an  eine  neue  Gesellschaft  über,  welche  sich  jedoch 
auch  nicht  halten  konnte.  Am  1.  Mai  1875  ging  die  ganze  Bahn  in  das  £igen- 
thum  der  Bermschen  Jurabahnen  über. 

Jura  neuchätelois.  Die  Eisenbahn  Neuenburg-Convers-französische  Grenze 
beim  Col-des-Boches  ging  mit  dem  1.  Januar  1886  in  das  Eigenthum  des  Kantons 
Neuenburg  über,  indem  dieser  von  dem  konzessionsmäßigen  Recht  des  Ankaufes 
auf  den  genannten  Sicitpunkt  Grebrauch  gemacht  hat.  Der  Betrieb  wurde  einer 
zu  diesem  Zwecke  gebildeten  Aktiengesellschaft  übertragen. 

Jute  wird  in  der  Schweiz  im  Großen  nicht  produzirt.  Die  gemachten  Ver- 
suche scheinen  kein  genügendes  Ergebniß  geliefert  zu  haben.  Einige  schweizerische 
Spinnereien  und  Webereien  befassen  sich  theilweise  mit  der  Verarbeitung  von  Jute. 

Einfuhr  von  Jute  und  ähnlichen  Spinnsto£Pen,  exklusive  Flachs  und  Hanf, 
im  Jahre  1885  : 

Jute  etc.  357  q  ä  Fr.  35 ;  davon  254  q  aus  Deutschland,  47  q  aus  Groß- 
britannien, 41  q  aus  Italien. 

Garne  aus  Jute  etc.:  2635  q  ä  Fr.  60;  davon  1020  q  aus  Großbritannien, 
745  q  aus  Belgien,  708  q  aus  Deutschland,  109  q  aus  Frankreich,  41  q  aus  Italien. 

Gewehe  aus  Jute  etc:  12,530  q  ä  Fr.  250;  davon  7125  q  aus  Groß- 
britannien, 4400  q  aus  Deutschland,  629  q  aus  Belgien,  347  q  aus  Frankreich. 

Ausfuhr  1885:  Jute  etc.  79  q  ä  Fr.  169;  davon  26  q  nach  Frankreich, 
26  q  nach  Oesterreich,  23  q  nach  Deutschland. 

Garne  aus  Jute  etc. :  125qäFr.  229;  davon  68  q  nach  Deutschland,  51  q 
nach  Frankreich. 

Gewebe  aus  Jute  etc.:  29  q  a  Fr.  659,  nach  Oesterreich,  Deutschland,. 
Frankreich,  Italien  und  Belgien. 

Iva  (AchiUea  moschata;  moschusdaftende  Schafgarbe;  Wildfräuleinkraut). 
Diese,  namentlich  in  den  Graubündner  Alpen  vorkommende  Pflanze  bildet  die 
Grrundlage  einer  Branche  der  schweizerischen  Liqueurfabrikation.  Diese  Verwendung 
von  Iva  ist  vermuthlich  erst  im  letzten  Jahrhundert  aufgekommen.  Der  Natur- 
forscher Conrad  Gessner  von  Zürich  war  der  Erste,  der  die  Kenntniß  der  Iva- 
pflanze  verbreitete,  nachdem  ihn  sein  Freund  Campell  auf  dieselbe  aufmerksam 
gemacht  hatte. 

Ivapräparate,  d.  h.  Wein ,  Liqueur  etc. ,  welche  das  ätherische  Oel  der 
Iva-Pflanze  (AchiUea  moschata)  enthalten,  sind  eine  schweizerische  (Engadiner) 
Spezialität,  Erfindung  des  Apothekers  P.  Bernhard  in  Samaden. 

Kabel.  Elektrische  Leitungskabel  werden  von  der  Soci6t£  d'exploitation 
des  cables  electriques,  Systeme  Berthoud,  Borel  &  Cie.,  in  Cortaillod  (Neuenburg) 
in  großartigem  Maßstabe  und  in  anerkannt  vorzüglicher  Weise  fabrisirt. 

Käse  s.  Milchwirthschaft. 


Kaffee 


—     loa    — 


Kaffeesurrogate 


Kaffee.  Die  Sorten,  die  in  der  Schweiz  haupteächlich  verbraucht  werden, 
sind  Java  und  Santos.  ungefähr  7^  ^^  Imports  wird  durch  Basler  Häuser 
vermittelt. 

Die  Einfuhr  von  Kaffee  in  den  Jahren  1876/85  betrug  durchschnittlich 
per  Jahr  91,196  q.  Leider  kann  mit  früheren  Jahrzehnten  kein  genauer  Vergleich 
angestellt  werden,  denn  von  1850 — 1873  ist  in  den  schweizerischen  £in-  und 
Ausführtabellen  der  Posten  ^Kaffee**  mit  „ Kaffeesurrogaten *"  vereint.  Die  Einfuhr 
von  Kaffee  und  Kaffeesurrogaten  vereint  betrug  im  Jahresdurchschnitt  1851/60: 
71,137  q,  1861/70 :  76,154  q,  somit  bedeutend  weniger  als  im  Jahrzehnt 
1876/85  die  jährliche  Einfuhr  von  Kaffee  allein  (91,196  q). 

Ab  Herkunftsländer  des  im  Jahre  1885  in  die  Schweiz  eingeführten  Kaffees 
verzeichnet  die  schweizerische  Waarenverkehrsstatistik : 


Holland   .     . 
Deutschland  . 
Belgien    . 
Frankreich    . 
Brasilien  . 
Großbritannien 


mit  21,187  q 

n  15,853  „ 

n  14,720  „ 

.  14,379  „ 

.  11,891  „ 

«  4,581  „ 


Italien mit    2,675  q 

Ver.  Staaten  von  N.-A.      „     1,532   „ 

Mexiko 

Andere  Länder    . 


rj 


1,009 
3,369 


Total         91,196  q 


a  Pr.  127.  50  für  rohen  und  Fr.  162.  50  fUr  gebrannten  Kaffee. 

Die  Ausfuhr  von  Kaffee  betrug  im  Jahresdurchschnitt  1876/85:  780  q. 

Kaffeesurrogate.  Die  in  der  Schweiz  fabrizirten  Kaffeesurrogate  sind: 
Der  Feigenkaffee,  der  Cichorienkaffee,  Kaffee-Essenz,  Zucker-Essenz,  Eichelkaffee 
und  der  sog.  Gesundheitskaffee. 

Der  Feigenkaffee  wird  aus  griechischen  Feigen  hergestellt;  derselbe  gilt, 
wenn  ihm  nicht  Cichorien  oder  ZuckerrUbenmehl  beigemengt  ist,  als  das  beste 
resp.  nahrhafteste  Surrogat.  Müller-Landsmann  in  Lotzwyl  ist  wahrscheinlich  der 
einzige  Fabrikant  in  der  Schweiz,  der  diesen  Artikel  im  Großen  fabrizirt.  Von 
der  auswärtigen  Konkurrenz  macht  sich  aui  meisten  diejenige  Oesterreichs  fühlbar. 

Der  Cichorienkaffee  wird  aus  den  in  Deutschland  und  Belgien  massenhaft 
gepAanzten  Cichorienwurzeln  fabrizirt.  Der  Verbrauch  dieses  Kaffees  ist  ein  außer- 
ordentlich großer,  denn  zu  den  im  Inlande  fabrizirten  ca.  20,000  q  werden 
jährlich  noch  mindestens  so  viel  eingeführt.  Der  Artikel  geht  unter  verschiedenen 
Namen,  wie :  Frankkaffee,  Sparkaffee,  Löwenkaffee,  Damenkaffee,  Javamehl,  Mokka- 
mehl, Frickkaffee  u.  s.  w. 

Gewissenlose  Fabrikanten  scheuen  sich  nicht,  dem  Cichorienkaffee  mineralische 
und  vegetabilische  Bestandtheile  beizumengen  (Steinkohlenpulver,  zerriebenen  Torf 
u.  s.  w.),  deßhalb  ist  sehr  zu  rathen,  die  Waare  untersuchen  zu  lassen. 

Es  ist  anzunehmen,  daß  die  Schweiz  eines  Tages  ihren  Bedarf  an  Cichorien- 
wnrseln  selbst  decke,  denn  es  ist  konstatirt,  daß  sowohl  die  Cichorie  als  die 
Zuckerrübe  mit  Erfolg  bei  uns  gepflanzt  werden  kann. 

Als  beste  KsL^ee-Essenz  gilt  diejenige  aus  gereinigtem  Rohrzucker;  sie  soll 
von  Müller-Landsmann  in  Lotzwyl  erfanden  worden  sein;  ihr  zunächst  kommt 
diejenige  aus  rohem  Rohrzucker  und  nach  dieser  die  gebräuchlichste  und  in  der 
Schweiz  noch  am  meisten  fabrizirte  aus  brenzlicher  Melasse.  Zum  Nachtheil  der 
letztem  (der  Melasse)  spricht,  daß  sie  durch  Schwefelsäure,  Ochsenblut,  Thier- 
kohle,  Kalk,  Phosphor  verunreinigt  werden  kann. 

Der  Verbrauch  des  Eichelkaffees  ist  gering.  Der  sog.  Gfesundheitskaffee, 
welcher  namentlich  von  den  Anhängern  der  Homöopathie  genossen  wird,  besteht 
größtentheils  aus  Zuckerrübenmehl,  Roggen,  Gerste  und  Cichorien.  Viele  Fabri- 
kanten verwenden  auch  Soyabohnen  und  Lupinen  (Wol&bohnen). 


Kaffeesurrogate  —      104     —  Kali 

BirkhäQser's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  veneichnet  29  Fabrikanten  von 
Eaffeesnrrogaten,  nämlioh  11  im  Et.  Bern,  7  Waadt,  3  St.  Gallen,  3  Solothurn, 
2  Aargau,  1  Basel,  1  Grenf,  1  Winterthur.  Dem  Fabrikgesetz  sind  11  Etabl. 
unterstellt. 

Einfuhr  von  Kaffeesurrogaten  im  Jahre  1885:  38,360  q  im  geschätzten 
Werthe  von  Fr.  1'678.346  (aus  Deutschland  24,875  q  =  Fr.  1'109,177;  aus 
Belgien  12,002  q  =  Fr.  504,084;  aus  Frankreich  826  q  =  Fr.  36,743;  aus 
Holland  400  q  =  Fr.  16,800;  aus  Oesterreich  117  q  =  Fr.  5475  etc.). 

Ausfuhr  im  Jahre  1885:  384  q  im  deklarirten  Werthe  von  Fr.  43,074 
(nach  Italien  243  q  =:  Fr.  26,544;  Rest  nach  verschiedenen  Ländern)  und 
364  q  im  Grenz  verkehr  mit  Gex  und  Hochsavojen. 

Kains.  Bunt  gewebtes  Baumwollzeug  fUr  malayische  Kleidung.  Bedeutender 
Artikel  der  toggenburgischen  Buntwebereien  für  den  Export  nach  Singapore, 
Batavia,  Manila  etc. 

Kaisergutedel  ist  der  Name  einer  außerordentlich  feinen,  in  der  Schweiz 
wachsenden  Tafeltraube. 

Kalemkiars.  Türkische  Bezeichnung  für  baumwollene,  bedruckte  Kopf- 
tücher, die  auch  in  der  Schweiz  fabrizirt  werden. 

Kali  (Kalisalze).  (Mitgetheilt  von  Herrn  Dr.  Grete.)  In  der  Landwirth- 
Schaft  nimmt  das  KaH  als  einer  der  wichtigsten  PflanzennährstofPe  einen  hervor- 
ragenden Platz  unter  den  Mitteln  zur  Hebung  der  Pflanzenproduktion  ein.  Die 
Form,  in  welcher  in  der  Landwirthschaft  das  Kali  zur  Anwendung  gelangt,  ist 
durchweg  die  der  Keillsalge. 

Wenn  es  auch  feststeht,  daß  sehr  viele  Bodenarten,  die  aus  kalihalügem 
Gestein  durch  Verwitterung  entstanden  sind,  einen  oft  erstaunlich  hohen  Reich- 
thum  an  Kali  aufweisen,  so  ist  dennoch  unter  Berücksichtigung  der  entsprechenden 
Beidüngung  mit  andern  Nährstoffen  eine  Kaligabe  oft  sehr  lohnend,  während 
andere  Bodenarten,  die  kaliarm  sind,  ohnehin  der  fortgesetzten  Zufuhr  von  Kali- 
salzen behufs  Erzielung  andauernd  hoher  Ernten  bedürfen.  Dahin  gehören  besonders 
Moor-  und  Sandböden,  die  für  Kalidüngung  äußerst  dankbar  zu  sein  pflegen. 

Die    dem    Landwirthe    zur   Verfügung   stehenden    Kalisalze   sind   folgende: 

1)  Das  kohlensaure  Kali  (Kaliumcarbonat),  welches  aus  der  in  unreinem  Zustande 
in  großen  Quantitäten  gewonnenen  Pottasche  bereitet  wird.  Der  größere  Theil 
des  Rohproduktes  (der  Asche)  wandert  in  die  Seifensiedereien,  nur  verhältniß- 
mäßig   geringe   Quantitäten   werden    direkt   in   der   Landwirthschaft   verwendet. 

2)  Das  salpetersaure  Kali  (Kalisalpeter)  wird  in  der  Landwirthschaft  nur  höchst 
selten  verwendet.  3)  Die  Staßfurter  Kalisalze.  Die  schweizerische  Landwirth- 
schaft ist  hinsichtlich  Befriedigung  ihres  Bedarfes  an  Kalisalzen  vollständig  auf 
die  Einfuhr  vom  Auslande  angewiesen.  Hauptsächlich  sind  es  die  Bergwerke  bei 
Staßfurt  und  Leopoldshall,  welche  den  größten  Theil  Europas,  so  auch  die  Schweiz, 
mit  Kalisalzen  versorgen. 

Es  kommen  hier  folgende  Salze  in  Betracht: 

a.  Chlorkalium  (dem  Kochsalz  ähnliche  Kry stalle).  Es  kommt  in  drei-  und 
fünffach  konzentrirter  Form  in  den  Handel  mit  einem  garantirten  Grehalt  von 
ca.  30  resp.  ca.  50  ^/o  reinem  Kali  (K  2  0).  Fast  die  Gesammtmenge  der  Einfuhr 
wandert  in  die  Düngerfabriken,  in  denen  es  bei  Herstellung  der  Mischdünger 
mit  verschiedenen  Kaligehalten  verwendet  wird.  Eine  direkte  Verwendung  findet 
wegen  der  großen  Konzentration,  durch  welche  unter  Umständen  eine  Schädigung 
des  Pflanzen wachsthums  eintreten  könnte,  nicht  statt. 


Kali  —      105     —  Kalk 

6.  Schwefelsaures  Kali.  Dieses  Salz  kommt  in  mehr  oder  weniger  reinem 
Zustande  mit  einem  Grehalte  von  20 — 25  ®/o  Kali  in  den  Handel,  wird  aber  des 
hohem  Preises  wegen  seltener  in  der  Landwirthsohaft  verwendet. 

Dagegen  haben  unter  den  versohiedensten  Namen  (Kalidünger,  konzentrirtes 
Kalisalz,  rohe  schwefelsaure  Kalimagnesia,  rohes  schwefelsaures  Kali,  Kainit  etc.) 
an  Kali  ärmere,  hauptsächlich  mit  wechselnden  Mengen  der  Verbindungen  des 
Kalkes  und  der  Magnesia  mit  Schwefelsäure  und  Chlor  in  der  Natur  verunreinigte 
Kalisalze  Eingang  in  deu  landwirthschaftlichen  Betrieb  gefunden,  deren  Verwendung 
eben  wegen  dieser  Beimengungen  mit  einiger  Vorsicht  zu  geschehen  hat.  Be- 
sonders ist  es  zu  vermeiden,  solche  Salze  direkt  auf  die  wachsenden  Pflanzen 
zu  bringen,  vielmehr  sollte  eine  Düngung  mit  rohen  Kalisalzen  ziemlich  früh 
vor  Erwachen  der  Vegetation  ausgeführt  werden. 

Eine  andere  Verwendung  finden  diese  rohen  Kalisalze  noch  zum  Zwecke 
der  KonserviruDg  des  Stallmistes,  wobei  sie  recht  gut  die  Stelle  des  Gypses 
vertreten  können,  aber  noch  den  Vortheil  gewähren,  neben  Fixirung  des  bei  der 
Zersetzung  des  Stallmistes  sich  entwickelnden  Ammoniaks  den  Dünger  noch  mit 
JKali  anzureichern. 

Die  Größe  der  Einfuhr  läßt  sich  nicht  genau  ermitteln,  da  in  der  Waaren- 
verkehrsstatistik  Kalisalze  unter  dem  allgemeinen  Titel  Dünqstoffe  inbegriifen  sind. 

Kaliumbichromat.  Die  schweizerischen  Farbenfabriken  konsumiren  jährlich 
oa.  5000  q. 

Kalk.  Kalksteine  zu  Bauzwecken  fehlen  nicht  in  der  Schweiz.  Diejenigen 
des  Jura  sind  meistens  hellfarbig:  weißlich,  gelblich,  röthlich;  die  Alpenkalke 
sind  dagegen  dunkelgrau  bis  nahezu  schwarz.  So  verschieden  die  Farbe,  ist  auch 
die  übrige  Beschaffenheit  der  beiden  Arten.  Diejenigen  der  Soci6te  des  carrieres 
d^Agiez  im  Bezirk  Orbe  (Waadt)  lassen  sich  z.  B.  leicht  mit  der  Säge  und  mit 
Schabinstrument«n  verarbeiten  und  deßhalb  besonders  zu  Hochbauten  und  speziell 
zur  Omamentirung  verwenden.  Der  dunkle,  blaugraue  Plattenkalk  von  Sembrancher 
im  VITallis  eignet  sich  dagegen  für  Plattenböden,  Ein-  und  Abdeckung  von  Mauern 
und  überhaupt  da,  wo  harte  Platten  bis  zu  den  größten  Dimensionen  zur  Ver- 
wendung kommen  können.    Die  Druckfestigkeit  derselben  ist  bedeutend. 

Der  Lägemsteinbruch  in  Begensberg  liefert  sehr  dichte  Malmkalksteine  von 
großer  Festigkeit 

Die  jährliche  Produktion  von  Kalksteinen,  nach  dem  Durchschnitt  der  letzten, 
schlechten  Bauperiode  berechnet,  wird  auf  130,000  Tonnen  ä  Fr.  13.  50  (im 
Bruch)  =  Fr.  1*800,000  geschätzt.  (Vgl.  Frite  Locher,  Baumeister,  in:  „Die 
Baumaterialien  der  Schweiz  an  der  Landesausstellung  1883*'.) 

Die  Rohproduktenkarte  von  Weber  und  Brosi  (Verlag  von  J.  Wurster  &  Co. 
in  Zürich)  von  1882/83  verzeichnet  folgende  im  Betrieb  befindliche  Kalk- 
steinbrüche: 

im  Kt.  Aarffau:  bei  Aarau,  Aarburg,  Auenstein,  Baden,  Birrenlauf,  Brngg, 
Büren,  Dänlkon,  Degerfelden,  Dentschbüren,  Effingen,  Endingen,  Ennet- 
baden,  Erlinsbach,  Gebensdorf,  Hausen,  Herznach,  Kaisten,  Kienberg,  Koblenz, 
Küttigen,  Laufenburg,  Lupfig,  Mägden,  Mellikon,  Mumpf,  Niedergösgen, 
Bekingen,  Beuenthal,  Rümikon,  üeken,  Veitheim,  Wegenstetten,  Wildegg, 
Wölflinswyl,  Würenlingen,  Zeiningen; 
im  Kt.  Baselland:  bei  Ariesheim,  Bückten,  Diegten,  Domeck,  Eptingen, 
Ettingen,  G^lterkinden,  G-empen,  Grellingen,  Höllstein,  Känerkinden,  Lau- 
wil,  Liestal,  Mönohenstein,  Muttenz,  Nenzlingen,  Nuglar,  Olsberg,  Oltingen, 
Pratteln,  Waidenburg,  Wenslingen,  Zeglingen; 


Kalk  —      106     —  Kaminfeger 

im  Kt.  Bern:  bei  Alferm^,  Alle,  Biel,  Boöooort,  Boncourt,  Boorignon,  Bre» 
lincoort,  Bressanoonrt,  Bux,  Bure,  Cheveney,  Coeuve,  Courfaivre,  Conrgenay, 
Conrrendlin,  CJourroax,  Coort,  Conrtedonx,  Conrtelary,  Coartemautraj,  Dam- 
vant,  Delemont,  Ederschwiler,  Epauvillers,  Fahy,  la  Fernere,  Fontenais, 
Frinyilier,  Grandfontaine,  St-Imier,  Laufen,  Liesberg,  Lucelle,  Mi^court, 
Montier,  Neuenstadt,  Ocourt,  Pleujouse,  Pont,  Porrentruy,  Bebeuvelier, 
Reclere,  Beuchenette,  Roches,  Rocourt,  Bossemaison,  Seiente,  Sonceboz, 
Sonvilier,  Soyhieres,  Tavannes,  Tramelan  dessus,  St  Ursanne,  Vendünconrt, 
Villars,  Zwingen; 
im  Kt.  Freihurg :   bei  Grandvillars,    Jaun,    Im   Fang,    Neirivue,    la  Tour-de- 

Treme; 
im  Kt.  St.  Gallen:   BUchel,   Buchs,    Hirschensprung,   Klein-Mels,  Montlingen^ 

Murg,  PfaflFers,  Quarten,  Ragatz,  Sevelen,  Trübbach,  Weesen; 
im  Kt.  Glarus:  Netstall  und  Urnen; 

im  Kt.  Graubünden:    St.  Antonien,    Chur,    Davos-Dörfli   und   -Platz,    Fanas, 
Felsberg,  Films,  Hauenstein,  Jenins,  Klosters,  Laax,  Langwies,  Maienfeld, 
Malans,  Saas,  Tamins,  Trins,  Untervaz,  Vadura; 
im  Kt.  Neuenbürg :  Boinod,  les  Brenets,  Chaux-du-Milieu,  Hauterive,  les  Logee». 

Neuchätel ; 
in    Nidwaiden :  Stanzstad ; 

im  Kt.  Schaff  hausen :  Altdorf,  Beringen,  Hemmenthai,  Herblingen,  Löhningen, 
Neuhausen,    Osterfingen,    SchafPhausen,    Schieitheim,    Siblingen,    Thaingen«. 
Unterhallau ; 
im  Kt.  Schwye:  Brunnen,  Gersau,  Schwyz; 
im  Kt.  Solothurn:  Egerkingen,  Grenchen,  ECauenstein,  Himmelried,  Hofstetten^ 

Lommiswil,  Mariastein,  Mezerlen,  Oberbuchsiten,  Oberdorf; 
im  Kt.    Uri:  Attinghausen,  FlUelen,  Sisikon; 

im  Kt.    Waadt:  Agiez,  Chamblon,  Chateau-d'Oex,  Ecl^pens,  Roche,  la  Sarrazf. 
im  Kt.    Wallis :  Bouveret. 

Die  Ein-  und  Ausfuhr  von  Kalk  und  Kalksteinen  anzugeben,  ist  nicht 
möglich,  weil  in  den  Waaren Verkehrstabellen  andere  gleichartige  Gegenstände 
damit  kombinirt  sind.  Nur  der  hydraulische  Kalk  ist  für  sich  allein  aufgeführt. 
Kalkbrennereien.  Birkhäuser's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  gibt  89  Eta- 
blissemente  dieser  Art  an,  wovon  28  im  Kt.  Zürich,  9  Bern,  9  Waadt,  7  Neuen- 
bürg,  6  Tessin,  5  Aargau,  5  St.  Gallen,  4  Glarus,  3  Freiburg,  3  Nidwaiden, 
3  Wallis,  2  Graubünden,   2  Solothurn,  2  Thurgau,   1  Schwyz. 

Kalk-  und  Ziegel  brenn  er.  Als  solche  bezeichneten  sich  im  Jahre 
1880  anläßlich  der  eidg.  Volkszählung  3922  Personen  (3  7oo  aller  Erwerbs- 
thätigen),  wovon  999  im  Kt.  Tessin,  540  Bern,  462  Zürich,  275  Aargau, 
268  St.  Gallen,  246  Waadt,  182  Baselland,  162  Thurgau,  128  Luzem,  113 
Solothurn,  81  Schwyz,  68  Freiburg,  60  Schaff  hausen,  59  Genf,  53  Glarus,. 
45  Neuenburg,  38  Graubünden,  34  Basebtadt,  25  Zug,  21  Nidwaiden,  20 
Appenzell  A.-Rh.,  16  Wallis,  11  Obwalden,  7  Appenzenzell  I.-Rh.,  7  Uri. 
Von  den  3922  Kalk-  und  2iiegelbrennem  waren  400  Ausländer. 
Kaltbad-Scheidegg  s.  Rigi-Schcidegg-Bahn. 

Kaminfeger.  Dieser  Beruf  wurde  zur  Zeit  der  eidgeniyssischen  Volkszählung 
von  1880  von  909  Personen  ausgeübt  =  0,7  7oo  aller  Erwerbsthätigen.  Es 
befanden  sich  dabei  79  Ausländer.  Die  2Sahl  909  vertheilt  sich  folgendermaßen 
auf  die  Kantone:  161  Bern,  146  Zürich,  105  St.  Gallen,  77  Aargau,  55  Waadt, 
52    Luzern,    33    Baselstadt,    28  Graubünden,    27   Neuenburg,    26  Thurgau,    25- 


Kaminfeger  —     107     —  Kanungarn 

Freiburg,  24  Genf,  24  Solothurn,  21  Appenzell  A.-Eh.,  18  Glarus,  15  Schaff- 
hanaen,  15  Sohwyz,  14  Baaelland,  13  Zug,  8  üri,  7  Teesin,  6  Appenzell  I.-Rh., 
6  Wallis,  2  Nidwaiden,  1  Obwalden. 

Kammfabrikation.  BirkhäuBer's  Adreßbuch  (£asel,  1885)  gibt  die  Adressen 
von  42  Eammmachem  (12  Kt.  Solothurn,  10  Bern,  6  Zürich,  5  Aargau,  4  Grau- 
bttnden,  2  Appenzell  A.-Rh.,  je  1  SohaflPhausen,  Thurgau,  Waadt). 

Fabrikmäßigen  Betrieb  haben  nur  etwa  ein  halbes  Dutzend  jener  Firmen. 
Eine  derselben  (im  Kt.  Solothurn)  beschäftigt  etwa  120  Arbeiter. 

Als  Enopf-  und  Kammmacher  verzeichnet  die  eidg.  Yolkszählungsstatistik 
von  1880  283  Personen,  wovon  169  im  Kt.  Solothurn,  46  Bern,  21  Zürich, 
16  Aargau,   15  Waadt,  Kest  in  7  Kantonen. 

Die  Einfuhr  von  Kammmacher waaren  betrug  im  Jahre  1873:  85  q,  im 
Jahresdurchschnitt  1872/81:  139  q,  im  Jahre  1884:  142  q.  Im  Jahre  1885 
figurirten  die  Kammmacherwaaren  nicht  mehr  in  der  Waarenverkehrsstatistik. 

Die  Ausfuhr  betrug  1883:  67  q,  1884:  95  q,  1885  ?. 

Kammgarn.  Es  bestehen  in  der  Schweiz  4  K^mmgeLmspinnereien,  wovon 
2  in  SchafPhausen  seit  1866/67  (die  ältesten),  1  in  Derendingen  im  Kt.  Solo- 
thurn und  1  in  Btlrglen  im  Kt.  Thurgau.  Eine  fünfte  soll  im  Entstehen  begriffen 
sein  (Kt.  Solothurn).  Jene  4  Etablissements  arbeiteten  Ende  1882  mit  ca.  55,000 
Spindeln;  ihre  Jahresproduktion  betrug  ca.  10,000  q  Game  im  Werthe  von 
ca.  10  Millionen  Franken.  Hauptabsatzgebiet  für  die  schweizerischen  Kammgame 
ist  Deutschland;  nur  etwa  V«  bleibt  im  Inland,  weil  hier  die  Weberei  von 
entsprechenden  Wollstoffen  (Merinos,  Cachemirs,  Zanella  etc.)  noch  in  den  Anfangs- 
stadien  liegt  und  die  Bonneterie  einen  Theil  ihres  Bedarfs  durch  Bezüge  aus 
dem  Ausland  deckt.  Es  bestehen  erst  zwei  größere  Ksjnmg&riiw eher eien :  die- 
jenigen der  Firmen  Hefti  &  Cie.  in  Hätzingen  und  Lanf/  (&  Koch  in  Deren- 
dingen. Die  große  Einfuhr  von  Kammgarngeweben  (jährlich  filr  ca.  24  Millionen 
FrankenJ  beweist  jedoch,  daß  neben  jenen  2  Etablissements  noch  mehrere  vollauf 
Beschäftigung  fänden.  Daß  die  Verhältnisse  so  und  nicht  anders  liegen,  hat  seinen 
Grund  in  dem  bisherigen  Mangel  an  Kammgam/*är 66reeen,  dessen  Wirkung  sich 
zunächst  darin  äußerte,  daß  die  Stoffe  zum  Färben  nach  Frankreich  und  Deutsch- 
land gesandt  werden  mußten.  Um  nnn  jenen  Mangel  zu  beseitigen  und  überhaupt 
der  Verbreitung  der  Kammgamweberei  den  Weg  zu  bahnen,  hat  die  Firma 
Laurene  Meyer  in  Herisau  eine  Färberei  flir  Kammgarngewebe  eingerichtet. 
Ebenso  hat  diese  Firma  einen  Webereitechniker  beigezogen  und  es  durch  viele 
Bemühungen  dazu  gebracht,  daß  in  ihrem  Etablissemenc  Unterricht  in  der  Kamm- 
gamweberei genommen  werden  kann.  Als  „Versachsanstalt  für  Kammgarn weberei**, 
die  unter  Kontrole  steht,  ist  sie  der  pekuniären  Mitwirkung  des  Bundes,  des 
Kaufmännischen  Direktoriums  in  St.  Gallen,  der  Seiden-Industriegesellschaft  Zürich 
und  einer  Anzahl  Firmen  theilhaftig  geworden. 

Damit  wäre  der  Grund  gelegt  zu  einer  Industrie,  die  nach  fachmännischen 
Berechnungen  sich  so  weit  sollte  entwickeln  können,  um  4000 — 18,000  Weber 
(je  nachdem  die  mechanischen  oder  die  Hand  Webstühle  aufkommen),  sowie  ca. 
1000  Färberei-  und  Appreturarbeiter  zu  beschäftigen  —  gewiß  eine  schöne 
Frucht  der  Preisausschreibungen  von  Schindler-Escher  in  Zürich  betreffend  Ein- 
f&hnmg  neuer  Industrien  (Landesausstellung  1883)  und  der  darauf  gelieferten 
Preisschrift  der  Herren  Emanuel  Meyer-Nägeli  in  Herisau  und  A.  Schellenberg 
in  Btlrglen  (Verlag  von  J.  Huber  in  Frauenfeld). 

Einfuhr  von  Kammgarnen  im  Jahre  1885:  4001  q  gebleichte  und  gefärbte 
k  Fr.  1000,    1140  q  rohe,   einfache  oder   doublirte   ä  Fr.  900,    551  c^  tq\ä. 


Kammgarn  —      108     —  Kantonalbanken 

drei-  oder  mehrfach  gezwirnte  k  Fr.  950  =  Total  5692  q  im  Werthe  von 
Fr.  5'550,450  (2552  q  aus  Deutschland,  1207  q  ans  Großbritannien,  1047  q 
ans  Belgien,  821  q  aus  Frankreich). 

Ausfuhr  im  Jahre  1885:  7131  q  rohe,  einfache  oder  doublirte  k  Fr.  882, 
626  q  gebleichte  oder  gefärbte  k  Fr.  596,  446  q  rohe,  drei-  oder  mehrfach 
gezwirnte  ä  Fr.  717  ==  Total  8203  q  im  Werthe  von  Fr.  6'984,036  (6508  q 
nach  Deutschland,  842  q  nach  Oesterreioh,  638  q  nach  Italien). 

Kammgras,  das  gemeine,  seines  hohen  Nährstoffgehaltes  wegen  eines 
der  vorzüglichsten  Futtergräser,  auch  ^ Herdgras **  oder  gewöhnlich  einfach  „Kamm- 
gras*' genannt,  ist  bei  uns  auf  Wiesen  und  Triften,  auf  feuchten  und  trockenen 
Grasplätzen,  an  Weg-  und  Ackerrändem  heimisch  und  steigt  bis  hoch  in  die 
Alpen  (Klosters  1200  m,  Rellsthal  1200  m,  Gumigel  1300  m,  Napf  1408  m, 
Serlibühl  1752  m).  Auf  den  schweizerischen  Voralpen  ist  es  häufiger  als  im 
Tiefland.  Mit  Ausnahme  von  sauren  Bodenarten  und  losen  Sandböden  gedeiht 
das  Kammgras  fast  auf  jeder  Unterlage,  am  besten  auf  humusreichen  Mittelböden 
(Lehmboden,  milder  Thon,  Mergel  und  lehmiger  Sandboden),  wo  es  seine  höchste 
Entwicklung  erreicht.  Aber  auch  auf  zähem  Thonboden  entwickelt  et  sich  sehr 
gut.  Es  liebt  im  Boden  Frische,  findet  sich  aber  auch  auf  trockenem,  oft  sogar 
auf  sandigem  Boden,  obwohl  sich  wahrnehmen  läßt,  daß  es  auf  letzterem  kümmer- 
licher fortkommt.  (Aus  „Die  besten  Futterpflanzen**,  von  Dr.  F.  G.  Stehler, 
Verlag  von  K.  J.  Wyß  in  Bern.) 

Kampfzölle.  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  jene  Zölle,  durch  welche 
man  einen  andern  Staat  zwingen  will,  mäßige  Einfuhrbedingungen  herzustellen. 
Solche  Kampfzölle  können  in  der  Schweiz  in  jedem  beliebigen  Moment  geschaffen 
werden  in  Folge  des  Artikels  34  (des  sog.  KampfzoUartikeb)  des  Zollgesetzes 
vom  27.  August  1851,  welcher  lautet: 

«Insbesondere  ist  der  Bundesrath  befu^^,  unter  außerordentlichen  Umständen, 
namentlich  im  Falle  von  Theurung  der  Lebensmittel,  bei  größeren  Beschränkungen 
des  Verkehrs  der  Schweizer  von  Seite  des  Auslandes  u.  s.  f.,  besondere  Maßregln 
zu  treffen  und  vorübergehend  die  zweckmäßig  erscheinenden  Abänderungen  im 
Tarife  vorzunehmen.  Er  hat  indessen  der  Bundesversammlung  bei  ihrer  nächsten 
Zusammenkunft  von  solchen  Verfugungen  Kenntniß  zu  geben  und  dieselben  können 
nur  fortdauern,  wenn  die  Bundesversammlung  ihre  Genehmigung  ertheilt.* 

Andere  Staaten  haben  ähnliche  Bestimmungen  in  ihren  Zollgesetzen. 

Kanada.  Betreffend  den  schweizerischen  Waarenverkehr  mit  K.  s.  Britisch 
Nordfionerika,  Seite  836  im  I.  Band. 

Kantonalbanken,  ohne  die  selbstständigen  Hypothekarbanken. 
(Mitgetheilt  von  Herrn  Sandoz,  Adjunkt  des  Inspektors  der  Emissionsbanken.) 
Folgende  Kantone  haben  Kantonalbanken :  Appenzell  A.-Rh.  seit  1876,  Baselland 
seit  1868,  Bern  seit  1834,  Freiburg  seit  1867,  Glarus  seit  1884,  Gh^ubttnden 
seit  1870,  Luzern  seit  1850,  Neuenburg  seit  1883,  Nidwaiden  seit  1879, 
Schaffhausen  seit  1883,  Solothurn  seit  Januar  1886,  St.  Gallen  seit  1867, 
Thurgau  seit  1870,  Uri  seit  1837,  Waadt  seit  1845,  Zörich  seit  1870,  Ob- 
walden  seit  1886. 

Der  Kanton  Aargau  ist  zur  Hälfte  an  der  seit  1854  bestehenden  „Aar- 
gauischen Bank**  betheiligt;  der  Staat  Solothurn  besaß  die  Hälfte  der  Aktien 
der  im  Jahre  1857  entstandenen  und  Ende  1885  eingegangenen  „Solothumischen 
Bank«. 

Diese  Kantonalbanken  waren  Ende  1885  insgesammt  mit  Fr.  62*750,000 
staatlichem  Kapital  dotirt,  nämlich :  Appenzell  A.-Bh.  Fr.  2*000,000,  Baselland 
3*000,000,  Bern  10*000,000,  Freiburg  750,000,  Glarus  1*000,000,  Granbünden 


KaDtonalbanken  —      109     —  Kartoffel 

2'000,000,  Lnzern  1*000,000,  Neuenburg  4'000,000,  Nidwaiden  500,000, 
Schaff  hausen  1*000,000,  St.  Gallen  6*000,000,  Thurgau  2*500,000,  Uri  500,000, 
Waadt  12-000,000,  Zürich  12*000,000  (Aargau  3*000,000  =  V2  von  6*000,000, 
Solothum  1*500,000  =  V«  von  3*000,000). 

Von  ihren  Geschäftsergebnissen,  Steuern  und  Beservefonds  nicht  inbegriffen, 
lieferten  diese  Banken  im  Durchschnitt  der  hienaoh  angegebenen  Jahre  jährlich 
an  den  Staat  ab : 


Appenzell  A-Rh.  ^)  9  Jahre,  je  Fr.  109,159 

Baselland  ...  10  ,  ,  ,  94,156 

Bern 10  „  „  ,  467,400 

Freiburg    ...  10  ,  „  ,  81,377 

Glarus    .    .    .    .  S  „  „  „  40,000 

Graubünden   .    .  10  „  „  „  110,680 

Luzem  ....  10  „  „  ,  114,225 

Neuenburg      .     .  3  „  „  ,  146,667 

Nidwaiden.    .    .  6  ,  ,  ,  18,648 


3  Jahre,  je  Fr. 

32,910 

10  .   .  . 

301,466 

10   ,   .  . 

96,373 

"     »      t»   » 

26,217 

10   ,   ,  . 

637,200 

10   ,   .  , 

513,234 

**    n     m      f> 

257,333 

10   ,   „  , 

82,050 

Schaffhausen 
St.  Gallen 
Thurgau  . 
Uri  .    .    . 
Waadt .    . 
Zürich .     . 
Aargau 
Solothurn 

Total  e.  Jahresdurchschnittes  Fr.3'119,095 

Siehe  im  Uebrigen  die  Artikel  „Bankwesen**   und  „Emissionsbanken**. 

Kappenmacherei.  Diesem  meistens  in  Verbindung  mit  der  Kürschnerei 
betriebenen  Gewerbe  lagen  im  Jahre  1880  (laut  eidg.  Yolkszählungsstatistik) 
105  Personen  ob.  Birkhänser*s  Adreßbuch  (Basel,  1885)  gibt  die  Adressen  von 
109  Kappen-  und  Mützenmachern. 

Die  Einfuhr  von  Etappen  aller  Art  betrug  im  Jahresdurchschnitt  1872/81 : 
97  q,  1883:  186  q,  1884:  188  q;  die  1885er  Waarenverkehrsstatistik  gibt  die 
Einfuhr  nicht  mehr  an. 

Ausfuhr  1884:  7  q. 

Kardengarnituren  (Kratzeubesohläge,  Krempeln,  zum  Kämmein  oder 
filardiren  der  verschiedenen  Spinnstoffe)  werden  in  der  Schweiz  besser  fabrizirt 
als  sonst  irgendwo.  Es  sind  in  der  Schweiz  hiefUr  ca.  300  Maschinen  und 
eben  so  viele  Arbeiter  thätig,  fast  ausschließlich  im  Kanton  Zürich.  Drei  Viertel 
der  Produkte  werden  exportirt. 

Die  Ausfuhr  betrug  im  Jahre  1885:  436  q  ä  Fr.  8487«;  davon  164  q 
nach  Deutschland,  125  q  nach  Italien,  104  q  nach  Oesterreich,  31  q  nach 
Frankreich. 

Einfuhr  1885:  158  q  ä  Fr.  650;  davon  60  q  aus  Großbritannien,  56  q 
ans  Dentschland,  24  q  aus  Frankreich,   14  q  aus  Belgien. 

Karlsbadersalz,  künstliches,  fabrizirt  u.  A.  die  Firma  Carl  Glenk  in 
Schweicerhalle  (Baselland). 

Karmeliter-Reinette,  auch  Forellen-Reinette,  Perlen-Reinette  genannt, 
Tafel-  nnd  Wirthschaftsfrucht  zweiten  Ranges  (Winterfrucht),  ist  auch  in  den 
obatbantreibenden  Gegenden  der  Schweiz  verbreitet.  („Schweizerische  Obstsorten'*, 
Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhorn  in  St.  Gallen.) 

Kartoffel.  (Grossentheils  nach  einem  Manuskript  des  Herrn  A.  Roth, 
Präsident  der  Oekonomischen  Gesellschaft  des  Oberaargau.)  Tr.  G-eerituj  schreibt 
in  seinem  Werke  „Handel  und  Industrie  der  Stadt  Basel**  auf  Seite  578: 
„Schon  10  Jahre  nach  ihrer  Einführung  in  Europa  erwähnt  Caspar  Bauhin  in 
seiner  Phytopinaux  1596  die  Kartoffel;  er  gibt  ihr  den  heutigen  Namen  „Sola- 
num tuberosam**  nnd  erzählt  davon:  Die  Italiener  essen  sie  gerne  und  nennen 
die  Knollen  Tartuffoli.  Auch  pflegen  die  Leute  in  Burgund  die  Wurzeln  entweder 
in  der  Asche  zu  braten  oder  gekocht  zu  essen.*" 

^)  Wo  die  Zahl  9  angegeben  ist,  fehlte  dem  Bearbeiter  dies^es  Artikels  ein  Geschäfts- 
bericht der  betreffenden  Bank  aus  dem  letzten  Jahrzehnt. 


Kartoffel  —      HO     —  Kartoffel 

Im  Femern  erzählt  ans  Fritz  Rödiger  in  seiner  ^Greschiohte  der  schweize- 
rischen Landwirthschaft**,  daß  um  1697  die  Kartoffel  als  Nährpflanze  im  Glamer 
Land  knltivirt  worden  sei,  wohin  sie  der  Handelsmann  Jakoh  Strub  von  Schwanden 
gebracht  habe. 

Endlich  ersehen  wir  aus  dem  Artikel  «Freiburg**  in  diesem  Lexikon,  Seite  670, 
daß  um  1748  die  Kartoffel  auch  an  der  Berner  Grenze  gepflanzt  wurde. 

Von  da  an  dauerte  es  nicht  mehr  lange,  bis  die  herrliche  Frucht  allge- 
meinere Verbreitung  fand.  Der  aligemeine  Miß  wachs  von  1770 — 1772  und 
die  daraus  entstandene  Hungersnoth  lehrten  das  Volk,  die  bis  anhin  nur  als 
Nebenspeise  betrachtete  Kartoffel  zu  einem  Hauptnahrungsmittel  zu  machen.  Der 
Anbau  blieb  aber  noch  sehr  lange  nur  fUr  den  Bedarf  der  Menschen  beschränkt ; 
erst  im  Laufe  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts  wurde  ihre  Verwendungsfähigkeit 
als  Viehfutter  und  als  Rohstoff  für  chemische  and  technische  Zwecke  entdeckt. 
Zur  Zeit  werden  allein  in  den  schweizerischen  Brennereien  300,000  —400,000  q 
Kartoffeln  verarbeitet. 

Die  Anzahl  der  KartoffeUorten,  welche  erzeugt  werden,  ist  außerordentlich 
groß,  da  es  durch  die  Aussaat  von  Kartoffelsamen  leicht  gelingt,  neue  Sorten 
zu  gewinnen. 

Die  gegenwärtig  bekannten  Sorten  belaufen  sich  auf  hunderte,  welche  sich 
durch  Knollen,  Größe  und  Gestalt,  Farbe,  Elraut  und  Blüthe  von  einander  merk- 
lich unterscheiden,  in  ihrer  Vegetation  ganz  bedeutend  von  der  Art  des  Bodens 
und  den  klimatischen  Einflüssen  abhängig  sind. 

Allgemein  unterscheidet  man  frühe,  mittelfrühe  und  späte  Kartoffeln,  welche 
sich  dann  wieder  je  nach  ihrer  Zweckbestimmung  gliedern  in  Speisekartoffeln, 
Wirthöchaftskartoffeln  und  Futterkartoffeln. 

Seit  Anfang  der  70er  Jahre  haben  sich  viele  neue  fremde  Sorten  in  der 
Schweiz  Eingang  verschafft.  Durch  einen  glücklichen  Saatwechsel,  verbunden  mit 
sorgfältiger  Anpflanzung,  ist  der  Ertrag  an  Kartoffeln  ganz  bedeutend  gesteigert 
worden.  Kartoffelsamenmärkte,  von  den  landwirthschaftlichen  Vereinen  in^s  Leben 
gerufen,  erleichtern  bedeutend  den  so  nützlichen  Saatwechsel. 

Von  den  neueren  Sorten  sind  besonders  erwähnenswerth : 

1)  Frühe  und  späte  Rosenkartoffel^  auch  weiße  Rosenkartoffel j  in  neuerer 
Zeit  Schneeflocke,  welche  so  zu  sagen  jetzt  in  der  ganzen  Schweiz  verbreitet  sind 
und,  obwohl  etwas  seifenartig,  den  großen  Vorzug  haben,  daß  sie  früh  reifen, 
gerade  in  derjenigen  Zeit,  während  welcher  der  Landwirth  und  speziell  der  arme 
Mann  mit  Lebensmitteln  am  wenigsten  mehr  versehen  ist. 

2)  Redskin  floiir  ball  (rothhäutige  Mehlkugel),  irrthümlich  auch,  ihrer  Farbe 
wegen,  ,,späte  Rosen**  benannt,  eine  Speise-  und  Brennereikartoffel  ersten  Ranges. 
Sie  ist  durch  einen  Landwirth  aus  dem  Oberaargau  zuerst  im  Jahre  1872  auf 
den  Markt  gebracht  worden.  Diese  späte  Kartoffel  hat  sich  wegen  ihrer  großen 
Ertragsfähigkeit  und  ihrer  Widerstandsfähigkeit  gegen  Krankheit  enorm  verbreitet. 

3)  Richter^s  Imperator^  ebenfalls  eine  vorzügliche  Wirthschaftskartoffel 
ersten  Ranges,  mit  ganz  hohen  Erträgen.  Da  sie  wenig  keimfähige  Augen  hat, 
kommt  sie  als  Saatgut  im  Preise  höher  als  andere  Sorten  zu  stehen. 

4)  Magnum  honum^  aus  Pommern  eingeführt,  ist  eine  vorzügliche  Kartoffel- 
sorte, welche  sehr  ergiebig  und  widerstandsfähig  gegen  Krankheit  ist;  sie  verdient 
allgemeine  Verbreitung. 

5)  Champion.  Diese  Kartoffel,  auf  trockenem  Boden  gepflanzt,  ist  eine  der 
ergiebigsten,  schmackhaftesten  und  haltbarsten  Sorten,  die  aber  nicht  zu  tief 
gepflanzt  werden  darf. 


Xartofifel  —      111      —  Kartoflfel 

6)  Hertha,  aus  Norddeatschland  eingeführt,  ist  mit  großem  Erfolg  gepflanzt 
worden,  reift  aber  erst  Mitte  Oktober ;  sie  eignet  sich  vorzüglich  als  Wirthschafts- 
kartoffel. 

7)  The  farmers  blush  (des  Landmanns  Ergötzen),  noch  sehr  wenig  bekannt, 
aber  in  Qüalitfit  und  Ertrag  ganz  ausgezeichnet,  ist  eine  Spätkartoffel  ganz  ersten 
Ranges  und  eine  Marktfrucht,  welche  eine  schöne  Zukunft  hat. 

Diese  Hauptsorten  werden  im  Großen  angebaut  und  übertreffen  an  Er- 
giebigkeit alle  einheimischen  Sorten.  Wohl  sind  noch  eine  Menge  neuere  Sorten 
angebaut  worden,  in  der  Regel  aber  kann  erst  im  dritten  Jahre  des  Anbaues 
ein  richtiges  Urtheil  abgegeben  werden. 

Die  älteren  heimischen  Sorten  sind  schwer  zu  benennen,  verschwinden  nach 
und  nach,  immerhin  sind  noch  ganz  vorzügliche  Sorten,  wie  Brienzer,  späte 
Amerikaner,  sächsische  Zwiebelkartoffel,  Pfälzer,  Elsäßer  etc.  als  vorzügliche 
Speisekartoffeln  bekannt. 

Herr  Mühlemann,  Chef  des  kantonalen  bemischen  statistischen  Bureau, 
berechnet  in  seiner  „Schätzung  der  schweizerischen  Bodenproduktion **,  auf  S.  175 
der  «Zeitschrift  für  schweizerische  Statistik'',  3.  und  4.  Quaitalheft  von  1886, 
daß  auf  den  Eartoffelbau  in  der  Schweiz  107,219  ha  entfallen.  Es  macht  dies 
5  ^/o  des  gesammten  schweizerischen  Kulturlandes  ohne  Weinberge  und  Wald. 
Der  Kanton  Bern  hat  2i,605  ha  Kartoffelfeld  =  5,5  7o,  der  Kanton  Zürich 
6179ha  =  5,8  ®/o,  der  Kanton  Schaff  hausen  2447  ha  =  17,5  *^/o,  somit  müssen, 
wenn  die  Berechnung  des  Herrn  Mühlemann  für  die  ganze  Schweiz  zutreffen  soll, 
für  die  übrigen  Kantone  zusammen  76,988  ha  Kartoffelland  verbleiben  =r  4,7  ^o 
ihres  ganzen  Kulturbodens  ohne  Eebberge  und  Wald. 

Den  Kartoffeler^rof/  betreffend,  weisen  die  amtlichen  statistischen  Publika- 
tionen der  Kantone  Bern,  Zürich  imd  Schaffhausen  in  den  Jahren  1884  und 
1885  66—152  q  per  ha  auf  (Bern  1885:  152  q,  Zürich  1885:  97  q  frühe 
und  120  q  späte,  1884:  86  q  frühe  und  115  q  späte,  Schaffhausen  1884:  66  q). 
Im  Kanton  Genf  war  der  durchschnittliche  Ertrag  im  Jahre  1885  97  q,  im 
Kanton  Freiburg  auf  137,5  q  per  ha  geschätzt,  im  Kanton  Baselstadt  im  Jahre 
1884  auf  62  q.  Da  1885  ein  sehr  gutes  Kartoffeljahr  war,  1884  ein  mittel- 
mäßigeSy  so  wird  man  gut  thun,  den  Durchschnittsertrag  für  die  ganze  Schweiz 
io  einem  MÜteljahre  auf  nicht  mehr  als  100  q  per  ha  zu  berechnen,  somit 
insgesammt  auf  nicht  mehr  als  10' 7  2 1,900  oder  rund  11  Millionen  Meterzentner. 
Der  Ertrag  eines  guten  Kartoffeljahres  dürfte  auf  120—125  q  per  ha  zu  ver- 
anschlagen sein,  somit  die  Gesammternte  auf  ca.   IS^a  Millionen  q. 

Der  Geldioerth  des  Doppelzentners  Kartoffeln  war  im  Kanton  Zürich  laut 
amtlicher  Statistik  im  Jahre  1884  durchschnittlich  Fr.  7.  40  für  frühe,  Fr.  5.  90 
für  späte,  im  Jahre  1885  durchschnittlich  Fr.  7.  40  für  frühe,  Fr.  5.  90  für 
epftte.  In  der  schweizerischen  Waarenverkehrsstatistik  pro  1885  ist  der  Einfuhr- 
Einheitswerth  per  q  auf  Fr.  5.  20  angegeben.  Legt  man  als  durchschnittlichen 
Gelderlös  für  100  kg  Kartoffeln  in  einem  Mitteljahre  Fr.  6.  50  an,  so  repräsen- 
tiren  die  in  einem  Mitte^ahr  geemteten  1 1  Millionen  q  einen  Gesammt-Geldwerth 
von  71 7s  Millionen  Franken,  die  in  einem  guten  Jahre  geemteten  IBVa  Mil- 
lionen q  (&  Fr.  5.  50)  74  Millionen  Franken. 

Das  Samenqnantum  verhält  sich  zu  der  Kartoffelernte,  laut  amtlicher  Statistik 
von  Zürich  (Jahrgang  1885),  wie  10,4  zu  100  bei  den  Frühkartoffeln  und  wie 
11,6  zu  100  bei  den  Spätkartoffeln. 

Die  Koaten  für  Düngung,  Bestellung  und  Ernte  werden  in  der  amtlichen 
süroheriBcben  Statistik   auf  durchschnittlich  Fr.  264   per  ha  angegeben  für  di^ 


Kartoffel  —      112     —  Kartographie 

Frühkartoffeln  und  auf  Fr.  258  per  ha  für  die  Spätkartoffeln  =  51,4  7o  resp. 
52,6  7o  ^^  Geldwerthes  der  Ernte. 

Einfuhr  und  Ausfuhr  von  Kartoffeln  (ohne  G-renzverkehr) : 

Im  Jahres-  Einfuhr  Ansfahr 

durchschnitt  q  q 

1851—1860  63,762  — 

1861  —  1870  104,420  — 

1871—1880  286,512  12,740 

1881  —  1885  301,359  9,921 

Von  den  177,146  q  Kartoffeln  (inkl.  1229  q  im  Grenzverkehr),  welche  im 
Jahre  1885  eingeführt  wurden,  kamen  161,118  q  aus  Deutschland,  12,807  q 
aus  Frankreich. 

Seit  der  Getreidehau  in  der  Schweiz  wenig  rentahel  geworden  ist,  arbeitet 
die  Landwirthschaft  auf  einen  intensiven  Futterbau  hin.  Die  Kartoffel  hilft  hiezu 
wesentlich  mit,  weil  sie  sich  für  die  Zubereitung  des  Bodens  zu  Kunstwiesen  als 
Vorfrucht  besonders  gut  eignet.  Die  hohe  Bedeutung  des  Kartoffelbaues  für  den 
gegenwärtigen  Betrieb  der  Landwirthschaft  ist  daher  allseitig  anerkannt. 

Kartoffelstärke  wird  in  der  Schweiz  wenig  fabrizirt.    Vergl.  Amlung. 

Kartographie.  Die  Leistungen  der  schweizerischen  Kartographie  der  älteren 
und  neueren  Zeit,  amtliche  sowohl  als  auch  private,  nehmen  unter  denjenigen 
aller  übrigen  Staaten  einen  hohen  und  ehrenvollen  Rang  ein.  Die  erste  Schweizer- 
karte veröffentlichte  der  Glamer  Äegidius  Tschudi  im  Jahre  1538.  Derselbe 
stellte  die  Terrainerhebungen  maalwurfhügelartig  dar  und  sein  Situationspian 
beruhte  auf  Distanzaufnahmen  k  vue.  Seine  Nachfolger  (ausgenommen  die  Ztlrcher 
Murer  und  GygeTj  die  ihrer  Zeit  weit  voran  eilten)  arbeiteten  in  dieser  Art 
fort  bis  auf  Scheuchzer,  der  für  seine  Schweizerkarte  von  1712  bereits  eine 
Beule  von  Ortsbestimmungen  und  Höhenmessungen  vorgenommen  hatte.  Geßner, 
J.  Ä,  Mollety  De  Luc,  De  Saussure  arbeiteten  anf  dieser  Bahn  weiter.  General 
JPfyffer,  Studer  etc.  bemühten  sich  durch  Anfertigung  von  Reliefs  um  eine 
vollkommenere  Terraindarstellung.  Allmälig  gelangte  das  Schraffirsysiem  zur 
Ausbildung,  am  höchsten  in  Meyer's  Atlas  der  Schweiz,  1796 — 1802.  Die 
nachfolgende  Zeit  galt  der  strengeren  ErfüUang  der  geodätischen  Anforderungen 
und  der  Erreichung  möglichster  mathematischer  Genauigkeit.  Das  System  der 
triangulären  Vermessungen,  durch  Tralles,  Hasler,  Fehr  etc.  schon  vor  der 
französischen  Bevolation  eingebürgert,  wurde  nach  kurzem  Unterbruch  zu  Anfang 
des  neuen  Jahrhunderts  wieder  aufgenommen.  Dann  trat  die  Eidgenossenschaft 
an  die  Spitze  der  Bestrebungen.  Die  unter  der  Leitung  General  Dufour^B  ent- 
standene schweizerische  Generalstabskarte  (1  :  100,000)  leitete  eine  neue  Epoche 
ein.  Zur  schichtenweisen  Aufnahme  des  Terrains,  Schraffenzeichnung  und  An- 
wendung der  schiefen  Beleuchtung  war  damit  eine  sichere,  mustergültige  Grund- 
lage gelegt. 

Hch,  Keller,  Ziegler,  B.  Leueinger  etc.  popularisirten  das  Karten wesen 
durch  ihre  vortrefflichen  Schul-  und  Beisekarten.  Weiterhin  folgte  der  noch  nicht 
vollendete,  große  Siegfried'sche  Atlas  mit  neuer  Aufnahme  des  Landes  und 
Kartirung  im  Maßstab  von  1  :  25,000  des  Hügellandes,  1  :  50,000  der  Gebirge. 
Vieles  tragen  in  neuerer  Zeit  außer  den  einzelnen  Gelehrten  die  geographischen 
Gesellschaften  und  sonstigen  wissenschaftlichen  Vereine,  sowie  auch  die  großen 
kartographischen  Institute  von  Wurster,  Randegger  &  Co.  in  Winterthur,  Müll- 
haupt &  Sohn  in  Bern,  J.  Wurster  &  Ck).  in  Zürich  etc.,  zur  Hebung  des 
schweizerischen  Kartenwesens  bei. 


Kartographie  —     113     —  KastaDien-Extrakt 

Was  Atlanten  anbetrifft,  so  sind  in  der  Schweiz  fast  ausschließlich  aus- 
wärtige Werke  im  Gebrauch;  ebenso  verhält  es  sich  vorwiegend  mit  Wandkarten, 
die  nicht  spezieil  die  Schweiz  zum  Gegenstande  haben.  (Vgl.  Prof.  Ämrein^s 
Fachbericht  über  Kartographie  an  der  Schweiz.  Landesausstellung  von   1883.) 

Die  eidg.  Yolkszählungsstatistik  pro  1880  gibt  die  Zahl  der  mit  Kartographie 
beschäfrigten  Personen  auf  37  an  (21  Zürich,  7  Bern,  4  Baselland,  3  Genf, 
1   St.  Gallen,   1  Thurgan). 

Kasseler-Beinette,  große,  eine  vortreffliche  Winterfrucht,  ist  für  die 
Tafel  und  Küche  von  gleich  hohem  Werthe,  sowie  für  Mostbereitung  ausgezeichnet. 
Als  Markt-  und  Handelsobst  ist  sie  ebenfalls  sehr  beliebt.  Diese  Gold-Reinette 
kommt  nur  vereinzelt,  jedoch  in  den  meisten  Kantonen  der  Schweiz  vor.  Sie 
ist  in  Beziehung  auf  Lage  und  Boden  nicht  wählerisch.  Der  Baum  wird  seiner 
außerordentlichen  Tragbarkeit  wegen  nur  mittelgroß.  Sehr  oft  wird  derselbe  zum 
Umpfropfen  geringerer  Sorten  mit  gutem  Erfolg  benutzt.  („Schweizerische  Obst- 
sorten**, Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhorn  in  St.  Gtillen.) 

Kastanien.  Die  Kastanie  wächst  in  ursprünglicher  Kraft  und  zusammen- 
hängender Fülle,  gleichsam  als  Charakterpflanze,  nur  im  Kt.  Tessin  und  in  den 
Büdlichsten  Thälern  Graubüudens.  Hier  ist  sie  in  ihrem  eigensten  Element,  im 
Yollgennß  milder  Temperatur  und  abundanter  Feuchtigkeit,  im  Schutz  hoher 
Berg^,  an  sonnigen  Abhängen.  Sie  steigt  hier  in  der  Regel  bis  zu  einer  Höhe 
von  900  m,  wo  sie  von  der  Buche,  Lärche  und  Rothtanne  abgelöst  zu  werden 
pflegt.  Vor  Einführung  der  Kartoffel  bildete  ihre  Frucht  in  diesen  Südthälern 
in  Verbindung  mit  dem  Mais  die  Basis  der  Volksnahrung.  Neben  der  Frucht- 
nutzung wird  sie  häufig  als  Unterwald  zur  Gewinnung  von  Holz  für  Rebstöcke 
knltivirt.    Außerdem  ist  ihr  Holz  zu  Fässern  sehr  geschätzt. 

Mehr  oder  weniger  zeigt  sich  die  Kastanie  auch  im  untern  Rhonethal,  an 
den  Grestaden  des  Genfersees  von  Bouveret  bis  Lutry  und  zwischen  Genf  und 
Morges,  am  Südufer  des  Neuenburgersees,  dann  namentlich  noch  —  und  das  ist 
die  nördlichste  Kastanienoase  von  etwelcher  Ausdehnung  in  der  Schweiz  —  am 
Vierwaldbtätter-  und  am  Zugersee.  An  allen  diesen  vom  Klima  bevorzugten  Orten 
ist  es  aber  nicht  mehr  die  üppige  Pflanze  und  Frucht  des  Tessins,  die  gedeiht. 
Der  Baum  ist  gewöhnlich  knorrigeren  Stammes  und  niedriger,  die  Krone  nicht 
80  dicht  geschlossen;  die  Frucht  ist  im  Wallis  noch  gut,  am  Vierwaldstättersee 
nur  mittelmäßig.  Im  Wallis  und  Waadt  beginnt  der  edle  Baum  der  Kultur  zum 
Opfer  zu  fallen;  er  beschattet  die  Wiese,  beansprucht  viel  Raum,  muß  daher 
von  Jahr  zu  Jahr  mehr  dem  Bestreben  intensiverer  Ausnutzung  des  Bodens 
weichen,  nicht  ohne,  wie  man  befürchtet,  zuletzt  den  Vorzügen  des  lokalen 
Klimas  Abbruch  zu  thun. 

Weiter  als  die  Kultur  des  Baumes  ist  in  der  Schweiz  der  Genuß  der 
mehligen  Frucht  verbreitet,  weßhalb  eine  nicht  unwesentliche  Einfuhr  stattfindet. 
(Vgl.   Christ' fi  „Pflanzen leben  der  Schweiz**.) 

Einfuhr  von  Kastanien  1868:  3218  q,  im  Jahresdurchschnitt  1872/81: 
14,055  q,  1883:  17,789  q,  1885:  14,785  q  ä  Fr.  30,  wovon  10,743  q  aus 
Italien,  3831  q  aus  Frankreich. 

Ausfuhr  1863:  2005  q,  1873:  2332  q,  1883:  3470  q,  1885:  2365  q 
a  Fr.  16.  50.     1957  q  gingen  nach  Italien. 

Kastanien- Extrakt.    Einfuhr  im  Jahresdurchschnitt  1872/81 :  6399  q 
1883:  6305  q,  1884:  4642  q,   1885:  3430  q  k  Fr.  30;  davon  2588  q  aus 
Frankreich,  449  q  aus  Deutschland,   145  q  aus  Italien. 

Fvrrer,  Volkawirthtfchafts-Lcxikdu  <lur  Schweiz.  ^ 


Kastanien-Extrakt  —     ]  14     —  Katasterwesen 

Ausfuhr  1884;  44  q,  1885;  219  q  a  Fr.  39;  davon  168  q  nach 
Deutschland,  44  q  nach  Italien. 

Katasterwesen.  (Mitgetheilt  von  Herrn  Professor  J.  Rehstein  in 
Hottiogen.)  Das  Kataster wesen,  das  zum  Gegenstand  die  geometrische  und  gesetz- 
liche Feststellung  des  Grundeigenthums  hat,  hildet  einen  besonderen ,  und  wie 
aus  unserer  Zusammenstellung  hervorgehen  wird,  leider  noch  zu  wenig  gewürdigten 
Zweig  der  exakten  Wissenschaften  und  des  Immobiliarsachenrechtes.  Es  hat  sich, 
wie  das  letztere,  auf  rein  kantonalem  Boden  ausgebildet.  Eine,  wenn  auch  nicht 
tief  eingreifende,  doch  fruchtbringende  Zentralisation  brachte  uns  das  Konkordat 
für  gemeinschaftliche  FrUfung  der  Geometer  und  deren  Freizügigkeit,  welches 
anf  Anregung  der  Regierung  des  Kantons  Aargau  unterm  20.  Januar  1868  von 
den  Kantonen  Zürich,  Bern,  Luzern,  Solothurn,  Baselstadt,  SchafThausen,  Aargau, 
Thurgau  abgeschlossen  wurde  und  dem  seither  noch  die  Kantone  Uri,  Baselland 
und  St.  Gallen  beigetreten  sind.  Dieser  Verband  hat  wesentlich  dazu  beigetragen, 
Einheit  in  die  Mannigfaltigkeit  zu  bringen,  durch  strengere  Anforderungen  an 
das  technische  Personal  den  G^ometerstand  zu  heben,  durch  einheitliche  Normen 
für  die  Vermessungen  die  Qualität  und  Zuverlässigkeit  der  Operate  zu  erhöhen 
und  den  Vermessungswerken  größern  wissenschaftlichen  Werth  zu  verleihen. 

Die  Konkordatskantone  tnnd  im  IJebrigen  in  der  Katastergesetzgebung 
souverän  und  es  ist  ihnen  sonach  freigestellt,  Vermessungen  vornehmen  zu  lassen 
oder  nicht. 

Im  Kanton  Zürich  ist  die  Vornahme  der  Parzellarvermessungen  den  Ge- 
meinden anheimgestellt.  Von  164,910  Hektaren  Gesammtfläche  sind  nur  13,170 
Hektaren,  größtentheils  polygono metrisch  vermessen,  und  nur  diejenigen  Gemeinden, 
in  welchen  eine  Grundprotokollbereinignng  stattgefunden,  besitzen  einen  förm- 
lichen Kataster;  in  den  andern  tritt  an  dessen  Stelle  die  sog.  Hofbeschreibung, 
in  welcher  die  Liegenschaften  nur  in  allgemeinen  Umrissen  beschrieben  sind. 
Eigenthumsübergang,  Pfandverschreibungen  notirt  man  nach  der  Zeit  der  Präsen- 
tation in  dem  Grund  Protokolle,  das  somit  nur  den  Charakter  eines  Geschäfts- 
Protokolls  oder  Geschäftsjournals  hat. 

Die  Dinglichkeit  des  Eigenthums  und  der  Hypothek  ist  klar  ausgesprochen; 
dagegen  treffen  wir  noch  das  Institut  der  Einzinserei  uud  Geschreiungen,  das 
sich  mit  dem  Prinzip   der  Spezialität  nicht  verträgt. 

Die  vom  Regier ungsrathe  im  Jahre  1881  für  die  Reorganisation  des  Ver- 
messungs-  und  Kataster wesens  bestellte  Kommission  befürwortet  das  Grundbuch- 
system  im  Anschluß  an  eine  allgemeine  Landesvermessung.  Dieser  müßte  indeß 
eine  Triangnlirung  vorausgehen,  weil  die  im  Jahre  1843  für  die  topographische 
Aufnahme  aufgeführte  Dreiecksmessung  im  Laufe  der  Zeit  unbrauchbar  geworden. 
Die  Gesammtausgabe  ist  auf  ca.  Fr.  2'4 20,000  veranschlagt. 

Im  Kanton  Bern  begegnen  wir  in  beiden  Kantonstheilen  verschiedenartigen 
Verhältnbsen.  Im  jurassischen  Kantonstheile  gilt  für  den  Immobilien  verkehr  der 
Code  Civil  Napoleon  in  seiner  ursprünglichen  Fassung.  Eine  Vermessung  mit 
dem  Meßtisch  und  Katastrirung  des  ganzen  Gebietes  wurde  schon  im  Jahre  1841 
dekretirt  und  im  Zeiträume  1845 — 1870  durchgeführt;  der  E^ataster  ist  jedoch 
vornehmlich  Steuerregister  und  wird  nur  mit  Rücksicht  auf  diese  Au^be  nach- 
getragen. 

Um  eine  gleichmäßige  Besteuerung  der  Grundbesitzer  in  den  beiden  Kantons- 
theilen zu  erreichen  und  zugleich  eine  richtige  Grundlage  für  das  Hypothekar- 
System  zu  erhalten,  hat  man  dann  die  Parzellarvermessungen  auch  auf  den  alien 
Kantonstheil  ausgedehnt  (Gresetze  vom  29.  Mai  1849,  18.  März  1867  und  Dekret 


Eatasterwesen  —      115      —  Katasterwesen 

des  Großen  Rathes  vom  1.  Dezember  1874) 'und  nach  streng  wissenschaftlichen 
Prinzipien  ausgeführt.  Die  damals  aufgesteÜte  Grundbuchordnung,  welche  u.  A. 
ein  Lagerbuch  und  Flurbuch  in  Aussicht  nahm,  das  die  Grundlage  und  den 
Ausweis  für  alle  Beohte  an  Liegenschaften  büden  sollte,  ist  bis  heute  Projekt 
geblieben.  Pfandverschreibungen  und  Fertigungen  sind  in  die  nach  dem  Personal- 
system  geordneten  Protokolle  einzutragen. 

Yon  den  515  Gemeinden  sind  bis  jetzt  (Mitte  1886)  349  vermessen  und 
zwar  289  nach  der  Polygonarmethode.  Li  94  Gemeinden  ist  die  Vermessung 
eingeleitet. 

Li  den  Kantonen  Luzem,  Uri,  Schwyz,  Unterwaiden,  Glarus,  Zug  sind  von 

Gesetzes  wegen  bis  jetzt  noch  keine  Gemeindevermessnngen,  sondern  nur,  und 
vorab  in  erstgenanntem  Eanton,  Wald  Vermessungen  vorgenommen  worden.  Um 
den  Hängein,  welche  dem  Pfandbuchsystem  anhaften,  einigermaßen  zu  begegnen 
(namentlich  um  Doppelverpfändungen  zu  verhüten),  schreiben  die  Kantone  Luzem^ 
Schwyßf  Obwalden,  Glarus,  Zug  von  Zeit  zu  Zeit  Kapitalbereinigungen  und  in 
Verbindung  damit  die  Anfertigung  von  Liegenschaftsverzeichnissen  vor.  Diese  sog. 
Grundbücher  besitzen  aber  nicht  den  erforderlichen  Grad  der  Zuverlässigkeit  und 
können  auch  nicht  als  integrirende  Bestandtheile  der  Hypothekenbücher  angesehen 
werden,  üri  und  Nidwälden  schreiben  für  den  Eigenthumsübergang  keine 
Fertigungen  vor. 

In  hohem  Maße  beachtungswerth  sind  die  Vorschriften  für  das  bei  der 
Führung  der  Kataster-  und  Hypothekenbücher  in  den  Kantonen  Freiburg  und 
Neuenburg  zu  befolgende  Verfahren.  Von  der  richtigen  Ansicht  geleitet,  daß 
auch  das  beste  Hypothekargesetz  seine  segensreichen  Wirkungen  ohne  innige 
Harmonie  mit  einem  authentischen  Nachweis  des  Ghrundeigenthums  nicht  in  vollem 
Umfange  zu  äußern  vermag,  haben  die  Gesetzgeber  dieser  Elantone  mit  der  An- 
ordnung der  Parzellarvermessung  zum  voraus  auch  die  Etablirung  des  Katasters 
und  dessen  Verbindung  mit  der  Hypothekarverwaltung  in  präziser  Weise  be- 
stimmt. Während  gewöhnlich  die  Katastervermessungen  hauptsächlich  zu  dem 
Zwecke  angeordnet  wurden,  um  den  Grundbesitz  lichtig  taxiren  und  gerecht  be- 
steuern zu  können,  so  hat  man  dagegen  bei  der  im  Jahre  1864  dekretirten 
Parzellarvermessung  im  Kanton  Neuenbürg  nur  die  Eegulirung  des  Hypotheken- 
wesens  und  die  Sicherung  des  Grundbesitzes  in^s  Auge  gefaßt  und  weil  die 
Grundsteuern  in  diesem  Kanton  nicht  gestattet  sind,  von  einer  Klassifikation 
und  Schätzung  der  Liegenschaft  Umgang  genommen. 

Die  Gemeinden  des  Kantons  Freiburg  wurden  von  1843  an  bis  heute  mit 
dem  Meßtisch  aufgenommen ;  einige  nach  vorausgegangener  trigonometrischer  oder 
polygonometrischer  Bestimmung  einer  größeren  2iahl  von  Hauptpunkten.  Nach 
der  vom  Generalkommissär,  M.  Bise,  bearbeiteten  Statistik  der  Katastration  des 
Sjintons  Freiburg  beziffern  sich  die  Ausgaben  für  die  Vermessung,  inbegriffen 
Verifikationskosten  und  Bureauarbeiten,  auf  Fr.  1^426,339  oder  pro  Hektare 
durchschnittlich  Fr.  9.   13. 

Die  Geometer  hatten  die  Wahl  zwischen  Meßtisch  und  Theodolith ;  in  praxi 
nehmen  sie  die  Städte  und  Dörfer  polygunometrisch,  das  übrige  Land  mit  dem 
Meßtisch  auf. 

Li  beiden  Kantonen  wird  die  Verbindung  zwischen  dem  Kataster  und  den 
Hypothekenkontrolen,  resp.  die  Ausscheidung  der  Hypotheken  auf  die  einzelnen 
Artikel  in  eigenartiger  Weise  durch  das  sog.  Casier  bewerkstelligt,  in  welchem 
Pfandbuchregister  den  Artikeln  des  Grrundbuches  je  ein  rechteckiges  Feld  zur 
Aufnahme  der  Verweisungen  auf  die  Seiten  des  Pfandprotokolles  zu^em^SM^^ii  SsX« 


Katasterwesen  —      116     —  Katasterwesen 

Den  Impuls  zn  dem  Gesetz  über  die  Eatastervermessung  des  Kantons  SolO- 
thurn  vom  21.  Mai  1863  gab  der  Uebelstand,  daß  die  auf  Grundlage  des  Be- 
reinignngsgesetzes  vom  Jahre  1839  errichteten  Hypothekenbücher  in  Folge  der 
vielfachen  Zn-  und  Abschreibungen  und  der  starken  Zunahme  de<  Hypothekar- 
verkehrs keine  klare  und  sichere  Auskunft  mehr  gaben.  Grundbücher  wurden 
schon  in  den  Jahren  1820 — 1825  anf  bloße  Schätzung  und  Angaben  der  Eigen- 
thümer  hin  aufgenommen. 

Die  Erfahrungen  in  diesem  Kanton  liefern  einen  treffenden  Beleg  für  die 
Behauptung,  daß  ein  Grundbuch  nur  dann  auf  die  Dauer  mit  der  Wirklichkeit 
in  Kontakt  erhalten  werden  kann,  wenn  die  Nummern  der  Grundstücke  genau 
definirt  sind,  d.  h.  wenn  Rekurs  auf  eine  Landesvermessung  mit  geometrisch 
richtiger  Grundlage  genommen  wird.  Dem  Grund-  und  Hypothekenbuch,  das  in 
besonderen  Folien  den  Aktiv-  und  Passiv- Zustand  der  einzelnen  Grundstücke  an- 
gibt, kommt  die  größte  Bedeutung  zu.  Da  aber  neben  diesem  Hauptbuche  noch 
Fertigungsprotokoll,  Hypothekenprotokoll  und  Hypotheken  Journal  geführt  werden 
müssen,  so  erfordert  die  Abwicklung  der  Kanzleigeschäfte  bei  diesem  komplizirten 
Mechanismus  viel  Arbeit  und  ein  verhältnißmäßig  zahlreiches  Personal.  Der 
Grundsatz  der  Spezialität  ist  strikte  durchgeführt.  Unter  Anderem  sind  sog. 
Korreal-Hypotheken  ausgeschlossen. 

Eine  von  den  Eigenthümem  und  Kreditgebern  außerordentlich  geschätzte 
Grundbuchordnung,  bei  der  namentlich  das  Prinzip  der  Publizität  zur  vollsten 
Geltung  gelangt  ist,  finden  wir  in  Baselstadt.  Das  Grundbuch,  in  welches  die 
Eigenthumsrechte,  Unterpfandsrechte,  Servituten-,  Zehnt-  und  Bodenzinsrechte 
einzuschreiben  sind,  stützt  sich  auf  die  in  den  Jahren  1857  bis  1859  und  1864 
bis  1873  nach  dem  Polygonarsystem  erstellten  Elaborate,  und  seine  Folien 
theilen  sich  in  zwei  Hauptabschnitte,  in  das  Sachen blatt  und  das  Lasten blatt. 
In  dem  Gesetze  über  Errichtung  eines  Grundbuches  vom  16.  April  1860  wird 
der  Grundsatz,  daß  nur  durch  Eintragung  in  das  Grundbuch  Eigenthum  erworben 
und  ein  Pfandrecht  Gültigkeit  erlangen  könne,  klar  und  bestimmt  ausgesprochen 
und  konsequent  durchgeführt.  Da  neben  dem  Gruudbuche  keine  Hypotheken- 
protokolle, Kaufprotokolle  etc.  bestehen  und  somit  auch  die  Verweisungen  auf 
solche  Bücher  dahinfallen,  so  haben  die  Einträge  eine  außerordentliche  Tragweite, 
eine  größere  als  den  Einschreibungen  in  allen  anderen  Kantonen  zukömmt.  Der 
Gesetzgeber  ging  von  der  durchaus  begründeten  Auffassung  aus,  daß  das  Lager- 
und Flurbuch  kein  Notariatsbuch  sei,  in  dem  Verträge  aufzunehmen  seien.  Alles, 
was  nur  die  Person,  nicht  den  Boden  angehe,  gehöre  nicht  hinein.  Darum  bei 
der  Lage  nicht  die  Namen  der  Anstößer,  bei  den  Pfandrechten  nicht  die  Gläubiger, 
bei  weitern  Sicherungen  nicht  die  Faustpfänder,  bei  den  Servituten  nicht  die 
Betheiligten.  Da  jedoch  manches  hievon  allerdings  einem  Berechtigten  zu  wissen 
und  beisammen  zu  haben  lieb  sein  kann,  so  hat  man  noch  ein  spezielleF  Protokoll 
—  das  Grundprotokoll  —  als  den  Ort  bezeichnet,  wo  diese  Bestimmungen 
summarisch  aufgezeichnet  werden  müssen. 

In  Baselland,  welches  zwar  eine  erhebliche  Anzahl  von  Gemeindevermes- 
Bungen  aufweist,  die  in  dem  Zeitraum  von  1830  bis  1870  ausgeführt  wurden, 
besteht  ein  gesetzlicher  Zwang  zu  einer  allgemeinen  Parzellarvermessung  nicht; 
ebensowenig  existiren  Grundbücher;  denn  die  Kataster  der  Gemeinden  können 
nicht  als  solche  qualifizirt  werden. 

Die  Ausführung  der  durch  Gesetz  von  1846  vorgeschriebenen  Vermessung 
des  Kantons  Schaffhausen  fällt  in  die  Zeit  iron  1852  bis  1868.  Ans  der  MellP 
tischaufnahme    geht    der   Mangel    an    durchgreifender   Organisation    und    streng 


Katasterwesen  —     117     —  Katasterweseu 

wisseusobaftlicher  Behandlung  hervor.  Dagegen  ist  das  bei  der  YermarkaDg  be- 
folgte System  als  ein  vortreffliches  zu  bezeichnen.  Das  Grundbuch  genügt  durch- 
aus den  Anforderungen  des  Hypothekarverkehrs. 

Die  £antone  Appenzell,   SL  Gallen,    GraubUnden,   Thurgau   haben   keine 

Katastergesetze  erlassen;  die  Ausführung  der  Vermessungen  ist  in  das  Belieben 
der  Gemeinden  gestellt.  Durch  ausgedehnte,  sorgfältige  Triangulationen  zweiter 
und  dritter  Ordnung  ist  jedoch  in  dem  Kanton  Thurgau  einer  systematischen 
Landesvermessung  bedeutend  vorgearbeitet,  und  es  sind  auch  bereits  mehrere 
Vermessungen  auf  dieser  Grundlage  ausgeführt.  Keiner  von  diesen  Kantonen  hat 
sich  bis  jetzt  dem  Grundbuchsystem  zugewendet.  Die  Gemeinden  mit  Vermessungs- 
operaten  ausgenommen,  entbehrt  der  Kataster  des  Kantons  Thurgau  der  geome- 
trischen Grundlage;  er  dient  hauptsächlich  Steuerzwecken. 

In  den  letzten  Jahren  hat  das  eidgenössische  Stabsbureau  auch  die  Trian- 
gulation des  Kantons  St  Gallen  revidirt  und  ergänzt  und  es  sind  umfangreiche 
Messungen,  Perimetermessungen  und  G-Üterzusammenlegungen  an  das  Netz  an- 
geschlossen worden.  Obwohl  die  Grundstücke  nicht  vermessen  sind,  so  dürfen 
doch  nach  einer  Weisung  des  Regierungsrathes  in  den  Pfandtit^ln  und  Pfand- 
briefen keine  Maßangaben  mit  dem  Beiworte  circa  aufgenommen  werden,  sondern 
es  ist  der  Flächeninhalt  der  zu  Pfand  gegebenen  Grundstücke  immer  nach  dem 
einfachen  Buchstaben  des  Gesetzes  unzweideutig  und  pünktlich  anzugeben.  Dieser 
Vorschrift  gemäß,  durch  welche  die  untere  Grenze  des  Inhaltes  fixirt  werden 
soll,  hat  der  Gremeinderath  dem  Titelinhaber  dafür  zu  garantiren,  daß  das  hypothe- 
zirte   Grundstück  mindestens  den  im  Titel  angegebenen  Flächeninhalt  besitze. 

Mit  der  Annahme  der  Verfassung  vom  23.  April  1885  ist  nun  der  Kanton 
Aargau,  welcher  bereits  im  Besitz  einer  vorzüglichen  Triangulation  war,  in  die 
Reihe  der  Elantone  mit  obligatorischer  Vermessung  getreten.  Die  vom  Eegierungs- 
rathe  vorgeschlagene  Hypothekarordnung  will  die  Ergebnisse  der  Kataster- 
vermessung zur  Konstruktion  technisch-richtiger,  d.  i.  solcher  Crrundbücher  ver- 
wenden, welche  in  übersichtlicher  Weise  vollständigen  und  unzweideutigen  Auf- 
schluß Über  den  Grundbesitz  geben. 

Im  Kanton  Tessin  ist  grundsätzlich  die  Vermessung  und  Schätzung  sämmt- 
lieher  Liegenschaften  durch  das  G-esetz  vom  13.  Juli  1845  ausgesprochen;  von 
•den  265  Gemeinden  sind  jedoch  nur  180  vermessen  und  katastrirt.  Der  Kataster 
dient  indeß  nur  fiskalischen  Zwecken.  Kauf  und  Verkauf,  Errichtung  von  Pfand- 
rechten finden  im  Allgemeinen  nach  dem  Code  civil  statt.  Ein  Register  für 
Transskriptionen  existirt  nicht;  zum  rechtsgültigen  Eigenthumsübergang  genügt 
ein  bloßer  notarialischer  Akt. 

Den  letzten  Schritt  zu  einer  trefflichen  Hypotheken  Verfassung  that  im  Jahr 
1882  der  Kanton  Waadt  durch  Erlaß  des  Gesetzes  über  die  Inskription  der 
Realrechte  auf  Liegenschaften,  des  Katastergesetzes  und  Uebergangsgesetzes,  nach 
welchen  das  Prinzip  der  Dinglicbkeit  des  Eigenthums  und  der  Hypothek  streng 
anerkannt  und  die  Eintragung  der  Servituten  vorgeschrieben  wird.  In  den  neuen 
Grundbüchern  wird  jedem  Grundstück  zur  Aufnahme  seines  Aktiv-  und  Passiv- 
Zustandes  ein  Folio  eingeräumt.  Durch  genaue  Vorschriften  ist  für  die  E\ddenz- 
erhaltung  dieser  Bücher  und  der  neu  zu  erstellendeu  Pläne  gesorgt.  Ueber  die 
Vermessung  des  Kantons  führen  wir  an,  daß  es  schon  unter  der  Herrschaft  Berns 
gegen  die  Mitte  des  abgelaufenen  Jahrhunders  in  der  Waadt  Gemeinden  gegeben 
hat,  in  welchen  man  Begister  und  geometrische  Pläne  über  die  Marken  längs 
der  Wege  und  der  G-emeinden  zur  Sicherung  der  Eigentbumsgrenzen  treffen 
konnte.     Durch   das  Gesetz    vom    7.  Oktober  1798    über   die  Einführung  einet 


Katasterwesen  —      118     —  Katasterwesea 

Grundsteuer  genöthigt,  ward  sodann  im  Jalire  1804  eine  Vermessung  des  ganzen 
Territoriums  dekretirt.  Laut  Gksetz  vom  18.  November  1863  hat  der  G-roße 
Bath  eine  neue  Meßtischaufnahme  und  Eatastrirung  sämmtlicher  Gemeinden  an- 
geordnet, in  Erwägung,  daß  bereits  schon  nach  dem  G^etz  vom  18.  Mai  1804 
eine  Vermessung  des  ganzen  Eantonsgebietes  stattgefunden,  daß  aber  erfahrungs- 
gemäß Pläne  und  Kataster  durchschnittlich  nicht  länger  als  50  Jahre  dienen 
können. 

Von  165  Gemeinden  des  Kantons  Wallis  sind  nur  15  vermessen  und  in 
rationeller  Weise  katastrirt. 

Obwohl  diese  Kataster  im  Grundverkehr  vortheilhaft  verwendet  werden 
könnten,  so  haben  sie,  wie  die  unzuverlässigen  Kataster  der  übrigen  Gemeinden, 
nur  Steuerzwecken  zu  dienen  und  werden  im  Grundverkehr  ignorirt.  Eigenthum 
kann  durch  bloßen  Vertrag  übergehen;  die  Transskription  im  Grundprotokoll  ist 
nicht  vorgeschrieben,  dient  jedoch  zum  Schutze  gegenüber  Ansprüchen  Dritter. 
Ebenso  kann  die  Hypothek  Dritten  gegenüber  nur  durch  die  Einschreibung  be- 
hauptet werden. 

Der  Kataster  des  Kantons  Genf  basirt  auf  einer  genauen  Vermessung  vom 
Jahre  1841  und  wird  im  Gegensatz  zu  der  Organisation  von  Freiburg  und 
Neuenburg  nicht  von  den  Hypothekarbeamten  geführt.  Zu  beklagen  ist  nur, 
daß  das  Hypothekarsystem  noch  nicht  auf  die  Itealordnung  gegründet  ist. 

Diese  Darlegung,  welche  des  gebotenen  Raumes  wegen  auf  Vollständigkeit 
nicht  Anspruch  machen  kann,  rekapitulirend,  finden  wir: 

Die  Dinglichkeit  des  Eigenthums  und  der  Hypothek  ist  in  fast  allen  Ge- 
setzgebungen mit  mehr  oder  weniger  Schärfe  ausgesprochen  ;  dagegen  sind  nur 
in  wenigen  Kantonen  die  drei  Prinzipien  der  Publizität,  der  Spezialität  und  der 
Priorität  der  Hypotheken,  diese  Grundsäulen  einer  guten  Hypothekarordnung, 
mit  aller  Konsequenz  durchgeführt.  Eigentliche  Grund-  und  Hypothekenbücher, 
welche  auf  diesen  Grundsätzen  und  auf  einer  Parzellarvermessung  beruhen,  welche 
ferner  eine  übersichtliche  Darstellung  des  Grundbesitzes  und  der  Belastungen  der 
einzelnen  Parzellen  geben,  weisen  nur  die  Kantone  Preiburg,  Solothurn, 
Baselstadt,  Schaffhausen,  Waadt,  Neuenburg  und  Genf  auf,  wobei 
zwar  zu  bemerken  ist,  daß  Waadt  und  Genf  erst  in  Zukunft,  nach  Ausführung 
der  bereits  beschlossenen  oder  angebahnten  Reformen  mit  voller  Berechtigung  in 
die  genannte  Kategorie  eingereiht  werden  können. 

Nur  9  von  den  25  Kantonen,  nämlich  Bern,  Freiburg,  Solothurn,  Basel- 
stadt, Schaffhausen,  Aargau,  Waadt,  Neuenburg  und  Genf  haben  die  Parzellar- 
vermessung gesetzlich  vorgeschrieben  und  zum  Theil  ausgeführt. 

Die  Schweiz  steht  daher  auf  diesem  Zweige  der  Volks wirthschaft  hinter 
den  Nachbarstaaten  noch  sehr  zurück. 

Sollen  nun  nicht  auch  fernerhin  wichtige  Kulturinteressen  vernachlässigt 
werden,  soll  vielmehr  für  die  Sicherung  des  Eigenthums  und  des  Realkredites, 
für  die  Zwecke  einer  geordneten  Land-  und  Forstwirthechaft,  für  bauliche  Be- 
dürfnisse, für  eine  Arealstatistik,  —  ohne  welche  jede  andere  Statistik  in  der 
Luft  hängt  —  einmal  die  nöthige  geometrische  und  gesetzliche  Grrundlage 
geschaffen,  und  sollen  nicht  bedeutende  Geldsummen  für  Lokalvermessungen  mit 
prekärer  geodätischer  Grundlage  und  vorübergehendem  Werthe  ausgegeben  werden,, 
so  muß  die  Schweiz  den  auf  diesem  Gebiete  vorgeschrittenen  Kantonen  und 
Staaten  allen  Ernstes  nacheifern. 

Auf  Grund  der  in  den  letzten  Dezennien  gemachten  Erfahrungen  und. 
wissenschaftlichen    Fortschritte   erlauben   wir   uns,    einige   der  Maßnahmen    vor- 


Katasterwesen  —     119     —  Kaufmännisches  Direktorium 

zuschlagen,    die    bei   einer  allfälligen  Reform  unseres  Katasterwesens  in  Berück- 
sichtigung gezogen  werden  dürften. 

1)  Soweit  'dies  noch  nicht  geschehen,  sind  von  Gesetzes  wegen  in  den  £[antonen 
unter  tüchtiger,  fachmännischer  Leitung  Parzellarvermessungen  vorzunehmen ; 
diese  sollen  nicht  nur  den  Steuer-  und  Hypothekarzwecken,  sondern  auch 
den  verschiedensten  techninchen  Arbeiten  zur  Grundlage  dienen,  nich  mit 
einem  Wort  als  LandeHvermessungen  qualifiziren. 

2)  Die  Grundlage  der  Landesvermessung  soll  ein  an  die  Gradmessung  an- 
geschlossenes Dreiecknetz  und  ein  durch  die  Punkte  des  eidgenössischen 
Präzisionsnivellements  kontrolirtes  Nivellementsnetz  sein. 

3)  Auf  eine  rationelle  Vermarkung,  das  ist  die  Eintheilung  der  ganzen  Ge- 
markung in  Grewanne,  eine  genaue  Fixirung  und  Einmessung  der  Haupt- 
punkte der  Aufnahme,  auf  die  Bildung  von  Steinlinien  nach  dem  Vorgange 
von  Schatfhausen  und  einiger  Gemeinden  der  Kantone  Thurgau,  Aargau  etc. 
ist  namentlich  mit  Rücksicht  auf  die  Fortführung  der  Operate  das  größte 
Gewicht  zu  legen. 

4)  Um  die  einmal  erstellten  Vermessungswerke  mit  der  Wirklichkeit  in  stetigem 
Kontakt  erhalten  zu  können  und  um  nicht  gezwungen  zu  sein,  von  Zeit 
zu  Zeit  zu  förmlichen  Neu  Vermessungen  zu  schreiten,  sind  die  Messungen 
gemäß  den  dermaligen  Anforderungen  der  geodätischen  Wissenschaft  mit 
den  Theodolithen  nach  der  Polygonarmethode  auszuführen,  auf  ein  einheit- 
liches Koordinatensystem  zu  beziehen  und  die  Elaborate  successive  nach- 
zutragen. 

5)  Zur  Förderung  und  Hebung  des  Realkredites,  zur  Vereinfachung,  Sicherung 
und  Klarstellung  des  Immobilien  Verkehrs  förmliche  Grundbücher  einzuführen 
und  die  Hypothekarordnungen  auf  die  Prinzipien  der  Publizität,  Spezialität 
und  Priorität  zu  basiren. 

Auch  die  Hypothekardokumente  sind  einfacher,  klarer  und  übersichtlicher 
zu  formuliren  und  dadurch  zirkulationsfähiger  und  volkswirthschaftlich  werth- 
voller  zu  machen. 

6)  Um  die  üebereinstimmung  der  Grundbücher  und  der  Vermessungsoperate  zu 
sichern,  ist  die  Stellung  des  mit  der  Fortführung  des  Vermessungswerkes 
betrauten  Geometers  —  welcher  auch  als  Kulturingenieur  den  Gemeinden 
große  Dienste  leisten  könnte  —  zur  Grundbuchverwaltung  im  Gesetee  genau 
zu  normiren. 

Kathetometer.  Längenmeßapparat,  der  namentlich  in  den  Werkstätten  der 
Sociit^  genevoise  pour  la  construction  d^ Instruments  de  physique  in  Genf  kon- 
strnirt  wird  und  große  Verbreitung  gefunden  hat.  Es  werden  drei  verschiedene 
Größen,  100,  60  und  50  cm  Maßlänge,  gebaut.  An  die  Hochschulen  Deutschlands, 
Frankreichs,  Rußlands,  Amerikas,  Italiens  etc.  sind  viele  Exemplare  den  großem 
Modells  geliefert  worden. 

Kattundruckerei  s.  Zeugdruck. 

KatzeBkopf,  großer,  auch  Klausbirne,  großer  französischer  Katzenkopf, 
Winterrolle  (in  Bern  und  Solothum),  Pfundbime  genannt,  ist  eine  der  besten 
Kochbimen  und  besonders  werthvoU  durch  ihre  lange  Dauer.  Sie  kommt  wohl 
in  der  ganzen  Schweiz  vor;  in  den  Kantonen  St.  Gallen,  Thurgau  und  Zürich 
ist  sie  tiberall  zu  finden.  (,, Schweizerische  Obstsorten**,  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt 
J.  Tribelhom  in  St.  Gallen.) 

Kaufmännisches  Direktorium  in  St.  Gallen.  Das  Kaufmännische 
Direktorium   in   St.  Gallen    ist    die   ursprüngliche   Vertretung   der   st.  gallischoiL 


KaufmännLscbes  Direktorium  —      120     —  Kaafraännisches  Direktorium 

„Kauf-  und  Ladenleute **,  welche  sieb  wahrsoheinlioh  im  Jahre  1675,  als  ihnen 
das  Nürnberger  und  Zürcher  Boten wesen  von  den  letzten  zwei  alten  Lyoner 
Häusern  zur  Besorgung  übergeben  wurde,  zu  einer  bleibenden  Verbindung  oder 
Korporation  der  verburgerten  Kaufleute  organisirten.  Wenigstens  sind  erst  von 
dieser  Zeit  an  regelmäßig  geft^hrte  Protokolle  der  Kaufmännischen  Korporation 
vorhanden.  Neben  der  Besorgung  des  Botenrittes  nach  Zürich  und  Nürnberg, 
der  sich  aber  schon  im  Jahre  1684  endgültig  in  einen  solchen  nach  Lindau 
reduzirte,  lagen  der  Vereinigung  auch  noch  andere  Aufgaben  ob.  Sie  sollte  ihre 
Angehörigen  gegen  jede  Beeinträchtigung  und  Schädigung  im  Ausland  nach 
Kräften  schützen,  Anstände  jeder  Art  für  sie  ausgleichen  und  über  die  Aufrecht* 
erhaltung  ihrer  Privilegien  und  Zollfreiheiten  wachen;  sie  hatte  aber  auch  für 
den  Handelsverkehr  am  Platze  selbst  die  kaufmännischen  Gebräuche  festzusetzen, 
für  ehrlichen  Handel  und  Wandel  zu  sorgen  und  die  kaufmänniBchen  Streitigkeiten 
zu  vermitteln.  Fünf  sogenannte  „Marktherrn"  oder  „Markt Vorsteher**  bildeten 
mit  den  zwei  Präsidenten«  die  alljährlich  in  der  Leitung  der  Geschäfte  wechselten, 
den  aus  der  Mitte  der  Vereinigung  gewählten  Vorstand  derselben  oder  das 
„Kautmännische  Direktorium**,  welches  mit  ziemlich  unumschränkter  Kompetenz 
jene  Aufgaben  so  gut  wie  möglich  zu  erfüllen  suchte  und  die  von  Zeit  zu  Zeit 
den  neuen  Bedürfnissen  angepaßten  „Markt-  oder  Wechselordnungen**  erließ,  die 
nicht  weniger  verbindlich  waren,  als  die  obrigkeitlichen  Verordnungen.  Aus  den 
üeberschüssen  der  Einnahmen  für  Besorgung  des  Botenrittes  oder  Postwesens 
und  dem  sogenannten  „  Ballengeld **,  einer  bestimmten  Abgabe  von  versandtem 
und  empfangenem  Kaufmannsgut,  erwuchs  allmälig  der  Kaufmännischen  Korpo- 
ration ein  bescheidener  Fonds. 

Kurz  nach  ihrer  festen  Konstituirung  stellte  sich  die  vereinigte  Kaufmann- 
schaft noch  eine  Aufgabe  ganz  anderer  Art,  indem  sie  für  diejenigen  Hugenotten, 
welche  sich  in  Folge  der  Aufhebung  des  Ediktes  von  Nantes  (1685)  in  St.  Gallen 
niederließen,  hier  eine  französische  Kirche  gründete. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  die  politischen  Umwälzungen,  welche  die 
Stadt  St.  Gallen  aus  einem  kleinen  eigenen  Staatswesen  zur  Hauptstadt  des  Kantons 
St  Gallen  machten,  die  Stellung  der  Kaufmännischen  Korporation  und  ihres 
Direktoriums  auch  ganz  wesentlich  veränderten.  Vieles,  was  ihnen  bisher  über- 
lassen worden  war,  übernahm  nun  das  neue  Staatswesen;  doch  war  dieses  ganz 
zufrieden,  daß  das-  Direktorium  noch  bis  zum  Jahre  1836  auf  Grundlage  eines 
Vertrages  mit  dem  Kantone  das  gesammte  Postwesen  in  demselben  besorgte,  jetzt 
freilich  nicht  mehr  in  der  Form  des  Botenrittes,  sondern  mit  den  bequemen 
„Diligencen**  oder  Eil  wagen,  die  bis  Chur,  bis  Glarus  und  bis  Zürich  gingen. 
Im  Uebrigen  versah  das  Direktorium  dem  Kanton  St.  Gallen  von  jeher  die  Stelle 
einer  freiwilligen,  in  engster  Verbindung  mit  dem  wirklichen  kommerziellen  und 
industriellen  Leben  stehenden  Handelskammer,  die  auf  alle  Interessen  des  Handels 
und  der  Industrie  ihr  wachsames  Auge  richtete  und  sie  nach  allen  Seiten  mit 
Rath  und  That  wahrte  und  förderte,  wo  es  irgend  Anlaß  und  Gelegenheit  gab, 
die  daneben  aber  auch  unermüdlich  anregte  und  unterstützte,  was  überhaupt  der 
Vaterstadt  zum  Wohle  und  zum  Schmucke  gereichen  konnte. 

Anfangs  der  40er  Jahre  zeigte  der  Staat  allerdings  Gelüste,  den  Direktorial- 
fonds zu  seinen  Händen  zu  nehmen,  und  ließ  deßwegen  weitläufige  Untersuchungen 
über  Ursprung  und  Natur  dieses  Fonds  und  den  Charakter  der  Korporation  und 
des  Direktoriums  stattfinden.  Schließlich  trat  indeß  der  Große  Eath  mit  großer 
Mehrheit  von  diesen  Ansprüchen  zurück  (November  1843). 

Seither    entfaltete    das    Direktorium    eine    immer   vielseitigere    und   durch- 


Kaufmännisches  Direktorium  —      121      —  Kettensticlistickerei 

greifendere  Thfiiigkeit  auf  seinem  speziellen  Grebiete,  zog  das  ganze  ostschweize- 
riscbe  Industriegebiet  in  den  Kreis  seiner  Arbeiten  und  Schöpfungen  und  ist  die 
anerkannte  Vertretung  dieses  Gebietes  in  Angelegenheiten  des  Handels  und  der 
Industrie  geworden.  Auch  dem  Gewerbe  läßt  es  in  dem  Industrie-  und  Gewerbe- 
Museum  seine  Pflege  angedeihen,  und  der  Wissenschaft  und  Kunst,  sowie  den 
Wohlthätigkeits-  und  Gemeinnützigkeits-Anstalten  im  engern  Sinne  gewährt  es 
seine  Unterätiitzung  durch  regelmäßige  erhebliche  Beiträge  —  Alles  noch  auf  der 
alten  Grundlage  der  Korpoiation  verburgerter  Kaufleute. 

Kaatschuk  und  Guttapercha,  sowie  Waaren  daraus.  Die  Einfuhr 
betrug  im  Jahre  1885  2000  q  im  Werthe  von  Fr.  1'897,950;  darunter  waren 
410  q  Kautschukfäden  für  elastische  Gewebe  k  Fr.  1300  (das  meiste  aus  Groß- 
britannien), 416  q  Kautschuk  und  Guttapercha  in  Schläuchen  und  Röhren  k 
Fr.  750  (das  meiste  aus  Deutschland),  248  q  Kardentücher  a  Fr.  800  (das 
meiste  aus  Großbritannien),  136  q  elastische  Gewebe  ä  Fr.  1500  (das  meiste 
aus  Deutschland  und  Frankreich). 

Ausfuhr  1885:  2026  q  im  Werthe  von  Fr.  2'öl7,309.  Davon  waren 
1759  q  elastische  Gewebe  ä  Fr.  1351,  und  zwar  384  q  für  Spanien,  296  q  für 
Italien,  219  q  für  Frankreich,  217  q  für  Oeslerreich,  193  q  für  Deutschland, 
81  q  für  Argentinien  u.  s.  w. 

Für  die  früheren  Jahre  können  nicht  leicht  Vergleichszahlen  gegeben  werden, 
weil  die  Benennungen  in  der  Waarenverkehrsstatistik  geändert  wurden.  S.  auch 
«Elastiken*'. 

Rephir.  Mit  der  Zubereitung  von  Kephir  befaßt  sich  seit  Juni  1884  die 
Firma  N.  Axelrod,  schweizerische  Kephiranstalt,  in  Zürich.  Das  Präparat  besteht 
aus  Kuhmilch,  welche  mit  kaukasischen  Kephirkömern  versetzt  ist;  ^Is  kräfte- 
befördemdes  Heilmittel  hat  derselbe  im  Zürcher  Kantonsspital  und  in  anderen 
Asylen  Eingang  gefunden. 

Keramik  s.  Töpferei. 

Kerzen.  Die  schweizerische  Kerzenfabrikation  ist  bedeutend,  obwohl  hin- 
sichtlich des  Stearin  fast  ganz  auf  ausländischen  Rohstoff  angewiesen.  Maschinen 
cum  Kerzengießen  sind  zuerst  von  Fr.  Steinfels  in  Zürich  im  Jahre  1858  aus 
Amerika  gebracht  und  verwendet  worden. 

Dem  Fabrikgesetz  sind  unterstellt  die  Kerzenfabriken  von  Friedr. 
Steinfels  in  Zürich,  Kaspar  Bluntschly  in  Altstetten  bei  Zürich,  Joh.  Streuli  in 
Winterthur,  F.  Gallin  in  Carouge,  Hornung  in  Carouge,  Fabre  &  Gränicher  in 
Plainpalais  bei  Genf,  sowie  die  Fabrique  de  bougies  de  la  manufacture  suisse 
4e  produits  st^ariques  in  Lausanne. 

Im  Handelsregister  waren  Ende  1884  35  Kerzenfabrikationsgeschäfte 
•eingetragen,  wovon  8  im  Kt.  St.  Gallen,  5  Zürich,  4  Schaffhausen,  4  Tessin, 
S  Basebtadt,  2  Baselland,  2  Glarus,  2  Luzem,  2  Schwyz,  1  Aargau,  1  Bern, 
1  Graubünden. 

Der  Werth  der  in  der  Schweiz  verfertigten  Kerzen  wird  auf  1^2  Millionen 
Franken  gesehätzt. 

Im  Jahre  1885  wurden  eingeführt  1084  q  Kerzen  im  Werthe  von  Fr.  182,660 
(das  meiste  ans  Frankreich  und  Deutschland);  ausgefühii;  wurden  nur  45  q  im 
Werthe  von  Fr.  7580. 

Kettenstiehstickerei«  Die  Kettenstichstickerei  (im  Gegensatz  zu  der  feiner 
anasehenden  Plattstichstickerei  gemeiniglich  Grobstickerei  genannt)  beschäftigt  in 
der  Schweiz  selbst  ca.  2500 — 3000  Stickerinnen  und  ca.  1200  Maschinen.  A^&föt- 


Kettenstichstickerei  —     122     —  KiDdermehl 

dem  aber  werden  von  st.  gallischen  und  appenzellischen  Eanflenten  ca.  5000- 
Personen  im  Vorarlberg  und  Schwarzwald  in  der  Weise  beschäftigt,  daß  den- 
selben der  zu  bestickende,  mit  den  Mustern  bereits  vorbedruckte  Stoff,  sowie 
das  nöthige  Garn  durch  Yermittlong  der  sog.  Fergger  nach  Hause  geliefert  wird. 
Letztere  bringen  die  gestickte  Waare  zurück,  die  alsdann  in  St.  Ghillen,  Herisau 
u.  s.  w.  ausgerüstet  (gebleicht  und  appretirt)  und  von  da  exportirt  wird.  Der 
Verkehr  zwischen  St.  Gallen  und  den  angrenzenden  Gebietstheilen  Deutschlands 
und  Oesterreichs  vollzieht  sich  in  dieser  Weise  schon  seit  der  Mitte  des  vorigen 
Jahrhunderts,  ist  aber  seit  längerer  Zeit  in  entschiedener  Abnahme  begriffen. 
Hauptsächlich  auf  Vorhänge  von  Mousseline  oder  Tnlle  beschränkt,  sind  die 
Produkte  der  Eettenstichbranche  seit  den  50er  Jahren  durch  die  billigeren, 
wenn  auch  weniger  soliden  gemusterten  Nottinghamer  Tüllvorhänge  zurück- 
gedrängt worden,  zum  guten  Theil  aber  auch  in  Folge  langjähriger  technischer 
Stagnation,  die  nichts  Neues  und  Besseres  zu  Tage  kommen  ließ,  in  Bückgang 
gekommen. 

1867  kam  die  vom  Franzosen  Bonaz  erfundene,  von  dem  Nähmaschinen- 
fiabrikanten  (üomelly  erworbene  und  verbesserte  einnadlige  Kettenstich-Stick- 
maschine in  die  Oeffentlichkeit,  die  anfänglich  in  der  Schweiz  weniger  als  in 
Frankreich  und  England  Beachtung  fand.  Seit  dieselbe,  zum  Theil  durch  schwei- 
zerische Mechaniker,  vervollkommnet  und  auch  mehmadlig  konstruirt  ist,  hat  sie 
aber  auch  in  den  Gebieten  der  schweizerischen  Grobstickerei  größere  Verbreitung 
gefunden.  Im  Jahre  1880  waren  nach  den  Ermittlungen  des  Eau&iännischen 
Direktoriums  in  St.  Gallen  in  den  Kantonen  St.  Gallen,  Appenzell  und  Thurgaa 
1070  einnadlige  (durchschnittlich  Fr.  500  kostend)  und  65  mehrnadlige  Kettenstich- 
Stickmasohinen  in  Betrieb.  Eine  kleinere  Zahl  ist  über  dem  Rhein  und  Bodensee 
für  schweizerische  Rechnung  beschäftigt,  üebrigens  hat  sich  die  Zahl  seither 
jedenfalls  beträchtlich  vermehrt. 

Die  einnadlige  Maschine  vermag  im  Tag  etwa  drei  Schneller  Garn  zu  ver- 
arbeiten und  verdient  damit  Fr.  1.  20  bis  Fr.  1.  50.  Neben  billigen  Vorhängen, 
wurden  in  den  letzten  Jahren  mittelst  solcher  Maschinen  namentlich  auch  Kragen, 
Halstücher  u.  dgl.  (sog.  neckware)  fabrizirt.  (Ueber  den  Ursprung  der  Ketten- 
stichstickerei s.  Stickerei.) 

Rindermehl  (Farine  lact6e).  Die  weltbekannte  Fabrik  von  H.  Nestl6  in 
Vevey,  jetzt  Aktiengesellschaft,  in  den  60er  Jahren  gegründet,  war  die  erste 
in  der  Schweiz,  welche  sich  mit  der  Fabrikation  von  Muttermilchsurrogaten  im 
Großen  befaßte  (Nestl6-Mehl).  Seither  sind  mehrere  Fabriken  entstanden,  ent- 
weder selbstständig  oder  in  Verbindung  mit  Milchsiedereien. 

Die  bisher  bekannten  Kindermehl-Fabrikationsgeschäfte  sind :  Soci^te  de  farine 
lact^e  Henri  Nestl6  in  Vevey ;  Panohaud  &  Cie.  in  Vevey ;  A.  Schneebeli  &  Cie. 
in  Affoltern,  Kt.  Zürich;  H.  Epprecht  in  Bern;  Anglo-Swiss  Condensed  Milk 
Company  in  Cham;  Franco-Suisse  in  Thnn. 

Die  Menge  und  der  Werth  des  ausgeführten  Kindermehls  ist  ans  der 
schweizerischen  Waarenverkehrsstatistik  nicht  genau  ersichtlich.  Immerhin  weiß 
man,  daß  der  Löwenantheil  der  Position  350  („Suppen,  kondensirte,  in  Tafeln; 
Julienne,  Sago,  Tapioca,  Mehl  etc.,  und  dgl.  Suppenartikel  in  Paketen")  auf 
Eändermehl  entfällt.  Jene  Position  weist  im  Jahre  1885  10,346  q  im  Werthe 
von  Fr.  2*019,131  auf;  davon  2567  q  nach  Deutschland,  2030  q  nach  Frank- 
reich, 1576  q  nach  Großbritannien,  1415  q  nach  der  nordamerikanischen  Union». 
760  q  nach  Belgien,  503  q  nach  Italien,  188  q  nach  Rußland,  103  q  nach 
Holland  u.  s.  w. 


Kirchenparamente  —      123     —  Kleider 

Kirchenparamente  und  -Ornamente.  Es  sind  etwa  ein  halbes  Dutzend 
Firmen  bekannt,  welche  diesen  Greschäftszweig  pflegen,  darunter  namentlich  die 
Firmen  Adelrich  Benziger  &  Cie.  und  Oebrüder  Benziger  in  Einsiedeln. 

Kirschen.  Der  Kirschbaum  ist  namentlich  in  der  Ost-  und  Mittelschweiz 
beimisch.  In  besonderer  Blttthe  steht  seine  Kultur  in  den  Kantonen  Basel,  Zug 
und  Schwyz,  woselbst  eine  sehr  bedeutende  Kirsch wasserfabrikation  damit  im 
Zusammenhange  steht.  Der  Kirschbaum  kommt  in  Höhen  von  900 — 1000  m 
noch  häufig  vor;  die  Früchte  sind  dort  sehr  klein,  aber  kräftig  und  süß.  S.  auch 
„Obstbau**.    (Vgl.   Chris fs  „Pflanzenleben  der  Schweiz**). 

Kirschwasser.  Hauptsitze  der  Kirschenwasserfabrikation  sind  Zug  und 
Schwyz.  Die  Produkte  dieser  Gegenden  sind  im  In-  und  Ausland  hoch  geschätzt. 
Der  Export  ist  beträchtlich,  jedoch  in  der  schweizerischen  Waarenverkehrsstatistik 
nicht  verzeichnet.  Zum  Zwecke  der  Kirschwasserfabrikation  werden  die  Kirschen 
bei  möglichst  trockener  Witterung  gepflückt,  in  Fässer  oder  cementirte  Behälter 
(Kirsch wassergesellschaft  in  Zug)  gefüllt  und  ohne  weitern  Zusatz  der  Gährung 
überlassen.  Die  Destillation  wird  in  einfachen,  mit  Dampf,  heißem  Wasser  oder 
meistens  mit  direktem  Feuer  erwärmten  Blasen  vorgenommen.  100  kg  Kirschen 
geben  durchschnittlich  11 — 12  Liter  Kirschwasser  von  ca.  50 — 55  Volum- 
prozenten Alkohol. 

Klävner  (Klevner,  Klävinger).  Unter  diesen  Namen  versteht  man  in  einem 
^großen  Theile  der  Schweiz  den  schwarzen  Burgunder  (s.  S.  336  im  I.  Bd.). 

Klaviere.  Am  1.  Dezember  1880  zählte  man  in  der  Schweiz  259  Klavier- 
macher, wovon  155  im  Kt.  Zürich,  30  im  Kt.  Bern,  19  im  Kt.  Genf,  18  im 
Kt.  St.  Gallen,  9  im  Kt.  Neuenburg,  37  in  den  übrigen  Kantonen. 

Jene  259  Personen  vertheilten  sich  auf  etwa  12  größere  und  einige  kleinere 
Geschäfte.  Wie  schon  die  obige  Repartition  beweist,  ist  Zürich  der  Hauptsitz 
der  schweizerischen  Klavierfabrikation;  es  sind  dort  ein  halbes  Dutzend  Firmen 
von  bestem  Ruf,  die  bis  zum  Jahre  1883  23,000  Klaviere  im  Werthe  von 
16^2  Millionen  Franken  verfertigt  haben.  Trotz  der  vorzüglichen  einheimischen 
Produktion  werden  alljährlich  noch  etwa  300  Instrumente  aus  Deutschland  ein- 
geführt. Im  Jahre  1884  stand  einer  Ausfuhr  von  609  q  eine  Einfuhr  von  1481  q 
gegenüber.  Im  Jahre  1885  sind  die  Klaviere  nicht  mehr  als  besondere  Position 
in  der  Waarenverkehrsstatistik  verzeichnet. 

Im  Handelsregister  waren  Ende  1884  45  Klavier-  und  Pianogeschäfte 
eingetragen,  wovon  30  als  Handlungen,  14  als  Fabrikationsgeschäfte,  1  als  Mieth- 
geschäft  (die  meisten  Handlungen  in  Genf,  die  meisten  Fabrikationsgeschäfte  in 
Zürich). 

Klee  s.  Rothklee,  Bastardklee,  Weißklee,  Esparsette. 

Kleider«  Die  Hauptsache  hierüber  ist  im  Artikel  „ Bekleidungsindustrie" 
gesagt.  Es  mag  noch  angeführt  werden,  daß  die  eidg.  Berufsstatistik  von  1880 
unter  der  Rubrik  „Kleidung  und  Putz**  131,019  erw er bsthätige  Personen  angibt 
(85,326  w.,  45,693  m.)  =  9,9  7©  aller  Erwerbsthätigen  der  Schweiz.  Die 
Zahl  131,019  vertheilt  sich  auf  die  Kantone  wie  folgt: 
Bern 20,764      9,3  7o    |     Tessin 5,207      8,0  7o 


Zürich 14,963  9,1 

Aargau 12,974  14,0 

Waadt 10,937  10,5 

StOaUen 8,892  8,5 

Genf 8,509  18,4 

Luxem 7,099  11,7 


Solothum 5,145  14,3 

Neuenburg 4,905  11,0 

Baselstadt 4,086  14,3 

Thurgau 3,980  8,6 

Graubönden     ....  3,202  7,1 

Appenzell  A.-Rh. .    .     .  2,138  8,0 


Freiburg 6,348    12,1    ,     I     Schwyz 2,01i      %^ 


Kleider  —      124     —  Knabenarbeitsunterricht 


Obwalden 695  10,1  7o 

Uri 620  5,0   , 

Nidwaiden 451  9,1    , 

Appenzell  I.-Rh.      ...  441  6,0    , 


Baselland 2,000  7,0  7o 

Wallis 1,953  4,2    „ 

Schaffhausen      ....  1,401  8,6    „ 

Glarus 1,273  7,3    , 

Zug 1,024  9,1    . 

Im  Handelsregister  waren  Ende  1884  550  Eleidergeschäfte  eingetragen 

=  1,8  ^/o  aller  eingetragenen  Firmen.    Birkhäuser^s  Adreßbuch  (Basel,   1885) 

verzeichnet  676  Eleiderhandlungen  and  Marchands- Tailleurs. 

Einfuhr  und  Ausfuhr  im  Jahre  1885: 

Eiofnhr  Ausfahr 

q  Fr.  q  Fr. 

Leibwäsche 158  237,000  69  69,692 

Kleidungsstücke  etc.  aus  Baumwolle  oder  Leinen   .  3,470  4^511,000  212  323,343 

—  WoUe  oder  Halbwolle 4,870  8766,000  249  517,843 

—  Seide  oder  Halbseide 517  4^136,000  212  r943,648 

—  Kautschuk 126  441,000  4  6,960 

Pelzwerk 105  315,000  20  67,796 

9,246  18^406,000  766  2^929,282 
Vom  Einfuhrwerth  entfallen  Fr.  11*503,200  auf  Deutschland,  5*476,000 
auf  Frankreich,  544,000  auf  Italien,  502,800  auf  Großbritannien,  326,400  auf 
Oesterreich;  vom  Ausfuhrwerth  Fr.  1*270,423  auf  Deutschland,  737,154  auf 
Frankreich,  250,940  auf  Italien,  176,641  auf  Belgien,  102,780  auf  Oesterreich, 
70,783  auf  Großbritannien. 

Kleie.  Einfuhr  im  Jahresdurchschnitt  1872/81:  30,410  q,  1884: 
34,528  q,  1885  in  der  Waarenverkehrsstatistik  nicht  mehr  angegeben.  Ausfuhr 
1873:  34,120  q,   1883:  34,489  q,   1884:  37,395  q,   1885  ?. 

Kleinberger  ist  in  verschiedenen  Gegenden  der  Schweiz  der  Lokalname 
für  den  weißen  Elbling  (s.  S.   551). 

Kleinmechaniker  s.  Optiker 

Kleinroth  (petit  rouge).  Eine  im  Wallis  knitivirte  Traubensorte.  Der  Stock 
ist  kräftig  und  trägt  regelmäßig.  Die  Reifezeit  ist  später  als  beim  Gumay;  der 
Wein  jedoch  ist  gut.  Kr. 

Klepfer  oder  Klopfer.  Am  Bielersee  und  auch  anderwärts  bezeichnet 
man  mit  diesem  Namen  den  Gutedel  (s.   S.  814).  Kr. 

Knabenarbeitsunterricht«  (Mitgetheilt  von  Herrn  Kndin-Schmid, 
Lehrer  in  Basel.)  Unter  Knabenarbeitsunterricht  versteht  man  die  systematische, 
methodische  Anleitung  der  mänulichen  Jugend  zur  körperlichen  Arbeit.  Dadurch 
will  man  bei  der  Jugend  schon  Lust  und  Liebe  zur  Arbeit  wecken,  dieselbe  zur 
Selbstthätigkeit  anregen,  sie  an  Ordnung,  Genauigkeit,  Aufmerksamkeit,  Fleiß 
und  Beharrlichkeit  gewöhnen  und  ihr  zugleich  allgemeine  Handfertigkeit,  d.  h. 
die  Fähigkeit,  die  auf  möglichst  vielseitige  Weise  geübte  Hand  zu  gebrauchen, 
vermitteln. 

Die  Anfänge  der  Bewegung,  welche  gegenwärtig  die  pädagogischen  Kreise 
aller  Kulturstaaten  in  hohem  Maße  ergriffen  hat,  lassen  sich  sehr  weit  zurück- 
führen. Luther^  der  Begründer  des  deutschen  Volksschulwesens,  betonte  in  seinem 
Schreiben  „an  die  Bürgermeister  und  Rathsherren  von  allerlei  Städten  in  deutschen 
Landen  "*  energisch,  daß  die  Schulen  nicht  um  ihrer  selbst  willen  da  seien,  sondern 
für  das  Leben  erziehen  müßten  nnd  er  verlangt  daher,  daß  man  die  Jugend 
nicht  bloß  zur  Gelehrsamkeit,  sondern  auch  zu  solchen  Fertigkeiten  heranbilde, 
deren  man  im  Haus  und  in  der  Familie,  in  der  Gemeinde  und  im  Staate 
bedürfe. 


I 


Knabenarbeitsunterricht  —      125     —  Knabenarbeitsunterricht 

Als  eigentlicbes  Erziehungsmittel  wurde  die  Handarbeit  aber  erst  im 
17.  Jahrhundert  durch  Arnos  Comenius  in  das  pädagogische  System  aufgenommen. 
In  seiner  Didactica  magna  sagt  er:  „Die  Schulen  sollen  Werkstätten  sein,  er- 
dröhnend von  Arbeit **.  Nach  dem  alten  Spruche  „mens  sano  in  corpore  sano** 
(im  gesunden  Körper  ein  gesunder  Geist)  verlangte  er  Spiel  und  Leibesübungen 
fllr  die  lernende  Jugend  und  kam  dabei  auf  die  von  Luther  angeregte  Idee  zu- 
rück, daß  der  Schulunterricht  zu  seiner  Ergänzung  der  praktischen  Arbeit  be- 
dürfe. Dieselbe  Idee  vertrat  der  englische  Philosoph  John  Locke  in  seinem 
Buche  , Gedanken  über  Erziehung *".  Mit  wahrer  Begeisterung  kämpfte  nach  diesem 
Gelehrten  Jean  Jacques  Rousseau,  in  seiner  Epoche  machenden  Schrift  „Emil, 
oder  über  die  Erziehung**,  für  die  Einfügung  der  Handarbeit  in  den  Erziehungs- 
plan. Pestalozzi  that  dasselbe  in  den  Briefen  „Versuch,  den  Müttern  Anleitung 
SU  geben,  ihre  Kinder  selbst  zu  unterrichten''. 

Gegenwärtig  scheint  diese  Idee  praktische  Gestalt  zu  erhalten.  In  Frank- 
reich ist  der  Knabenarbeitsunterricht  seit  1882  obligatorisches  Unterrichtsfach 
für  alle  Volksschulen.  In  Schweden,  Norwegen  und  Finnland  sind  wenige 
Schulen  zu  finden,  wo  derselbe  als  fakultatives  Fach  nicht  von  den  meisten 
schulpflichtigen  Knaben  benützt  wird.  Im  übrigen  Europa  und  in  den  Vereinigten 
Staaten  sind  Vereine,  Gesellschaf  ton  und  Behörden  bestrebt,  denselben  auf  dem 
Privatwege  einzuführeu  und  der  männlichen  Jugend  zagänglich  zu  machen. 

In  der  Schweiz  datiren  die  diesbezüglichen  Bestrebungen  vom  Herbst  1882. 
In  aller  Stille  eröffneten  damals  einige  Lehrer  in  Basel  eine  „Handarbeitsschule 
für  Knaben**  mit  30  ai*men  Schülern.  Die  Sache  war  kaum  bekannt  geworden, 
als  sich  die  Knaben  in  Schaaren  herbeidrängten,  um  aufgenommen  und  in  der 
Bchalfreien  Zeit  beschäftigt  zu  werden.  Man  war  daher  darauf  bedacht,  im  fol- 
genden Jahre  diese  Hand ar bei tsschule  auf  breitere  Grundlage  zu  stellen  und  auch 
an  andern  Orten  der  Stadt  solche  Schulen  zu  eröffnen.  Bereitwilligst  entsprach 
die  h.  Regierung  dem  Gesuch,  Lokale  für  den  Knabenarbeitsunterricht  zur  Ver- 
fügung zu  stellen,  und  ein  Verein  hervorragender  Männer  Basels  übernahm  die 
weitere  Fürsorge  für  das  Unternehmen.  Bern,  SL  Gallen  und  Chur  folgten  dem 
Beispiele  Basels  im  Winter  lb83/84. 

Um  den  Lehrern,  welche  bereit  waren,  den  Handarbeitsunterricht  zu  er- 
theilen,  Gelegenheit  zu  geben  sich  hiefür  auszubilden,  wurden  bis  jetzt  zwei 
vierwöchige  Bildungskurse  für  Lehrer  an  Knabenarbeitsschulen  abgehalten; 
der  erste  in  Basel,  Sommer  1884,  mit  40  Theilnehmern,  der  andere  in  Bern, 
Sommer  1886,  mit  51  Theilnehmern.  Beide  Kurse  wurden  vun  einem  Basler 
Lehrer  geleitet,  der  die  nöthige  praktische  Ausbildung  an  einem  langem  Kurse 
in  Dresden  1883  und  an  einem  solchen  1885  im  Slöjdlehrerseminar  zu  Nääs  in 
Schweden  erhalten  hatte.  Das  Interesse  für  die  Sache  wurde  durch  diese  Kurse 
sowohl  als  auch  durch  Bekanntmachung  von  Berichten  über  die  bestehenden 
£[nabenarbeitB8chulen  in  der  ganzen  Schweiz  wachgerufen.  Zahlreiche  Vorträge 
wurden  gehalten  und  in  allen  Vereinen  und  Gesellschaften,  die  sich  um  die  Er- 
ziehung der  Jugend  kümmern,  wurde  die  Frage  des  Handarbeitsunterrichtes  für 
Knaben  lebhaft  diskutii-t.  Allgemein  hält  man  die  Einführung  desselben  für 
wänschenswerth,  allein  es  mag  noch  lange  Zeit  dauern,  bis  derselbe  Überall  bei 
jua  richtig  ertheilt  wird  und  wegen  der  beträchtlichen  (einmaligen)  Einrichtungs- 
kosten einer  solchen  Arbeitsschule  dürfte  es  an  vielen  Orten  beim  guten  Willen 
bleiben. 

Arbeitssdiulen  für  Knaben  sind  bis  jetzt,  Dezember  1886,  errichtet  worden 
in  Chor,  Altstätten,    St.  Gallen  (2),  Herisau,  Frauenfeld,  Schaffhausen,  WiutÄt- 


,  • 


Knabenarbeitsunterricht  —      126     —  Eömglicher  Rurzstiel 

thar,  Zürich,  Riesbach,  Außersihl,  Enge,  Aaraa,  Ölten,  Basel  (3),  Bnrgdorf, 
Bern  (5),  Freibarg  und  Genf.  Bereits  ist  auch  in  den  bernischen  Seminarien  zu 
Hofwyl  und  Muristalden  der  Handarbeitsunterricht  eingeführt  und  sollen  die 
Zöglinge  demselben  großes  Interesse  entgegen  bringen.  Ein  „  Seh weizerischer 
Verein  zur  Förderung  des  Arbeitsunterrichts  für  Knaben",  der  während  des 
Kurses  in  Bern  gegründet  wurde,  stellt  sich  die  Aufgabe,  den  Knabenarbeits- 
unterricht in  der  Schweiz  weiter  zu  verbreiten  und  einheitlich  zu  gestalten. 

Die  Literatur  über  diesen  neuen  Unterrichtszweig  wächst  von  Jahr  zu 
Jahr  und  ist  schon  ziemlich  groß  geworden.  In  der  Schweiz  sind  folgende 
Schriften  darüber  erschienen :  „Mens  sano  in  corpore  sano"  von  Pfr.  Christinffer, 
„Der  Arbeitsunterricht"  von  R.  Seidel,  Sekundarlehrer  in  Mollis,  „Bericht  über 
den  zweiten  schweizerischen  Bildungskurs"  von  S.  Radin,  Lehrer  in  Basel, 
„Reform  und  Ausbau  der  Volksschule"  von  Nationalrath  Schäppi  in  Horgen. 

Knaulgras,  das  gemeine,  ein  vorzügliches  Mähegras,  besonders  für 
Hofstätten  und  Baumgärten,  weniger  für  die  Weide  geeignet,  auch  Knäuelgras, 
Dickkopf,  Zottelschmale,  Knopfhalm,  Klotzhahn,  Schlegelhalm,  Hundsgras,  Katzen- 
gras, Roßgras,  Roßhalm,  Roßschmale,  Hofstattgras,  Alpenfromental  genannt,  ist 
auch  in  der  Schweiz  einheimisch  und  geht  in  den  Alpen  bis  gegen  2000  m. 
Das  Knaulgras  gedeiht  fast  auf  allen  Bodenarten,  mit  Ausnahme  von  ganz  armen 
Sand-  und  Haideböden.  Am  üppigsten  entwickelt  es  sich  in  tiefgründigen,  dünger- 
kräftigen, frischen  Lehm-  und  Thonböden,  sowie  auf  Lehm-  oder  Thonmergel- 
und  guten  Humusböden.  Auf  den  besseren  Sandböden,  sowie  auf  nicht  allzu- 
hitzigen Kalkböden  kann  es,  wenn  dieselben  frisch  sind,  ebenfalls  gepflanzt  werden, 
immerhin  ist  aber  der  Ertrag  wC'^entlich  geringer.  Im  Allgemeinen  gedeiht  es 
eher  auf  feuchten  und  schweren  Böden,  als  auf  trockenen  und  leichten.  Es  kann 
mit  Vortheil  selbst  auf  schwerem,  naßkaltem  Thonböden  angebaut  werden.  („Die 
besten  Futterpflanzen",  von  Dr.  F.  G.  Stehler,  Verlag  von  K.  J.  Wyß  in  Bern.) 

Knochenmehl  s.  auf  S.  459/60  im  I.  Bd.  d.  Lexikons.  Ein-  und  Ausfuhr 
von  K.    sind   aus   der   schweizerischen  Waarenverkehrsstatistik  nicht  ersichtlich. 

Knöpfe.  Jährliche  Einfuhr  vou  Knöpfen  ca.  1100  q;  Ausfuhr  ca.  20  q. 
Um  1880  beschäftigten  sich  mit  der  Knopf-  und  Kammmacherei  283  Personen, 
wovon  169  allein  im  Kanton  Solothurn,  wo  die  Kammmacherei  ziemlich  im 
Schwange  ist.  Birkhäuser's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  gibt  die  Adressen  von 
7  Knopffabrikanten,  wovon  4  im  Kanton  Zürich,  2  Luzern,   1  Basel. 

Knoller.    Im  Thurgau  Lokalname  für  den  weißen  Elbling  (s.  S.  551). 

Köhler.  Als  solche  bezeichneten  sich  anläßlich  der  eidgenössischen  Volks- 
zählung von  1880  363  Personen,  wovon  161  im  Kt.  Tessin,  72  Bern,  25  Waadt, 
20  Graubünden,  18  Luzern,  15  St.  Gallen,  12  Solothurn,  10  Freiburg,  30  in 
den  übrigen  Kantonen. 

Kölsch  ist  ein  Buntwebereiartikel  und  dient  zu  Bettanzügen ;  wird  beinahe 
in  allen  Buntwebereien  gewoben.  Das  Garn  wird  von  den  einheimischen  Spin- 
nereien geliefert. 

Königlicher  Kurzstiel,  auch  rother  königlicher  Kurzstiel  genannt,  ist  eine 
Tafel-  und  Wirthschaftsfrucht  zweiten  Banges  (Winterapfel),  die  sich  in  der 
Schweiz  überall  vorfindet,  aber  lange  nicht  so  stark  verbreitet  ist,  als  sie  es 
verdiente.  Dqt  Baum  wird  nur  mittelgroß  und  blüht  spät,  was  ihn  besonders 
für  solche  Gegenden  zur  Anpflanzung  empfiehlt,  die  Spätfrösten  unterworfen  sind. 
Er  trägt  fast  alljährlich;  seine  Anpflanzung  als  Kochstamm  kann  nicht  genug 
empfohlen  werden.  Spalier-  oder  Pyramidenfrüchte  sind  noch  köstlicher.  („Schwei- 
zerische Obstsorten",    Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhom  in  St.  GtiUen.) 


Königsgutedel  —      127      —  Konfektion 

Rönigsgutedel  s.  Grutedel  (aut  S.  814). 

Kohl  8.  auf  S.  692  d.  Lexikons. 

Kohlen  s.  Anthracit  (Eohlenblende),  Braunkohlen,  Briqnettes,  Coaks,  Holz- 
kohlen, Steinkohlen,  Torf.  Am  1.  Dezember  1880  zählte  man  in  der  Schweiz 
330  Kohlen-  und  Torfgräber,  wovon  83  im  Kt.  Neuenburg,  83  im  Kt.  St.  Grallen, 
76  im  Et.  Bern,  30  im  Kt.  Freiburg,  25  im  Kt.  Luzern,  33  in  den  übrigen 
Kantonen.  Birkhäuser^s  Adreßbuch  (Basel,  1885)  gibt  die  Adressen  von  318 
Kohlen-  und  Coakshandlungen.  Im  Handelsregister  waren  £nde  1884  nur  72 
Geschäfte  dieser  Art  eingetragen. 

Kolonialwaaren.  Die  schweizerische  Einfuhr  von  Kolonialwaaren  (d.  h. 
Waaren  aus  Ost-  und  Westindien  und  Südamerika)  beläuft  sich  auf  ca.  zwanzig 
Millionen  Franken  per  Jahr,  wovon  etwa  die  Hälfte  auf  Kaffee  entfällt.  Was 
-den  Zucker  betrifft,  so  kann  derselbe  hinsichtlich  des  schweizerischen  Konsums 
kaum  mehr  als  Kolonialartikel  angesehen  werden,  da  es  sich  fast  nur  um  Rüben- 
sncker  handelt.  Einen  großen  Theil  des  Imports  von  Kolonialwaaren  vermittelt 
immer  noch,  wenn  auch  in  Folge  der  vermehrten  Trans portgelegenheiten  weit 
weniger  als  früher,  der  Platz  Basel.  Im  Handelsregister  waren  Ende  1884 
ca.  4300  Kolonial-  und  Spezereiwaarengeschäfte  eingetragen  ^=  13*/«  ^/o  aller 
eingetragenen  Geschäfte.  Es  ist  dies  die  stärkste  Geschäftsgruppe,  soweit  die  Zahl 
der  Firmen  in  Betracht  kommt. 

Kondensirte  Milch  s.  Milchwirthschaft. 

Konditorei.  Dadurch,  daß  viele  Konditoreien  in  neuerer  Zeit  Maschinen 
xur  Engros-Bereitung  von  Bonbons,  Zelten,  Chocolade  etc.  zu  Hülfe  gezogen  und 
ihren  Geschäftsbetrieb  dadurch  bedeutend  erweitert,  auch  eine  gewisse  Arbeits- 
theilung  (Zuckerbäckerei  oder  Konditorei  einerseits,  Confiserie  anderseits)  eingeführt 
haben,  ist  denselben  ein  mehr  fabrikmäßiger  Charakter  zu  eigen  geworden. 

Die  sog.  Confiserie  befaßt  sich  speziell  mit  Produkten  aus  gekochtem 
Zucker  (Bonbons,  Zelte,  Pastillen  u.  dgl.),  wozu  sie  besonders  konstruirter  Koch- 
herde bedarf,  wogegen  die  Domäne  der  Konditoren  mehr  der  Backofen  ist  und 
Spezialitäten  in  sich  schließt,  die,  wie  Honigkuchen,  Baslerleckerli  etc.,  auch 
exportirt  werden.  Die  Jahresproduktion  der  schweizerischen  Confiserien,  inkl. 
pharmazeutische  Pastillen  u.  dgl.,  wird  auf  50 — 60  q  im  Werthe  von  1^/2  Mil- 
lionen Franken  geschätzt. 

Die  Confitürenbranche  hat  sich  theil  weise  ebenfalls  schon  von  dem 
filteren  Konditoreibetrieb  zur  Selbstständigkeit  abgelöst.  Schweizerische  Frucht- 
konaerven  und  -Säfte  finden  bereits  in  größeren  Quantitäten  ihren  Weg  auch  in*8 
Analand.  Die  Tragantwaarenfabrikation  (Dragee,  Figurenformerei)  ist  in 
der  Schweiz  ebenfalls  in  bemerkenswerther  Weise  entwickelt. 

Konditorfarben  unschädlicher  Natur  werden  von  Louis  Imhof  in  Aarau 
hergestellt  und  zum  Theil  exportirt. 

Konfektion.  Die  K.  von  Kleidungsstücken  für  Herren  und  Damen  ist  in 
der  Schweiz  noch  sehr  der  Ausdehnung  fähig.  Es  werden  noch  viel  zu  viel 
fertige  Kleider  aus  dem  Ausland  bezogen,  wie  die  unter  „Kleider*"  mitgetheilten 
Einfdhrsahlen  beweisen.  Immerhin  finden  Tausende  von  Personen  Beschäftigung 
mit  der  Anfertigung  von  Kravatten,  Blousen,  Damenmänteln,  Schürzen,  Jupons, 
•owie  Yon  gewirkten  und  gewobenen  Unterkleidern  für  beide  Geschlechter.  Der 
«tattUohe  Trapp  der  Harchands-Tailleurs  (ca.  460)  beweist  anderseits,  daß  der 
riesige  Bedarf  an  Herrenkleidem  zum  guten  (wohl  zum  größten)  Theil  vom  Inland 
aelbgt  gedeckt  wird. 


Konfektion  —     128     —  Konsulate 

Die  größten  bekannten  Konfektionsgeschäfte  (fttr  Damenkonfektion)  sind  in 
Zürich;  zwei  derselben  haben  oder  hatten  in  den  letzten  Jahren  je  145  und 
170  Arbeiterinnen.  Sie  sind  dem  Fabrikgesetz  unterstellt,  wie  auch  zwei  Geschäfte 
in  St.  Grallen  mit  je  30 — 40  Arbeiterinnen. 

Konkordate  s.  Verträge  unter  den  Kantonen. 

Konkordatsbanken  s.  Emissionsbanken. 

Konkurse  s.  Schuldbetreibungen. 

Konserven.  In  großem  Maßstab  werden  in  der  Schweiz  vor  Allem  Milch, 
Früchte  und  Fleisch  konservirt  und  exportirt.  Gedörrtes  Obst:  Aepfel,  Birnen, 
Kirschen  u.  dgl.  wird  hauptsächlich  in  den  Kantonen  Luzem,  Zug,  Aargau,  Bern, 
Solothurn,  Zürich  und  Thurgau  gehandelt.  Beeren-  und  Gemüsekonserven  fabrizirt 
und  exportirt  vorzüglich  die  Westschweiz  (u.  A.  Nyon).  Erwähnung  verdienen 
unter  dieser  Rubrik  auch  die  Kaffeesurrogate  (Cichorien,  Feigenkaffee,  Kaffee- 
Essenz,  Zucker- Essenz).  Großartig  ist  die  Fabrikation  und  Ausfuhr  kondensirter 
Milch.  Schweizerischer  Kunsthonig  (Glycose  und  Bienenhonig)  findet  großen 
Absatz.  Unter  den  Fleischkonserven  nehmen  die  Tessiner-  und  Graubündner-, 
sowie  Berner-  und  St.  Galler-Rauchwaaren  einen  bedeutenden  Rang  ein. 

Importirt  werden  in  großen  Quantitäten  konservirte  Gemüse,  eingemachte 
Fische  und  andere  Seethiere  etc.  Die  schweizerischen  Hotels  allein  beziehen 
jährlich  für  über  1  Million  Franken  Konserven  vom  Ausland. 

Dem  Schweiz.  Fabrikgesetz  sind  (Ende  1886)  die  Konservenfabriken  der  Firmen 
Bernhard  &  Cie.    in  Rorschach    und  Henckell  &  Zeiler   in  Lenzburg  unterstellt. 

Kons ularvertr [ige.  Solche  Verträge  werden  bisweilen  abgeschlossen,  um 
die  Rechte  und  Pflichten  festzusetzen,  welche  die  Konsuln  der  kontrahirenden 
Staaten  den  Behörden  dieser  letztern  gegenüber  und  umgekehrt  die  Behörden 
den  Konsuln  gegenüber  haben  sollen.  In  der  Regel  aber  werden  die  Konsular- 
Verhältnisse  durch  die  Handels-  und  Niederlassungsverträge  geordnet  oder  es  gilt 
für  dieselben  stillschweigend  das  Völkerrecht. 

Spezielle  Konsularverträge  hat  die  Schweiz  mit  Brasilien,  d.  d.  21.  Oktober 
1878  (von  letzterem  Staat  per  Ende  1887  gekündet)  (A.  S.  n.  F.  IV,  pag.  108); 
mit  Italien,  d.  d.  22.  Juli  1868  (A.  S.  IX,  pag.  706);  mit  den  Niederlanden, 
d.  d.  19.  Januar  1813,  betreffend  Niederländisch  Indien  (A.  S.  IX,  pag.  706); 
mit  Rumänien,  d.  d.   14.  Februar  1880  (A.  S.  n.  F.  5,  pag.  282). 

Folgende  Handelsverträge  enthalten  Bestimmungen  betreffend  die  Konsuln: 
Dänemark,  Artikel  IX;  Großbritannien,  Art.  VII;  Hawaii,  Art.  VI[;  Japan, 
Art.  2;  Persien,  Art.  2  und  7 ;  Rußland,  Art.  8—11;  Salvador,  Art.  VIII; 
Vereinigte  Staaten  von  Nordamerika,  Art.  VII.  (Vgl.  Eichmann,  Sammlung  der 
Handels-,   Niederlassungs-   und  Konsularverträge,   Orell  Füßli  &  Co.  in  Zürich.) 

Konsulate.  Eine  geschichtliche  Darstellung  des  schweizerischen  Konsular- 
wesens von  1798  bis  1886  ist  im  Artikel  „Interessenvertretung  im  Auslände**, 
Seite  78/90  des  laufenden  Bandes,  enthalten.  Es  brauchen  somit  hier  nur  noch 
einige  Mittheilungen  statistischer  Natur  gemacht  zu  werden. 

Der  Bestand  der  schweizerischen  Konsulate  im  Auslände  ist  Ende  1886 
folgender : 

12  Generalkonsulate  (Brüssel  2  für  Belgien  und  Kongostaat,  Bucharest,  Lissabon, 
London,  Madrid,  Mexiko,  Neapel,  Rio  de  Janeiro,  St.  Petersburg,  Turin,  Yoko- 
hama), 64  Konsulate,  13  selbstständige  Vizekonsulate,  1  Konsularagentur  (Knox- 
ville),  zusammen  90  Konsularstellen,  ohne  die  6  von  den  Gesandtschaften  besorgten 
Konsulate,  welche  sind :  Berlin,  Karlsruhe  oder  Stuttgart,  Paris,  Rom,  Washington 
und  Charleston. 


Konsulate 


—     129     — 


Konsulate 


8  Grencralkonsuln  und  15  Konsuln  sind  als  GehUlfen  und  Stellvertreter 
23  Yizekonsuln  beigegeben  (Vakanzen  inbegriffen),  so  daß  sich  die  Gesammtzabl 
der  Konsularbeamten  auf  113  beläuft. 

Von  den  90  Konsularstellen  entfallen  47  auf  Europa,  31  auf  Amerika, 
4  auf  Asien,  5  auf  Afrika,  3  auf  Australien, 

oder,  nach  den  Staaten  repartirt, 

13  auf  Frankreich  inkl.  Algerien,  11  auf  die  nordamerikanische  Union, 
10  auf  Brasilien,  9  auf  Italien,  7  auf  Deutschland,  7  auf  Großbritannien  inkl. 
Kolonien,  6  auf  Rußland,  4  auf  Spanien  inkl.  Kolonien,  3  auf  Holland  und  Java, 
2  auf  Oesterreich-Ungam,  2  auf  Belgien,  2  auf  Bumänien,  2  auf  Argentinien, 
2  auf  Uruguay,  2  auf  Japan,  1  auf  Griechenland,  1  auf  Portugal,  1  auf 
Schweden  und  Norwegen,  1  auf  Mexiko,  1  auf  Columbien,  1  auf  Chile,  1  auf 
Peru,   1  auf  den  Kongostaat. 

Deutschland  hatte  im  Jahre  1886  663  Konsulate,  Frankreich  ca.  650,  Itahen 
649,  Belgien  423,  die  nordamerikanische  Union  ca.  650,  Oesterreich  ca.  450. 

Von  den  hievor  erwähnten  Staaten  hat  Belgien  am  meisten  Aehnlichkeit 
mit  der  Schweiz.  Beide  Staaten  sind  klein,  aber  industriell  bedeutend ;  es  lohnt 
sich  daher,  einen  Vergleich  hinsichtlich  der  Konsularverhältnisse  zwischen  den 
beiden  Staaten  anzustellen.  Belgien  hat  (1886)  423  Konsularstellen  und  ver- 
ausgabt für  dieselben  ca.  Fr.  514,000;  die  Schweiz  hat  90  Konsularstellen  und 
verausgabt  für  dieselben  ca.  Fr.  107,000.  Mit  Ausnahme  von  27  Bernfskonsuln 
sind  die  belgischen  Konsuln,  gleich  den  schweizerischen,  unbesoldet  und  dieselben 
rekrutiren  sich,  wie  die  schweizerischen,  zur  großen  Mehrzahl  aus  dem  Kaufmanns- 
stande. Man  darf  getrost  behaupten,  daß  von  allen  Konsulaten  die  belgischen  die 
besten  Dienste  lebten,  indem  sie  1)  im  Verhältniß  zur  Größe  und  zur  Einwohner- 
zahl Belgiens  sehr  zahlreich  sind,  2)  acht  kaufmännische  Berichte  abfassen,  3)  ihr 
Land  reichlich  mit  Mustern  versehen,  wovon  das  Handelsmuseum  in  Brüssel 
beredtes  Zeugniß  ablegt  —  eine  Institution,  die  nachzuahmen  die  Schweiz  nicht 
yersäumen  sollte. 

Folgende  Aufstellung  zeigt,  wie  die  Schweiz  und  Belgien  in  den  verschiedenen 
Staaten  vertreten  sind: 


Land 


Belgien  Schweis 
Konsul.  KoDflul. 


Argentinien 3 

Belgien — 

Bolivien 2 

Brasilien 11 

Caiile 3 

Qiina 3 

Columbien 4 

Costa-Rica 1 

D&nemark 7 

Dänische  Besitzungen  ...  1 

Deutschland    ......  29 

Dominikanische  Republik  1 

Ecuador      2 

Frankreich 35 

Franzteische  Besitzungen  6 

(kiechenland 8 

Großbritannien  und  Irland   .  50 

Britische  Besitzungen  ...  33 

Guatemala 3 

Haiti 5 


2 

2 

10 
1 


7^) 


10^) 
3 
1 
2 
5 


Land 


Belgien  Schweiz 
Konsnl.   Koosnl. 

1  — 


Hawaii 

Honduras 2         - 

Italien 24          9») 

Japan 4          2 

Kongostaat 1 

Liberia 2  — 

Luxemburg l  — 

Marokko 5  — 

Mexiko 7          1 

Monaco 1  — 

Niederlande 15          2 

Niederländische    Besitzungen  6          1 

Oesterreich-Üngarn  ....  6          2 

Peru 4          1 

Portugal 16          1 

Portugiesische  Besitzungen    .  4  — 

Rumänien 7          2 

Rußland 20          6 

San  Salvador 1  — 

Siam 1  — 


^)  Ohne  die  von  den  schweizerischen  Gesandtschaften  besorgten. 

Forrer,  VolktwirthacbafU-Lexfkon  der  Schweix. 


i 


Konsulate 


—     130     — 


Konsulate 


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'• 


Schweden  und  Norwegen  6 

Schweiz 3 

Spanien 24 

Spanische  Besitzungen      .    .  7 

Türkei  (Egypten  3)  .    .     .    .  21 


2 
2 


Uruguay 2          2 

Venezuela 5  — 

Ver.  Staaten  v.  Nordamerika  20  11*) 

Zanzibar 1  — 


423        90 


Die   im   Dezember   1886    bestehenden    schweizerischen    Konsulate    im   Aus- 
lände sind: 

In    Europa. 

Belgien:  Greneralkonsulat  in  Brüssel;  Konsulat  in  Antwerpen. 
Deutschland,  in  9  Bezirke  eingetheilt:  Konsulate  in  Hamburg,  Bremen, 
Leipzig,  Frankfurt  a.  M.,  München,  Stuttgart,  Königsberg,  Berlin,  Karlsruhe  oder 
Straßburg  (letztere  2  von  der  Gesandtschaft  in  Berlin  bcRorgt) ;  Vizekonsulat  in 
Königsberg. 

Die  Bezirkseintheilung  ist  folgende: 

I.  Hamburg,  Schleswig-Holstein,  Lübeck,  beide  Mecklenburg  und  Lauenburg, 
n.  Bremen,    Oldenburg,    Hannover,    Westphalen,    Braunsdhweig,    Lippe-Detmold, 
Schaumburg-Lippe,  Waldeck  und  Pyrmont. 

III.  (Leipzig):  Königreich  Sachsen,  Großherzogthum  Sachsen-Weimar,  Herzogthümer 
Sachsen- Altenburg,  Sachsen-Coburg-Gotha,  Sachsen-Meiningen  und  Anhalt,  Fürsten- 
thümer  Schwarzburg-Rudolstadt,  Schwarzburg-Sondershausen  und  Reuß,  ältere 
und  jüngere  Linie. 

IV.  (Berlin):  Brandenburg,  Sachsen,  Posen,  Schlesien  und  Pommern. 
V.  (Königsberg):  Provinz  Preußen. 

VL  (Frankfurt  a.  M.) :   Hessen,  Nassau,  Rheinprovinz  und  Großherzogthum  Hessen. 
VU.  (München):  Bayern  mit  Ausschluß  der  Rheinpfalz. 
Vin.  (Stuttgart):  Württemberg  und  Hohenzollern. 
IX.  (Karlsruhe  oder  Straßburg):  Baden,  Elsaß-Lothringen  und  die  Rheinpfalz. 

Frankreich,  in   11  Bezirke  eingetheilt  (inkL  Algier,  s.  d.  unter  Afnka): 

Konsulate  in  Paris  (wird  von  der  schweizerischen  Gesandtschaft  besorgt),  Hävre, 

Nantes,    Bordeaux,  Nizza,  Lyon,  Besannen,  Nancy  und  Marseille;    Yizekonsulate 

in  Bayonne  und  Cannes  (letzteres  steht  unter  dem  Konsulat«  von  Nizza). 

Die  Bezirkeintheilung  ist  folgende : 

I.  (Paris):  Die  Departemente  Aisne,  Ardennes,  Aube,  Eure  et  Loire,  Loir  et  Cher, 

Loiret,  Marne,  Nord,  Oise,  Seine,  Seine  et  Marne,  Seine  et  Oise,  Tonne. 
II.  (Hävre):   Die  Departemente  Pas  de  Galais,  Somme,  Seine  inf^rieure,  Eure,  Cal- 
vados, Orne,  Manche, 
in.  (Nantes) :  Die  Departemente  Finistöre,  Cötes  du  Nord,  Deux  S6vres,  Ile  et  Vilaine, 
Indre,   Indre  et  Loire,   Loire   införieure,   Maine  et  Loire,   Mayenne,   Morbihan, 
Sarthe,  Vend6e,  Vienne. 
IV.  (Bordeaux):   Die  Departemente   Charente   inf^rieure,   Charente,   Haute  Vienne, 
Corr^ze,  Dordogne,  Gironde,  Lot,  Lot  et  Garonne,  Tarn  et  Garonne,  Grers,  Haute 
Garonne. 
V.  (Bayonne):  Die  Departemente  Landes,  Hautes  Pyrönöes,  Basses  Pyrönöes. 
VL  (Nizza):  Die  Departemente  Basses  Alpes,  Hautes  Alpes,  Alpes  maritimes. 
VU.  (Lyon):  Die  Departemente  Ain,  Allier,   Ard^che,  Cantal,  Gher,  Greuse,  Dröme, 
Is6re,  Loire,  Haute  Loire,  Ni^vre,  Puy  de  Dome,  Rhone,  Saöne  et  Loire,  Savoie, 
Haute  Savoie. 
VIII.  (BesanQon):  Cöte  d*Or,  Doubs,  Jura,  Beifort,  Haute  Saöne. 
IX.  (Nancy):  Haute  Marne,  Meurthe  et  Moselle,  Meuse,  Vosges. 
X.  (Marseille):   Ari^ge,  Aude,  Aveyron,  Bouches  du  Rhone,  Gard,  Hörault,  Lozöre, 
Pyr6n6es  orientales.  Tarn,  Var,  Vaucluse,  Corsika. 

Griechenland:  Einziges  Konsulat  in  Patras. 

Großbritannien:  Generalkonsulat  in  London  und  Konsulat  in  Liverpool. 

Italien,  in  10  Bezirke  eingetheilt;  Generalkonsulate  in  Turin  und  Neapel; 


^)  Ohne  die  von  der  schweizerischen  G^esandtschafl  besorgten. 


Konsulate  —     131     —  Konsulate 

Konsulate  in  Mailand,  Venedig,  Genua,  Livorno,  Ancona,  Messina,  Palermo  und 
Born  (letzteres  wird  von  der  schweizerischen  G-esandtsohaft  hesorgt). 
Die  Bezirkseintheilung  ist  folgende: 

I.  (Turin):  Die  Provinzen  Turin,  Novara,  Alexandrien  und  Guneo. 
n.  (Mailand):  Die  Provinzen  Mailand,  Sondrio,  Gomo,  Bergamo,  Brescia,  Gremona, 
Mantua,  Modena,  Reggio,  Parma,  Piacenza  und  Pavia. 

III.  (Venedig):  Die  Provinzen  Venedig,  Udine,  Belluno,  Treviso,  Vicenza,  Verona, 
Padua,  Rovigo,  Ferrara. 

IV.  (Genua):  Die  Provinzen  Grenua,  Porto  Maurizio,  Sassari  und  Gagliari. 

V.  (Livorno):  Die  Provinzen  Livomo,  Pisa,  Lucca,  Massa  Carrara,  Florenz,  Arezzo, 

Siena  und  Grosseto. 
VI.  (Ancona) :  Die  Provinzen  Ancona,  Bologna,  Ravenna,  Forli,  Pesaro  und  Urbino, 

Perugia,  Macerata,  Ascoli-Piceno,  Teramo,  Aquila  und  Ghieti. 
Vn.  (Neapel) :  Die  Provinzen  Neapel,  Gaserta,  Benevento,  Gampobasso,  Foggia,  Avel- 

lino,  Salemo,  Potenza,  Bari,  Lecce,  Gosenza,  Gatanzaro  und  Reggio. 
VUL  (Messina):  Die  Provinzen  Messina,  Gatania  und  Noto. 
IX.  (Palermo):  Die  Provinzen  Palermo,  Galtanisetta,  Girgenti  und  Trapani. 
X.  (Rom):  Die  Provinz  Rom. 

Niederlande  und  Luxemburg,  in  3  Bezirke  eingetheilt  (inkl.  nieder- 
ländische Besitzungen,  s.  d.  unter  Asien) :  Konsulate  in  Amsterdam  und  Rotterdam. 
Die  Bezirkseintheilung  ist  folgende: 

I.  (Amsterdam) :  Nordholland,  Utrecht,  Geldern,  Overyssel,  Groningen,  Drenthe  und 

Friesland. 
II.  (Rotterdam):  SQdholland,  Seeland,  Nordbrabant,  Limburg  und  Großherzogthum 
Luxemberg. 

Oesterreich- Ungarn:  Konsulate  in  Triest  und  Budapest,  letzteres  für 
Ungarn. 

Portugal:  Generalkonsulat  in  Lissabon. 

Rumänien,  in  2  Bezirke  eingetheilt:  Generalkonsulat  in  Bncharest  und 
Konsulat  in  Galatz. 

Die  Bezirkseintheilung  ist  folgende : 

L  (Bncharest):  Alle  rumänischen  Bezirke,   welche  dem  Konsulate  in  Galatz  nicht 

zugetheilt  sind. 
II.  (Galatz):  Galatz,  Bralla  und  die  Dobrudja. 

Rußland,  in  6  Bezirke  eingetheilt:  Generalkonsulat  in  Petersburg,  Kon- 
sulate in  Moskau,  Odessa,  Riga  und  Warschau. 
Die  Bezirkseintheilung  ist  folgende: 

I.  (St.  Petersberg) :  Alle  russischen  Gouvememente  in  Europa  und  Asien,  welche 

den  Qbrigen  Konsulaten  nicht  zugetheilt  sind. 
II.  (Moskau):    Die   Grouvernemente   Jarowslaw,   Kaluga,   Kasan,   Kostroma,   Kursk, 

Moskau,    Nijni   Nowgorod,    Orel,    Pensa,   Riasan,   Samara,   Saratow,  Simbirsk, 

Smolensk,  Tambow,  Tula,  Twer,  Wladimir  und  Woronesch  in  Gentralrußland. 
ni.  (Odessa):  Die  Gouvememente  Astrachan,  Bessarabien,  Don  (Provinz),  Jekateri- 

noslaw,  Charkow,  Gherson,  Kiew,  Kuban  (Provinz),  Podolien,  Pultawa,  Stawropol, 

Tauris,  Tschernigow,  Terek  (Provinz)  und  Wolhynien. 
rV.  (Riga):  Die  Gouvememente  Kurland,  Esthland  und  Livland. 
V.  (Warschau):   Polen   und   die  Gouvememente  Kahsch,   Kielce,   Lomza,   Lnblin, 

Piotrkow,  Plotsk,  Radow,  Siedice,  Suwalki  und  Warschau. 
VL  (Tiflis)  Transkaukasien 

Schweden  und  Kor  wegen:  Konsulat  in  Christiania. 

Spanien:  Generalkonsulat  in  Madrid  und  Konsulat  in  Barcelona. 

In    Amerika. 

Vereinigte  Staaten  von  Nordamerika,  in  12  Bezirke  eingetheilt: 
Konsulate  in  New-York,  Philadelphia,  Washington  und  Charleston  (diese  beiden 
werden  von  der  sohweizerischen  Gesandtschaft  besorgt),  Neu-OiVoBü^^  QAxv<e»:D:&»XlV| 


Konsulate  —      132     —  Konsulate 

St.  Lonis,  Chicago,  Gralveston,  San  Francisco,  Louisville  nnd  Purtland;  Konsular- 

agentur  in  Knoxville. 

Die  Bezirkseintheilnng  ist  folgende: 

I.  (New- York):   Die  Staaten  New- York,   New-Hampshire,   Vermont,   Massachusets, 

Rhode-Island  und  Connecticut 
II.  (Philadelphia):  Die  Staaten  Pennsylvanien  und  New-Yersey. 
m.  (Washington) :  Die  Staaten  Virginien,  Maryland,  Delaware,  der  Distrikt  Ck)lunihia. 
IV.  (Gharleston) :  Die  Staaten  Nord-Carolina,  Süd-Carolina,  (Georgia  und  Florida. 
V.  (Neu-Orleans) :  Die  Staaten  Louisiana,  Alahama,  Tenessee,  Arkansas  und  Mississippi. 

(Knoxville):  Staat  Tenessee. 
VI.  (Cincinnati) :  Die  Staaten  Ohio  und  Indiana. 
Vn.  (St.  Louis) :   Die  Staaten  Missouri,   Kansas,  Nebraska  und  südlicher  Theil   von 

Illinois. 
Vm.  (Chicago):   Staaten  Michigan,   Wisconsin,   Jowa,  Minesota  und  nördlicher  Theil 
von  Illinois. 
IX.  (Galveston):  Staat  Texas. 
X.  (San  Francisco):  Kalifornien  und  Staat  Nevada. 
XI.  (Louisville):  Staat  Kentucky. 
XIL  (Portland):  Staat  Oregon,  sowie  die  Territorien  Washington  und  Idaho. 

Mexiko:  Generalkonsulat  in  Mexiko. 

Vereinigte  Staaten  von  Columbia:  Konsulat  in  Panama. 

Peru:  Konsulat  in  Lima. 

Brasilien,  in  6  Bezirke  eingetheilt:  Generalkonsulat  in  Rio  de  Janeiro; 
Konsulate  in  Para,  Pernambuco,  Biüiia,  Desterro  und  Rio  grande  do  Sul;  Vize- 
konsulate in  Maranhad,  Leopoldina,  Cantagallo  und  Campinas. 

Die  Bezirkseintheilnng  ist  folgende: 

I.  (Para):  Die  Provinzen  Para,  Amazonas,  Maranhaö,  Piauhy. 

(Maranhaö):  Vizekonsulat,  dem  Konsulate  in  Para  untergeordnet 
IL  (Pernambuco):  Die  Provinzen  Pernambuco,  C^arä,  Parahyba  do  Norte  und  Rio 
grande  do  Norte. 

III.  (Bahia):  Die  Provinzen  Alagoas,  Sergipe,  Bahia.  Das  Vizekonsulat  Leopoldina 
ist  diesem  Kreis  zugetheilt. 

IV.  (Rio  de  Janeiro):  Die  Provinzen  Espirito  Santo,  Minas  Gera^,  Groyaz,  Matto 
Grosso,  Sao  Paulo  und  Rio  de  Janeiro.  Die  Vizekonsulate  Cantagallo  und 
Campinas  sind  diesem  Kreise  zugetheilt. 

V.  (Desterro):  Die  Provinzen  Santa  Catharina  und  Parana. 

VI.  (Rio  grande  do  Sul):  Die  Provinz  Sao  Pedro  de  Rio  grande  do  Sul. 

Argentinien:  Konsulat  in  Buenos- Ayres ;  Vizekonsulat  in Rosario,  letzteres 
für  die  Provinz  Santa  F6. 

Uruguay:  Konsulat  in  Montevideo  und  Vizekonsulat  in  Paysandu. 

Chili:  Konsulat  in  Valparaiso. 

Britische  Besitzungen:  Canada:  Konsulat  in  Montreal  für  ganz 
Canada. 

Spanische  Besitzungen:  Konsulat  in  Havanna  auf  der  Insel  Cuba. 

In  Asien. 

Japan:  Generalkonsulat  für  ganz  Japan  in  Yokohama  und  Tokio;  Vize- 
konsulat fiir  Hiogo  und  Osaka  in  Osaka. 

Niederländische  Besitzungen:  Konsulat  in  Batavia. 
Spanische  Besitzungen:  Konsulat  in  Manilla  für  die  Philippinen. 

In  Afrika. 

Kongostaat:  (jleneralkonsulat  in  Brüssel. 

Algerien:   Konsulat  in  Algier;  Vizekonsulate  in  Oran  und  Philippeville. 

Algier  für  die  Provinzen  Algier,   Oran  und  Constantine.  —   Oran  für  die 
Provinz  Oran.  —  Philippeville  für  die  Provinz  Constantine. 


Konsulate  —      133     —  Konsulate 

Britische  Besitzungen:  Konsulat  in  Port  Louis  auf  der  Insel  Mauritius. 

In  Australien. 
Britische   Besitzungen:   Konsulate   in  Sidney   und  Melbourne;    Vize- 
konsulat  für  Süd- Australien  in  Adelalide  (letzteres  unter  dem  Konsulat  in  Melbourne). 

Die  Summe  der  Entschädigungen  aus  der  Bundeskasse  an  die 
Konsulate  betrug  von  1856— 1863  je  Fr.  5000,  1864:  20,000,  1865:  20,000, 
1866:  43,000,  1867:  43,000,  1868:43,000,  1869— 1874  je  50,000,  1875 
54,750,  1876:  61,750,  1877:  75,346,  1878:  73,750,  1879:74,700,  1880 
76,500,  1881:  82,000,  1882:  89,500,  1883:  86,375,  1884:94,000,  1885 
96,000,   1886:   107,500. 

Das  erste  Konsulat,  welches  eine  Entschädigung  erhielt,  war  dasjenige  in 
Washington,  ursprünglich  Fr.  5000,  später  Fr.  16,000. 

Die  Summe  pro  1886  (Fr.  107,500)  repartirt  sich  auf  8  Greneralkonsulate 
und  24  Konsulate,  und  zwar  in  folgender  Weise:  London  Fr.  15,000,  Bio  de 
Janeiro  9000,  Hävre  8000,  Brüssel  6000,  Buenos-Ayres  6000,  Paris  5000, 
New-York  5000,  Petersburg  4000,  Lyon  4000,  Melbourne  4000,  Mailand  4000, 
Besangen  3000,  Moskau  3000,  Montevideo  3000,  Sydney  3000,  Bukarest  2500, 
Nizza  2500,  Marseille  2000,  Philadelphia  2000,  Neu-Orleans  2000,  Warschau 
2000,  Neapel  1500,  Odessa  1500,  Tiflis  1500,  Lissabon  1000,  Genua  1000, 
Amsterdam    1000,    Antwerpen    1000,    Bremen  1000,    Livorno  1000,    Venedig 

1000,  Cannes  1000. 

Frankreich  verausgabt  fdr  sein  Konsularwesen  Fr.  4*500,000,  exkl.  Bureau- 
Entschädigungen ;  Italien  Fr.  463,500  Besoldungen  und  Fr.  210S,700  Bureau- 
Entschädigungen;  Großbritannien  Fr.  4'350,000  Besoldungen  und  Fr.  1'150,000 
fQr  Bureau-Entschädigungen;  betrefifend  Belgien  s.  Seite  129  hievor. 

Fremde  Konsulate  in  der  Schweiz. 
Es  sind  deren  (Ende  1886)  50,  nämlich 

a.  Für  europäische  Staaten  27: 

Belgien  3:  Greneralkonsulat  in  Genf,  Konsulate  in  Basel  und  Zürich. 

Dänemark  1 :  Generalkonsulat  in  Genf. 

Deutsches  Beich  3:  Konsulate  in  Basel,  Genf  und  Zürich. 

Frankreich  3:  Konsulate  in  Genf  und  Basel,  Yizekonsulat  in  Ztlrich. 

Griechenland  1 :  Generalkonsulat  in  Genf. 

Großbritannien  3 :  Konsulate  in  Genf  und  Zürich,  Yizekonsulat  in  Lausanne. 

Italien  4:  Konsulate  in  Lugano,  Genf,  Zürich  und  Basel. 

Niederlande  1 :  Generalkonsulat  in  Zürich  (Enge). 

Oesterreich-Ungarn  3:  Generalkonsulat  in  Zürich,  Konsulate  in  G«nf  und 

St.  Gallen. 
Portugal  3:  Generalkonsulat  in  Bern,  Konsulate  in  Genf  und  Zürich. 
Schweden  und  Norwegen  1 :  Generalkonsulat  in  Genf. 
Spanien  1 :  Konsulat  in  Genf. 

b.  Für  amerikanische  Staaten  23: 

Vereinigte  Staaten  von  Nordamerika  9:  Generalkonsulat  in  Bern,  Kon- 
sulate in  Zürich,  Genf,  Basel,  St.  Gtillen,  Horgen,  Konsularagenturen 
in  Vivis,  Chaux-de-Fonds  und  Luzem. 

Mexiko  2:  Konsulate  in  Genf  und  Vivis. 

Salvador  1:  Konsulat  in  Genf. 

Costa  Bica  1 :  Konsulat  in  Genf. 

Argentinische  Bepublik  2 :  Konsulat  in  Genf,  Yizekonsulat  in  San  Simone 
bei  Chiasso. 


m 
I  * 


Konsulate  —      134     —  Korbflechterei 

Brasilien  2:  GreneralkoDsulat  in  Grenf,  Yizekonsulat  in  Bern. 

Chile  2:  Konsulate  in  Genf  und  Zürich. 

Peru  1 :  Konsulat  in  Grenf. 

Uruguay  3:  Generalkonsulat  in  Lugano,  Konsulate  in  Basel  und  Grenf. 

Konsumyereine.  Die  Zahl  der  K.  in  der  Schweiz  beläuft  sich,  so  weit 
bekannt,  auf  ca.  135,  wovon  Ende  1884  119  im  Handelsregister  eingetragen 
waren.  Von  den  letztern  waren  etwas  mehr  als  zur  Hälfte  als  Aktiengesellschaften, 
die  meisten  übrigen  als  Grenossenschaften  konstituirt.  Die  135  Vereine  yertheilen 
sich  auf  die  Kantone  wie  folgt:  Zürich  25,  St.  Gallen  19,  Bern  15,  Glarus  10, 
Graubünden  10,  Neuenburg  10,  Waadt  9,  Aargau  6,  Luzern  6,  Solothurn  5, 
Appenzell  A.-£h.  3,  Baselland  3,  Genf  3,  SohafFhausen  3,  Thurgau  3,  Freiburg  2, 
Baselstadt  1,  Schwyz  1,  Zug  1. 

Etwa  7^  d^^  Konsumyereine  betreibt  ausschließlich  die  Bäckerei;  diese 
Brodkonsumvereine  bestehen  vorwiegend  im  Jura  und  im  übrigen  französisch 
redenden  Theil  der  Schweiz. 

Ein  im  Jahre  1884  in  der  Zeitschrift  ^Grenossenschaft"  erschienener  kleiner 
Aufsatz  gab  an,  um  1850  hätten  erst  2  Konsumvereine  bestanden,  um  1865  17, 
um  1870  35,  um  1875  75,  um  1880  101,  um  1883  122.  Die^e  122  Vereine 
sollen  ein  Kapital  von  ca.  37«  Millionen  Franken  besessen  und  im  Jahre  1883 
einen  Umsatz  von  ca.   13  Millionen  Franken  erzielt  haben. 

Die  Zahl  der  Mitglieder  der  Konsumvereine  ist  nicht  bekannt,  eben  so  wenig 
die  Höhe  der  Gewinne. 

Kontrolstelle  für  Baumwollgarne.  Um  Mißbräuchen  im  Verkehr  mit 
Baumwollgarnen,  deren  der  Handelsplatz  St.  Gallen  bekanntlich  in  sehr  be- 
deutenden Mengen  bedarf,  zu  steuern,  wurde  daselbst  am  1.  Juli  1885  eine 
Kontrolstelle  für  Baumwollgarne  errichtet,  wo  die  Grame  auf  Nummer,  Qualität 
und  Gre wicht  kostenfrei  geprüft  werden.  Die  Kontrolstelle  steht  unter  der  Aufsicht 
und  Leitung  einer  Kommission,  die  aus  je  einem  Vertreter  des  Kaufmännischen 
Direktoriums,  des  Industrievereins  und  des  Zwirnervereins  gebildet  wird. 

Konventionalzölle  s.  im  Artikel  „Einfuhrzölle"  die  Rubrik  „  Vertragszölle ". 

Korbflechterei.  Wenn  man  in  der  eidgenössischen  Berufsstatistik  von  1880 
die  Zahl  der  Korb-  und  Sesselflechter  mit  2392  angegeben  findet  (650  Bern, 
308  Zürich,  170  Waadt,  152  Aargau,  129  St.  Gallen,  120  Luzern,  102  Grau- 
bttnden,  100  Freiburg,  98  Solothurn,  91  Thurgau,  67  Tessin,  54  Baselland, 
53  Schwyz,  48  Wallis,  45  Baselstadt,  44  Schaff  hausen,  35  Genf,  19  Zug, 
18  Neuenburg,  17  Nidwaiden,  14  Appenzell  I.-Bh.,  12  Appenzell  A.-Rh., 
10  Glarus,  9  Obwalden,  7  üri),  ist  man  leicht  versucht,  zu  glauben,  die  Korb- 
flechterei sei  bedeutender,  als  man  gemeiniglich  annahm.  Die  Wahrheit  ist,  daß 
dieses  Grewerbe  ganz  schöne  Wurzeln  gefaßt  hat,  daß  dasselbe  aber  in  Anbetracht 
der  großen  Einfuhr  von  Korbwaaren,  welche  jährlich  stattfindet,  weit  verbreiteter 
sein  könnte.  Ursache  dieses  Verhältnisses  ist,  daß  man  in  der  Schweiz  bis  vor 
wenigen  Jahren  den  Weidenpflanzungen  sehr  wenig  Aufmerksamkeit  schenkte  und 
daß  man  es  vorzog,  statt  Weiden  zum  Flechten  gleich  die  fertige  Waare  ein- 
zuführen. Noch  im  Jahre  1878  konnte  Herr  Oberforstinspektor  Coaz  an  einer 
Versammlung  von  schweizerischen  Forstmännern  sagen: 

,Das  Feld  des  Weidenbaues  liegt  bei  uns  in  der  Schweiz  fast  noch  vollständig 
brach.  Erst  in  alleigüngster  Zeit  wurden  Weidenkulturen  zur  Erzielung  von  Flechtmateriai 
angelegt,  die  aber  noch  viel  zu  wünschen  übrig  lassen.  Diese  kleinen  Erstlingsversuche 
fanden  an  verschiedenen  Uferstellen  des  Bielersees,  im  Waadtland,  im  1  hurgau  (an  der 
Thur)  und  unweit  Chur  statt.  In  Folge  dieser  Vernachlässigung  der  Weidenkultur  und 
wegen  Mangel  an  gutem  Flechtmaterial  ist  es  begreiflich,  daß  die  Korbflechterei  sich  in 


Korbflechterei 


—      135     — 


Korbflechterei 


der  Schweiz  bisher  nirgends  als  Industriezweig  so  recht  angesiedelt  hat.  Nur  im  Tößthal 
besteht  sie  im  Kleinen  schon  seit  längerer  Zeit/ 

Diese  Verhältnisse  haben  sich  wesentlich  gebessert,  denn  nach  einer  vom 
eidgenössischen  Oberforstinspektorat  aufgenommenen  Statistik  bestanden  im  Oktober 
1886  bereits  244,57  ha  Weiden pflanzungen,  welche  111  Eigenthümem  (Privaten, 
Gemeinwesen  und  Gesellschaften)  gehören.  Jene  244,57  ha  vertheilen  sich  folgender- 
maßen auf  die  Kantone:  139,63  Waadt,  66  Freiburg,  8,77  St.  Gallen,  6,07 
Ztirich,  5,89  Bern,  5,76  Luzern,  4  Wallis,  3,40  Aargau,  2,89  Solothnrn, 
0,76  SchafFhausen,  0,54  Zug,  0,48  Thurgau,  0,19  Obwalden,  0,16  Schwyz.  .^ 

üeber  die  Gesammtproduktion  von  Weiden  ist  leider  nichts  bekannt ;  dagegen 
kennt  man  die  Resultate  von  Versuchen,  welche  auf  dem  zur  Ackerbauschule 
BiHti  bei  Bern  gehörenden  Grund  und  Boden  gemacht  wurden  und  wonach  sich 
bei  20  Weidensorten  Erträge  von  1171 — 7677  kg  per  Jucharte  ergaben  = 
Fr.  117.  10  bis  Fr.  767.  70  per  Juohart.  Die  Ergebnisse  jeder  einzelnen  Sorte 
und  die  Eignung  zum  Flechten  sind  aus  folgender  Zusammenstellung  ersichtlich : 

Ertrags-  EtVö» 
^                                   bererhng.        v«.n 

"®"*  auf  1  Jach.  1  Juch. 

kg  Fr. 

1  Gleichblättrige  Hanfweide    7677     767.70 

2  Gemeine  Hanfweide     .     .    6453    645. 30 

3  Gemeine  Steinweide     .     .    6228    622. 85 

4  Fuchsschwanz-Hanfweide  .    5802    580.  20 

5  Holländische  Aschweide 


6  Gelbe  Mandelweide  .  . 

7  Braune  Königsweide  . 

8  Frühe  Mandelweide 

9  Gelbe  Königsweide  .  . 

10  Grüne  Buschweide  .  . 

11  Lange  Blendweide  .  . 

12  Grüne  Mandel  weide 

13  Gremeine  Uralweide 

14  Grüne  Stein  weide    .  . 

15  Edle  Steinweide  .    .  . 

16  Englische  Stein  weide  . 

17  Braune  Mandelweide  . 

18  Blaugrüne  Steinweide  . 

19  Dunkelrothe  Blutweide 

20  Caspische  Blutweide  • 


5700  570.05 

5269  526.95 

4988  498.80 
4943  494.30 
425.  70 
420.— 
360.75 
344.10 
289.60 
2462  246.20 
2296  229.15 
218.— 
192.90 
127.55 

126. 10 

117. 10 


4257 
4200 
3607 
3441 
2896 


2180 
1929 
1275 

1261 

1171 


Bemerkungen 

Die  Triebe  werden   zum  Theil   7.u  dick   und  Eum 

Flechten  wenig  geeignet. 
Holz  etwas  brüchig. 
Sehr  gut  zum  Flechten. 
Wie  bei  Sorte  1. 
Die  Ruthen   yerzweigen   sich  zu  viel  und  werden 

im  Verh&ltniss  zu  ihrer  Dicke  zu  wenig  lang. 
Die  Ruthen  sind  wegen  ihrer  Dicke  weniger  zaoi 

Korbflechten  geeignet. 
Holz  wird  etwa»  zu  stark. 

du. 

do. 
Eine  der  besten  für  Flechtarbeiten. 
Ausgezeichnete  Flechtsorte. 
Holz  wird  etwas  zu  stnrk. 
Sehr  gut. 

do. 

do. 

do. 
Holz  etwas  zu  stark. 
Sehr  gut  zum  Flechten. 

Ruthen  sehr  zah,   doch  theilweise  etwas  zu  stark 
zum  Flechten, 
do. 


Den  Fortschritten  in  der  Weidenkultur  entsprechen  auch  diejenigen  in  der 
Korbflechterei.  Den  Hauptimpuls  dazu  gahen  die  im  Jahre  1880  entstandenen 
Korbflechtschulen  in  St.  G-allen  und  Winterthur.  Die  erstere  wurde  nach  zwei- 
jährigem Bestand,  und  nachdem  sich  ihre  Zöglinge  in  verschiedenen  Gregenden 
des  Kantons  als  Flechter  niedergelassen,  aufgehoben  (der  Flecbtmeister  selbst 
etablirte  sich  in  St.  Gallen  als  Korbwaarenfabrikant  und  die  seitherige  Errichtung 
eines  Zweiggeschäftes  in  Zürich  spricht  fUr  seinen  geschäftlichen  Erfolg);  die 
Schule  in  Winterthur  besteht  noch  jetzt  und  wird  voraussichtlich  dauernden 
Bestand  haben.  Sie  unterrichtete  bis  Mitte  November  1886  bei  1 — 278Jähriger 
Lehrzeit  45  Zöglinge,  wovon  viele  körperlich  Gebrechliche,  so  daß  die  Anstalt 
neben  dem  rein  wirthschaftlichen  auch  einen  speziell  philanthropischen  Zweck  erfüllt. 

In  Bern  (Matte)  ist  seit  kurzer  Zeit  mit  der  Spielwaarenschule  auch  eine 
Korbfleohtschnle  vereinigt,  welcher  ein  ehemaliger  Zögling  der  Winterthurer  Schule, 
der  flieh  in  Dentsohland  noch  weiter  im  Fach  ausbildete,  vorsteht. 


Korbflechterei  —     136     —  Korbflechterei 

Aach  Freiburg  erfreut  sich  seit  1.  April  1886  einer  Eorbflechtschule,  die 
15  Zöglinge  zählt.    Lehrzeit  2  Jahre. 

Alle  diese  drei  Anstalten  erhalten  kleinere  Subventionen  von  Kanton  und  Bund. 

Nach  Art  einer  Schule  ist  ferner  eingerichtet  die  Korbflechterei  der  Herren 
Gebrüder  Cuenin,  Kattundrucker,  in  Kirchhergy  Kt.  Bern. 

In  Solothurn  steht  die  Aktiengesellschaft  fdr  Weidenkultur  und  Korb- 
flechterei im  Begriff,  die  Erlernung  der  Korbflechterei  zu  ermöglichen. 

Gleiche  Bestrebungen  machen  sich  vermutblich  noch  manchenorts  geltend 
und  es  mag  daher  der  Sache  förderlich  sein,  wenn  hier  einige  der  Bedingungen 
erwähnt  werden,  welche  Flechtmeister  J.  H.  Arnold,  der  ehemalige  Lehrer  an 
der  Korbflecbtschule  in  St.  Gallen,  fUr  den  guten  Erfolg  von  Korbflechtschulen 
für  unerläßlich  hält.  Dieselben  mögen  für  ein  so  einfach  aussehendes  Gewerbe 
etwas  hoch  gespannt  erscheinen,  lassen  sich  aber  begreifen,  wenn  mau  weiß,  daß 
die  Korbflechterei  an  Varietäten,  bei  denen  Kunstsinn,  Auge  und  Hand  gleichmäßig 
zur  Geltung  kommen,  ungemein  reich  ist. 

Die  Bedingungen  sind:  a  Disponibilität  eines  Kapitales  a  Fond  perdu  von 
beiläufig  Fr.  10,000;  b.  sorgfältige  Wahl  und  nicht  zu  große  Anzahl  der  Schüler; 
c.  ein  durchaus  tüchtiger,  gewissenhafter  Flechtmeister,  welcher  nicht  etwa  nur 
in  Spezialitäten  bewandert  ist,  sondern  die  Korbflechterei  im  vollen  Umfange 
kennt,  und  endlich  die  Gabe  hat,  den  Beruf  auf  praktische,  verständige  Weise 
den  Schülern  beizubringen;  d.  richtiges  Domizil  der  Schule;  e.  daß  der  Verschleiß 
der  Korbwaaren  in  der  Hand  eines  reellen  tüchtigen  Verkäufers  sei;  /*.  daß  der 
Schule  ein  guter  Aufsich tsrath  zur  Seite  stehe,  der  den  Zöglingen  auch  später 
in  der  Praxis  wohlwollend,  berathend  und  unterstützend  an  die  Hand  zu  gehen 
bereit  ist,  und  endlich  g.  Möglichkeit,  den  Unterricht  auch  auf  die  Weidenzucht 
auszudehnen. 

Ein  Kapital  von  beiläufig  Fr.  10,000  sei  noth wendig,  sagt  Herr  Arnold, 
a.  zur  Beschaffung  von  Robmaterialien ;  6.  zur  Beschaffung  von  Werkzeugen ; 
c,  zur  Bestreitung  von  Kost  und  Logis  zu  Gunsten  ärmerer  Schüler;  d,  zur 
Deckung  der  laufenden  Unkosten,  bestehend  in:  1)  Besoldung  eines  Lehrers, 
2)  Besoldung  eines  Hülfslehrers,  3)  Lokalmiethe,  4)  Beleuchtung  und  Heizung, 
5)  laufenden  kleinen  SpcKon;  e.  fdr  Arbeitslöhne  (vom  zweiten  Halbjahr  an). 

Die  Anzahl  der  Schüler  soll  20,  höchstens  24,  nicht  übersteigen  und  sollen 
dieselben  gruppenweise  (bei  20  in  2  Abtheilungen  von  je  10,  bei  24  in  3  Gruppen 
von  je  8)  in  Pausen  von  je  1 — 2  Monaten  einberufen  werden,  in  der  Meinung, 
je  den  vorher  Eingerückten  die  Anfangsgründe  der  Lehre  beigebracht  zu  haben, 
bis  eine  zweite  Abtheilung  erscheint. 

Das  Domizil  der  Schule  ist  unstreitig  am  besten  in  einer  größeren  Dorfschaft, 
in  der  Nähe  «iner  Weidenzucht,  placirt. 

Den  Erwerb  eines  ausgelernten  Korbflechters  betreffend  sagt  Herr  Arnold, 
das  Lohnbuch  der  st.  gallischen  Korbflechterei  weise  einen  durchschnittlichen 
Verdienst  von  anfänglich  Fr.  3,  später  Fr.  4  per  Mann  und  per  Tag  auf.  Einzelne 
gewandtere  Arbeiter  verdienen  bis  zu  Fr.  5. 

Als  Rohmaterial  für  die  Korbflechterei  dienen  nicht  nur  Weiden,  sondern 
auch  Seegras,  Meerrohr,  Stroh,  Palmblätter,  Bambus  u.  a.  m.  (Vgl.  Arnold^s 
Preisschrift:  „Die  Einführung  neuer  Industrien",  Verlag  von  J.  Huber  in 
Frauenfeld.) 

Die  Zahl  der  Korbwaarengeschäfte  in  der  Schweiz  beläuft  sich  nach  Birk- 
bäuser^s  Adreßbuch  (1885)  auf  ca.  360;  die  meisten  derselben  betreiben  offenbar 
nur  den  Handel.     Im  Handelsregister  sind  nur  ca.  50  Greschäfte  eingetragen. 


Korbflechterei  —     137     —  Kraftfutter 

Die  Waarenverkehrsstatistik  von  1885  verzeichnet  folgende  Ein-  and 
Ausfuhr  im  Spezialhandel : 

«rohe  Korbflechterwaaren,  inbegr.  grobe  Sieb-  **°^"**'  ^"•'"*»'* 

macherwaaren  und  Besen  von  Reisig     .    3137  q  =  Fr.  255,610  89  q  =  Fr.   9,273 

Feine  Korbflechterwaaren 538  ,=    ,  269,000  26  ,  =   ,  21,695 

Ca.  V*  kamen  von  und  gingen  nach  Deutschland. 

Deutlicher  ist  die  Statistik  vor  1885,  indem  die  Siebmacherwaaren  und  die 

Besen  noch  nicht  mit  den  Korbwaaren  vermengt  sind. 

Die  Einfuhr  ist  wie  folgt  angegeben: 

1)  Korbwaaren,  grobe,  von  ungespaltenem  Holz  oder  Weiden:  1884:  1516  q, 
1883:  1422  q,  Jahresdurchschnitt  1872/81:  1201  q. 

2)  Korbwaaren,    feine:    1884:    731  q,    1883:    578  q,    Jahresdurchschnitt 
1872/81 :  463  q. 

A  u  s  fu h  r  von  (/ro6cw  K. :  1884:  95  q,  1883:  85  q,  1873:  42  q,  1863: 
35  q;  von  feinen  K. :  1884:  64  q,  1883:  64  q,   1873:  27  q. 

Korkholz  und  Korkwaaren.  Einfuhr:  a.  von  KorkholZy  roh,  in 
Platten,  im  Jahresdurchschnitt  1872/81:  207  q,  1883:  530  q,  1884:  761  q, 
1885:  944  q  a  Fr.  95  (518  q  aus  Frankreich,  324  q  aus  Deutschland).  — 
b,  von  Korkwaaren,  im  Jahresdurchschnitt  1872/81:  1189  q,  1883:  1218  q, 
1884:  1204  q,  1885:  1231  q  ä  Fr.  380  (645  q  aus  Frankreich,  324  q  aus 
Deutschland,  268  q  aus  Spanien). 

Ausfuhr:  a.  Yon  Korkholz,  roh,  in  Platten,  1884:  121  q,  1885:  182  q 
k  Fr.  45.  42  (95  q  nach  Deutschland,  86  q  nach  Frankreich).  —  b,  von  Kork- 
waaren,  im  Jahre  1883:  145  q,  1884:  105  q,  1885:  47  q  ä  Fr.  346  (18  q 
nach  Frankreich,   11  q  nach  Deutschland,   10  q  nach  Italien). 

Korksteinfalirikatioil.  Diese  Fabrikation  wird  laut  Handelsregister  von 
der  Firma  A.  Geisen  in  Basel  betrieben. 

Korn  H.  Gretreidebau. 

Kostgeberei  und  Logisgeberei.  Im  Jahre  1880  fanden  (laut  eidg. 
Yolkszählnngsstatistik)  durch  diese  Erwerbszweige  5000  Personen  ihren  Lebens- 
unterhalt; davon  3193  (2938  w.,  255  m.)  als  Erwerbsthätige,  1174  als  An- 
^hörige  ohne  Erwerb,  633  als  Hausgesinde.  Die  Zahl  der  Erwerbsthätigen 
(2,4  ^/oo  aller  Bernftreibenden  der  Schweiz)  vertheilt  sich  folgendermaßen  auf 
die  Kantone:  1601  Zürich,  394  Genf,  187  Waadt,  169  Bern,  166  St.  Gallen, 
122  Baselstadt,  92  Neuenburg,  75  Uri,  53  Aargau,  50  Luzem,  41  Schwyz, 
^7  Tessin,  36  Graubünden,  34  Solothurn,  33  Appenzell  A.-£h.,  22  Schaffhausen, 
22  Thurgau,  21  Baselland,  14  Zug,  10  Freiburg,  10  Glarus,  2  Nidwaiden, 
1  Appenzell  I.-Bh.,   1  Wallis. 

In  obigen  Zahlen  sind  513  Ausländer  (456  w.,  57  m.)  inbegriffen.  Die 
Kost-   und  Logisgeberei   in  Wirthschaften  und  Gttöthöfen  ist  nicht  mitgerechnet. 

Kostümstickerei  (Dressgood).  liebliche  G^sammtbezeichnung  für  die  neueren 
farbigen  Artikel  der  ostschweizerischen  Maschinenstickerei  in  Plattstich,  wobei 
außer  Baumwolle  auch  Wolle  und  Seide  in  mannigfaltiger  Kombination  verwendet 
wird.  Im  Jahre  1882  waren  ungefähr  ^/i  sämmtlicher  Stickmaschinen  mit  solchen 
farbigen,  meist  besser  als  die  weißen  Massenartikel  lohnenden  Spezialitäten  be- 
schäftigt. 

Krachgutedel  s.  Gutedel  (S.  814). 

Kraftfutter«  (Mitgetheilt  von  Herrn  Müller,  Chef  der  Land wirthschafts- 
Abtheilung  des  eidg.  Handels-  und  Landwirthschafts- Departements.)  Sämmtliche 
Ifährstoffe  für  die  warmblütigen  Thiere  werden  unterschieden  in  stickstoffhaltige 


Kraftfutter  —      138     —  Kraftfutter 

(N  h),  hauptsächlich  Eiweißstoffe,  und  in  stickstofffreie  (Nfr)>  hauptsächlich  Kohle- 
hydrate und  Fett.  Die  erst  in  neuerer  Zeit  durch  die  agrikulturchemischen 
Versuchsstationen  angestellten  exakten  Fütterungsversuche  hahen  dargethan,  daß 
für  eine  bestimmte  Thiergattung  und  für  eine  bestimmte  Nutzung  (Arbeit,  Milch, 
Wolle,  Mast,  Zuwachs  bei  jungen  Thieren)  auch  ein  bestimmtes  Yerhältniß 
zwischen  der  Menge  der  verdaulichen  Eiweißstoffe  und  derjenigen  der  verdau- 
lichen stickstofffreien  Nährstoffe  in  dem  täglichen  Futterquantum  bestehen  müsse, 
wenn  mit  den  geringsten  Mitteln  der  größte  Erfolg  erzielt  werden  soll.  Ist  die 
Menge  des  verdaulichen  Eiweißes  zu  gering  im  Yerhältniß  zu  den  Kohlehydraten 
und  Fetten,  so  vermindert  sich  der  Ertrag  der  Thiere,  weil  das  Eiweiß  fast  bei 
jeder  Produktion  von  Kraft,  Milch,  Wolle,  Fleisch  u.  s.  w.  direkt  thätig  ist  und 
hiefür  meist  auch  das  Material  liefert.  Sind  aber  die  stickstofffreien  Nährstoffe 
(Nfr)  im  üeberschuß  in  der  Nahrung  vorhanden,  so  geht  ein  Theil  davon  in 
der  Regel  unbenutzt  durch  den  Darm  ab.  Umgekehrt  —  ist  das  Eiweiß  im 
Üeberschuß,  so  vermehrt  sich  der  ^iweiSiumsaiß  im  Thierkörper,  nicht  aber  der 
Eiweißan^a^jer,  und  es  entsteht  Verlust  an  einem  theuren  Nährstoff. 

Die  Versuche  haben  ferner  gezeigt,  daß  dieses  Verhältniß  der  N  h  zu  den 
N  fr  verdaulichen  Nährstoffen  sich  wie  1:4  bis  1:7  zu  verhalten  hat,  daß  es 
somit  in  sehr  engen  Grenzen  sich  bewegt. 

Bei  dem  gewöhnlichen  Winterfutter,  namentlich  wenn  dabei  spät  geschnittenes^ 
überständiges  Heu  oder  gar  Stroh  und  Rüben  oder  Kartoffeln  eine  Rolle  spielen, 
ist  fast  immer  das  Nährstoffverhältniß  ein  zu  weites.  Das  Futterquantum,  welches 
vom  Magen  des  Thieres  aufgenommen  und  verarbeitet  werden  kann,  enthält  zu 
wenig  Eiweiß,  um  die  beabsichtigte  volle  Nutzung  zu  erzielen.  Die  Kühe  gehen 
deßhalb  bei  der  WinterfUtterung  im  Milchertrag  zurück,  weil  gerade  die  Milch- 
nutzung ein  besonders  enges  Nährstoffverhältniß  verlangt  (nach  Wolff  wie  1 : 5,4). 
Dieses  engere  Nährstoffverhältniß  kann  im  Winter  nur  hergestellt  werden,  wenn 
man  den  Thieren  ein  Beifutter  verabreicht,  welches  eiweißreicher  als  gewöhn- 
liches Heu  ist,  somit  ein  an  und  für  sich  jsu  enges  Nährstoffverhältniß  besitzt. 
Solche  Futtermittel  nennt  man  Kraftfutter.  Diesen  Namen  verdienen  die  meisten 
Samen  unserer  Kulturgewächse,  hauptsächlich  diejenigen  der  Hülsenfrüchte,  weniger 
diejenigen  der  Getreidearten,  vor  Allem  aber  die  Abfälle  der  Müllerei,  der  Oel- 
fabrikation,  der  Bierbrauerei,  der  Branntweinbrennerei,  der  Stärkefabrikation  und 
der  Milch wirthschaft.  Bei  diesen  Betrieben  wird  die  Gewinnung  oder  die  Um- 
wandlung der  Kohlehydrate,  nämlich  des  Stärkemehls,  sowie  des  Oeles  und  der 
Butter  bezweckt;  folglich  müssen  die  Abgänge  (Kleie,  Futtermehl,  Oelkuchen, 
Malzkeime  und  Biertreber,  Schlempe,  Kleber,  Magermilch  und  Zieger)  ein  engeres 
Nährstoffverhältniß  erhalten,  als  dasjenige  des  Stoffes  oder  Samens  ist,  von 
welchem  sie  herrühren. 

Der  Bauer  nennt  derartige  Futtermittel  oft  „ Kunst fiitter ^ .  Diese  Bezeich- 
nung ist  indeß  auch  dann  nicht  richtig,  wenn  sie  nur  im  Gegensatz  zu  j^Nalur- 
futter^  gebraucht  werden  wollte,  denn  Naturfutter  im  engsten  Sinne  ist  eigent- 
lich nur  das  „Weidegras *^f  namentlich  das  Weidegras  der  Alpen.  Schon  da» 
Gras  unserer  Wiesen,  die  Samen  und  Wurzeln  unserer  Kulturpflanzen  sind  mehr 
oder  weniger  durch  menschliche  Kunst  oder  mindestens  durch  menschliche  Thätig 
keit  verändert  worden ;  in  noch  höherem  Grade  ist  dies  beim  Heu  und  Emd  der 
Fall.  Es  ist  nun  gerade  die  Absicht  des  Landwirthes,  mit  Hülfe  der  Kraftfutter- 
mittel ein  Nährstoffverhältniß  im  Winterfuttcr  herzustellen,  welches  demjenigen 
im  natürlichen  Sommerfutter,  nämlich  der  Alpweide  möglichst  nahe  kommt.  Die 
Vortheile   einer   derartigen  Fütterung   sind    kurz   folgende:    Die    Thiere  fressen 


Kraftfutter  —      139      —  Kraftfutter 

weniger  Ken,  weil  sie  die  nöthige  Menge  Eiweiß  (N  h)  in  einem  kleineren 
Futterqnantom  finden;  der  Milchertrag  steigt  (so  z.  B.  stieg  auf  dem  Gate  des 
Verfassers  in  Folge  regelmäßiger  Zugabe  von  Kraftfutter  [Oelkuchen  und  Malz- 
keime] der  durchschnittliche  Jahresertrag  der  Euh  von  3000  auf  3600  bis 
3648  Liter  Milch),  und  der  Dünger,  der  seinen  Werth  hauptsächlich  durch  die 
Zersetzungsprodukte  des  Eiweißes  erhält,  wird  reicher  an  Stickstoffverbindungen, 
d.  h.  an  düngender  Kraft.  Güter,  welche  regelmäßig  Kraftfutter  im  Winter 
verwenden,  zeichnen  sich  bald  vor  anderen  aus  durch  üppigere  Wiesen  und 
Kulturen,  sowie  durch  vermehrten  Viehstand. 

Die  Erkenntniß  dieser  großen  Vortheile  hat  denn  auch  den  Kraftfuttermitteln 
einen  ungemein  raschen  Eingang  in  der  Landwirthschaft  verschafft.  Im  Jahre 
1885  wurde  an  „ Kleie,  Oelkuchenmehl,  Yiehfuttermehl,  Johannisbrod,  Malzkeimen, 
sowie  anderweitig  nicht  genannten,  zu  Zwecken  der  YiehfÜtterung  dienlichen  Ab- 
fällen" 69,129  q  in  die  Schweiz  ein-  und  32,731  q  ausgeführt.  Mehreinfuhr 
somit  36,398  q  oder  364:  Wagenladungen.  Eine  weit  größere  Rolle  kommt  den 
Abföllen  der  Müllerei  ziu  Der  Konsum  an  Getreide,  welches  in  der  Schweiz 
verarbeitet  wird,  kann  auf  rund  5^000,000  q  geschätzt  werden.  Nach  Hm.  Maggi 
in  Kemptthal  geben  100  kg  Weizen  bei  der  Vermahlung  durchschnittlich : 

66  kg  ausschließlich  zur  menschlichen  Nahrung  dienendes  Mehl, 
8     „    Mehl    von    dem    ein    kleinerer    oder  größerer  Theil  je  nach  dem  Preis- 
stand  zur  menschlichen  Nahrung  oder  zur  YiehfÜtterung  benutzt  wird, 
4    r,    ausschließliches  Yiehfuttermehl, 

20    n    Kleien  und  Weizenabfalle  und 
2    ,    Manko. 

100  kg. 

Je  nach  dem  Preisstande  des  Getreides  fallen  somit  von  100  kg  Weizen 
zu  Fütterungszwecken  28  bis  34  kg  ab.  Nimmt  man  als  Durchschnitt  bei  den 
gegenwärtigen  Yerhältnissen  30  kg  an,  so  würde  das  in  der  Schweiz  verarbeitete 
Getreide  ca.  1'/«  Millionen  Kiloeentner  oder  15^000  Wagenladungen  Kraft- 
futter liefern.  Die  Biertreber^  welche  die  schweizerische  Brennerei  liefert,  wurden 
auf  Seite  251  d.  Lexikons  auf  425^000  g,  im  Werthe  von  über  1  Million  Franken, 
geschätzt. 

Wenn  das  sog.  Alkoholgesetz,  so  wie  dasselbe  vom  Nationalrath  im  De- 
zember 1886  festgesetzt  wurde,  in  £j*aft  tritt,  so  müssen  in  der  Schweiz  jährlich 
ca.  30,000  hl  Kartoffelsprit  hergestellt  werden,  was  die  Erzeugung  von  ca.  einer 
halben  Million  Hektoliter  Schlempe  zur  Folge  haben  wird. 

Bei  der  Berechnung  des  Werthes  der  verschiedenen  Kraftfutter  muß  man 
drei  Nährstoffgruppen  auseinanderhalten,  nämlich  das  verdauliche  Eiweiß,  das 
verdauliche  Fett  und  die  verdaulichen  Kohlehydrate  oder  stickstofffreien  Extrakt- 
Stoffe.  In  den  Büchern  über  die  Fütterungslehre,  in  landwirthschaftlichen  Kalendern 
und  in  den  Preisverzeichnissen  der  Futtermittelhändler  ist  für  die  meisten  Kraft- 
futter der  Gehalt  an  diesen  drei  Nährstoffgruppen  angegeben. 

Die  Eiweißstoffe  und  das  Fett  haben  einen  bedeutend  hohem  Werth  als  die 
stickstofffreien  Extraktstoffe.  Wie  viel  höher  derselbe  aber  sei,  darüber  ist  mau 
in  Fachkreisen  noch  nicht  einig.  Die  meisten  deutschen  Agrikulturchemiker  be- 
rechnen das  Werthverhältniß  zwischen  Eiweiß,  Fett  und  Kohlehydrate  auf  Grund- 
lage der  faktischen  Marktpreise  und  nach  der  Methode  der  kleinsten  Quadrate 
wie  5:5:1.  Auf  physiologische  Gründe  gestützt  nehmen  Andere  ein  Yerhältniß 
an,    wie  5  :  2Y9  :  1    und  wieder  Andere  ein  solches  von  3:2:1  an.     Welchen 


Kraftfutter  —      140     —  Krapp 

Einfloß  diese  versohiedenen  Bereohnangs weisen  haben,  soll  an  folgendem  Beispiel 
gezeigt  werden. 

Nach  E,  Wolff  enthalten  100  kg  frische  Biertreber  3,6  kg  verdauliches 
Eiweiß,  0,8  kg  verdauliches  Fett  und  9  kg  verdauliche  Kohlehydrate  oder  stick- 
stofffreie Extraktstoffe.  Nach  der  ersten  Berecbnungsweise  (Verhältniß  von  5:5:1) 
würden  wir  für  das  Eiweiß  3,6  X  5  —  18,  für  das  Fett  0,8  X  &  =  4  und  für 
die  Kohlehydrate  9  X  1  =  d»  zusammen  31  Nährstoff  einheilen  erhalten.  Nach 
der  zweiten  Berechnungsweise  (5 :2  Y2: 1)  würde  das  Eiweiß  wiederum  3,6X5=18, 
das  Fett  0,8  X  2  72  =  2  und  die  Kohlehydrate  wieder  9X1  =  9  Nährstoflf- 
einheiten  liefern,  zusammen  29  Nährstoffeinheiten.  Die  dritte  Berechnungsweise 
ergibt  für  das  Eiweiß  3,6  X  3  =  lOß,  für  das  Fett  0,8  X  2  =  1,6  und  für 
die  Kohlehydrate  wieder  .9,  zusammen  21,  i  Nährstoffeinheiten.  Kosten  100  kg 
frische  Biertreber  Fr.  2.  80,  so  kommt  im  ersten  Falle  die  Nährstoffeinheit  auf 
2.  80  :  31  =  9,1  Bp,,  im  zweiten  Falle  auf  2.  80  :  29  =  9,6  Bp.  und  im 
dritten  Falle  auf  2.  80  :  21,4  ==  13  Bp.  Für  den  Landwirth  wäre  die  dritte 
Berechnungsweise  die  vortheilhafteste,  weil  dieselbe  das,  was  er  im  Kraftfutter 
eigentlich  kaufen  will,  nämlich  Eiweiß  oder  Feit  und  in  den  meisten  Fällen 
beides  zusammen,  billiger  liefern  würde.  Der  Verkäufer  von  eiweiß-  und  fett- 
reichen Futtermitteln  wird  jedoch  die  erste  Berechnungs weise  vorziehen. 

Im  Allgemeinen  muß  der  Vorzug  demjenigen  Kraftfuttermittel  gegeben 
werden,  welches  das  verdauliche  Eiweiß  und  das  verdauliche  Fett  am  billigsten 
zur  Scheune  liefert.  Es  muß  aber  auch  darauf  geachtet  werden,  daß  das  Futter- 
mittel keine  schädlichen  Substanzen  enthält  und  daß  es  nicht  in  Zersetzung  be- 
griffen ist.  Die  schweizerische  agrikulturchemische  üntersuchungsstation  kann  an- 
gehalten werden,  nicht  nur  die  Quantität  der  drei  Nährstoffgruppen  anzugeben, 
sondern  auch  die  Qualität  des  Futtermittels  zu  beurtheilen. 

Eiweißreiche  feuchte  Substanzen  sind  bekanntlich  ein  außerordentlich  günstiger 
Nährboden  für  alle  Zersetzungs-  und  Fäulnißerreger.  Es  ist  daher  rathsam,  die 
Kraftfuttermittel  trocken  zu  verfüttern  und  diejenigen,  welche  ihrer  Natur  nach 
naß  sind,  wie  z.  B.  Schlempe,  Biertreber,  Magermilch,  möglichst  frisch  zu 
verbrauchen  und  sie  jedenfalls  sehr  sorgfältig  aufzubewahren.  Die  Klagen  über 
nachtheilige  Folgen  der  Fütterung  von  Kraftfuttermitteln  können  —  sofern  sie 
begründet  sind  —  nur  daher  kommen,  daß  schädliche  oder  in  Zersetzung  be- 
griffene Stoffe  benutzt  wurden.  Wer  sich  weiter  über  diese  vielleicht  wichtigste 
landwirthschaftliche  Frage  orientiren  will,  dem  ist  zu  empfehlen:  Emil  Wolff, 
„Landwirthschaftliche  Fütterungslehre**,  4.  Auflage,  Berlin,  Parey,  1885,  und 
Julius  Kühn,  „Die  zweckmäßigste  Ernährung  des  Rindviehes**,  9.  Auflage, 
Dresden   1887. 

Krankenwärter,  Diakonissinnen,  Pflegerinnen.  Laut  eidg.  Yolks- 
zählungsstatistik  von  1880  übten  damals  2583  Personen  diesen  Beruf  aus  (345  m., 
2238  w.)  =  2  "/oo  aller  erwerbsthätigen  Personen.  Auf  die  Kantone  vertheilt, 
ergibt  sich:  570  Zürich,  295  Bern,  233  Baselstadt,  190  St.  Gallen,  187  G«nf; 
180  Waadt,  163  Schwyz,  118  Luzern,  92  Freiburg,  88  Aargau,  84  Neuenburg- 
58  Thurgau,  57  Graubünden,  49  Appenzell  A.-Rh.,  48  Schaffhausen,  28  Solo, 
thum,  26  Glarus,  23  Nidwaiden,  22  Baselland,  16  Uri,  13  Wallis,  13  Zug, 
12  Obwalden,  11   Tessin,  7  Appenzell  I.-Rh. 

Krapp,  Krappextrakt.  Die  Entdeckung  des  künstlichen  Alizarins  hat 
der  Verwendung  der  farbstoff haltigen  Krapp wurzel  (im  Orient,  im  südlichen 
Frankreich,  in  Holland  u.  s.  w.  gedeihend)  ganz  bedeutend  Eintrag  gethan, 
während   die  Verwendung   von  Krappextrakt  sich  bis  1885  ziemlich  gleich  ge- 


Krapp  —      141     —  Kredit 

blieben  ist.  Seitdem  ist  aach  dieses  durch  das  künstliche  Alizarin  verdrängt 
worden.  Was  jetzt  an  Krapp  noch  eingeführt  wird,  dient  meistens  zur  direkten 
Verwendung  bei  der  Wollfärberei. 

Einfuhr: 

1853       1863       1873       1883      1884      1885 

Krapp     .     .     .     .     q   18,498     17,569     13,343  61         124  ? 

Krappextrakt    .     .      ^         923        1,749       1,869     1,651      1,826         ? 

In  der  Waarenverkehrsstatistik  pro  1885  bildet  Krapp  keine  besondere 
Position  mehr;  Krappextrakt  figurirt  nebst  Indigolösung  nur  mit  165  q  ä 
Fr.  186  V2  (fast  alles  aus  den  vier  Nacbbarstaaten). 

Ausfuhr  von  Krappextrakt  1883:  1285  q,  1884:  3261  q,  1885:  43  q 
a  Fr.  289  (24  q  Deutschland,   10  q  Italien,  9  q  Frankreich). 

Die  Krapppflanze  wäcbst  auch  wild  im  Wallis;  kultivirt  wird  sie  nicht. 

Kredit.  *    (Bearbeitet  von  Herrn  Nationalrath  Dr.  S.  Kaiser.) 

I.    Allgemeine  Merkmale. 

Um  das  Wesen  und  die  Bedeutung  des  Kredites  zu  verstehen,  muß  man 
diesen  nach  zwei  Richtungen  betrachten :  objektiv  als  Einrichtung  oder  Institution 
im  Verkehre  der  modernen  Yolkswirthschaft  und  subjektiv  als  Zutrauen  vom 
Standpunkte  der  Personen  oder  der  Individuen,  welche  Kredit  begehren  und 
gewähren.  Von  diesen  beiden  Richtungen  hat  sich  die  subjektive,  d.  i.  die  des 
persönlichen  Zutrauens,  zunächst  entwickelt. 

Objektiv  ist  der  Kredit  die  volkswirthschaftliche  Modalität  oder  Einrichtung, 
welche  bewirkt,  daß  Güter  und  Werthe  aus  dem  Vermögen  (Wirthschaft)  des  Einen 
in  das  Vermögen  oder  die  Wirthschaft  des  Andern  übergehen,  ohne  daß  dieser 
Andere  sofort  Glegenwerth  leistet.  Der  Erste  hat  aber  den  Glauben,  daß  der  Andere 
auf  Verlangen  zeitig  genug  leisten  werde  und  könne.  Wie  unter  der  Rubrik 
aKreditwirthschaff*  gezeigt  werden  wird,  ist  diese  Art  des  üeberganges  die 
dritte  Stufe  der  Volkswirthschaft.  Das  Zeitmoment  der  späteren  Gegenleistung 
gibt  dem  Kredit  den  wesentlich  objektiven  Charakter  und  es  ist  dasselbe  deßhalb 
richtig  zn  erfassen.  Nach  Anleitung  der  bedeutendsten  Theoretiker  der  Neuzeit 
über  den  Kredit  ist  derselbe  wie  folgt  zu  theilen  und  zu  erfassen : 

1)  Zunächst  geschieht  die  Leistung,  Gewährung  und  Uebertragung  eines 
Kapitals  (ein  Ausdruck,  der  als  allgemeiner  für  Sachgiiter  und  Dienstleistungen 
xu  gebrauchen  ist)  von  Dem,  der  es  hat,  resp.  den  Dienst  leisten  will  und  kann, 
an  Den,  der  es  nicht  hat,  aber  begehrt,  oder  in  juristischem  Sprachgebrauch: 
vom  Gläubiger  an  den  Schuldner. 

2)  Schließlich  erfolgt  die  Rückgabe  des  Kapitals  oder  eine  entsprechende 
Gegenleistung  von  Dem,  der  die  Leistung  erhalten,  an  Den,  der  sie  gewährt  hat, 
—  wiederum  in  juristischem  Sprachgebrauch:  vom  Schuldner  an  den  Gläubiger. 

3)  In  der  Mitte,  resp.  in  der  Zwischenzeit,  liegt  der  Gebrauch  des  vom 
Kreditirenden  überlassenen  Kapitals  durch  den  Kreditirten  oder  Akkreditirten,  wie 
der  Sprachgebrauch  lautet. 

*  Dieser  Artikel  nimmt  neben  der  eigenen  Art  der  Behandlung  auch  aus  dem 
Grrund  scheinbar  viel  Raum  in  Anspruch,  weil  unter  der  Rubrik  III  (Kreditanstalten) 
allen  in  der  Schweiz  operirenden  Kreditinstituten  (Sparkassen,  Leihkassen,  Banken  u.  s.  w.) 
eine  eingehende  Besprechung  gewidmet  ist.  Vom  Gesichtspunkt  des  Kredites  resp.  des 
Geschäftsbetriebes  aus  bat  der  Artikel  «Bankwesen*,  der  als  solcher  mehr  eine  statistische 
Aofiefthlung  ist,  eine  Erweiterung  erfahren.  —  Die  Unterabtheilungen  des  «Kredit*  sind 
ebenfoUs  nach  Lexikonform  alphabetisch  eingereiht.  Der  Ve^t^. 


Kredit;  jS        ^  —      142     —  Kredit 

In  diesem  Zwischenstadium  liegt  der  Kernpunkt  des  Kredites,  indem  es 
vom  Gebrauclie  des  kreditirten  Gutes  oder  sonstigen  Werthes  abhängt,  ob  Der, 
welcher  den  Werth  empfangen  hat,  denselben  wieder  zurückgeben  oder  einen 
Gegenwerth  leisten  kann. 

Durch  die  Zerlegung  des  Zeitmomentes  in  seine  Elemente  ergibt  es  sich, 
welche  wichtige  RoUe  die  subjektive  Seite  des  Kredites,  d.  i.  das  Zutrauen  in 
die  Person  dessen,  dem  kreditirt  wird,  spielt.  Einem  bekannten  Sohriftsteller 
entlehnt  der  Verfasser  dieses  Aufeatzes  folgende  Stellen  in  gleicher  Richtung: 
„Was  heißt  Kredit?  Das  Wort  stammt  aus  dem  Lateinischen,  von  der  Wurzel 
„credere",  was  zu  deutsch  j^glauben^,  in  angewandter  Redeweise  auch  „vertrauen** 
heißt.  Was  wird  aber  geglaubt?  Das,  daß  Derjenige,  welcher  etwas  zu  thun 
hat,  dasselbe  auch  thun  und  leisten  werde.  Der  Kredit  ist  daher  der  Glaube 
des  Einen  an  die  Leistungsfähigkeit  des  Andern  in  nächster  oder  weiterer 
Zukuntt  und  von  Demjenigen,  an  dessen  Leistungsfähigkeit  man  glaubt,  sagt  man, 
daß  er  Kredit  habe.  Insofern  kann  man  auch  den  £j*editverkehr  dem  Baarverkehr 
gegenüber  setzen.  Betrachtet  man  nämlich  die  Vorgänge  des  menschlichen  Lebens, 
so  begegnet  man  Käufen  und  Verkäufen  von  Liegenschaften  und  Beweglichkeiten, 
bei  denen  das  Eigenthum  und  auch  der  Besitz  vom  Verkäufer  auf  den  Käufer 
sofort  übergeht,  ohne  daß  dieser  den  Kaufpreis  sofort  bezahlt.  Hier  muß  der 
Kredit  eintreten:  Derjenige,  welcher  verkauft,  muß  glauben,  daß  Derjenige, 
welcher  kauft,  den  Kaufpreis  später  bezahlen  werde.  Einem  Manne,  von  welchem 
man  diesen  Glauben  nicht  hat,  verkauft  man  nicht.  Einem  Manne,  von  dem  man 
nicht  glaubt,  daß  er  den  Pachtzins  zu  Ablauf  einer  bestimmten  Zeit  bezahlen 
werde,  verpachtet  man  kein  Gut.  Einem  Manne,  von  dem  man  nicht  glaubt, 
daß  er  für  eine  Dienstleistung  den  entsprechenden  Gegenwerth  bezahlen  werde, 
leistet  man  den  Dienst  eben  nicht.  Einem  Manne,  von  dem  man  nicht  glaubt, 
daß  er  ein  Gelddarleihen  oder  einen  Vorschuß  wiederum  zurückzahlen  werde, 
gibt  man  eben  kein  Darleihen  oder  macht  ihm  keinen  Vorschuß."  Hieran  an- 
schließend ist  zu  folgern,  daß,  wer  den  Kredit  als  objektive  Einrichtung  haben 
und  benutzen  will,  sich  subjektiv  das  Zutrauen  sichern  muß,  daß  er  leistungs- 
fähig sei. 

IL    Kreditarten. 

Wollte  man  sklavisch  dem  Buchstaben  folgen,  so  würden  die  „Kreditanstalten** 
an  die  Reihe  kommen,  nach  der  Auseinandersetzung  der  allgemeinen  Merkmale 
ist  es  aber  richtiger,  von  den  yj Kreditarten^  zu  sprechen. 

Die  Spezifikation  weist  ein  langes  Verzeichniß  auf;  das  Lexikon  hält  nach- 
stehende Ordnung  als  die  der  Sache  entsprechende.  Es  glaubt,  daß  man  die  Arten 
ordnen  müsse : 

nach  der  Person  oder  dem  Bechtssubjekt,  das  Kredit  beansprucht  und 
dem  £j*edit  gewährt  wird  — 

nach  dem  Gebrauche,  -der  vom  Kredit,  d.  i.  von  den  kreditirten  Werthen, 
gemacht  wird  — 

nach  der  Art,  wie  der  Kredit,  d.  i.  die  kreditirte  Gegenleistung,  sicher 
gestellt  wird. 

1)  Nach  der  Person  des  Kreditnehmers  wird  der  öffentliche  Kredit  von 
dem  Privatkredit  unterschieden. 

Als  öffentlicher  Kredit  gilt  derjenige,  welchen  der  Staat  und  auch 
die  öffentlich  Rechnung  ablegenden  Gesellschaften,  Genossenschaften,  Korporationen 
und  Anstalten  in  Anspruch  nehmen.  Ein  neuerer  Finanzmann  (G.  Cohn)  macht 
jedoch   die  Unterscheidung,    daß   er  als  öffentliche  Kreditnehmer  nur  den  Staat, 


Kredit  _      143      —  Kredit 

die  ihm  untergeordneten  Verwaltungcibezirke,  wie  Kreise  und  Gremeinden,  und 
Anstalten  gelten  läßt,  die  Ereditirung  an  vom  Staat  unabhängige  Gesellaohafcen, 
Genossenschaften  und  Korporationen  in  den  Privatkredit  verweist.  Andere  machen 
diese  Ausscheidung  nicht,  sprechen  aber  von  einem  öffentlichen  Kredite  im  engern 
oder  weitern  Sinne.  Diese  Frage  auf  der  Seite  gelassen,  bezeichnet  man  es  auch  als 
Merkmal  des  öffentlichen  Kredites,  daß  Dokumente  geschaffen  werden,  welche  als 
„öffentliche  Werthpapiere^  gelten  und  meist  durch  die  Vermittlung  von  Fonds- 
oder Effektenbörsen,  deren  es  auch  in  der  Schweiz  gibt  (die  bedeutendsten  in 
Zürich,  Basel  und  Genf),  gehandelt  und  tibertragen  werden.  Die  Schweiz  betrachtet 
als  zur  Kategorie  der  öffentlichen  Kreditnehmer  oder  Schuldner  gehörig:  den 
Bund,  die  Kantone  und  die  Gemeinden.  In  einigen  Kantonen  bestehen  noch  mehrere 
Unterabtheilungen  des  staatlichen  Gemeinwesens,  wie  Bezirke  und  Kreise,  auch 
Zusammenfassungen  von  Ghemeinden  zu  einer  bestimmten  Unternehmung,  wie 
Nationalbahn-Gremeinden,  Bötzbergbahn-Gemeinden,  die  Gemeinden»  des  linken 
Zttrichsee^üfers  u.  s.  w.  £s  ist  zunächst  Sache  der  Gläubiger,  wie  und  daß  sie 
sich  in  ihrer  Kreditirung  zurecht  finden;  von  großem  Vortheil  fdr  den  „öffent- 
lichen Kredit**  ist  es  nicht,  daß  sich  die  staatliche  Gesetzgebung  auf  diesem 
Gebiete  stumm  verhält.  ') 

Der  Bund  resp.  die  schweizerische  Eidgenossenschaft  als  Staat  hat  nur  noch 
einen  Best  von  30  Millionen  ab  einem  Gesammtdarleihen  von  35  Millionen  Franken, 
das  im  Bnndesbeschluß  vom  20.  Dezember  1879  seine  rechtliche  Existenz  hat. 
£b  ist  zur  2^it  zu  4  ^/o  verzinslich  und  wird  durch  beförderliche  Amortisation 
zorückbezahlt,  wozu  die  üeberschüsse  des  jährlichen  Budgets  die  genügenden  Mittel 
liefern.  —  Würde  der  ^öffentliche  Kredit"  allein  unsere  spezielle  Aufgabe  sein,  no 
würden  wir  auch  die  entweder  auf  dem  öffentlichen  Markte  oder  in  den  Händen 
der  Kreditoren  sich  befindlichen  „Werthe**  prüfen,  mit  denen  die  Kantone  sich 
einen  Schuldenstand  von  über  250  Mill.  Franken  geschaffen  haben.  Wir  würden 
prüfen,  und  zwar  geschichtlich,  die  Entstehung  der  einzelnen  Anleihen  jedes  Kantons 
und  Kantonstheiles,  die  Verwendung  der  aufgenommenen  Summen  und  endlich  die 
Amortisation:  ob  sie  aus  den  Ueberschüssen  der  jährlichen  Yerwaltungsrechnung 
oder  in  sonstiger  Weise  bestritten  werde.  Bezüglich  der  Verwendung  ist  zu 
bemerken,  daß  die  Summe  der  Schulden  seit  einigen  Jahren  sich  vermehrt  hat, 
indem  die  entlehnten  Gelder  zur  Hauptsache  auf  die  öffentlichen  Bauten,  wohin  die 
Eisenbahnsubveiitionen  mehrerer  Kantone,  die  Ausgaben  für  Straßenbauten  und 
Flnßkorrektionen  gehören,  verwendet  worden  sind.  Ein  Theil  fällt  besonders  in 
dem  letzten  Jahrzehnt  auf  die  Dotation  von  Kantonalbanken.  Wie  viel  von  diesen 
Schulden  zur  Vermehrung  des  Nationalvermögens  beigetragen  haben  oder  bei- 
tragen, sei  dahin  gestellt.  Nur  so  viel  sei  bemerkt,  daß  von  diesem  Gesichts- 
punkte aus  nicht  alle  Staatsanleihen  gleich  zu  beurtheilen  sind.  Dagegen  ist 
rühmend  hervorzuheben,  daß  durch  alle  Staatsrechnungen  der  Kantone  das  Be- 
streben  geht,    den  Staatsschulden  auch  den  Bestand  des  Staatsvermögens  gegen- 

*)  Wenn  im  Allgemeinen  über  den  öffentlichen  Kredit  Nebenius  genannt  werden 
kann,  so  sei  bezüglich  der  Schweiz  erwähnt :  Kaiser,  Dr.,  Nat.-R.,  „Grundsätze  schweir 
zerischer  Politik*',  deren  XVI.  Vorlesung  das  erste  Mal  vom  öffentlichen  Kredite  in  der 
Schweiz  im  Zusammenhange  spricht.  Abweichend  von  der  obigen  Auseinandersetzung 
werden  die  Unternehmungen  für  Banken,  Eisenbahnen  und  Versicherungen  in  die  Be- 
sprechung des  öffentlichen  Kredites  gezogen.  Insbesondere  werden  auch  die  Banknoten 
besprochen.  —  Ueber  den  Oemeindekredit  insbesondere  sei  erwähnt:  Meüi,  Dr.,  .Die 
Schnldexekution  und  der  Konkurs  gegen  Gemeinden*.  Im  Auftrage  des  schweizerischen 
Justizdepartementes  hat  der  gleiche  Verfajder  einen  Vorschlag  ausgearbeitet,  um  den 
Gegenstand  durch  ein  Bandesgesetz  zu  ordnen. 


Kredit  —     144     —  Kredit 

Überzustellen  (Gebäude,  Inventarien,  sonstige  Vorräthe,  Werthschriften  u.  s.  w.). 
Begreiflicher  Weise  ist  es  ein  sehr  großer  unterschied,  ob  das  erwähnte  Staats- 
vermögen einen  jährlichen  Ertrag  liefert,  einen  guten  Zweck  erfüllt  oder  als 
unproduktives  betrachtet  werden  muß.  Im  Weitern  brauchen  die  Ursachen  der 
Gregenüberstellung  nicht  erörtert  zu  werden:  mag  sie  bei  den  Einen  geschehen, 
um  zu  zeigen,  daß  sie  an  den  Grenzen  des  Kredites  noch  nicht  angekommen 
seien,  bei  den  Andern,  um  einfach  eine  übliche  Bilanz  zu  ziehen.  Die  sog. 
Spezialfonds,  oft  aus  Stiftungen  hervorgegangen,  meist  aber  mit  einem  Spezial- 
zweck,  sollen  nicht  zum  Staatsvermögen  gerechnet  werden.  Die  Hauptsache  bleibt 
das  Moment  der  Würdigung,  daß  man  den  Schuldenstand  nicht  ziellos  zu  ver- 
mehren gedenkt.  Dieses  scheint  besonders  auch  darin  zu  liegen,  daß  mehrere 
Kantone  noch  Schulden  über  die  konsolidirten  Staatsanleihen  hinaus  haben;  mag 
man  dieselben  als  flottante  Schulden  oder  als  Betriebspassiven  bezeichnen;  hie 
and  da  bleibt  zwar  kein  anderer  Ausweg  übrig,  als  diese  trüben  Wolken  im 
Staatshaushalt  durch  ein  konsolidirtes  Anleihen  wiederum  zu  beseitigen. 

Gerne  würde  auch  noch  Einiges  über  den  Stand  der  Finanzen  der  schwei- 
zerischen Gemeinden  gesagt  werden;  allein  aufrichtiger  ist,  nach  dem  bekannten 
Satze  zu  gestehen:  „Etwas  Gewisses  weiß  man  nicht".  Wozu  sollen  aber  Yer« 
muthungen  gut  sein?  Suche  man  zuerst  über  den  Begriff  einer  Gemeinde  und 
einer  Gemeindekorporation  in's  Reine  zu  kommen.  Wie  viel  oder  wie  wenig 
gehören  Gemeiu^ekorporationen  dem  öffentlichen  Rechte  an?  Stehen  sie  rein 
auf  dem  Boden  des  Privatrechtes?  Dann  gehört  auch  ihr  Kredit  zum  Privatkredit. 
Wie  dem  auch  sein  möge,  so  spreche  ich  die  Ansicht  aus,  daß  die  Schulden- 
summe der  Gemeinden  die  der  Kantone  übertreffe. 

Der  Privatkredit  wird  meist  auch  Personalkredii  genannt;  doch  ist 
dieses  nicht  zutreffend,  indem  einmal  dem  öffentlichen  Kredit  richtiger  der  Privat- 
kredit gegenübergestellt  wird,  ist  ja  im  weitern  Sinne  der  Staat  auch  eine  Person  ; 
zum  zweiten  wird  dem  persönlichen  Kredit  der  Bealkredit  gegenübergestellt, 
eine  Unterscheidung,  die  in  Bezug  auf  den  Kreditnehmer  nicht  richtig  ist,  indem 
der  Realkredit  eine  Abtheilung  bei  den  Arten  der  Kreditsicherung  bildet.  Diese 
Unterabtheilung  ist  allerdings  sehr  wichtig,  indem  sie  bei  dem  Privatkredit  eine 
bedeutende  Stellung  einnimmt;  allein  wir  halten  es  doch  für  richtiger,  nach  den 
obigen  Andeutungen  zu  verfahren  und  den  Privatkredit  nach  den  Personen,  welche 
den  Kredit  in  Anspruch  nehmen,  zu  klassifiziren.  Und  zwar  sind  diese  entweder 
physische  oder  juristische  Personen,  in  welch'  letztere  Kategorien  alle  die  nicht 
zum  Ressort  des  Staates  und  seiner  Unterabtheilungen  gehörigen  Korporationen, 
Gesellschaften  und  Genossenschaften  zusammengefaßt  werden,  ohne  Rücksicht  auf 
Distinktionen  in  einzelnen  Gesetzbüchern,  welche  für  die  „juristische  Person'* 
genauere  Definitionen  kennen.  Beim  Kredit  der  physischen  Personen  wollen  wir 
nns  jedoch  nicht  aufhalten ;  deren  Kreditwürdigkeit  resp.  das  Urtheil  der  Leistungs- 
föhigkeit  untersteht  durchaus  Demjenigen,  welcher  den  Kredit  gewährt.  Es  kann 
der  Kreditgeber  ein  öffentlich  rechtliches  Gemeinwesen,  eine  juristische  Person  in 
nnserm  Sinne  oder  auch  eine  physische  Person  sein.  Dagegen  scheint  es  von  Be- 
deutung, den  Kredit  und  die  Kreditfähigkeit  der  juristischen  Person  zu  benrtheilen, 
indem  diese  th^^ilweise  selbst  eine  Schöpfung  des  Kredites  ist.  Auch  die  Dokumente 
(Papiere),  welche  über  dieselben  und  von  denselben  im  Verkehre  bestehen,  sind 
Schöpfungen  des  Kredites  und  werden  von  demselben  gehalten  oder  fallen  gelassen. 
Jeder  Leser  erfaßt  sofort,  daß  nicht  die  Gesellschaften  und  Genossenschaften  mit 
solidarischen  physischen  Theilhabern,  sondern  jene  Zusammenfassungen,  welche 
auf  dem  Aktienprineip  beruhen  und  bei  denen  wir  nicht  mit  physischen  Personen, 


Kredit  —      145      —  IKredil 

sondern  mit  Vermögensantheilen  zu  tbun  haben,  gemeint  sind.  In  der  Sch%veiz 
t«ind  die  Greselischaften  und  Grenossenschaften,  ob  sie  Kredit  beanspruchen  oder 
nicht,  in  das  gesetzlich  vorgeschriebene  (O.-R.  §  859  ff.)  Handelsregister  ein- 
zutragen. Letzteres  bildet  von  diesem  Ghdsichtspunkte  aus  ein  Yerzeichniß  der 
kreditfähigen  Privatpersonen,  um  so  mehr,  da  diese  das  Recht  zur  Eintragung 
auch  haben.  Die  Aktiengesellschaften  haben  die  Verpflichtung  auch,  sich  in  das 
Register  eintragen  zu  lassen;  allein  die  von  ihnen  geschaffenen  Ereditdokumente 
sind  doch  theilweise  andere,  jedenfalls  zahlreicher  als  die  der  andern  juristischen 
Personen.  Nach  der  gegenwärtig  gültigen  schweizerischen  Gresetzgebung,  welche 
die  des  Obligationen  rechtes  ist,  das  auf  1.  Januar  1883  in  Kraft  getreten,  kann 
fast  für  jede  zivilrechtlich  erlaubte  Unternehmung  eine  Aktiengesellschaft  gegründet 
werden :  von  der  bescheidenen  Weidenkorbflechterei  an  und  dem  Besitze  eine« 
Tempels  oder  Weinberges  bis  zum  großartigen  Betriebe  einer  Eisenbahngesellschaft, 
Bank  oder  Versicherungsgesellschaft. 

Selbst  an  der  Hand  des  Handelsamtsblattes  mit  Angabe  der  Firmen  durfte  es 
schwierig  sein,  alle  in  der  Schweiz  bestehenden  Aktiengesellschaften  mit  Angabe 
des  Gesellschaftskapitales  zusammenzustellen.  ^)  Die  Aktiengesellschaft  ist  gar  oft 
die  Geschäfts/brm,  nach  der  aus  verschiedenen  Rücksichten  eine  Unternehmung 
betrieben  oder  irgend  ein  Geschäftskapital  einem  bestimmten  Kreise  von  Personen 
oder  einer  Verwaltung  zur  Verfügung  gestellt  wird,  selbst  nach  dem  Satze: 
„Date  oboium  Belisario**.  Die  Leistungsfähigkeit  einer  einzelnen  solchen  Gesell- 
Schaft  ist  in  der  Regel  keine  sehr  große ;  doch  würde  in  der  Volk« wirf hschaft  der 
Schweiz  eine  sehr  große  Lücke  entstehen,  wenn  alle  diese  Gesellschaften  von  der 
Bildfläche  verschwinden  würden.  Die  sehr  zahlreichen  Gesellschaften  produziren 
viel  und  beschäftigen  eine  sehr  große  Zahl  von  Arbeitern.  Die  große  Leistungs- 
fähigkeit, aber  auch  die  Summe  des  Kapitales  zur  Richtschnur  genommen,  treten 
in  den  Vordergrund  die  Aktiengesellschaften  für  Bankgeschäfte,  Eisenbahnen  und 
Versicherungen.  Alle  Aktiengesellschaften,  aber  besonders  die  für  die  erwähnten 
drei  Zwecke,  haben  den  Kredit  nach  zwei  Rubriken  beansprucht  und  haben 
Kreditdokumente  in  Zirkulation.  Dieselben  sind  Gründiinf/sdokumente  der  Ge- 
sellschaft, gewöhnlich  Antheihcheine  oder  Aktien  bezeichnet,  deren  verschiedene 
Berechtigungen  als  Stamm-  und  Prioritätsaktien  hierorts  jedoch  nicht  zu  erörtern 
sind,  und  Schulddokumente, 

Die  Antheilscheine  begründen  die  Existenz  der  juristischen  Person  oder  die 
Gesellschaft.  Nach  den  Znsammenstellungen  auf  Seite  24  und  25  dieses  Lexikons 
zur  Rubrik  „Aktiengesellschaften''  bestehen  für  über  973  Millionen  Antheilscheine, 
auf  denen  vielleicht  einige  Millionen  noch  nicht  einbezahlt  sein  dürften.  Es  darf 
angenommen  werden,  daß  hievon  weitaus  der  größte  Theil  in  den  Händen  von 
in  der  Schweiz  wohnenden  Eigenthümern  sich  beflndet.  Die  Zahl  der  verschieden- 
artigen Bank-  (218),  Eisenbahn-  (29)  und  Versicherungs-  (16)  Gesellschaften 
wird  auf  263  und  die  der  von  ihnen  zusammengeschossenen  Millionen  auf  743 
Millionen  Franken  (also  3  Viertiieile  des  gesammten  Aktienkapitales)  angegeben. 
Wie  viele  Schulddokumente  oder  in  der  Zukunft  zu  erfüllende,  somit  auf  dem  Kredite 
beruhende  Zahlnngsversprechungen  obige  1135  Gesellschaften  in  die  Hände  von 
Gläubigem  gegeben  haben,  kann  nicht  angegeben  und  höchstens  vermnthet  werden. 
Sie    betragen  jedenfalls   das  Vielfache    (3,  4  ?)  des  Aktienkapitales.     Mit  dieser 

*)  S.  indessen  „ Aktiengesellschaften",  Seite  23  d.  Lexikons;  es  sind  nicht  weniger 
als  (lir  104  Arten  von  Geschäflsuntemehmungen  Gesellschaften  zusammengestellt ;  die 
Zahl  aUer  zusammen  wird  auf  1135  angegeben. 

fnirer    VolkBwfrth«chart8-L<*xlkoii  der  Schweiz.  \Q 


Kredit  —     146     —  Kredit 

Summe  ist  jedoch  das  Granze  der  zu  erfüllenden  Verbindlichkeiten  nicht  erschöpft. 
Denn  fast  jede  der  1135  G^ellschaften  hat  noch  in  andern  Formen  als  auf  dem 
Wege  des  förmlichen  Schulddokumentes  den  Kredit  in  Anspruch  genommen, 
z.  B.  auf  dem  Wege  der  laufenden  Rechnung  u.  s.  w.,  was  Alles  unter  der 
Bezeichnung  ^  Buchkredit **  zusammengefaßt  werden  kann,  lieber  die  H5he  der 
Summe  wäre  es  vergeblich,  auch  nur  eine  Yermuthung  haben  zu  wollen;  doch 
glauben  wir,  daß  sie  nur  einen  Bruchtheil  des  Aktienkapitales  betrage.  Alles 
zusammengefaßt:  Antheilscheine,  Schulddokumente  oder  Obligationen  und  andere 
Yerbindlichkeiten,  begegnet  man  Milliarden  von  Franken,  was  gewiß  als  eine 
sehr  große  Ausgestaltung  des  Ejreditgebäudes  angesehen  werden  muß.  Ist  die 
Bedachung  dieses  Grebäudes  auch  solid  und  hart  und  nicht  etwa  von  Grlas? 
Kitzlige  Frage! 

2)  Nach  dem  Gebrauch,  welcher  von  dem  Kredit  gemacht  wird,  wird  der 
Produktions-  und  der  Konsumtionskredit,  auch  Produktiv-  oder  Konsumtivkredit 
genannt,  unterschieden.  Die  Unterscheidung  wird  durch  den  Zweck  der  Verwendung 
der  durch  den  Kredit  erlangten  Güter  seitens  des  Schuldners  bedingt. 

Der  Produktivkredit  verwendet  die  erlangten  Güter  zur  Produktion 
von  weitem  und  mehr  Gütern,  die  so  zahlreich  sind  und  wenigstens  so  viele 
Werthe  bieten  sollen,  daß  die  durch  den  Kredit  erhaltenen  Güter  wieder  ersetzt 
werden.  Nach  der  Art  der  Verwendung  unterscheidet  man  wiederum  den  Unter- 
nehmungs-  und  den  Vermögens-  oder  Besitzkredit. 

Der  Haupttheil  füllt  auf  den  Unternehmutigskredit,  Derselbe  kann  Alles 
verlangen,  was  zu  einer  Produktion  gehört:  Natur,  Kapital  und  Arbeit. 

Nicht  eigentlich  ein  Produktions-  oder  Produktivkredit  ist  der  oben  erwähnte 
Vermöfjfenskreditj  sofern  er  eigentlich  das  Gegentheil  vom  Konsumtionskredit  ist. 
Mit  dem  Kredit  sollen  nämlich  YermögensstUcke  erworben  werden,  damit  sie 
später  dem  Eigenthümer  eine  Einnahmsquelle  bilden.  Solche  Vermögensstücke 
können  Immobilien  und  Titel  (auch  auf  der  Börse  zu  erwerbende),  auch  Beweg- 
lichkeiten sein.  Ganz  besonders  wird  hieher  der  Kredit  gerechnet,  der  zu  Ver- 
mögensauseinandersetzungen (Erbschaften)  nothwendig  ist. 

Der  Produktion  entgegengesetzt  ist  die  Konsumtion.  Konsumirt  wird,  was 
zur  Befriedigung  der  Bedürfnisse  eines  Menschen  nothwendig  ist  —  gewiß  ein 
sehr  elastischer  Begriff,  der  von  einem  bedeutenden  volkswirthschaftHchen  Schrift- 
steller in  das  Wort  „Lebsucht*'  kondensirt  worden  ist;  ein  sehr  unpoetischer 
Ausdruck  für  den  Kampf  um's  Dasein.  Durch  den  Konsumtionskredit 
werden  die  Mittel  zum  Leben  erworben,  für  welche  die  Gegen  werthe  selber 
erst  noch  geschaffen  werden  müssen.  Viele  beurtheilen  diese  Art  Kredit  sehr 
ungünstig,  allein  mit  Unrecht,  indem  es  doch  nur  wenige  Unterarten  sind,  die 
mißfällig  beurtheilt  werden  müssen.  Zunächst  ist  nicht  zu  verurtheilen  der  re- 
produktive Kredit  (^suspensiv  wäre  das  richtige  Wort),  d.  h.  derjenige,  welcher 
die  Lebensmittel  schafft,  welche  während  der  2jeit  nothwendig  sind,  die  an  einer 
Produktion,  d.  h.  an  der  Produktion  von  Werthen  gearbeitet  wird.  Diese  Art 
Kredit  ist  es,  welchen  meist  die  Arbeiter  und  Arbeiterfamilien,  die  auf  bestimmte 
2^hltage  angewiesen  sind,  benutzen.  Allerdings  wäre  es  besser,  daß  für  die 
Zwischenzeit  über  angesammelte  Vorräthe  verfügt  werden  könnte.  Allein  der 
Ursachen  sind  viele,  daß  dem  nicht  immer  so  ist.  Nicht  auf  einer  tiefem  Stufe 
steht  der  Konsumtionskredit,  welchem  die  Mittel  zur  Gegenleistung  erst  später 
verfügbar  werden,  z.  B.  wenn  Renten,  Zinse,  Lehenzinse,  Erbschaften  erst  später, 
d.  i.  nach  dem  Gebrauch  der  Lebensmittel  verfallen,  wozu  nicht  nur  die  Nahrungs- 
mittel, sondern  auch  die  Wohnung  (Miethzinse)  und  Kleidung  einzubeziehen  sind. 


Kredit  —      147      —  Kredit 

Mit  der  gleichen  Untersoheidung  müssen  auch  die  Darleihen  oder  Yorsohüsse 
beartheilt  werden,  die  ein  EreditbedUrfdger  bei  einer  Bank  erhebt  oder  bei 
einem  Privatmann  kontrahirt,  um  dem  Lieferanten  von  Lebensmitteln  (Elrämer, 
Tnchhandler,  Arbeitsmann,  Yermiether)  nichts  schuldig  zu  bleiben.  Nicht  alle 
Darleihen  oder  Vorschüsse  werden  aber  in  der  gleichen  löblichen  Absicht  erhoben, 
und  nun  wird  man  auf  eine  Seite  des  Konsumtionskredites  getrieben,  die  ein 
minder  günstiges  XJrtheil  verdient,  indem  der  Kredit,  d.  i.  die  eine  Leistung, 
in  Anspruch  genommen  wird,  ohne  den  Willen  oder  das  sichernde  Bewußtsein, 
die  Gregenleistung  vollführen  zu  können,  in  welchen  Fällen  dann  der  Kredit 
Gewährende,  resp.  der  Kreditor  darauf  angewiesen  ist,  vom  Ejreditreoht  Gebranch 
zu  machen,  resp.  die  G^enleistung  staatlich  zu  erzwingen. 

3)  Im  Kreditverkehre  werden  auch  Unterscheidungen  nach  der  Art  gemacht, 
nach  welcher  die  Gegenleistung  als  eine  sichere  festgestellt  wird.  Dieses  geschieht 
in  den  weitaus  meisten  Fällen,  in  denen  eine  Sicherung  stattfindet,  dadurch, 
daß  Pfand  bestellt  wird.  Es  ist  also  Realsicherheit  gegeben  und  deßhalb  spricht 
man  von  einem  Bealkredit,  welchem  der  Personalkredit  gegenüber  gestellt 
wird,  d.  i.  die  Person  des  Schuldners,  zu  dem  man  ohne  Weiteres  das  Zutrauen 
hat,  daß  er  die  Gegenleistung  erfüllen  werde.  Der  Realkredit  selber  läßt  sich 
wiederum  und  zwar  je  nach  der  Art  der  Pfänder,  welche  vom  Kreditnehmer 
dem  Kreditgeber  dargegeben  werden,  in  einen  zweifachen  unterscheiden:  in  den 
Liegenschaften'  (Hypothekar-,  Unterpfand-,  Bnchpfand-)  Kredit  und  in  den  Faust- 
pfandkrediL  £s  sollen  hier  keine  Rechtserörterungen  eingeschoben,  dagegen  auf- 
merksam gemacht  werden,  daß  die  Pfandbestellung  an  gewisse  zivilrechtliche 
Formen  geknüpft  ist.  Ferner  muß  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  daß  es 
wünschbar  ist,  zu  wissen,  in  welchem  Augenblick  auf  das  Pfand  gegriffen  werden 
kann :  ob  erst  subsidiär,  nachdem  der  Schuldner  zur  Erfüllung  seiner  Verpflichtung 
aufgefordert  worden  ist,  oder  mit  Umgehung  des  Schuldners  schon  beim  Eintreten 
einer  bestimmten  Verfallzeit.  Dieses  ist  auch  sehr  wichtig  zu  wissen,  um  zu 
beurtheilen,  ob  jeweilen  eine  Kreditnoth  des  Grundbesitzes,  resp.  Ueberschuldung 
oder  solche  des  Grundbesitzers  vorhanden  ist.  Diese  Unterscheidung  ist  nicht 
gleichgültig,  und  man  muß  sehr  oft  zur  Ansicht  kommen,  daß  mit  der  Dargabe 
von  Reabicherheiten  Mißbrauch  getrieben  wird.  Es  liegt  in  derselben  gar  oft 
eine  Ueberanstrengung  des  persönlichen  Kredites  eines  Kreditnehmers. 

Der  Personalkredit  hat  zwei  Merkmale:  ein  negatives,  es  ist  eben  keine 
Realsicherheit  gegeben  worden,  und  ein  positives.  Man  traut  dem  Kreditnehmer 
Erfüllung  der  Gegenleistung  zu,  entweder,  weil  man  weiß,  daß  derselbe  die 
materiellen  Mittel  (Vermögen,  Einkommen)  zur  Erfüllung  der  Verpflichtungen 
besitzt  oder  daß  die  Eigenschaften  für  die  Erfüllung  Gewähr  bieten.  Als  Person 
gilt  Jedermann  und  kann  daher  perflönlichen  Kredit  in  Anspruch  nehmen,  wer 
nach  den  Gesetzen  das  Recht  hat,  eine  Person  zu  sein :  ein  menschliches  Indi- 
viduum (physische  Person^  oder  eine  moralische  Person.  Deßhalb  ist  oben  davor 
gewarnt  worden,  dem  öffentlichen  Kredit  den  Personalkredit  gegenüber  zu  stellen. 
Der  Staat  und  andere  Gemeinwesen,  die  oben  bei  dem  öffentlichen  Kredit  ge- 
nannt worden  sind,  gehören  ebenfalls  zu  den  Personen  und  sie  können  ebenfalls 
in  die  Unterscheidung  von  Personal-  und  Realkredit  hineinfallen.  Wenn  Peru 
oder  Chili  zur  Sicherung  ihrer  Schulden  Guano  verschreiben,  so  machen  sie  vom 
Realkredit  Gebrauch;  wenn  der  Sultan  gewisse  Einnahmen  zur  Sicherung  von 
Anleihen  verschreibt:  wie  Zolleinnahmen,  Provinzialtribute,  den  Ertrag  gewisser 
Steuern,  so  thut  er  das  Gleiche.  In  der  Schweiz  und  bei  andern  zivilisirten 
Staaten  des  alten  und  des  neuen  Welttheiles  geschieht  es  heutzuta^«^  «^\X.^ii^  \<^^ 


Kredit  —      148      —  Kredit 

Realsicberheiten    verschrieben    werden;    es   gehört    dieses   auch   zur  Entwicklung 
des  öffentlichen  Kredites  in  der  Neuzeit. 

Eine  besondere  Art  des  Personalkredites  ist  der  Bürgschaftskredit,  Eine 
Person,  welche  den  Kredit  in  Anspruch  nehmen  will,  gibt  zur  Sicherung  der 
Erfüllung  der  künftigen  Leistung,  resp.  der  Rückzahlung  einer  Schuld,  keine 
Pfänder  dar,  wohl  aber  eine  Person^  welche  die  Erfüllung  der  Verpflichtung 
für  den  Fall  übernimmt,  daß  sie  vom  eigentlichen  Pflichtigen  nicht  erfüllt  werden 
sollte.  Und  zwar  kommt  solche  Bürgschaft  sowohl  auf  dem  Gebiete  des  öffent- 
lichen als  des  privaten  Kredites  vor.  Im  öffentlichen  Kredite  ist  es  vorgekommen, 
daß  Anleihen  der  Türkei,  Griechenlands,  Egypt^ns  —  vielleicht  auch  andere  — 
von  den  Großmächten  oder  nur  von  einer  derselben  garantirt  werden.  Beim 
privaten  Verkehr  ist  der  Vorfall  ein  tagtäglicher,  daß  sich  ein  Privatmann  für 
einen  andern  als  Bürge  verpflichtet.  In  einigen  Staaten,  auch  in  einigen  Kantinen 
der  Schweiz,  ist  der  BUrgschaftskredit  sehr  entwickelt,  ja  die  Bürgschaften  sind 
so  au8gedehnt,  daß  ihre  Ausdehnung  in  vielen  Kantonen  als  Krankheit  erscheint. 
Es  wird  gegen  diese  Krankheit  selbst  zu  Felde  gezogen;  man  bedenkt  aber  viel- 
leicht doch  zu  wenig,  daß  mit  dem  Bürgschaftskredit  der  persönliche  Kredit  in 
einzelnen  Kreisen  der  Gesellschaft,  z.  B.  bei  Beamten  und  Arbeiten,  ganz  weg- 
fallt. Die  Abwehr  des  Bürgschaftskredites  hat  viele  Aehnliohkeit  mit  der  Fabel, 
in  der  der  Bär  dem  Einsiedler  die  Fliege  auf  dem  Schädel,  aber  auch  diesen 
selber  zerschlägt.  Denn  es  kann  nicht  als  Regel  betrachtet  werden,  daß  allen 
Personen,  welche  den  Kredit  in  Anspruch  nehmen,  derselbe  gewährt  wird,  ohne 
daß  sie  in  irgend  einer  Art  Sicherheit  bestellen.  Die  Art,  Kredit  zu  gewähren, 
ohne  daß  dieses  geschieht,  nennt  man  auch  Blankokredit.  —  Vergesse  man  aber 
ja  nicht  im  Gedächtniß  zu  behalten,  daß  der  Blankokredit  in  die  Kategorie  ge- 
hört, welche  den  Kredit  nach  der  Art  der  Sicherheit  klassifizirt. 

Nicht  nach  dei  Sicherheit,  wohl  aber  nach  der  Dokumentirum/  des  Kredites, 
d.  i.  der  zukünftigen  Leistung,  wird  der  Kredit  unterschieden,  welcher  in  irgend 
einer  öffentlichen  Urkunde  repräsentirt  ist  und  derjenige,  welcher  es  nicht  ist 
und  dessen  Existenz  nur  in  einem  Buche  bescheinigt  ist.  Von  jenen  Urkunden 
ist  auf  dem  Gebiete  des  privaten  Kredites  neben  der  Realsicherheitsurkunde  die 
der  Wechsel  die  üblichste  Form.  Mau  unterscheidet  deßhalb  in  den  kommerziellen 
Kreisen  sehr  begreiflicher  Weise :  den  Wechselkredit  und  den  Buchkredit. 
Darüber,  was  ein  Wechsel  und  ein  kaufmännisches  Buch  ist,  ist  hier  der  Ort  nicht, 
sich  auszulassen,  um  so  weniger,  da  bei  den  Kreditdokumenten  noch  einmal  vom 
Wechsel  gesprochen  werden  muß.  Dagegen  ist  noch  aufmerksam  zu  machen,  daß  die 
beiden  Formen  des  Wechsel-  und  des  Buchkredites  mit  der  Unterscheidung  des 
Kredites :  desjenigen  auf  eine  bestimmte  Zeit  und  desjenigen  auf  unbestimmte  Zeit, 
zusammenfallt.  Das  will  sagen:  Die  Zeit,  auf  welche  die  Gegenleistung  vollzogen 
werden  muß,'  ist  entweder  bestimmt  oder  unbestimmt.  Die  Wechsel  pflegen  auf 
eine  bestimmte  Verfallzeit  zu  lauten  und  beim  Buchkredit  ist  es  meist  dem  Ver- 
pflichteten überlassen,  wann  er  die  Gegenleistung  erfüllen  will.  Deßhalb  wird 
vielfach  auch  der  Wechsel-  und  der  Buchkredit  mit  der  Unterscheidung  lang^ 
sichii(/er  und  kurzsichtiger  Kredit  in  Verbindung  gebracht,  was  aber  nicht  ganz 
zutreffend  ist,  indem  Wechsel  auch  langsichtig  sein  und  anderseits  Buchschuldner 
keinen  langsichtigen  Kredit  beanspruchen  müssen,  indem  sie  ihre  Schulden  in 
kurzer  Zeit  bezahlen  können.  Die  Unterscheidung  von  langsichtig  und  kurzsichtig 
ist  übrigens  keine  solche,  welche  theoretisch  von  Bedeutung  ist;  dagegen  fällt 
sie   vom  Standpunkt    von  Solchen,    welche   den  Kredit  in  Anspruch    zu  nehmen 


Kredit  —      149     —  Kredit 

pflegen,  u.  A.  für  Banken  und  Kaufleute,  abo  vom  praktischen  Standpunkt  aus 
praktisch  in^s  Gre wicht. 

m.    Kreditanstalten. 

Unter  Kreditanstalten  werden  nach  der  Bedeutung  des  Kredites  nicht  etwa 
bloß  diejenigen  Banken  verstanden,  welche  in  der  Schweiz  etwa  diesen  Namen 
führen  und  ihren  Sitz  in  Zürich,  Aarau,  Luzern,  St.  Grallen  u.  s.  w.  haben, 
sondern  jene  Anstalten  im  Allgemeinen,  welche  in  die  Organisation  des  Kredites 
eingreifen  und  zum  Zwecke  haben,  die  Aufgabe  des  Kredites  zu  übernehmen  und 
die  Erfüllung  der  aufgeschobenen  Gegenleistung  für  die  Verpflichteten  zu  er- 
leichtem, resp.  sie  selber  auszuführen.  Die  Zahl  dieser  Anstalten  ist  in  der 
Schweiz  eine  sehr  große ;  dieselben  greifen  aber  in  sehr  verschiedener  Weise  ein. 
Es  soll  hienach  eine  Aufzählung  nach  Arten  erfolgen,  indem  für  die  Aufzählung 
im  Einzelnen  keine  Yollständigkeit  übernommen  werden  und  man  überdies  be- 
züglich der  Leistungsfähigkeit  und  der  wirklichen  Leistungen  in  Wiederholungen 
verfallen  könnte.  Merkwürdiger  Weise  scheinen  nun  die  Arten  vom  Kriterium 
abhängig,  wie  dieselben  mit  Geld  und  eigenem  Kredite  ausgerüstet  sind,  um 
damit  sich,  zeitweise  wenigstens,  dem  Kredit  der  Andern,  für  welche  sie  ein- 
treten, zu  substituiren.  Man  ist  mit  Rücksicht  eben  auf  die  Kreditanstalten 
versucht,  zu  sagen,  daß  Derjenige  über  vielen  Kredit  gebieten  kann,  welcher 
viel  Geld  hat.  Erwähnte  Arten  sind,  in  logischer  Aufeinanderfolge  und  ohne 
genau  an  den  Worten  zu  hangen: 

a.  Die  Ersparnißkassen  oder,  wie  sie  im  gegenwärtigen  Lexikon  heißen: 
„Sparkassen*",  und  worüber  die  Details  auch  beim  betreifenden  Worte  nachgesehen 
werden  können,  nehmen  eine  beschränkte  Stellung  in  der  Organisation  des  Kredites 
ein.  Ihre  Stellung  ist  zu  einem  Theile  beim  öffentlichen  Kredit,  aber  mehr  als 
Besitzer  einzelner  Titel,  denn  als  Uebernehmer  eines  ganzen  Anleihens,  und  zum 
andern  Theil  beim  persönlichen  Kredit,  Abtheilung  Realkredit,  indem  sie  den 
weitans  größten  Theil  des  von  Einlagen  herrührenden  Geldes  auf  Hypothekar- 
darleihen verwenden.  Da  die  Anlagen  in  einem  bestimmten  Yerhältniß  zur 
Erwerbssumme  oder  zur  (meist)  amtlichen  (Kataster-)  Schätzung  stehen,  so  mag 
die  Aeußemng  am  Platze  sein,  daß  die  Ersparnißkassen  dem  Besitzer  oder 
Erwerber  von  Liegenschaften  einen  Theil  des  Kaufpreises  vorschießen,  der  Art, 
daß  der  Erwerber  den  dem  Verkäufer  in  naher  oder  weiter  Zukunft  zu  zahlenden 
Kaofpreis  der  Ersparnißkasse  schuldet,  welche  meist  damit  zufrieden  ist,  daß  der 
Schuldner  oder  Kreditnehmer  ihr  den  Jahr  für  Jahr  verfallenden  Zins  bezahle. 
In  Folge  der  beschränkten  Anlage  ist  es  auch  fraglich,  ob  die  Ersparnißkassen 
dem  Sredit,  welchen  die  Landwirthschaft,  resp.  die  Grundbesitzer  zum  Betriebe 
bedürfen,  einen  großen  Dienst  leisten.  Ohne  Kritik  üben  zu  wollen,  darf  doch 
gesagt  werden,  daß  die  Organisation  der  Ersparnißkassen  und  der  Kredit  der 
Landwirthschaft  nicht  im  richtigen  Zusammenhang  zu  stehen  scheinen.  Für  die 
Organiflation  des  Landwirthschaftskredites  nach  Gemeinden,  Bezirken  u.  s.  w. 
(Reiffeisen'sche  Banken  u.  dgl.)  ist  noch  ein  weiter  Spielraum. 

Nur  der  Yollständigkeit  wegen  sei  erwähnt,  daß  mit  den  schweizerischen 
Ersparnißkassen  die  im  Mittelalter  entstandenen  ausländischen  Geld-  und  GrirO' 
banken  insofern  eine  kleine  Aehnlichkeit  hatten,  als  sie  auch  Gelder  zur  Auf- 
bewahrung und  in  Hinterlage  annahmen.  Ihr  Geschäftsbetrieb  ist  zwar  ein  anderer 
und  auch  ihre  Dienstleistung  als  Kreditanstalt  eine  andere  gewesen.  Die  hinter- 
leg^ten  Gelder  gehörten  zwar  ihrem  Einleger,  welcher  sie  aber  einer  andern 
Person,  mit  der  er  im  Verkehre  stand  und  welche  auch  eine  Einlage  bei  der 
Bank   hatte,   gut-  oder  umschreiben  lassen  konnte.     Daß  dieselben  Banken  oav-^^l 


Kredit  —      150     —  Kredit 

den  Münzwecbsel  und  den  Edelmetallhandel  betrieben  haben,  war  nicht  gerade 
ein  Kreditgeschäft;.  Ihr  größtes  Verdienst  ist  die  Aufbewahmng  des  Geldes  in 
nnversehrtem  Znstande  gewesen,  womit  sie  eine  gnte  Metallwähmng  erhalten 
haben,  unseres  Wissens  haben  derartige  Anstalten  in  Venedig,  Grenna,  Amster- 
dam, Hambnrg,  Nürnberg  bestanden.  In  der  Schweig  bestehen  keine  mehr,  wenn 
auch  einige  der  alten  Anstalten  große  Aehnlichkeit  hatten.  Ihre  Aufgaben 
werden  von  den  Kreditbanken  erfüllt. 

b.  Die  Spar-  and  Leihkassen,  deren  es  in  der  Schweiz  mit  diesem 
oder  einem  andern  Namen  sehr  viele  hat,  unterscheiden  sich  von  den  Erspar n iß- 
kassen  dadurch,  daß  sie  selber  als  Elreditnehmer  auftreten  und  gegen  ihre  eigenen 
Schuldtitel  Grelder  aufnehmea,  resp.  solche  suchen.  Sie  versehen  den  Dienst  von 
Erspamißkassen  auch,  beschränken  sich  aber  nicht  auf  die  daherigen  Verrichtungen, 
indem  sie  Gelder  annehmen,  wann  sie  ihnen  zugetragen  werden,  sondern  sie 
gehen  einen  Schritt  weiter  und  treten  selber  als  Geldaufnehmer  oder  Entlehner 
auf,  je  nachdem  bei  ihnen  Nachfrage  nach  Geld  oder  Geldbegehren  bestehen. 
Die  Erspamißkassen  leihen  gerade  so  viel  Geld  aus,  als  ihnen  ohne  ihr  Zuthun 
angetragen  oder  anvertraut  wird,  und  sie  bekttmmem  sich  um  die  Geldbegehren 
nur  insofern,  als  sie  Gelder  haben  und  Anlagen  zu  machen  suchen  müssen.  Die 
Leihkasse,  welche  nach  Maßgabe  der  gestellten  Geldbegehren  handeln  muß,  darf 
in  einer  solchen  Passivität  nicht  bleiben. 

Sie  muß  selber  Gelder  suchen  und  aufnehmen,  auch  wenn  sie  nicht  gerade 
Sparkassagelder  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  sind.  Das  Richtigste  wäre,  wenn 
die  Leihkasse  selber  eigene  Gelder,  mit  denen  sie  Geschäfte  machen  will,  zur 
Verfügung  hätte.  Dieses  geschieht  theilweise,  und  zwar  geschieht  es  meist  nach 
dem  Aktienprinzip.  Dann  weichen  der  Form  nach  die  Leihka^sen  nicht  sehr  viel 
von  den  eigentlichen  Banken  ab.  Theilweise  geschieht  es  auch,  daß  gewisse 
Garantien  mit  kleinem  Einzahlungen  geschaffen  werden,  sei  es  von  Seite  eigener 
Garantiegesellschaften,  sei  es  auch  von  Seite  von  Gemeinden  oder  Korporationen. 
Begreiflicher  Weise  haften  die  Garanten  dann  in  der  Regel  auch  für  die  eigent- 
lichen Sparkassengelder.  Die  Stellung  der  Kassen  auf  dem  Gebiete  des  Kredites 
ist  gegenüber  den  Banken,  die  meist  eine  ausgedehntere  Wirksamkeit  haben,  eine 
beschränkte,  indem  sie  gewöhnlich  auf  einige  Gemeinden,  z.  B.  auf  eine  Pfiarr- 
gemeinde,  auf  einen  Wahlkreis  beschränkt  sind.  Auch  geschäftlich  pflegt  der 
Wirkungskreis  nicht  groß  zu  sein.  Sie  beschränken  sich  auf  die  Annahme  von 
Depositen-  und  Obligationsgeldem  einerseits,  auf  die  Gewährung  von  Vorschüssen 
andrerseits.  Der  Geschäftskreis  der  hypothekarischen  Anlagen  wird  von  den 
Leihkassen  nur  ausnahmsweise  kultivirt,  während  derselbe  gerade  von  den  eigent- 
lichen Erspamißkassen  ein  bevorzugter  ist.  Zeitweise  besteht  bei  den  Verwaltungen 
der  Kassen  die  Tendenz,  hypothekarische  Anlagen  zu  machen ;  solche  Verwaltungen 
und  Kassen  legen  dann  im  Verhältniß  zu  ihren  eigenen  Mitteln  gerne  zu  viel 
langfristig  an.     Wollen  und  Können  stehen  dann  nicht  in  richtigem  VerhäUnlß. 

C.  Die  Banken,  auch  die  in  der  Schweiz  arbeitenden,  müssen  von  einem 
doppelten  Gesichtspunkte  aus  betrachtet  werden:  von  dem  ihrer  Konstitution  als 
juristische  Personen  nebst  der  Bildung  eines  eigenen  Kapitales  und  von  dem 
ihrer  Geschäftsoperationen  auf  dem  Gebiete  des  Kredites.  Die  Namen  der  An- 
stalten :  ob  Bank,  ob  Kreditbank,  ob  Bank-  oder  Kreditanstalt,  ob  Hypothekar- 
kasHC,  Credit  foncier,  Bodenkreditanstalt  u.  s.  w.,  thun  nichts  zur  Sache.  Nach 
<ler  Entstehung  ist  das  Aktieuprinzip  vorherrschend  und  es  geschieht  auch  da,  wo 
bestimmte  berechtigte  Faktoren  mitwirken,  wie  bei  der  Banqne  de  Geneve,  Caisse 
hypothecaire  de  Geneve,  Aargauische  Bank,  daß  die  Eigenthumsberechtignng  durch 


Kredit  —      151      —  Kredit 

eine  bestimmte  Anzahl  Aktien  ausgedrückt  bt.  Neben  dem  Aktienprinzip  tritt 
in  der  Schweiz  das  der  Dotation  durch  den  Staat  resp.  Kanton  in  den  Vorder- 
grund, da  die  Eidgenossenschaft  als  solche  keine  Bank  zu  eigen  hat.  Nach  der 
Konstituirung  bestehen  zwischen  den  auf  Aktien  gegründeten  Banken  und  den 
Elantonalbanken  wenig  Verschiedenheiten;  wohl  die  wesentlichste  ist,  daß  räumlich 
die  Kantonalbanken  auf  einen  betreffenden  Kanton  beschränkt  sind,  während  dieses 
bei  jenen  nicht  der  Fall  ist;  auch  sind  die  Aktienbanken  meist  auch  in  der 
übrigen  Gesohäftsgebahrung  viel  freier.  In  der  Bildung  des  über  die  Aktien  und 
die  Dotation  hinausgehenden  Betriebskapitales  handeln  die  Aktien-  und  die 
Kantonalbanken  ziemlich  in  gleicher  Weise.  Besonders  in  den  Zeiten  der  Greld- 
knappheit  werden  vielerlei  Fühlhörner  ausgestreckt,  um  die  in  irgend  einem 
Teiche  (Greldtruhe)  schwimmenden  Karpfen  zu  fischen:  Depositenscheine,  Cheque- 
büchlein,  SparbUchlein  (Gamets),  Kassascheine,  Obligationen,  Anleihenstitel,  selbst 
BiUets  a  ordre  und  au  porteur,  Eigenwechsel  u.  s.  w.  In  Bezug  auf  die  Auf- 
nahme von  Geldern,  womit  die  Ausgabe  wiederum  verbunden  ist,  muß  nach 
schweizerischer  Gesetzgebung  unterschieden  werden,  ob  die  Banken  Noten  (Bank- 
noten genannt)  ausgeben  oder  nicht.  Die  erstem  werden  Emissionsbanken  genannt. 
Die  allgemeine  Bezeichnung  ist  schweizerische  Banken  oder  vielmehr  Banken  in 
der  Schweiz.  Mit  dem  speziellen  Beisatz  „  Emissionsbank  **  bei  einer  Bank  wird 
gesagt,  daß  sie  Noten  ausgibt.  Da  über  diese  Art  Banken  ein  eigener  Artikel 
im  Lexikon  erschienen  ist,  so  hoII  nur  noch  gesagt  werden,  daß  das  Emissions - 
recht  neben  den  Depositen  u.  s.  w.  zur  Vermehrung  der  Betriebsmittel  dient, 
daß  aber  durch  die  Noten  die  Banken  in  hervorstechender  und  besonderer  Weise 
selber  Ejreditnehmer  werden.  Ueberhaupt  der  Umstand,  daß  die  Emissionsbanken 
durch  die  Noten  und  noch  in  anderer  Weise  durch  ihre  Geldaufnahmen,  sowie 
auch  die  andern  Banken,  den  Kredit  beanspruchen,  macht  die  ganze  Frage,  in- 
wiefern die  fijreditanstalten  der  Schweiz  das  Kreditwesen  fördern,  zu  eiuer  recht 
schwierigen.  Wenn  man  auch  sonst  versucht  wäre,  den  ganzen  Eintheilangsgrund 
▼om  Moment  und  der  Art  und  Weise  abhängig  zu  machen,  wann  und  wie  die 
Banken  als  Kreditträger  für  Andere  eintreten,  so  kommt  man  in's  Stocken, 
sobald  man  sieht,  daß  die  Rolle  als  Kreditvermittler  von  den  Banken  in  eigen- 
thümlicber  Weise  aufgefaßt  wird  und  Kredit  für  die  eigenen  Bedürfnisse  und 
cum  eigenen  Interesse  benutzen  und  gebrauchen.  Deßhalb  muß  auf  eine  dem 
£jredit  angemessene  Eintheilung  verzichtet  und  der  Charakter  des  Geschäfts- 
betriebes  (s.  pag.  564)  zu  Grund  gelegt  werden,  was  für  die  Berather  und  Leser 
dieses  Lexikons  größere  Einfachheit  und  üebcreinstimmung  im  Gefolge  hat. 
Immerhin  aber  dürfen  sie  nicht  vergessen,  daß  neben  den  Banknoten  emittirenden 
Kategorien  von  Banken  wohl  eine  gleich  große  Zahl  von  Banken  das  gleiche 
Geschäft  betreiben,  ohne  Noten  zu  emittiren.  Dieselben  sind  dann  für  ihre 
Geschäftsgebahrung  nur  von  ihrer  Willensentschließung  (Statuten)  und  vom 
Gesetz  nur  so  weil  abhängig,  wie  es  Aktiengesellschaften  u   s.  w.  auch  Hind. 

1)  Die  Diskontobanken  übernehmen  gegen  eine  entsprechende  Vergütung 
die  eine  Gregenleistung  versprechenden  Dokumente  (Wechsel)  und  leisten  den 
Gegenwerth  unter  Vorbehalten,  welche  eben  das  Wechselrecht  vorsieht,  sofort. 
Meist  betreiben  sie  auch  noch  das  Depositengeschäft.  Die  Zahl  der  Anstalten, 
welche  den  Namen  Diskontobankeu  führen  und  in  ihrer  Kreditertheilung  auf  den 
Diskonto  von  Wechseln  sich  beschränken,  ist  zwar  nicht  sehr  groß;  dagegen  ist 
zu  bemerken,  daß  der  Diskonto  auch  von  den  andern  Banken,  außerdem  fast 
von  allen  Leihkassen,  selbst  von  einigen  Sparkassen,  geübt  wird,  von  den  vielen 
Privat- Bankgeschäften,    welche   den    Diskonto    auch    betreiben,    nicht   einmal   zvi 


Kredit  —      152     —  Kredit 

sprechen.  Die  Diskontirang  ist  in  der  Schweiz  in  starkem  Maße  koltivirt,  was 
den  niedrigen  Zinssatz  im  Diskontogeschäft  in  sehr  großem  Maße  motivirt,  ab- 
gesehen von  dem  Mißstand,  welcher  von  Einigen  auch  als  verfehlte  Diskonto- 
politik bezeichnet  wird. 

2)  Die  Ilandelsbankefi,  auch  G-ewerbebauken  genannt,  arbeiten  vorwiegend 
für  die  Produktion  und  den  Handel.  Sie  geben  hauptsächlich  solchen  Geschäften 
Kredit,  welche  mit  umlaufendem  Kapital  arbeiten  und  kurzfristigen  Kredit 
brauchen  können.  Nach  Wagner  (in  Schönberg^s  „Handbuch  der  politischen  Oeko- 
nomie^),  dem  das  Lexikon  bei  der  Rubrik  „Handelsbanken**  gefolgt  ist,  vermitteln 
diese  die  ununterbrochene  Fortsetzung  des  Geschäftes  oder  des  Produktionsprozesses 
in  dem  Falle,  in  dem  der  Geschäftsmann  auf  £[redit  fertige  Waare  verkauft  hat 
und  den  kreditirten  Kaufpreis  sofort  iu  Geld  wieder  verfügbar  zu  machen  wünscht. 
Dazu  dient  zunächst,  wie  wir  bereits  gesehen  haben,  das  Wechseldiskontogeschäft. 
Ferner  geben  diese  Banken  Lombardkredit  auf  noch  unverkaufte  fertige  Produkte 
und  ermöglichen  so  eine  Anticipation  des  Erlöses  beim  spätem  Verkauf  und  auf 
diese  Weise  eine  ununterbrochene  Fortdauer  der  Produktion  oder  G^schäfrsthätigkeit. 
Auch  betreibeu  sie  mit  ihren  Kunden,  oft  sogar  in  sehr  starkem  Maße,  das  (aktive) 
Konto-Korrent-Geschäft,  was  eigentlich  eine,  und  zwar  die  umfassendste,  Art 
des  Buchkredites  ist.  Kesümiren  wir,  so  betreiben  die  Handelsbanken  das  Diskonto-, 
neben  dem  eigentlichen  Lombard-  noch  ein  ausgedehntes  Vorschußgeschäft,  ferner 
das  Konto- Korrent- Debitorengeschäft.  Noch  weniger  als  die  Diskontogeschäfte 
bleiben  sie  von  dem  Depositengeschäft  ferne;  was  oben  von  den  „Fühlhörnern** 
zum  Geldangeln  gesagt  worden  ist,  findet  zum  großen  Theil  hier  seine  Anwendung. 
Die  Zahl  der  Handelsbanken  in  der  Schweiz  ist  eine  sehr  große:  neben  den 
7  Emissionshanken,  welche  das  Lexikon  oben  erwähnt,  können  noch  wenigstens 
30  Banken  aufgeführt  werden  (mit  dem  einfachen  Ausdruck  „Bank**,  „Handels- 
bank**, „Kreditbank**,  « Leihbank **);  auch  alle  Kreditanstalten,  auch  die,  welche 
unten  besonders  aufgeführt  werden,  gehören  hieher;  ferner  gehört  eine  große 
Zahl  „Leibkassen**  zum  Geschäftskreise  der  Handelsbanken.  —  Wer  bei  den 
„Handelsbanken"*  auf  dem  Gebiete  des  Kredites  einen  größern  Nutzen  hat:  die 
Banken  oder  das  produzircnde  und  handelnde  Publikum,  soll  ein  ungelöstes 
Fragezeichen  bleiben. 

3)  Sehr  gerne  werden  im  Wortgebrauche  den  Handelsbanken  die  „  Hypothekar- 
banken^  entgegengesetzt.  Dieselben  pflegen  den  Grundeigenthümern  langfristige 
Anleihen  zu  gewähren;  neben  den  8  bei  den  Emissionsbanken  aufgeführten  An- 
stalten können  noch  20  andere  genannt  werden,  welche  auf  diesem  Geschäfts- 
gebiete thätig  sind,  ferner  die  Banken,  welche  unten  als  solche  mit  gemischtem 
Geschäftskreise  werden  erwähnt  werden.  Daß  die  Ersparnißkassen  im  Realkredit 
eine  bedeutende  Stellung  einnehmen,  ist  oben  gezeigt  worden.  Die  Bedeutung 
derselben,  sowie  der  Hypothekarkassen  oder  -Banken  für  das  Grundeigenthum 
darf  nicht  unterschätzt  werden.  Wenn  deßhalb  auch  von  der  Kreditnoth  des 
Grundeigeiithums  hie  und  da  gesprochen  wird,  so  muß  gefragt  werden,  wie  viel 
davon  auf  die  persönlichen  Bedürfnisse  des  Grundeigenthümers  fallen.  Eine  wohl 
begründete  Klage  scheint  darin  zu  liegen,  daß  der  für  die  Kreditgewährung 
geforderte  Zins  mit  der  Rentabilität  des  Grundbesitzes  nicht  im  Einklang  steht. 

4)  Unter  dem  Ausdruck  j^Banken  mit  gemischtem  Geschäftsbetrieb^  werden 
diejenigen  Kreditanstalten  zusammengefaßt,  welche  den  kurzsichtigen  G^werbe- 
kredit  mit  seinen  verschiedenen  Formen  (Diskonto,  Vorschuß,  inkl.  Lombardirung, 
Konto  Korrent-Debitoren)  und  den  langsiohtigen  Hypothekarkredit  gewähren.  Zum 
letztern   würde  eigentlich  das  Werthschriftengeschäft  (Fonds  publics,  Valoren)  im 


Kredit  —      153     —  Kredit 

richtigsten  Zasammenhang  steheD.  Allein  vom  Standpunkt  des  Kaufes  und  Verkaufes, 
in  der  Weise,  daß  die  Titel  jeweilen  nur  kürzere  Zeit  auf  der  Bilanz  lasten,  wird 
sehr  oft  dieser  Greschäftszweig  auch  von  den  Handels*  oder  Kreditbanken  betrieben. 
Dieselben  beschäftigen  sich  mit  Vorliebe  mit  solchen  Titeln,  die  aufgekiindet  sind 
oder  sehr  bald  zum  Verfall  kommen.  Auch  einige  der  Spar-  und  Leihkassen 
schaffen  sich  derartige  Kreditdokumente,  aber  meist  vom  Standpunkte  der  An- 
lagen aus,  an.  Ganz  eigentlich  gehört  aber  dieser  Geschäftszweig  zu  denjenigen 
der  Banken  mit  gemischtem  Geschäftsbetrieb.  Man  ist  beinahe  versucht,  zu  sagen, 
daß  bei  diesen  Banken  zu  dem  kurzsichtigen  Gewerbe-  und  dem  langsichtigen 
Hypothekar kredit  noch  die  Kreditgewährung  in  der  Form  des  Werthschriften- 
geschäftes  auftrete.  Bei  den  Kreditanstalten  (Abschnitt  5)  wird  auf  dieses  Geschäft 
zurückzukommen  sein.  Unter  den  Emissionsbanken  (pag.  564)  werden  nicht  weniger 
als  11  Anstalten  zu  denjenigen  mit  gemischtem  Geschäftsbetrieb  gerechnet.  Fast 
die  doppelte  Zahl  findet  sich  bei  den  übrigen  Banken.  Als  besonders  bemerkens- 
werth  ist  hervorzuheben,  daß  fast  alle  Kanton albanken  das  Werthschriftengeschäft 
bei  ihren  ordentlichen  Geschäftszweigen  aufführen,  was  jedoch  nur  dann  auffällig 
wäre,  wenn  die  Kantonalbanken  als  Kreditgeber  von  den  sie  dotirenden  Kantonen 
betrachtet  und  alsr  Sammelplätze  aufgefaßt  würden,  wo  der  Staat  seine  Anleihen 
unterbringen  könnte.  Eine  solche  Verquickung  des  öffentlichen  Kredites  mit  den 
übrigen  Kreditgeschäften  gegenüber  den  Privaten  könnte  nicht  empfohlen  und  es 
müßte  ja  gesorgt  werden,  daß  die  Last  nicht  zu  groß  wäre.  Merkwürdiger  Weise 
fassen  viele,  ja  fast  alle  Kantonalbanken  die  Emission  von  Banknoten  vom  Stand- 
punkte eines  gewinnbringenden  Geschäftes  auf  und  betreiben  demnach  die  Bank- 
notenemission. Als  Emissionsbanken  fallen  sie  aber  unter  das  Bundesgesetz 
betreffend  die  Emission  und  Zirkulation  von  Banknoten.  Da  auch  schon  von 
einer  Revision  des  jetzt  bestehenden  Gesetzes  gesprochen  wird,  so  wird  die  gegen- 
wärtig gemachte  Bemerkung  jedenfalls  auch  Berücksichtigung  linden,  wenn  Gefahr 
für  die  unmittelbare  Zahlungsfähigkeit  der  Kantonal-  resp.  Emissionsbanken  zu 
befürchten  wäre. 

5)  Alle  bis  jetzt  erwähnten  Elreditanstalten,  welchen  Namen  sie  auch  tragen 
mögen,  haben  das  Gemeinsame,  daß  sie  selber  nicht  in  die  Produktion  eingreifen, 
sondern  daß  sie  den  Produzirenden  in  irgend  einer  Weise  Kredit  gewähren.  Im 
Bankgeschäfte  gibt  es  aber  auch  Anstalten,  welche  selber  produzirend  werden, 
Andern  allerdings  auch  Kredit  gewähren,  den  Kredit  aber  für  die  Produktion 
selber  und  nicht  bloß  als  Kreditvermittler  in  Anspruch  nehmen.  Das  Eingreifen 
in  die  Produktion  kann  ein  zweifaches  sein.  Entweder  treter  die  Kreditanstalten 
selber  als  Unternehmer  auf,  z.  B.  im  Eisenbahnbau  oder  im  Betrieb  eines 
Fabrikationsgeschäftes  (Spinnerei,  Weberei,  Minen,  chemische  Produkte  u.  s.  w.), 
oder  sie  betheiligen  sich  mit  Kapital  an  solchen  Geschäften,  indem  sie  entweder 
physische  Personen  unter  bestimmten  Bedingungen  herbeiziehen  oder  juristische 
Personen  in^s  Leben  rufen,  sei  es  als  Aktiengesellschaften,  sei  es  in  anderer 
Weise.  Sie  „gründen**  solche  Gesellschaften,  weßhalb  solche  Anstalten  auch  den 
Namen  «Gründerbanken  *"  erhalten.  Dieses  sind  die  Kreditanstalten  im  engern 
Sinne,  die  auch  so  genannten  Credits  mobiliers.  Dieselben  sind  in  der  Regel 
Aktiengesellschaften  mit  einem  größern,  eigenen  Kapitale,  was  für  ihre  Art 
Oeschäftsbetrieb  durchaus  nothwendig  ist,  indem  es  für  die  Anstalten  selber  und 
aoch  Andere  räthlich  ist,  den  Kredit  bei  Andern  nicht  zu  stark  in  Anspruch  zu 
nehmen.  Die  „Gründung**  kann  in  zweierlei  Weise  geschehen :  entweder  durch 
Provokation  der  Bildung  einer  Gesellschaft  ohne  Betheiligung  mit  eigenem  Kapital 
oder,  was  häufiger,  und  zwar  in  der  Regel,  der  Fall  ist,  mit  Uebernahme  eini^<s^^ 


Kredit  —      154     —  Kredit 

oder  auch  aller  Aktien  auf  eigene  Bechnung.  Die  Gründang  von  Gesellschafte» 
und  Uebernahme  von  Aktien  ist  nach  der  Aufifassang  des  Lexikons  in  Gegen- 
überstellung zu  den  andern  Arten  Banken  das  erste  G^esohäft  der  Kreditanstalten. 
Das  zweite  G-eschäft  ist  die  Uebernahme  von  Anleihen  solober  gegründeten  Ge- 
sellschaften, aber  auch  die  Uebernahme  von  andern  Anleihen  im  öffentlichen  und 
Privatkredit.  Diese  Anleihen  werden  dann  gewöhnlich  in  der  Form  von  Partialen 
oder  Delegationen  —  gewöhnlich  einfach  Obligationen  geheißen  —  dem  Publikum 
resp.  einzelnen  Kreditgebern  abgetreten  oder  Überbunden. 

Den  Aufgaben  des  Kredites  nach  gehören  die  langfristigen  Werthschriften 
hieher.  Außer  in  den  Zeiten  von  Geldabundanz,  in  denen  eben  Anlage werthe 
gesucht  werden  müssen,  werden  jene  den  andern  Banken  sehr  bald  zur  Last 
und  sie  immobilisiren  mit  denselben  einen  großen  Theil  ihres  Kapitales,  was 
nicht  von  Gutem  ist.  Wahrscheinlich  durch  die  Erfahrung  gewitzigt  und  um 
dem,  wie  gezeigt  worden  ist,  nothwendigen  eigenen  großen  Geschäftskapital  eine 
sichere  Verzinsung  zu  geben,  betreiben  die  wenigen  Anstalten,  welche  in  der 
Schweiz  als  Crddits  mobiliers  bestehen  (auch  wenn  man  einige  Handelsbanken 
dazu  rechnen  will)  neben  den  bis  jetzt  erwähnten  Geschäften  der  Ejreditanstalten 
das  eigentliche  Bankgeschäft,  was  ja  auch  eine  Kreditvermittlung,  jedoch  mit 
weniger  Bisiko,  ist  Denn  daß  dieses  unter  Umständen  ein  sehr  großes  ist,  kann 
man  dann  erfahren,  wenn  einige  „Gründungen**  zu  keiner  Bente  gelangen  können 
und  die  diesfalls  übernommenen  „Werthe"  (Werthschriften)  als  „Nichtwerthe** 
(Non-valeurs)  sich  entpuppen. 

IV.    Kredit dokumente. 

Die  Kreditdokumente  sind  zweierlei  Art:  entweder  BeweismiUel  einer  be- 
stehenden Verpflichtung  oder  aber  Werthe  ==  Werthscheine,  welche  die  be- 
stehende Verpflichtung  repräsentiren.  Das  Dokument  kann  auch  für  beide  Arten 
zugleich  geschaffen  sein,  was  jedoch  nicht  als  dritte  Art  bezeichnet  werden  kann ; 
wer  es  des  Verständnisses  willen  richtiger  so  auffassen  will,  mag  es  für  sich 
selber  thun.  „Wer  —  schreibt  der  bekannte  Schriftsteller  Knies  —  eine  an 
schauliche  Vorstellung  über  die  zwei  Arten  und  ihre  Einigung  zu  gewinnen 
sucht,  wird  insbesondere  an  eine  Verbindung  wie  die  zwischen  Geist  und  Körper 
im  Menschen  denken.  Diese  Vorstellung  instruirt  um  so  mehr,  als  man  weiterhin 
nur  entweder  das  geistige  Element  (die  Obligatio)  oder  die  körperliche  Sache 
(den  Papierschein)  als  überherrschend  anzusehen  braucht,  um  Verständniß  für 
einen  sachlichen  Unterschied  zu  gewinnen,  der  sich  durch  die  Worte:  beseelter, 
vergeistigter  Schein  und  verkörperte  Obligatio  andeuten  läßt  („Obligatio"  wird 
hier  gleichbedeutend  mit  dem  Ausdruck  „Verpflichtung"  gebraucht)."  Die  Doku- 
mente der  ersten  Art  sind  selber  nicht  alle  gleich.  Sie  können  zunächst  die 
geschehene  Uebertragung  eines  Eigenthums  oder  eines  andern  Bechtes  an  einen 
Dritten  konstatiren,  auf  welche  sich  dann  die  Verpflichtung  der  in  Zukunft  aus- 
zuführenden Gegenleistung  stützt,  oder  aber  sie  können,  ohne  von  der  geschehenen 
Uebertragung  oder  Leistung  des  einen  Theiles  etN.as  zu  sagen,  einfach  die  be- 
stehende Verpflichtung  (der  Gegenleistung)  erwähnen:  dieselbe  begründen,  wie 
auch  gesagt  wird.  Die  Dokumente  der  erstem  Art  zerfallen  demnach  wiederum 
in  Uebertra(jungsdokiimente  und  Be(fründun(/sdoknmente,  Beide  Arten  sind 
beweisender  Natur.  Man  gebraucht  auch  den  Ausdruck  ^  Urkunde^ ;  in  allge- 
meiner Bezeichnung  mag  derselbe  hingeben;  allein,  wenn  man  darunter  speziell 
Schuldlirkunde  verstehen  Hollte,  so  wäre  er  zu  enge  gefaßt  und  wird  deßhalb 
besser  gar  nicht  angewendet.  Denn  eine  Uebertragung  kann  ja  selbstverständlich 


Kredit  —      155     —  Kredit 

auf  etwas  anderes  gehen  als  auf  Geld;  man  kann  Rechte  aller  Art  übertragen, 
anch  zu  Leistungen  sich  verpflichten,  die  gar  nicht  in  Geld  ausgeführt  werden. 
Ebenso  kann  auf  der  andern  Seite  die  Verpflichtung  gar  nicht  auf  Geld  gerichtet 
sein  oder  die  Gegenleistung  wiederum  nicht  in  Geld  auHgefuhrt  werden.  Die 
positive  Gesetzgebung  eines  gegebenen  Staates  (Kantons)  ist  jeweilen  von  ent- 
scheidendem Einflüsse.  Und  zwar  in  zweierlei  Richtung:  Es  gibt  Gesetzgebungen, 
welche  die  Umgestaltung  aller  Verpflichtungen  oder  Gegenleistungen  in  eine 
Geldforderung  gestatten;  in  einem  solchen  Staate  werden  jeweilen  alle  Urkunden 
zu  Schuldurkunden.  Auch  gibt  es  Staaten,  welche  die  Üebertragungsdokumente 
gar  nicht  kennen,  sondern  nur  die  Begründungsdokumente,  für  welche  aber  in 
der  Regel  gesetzliche  Erfordernisse  vorgeschrieben  werden.  Beispiele  sollen 
übrigens  Klarheit  bringen.  Es  gibt  Kantone,  welche  z.  B.  bei  Käufen  von  Liegen- 
schaften, anch  von  Beweglichkeiten,  die  Eigenthumsbescheinigungen  in  irgend 
einer  Art  nicht  kennen;  andere  wiederum,  in  denen  nur  Dokumente  ausgestellt 
werden,  wenn  der  Kaufpreis  unmittelbar  nach  der  Uebertragung  nicht  bezahlt 
wird,  d.  i.  es  werden  Forderungstitel  für  den  schuldigen  Kaufpreis  ausgestellt. 
Aach  gibt  es  Kantone,  in  welchen  bei  Theilungen,  z.  H.  bei  Erbschaften,  Doku- 
mente resp.  Theilungsbescheinigungen,  auch  Theilzettel  genannt,  ausgestellt  werden, 
andere,  in  denen  dieses  nur  der  Fall  ist,  wenn  ein  Erbe  dem  andern  etwas  zu 
bezahlen  schuldig  wird.  Je  nach  der  Art  des  Dokumentes  muß  dasselbe  a^s 
Urkunde  oder  als  Schuldtitel  (Geldschein,  Geldfordeningsschein)  bezeichnet  werden. 
Praktisch  wird  der  Unterschied  dann,  wenn  die  Frage  aufgeworfen  wird,  wie 
man  sich  zn  verhalten  habe,  wenn  ein  solches  Dokument  verloren  wird  und  der 
Träger  oder  Eigenthümer  dasselbe  sich  wieder  ersetzen  lassen  will  (Amortisation) , 
Darüber  mag  jedoch  ein  Rechtslexikon  Belehrung  geben.  Die  gleiche  Frage  wird 
anch  aufgeworfen,  wenn  es  sich  um  die  zweite  Art  von  Dokumenten  handelt, 
die  man  unter  der  generellen  Bezeichnung  Werthpapiere  (auch  Werthschriften) 
zusammenfaßt.  Solcher  Papiere,  welche  aus  dem  Gebiete  des  öffentlichen  (Staats- 
obligationen, Rententitel)  und  des  privaten  (Obligationen  von  juristischen  und 
physischen  Personen,  Aktientitel  und  gleichartige  Certifikate)  Kredites  herrühren 
können,  gibt  es  nach  ihrer  äußern  Erscheinung  drei  Arten :  Titel,  welche  auf 
den  Namen  des  berechtigten  EigenthUmers  oder  Besitzers  ausgestellt  werden, 
solche,  welche  auf  den  Inhaber  (au  porteur)  lauten ;  als  eine  besondere,  dritte 
Art  werden  die  indossirbaren  Papiere  zusammengefaßt.  Darüber,  was  ein 
indosidrbares  Papier  sei,  mag  auch  ein  Rechtslexikon  Auskunft  geben;  hierorts 
sei  aber  abgeleitet,  daß  von  den  Werth papieren  die  indossirbaren,  bei  denen  die 
Wechsel  ohne  Zweifel  die  zahlreichsten  und  auch  der  Summe  nach  sehr  bedeutend 
sind,  zn  denen  gehören,  welche  als  Gelds urrof/ate  bezeichnet  werden  können. 
Als  G^ldsurrogate  sind  diejenigen  Zirkulations-  (Zahlung»-)  Mittel  zu  betrachten, 
welche  nicht  Metallgeld  sind.  Dieselben  sind  Schöpfungen  des  Kredites  und  er- 
füllen ihre  eigene  Rolle  erst  am  Ende,  d.  h.  dann,  wenn  sie  wie  Geld  genommen 
und  gegen  haar  honorirt,  also  gegen  Geld  umgesetzt  werden. 

Grundsätzlich  können  der  Sache  nach  alle  Werthpapiere  als  Geldsurrogate 
gelten;  aber  sie  haben  nicht  alle  die  gleiche  Zirkulationsfähiffkeit  und  in  Bezug 
auf  die  liberatorische  Kraft,  d.  h.  in  Bezug  auf  die  Fähigkeit,  als  f/esetdiches 
Zahlungsmittel  zu  gelten,  tritt  die  Konvenienz  verschiedentlich  ein.  Letzteres 
gilt  besonders  in  Bezug  auf  die  Inhaberpapiere,  die  u.  a.  auch  auf  größere  un- 
theilbare  feste  Summen  zu  lauten  pflegen.  Sonst  würden  sie  zur  Zirkulation 
geeignet  sein.  Eine  größere  Beschränkung  in  der  Zirknlationsfähigkeit  nicht  nur 
mit  Rücksicht  auf  die  Summe,  sondern  auch  wegen  der  Uebertragbarkeit  haben 


Kredit  —      156      —  Kredit 

die  Namenpapiere,  bei  denen  oft  bestimmte  gesetzliche  oder  statutarische  Be- 
dingungen bezüglich  der  Uebertragbarkeit  vorgeschrieben  sind.  Sie  können  dalier 
nur  in  beschränkter  Weise  als  Zahlungsmittel  jeweilen  in  einem  gegebenen  Fall 
gelten;  als  Umlaufsmittel  sind  sie  fast  gar  nicht  geeignet.  Deßhalb  bleiben  als 
übliche  Surrogate  nur  die  folgenden: 

a.  Die  oben  schon  erwähnten  Wechsel  äußern  ihre  Wirksamkeit  besonders 
als  internationales  Zahluw/s mittel y  von  Stadt  zu  Stadt,  von  Land  zu  Land,  von 
Kontinent  zu  Kontinent.  Auf  diese  Weise  liegt  ihr  volkswirthsohaftlicher  Werth 
darin,  daß  sie  Geldsendungen  unnöthig  machen;  dadurch  werden  die  daherigen 
Spesen  erspart.  Daß  trotz  der  vielen  zirkulirenden  Wechsel  nichtsdestoweniger  noch 
Geldsendungen  zwischen  Europa  und  Amerika,  Europa  und  Asien,  Amerika  und 
Asien,  und  zwar  in  beiden  Richtungen,  nothwendig  sind  und  daß  derartige 
Metallsendungen  sogar  eine  erhebliche  Alimentation  für  die  Schiffsfrachten  sind, 
soll  nur  erinnerungsweise  erwähnt  werden./ 

b.  Dadurch,  daß  dem  Check  (Ch^ue)  im  neuen  eidgenössischen  Obligationen- 
recht eigene  gesetzliche  Bestimmungen  (XXX.  Titel)  gewidmet  worden  sind, 
nachdem  vorher  einige  kantonale  Gesetzgebungen  vorausgegangen,  ist  derselbe 
nun  ein  schweizerisches  Institut  geworden.  In  der  thatsächlichen  Entwicklung 
ist  er  jedoch  in  der  Schweiz  noch  zurückgeblieben.  Sein  eigentliches  Heimatland 
ist  England,  wo  das  Halten  von  Frivatkassen  eine  Seltenheit  geworden  ist  und 
alle  verfügbare  Baarschaft  an  das  Bankgeschäft,  mit  dem  man  in  Verbindung 
steht  oder  stehen  will,  abgeliefert  wird.  Diese  Gewohnheit  ist  die  Ursache  des 
großen  Depositenverkehrs  und  der  Check  ist  das  Mittel,  über  das  Depositum 
wieder  zu  verfügen,  und  daher  als  G«ldreprasentant  ein  recht  eigentliches  Surrogat. 
Wie  durch  das  sog.  Clearing-  oder  Abrechnungshaus  der  Check  genihrt  und 
durch  das  System  des  Ausgleichs  die  Zahl  der  Checks  von  Jahr  zu  Jahr  ver- 
mehrt wird,  soll  nur  im  Vorbeigehen  erwähnt  werden.  Durch  die  Organisation 
der  Reichsbank  wird  der  Check  als  Bankinstitut  und  als  Erzeugniß  des  freien 
Verkehrs  in  Deutschland  ein  zweites  Vaterland  finden.  Der  Mandatsverkehr  unter 
den  schweizerischen  Konkordatsbanken  kann  nur  als  der  schwache  Versuch  und 
Schatten  eines  Clearinghouse  betrachtet  werden. 

c.  Das  eigentliche  Geldsurrogat  und  als  solches  vom  Kredit  geschaffen, 
welcher  das  Geld  zum  Theil  überflüssig  machen  will,  und  ein  Produkt  der  Kredit- 
anstalten, welche  in  der  Schweiz  Emissionsbanken  genannt  werden,  ist  die  Bank- 
note, Sie  ist  so  ganz  in  die  Zirkulationsmittel  eingedrungen,  daß  sie  wie  G^ld 
zirkulirt  und  die  gewöhnliche  Ansicht  sie  wie  Papiergeld  betrachtet.  Nach  dem 
bestehenden  Bundesgesetze  sind  die  schweizerischen  Banknoten  auf  die  Summen 
von  Fr.  50,  100,  500  und  1000  fixirt.  Es  ist  aber  klar,  daß  in  einem  Lande 
mit  vorwiegendem  ELleinverkehr  Banknoten  von  500  und  1000  Franken  im 
Verkehr  sich  nicht  behaupten  können.  Von  Einigen  werden  die  Banknoten  auch 
als  Papiergeld  angesehen.  Diese  Ansicht  ist  aber  nicht  richtig.  Die  Banknote 
ist  ein  von  einer  Bank  ausgehendes  schriftlich  ausgestelltes  Zahlungsversprechen, 
das  durch  die  Rücknahme  der  Note  und  Auszahlung  der  entsprechenden  Summe 
erfüllt  wird.  So  ist  die  Banknote  in  doppelter  Beziehung  ein  Kreditzeichen. 
Für's  Erste  funktionirt  sie  im  Verkehre  an  der  Stelle  des  Geldes  und  zum 
Zweiten  ist  sie  eine  aufgeschobene  Leistung :  das  Zahlungsversprechen  eines  Kredit- 
institutes. Die  Nichterfüllung  eines  gegebenen  Versprechens  würde  eine  sehr 
starke  Störung  im  Verkehre  zur  Folge  haben.  Das  betreffende  Kreditinstitut, 
welches   das  Versprechen   gegeben,   würde   zum   Falle   gebracht,    der   Kredit  in 


Kredit  —      157     —  Kredit 

seinem    InnerHtcu  Wesen    gebrochen    und    in   der  Zirkulation  würden  sich  solche 
Geldseichen  befinden,  welche  gar  keinen  Werth  mehr  hätten. 

d.  Das  Papiertfeld  hat  in  der  Regel  gesetzlichen  Kurs  und  demnach  diesen 
Charakter  des  Geldes,  wenn  es  auch  andere  Eigenschaften  nicht  besitzt.  Da  in 
der  Schweiz  aber  kein  Papiergeld  besteht,  so  wird  Weiteres  über  diesen  Gegen- 
stand hierorts  auch  nicht  gesagt. 

V.  Kreditgeld. 

Nicht  zu  verwechseln  mit  den  Kreditdokumenten  oder  Kreditzeichen  (auch 
Kreditgeldzeichen)  ist  der  Ausdruck  Kreditgeldy  der  hier  in  ganz  enger  Auf- 
fassung genommen  and  erläutert  werden  soll.  Es  ist  ein  Metallgeld  eigener  Art, 
nämlich  jene  Münzen  gemeint,  deren  jeder  Staat,  auch  die  Schweiz,  ausgeprägt 
hat  und  welche  sich  durch  ihre  Noth wendigkeit  für  den  Verkehr  in  der  Zirku- 
lation erhalten  können,  obschon  sie  in  der  Wirklichkeit  nicht  denjenigen  Werth 
oder  Werthgehalt  enthalten,  welchen  ihr  Gepräge  angibt.  Man  nennt  sie  auch 
Kredit müneen.  Unten  bei  den  Münzen  wird  gesagt  werden,  daß  sie  resp.  das 
G^ld  in  den  Geldsorten  denjenigen  Innern  Werth  besitzen  sollen,  welchen  das 
Grepräge  angibt.  Man  nennt  dieselben  voUwerthige  Münzen.  Die  Kreditmünzen 
besitzen  den  vollen  Werth  nicht  und  sind  demnach  unter w er thi g ,  Die  Kredit- 
miinzen  enthalten  in  Wirklichkeit  wenig  oder  gar  kein  Edelmetall.  Wenn  solches 
in  denselben  enthalten  ist,  so  ist  die  Beigabe  andern  Metalles  so  stark,  daß  die 
Mttnien  nicht  dasjenige  Quantum  reinen  Edelmetalles  enthalten,  welches  nach 
dem  Gepräge  angenommen  werden  soll.  Anderes  Metall  als  das  Edelmetall  bildet 
deßhalb  den  Hauptbestandtheil  oder  selbst  auch  den  ausschließlichen  Bestand  der 
Kreditmünzen.  In  der  Schweiz  sind  es  die  im  Münzgesetz  vom  7.  Mai  1850 
angeführten  MUnzsorten  in  Billon  (20-Rappenstück,  10- Rappenstück,  5-Rappen- 
stttck)  und  Kupfer  (1-  und  2 -Kappenstücke);  in  Bezug  auf  deren  Bestandtheile 
ist  das  Cresetz  selber  zu  konsultiren.  Es  sind  also  Münzen,  welche,  wirthschaftlich 
gesprochen,  tür  ganz  kleine  Werthe,  die  sich  eben  im  Verkehr  befinden  und 
erhalten,  geschaffen  werden.  Sämmtliche  Silbersorten  (.^0-Rappenstücke,  1,  2 
und  5  Franken)  sind  nach  dem  gleichen  Gesetze  auch  vollwerthig  auszuprägen 
gewesen.  Durch  das  Gesetz  vom  31.  Januar  1860  ist  aber  bezüglich  der  Silber- 
sorten, mit  Ausnahme  des  5 -Frankenstückes,  welches  unveränderlich  fortbesteht, 
ein  geringerer  Feingehalt  gestattet  resp.  eingeführt  worden,  wodurch  das 
öO-Rappen-,  1-Franken-  und  2 -Frankenstück  zu  Silber scheidemün gen  degradirt 
worden  sind.  Das  gleiche  Gesetz  gibt  recht  deutlich  den  Grund  an,  warum  von 
KreditmUnzen  gesprochen  werden  kann.  Nach  der  richtigen  Voraussetzung  werden 
aber  alle  Münzen,  ganz  besonders  die  Scheidemünzen  aller  Art,  abgenützt  und 
müssen  umgeprägt  und  durch  neue  ersetzt  werden  (Art.  13  des  Gesetzes  vom 
7.  Mai  1850).  In  dem  spätem  Gesetz  vom  Jahre  1860  ist  durch  Art.  8  gesagt: 
«Aue  den  bei  den  neuen  Münzprägungen  sich  ergebenden  Einnahmeüberschüssen 
ist  ein  Münareservefond  zu  bilden,  aus  dem  je  nach  Erfordemiß  die  Kosten 
ganz  oder  theilweise  gedeckt  werden  sollen,  welche  die  Einlösung  abgenutzter 
Schweizermttnsen  zur  Folge  haben  wird".  Es  ist  aber  bekannt,  daß  noch  aus 
andern  Gründen  der  Einzug  und  die  Umprägung  von  Münzen  veranstaltet  werden 
kann,  als  wegen  Abnützung,  z.  B.  wegen  Fälschungen,  Aenderungen  im  Gepräge, 
Aenderungen  im  Feingehalt.  Bei  solchen  Einziehungen  (Einwechslungen)  und 
XTmprägnngen  muß  dem  Uebergeber  und  Eigenthlimer  einer  alten  Münze  immer 
der  volle  Werth  bezahlt  werden. 

Sncoessive  werden  alle  Münzsystemc  auf  die  reelle  Grundlage  des  schweize- 
rischen Münzsystems,    das   selber   auch    nur    eine  Nachbildung   des   franz(^&iv^c\\ft\i 


Kredit  —      158     —  Kredit 

ist,  gestellt.  Fraglich  ist  aber,  ob,  abgesehen  von  der  gesetzlicli  veraDstalteten 
Umprägung  oder  Einziehung,  der  Träger  einer  Kreditmünze  vom  Staate,  der  sie 
geprägt  bat,  die  Ümwechslung  gegen  Geld  mit  gesetzlichem  Feingehalt  yerhingen 
kann.  Einige  Gesetzgebungen  lassen  den  Entscheid  zweifelhaft;  die  schweizerisohe 
bejaht  die  Frage,  bestimmt  aber  als  Minimum,  welches  zur  Umweohslung  vor- 
gewiesen werden  kann,  die  Summe  von  50  Franken;  dagegen  ist  in  der  Schweiz 
auch  Niemand  gehalten,  mehr  als  20  Franken  in  Billon  und  mehr  als  2  Franken 
Kupfergeld  auf  einmal  anzunehmen.  Bei  den  Staaten,  welche  die  Einlösung  nicht 
bestimmt  bejahen,  sind  die  Scheidemünzen  recht  eigentlich  ein  Kreditgeld;  die 
Zahlung  der  Differenz  ist  eine  bis  zur  gesetzlichen  Auswechslung  aufgeschobene 
Sache.  Die  Annahme  der  Scbeidemünze  involvirt  überdies  einen  Kredit,  der 
gewährt  werden  muß. 

VI.  Kreditgeschäft. 
Der  Ausdruck  „Kreditgeschäft **  hat  eine  zweifache  Bedeutung:  eine  all- 
gemeine und  eine  spezifische.  Allgemein  müssen  alle  Geschäfte  als  Kreditgeschäfte 
bezeichnet  werden,  bei  denen  die  gegenseitigen  Verpflichtungen  nicht  Zug  um 
Zug  ausgeglichen  werden,  bei  denen  also  die  Gregenleistung  resp.  die  zu  erfüllende 
Leistung  in  die  Zukunft  fäUt.  Solcherlei  Geschäfte  können  auf  allen  Gebieten 
des  Zivilrechtes,  ja  selbst  im  öffentlichen  und  im  Strafrechte,  vorkommen;  im 
Zivilrecht  ist  es  besonders  die  Abtheilung  des  Obligationenrechtes,  welche  die 
meisten  Kreditgeschäfte  erläutert  und  rubrizirt.  Beinebens  wird  gesagt,  daß  in 
der  Schweiz  das  Obligationenrecht  ein  einheitliches  und  für  alle  Kantone  gültiges 
ist.  Dasselbe  ist  von  den  gesetzgebenden  Käthen  der  Eidgenossenschaft  den 
14.  Juni  1881  festgestellt  worden  und  mit  dem  1.  Januar  1883  in  Kraft  ge- 
treten, sowie  gleichzeitig  auch  das  Gesetz  über  die  Handlungsfähigkeit.  Spezifisch 
werden  diejenigen  Geschäfte  als  Kreditgeschäfte  bezeichnet,  bei  denen  die  von 
der  einen  Seite  geschehene  Leistung  nicht  mehr  zurückgenommen  werden  kann, 
und  bei  denen  die  Nichterfüllung  von  Seite  des  zur  Gegenleistung  verpflichteten 
Theiles  ihre  besondere  Wirkungen  haben  würde.  Ueberhaupt  geben  die  Wirkungen 
des  Kredites  zur  Bezeichnung  eines  Geschäftes  als  Kreditgeschäft  sehr  den  Aus- 
schlag. A,  Watjuer  zieht  dieselben  in  die  Worte  Eigenihums-  und  Kapital^ 
Übertrag un(f  aus  der  Wirthschaft  des  Einen  in  die  Wirthschaft  des  Andern 
zusammen,  womit  man  einverstanden  sein  kann,  wenn  unter  Kapitalübertragung 
auch  die  bloß  leihweise  üebertragung  begriffen  wird.  Das  Kreditgeschäft  be- 
absichtigt ja  durchaus  nicht  immer  die  BigenthumsUbertragung,  sondern  die 
Benutzung  des  Eigenthums  eines  Andern,  wobei  es  sich  allerdings  ereignen 
kann,  daß  das  Eigenthum  selber  allerdings  nicht  immer  zurückgegeben  werden 
kann,  z.  B.  bei  der  G^brauchsleihe,  wenn  das  zum  Gebrauche  gegebene  Thier 
vor  der  Rückgabe  verendet,  oder  ein  Wagen  zerbricht  u.  s.  w.  Mit  dieser  Er- 
läuterung sind  auch  nach  der  Auffassung  von  Knies  als  spezifische  Kreditgeschäfte 
zu  betrachten :  der  Kauf;  die  verkauften  und  nicht  bezahlten  Gegenstände  können 
beim  Gebrauch  zu  Grunde  gehen  oder  aus  irgend  einer  Ursache  an  Werth  ver- 
lieren, so  daß  sie  entweder  nicht  mehr  zurückgenommen  werden  oder  dem  frühem 
Eigenthümer  nicht  mehr  den  gleichen  Dienst  leisten  können.  Der  Bücknahme 
von  verkauften,  wenn  auch  nicht  bezahlten  Immobilien  steht  noch  der  Umstand 
entgegen,  daß,  wie  in  den  meisten  Staaten  Europas,  so  auch  in  den  meisten 
Kantonen  der  Schweiz  der  Eigen thumsübergang  nur  durch  einen  Akt  der  Inve- 
stitur (Fertigung)  übergeht,  was  erfordert,  daß  nur  durch  einen  solchen  Akt  die 
Rücknahme  geschehen  könnte.  Dasselbe  wäre  der  Fall,  wenn  der  ursprüngliche 
Uebergang  nicht  durch  einen  Kauf,  sondern  durch  eine  Erbtheilung  stattgefunden 


Kredit  —      159      —  Kredit 

hätte.  Das  Eigentham  wird  ganz  und  voll  übertragen,  wonn  der  neue  Eigenthiimer 
«ach  die  Verpflichtung  ttbernimmt,  einem  andern  Miterben  oder  sonstigen  Be- 
rechtigten Etwas  zu  zahlen  oder  zu  leisten,  und  die  Verpflichtung  dann  aus 
irgend  einem  Grrunde  nicht  erfüllt. 

Einfacher  gestaltet  sich  die  Rücknahme  im  Pachtverhäliniß.  Bei  demselben 
ist  nicht  das  Eigenthum  einer  Sache  an  einen  Dritten  übertragen,  sondern  die 
Sache  ist  nur  zur  Benutzung  übergeben  worden,  wofür  in  der  Regel  ein  Entgelt 
bezahlt  werden  muß.  Nun  kann  es  sich  ereignen,  daß  der  Nutzen  (Ertrag)  des 
Eigenthnms  von  dem  Dritten  gewonnen  and  rerwendet  worden  ist,  ohne  daß  er 
das  bedungene  Entgelt  (Pachtzins)  bezahlt.  Dann  kann  allerdings  —  übrigens 
Je  nach  der  Gesetzgebung  eines  Landes  —  das  Eigenthum  wiederum  zurück- 
^nommen  werden ;  aber  fiir  den  Eigenthümer  ist  es  so  viele  Jahre  lang  ohne 
Ertrag  gewesen,  als  ihm  der  Pachtzins  nicht  bezahlt  wird  und  als  es  ihm  nicht 
gelingt,  denselben  einzubringen,  z.  B.  durch  Rechtstrieb  -■-  Betreibung.  In  ähnlicher 
Weise  läßt  sich  das  Dienstboten  verhältniß  beurtheilen.  Das  Eigenthum  ist  keine 
Sache:  eine  bewegliche  oder  unbewegliche,  sondern  eine  persönliche  Leistung: 
die  Arbeit.  Dieselbe  wird  zum  Nutzen  eines  Dritten  hingegeben  und  zwar  auch 
in  der  Regel  gegen  Entschädigung  (Lohn,  Salarium  u.  s.  w.).  Wenn  nun  die 
Entschädigung,  welche  in  der  Zukunft  für  so  und  so  viel  Tage,  Wochen,  Jahre 
geleistet  werden  muß,  nicht  geleistet  wird,  so  kann  allerdings  die  Arbeit  auf- 
hören und  nicht  mehr  geleistet  werden.  Aber  die  schon  geleistete  Arbeit  der 
Terachwundeuen  Tage  kann  nicht  mehr  zurückgenommen.  Geschehenes  nicht  un- 
geschehen gemacht  werden.  Der  Eigenthümer  der  Arbeit  ist  ebenfalls  ohne  Ertrag 
gewesen,  und  zwar  für  so  lange,  als  der  bedungene  Lohn  nicht  bezahlt  wird. 
Von  diesem  Standpunkte  aus  sind  sämmtliche  Arbeiterverhältnifisey  wie  das 
Dienstbotenverhältniß,  zu  beurtheilen.  Das  hingegebene  Eigenthum  kann  nicht 
mehr  zurückgenommen  werden :  der  Kreditgeber  hat  das  Seinige  verloren  und 
der  Kreditnehmer  hat  es  verbraucht.  Ganz  gleich  kommt  es  bei  der  Gebrauchs- 
leihe  heraus,  wenn  der  zum  Gebrauche  gegebene  Gegenstand  nicht  mehr  dem 
Eigenthümer  zurückgegeben  wird  und  eine  Entschädigung  nicht  bezahlt  werden  kann. 

Granz  eigentliche  Kreditgeschäfte,  und  zwar  so,  daß  für  Viele  der  „  Kredit  ** 
ganz  durch  sie  erschöpft  wird,  —  was  aber  zu  enge  ist,  —  sind  die  verschiedenen 
Arten  von  Darleihen,  was  unter  dem  Ausdruck  y^Borggeschäfte^  zusammengefaßt 
werden  kann.  Alle  Borggeschäffce  sind  Kreditgeschäfte,  aber  nicht  alle  Kredit- 
geschäfte sind  Borggeschäfte.  Durch  dieselben  gibt  der  Eigenthümer  von  Kapital, 
wozu  das  Geld  auch  gerechnet  werden  muß,  dasselbe  einem  Dritten  hin,  formell 
zwar  als  Eigenthum,  materiell  aber  nicht,  sondern  nur  zur  Benutzung,  wofür 
der  Borgende  einen  Zins  bezahlen  sollte.  Es  karin  sich  aber  ereignen,  daß  nicht 
nur  der  Zins  nicht  bezahlt  wird,  sondern  das  dargeliehene  Eigenthum  nicht  mehr 
zurückgegeben  werden  kann.  Für  den  Kreditgeber  führt  das  Kreditgeschäft  dann 
zom  Verluste  seines  Eigenthnms,  seiner  Sache.  Mit  Recht  macht  Knies  auf- 
merksam, daß  das  Kreditiren  ein  ganz  eigenthümliches  Geschäft  sei,  bei  dem  der 
eine  Theil  sein  Vermögen  riskirt,  ohne  dem  andern  zu  nützen.  Das  Kreditiren 
wird  den  goldenen  Blättern  des  Spukgeistes  Rübezahl  ähnlich. 

VII.    Kreditkrisis. 

Sowohl  der  BegriflP  als  das  Wort  „Krisis**  spielt  in  der  Theorie  der 
Volkswirthschaft  wie  in  der  praktischen  Geschäftswelt  eine  sehr  große  Rolle; 
mit  dem  Worte  wird  sogar  Mißbrauch  getrieben,  indem  nur  zu  gerne  Mißstände 
und  Mißverhältnisse,    die   in   anderen  Ursachen    begründet   sind,    einer   ^Ktve^^"^ 


Kredit  —      160     —  Kredit 

SU  Lasten  geschrieben  werden  wollen.  Es  muß  daher  der  Saohe  auf  den  Grund 
gegangen  werden.  Und  zu  diesem  Zwecke  ist  es  am  Orte,  auf  das  allgemeine 
volkswirthschaftliche  Charakteristikum  aufmerksam  zu  machen,  nach  welchem 
eine  Erisis  die  Folge  einer  Störung  des  Gleichgewichtes  zwischen  Produktion 
und  Konsumtion  ist,  weßhalb  auch  von  Produktions-  und  Handels-  oder  Absatz- 
krisis  gesprochen  wird.  Das  Angebot  eilt  voraus,  die  Konsumtion  bleibt  zurllck. 
Im  Allgemeinen  mag  so  geurtheilt  werden  (Röscher  I,  §§  215,  216  u.  fP., 
3.  Auflage).  Die  richtige  Bezeichnung  scheint  jedoch  im  Worte  ^Absatzkrisis^ 
zu  liegen,  die  Röscher  in  der  Nationalökonomik  des  Handels-  und  Grewerbefleißes 
(III,  II.  Abth.,  XI.  Kap.)  einläßlich  betrachtet.  Er  meint,  daß  jeder  Umstand, 
welcher  plötzlich  und  stark  die  Konsumtion  vermindert,  die  Produktion  vermehrt 
oder  auch  nur  die  gewohnte  Ordnung  des  Verkehrs  erschüttert,  eine  Absatzkrisis 
nach  sich  ziehen  könne.  In  dieser  Auffassung  weicht  er  nicht  weit  von  M.  Wirth 
ab,  der  den  Gesichtspunkt  der  Kapitalkrisis  voranstellt  und  die  Ursachen  einer 
solchen  in  den  Werthstörunr/en  erblickt;  die  Hauptursache  scheint  ihm  jedoch 
in  der  Spekulation  zu  liegen,  welche  ja  auch  eine  wesentliche  Ursache  der  Werth- 
störung  sein  kann.  ^)  Von  der  Spekulation  zur  Ueberspeknlation  ist  nur  ein 
Schritt  und  diesen  thun  wir  auch,  um  von  der  Absatz-  oder  Handelskrisis  zur 
Kreditkrisis,  welche  eben  etwas  anderes  ist,  zu  gelangen.  Wirih  nennt  Ueber- 
speknlation diejenige,  welche  sich  nicht  mehr  auf  die  vorhandenen  Kapitalvorräthe 
der  Spekulanten  stützen  kann,  sondern  über  dieselben  hinausgehen  muß  und,  um 
sie  zu  erlangen,  den  Kredit  in  Anspruch  nimmt.  Aus  der  volkswirthschaftlichen 
Absatzkrisis  kann  eine  Kreditkrisis  werden,  wenn  die  Waarenpreise  so  niedrig 
werden,  daß  der  Spekulant  als  Kreditnehmer  dem  Kreditgeber  die  Gegenleistung 
nicht  mehr  erfüllen,  Rückzahlung  des  kreditirten  Geldes  nicht  mehr  leisten  kann. 
Dieses  kann  auch  eintreten,  wenn  nicht  ein  Spekulant  die  Waarenpreise  in  die  Höhe 
getrieben  hat,  sondern  wenn  der  Produzent  einer  Waare  den  Kredit  in  Anspruch 
nimmt,  um  dieselben  nicht  unter  den  Gestehungskosten  (prix  de  revient)  verkaufen 
zu  müssen.  Nun  kann  sich  zweierlei  ereignen.  Entweder,  daß  die  Anstalten, 
welche  auch  Kreditinstitute  sein  können,  die  Waaren  nicht  mehr  anzunehmen 
oder  darauf  Vorschüsse  zu  leisten  vermögen.  Dann  ist  der  Fabrikant  genöthigt, 
die  Produktion  einzustellen.  Oder  es  tritt  wegen  verschiedenen  Vorgöngen, 
z.  B.  in  Folge  Erfindung  eines  neuen  Erstellungsverfahrens,  ein  Abschlag  dennoch 
ein.  Dann  pflegen  die  Kreditanstalten  nicht  mehr  zurückzuhalten,  sondern  auch 
zu  verkaufen.  Der  Produzent  hat  dann  keinen  Kredit  mehr  und  dann  kann  eine 
Kreditkrisis  entstehen.  Das  Sympton  einer  aus  der  Absatzkrisis  hervorgehenden 
Kreditkrisis  ist  demnach  die  Verweif/erunf/  des  Kredites.  Dieselbe  kann  von 
Privaten  und  Kreditanstalten  ausgehen  und  ist  in  den  wenigsten  Fällen  von  Seite 
der  Kreditgeber  eine  freiwillige.  Fast  gleichbedeutend  mit  der  Kreditverweigerung, 
weil  diese  meist  nur  die  Folge,  ist  die  zu  starke  Belastung  des  Kredites, 
weil  dieser  bereits  mehr  versprochen  hat,  als  er  leisten  kann.  Zuerst  ist  es 
vielleicht  nur  ein  einzelner  Schuldner,  der  seine  Verpflichtungen  nicht  mehr 
erfüllen  kann.  Aus  dem  Einzelnen  können  es  Viele,  ja  die  Situation  kann  so 
werden,  daß  man  sagen  muß,  daß  die  Mehrzahl  der  Schuldner  eines  Landes  nicht 


*)  Diese  Darstellunj^  würde  nicht  erschöpfend  sein,  wenn  nicht  aufmerksam  gemacht 
würde  auf  das  Werk  des  frühern  Direktors  des  schweizerischen  statistischen  Bureau, 
Max  Wirth:  „Geschichte  der  Handelskrisen".  Die  erste  Auflage  ist  im  Jahre  1858 
erschienen,  die  dritte  im  Jahre  1883;  begreiflich  ist  in  der  letzten  den  Ereignissen  nach 
1857  (1863,  1864,  1866,  1869,  1873,  1882)  eine  Erzählung  gewidmet,  welche  in  der 
ersten  nicht  vorhanden  sein  konnte. 


Kredit  —      1(>1      —  Kredit 

mehr  im  Stande  sei,  ihre  Verpflichtungen  zu  erfüllen.  Ganz  besonders  tritt  die 
Kreditkrisis  herein,  wenn  ein  Theil  dieser  Schuldner  Kreditanstalten  selber  sind. 
Soferne  dieses  der  Fall  ist,  so  kann  eine  Kreditkrisis  ganz  verhängnißvoll  werden, 
indem  dann  die  Kreditdokumente  oder  Kreditzeichen,  welche  von  den  fallenden 
Schuldnern  im  Umlaufe  sind,  ihren  Werth  verlieren.  Aber  nicht  nur  die  Kredit- 
dokumente der  fallenden  Schuldner,  sondern  die  Dokumente  und  Zeichen  an  und 
für  sich  werden  diskutirt  und  nicht  mehr  angenommen.  Aus  der  Kreditkrisb  kann 
dann  eine  Geldkrisis  werden,  indem  nicht  mehr  die  erforderlichen  Zirkulations- 
mittel vorhanden  sind.  Diese  müssen  dann  auf  irgend  eine  Weise  in's  Land 
geschafft  werden,  derart,  daß  die  Geldkrisis  als  solche  keinen  größern  Umfang 
annehmen  und  das  allgemeine  Zutrauen  erhalten  wird. 

Wie  wichtig  es  ist,  die  Wiederkehr  eines  schwankend  gewordenen  Zutrauens 
zu  fördern,  ist  in  der  Schweiz  ein  jetzt  fast  vergessener  Vorgang  zu  beweisen 
im  Stande.  Mehr  als  jedes  anderes  Ereigniß  oder  geschichtliche  Begebenheit  hat 
in  der  Schweiz  im  Juli  1870  die  Kriegserklärung  Napoleon's  IH.  an  Deutsch- 
land auf  den  Kredit  hemmend  gewirkt.  Mehrere  Tage  lang  hat  besonders  in 
der  Ostschweiz  ein  Zustand  die  Oberhand  bekommen,  welchen  man  als  Kopf- 
losigkeit bezeichnen  konnte  und  mußte.  Wie  viel  selbst  einzelne  Kreditanstalten 
an  diesem  Zustande  Schuld  trugen,  soll  hier  nicht  untersucht  werden.  Er  hat 
zu  verschwinden  begonnen  und  es  ist  Zutrauen  wiedergekehrt,  als  die  wenige 
jklonate  vorher  entstandenen  und  geschafifenen  Kantonalbanken  von  Zürich  und 
St.  Gallen  von  den  Banknoten  unabhängige,  aher  rechtlich  gleichbedeutende 
Zahlungsverpflichtungsscheine  mit  einem  bestimmten,  aber  auf  Monate  hinaus 
lautenden  Zahlscheine  resp.  Zahlungsverpflichtungsscheine  ausgaben.  Die  west- 
Hchweizerischen  Banken  fuhren  in  ähnlicher  Weise  fort,  indem  sie  ihre  Banknoten- 
emiBsion  verstärkten,  dann  aber  auch  für  Deckung  sorgten,  eine  immerhin  in 
Zeiten  der  Krisis  gefährliche  Operation.  Sie  durften  es  jedoch  thun,  indem  die 
Noten  der  Banken  gar  nicht  in  der  Weise  an  ihre  Kassen  zur  Wiedereinlösung 
zurückkehrten,  wie  einige  Theoretiker  behaupten,  daß  es  in  Zeiten  der  Krisis 
zu  geschehen  pflege.  Im  Allgemeinen  hatte  das  schweizerische  Publikum  zu  den 
schweizerischen  Elreditanstalten  Zutrauen ;  es  war  an  den  hezüglichen  Verwaltungen, 
den  Kopf  an  der  rechten  Stelle  zu  haben. 

IX.    Kreditmißbrauch. 

Nehme  man  die  Definition  von  Röscher  über  den  Kredit  als  richtig  an, 
ziehe  man  die  von  Knies  und  Wagner  als  die  richtigere  vor,  so  ergibt  sich 
nach  Allen,  daß  die  Wesenheit  des  Kredites  darin  beruht,  daß  für  einen  Werth 
ein  Gregenwerth  geleistet,  eine  durch  ein  Versprechen  übernommene  Verpflichtung, 
einen  Gegen  werth  zu  leisten,  erfüllt  werden  muß.  In  Allem  was  nun  die  Gegen- 
leistung unmöglich  macht,  liegt  eine  wesentliche  Erschütterung  des  Kredites,  was 
die  Franzosen  die  Gkfahr  (danger)  desselben  nennen,  sei  es  nun,  daß  der  Ver- 
pflichtete von  Anfang  an  die  Verpflichtung  nicht  ernsthaft  genommen  hat,  sie  gar 
nicht  zu  erfüllen  Willens  ist,  sei  es,  daß  er  so  handelt,  daß  er  die  Verpflichtung  gar 
nicht  zu  erfüllen  im  Stande  ist,  sich  zur  Verschaffung  der  dafür  nothwendigen 
Mittel  gar  keine  Mühe  gibt  oder  sich  hiefür  gar  nicht  wirthschaftlich  benimmt. 
Der  zweite  Fall  oder  Modalität,  bei  der  sehr  viel  Mißbrauch  des  Kredits  vorkommt 
und  auch  evident  in  den  Vordergrund  tritt,  ist  der  Konsumtionskredit,  wenn 
die  Konsumtion  in  keinerlei  Weise  zur  Produktion,  z.  B.  auch  nur  durch  den 
Unterhalt  von  Arheitem  beiträgt.  Man  begreift  es,  daß  bei  dieser  Art  des  Kredites 
die  Franzosen   von    „abus  du  credit**    sehr   gut  sprechen  können.     S\^  ^^\^<3ti^xv 

Torrer,  Volktwirthacbafts-LexIkoD  der  Schirpfr.  Y\ 


Kredit  —      162     —  Kredit 

sich    in    richtiger  Beurtheilung   des  Ereditmißbrauches   aach    deßhalb   gegen  ihn 
aus,  weil  er  die  Ursache  von  Krisen  und  Krachs  werden  kann. 

Anders  aufgefaßt:  in  mehr  als  neunzig  von  hundert  Fällen  kommt  die 
künftige  Erfüllung  einer  Verpflichtung  einer  Greldschuld  gleich.  Der  Gebrauch 
des  Kredites  kommt  daher  der  Kontrahirung  von  Schulden  gleich.  Die  Erweite- 
rung und  Ausdehnung  des  Kredites  und  die  Vermehrung  der  Kreditanstalten 
heißt  zugleich  auch  die  Erleichteruwß  in  der  Kontrahirung  von  Schulden  und 
dadurch  die  Vermehrunfß  der  Schulden.  Wie  oft  hat  in  der  Geschichte  eine 
leichtere  Organisation  des  Kredites  und  der  Kreditanstalten  zu  einer  Vermehrung 
der  Schulden  geführt?!  Diese  Vermehrung  kann  aber  sowohl  beim  öffentlichen 
Kredite  als  im  Privathaushalte  jedes  Einzelnen  in  der  menschlichen  Gresellschaft 
sehr  gefährlich  und  bedenklich  werden.  Die  erstere  Art  von  Mißbrauch,  d.  h. 
den  Mißbrauch  beim  öffentlichen  Kredite  betont  besonders  Schäffle  und  er  meint, 
daß  er  vorhanden  sei,  wenn  eine  ordentliche  Tilgwny  der  öffentlichen  Schulden 
nicht  stattfinde,  resp.  ein  angemessener  Tilgungsplan  nicht  vorhanden  sei.  Schätfle 
ist  daher  jeder  Zeit  und  unter  allen  Umständen  für  die  Tilgung  der  Staats- 
schulden ;  sonst  vermehren  sich  dieselben  bis  zur  dritten  und  vierten  Generation 
in^s  Ungeheure  und  begründen  eine  Zinsknechtschaft  der  steuernden  Volksklassen, 
die  lästiger  ist  als  die  Reallasten  des  Mittelalters.  Sie  begründet  eine  eigentliche 
Grefahr  und  zwar  aus  dem  Grunde,  weil  der  Zins  für  Anleihen  bezahlt  werden 
muß,  deren  Nutzeffekt  in  der  Gesellschaft  man  gar  nicht  mehr  kennt  und  daher 
auch  nicht  beurtheilen  kann.  Ebenfalls  den  öffentlichen  Kredit  und  die  Vermeh- 
rung der  Staatsschulden  mit  einer  durchaus  ungenügenden  Amortisation  haben 
die  neuem  Schriftsteller  Frankreichs  im  Auge;  ältere,  d.  h.  Solche,  die  vor 
15 — 20  Jahren  geschrieben  haben,  haben  mehr  die  Privatwirthschaften  und  da8 
Gefährliche  der  Schulden  für  dieselben  im  Auge;  einer  derselben,  ein  gewesener 
Banquier,  Namens  Bouron,  hat  sogar  eine  Broschüre  geschrieben,  die  betitelt 
ist:  „Gruerre  au  credit  ou  oonsiderations  sur  les  dangers  de  Temprunt**.  Er  ver- 
gleicht den  Kredit  mit  dem  Gifte  in  der  Apotheke,  von  dem  man  nur  bei  Krank- 
heiten Gebrauch  machen  soll.  Um  einen  in  der  Schweizergeschichte  üblich  ge- 
wordenen Ausspruch  in  Vergleichung  zu  ziehen :  ^  Hütet  Euch  am  Morff arten  !^ 
kann  man  in  Würdigung  des  Geschriebenen  auch  sagen:  j^ Hütet  Euch  vor 
Schulden  /" 

Gewissermaßen  eine  besondere  Anlage  zum  Kreditmißbrauch  haben  auf  dem 
Boden  des  Privatrechtes  die  anonymen  Gesellschaften,  soweit  in  denselben  keine 
solidarische  Haftbarkeit  besteht.  Es  ist  schon  gezeigt  worden,  daß  die  Gesell- 
schaften selber  mit  den  sie  repräsentirenden  Antheilscheinen  oder  Aktien  eine 
Schö])fung  des  Kredites  sind.  Die  Aktionäre  scheinen  auf  den  Gedanken  eines 
Mißbrauches  verzichtet  zu  haben,  obschon  ein  solcher  vorliegt,  wenn  es  sich  um 
Unternehmungen  handelt,  die  keine  Rentabilität  und  also  auch  keine  Dividende 
geben  können.  Gewiß  ist  aber  Mißbrauch  des  Kredites  vorhanden,  wenn  die 
Schöpfungen  des  Kredites  selbst  wieder  Emissionen  von  Titeln  machen  und  sonst 
Schulden  kontrahiren,  ohne  Gewißheit,  dieselben  zahlen  zu  können.  Nach  dem 
bekannten  Rechtsspruch  werte  ,  Volenti  non  fit  injuria"  können  sich  Obligations- 
und andere  Gläubiger,  die  meist  sehr  hohe  Zinsen  beziehen,  nicht  beklagen, 
wenn  sie  in  Verlust  kommen;  aber  objektiv  kann  und  muß  nichtsdestoweniger 
von  Kreditmißbrauch  gesprochen  werden ;  es  ist  daher  nicht  mehr  als  bloße  sub- 
jektive Auffassung  anzusehen,  wenn  der  jetzt  verstorbene  Redaktor  der  „Schweiz. 
Handelszeitung^  die  Schuldenkontrahirung  durch  Aktiengesellschaften  nicht  ge- 
statten Wollte.  Auch  das  Bundesgesetz  vom  21.  Dezember  1883  über  das  Rechnungs- 


Kredit  —      163     —  Kredit 

wesen  der  Eisenbahngesellschaften  muß  vom  Standpunkt  des  Kredites  aus  als 
eine  Schutzwehr  gegen  den  Mißbrauch  angesehen  werden.  Es  mag  den  Rechts- 
gelehrten überlassen  bleiben,  zu  erwägen,  ob  in  ähnlicher  Richtung  nicht  auch 
gegen  andere  Gresellschaften  vorgegangen  werden  könnte  und  sollte. 

X.   Ereditnoth. 

Wohl  das  Gegentheil  des  Mißbrauches  darf  die  Noth  genannt  werden,  besonders 
wenn  jener  aus  vielem  Elredit  und  wenigen  Kreditanstalten,  diese  aus  zu  wenig 
entstehen  sollte.  Immerhin  muß  man  sich  gut  verstehen :  I)er  Mißbrauch  kann 
auch  vorhanden  sein,  wenn  bei  an  und  für  sich  ungenügenden  Krediteinrichtungen 
ein  Einzelner  vom  Kredit  so  vielen  Gebrauch  macht,  daß  er  die  Übernommenen 
Verpflichtungen  gar  nicht  mehr  erfüllen  kann.  Wenn  deßhalb  irgendwo  und 
irgendwann  über  Kreditmangel  geklagt  wird,  so  ist  es  gut,  die  Ursachen  des 
Mangels  zunächst  zu  untersuchen  und  sich  wie  ein  kritischer  Arzt  zu  verhalten, 
der  eine  richtige  Diagnose  stellen  will.  Solche  Fälle  müssen  aber  nur  als  ver- 
einzelte betrachtet  werden;  Kreditnoth  ist  in  der  Regel  dann  vorhanden,  wenn 
der  Kredit  als  solcher  mangelt  (vide  oben  I.  Allgemeine  Merkmale)  oder  wenn 
die  erforderlichen  Krediteinrichtungen  (Gesetzgebung  und  Ejreditanstalten)  nicht 
bestehen,  versteht  es  sich:  Anstalten,  welche  selbst  die  genügenden  Grund-  und 
Hinterlagen  besitzen,  um  Kredit  gewähren  zu  können.  Fehlt  es  aber  an  den  ge- 
nügenden Vor-  und  Einrichtungen,  so  sei  die  Untersuchung  dem  eigentlichen 
Mangel,  seinen  Ursachen  gewidmet.  Bei  der  Untersuchung  treten  zuerst  die  all- 
gemeinen Lebens-  und  Erwerbsverhältnisse  der  Kreditbedürftigen  in  den  Vorder- 
grund, wobei  es  sich  ergeben  kann,  daß  nach  denselben  Krediteinrichtungen  gar 
nicht  möglich  sind,  weil  es  auch  nicht  möglich  ist,  übernommene  Verpflichtungen 
einmal  erfüllen  zu  können. 

Von  den  Lebens-  und  Erwerbsverhältnissen  ausgehend,  begegnen  wir  in 
erster  Linie  den  Klagen  des  Grundbesitzes.  „Für  den  Kredit  der  Grundbesitzer, 
—  eine  Bitte  an  die  Reichsstände**  und  „Zur  Erklärung  und  Abhülfe  der  heutigen 
Kreditnoth  des  Grundbesitzes^  —  sind  zwei  erwähnenswerthe  Werke  des  nicht 
ganz  schulgerechten,  vielmehr  paradoxen  aber  doch  tiefsinnigen  deutschen  Schrift- 
stellers K.  J.  HodbertuS'Jagezow,  Dieselben,  sowie  ein  anderes  vom  Berliner 
Ministerialrath  Gamp,  betitelt  „Der  landwirth schaftliche  Kredit**,  beweisen  aber, 
daß  maßgebende  Vorschläge  nur  gemacht  werden  können,  wenn  man  die  Kon- 
stitution des  Grundeigenthumes  selber  kennt.  Hat  man  Großgrundbesitz,  wie  in 
Deutschland,  Italien  und  England,  hat  man  kleinere  Parzellen,  wie  in  Franki'eich 
und  in  den  meisten  Kantonen  der  Schweiz,  hat  man  freies  Grundeigen thum  oder 
fldeikommissarisches  vor  sich  ?  Dann  muß  man  auch  fragen :  zu  welchem  Zwecke 
das  von  einem  Grandbesitzer  aufgenommene  Geld  verwendet  werden  soll  und 
will.  Denn  eine  unbeschränkte  Verschuldung  kann  nicht  zugegeben  werden. 
Wie  bereits  früher  gesagt,  so  muß  eine  Unterscheidung  gemacht  werden  zwischen 
Grundbesitz  und  Grundbesitzer.  Die  Bedürfnisse  des  letztern  können  nur  in  be- 
Hchränkter  Weise  zugelassen  werden,  sonst  bekommen  wir  nach  einigen  Jahr- 
zehnten eine  ähnliche  Ueberschuldung,  resp.  Anhäufung  von  Schulden,  welche 
wir  oben  bei  den  Staatsschulden  gerügt  haben.  Deßhalb  wollen  Einige,  unter 
ihnen  Schäffle,  selbst  die  Verpfandung  oder  Hypothezirung  von  Abfindungssummen 
von  Miterben  nicht  zugeben. 

Ob  die  Unaufkündbarkeit  gesetzlich  in  dem  Sinne  stipulirt  werden  solle,  daß 
der  Eigenthümer  und  Schuldner  zwar  zur  Rückzahlung  berechtigt,  zu  derselben 
aber  nicht  gezwungen  werden  könnte?     Ein  Lexikon  hat  diese  Fx^b^v:^  ii\^\.  i.n^ 


'r 


Kredit  —      164     —  Kredit 

entscheideD,  sondern  nur  anzudeuten;  es  kann  beigefügt  werden,  daß  einige  kan- 
tonale Gesetzgebungen  in  der  Schweiz  die  Frage  bejahend  gelöst  haben.  Diese 
Ansicht  findet  aber  auch  viele  Gregner,  welche  theoretisch  vielmehr  die  Befreiung 
des  Gruudeif/efithums  von  Schulden  und  zwar  durch  Abbezahlung  derselben  ver- 
langen. Unter  ihrem  Einfluß  sind  die  Hypothekarbanken  mit  dem  System  der 
obligatorischen  Amortisation  entstanden. 

Nicht  nur  für  die  Beleihung  des  Grundeigenthums  (Hypotheken),  sondern 
auch  für  eine  andere  Art  des  Kredites,  von  der  hiernach  die  Bede  sein  soll,  ist 
die  Frage,  zu  welchen  Bedingungen  der  Kredit  gewährt  werden  soll,  wichtig. 
Darunter  ist  in  erster  Linie  der  Zinsfuß  zu  erwähnen,  nach  dem  ein  Darleihen 
verzinset  werden  soll;  in  zweiter  Linie  gehören  zu  den  Bedingungen  auch  die 
fernem  Spesen,  die  allfallig  bezahlt  werden  müssen,  sei  es  dem  Gelddarleiher, 
sei  es  einem  Dritten,  z.  B.  dem  Notar  oder  Staatsbeamten  für  die  Stipulation 
des  Schuldaktes.  Von  dieser  zweiten  Art  von  Bedingungen,  die  für  den  Kredit- 
nehmer immerhin  eine  Last  sein  können,  soll  weiter  nicht  mehr  gesprochen 
werden,  dagegen  aber  vom  Zins,  der  bei  allen  Anleihen,  vorzugsweise  aber  bei 
den  Hypothekar- Darleihen,  jetzt  sowohl  als  vor  etwa  zehn  oder  zwanzig  Jahren, 
sehr  stark  in  den  Vordergrund  gestellt  wird.  Vor  zwanzig  oder  mehr  Jahren 
sind  in  fast  allen  kultivirten  Ländern  Europas  und  Nordamerikas  Eisenbahnen 
gebaut  worden  und  die  bauenden  G^ellschaften  haben  gegen  hoch  verzinsliche 
Obligationen  das  nöthige  Baukapital  erhalten.  Die  Kapitalien-  oder  Gi^ldbesitzer 
haben  von  diesen  Obligationen  gekauft  und  sie  dem  Darleihen  auf  Grundeigen- 
thum  vorgezogen,  ja  man  kann  eigentlich  sagen  entfremdet.  Da  konnte  und 
mußte  man  wirklich  von  Kreditnoth  des  Grundbesitzes  sprechen.  Heutzutage 
wendet  sich  das  Geld  allerdings  wieder  mehr  dem  Grundbesitz,  aber  doch  nur 
in  beschränktem  Maße,  zu.  Denn  der  Ertrag  und  damit  auch  der  Werth  des 
Grundbesitzes  wird  durch  die  mehrfache  auswärtige  Konkurrenz  bestritten.  Nicht 
nur  der  Getreidebau,  sondern  auch  die  Viehzucht  und  die  Milch wirthschaft  er- 
geben einen  den  Kosten  entsprechenden  Ertrag  nicht  mehr.  Es  ist  also  auch 
wiederum  eine  Kreditnoth  vorhanden;  denn  mit  dem  Werthe  des  Grundbesitzes 
ändert  sich  auch  der  Quotient  von  dessen  Beleihung.  In  der  Schweiz  pflegen 
seit  einigen  Jahren  die  Kantone  und  einige  Gemeinden  zum  Zwecke  der  Beleihung 
einzutreten  (Kantonalbanken  u.  s.  w);  über  die  daherigen  Erfolge  zu  urtheilen 
ist  aber  nicht  Sache  des  Lexikons. 

Fast  gleichzeitig  wie  vor  zwanzig  Jahren  der  Grundbesitz  über  Kreditnoth 
geklagt  hat,  ist  es  auch  beim  Gewerbe  der  Fall  gewesen  und  zwar  vorzugsweise 
beim  kleinen  Handels-  und  Gewerbestand,  indem  sich  die  Großindustrie  und  der 
Großhandel  viel  eher  zu  helfen  gewußt  haben.  Die  Abhülfe  bei  jenem  hat  in 
verschiedener  Weise  gebracht  worden.  Es  ist  gewiß  erwähnenswerth,  daß  mehr 
noch  als  beim  Hypothekarkredit  die  Konstruirung  von  Banken  und  Kassen  durch 
Genossenschaften  und  nach  dem  Prinzip  von  Genossenschaften  eingetreten  ist. 
Die  Worte  von  Schäffle  verdienen  wörtlich  angeführt  zu  werden :  «Der  Mobiliar- 
kredit des  Z^/e/ngewerbes  hat  in  den  Handwerkerbanken  der  Neuzeit  eine  vor- 
zügliche, auf  das  Prinzip  der  Solidarität  gestützte  „genossenschaftliche^  Organi- 
sation mit  streng  bankmäßiger  Technik  gefunden.  Die  Schulze-Delitz'schen  Kredit- 
genossenschaften sind  die  spezifischen  Handels-  und  Mobiliarkreditanstalten  der 
kleinen  Unternehmungen."  Weiteres  über  die  schweizerischen  Verhältnisse  wird 
hierorts  nicht  mehr  gesagt,  sondern  auf  den  Artikel  „Grewerbe*  verwiesen,  wo 
der  Kredit  im  Kleingewerbe  Berücksichtigung  gefunden  hat. 


Kredit  ~      165     —  Kredit 

XI.  EreditorganiBation. 

Das  Wort  wird  viel  gebraucht  nnd  schließt  sich  nicht  nur  in  der  Reihen- 
folge des  Alphabetes  an  die  KreditnoM  an,  da  angenommen  wird  and  ange- 
nommen werden  kann,  daß  durch  eine  geh5rige  Organisation  jede  Noth  beseitigt 
werden  könne ;  weiter  aufgefaßt  maß  aber  die  Organisation  nicht  nur  die  Noth, 
sondern  sämmtliche  üebelstände,  also  auch  den  Mißbrauch  beseitigen,  welche  die 
Erediteinrichtungen  eines  Landes  im  Gefolge  haben  können.  Es  muß  deßhalb 
gesucht  werden,  den  Sinn  zu  erforschen,  welcher  dem  Worte  zu  Grunde  liegt 
oder  liegen  kann.  Nach  der  Ansicht  des  Lexikons  können  es  nur  zweierlei  Vor- 
kehrungen sein,  welche  den  Kredit,  objektiv  aufgefaßt,  begründen  können:  es 
ist  die  Gesetzgebung  eines  Landes  über  den  Kredit  und  die  über  die  Kredit- 
anstalten und  deren  Umfang.  Was  den  Kredit  in  subjektiver  Aaffassang  oder 
das  Zutrauen  betrifft,  so  kann  allerdings  die  Gesetzgebung  einen  Einfluß  aus- 
üben, allein  in  der  Hauptsache  ist  doch  an  das  oben  schon  gebrauchte  Wort  zu 
erinnern:  „la  confiance  s'inspire;  eile  ne  se  commande  pas**.  Es  wirkt  und  spielt 
viel  zu  viel  Subjektives,    oder  allgemeiner  ausgedrückt,    auch  Menschliches  mit. 

Ueber  die  beiden  Elemente  der  Kreditorganisation  jedoch  soll  hierorts  nicht 
zu  viel  gesprochen  werden,  indem  einerseits  oben  die  Kreditanstalten  weitläufig 
behandelt  worden  sind,  anderseits  die  Gesetzgebung  später  unter  der  Bubrik 
«Kreditrecht*^  besprochen  werden  soll.  In  Betracht  der  Kreditanstalten  ist  jedoch 
an&tierksam  zu  machen,  daß  sich  die  obige  Auseinandersetzung  mehr  beschreibend 
verhalten  hat,  während  die  Erörterung  über  die  Organisation  kritisch  und  dogma- 
tisch verfahren  soll,  um  zu  zeigen,  wie  die  Anstalten  angelegt  und  eingerichtet 
sein  müssen,  um  dem  Begriff  „ Kredit**  zu  entsprechen  und  denselben  zu  erfüllen, 
—  überhaupt  um  zu  bewirken,  daß  sie  in  den  Rechtszustand  eines  gegebenen 
Landes  passen  und  den  wirthschaftlichen  Zustand  desselben  fördern. 

Wem  liegt  es  jedoch  ob  —  dieses  scheint  eine  sehr  wichtige  Frage  zu 
sein  —  für  eine  derartige  Einrichtung  zu  sorgen?  Soll  man  die  Sorgfalt  allein 
dem  Elapital  überlassen,  das  als  gegenwärtiges  G«ld  die  Grundlage  der  Kredit- 
anstalten bildet?  Man  kann  allerdings  die  Ansicht  haben,  daß  es  die  richtigen 
Vorkehrungen  zu  treffen  wissen  werde,  indem  es  dann  die  größere  Entlohnung 
finden  wird,  wenn  es  den  Kreditbedürftigen  nach  dem  Maße  ihres  Bedürfnissen 
entspricht.  Wenn  es  aber  anders  sein  sollte?!  Dann  wird  neben  dem  Kapital, 
das  jedenfalls  handelnd  auftreten  wird,  noch  ein  zweiter  Faktor  vorzugehen 
haben,  und  dieser  ist  zu  Gunst^^n  der  Kreditbedürftigen  die  Gesetzgebung  eines 
Landes,  welche  die  beiden  Interessen  des  Kapitales  nnd  des  Kredites  vereinigt  be- 
rücksichtigen kann  und  soll.  Sie  kann  in  zweifacher  Weise  vorgehen :  entweder, 
daß  sie  einfach  die  Regeln  aufstellt,  nach  denen  das  Kapital  seine  Thätigkeit 
entfalten  soll  oder  so,  daß  der  Staat,  welcher  das  Gesetzgebungsrecht  hat,  auch 
ganz  oder  theilweise  für  die  Herbeibringung  der  nothwendigen  Kapitalien  sorgt, 
mit  welchen  die  von  ihm  geschaffenen  oder  unterstützten  Kreditanstalten  arbeiten 
sollen.  Dieses  ist  im  Verlaufe  der  letzten  50  Jahre  in  der  Schweiz  wiederholt 
durch  die  Schaffang  von  Kantonalbankeh  geschehen.  Darüber,  ob  diese  Schaffang 
rechtmäßig,  ob  sie  zweckmäßig  sei,  ist  viel  geschrieben  worden.  Die  Rechtmäßig- 
keit kann,  scheint  es  dem  Lexikon,  nicht  bestritten  werden ;  die  Zweckmäßigkeit 
aber  ist  je  nach  den  gegebenen  Verhältnissen  je  eines  einzelnen  Kantones  zu 
beurtheilen;  eine  Schablone  kann  hiefür  kaum  zu  Grunde  gelegt  werden. 

Hingegen  scheint  aufinerksam  gemacht  werden  za  müssen,  daß,  wenn  ein 
Kanton  sich  nicht  in  irgend  einer  Weise  materiell  mitbetheiligen  will,    fast  ^v 


Kredit  ~      166      —  Kredit 

nicht  eingesehen  werden  kann,  was  derselbe  auf  dem  Gesetzgebungswege  noch 
zu  thun  habe,  indem  die  Vorschriften  über  die  anonymen  (Aktien-)  Gresell- 
schaften  und  Genossenschaften,  als  welche  sich  die  Kreditanstalten  in  der  Schweiz 
gestalten  werden,   durch  das  eidgenössische  Obligationenrecht  festgestellt  sind. 

Wichtiger  jedoch  als  diese  gestaltet  sich  eine  andere  Frage,  nämlich  die, 
ob  die  Eidgenossenschaft  —  der  Bund  —  nicht  noch  in  anderer  Weise  in  die  Ge- 
staltung des  Kredites  eingreifen  soll,  als  es  durch  das  Gesetz  vom  8.  März  1881 
über  die  Emission  und  Zirkulation  von  Banknoten  geschehen  ist.  Viele  und  dar- 
unter auch  der  Verüetsser  des  gegenwärtigen  Aufsatzes  glauben  es,  indem  sie 
das  Vorgehen  der  Eidgenossenschaft  durch  die.  Errichtung  einer  Landesbank 
postuliren.  Die  Frage  nach  der  Kompetenz  des  Bundes  scheint  nicht  die  wichtigste 
zu  sein;  keine  Frage  mehr  scheint  die  Wahrnehmung  zu  sein,  daß  die  Eid- 
genossenschaft kraft  der  Wirkungen  des  Zollgesetzes  und  des  Handelsvertrages 
eine  wirthschaftliche  Einheit  ist  und  daß  wirthschaftlich  die  Kautone  fast  gar 
nicht  mehr  in  Betracht  fallen.  Eine  der  Konsequenzen  dieser  Einheit  ist  die 
Errichtung  und  Einrichtung  einer  Landesbank,  wofür  es  an  Mitteln  nicht  ge- 
brechen wird,  ob  so  oder  anders  vorgegangen  werde.  Allein  jener  Vortheile  im 
Kredit-  und  Bankverkehr,  welche  England,  Frankreich  und  in  neuester  Zeit  ganz 
besonders  Deutschland  mit  seiner  Beichsbank  kraft  Gesetzes  genießt,  wird  die 
Schweiz,  resp.  ihr  Handel  und  Gewerbefleiß  so  lange  nicht  theilhaftig  werden, 
als  sie  eine  Landesbank  mit  den  gehörigen  Filialeinrichtungen  nicht  besitzt. 
Einige  Pessimisten,  welche  vom  volks wirthschaftlich en  Niedergang  der  Schweiz 
schreiben,  rechnen  zu  den  Ursachen  desselben  auch  das  Fehlen  einer  Landesbank 
mit  ihren  Zweigeinrichtungen,  indem  alle  Vereinbarungen  der  Banken  die  vor- 
theilhaften  Resultate  einer  einheitlichen  Landesanstalt  nicht  zu  ersetzen  vermögen ; 
eben  so  lange  entbehre  die  schweizerische  Produktion  auch,  abgesehen  von  andern 
Bequemlichkeiten,  der  Vortheile  eines  wohlfeilen  Kredites  und  habe  deßhalb  im 
Wettkampf  mit  den  Industrien  anderer  Länder,  insbesondere  Deutschlands,  die 
Folgen  größerer  Produktionskosten  zu  tragen. 

XIL  Kreditrecht. 

Unter  diesem  Ausdruck  muß  nach  der  in  diesem  Lexikon  niedergelegten 
Ansicht  über  den  Kredit  die  Gesammtheit  der  Vorschriften  vorzugsweise  des 
Privatrechtes  verstanden  werden,  welche  die  Erfüllung  der  zeitlich  aufgeschobenen 
Verpflichtungen  bezwecken.  Es  ist  bloß  eine  und  zwar  ganz  spezielle  Seite  des 
Kreditwesens,  wenn  darunter  die  Gesammtheit  der  Rechtsvorschriften  verstanden 
werden  will,  welche  die  Existenz  und  Geschäftsthätigkeit  der  in  einem  Lande 
bestehenden  und  arbeitenden  Kreditanstalten  normiren.  Es  ist  zu  wiederholen: 
vorzugsweise  des  Privatrechtes,  indem  immerhin  auch  Vorschriften  noch  auf 
andern  Gebieten  des  Rechtes  bestehen  können.  Es  ist  dieses  ganz  besonders  der 
Fall  bei  der  Kontrahirung  von  Staatsschulden,  indem  in  gleicher  Weise  wie  bei 
den  Verpflichtungen  des  Privatkredites  gefragt  werden  muß,  ob  die  Befähigung, 
Verpflichtungen  eingehen  zu  können,  bestehe.  Mehr  nach  dem  juristischen  Sprach- 
gebrauche muß  gefragt  werden,  ob  die  Berechtigung ,  Schulden  kontrahiren  zu 
können,  vorhanden  sei.  Nach  den  Vorschriften  fast  aller  konstitutionellen  Staaten, 
alhO  auch  nach  denen  des  Bundes  und  der  Kantone  muß  darauf  gesehen  werden, 
duß  der  Beschluß,  ein  Anleihen  zu  kontrahiren,  von  der  verfassungsmäßig  hiezu 
berechtigten  Behörde  gefaßt  werde.  In  der  Schweiz  sind  es  in  der  Regel  die 
gesetzgebenden  Räthe  des  Bundes  oder  der  Kantone.  Li  einigen  Kantonen  ist 
aucli    die  Zustimmung    der   gesetzgebenden  Räthe   erforderlich,    wenn  Gemeinden 


Kredit  —      167      —  Kredit 

oder  andere  öffentliche  Korporationen  oder  Stiftungen  Anleihen  kontrahiren  wollen. 
In  andern  Elantonen  dagegen  ist  nur  die  Zustimmung  der  vollziehenden  Behörden 
(Staatsrath,  Kleiner  Rath,  Begierungsrath  u.  s.  w.)  erforderlich;  wiederum  in 
einigen  Elantonen  sind  die  Gemeinden  den  volljährigen  Privaten  gleichgestellt  und 
können  nach  Belieben  handeln.  Vielfach  bestehen  für  die  Staats-,  wie  für  die 
(remeindeanleihen  noch  besondere  Vorschriften,  z.  B.  Über  die  Eückzahlung  oder 
Amortisation,  welche  nicht  gerade  in's  Privatrecht  gehören.  Wie  nun  dem  auch 
sein  möge,  so  ist  besonders  bei  Anleihen  des  Staates  und  der  Gemeinden  zu 
fragen,  welches  Recht  für  das  betreffende  Staats-  oder  Gemeindeanleihen  bestehe. 
£s  wäre  eine  Unklugheit,  ohne  Nachfrage  nach  der  Befähigung  oder  Berechtigung, 
Kein  Geld  bloß  gegen  einen  ersten  Aufruf  von  Seite  der  Schuldner,  oder  eines 
mitwirkenden  Bankgeschäftes,  wegzugeben.  Sowohl  die  Gesetze  über  diese  und 
andere  gleichartige  Geschäfte  des  öffentlichen  Kredites,  als  auch  die  den  privaten 
Kredit  betreffenden  Gesetze  werden  von  Einigen  unter  dem  Ausdruck  j^ Schuld- 
{/esetze^  zusammengefaßt.  Selbst  Röscher  legt  ^iiach  seinen  allgemeinen  Erörte- 
rungen über  den  Kredit  die  weitere  Folge  in  dem  Ausdruck  Schuldgesetze  nieder. 
Allerdings  bilden,  wie  auch  hier  gezeigt  worden,  die  Geldschulden  aus  dem  Dar- 
leihensvertrag den  größten  Theil  der  Kreditverpflichtungen  und  die  Bezeichnung 
des  Theiles  för  das  Gunze  dürfte  daher  ruhig  hingenommen  werden ;  die  Schuld- 
gesetze, d.  h.  die  Gesetze,  welche  die  Bezahlung  einer  Schuld  rechtlich  möglich 
und  erzwingbar  machen  lassen,  gehören  daher  durchaus  zum  Kreditrechte ;  allein 
es  wäre  eine  Einseitigkeit,  wenn  mit  den  Schuldgesetzen  das  Kreditrecht  als  er- 
schöpft angesehen  werden  sollte:  andere  Gesetze  gehören  auch  noch  in  diesen 
Umfang. 

Obschon,  wie  gezeigt,  der  Hauptzweck  des  Kreditrechtes  ist,  rechtlich  be- 
wirken lassen  zu  können,  daß  die  im  Kreditgeschäfte  zu  erfüllende  Verpflichtung 
in  Wii'klichkeit  geleistet  werde,  was  durch  die  „Exekution**  (Vollziehung)  nach 
Wagner  oder  durch  die  „  Schuldgesetze "  nach  Boscher  erreicht  wird,  so  ist  es 
doch  als  ein  ganz  fruchtbarer  Gedanke  des  Erstem  zu  bezeichnen,  daß  er  nicht 
bloß  den  Schluß  und  die  Volleiehung  eines  Geschäftes^  sondern  auch  den  Be- 
tt inn  und  die  Einleitun{/  desselben  in's  Auge  faßt.  Diese  Auffassung  fällt  mit 
der  oben  bei  den  Staatsschulden  gemachten  Bemerkung,  daß  darauf  zu  achten 
sei,  daß  man  sich  bloß  bei  einem  rechtsgültigen  Anleihen  betheilige,  zusammen. 
Sie  flndet  aber  auch  beim  Privatkredit  ihre  Anwendung  und  von  demselben  soll 
nun  gesprochen  werden.  Ob  das  Kreditgeschäft,  dessen  Vollziehung  einmal  in 
Bede  steht,  seine  Entstehung  im  Familien-  oder  Erbrechte  (Erbauskauf),  im 
Sachen-  (Verpfändung)  oder  Obligationenrecht  finde,  so  ist  doch  zu  beachten, 
daß  gewisse  Fragen  durchweg  wiederkehren.  Solche  sind  diejenigen  über  die 
Handlungsfähigkeit  der  sich  verpflichtenden  Personen  und  über  die  Rechtsgültigkeit 
eines  Geschäftes  an  und  für  sich.  Der  Staat  leiht  seine  Zwangsgewalt  zur  Voll- 
Ziehung  von  Geschäften  nur^  wenn  diese  gesetzlich  erlaubt  sind.  Nicht  erlaubt 
ist  z.  B.  nach  den  Gesetzen  einiger  Länder  der  Verkauf  oder  die  eventuelle 
Theilung  einer  Erbschatt,  die  von  einer  noch  lebenden  Person  herrühren  soll. 
^icht  erlaubt  sind  femer  nach  einigen  Gesetzen  solche  Geschäfte,  die  als  Spiele 
und  Wetten  sich  entpuppen,  gewisse  Klauseln  in  den  Pfand-,  Transport-  und 
Versicherungsverträgen . 

Für  jene  Geschäfte,  welche  nach  Ubligationenrecht  entstehen,  hat  die 
Schweiz  für  alle  Kantone  ein  neues  einheitliches  Ubligationenrecht,  das  vom 
14.  Juni  1881  datirt  und  auf  1.  Januar  1883  in  Rechtsgültigkeit  getreten  ist. 
Für    die  G^chäfte    aus    den   andern  Rechtsgebieten  sind  die  Gesetzgebungen  der 


Kredit  —      168     —  'Kredit 

Kantone  entscheidend  Die  „SchuldgeBetze*^,  nm  den  Röscher ^schen  Ansdrack  zu 
wiederholen,  sind  kantonal.  Doch  hat  der  Bund  das  Recht,  ein  für  das  ganze 
Grehiet  der  Eidgenossenschaft  geltendes  Betreibungs-  und  Eonkursgesetz  zu  erlasseb, 
und  es  haben  hieftir  bereits  die  Berathungen  im  Ständerathe  stattgefunden. 
Vielleicht  kommt  das  Gesetz  während  des  Erscheinens  dieses  Lexikons  zur  Voll- 
endung; in  diesem  Falle  wtlrde  in  einem  Nachtrage  dann  noch  Einiges  gesagt 
werden ;  die  Besprechung  der  Vorschläge  wäre  jetzt  nicht  am  Platze.  Andeutungs- 
weise und  vom  Standpunkte  des  Kredites  aus  mag  bloß  bemerkt  werden,  daß 
das  einheitliche  eidgenössische  Konkursgesetz  flir  die  Gesetze  der  Kantone  auf 
denjenigen  Rechtsgebieten,  für  welche  einstweilen  eine  Einheit  (Zentralisation)  nicht 
durchgeführt  werden  kann,  von  Einfluß  sein  wird,  nicht  eine  zeitliche,  wohl 
aber  eine  sachlich  rückwirkende  Kraft  haben  wird,  z.  B.  bei  Behandlung  und 
Anweisung  des  Weibergutsprivilegiums  und  vielleicht  auch  anderer  Privilegien 
und  der  übrigen  kantonalen  Klassiflkationen  im  Konkurse. 

Bei  der  Ausarbeitung  des  eidgenössischen  Gesetzes  über  den  Konkurs,  sowie 
überhaupt  bei  der  Ausarbeitung  gleichartiger  kantonaler  und  ausländischer  Ge- 
setze wird  oft  die  Frage  ventilirt,  ob  man  den  Gläubiger  oder  den  Schuldner 
mehr  berücksichtigen  müsse.  Zur  Beantwortung  dieser  Frage  mögen  vielerlei 
Motive  und  Erwägungen  geltend  gemacht  werden;  vom  G^chtspunkte  des  Kredites 
aus  scheint  sie  nicht  ganz  richtig  gestellt  zu  sein.  Es  handelt  sich  nicht  um 
den  Gegensatz  von  Gläubiger  und  Schuldner,  sondern  es  handelt  sich  um  Ver- 
pflichtete im  Kreditgeschäfte.  Welche  Rechte  stehen  —  speziell  Demjenigen,  der 
seinerseits  eine  Leistung  gemacht  hat,  unter  der  Voraussetzung ^  daß  sie  die 
andere  im  Kreditgeschäfte  betheiligte  Partei  auch  erfülle,  zu,  daß  die  Erfüllung 
in  Wirklichkeit  geschehe?  Gerade  Demjenigen  gegenüber,  der  seinerseits  geleistet 
hat  und  wie  gezeigt  worden  ist,  in  einer  großen  Zahl  von  Fällen  —  auch  im 
Gelddarleihgeschäft  —  seine  Leistung  entweder  gar  nicht  mehr  oder  nicht  mehr 
im  gleichen  Zustande  zurücknehmen  kann,  würde  es  als  eine  Begünstigung  von 
Betrug  oder  Irrthum  vorkommen  müssen,  wenn  der  Verpflichtete  zu  säumig  oder 
nicht  nachdrücklich  genug  zur  Erfüllung  seiner  Verpflichtung  angehalten  würde. 
Man  glaubt  vielleicht  das  Unglück  zu  schonen,  vergißt  aher,  daß  dadurch  dem 
Kredit,  der  eine  objektive  Landeseinrichtung  ist,  eine  starke  Wunde  geschleigen 
werden  kann.  In  der  Schweiz  haben  das  die  Städte  St.  Grallen,  Zürich  und  Basel 
auch  gewußt,  als  sie  schon  im  vorigen  Jahrhundert  Wechselordnungen,  die  auf 
Grundlage  derjenigen  von  Augsburg  errichtet  waren,  zugelassen  haben.  Heut- 
zutage besteht  das  Wechselrecht,  das  einen  Theil  des  Obligationenrechtes  bildet^ 
für  die  ganze  Schweiz  in  Kraft  und  es  besteht  auch,  wie  in  Deutschland,  all- 
gemeine Wechselfähigkeit,  d.  h.  Jeder  und  Jede,  welche  sich  durch  Verträge 
verpflichten  können,  können  die  Verpflichtung  auch  nach  Wechselrecht  eingehen. 
Dagegen  bleibt  die  strenge  Wechselexekution  auf  die  Personen  beschränkt,  welche 
im  Handelsregister  eingetragen  sind  (§§  720,  812  u.  A.).  Von  diesem  G^ichts- 
punkte  aus  ist  das  Handelsregister  recht  eigentlich  eine  objektive  Krediteinrichtung 
des  Landes,  wie  überhaupt  der  Titel  XXXIII  des  Obligationenrechtes  über 
Handelsregister,  Geschäftsflrmen  und  Geschäftsbücher  als  im  Interesse  des  Kredites 
erlassen  zu  betrachten  ist,  —  abgesehen  davon,  daß  das  ganze  Gesetz,  insbesondere 
die  Bestimmungen  über  Wechsel,  Check,  wechselähnliche  und  andere  indossable 
Papiere,  über  Inhaberpapiere,  die  Förderung  des  Kredites  zur  Wirkung  haben 
werden. 

üeber  das  materielle  Kreditrecht  jetzt  nur  noch  wenige  Worte,  nachdem 
oben    über   die  Einleitung,   den  Abschluß   und  die  rechtliche  Natur  der  Kredit- 


KreUit.  —      169      __  Kredit 

geschäfte  bereit»  gesprochen  worden  ist.  Mau  wird  und  muß  aber  zugeben,  daß, 
da  das  formelle  Kreditrecbt  gerade  die  Erfüllung  der  noch  ausstehenden  Kredit - 
Verpflichtung  bezweckt,  dasselbe  gegenüber  dem  materiellen  Ereditrechte  nicht 
untergeordneter  Natur  ist.  —  Nach  der  gewöhnlichen  Auffassung  bleiben  zu 
diesem  gehörig,  noch  die  Bestimmungen  über  Zins  und  Wucher  zu  besprechen, 
was  allgemeiner  aufgefaßt,  den  Anlaß  geben  müßte,  allgemein  über  die  Be- 
dingungen,  welche  der  Kreditgeber  aufstellt,  damit  er  Kredit  gewähre,  zu  sprechen. 
Vorher  will  ich  aber  noch  einen  Blick  werfen  auf  die  Folgen,  welche,  abgesehen 
▼on  Betreibung  und  Konkurs,  eintreten,  wenn  eine  ausstehende  Kreditverpflichtung 
nicht  erfüllt  wird.  Das  mehr  erwähnte  Obligationenrecht  hat  auch  diesen  Fall 
in  Erwägung  gezogen  und  spricht  den  Grundsatz  aus,  daß  der  nicht  erfüllende 
Theil  Schadenersatz  zu  leisten  habe.  Die  Verpflichtung  für  einen  Schuldner  als 
nicht  erfüllender  Theil,  Verzugszins  bezahlen  zu  müssen,  ist  nur  eine  besondere, 
nicht  immer  ganz  erschöpfende  Art  der  Schadenersatzleistung.  Zu  weitern  Rechts- 
erörterungen  ist  hierorts  der  Ort  nicht.  —  Es  bleiben  demnach  bloß  noch  die 
oben  angedeateten  Fragen  von  Zins  und  Wucher  zu  besprechen. 

Hinsichtlich  des  Zinses  oder  des  Zinsbezages  war  die  Zahl  der  Bestimmungen 
der  kantonalen  Gesetze  vor  dem  eidgenössischen  Obligationenrecht  eine  sebr  große; 
eine  Vereinfachung  hat  durch  das  erwähnte  Bundesgesetz  insofern  stattgefunden, 
als  nicht  vrieder  kantonalen  Bestimmungen  oder  gar  Uebungen  Spielraum  ge- 
lassen oder  geöffnet  worden  ist.  Sachlich  ist  der  gesetzliche  Zinsfuß  und  der 
vertragsmäßige  2jinsfuß  zu  unterscheiden.  Gesetzlich  heißt  derjenige  Zins  in  den 
Gleschäften,  in  welchen  die  Vemnsung  im  Allgemeinen  bedungen  oder  vermuthet 
wird,  aber  von  den  Parteien  nicht  näher  normirt  worden  ist.  Früher  war  in 
einigen  Kantonen  die  Zinspflicht  bei  einzelnen  Geschäften  gesetzlich  festgestellt, 
d«  h.  es  gab  Geschäfte,  für  welche  eine  Verzinsung  ohne  Weiteres  angenommen 
oder  vorgeschrieben  war.  Solche  Geschäfte  waren  z.  B.  Verkäufe  von  Liegen- 
schaften, wenn  der  Käufer  den  Kaufpreis  schuldig  blieb,  oder  die  Theilung  von 
Erbschaften  zu  Lasten  der  Er bschaftsüber nehmer  u.  s.  w.  Das  eidgenössische 
Cresetz  kennt  auch  einige  gesetzliche  Zinsbestimmungen  im  Gesellschafts-  und 
Wechselgeschäft ;  die  umfassendste  ist  die  über  den  Verzugszins,  welcher  bei 
jeder  Schuld  eintritt,  welche  an  einem  bestimmten  Verfalltage  zu  bezahlen  ist. 
Der  vertragsmäßige  Zins  ist  derjenige,  welcher  von  den  Parteien  bedungen  ist. 
Nach  der  Auffassung  des  Lexikons  ist  vertragsmäßig  jede  Verabredung  gestattet 
außer  die  des  Zinsenzuschlages  zum  Kapital  (Zinseszins)  bei  andern  als  kauf- 
männischen Geschäften.  Für  das  Weitere  treten  jedoch  wieder  die  Bestimmungen 
über  den  Verzugszins  ein.  Ob  die  Kantone,  welchen  in  Art.  83  betreflend  den 
gesetzlichen  Zins,  vorbehalten  ist,  Bestimmungen  gegen  Mißbräuche  im  Zinswesen 
zu  erlassen,  auch  gegen  den  durch  einen  Vertrag  festgesetzten  Zinsfuß  Bestim- 
moogen  aufstellen  können,  ist  nicht  recht  klar.  Doch  gehört  diese  Frage  mehr 
in  ein  Hechts-  als  in  ein  volkswirthschaftliches  Lexikon;  uns  soll  sie  aber  den 
Üebergang  zur  Lehre  vom  Wucher,  indem  dieser  zumeist  bei  den  von  den 
Parteien  festgesetzten  2jins-  und  gleichartigen  Bestimmungen  gesucht  wird,  bilden. 
Setzen  ja  viele  Gesetzgebungen  den  Wucher  und  die  Wucherzinse  auf  die  gleiche 
Stufe ;  mit  andern  Worten,  der  Wucher  ist  vorhanden,  wenn  sog.  Wucherzinse, 
d.  h.  Zinse  gefordert  werden,  die  über  eine  gesetzlich  erlaubte  Höhe  des  Zins- 
fußes hinausgehen.  Das  Gegeutheil  der  Wucherzinse  sollen  die  sog.  Zinsgesetze 
erreichen,  welche  eine  Beschränkung  der  Vertragsfreiheit  der  Parteien,  Zinse 
beliebig  bestimmen  zu  können,  sind.  Darüber,  ob  solche  Zinsgesetze  oder  Zius- 
verbote   rechtlich   zulässig   seien,    ob    sie   ihren  Zweck  erreichen,    int  schon  vv^l 


Kredit  —      170     —  Kredit 

gestritten  worden ;  hier  boII  und  kann  der  Streit  nicht  entschieden  werden.  Nur 
sei  gesagt,  daß  in  der  Praxis  ältere  Zinsverbotgesetze  vielfach  abgeschaift,  neuere 
wenig  mehr  erlassen  werden.  Um  so  unnachsichtlicher  wird  man  in  vielen 
Gegenden  der  Schweiz  gegen  den  Wucher,  der  sich  in  anderer  Weise  äußert,  in 
Weisen,  die  vielfach  einen  betrügerischen  Charakter  annehmen.  Man  bezeichnet 
ihn  auch  als  Ausbeutung  des  Kreditnehmers  durch  den  Kreditgeber,  indem  letzterer 
die  Nothlage  des  erstem,  dessen  Leichtsinn,  Unerfahrenheit  und  die  übrige  geistige 
Inferiorität  benutzt,  um  sich  einen  ökonomischen  Yortheil  zu  sichern,  der  weit 
über  den  Werth  der  Leistung  hinausgeht.  Mehr  als  zu  hohe  Zinsforderungen, 
<lie  oft  gar  nicht  gestellt  werden,  werden  zum  Wucher  gerechnet:  üeberforde- 
rungen,  Täusche  von  durchaus  ungleichartigen  Werthen  und  andere  Kniffe  im 
Handel.  Der  Standort  dieser  Art  Wucher  ist  im  Kreise  kleiner  Handwerker, 
ländlicher  Gruodbesitzer  und  Landwirthe,  wohl  auch  im  Kreise  kleinerer  Beamten 
und  Angestellten.  An  Früheres  anschließend  entpuppt  sich  der  Wucher  als  ein 
Kreditmißbrauch  des  Kreditgebers.  Es  ist  dieser  Mißbrauch  eigener  Art.  Da  er 
in  der  Regel  von  geistig  oder  ökonomisch  Ueberlegenen  gegen  Aermere  im  Geiste 
oder  Geldsack  ausgeübt  wird,  so  ist  er  eine  Art  von  ganz  besonderer  sozialer 
Gehässigkeit.  Sehr  weit  gehend  in  Bezug  auf  den  Wucher  ist  der  französische 
Sozialist  Proudhon  gewesen,  der  die  Unentgeltlichkeit  des  Kredites  postulirt  hat. 

XIII.  Kreditwirthschaft. 

Der  Ausdruck  hat  beim  ersten  Lesen  einen  etwas  abschätzigen  Beigeschmack, 
indem  mit  demselben  zunächst  an  die  Mißbräuche  und  Mißstände,  die  durch  den 
Kredit  verkehr  veranlaßt  werden,  gedacht  wird.  Daran  soll  jedoch  nicht  gedacht 
werden,  sondern  man  könnte  ebenso  gut  vom  Kreditverkehr  als  Sammelausdruck 
sprechen;  wenn  das  Wort  hier  gebraucht  wird,  so  soll  von  den  wirthschaftlichen 
Wirkunffen  des  Kredites  die  Rede  sein,  als  dritte  Stufe  im  volks wirthschaftlichen 
Verkehre  überhaupt.  Die  erste  ist  die  Natural-  oder  Tauschwirthschaft  (Gut  oder 
Waare  gegen  Gut  oder  Waare),  die  zweite,  die  Geldwirthschaft  (Gut  oder 
Waare  gegen  Geld),  die  dritte,  eben  die  Kreditwirthschaft  (Gut  oder  Waare 
gegen  die  Verpflichtung,  Gut  oder  Waare  oder  Geld,  überhaupt  den  Gegenwerth 
für  den  erhaltenen  Werth  in  der  Zukunft  leisten  zu  wollen)  mit  der  Spezialität 
der  Geldsurrogate,  uneigentlich  Kreditzeichen  genannt,  indem  es  sich  allerdings  um 
vom  Kredit  geschaffene  Zeichen  oder  Dokumente  handelt,  die  aber  Geld,  d.  i. 
(fegenwärticfe  (im  Gegensatze  von  zukünftigen)  Werthe  vorstellen,  ein  Beweis 
mehr  dafür,  daß  trotz  des  scheinbaren  Gegensatzes  Geld  und  Kredit  doch  sehr 
im  Zusammenhang  und  in  Wechselwirkung  zu  einander  stehen.  Uebereinstimmend 
mit  unserer  Ansicht  schreibt  der  oft  erwähnte  Wagner  (in  Schönberg^s  Volks- 
wirthschaftslehre) : 

„Der  Ausdruck  „Kreditwirthschaft**  kann  in  zwei  verschiedenen  Bedeutungen 
gebraucht  werden,  welche  freilich  mit  einander  zusammenhängen.  In  dem  einen 
Sinne  versteht  man  darunter  den  Zustand  der  Volks wirthschaft,  in  welchem  viele 
Kreditgeschäfte  aller  Art  vorkommen,  also  der  Kredit  besonders  als  Faktor  der 
privat  wirthschaftlichen  Produktion  des  Verkehres  stark  entwickelt  ist,  im  Gregen- 
satz  zu  dem  Zustande,  wo  die  Privatgeschäfte  der  Produktion  wesentlich  nur 
mit  dem  eigenen  Kapital  des  Unternehmers  betrieben  werden  und  die  Verkehrs- 
geschäfte „Zug  um  Zug"  als  Tausch  und  (Baar-)  Kauf  und  Verkaufsakte  sich 
vullziehen.  Die  Voraussetzung  jener  Gestaltung  der  Volkswirt hschaft  als  Kredit- 
wirthschaft ist  weit  durchgeführte  Arbeits  und  Eigenthumstheilung  und  volle 
Geldwirthschaft.   —  Kreditwirthschaft    im    zweiten,    verwandten   aber    doch    ab- 


Kredit  —      171      —  Kredit 

weichenden  Siniie  ist  dagegen  derjenige  Zustand  der  Tausch-  und  Yerkehrs- 
wirthschaft  in  der  Yolkswirthschaft,  in  welchem  an  Stelle  des  körperlich  als 
Tauäch-  oder  Umlaufsmittel  geh  rauchten  Geldes  oder  der  Münze  Greld  Surrogate 
des  Ereditverkehrs  oder  Kreditumlanfsmittel  und  Zahlungseinrichtungen  des  Kredit- 
bankwesens benutzt  werden.  Diese  Bedeutung  des  Wortes  Kredit wirthschaft  hat 
man  meistens  im  Sinne,  wenn  man  dasselbe  braucht." 

„Die  Kredit  wirthschaft  setzt  hier  immer  die  Geld  wirthschaft  voraus:  Geld 
bleibt  nach  wie  vor  Währung  und  Preismaß.  Die  Entwicklung  von  der  Natnral- 
zur  Geldwirthschaft  ist  daher  auch  eine  ganz  andere  als  diejenige  von  der  Geld- 
zur  Kreditwirthschaft.  Im  letztern  Falle  liegt  nur  eine  Entwicklung  im  Zahlungs- 
modus, ein  technischer,  kein  prinzipieller  Fortschritt  vor,  wie  ihn  der  Uebergang 
von  der  Natural-  zur  Geldwirthschaft  darstellt.''  Zur  vollständigen  Beurtheilung 
der  Wirkungen  des  Kredites,  somit  der  Kreditwirthschaft,  gehört  es  auch,  alle 
die  Bedingungen  zu  kennen,  unter  denen  in  einem  gegebenen  Lande  Kredit  ge- 
währt wird.  Von  der  Spezialität  des  Kealkredites  ist  bereits  gesprochen  worden, 
soweit  die  Verpfändung  von  Liegenschaften  betroffen  wird.  Im  Allgemeinen  ist 
es  Sache  des  Kreditgebers  oder  Darleihers,  zu  entscheiden,  wie  viel  er  auf  eine 
Liegenschaft  geben  will.  Allgemein  bindende  Normen  gibt  es  durchaus  nicht. 
Wohl  bestehen  für  öffentliche  Anstalten,  zu  denen  ich  auch  die  Sparkassen 
rechnen  will,  reglementarische  Vorschriften,  wie  weit  sie  Darleihen  oder  Vor- 
schüsse machen  dürfen.  Die  Vorschriften  sind  aber  sehr  verschieden.  Alle  haben 
das  Gemeinschaftliche,  daß  ein  bestimmtes  Verhältniß  zwischen  dem  Werthe  des 
Unterpfandes  und  der  dargeliehenen  Schuldsumme  bestehen  muß.  Welches  ist 
dasselbe?  In  erster  Linie  ist  der  Werth  selber  zu  bestimmen.  Aber  auch  dar- 
über ist  man  nicht  einig.  In  einigen  Kantonen,  in  denen  eine  Katasterschatzung 
besteht,  ist  dieselbe  maßgebend;  in  andern  Kantonen  besteht  ein  WUrdigungs- 
verfahren ;  wieder  in  andern  gilt  der  Kaufpreis  der  letzten  Eigenthumsübertragung 
einer  Liegenschaft.  Meist  werden  aber  auch  Vertrauensmänner  berathen.  Einmal 
der  Werth  festgestellt,  gilt  es  das  Verhältniß  zu  normiren.  Wie  gesagt  variirt 
es  sehr:  von  40 — 80 ^/o;  einige,  meist  kantonale  Anstalten,  gehen  selbst  weiter. 
Entscheidend  wird  sein,  ob  irgend  ein  System  für  periodische  Rückzahlungen 
besteht.  Wo  es  nicht  vorhanden  ist,  besteht  sogar  für  einige  Anstalten  die  für 
dieselben  und  auch  für  die  Kreditentwicklung  selber  hemmende  Vorschrift,  daß 
nur  in  erster  Hypothek  dargeliehen  werden  dürfe.  Bei  der  Verschreibung  von 
beweglichen  Sachen,  d.  i.  bei  Dargabe  eines  Faustpfandes,  kann  es  fast  gar 
nicht  anders  sein,  als  daß  nur  eine  erste  und  einzige  Verpfändung  besteht.  In 
der  Wirklichkeit  gehört  jedoch  eine  wiederholte  Verschreibung  von  Beweglich- 
keiten (Sachen  imd  Forderungen)  nicht  zu  den  Seltenheiten.  —  Wie  weit  ein 
Kreditgeber  ohne  Dargabe  von  bestimmten  Sicherheiten  (Real-  und  Bürgschafts- 
kredit) gehen,  d.  i.  einen  Blankokredit  bewilligen  will,  ist  seine  Sache.  Den 
meisten  öffentlichen  Anstalten,  selbst  einigen  Kreditbanken,  ist  es  geradezu  unter- 
sagt, Jemanden  ohne  bestimmte  Sicherheit  einen  Vorschuß  zu  bewilligen,  selbst 
eine  Weckselskontirung  vorzunehmen.  Das  ist  vielfach  auch  der  Grund,  warum 
neben  den  wohlfeil  arbeitenden  öffentlichen  Anstalten  Privatgeschäfte  für  Dar- 
leihen, überhaupt  für  den  Kredit  verkehr  bestehen. 

Eine  ganz  besondere  Verrichtung  der  Kreditwirthschaft  ist  es,  daß  sie  zur 
Verwendung  für  interlokale,  interterritoriale  und  internationale  Zahlunf/en 
Dienste  leisten  muß.  Zu  diesem  Zwecke  muß  dieselbe  mit  einer  guten  und  ge- 
nügenden Bankorganisation  eines  Landes  in  Zusammenhang  gebracht  werden,  d.  h. 
eine  Bank  oder  eine  Mehrheit  von  gut  orgauisirten  Banken  und  Bankeinrichtungen 


Kredit  ...     172     —  KreideÜELbrikatiun 

müssen  die  Dienste  leisten,  welche  die  Yolkswirthschaft  von  der  Ereditwirth- 
Schaft  verlangt.  Der  Dienst,  welcher  verlangt  wird  ist  der,  die  Uebersendung 
haaren  Geldes  (heimischer  wie  fremder  Münzen,  auch  Barren)  möglichst  zu  ver- 
meiden,  also  die  betreffenden  privat-  und  volkswirthschaftlichen  Kosten  za  er- 
sparen. Es  kann  nicht  geläugnet  werden,  daß,  wenn  diese  Ersparnng  dem  Kredit 
oder,  besser  gesagt,  der  Kreditorganisation  mit  ihren  Einrichtungen  gelingt,  der 
Yolkswirthschaft  ein  gleicher  Dienst  geleistet  wird,  wie  es  der  Fall  ist,  wenn 
durch  irgend  eine  Erfindung  oder  sonst  aus  einem  Grunde  die  Produktionskosten 
irgend  eines  Gegenstandes  vermindert  werden.  Es  geschieht  dieses,  wenn  durch 
die  Remittirung  von  Wechseln  oder  durch  Check  oder  durch  Bankverbindungen 
das  Erforderliche,  d.  h.  die  Zahlung  mit  Umgehung  von  Baarschaft  geleistet 
werden  kann.  In  der  Schweiz  kann  die  interlokale  Zahlung,  z.  B.  von  Basel 
nach  Zürich,  von  Bern  nach  G^nf,  in  Folge  der  Vereinbarung  der  Konkordats- 
banken ziemlich  weitgehend,  wenn  auch  nicht  in  allen  Fällen  geleistet  werden. 
Die  Eidg.  Bank  mit  ihren  Zweigniederlassungen  könnte  es  noch  besser  thun. 
Immerhin  sind  da  und  dort  Spesen  nicht  zu  vermeiden.  Eine  Landesbank,  ent- 
weder ganz  oder  nur  theil weise  mit  ZuhÜlfenahme  des  öffentlichen  Kredites  or- 
ganisirt,  könnte  jedenfalls  Besseres  leisten,  letzteres  begreiflich  unter  der  Be- 
dingung, daß  sie  die  erforderlichen  Zweigniederlassungen  hätte. 

Die  Schweiz  hat  nicht  einmal  annähernd  die  Einrichtungen,  wie  Deutschland 
mit  seiner  Reichsbank.  Für  den  internationalen  Verkehr  scheint  sie  unerläßlich 
zu  sein,  wenn  man  auch  wohl  weiß,  daß  es  in  der  Schweiz  Kreditanstalten  hat, 
die  ihrerseits  auch  in  dieser  Richtung  viel  leisten.  Obschon  die  Hoffnungen,  die 
diesfalls  da  und  dort  geäußert  worden,  als  theilweise  zu  hoch  gehend  angesehen 
werden  müssen,  so  läßt  sich  doch  nicht  in  Abrede  stellen,  daß  die  Note  einer 
schweizerischen  Landesbank  eine  bessere  Zirkulation  haben  würde,  als  trotz  Bundes- 
gesetzes die  Noten  der  gegenwärtigen  Emissionsbanken  sich  erfreuen.  Nicht  ge- 
rade zum  Privatkredit,  aber  doch  zu  den  Wirkungen  des  öffentlichen  Kredites 
muß  die  Vermittlung  von  kleinem  Zahlungen  durch  den  Postaniveisun(/s verkehr, 
theilweise  auch  durch  telegraphische  Anweisung,  gerechnet  werden;  es  ist  das 
Kompensationsprinzip,  welches  in  weitgehender  Weise  unter  den  Postämtern  des 
gleichen  Postgebietes,  d.  i.  wohl  auch  durch  die  der  Weltunion,  zur  Anwendung 
kommt. 

Kreditschutzvereine«  Es  bestehen  in  der  Schweiz  zwei  größere  Vereine 
dieser  Art:  der  Eine  unter  dem  Namen  „Confidentia**,  Schweizerischer  Kredit- 
schutzverein, mit  Sitz  in  Bern,  der  Andere  unter  dem  Namen  „Union  suisse  pour 
la  sauvegarde  du  credit"  mit  Sitz  in  Genf.  Ersterer  hatte  Ende  November  1886 
3800  Mitglieder,  der  zweite  (Ende  1885)  411.  Die  Bureaux  beider  Vereine 
ertheilen  Auskünfte  und  besorgen  Incassi  (dasjenige  in  Genf  im  Jahre  1885 
2911  Auskünfte  und  419  Incassi  im  Betrage  von  Fr.  30,738  =  43^0  der 
angemeldeten  Forderungen;  das  Bureau  in  Bern  14,532  Auskünfte  und  1804 
Incassi  im  Betrage  von  Fr.  81,985  =  40,64  7o). 

Ein  im  Jahre  1885  gemachter  Versuch,  einen  „Ostschweizenschen  Kredit- 
Bchutzverein-'  mit  Sitz  in  Zürich  zu  gründen,  hatte  keinen  dauernden  Erfolg. 

Kreidefabrikation.  Mit  diesem  Geschäftszweig  befaßt  sich  laut  Handels- 
register die  Firma  Jost  Disler  in  Kriens,  Kt.  Luzem.  Die  Einfuhr  von  gewöhn- 
licher Kreide  in  Papier,  Holz  oder  Rohr  belief  sich  im  Jahre  1885  auf  39  q 
a  Fr.  672  {28  q  aus  Deutschland),  die  Ausfuhr  auf  9  q  ä  Fr.  45. 


Krystalboda  —      173     —  Kunst 

Krystallsoda  (Waschsoda,  Waschkrystall),  wird  von  den  Firmen  Gebr. 
Schnorf  in  üetikon  und  Carl  Glenk  in  Schweizerhalle  fabrizirt,  sowie  von  einer 
Anzahl  Seifenfabrikanten  als  Nebenprodukt. 

Küfer  und  Kühler  gab  es  im  Jahre  1880  in  der  Schweiz  5419  =  4  ^oo 
aller  Erwerbsthätigen  (1103  Bern,  710  Zürich,  464  Aargau,  440  Waadt,  347 
St.  Gallen,  311  Thurgau,  261  Luzern,  248  Freiburg,  221  Genf,  159  Solothurn, 
142  Neuenburg,  136  Schaffhausen,  135  Graubünden,  128  Wallis,  112  Basel- 
land,  99  Baselatadt,  97  Schwyz,  64  Glarus,  59  Zug,  53  Appenzell  A.-Eh., 
36  Obwalden,  25  Appenzell  I.-Rh.,  25  Tessin,  22  Nidwaiden,  22   üri). 

In  diesen  Zahlen  sind  436  Ausländer  inbegriffen. 

Die  Einfuhr  von  Ktiferwaaren  betrug  im  Jahre  1885  1300  q  im  Werthe 
▼on  Fr.  46,800  (787  q  aus  Deutschland,  249  q  aus  Oesterreich,  215  q  aus 
Frankreich,  47  q  aus  Italien). 

Die  Ausfuhr  betrug  2929  q  im  Werthe  von  Fr.  91,906  (1159  q  nach 
Italien,  1077  q  nach  Frankreich,  571  q  nach  Deutschland,  116  q  nach  Oester- 
reich). 

Künstlerisches  Ei^enthum  s.   „Literarisches  Eigenthum*". 

Kürschnerei.  Dieses  Gewerbe  beschäftigt  laut  eidg.  Berufsstatistik  von 
1880  253  Personen. 

Küttiger  Dachapfel,  ein  Wirthschaftsobst  ersten  Ranges,  kommt  fast 
auaechließlich  in  der  Gemeinde  Eüttigen  bei  Aarau  vor.  Der  Baum  trägt  reichlich, 
fast  alljährlich,  und  man  kennt  Bäume,  die  von  1859  bis  1867  fast  jedes  Jahr 
voll  Früchte  hingen.  („Schweizerische  Obstsorten",  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt 
J.  Tribelhom  in  St.  Gallen.) 

Kunst«  Bildende  Künste.  (Verfasser :  Dr.  B.  v.  Tscharner 
V.  Burier,  Präsident  des  Bemischen  Kantonal-Eunstvereins.)  (Malerei,  Bild- 
hauerei, vervielfältigende  Kunst«.  Architektur  s.  unter  Kunstgewerbe.  Kunst- 
gewerbe 8.  unter  diesem  Artikel.)  Neben  den  vielen  Elementen,  welche  die 
allgemeine  Wohlfahrt  begründen,  verdient  die  bildende  Kunst  besondere  Berück- 
sichtigung. Sie  erleuchtet  und  verschönert  nicht  nur  das  irdische  Dasein,  sondern 
sie  dient  auch  zur  Erhaltung  und  Hebung  des  idealen  Lebens,  indem  sie  die 
intellektuelle  Bildung  fördert,  den  Sinn  für  das  Schöne  weckt,  das  Urtheils- 
vermögen  schärft  und,  in  richtiger  Weise  verwendet,  den  Menschen  veredelt. 
Aber  die  Kunst  ist  nicht  bloß  ein  Genius,  welcher  über  das  Alltägliche  erhebt; 
sie  bietet  auch  sehr  bedeutende  materielle  Vortheile,  wenn  sie  sich  in  den  Dienst 
der  Gewerbe  und  der  Industrie  stellt,  deren  Erzeugnisse  mit  belebendem  Geist 
durchdringt,  ihre  Verbreitung  unter  allen  Klassen  der  Bevölkerung  und  dadurch 
den  Nationalwohlstand  fördert. 

Um  ein  Bild  der  schweizerischen  Kunst,  wenn  auch  nur  in  allgemeinen  Um- 
rissen, zn  entwerfen,  müssen  wir  ihres  Ursprungs,  ihrer  Entwicklung  und  dann 
ihres  gegenwärtigen  Standes  gedenken. 

A.  Historische  Kunst. 

Die  Erforschung  der  alten  Kunst  bietet  nicht  bloß  ein  hohes  kunstwissen- 
schaftliches Interesse,  sondern  sie  dient  auch  wesentlich  der  G^chichte  und  Völker- 
kunde. Ebenso  groß  ist  ihr  praktischer  Werth  für  Architektur  und  Kunstgewerbe, 
denen  sie  eine  unerschöpfliche  Quelle  von  Vorbildern  und  Anregungen  eröffnet, 
welche,  bei  neuen  Erzeugnissen  mit  Vortheil  verwendet,  deren  Absatz  bedeutend 
erleichtem.  Auch  werden,  wie  überall,  auch  in  der  Schweiz  in  neuerer  Zeit  Qlt;e^ 


Kunst  —      174     —  Kunst 

Kunstwerke  eifrig  aufgesucht  und  soviel  möglich  in  öffentlichen  Sammlungen  auf- 
bewahrt. Freilich  gelingt  es  der  Grewinnsucht  immer  noch  allzu  oft,  die  Besitzer 
solcher  Eunstschätze  zu  deren  Veräußerung  in*s  Ausland  zu  veranlassen ;  viele 
der  werth vollsten  Zeugen  schweizerischen  Eunstfleißes  sind  auf  diese  Weise,  selbst 
noch  in  unsern  Tagen,  dem  Lande  wohl  für  immer  verloren  gegangen.  Allein  der 
Sinn  für  historische  Kunst  hat  sich  allmälig  wieder  bei  uns  eingebürgert,  und 
die  hohen  Bundesbehörden  haben  begonnen,  ihr  Interesse  an  der  alten  schweize* 
rischen  Kunst  an  den  Tag  zu  legen,  so  daß  dieses  Gebiet  wohl  bald  die  ihm 
gebührende  allgemeine  Würdigung  finden  wird. 

I.   Vorchristliche  Kunst. 

Kunst  in  vorhistorischer  Zeit.  Die  ersten  Anfänge  künstlerischen  Schaffens 
finden  sich  bei  den  Ureinwohnern  unseres  Landes.  An  verschiedenen  Stellen  der 
Schweiz  wurden  im  Anfang  unseres  Jahrhunderts  Geräthe,  Schmucksachen,  Waffen 
und  dergleichen  ausgegraben,  welche,  aus  einer  vorhistorischen  Periode  stammend, 
bisher  gewöhnlich  als  Nachlaß  der  Kelten  betrachtet  wurden.  Die  zuerst  von 
Dr.  Ferdinand  Keller  bei  Meilen  im  Zürchersee  im  Winter  1833/34,  seither  fast 
in  allen  unsern  Seen  entdeckten  Pfahlbauten  förderten  eine  Menge  ähnlicher 
Erzeugnisse  menschlicher  Handfertigkeit  zu  Tage,  und  seither  sind  fortwährend 
in  Piahlbauten,  Höhlen,  Grabstätten,  in  Ackerfeldern  u.  s.  w.  zahlreiche  Funde 
aus  verschiedenen  Perioden  dieses  2jeitalters  zum  Vorschein  gekommen,  meistens 
Arbeiten  aus  Knochen,  Hom,  Stein,  Thon,  Bronze  oder  Eisen.  Schon  die  Thon- 
geföße  der  ältesten,  sogenannten  Steinzeit  sind  durch  ein  bloß  eingekratztes,  wirres 
Linienspiel  verziert.  Später  erweiterte  sich  dasselbe  durch  eigentliche  Gravirungen 
zu  regelmäßigen  Linien,  Zickzack bändem,  punktirten  Stellen  und  Kreisen,  öfters 
mit  Farbendekorationen  ausgestattet;  letztere  meistens  schwarz  und  roth  durch 
Beimischung  von  Graphit  und  Bothstein.  Bisweilen  wurden  die  Thongefäße  mit 
Einlagen,  gewöhnlich  mit  Zinnstreifen,  geschmückt.  Ein  Unicum  eines  Skulptur- 
werkes aus  der  Steinzeit  ist  wohl  der  im  Berner  Antiquarium  aufbewahrte,  am 
Handgriff  eines  Meißels  in  Holz  geschnitzte  Eehkopf  aus  dem  Pfahlbau  Sohafis. 
In  dem  Zeitalter  der  Bronze  und  des  Eisens  entwickelte  sich  die  Ornamentik 
noch  mehr  auf  Metallgegenständen,  Zierrathen,  Armspangen,  Nadeln,  Agraffen, 
Schwertern,  Lanzenspitzen  u.  s.  w.  Die  Gravirungen  bilden  symmetrische,  ver- 
schlungene Zeichnungen,  mit  Nachbildungen  von  Thieren  und  Pflanzen,  doch  sind 
dies  wohl  meistens  importirte  alemanische  oder  ostgothische  Produkte.  Auch 
keltische  Münzen  sind  gefunden  worden,  so  z.  B.  kürzlich  im  Torfmoor  zu  Wauwyl 
Münzen  aus  reinem  Gold  von  der  Form  der  sogenannten  Regen bogenschüsselohen. 

Römische  Kunst.  Mit  Cäsar' s  Legionen  zog  in  Helvetien  römische  Kultur 
ein  und  verbreitete  sich  in  Folge  der  Ausdehnung  der  römischen  Herrschaft  mehr 
und  mehr  über  das  ganze  Land.  Zur  Befestigung  ihrer  Macht  grtlndeten  die 
Römer  eine  Reihe  wichtiger  Städte,  so  Vindonissa  (das  heutige  Windisch),  Augusta 
Rauracorum  (Baselaugst),  Aveuticum  (Avenches),  die  Hauptstadt  des  Landes,  und 
verbanden  dieselben  durch  dazwischenliegende  Militärstationen  und  Befestigungen, 
nach  Norden  und  Osten  Zurzach,  Oberwinterthur,  Stein  a.  Rh.,  nach  Süden  und 
Westen  Eburodunum  (Yverdon),  Nyon,  Lousanna  (Lausanne),  Q^nava  (Gent"), 
Tarnaiee  (St- Maurice) ,  Octodurum  (Martigny)  und  Sedunum  (Sitten).  Mit  Aus- 
nahme der  Thermen  von  Aquee  (Baden)  hatten  die  meisten  Städte  eine  vorwiegend 
strategische  Bedeutung,  ihre  Architektur  erhob  sich  selten  über  die  Höhe  des 
gemeinen  Nutzbaues.  Wie  die  vielen  mit  den  Stempeln  der  XXL  und  XI.  Legion 
versehenen  Backsteine  bezeugen,  waren  Soldaten  die  Erbauer  der  Reichsstraßen, 


Kunst  —      17r>     —  Kunst 

Brücken,  Wasserleitungen  und  Städte.  Nur  in  Aventicum,  dessen  noch  jetzt  theil- 
weise  bestehenden  Ringmauern  einen  Raum  von  nahezu  fünf  Viertelstunden  um- 
Hchlossen,  war  unter  Yespasian,  welcher,  sowie  dessen  Vater  Flavius  Sabinus, 
dort  eine  Zeit  lang  gewohnt,  die  Kunst  zu  höherer  Blüthe  gelangt.  Es  ist  daher 
nicht  auffallend,  daß  außer  römischen  Architekturresten  während  der  mehr  als 
200  Jahre  dauernden  Römerherrschaft  verhältnißmäßig  nicht  sehr  viele  Kunst- 
werke in  der  Schweiz  entstanden  sind;  auch  hat  die  Zerstörungswuth  der  ein- 
dringenden Horden  der  Alamannen,  welche  im  Jahre  260  Aventicum  niederbrannten 
und  unter  Honorius  den  Rückzug  der  römischen  Truppen  aus  ganz  Helvetien 
herbeiführten,  nur  spärliche  Ueberreste  zurückgelassen.  Da  die  Architektur  werke 
außerhalb  dem  Bereiche  dieses  Ueberblickes  liegen,  so  erwähnen  wir  nur  beispiels- 
weise die  in  neuerer  Zeit  bloßgelegten,  großartigen  Amphitheater  zu  Aventicum 
und  Octodnrum  und  das  Theater  von  Augusta  Rauracorum.  Die  an  mehreren 
Orten  aufgefundenen  Mosaiken  der  Fußboden,  Wände  und  Decken  aus  buntfarbigen 
Würfeln  von  Stein  oder  Grlas  bezeugen  die  Vorliebe  der  Römer  für  dekorative 
Kunst;  anfänglich  sind  es  einfache,  ornamentale  Zeichnungen,  später  kunstvollere 
Kombinationen  mit  Thiergestalten,  Jagdszenen  u.  s.  w.  So  wird  in  Orbe  das 
Sanmstück  eines  Fußbodens,  welches  einen  mit  Ochsen  bespannten  Wagen  mit 
mehreren  Figuren  darstellt,  aufbewahrt;  eine  Mosaikplatte  mit  Theseus  und  Ariadne, 
sowie  ein  Mosaikmedaillon  mit  der  Nachbildung  eines  Hasen  vom  gleichen  Fundort 
im  Berner  Antiquarium;  daselbst  ein  Theil  des  Zodiacus  und  ein  Bild  eines 
Elephanten  und  eines  Wolfs,  beides  Mosaiken  von  Aventicum.  Im  Freiburger 
Museum  befindet  sich  ein  zu  Cormerod  bei  Avenches  ausgegrabenes  Mosaik,  welches 
den  Kampf  des  Theseus  mit  dem  Minotaurus  darstellt.  In  TofPen,  Baden,  Wohl- 
hosen  und  Tvonand  sind  in  neuerer  Zeit  ebenfalls  römische  Mosaiken  aufgefunden 
worden.  Von  den  nicht  zahlreichen  Skulpturwerken  römischen  Ursprungs,  welche 
ans  erhalten  geblieben  sind,  erwähnen  wir  einige  bedeutendere:  Große  Bruch- 
stücke von  Kolossalstatuen,  in  Bronze,  in  Martigny;  die  kleine  Statuette  eines 
geflügelten  Amors  oder  des  Hymenäus,  in  Bronze,  in  Baden ;  ein  marmorner  Kopf 
der  Juno  oder  der  Vesta,  mehr  als  Lebensgröße,  im  Rhonebett  in  Genf ;  die  Büste 
eines  Verstorbenen  in  einem  Grabmonument,  in  Aventicum;  eine  Maske  aus  Elfen- 
bein mit  skulptirter  Fratze  eines  Schauspielers,  ebendaselbst,  u.  s.  w.  Bedeutend 
größer  ist  die  Zahl  der  aufgefundenen  Erzengnisse  römischer  Kleinkunst,  Nament- 
lich auffallend  ist  die  Mannigfaltigkeit  und  Schönheit  der  Formen  der  Gefäße, 
Bronzevasen,  Amphoren,  Terracotten  und  der  vielen  Arten  von  Zierrathen,  Gold- 
schmiedarbeiten, Armbänder,  Brustnadeln  u.  s.  w.,  welche  in  unsem  Museen  auf- 
bewahrt werden.  Eine  der  künstlerisch  vollendetsten  Arbeiten  dieser  Gattung  ist 
ein  Bronzespiegel  ans  Aventicum,  dessen  Rückseite  die  Darstellung  des  Paris- 
Urtheils  ziert,  im  Museum  in  Lausanne.  Römische  Münzen  und  Medaillen  aus 
verschiedenen  Zeitaltern  werden    an  sehr  vielen  Orten  der  Schweiz  aufgefunden. 

n.  Altchristliche  Kunst. 

Kunst  der  Alamannen  und  der  Burgunder.  Schon  bevor  die  Römer  im 
fünften  Jahrhundert  die  Herrschaft  in  der  Schweiz  dem  kriegerischen,  rohen  Volke 
der  Alamannen  überlassen  mußten,  waren  die  Wurzeln  des  Christen thums,  in 
Folge  der  Bemühungen  nordischer  Missionare  und  der  erleichterten  Beziehungen 
zo  Italien,  bereits  zu  tief  in  unser  Land  eingedrungen,  um  nicht  densen  weitere 
Ausbildung  herbeizuführen.  Abgesehen  von  den  mehr  oder  weniger  beglaubigten 
Legenden  der  bei  St-Maurice  dem  Märtyrertod  anheimgefallenen  thebäischen  Legion, 
der  Heiligen  Beatus  und  Lucius,  sowie  anderer  Glaubensboten,  Rnd^xv  Vvt  ^Oclqw 


Kunst  -.  -      176      —  Kunst 

in  römischer  Zeit  christliche  Diözesen  in  Genf  und  Martigny  und  bald  nachher 
einen  Bischofsstuhl  in  Chur.  Die  uns  aus  jenen  Zeiten  überlieferten  Zeugen  be- 
ginnender Kunstthätigkeit  sind  nicht  zahlreich,  war  ja  überhaupt  das  erste  Christen- 
thum  der  Kunst  wenig  zugethan.  Meistens  beschränkte  man  sich  auf  symbolische 
Darstellungen ;  Orpheus  oder  ein  Fisch  (nach  Anleitung  der  Buchstaben  des 
griechischen  Wortes)  waren  Symbole  des  Weltheilandes;  das  Lamm,  die  Taube, 
der  Anker,  das  Schiff  u.  s.  w.  solche  des  Christenglaubens.  Das  griechische  Kreuz 
£ndet  sich  schon  frühe  auf  Zierrathen,  so  z.  B.  auf  einem  bei  Niederlunneren  im 
Kanton  Zürich  entdeckten  Goldschmuck  (im  antiquarischen  Museum  in  Zürich), 
auf  einer  in  Schorren  bei  Thun  aufgefundenen  Gewandnadel,  auf  Schmuckwerken 
und  einem  Grabstein  aus  Augusta  Rauracorum  u.  s.  w.  In  Genf  ausgegrabene^ 
Thonlampen  aus  dem  vierten  bis  sechsten  Jahrhundert  sind  mit  dem  Kreuz  und 
Fisch,  oder  mit  Palmen  und  den  Brustbildern  der  Apostel  geschmückt.  Eines  der 
bedeutendsten  Denkmäler  aus  jener  2^it  ist  der  in  der  Arve  aufgefundene  Diskus 
des  Yalentinian,  ein  silberner  Rundschild  mit  dem  Bildniß  des  Kaisers,  wahr- 
scheinlich Valentinian's  IL,  in  dessen  Nimbus  das  christliche  Kreuzmonogramm  zu 
erkennen  ist  (im  Genfer  archäologischen  Museum). 

Mit  dem  Entstehen  des  ersten  burgundischen  Reiches  verbreitete  sich  Christen- 
thum  und  Kultur.  Zwar  trat  die  Kunst  noch  nicht  selbstständig  auf;  sie  lehnte 
sich  sowohl  an  römische,  als  auch  an  altgermanische  Vorbilder  an.  In  der  West- 
schweiz entstanden  die  ersten  christlichen  Bauten :  Basiliken^  bestehend  aus  einem 
auf  drei  Seiten  von  Säulenhallen  umschlossenen  Vorhof,  dem  von  Pfeilern  oder 
Säulen  getragenen  Hauptschiff,  nebst  niedrigem  Nebenschiffen,  bedeckt  von  flacher 
Holzdecke  und  mit  einem  halbrunden  Chorausban  abschließend,  ferner  Grabkirchen, 
Baptisterien  u.  s.  w.^)  Von  diesen  Gebäuden  sind  nur  noch  wenige  Reste  theils 
in  Fundamenten,  theils  durch  Ausgrabungen  zum  Vorschein  gekommen,  so  in  der 
Kathedrale  in  Genf  und  in  den  Klosteranlagen  von  St-Maurice.  Alle  Proben 
damaliger  höherer  Plastik  sind  verloren  gegangen.  Hingegen  desto  reicher  ist  die 
Ausbeute  der  in  Grabstätten  aufgefundenen  Erzeugnisse  der  Kleinkunst  dieser 
Periode,  meistens  Eisen-,  Erz-  und  Goldschmiedarbeiten:  Waffen,  Zierrathen, 
Gewandnadeln,  Gürtelschnallen  u.  dgl.  von  ganz  eigenartigen  Formen  und  Zeich- 
nungen. In  der  Regel  entbehren  sie  des  Reliefs  und  sind  bloß  Gravirungen,  bis- 
weilen mit  Einlagen  von  Gold-,  Silber-  oder  Erzfäden,  Inkrustationen  u.  s.  w. 
Charakteristisch  ist  das  Vorherrschen  von  Kreisen,  Voluten,  Spiralen,  Geflecht- 
verschlingungen;  bei  Darstellungen  von  Gestalten  fällt  die  plumpe,  unförmliche 
Zeichnung  auf.  Die  ältesten  Goldschmiedarbeiten  stammen  aus  Gräbern  von  Ins 
und  von  Allenlüften  im  Kanton  Bern.  Entwickelter  ist  die  Technik  der  in  burgun- 
dischen Gräbern  der  Waadt  aufgefundenen  Schmuckgegenstände,  besonders  auch 
die  damit  reichlich  verzierten  Reliquiarien  des  Klosters  St-Maurice. 

Kunst  zur  Zeit  der  Karolintfer.  Die  vielen  kirchlichen  Bauwerke  aus 
karolingischer  Zeit  sind  spätem  Restaurationen  zum  Opfer  gefallen.  Auch  größere 
Skulpturen  dieser  Periode  sind  keine  mehr  in  der  Schweiz  vorhanden;  dagegen 
besitzen  wir  noch  Schöpfungen  der  damaligen  Kleinkunst,  namentlich  Goldschmied- 
arbeiten und  Elfenbeinschnitzereien,  welche  zum  Schmuck  von  Altären,  Kirchen- 
geräthen  und  Kirchenbüchern  dienten.  Ihr  Stil,  anfänglich  sich  der  Antike  an- 
schließend, läßt  später  byzantinischen  Einfluß  mit  seiner  steifen  Feierlichkeit  und 
Prachtliebe  erkennen.    Besonders  bekannt  sind  die  Diptychen,  Schreibtafeln,  deren 

\)  Da  dieser  Ueberbiick  die  Bauwerke  nur  beiläufig  [erwähnt,  so  verweisen  wir 
hier,  wie  auch  für  die  Folge,  auf  den  Artikel  Architektur. 


Kunst  —     177      —  Kunst 

Außenseiten  mit  Elfenbeinrelieils  verziert  wurden,  namentlich  das  Diptychon  des 
Tutilo  in  der  St.  Galler  Stiftskirche,  welches  den  bartlosen  Heiland  in  einer  Glorie, 
sog.  Mandorla,  thronend,  von  den  vier  Evangelisten  und  Engeln  umgeben,  dar- 
stellt. Auch  eine  skulptirte  Elfenbeintafel  im  Stiftsschatze  von  Bero-Mttnster  im 
Kanton  Luzem,  ein  aus  der  Valeriakirche  in  Sitten  stammendes  Reliquien kästchen, 
ferner  die  Pyxiden  (Büchsen  zur  Aufbewahrung  des  geweihten  Brodes)  gehören 
hieher.  Unter  den  uns  aus  karolingischer  Zeit  erhalten  gebliebenen  Goldschmied- 
werken ist  das  bedeutendste  die  goldene  Kanne  mit  Emailmalereien  im  Kloster* 
schätz  von  St-Maurice.  Besonders  aber  zeichnet  sich  diese  Periode  durch  die 
Miniaturmalereien  aus,  welche,  von  irischen  Mönchen  eingetührt,  hauptsächlich 
im  Kloster  St.  Gallen  zu  hoher  Ausbildung  gelangten.  Die  dortigen  Manuskripte 
sind  mit  Ornamenten,  Initialen  u.  s.  w.  geschmückt,  welche  an  Vielseitigkeit  der 
Komposition,  Farbenpracht  und  Vollendung  der  Ausführung  noch  jetzt  die  all- 
gemeine Bewunderung  erwecken.  Leider  tragen  hingegen  die  Darstellungen  mensch- 
licher Gestalten  das  Grepräge  einer  starren,  oft  sogar  formwidrigen  Auffassung. 
Solche  Malereien  finden  sich  in  den  Codices  der  Stiftsbibliothek  von  Einsiedeln  und 
in  mehreren  Psalterien,  Meßbüchern,  im  Evangeliarium,  Codex  Nr.  20,  namentlich 
aber  im  Psalterium  aureum  der  Stiftsbibliothek  zu  St.  Gallen,  wo  in  der  zweiten 
Hälfte  des  neunten  Jahrhunderts  diese  Kunst  zur  höchsten  Blüthe  gelangte. 

III.  Kunst  im  Mittelalter. 

Romanische  Kunst.  Mit  dem  Beginn  des  Mittelalters,  wo  die  nationale 
Entwicklung  sich  kräftiger  ausbildete,  Staat  und  Kirche  zu  bedeutender  Macht- 
entfaltung gelangten,  erhielt  auch  die  Kunst  eine  selbstständigere  Gestaltung.  Sie 
blieb  zwar  vorerst  noch  von  der  Antike  beeinflußt,  suchte  jedoch  bald  nach  neuen 
Idealen.  Durch  Verschmelzung  mit  germanischen  Elementen  schuf  sie  den  im 
elften  bis  dreizehnten  Jahrhundert  herrschenden,  sogenannten  romanischen  Stil, 
Die  christliche  Basilika  erlitt  wesentliche  Veränderungen.  Statt  des  Vorhofes  wurde 
ein  Portalbau  mit  einem  oder  mehreren,  meist  vier-  oder  achteckigen,  gegliederten 
Thürmen  am  Eingang  errichtet,  am  andern  Ende  des  Langschiffes  die  Kreuz- 
form durch  ein  Querschitf  herbeigeführt  und  der  Abschluß  des  Hauptschiffes  durch 
ein  geräumiges  Chor  vermittelt,  unter  welchem  oft  eine  Grabkapelle  (Krypta) 
angebracht  ist.  Das  Langschi  ff  wird  durch  viereckige,  durch  Rundbogen  verbundene 
Stützen  (Pfeiler)  oder  durch  Säulen  getragen.  Die  oft  gekuppelten  Fenster  und 
Thüren  sind,  wie  alle  Wölbungen,  im  Rnndbogen  geschlossen;  die  Säulen  ruhen 
auf  attischer  Basis  und  sind  mit  Würfel-  oder  Kelchkapitälen  gekrönt,  welche 
einen  viereckigen  Aufsatz  (Abacus)  tragen.  Statt  der  flachen  Holzdecke  tritt  später 
das  Kreuzgewölbe  und  das  Tonnengewölbe  auf.  Die  Ornamentik,  meistens  in  freier 
Nachahmung  korinthischer  Formen,  besteht  aus  stilisirtem  Blattwerk,  struktiven, 
symmetrischen  Formen  und  figürlichen  Darstellungen  biblischer,  legendarischer 
Vorgänge,  symbolischer  Thiergestalten,  vorzugsweise  von  Kampf-  und  Würge- 
Bzenen.  Beliebt  sind  die  Bogenfriese,  Schachbrett-  oder  Würfel-  und  Zahnfriese, 
auch  zur  Dekoration  der  Außenwände.  Der  gleiche  Stil  wurde  bei  Profanbauten 
befolgt. 

Die  ältesten  deutsch-romanischen  Monumente  der  Schweiz  sind  das  Münster 
zu  Schaffhausen  und  die  Pfarrkirche  zu  Stein  a.  Rh.  Ferner  sind  zu  erwähnen 
die  Kirchen  von  Bero-MUnster,  Moutier-Grandval,  Scherzligen,  Einigen,  Spiez, 
Amsoldingen;  in  der  ürschweiz  die  Kirch thürme  von  Willisau,  Stanz  und  Baar; 
in  der  Ostschweiz  die  Kirchen  in  Zillis,  Dissentis  u.  A.  ra.  Das  Großmünster  in 
Zürich  und  das  Münster  in  Basel  mit  seinem  großartigen  Kreuzgang,  zum  Th^U 

Fnrrer.  Volkswirtbicbaftt-Lexikou  der  Schweiz.  Y^ 


KunJJt  —      178      —  Kunst 

auch  der  Dom  zu  Chur,  gehören  einer  spätem  Periode  des  romanischen  Stils,  des 
sogenannten  Uebergangsstils,  an,  bei  welchem  der  Uebergang  zu  Schöpfungen 
folgender  Epochen  hervortritt.  Die  romanischen  Bauten  der  Wcs^scÄwei>  verdanken 
ihre  Entstehung  dem  Aufblühen  des  hochburgundischen  Reiches.  Die  in  süd- 
französischen Bauwerken  angebrachten  Tonnengewölbe  und  der  sich  dem  Spitzbogen 
nähernde  Rundbogen  fanden  auch  in  der  Westschweiz  Eingang;  statt  des  Wtirfel- 
kapitäls  traten  Nachahmungen  der  korinthischen  Ordnung  hervor,  G-anz-  und  Halb- 
pfeiler u.  6.  w.  Dieser  Bauart  gehören  an  die  Abtei  zu  Romainmotier,  die  Stifts- 
kirche von  Payeme,  die  Kirche  von  Grandson,  die  Glockenthürme  der  Kirche 
von  St-Maurice  und  der  Kathedrale  von  Sitten. 

Die  Formen  der  romanischen  Plastik^  im  Allgemeinen  roh  und  steif,  leiden 
häufig  an  Mängeln  der  Proportion  und  idealen  Auffassung;  nur  in  dem  Falten- 
wurf lassen  sich  oft  Anklänge  der  Antike  erkennen.  Größere  romanische  Skulptur- 
werke besitzt  die  Schweiz  nicht  mehr;  die  goldene  Altartafel  von  Basel,  eine  der 
werthvollsten  Arbeiten  jener  Zeit,  ist  leider  in's  Hotel  de  Cluny  nach  Paris  ver- 
kauft worden.  Romanische  Statuen  und  Reliefs  befinden  sich  im  Basler  Münster, 
im  Zürcher  Großmünster  und  in  einigen  wenigen  Kirchen  der  Westschweiz. 
Italienischen  Einfluß  zeigt  der  plastische  Schmuck  des  Domes  zu  Chur.  Elfenbein- 
schnitzereien zum  Schmuck  der  Reliquiarien,  der  Bücherdeckel  und  profaner  Luxus- 
geräthe,  Holzschnitzereien,  Bronzen,  Email-  und  Gx)ldschmiedarbeiten  dieser  Epoche 
finden  sich  in  den  Kirchen  und  Sammlungen  unseres  Landes  noch  ziemlich  zahl- 
reich. Eine  der  schönsten  Arbeiten  frühmittelalterlicher  Kleinkunst  ist  das  große, 
silberne  Vortragkreaz  im  Kloster  Engelberg. 

Zur  Belebung  der  großen  Wandflächen  romanischer  Gebäude  dienten  die 
Wandmalereien^  welche  in  großartig,  auf  den  Effekt  angelegten  Bildercyklen 
biblische,  legendarische  oder  allegorische  Szenen  darstellen.  Die  Zeichnung  ist  meist 
mangelhaft,  sowie  die  Technik  und  das  Kolorit  ohne  Mitteltöne  und  Schattirung. 
Solche  Malereien  sind  in  vielen  unserer  Kirchen  unter  der  alten  Tünche  zum 
Vorschein  gekommen ;  zu  den  bedeutendsten  gehören  die  Deckengemälde  in  der 
Kirche  von  Zillis  in  Graubünden.  Die  Miniaturmalerei  zerfiel  während  der 
romanischen  Periode  durch  Abnahme  des  Formensinnes  und  der  Technik.  Bloß 
in  der  Anfertigung  gemalter,  ornamentirter  Initialen  gab  sich  noch,  wie  z.  B. 
in  denjenigen,  welche  in  den  Stiftsbibliotheken  von  Einsiedeln  und  St.  G-allen 
aufbewahrt  werden,  ein  höherer  Kunstsinn  kund:  besonders  aber  in  den  lebens- 
volleren Initialen  der  sogenannten  Schule  des  Klosters  Engelberg. 

Gothische  Kunst.  Schon  im  zwölften  Jahrhundert  zeigte  sich  in  der  Bau- 
kunst ein  Suchen  von  neuen  Elementen ;  mit  dem  Anwachsen  der  städtischen 
Bevölkerungen  entstand  das  Bedürfniß  von  geräumigem,  Licht  und  Luft  leichter 
zugänglichen  Gotteshäusern.  Diesem  entsprach  der  in  Frankreich  zuerst  auftretende 
gothische  Stil,  welcher  im  dreizehnten  Jahrhundert,  wie  in  fast  allen  christlichen 
Ländern,  auch  in  der  Schweiz  Eingang  fand.  Man  suchte  durch  allgemeinere  Ein- 
führung des  Spitzbogens  die  baulichen  Massen  zu  erleichtern,  sie  möglichst  viel 
zu  durchbrechen  und  ihnen  eine  nach  Licht  und  Höhe  strebende  Konstruktion  zu 
geben.  Das  Blreuzgewölbe  wurde  aus  Spitzbogen  gebildet,  welche  gestatteten, 
dasselbe  ohne  Rücksicht  auf  eine  quadratische  Anlage  zu  konstruiren  und  dessen 
ganze  Lant  auf  die  Pfeiler  überzutragen.  Zur  Verstärkung  des  hoch  über  die 
Nebenschiffe  emporsteigenden  Mittelschiffes  dienen  die  äußern  Strebepfeiler.  Die 
Pfeiler  des  Innern  (Rundpfeiler),  mit  Halbsäulen  (Dienste)  besetzt,  stützen  die 
Gewölberippen ;  sie  ruhen  auf  niedriger,  attischer  Basis  und  tragen  meist  ein  kelch- 
artiges, mit  naturalistischem  Blattwerk  verziertes  Kapital.   Die  Choranlage  wurde 


Kun^t  —      179     —  Kunst 

vergrößert,  bisweilen  von  einem  Kranz  polygoner  Kapellen  umgeben.  Die  Tbürme, 
nieiat  zwei  an  der  Westseite  der  Kirche,  sind  in  der  Regel  von  viereckiger  Grund- 
form, gehen  oben  in  ein  Achteck  über,  welches  von  einer  durchbrochenen  Dach- 
pyramide gekrönt  ist.  Die  Ornamente  sind  geometrische  Figuren  (Stäbe,  Maßwerk 
in  den  Bogenfeldern  der  Fenster,  Giebel  u.  s.  w.)  oder  naturalistische  Blattformen. 

Aus  der  friihgothischen  Periode  des  dreizehnten  Jahrhunderts,  welche  sich 
durch  Einfachheit  und  Strenge  des  Stils  auszeichnet,  stammen  die  Kathedralen 
zu  Genf  und  zu  Lausanne,  Notre-Dame  de  Valere  bei  Sitten,  die  Collegialkirche 
in  Neuenburg,  die  Stiftskirche  zu  St- Ursanne  u.  A.  m. 

Erst  im  vierzehnten  Jahrhundert  hat  die  Gothik  sich  zu  größerm  Reichthum 
der  Formen  ausgebildet,  wie  z.  B.  in  der  Stiftskirche  zu  Freiburg,  im  Basler 
Münster,  dessen  zwei  Thürme  die  einzigen  dieses  Stils  sind,  welche  zum  vollendeten 
Abschluß  gelangten,  die  Barfüßer-  und  die  Predigerkirche  in  Basel,  das  Frau- 
münster in  Zürich,  die  Klosterkirche  von  Königsfelden  u.  s.  w. 

In  der  spätgothischen  Periode  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  begann  der 
Verfall  der  reinen  Gothik  durch  Einführung  neuer  Bogenformen  (sogenannte  Esels- 
rücken, Tudorbogen  u.  dgl.)  und  einer  oft  auf  Spielereien  und  verworrenen  Linien 
beruhenden  Ornamentik.  Dieser  Zeit  gehören  die  Pfarrkirche  zu  Estavayer  und 
die  leider  halb  verfallene  Abteikirche  St.  Johannsen  am  Bielersee  an ;  ebenso  die 
Kirchen  St-Gervais  und  St-Germain  in  Genf,  St-Frangois  in  Lausanne,  St.  Leonhard, 
St.  Theodor  und  St.  Klara  in  Basel,   das  Berner  Münster  u.  A.  m. 

Der  gothische  Profanbau  war  in  der  Schweiz  anfänglich  auffallend  einfach 
und  schmucklos;  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  erscheinen 
monumentalere  Bauten,  wie  z.  B.  in  einigen  altern  Straßen  Freiburgs,  die  Rath- 
häuser  in  Basel,  Zug  und  Sursee,  die  Befestigungswerke  von  Basel,  die  Burgen 
von  Neuenburg,   Estavayer,  VuflBlens  u.  s.  w. 

Die  Bildhauerei  und  Malerei  fand  im  gothischen  Zeitalter  einen  besondern 
Aufschwung  infolge  des  allgemeinen  Bedürfnisses  größerer  Belebung  der  Gottes- 
dienste und  reichlicherer  Ausschmückung  der  Gotteshäuser.  Anfänglich  folgten 
sie  einer  idealen  Richtung;  was  ihnen  an  Formvollendung  abging,  ersetzten  Tiefe 
der  Gedanken  und  Innigkeit  des  Ausdruckes,  welcher  oft  in's  Süßliche  ausartete. 

Die  Gestalten  der  frühgothischen  Periode,  des  dreizehnten  Jahrhunderts,  haben 
noch  das  Gepräge  großer  Naturwahrheit  und  scharfer  Beobachtung,  auch  in  der 
Behandlung  des  Nackten  und  des  Faltenwurfs,  nebst  ausdrucksvoller  Darstellung, 
8o  z.  B.  die  Skulpturen  der  Genfer  Kathedrale,  der  Apostelpforte  der  Kathedrale 
von  Lausanne.  Aber  schon  mit  dem  vierzehnten  Jahrhundert  zeigte  sich  in  der 
Plastik  wie  in  der  Malerei  ein  Verlassen  der  festen,  materiellen  Formen;  die 
Gestallen  werden  auffallend  schlank,  die  Bewegungen  des  Körpers  und  der  Wurf 
der  Gewänder  wird  manierirter,  der  Gesichtsausdruck  unnatürlich,  konventionell, 
vor  Allem  die  Innigkeit  der  Gefühle  darstellend.  Als  Beispiele  solcher  Arbeiten 
sind  anzuführen :  Das  Cenotaphium  der  Grafen  von  Neuenburg  in  der  Collegial- 
kirche dieser  Stadt;  das  Grabmal  des  Franz  I.  von  La  Sarraz  in  La  Sarraz; 
mehrere  Grabmäler  in  der  Kathedrale  von  Lausanne,  im  Basler  Münster;  die 
dortigen  Statuen  der  Heiligen  Georg  und  Martinus,  u.  A.  m. 

In  Kreuzgängen,  Refektorien,  Kapitelsälen  und  Kapellen,  wo  größere  Wand- 
flächen noch  vorkamen,  war  als  Schmuck  derselben  die  Wandmalerei  sehr  ge- 
bräuchlich. Ihre  Technik  blieb  vorerst  die  gleiche  wie  in  der  romanischen  Zeit. 
Gewöhnlich  benutzte  man  Leimfarben ;  die  Ausführung  trug  ein  handwerksmäßiges 
Gepräge.  Auf  einfarbigem  Hinlergrund  sind  die  Figuren  mit  derben  Zügen  schwarz 
oder  roth  gezeichnet,  die  nackten  Stellen  oft  un bemalt,  die  übrigen  St^W^w  Vci  ^\\v- 


Kunst  —     180     —  Kunst 

fachen  Lokaltönen  kolorirt.  Die  Kompositionen  sind  meistens  äußerst  einfach  ;  aller 
Bealität  entbehrend,  haben  die  Gestalten  fast  alle  den  gleichen,  innigen  Ausdruck. 
Bei  Schilderungen  leidenschaftlicher  Vorgänge  nahm  der  Künstler  Zuflucht  zu. 
symbolischen  Zuthaten  oder  erklärenden  Inschriften  und  Spruchbändern.  Von  den 
wenigen  der  selbst  noch  in  neuerer  Zeit  rücksichtslos  waltenden  Zerstörung  ent- 
gangenen Malereien  dieser  Epoche  sind  folgende,  wenigstens  theilweise  erhaltene 
anzuführen:  Die  Wandgemälde  in  der  Kirche  von  Oberwinterthur ;  das  Bild  des 
Grekreuzigten  mit  Maria,  Johannes  und  den  Aposteln  in  der  Geßlerkapelle  der 
Klosterkirche  zu  Kappel ;  die  Deckengemälde  in  der  Chorgruft  des  Basler  Münster«^ 
(Szenen  aus  dem  Leben  der  Heiligen  Martinus  und  Margaretha,  Bilder  aus  der 
Lebensgeschichte  Jesu  und  der  Maria),  u.  A.  m.  Auch  einige  ähnliche,  bildliche 
Darstellungen  auf  Teppichen,  Paramenten  u.  dgl.  sind  uns  erhalten  geblieben,  so 
z.  B.  der  Bilddruck  auf  der  berühmten  Tapete  von  Sitten.  Als  Repräsentanten 
der  Glasmalerei  der  frühgothischen  Periode  besitzen  wir  noch  u.  A.  den  schönen 
Cyklus  der  Rosette  der  Kathedrale  in  Lausanne;  einige  Glasgemälde  im  Chor  von 
St-Nicolas  in  Freiburg,  im  Kloster  Wettingen.  Die  damalige  Technik  war  höchst 
einfach;  alle  Gläser  sind  in  der  Masse  gefärbt  und  wenig  durchscheinend.  Viel 
bedeutender  sind  die  Glasgemälde  aus  dem  vierzehnten  Jahrhundert,  z.  B.  die- 
jenigen zu  Königsfelden,  zu  Münchenbuchsee,  Kappel  u.  s.  w.  Als  einzige  Auftrag- 
farben dienten  hier  das  Kunstgelb  und  das  Schwarzloth.  (Näheres  hierüber  8. 
Seite  774  im  I.  Band.)  Die  Miniaturmalerei  trat  wieder  gegen  das  Ende  des 
vierzehnten  Jahrhunderts  auf,  jedoch  mit  geringerm  Erfolg  als  in  der  karolingischen 
Zeit;  sie  diente  besonders  zur  Illustration  von  Werken  dichterischen  oder  histo 
rischen  Inhalts,  wie  z.  B.  der  wahrscheinlich  in  Zürich  entstandenen  Manessischen 
Liedersammlung.  Auch  die  Kleinkunst^  namentlich  zur  Schmückung  von  Luxut:- 
gegenständen  und  Geräthen,  wurde  allgemeiner  geübt,  und  gelangte  in  der  Stech- 
kunst, Kunsthafnerei  und  andern  Zweigen  zu  hoher  Ausbildung. 

Mit  der  zweiten  Hälfte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  begann  die  spättfothische 
Periode  und  mit  ihr  die  Rückkehr  zum  Naturalismus.  In  der  Plastik  strebte  mau 
wieder  nach  größerer  Fülle  und  Naturwahrheit  der  Gestalten.  Dieser  spätgothischen 
Periode  gehören  mehrere  Grabsteine  an,  welche  im  Basler  Münster  liegen ;  femer 
die  Grabmäler  des  Ritters  Gradner  in  der  Kirche  zu  Eglisau  und  des  Bischofs 
Ortlieb  von  Brandis  im  Churer  Dom,  die  Statuen  im  Hauptportal  der  Stiftskirche 
von  Freiburg  und  die  Skulpturwerke  in  demjenigen  des  Berner  Münsters.  Zahl- 
reich sind  die  Holzschnitzereien,  fiir  welche  jene  Periode  eine  besondere  Vorliebe 
hatte,  besonders  zur  Verzierung  voh  Altären,  Schreinen  u,  dgl.  Werth volle  Arbeiten 
dieser  Art  sind  die  Hochaltäre  im  Chor  zu  Chur  und  in  der  Valeriakirche  bei 
Sitten,  sowie  in  vielen  andern  Gotteshäusern;  ferner  die  Skulpturen  der  Chor- 
stühle im  Basier  Münster,  im  Churer  Dom,  in  St.  Nicolas  zu  Freiburg,  Hauterive, 
Estavayer,  Moudon,  in  der  Kathedrale  von  Lausanne  u.  k.  w.  ;  ebenso  die  vielen 
geschnitzten  Holzmöbel,  Truhen,  Schränke,  Täfer,  Tische  u.  A.  m.  In  der  Malerei 
trat  die  gleiche  Umkehr  zum  Naturalismus  ein,  freilich  oft  mit  Neigung  zu  alle- 
gorischen, humoristischen,  selbst  fratzenhaften  Darstellungen,  wie  z.  B.  bei  den 
in  Aufnahme  kommenden  Gemälden  des  Todtentanzes  im  Kreuzgang  des  Klosters 
Klingenthal  in  Klein-Basel  und  an  den  Friedhofmauern  des  Dominikanerklosters 
in  Groß-Basel  (beide  zerstört) ;  ferner  bei  den  noch  theilweise  erhaltenen  Wand- 
malereien in  der  Schloßkapelle  von  Kyburg,  in  Zürich,  Winterthur,  in  bündne- 
rischen  und  tessinischen  Kirchen,  in  der  Valeriakirche  bei  Sitten,  in  der  St.  Georgs- 
kapelle bei  Bonadutz  u.  s.  w.  Der  gleiche  Uebergang  zum  Realismus  zeigt  sich 
bei  der   "Miniaturmalerei,    namentlich    bei    den  Illustrationen  der  Chroniken  der 


Kunst  —      lt(l      —  Kunst 

Schillinge  in  Luzern,  Bern  und  Spiez.  Die  Technik  der  Glasmalerei  wurde  durch 
eine  Reihe  neuer  Prozeduren  bereichert,  namentlich  auch  durch  die  Erfindung  des 
sogenannten  üeberfangglases,  durch  dessen  stellenweise  Ausschleifung  neue  koio- 
ristische  Wirkungen  erzielt  wurden.  Leider  verlor  die  Komposition  der  Darstel- 
lungen von  ihrer  anziehenden  Einfachheit  und  Ruhe,  sowie  von  der  frühem  Farben- 
harmonie, wie  dies  aus  den  Glasgemälden  des  Münsters  in  Bern,  der  Pfarrkirche 
von  Biel  und  an  andern  Orten  ersichtlich  ist.  Die  durch  die  flandrischen  Meister 
erfundene  Oelmalerei  wurde  vielfach  zur  Anfertigung  kirchlicher  Tafelbilder  be- 
nutzt, welche  oft  unter  dem  Einfluß  der  Kölnischen  und  der  Schongauer'schen 
Schule  noch  die  magern,  eckigen,  harten  gothischen  Formen,  bunten,  unschön  ge- 
falteten Gewänder  und  eine  Uebertragung  der  Vorgänge  in  die  Gegenwart  zeigen. 
In  den  Museen  von  Bern,  Zürich,  Solothurn,  Freiburg  n.  s.  w.  sowie  in  vielen 
unserer  Kirchen  befinden  sich  Repräsentanten  dieses  Stils. 

IV.  Kunstder  Renaissance. 

Als  im  fünfzehnten  Jahrhundert,  von  Italien  ausgehend,  ein  lebensfrischer 
Geist  die  abeudländische  Welt  durchzog  und  die  verknöcherten  mittelalterlichen 
Formen  auflöste,  begann  eine  neue  Kunstrichtung,  die  Renaissance.  Die  unüber- 
troffene Antike  mit  der  unendlichen  Schönheitsfülle  der  Natur  zur  gemeinsamen 
Grundlage  nehmend  und  den  mannigfaltigsten  Kunstäußerungen  freien  Lauf  lassend, 
erlangte  die  Renaissance,  namentlich  auf  den  Gebieten  der  Architektur  und  des 
Kunstgewerbes,  auf  lange  Zeiten  hinaus  die  Herrschaft,  welche  sie  noch  in  unserer 
Gegenwart  behauptet.  In  ihren  Hauptformen  befolgte  der  imposante  Baustil  der 
Benaissance  die  römische  Anlage  des  Gewölbebaues  mit  Tonnengewölben,  Kuppeln, 
römischem  Säulenbau  oder  horizontal  abgestuften  Pfeilern,  in  freier  dekorativer 
Weise.  Die  Wölbungen  wurden  mit  Cassetten,  Gipsreliefs  oder  Malereien  geschmückt, 
die  Fenster,  meist  viereckig,  durch  starke  Gesimse  gekrönt,  welche  von  Pilastern, 
Säulen  oder  Konsolen  gestützt  sind.  Die  Ornamente  bieten  große  Mannigfaltigkeit 
naturalistischer  Formen  dar,  Blumen,  Frucht-  and  Laubgewinde,  Vasen,  Obelisken, 
Masken,  phantastische  Gestalten  u.  s.  w.  In  der  zweiten  Hälfte  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts,  zur  Zeit  der  sogenannten  Frührenaissance ,  noch  weniger  frei  von 
gothischen  Kachklängen,  befolgte  dieser  Stil  im  sechszehnten  Jahrhundert  (Hoch- 
renaissance) eine  strengere  Nachahmung  der  alt-römischen  Formen,  während  im 
siebenzehnten  Jahrhundert  der  Spätrenaissance  (Barockstil)  eine  willkürlichere  An- 
wendung derselben  und  eine  mit  geschwungenen  Linien  und  Schnörkeln  über- 
ladene Dekoration  auftritt. 

Obschon  die  Renaissance  in  der  Schweiz  so  früh  erschien  wie  kaum  in  den 
benachbarten  deutschen  Ländern,  fand  sie  vielfach  unter  Beibehaltung  der  gothischen 
Formen  doch  meistens  nur  in  dekorativem  Sinn  ihre  Anwendung.  Das  gothische 
Fenster  wurde  noch  lange  beibehalten  mit  dem  weitvorragenden  Satteldach  oder 
Staffelgiebeln,  Erkern  u.  s  w.  Die  Umrahmungen  der  Fenster  und  Thüren  wurden 
mit  antikisirenden  Gesimsen,  Flach-  und  Spitzgiebeln  versehen.  Wir  besitzen  noch 
eine  Menge  solcher  Ihrof anbauten^  z.  B.  das  Zunfthaus  „Zur  Waag"  in  Zürich, 
das  Amt  haus  in  Freiburg,  das  Schloß  zu  Avenches,  das  ^Göldihaus"  in  Luzern. 
Bei  andern,  wie  beim  Haus  der  Geltenzunft  in  Basel,  dem  Hutel  de  Longueville 
in  Neuenbürg,  beim  Rathhaus  in  Luzern,  herrscht  hingegen  in  der  äußern  Glie- 
derung eine  reinere  Renaissance.  Die  gleiche  Vermengung  der  Gothik  mit  De- 
korationen der  Renaissance  findet  sich  an  vielen  monumentalen  Brunnen  in  Basel, 
Bern  u.  s.  w  Die  bedeutendsten  Profanbanten  der  Hochrenaissance,  welche  die 
Schweiz  besitzt,    sind  der  Frenler'sche  Palast  (jetziges  Gemeindt^haw^^N  m  ^'ii^'s^ 


Kunst  —      182     —  Kunst 

und  der  Stockalper'eche  Palastbau  in  Brieg.  Aus  der  Zeit  der  Spätrenaissance 
datiren  der  Spießhof  in  Basel,  das  Rathbaus  in  Zürich.  Von  namhaften  Kirchen- 
hauten  aus  der  Eenaissance  ist  aus  der  reformirten  Schweiz  keine  einzige  zu 
nennen.  An  katholischen  Gotteshäusern  behielt  bis  tief  in's  siebenzehnte  Jahr- 
hundert der  gothische  Stil  meistens  seine  volle  Geltung,  so  in  der  Jesuitenkirche  in 
Freiburg,  in  den  Klosterkirchen  von  Werthenstein  im  Kt.  Luzern  und  Mariastein 
im  Kt.  Solothurn.  Ganz  im  Geist  der  Renaissance  sind  erbaut  die  gegenwärtige 
Stiftskirche  von  Einsiedeln,  die  Klosterkirchen  von  Engelberg,  St.  Urban,  Rheinau, 
St.  Gallen  u.  A.  m. 

Die  Skulpturwerke  der  Renaissance  folgen  weniger  dem  Zug  seelenvoller 
Emj)findung  als  dem  Bedürfniß  lebendiger  Schilderung  der  Natur,  welches  freilich 
in  ihrer  spätem  Periode  durch  einen  typischen  Manierismus  vielfach  verdrängt 
wurde  An  einzelnen  Skulpturen  aus  der  Renaissance  fehlt  es  in  der  Schweiz  sehr^ 
mit  Ausnahme  der  zur  Schmückung  der  Kirchen  dienenden  Statuen  und  orna- 
mentalen Verzierungen,  besonders  in  tessinischen  Gotteshäusern.  Bedeutender  sind 
die  Holzschnitzereien  aus  dieser  Zeit,  die  Chorgestühle  des  Klosters  Wettingen» 
der  Stiftskirche  von  Einsiedeln,  die  Täferungen  im  sogenannten  Seidenhof  in 
Zürich  u.  s.  w. 

Besonders  entwickelten  sich  in  der  Schweiz  auch  die  zeichnenden  Künste, 
Angeregt  durch  Hans  Holbein ,  d.  J. ,  befaßten  sich  eine  Reihe  vorzüglicher 
Künstler,  wie  Nikiaus  Manuel^  Ursiis  Graf,  Tobias  Stimmer^  Jost  Ämmann, 
Peter  Flötner,  mit  der  Anfertigung  von  Holztafeldrucken,  Scheiben  rissen,  Illu- 
strationen u-  dergl.  in  Holzschnitt.  —  Auch  der  Kupferstich,  dessen  Erfindung 
in  diese  Zeit  fällt,  fand  vielfache  Anwendung,  u.  A.  durch  Christoph  Murtr, 
Dietrich  Meyer,  dem  Stammvater  einer  bekannten  Künstlerfamilie,  Martin 
Martini,  die  beiden  Mathias  Merian,  —  Die  Stempelschneidekunst  gelangte 
bereits  im  sechszehnten  Jahrhundei*t  durch  den  berühmten  Medailleur  Jakob 
Stampfer  zn  hoher  Ausbildung. 

Besonders  interessant  sind  die  Wandmalereien  aus  dieser  Zeit  im  Saal  des 
ehemaligen  Klosters  in  Stein  a./Rh.,  die  Fresken  in  der  Muttergotteskapelle  zu 
Wyl,  die  Fagadenmalereien  am  Hause  „Zum  weißen  Adler"  daselbst,  am  Haus 
„Zum  Ritter"  zu  Schaffhausen,  diejenigen  am  Basier  Rathbaus,  am  dortigen  Zunft- 
hause. „Zur  Schmiede",  am  Hertenstein'schen  Haus  in  Luzern. 

Im  sechszehnten  Jahrhundert  erwarb  sich  Josef  Heinz  großen  Ruf  als  Hof- 
maler des  Kaisers  Rudolf  II.  in  Wien.  Im  siebenzehnten  Jahrhundert  lebten 
unter  andern  vorzüglichen  Malern  Joseph  Werner,  einer  der  größten  Meister  der 
Miniaturmalerei,  der  Portraitist  Johann  Düne,  Joh,  Rudolf  Huber,  Konrad 
Meyer,  Matthias  Füßli,  Felix  Meyer. 

Die  Glasmalerei  erweiterte  ihre  Kompositionen  und  umrahmte  sie  mit  archi- 
tektonischen Perspektiven,  Schnörkeln,  Engeln,  Guirlanden,  während  die  Hinter- 
gründe meistens  weiß  blieben.  Bald  jedoch  verzichtete  der  Glasmaler  auf  farbige 
Wirkung  und  mit  den  grau  in  Grau  gemalten  sogenannten  „Grisailles"  begann  für 
längere  Zeit  der  Verfall  dieser  Kunst.  —  Durch  die  Genfer  Jean  Petitot  und 
Bordier  wurde  nach  Turquefn  Vorgang  die  Emailmalerei  in  der  Schweiz 
begründet. 

(üeber  die  in  der  Zeit  der  Renaissance,  besonders  in  Zürich,  Beromünster 
und  Wint^rthur  zu  hoher  Ausbildung  gelangte  Kunst  ha  fnereiy  namentlich  Fayencen 
und  monumentale  gemalte  Ofen,    verweisen  wir  auf  den  Artikel  Kunstgewerbe.) 


Kunst  —      183     —  Kunst 

V.  Neuere  Kunst. 

Wenn  auch  das  Zeitalter  Ludwig'e  XV.  mit  seinen  spielenden,  kokettirenden 
Formen  des  sogenannten  Rococo  großen  Einfluß  auf  die  Eunstleistnngen  der  Schweiz 
ausübte,  namentlich  auf  das  Kunstgewerbe,  so  nahm  sie  doch  lebhaften  Antheil  an 
der  im  achtzehnten  Jahrhundert  auftretenden  neuen  Kunstrichtung,  welche  antike 
Schönheit,  Realität  und  moderne  Gemüthswelt  zu  vereinigen  versuchte.  Zunahme 
des  Wohlstandes  und  höherer  Geistesbildung  regten  den  Kunstsinn  an.  Häufige 
Studienreisen  in's  Ausland  und  zeitweilige,  dortige  Anstellung  trugen  wesentlich 
dazu  bei,  die  Künstler  zu  regerer  Thätigkeit  anzuspornen,  wobei  sich  denn  freilich 
ihre  Schöpfungen  gewöhnlich  an  die  herrschenden  Schulen,  besonders  Frankreichs 
und  Italiens,  anlehnten. 

£s  entstanden  eine  Menge  kirchlicher  und  profaner  Bauwerke,  theil weise 
noch  im  Stil  der  Spätrenaissance,  wie  z.  B.  die  ELirche  zum  Heiligen  Geist  in  Bern, 
theib  im  Stil  Ludwig's  XIV.  und  der  Mansard^schen  Schule;  in  neuerer  Zeit 
die  gothische  Elisabethenkirche  in  Basel,  der  Bundespalast  in  Bern,  das  Bahnhof- 
gebäude in  Zürich,  viele  großartige  Gasthof  bauten,  die  griechisch-russische  Kapelle 
in  Vevey,  das  Theater  in  Genf,  der  eidgenössische  Justizpalast  in  Lausanne,  die 
Kunstmuseen  in  Bern  und  Neuenburg,  die  römisch-katholische  Kirche  in  Basel, 
das  Kantonalbankgebäude  iu  St.  Gallen  u.  A.  m. 

Unter  den  Schweizer  Bildhauern  des  achtzehnten  Jahrhunderte;  finden  wir 
Falconet,  berühmt  durch  seine  Reiterstatue  Peter's  des  Großen  in  St.  Petersburg; 
später  Trippel  (Denkmal  Salomon  Greßner's  in  Zürich),  Professor  Sonnenschein, 
in  Bern,  bekannt  durch  viele  Familiengruppen,  Portraitbüsten  u.  s.  w.,  Joseph 
Christen  (Büsten  hervorragender  Schweizer),  Heinrich  Keller  (Diomed,  Geburt 
der  Venus,  Atalante).  Dem  neunzehnten  Jahrhundert  gehören  an  :  Franz  Abhardt 
(Struthahn  von  Winkelried,  die  Bären  auf  dem  Stadtthor  in  Bern);  Heinrich 
Imhof  („Eagar  und  IsmaSl**,  „Eva",  „Rebekka"  u.  s.  w.);  OechsUn  (Belisar, 
Denkmal  Job.  v.  Mttller's);  Karl  Emanuel  von  Tscharner  (Statue  Berchtold's 
von  Zähringen  und  Pietä  in  Bern);  Prof.  Dr.  Josef  Vollmar  (Standbild  des 
P.  Girard  in  Freiburg,  Reiterstatue  Rud.  v.  Erlach^s  in  Bern);  Chaponnihre 
(Relief  des  Triumphbogens  de  TEtoile  in  Paris,  David  nach  seinem  Sieg  über 
Goliath);  der  berühmte  James  Pradier  (Phryne,  Prometheus  u.  A.  in  Paris, 
Rousseaustatue  in  Genf);  Pankraz  Effgenschwyler ;  Raffael  Christen  (Statue 
der  Berna  in  Bern  u.  A.) ;  Marcello,  Herzogin  Castiglione-Colonna  geb.  Gräfin 
d'Affry  (Phryne,  Bianca  (Japello  .u.  A.) ;  Dorciere  (Hagar  und  Ismael  u.  A.) ; 
Franz  Keyser  (Statue  des  Johannes  in  Stans,  Statne  Oekolampad^s  am  Basler 
Münster  u.  s.  w.).  —  Als  Industriezweig  wurde  im  Berner  Oberland  die  Holz- 
schnitzerei eingeführt. 

Auch  in  der  Malerei  zeigte  sich  ein  bedeutender  Aufnehwung.  Die  Zahl 
der  Miniatur-  und  Tafelgemälde  aus  dieser  Zeit  ist  sehr  bedeutend ;  sowohl  Portraits 
ala  auch  biblische,  mythologische  und  allegorische  Darstellungen,  Genrebilder, 
Thierstücke,  sowie  sehr  in  Aufnahme  kommende,  besonders  schweizerische  Land- 
schaften. Später  kam  die  Historienmalerei  hinzu,  namentlich  Szenen  aus  der 
vaterländischen  Geschichte  vorführend.  Außer  der  Oelmalerei  fanden  bereits 
Aquarell,  Gouache  und  Lavirungen  häutige  Anwendung. 

unter  den  hervorragendem  Malern  und  Zeichnern  der  deutseben  Schweiz 
finden  wir  im  achtzehnten  Jahrhundert :  Joh,  Bud,  Huber,  Joh.  Heinr.  Keller, 
Handmann,  Bullinger,  Aberli,  Anton  Graf,  Bieter,  Joh.  Heinrich  Wüest, 
J,  Kaspar  Huber,  Ludwig  Heß,  Konrad  Geßner,  Angelica  Kaufmann, 
Sigmund  Freudenberger.    Später,  theil  weise  im  folgenden  Jahrhundert:    Diocjc^^ 


Kunst  — ^      1Ö4     —  Kunst 

Joh,  Georg  und  Josef  Vollmar,  Nikiaus  König,  Mind,  David  Sulzer,  Schim, 
Heinrich  Füßli,  jun.,  Martin  Usteri.  Bereits  in's  neunzehnte  Jahrhundert  fällt 
die  Thätigkeit  von  Salomon  Corrodi,  Jakob  Sutter,  Hieronymus  Heß,  Gabriel 
uiid  Georg  Lory,  der  Geschichtsmaler  Ludwig  Vof/el,  Hans  ^  Jakob  Ulrich, 
August  von  Bonsteiien  von  Sinneringen ;  Juillerat,  Dietler,  Disteli,  Friedrich 
Simon,  Svheucheer,  Paul  von  Beschwanden  (Abraham  und  Isaak  auf  Moria,  im 
Bundespalast  in  Bern,  und  viele  andere  religiöse  Bilder),  Joat  Muheim,  Sebastian 
Buff,  Arnold  Corrodi,  Schieß,  Biethelm  Meyer,  Jakob  Zürcher,  Holzhalb, 
Friedrich  Zimmermann,  Rudolf  Müller  u.  A. 

Ebenso  reich  an  vorzüglichen  Malern  war  die  romanische  Schweiz.  Vor 
Allem  fand  die  Malerei  in  Genf  eine  bleibende  Stätte.  Bereits  Jacques- Antoine 
Arlaud,  Miniaturist  und  Hofmaler  des  Prinz-Regenten  Herzogs  von  Orleans, 
begründete  den  Ruf  der  Genfer  Portraitisten ;  ihm  folgte  namentlich  der  aus- 
gezeichnete Pastellmaler  Jean-Etienne  Ltotard  sowie  Jacques  Thouron,  dessen 
Portaits  auf  Email  unübertroffen  geblieben  sind.  Als  erster  Genfer  Historienmaler 
ist  Jean-Pierre  Saint-Ours  zu  nennen;  als  vorzüglicher  Tbiermaler  Jean  Huber \ 
als  Landschafter  Pierre-Louis  Be  la  JRive:  als  Genremaler  Charles-Joseph 
Auriol  u.  A.  m.  Von  theilweise  noch  im  neunzehnten  Jahrhundert  lebenden 
Genfern  erwähnen  wir  Wolfgang-Adam  Toepffer,  Jean-Baniel  Huber,  Agasse, 
Firmin  Massot,  Arlaud-Jurine,  Pierre-Louis  Bouvier,  Reverdin,  Homung, 
Rodolphe  Toepffer,  Abraham  Constantine,  V  orzelisinmaltT,  Jean- Leonard  Lug  ardon 
(Wilhelm  Teil,  Baumgarten  rettend,  im  Bundespalast  in  Bern  ;  Befreiung  Bonnivard^s, 
im  Genfer  Museum;  Rütlischwur  und  viele  andere  die  Heldengeschichte  der 
Schweiz  verherrlichende  Gemälde);  Charles-Ferdinand  Humbert,  Thiermaler, 
u.  A.  m.  Fran^ois  Biday  war  der  Begründer  der  neuen  Grenfer  Landschafter- 
schule, welche  mit  großer  Keckheit  und  eifrigem  Streben  nach  technischer  Voll- 
kommenheit die  Großartigkeit  unserer  Alpennatur  der  Kunst  erschloß.  —  Mit 
dem  Portraitisten  J.  Prud'homme  begann  im  Neuenburg  eine  Reihe  ausgezeichneter 
Maler,  z.  Th.  von  europäischem  Ruf.  Ihm  folgten  Bosset-de  Luze,  Alexandre  und 
Abraham-Louis  Girardet,  Freder ic-Guillaume  Moritz  und  Grosclaude.  Im  neun- 
zehnten Jahrhundert  trat  Leopold  Robert  auf,  der  berühmte  Grenremaler;  dann 
Maximilien  de  Meuron,  Rose  d'Osterwald;  später  die  Gi'oßmeister  Alexandre 
Calame,  Karl  und  Edouard  Girardet,  der  unlängst  verstorbene  Charles-Edouard 
Bu  Bois  u.  A.  m.  —  Unter  den  Waadtländer  Malern  ragte  vor  Allen  Charles 
Gleyre,  Historienmaler,  hervor;  Gustave  Roux  war  ein  trefflicher  Zeichner  und 
Illustrator. 

Durch  Beck  und  «lie  Gebrüder  Joh.  Jakob  und  Georg  Müller  wurde  die 
längst  verloren  gegangene  Kunst  der  Glasmalerei  zu  neuer  Blüthe  gebracht.  In 
Genf  widmeten  sich  viele  Künstler  der  Emailmalerei,  u.  A.  J.  B.  Favre. 
Elisabeth  Terroux,  Soiron,  Fnbre,  Blanc,  Marc  Henry,  Abraham  Lissignol, 
Alernitdre  Be  la  Ghana,  Heß.  —  Daselbst  sowie  in  Nyon  blühte  im  acht- 
zehnten Jahrhundert  auch  die  Porzellanmalerei. 

In  der  Stech-  und  Radirkunst  wurde  ebenfalls  Vorzügliches  geleistet  durch 
Salniuott  Gegner,  Banker^  Xicolet,  Lardy,  Pfenninger,  Alex.  Chaponnier, 
Cnnrcoi-iier,  Sehe  ff  her.  Geißler,  Abraham  und  Samuel  Girardet,  Forster,  Joh. 
Jak.  L/;>>,  Amsler,  Abraham  Bouvier,  Charlc^-Simon  Pradier,  Jaquemot, 
Ileiinirh  Merz,  Snter,  K.  A.  von  Gunzenbach,  K.  Ulrich  Huber  und  Friedrich 
Weber. 

Berühmt  waren  im  achtzehnten  Jahrhundert  die  Medailleurs  Jean  und  Jean- 
Afttoine  Dassier.  Jona^  Thieband  und  seine  Söhne,  //.  C.  Hedlinger,  J.  Gnßner, 


Kun^t  —      185      —  Kunst 

J.  C,  Mörikofer^  Schwendimanny  Samson  uud  in  unserm  Jahrhundert  ganz 
bebonders  Jean-Fran^ois-Anioine  Bovy, 

Literatur:  Prof.  Dr.  R.  Rabn,  Geschichte  der  bildenden  Künste  in  der  Schweiz. 

—  Rigaud,  Les  beaux-arts  a  Geneve.    -  LObke,  Geschichte  der  deutschen  Renaissance. 

—  Rsdin,  Zur  Geschichte  der  Renaissance-Architektur  in  der  Schweiz,  Repertorium  für 
Kunstwissenschaft  V.  1.  —  Neujahrsblätter  der  Zürcher  Künstlergesellschaft.  —  Dr.  P. 
Albert  Kuhn,  Der  Stiftsbau  Maria-Einsiedeln.  —  Rahn,  Statistik  schweizerischer  Kunsl- 
denkmäler.  Anzeiger  für  schweizerische  Alterthumskunde.  —  S.  Vögelin,  Die  Faqaden- 
malerei  in  der  Schweiz,  ebendaselbst.  —  Füßli,  Allgemeines  Künstlerlexikon.  —  Spezial- 
Katalog der  Gruppe  XXXVIII  „Alte  Kunst*  der  schweizerischen  Landesausstellung  in 
Zürich,  und  Rahn'^^  Fachbericht  über  dieselbe.  —  Rahn,  Kunst-  und  Wandei*studien  aus 
<ler  Schweiz.  —  Tillier,  Geschichte  der  Eidgenas.«enschaft  während  der  Restaurationsperiode. 

B.  Kunst  der  Gegenwart. 

L   Kunst  im  Allgemeinen. 

1)  Schweizerische  Kunst.  Wenn  wir  ein  einheitliches  Bild  der 
Mchweizerischen  Kunst  der  Gegenwart  entwerfen  sollen,  so  scheinen  uns  dazu  fast 
alle  Grundlagen  zu  fehlen.  Unser  besonders  auf  das  Praktische  bedachtes  Volk 
ist  viel  mehr  dazu  angelegt,  sich  mit  dem  intellektuellen  und  materiellen  Leben 
zu  beschäftigen  als  mit  der  idealen  Welt,  und  wo  dies  geschieht,  tritt  die  Ver- 
schiedenheit der  Stämme,  der  Religion,  Sprache  und  Sitten  eher  trennend  als 
einigend  auf.  Daher  sehen  wir  immer  noch  eine  Menge  Schweizer  Künstler  in 
eifriger  Thätigkeit  und  blühende  Pflanzstätten  der  Kunst ;  aber  es  fehlt  ihnen  an 
gemeinsamem,  innerem  Zusammenhang.  Ja  mehr  noch,  unsere  Künstler  verfolgen 
oft  verschiedene  Ziele;  meistens  in  ausländischen  Schulen  gebildet,  bleiben  wenige 
frei  von  fremden  Einflüssen  und  weichen  in  Geschmack,  Auffassung  und  Tech- 
nik sehr  von  einander  ab.  Zur  Stunde  gibt  es  keine  nationale,  schweizerische 
Kunst.  Und  doch  lassen  sich  bei  näherem  Zusehen  einige  gemeinsame  Elemente 
auffinden.  Vor  Allem  besitzt  der  Schweizer,  wie  im  bürgerlichen  und  politischen 
Leben,  auch  in  der  Kunst  eine  sehr  selbstständige  Individualität ;  daher  sucht  auch 
der  Schweizer  Künstler  sein  eigenes  Ich  in  seinen  Schöpfungen  abzuspiegeln.  Ferner 
strebt  der  Schweizer  Künstler  nach  möglichst  treuer  Wiedergabe  der  Natur  und 
wendet  mit  der  ihm  innewohnenden  Zähigkeit  des  WoUens  alle  Kräfte  an,  um 
die  Natur  gründlich  zu  studiren  uud  zu  einer  vollendeten  Technik  zu  gelangen. 
Diese  Eigenschaften  zu  einem  Band  gemeinsamen  Wirkens  zu  entwickeln,  sollte 
unser  Aller  Bestreben  sein. 

2)  Betheiligung  des  Bundes.  Wir  besitzen  viele,  eifrige  Kunstfreunde 
und,  verhältnismäßig  mehr  als  in  andern  Ländern,  eine  große  Zahl  einfluß- 
reicher, thätiger  Kunstvereine.  Allein  ihre  Hülfsmittel  reichen  nicht  hin,  wo  all- 
gemeine nationale  Zwecke  zu  erzielen  sind.  Da  muß  die  Hülfe  der  Bundes- 
behörden eingreifen,  durch  Unterstützung  der  Kunst,  deren  in  unserem  kleinen 
Lande  beschränktes  Absatzgebiet  erweitern  und  einen  ordnenden  Zusammenhang 
zwischen  den  Kunstbestrebungen  der  einzelnen  Landestbeile  herbeiführen.  Wenn 
der  Bund  für  V^erkehrsmittel ,  Nationalbildung  und  die  Wehrkraft  bedeutende 
Ojifer  bringt,  so  ist  er  gewiß  auch  verpflichtet,  dies  für  die  Kunst  zu  thun, 
welche  zur  Förderung  des  Wohlstandes  wesentlich  beiträgt. 

Auch  haben  die  Bundes behörden  schon  seit  Jahren  für  die  Kunst  Bei- 
träge   bewilligt.  *)     Allein    die    Erfahrung    zeigt,     daß    nicht    nnr    beträchtlich 

*)  Die  hauptsächlichsten  bisherigen  Beitrage  des  Bundes  sind  folgende: 
1)  Jährlicher  Beitrag  von  früher  2(XMJ  Fr.,  seit  1874  von  6(XX)  Fr.  an  die  Sektinnen 
des  schweizerischen   Kunst  Vereins   zur  Erwerbung   von  Kunstwerken   an   der  schweize- 
rischen Kunstausstellung. 


Kunst  —      186     —  Kunst 

größere  Bundessabsidien  erforderlich  sind,  wenn  unsere  verschiedenen  Eunst- 
bestrebnngen  aaf  die  ihnen  gebührende  Höhe  gebracht  werden  sollen,  sondern 
daß  innerhalb  gewisser  Grenzen  der  Bund  seinen  Einfluß  auf  ihre  allgemeine 
Entwicklung  ausüben  muß.  Es  wurden  den  Bundesbehörden  zwei  in  dieser  Be- 
ziehung höchst  wichtige  Begehren  eingereicht.  Die  Motion  des  Hm.  Frank  Buchser, 
Maler,  von  Solothurn,  vom  20.  Februar  1883  beantragt,  der  Bund  möge  einen 
jährlichen  Kredit  von  1 50,000  Fr.  bewilligen,  welcher  zu  einem  Drittel  für  die 
Gründung  eines  Nationalmuseums  kapitalisirt ,  zu  zwei  Dritteln  einem  einzu- 
berufenden Künstlerkollegium  behufs  Ankauf  und  Prämirung  vorzüglicher  Kunst- 
werke an  einer  nationalen  Ausstellung  dienen.  Dies  Kollegium  würde  die  ge- 
sammten  Kunstinteressen  der  Schweiz  zu  pflegen  haben,  nationale  Ausstellungen 
abhalten  und  über  Prämirung  oder  Ankauf  von  Kunstgegenständen  entscheiden. 
Die  Gesellschaft  schweizerischer  Maler  und  Bildhauer  wünschte  hingegen,  daß 
unabhängig  von  den  beizubehaltenden  Ausstellungen  des  schweizerischen  Kunst- 
vereins eine  unter  den  Auspizien  der  Eidgenossenschaft  stehende,  ausschließlich 
von  Schweizer  Künstlern  geleitete,  nationale  Ausstellung  statthabe. 

So  sehr  alle  Kunstfreunde  einer  größerer  Betheiligung  des  Bundes  an  den 
schweizerischen  Kunstbestrebungen  das  Wort  reden,  so  ist  doch  vor  einer  Cen- 
tralisation  derselben  zu  warnen.  Unser  kleines  Land,  nur  stark  durch  festes  Zu- 
sammenhalten seiner  verschiedenartigen  Elemente,  kann  auf  dem  Gebiete  der 
Kunst  die  Mitwirkung  aller  Kunstfreunde,  besonders  nicht  diejenige  der  bestehenden 
Knnstvereine  entbehren.  Die  Kunst  wurzelt  nicht  in  Behörden,  sondern  in  der 
Initiative  der  dieselbe  unterstützenden  Personen 

Den  genannten,  ihrer  Erledigung  noch  harrenden  Anträgen  folgte  in  der 
Bundesversammlung  derjenige  des  Hrn.  Professor  Vögelin,  vom  9.  Juli  1883, 
betreifend  die  Errichtung  eines  Nationalrauseums.  Die  Motion  der  HH  Land- 
ammann Rusch  und  Muheim,  vom  25.  März  1885,  führte  am  30.  Juni  188(> 
den  Bundesbeschluß  herbei,  jährlich  50,000  Fr.  zu  bestimmen  für  Erwerbung 
und  Ausgrabungen  von  Alteithümern,  welche  ein  gemeineidgenössisches  Interesse 
haben  und  Eigenthum  des  Bundes  bleiben;  femer  zur  Betheiligung  an  der  Er- 
haltung historisch  oder  künstlerisch  bedeutsamer  Baudenkmäler  und  zur  Unter- 
stützung kantonaler  Alterthumssammlungen.  Die  daherige  Vollzieuungsverordnung 
des  Bundesrathes  vom  25.  Februnr  1887  enthält  wesentlich  folgende  Bestim- 
mungen : 

Der  Bundesrath  entscheidet  auf  Grundlage  von  Anträgen  seines  Departemente 
des  Innern  von  Fall  zu  Fall  über  die  aus  dem  jährlich  für  Erhaltung  und 
Erwerbung  vaterländischer  Alterthümer  ausgesetzten  Kredite  zu  machenden  An- 
schaffungen oder  zu  bewilligenden  Beiträge  und  Unterstützungen.  Unter  dem 
Departement  des  Innern  steht  eine  von  ihm  je  auf  die  Dauer  von  drei  Jahren 
zu  bestellende  „Eidgenössische  Kommission  für  Erhaltung  schweizerischer  Alter- 
thümer**,   welche    die  Aufgabe  hat,    alle  ihr  zugewiesenen,    auf  die  Verwendung^ 

2)  Jährliche  Subsidien  an  mehrere  Kunstschulen  und  Beiträge  zu  ihrer  Erstellung 
im  Jahr  1886  44,218  Fr. 

3)  Ankauf  der  GroßVchen  Pfahlbautensammlung  für  60,000  Fr. 

4j  Jahresbeiträge  an  die  Kunstsammlungen  des  eidgenössischen  Polytechnikums ; 
an  andere  Kunstmuseen  im  Jahr  1886  9275  Fr. 

5)  Ankauf  eines  Glasgemäldes,  das  Wappen  des  Kardinals  Scbinner  darstellend, 
und  zweier  Slandesscheiben  von  Uri  und  Schwyz,  zusammen  für  7600  Fr. 

6)  Ankauf  von  vier  gravirten  Silberplatten  von  Urs  Graf,  aus  dem  Klosterschatz 
von  St!  Urban,  für  1100  Fr. 

7)  Beitrag  an  die  Restauration  der  Sempaeher  Schlachtkapelle,  8000  Fr. 


Kunst  —      187     —  Kunst 

der  Kredite  bezüglichen  Fragen  und  Geschäfte  zu  begutachten,  die  Erhaltung 
und  Erwerbung  yaterländiticher  Alterthümer  im  Sinne  des  Bundesbeschlusses 
wahrzunehmen  und  zur  Erreichung  dieser  Zwecke  von  sich  aus  die  geeigneten 
Anträge  zu  stellen.  Diese  Kommission  kann  nöthigen  Falls  die  geeigneten  Hiilfs- 
kräfte  beiziehen.  Für  die  erste  Periode  von  drei  Jahren  ist  das  Departement 
des  Innern  ermächtigt,  die  Funktionen  der  Fachkommission  dem  Vorstande  der 
n Schweizerischen  Gesellschaft  für  Erhaltung  historischer  Kunstdenkmäler'*  zu 
tibertragen  und  diese  Einrichtung  auch  fernerhin  fortdauern  zu  lassen,  sofern  sich 
dieselbe  als  zweckmäßig  erweist.  Die  Betheiligung  des  Bundes  an  Ausgrabungen 
sowie  an  der  Erhaltung  historisch  oder  künstlerisch  bedeutsamer  Kunstdenkmäler 
kann  nur  eintreten,  wenn  die  betreffenden  Gesuche  nebst  Bericht  und  Kosten- 
voranschlag vor  dem  Beginn  der  zu  subventionirenden  Arbeiten  eingereicht 
wurden.  Die  Betheiligung  des  Bundes  ist  nach  der  Bedeutsamkeit  des  Projektes, 
dem  Betrage  der  anderweitig  zu  erwartenden  Hülfsmittel  und  nach  dem  verfüg- 
baren Kredite  zu  bemessen,  soll  aber,  Ausnahmsfälle  vorbehalten,  die  Hälfte  der 
Kosten  nicht  übersteigen.  Unterstützungsbegehren  öffentlicher  Alterthumssammlungen 
sind  ebenfalls  dem  Departemente  des  Innern  einzureichen;  ihre  Berücksichtigung^ 
findet  nach  den  obigen  Grundsätzen  statt;  bei  gleich werthigen  Begehren  erhält 
die  noch  nicht  unterstützte  Sammlung  den  Vorrang.  Zwei  Inventarien  werden 
geführt,  sowohl  von  denjenigen  Alterthümern,  über  welche  der  Bund  sich  das 
Eigenthums-  und  Verfügungsrecht  vorbehält,  sowie  über  die  Gegenstände,  welche 
mit  BundesunterstützuDg  erworben  worden  sind  und  ohne  Genehmigung  des 
Bnndesrathes  nicht  veräußert  oder  abgetreten  werden  dürfen. 

Die  Schweiz  begrüßte  das  am  23.  April  1883  erlassene  Bundesgesetz  über 
das  Urheberrecht  an  Werken  der  Literatur  und  Kunst,  welches  den  Künstlern 
das  ausschließliche  Recht  der  Vervielfältigung,  beziehuugsweise  der  Darstellung^ 
ihrer  Arbeiten  zusichert;  ebenso  die  internationale  Konvention  vom  9.  September 
1886  zum  Schutze  des  literarischen  und  künstlerischen  Eigenthums.  (Siehe  Ar- 
tikel Literatur  hienach.) 

3)  Künstler.  Die  Schweiz  zählt  gegenwärtig  bei  1500  Künstler,  ^)  die 
nicht  unbedeutende  Zahl  der  im  Auslande  lebenden  inbegriffen.  Sie  verth eilen 
sich  auf  alle  Kantone. 

In  der  Westschweiz  ist  es  vor  allen  Genf,  welches  seinen  altbewährten 
Rang  als  erste  schweizerische  Pflanzstätte  der  Kunst  mit  Ehren  behauptet.  Der 
Staat,  die  Stadt  und  die  dortigen  Kunstvereine  tragen  dazu,  in  regster  Weise 
bei.  Besonders  zahlreich  erscheinen  die  Genfer  Künstler  an  unsern  Ausstellungen  ; 
auch  znm  Pariser  Salon  und  zu  andern  Ausstellungen  in  Frankreich  liefern  sie 
8tet8    ein    hübsches  Kontingent.     Namentlich  wetteifert   auch    die  Genfer  Kunst- 

*j  Die  letzte  Volkszählung  im  Jahr  1880  verzeichnet  1190  in  der  Schweiz  lebende 
Künstler,  nämlich : 

1)  KunstmcUer  und  Zeichner  314,  wovon  im  Kt.  Zürich  74,  Bern  50,  Genf  33, 
Waadt  33,  Luzern  24,  Baselstadt  19,  St.  Gallen  12,  Neuenburg  11,  Aargau  8,  Tessin  8, 
Zug  8,  Nidwaiden  7,  Schwyz  5,  Graubftnden  4,  Schaffhaasen  4,  Appenzell  A.-Rli.  3, 
Solothum  3,  Uri  3,  Appenzell  I.-Rh.  1,  Baselland  1,  Freiburg  1,  Obwalden  1,  Wallis  1. 

2)  BOdhauer  380,  wovon  im  Kt.  Genf  63,  Zürich  63,  Baselstadt  41,  St.  Gallen  28. 
Tessin  28,  Aargau  23,  Bern  23,  Luzern  18,  Wuadt  12,  Schwyz  10,  Solothurn  10,  Basel- 
land 9,  Neuenburg  9,  Freiburg  8,  Zug  7,  Graubünden  7,  Thurgau  6,  in  übrigen  Kantonen  15. 

3)  Ghraveure  (ohne  diejenigen  der  Uhrenindustrie)  251,  davon  nn  Kt.  Glarus  78, 
Zürich  41,  Bern  28,  St.  Gallen  19,  Waadt  18,  Baselland  10,  Genf  10.  Wallis  10,  in 
übrigen  Kantonen  37. 

4)  üebrige  Künstler  (ohne  Musiker,  Sänger  und  Schauspieler)  245. 


Kunst  —      188     —  Kunst 

Industrie  mit  dem  Ausland ;  ilire  neuem  Leistungen  zeichnen  sich  durch  Geschmack, 
feine  Ausführung  und  stilvolle  Behandlung  sehr  vortheilhaft  aus. 

Weniger  Zusammenhang  unter  einander  zeigen  die  Neuenhurger  Künstler. 
Von  jeher  arheiteten  dieselben  meistens  vereinzelt,  ihrer  eigenen  Inspiration 
folgend.  Was  ihre  Arbeiten  besonders  auszeichnet,  ist  die  Gewissenhaftigkeit  und 
Naturwahrheit  der  Darstellung  verbunden  mit  poesievoller  Auffassung. 

Dem  Kanton  Waadt  gehören  zwar  nicht  sehr  viele  Künstler  an;  allein 
unter  ihnen  finden  sich  mehrere  Maler,  welche  auch  im  Ausland  eines  weitver- 
breiteten Rufes  genießen. 

In  neuerer  Zeit  sind  auch  in  Solothurn  und  Freiburg  jüngere  Künstler  auf- 
getreten, welche  Treffliches  leisten. 

Das  gewerbreiche  Basel  hat  den  Ruhm,  sehr  bedeutende  Meister  der  Gegen- 
wart hervorgebracht  zu  haben,  deren  Name  zu  den  geschätztesten  auch  im  Aus- 
land gehört. 

In  dem  so  lange  von  der  Kunst  ziemlich  verwaisten  Bern  ist  infolge  der 
Erbauung  eines  stattlichen  Kunstmuseums  und  der  Gründung  einer  Kunstschule 
-der  alte  Kunstsinn  wieder  wach  geworden ;  mehrere  frühere  Zöglinge  der 
Kunstschule  verfolgen  im  Ausland  eine  ehrenvolle  Laufbahn  als  treffliche 
Portraitisten. 

Auch  die  Centralschweiz  und  der  Kanton  Zürich  besitzt  eine  Anzahl  tüch- 
tiger Maler  und  Bildhauer;  ebenso  St.  Grallen,  wo  die  Kunst  fortwährend  in 
hoher  Blüthe  steht. 

Der  Kanton  Tessin  liefert  außer  einigen  vorzüglichen  Malern  viele  Bild- 
hauer, welche  aber  meistens  in  Oberitalien  ansässig  sind. 

Bedeutend  ist  die  Zahl  der  im  Auslande  niedergelassenen  Schweizer  Künstler 
und  meistens  sind  es  ausgezeichnete  Talente,  welche  die  giößern  Absatzgebiete, 
reichlichere  Auszeichnungen  und  die  anregenden  Beziehungen  zur  großen  Künstler- 
welt dort  festhalten.  Namentlich  in  Paris,  Rom,  Florenz,  Mailand,  Düsseldorf  und 
in  München  finden  sich  Schweizerkolonien  von  Künstlern,  welche  uns  leider  nur 
selten  ihre  Arbeiten  zusenden. 

II.   Einzelne    Kunstfächer. 
1)  Malerei. 

a.  Oelmalerei.  Die  Gruppen  der  Oelmalerei  verfolgend,  beginnen  wir 
mit  der  relUfiösen  Malerei,  In  unserer  realistischen  Zeit  kann  es  nicht  auffallen, 
daß,  wie  überall,  auch  in  unserem,  größtentheils  protestantischen  Lande  die  Dar- 
feteilung biblischer  Szenen  je  länger  je  seltener  vorkommt.  Uebrigens  ist  die 
vom  persönlichen  Gefühl  und  von  der  eigenen  Herzensstellung  bedingte  Auf- 
fassung so  verschieden,  daß  der  Künstler,  in  der  Ueberzengung,  vielleicht  nicht 
einen  richtigen  Ton  anzuschlagen,  lieber  von  solchen  Arbeiten  Umgang  nimmt. 
Der  kalte  Realismus  richtet  eben  hier  nichts  aus.  Auch  ist  die  Zahl  unserer 
Maler  auf  diesem  Gebiete  gegenwärtig  sehr  beschränkt.  Außer  Severin  Benz^ 
von  St.  Gallen,  in  München,  Josef  Ballmer,  in  Luzern,  VeiiUfer^  in  Dtznach, 
und  P.  Rudolf  Blättler ^  in  Einsiedeln,  welche  treffliche  Altarbilder  liefern,  sind 
hauptsächlich  nur  noch  die  Luzerner  Jost  Troxler  und  Johann  Benfff/li  hier 
zu  nennen. 

Die  historische  Malerei,  mit  ihrer  schwierigen  Aufgabe,  ein  denkwürdiges, 
geschichtlichej^  Ereigniß  in  prägnanter  und  künstlerischer  Weise  darzustellen  und 
(las  demselben  zu  Grunde  liegende,  ideale  Motiv  zur  Geltung  zu  bringen,  findet 
leider  in  der  Schweiz  lange  nicht  die  ihr  gebührende  Beachtung;  die   Abnahme 


Kunst  —      189      —  Kunst 

großer  Historienbilder  ist  nur  wenigen  Privatpersonen  möglich  and  ihre  monu- 
mentale Verwendung,  bei  öffentlichen  Gebäuden,  so  wtinschbar  sie  auch  erscheint, 
ifit  noch  viel  zu  selten.  Und  doch  besitzen  wir  vorzügliche  Vertreter  dieses 
Faches.  Awfiist  Weckesser ^  von  Winterthur,  in  Rom,  hat  in  seinen  vielen  Ge- 
mälden von  großer,  edler  Auffassung  («Tod  Zwingli^s  in  der  Schlacht  bei  Kappel"  ; 
«Gertrud  von  Wart  bittet  bei  der  Königin  Agnes  um  Gnade  für  ihren  Gratten"  : 
«Gefangennahme  der  Anna  von  Muralt "  u.  s.  w.  ^)  Zeugniß  abgelegt  von  hoher 
Begabung;  ebenso  Kaspar  Bo/Shard,  von  PfäfÜkon,  in  München  ^)  (^Uallwyl 
vor  der  Schlacht  bei  Murten"*  ;  ^Schultheiß  Wengi**;  ^die  muthige  Frau  von 
Schliems").  Mehr  der  realistischen  Richtung  zugeneigt  erscheint  Dr.  Ernst 
Stückelberg,  von  Basel,  besonders  bekannt  durch  seinen  „Letzten  Hohen-Rhätier*" 
und  die  neuen  Fresken  der  Tellskapelle,  welche  in  Zeichnung  und  Wahrheit  der 
typischen  Gestalten  Treffliches  darbieten.  Ferner  sind  zu  nennen ;  Viktor  Tobler, 
von  Trogen,  in  München  („Zwingli's  erstes  Religionsgespräch  in  Zürich**);  Kon- 
rad  Qrobj  von  Andelfingen,  in  München  („Schlacht  bei  Sempach**  im  Bundes- 
rathshaus  in  Bern);  Karl  Jauslin^  in  Muttenz  („Schlacht  bei  St  Jakob**, 
«Todesurtheil  des  Hans  Waldmann**,  „Würsch  von  Nidwaiden  im  Kampf  gegen 
die  Franzosen  1798**);  Walter  Vif/ier,  von  Solothurn  („Heldenkampf  der 
Schwyzer  am  Rothenthurm**,  „Schultheiß  Wengi  verhindert  den  Religionskriege) 
n.  A.  m.  Antonius  Barzaghi-Cattaneo,  von  Lugano,  in  Mailand  („Tasso**, 
«Diana  von  Poitiers",  „Adam  von  Camogasc**,  „Jane  Gray  im  Tower**)  verfolgt 
mehr  dramatische,  bisweilen  fast  theatralische  Effekte,  wobei  sein  bedeutendes, 
koloristisches  Talent  zur  Geltung  kommt. 

Im  Fach  der  Idylle,  Mythologie  und  Allegorie  finden  wir  einen  unserer 
bedeutendsten  Künstler,  Arnold  Böcklin^  von  Basel,  dessen  Name  zu  den  ge- 
feiertsten der  Gegenwart  gehört.  Böcklin's  gewaltiger  Genius  führt  uns  vorzugs- 
weise unter  phantastische,  mythologische  Gestalten,  wie  z.  B.  in  seiner  „Meeres- 
idylle*, iiTritonenfamilie**,  im  „Spiel  der  Wellen",  im  „Gefesselten  Prometheus**, 
in  den  „Centanren**,  „Gefilden  der  Seligen**,  oder  zu  stillern  Szenen:  „Muse  des 
Anakreon**,  „Diana  auf  der  Jagd**,  „Uuellennymphe**,  „Viola**  u.  s.  w.  In  seinen 
lebensvollen  Werken  bewältigt  er  nach  dem  Vorbild  der  alten  Venezianer  die 
größten  koloristischen  Probleme  und  erzielt  durch  die  kühnsten  Kontraste  er- 
staanliche  Wirkungen.  Tiefe  der  Empfindung  geht  ihm  hingegen  ab.  Böcklin 
ist  einer  der  eigenartigsten  Künstler  der  Neuzeit.  Die  Basler  Impressionisten 
Hans  Sandreuter  und  Hans  Garnjobst  versuchen  den  Spnren  des  Meisters  zu 
folgen;  allein  ungeachtet  nicht  zu  verkennender,  trefflicher  Eigenschaften  bleiben 
ihre  Idyllen,  bei  denen  sich  eine  absichtliche  Verwerfung  alles  Schönen  kundgibt. 
Vielen  befremdlich  in  Farbe  und  Ausführung.  Der  eleganten,  französischen  Schule 
huldigen  Fritz  Zuberbühler,  von  Locle,  Albert  de  Meuron,  von  Neuenburg, 
Charles  Giron,  von  Genf  („Erziehung  des  Bacchus**),  während  der  Neuenburger 
Leo  Paul  Robert  („Abend wind**,  „Echo")  hochpoetische  Empfindung  zeigt.  Auch 
//.  Reinhard  und  Leon  PHnUy  letzterer  aus  Frankreich,  beide  in  Winterthur, 
haben  sich  in  diesem  Fach  bekannt  gemacht. 

Die  meisten  unserer  Genremaler  wählen  zu  ihren  Darstellungen  vorzugs- 
weise das  Volksleben,  wobei  der  rege  Verkehr,  die  Verschiedenheit  unserer  Volks- 
stamme, Sitten  und  Trachten  gewünschten  Anlaß  geben.  Zu  denjenigen,  welche 
Vorgänge  und  Zustände  des  äußern  Lebens  schildern,  gehurt  vor  Allen  Benjamin 

*)  Hier,  wie  in  der  Folge,  sind  nur  die  bekanntern  Arbeiten  der  Künstler  angemerkt. 
»)  Am  10.  Februar  1887  gestorben. 


Kunst  —      190     —  Kunst 

Vautier,  von  Morges,  in  Düsseldorf.  Seine  Bilder  sind  meisterhaft  gezeichnet 
und  geben  Charakter  und  Seelenstimmung  in  Aasdruck  und  Haltung  der  Figuren,  in 
ernsten  wie  in  heitern  Szenen,  mit  großer  Feinheit  der  Beobachtung  und  Natur- 
wahrheit wieder  Besonders  bekannt  sind:  „Auktion  im  Schloß**,  „Leichenschmaus", 
„die  erste  Tanzstunde",  „der  Toast  auf  die  Braut**,  „Zweckessen**,  »Gang  zur 
CHviltrauung",  „ Tanzpause ",  „Besuch  der  Neuvermählten",  „der  galante  Professor" 
u.  8.  w.  Aehnliche  charakteristische  Arbeiten  liefern  die  Genfer  Simon  Durand, 
(„Zugvögel",  „Nach  der  Landwehrmusterung",  „der  Eifersüchtige"),  Ed.  Castres 
(„Schalk",  „der  kleine  Konvaleszent",  „Feuersbrunst"),  Charles  Griron  („Zwei 
Schwestern**),  Ed.  Ravel  („Karrikaturist**,  „Eis  regnet",  „ZeichnungsschuJe**), 
Albert  Dassier  („Choristen),  Barthelemy  Menn,  Frederic  Dufanx  („Blöd- 
sinniger**, „Besuch  bei  der  Wöchnerin**).  Drei  andere  in  G^nf  wohnende  Maler, 
Ferdinand  Hodlerj  Daniel  Ihli  und  Christof  Zietjler  verfolgen  einen  extremen 
Naturalismus  und  den  Kultus  des  Unschönen,  bei  lebendiger,  kraftvoller  Auf- 
fassung. 

Den  üebergang  zu  den  Darstellungen  des  äußern  Lebens  bildet  Frank 
Buchserj  von  Solothurn,  bisweilen  sehr  realistisch  und  nicht  ohne  eine  gewisse 
Härte,  aber  äußerst  wahr  und  lichtvoll  in  seinen  Arbeiten  („Fluthumfangen", 
„Mary  Blane,  virginische  Negerszene",  „Sänger  vom  Sudan",  „Häuberleben  in 
den  Volskerbergen").  Albert  Anker,  von  Ine,  in  Paris,  sich  besonders  durch 
Zeichnung  und  Empfindung  auszeichnend,  entnimmt  seine  Motive  meistens  dem 
historischen  oder  häuslichen  Genre  („Soldaten  der  Armee  Bourbaki's  von  Schweizer 
Bauern  verpflegt",  „Kappeier  Milchsuppe",  „Frau  aus  der  Pfahlbauzeit",  „Schreib- 
unterricht"). Bekannt  sind  „Pestalozzi  unter  seinen  Zöglingen",  „Hochzeit- 
aufhalten", „Pelzkappe"  u.  A.  von  Konrad  Grob,  „die  Ingenieure  im  Gebirge" 
und  „das  Fest  der  Maria  zum  Schnee  in  Zermatt"  von  Itaffael  Riiz^  in  Sitten. 
Aus  der  deutschen  Schweiz  sind  noch  anzuführen :  Eduard  Pfyifer,  von  Zürich, 
der  Aargauer  Aerni  in  Rom,  Rudolf  Durheim,  von  Bern,  Emil  Rittmeyer, 
von  St.  Gallen,  Angelo  de  Courten,  von  Siders,  in  München,  Hermann  Corrodi, 
von  Zürich,  in  Kom;  ferner  die  Waadtländer  Alfred  van  Miiyden,  in  Genf 
(„Refektorium  in  Albano",  „Schachspielende  Mönche"),  sein  Sohn  Evert  van 
Muyden,  in  Rom  („Bauemkaravane  in  den  Abruzzen"),  Eughie  Burnand,  von 
Moudon,  in  Paris  („Dorffeuerspritze" ,  „Greisenalter  Ludwig's  XIV."),  Jules 
Renevier,  in  Lausanne;  die  Neuenburger  Eugene  Girardet  („Karavane  bei 
Biskra",  „Abendgebet  in  der  Wüste"),  Jules  Girardet,  in  Versailles,  Henri 
Girardet,  in  Paris,  Alfred  Berthoud,  in  Murten  („Abendlied",  „Morgen  in 
Venedig"),  Jacot-Guilhirmod,  von  St.-Blaise,  und  die  Tessiner  iMigi  Monte- 
verde,  Michele  Carmine,  Luigi  Rossi  u.  s.  w.  Die  Militärmalerei  ist  haupt- 
sächlich vertreten  durch  Auguste  Baohelin,  in  Marin  bei  Neuenburg  („General- 
marsch in  Fahy",  „An  der  Grenze",  „Franzosen,  Preußen  und  Schweizer")  und 
durch  die  Genfer  Louis  Dunki,  John  Graff  und  Georges  Jeanniot. 

Wir  haben  mehrere,  zum  Theil  sehr  geschätzte  Portraitmaler  zu  nennen,  u.  A. 
Barzaghi'Cattaneo,  die  Genfer  Auguste  Baud-Bovy,  Frau  Marguerite  Massip, 
Gustave  de  Beaumont,  Giron  Edmond  de  Pury,  von  Neuenburg,  Gh.- F. 
Vuillermet,  in  Lausanne,  Frl.  Louise  Breslau,  geboren  in  Zürich,  aus  der  rea- 
listischen Schule  Bastien-Lepage's  in  Paris,  Frl.  Ottilie  Röderstein,  in  Zürich 
(Portrait  des  Hrn.  Bundespräsidenten  Dr.  Deucher,  Kniestück),  Karl  Brünner, 
Albert  Ho/linger,  beide  in  Basel,  Karl  Stauffer  und  Julius  Lug,  beide  von 
Bern,  Ernest  de  Landerset,  in  Freiburg  (^Miniaturen  auf  Elfenbein),  Spartaco 
Vela,   von  Ligornetto. 


Kun^t  —      191      —  Kirnst 

In  der  Ikiermalerti  ^  welche  die  Thiei'welt  nicht  nur  treu  ilarstellen, 
Kondern  ihr  Eigenwesen  charakterisireu  soll,  hat  Rudolf  Koller^  in  Zürich,  immer 
nocli  den  ersten  Hang  behauptet.  Seine  „Gotthardpost**,  „Heuernte",  „Pferde- 
Schwemme"  ,  „Mittagsruhe" ,  „Kühe  am  Fluß"  u.  s.  w.  sind  Meisterwerke. 
Ettffene  Burnand  zeichnet  sich  durch  große  Virtuosität  und  lebensvolle  Auffassung 
auch  in  diesem  Fach  aus  („Pferde  in  der  Campagna",  „Stier  in  den  Hochalpen", 
„Umzug  auf  der  Alp").  Ferner  sind  besonders  hier  anzuführen ;  F.  L,  von  Nieder- 
häusern-Köchliny  von  Yverdon,  in  Mühlhausen,  Frangois  Vnagnai,  in  Genf, 
Achilles  Weitnauer,  in  Basel,  der  Neuenburger  Charles  lscha(fgeny,  in  Brüssel 
u.  A.  m. 

Nirgends  leichter  als  beim  Landschaftsbild  läßt  sich  die  Schule  erkennen, 
aux»  welcher  die  Künstler  hervorgegangen  sind.  Die  Landschafter  der  romanischen 
Schweiz  folgen  meistens  der  französischen  Auffassung  und  Technik,  diejenigen  der 
deutjfchen  Kantone  mehr  der  Münchner  und  der  Düsseldorfer  Schule.  Der  Kea- 
lismus  heiTscht  vor,  oft  jedoch  mit  Verwendung  der  individuellen  Stimmung  und 
des  idealen  Eindruckes. 


Aus  der  Schule  Diday's  und  Alexander  Calame's  besitzen  wir  nur  noch  wenige 
Repräsentanten.  Die  Darstellung  der  Alpennatur  ist,  gewiß  mit  Unrecht,  bei  der 
jungem  Generation  aus  der  Mode  gekommen;  viele  ziehen  es  vor,  ihre  Motive 
dem  sonnigen  Süden,  den  Meeresküsten  oder  der  Tiefebene  zu  entnehmen.  Immer- 
hin weiß  noch  immer  eine  ansehnliche  Zahl  unserer  Landschafter  aus  der  Schön- 
heitsfülle  unseres  Landes  zu  schöpfen.  Zu  den  gefeiertsten  Malern  der  Hochalpen 
gehören  Joh,  Gottfried  Steffan^  von  Wädenswyl,  in  München,  Albert  Lugardon, 
Gustave  Castan.  Albert  Gos,  Loppe,  in  Genf,  Albert  de  Meuron,  Auguste  Henri 
Berihovdj  beide  in  Neuenburg,  Jost  Muheim,  von  Luzern,  Josef  Geißer,  von 
Altstätten,  in  Lausanne.  Meistens  der  übrigen  Schweiz  entnommen  sind  die 
Motive  von  Niklaus  Pfyffer,  in  Basel,  Wilhelm  Benteli,  in  Bern,  Nathanael 
Lemaitre,  Eugene  Sordet,  in  Genf,  Alfred  Chavannes ,  Fernand  Gaulis, 
in  Lausanne,  Paul  Bobinet  (aus  Frankreich),  in  Gersau,  Frangois  Füret,  Jules 
und  Leon  Gaud,  in  Genf.  Der  reizende  Genfer  See  ist  der  Liebling  Frangois 
Boeion's  in  Ouchy,  welcher  demselben  seine  wundervollsten  Töne  abzulauschen 
verateht.  Edmond  de  PalSzieux,  in  Vevey,  hat  außer  vielen  Landschaften  einen 
gewaltigen  Sturm  auf  dem  gleichen  See  dargestellt.  Die  Neuenburger  Edouard 
Jeanmaire,  in  Genf,  Oscar  Iluguenin,  von  Boudry,  Iluguenin-Lassauguette, 
von  Locle  u.  s.  w.  bleiben  treu  ihren  jurassischen  Thalern  und  Bergtriften.  Sehr 
realistische  Bilder  liefert  Gi4stave  Jeanner  et,  von  Neuen  bürg. 

Poesievolle,  der  Idylle  sich  nähernde  Landschaften  sind  einige  Arbeiten  von 
Leo-Paul  Boberi,  Theodor  Preiste erk,  in  Basel,  Robert  Zünd,  in  Luzern;  öfters 
auch  Laurene  Büdisühli,  in  Basel.  Otto  Fröhlicher,  von  Solothurn,  und  Adolf 
Stabil  von  Winterthur,  beide  in  München,  sind  MeiKter  in  der  Darstellung  bayerischer 
Hochebenen.  Arthur  Calame,  von  Genf,  und  Louis  Mennet,  von  Begnins, 
haben  in  neuerer  Zeit  vorzugsweise  Marinebilder  gemalt,  die  Genfer  Adolphe 
Polier,  Amedee  Bandit  und  Odier  Landschaften  Frankreichs,  Alfred  Schoeck,  in 
Brunnen,  norwegische  Motive,  Leon  Berthoud,  in  St-Blaise,  Auguste  und 
Gustave  de  Beaumont,  in  G^nf,  viele  italienische  Gegenden.  Auguste  Veillony 
von  Bex,  in  Genf,  dessen  schweizerische  Landschaften  wegen  ihrer  großartigen 
Auffassung  und  harmonischen  Durchführung  großen  Beifall  fanden,  hat  nun  auch 
dem  Süden,  namentlich  Egypten,  farbenreiche  Bilder  entnommen.  Auch  Eticnne 
Dtival  und  Jules  Hebert,  in  Genf,  sind  tretf liehe  Maler  des  Oviei\ls. 


Kuast  —      192     —  Kunst 

Im  Fache  des  sogenannteu  SiUllehens  ist  Xaver  Schwegler,  in  Lazem,  stet« 
unser  erster  Meister  in  Komposition,  Zeichnung,  Farbe  und  Technik.  Seine  Humpen, 
Gläser,  Metallschtisseln  u.  s.  w.  haben  ein  bewunderungswürdiges  Belief;  sein 
todtes  Wild  ist  würdig  der  besten  Holländer.  Auch  Josef  MiUey  und  Marcel 
Chollet ,  von  Freiburg,  in  Genf.  Otto  Bastian^  in  Lausanne,  zeichnen  sich 
hierin  aus. 

Die  Blumenmalerei,  in  Oel,  wird  besonders  von  Louis  Pautex,  in  Genf, 
gepflegt ;  auch  von  Frideric  Tschaggeny,  Neuenburger,  in  Brüssel,  Frl.  Emma 
Gruinand,  von  Chaux-de-Fonds,  u.  A. 

b,  Aquarelle-,  Gouache-  und  Fastellmalerei.  Die  Aquarell- 
malerei hat  in  der  Schweiz  noch  lange  nicht  die  Verbreitung  gefunden,  deren  sie 
sich  in  andern  Ländern,  wie  z.  B.  in  England  und  Frankreich  erfreut,  wo  sie 
mit  der  Oelmalerei  an  Wärme  der  Emplindnng,  Weichheit  der  Töne  und  kecker 
Ausführung  wetteifert.  An  der  Spitze  dieses  Faches  steht  noch  immer  Salomon 
Corrodij  von  Zürich,  in  Rom,  mit  seinen  italienischen  Landschaften  voll  Kraft 
des  Ausdruckes.  In  neuerer  Zeit  haben  sich  die  Genfer  und  Neuenburger  eifrig 
mit  Aquarellmalerei  beschäftigt,  so  u.  A.  die  Landschafts-  und  Genremaler 
Veillon,  Gustave  de  Beaumontj  Castres,  Ravel,  Jules  Crosnier,  Jules  Hebert, 
Aubert,  Silvesire,  B.  Bodmer,  Juvet,  Alfred  Berthoud,  Louis  Mennet;  ferner 
Theodor  Renkewitz,  in  Montreux,   Christian  Baumf/ artner  in  Bern  u.  s.  w. 

In  der  bei  unserer  Damenwelt  beliebten  Blumen-  und  Früchtemalerei 
behauptet  Frau  Therese  Hegtf-de  Landerset,  in  Nizza,  den  ersten  Rang  unter 
ihren  Kolleginnen  Darier-Guiifon,  Coquet'Collignon,  Annen,  Vouf/a,  von  Genf, 
Frl.  Rosalie  Gay,  von  Vevey,  Frl.  Marf/uerite  Gay,  in  Aigle,  den  Zürcherinnen 
Tobler-Siockar  und  Stoffel- Stacher  und  den  Bernerinnen  Frau  Ad^le  Schuppli, 
Frl.  Frieda   Voelter  u.  A. 

Im  Fache  der  Heraldik  besitzen  wir  in  Christian  Bühler,  in  Bern,  einen 
der  berühmtesten  Künstler,  dessen  stilvolle,  in  Zeichnung  und  Kolorit  unüber- 
troffene Arbeiten  weit  über  die  Grenzen  unseres  Landes  bekannt  sind.  Auch 
Adolphe  Gautier,  in  Genf,  leistet  hierin  Treffliches. 

Geschätzte  Pastell-  und  Gouachebilder  lieferten  in  neuerer  Zeit  Frl.  Erica 
Lagier  und  F.   Grosclaude,  in  Genf. 

c,  Email-,  Porzellan-  und  Fayencemalerei.  Wir  verweisen  hier 
wie  in  dem  Folgenden  auf  die  betreffenden  Artikel  dieses  Lexikons;  nur  der- 
jenigen  Künstler  wollen  wir  gedenken,  welche  in  diesen  Kunstzweigen  sich  be- 
sonders auszeichnen. 

Eine  neue  Belebung  der  Emailmalerei  in  Genf  verdanken  wir  hauptsächlich 
dem  hervorragenden  Talent  Charles  Glardons,  in  Genf,  dessen  Portraits  von 
Diday,  Vinet  und  vielen  Andern  in  Feinheit  der  Ausführung,  Modellirung  und 
Farbe  ihres  Gleichen  suchen.  Als  vorzügliche  Emailmaler  sind  auch  zu  nennen 
Edouard  Lossier,  Marc  Dufaux,  Ewjhie  Autran,  Justin  Dupont,  Arthur  Gillet, 
Frau  Panline  Grandjean,  Frl.  Jnliette  Hebert  u.  A. 

Von  den  vielen  Künstlern  und  Dilettanten,  welche  sich  mit  Porzellan-  und 
Fayenf-emnlerei  beschäftigen,  sind  durch  unsere  Ausstellungen  besonders  bekannt 
geworden:  Anker ^  Charles  Rndhardt  von  Genf,  in  Paris,  Frl.  Jane  Soldano, 
in  Genf,   Frl.  Elise   Voruz,  in  Paris,  Frl.  Lisa  Ruutz,  von  Basel. 

d,  Glasmalerei.  Die  Schweiz  erfreut  sich  seit  einigen  Jahren  eines  neuen 
Aufblühens  der  Glasmalerei.  Die  alten  Vorbilder  benutzend,  haben  es  unsere  Glas- 
maler verstanden ,  auch  die  harmonische  Wechselwirkung  der  Farbenkontraste 
gehörig  zu  verwerthen ,  und  in  Zeichnungen  stilvolle  Kompositionen    zu    liefern. 


Kunst  —      193     —  Kunst 

Die  hauptsächlichsten  Ateliers  sind  diejenigen  von  J.  Heinrich  Müller  und  Frl. 
Adele  Beck,  von  Sehatfhausen,  in  Bern,  Adolf  Kreueer  und  Wehrli  in  Zürich, 
Näfjeli  in  Bülach,  Drenkhahn  und  Meißner  in  Basel . 

;y  Bildhauerei. 

Die  Bildhauerei,  wenigstens  die  monumentale,  findet  in  der  Schweiz  nicht 
sehr  häufige  Verwendung.  Wir  besitzen  in  unserer  Mitte  wenige  Kunstmäcene,  deren 
Verhältnisse  die  Erwerbung  und  Aufstellung  größerer  Skulpturwerke  gestatten; 
auch  nuRcre  Staatsbehörden  interessiren  sich  im  Allgemeinen  wenig  für  solche 
Kunstwerke.  Desto  erfreulicher  ist  es  daher,  daß  in  neuerer  Zeit  solche  Monu- 
mente öfters  durch  Nationalsubskription  errichtet  werden  konnten:  sein  Land 
und  seine  hervorragenden  Mitbürger  zu  ehren,  ist  eine  Pflicht,  welche  wir  um 
80  freudiger  erfüllen,  da  wir  damit  auch  zur  Hebung  vaterländischer  Kunst  bei- 
tragen. So  sind  eine  Menge  Portraitbüsten  von  Schweizern,  welche  sich  in  der 
Wissenschaft,  im  Militärwesen  oder  in  der  Kunst  verdient  gemacht  haben,  gefertigt 
and  öffentlich  aufgestellt  worden;  ebenso  Nationaldenkmäler  und  Standbilder. 
Eines  der  neuesten  Monumente  dieser  Art  ist  das  Denkmal  des  Reformators 
Zwingli,  auf  dem  Platz  vor  der  Wasserkirche  in  Zürich,  dessen  auf  109,000  Fr. 
ansteigende  Kosten  durch  Graben  aus  der  Stadt  und  dem  Kanton  Zürich,  aus 
andern  Kantonen  und  von  Schweizern  im  Aaslande  gedeckt  wurden.  Nach  dem 
Modell  Heinrich  Natter' s,  in  Wien,  in  Bronze  gegossen,  hält  der  Reformator  die 
Bibel  in  der  rechten  Hand,  in  der  Linken  das  zu  Boden  gesenkte  Schwert. 

Unter  den  größeren  Arbeiten,  welche  wir  Ferdinand  Schlöth^  von  Basel, 
verdanken,  ist  sein  Winkelried -Denkmal  in  Stans  zu  nennen,  welches  den  Leichnam 
des  Sempacher  Helden  und,  über  denselben  vorgebeugt,  einen  mit  dem  Morgenstern 
kämpfenden  Jüngling  darstellt;  femer  das  St.  Jakobs- Denkmal  in  Basel,  mit  der 
Helvetia  als  Siegesgöttin  und  vier  sterbenden  Kriegern  am  Sockel.  Li  diesen 
lebensvollen  Schöpfungen  von  klassischer  Formvollendung  zeigt  sich  der  in  Rom 
and  München  ausgebildete  Meister  als  Vertreter  der  idealen  Schule.  Von  seinen 
übrigen  Werken  sind  besonders  „Jason**,  „Adam  und  Eva",  ^Psyche",  „Gany- 
med**,  Flachrelief,   „Der  Ballwerfer",  seine  Christusbüste  n.  s.  w.  bekannt. 

Eine  ähnliche  Auffassung  hat  Robert  Dorrer,  von  Baden  im  Aargau,  Schüler 
Schwanthaler's,  Rietschers  und  HähneFs.  Sein  Hauptwerk  ist  das  Nationaldenkmal 
im  englischen  Gurten  in  Genf,  dessen  bronzene  Kolossalstatuen,  Geneva  und  Hel- 
vetia, sich  umschlangen  haltend,  die  Vereinigung  der  Republik  Grenf  mit  der 
Schweiz  symbolisiren.  In  Bern  schuf  er  acht  Standbilder  berühmter  Männer  für 
die  Hanptfa^ade  des  Museumsgebäudes,  in  St.  Gallen  eine  überlebensgroße  Gruppe, 
Helvetia,  Gewerbe  und  Handel  beschützend,  für  den  Giebel  des  Verwaltungs- 
gebäudes der  Versicherungsgesellschaft  „Helvetia**  und  für  die  Fa^ade  desselben 
Gebäudes  vier  lebensgroße  Statuen,  Merkur,  Ceres,  Vulkan  und  Najade. 

Einem  von  genauester  Naturbeobachtung  belebten  Realismus  huldigt  hingegen 
VicenßO  Vela,  von  Ligometto  im  Tessin,  Schüler  Cacciatori's  und  der  römischen 
Akademie,  rühmlichst  bekannt  durch  seinen  „Spartakus**,  „Sterbender  Napoleon**, 
die  Statae  Viktor  Emanuers  im  Turiner  Rathhaus,  diejenige  Manin's,  des  Cor- 
regio,  des  «Frühlings**  u.  s.  w.  Lugano  verdankt  ihm  die  „Desolazione^  (das 
trauernde  Italien\  ein  Brunnenstandbild  Wilhelm  TelVs  und  die  Büste  Dante's. 
An  die  Zürcher  Landesausstellung  sandte  er  sein  großes  Hochrelief  „die  Opfer 
der  Arbeit**,  den  beim  Bau  des  Gotthardtunnels  Verunglückten  gewidmet. 

Charles  Iguel  von  Neuenbürg^  in  G«nf,  einer  unserer  talentvollsten  und 
fleißigsten   Bildhauer,   wurde  zuerst  durch  sein  Standbild  des  RefonüQAAx^  ^^0^ 

Farr«r,  VoIktwirtbichafts*Lexlkon  der  SchweiE,  \^ 


Kunst  —     194      —  Kunst 

in  Neuenbürg  allgemeiner  bekannt ;  später  dekorirte  er  da»  neue  Genfer  Theater 
mit  einer  Eindergruppe,  die  dramatische  Kunst  allegorisirend,  am  Hauptgiebel 
und  mit  der  Statue  der  „  Komödie  **  auf  der  Fa^adengalerie.  Iguel  war  auch 
einer  der  Hauptktinstler ,  welche  an  dem  unter  der  Leitung  des  Architekten 
Franel  auf  der  Place  des  Alpes  nach  dem  Vorbilde  der  Skaliger-Denkmäler  in 
Verona  errichteten  Grabdenkmal  des  Herzogs  Karl  von  Braunschweig  beschäftigt 
waren.  Er  modellirte  in  Marmor  die  liegende  Statue  des  Herzogs  und  den  mit 
acht  historischen  FlachrelieÜB  geschmückten,  yon  vier  Engeln  umgebenen  Sarko- 
phag, welcher  yon  einem  auf  Säulen  ruhenden,  Ca^n's  Reiterstandbild  des  Herzogs 
tragenden  Baldachin  überragt  ist.  Die  Giebel  des  Grebäudes  der  Zürcher  Ejredit- 
anstalt  sind  mit  IgueFs  Überlebensgroßen,  allegorischen  Statuengruppen,  in  Sand- 
stein, geziert,  die  Nischen  des  Neuenbnrger  Gymnasiumgebäudes  mit  seinen 
Büsten  und  Statuen  berühmter  Neuenbnrger.  Neben  dem  Eingange  des  Regierungs- 
gebäudes in  Freiburg  befinden  sich  zwei  große,  historische,  bronzene  Flachreliefs 
IgnePs:  „Nikiaus  von  der  Flüh  in  der  Stanser  Tagsatzung **  und  die  „Schlacht 
bei  Murten**.  Vom  gleichen  Künstler  wurde  die  Fa^ade  der  Basler  Kunsthalle 
mit  marmornen  Flachreliefe  dekorirt ;  seine  Portraitbüste  Houdon^s  ist  im  Museum 
von  Versailles,  seine  bronzene  Büste  Alexander  Calame's,  auf  marmornem  Piedestal, 
im  englischen  Garten  in  Genf.  Außerdem  verdanken  wir  ihm  eine  Menge  treff- 
licher Portraitbüsten. 

Ein  anderer  Neuenbnrger,  Äntoine  Custor,  öfters  in  Rom  mit  Preisen  be- 
dacht, lieferte  die  Statuen  der  zwölf  Apostel  am  Braunschweig-Denkmal ;  auch 
einige  Gruppen  des  Giebels  des  Grenfer  Theaters  u.  s.  w. 

Fritz  Landry^  ebenfalls  von  Neuenburg,  zeichnet  sich  hauptsächlich  durch 
Medaillonportraits  aus. 

Einer  unserer  jungem  Bildhauer,  Alfred  Latus  von  Rohrbach  im  Kanton 
Bern,  hat  sich  durch  seine  Reiterstatue  des  Generals  Dufour  als  vorzüglicher 
Künstler  bewährt.  Bei  zwei  Preisbewerbungen  erlangte  er  den  ersten  Preis  und 
infolge  dessen  die  Ausführung  des  durch  Nationalsubskription  errichteten  Denk- 
mals. Dasselbe  steht  auf  der  Place  neuve  in  Genf  und  ist  eine  der  schönsten 
Zierden  der  Stadt.  Auf  Granitsockel  und  marmornem  Piedestal  erhebt  sich  die 
bronzene  Reiterstatue  des  Siegers  des  Sonderbundfeldznges ,  in  der  Uniform  des 
Jahres  1847,  mit  der  Rechten  das  Zeichen  zum  Abbrechen  des  Bruderkampfes 
gebend.  Ansdruck  und  Haltung,  auch  des  Pferdes,  sind  sehr  gelnngen.  Die  Kosten 
des  Denkmals  beliefen  sich  auf  126,000  Fr.  Der  nämliche  Künstler  fertigte  viele 
treffliche  Portraitbüsten,  u.  A.  diejenige  des  Bundespräsidenten  und  Bankdirektors 
Jakob  Stämpfli,  in  Bronze,  auf  der  großen  Schanze  in  Bern. 

Viktor  von  Meyenburg,  ein  in  Dresden  lebender  Schaffhauser,  hat  mehrere 
größere  Arbeiten  geliefert,  u.  A.  das  in  der  Platzpromenade  der  Stadt  Zürich 
aufgestellte  Standbild  des  Zürcher  Minnesängers  Hans  Hadloub. 

Zwei  Statuen  des  Denkmals  des  Herzogs  von  Braunschweig  in  Genf,  die- 
jenigen der  Herzoge  Karl  Wilhelm  Ferdinand  und  Friedrich  Wilhelm  von  Braun- 
schweig, wurden  von  Richard  Kißling,  von  Solothurn,  modellirt;  ebenso  die 
Statue  ^Zeitgeist**,  ein  in  naturalistischer  Weise  dargestellter,  auf  flügelbe- 
schwingtem Eisenbahnrad  vorwärtseilender  Jüngling,  eine  „Quellennymphe**, 
„Freya",  Portraitbüsten  u.  s.  w. 

Charles  Taepffery  in  Genf,  ist  durch  viele  Skulpturen,  meistens  Büsten  und 
Reliefs,  als  genialer  Künstler  bekannt.  Die  in  Genf  in  einem  öffentlichen  Gtirten 
errichtete  bronzene  Portraitbüste  seines  Vaters,  des  beliebten  Schriftstellers  und 
Künstlers  Rodolphe  TcBpffer,    befriedigt   sehr   durch  Aehnlichkeit  und  Ausdruck. 


Kunst  —      195     —  Kunst 

Außer  mehreren  Genrewerken  (^Mulattin*,  ^ Zigeunerin"  u.  s.  w.)  fertigte  er 
auch  achtzehn  Medaillons  für  das  Braunschweig-Denkmal. 

Im  englischen  Garten  in  Genf  wurde  gegenüber  der  Büste  Calame's  diejenige 
von  Fran^ois  Diday,  nach  dem  Modell  Hugues  Bovj^'s  in  Bronze  gegossen,  auf- 
gestellt; dem  gleichen  Künstler  verdanken  wir  viele  andere  treffliche  Portrait- 
büsten. 

Von  den  übrigen  Genfer  Bildhauern  und  solchen,  welche  Genf  bewohnen, 
zeichnen  sich  besonders  aus  Charles  Menn,  E,  Leysalle,  FrSdiric  Dufaux, 
Salmsan  („Gramwinderin'*,  die  Gruppe  des  Denkmals  von  H.  B.  de  Saussure)  u.  s.  w. 

Aus  den  Ateliers  von  Doret-de  la  Harpe  in  Vevey  sind  viele  schöne  Ar- 
beiten hervorgegangen,  z.  B.  das  Denkmal  des  Reformators  Yiret  in  Orbe. 

Die  Tessiner  Bildhauer  liefern  meistens  realistische,  zierliche  G^nrestatuetten, 
Büsten  u.  dgl.  Die  bekanntesten  sind  Pietro  Bernasconi,  Baimondo  Pereda, 
C.  Pandianij  Cesare  Berra. 

Auch  die  deutsche  Schweiz  besitzt  treffliche  Bildhauer,  u.  A.  Ludwig  Keiser 
von  Zug,  in  Zürich  (zwei  Statuengruppen  am  Giebel  des  Gebäudes  der  Zürcher 
ELreditanstalt) ;  Frane  Sales  Amlehn  in  Sursee  (Eolossalstatue  der  Helvetia  über 
dem  Leichnam  Winkelried^s,  für  das  Sempacher  Schlachtjubiläum);  Urs  Ef/gen- 
achtoyler  in  Zürich;  Baptist  Hmrbst  in  Zürich;  Buf  in  Basel;  C.  Bührer  in 
Schaff  hausen;  Ä,  Bosch  in  St.  GuUen;  Karl  Weber  in  Bern;  Eduard  Müller 
in  Lozem. 

Der  Anfertigung  größerer,  stilvoller  Grabmonumente  widmen  sich  Louis 
Wethli  in  Zürich,  Laurenii  in  Bern,  Ghaudet  in  Ciarens  u.  A. 

Die  Modellirung  von  geographischen  Reliefs  der  Schweiz  ist  ein  nicht  zu 
übersehender  Kunstzweig.  Besonders  bekannt  sind  die  Arbeiten  von  Xaver  Im- 
feld  in  Brieg,  Beck  und  Bingier  in  Bern,  Bieirix  in  St.  Immer,  Bürgin  d:  Sohn 
in  Allschwyl  und  Becker  in  Linththal. 

3)  Stempelschneidekunst. 

Bei  Nationalfesten,  Jubiläumsfeiern  und  zu  Ehren  verdienstvoller  Mitbürger 
werden  öfters  Denkmünzen  gefertigt.  Doch  ist  die  Zahl  unserer  Medailleurs  nicht 
groß.  Die  Stelle  des  verstorbenen  berühmten  Antoine  Bovy  hat  sein  Neffe 
Hugues  Bovy  in  Genf  eingenommen,  welchem  wir  bereits  eine  Menge  mit  großer 
Yollkommenheit  ausgeführte  Medaillen  verdanken.  Charles  Bichardy  Bovy-G-uggis- 
berg,  Petel,  Bonnet  und  andere  Genfer  leisten  ebenfalls  Tüchtiges  in  diesem 
Fach;  ebenso  Fritz  Landry  in  Neuenburg  und  Edouard  Durussel  in  Bern. 

4)  Graphische  Künste. 

a.  Stich-  und  Radirkunst.  Die  Zahl  unserer  Kupferstecher  von  Ruf 
hat  sich  in  letzter  Zeit  durch  den  Tod  mehrerer  der  ausgezeichnetsten  Künstler 
sehr  gelichtet.  Von  den  altern  Kupferstechern  von  Ruf  bleibt  uns  noch  Johann 
Bürgert  ans  dem  Kanton  Aargau,  in  München,  einer  der  ausgezeichnetsten  Stecher 
unserer  Zeit,  ebenso  geschickt  im  Kartonstich  wie  in  der  Linienmanier.  Berühmt 
ist  sein  Stich  nach  Genelli's  ^Raub  der  Europa*",  seine  „Madonna  della  Sedia*" 
nach  BaffaSl,   „Aurora"  nach  Guido  Reni,   „Violanta"  nach  Palma  Yecchio  u.  s.  w. 

Paul  G^rardet  in  Versailles,  Bobert  Girardet  in  Bern  liefern  ebenfalls 
treffliche  Stiche  und  Radirungen;  ebenso  Bobert  Leemann  in  Zürich,  Alexis 
Ford  von  Morges,  in  Paris,  Eughne  Burnandj  Emile  Artus ^  Bodolphe  Piguet, 
Horace  de  Saussure ,  Jules  Jequier,  Frl.  Pauline  de  Beaumont  in  Genf, 
A,  Antofiy,  Edouard  Jeanmaire,  Gustav  Vollenweider  und  Karl  Stauffer  von 
Bern  u«  A.  m. 


Kunst  —      196      —  Kunst 

Im  geographiBchen  Kartenstich  leistet  die  Schweiz  ganz  Vorzügliches.  Das 
eidgenössische  topographische  Bureau  setzt  die  Arbeiten  des  Generals  Dufour 
und  Obersten  Siegfried  fort.  TrefiTliches  liefern  die  Ateliers  von  F.  Müllhaupt 
dt  Sohn  in  Bern,  Wurster-Randegger  &  Cie,  in  Winterthur,  Keller  in  Zürich , 
Leueinger  in  Glarus. 

6.  Holzschnitt.  Wenn  auch  der  Holzschnitt  bei  uns  in  Beziehung  auf 
künstlerische  Technik  noch  nicht  die  hohe  Ausbildung  erlangt  hat,  deren  er  fähig 
ist,  so  hat  derselbe  doch  in  neuerer  Zeit  wesentliche  Fortschritte  gemacht. 
Namentlich  Theophil  Meister  in  Bern  und  Alfred  Niederer  von  Zürich  liefern 
sehr  gelungene  Arbeiten. 

c.  Photographie,  Heliogravüre,  Lichtdruck  u.  dgl.  Auf  die 
betreffenden  Artikel  dieses  Lexikons  verweisend,  führen  wir  hier  nur  an,  daß 
aus  dem  Atelier  von  Grell  Filßli  &  Comp,  in  Zürich  bereits  viele  schöne  Blätter 
hervorgegangen  sind;  ebenso  aus  demjenigen  von  Max  Girardet  in  Bern,  u.  A. 
gegenwärtig  die  unter  dem  Titel  Les  beaux  arts  en  Suisse  wöchentlich  er- 
scheinende Sammlung  von  Nachbildungen  schweizerischer  Kunstwerke. 

m.  Kunstmuseen  und  Sammlungen. 

Nicht  wenig  tragen,  abgesehen  von  Frivatsammlungen,  unsere  dem  Publikum 
leicht  zugänglichen  Kunstmuseen  zur  Förderung  des  Kunstsinnes  bei ;  selbst  kleinere 
Städte  haben  sich,  meistens  aus  archäologischen  und  numismatischen  Fundstücken 
ihrer  Umgegend,  Sammlungen  angelegt.  Wir  werden  hier  auch  diejenigen  an- 
führen, welche  kunstgewerbliche  Gegenstände  enthalten. 

1)  Eidgenössische  Kunstsammlungen.  Die  Errichtung  eines  schwei- 
gerischen Naiionalmuseums  wird,  wie  bereits  oben  erwähnt,  lebhaft  gewünscht. 
Neben  unsem  nicht  zu  vernachlässigenden  Lokalmuseen  ist  ein  Centralmuseum  in 
hohem  Grade  nothwendig,  um  alte  und  neue  Kunstwerke,  welche  ein  allgemeines 
nationales  Literesse  darbieten  oder  deren  Erwerbung  die  finanziellen  Mittel  der 
Kunstvereine  nicht  erlauben,  der  Nachwelt  zu  erhalten. 

Die  Eidgenossenschaft  besitzt  gegenwärtig  vier  ansehnliche  Sammlungen. 
Die  archäologische  Sammlung  des  eidgenössischen  Polytechnikums  in  Zürich 
verdankt  ihre  Entstehung  im  Jahre  1852  dem  Ertrag  von  öffentlichen  Vor- 
lesungen der  Dozenten  der  Zürcher  Hochschule.  Dazu  kamen  seither  jährliche 
Beiträge  der  Kantonsregiemng  und  des  schweizerischen  Schulrathes  des  Poly- 
technikums. Die  Sammlung  besteht  aus  über  400  Gypsabgüssen  nach  Antiken 
und  58  antiken  Vasen. 

Sehr  bedeutend  ist  die  eidgenössische  Kupferstichsammlung  des  gleichen 
Polytechnikums.  Von  Prof.  Dr.  G.  Kinkel  sen.  gegründet,  ist  dieselbe  im  Jahr 
1870  aus  dem  Kupferstichkabinet  des  Malers  Bühlmann  hervorgegangen,  unter- 
stützt vom  Stadtrath  von  Zürich,  von  der  dortigen  Hochschule  und  von  Privat- 
personen, namentlich  auch  durch  die  ihr  geschenkten  Sammlungen  der  Herren 
Adrian  Ziegler  und  alt  Stadtrath  Landolt  bereichert,  ist  dieselbe  nun  auf  29,132 
Kunstblätter  und  747  Kupferwerke  und  Handbücher  angewachsen;  sie  umfaßt 
alle  Perioden  seit  der  Erfindung  des  Holz-  und  Kupferstiches,  darunter  eine 
Menge  höchst  seltener,  ausländischer  und  schweizerischer  Blätter. 

Das  eidgenössische  Müne-  und  Medaillenhabinet  im  Bundesrathhaus  in 
Bern  zählt  gegenwärtig  9598  Stücke,  darunter  seltene  Medaillen  und  Münzen, 
welche  ihr  durch  Ankauf  oder  Schenkung  zugekommen  sind.  Im  Jahr  1886  kam 
u.  A.  die  von  den  Erben  des  Hm.  Fürsprechers  und  eidg.  Generalstaatsanwaltes 


Kunst  —      197     -1-  Kunst 

Jakob  A.miet  in  Solothurn  angekaufte,    sehr  vollständige  Sammlung   griechischer 
und  römischer  Miinzen  hinzu. 

Ebenfalls  im  Bundesrathhaus  ist  die  vom  Bund  von  Hrn.  Dr.  V.  Groß  an- 
gekaufte Sammlunff  von  Pfahlbaiialterthümern  aufgestellt,  eine  der  reichsten 
und  schönsten  ihrer  Art  in  Europa. 

2)  Lokale  Kunstsammlungen.  Die  Regierung  und  der  Kunstverein 
von  Aarau  besitzen  eine  hübsche  Zahl  neuerer  Gemälde  und  werthvoUe  Samm- 
lungen von  Stichen  Amsler's,  Radirungen  Chodowiecki's ;  auch  befindet  sich  dort 
ein  Antiquarium^  mit  egyptischen  Alterthiimern,  Pfahlbaugegenständen,  und  eine 
reichhaltige  Münesammlu wr/ . 

Die  kunstsinnige  Stadt  Basel  ist  reich  an  Sammlungen.  Die  öffentliche 
Kunst sammluncf  im  Museum  entstand  aus  dem  im  Jahr  lÖUl  von  der  Stadt 
angekauften  G^mäldekabinet  des  Bonifacius  Amerbach,  des  Zeitgenossen  Holbein^s, 
und  dessen  Sohnes  Basilius  Amerbach,  anderseits  durch  Vergabung  der  Sammlung 
des  Dr.  Remigius  Fäsch.  Seither  vermehrte  sie  sich  durch  die  Mitwirkung  ver- 
schiedener A'ereine,  durch  Geschenke  und  Vermächtnisse,  namentlich  von  Frl. 
Emilie  Linder  und  Maler  Samuel  Birmann.  Die  Sammlung,  gegenwärtig  nahezu 
800  Nummern,  worunter  einige  Skulpturen  u.  dgl.,  bei  450  Oelgemälde  und 
♦^00  Handzeiohnungen,  Aquarelle  u.  s.  w.,  ist  besonders  berlihmt  wegen  ihren 
vielen  Bildern  und  Handzeichnungen  von  Hans  Jlolbein,  A^ater  und  Sohn,  von 
Nikiaus  Manuel^  Hans  Baldunff,  Dürer  u.  A.  m.  Auch  die  besten  neuern 
Maler,  besonders  der  Schweiz,  sind  durch  vorzügliche  Arbeiten  vertreten.  — 
Die  Kupferstichsammhuif/  im  Basler  Museum  enthält  den  Kern  der  ältesten, 
bekannten  Kupferstichsammlungen,  diejenigen  der  beiden  Amerbach.  Sie  ist  eine 
der  bedeutendsten  der  Schweiz  und  wetteifert  in  Alt-Italienern  und  ältesten 
Deutschen  mit  den  ersten  Kabineten  des  Auslandes.  —  Die  der  Basler  Universität 
gehörende  antiquarische  Sammlunrf  hatte  den  gleichen  Ursprung  wie  die  Kunst- 
sammlung. Sie  ist  auf  über  1 100  Nummern  angewachsen,  vorzüglich  Gipsabgüsse 
nach  Antiken,  antike  Skulpturen  (Kopf  des  Apollo  und  des  Herakles,  beide  in 
Rom  aufgefunden;  Hermes  mit  dem  Dionysosknaben,  von  Praxiteles,  aus  Olympia), 
Vasen  u.  dgl.,  der  Kirchenschatz  des  Basler  Münsters,  Waffen,  Schmuckgerät  he 
u.  8.  w.  Das  mit  dem  Antiquarium  verbundene  Münz-  und  Medaille nkab inet 
enthält  über  17,000  Stücke,  zum  Theil  griechischen  und  römischen  Ursprungs. 
—  Die  Sammhinr/  des  Basler  Kunst  Vereins  y  in  der  Kunsthalle  daselbst,  wurde 
vor  wenigen  Jahren  gegründet;  gegenwärtig  besteht  sie  aus  26  Oelgemälden, 
meistens  neuerer  Schweizer  Künstler,  6  Aquarellen  und  bei  400  zum  Theil  sehr 
werthvoUen  Blättern  der  Kunst lerbüch er  des  Vereins.  —  Die  Basler  Stadtbibliothek 
besitzt  über  18,000  Bildnisse  historisch  bekannter  Personen  der  Schweiz  und 
des  Auslandes  alter  und  neuer  Zeit,  in  Holzschnitten,  Stichen,  Lithographien 
und  Handzeichnungen.  —  Im  Jahre  1856  gründete  Prof.  Wilhelm  Wackernagel 
die  größtentheils  dem  Staat  gehörende  mittelalterliche  Sammlumj  in  den  Neben- 
gebäuden des  Münsters.  Dieselbe  ist  eine  der  bedeutendsten  der  Schweiz  und 
des  Auslandes;  sie  verdankt  ihre  Ausdehnung  der  Freigebigkeit  ihrer  Gönner, 
Jahresbeiträgen  der  Regierung,  von  Vereinen  u.  s.  w.  Hauptsächlich  besteht  sie 
aus  Erzeugnissen  des  Basler  Kunsthandwerkes  des  Mittelalters  bis  zur  Grenze 
des  achtzehnten  Jahrhunderts  (Möbel,  Truhen,  Zimmervertäferungen,  Teppiche, 
Glasgemälde ,  Schmucksachen ,  Holz-  und  Elfenbeinskulpturen ,  Waffen ,  Stadt- 
alterthümer,  Bruchstücke  des  Basler  Todtentanzes,  Schmiedarbeiten,  Siegelabdrücke, 
«Standbilder,  Reliefs,  gemalte  Kachelofen  n.  s.  w). 


Kunst  —     198     —  Kunst 

Aach  der  Kanton  Baselland  besitzt  eine  Münzsammlum/  in  Liestai,  be- 
sonders römischen  Ursprungs. 

Das  Kunstmuseum  in  Bern  enthält  die  Kunstsammlungen  des  Staates,  der 
Künstlergesellschaft,  des  Kantonalkunstvereins  nebst  einigen  den  städtischen  Be- 
hörden  und  dem  Kunstmuseum  selbst  gehörenden  Kunstgegenständen.  Im  Jahre 
1808  wurden  die  ersten  Kunstwerke  in  Verbindung  mit  der  drei  Jahre  früher 
gestifteten  Kunstakademie  gebracht.  Später  erweiterte  sich  die  Sammlung  durch. 
Ankäufe  von  Seiten  der  Künstlergesellschaft ;  Anfangs  der  dreißiger  Jahre  wurde 
sie  mit  derjenigen  der  Regierung,  später  mit  Gemälden  älterer  Schulen  des  Hm» 
Theodor  von  Hallwyl  und  andern  angekauften  Gemälden  vermehrt.  Früher  waren 
diese  Sammlungen  an  verschiedenen  Orten  untergebracht,  bis  sie  am  9.  August 
1879  in  das  neu  erbaute  Kunstmuseum  einziehen  konnten,  welches  die  Stadt 
Bern  dem  großartigen  Vermächtniß  des  Hrn.  Architekten  Gottlieb  Hebler,  der 
Beihülfe  des  Staates,  der  Burgergemeinde  der  Stadt  Bern,  sowie  den  von  dem 
Kantonalkunst  verein  und  der  Künstlergesellschaft  gesammelten  Geldern  verdankt. 
Die  Malerei  ist  durch  beiläufig  220  Oelbilder,  meistens  Arbeiten  von  neuern 
Schweizer  Künstlern,  30  Aquarelle  u.  s.  w.  vertreten,  die  Bildhauerei  durch 
140  Statuen,  Relie's,  Büsten,  meistens  Gipsabgüsse,  2800  Blätter  Handzeichnungen, 
Photographien,  Holzschnitte,  Stiche,  Glasgemälde  und  mehrere  Künstleralbnm. 
—  Die  Bibliothek  der  Stadt  Bern  besitzt  eine  beträchtliche  Münz-,  Medaillen- 
und  Sief/elsammlunf/,  meistens  antike  Stücke ;  ferner  eine  archäologische  Samm- 
lung, hauptsächlich  von  Pfahlbau-  und  keltischen  Artefakten.  —  Das  historische 
Museum  entstand  als  einheitliches  Ganzes  im  Jahre  1882 ;  es  umfaßt  die  Bur- 
gunderteppiche und  Kirchenparamente,  welche  meistens  Eigenthum  der  Einwohner- 
gemeinde Bern  sind,  die  sog.  Zeughaassammlung  im  Besitz  des  Staates,  eine  der 
Burgergemeinde  Bern  gehörende  Sammlung  und  depotweise  anvertraute  Gegen- 
stände. Mittelst  einer  Summe  von  50,000  Fr.,  welche  durch  Subskription  von 
Privaten  zusammengelegt  worden,  konnte  ein  ansehnlicher  Theii  der  Bürki^schen 
Sammlung  erworben  werden,  und  seither  sind  noch  viele  Geschenke  hinzugekommen» 
Die  bei  1000  Nummern  zählende  Sammlung  enthält  außer  den  genannten  Anti- 
quitäten alte  Oelmalereien,  Aquarelle,  Zeichnungen,  Becher,  Zierrathen,  Glas- 
gemälde,  Siegel,  schweizerische  Münzen,  Hausgeräthe  u.  dgl. 

Hr.  Oberst  Fritz  Schwab  schenkte  der  Einwohnergemeinde  Biel  seine  PfahU 
bansammlung  and  vergabte  zur  Erbauung  des  nach  ihm  benannten  Museum 
Schwab  60,000  Fr.  In  demselben  beünden  sich  seit  dem  Jahre  1872  bei  20 
Gemälde  älterer  und  neuerer  KUnstler,  die  Stadtbibliothek,  die  antiquarischen 
und  naturhistorischen  Sammlungen. 

Das  Bhätische  Museum  in  Chur  enthält  vorzugsweise  Antiquitäten  (bei 
3500  Stücke)  von  lokalem  Interesse;  es  gehört  dem  Kanton  Graabünden  und 
der  Stadt  Chur  und  wurde  im  Jahre  1871  gegründet. 

Im  Jahre  1823  aus  dem  Geschenk  der  naturhistorischen  Sammlung  de» 
Herrn  Chanoine  Fontaine  hervorgegangen  und  seither  durch  Geschenke  des  Staates, 
von  Korporationen  und  Privatpersonen  vermehrt,  umfaßt  das  Kantonalmuseum 
in  Freiburg,  außer  der  naturhistorischen  Abtheilung,  bei  2000  Gegenstände, 
meistens  Pfahlbaufundstücke,  Waffen,  Rüstungen,  Alterthümer  und  ethnographische 
Gegenstände.  Die  Kunstsammlung  besteht  aus  beiläufig  350  Gemälden,  besonders 
aus  altdeutschen,  italienischen  und  holländischen  Schulen,  zum  Theil  auch  neuerer 
Künstler,  aus  Aquarellen,  Zeichnungen,  Stichen,  Skulpturen,  70  Glasgemäiden, 
Münzen,  Medaillen  u.  s.  w.  Frau  Herzogin  Colonna  de  Castiglione,  von  Freiburg, 
genannt   mit   ihrem  Künstlernamen  Marcello,   hat   ihrem  Heimatkanton   bei    90 


Kunst  —      199     —  Kunst 

Kunstwerke,  meistens  Abgüsse  ihrer  vielen,  im  Auslände  befindlichen  Skulptur- 
werke, nebst  einer  für  fernere  Reproduktionen  bestimmten  Geldsumme  vermacht; 
außerdem  sehr  werthvoUe  Bilder,  Bkizzen  und  Zeichnungen  von  Hubert,  Fortuny. 
Boulanger,  Courbet  u.  A.  Diese  Eunstschätze  bilden  eine  besondere  Abtheilung 
des  Museums,  das  Musee  Marcello. 

Die  Sammlung  der  Kantonsbibliothek  in  Frauenfeld  besteht  hauptsächlich 
aus  römischen  Antiquitäten. 

Die  Künstlergesellschaft  von  St,  Gallen  besitzt  eine  werthvoUe  Kupferstich- 
Sammlung,  welche  im  Jahre  1872  von  den  Erben  des  Herrn  Nationalrath  von 
Gronzenbach  geschenkt  und  durch  viele  Vergabungen  auf  beiläufig  7800  Blätter 
nebst  Photographien  u.  s.  w.  und  Kupfer  werken  angewachsen  ist.  —  Die  Gemälde- 
sammlung im  neuerbauten  Museum  in  St.  Gallen  zählt  gegenwärtig  135  Gemälde, 
meistens  von  Künstlern  St.  Gallens  und  der  Ostschweiz,  viele  Aquarelle,  Hand- 
zeichnungen und  bei  40  Skulpturen. 

Das  dem  Staate  gehörende  MusSe  Bath  in  Genf  verdankt  seine  Entstehung 
größtentheils  den  Schwestern  Jeanne-Frangoise  und  Henriette  Rath,  weiche  zu 
der  Erbauung  des  monumentalen  Gebäudes  aus  ihrem  und  ihres  verstorbenen 
Bruders,  des  russischen  Generals  Rath,  Vermögen  80,000  Fr.  bestimmten.  Es 
wurde  im  Jahre  1826  eröffnet  und  umfaßt  gegenwärtig  bei  300  Oelgemälde, 
80  Aquarelle,  Emailmalereien  und  Miniaturen.  Nebst  alten  Italienern  und 
Holländern  enthält  die  Sammlung  hauptsächlich  Meisterwerke  der  neuern  Zeit, 
namentlich  unserer  hervorragendsten  Schweizer  Künstler.  Im  Saal  Liotard  sind 
die  alten  Gemälde,  im  Saal  Calame  diejenigen  neuerer  verstorbener  Maler,  im 
Saal  Diday  die  Werke  lebender  Künstler  aufgestellt.  Die  beiläufig  150  Skulptur- 
werke befinden  sich  zum  Theil  in  der  Vorhalle.  Da  die  Räumlichkeiten  nicht 
mehr  hinreichen,  so  wird  an  die  Erbauung  eines  neuen  Museums  gedacht.  — 
Eine  Sammlung  von  Portraits  und  Büsten  berühmter  Genfer  befindet  sich  in 
der  öffentlichen  Bibliothek  der  Stadt  Genf;  eine  ähnliche  im  Ath^nee  der  Soci6t^ 
des  Arts.  —  Das  Münz-  und  Medaillenkabinet  der  Stadt  Genf,  Anfangs  dieses 
Jahrhunderts  entstanden  (bei  30,000  Stücke),  ist  wohl  das  reichhaltigste  der 
Schweiz.  —  Außer  einer  archäologischen  und  einer  historischen  Sammlung 
befinden  sich  in  G«nf  noch  zwei  bedeutende  Museen.  Hr.  Walter  Fol  vergabte 
der  Stadt  bei  4700  römische,  griechische  und  etruskische  Alterthümer,  nebst 
solchen  aus  der  Zeit  des  Mittelalters  und  der  Renaissance,  welche  seit  dem 
Jahre  1872  unter  dem  Namen  Musee  Fol  dem  Publikum  offen  stehen.  —  In 
Yarembe  bei  Genf  hat  Herr  Gustave  Revilliod  das  Musie  Ariana  erbaut,  in 
welchem  er  seine  Prachtsammlnng  aufbewahrt.  Sie  besteht  aus  altem  und  neuern 
Meisterwerken  der  Oelmalerei,  Pastells,  Stichen,  Glasmalereien,  Skulpturen,  Me- 
daillen, etruskischen,  orientalischen,  japanischen  Terracotten  und  Porzellanwaaren, 
Metallarbeiten,  Waffen  u.  s.  w.  —  In  dem  im  Jahre  1885  von  der  Stadt  G^nf 
gegründeten  Gewerbemuseum  ist  die  von  Hrn.  Burillon  angekaufte  Sammlung 
von  80,000  Kupferstichen  untergebracht. 

Der  Kunstverein  von  Glarus  hat  oich  seit  dem  Jahre  1871  eine  hübsche 
Sammlung  von  bis  jetzt  15  Oelbildem  neuerer  Schweizer  Maler,  6  Skulpturen, 
Aquarellen,  Stichen  und  Radirungen  angelegt. 

Der  Kanton  Waadt  hat  sein  Kantonal-Kunstmuseum  (Mus^e  Arlaud)  in 
Lausanne.  Es  enthält  außer  Gipsabgüssen  eine  schöne  Zahl  von  Gemälden  von 
GUjfre  und  andern  hervorragenden  Künstlern,  hauptsächlich  Waadtländeru  und 
Grenfem. 

Im  Rathhaus   in  Lnzern    befindet   sich   außer   einer  Portraitsamiulung    der 


Kunst  —      200     —  Kunst 

Luzerner  Schultheißen  und  höchst  werthvollen,  alten  Glasgemälden  das  im  Jahr 
1872  gegründete  historische  und  kunstgew erbliche  Museum  mit  dem  Antiquarium 
des  fünfortigen  historischen  Vereins  (Gräberfunde,  Pfahlbaugegenstände  u.  s.  w.), 
einer  bedeutenden  Waffensammlung,  Reliquien  u.  A.  m.  —  Luzern  besitzt  femer 
ein  Münz-  und  Medaillenkabinet  in  der  Bürgerbibliothek,  besonders  reich  an 
Arbeiten  der  alten  Luzerner  Medailleurs. 

Im  Jahre  1872  wurde  in  Neuenburg  eine  der  werth vollsten  Gemäldegalerien 
der  Schweiz  durch  die  von  Maximilien  de  Meuron  gegründete  Soci^te  des  Amis 
des  Arts  gebildet.  Ankäufe  und  Schenkungen  haben  sie  auf  über  200  Oelbilder 
und  bei  250  Aquarelle,  Sepias  und  Zeichnungen  vermehrt.  Alle  Koryphäen  der 
Neuenburger  Kunst,  die  besten  übrigen  Maler  der  romanischen  Schweiz  sind 
durch  Original  werke  vertreten.  Im  Jahre  1884  konnte  die  Sammlung  das  neue, 
monumentale  Museum  der  Stadt  Neuenburtf  beziehen,  welches  theilweise  auf 
Kosten  der  Gemeinde,  theils  aus  freiwilligen  Beiträgen  erbaut  wurde.  Das  Erd- 
geschoß enthält  die  erst  in  neuerer  Zeit  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
kantonalen  Entwicklung  angelegten,  ethnographischen  und  historischen  Sammlungen 
von  Fayencen,  Metallarbeiten,  historischen  Portraits,  Skulpturen,  Medaillen,  Münzen, 
Glasgemälden,   Email  maiereien  u.  s.  w. 

Auch  ChauX'de- Fonds y  Boudrt/^  Cofombler  und  andere  Ortschaften  des 
Kantons  Neuenburg  haben  Sammlungen  von  Pfahlbaufundstücken,  Waffen,  Kupfer- 
stichen u.  s.  w. 

Obwohl  ausländischen  Ursprungs,  ist  hier  das  vom  Grafen  ß.  Plater  im 
Jahre  1871  gegründete  Polnische  Nationalmuseum  in  Rapperstof/l  mit  seinen 
alten  Gemälden,  Portraits,  Medaillen,  Münzen,  Kameen  zu  erwähnen. 

Schaffhausen  besitzt  seit  dem  Jahr  1848  im  Imthurneum  eine  Sammlung 
von  37  meistens  neueren  Oelgemälden  und  Gartens,  112  Handzeichnungen  und 
Aquarellen,  67  Kupferwerken,  3  Skulpturen  in  Marmor,  148  Gipsabgüssen, 
Modelle!',  Skizzen,   1281  Kupferstichen  u.   dgl. 

Im  Rittersaal  der  Burg  Valeria  in  Sitten  wurde  im  Jahre  1883  das  Walliser 
Kantonalmuseum  eröffnet,  eine  zwar  noch  kleine,  liistorische  Sammlung,  welche 
jedoch  bereits  seltene  Prachtstücke  von  alten  Kirchengeräthen,  Waffen,  Glas- 
gemälden, keltische  und  römische  Fundstücke,  meistens  Geschenke  oder  durch 
Ankäufe  erworben,  enthält.  —  Bemerkenswerth  ist  auch  die  Galerie  von  Bild- 
nissen  der   Walliser  Bischöfe  im  bischöflichen   Palast  in  Sitten. 

Die  im  Jahre  1850  vom  Solothurner  Kunstverein  gegründete  und  1879  der 
dortigen  Einwohnergemeinde  abgetretene  Solothurner  Kunstsammlung^  welche 
provisorisch  im  städtischen  Gemeindehaus  untergebracht  ist,  umfaßt  Gemälde  und 
Zeichnungen  neuerer,  namentlich  Solothurner  Maler;  ferner  nebst  andern  alten 
Meisterwerken  die  berühmte  Madonna  „von  Solothurn",  ein  Werk  Hans  Holbein's 
des  Jüngern.  —  Auch  die  Solothurner  historisch-antiquarische  Sammlung  enthält 
werthvolle  Kunstwerke. 

Eine  bedeutende  Sammlung  besitzt  der  Kunstverein  in  Winterthur :  70  Skulp- 
turen, 224  Gemälde,  bei  6700  Aquarelle,  Zeichnungen  u.  s.  w.,  vorwiegend  von 
Winterthurern,  bei  30  Glasmalereien.  Ihr  Kupferstichkabinet  zählt  3900  Blätter 
aus  allen  älteren  Schulen. 

In  den  Museen  von  Vecey  und  Yverdon  befinden  sich  auch  alte  Skulpturen, 
Münzen,   Gefäße  u.  dgl. 

Vieler  Theilnahnie  erfreut  sich  die  im  Jahre  1879  eröffnete  Sammlung  suge- 
risrher  Alterthämer  im  Stadtrathhaus  in  Zug.  Sie  enthält  Trachtenbilder,  Portraits, 
Glasgemälde,  Goldschmiedarbeiten  u.   A.  m. 


Kunst  —      201      —  Kunst 

Die  Sammlunr/  der  Künstler g es tUschafl  in  Zürich  umfaßt  gegenwärtig 
326  Gemälde,  meistens  neuerer  Schweizer  Künstler,  über  150  Gipsabgüsse,  zwei 
Marmorskulpturen,  bei  1 1 ,000  Handzeichnungen,  Druckwerke  und  eine  Kupferstich" 
Sammlung  von  14,500  Blättern.  —  Die  Portraitsammlunit  der  Stadtbibliotheh 
ist  auf  über  18,000  Stücke  angewachsen;  ihr  Mümkabinety  reich  an  schweize- 
rischen Münzen  und  Medaillen,  auf  4300  Stücke.  —  In  der  Antikensammlumj 
der  Hochschuley  bei  150  Nummern  enthaltend,  sind  besonders  die  Terracotten 
aus  Tanagra,  Tarent,  Capua  u.  s.  w.  bemerkenswerth.  —  Die  Zürcher  anti- 
quarische Gesellschaft  besitzt  in  ihren  reichen  Sammlungen  viele  werthvoUe 
Kunstgegenstände,  Münzen,  Siegel,  Skulpturen  u.  s.  w.  —  Dem  großen  Pädagogen 
Pestalozzi  wurde  beim  Anlaß  der  Ausstellung  seiner  Werke  im  Jahre  1878  ein 
kleines  Museum,  das  sog.  Pestalozeistübchen,  gewidmet,  in  welchem  seine,  seiner 
Familie  und  Zeitgenossen  Portraits,  Reliefs,  Medaillons,  Ansichten,  die  Marmor- 
statue  Pestalozzi's  von  Sales  Ämlehn  und  seine  Portraitbüste  von  Christen  auf- 
bewahrt sind. 

Die  Gewerbemuseen  in  Basel,  Winterthur,  Zürich  und  Genf,  ebenso  die 
Muster-  und  Modellsammlung  in  Bern  vervollständigen  fortwährend  ihre  Samm- 
lungen auch  mit  kunstgewerblichen  Vorbildern  aller  Art. 

1 Y.  Kunstausstellungen. 

1)  Allgemeine  schweizerische  Kunstausstellung.  Bisheriger 
Uebung  gemäß  veranstaltet  der  schweizerische  Kunstverein  mit  seinen  Sektionen 
Jedes  Jahr  in  mehreren  Schweizer  Städten  eine  Ausstellung  von  Kunstwerken, 
welche  successiv  diese  Städte  besucht.  In  dem  einen  Jahr  findet  die  Ausstellung 
in  der  Westschweiz,  in  Aarau,  Bern,  Basel,  Solothum,  Lausaune  (früher  auch 
in  Genf  und  Freiburg),  in  letzter  Zeit  auch  in  Locle  statt,  im  folgenden  in  der 
Ostschweiz,  in  Zürich,  Glarus,  St.  Gallen,  Winterthur,  Schatfhausen  und  Konstanz. 
Ein  alljährlich  vom  Zentralkomite  ernanntes  Kunstgericht  (Jury)  bestimmt  über 
die  Zulassung  der  Kunstwerke  und  Ertheilung  von  Ehrenmeldungen. 

Nach  unsern  Zusammenstellungen  betrug  die  Zahl  der  ausgestellten  Kunst- 
werke in  den  letzten  sechs  Jahren  im  Durchschnitt  400  (im  Jahre  1880  600, 
1882  nur  290,  1884  414,  1886  335).  Gewöhnlich  ist  ihre  Zahl  größer  in 
der  Westschweiz,  als  wenn  die  Ausstellung  die  östlichen  Kantone  besucht.  Neben 
der  Oelmalerei  sind  Skulptur,  Aquarell,  Email-  und  Fayencemalerei  gewöhnlich 
spärlich,  Stiche  und  Radirungen  auffallend  wenig  vertreten.  Im  Mittel  betheiligen 
sich  200  Künstler  an  der  Ausstellung,  von  welchen  oft  fast  die  Hälfte  Ausländer 
sind.  In  jeder  Ausstellungsstadt  werden  Lotterieloose  für  fünf  Franken  verkauft 
und  aus  deren  Ertrag  Kunstwerke  für  die  allgemeine  Verloosung  erworben.  Im 
Durchschnitt  betrug  der  Gesammterlös  des  Verkaufes  für  die  Lotterie  au  Privat- 
}>ersoDeD  und  Vereine  in  den  letzten  Jahren  jährlich  bei   38,000  Fr. 

So  sehr  die  Bemühungen  des  schweizerischen  Kunstvereins  und  die  Opfer, 
welche  seine  Sektionen  dabei  öfters  bringen,  Anerkenming  verdienen,  so  ist  doch 
nicht  zn  läugnen,  daß  diese  Ausstellung  nicht  mehr  befriedigt.  Sie  hat  bei 
vielen  unserer  besten  Künstler  an  Anziehungskraft  verloren,  schon  deßhalb,  weil 
so  viel  ans-  und  inländisches  Mittelgut  zugelassen  wird  und  der  nationale  Charakter 
der  Ausstellung  fehlt.  Auch  int  die  wenig  kostspielig  gewordene  Versendung  an 
Ausstellungen  in  Paris,  München,  Berlin  oder  Mailand,  welche  den  Künstler  in 
weitem  Kreisen  bekannt  machen  und  bedeutend  größern  Absatz  bieten,  lohnender 
al8  in  den  kleinen  Schweizer  Städten.  Die  Dauer  von  6  bis  7  Monaten  der 
schweizerischen  Ausstellung    ist   zu  lang;    die  Käufer  wünschen   die  angekauften 


Kunst  —     202     —  Kunst 

Gemälde  yor  dem  Schluß  derselben  zu  behändigen  und  die  Ettnstler  ziehen  es 
vor,  eine  nach  ein  paar  Monaten  nicht  verkaufte  Arbeit  zurückzuziehen  und  sie 
anderswo  auszustellen.  Auch  sind  die  der  Ausstellung  angewiesenen  Lokale  bis- 
weilen den  Bedürfnissen  wenig  entsprechend.  Der  schweizerische  Kunstverein  ist 
von  der  Nothwendigkeit  seiner  Reorganisation  selbst  überzeugt  und  mit  derselben 
in  neuester  Zeit  ernstlich  beschäftigt.  Wenn  ihm  die  Bundesbehörden,  wie  allge- 
mein gehofft  wird,  mit  Protektion  und  entsprechenden  Subsidien  an  die  Hand 
gehen,  so  wird  er  gewiß  am  ersten  im  Stande  sein,  mit  vereinten  Kräften  unsere 
Landesausstellung  zu  der  ihr  gebührenden  Höhe  zu  erheben. 

2)  Lokalausstellungen.  Seit  mehreren  Jahren  ündet  jährlich  eine 
städtische  Kunstausstellung  (Salon  suisse)  in  Genfatatty  welche  auch  den  Zweck 
hat,  Ankäufe  für  die  von  Diday  testamentarisch  gestiftete  Gremäldegalerie  zu 
machen.  Alle  Schweizer  sind  zugelassen,  Fremde  ausnahmsweise.  Die  von  den 
Ausstellern  erwählte  EUnstler-Jury  verfügt  über  Annahme  der  Arbeiten  und 
macht  dem  Yerwaltungsrath  der  Stadt  Vorschläge  zur  Erwerbung  von  Kunstwerken 
für  die  Diday-Gralerie.  Die  Ausstellung  umfaßt  durchschnittlich  250  Arbeiten 
(Oelbilder,  Aquarelle,  Zeichnungen,  Pasteis,  Stiche,  Email-  und  Fayencemalereien) 
von  selten  über  130,  meistens  der  romanischen  Schweiz  angehörenden  Künstlern. 
Mit  dieser  Ausstellung  ist  jeweilen  eine  kunsUjew erbliche  Ausstelluwf  verbunden, 
welche  ähnlich  organisirt  ist.  Obschon  gewöhnlich  nicht  100  Nummern  aufweisend, 
gibt  dieselbe  doch  ein  ziemlich  gutes  Bild  der  Genfer  Kunstindustrie.  Ein  von 
Hrn.  Charles  Gtilland  gestifteter  Preis  von  2000  Fr.  wird  jährlich  einer  kunst- 
gewerblichen Arbeit  der  Ausstellung  zugesprochen.  Das  finanzielle  Ergebniß  der 
Grenfer  Ausstellung  ist  gewöhnlich  befriedigend;  die  Eintrittsgebühren  tragen  bei 
20,000  Fr.  ein  und  die  Zahl  der  Ankäufe  der  Stadt,  von  Privatpersonen  und 
fUr  die  Lotterie  ist  beträchtlich.  —  Oefters  hat  der  Cerole  des  beaux-arts  in 
Grenf  Ausstellungen  oon  Aquarellen  verschiedener  Künstler  veranstaltet;  iu 
neuerer  Zeit  werden  dieselben  von  dem  Verein  der  Schweizer  Aquarellisten  in 
verschiedenen  Städten,  wie  Luzern,  Bern  und  Genf,  mit  Erfolg  abgehalten. 

Seit  dem  Jahre  1882  eröffnet  der  Basler  Kunstverein  alljährlich  eine  national- 
schweizerische  Ausstellung  in  Basels  ausschließlich  für  Arbeiten  von  Schweizern. 
Die  Auswahl  der  Kunstwerke,  gewöhnlich  200  bis  250  an  der  Zahl  (Oelbilder^ 
Aquarelle,  Zeichnungen,  Skulpturen,  Radirungen,  Emailmalereien  u.  s.  w.):  be- 
friedigt allgemein.  Für  die  Yerloosung  werden  Gegenstände  im  Gesammtwerth 
von  6000  bis  8(X)0  Fr.,  von  Privatpersonen  und  fiir  die  Basler  Sammlungen 
für  17,000  bis  36,000  Fr.  angekauft. 

Alle  zwei  Jahre  hält  die  Societe  des  Amis  des  Arts  eine  Ausstellung  in 
Neuenburg  und  Chanx-de-Fonds  ab.  Ohne  Arbeiten  aus  andern  Kantonen 
oder  des  Auslandes  auszuschließen,  umfaßt  sie  hauptsächlich  diejenigen  der  Neuen- 
burger  Künstler,  nebst  einigen  aus  dem  Kanton  Waadt  und  von  G^nf.  Die  Aus- 
stellung ist  reichhaltig  (meistens  200  bis  300  Nummern)  an  Oelbildern  und 
besonders  auch  an  Aquarellen,  Handzeichnungen,  Radirungen  und  Skulpturen. 
Die  Ankäufe  für  die  Lotterie,  für  das  Museum  und  von  Kunstfreunden  tragen 
meistens  eine  hohe  Summe  ein,  z,  B.  im  Jahre   1884  73,290  Fr. 

Die  permanenten  Ausstellum/en  in  Genf,  Basel,  Bern,  St.  Gallen,  Luxem, 
Zürich  u.  s.  w.  werden  viel  besucht,  ebenso  die  zeitweisen  Ausstellungen  aus- 
ländischer Oelgemälde  und  die  Sonderausstellungen  von  Werken  einzelner  lebender 
oder  verstorbener  Künstler.  Der  Cercle  des  beaux-arts  hat  es  unternommen,  in 
fortwährender  Reihenfolge  die  Arbeiten  seiner  Mitglieder  dem  Genfer  Publikum 
vorzuführen. 


Kunst  —     203     —  Kunst 

Anch  reirospekUve  Aii'istellanyeu  von  hutoriächen  Kunstwerken  und  kunst- 
gewerblichen Erzeugnissen  früherer  Zeiten  finden  öfters  statt. 

Nicht  groß  ist  die  Betbeiligung  unserer  einheimiBchen  Künstler  an  den 
Äusstellutigen  des  Auslandes.  Nur  im  Pariser  Salon  findet  sich  gewöhnlich  eine 
ansehnliche  Anzahl  von  Künstlern  der  romanischen  Schweiz  (durchschnittlich  50 
mit  100  Arbeiten)  ein;  einigen  werden  bisweilen  ehrenhafte  Auszeichnungen  zuTheil. 

V.  Erhaltung  alter  Kunstwerke. 

Das  Interesse  an  historischer  Kunst  ist  in  neuerer  Zeit  wieder  rege  geworden 
und  gibt  sich  vielfach  zu  erkennen.  An  mehreren  Orten  unseres  Landes  werden 
Aiistjrabungen  alter  Bauwerke  vorgenommen.  Schon  sehr  werthvolle  antike 
Skulpturen,  Zierrathen,  Terracotten,  WatFen  u.  dgl.  wurden  aufgefunden,  wie 
z.  B.  in  der  Schloßruine  Homberg  bei  Wittnau,  bei  Schieitheim  und  Beringen 
im  Kanton  Schatfhausen,  bei  Martigny  an  der  Stelle  des  alten  Octodurum  und 
besonders  bei  Avenches  in  den  Ruinen  Aventicums,  wo  die  Ausgrabungen  durch 
den  Verein   „Pro  Aventico**   geleitet  werden. 

Auch  in  Grabstätten,  in  Flußbetten,  wie  z.  B.  kürzlich  in  der  Rhone  bei 
Grenf,  sind  alte  Artefakten  zum  Yorschein  gekommen.  Groß  ist  die  Menge  der 
hin  und  wieder  entdeckten  keltischen,  römischen,  alt-französischen,  spanischen^ 
savoyischen  und  Schweizer  Münzen. 

In  alten  Kirchen,  Kapellen,  Klöstern  und  andern  Gebäuden  wird  nach 
Wandmalereien  gesucht.  Da  wo  dieselben  durch  Tünche  verdeckt  sind,  wird 
diese  abgehoben  und  die  Malerei  vor  weiterer  Beschädigung  geschützt.  Von  den 
vielen  kürzlich  aufgefundenen  Wandmalereien  nennen  wir  beispielsweise  diejenigen 
im  Kloster  Rathhausen,  in  den  Kirchen  von  Schwamendingen,  Muttenz,  im 
Chorer  Dom. 

Besonders  eifrig  wird  die  Restauration  alter  Kunstdenkmäler  betrieben.  In 
Basel  hat  sich  ein  aus  über  1000  Mitgliedern  bestehender  Münsterbauverein 
gebildet,  welcher  mit  Beihülfe  des  Staates  sehr  bedeutende  Herstellungsarbeiten 
am  Basler  Münster,  für  jährlich  durchschnittlich  30,000  Fr.,  ausführt.  —  Einer 
ähnlichen  Restauration  unterliegt  die  Kathedrale  in  Lausanne;  Privatpersonen 
haben  zu  diesem  Zweck  bedeutende  Summen  im  Betrag  von  50,000  Fr.  beige- 
steuert. —  In  Genf  wurde  die  gänzliche  Renovation  der  Makkabäerkapelle  mit 
einem  Kostenaufwand  von  221,700  Fr.  vollendet,  in  Neuenburg  die  Kollegiat- 
kirche  ausgebaut  und  restaurirt.  —  Schon  seit  Jahren  läßt  die  Stadt  Bern  die 
Fa^aden  des  Berner  Münsters  erneuern.  Ein  Münsterbauverein  strebt  den  Ausbau 
des  Thurmes  an,  und  hat  dazu  die  nöthigen  Studien  vorgenommen.  —  Noch  viele 
andere  Gotteshäuser,  Rathhäuser,  Zunftgebäude,  öffentliche  Brunnen  u.  s.  w.  sind 
in  ihrem  ursprünglichen  Stil  erneaert  worden.  —  Erwähnt  seien  auch  die  für 
die  Erhaltung  des  Luzemer  Löwendenkmals  getroffenen  Vorkehren.  —  So  viel 
es  die  verfügbaren  Geldmittel  gestatten,  werden  alte  Glasmalereien  vor  der 
Zerstörung  und  Verschacherung  an's  Ausland  bewahrt;  ebenso  historisch  denk- 
würdige Kunstwerke  aller  Art  für  unsere  Sammlungen  erworben. 

VI.    Kunstschulen.  *) 

Man  behauptet  öfters,  es  gehe  dem  Schweizer  ein  angeborener  Kunstsinn 
ab,  deshalb  sei  es  unnütz,  denselben  durch  Unterricht  in  der  Kunst  ausbilden 
zu  wollen.  Wenn  auch  zugegeben  werden  muß,  daß  der  Italiener  und  Franzose 
den  Schweizer  an  Geschmack  und  Schönheitsgefdhl  übertrifft,  so  geben  sich  die- 

M  Siehe  auch  unter  Bildungswesen,  Bd«  I.,  S.  269. 


Kunst  —      204     —  Kunst 

(»elben  in  uii&erem  Lande  doch  vielfach  kand.  Wie  gut  kleiden  unsere  alten 
Trachten,  mit  welchem  richtigen  Farbensinn  wissen  unsere  Landleute  ihre  Häuser 
mit  Blumen  lu  zieren,  mit  welcher  hübschen  Grappirung  die  Aelpler  ihre  Schwing- 
feste auszustatten  und  zu  welcher  hohen  Bliithe  hat  sich  nicht  der  Yolksgesang 
bei  una  entwickelt !  In  einem  Lande,  welches  eine  so  große  Fülle  von  Schönheit 
darbietet,  kann  der  Bewohner  unmöglich  von  den  großartigen  Eindrücken  der 
Natur  unberührt  bleiben.  Dem  Srhweizer  fehlt  nicht  ein  gewisses  Kuustgefübl, 
auch  nicht  Kunstfertigkeit,  hingegen  Originalität  und  Geschmack^  und  dies  ist 
auch  der  hauptsächlichste  Grund,  weshalb  ihm  die  Konkurrenz  seiner  Nachbarn 
auf  den  Gebieten  der  Kunst  und  des  Kunstgewerbes  hindernd  entgegentritt.  Nur 
dann,  wenn  ein  Kunstgebilde  eine  neue,  originelle,  nach  den  Urregeln  des  Schönen 
gebildete  Schöpfung  ist,  kann  es  gefallen.  Wie  würden  unsere  Holzschnitzereien, 
Stickereien,  Heimberger  Produkte,  Möbel,  Hausgeräthe  u.  s.  w.  an  Absatz  ge- 
winnen, wenn  sie  origineller  und  geschmackvoller  wären  !  Dies  kann  aber  dadurch 
erreicht  werden,  daß  in  allen  Schulen,  auch  in  unseren  Volksschulen  die  beiden 
Grundlagen  der  Kunst,  Originalität  und  Stil,  mehr  als  bisher  entwickelt  werden. 
Sobald  als  mijglich  sollten  dem  Schüler  die  festen  Regeln  des  Schienen,  der  Pro- 
portionen, Farbenkontraste  u.  s.  w.  eingeprägt  und  zugleich  vom  sklavischen 
Kopiren  von  Vorlagen  zu  selbstständigem  Schatfen  eigener  Kompositionen  über- 
gegangen werden.  Mit  solcher,  rationeller  Vorbildung  ausgerüstete  Schüler  werden 
auch  in  unsem  Kunst-  und  Kunstgewerbeschulen  viel  leichter  zu  wahren  Künstlern 
ausgebildet  werden  können. 

AuLicr  den  Kunstabtheilungen  des  eidgenössischen  Polytechnikums  besitzen 
wir  noch  keine  eidgenössische  Kunstschule.  Hr.  Nationalrath  Riniker  hat  in 
Verbindung  mit  andern  Mitgliedern  des  Nationalrathes  am  2i?.  Juni  1885  den 
eidgenössischen  Räthen  die  Motion  vorgelegt,  es  möchte  der  Bunde^rath  Bericht 
und  Antrag  vorlegen  über  die  Errichtung  einer  eidffenössischen  Kunstschule  in 
der  italienischen  Schweiz,  oder  eventuell  über  die  Unterstützung  einer  entstehenden 
kantonalen  Ki^nstschule.  Dieser  der  anregenden  Nähe  Italiens  wegen  sehr 
berechtigte  Antrag  harrt  noch  der   Erledigung. 

Eine  bedeutende  Tbätigkeit  zeigt  die  Basler  Zeichnungs-  und  Modellir- 
schule.  Durchschnittlich  650  Zöglinge  beider  Geschlechter  besuchen  theilweise 
kunstgewerbliche  Klassen,  theils  die  eigentlichen  Kunstklassen  fiir  Gel-,  Aquarell-, 
Porzellan-  und  Fayeucemalerei,  für  Modellirung  u.  s.  w.  Alljährlich  findet  eine 
Ausstellung  der  Arbeiten  mit  Preisvertheilung  statt.  Die  Gesammtausgaben  (^im 
Jahre  1884/5  3*,>,547  Fr.)  werden  durch  Beiträge  des  Bundes,  des  Staates,  der 
Gesellschaft  des  Guten  und  Gemeinnützigen  und   durch   die  Schulgelder  gedeckt. 

Die  vor  wenigen  Jahren  von  der  Bemer  Künstlergesellschaft  gegründete, 
Vom  Bund,  vom  Staat,  von  der  Bargergemeinde  und  den  Zünften  der  Stadt  Bern 
unterstützte  Berner  Kunstschule  wird  von  beiläufig  80 — 100  Zöglingen  beider 
Geschlecbter  besucht  (worunter  10 — 15  an  Freistellen).  Lehrer  und  Lehramts- 
kandidaten werden  unentgeltlich  zugelassen;  die  Zöglinge  des  kunstgewerblichen 
Unterrichtes  zahlen  die  Hälfte  des  Schulgeldes.  In  fünf  Klassen  wird  in  allen 
Kunstfächern  unterrichtet;  die  ötfentlichen  kunstgeschichtlichen  Vorträge  finden 
regelmäßig  statt.  Die  Schule  kostete  im  Jahre  1885  95t)8  Fr.  Alljährlich 
findet  eine  Ausstellung  der  Arbeiten  statt. 

Die  vom  Kaufmännischen  Direktorium  gegründete  Zeichnungsschule  flir 
Industrie  und  Gewerbe  in  St.  Gallen  bildet  jährlich  über  100  Zöglinge  aus. 
Ihre  Ausstellungen  zeugen  von  vielseitiger,  trett'licher  Thätigkeit. 

Genf  hat  mehrere,  vom  Bunde  unterstützte  Kunstschulen.   Die  Ecoles  muni- 


Kunst  —      205      —  Kunst 

cipales  d'art  der  Stadt  Genf,  deren  Unterricht  unentgeltlicli  ist,  haben  fünf 
Abtheilungen,  von  welchen  eine,  die  Ecole  des  beaux-artSf  speziell  den  bildenden 
Ktinsten,  und  eine,  die  Ecnle  d'art  appUque  a  Vindustrie^  den  Kunstgewerben 
gewidmet  ist.  Die  Zahl  der  Zöglinge  dieser  beiden  Abtheilungen  ist  bis  auf 
500  beider  Geschlechter  angewachsen.  Wie  die  jährlichen,  reichhaltigen  Aus- 
stellungen der  Arbeiten  nachweisen,  steht  die  Schule  auf  der  Höhe  der  besten^ 
ausländischen,  ähnlichen  Anstalten.  Üeber  100 — 150  Preise  und  Ehrenmeldungen 
werden  jährlich  vertheilt.  —  Beiläufig  250  2Cöglinge  werden  in  der  im  Jahre 
1877  eröffneten  Ecole  canionale  des  aris  indiistriels  in  Genf  in  allen  kunst- 
gewerblichen Fächern  unterrichtet.  Seit  dem  Jahr  1878  befindet  sie  sich  in  dem 
für  de  errichteten  Gebäude.  Außer  den  Jahresbeiträgen  des  Bundes  und  des 
Staates,  erhielt  die  Anstalt  im  Jahre  1886  eine  Bundessubvention  von  Fr.  24,600 
zur  Errichtung  von  zwei  Klassen  fiir  Xylographie  und  Kunstschmiedearbeiten. 
Jährlich  finden  Preisvertheilungen  und  zwei  öffentliche  Ausstellungen  statt,  deren 
Produkte  reichlichen  Absatz  finden.  —  Auch  in  der  Äcademie  professionnelle 
der  Siadi  Genf  erhalten  bei  100  Erwachsene  Unterricht  im  Kunst-  und  tech- 
nischen Zeichnen. 

Die  vom  Bund  ebenfalls  unterstützte  kantonale  Kunstgewerbeschule  in 
Lueern^  deren  Unterricht  für  Kantonsschüler  unentgeltlich  ist,  zählt  gewöhnlich 
68—80  Zöglinge. 

Im  Jahre  1869  wurde  von  einigen  Kunstfreunden  die  Ecole  de  des  sin  pro- 
fessionnel  ei  de  modelage  in  Neuenbürg  gegründet,  welche  seither  mit  beiläufig 
100  Zöglingen,  unterstützt  von  den  kantonalen  und  städtischen  Behörden,  eine 
rege  Thätigkeit  zeigt.     Die  Jahreskosten   belaufen  sich   auf  beiläufig  2500  Fr. 

Die  Kunstgewerbeschule  des  Gewerbemuseums  in  Zürich  besuchen  durch- 
schnittlich 100  Zöglinge,  welche  sich  an  den  von  den  Gewerbemuseen  in  Zürich. 
and  Winterthur  ausgeschriebenen  Preisbewerbungen  und  Ausstellungen  betheiligen. 
Ebenso  erfolgreich  ist  der  Kunstunterricht  am  Technikum  in   Winterthur, 

£^  wären  hier  noch  viele,  öffentliche  und  private  Schulen  anzuführen,  welche 
Treffliches  leisten,  so  z.  B.  die  Privatzeichnung sschule  in  Winterthur,  die  Kunst^ 
getoerbeschule  in  Chaux-de-Fonds,  die  Zeichnungsschulen  in  Heimberg  ^  in 
St.  Immer  u.  s.  w.  —  Leider  haben  die  wiederholt  vom  Staat  und  von  Privat- 
personen gemachten  Anstrengungen,  lebensfähige  Schnitelerschulen  im  Bemer 
Oberland  zu  gründen,  bisher  wenig  Erfolg  gehabt. 

Vn.  Kunstvereine. 

Am  Schluß  dieses  Ueberblicks  bleiben  noch  die  schweizerischen  Kunstvereine 
zu  erwähnen,  die  nationalen  Grundlagen  aller  unserer  Kunstbestrebungen.  Beinahe 
überall,  selbst  in  kleinen  Städten,  treffen  wir  solche  Vereine  an,  welche  das 
Interesse  an  der  Kunst  erhalten  und  fördern. 

Der  schweizerische  Kunstverein,  in  Zofingen  gegründet,  wurde  im  Jahre  1839^ 
in  Z&rich  eröffnet.  Eh*  besteht  aus  Sektionen,  den  Kunstvereinen  von  Zürich,  Basel, 
Bern,  Lucem,  Winterthur,  Solothurn,  Schaffhausen,  Genf,  Aargau,  Waadt,  Glarus 
und  St.  Ghdlen.  Die  Geschäfte  leitet  eine  jeweilen  auf  zwei  Jahre  damit  beauf- 
tragte Sektion,  in  deren  Stadt  die  Delegirten  und  die  Mitglieder  sich  zur  Haupt- 
versammlung vereinigen,  während  im  andern  Jahr  diese  Versammlung  in  Zofingen 
stattfindet.  Der  Verein  leitet  die  allgemeine  schweizerische  Kunstausstellung.  Auch 
trägt  er  zur  Förderung  anderer  Kunstbestrebungen  bei,  wie  z.  B.  in  neuerer  Zeit 
zu  der  von  ihm  durchgeführten  Restauration  der  Tellskapelle.  Er  stiftete  zwei 
große,  in  seinem  Besitz  gebliebene  schweizerische  Künstleralbum. 


Kunst  ~-      206      —  Kuost 

Die  kürzlich  eDtstandene  Gesellschaft  der  Schweizer  Aquarellisten  besteht 
hauptsächlich  aus  Künstlern  der  romanischen  Schweiz,  welche  der  Aquarellmalerei 
in  unserm  Land  einen  größern  Anfhchwung  zu  ertheilen  wünschen  und  ihre  Arbeiten 
in  verschiedenen  Schweizer  Städten  ausstellen. 

Beiläufig  1 20  Künstler  der  Schweiz  bilden  die  Gesellschaft  schweieerischer 
Maler  und  Bildhauer,  welche  besonders  die  Interessen  des  Künstlerstandes  ver- 
tritt. Die  jährliche  Hauptversammlung  findet  abwechselnd  in  einer  der  großem 
Schweizer  Städte  statt. 

Im  Jahre  1880  wurde  in  Zofingen  der  Verein  für  Erhaltung  vaterländischer 
Kunstdenkmäler  gegründet,  dessen  Hauptversammlung  alljährlich  sich  an  diejenige 
des  schweizerischen  Kunstvereins  anschließt.  Sie  zählt  gegenwärtig  258  Mitglieder, 
worunter  24  Korporationen,  Vereine  u.  s.  w.  Die  Mitglieder  erhalten  die  ge- 
druckten Mittheilungen  über  denkwürdige,  alte,  schweizerische  Kunstwerke,  nebst 
Abbildungen.  Obschon  die  Geldmittel  des  Vereins  bisher  sehr  beschränkt  waren, 
so  hat  er  doch  schon  viel  zur  Restauration  und  Erhaltung  höchst  interessanter 
Alterthümer  beigetragen,  wie  z.  B.  zur  Erhaltung  der  Fa^adenmalereien  am  Haus 
„Zum  weißen  Adler"  in  Stein  a«/Rh.,  zur  Herstellung  der  St.  Greorgskapelle  in 
Bonaduz,  zur  Erwerbung  alter  Glasgemälde  u.  A.  m.  Durch  den  oben  erwähnten 
Bundesbeschluß  vom  30.  Juni  1886  wird  nun  der  Verein  in  den  Stand  gesetzt 
werden,  seinen  Zweck  in  größerem  Umfang  zu  erreichen. 

Die  schweizerische  numismatiache  Gesellschaft,  im  Jahre  1879  in  Freiburg 
gegründet,  besteht  aus  beiläufig  120  Mitgliedern.  Sie  versammelt  sich  jährlich  ein 
Mal  abwechselnd  in  einer  unserer  großem  Städte.  Ihr  im  Druck  erscheinendes 
^Bulletin*",  mit  Abbildungen,  bildet  jährlich  einen  Band  von  beiläufig  150  Seiten. 

Da  wir  die  Grenzen  dieser  üebersicht  nicht  überschreiten  dürfen,  so  be- 
schränken wir  uns  auf  einige  Angaben  über  unsere  vielen  Lokalknnstvereine. 

Der  Basler  Kunstverein  zählt  1400 — 1500  Mitglieder;  sein  jährlicher 
Geldverkehr  steigt  auf  Fr.  25 — 30,000  an.  Für  seine  Sammlungen  besitzt  er  ein 
künstlerisch  reich  ausgestattetes  Gebäude,  die  Kunsthalle.  Die  Kosten  der  im  Bau 
begriffenen  Skulpturhalle  wurden  durch  Beiträge  des  Staates,  von  Privatpersonen, 
Vereinen  und  aus  seinen  eigenen  Mitteln  gedeckt.  Alljährlich  werden  am  Sylvester- 
abend 20—30  Kunstgegenstände,  im  Werth  von  Fr.  6 — 9000,  unter  den  Mit- 
gliedern verloost. 

Dem  kantonalen  Neuenburger  Kunstverein  (^Soci^t^  des  amis  des  arts  de 
Neuchätel)  gehören  bei  14—1800  Mitglieder  an,  welche  jährlich  Fr.  7—9000 
beitragen.  Aus  diesem  Betrag  und  aus  den  Eintrittsgeldern  seiner  Ausstellungen 
kauft  er  an  denselben  alle  zwei  Jahre  für  beiläufig  Fr.  15,000  Kunstwerke, 
welche  unter  den  Mitgliedern  verloost  werden. 

Genf  besitzt  mehrere  sehr  thätige  Kunstvereine.  Zwei  Abtheilungen  der 
Soci6t6  des  arts  de  Geneve  sind  der  Kunst  gewiedmet.  Ihre  Classe  des  beaux- 
arts,  mit  beiläufig  180  Mitgliedern,  im  Ath6n6e,  ist  seit  dem  Jahre  1822  die 
hauptsächlichste  Trägerin  der  Genfer  Kunstbestrebungen.  Sie  vergibt  alle  zwei 
Jahre  den  von  Frau  Wittwe  Alexandre  Calame  gestifteten  Preis  von  Fr.  1800 
für  ein  größeres  Landschafts-  oder  Figuren  bild:  femer  die  durch  Diday's 
Vermächtniß  aftegesetzten  Preise  von  Fr.  800 — 1000.  Die  Section  des  arts  de- 
coratifs,  mit  120  Mitgliedern,  besteht  seit  dem  Jahre  1883;  durch  ihre  Aus- 
stellungen und  Preißvertheilungen  tragt  sie  wesentlich  zur  Hebung  des  Kunst- 
gewerbes bei.  —  Auch  die  Section  des  beaur-arts  de  V Institut  national  genevois 
beschäftigt  sich  eifrig  mit  der  Förderung  der  Kunst,  insbesondere  des  Kunst- 
gewerbes ;  sie  eröffnet  je  weilen  öffentliche  Preisbewerbungen.   —  Der  Cercle  des 


Kunst  —      207      —  Kunstdünger 

beauT-arts  veranstaltet  namentlich  SonderauRstellungen  seiner  Mitglieder,  die 
SociHe  de  Vexponition  permanente  (amis  des  beanx-arts)  die  permanente  Aus- 
stellang  in  Genf. 

Die  Bern  er  Künstlerf/esellschaft,  mit  beiläufig  250  Mitgliedern,  hat  wesentlich 
zur  Verbreitung  des  Kunstsinnes  durch  Öffentliche  Vorträge,  Ausstellungen  u.  s.  w. 
beigetragen.  —  Der  von  Herrn  Rudolf  von  Effinger-von  Wildegg  im  Jahre  1854 
gegründete  Berner  Kantanalkunsiverein  vertheilt  unter  seine  6 — 650  Mitglieder 
Grratisloose  für  Kunstwerke  der  schweizerischen  Kunstausstellung,  Kunstblätter  und 
den  gedruckten  Jahresbericht  über  die  bildenden  Künste  in  der  Schweiz. 

Die  Zürcher  Künstlenfesellschaft  (mit  150  Mitgliedern)  und  der  Zürcher 
KanionalkNnfttverein  (mit  450  Mitgliedern)  erfreuen  sich  stets  großer  Theilnahme; 
in  letzter  Zeit  wurde  ersterer  mit  sehr  bedeutenden  Vermächtnisc^en  und  Schenkungen 
bedacht. 

Zu  den  thätigsten  Vereinen  gehören  femer  die  Kunstvereine  von  St.  Gallen 
(240  Mitglieder)  und  derjenige  von  Winierthyr  (100  Mitglieder),  der  Aanjauische 
Knnstverein  (gegründet  im  Jahre  1860/61,  155  Mitglieder),  der  Kunstverein 
von  Solothurn,  die  Kunstgesellschaft  in  Lueern,  die  Kunstvereine  in  Glarus 
und  Schaffhausen  (100  Mitglieder)  und  die  SociHe  vaudoise  des  beaux-arts. 

Literatur:  Bunde.sg:esetze  und  Verordnungen  betreffend  die  schweizerischen 
Eunstangelegenheiten.  —  Die  bildenden  Künste  in  der  Schweiz,  von  Dr.  B.  v.  Tscharner. 
Jahrgänge  1873—85.  —  Fachbericht  über  die  Gruppe  ,Die  Kunst  der  Gegenwart*  an 
der  schweizerischen  Landesausstellung  in  Zürich,  und  L'art  et  Tapplication  de  Tart  ä 
rindnstrie,  beide  von  Auguste  Bachelin.  —  Die  Kunst  an  der  schweizerischen  Landes- 
ausstellung, von  Dr.  Paul  Salvisberg.  —  Kataloge  und  Berichte  über  die  schweizerischen 
Kunstmuseen  und  Sammlungen.  —  Das  Kupferstichkabinet  des  eidgen.  Polytechnikums, 
Ton  Prof.  Dr.  G.  Kinkel.  —  Die  archäologische  Sammlung  im  eidgen.*  Polytechnikum, 
von  Prof.  H.  Blümner.  —  Die  Universität  Basel,  von  Prof.  Dr.  Albert  Teichmann.  — 
Führer  durch  die  Mittelalterliche  Sammlung  in  Basel.  — -  Das  historische  Museum  in 
Bern,  von  E.  v.  Rodt.  —  Jahresberichte  der  schweizerischen  Kunstschulen.  —  Jahres 
berichte  der  schweizerischen  Kunstvereine. 

Kiinstbaumwolle.  Laut  Handelsregister  wird  die  Kunstbaumwollfabrikation 
von  der  Firma  E.  Büesling  in  Zürich  betrieben. 

Kiinstbutter  (Speisefett,  Margarinbutter)  wird  von  einigen  schweizerischen 
Fabriken  in  größerem  Maßstabe  aus  gereinigtem  Talg  durch  Auspressen  und 
Vermischen  mit  Milch  hergestellt.  Es  wird  indessen  gegen  die  Verbreitung  dieser 
Industrie  vom  Publikum  stark  reagirt  und  die  Behörden  werden  zum  Aufsehen 
ermahnt.  Die  Regierung  von  Graubünden  ist  bereits  mit  folgender  Verordnung 
vorangegangen : 

§  1.  Der  Name  Butter  darf  im  Groß-  und  Kleinhandel  nur  demjenigen  frischen 
oder  ausgeschmolzenen  Fette  beigele^  werden,  welches  ausschließlich  aus  Kuhmilch 
ohne  Zusatz  anderer  Fette  bereitet  worden  ist. 

§  2.  Für  die  Bezeichnung  von  Produkten,  welche  aus  anderen  thierischen  oder 
pflanzlichen  Fetten,  oder  aus  Mischungen  solcher  Fette  mit  Kuhbutter  für  Genußzwecke 
hergesteUt  sind,  ist  die  Verwendung  von  Namen  verboten,  in  denen  das  Wort  Butter 
vorkommt  (z.  B.  „Kunstbutter*,  „Kübelbutter*,  „Margarinbutter*  u.  s.  f.). 

§  3.  In  den  Verkaufslokalen  sollen  die  Geföße,  in  denen  die  in  §  2  genannten 
Produkte  aufbewahrt  werden,  deutlich  und  sichtbar  die  Aufschrift  „Koch fett*  tragen. 
Dieselbe  Bezeichnung  sollen  die  betreffenden  Fakturen  und  Frachtbriefe  aufweisen. 

Im    Kanton   Zürich    besteht   seit    26.  März    1887    eine    regierungsräth liehe 

Verordnung,   nach   welcher   die   der  Milchbutter  ähnlichen  Zubereitungen,    deren 

Fettgehalt   nicht  ausschließlich  der  Milch  entstammt,    als  Kunstbutter  bezeichnet 

werden  müssen. 

KanstdUnger  s.  Hülfsdünger,  S.  459. 


Eun>tgewerfoe  —      208      —  Kunstgewerbe 

Kunstgewerbe.  (Verfaswer :  Herr  F.  Salvisberg,  Alt  -  KaDt«ius- 
hanmeiäter,  in  Bern.)  Siehe  auch  den  Artikel  „Knnsf.  Das  künstlerische 
Wirken,  das  in  der  geschäftlichen,  tausendfach  verzweigten  Thätigkeit  des  Bürgers 
Qberall  ersichtlich  werden  soll,  hat  dem  Nutzen  und  Gebrauche  eines  Gegen- 
standes zu  entsprechen,  der  unsem  Grewerben  und  Industrien,  der  rationellen 
Bewohnung  unsers  Hauses  und  der  Ausschmückung  desselben  angehört.  Das 
künstlerische  Schaffen  eines  Volkes  begründet  sein  Glück  und  seinen  Wohlstand. 
Die  bildenden  Künste  und  die  Kleinkünste  in  allen  Berufsthätigkeiten  des  Hand- 
werkes und  der  Gewerbe  können  nicht  getrennt  gedacht  werden,  sie  sind  der 
gegenseitigen  Hülfe  bedürftig.  Sie  stehen  im  normalen  Verhältnisse  zu  einander, 
wenn  die  Grenzen  nicht  ausfindig  zu  machen  sind,  wo  der  eine  Theil  aufhört 
und  der  andere  beginnt;  sie  hinterlassen  eine  große  Lücke,  oder  verkümmem, 
wo  sie  nicht  gleichzeitig  erscheinen. 

Von  den  Werken,  die  seit  Jahrhunderten  die  Schweiz  in  der  Kunstindustrie 
zu  Tage  förderte,  blieb  uns  wenig  übrig.  Die  Zeit  und  die  Ereignisse  haben  sehr 
Vieles  zerstört.  Wenn  ein  neuer  Aufbau  stattfinden  soll,  so  wenden  sich  unsere 
Blicke  nach  den  Nachbarstaaten  und  so  vielen  fremden  Ländern,  an  deren  reichen 
Gestalten  und  Bildern  unsere  Wege  und  Ziele  vorgezeichnet  sind.  Li  diesem  eben  so 
belehrenden,  als  wunderbaren  Gemälde  idealen  Schaffens  begegnet  uns  bei  allen 
Völkern  der  gleiche  maßgebende  Ursprung,  auf  den  das  höchste  Streben  zurück- 
führt. Es  ist  die  religiöse  Verehrung,  die  bei  den  wilden  und  barbarischen  Völkern 
in  der  unvollkommensten  Weise  für  ihre  Götzen,  in  der  altklassischen  Periode 
für  eine  herrliche  Götterwelt,  im  Mittelalter  für  eine  strenggläubige  AufiGassung, 
nicht  weniger  in  modemer  Zeit  in  der  Begeisterung  für  die  erhabensten  Gredanken, 
die  das  menschliche  Herz  zu  beleben  vermögen,  sich  kund  gibt ;  —  von  welcher 
geleitet  die  höchsten  Monumente  der  Architektur,  der  Skulptur,  der  Malerei  in 
die  Erscheinung  getreten  und  noch  treten,  und  aus  der  allein  die  Kleinkunst  in 
ihrer  richtigsten  Entwicklung  und  in  ihrer  höchsten  Bedeutung  hervorgegangen 
und  von  hieraus  weiter  in's  öJQFentliche  und  in's  bürgerliche  Leben  gedrungen 
ist.  —  Betrachten  wir  etwas  genauer  diese  Thatsache.  Lange  vor  römischer  und 
christlicher  Zeitrechnung  erheben  sich  die  heidnischen  Denkmäler.  Die  Kelten 
bauen  ihre  ungeheuren  Steinkreise  zur  Verehrung  ihrer  Götter  und  für  ihre  Todten 
errichten  sie  Grabhügel.  Die  Monumente  tragen  die  Spuren  des  Ornamentes,  so 
wie  von  hier  aus  die  Gregenstände  des  werktäglichen  Lebens.  Thongefäße,  Ge- 
schirre, Waffen,  Werkzeuge  aller  Art  aus  der  Stein-,  der  Bronze-  und  Eisenzeit, 
Holzschnitzereien  bezeugen  den  Sinn  dieses  alten  Volkes  und  der  Pfahlbauer  für 
eine  ideale  Richtung.  In  den  niedrigen  Kulturzuständen  in  Mexiko,  Südamerika, 
Zentralafrika,  Australien  etc.  treffen  wir  auf  das  herrschende  Bedürfhiß  für  monu- 
mentale Bauten,  für  Tempel  und  Grabmäler  etc.  und  die  Ausschmückung  derselben, 
wenn  auch  in  geschmackloser,  primitiver  und  überladener  Weise,  aber  aus- 
schließlich im  religiösen  Dienste. 

Dieses  innige  Verbal tniß  der  hohem  Kunst  zur  Kunstindustrie  entwickelte 
sich  aus  der  Kindheit  zu  der  Schöpfung  der  wunderbaren  Denkmäler  in  der  antiken 
Kunst,  unter  der  wir  das  alte  Aegypten,  die  persische,  althindustanisohe,  die 
assyrische,  griechische,  etmskische,  römische  und  die  griechisch-römisohe  Kunst 
verstehen. 

Die  riesenhaften  Pyramiden,  die  Felsengräber,  die  Paläste  der  Aegypter 
schauen  auf  ein  großes  gewerbthätiges  Volk  hernieder,  dessen  Ausführung  und 
Umfang  der  öffentlichen  Werke  unser  höchstes  Erstaunen  erregen,  uns  als  ein 
Käthsel  erscheinen.  Der  Schmuck  ihrer  Tempel  erweckt  ein  blühendes  Handwerk. 


Kunstgewerbe  —     209     —  Kunstgewerbe 

Noch  8tarr  und  abgeschlossen  und  ohne  die  nöthige  Freiheit  bewegt  sich 
die  ägyptische  Kunst.  Aber  was  die  schweigende  Sphinx  noch  nicht  vermag,  das 
entfaltet  sich  doch  nach  ägyptischen  Vorbildern  unter  den  Hellene  in  lebensvollere 
Freiheit  und  Anmuth,  zur  unvergleichlicher  Schönheit  der  Form,  zu  der  eigentlichen 
klassischen  Darstellung.  Die  Werke  des  alten  Hellas  in  den  bildenden  Künsten, 
namentlich  der  Plastik,  stehen  noch  unübertroffen  vor  der  Nachwelt  und  werden 
derselben  'immerdar  als  eine  glänzende  Leuchte,  als  Schule  dienen.  Die  kunst- 
reichen Tempel,  die  zahllosen  Statuen  der  olympischen  Götter,  die  vollendete 
Ornamentik  bedecken  den  klassischen  Boden  und  die  Ueberreste  derselben,  sowie 
die  Gegenstände  aus  dem  Kunsthandwerke  beleben  die  europäischen  Museen.  Die 
römischen  Tempelbauten  übertreffen  an  Größe,  weit  bedeutenderer,  konstruktiver 
Entwicklung,  in  reichster  Fracht  und  üeppigkeit,  gestützt  auf  etruskische  Vorgänge 
im  G^wölbebau,  die  griechischen  Werke.  Und  vou  da  aus  entstehen  die  kolossalen 
Paläste  und  Privatbauten,  die  herrlichen  Gebilde  des  pompejanischen  Hauses,  das 
aus  dem  Schutte  der  verschütteten  Städte  herausgezogen,  die  geschmückte  Wohnung 
des  römischen  Bürgers  zeigt,  die  unsere  neuesten  Kunstschulen  so  gerne  zur 
Nachahmung  empfehlen. 

Was  im  grauen  Alterthum  die  erste  Veranlassung  zur  Herstellung  der  reichsten 
Kunstindustrie  geboten  hat,  von  der  unsere  Zeit  immer  noch  so  viel  lernen  muß, 
das  ist  immerhin  seit  der  christlichen  Zeitrechnung  noch  in  weit  höherem  Maße 
eingetroffen.  Die  ornamentale  Ausstattung  bezog  sich  beim  alten  Tempel  der 
klassischen  Zeit  nur  auf  seine  Außenseite,  das  Innere  enthält  diesen  Schmuck  nicht. 

Gtinz  anders  ist  dies  beim  christlichen  Kirchenbau,  in  dessen  Räumen  sich 
das  Volk  versammelt.  Mit  der  Erstarkung  des  Christenthums  trat  die  Kirche 
mit  fürstlichem  Glänze  auf.  Das  ganze  Volk  legte  hier  seine  Geschenke  nieder 
and  freute  sich  an  der  Pracht  der  kostbarsten  Ausbtattung.  Wir  sehen  die  schönen 
Altäre,  Bilder,  Figuren  und  Gemälde,  von  den  ersten  Künstlern  hergestellt,  Chor- 
stühle mit  Schnitz  werk,  Orgeln,  Leuchter,  Monstranzen,  Fahnen,  Tauftische,  Kanzeln, 
Sarkophage,  —  und  dieses  Alles  umgeben  und  überbaut  mit  der  reichsten 
Architektur  vou  Säulen  und  netzartigen,  steinernen  Gewölben,  oder  Balkendecken. 
GdM,  Silber,  alle  Metalle,  Brillanten  etc.  gelangen  zur  Anwendung,  wo  die  Form 
and  der  Gegenstand  es  verlangen.  —  Dieses  Bild  zieht  durch  die  Kirchen  des 
Orientes,  durch  die  Dome  Italiens,  durch  die  Münster  und  Kathedralen  von 
Deutschland,  Frankreich,  Spanien,  England  etc.  Welch  ein  enormer  Unterschied 
m  dieser  Beziehung  gegen  das  klassische  Alterthum!  Was  Wunders,  wenn  bei 
diesem  unberechenbaren  Aufwände  der  Verherrlichung  des  monumentalen  Bauwerkes, 
der  Kirche,  wie  er  über  ein  Jahrtausend  schon  stattfindet,  das  künstlerische  Ringen 
und  Schaffen  zur  höchsten  Blüthe  gebracht,  die  Werkstatten  des  Künstlers  und 
des  Handwerkers  in  die  segensreichste  Thätigkeit,  das  Bürgerthum  des  Mittelalters 
in  Wohlstand  versetzt  wird. 

Mit  der  Anführung  dieser  großen  geschichtlichen  Thatsache  wollen  wir 
durchaus  nicht  vergessen,  wie  viele  Faktoren  auf  dem  weltlichen  Gebiete,  in  der 
HO  umfangreichen  Werkthätigkeit  der  Menschen  sich  ergeben,  die  der  Kunst  und 
dem  Kunsthandwerke  immer  neue  Aufgaben  zuführen. 

Mit  dieser  Darstellung  versuchen  wir  auch  die  Frage  zu  beantworten,  in 
welchem  Verhältnisse  die  ArchUtkiur  zu  den  Künsten,  insbesondere  zu  der  Kunst- 
industrie steht,  oder  stehen  soll. 

Wir  haben  gesehen,  daß  sie  nirgends  bedeutungsvoller,  erhabener  in  die 
Erscheinung  tritt,  als  im  Dienste  der  Religion,  mag  dieselbe  noch  auf  einer  so 
dürftigen  Anschauung  beruhen,   oder  von  dem  geläuterten  und  höch^t^xv  Q^^^'dL\^^\i 

Fnrr«r,  Volktwirtbtchafts-Lexikon  der  Schweiz,  \l^ 


Kunstgewerbe  —      l>lf>     —  Kunstgewerbe 

getragen  werden.  Ihren  Triumph  feiert  sie  zar  Stunde  an  der  Vollendung  des 
Kölner  Domes.  Ihr  unsterbliches  Verdienst  hat  sie  bereits  gefeiert  auf  der  Akropolis 
zu  Athen ,  an  den  Kuppelbauten  zu  Bom  und  Florenz ,  und  an  Monumenten 
in  andern  Staaten.  Kein  Kunstwerk  anderer  Art,  weder  des  Bildhauers,  noch 
des  Malers,  und  auch  kein  Tonstück  überragt  diese  Denkmäler  an  Größe  und 
Schönheit  der  Arbeit,  an  geistigem  und  künstlerischem  Werthe  und  idealer  Weihe. 
Wie  sollte  es  auch  anders  sein  ?  Dem  einzelnen,  gottbegabten  Denker  und  Künstler 
kann  es  doch  nicht  gegeben  sein,  zu  leisten,  was  ein  ganzes  Volk,  was  viele 
Generationen  zu  erstellen  vermögen,  in  der  Aufbietung  ihres  besten  Wissens,  ihrer 
Mittel  und  Kräfte,  in  der  Begeisterung,  der  Nachwelt  das  Erhabenste,  noch  nie 
Erreichte  zu  überliefern. 

Die  Architektur  tritt  hier  nicht  allein  auf,  sie  verbindet  sich  mit  ihren 
Schwesterkünsten  und  der  Kleinkunst.  Sie  weist  denselben  den  Platz  in  den 
monumentalen  Bäumen  an,  weil  die  Künste  nirgends  wie  hier  zur  höchsten  Geltung 
zu  gelangen  vermögen.  In  diesen  Bäumen  gelangen  auch  das  Wort  und  die  Musik 
zur  bedeutendsten  Entfaltung.  Die  Architektur  stellt  sich  somit  an  die  Spitze 
der  bildenden  Künste. 

In  dieser  Beherrschung  des  Baumes  und  der  Erfindung  der  Gestalten  und 
Formen  wird  die  Architektur  ihrer  Aufgabe  und  ihrem  eigensten  Wesen  gemäß 
die  Gesetze  des  Styles  aufistellen,  die  allem  künstlerischen  Schaffen  zur  Bichtschnur 
dienen  müssen.  Diese  Gesetze  des  Styles  entstehen  nicht  der  bloßen  Phantasie  und 
Willkür  wegen,  sondern  sie  bilden  das  Ergebniß  von  zwingenden  Gründen.  Bevor  die 
Architektur  in  ihren  Arbeiten  dem  formalen  Theile,  der  Aesthetik  gerecht  zn 
werden  sucht,  bestimmt  sie  die  genaue  Eintheilung  des  Baumes  und  die  Art  der 
Konstruktion,  welche  dem  Zwecke  entsprechen,  eine  glückliche  Lösung  des  ge- 
stellten Programmes  enthalten  sollen.  Erst  dann  wählt  sie  diejenige  Form  für 
das  Aeußere,  wie  für  das  Innere  ihres  Werkes,  die  dem  Auge  einen  wohlthuenden, 
beftnedigenden  Eindruck  verleiht.  Diese  Behandlung  der  Eintheilung,  der  Kon- 
struktion, der  Formenbildung  ist  abhängig  von  der  Wahl  des  Materials,  dem 
klimatischen  Verhältnisse  eines  Landes,  dem  Stand  der  technischen  Wissenschaften, 
dem  Kulturzustande  des  Volkes,  den  finanziellen  Mitteln  etc.  Es  gibt  nicht  bloß 
einen  Styl  und  eine  Form,  die  aus  diesem  geregelten  Schaffbn  hervorgehen.  Die 
G-eschichte  zeigt  uns  verschiedene  Hauptstyle  und  eine  Menge  von  Variationen 
in  denselben. 

Wo  die  Baukunst  frei  sich  bewegen  kann,  ringt  sie  darnach,  das  Gleich- 
gewicht in  den  Maßen  und  den  gegenseitigen  Proportionen  aufzustellen  und  Alles 
auszustoßen,  was  dieser  Harmonie  zuwiderläuft;  sie  wird  dies  um  so  mehr  thun, 
je  reiner,  geläuterter,  je  edler  und  schöner  sie  selbst  erscheint.  Die  Skulptur, 
die  Malerei,  das  Genre,  die  Kleinkunst,  die  Dessins  und  Ornamente  etc.  mtissen 
in  der  richtigen  Komposition,  der  korrekten  sichern  Zeichnung,  im  günstigen 
Kolorit  etc.  sich  bewegen.  Jede  Manierirtheit,  Extravaganz,  Un Vollkommenheit, 
nicht  geistig  belebte  Darstellung  entfernt  einen  Anschluß  an  die  gelungene 
Bauforra. 

Es  hat  sich  denn  auch  in  allen  bedeutenden  Perioden  der  Kunstgeschichte 
gezeigt,  daß  da  wo  der  Styl  in  dieser  durchschlagenden  Weise  auftritt,  allen  andern 
Künsten  der  gleiche  Charakter  zu  Theil  wurde,  sowie  umgekehrt :  wo  die  Architektur 
in  Verfall  gerieth,  eine  vollständige  Zerfahrenheit  in  allen  Zweigen  künstlerischen 
Strebe  ns  sich  einstellte,  oder  dasselbe,  theil  weise  wenigstens,  aufhörte. 

Als  die  Nacht  barbaiischer  Zeiten  der  Völkerwanderung  über  den  Westen 
hereinbrach,    auf  viele    Jahrhunderte   hinaus   jede   Kultur   vernichtete,    von    den 


Kunstgewerbe  —      211      —  Kunstgewerbe 

erhabenen  Bauwerken  Roms  kaum  ein  Stein  auf  dem  andern  blieb,  da  erstanden 
die  altcbristlichen  und  die  romanisoben  Entwicklungsperioden.  Es  war  ein  frisober, 
kräftiger  Geist,  der,  unter  vielen  Reminiszenzen  aus  früheren  Zeiten,  eine  neue, 
selbstständige  Stellung  zu  erreichen  suchte.  Aus  den  Kämpfen  mit  der  kindlich 
naiven,  oft  rohen  und  barbarischen  Form,  in  der  sich  folgerichtig  auch  die 
Kunstindustrie  bewegte,  erhob  sich  der  gothische  Styl  des  zwölften,  dreizehnten 
und  vierzehnten  Jahrhunderts,  der  in  den  aufblühenden  Städten  des  Kontinentes 
das  Handwerk  und  mit  demselben  ein  reiches  kunstindustrielles  Leben  gründete. 
^0  armselig  früher  das  bürgerliche  Haus  war,  das  kaum  eine  menschenwürdige 
Wohnung  enthielt,  so  sehr  war  man  nun  darauf  bedacht,  dem  Inneren  desselben 
eine  freondliche,  solide,  formenreiche  Gestalt  zu  geben,  der  Familie  ein  Heim 
damit  zu  bieten.  Die  Holzschnitzerei,  die  Ausarbeitung  des  Steines,  des  Thones, 
der  Metalle  erreichten  einen  hohen  Grad  von  Schönheit  und  kaum  zu  über- 
treffender Geschicklichkeit. 

£^  liegt  im  Wesen  der  gothischen  Architektur  und  der  daraus  in  einer  so 
scharfen  Weise  hervorgegangenen  Kleinkunst,  wie  dies  in  keinem  geschichtlichen 
Style  der  Fall  war,  daß  sie  bei  der  exzentrischen  Behandlung  des  Stoffes  keine 
lange  Zeitdauer  aufzuweisen  hat.  Für  das  bürgerliche  Leben  ist  sie  damit  auch 
zu  kostspielig,  für  die  großen  Bauwerke  zu  einseitig,  weil  zu  wenig  plastisch, 
geworden.  Lnmerhin  bleibt  sie,  in  maßvoller  Anwendung,  in  der  modernen  Zeit 
für  Kirchenbauten,  ganz  besonders  vom  rein  architektonischen  Charakter  aus 
betrachtet,  die  wichtigste,  die  erhebendste  Form.  Unter  den  berühmtesten  Künstlern, 
wie  Dürer,  Holbein,  Fischer,  Kraft  etc.,  entwickelte  sich  denn  auch  bald  die 
deutsche  Renaissance,  die  nun  selbst  in  der  neuesten  Zeit  mit  pedantischer 
Aengst lichkeit  wieder  aufgegriffen  wird.  Der  Hauptanstoß  für  die  Renaissance, 
wie  sie  mehr  und  mehr  alle  Länder  durchzog,  ging  von  Italien  aus.  Da  hier 
sich  niemals  der  Sinn  für  die  romanische  und  germanische  Bauart  vorfand,  die 
Erinnerung  des  kunstbegabten  italienischen  Volkes  zu  lebhaft  an  den  glorreichen 
Werken  von  Rom  und  Griechenland  hing,  so  wendeten  die  bedeutendsten  Künstler 
sich  wieder  diesen  Vorbildern,  als  ihrer  besten  Grundlage,  zu,  auf  der  sie,  den 
Bedürfnissen  ihrer  Zeit  entsprechend,  ihren  neuen  Aufbau  zu  errichten  suchten. 
Die  Auffassung  der  Antike  war  einfach  und  groß  in  der  Darstellung,  rein 
und  harmonisch;  die  spätere  Zeit  wurde  in  der  Tradition  der  Antike  über- 
schwänglich,  zu  dekorativ,  die  Verdrehung  der  Figur  wurde  zum  Muster.  Die 
Architektur  der  Fagaden  erhielt  eine  Scheiuarchitektur  von  zwecklosen  Säuleu, 
PiLastem,  Pfeilern  etc.  Dieser  geschichtliche  Verlauf  spiegelt  sich  ab  in  der 
Juwelierkunst,  in  Niello-  und  Filigranarbeiten,  Ciselirkunst,  Gravirkunst  etc.,  in 
der  Pergamentmalerei,  in  den  zahllosen  Beispielen  der  Miniatur-  und  Manuskript- 
malerei etc. 

Weniger  als  die  Gothik  eignet  sich  die  Renaissance  zur  Ausmeubliruug  der 
Kirche,  besonders  aber  nicht  zum  Fa^aden-  und  Thurmbau,  da  ja  die  antike 
Form  für  den  niederen  Tempelbau,  für  die  Gottheit  auf  dieser  Erde,  von  Anfang 
an  bestimmt  war.  Der  niederstrebende  Horizontalismus  darf  mit  dem  aufstrebenden 
Gewölbebau  nicht  zusammengestellt  werden,  wie  dies  bereits  im  Dualismus  der 
römischen  Architektur  ausgesprochen  ist,  die  in  ihrer  Prunksucht  auf  diesen 
Fehler  verfiel.  Dagegen  ist  die  Renaissance  in  wohl  angewendeter  Form,  in  ihrer 
Schönheit,  Anmuth,  Heiterkeit  und  leichten  Behandlung  für  unsere  modernen 
bürgerlichen  Verhältnisse  wohl  der  entsprechende  Styl  und  hauptsächlich  für  die 
dekorative  ELleinkunst  in  den  Gewerben  das  Passendste,  so  wie  sie  in  Italien 
zur  Anwendung  gelangte. 


KdOslfgeweThe  —     -Ji'J     —  Kunstgewerbe 

Den  Löwenantheil  an  der  Kunstindustrie  errangen  vor  allen  anderen  Nationen 
die  FranzoHtPi.  Während  mehreren  Jahrhunderten  behaupteten  bie  die  Oberherrschaft. 
Die  bedentendtften  italienischen  Bankünütler,  Maler,  Decoratdnr)>,  Graveurs,  Klein - 
bildbauer,  Dessinateurs  etc.  berief  man  an  die  franzötdschen  Höfe,  von  Franz  I. 
an  bU  zu  Ludwig  XVI.  Unter  Ludwig  XIV.  namentlich  zeigte  sich  die  lieber- 
legenheit  Frankreichs. 

Die  großen  einheimischen  Künstler  wußten  nicht  bloß  da»  Fremde  zu 
benutzen,  sie  traten  in  selbststftndiger,  kühner,  schöpferischer  Weii«e  hervor.  Die 
Wahrheit  dieses  Satzes  zeigt  sich  an  einem  unvergleichlichen  Beispiele.  Die 
Kunstindustrie  in  der  Seide  ist  uralt.  Die  Kreuzfahrer  brachten  sie  nach  West- 
europa. In  Lyon  nahm  sie  ihren  Anfang  um  das  Jahr  1450.  Zwei  Jahre  später 
zählte  die  Stadt  gegen  12,000  Seiden  Webstühle.  Das  Edikt  von  Nantes  brachte 
dieselben,  wegen  der  eingetretenen  Massenanswanderung,  auf  die  Hälfte  herab. 
Die  feineren  Seidenartikel  werden  in  Lyon  erzeugt;  es  sind  die  mit  Gold  und 
Silber  durch wirkteu,  für  Kirchenzwecke  bestimmten  Brokate.  An  Stelle  der  aus 
Asien  eingeführten  Stühle  und  Modelle  trat  der  von  Jacquard,  einem  Lyoner, 
erfundene  neue  Webstuhl.  Im  Jahre  1789  zählte  man  18,000  Stühle,  jetzt 
über  70,000,  die  150,000  Weber  beschäftigen.  In  diesem  Jahrhundert  hat  Lyon 
in  der  Farbenstickerei  allen  anderen  Städten  den  Vorrang  abgelaufen;  sie  beruht 
meistens  auf  Handstickerei,  obwohl  auch  mit  der  Maschine,  dem  sog.  Tambour, 
gestickt  wird,  der  aus  China  stammt.    (Aus  einer  Korrespondenz  von  Lyon.) 

Ganz  besonders  raffte  sich  England  nach  seiner  internationalen  Ausstellung 
im  Jahre  1851  auf  durch  die  Gründung  von  Gewerbe-,  Industrie-  und  Kunst- 
schulen in  vielen  Theilen  des  Königreiches.  Mit  seinen  unerschöpflichen  Mitteln 
gelang  es  demselben,  auf  verschiedenen  Gebieten  Frankreich  in  der  kürzesten 
Zeit  eine  ebenbürtige  Konkurrenz  zu  machen.  Die  künstlerische  und  kunstindustrielle 
Sammlung  von  Prachtgefäßen  in  Gold,  Silber  und  allen  Metallen  und  anderen 
Gegenständen,  die  der  Patriotismus  aus  den  reichsten  englischen  Häusern  im 
Kensington -Museum  aufgestellt  hat,  ist  wohl  das  Glänzendste  und  Seltenste,  was 
in  dieser  Art  je  bei  einander  war. 

Benischland  und  Oesierreich  die  auch  einen  so  bedeutenden  Aufschwung  in 
der  Kunstindustrie  genommen  haben,  besitzen  in  den  neu  angelegten  kunstgewerb- 
lichen Museen  von  Berlin,  München,  Wien  unschätzbare  2Sentralpunkte.  Eine 
Menge  der  besten  Schulen  für  das  Kunsthandwerk  sind  erstanden :  ebenso  in  fast 
allen  kontinentalen  und  den  bekannten  überseeischen  Ländern. 

Schon  längst  ist  auch  an  die  Schweiz  die  dringende  Mahnung  ergangen, 
in  diesen  großen  Wettkampf  der  Neuzeit  mit  einzutreten. 

Diese  Mahnung  hat  bereits  manche  schöne,  neue  Blüthe  getrieben.  Aber 
verhältnißmäßig  stehen  wir  doch  zu  weit  vor  andern  Ländern  zurück,  haben 
nicht  geleistet  was  wir  konnten,  und  nicht  benutzt,  was  uns  für  die  Pflege  der 
Groß-  und  Kleinkünste  geboten  wurde. 

Zur  Erklärung  unserer  Situation,  so  wie  sie  aus  der  Vergangenheit  her- 
vorgehen mußte,  und  welcher  weiteren  Entwickelung  sie  fähig  sein  möchte, 
gestatten  wir  uns,  einige  kritisch-geschichtliche  Andeutungen  zu  geben. 

In  Folge  unserer  nationalen  Zerfahrenheit  kannte  die  Schweiz  seit  der 
helvetischen  Zeit  auf  keinem  Gebiete  ihrer  Arbeit  ein  geschlossenes,  einheitliches 
Handeln.  Den  fremden  Einfluß  brachten  den  Ureinwohnern,  den  Pfahlbauern, 
bereits  schon  die  dürftigen  Verbindungen  mit  den  südlichen  und  nördlichen 
Völkern,  sowie  auch  die  Einwanderungen,  die  in  vorchristlicher  Zeit  statt  hatten. 


Kunstgewerbe  —      213      —  Kunstgewerbe 

Bemerkbar  sind  aus  dieser  Zeit  die  Anfänge  des  künstlerischen  Bedürfnisses,  das 
sieb  am  Tbon,  an  Holz,  Metallen  etc.  fUr  die  Bearbeitung  der  gebräuchlichen 
Gefäße,  Geschirre,  fUr  Gedenkzeichen  etc.  in  bildlichen  Darstellungen,  in  geringer 
Zeichnung,  zu  erkennen  gab. 

Die  römische  Herrschaft  erbaute  in  den  ersten  Jahrhunderten  blühende, 
große  Städte,  Tempel,  Villen,  Thermen,  emchtete  für  ihre  militärischen  Zwecke, 
für  die  Begründung  ihrer  Herrschaft,  die  Sicherung  ihrer  Eroberungen,  ein 
ausgedehntes  Straßennetz  über  das  ganze  Land,  dämmte  Flüsse  und  See'n  ein, 
legte  die  Wasserspiegel  tiefer,  entsumpfte  den  Boden  und  bebaute  denselben; 
sie  machte  den  Anfang  dessen,  was  wir  im  zweitausendsten  Jahrhundert  zu  voll- 
enden trachten. 

Daß  das  leibeigene  Volk  bei  der  Einreihung  seiner  Jugend  in  die  römischen 
Legionen  von  dieser  hohen  Kultur  wenig  Nutzen  zog,  mag  in  dieser  Abhängigkeit 
und  in  der  kurzen  Dauer  der  fremden  Herrschaft  seinen  Grund  gefunden  haben. 
Die  spätem  Einwanderungen  nördlicher  und  asiatischer  Horden  haben  im  Be- 
wußtsein ihrer  eigenen  Unfähigkeit,  in  ihrem  glühenden  Hasse  gegen  jedes  zivilisa- 
torische Streben,  diese  herrlichen  Städte  und  Ländereien  der  Verwilderung,  der 
gründlichsten  Versumpfung  wieder  übergeben.  Unter  den  barbarischen  Eindring- 
lingen machten  die  Burgundionen  eine  Ausnahme.  Sowie  im  östlichen  und  nörd- 
lichen Helvetien  die  Allemannen  die  Vernichtung  betrieben,  entstanden  unter  den 
Burgundern  im  westlichen  Theile  bereits  im  sechsten  und  siebenten  Jahrhundert 
unter  altchristlichem  Einflüsse  kirchliche  Bauten.  Die  Kleinkunst  bei  den  Bur- 
gundern machte  sich  besonders  im  Schmucke  der  Waffen  geltend.  Mit  der  voll- 
ständigen Verbreitung  des  Christen thums,  namentlich  unter  der  mächtigen,  orga- 
nisatorischen Regierung  Karls  des  Großen,  entwickelte  sich  der  romanische  Baustyl 
auch  in  der  Schweiz,  und  bei  geordneten  Zuständen  vermochte  das  künstlerische 
Schaffen  in  Gewerbe  und  Handwerk  mehr  und  mehr  einen  festen  Boden  zu  fassen. 

Wir  fügen  hier  die  Bemerkung  ein,  daß,  abgesehen  von  den  jahrhunderte- 
langen Unterbrechungen,  welche  die  altchristliche  Baukunst  erfuhr,  die  nur  all- 
mälig  aus  dem  System  des  Basilikenbaues  zur  Selbstständigkeit  erwuchs,  es  zwar 
mit  der  Anbringung  der  Malerei  und  Skulptur  zum  Kirchenschmucke  unendlich 
mühsam  und  schwierig  zugegangen  sein  mag,  denn  die  ersten  Jahrhunderte  des 
Cliristenthnms  durften  in  der  Bekämpfung  des  heidnischen  Götzendienstes  keine 
eigenen  Bilder  erstellen.  Das  Andenken  an  Christus  konnte  höchstens  in  der 
symbolischen  Darstellung  sein  Genüge  suchen.  Aber  später,  als  die  Klöster  unter 
mächtigen  Ftlrsten  anfingen,  die  Ausstattung  der  Kirchen  konsequent  durchzu- 
fHhren,  trat  das  allgemeine  Bedürfniß  dafür  auf. 

Die  berühmten  Klöster  von  St.  Gallen,  der  Reichenau,  von  Einsiedeln,  Bero- 
münster,  Basel  und  der  Westschweiz  etc.  lieferten  die  Künstler,  die  denn  auch 
dem  Kunsthandwerk  eine  Grundlage  bereiteten.  Der  fortwährende  Anschluß  an 
die  Bestrebungen  Deutschlands  und  Frankreichs  führte  zu  der  Städtegründung, 
zur  Erbauung  der  großen  Münsterkirchen  in  Basel,  Bern,  Freiburg,  Lausanne, 
Zürich,  Genf  etc.,  zum  Baue  der  Rathhäuser,  der  Zunftgebäude,  zur  Bildung  der 
Zünfte,  des  kunstreichen  Handwerks,  einer  festen  bürgerlichen  Gesellschaft,  zum 
blühenden  Gemeinwesen  des  Mittelalters.  Wie  die  deutschen  und  französischen 
Kirchen  und  öffentlichen  Bauten,  so  können  auch  diejenigen  in  der  Schweiz 
einen  reichen  Schatz  von  Steinmetzarbeiten,  Bildhauereien,  der  Schnitzerei,  der 
Schreinerei  aufweisen,  dann  besonders  in  der  Glasmalerei,  den  Metallgeräthen, 
wie  silberne  Kronleuchter,  Reliquienkästchen,  Gefäße,  Monstranzen,  Seiden- 
stickereien etc. 


Kunstgewerbe  —      214      —  Kunstgewerbe 

Wir  erwähnen  der  Kirchenstühle  im  St.  Peter  in  Zürich,  in  St.  Wolfgaiig- 
bei  Cham,  Kanton  Zug,  in  Stäffis,  Hauterive,  Kanton  Freibnrg,  etc. ;  des  Schnitz- 
werkes im  Saale  des  alten  Kathhauses  zu  Zug  etc. 

Wie  in  den  Monumentalbauten,  so  hat  das  Kunsthandwerk  auch  in  Privat- 
bauten in  der  Blüthezeit  der  Gothik,  besonders  in  der  Vertäfelung  der  Wohn- 
räume, außerordentlich  viel  gethau,  wie  dies  indessen  mehr  durch  Aufzeichnungen 
ersichtlich  wird,  als  durch  noch  bestehende  Bauten. 

Es  ist  sicher,  daß  mit  dem  Alter  weitaus  der  größte  Theil  derselben  ver- 
schwand und  nicht  wieder  erneuert  wurde.  An  deren  Stelle  traten  die  Formen 
der  Früh-Renaissance  aus  Italien,  vom  XIV.  und  XV.  Jahrhundert,  so  daß  eben 
auch  in  den  bedeutendsten  Kirchen  die  Chorstühle  z.  B.  diesen  Wandel  erlitten. 

Im  Renaissancestyl  besitzen  wir  die  beliebtesten  Ueberlieferungen  in  den 
Chorstühlen  zu  Wettingen,  Kanton  Aargau,  zu  Beromünster,  Kanton  Luzern,  den 
Häupterstühlen  der  Martinskirche  in  Basel,  den  Chorstühlen  und  der  Kanzel  in 
der  Barfüßer kirche  zu  Luzern,  in  den  Chorstühlen  des  Münsters  zu  Bern  etc. 
Ein  reiches  Täfelwerk  besitzt  das  alte  Rathhaus  zu  Luzern.  In  vielen  Pnvat- 
häusern  treffen  wir  auf  schönes  Täfelwerk  aus  der  reinern  Periode  der  Renaissance. 
So  z.  B.  in  Näfels,  Bilten,  Stans,  Basel  etc.  Im  Museum  zu  Zünch  wird  das 
berühmte  G-etäfer  des  sogenannten  Seidenhofes,  verschiedene  bedeutende  Stücke  in 
den  Gewerbemuseen  in  Winterthur,  Basel,  St.  Gallen,  Zürich  etc.^)  gezeigt. 

Die  Aufbewahrung  der  Mobilien  aus  der  gothischen  Zeit  und  der  Früh- 
renaissance ist  eine  noch  weit  seltenere,  als  die  der  festen  Gegenstände  in  den 
Bauten,  da  die  erstem  weit  eher  dem  Abgange,  den  neuen  Richtungen,  sowie 
dem  Zahne  der  Zeit  auheim  fielen,  als  die  letztern.  Die  Schränke,  Truhen,  Schreine, 
die  Schmuckkästchen,  die  Bettstatten  mit  Himmel,  reich  verzierte  Stühle  und 
Tische  sind  kaum  mehr  vorhanden. 

Neben  der  so  gelungenen  künstlerischen  Behandlung  des  Täfers  und  des 
Möbels,  die  eine  so  bedeutende  Verbreitung  erhielten,  wurde  fast  jede  Wohnung 
mit  Glasmalereien,  mit  Wappenschildern,  mit  metallenen  Geschirren,  Thongefäßen, 
Büchereinbänden  in  Leder  und  feinem  Beschläge,  mit  Malereien,  Familienbildern, 
Vergoldungen,  Stickereien,  Tapeten  etc.  geschmückt;  die  schönen  Kachelöfen  mit 
ihren  Bildern,  die  Kamine,  das  formenreiohe  Beschläge  der  Thüren  und  Fenster 
und  der  Möbel  durch  den  Schlosser  wurden  immer  reicher  ausgebildet. 

Die  Spätrenaissance  hat  alle  diese  Gegenstände  beibehalten,  aber  mit  weniger 
guten  Zeichnungen  versehen  und  dieselben  im  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert  bis 
zur  Entartung  geführt.  In  der  Juwelier-,  Gold-  und  Silberschmiedekunst  wurde 
vieles  Gute  geleistet,  tüchtige  Künstler  thaten  sich  darin  hervor.  Mit  dem  Nieder- 
gange des  bessern  Styles  gingen  viele  Arten  der  Arbeit  zu  Grunde ;  das  Ausland 
mußte  t1lr  den  Bedarf  von  Schmucksachen  in  Anspruch  genommen  werden.  Die 
italienischen  Emigranten  brachten  die  Seidenindustrie  nach  der  Schweiz,  obwohl 
eine  besondere  kunstindustrielle  Höhe  dabei  kaum  erreicht  wurde.  Im  Jahre  1770 
kam  die  Weißstickerei  auf  Gazes,  Mousselines  etc.  auf  und  gelangte  zu  großer 
Bedeutung.  Seit  Jahrhunderten  waren  es  auch  die  verschiedenen  Costumes  der 
Bevölkerungen  aller  Kantone,  welche  dem  kunstindustriellen  Gewerbe  fortwähi'end 
Arbeiten  zuführten.  In  den  Städten  begegnen  wir  einem  bedeutenden  Kleiderluxus 
in  reichen  Stotfen  und  Schmuckgegenständen.  Dieser  Luxus  wurde  hauptsächlich 
durch    den  Fremdendienst   befördert.     Schon    seit   den  Burgunderkiiegen  fiel  der 

M  Nach  den  Mittheüungen  von  Herrn  Müller.  Kunstzeichner  in  Bern,  der  durch 
seine  gelreuen  Aufnahmen  und  Zeichnungen  nach  der  Natur  <o  vieles  Schöne  an"s 
Tagetslicht  gebracht  hat. 


Kunstgewerbe  —      215      —  Kunstgewerbe 

Grebrauch  der  Seide  und  des  Sammts  in  die  Mode.  Die  HeiTeu  tragen  Batist- 
Hemden  mit  Chabüts,  seidene  gestickte  Westen,  seidene  Beinkleider  und  Strümpfe, 
reiche  Röcke  mit  vergoldeten  Knöpfen,  zierliche  Schuhe,  mit  kostspieligen  Schnallen 
und  Grarnituren  besetzt.  Feine  Hüte  und  Handschuhe  entsprachen  dem  Uebrigen. 
Kleine  uud  große  Dosen  aus  Schildpatt  etc.,  mit  Perlmutter-,  Bernstein-,  Gold-  und 
Silbereinlagen,  mit  Elfenbein  und  Brillanten  geschmückt;  schwere  goldene  Ketten 
an  goldenen  Uhren  mit  Wappen  und  Siegeln  beschwerten  die  Taschen;  prächtige 
hohe  Stöcke  aus  Meerrohr  oder  feinen  Hölzern,  mit  zierlichen  Köpfen  und  Griffen, 
durften  in  der  Hand  nicht  fehlen.  Eine  tadellose  Frisur  oder  Perrücke  bedeckte 
das  geschminkte  Haupt.  Weit  eleganter  noch  erschienen  die  Frauen  mit  ihren 
langen  Schleppen,  Schnabelschuhen,  Federnhüten,  geklöppelten  Spitzen,  den  mehr- 
fach geschlungenen  Ketten  und  Geflechten,  Diamantringen,  Brochen,  Halsbändern. 
Die  seidenen  Roben  waren  mit  großen  Blumendessins  durchwirkt.  Sammtene  und 
seidene  Mäntel  und  dann  später  namentlich  indische  Shawls  wurden  sehr  häufig 
getragen.  Im  Patriziat  und  dem  reichern  Bürgerstande  herrschte,  mit  einigem 
vorgeschriebenen  Unterschiede,  diese  prächtige  Mode,  bis  durch  gesetzliche  Ver- 
ordnungen etwelche  Einschränkung  eintrat.  Die  Schweiz  partizipirte  in  ihren 
Lieferungen  zu  derselben,  besonders  in  Seidenstoffen,  in  nicht  geringem  Maße. 
Man  kann  auch  bei  den  größern  Antiquaren,  die  jeden  übrig  gebliebenen  Rest 
aus  der  Vergangenheit  zusammenlesen,  sich  überzeugen,  daß  die  Handwerker  sehr 
produktiv  in  unserm  Lande  waren  und  vortheilhaft  mit  dem  Auslande  konknrrirten. 
Das  war  der  Styl  des  Rococco,  der  solche  Blütheu  trieb.  Man  kann  ihm,  trotz 
der  großen  Verirrung  in  erkünstelten  Formen,  eine  außerordentliche  Geschmeidig- 
keit und  bestechliche  Schönheit  nicht  absprechen.  Gegen  das  Ende  des  vergangenen 
Jahrhunderts  trat  dann  unter  Ludwig  dem  XVI.  in  Frankreich  eine  ziemliche 
Vereinfachung  auf  allen  Gebieten  der  Kunstindustrie  ein,  ebenso  in  der  Schweiz. 
Aber  der  ganzen  Richtung  der  Renaissance,  wie  sie  in  den  letzten  zwei  Jahr- 
hunderten mit  ihren  immer  steigenden  Nuancen  die  Welt  durchzog,  wurde  mit 
der  großen  französischen  Revolution  ein  jähes  Ende  bereitet.  Es  trat  damit  das 
entgegengesetzte  Extrem  ein,  eine  Epoche  der  Ernüchterung,  die  Alles  unbarm- 
herzig vom  Schauplatze  wegfegte,  was  an  das  Königthum,  an  die  höchsten  Stände, 
an  die  luxuriöse  äußere  Erscheinung  derselben,  was  selbst  an  bessere  frühere 
Zeiten  der  Kunststyle  erinnern  konnte.  Es  ist  eine  fast  unglaubliche  Thatsache, 
daß,  trotz  dem  tiefgehendsten  Hasse  der  höhern  Stände  gegen  die  in  Frankreich 
eingetretenen  Neuerungen  im  politischen  und  gesellschaftlichen  Leben,  der  Ver- 
gangenheit mit  ihrem  Guten  in  Kunst  und  Kunstgewerbe  ohne  Ausnahme  der 
Rücken  gekehrt  wurde.  Der  raffinirte  Luxus  in  den  Kleidern  und  im  Schmuck 
verschwanden.  Die  herrlichen  intensiven  Farben,  die  unendlich  vielgestaltigen 
Formen  machten  der  ausgesprochenen  Mißfarbe  und  dem  trockensten  Einerlei, 
die  Kurve  der  steifen,  geraden  Linie  Platz.  Die  alten  schönen  Möbel  wanderten 
auf  den  Estrich  oder  zum  Trödler,  und  neue,  geradlinige  Stücke  kamen  in  die 
Wohnräume. 

Gold,  Silber  und  edle  Metalle  wurden  eingeschmolzen,  das  porzellanene 
Service,  die  schönen  Krüge  und  Vasen,  die  Zierrahmen,  die  8])iegel,  die  beliebten 
Familienbilder  gefielen  nicht  mehr.  Ueber  schönes  Getäfer  und  Parquetplafonds 
aus  feinem  Holz  wurde  der  Gips  gezogen ;  die  kunstreichen  Beschläge  des  Schlossers 
fielen  weg;  das  Neue  suchte  man  überall  zu  verdecken  etc.  Schon  seit  vielen 
Jahrzehnden  ist  in  den  reichsten  Häusern  geradezu  selten  von  der  reichen  ver- 
gangenen Zeit  Einiges  aufzufinden.  Sie  wurde  als  die  „altvaterische''  bezeichnet, 
von  der  Niemand    mehr  etwas  Avissen  wollte.    Diese  plötzliche,    durchschlagende 


Kunstgewerbe  —     216     —  Kunstgewerbe 

Wendung  im  Grescbmacke  batte  man  nicbt  allein  den  Sansculottes  sa  verdanken, 
ein  tiefer  gebender  Ginind  gab  dazu  Veranlassung. 

Das  versobwenderiscbe,  scb  wulstige  Zeitalter  des  Rococco  war  unmöglich 
mebr  baltbar;  es  stand  auf  tbönernen  Füßen,  weil  ibm  der  Ernst  des  Lebens, 
die  reine  Form  und  der  Eontakt  mit  den  bildenden  Künsten,  die  eben  selbst  auch 
im  Niedergange  sieb  befanden,  fehlte. 

Im  vorigen  Jahrhundert  hat  die  Architektur  uns  wenig  Gutes  mehr  aufisu- 
weisen,  ebenso  wenig  die  Malerei  und  die  Skulptur.  Im  Eirohenbau  nameutlich 
machen  sieh  nicbt  bloß  an  Neubauten,  sondern  an  den  alten  herrlichen  Denk- 
mälern des  romanischen  und  gothischen  Styles,  bei  umfassenden  Reparaturen  oder 
Umbauten  die  enormsten  Verunstaltungen  bemerkbar,  die  nimmermehr  einen 
gesunden  Zustand  des  Eunstbandwerks  herbeizuführen  im  Stande  waren. 

Bei  der  Anführung  dieser  historischen  Thatsacbe  wollen  wir  nicht  unter- 
lassen, auf  eine  frühere  Epoche  hinzuweisen,  die  in  erschütternder  Weise  in 
das  Denken  und  Fühlen  der  Menschen,  in  ihre  Thätigkeit  auf  allen  Gebieten, 
somit  auch  auf  dem  der  Eunst  und  des  Handwerks,  eingegriffen  hat.  Wir  meinen 
die  Einführung  der  Reformation.  Der  dreißigjährige  Erieg,  der  daraus  entstanden, 
hat  die  Schweiz  direkt  nicht  erheblich  berührt,  aber  die  Verwüstung,  die  er 
über  Deutschland  gebracht  hat,  schädigte  auf  lange  Zeit  hinaus  jegliches  künst- 
lerische Streben  in  der  Schweiz.  Daß  mit  der  Reformation  die  reformirte  Eirche 
jedes  innern  Schmuckes  entledigt,  die  Bilder  gewaltsam  gestürmt  wurden,  das 
war  eine  Folge  des  furchtbaren  Kampfes,  der  für  die  Befreiung  des  menschlichen 
Geistes  von  der  Knechtschaft  einer  das  Volk  irreleitenden,  religiösen  Unduldsamkeit 
geführt  wurde.  Daß  in  diesem  Vernichtungskriege  auch  viel  Schönes  und  Hohes 
auf  Jahrhunderte  hinaus  zu  Grunde  ging,  wer  möchte  es  in  Abrede  stellen?  Bis 
in  die  neuere  Zeit  wurde  der  Kirchenbau  einer  Vernachlässigung  Preis  gegeben, 
die  jedes  ernstere  Gefühl  für  schöne  Formen  in  unserm  Volke  untergnib.  Die 
Glasmalerei  ging  unter;  kein  Spruch,  kein  Bild  belebte  das  Innere.  Vielerorts 
fehlte  die  Orgel,  eine  passende  Empore,  die  Stühle  waren  roh  gezimmert,  selten 
wurde  etwas  ausgebessert  etc.  Hielten  auch  die  Elatholiken  an  den  alten  Bildern 
fest,  so  trat  nicht  minder  eine  Verwahrlosung  bei  denselben  in  dem  Sinne  ein, 
als  eine  geschmacklose  Ueberladung,  eine  völlige  Verzerrung  im  Schmucke  der 
Kirche  eintrat. 

Da  war  es  allseitig  gegeben,  daß  die  Kunst  im  bürgerlichen  Leben,  die 
reine  Form  aus  der  Werkstatt  verschwand,  kein  eigenes,  selbstständiges  Schaffen 
mehr  stattfand,  dem  eigenen  und  fremden  schwülstigen  Luxus  Thür  und  Thor 
geöffnet  wurde. 

Eine  dritte  geschichtliche  Ursache  diente  dem  Untergange  unseres  Fleißes, 
wie  er  im  frühem  Mittelalter  in  den  kräftig  aufstrebenden  bürgerlichen  Städten 
in  der  Arbeit  blühte :  das  war  das  Reislaufen  und  die  Kriege  auf  fremdem  Boden, 
die  unser  Land  entvölkerten,  ein  fremdes,  arbeitsscheues  Leben  entwickelten,  jede 
Volksbildung  vernichteten,  die  reiche  Jugend  an  die  Höfe  brachten,  von  wo  aus 
das  genußjüüchtige,  frivole  Treiben  in  unsere  Thäler  seinen  Einzug  hielt  und 
blühende  Industrien  aus  Mangel  an  leitenden  Händen  verdarben.  Andererseits  sei 
auch  nicht  in  Abrede  gestellt,  daß  mit  dem  Fremdendienst  auch  vieles  Nützliche 
und  Schöne  dem  Lande  zugebracht  wurde,  namentlich  für  die  Industrien. 

In  den  ersten  Jahrzehnden  des  19.  Jahrhunderts  litt  ganz  Europa  unter  der 
Napoleon'schen  Herrschaft,  die  auch  wenig  geeignet  war,  der  Kunst  zu  dienen. 
Das  bat  sie  aber  gethan,  daß  sie  den  letzten  Rest  von  Zopf  und  Perrttcke  in 
ihren  großen   Kriegen  vertilgte  und,  wenn  auch  nicht  in  aufrichtiger  Weise,  die 


Kunstgewerbe  —      217     —  Kunstgewerbe 

GrundBätze  der  Menschenrechte  und  der  Freiheit  den  Völkern  brachte,  wie  sie 
im  Jahre  1789  der  Welt  proklamirt  wurden.  Die  eisernen  Würfel  haben  diese 
Freiheit  gebracht,  oder  den  Grand  dafür  allerwärts  nnanslöschlich  gelegt.  Das 
Leben  der  Ennst  und  der  Gewerbe  kann  unter  einem  geknechteten  Volke  nicht 
gedeihen.  Ohne  die  Freiheit  des  Bürgers  im  Hellenenthum  wSren  seine  Kunstwerke 
nicht  erstanden,  eben  so  wenig  in  £om  und  den  italienischen  Republiken. 

Das  Aufwachen  der  Schweiz  zur  bürgerlichen  Freiheit  führte  zu  der  Er- 
richtung von  Volksschulen  und  hohem  Lehranstalten.  Aus  ihnen  wird  neben  der 
wissenschaftlichen  Pflege  auch  nach  und  nach  der  Geist  erblühen,  der  zu  der 
Nothwendigkeit  künstlerischen  Schaffens  leiten  muß.  Wenn  der  Weg  dahin  so 
außerordentlich  schwierig  sich  zeigte,  so  war  dies  hauptsächlich  unserm  zer- 
splitterten Staatswesen  zu  verdanken.  Dieser  Satz  bedarf  kaum  eines  Beweises; 
er  liegt  zunächst  darin,  daß,  seit  die  Bundesregierung  thätig  ist,  eine  viel 
wirksamere  Hülfe  zu  erwarten  ist,  und  in  den  letzten  Jahren  namentlich  eine 
solche  mehr  und  mehr  schon  zum  Durchbruche  gelangt  ist  und  hoffentlich  immer 
bedeutender  werden  wird.  Im  Fernem  kann  man  es  bei  den  andern  Staaten 
sehen,  wie  viel  rascher  unter  zentra listischer  Leitung  große  Werke  und  Reformen 
zu  erreichen  sin(L 

In  den  letzten  Jahrhunderten  waren  es  überall  die  regierenden  reichen 
Geschlechter,  welche  im  Falle  waren,  das  Kunstgewerbliche  zu  unterstützen,  das 
Volk  selbst  ist  diesem  in  Erkenntniß  und  Theilnahme  ferne  gestanden.  Da  hat  ch 
denn  eine  lange  2jeit  gebraucht,  bis  es  aus  eigener  Kraft,  seitdem  es  die  Zügel 
der  Regierung  selbst  Übernommen  hat,  zu  dieser  Elinsicht  zu  gelangen  vermochte. 

Im  Allgemeinen  ist  in  der  Schweiz  von  jeher  der  Wandertrieb  ein  mächtiger 
gewesen.  Handel  und  Verkehr  ziehen  unsere  Jugend  mehr  an,  als  Gewerbe, 
Handwerk,  Kunst  und  Wissenschaft.  Es  gibt  ja  bald  keinen  bekannten  Flecken 
Erde  mehr,  wo  nicht  geschäftetreibende  Schweizer  sich  niedergelassen  haben. 
Das  bildet  denn  gewiß  auch  einen  von  den  vielen  Faktoren,  welcher  lähmend 
auf  das  Kunstgewerbe  wirken  mußt«. 

Man  darf  im  Weitern  auch  nicht  vergessen,  daß  wir  in  der  Schweiz  keinen 
Hof  besitzen,  kein  Patriziat  mehr,  keinen  Adel,  keine  hohe  Geistlichkeit,  keine 
reichen  politischen  Würdenträger,  sondern  ein  kleines  Regierungswesen,  zu  wenig 
Reichthümer,  nicht  die  hohe  Finanz,  zu  wenig  Museen,  ungenügende,  vereinzelte, 
für  Kunst  und  Handwerk  errichtete  Schulen;  ein  verkümmertes,  einseitiges  Be- 
stehen von  Kunstvereinen  und  Künstlergesellschaften. 

Wer  sollte  es  nun  glauben,  daß  trotz  diesen  Umständen  ein  künstlerisches 
Schaffen  und  Walten  in  der  Schweiz  niemals  ganz  erloschen  ist?  Bei  dem  Fleiße, 
der  Regsamkeit,  dem  Sinne  für  den  soliden  Erwerb,  der  richtigen  Benutzung 
unserer  Verhältnisse  und  der  geographischen  Lage,  dem  unvertilgbaren  Drange 
nach  Freiheit  und  unbeengter  Arbeit,  hat  das  mit  diesen  Eigenschaften  betraute 
Schweizervolk  einen  Mittelstand  geschaffen,  der  an  Wohlhabenheit,  Tüchtigkeit 
und  zähem,  wenn  auch  sehr  langsamem  Fortschreiten,  nach  Maßgabe  seines  Um- 
fange» nnd  seiner  Mittel,  vielleicht  jedes  Land  des  Kontinentes  übertrifft.  Da 
konnte  nicht  aller  Sinn  für  da«  Schöne  verschwinden. 

Da  ist  zunächst  eine  große  Anzahl  von  monumentalen  Bauten,  die  die 
Schweiz  aufzuweisen  hat.  Professor  Rahn  gibt  z.  B.  die  Zahl  der  alten  Kirchen 
in  Graubünden  allein  auf  siebzig  an.  Wer  sieht  im  Fernem  nicht  mit  Vergnügen 
imsere  ländlichen  Gebäude,  die  alten  „berühmten  Schweizerhäuser"  an,  deren 
Anmuth  im  Volksstyle  von  keinem  Lande  je  übertn>tfen  wurde.  Es  werden 
4eßhalb   auch   nirgends   so  schöne  Dörfer  wie  in  der  Schweiz  angetroffen.    Dsä 


Kunstgewerbe  —      218     —  Kunstgewerbe 

sogenannte  Schweizerhaus  besitzt  ein  künstlerisches,  malerisches  Gepräge  in  der 
Wahl  des  Materials,  der  architektonischen  Schnitzereien  aus  dem  ganzen  Holze, 
der  Kleinmalerei,  der  Konstruktion  etc.  Das  Schweizerhaus  hat  zur  Entstehung 
der  weltbekannten  Holzsculptur  des  Berner  Oberlandes  geführt. 

Punkto  Kunsthandwerk  erwähnen  wir  die  Balkongeländer,  Fortale,  Chor« 
abschlilsse  in  Schmiedeisen  aus  Zunft-  und  Privathäusern  in  Zürich  und  Basel, 
aus  dem  Kloster  zu  Wettingen,  die  reichen  Fenstervorsätze  an  alten  Patrizier- 
häusern in  Freiburg,  Neuenburg,  Grenf,  Lausaune  etc. 

Die  Zinngießerei  hinterließ  uns  schöne  Modelle,  ebenso  das  Vergolder-  und 
das  Dreherhandwerk,  die  Knopt macherei,  die  Kammmacherei. 

Die  Elfenbein-  und  Metalleinlage  wurde  auch  betrieben  an  Waffen,  an  der 
durch  dus  ganze  Land  bei  Alt  und  Jung  verbreiteten,  bis  in  die  neueste  Zeit 
noch  gebräuchlichen  und  beliebten  Armbrust,  Waffen,  Stöcken  und  an  andern 
Gegenständen ;  dann  in  so  hohem  Maße  die  Glasmalerei,  die  im  Auslande  berühmt 
war.  Im  Kanton  Bern  haben  wir  in  einer  ziemlichen  Anzahl  von  Kirchenfenstern 
die  alten  Glasgemälde  renoviren  lassen.  Viele  Scheiben  aus  der  Schweiz  traf  ich 
im  Hotel  Cluny  und  bei  Antiquaren  in  Paris. 

Nyon  war  berühmt  mit  seiner  schönen  Fayence. 

Im  IG.,  17.  und  Anfangs  des  18.  Jahrhunderts  wurde  in  der  Ofenfabrikation 
Bedeutendes  geleistet.  Die  Hafner  in  Winterthur  und  Zürich  excellirten  mit 
schönen  Oefen;  wir  treffen  iu  der  Ostächweiz  noch  mehrere  solche  an,  dann  in 
der  Kapitelstube  des  Stiftes  Beromünster  und  im  Schlosse  zu  Altishofen,  Kanton 
Luzern,  einen  mit  hochornamentirten,  grünen  Kacheln.  Die  antiquarische  Samm- 
lung in  Zürich,  das  G^werbemuseum  in  Winterthur  besitzen  einzelne  schöne  alte 
Kacheln.  (Nach  den  Mittheilungen  des  Knnstzeichners  Müller  in  Bern.)  Das 
Kloster  St.  Urban  fabrizirte  Backsteine,  auf  welche  im  nassen  Zustande  mittelst 
hölzerner  Stempel  Ornamente  im  romanischen  Style  eingedrückt  wurden.  Bei 
Ausgrabungen  in  Zofingen  fand  ich  von  solchen  Steinen  eine  Menge. 

Im  vorigen  Jahrhundert  bestund  in  Beromünster  eine  Fabrik  für  bemalte 
Porzellanwaaren,  die  sehr  geschätzt  waren. 

In  der  texiilen  Kunst  lieferte  uns  die  Weberei  für  Seide  und  Sammt  mit 
Gold  die  Gobelins,  die  Stickereien  etc.  Schöne  Kollektionen  davon  enthalten  das 
historische  Museum  Bern,  Stift  Beromünster,  Einsiedeln,  Engelberg,  das  Gewerbe- 
museum St.  Gallen  und  die  Seidenwebschule  Wipkingen  bei  Zürich  etc. 

Wir  gewinnen  aus  dieser  kurzen  Darstellung  die  Beruhigung  und  die  Zu- 
versicht, daß  iu  unserm  Volke  die  Fähigkeit  lebt,  auf  dem  Vorhandenen,  Brauch- 
baren fortzubauen,  das  Verlorene  wieder  zu  ersetzen  und  Neues,  der  Zeit  ent- 
sprechendes hinzuzufügen.  Auch  die  Gegenwart  bestärkt  uns  in  dieser  Annahme. 
Von  der  großen  französischen  Revolution  an  bis  zum  Beginn  des  Baues  der  Eisen- 
bahnen befanden  sich  die  Handwerke  von  jeder  künstlerischen  Richtung  entblößt. 
Städte  und  Dörfer  wurden  nun  durch  zahlreiche  Neubauten  ganz  umgewandelt, 
als  die  Lokomotive  das  Land  durchzog.  Im  Monumentalbau  ist  ganz  besonders 
die  wirklich  gelungene,  in  der  Reinheit  des  Styles  durchgeführte  Umwandlung 
der  Kathedralen  von  Lausanne  und  Basel  anzugeben.  Ueber  den  Aufbau  des 
Thurmes  am  Berner  Münster  liegen  sehr  gute  Projekte  vor.  Mit  den  neuen 
Verkehrsmitteln  erstanden  die  neuen,  großartigen,  für  den  modernsten  Comfort 
eingerichteten  Hotels.  Verhältnißmäßig  wird  kein  anderes  Land  die  Schweiz  in 
diesen  Bauten  übertreft'en. 

Diese  enorme  Thätigkeit,  die  seit  bald  M  Jahren  auf  dem  Gebiete  des 
Hochbaues  eintrat,  bot  dem  Handwerk  uud  Gewerbe  einen  mächtigen  Aufschwung. 


KuDätgewerbe  —      219    -*^  Kunstgewerbe 

Von  da  an  beginnt  eine  reinere  Stylisirung  in  den  Bauten,  eine  umfangreichere, 
bchönere  Ausstattung  derselben,  ein  weit  größerer  Verkehr  und  Verdienst,  der 
dem  Handwerker  wieder  eine  freiere  Bewegung,  einen  neuen  Impuls  für  schönere 
Formen  gestattet. 

Im  Ganzen  genommen  hat  das  Kunsthandwerk,  trotz  den  schönen  Anfängen, 
sich  noch  nicht  auf  seinen  frUhern  Standpunkt  erhoben,  dafür  braucht  es  wohl 
noch  manches  Jahrzehnd,  bis  eine  durchschlagende  Tüchtigkeit  einzutreten  vermag. 
Dagegen  erkennen  wir  vereinzelte  Erscheinungen,  die  z.  B.  in  der  Bauschreinerei, 
der  Schlosserei,  der  Möbelschreinerei  etc.  vortreifliche  Anhaltspunkte  für  die  Zu- 
kunft bieten. 

Der  schweizeriscbe  Mittelstand  hat  in  diesem  Jahrhundert  allerdings  noch 
viel  zu  wenig  Fühlung  mit  der  künstlerischen  Thätigkeit  bewiesen.  Die  lang- 
jährigen, außerordentlich  hemmenden  politischen  Wirren  brachten  ihn  von  diesem 
Ziele  ab.  Die  Idealität  ist  ihm  aber  damit  nicht  abhanden  gekommen.  Die  Schweiz 
ist  mehr  und  mehr  mit  ihrer  Neugestaltung  das  Land  der  Feste  geworden,  wie 
dies  nirgends  bedeutender  gesehen  wird.  Die  Schützenfeste,  die  Turn-  und  Sänger- 
tage, mit  ihren  großen  geschmückten  Hallen,  an  denen  das  ganze  Land  freudigen 
Antheil  nimmt,  die  großen  politischen  Volkstage,  haben  den  Sinn  für  das  Ideale 
and  Hohe  gefördert,  gepfiegt  und  wach  erhalten.  Das  ist  aber  gerade  der  em- 
pfängliche Boden,  aus  dem  auch  die  Saat  für  die  Eunstbestrebungen,  für  die 
Kleinkunst  in  Gre werbe  und  Handwerk  und  für  die  höhere  bildende  Kunst  kräftig 
ersprießen  soll,  sowie  auch  bei  den  Griechen  die  olympischen  Spiele  mit  ihrer 
EnuBt  stets  im  innigsten  Zusammenhang  sich  befanden  und  beide  sich  gegenseitig 
unterstützten. 

Nach  dieser  Auseinandersetzung  über  die  Kunstindustrie  im  Allgemeinen  und 
im  Speziellen  über  die  Schweiz,  sei  es  uns  noch  gestattet,  einige  Andeutungen 
und  Vorschläge  zu  geben,  welche  zur  Hebung  derselben  dienen  würden.  Wir 
können  nichts  Neues  bringen,  wir  können  nur  wiederholen,  was  schon  zum 
hondertsten  Male  gesagt  wurde,  und  was  so  lange  wiederholt  werden  muß,  bis 
der  noth wendige  höhere  Standpunkt  erreicht  sein  wird. 

Vor  allem  aus  betonen  wir  den  allgemeinen  Zeichnungsunterricht,  der  in 
allen  Schulen  von  der  frühesten  Jugend  an  in  streng  systematischer  Weise  ertheilt 
werden  sollte,  weit  umfassender,  als  dies  bis  jetzt  geschehsn  ist.  Es  betrifft  dies, 
je  nach  Umständen,  das  geometrische,  das  technische,  das  Ornament-,  das  Figuren- 
und  Landsohaftzeichnen. 

Es  kann  in  den  Primär-  und  dann  namentlich  in  den  Sekundärschulen  schon 
Tüchtiges  erreicht  werden. 

Za  diesem  Zwecke  sind  die  jungen  Lehrer  in  den  Seminarien  f\ir  diesen 
Unterricht  heranzubilden.  Die  von  der  Kindheit,  dem  Knaben-  und  Jünglingsalter 
an  im  Zeichnen  geübte  Hand  wird  zu  jedem  Handwerke  oder  zu  höhern  künst- 
lerischen Studien  sich  befähigen.  Wir  kannten  eine  Sekundärschule,  die  unter  ihrem 
vortretfiichen  Zeichnungslehrer  außerordentliche  Leistungen  aufzuweisen  hatte,  wie 
wir  sie  weder  in  Deutschland,  noch  in  der  Schweiz  je  besser  angetroifen  haben. 
An  dieser  Schule  hat  die  ganze  betreffende  Bevölkerung  stets  ein  großes  Interesse 
gezeigt.    Solche  seltene  Beispiele  können  oder  müssen  zur  Norm  werden. 

Auf  dem  höhern  Gymnasium  darf  das  Zeichnen  nicht  fakultativ  verbleiben. 
Der  in  diese  Kunst  mehr  oder  weniger  eingeführte  Gelehrte  oder  Geschäftsmann 
wird  za  einem  verständigem,  gerechtern  Urtheile  und  zu  größerer  Mithülfe  in 
Konstsachen  sieh  herbeilassen,  als  es  bis  heute  der  Fall  war.  Damit  wäre  schon 
viel  erreicht. 


Kunstgewerbe  >— i     220     —  Kunstgewerbe 

Mit  dem  Zeichnen  ist  so  frflhe  als  möglieb  das  praktische  Arbeiten,  das 
Modelliren  in  Tbon,  Gips,  Wacbs,  Holz,  Stein,  Eisen,  Metallen  etc.  in  Verbindung 
zu  bringen. 

An  die  Yorscbulen  schließen  die  Fortbildnngsschalen  für  Handwerker  und 
Künstler  an,  und  sind  dieselben  obligatorisch  zu  erklären. 

Das  ktlnstlerische  Handwerk  hat  einen  fortwährenden  Eontakt  mit  den  bil- 
denden Künsten  zu  suchen,  am  von  hier  aus  eine  geregelte,  stjlistische  Anregung 
und  Aufgaben  zu  erhalten.  Die  Werke  berühmter  Meister  werden  in  Italien 
namentlich  millionenweise  im  Kleinen  nachgeahmt  und  in  schöner,  gelungener 
Weise  um  ein  Spottgeld  durch  die  ganze  Welt  getragen. 

Im  Mittelalter  saßen  die  großen  Künstler  mit  den  Handwerkern  auf  der 
gleichen  Zunft,  weil  sie  selbst  auch  Handwerker  waren.  Dieses  praktische,  trau- 
liche Yerhältniß  würde  manchem  Künstler  der  heutigen  2jeit  das  Hungern  er- 
sparen, wenn  es  noch  so  wäre,  an  Stelle  der  Selbstüberschätzung,  die  vor  der 
ordinären  Arbeit  zurückscheut. 

Der  Staat  hat  durch  gesetzliche  Bestimmungen  die  angegebenen  Reformen 
einzuführen,  dafür  die  erforderlichen  Mittel  zu  bewilligen  und  die  Oberaufsicht 
auszuüben.  Da  die  Mittel  des  Staates  kaum  anfangs  in  der  nöthigeu  Höhe  zu 
erhalten  sein  werden,  so  liegt  es  zunächst  im  Interesse  und  daher  auch  in  der 
moralischen  Pflicht  der  Gemeinden,  der  gemeinnützigen  Gresellschaften,  Vereine 
uud  namentlich  der  Zünfte,  nach  Kräften  ihre  Beisteuer  für  bedeutende  Zeichnungs- 
und Fachschulen  und  eine  strengere  Gewerbe-  und  Handwerksordnung  regelmäßig 
zu  entrichten. 

Zur  Ermunterung  des  Handwerkes  in  seinen  technischen  und  künstlerischen 
Arbeiten  sind  zentrale  Muster-  und  Modellsammlungen,  Museen  anzulegen,  Aus- 
btellungen  zu  veranstalten,  Konkurrenzaufgaben  zu  erlassen,  Prämien  zu  vertheilen, 
ausländische  Ausstellungen  zu  beschicken. 

Ganz  besonders  haben  die  Behörden  dafilr  sich  zu  bemühen,  die  Beiziehung 
von  tüchtigen  Lehrkräften  in  niedern  und  höhern  Schulen  zu  ermöglichen. 

unter  den  Handwerksmeistern  und  ihren  Freunden  lassen  sich  Associationen 
für  den  stets  weckenden,  gegenseitigen  Unterricht  und  Verkehr,  für  Unternehmungen, 
filr  die  gesellige  Unterhaltung  in's  Leben  rufen. 

Wenn  auch  alle  Handwerke  in  die  Reform  der  künstlerischen  Ausbildung 
gezogen  werden  sollen,  so  ist,  vom  praktischen  Gesichtspunkt  aus  betrachtet,  es 
angezeigt,  daß  diejenigen  besonders  gepflegt  werden,  welche  einem  günstigen, 
möglichst  weit  reichenden  Erfolge  zu  dienen  vermögen.  Darunter  verstehen  wir 
neben  den  gegenwärtig  blühenden  Kunstindustrien  besonders  Bauhandwerke  und 
die  Möbelschreinerei. 

Es  steht  außer  Zweifel,  daß  die  letztere,  namentlich  in  Verbindung  mit  der 
Schnitzerei,  wohl  bald  eine  ansehnliche  Stellung  einnehmen  dürfte,  die  der  fremden 
Einfuhr,  die  sich  jährlich  auf  zirka  zwei  Millionen  Franken  beläuft,  mehr  und 
mehr  die  Stirn e  zu  bieten  im  Stande  wäre. 

Die  Bau-  und  die  Möbelschreinerei  sollen,  wie  wir  es  im  Mittelalter  gesehen 
haben,  dazu  berufen  sein,  das  bürgerliche  Haus  mit  gefälligen  Formen  auszn- 
i^ehmücken,  dasselbe  zu  einem  einladenden  Heim  zu  schaffen.  Dann  folgen  den- 
selben die  Hülfeleistungen  der  andern  Handwerker:  des  Schlossers,  Malers,  Tape- 
zierers, Gipsers,  des  Dekorateurs,  selbst  des  höhern  Künstlers.  Im  Aeußem  des 
ilanscK  wird  die  Architektur  dem  Maler  Arbeit  in  der  Bemalnng  der  Fagade 
anweisen,    wie    dies   früher   in    so  hervorragender  Weise  betrieben  wurde.     Das 


Kunstgewerbe  —     221     —  Kunstwein 

höhere  Ziel  des  Knnsthandwerks  besteht  im  Schmucke  der  monumentalen  Bauten^ 
der  Paläste«  der  Villen  und  Kirchen. 

Da  von  Seiten  des  Auslandes  uns  immer  ernster  die  Gefahr  nahe  rückt,  dali 
unsere  Industrien  durch  die  stets  wachsenden  Zollschranken  geschädigt  oder  erdrückt 
werden,  so  dürfen  wir  kein  Mittel  unbenutzt  lassen,  das  uns  neue  Wege  zu  weisen 
im  Staude  ist,  um  Verlorenes  doch  einigermaßen  zu  ersetzen. 

Eine  blühende  Kunstindustrie  wird  eines  dieser  Mittel  »ein.  Neben  unsem 
eigenen  energischen  Anstrengungen  wird  auch  der  Fremdenverkehr  dieselbe  be- 
fördern helfen.  Von  Jahr  zu  Jahr  nimmt  dieser  mit  den  immer  wachsenden 
Verkehrsmitteln,  den  Eisenbahnen,  zu.  Die  Schweiz  entwickelt  sich  mehr  und 
mehr  zur  europäischen  Kreuzstraße,  man  möchte  bald  ausrufen:  „Zum  europäischen 
Wirthshanse**.  Die  steigende  Fremdenzahl  aber  wird  für  unsere  Erzeugnisse  in 
dem  Maße  mehr  Konsumenten  liefern,  je  billiger,  je  besser  und  schöner  wir  zu 
arbeiten  verstehen. 

Kunsthonig  ist  meistens  ein  Gremisch  von  Glycose  ('/s — Vb)  °^^  Bienen- 
bonig.  Es  befinden  sich  in  der  Schweiz  zahlreiche  Fabrikanten  dieser  Waare. 
Wenn  die  im  Kunsthonig  enthaltene  Glycose  rein  ist,  ist  der  Genuß  unschädlich; 
enthält  die  Mischung  aber  aucb  Stärkezucker  und  Schwefelsäure,  so  ist  der  G^nuß 
schädlich. 

Konsumenten  wie  Bienenzüchter  führen  einen  zähen  Kampf  gegen  den  Kunst- 
honig und  es  haben  unter  dem  Drucke  ihrer  Kundgebungen  bereits  drei  Kantons- 
regierungen (Granbünden,  Waadt  und  Zürich)  verordnet,  daß  nur  das  reine 
Produkt  der  Bienen  als  „Honig'*  verkauft  werden  dürfe.  Die  Verordnung  von 
Graubünden  lautet  u.  A. : 

§  4.  Als  Honig  darf  nur  das  reine  von  den  Bienen  bereitete  Naturprodukt  ver- 
kauft werden. 

§  5.  Die  bisher  unter  Namen  wie  ^Tafeihonig**,  ^  Schweizerhonig **  u.  s.  w.  im 
Handel  gehenden  Surrogate  (meist  aus  Starkezuckersyrup  oder  aus  Mischungen  von 
solchem  mit  geringem  Honig  bestehend)  dürfen  nur  unter  ihrem  wahren  Namen  als 
Syrup  etc.,  nicht  aber  unter  Bezeichnungen  verkauft  werden,  in  denen  das  Wort  Honig 
voikommt. 

§  6.  Die  Grefäße,  in  denen  diese  Produkte  in  den  Verkaufslokalen  aufbewahrt 
werden,  sollen  deutlich  sichtbar  als  Aufschrift  die  wahren  Namen  als  Syrup  etc.  tragen ; 
diese  Bezeichnung  soll  auch  auf  den  betrefTenden  Fakturen  und  Frachtbriefen  ange- 
wendet werden. 

§  7.  Zuwiderhandlungen  gegen  diese  Bestimmungen  werden  mit  Geldbußen  und 
eventuell  auch  mit  Konfiskation  der  betreft'enden  Waaren  bestraft,  nach  Maßgabe  des 
§  12  des  Gesetzes  über  die  staatliche  K(»ntrole  von  Lebens-  und  Genußmitteln,  vom 
U.  Juli  1881. 

Kunstwein.  (Mitgetheilt  von  Herrn  Krauer,  Dozent  für  Weinbau  am 
eidg.  Polytechnikum.)  Schon  vor  hundert  und  mehr  Jahren  versuchte  man  nach 
schlechten  Weinernten,  künstliche  Weine  ohne  Traubensaft  herzustellen,  und 
gebrauchte  dazu  Wasser,  Essig,  Schwefelsäure,  Branntwein  und  Honig.  In  der 
Gegenwart  kommen  in  den  eigentliclien  Kun^tweinfabriken,  den  Fortschritten  der 
Wibsenschaft  entsprechend,  andere  Stotfe  zur  Verwendung,  wie  z.  B.  Wasser, 
Sprit,  Weinsäure,  Glycerin,  Tamarinden,  Aetherarten,  Farbstotte  u.  dgl.  Auch 
werden,  seitdem  die  Lehren  von  Grall  und  Petiot  allgemein  bekannt  geworden, 
aus  den  KUckständen  von  Trauben  und  Wein,  d.  h.  aus  Trcsteni  und  Hefe, 
durch  Zusatz  von  Zuckerwasser  künstliche  Weine  erzeugt,  die  in  den  Weiuländeru 
zimieist  zam  Hausgebräuche  dienen. 

In  neuester  Zicit  ist  eine  andere  Fabrikation  aufgetaucht,  welche  st;hr  rascli 
große  Verbreitung  gefunden  hat,  nämlich  die  Bereitung  von  Wein  aus  Trocken- 


Kunslwein  —      222     —  Kunstwein 

beeren  (raisinw  secs).  Die  getrockneten  Weinbeeren  werden  auw  Spanien,  Italien, 
(xriechenland  und  anderen  Gegenden  des  Orient«,  Howie  aus  Nordafrika  bezogen 
und  es  werden  vorzüglich  folgende  Sorten  benutzt:  Korinthen,  Thyra,  Samos, 
Vourla  u.  a.  ni. 

Daß  man  auf  den  Gedanken  kam,  aus  Weinbeeren  Wein  zu  bereiten,  ist 
leicht  begreiflich.  Wenn  man  Weintrauben  durch  Trocknen  in  Weinbeeren  ver- 
wandelt, so  geht  der  größte  Theil  des  in  denselben  enthaltenen  Wassers  fort, 
während  diejenigen  Substanzen,  welche  bei  der  Weinbereitung  eine  Bolle  spielen, 
zurückbleiben.  Werden  nun  die  Rosinen  mit  Wasser  ausgelaugt,  so  erhält  man 
eine  in  der  Zusammensetzung  dem  Moste  aus  frischen  Trauben  ähnliche  Flüssigkeit, 
die  von  selbst  in  Gährung  übergeht.  Es  ist  also  leicht,  aus  Trookenbeeren  Wein 
zu  bereiten.  Die  Darstellung  ist  einfach,  doch  weichen  die  verschiedenen  Rezepte 
von  einander  ab.  Nach  J.  F.  Audibert  werden  die  Trockenbeeren  vorerst  mit 
kaltem  Wasser  Übergossen  und  bleiben  40  —  50  Stunden  in  demselben,  so  daß 
sie  aufquellen.  Hierauf  zerkleinert  man  sie  mittelst  Maschinen,  füllt  sie  in  die 
G^hrbottiche,  in  welche  das  erforderliche  Quantum  Wasser  gebracht  worden, 
und  überläßt  sie  der  Gährung.  Das  Wasser  selbst  wird  vorher  erwärmt,  so  daß 
die  gährende  Masse  von  vornherein  eine  Temperatur  von  20 — 25®  erhält.  Sobald 
die  Gährung  so  weit  vorgeschritten  ist,  daß  die  Beaum^Vhe  Senkwaage  auf  0* 
sinkt,  wird  der  Wein  abgezogen  und  in  Fässer  gefüllt.  Der  Rückstand  wird 
gepreßt  und  der  so  erhaltene  Wein  mit  dem  ersten  (Vorlauf)  vermischt.  Häufig 
werden  die  Weine  nach  kurzer  Zeit  noch  pasteurisirt,  d.  h.  in  einem  besondem 
Apparate  auf  <i0®  C.  erwärmt,  um  sie  haltbarer  zu  machen. 

In  andern  Rezepten  wird  empfohlen,  die  unzerkleinerten  Rosinen  mit  Wasser 
von  40 — 50"  zu  übergießen,  damit  vergähren  zu  lassen  und  nachher  zu  pressen  etc. 

Wird  den  Trockenbeeren  lediglich  reines  Wasser  in  solchem  Verhältnisse 
zugesetzt,  daß  die  daraus  gewonnene  Gährungsflüssigkeit  der  Zusammensetzung 
des  Mostes  aus  frischen  Trauben  entspricht,  so  ergibt  sich  ein  dem  Naturwein 
höchst  ähnliches  Getränke.  Solche  Fabrikate  sind  indessen  nicht  billig  herzustellen ; 
es  werden  daher  mehrere  Aufgüsse  gemacht  (4 — 5),  so  daß  man  schließlich  aus 
100  Kilo  Trockenbeeren  bis  auf  1200  Liter  Wein  erhält.  Da  die  spätem  Auf- 
güsse selbstverständlich  arm  an  Zucker  resp.  Alkohol  und  Säure  werden,  so  setzt 
der  Fabrikant  denselben  Weinsäure.  Rohrzucker  und  Sprit  zu.  Nachher  werden 
alle  Aufgüsse  zusammengemischt.  Will  man  Rothwein  bereiten,  so  werden  ent- 
fciprechende  Farbstotfe  beigefügt. 

Die  Trockenbeerweine  zeichnen  sich  im  Allgemeinen  durch  einen  scharfen, 
süßlichen  Geschmack  aus ;  auch  haben  sie  meistens  einen  hohen  Gehalt  an  Zucker, 
flüchtiger  Säure  und  Chloriden,  welch'  letztere  theils  von  dem  Wasser,  theils 
von  den  Klärmitteln  herrühren.  Je  nach  der  Härte  des  zur  Verwendung  ge- 
kommenen Wassers  ist  auch  der  Gehalt  an  Kalk  und  Magnesia  abnorm  groß. 

Zu  weitern  Bedenken  kann,  abgesehen  von  der  Darstellungsweise,  unter 
Umständen  auch  die  Art  der  Gewinnung  des  Rohmaterials  Anlaß  geben.  Im 
Orient  werden  nämlich  die  zu  Trockenbeeren  bestimmten  Trauben  nach  der  Lese 
auf  Bänken,  die  aus  Lehm  und  Kuhmist  verfertigt  worden,  ausgebreitet  und 
bleiben  sodann  ohne  weitere  Pflege  dem  Einflüsse  der  herrschenden  Witterung 
ausgesetzt,  bis  die  erforderliche  Wasserverdunstung  eingetreten  ist.  Bei  andauernd 
nassem  Wetter  werden  die  Beeren  durch  das  auf  den  Bänken  sich  ansammelnde 
Wasser  theilweise  verdorben  und  es  können  sich  auf  denselben  leicht  gesundheitN- 
gefährliche  Pilze  ansiedeln.  Die  so  angesteckten  Beeren  werden  nicht  etwa 
beseitigt,  es  kr>nnen  demnach  solclie  Pilze  auch  in  den  Wein  übergehen. 


Kunstwein  —      223     —  Kupfersalze 

Die  Fabrikation  von  Trockenbeerweinen  findet  in  Frankreich  in  großem 
Umfange  statt.  Es  hat  sich  diese  Industrie  aber  auch  in  der  Schweiz  eingebürgert 
und  es  finden  sich  derartige  Fabriken  in  Genf  (6),  Locle  (1),  im  Kanton  Freiburg, 
in  Pruntrut,  Basel  (2),  im  Klettgau,  Schaff  hausen  (1),  in  Außersihl-Zttrich  (1), 
Bendlikon-Zürich  (1)  und  Luzern  (1).  Dieselben  verarbeiteten  im  Jahre  1885 
nach  approximativen  Schätzungen  15,000  Doppelzentner  Trockenbeeren  und  er- 
zeugten daraus  180,000 — 200,000  Hektoliter  Wein,  welcher  im  Durchschnitt 
zum  Preise  von  Fr.  16  bis  Fr.  20,  im  Mittel  somit  zu  Fr.  18  per  Hektoliter 
offerirt  wird.  Das  genannte  Quantum  enti^pricht  nahezu  einer  mittlem  Weinernte 
des  Kantons  Zürich,  welcher  ein  Kebareal  von  ca.  5580  Hektaren  im  Kapital- 
werthe  von  Fr.  50^000,000  besitzt. 

Diese  Trockenbeerweine  kommen  selten  un vermischt  zum  Gebrauch,  vielmehr 
werden  sie  meistens  mit  andern  Weinen  verschnitten,  also  unter  falscher  Be- 
zeichnung konsnmirt,  und  machen  dadurch  bei  ihrem  billigen  Preise  den  realen 
Weinen  eine  verderbliche  Konkurrenz. 

Im  März  1887  hat  der  Regierungsrath  des  Kantons  Zürich  eine  Verordnung 
erlassen,  laut  welcher  Getränke,  die  nicht  ausschließlich  durch  Grährung  des 
natürlichen  Traubensaftes  erzeugt,  sondern  durch  Zusammenmischen  von  Wein- 
hestandtheilen,  oder  aus  Trestem,  oder  Trockenbeeren  mit  Zucker,  Wasser, 
Sprit  etc.  bereitet  worden  sind,  als   „  Kunstwein  **   bezeichnet  werden  müssen. 

Kunst  wolle.  Es  sind  zur  Zeit  4  Geschäfte  bekannt,  welche  die  Fabrikation 
von  Kunstwolle,  d.  i.  die  Verarbeitung  von  wollenen  Lappen  zu  Wolle,  betreiben. 
2  derselben  sind  in  Bnrgdorf,  1  in  Zofingen,  1  in  Aeffligen  (Kt.  Bern).  In  den 
60er  Jahren  in  Derendigen,  Basel,  Serrieres,  Herder  und  Landquart  entstandene 
Geschäfte  sind  eingegangen,  da  sowohl  der  Rohstoff  schwer  zu  beschaffen,  als 
der  Absatz  des  Fabrikats  schwer  zu  bewerkstelligen  war.  Die  gegenwärtige 
jährliche  Produktion  wird  auf  15,000  q  im  Werthe  von  ca.  2  Millionen  Franken 
geschätzt. 

Kupfer.  Etwas  Kupfer  wird  heute  noch  in  den  im  Val  d'Anniviers  ge- 
legenen Minen  der  Gesellschaft  Ossent,  Fürst  &  Cie.  in  Sierre  gewonnen.  Sonst 
ist  die  Ausbeute  in  der  Schweiz  gleich  Null,  obgleich  es  an  Kupfererzen  in 
einigen  andern  Kantonen  nicht  fehlt;  doch  sind  dieselben  zu  wenig  rein  und  in 
zu  unbedeutenden  Lagern,  oder  zu  wenig  zugänglich,  als  daß  sich  deren  Aus- 
beutung lohnen  würde.    (S.  auch  Bergbau,  S.   194.) 

Einfuhr  von  Kupfer  und  Kupfer waaren  im  Jahresdurchschnitt  1^72/81: 
7177  q,  1883:  10,527  q,  1884:  9809  q,  1885:  16,9«9  q  im  Werthe  von 
Fr.  3'570,100.  Von  der  1885er  Einfiihr  entfallen  7104  q  auf  Deutschland, 
6580  q  auf  Frankreich,  1000  q  auf  Belgien,  912  q  auf  Oesterreich,  386  q  auf 
Italien. 

Ausfuhr  1883:  1425  q,  1884:  1879  q,  1885  (ohne  Grenz  verkehr) : 
3951  q  =Fr  694,077.  Von  der  1885er  Ausfuhr  entfallen  1507  q  auf  Frank- 
reich, 866  q  auf  Deutschland,   721  q  auf  Italien,  633  q  auf  Oesterreich. 

Kupferdruckerei.  Mit  diesem  Ge^^chäftszweig  befassen  sich  laut  Handels- 
register die  Firmen  Max  Girardet  in  Bern  und  Gebr.  C.  und  N.  Benziger  in 
Einsiedeln. 

Kupferplaquefabrikation.  Diese  Fabrikation  wird  laut  Handelsregister 
von  der  Firma  Jean  Weber  in  Menziken  betrieben. 

Kupfersalze,  namentlich  Kupfervitriol,  Kupferchlorid,  salpetersaures,  essig- 
saures Kupfer,  Schwefelkupfer  werden  in  der  Färberei  und  Druckerei  verwendet 
und    zum   Theil   auch   in   der   Schweiz    dargestellt,    wobei    als  Ausgan gsmaterie^l 


Kupfersalze 


—     224     — 


Kurorte 


theils  Kupfer  selbst,  theils  Kupfervitriol  (krystallisirtes  Kupfersulfat)  dieut,  dessen 
Fabrikation  in  der  Schweiz  nicht  lohnend  wäre,  da  es  im  Auslande  als  metal- 
lurgisches J^ebenprodukt  sehr  billig  dargestellt  werden  kann.  Kupfervitriol  wird 
auch  an  mehreren  Orten  in  der  Schweiz  zum  Imprägniren  von  Holz  verwendet 
(Boucherie's  Verfahren). 

Kupferschmiede  gab  es  im  Jahre  1880  laut  eidg.  Berufsstatistik  1117 
(205  Ausländer  inbegriffen)  =  0,8  '/ou  aller  Erwerbsthätigen,  nämlich  193  im 
Kt.  Tessin,  156  im  Kt.  Zürich,  103  im  Kt.  St.  Gallen,  99  im  Kt.  Bern,  76  im 
Kt.  Waadt,  51  im  Kt.  Luzern,  51  im  Kt.  Thurgau,  50  im  Kt.  Graubünden^ 
46  im  Kt.  Genf,  36  im  Kt.  Wallis,  34  im  Kt.  Baselstadt,  32  im  Kt.  Aargau» 
27  im  Kt.  Glarus,  26  im  Kt.  Freiburg,  24  im  Kt.  Neuenburg,  23  im  Kt.  Scbwyz^ 
19  im  Kt.  Appenzell  A.-Ith.,  15  im  Kt.  Zug,  14  im  Kt.  Solothurn,  13  im  Kt. 
Schaff  hausen,  11  im  Kt.  Obwalden,  7  im  Kt.  Uri,  3  im  Kt.  Appenzell  L-Rh.^ 
1  im  Kt.  Nidwaiden. 

Kupferstecherei.  Diesen  Beruf  übten  im  Jahre  1880  35  Personen  aus» 
wovon  11  in  Bern,  11  in  Schwyz,  10  in  Zürich,  je  1  in  Baselstadt,  Baselland 
und  Genf. 

Kupfervitriol.  Die  schweizerischen  Farbenfabriken  konsumiren  jährlich 
ca.  600  q.    Der  Bedarf  wird  fast  ausschließlich  vom  Auslande  gedeckt. 

Kurorte.  Die  Schweiz  ist  vermöge  ihrer  vielen  Heilquellen  und  gesunden 
Höhenlagen  außerordentlich  reich  an  Kurorten.  Diese  zerfallen,  von  den  gewöhn- 
lichen Seebädern  abgesehen,  in  Bäder,  klimatische  Kurorte,  Luftkurorte,  Sommer- 
frischen, Molkenkurorte,  Traubenkurorte  u.  s.  w.  Oft  vereinigt  ein  Ort  zwei  oder 
drei  dieser  Eigenschaften. 

Nach  der  Zahl  der  Kurorte  besteht  unter  den  Kantonen  folgende  B.eihenfolge : 


1)  Bern  .    .     . 

■ 

.    ca.    90  Kurorte 

12)  Aargau  .    . 

ca.    18  Kurorte 

2)  Graubünden 

.      50        . 

13)  Baselland    .    . 

.      15       , 

3)  Waadt    .    .    . 

«      30        , 

14)  Uri     ...     . 

.      13       , 

4)  St.  Gallen    .    . 

.      30        , 

15)  Thurgau      .     . 

.      12       . 

5)  Appenzell    . 

.      25        , 

16)  Tessin     .    .    . 

.     .      10       . 

fi)  Luzern    .    .     . 

.      25        , 

17)  Glarus    .    .     . 

.       8       , 

7)  Schwyz  .    .    . 

n         20            , 

18)  Freiburg      .    , 

.       7       . 

8)  Zürich     .    . 

n         20           „ 

19)  Neuenburg  . 

.      .       7       . 

9)  Solothurn    . 

«      19        , 

20)  ScbaiThausen   . 

.        7        , 

10)  Unterwaiden    . 

.       19        , 

21)  Zug    ...     . 

.        7        , 

11)  Wallis     .     .     . 

.      18        , 

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Basel  und  Genf  haben  keine  eigentlichen  Kurorte. 

Die  bedeutenderen  Kurorte  sind  zum  größten  Theil  weit  über  die  Grrenzen 
des  Landes  hinaus  bekannt ;  sie  mögen  hier  nach  dem  Werke  von  Dr.  Gsell-Fels 
über  die  Bäder  und  Kurorte  der  Schweiz  (Verlag  von  Caesar  Schmidt  in  Zilrich) 
Erwähnung  linden: 

Im  Aargau:  Baden j  382m  ü.M.,  kalkhaltige  Schwefeltherme.  Bresien- 
berc/,  478  m  ü.  M.,  Wasserheilanstalt.  Laurenzenbad,  unweit  Aarau,  518  m 
ü.  M.,  inditferente  Quelle.  Mampfe  290  m  ü.  M.,  klimatischer  Kurort  und  Sool- 
bäder.  Muriy  4G2  m  ü.  M.,  klimatischer  Kurort,  Mineral-  und  Soolbäder. 
liheinfelden,  270  m  ü.  M.,  klimatischer  Kurort  und  Soolbäder.  Schinenachy 
351   m  ü.  M.,  gipshaltige  Schwefelthermen. 

In  Appenzell  A. -Eh. :  Gais,  934  m  ü.  M.,  Luft-  und  Molkenkurort. 
Heideuj  806  m  ü.  M.,  Luft-  und  Molkenkurort.  Heinrichsbad  bei  Herisau,  776  m 
U.  M.,  erdige  Eisenquelle  und  Molkenkuranstalt.  Rosenhügel  bei  Umäsch,  856  m 


Kurorte  —     225     —  Kurorte 

ü.  M.,  erdige  Eisenquelle  und  Molkenkuranstalt.  Teufen^  836  m  U.  M.,  Luft- 
und  Molkenkurort.   WalBenhausen^  673  m  ü.  M.,  Luftkurort. 

In  Appenzell  I.-Bh. :  Äppengell,  778  m  ü.  M.,  Luft-  und  Molkenkurort. 
Jakobsbadf  869  m  ü.  M.,  erdige  Eisenquelle  und  Molkenkuranstalt.  Gonten, 
884  m  Ü.  M.,  erdige  Elsenquelle  und  Molkenkuranstalt.  Schwendi,  866  m  ti.  M., 
Bad,  Luft-  und  Molkenkurort.  Weißbad,  817  m  ü.  M.,  erdige  Mineralquelle, 
Luft-  und  Molkenkurort. 

Li  Baselland:  Bienenberg,  431  m  U.  M.,  Luftkurort,  Soolbäder.  Kilch- 
simmer j  952  m  ü.  M.,  klimatischer  Kurort.  Langenbruck,  747  m  ü.  M.,  klima- 
tischer Kurort.  Liestal,  330  m  ü.  M.,  Soolbäder,  Sommerfrische.  Schauenburg, 
486  m  ü.  M.,  Luftkurort,  Soolbäder.  Schweizerhiüle,  276  m  ü.  M.,  Kuranstalt, 
Soolbad. 

In  Bern:  Abendberg,  1139  m  ü.  M.,  Luft-  und  Molkenkuranstalt.  Aeschi, 
859  m  tt.  M.,  Luftkurort.  Axalp,  1524  m  ü.  M.,  Höhenkurhaus.  Blauer  See, 
878  m  ü.  M.,  klimatischer  Kurort.  Blumenstein,  655  m  ü.  M.,  Bad,  erdige 
Eisenquelle.  Bönigen,  566  m  tt.  M.,  Luftkurort  am  Brienzersee.  Enggisteinbad, 
690  m  ü.  M.,  Eisenquelle.  Engstlenalp,  1839  m  tt.  M.,  Loftkarort.  Faulensee- 
bad,  760  m  tt.  M.,  erdige  Mineralquelle.  Grießbach,  660  m  tt.  M.,  Luftkurort. 
Grindeltoald,  1057  m  tt.  M.,  klimatischer  Kurort.  Gunten,  560  m  tt.  M., 
Sommerfrische,  Seebäder.  Gurnigel,  1155  m  tt.  M.,  Luftkurort  und  Schwefel- 
quelle. Heustrich,  640  m  ti.  M.,  alkalisch-salinische  Schwefelquelle.  Interlaken, 
568  m  tt.  M.,  klimatischer  Kurort.  Lenk,  1105  m  tt.  M.,  klimatischer  Kurort 
mit  Schwefel-  und  Eisenquelle.  Magglingen  (Macolin),  900  m  tt.  M.,  klima- 
tischer Sommerkurort.  Meyringen,  599  m  tt.  M.,  Luftkurort.  Murren,  1650  m 
tt.  M.,  Luftkurort.  Rosenlauibad,  1330  m  tt.  M.,  Luftkurort.  Büttihubelbad, 
736  m  tt.  M.,  erdige  Mineralquelle.  Schonegg,  630  m  tt.  M.,  Luftkurort. 
Schwefelbergbad,  1394  m  tt.  M.,  Schwefelquelle.  Sigriswyl,  800  m  tt.  M., 
Luftkurort.  Spiee,  560  m  tt.  M.,  Luftkurort.  St,  Beatenberg,  1148  m  tt.  M., 
klimatischer  Höhenkurort.  Weißenburg,  878  m  tt.  M.,  erdige  Therme,  klima- 
tischer Kurort.  Wengen,  1275  m  tt.  M.,  Luftkurort.  Zimmerwald,  858  m  tt.  M., 
Luftkurort. 

In  Freiburg:  Schwareseebad,  1065  m  tt.  M.,  Schwefelquelle. 

In  Glarus:  Klönthal  (Vorauen),  828  m  tt.  M.,  klimatischer  Kurort.  Ob- 
stalden,  683  m  tt.  M.,  Luftkurort.  Bichisau,  1070  m  tt.  M.,  Luft-  und  Molken- 
kurort. Stachelberg,  653  m  tt.  M.,  Bad,  alkalische  Schwefelquelle. 

In  Graubttnden:  Alveneu,  930  m  tt.  M.,  Schwefelbad.  Churwalden, 
1270  m  tt.  M.,  klimatischer  Kurort.  Davos,  1562  m  tt.  M.,  klimatischer  Kur- 
ort Dissentis,  1150  m  tt.  M..  Eisensäuerling  und  Luftkurort.  Fettan,  1650  m 
tt.  M.,  Sommerfrische.  Fideris,  1056  m  tt.  M.,  alkalisch-muriatischer  Eisensäuer- 
ling. Flms  (Waldhäuser),  1102 — 50  m  tt.  M.,  Luftkurort.  Klosters  (Platz), 
1215  m  tt.  M.«  Luftkurort.  Laax,  1050  m  tt.  M.,  Luftkurort.  Passugg,  850  m 
tt.  M.,  Eisen-  und  Natronquellen.  Pontresina,  1803 — 28  m  tt.  M.,  Luftkurort. 
Prese  (Le),  960  m  tt.  M.,  Luftkurort  und  Schwefelbad.  Promontogna,  819  m 
tt.  M.,  klimatischer  Kurort.  San  Bernardino,  1626  m  tt.  M.,  gjpshaltiger 
Eisensäuerling.  Samaden,  1723  m  tt.  M.,  klimatischer  Kurort.  Schills,  1246  m 
0.  M.,  klimatischer  Kurort  mit  Natronsäuerling  und  Eisensäuerling.  Seewis, 
950  m  tt.  M.,  Luft-  und  Molkenkurort.  Serneus,  985  m  tt.  M.,  Luftkurort, 
Schwefelbad.  SUvaplana,  1816  m  tt.  M.,  klimatischer  Kurort,  eisenhaltige  Gyps- 
qnelle.  SilS'Maria,  1811  m  tt.  M.,  klimatischer  Kurort.  St.  Moritz,  1855  m 
fi.  M.,  klimatischer  Kurort  mit  Kurhaus,  kalter  Eisensäuerling.    Tarasp-Schikl^^ 

Fnr«r,  Tolktwirthichafts-Lexikon  der  Schweis.  Y^ 


Kurorte  —      226     —  Kurorte 

klimatischer  Kurort  mit  Natronsäuerling  und  Eisensäuerling.  Vulpera,  oberhalb 
Tarasp- Naüö,  1270  m  ti.  M.  Wiesen,  1454  m  ü.  M.,  klimatischer  Kurort.  Zua, 
1718  m  ü.  M.,   klimatischer  Kurort. 

In  Luzern:  Eigenthal,  1065  m  ü.  M.,  Luftkurort.  Farnbühl,  704  m 
tt.  M.,  klimatischer  Kurort,  eisenhaltige  Natronquelle.  Gottlieben,  455  m  U.  M., 
klimatischer  Kurort  mit  Seebädern.  Herrgottswald,  798  m  ü.  M.,  Luftkurort. 
Hertenstein  (Schloß),  437  m  tl.  M.,  Sommerfrische  mit  Seebädern.  Knutwyl, 
490  m  ü.  M.,  Bad,  erdige  Eisenquelle.  Luzern,  590  m  ü.  M.,  Familienkurort. 
Mensberg,  1010  m  ü.  M.,  Luftkurort.  Bigi-Kaltbad,  1441  m  ü.  M.,  Luftkurort, 
Eisenquelle.  Schimbergbad,  1425  m  ti.  M.,  klimatischer  Kurort,  alkalische 
Schwefelquelle.  Schwarzenberg,  841  m  )i.  M.,  klimatischer  Kurort.  Sonnenberg, 
170  m  ü.  M.,  Luftkurort.  Vitznau,  440  m  ü.  M.,  klimatischer  Kurort.  WeggiSj 
440  m  ü.  M.,  klimatischer  Kurort,  Seebäder,  Winterstation. 

In  Neuenburg:  Chaumont,  1150m  ti.  M.,  Luftkurort. 

In  Nidwaiden:  Beckenried,  437  m  ü.  M.,  Luftkurort.  Bürgenstock, 
870  m  ti.  M.,  Luftkurort.  Niederrickenbach,  1167  m  ti.  M.,  klimatischer  Kurort. 
Schöneck,  760  m  ti.  M.,  Wasserheilanstalt.    Stans,  446  m  ti.  M.,  Luftkurort. 

In  Obwalden:  Engelberg,  1019  m  ti.  lil.,  klimatischer  Kurort.  Kerns, 
Luftkurort.  Fruti  (auf  Melchsee-Alp),  1894  m  ti.  M.,  Luftkurort.  Schtoendi- 
Kaltbad,  1414  m  ti.  M.,  Eisenquelle. 

In  Schwyz:  Axenfels,  654  m  ti.  M.,  Luftkurort.  Axenstein,  750  m  ti.  M., 
klimatischer  Kurort.  Brunnen,  437  m  ti.  M.,  Luftkurort.  Gersau,  460  m  ti.  M., 
klimatischer  Kurort.  Morschach,  657  m  ti.  M.,  Luftkurort.  Nuolen,  411  m  ti.  M., 
Mineralbad  mit  erdiger  Eisenquelle.  Bigi-First,  1446  m  ü.  M.,  Luftkurort.  Bigi^ 
Klösterli,  1300  m  ti.  M.,  Luftkurort.  Bigi- Scheideck,  1648  m  ti.  M.,  Luft- 
kurort, Eisenquelle.  Bigi-Staffel,  1594  m  ti.  M.,  Luftkurort,  Molkenkuranstalt. 
Seewen,  461  m  ti.  M.,  erdige  Eisenquelle.  Stoos,  1293  m  ti.  M.,  Luftkurort. 
Wäggithal,  864  m  ti.  M.,   Bad-  und  Kuranstalt. 

In  Solothurn:  Fridau,  670  m  ti.  M.,  Luftkurort.  Froburg,  845  m  ti.  M.. 
Luftkurort.  Lostorf,  500  m  ü.  M.,  Bad  mit  Schwefelquellen.  Weißenstein, 
1284  m  ti.  M.,  Luft-  und  Molkenkurort. 

In  St.  Gallen:  Buchenthal,  510  m  ti.  M.,  Wasserheilanstalt.  Pfäffers, 
683  m  ti.  M.,  Bad  mit  indifferenter  Therme.  Bagatz,  521  m  ti.  M.,  Bad  mit 
indifferenter  Therme.  Bietbad,  853  m  ti.  M.,  alkalische  Schwefelquelle.  Bor- 
Schach,  398  m  ti.  M.,  Luftkurort,  Seebäder.  Schmerikon,  411  m  ti.  M.,  Bad, 
Eisenquelle.  Tigelberg,  480  m  ti.  M.,  Luftkurort.  Waid  (obere),  660  m  ti.  M., 
Naturheilanstalt,  Sommerfrische.  Waid  (untere),  für  Vegetarianer,  590  m  ti.  M. 
Wallenstadt,  425  m  ti.  M.,  klimatischer  Kurort.  Weißtannen,  997  m  ti.  M., 
Luftkurort.   Wesen,  430  m  ü.  M.,  Luftkurort. 

Im  Tessin:  Lugano,  275  m  ti.  M.,  klimatischer  Kurort.  Monte  Generöse, 
1209  m  U.  M.,  klimatischer  Kurort.  Stabio,  352  m  ti.  M.,  Schwefelbad. 

Im  Thurgau:  Arbon,  398  m  ti.  M.,  Seebadanstalt,  Sommerfrische,  Mineral- 
bad. Ermatingen,  407  m  ü.  M.,  Seebäder.  Hörn,  398  m  ü.  M.,  Luftkurort, 
Seebad.  Mammern,  407  m  tt.  M.,  Kaltwasserheilanstalt,  Seebäder.  Wolfsberg^ 
516  m  U.  M.,  Seebäder. 

In  üri:  Andermatt,  1444m  ü.M.,  klimatischer  Kurort.  Maderanerthal, 
1449  m  ü.  M.,  Luftkurort.  Seelisberg,  845  m  ü.  M.,  klimatischer  Kurort. 

In  der  Waadt:  Aigle-les-Bains,  540  m  ti.  M.,  Wasserheilanstalt.  Bains 
de  VAlliaz,  1040  m  ü.  M.,  Schwefelquelle.  Bex,  415  m  ti.  M.,  Soolbad,  klima- 
tischer Kurort.     Chäteaii  d'Oex,  994  m  ü.  M.,  Luftkurort.     Chesihres,  1229  m 


Kurorte  —     227     —  Landwasserkorrektion 

1i.  M.,  Luftkurort.  Glion,  687  m  ü.  M.,  Luft-  und  Tranbenkurort.  Lavey^ 
438  m  ii.  M.,  Bad,  Sohwefeltherme.  Les  Avants,  979  m  tt.  M.,  klimatiaoher 
Kurort.  Montreux,  372  m  ti.  M.,  klimatischer  Kurort.  Plan  des  lies,  1168  m 
ti.  M.,  Luftkurort.  8i.  Cergues,  1046  m  ti.  M.,  Luftkurort.  Vers  VEglise, 
1132  m  ü.  M.,  Luftkurort.  Vevey,  380  m  ti.  M.,  Traubenkurort.  Villars  (sur 
OUon),  1275  m  tt.  M.,  Luftkurort.  Les  Bains  d'Yverdony  440  m  ti.  M.,  alka- 
lische Schwefelquelle. 

Ln  Wallis:  Leukerhad,  1415  m  ü.  M.,  Grypsthermen.  Morgins,  1411  m 
ti.  M.,  gypshaltige  Eisenquelle.  Saxon-les-Bains,  479  m  ti.  M.,  jodhaltige  Quellen. 
Sierre,  541  m  ti.  M.,  Luft-  und  Traubenkurort.  SioUf  536  m  ti.  M.,  Luft-  und 
Traubenkurort. 

In  Zürich:  Älbisbrunn,  645  m  ti.  M.,  Wasserheilanstalt.  Eglisau,  337  m 
U.  IL,  Kuranstalt,  alkalische  Quelle.  Gyrenhad  (äußeres),  740  m  ti.  M.,  Molken- 
kuranstalt, erdige  Mineralquelle.  Nidelbad,  512  m  ti.  M.,  erdige  Eisenquelle. 
Veiliberg,  860  m  ti,  M.,  Luftkurort. 

In  Zug:  Felsenegg,  927  m  ü.  M.,  Luftkurort.  G-ottschalken-Kulm,  1140  m 
ti.  M.,  Luftkurort.  Schönbrunn,  698  m  ti.  M.,  Wasserheilanstalt.  Schönfels, 
^27  m  ti.  M.,  Luftkurort. 

Kurzstieier.  In  einigen  Gregenden  des  Kantons  Zürich  Lokalname  für  den 
ElbUng  (s.  Seite  551,  L  Bd.). 

Kurzwaaren-  und  Quincailleriegeschäfte.  Ende  1884  waren  circa 
1800  &eschäfte  dieser  Art  im  Handelsregister  eingetragen. 

Lacöte«    Bekannte  Weinsorte  des  Kantons  Waadt. 

Lack  s.  Firnisse. 

Lactina«  Ein  Futtermehl,  das  u.  A.  von  der  Firma  A.  Panchaud  &  Cie. 
in  Vevey  fabrizirt  wird  und  zur  Aufzucht  von  Kälbern,  Füllen  und  Ferkeln  dient. 

Länglerbirne,  ein  vorzügliches  Koch-,  Dörr-  und  Mostobst,  auch  Kannen- 
oder Kantenbime,  Wadel-,  gelbe  Wadel-,  Schlucker-,  Lang-  und  Wtirgbime 
genannt,  kommt  in  den  meisten  Kantonen  der  Schweiz  vor;  die  schönsten  und 
2ahlreichsten  Bäume  findet  man  im  obem  Thurgau  und  im  ßheinthal,  sie  gedeihen 
aber  auch  noch  in  einer  Höhe  von  630  m  ü.  M.  Das  Alter  dieses  Baumes 
kann  sich  auf  90 — 100  Jahre  erstrecken.  Nach  einer  reichlichen  Ernte  trägt  er 
die  zwei  folgenden  Jahre  nur  spärlich.  80 — 100  Sester  sind  sein  höchster  Ertrag. 
(„Schweizerische  Obstsorten**,  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhom  in 
St.  Gallen.) 

Lance«  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  solche  mehrtrettige,  meistens 
aber  fa^onnirte  Gewebe  mit  seidenem  Zettel,  die  einen  Grundschuß  von  Seide 
oder  Baumwolle  und  einen  Lancirschuß  von  Seide  haben,  der  ausschließlich  Figur 
macht.  Lancirte  seidene  Gewebe  werden  meistens  für  Kravatten  von  der  zürche- 
rischen und  auch  von  der  fremden  Industrie  hergestellt. 

Lancirte  Gewebe  sind  Gewebe  mit  übergeschossenen  Fäden,  die  nachher 
ausgeschnitten  werden.    S.  auch  Brochirte  Gewebe. 

Landwasserkorrektion  auf  Daves.  Bei  dieser  in  den  Jahren  1884/86 
ausgeführten  Korrektion  handelte  es  sich  um  die  Strecke  von  der  Einmündung 
des  Dischma-  und  des  Schyabaches  bis  zu  derjenigen  des  Sertigbaches,  bezw.  bis  zum 
Bohna-Steg  bei  Frauenkirch.  Mit  der  Korrektion  wurde  die  Reglung  des  Laufes 
nnd  die  Tieferlegung  der  Sohle  des  Landwassers  bezweckt,  um  der  Versumpfung 
nnd  den  Ueberschwemmnngen  der  Thalsohle  Einhalt  zu  thun.  In  Betreff'  des 
Korrektionssystems  wurde  ein  Doppelprotil  angenommen,  bestehend  1)  aus  dem 
innern  oder  eigentlichen  Flußbette  mit  6  m  Sohlenbreite,  einer  Breite  vqi\  ^  \si 


Landwasserkorrektion  —     228     —  Landwirthschaft 

zwischen  den  Uferkanten  und  1  Yaftlßigen  Böschungen  mit  Steinbekleidnng,  2)  aas 
den  auf  beiden  Seiten  befindlichen  Bermen  mit  einer  Breite  von  2  m,  welche^ 
um  gegen  Ausspühlungen  gesichert  zu  sein,  mit  Querrippen  von  20  zu  20  m 
versehen  sind,  3)  aus  den  das  Profil  auf  Hochwasser  abschließenden  Hinterdämmen 
aus  Eies  bei  einer  Höhe  von  1,50  m,  einer  Elronenbreite  von  2,50  m,  lY2fttßigen, 
mit  Rasenziegel  bekleideten  Böschungen  und  einer  Breite  zwischen  den  Innern 
Dammkronen  von  16,60  m. 

Die  Tiefe  beträgt  1  m  fUr  das  Nieder wasser-  und  2,20  m  fUr  das  Hoch- 
wasserprofil,  das  projektirte  mittlere  Sohlengefäll  ca.  7,8  ^/oo  bei  einer  Kanal- 
länge  von  4635  m. 

Die  Kosten  für  diese  Korrektion  beliefen  sich  auf  ca.  Fr.  280,000.  Es 
wurde  ein  Bundesbeitrag  zugesichert  im  Betrage  von  ^s  ^^^  wirklichen  Kosten, 
bezw.  im  Maximum  Fr.  94,000.  Buudesbeschluß  vom  3.  April  1883  (A.  S. 
n.  F.  Vn,  p.  64). 

Landwasserstrasse,  zum  graubündnerischen  Straßennetz  gehörend  und  in 
den  Jahren  1871  bis  1873  erbaut,  führt  von  Daves  nach  Bad  Alveneu  und 
Lenz,  bei  Tiefenkasten  in  die  Julierstraße  einmündend.  Ihre  Länge  beträgt  33,7  km^ 
die  Breite  3,6  m.  Die  Kosten  beliefen  sich  auf  Fr.  534,000  (Bavier,  Straßen  der 
Schweiz),  woran  sich  der  Bund  mit  Fr.  89,000  betheiligte.  Bundesbesehluß  vom 
26.  Juli  1861  (A.  S.  Bd.  VII,  pag.  70). 

Landwirthschaft.  Verfasser:  Die  Herren  Prof.  Dr.  Krämer  in  Zürich 
und  Kulturtechniker  Fritz  Rödif/er  in  Bellach- Weyerhof. 

A.  Geschichte  der  schweizerischen  Landwirthschaft 

(Von  Herrn  Fritz  ßödiger.) 
I.  Die  Landwirthschaft  unter  den  Römern. 

Die  Geschichte  der  schweizerischen  Landwirthschaft  beginnt  eigentlich  zu 
jener  Zeit,  in  welche  die  Funde  aus  den  Höhlen  von  Thayngen,  Schaffhausen, 
Crrellingen,  Verrier  bei  Genf,  Domleschg  in  Graubiinden  etc.  zurückweisen.  Daran 
knüpft  sich  die  früh-keltische  Zeit  (Stein  und  Bronce)  mit  den  Pfahl  bauten- 
anhängseln  und  an  diese  schließt  sich  die  keltisch-  (oder  gallisch-)  helvetische 
Periode  bis  zur  Eroberung  Helvetiens  und  Bhätiens  durch  die  Römer.  Es  wtlrde 
hier  zu  weit  führen,  auf  alle  diese  Urperioden  zurückzugreifen. 

Der  Landbau  Helvetiens  (inkl.  Rhätiens)  hatte  sich  schon  lange  vor  Unter- 
jochung durch  die  Römer  mehr  und  mehr  vervollkommnet.  Er  war  fortgeschrittener, 
als  uns  einige  römische  Schriftsteller  erzählen,  welche  hier,  wie  in  Gallien  und 
Germanien,  oft  das  Wesentliche  unberührt  ließen.  Unwesentliches  dagegen  über 
Gebühr  hervorhoben. 

Der  allgemeine  Stand  der  Landwirthschaft  blieb  jedenfalls  noch  Jahrhunderte 
lang,  unter  den  Römern,  dem  gallisch-helvetischen  gleich.  Nichts  ändert  langsamer 
als  ländliche  Einrichtungen,  wenn  ihnen  nicht  energische  Außenhülfe  die  Hand 
reicht.  Haben  wir  doch  heute  noch  Berggegenden  in  der  Schweiz,  welche  mit 
einem  Fuße  noch  ganz  in  den  Betriebsweben  vorrömischer  Tage  stehen. 

Die  Zweifelderwirthschafl  übernahmen  in  Helvetien  die  Römer  von  den 
Eingebomen  und  mögen  sie  Jahrhunderte  lang  beibehalten  haben,  wie  sich  solche 
bis  heute  auf  den  weitausgedehnten  Roggen-  und  Gerstenfeldem  des  Wallis  — 
meist  unverändert  mit  allem  Zubehör  —  erhalten  hat.  Freilich  brachten  die 
Soldaten  (die  Veteranen),  sowie  die  römischen  Landspekulanten,  welche  den 
Legionen  nachzogen,  jedenfalls  manche  Neuerung  mit  und  in  Aufnahme,  da  die 


Landwirthschafl  —      229     —  Landwirthschaft 

vorherigen  Besitzer  und  Eigentbümer  besitz-  und  rechtlos  wurden  und  jene  an 
ihre  Stellen  traten;  im  Allgemeinen  jedoch  ließen  diese  Eindringlinge  die  alten 
Besitzer  oder  Bebauer,  welche  ja  schon  unter  ihren  alten  Herren  meist  unfrei 
waren,  nach  Herkommen  fortarbeiten. 

Besiegte,  Herren  und  Arbeiter  oder  Unfreie,  wurden  römische  Sklaven  und 
Kolonen.  Aller  Boden  gehörte  den  römischen  Kaisern,  welche  je  nach  Charakter 
und  Einsicht  ihrer  Kegierungsmethode  die  Einheimischen  belehnten,  so  lange  die 
römischen  Kräfte  mangelten,  meist  aber  das  Grundeigenthom  nur  an  römische 
Bürger  vertheilten  oder  an  römische  Land-Spekulationsgesellschaften  verkauften 
und  verpachteten.  Alles  übrige  Land  blieb  Krongut,  nämlich  1)  alle  eroberten 
Ländereien,  über  welche  noch  nicht  verfügt  war ;  2)  Wälder  und  Weiden,  sofern 
sie  nicht  bereits  ein  Römer  besaß. 

Im  Laufe  der  Zeit  änderte  sich  natürlich  dieser  Besitzstand,  besonders  als 
man  nach  und  nach  den  Unterjochten  gestattete,  römische  Bürger  zu  werden. 
Es  fanden  auch  sonst  allerlei  unkontrolirte  Aneignungen  statt.  Schenkungen, 
besonders  von  Weidland,  an  sich  allmälig  bildende  Stadtgemeinden  waren  nicht 
selten,  woraus  sich  dann  auch  die  meisten  Weid-  (Alimend-),  Berg-  und  Alp- 
genossenschaften  entwickelten. 

Immerhin  waren  jene  Gemeinden  keine  freien  Gemeinwesen,  wie  in  unserer 
Zeit,  sondern  wurden  von  römischen  Beamteten  beherrscht. 

An  den  Crrenzen  erhielten  die  sog.  Veteranen,  ausgediente  Soldaten  (anfäng- 
lich meist  Fremde),  arrondirte,  größere  Güterhöfe,  deren  jeder  etwa  200  Jucharten 
(Tagwerk)  oder  72  Hektaren  Kulturland  enthielt,  steuerfrei.  Daraus  entstanden 
die  bekannten  Militärkolonien,  an  welche  sich  bald  viel  Gewerbe,  Industrie, 
Künste  und  Schulen  anschlössen. 

Es  würde  zu  weit  führen,  alle  Zweige  der  Landkultur,  welche  nun  in 
Helvetien  vorherrschten,  auch  nur  annähernd  einläßlich  zu  beleuchten.  Mit  der 
Zeit  brachte,  wie  wir  im  Verlaufe  dieser  G^chichte  zeigen  werden,  die  römische 
Invasion  viel  Gutes  und  Schönes,  allein  bei  den  unaufhörlichen  auswärtigen  und 
inneren  Kriegen  dieses  raublustigen  und  blutdürstigen  Volkes  mußten  die  größten 
Schöpfungen  schließlich  zum  Unheile  der  Provinzen  ausfallen. 

Zu  jenen  Schöpfungen  zählen  wir  die  Verkehrsadern  über  die  Gebirgspässe 
und  durch  die  Vorberge,  oft  zwei-  oder  dreifach  in  den  Großthälern  angelegt  und 
eifrig  gepflegt,  ferner  die  Post-,  Militär-  und  Logirstationen  an  den  Straßen, 
bereits  eine  Art  Personen-,  Brief-  und  Güterpost.  Allein  der  Weg-  und  Straßen- 
bau, die  Postvorspann  waren  alles  gar  bald  dem  Landbau  aufgebürdet  und 
erdrückten  denselben.  Aehnlich  ging  es  mit  den  Befestigungs werken.  Wohl 
wurden  sie  von  Soldatenhänden  erbaut,  allein  das  Material  Meilen,  ja  Tage  weit 
herbeizuführen,  war  Sache  der  Landwirthe  und  mußte  sie  umbringen.  Was  halfen 
femer  die  bereits  vervollkommneten  Flurvermessungen  und  die  Eintheilungen  in 
Stadt'  und  Landbezirke  (Gemeinde-  und  Privatlaud  wurde  noch  nicht  eigens 
vermessen),  da  sie  nur  dazu  dienten,  intensivere  Steuerkreise  zu  erstellen,  Kataster- 
pläne darauf  zu  bauen,  um  immer  neue  Abgaben  auszupressen? 

Hier  muß  zur  geschichtlichen  Vervollständigung  bemerkt  werden,  daß  bereits 
die  Grallier  vor  Christi  Geburt  die  Landvermessung  kannten  (nach  Columella'B 
Mittheilung,  „De  arboribus**  [von  der  Baumzucht],  Dresden,  Riemen,  1719) 
und  die  Römer  wahrscheinlich  das  gallische  Landmaß  (Arpennis  =13  Aren) 
in  Helvetien  bereits  vorfanden.  Die  Messungen  fanden  mittels  Schnur  statt,  bei 
minder  wichtigen  Dingen  auch  durch  Schritte.  ^) 

^)  Die  Römer  hatten  Toisen  ä  10  Schuh. 


Landwirthsoba/t  —      23o     —  Landifirthscfaaft 

Fa^en  wir  die  gesammte  nmiache  Zeil  der  Schweiz  in  landwirthsehaftlicher 
Beziehung  znsammen,  so  dürfte  dch  dieselbe  etwa  charakterisiren  lasgen  wie  folgt : 

1)  Äckerbau  und  die  dazu  benöthigten  Werkseufte  waren  sehr  wahrscheinlich, 
waH  noch  heate  in  den  Walliser  nnd  Unteren gaiiiner  Bergen:  Boggenbau  und 
Brache  oder  Weizen  nnd  Brache,  im  Sommerfelde  anch  Gerste.  Für  den  Wurzel- 
und  Gremüsebau  Grärten  um  die  DSrfer.  Die  Felder  lagen  in  ZeU/en.  Pflug 
vorrömisch. 

2)  Der  Wienenhau  schied  sich  in  Trocken-  und  Bewässerungswiesen.  Be- 
wftHsemngskanäle  aus  jener  Zeit  sind,   wenigstens  im  Wallis,  nachweisbar. 

3)  Weid'  nnd  Alpwirihfi*Jiaft :  Beginn  genoäsenschnftUchen  Besitzes,  neben 
Latifundien  (Großgrundbesitz),  betrieben  durch  Unfreie  der  Besitzer:  Allmenden, 
Vorberge  (Mayen,  Mayenf^äßen)  nnd  Alpen. 

£h  finden  sich  allüberall  auf  den  vorgenannten  Ländereien,  wie  auch  auf 
den  Juraweiden  nntrUgbare  Kömerspnren,  wie  Bauten  und  Münzen,  besonders  an 
den  Pässen  und  Weidaufstiegen. 

4)  Die  Viehzucht  hat  bereits  eine  hervorragende  Rolle  gespielt,  und  zwar 
scheint  damals  nnd  noch  lange  nachher  die  Pferdezucht  im  Vordergrund  ges»tanden 
zu  haben,  da  die  Pferde  Helvetiens  und  Rhätiens  ein  gesuchtes  Armeelieferungs- 
und  Ausfuhrobjekt  waren,  besonders  für  die  römische  Reiterei.  In  zweiter  Linie 
stand  als  gut  verwertheter  Produktionszweig  die  Schweinezucht,  Schweinefleisch 
und  Speck  Helvetiens  und  Rhätiens  waren  hoch  geschätzt  und  bildeten  schon 
vor  den  Römern  einen  starken  Handelsartikel  nach  Italien.  Zur  Zeit  der  Römer 
erscheint  dieses  Fleisch  in  geräuchertem  Zustande,  nebst  Spreu,  Stroh  und  Heu^ 
alä  Haupt  liefern  ngsartikel  an  die  Legionen  und  Poststationen.  Daß  da  auch 
Frucht,  besonders  Gerste,  als  Futter  gesucht  war,  dürfte  nicht  befremden.  Maul- 
thiere  und  Ochsen  waren  ebenfalls  gesuchte  Transportthiere.  Vom  sonstigen  Rind-, 
Schaf-  nnd  Ziegenvieh  finden  wir  wenig  Spezielles.  Die  Kühe  waren  von  den 
Römern  gesucht  wegen  der  Milch  und  die  damals  beträchtliche  Ausfuhr  von 
K(ise  nach  Italien  (schon  vor  den  Römern)  bewebt,  daß 

5)  das  Molkereiwesen  bereits  in  BlUthe  stand;  wahrscheinlich  waren  die 
Käse-  nnd  Ziegerformen  sowie  die  Produktionsarten  so  ziemlich  die  gleichen, 
wie  wir  sie  heute  noch  auf  den  meisten  Alpen  finden.  Der  römische  Kaiser  Pius 
soll  sich  am  Schweizer  „Alpenkäse**  zu  Tode  gegessen  haben,  was  daraufschließen 
läßt,  daß  jenes  Produkt  damals  bereits  zu  den  Luxusspeisen  des  Auslandes  gehörte. 

6)  Daß  die  selbst  gemachte  nnd  gefärbte  Wolle,  wie  noch  heute  auf  den 
Walliser,  BUndner  und  Urner  Bergen,  zur  Römerzeit  ebenfalls  zu  Kleidern  ver- 
wendet wurde,  wie  die  Ziegen-  und  Bockfelle,  braucht  kaum  hervorgehoben  zu 
werden.     Als  Nebenzweig  wurde  durch  die  Römer  besonders 

7)  der  eigentliche  Obst-  und  Weinbau  betrieben.  Schon  die  Helvetier 
pflanzten  Obst,  Feldäpfel  und  Knorpelkirschen  (weiße  Glaskirschen) ;  allein  durch 
die  Kömer  kamen  edlere  Sorten  und  vermuthlich  auch  die  ^  Veredlungskunst  *^ 
in's  Land,  wie  sie  Überhaupt  viele  neue  Kulturpflanzen  einführten.  So  rühmt 
man,  daß  besonders  durch  die  Soldaten  Aurelius  Probus'  (276 — 282)  namentlich 
im  Wallis  der  bessere  Weinbau  einheimisch  gemacht  worden  sei  (?).  Vom  süd- 
lichen Hhatien  dagegen  soll  schon  Kaiser  Augustus  seinen  Lieblingswein  bezogen 
haben,  und  zwar  in  hölzernen  Fässern,  mit  Reifen  gebunden,  welch'  letztere  die 
Römer  nicht  kannten. 

8)  Auch  bessere  (rräser  und  Futterpflanzen  wurden  eingeführt. 

lO  Kbenso  wurde  der  (Temüaebau  gehoben.  Man  kannte  die  veredelten 
Rrttigt'  und  t*s  wird  als  ein  sehr  gesuchtes  Gemüse  nördlich  der  Alpen  besonders 


Landwirthschaft  —      231     —  Landwirthschaft 

die  Zuckerwurzel   (Geldub)   bezeichnet,    welche   sich   Kaiser  Tiberius   eigens   für 
seine  Tafel  vom  Bhein  herkommen  ließ. 

10)  Auch  das  landwirthschafiliche  Bauwesen  wurde  gefördert.  Vor  den 
Römern  bestand  wohl  des  Landmanns  Wohnung  meist  in  einer  mit  Lehm,  Rohr 
und  Erde  umpflasterten  Hütte  oder  in  einem  beweglichen  Holzbau;  die  Römer 
aber  bauten,  wohin  sie  kamen,  solid,  dauerhaft  und,  wo  es  immer  anging,  mit 
Schönheit.  Die  Bauernhäuser,  wie  man  solche  in  Rhätien  (z.  B.  Pfunds)  gefunden 
hat,  waren  4 — 6  Meter  lang,  ähnlich  breit.  Sie  enthielten  zwei  und  drei  Ab- 
theilungen, innerlich  von  Holzwänden  getrennt. 

Von  230  bis  450  rüttelten  die  von  Nord  und  Ost  heran  wogenden  germa- 
nischen Volksstämme  am  römischen  Reiche  und  besonders  tobten  die  Kämpfe  in 
Helvetien  zwischen  den  Römern  und  den  Älemafinen,  bis  endlich  die  ganze 
römische  Herrlichkeit  für  immer  zusammenbrach.  Fast  drei  Jahrhunderte  lang 
hatte  der  Kampf  hin  und  her  gewogt.  Unter  solchen  Umständen  war  an  eine 
heilsame  Entwicklung  der  Land-  und  Volkswirthschaft  selbstverständlich  nicht  zu 
denken;  doch  dürften  die  Schilderungen  von  der  Vemichtungswuth  der  Ale- 
mannen, außer  den  Städten,  einigermaßen  übertrieben  sein,  da 

1)  ja  längst  schon,  Jahrhunderte  lang,  im  Osten  bedeutende  alemannische 
Volksstämme  unter  römischer  Herrschaft  im  Lande  gelebt  und  sich  Einzelne  weit 
gegen  Westen  als  Ansiedler  vorgewagt  hatten; 

2)  die  Alemannen  lange,  ehe  sie  Helvetien  angriffen,  nach  ihren  Gesetzen 
einen  sehr  geordneten  und  anerkennenswerthen  landwirthschaftlichen  Betrieb 
führten; 

3)  infolge  ihrer  nachbarlichen  Erfahrungen  einsichtsvoll  genug  gewesen  sein 
müssen,  das  Gute,  das  die  Römer  in^s  Land  gebracht  hatten,  nicht  zu  zerstören. 

IL  Die  Landwirthschaft  unter  den  Alemannen,  Ostgothen, 

Burgundern  und  Franken. 

Die  Alemannen  freuten  sich  der  Herrschaft  nicht  allzulange.  Sie  wurden 
von    den  Franken    besiegt,    blieben  jedoch  auch  in  dieser  Stellung  tonangebend. 

Der  Äckerbau  blieb  äußerlich  so  ziemlich  beim  Alten,  doch  mit  den  Ale- 
mannen ersohien  der  Spelz  (Triticum  spelta),  unsere  jetzige  Hauptfrucht,  und 
wurde  im  Lande  verbreitet. 

Der  Wiesenbau  erlitt  keine  wesentlichen  Aenderungen.   Dagegen  wurde  der 

Besitzstand  wiederum  menschlicher.  Es  gab  wieder  mehr  freies  Eigenthum 
und  freie  Leute.  Neue  Rodungen  aus  Einöden  und  Wald  wurden  freies  Eigen- 
thum.   Mit  den  alemannischen  und  fränkischen  Elementen  kam  die 

Drei'Zelgenwirthschafl  (Winterfrucht,  Sommerfrucht,  Brache).  Ein  großer 
Fortschiitt.  Ordnung,  Flurschutz.  Die  Grundstücke,  auch  Privatbesitz,  wurden 
gewissenhafter  vermarchet,  als  unter  den  Römern,  doch  gab  es  weder  Kataster, 
noch  Verschreibungen,  sondern  Marchsteinhaufen,  Malsteine,  Malbäume  und  Gehege 
(Häge).    Bei 

Handänderuwjen  zog  man  24  Zeugen  bei:  12  Erwachsene,  12  Kinder. 
Letzteren  versetzte  man  an  den  Marchsteinen  Ohrfeigen  —  zum  bessern  Gedächt- 
niß!  Wir  finden  noch  heute  als  Ueberbleibsel  hier  und  dort  Marchnmgänge, 
z.  B.  in  Baselland;  „ Zeugen *"  legte  man  später  in  Gestalt  von  Scherben  oder 
Ziegelstüoken  unter  die  Marchsteine. 

Auch  die  Einfriedigum/en,  Häge,  Zäune  (Gehege),  die  das  bebaute  Land 
von  der  Weide  trennten,  standen  unter  gesetzlichem  Schutz.  Aufgesteckte  Stroh- 


Landwirthschaft  —     282     —  Landwirthschaft 

wische  waren  schon  damals  Zeichen  des  Yerhotes,  Grundstücke  oder  Wege  za 
hetreten. 

Während  jedoch  im  Norden  der  Schweiz  das  Eigenthum  eher  yerhanerte, 
annektirten  es  im  Süden  (Wallis)  unter  den  Burgundern  glückliche  Soldatenföhrer, 
setzten  sich  auf  Burgen  fest  und  vertheilten  als  Lehnherren  oder  kleine  Dynasten 
die  Dörfer  an  ihre  Leute.  Daher  dort  die  Centen  und  Centgrafen,  die  sich  der 
häuerlichen  Entwicklung  infolge  unahlässiger  gegenseitiger  Bekriegungen  unter 
sich,  mit  der  Geistlichkeit  und  mit  auswärtigen  Herrschern  als  ein  großes 
Hindemiß  erwiesen. 

Die  Viehzucht  änderte  langsam.  Die  Pferdezucht  behauptete  ihren  ersten 
Bang  fort.  Schon  kennt  man  die  Eastrirkunst  und  hat  man  Wallachen.  Auch 
gibt  es  schützende  Handelsgesetze  gegen  Blindheit,  Bruch,  Steifheit,  Botz.  Das 
Rindvieh  scheint  im  Allgemeinen  immer  noch  klein  und  grau  gewesen  zu  sein, 
doch  spricht  man  schon  von  weißen  Stieren  und  Ochsen  zu  Fahrten  der  Großen 
und  der  Priester.  Die  Rindviehzucht  lief  in  dieser  Periode  der  Schweinezucht 
den  Bang  ab.  Die  Alemannen  hatten  für  alles  Vieh  gesetzliche  Preise,  auch 
Wehrgelder,  sogar  für's  Geflügel.  Der  Schweinezucht  wurde  sehr  viel  Auf- 
merksamkeit geechenkt.  Diese  Thiere  hatten  famose  Eichelweiden  und  trugen 
auch  Schelleu,  wie  das  übrige  Vieh.  Der  Schellendiebstahl  wurde  hoch  gebüßt. 
Schafzucht  immer  noch  sehr  gering.  Thiere  klein  (Moor-  oder  Haideschnucken, 
im  Büudner  Oberlande  noch  zu  finden).  80  Stück  bildeten  eine  Heerde.  Mit 
ihnen  wurden  die  Aecker  fleißig  gepfercht.  Ziegenzucht  noch  kaum  erwähnens- 
werth.  Maulthiere  und  Esel  wenig.  Erstere  nur  im  Süden  von  Bedeutung. 
Enten  und  Gänse  treten  als  gemeines  Geflügel  auf,  Schwäne,  Elraniche,  Pfauen, 
Fasane,  Tauben  und  zahme  Rebhühner  auf  Herren-  und  Klosterhöfen.  Das  gemeine 
Huhn  erscheint  nun  auch  von  Italien  her.  Die  Bienenzucht  wird  mehr  und 
mehr  neben  der  wilden  auch  künstlich  als  Hausbienenzucht  betrieben.  Die  wilde 
in  Wäldern  wird  verpachtet  („Zeidelweid"). 

Hier  muß  nachgeholt  werden,  daß  die  Alemannen  und  Burgunder  neben 
dem  alt-rhätischen  und  römischen  Pflug  ohne  Räder  einen  Räderpflug  mitbrachten, 
der  „(.arruce"  hieß.  Es  war  vermuthlich  derselbe,  den  wir  noch  in  den  Walliser 
Alpendörfern  finden. 

Einen  größern  Fortschritt  machte  in  dieser  Periode  der  Obst-  und  Weinbau. 
Man  kannte  nun  das  Pfropfen  schon  ganz  gut  und  es  gab  schon  vielerlei  gute 
Apfel-,  Birnen-  und  Kirschensorten ;  aber  auch  die  Schutzgesetze  waren  gut.  Für 
Obstbäume  in  Anlagen  mußte  Wehrgeld  bis  zu  40  Schilling  das  Stück  gezahlt 
werden.  Ferner  mußte  der  Schädiger  andere  Bäume  setzen  und  eine  jährliche 
Entschädigung  bezahlen,  bis  die  Bäume  nachgewachsen  waren.  Es  gab  große 
Obstpflanzungen  in  Gtirten.  Der  Weinbau  war  bereits  weithin,  ja  über  seine 
natürlichen  Grenzen  hinaus  verbreitet. 

Intere^ssant  ist,  die  völlige  Veränderung  der  ländlichen  Bauten  zu  beob- 
achten, da  wo  die  Alemannen  den  römischen  und  burgundischen  Greschmack 
verdrängten.  Ein  alemannischer  ^Hof**  bestand  aus  einigen  Wohnräumen,  Scheuer, 
Winterstall  (für  Pferde,  Groß-  und  Kleinvieh)  —  Alles  unter  Einem  hohen  und 
breiten,  weit  überhängenden,  fast  bis  zur  Erde  reichenden  Strohdache.  Speicher 
blockhausartig,  darunter  Keller,  abgesondert.  Bei  herrschaftlichen  Höfen  kam 
noch  ein  Herrschaftsgebäude  (Burg,  Steinhaus  oder  Schloß)  dazu.  Auch  kamen 
schon  die  „Lauben*"  vor.  Als  Baumaterial,  je  nach  Lage,  galt  Mauer,  Ziegel, 
Erde,  Lehm,  Wickel,  Holz  oder  gemischt.  Das  Innere  des  Hauses  war  sehr 
umfangreich,    hoch  und  hohl,  so  daß  man  von  der  Küche  bis  zum  Dache  sehen 


Landwirthschaft  —     233     —  Landwirthschaft 

konnte.  In  diesem  Räume  fanden  sich  alle  Gehälter  und  Kammern  kastenartig 
eingebaut,  etwa  wie  man  solche  Häuser  noch  im  Guggisberg  sieht.  So  lange 
die  Glaafenster  fehlten,  wohnten  im  Winter  die  arbeitenden  Frauen  unterirdisch 
^ wovon  noch  die  Webekeller  herstammen  mögen). 

Von  hier  an  bis  weit  in's  Mittelalter  hinein  formirten  sich  bestimmte  Größen 
der  Höfe,  nach  denen  sich  in  vielen  Gegenden  noch  bis  in  unser  Jahrhundert 
herein  die  Bauern  oder  Grundbesitzer  unterschieden  und  „fühlten**.  Ein  kleines 
Banernffut  nach  damaligen  Begriffen  umfaßte  20 — 60  Tagwerk  (7 — 21,6  Hekt- 
aren), 1  oder  2  Pferde,  2 — 4  Zugochsen,  2  Ktlhe,  5  Schweine,  8 — 10  Schafe. 
Ein  Miiteiijfut  bestand  in  80—100  Tagwerk  (29  —  36  Hektaren)  und  hatte 
4  Pferde,  4  EHhe,  14  Schweine,  25—30  Schafe  und  Ziegen,  7  Bienenkörbe 
oder  -Stöcke.  Große  Höfe  umschlossen  200—250  Tagwerk  (72 — 90  Hektaren), 
4  Pferde,  13  Zugochsen,  13  Kühe,  40  Schweine,  80  (eine  Stammheerde)  Schafe 
und  Ziegen.  Diese  Zusammensetzungen  bekunden,  daß  man  damals  alles  Vieh, 
das  man  bedurfte,  selbst  aufzog.  Nach  der  Größe  des  Besitzthums  richteten  sich 
auch  die  Stände,  £s  gab  niedere  Freie,  mittlere  und  erste  Alemannen.  Die 
Großgrundbesitzer,  die  nicht  zu  jenen  gehörten,  bildeten  die  Edelinge,  Die  ob- 
gedachten  drei  Abtheilungen  hießen  jedoch  Barone,  welches  Wort  damals  wohl 
nicht  viel  mehr  ab  „freier  Bauer**  heißen  woUte.  Dazu  kamen  natürlich  die 
Kolonen  (Hörige  und  Fröhner)  der  Kirche. 

Sehr  streng  wurden  die  Sonntarfsgesetze  geübt.  Arbeit  am  Sonntage  wurde 
hart  bestraft,  doppelt,  wenn  ein  Freier  Arbeiten  eines  Unfreien  verrichtete.  In 
Mitte  dieser  Periode  taucht  nun  auch  das 

Jahrmarkts wesen  auf,  welches  bald  ein  Hauptbedürfniß  der  Bauern  wurde. 
Es  wurde  da  anfänglich  meist  nur  Produktentausch  getrieben,  Vieh  aller  Art 
aufgeführt,  getrocknetes  und  geräuchertes  Fleisch,  Häute,  Felle,  Wolle,  Federn, 
Flachs,  Wachs,  Honig,  Waid,  Krapp,  roth  und  schwarz  gefärbtes  Garn,  Weber- 
disteln, Seife,  Oel  u.  s.  w.  Interessant  ist  das  hiernach  eintretende  Geldverhältniß 
als  Austauschmittel:   1  Schilling  =  1  Kuhwerth. 

Um  das  7.  bis  8.  Jahrhundert  soll  in  Churrhätien,  wie  J.  C.  Planta  in 
seiner  Geschichte  Alt-Rhätiens  erzählt,  der  Getreide-  und  Ackerbau  an  den  Berg- 
halden auf  eigens  und  mit  großer  Mühe  angelegten  Terrassen  betrieben  worden 
sein.  Wir  halten  dies  für  eine  Täuschung,  da  wir  solche  Terrassen  in  allen 
Theilen  der  Schweiz,  oft  weithin  und  an  zum  Anbau  ganz  unbrauchbaren  Orten 
trefifen.  Diese  Terrassen  gehören  jedenfalls  der  Urgeschichte  und  deren  Ansiedlungs- 
art  an  und  mögen  wohl  hier  und  da,  zur  besagten  Zeit,  zu  Acker-  und  Gartenbau 
benutzt,  aber  nicht  eigens  dafür  erbaut  worden  sein.  Eine  solche  intensive 
Kulturmethode  wäre  für  jene  Zeit  zu  viel  verlangt  gewesen. 

In  das  Ende  dieser  Periode  tritt  Karl  der  Große  ein,  einer  der  seltenen 
Staatsmänner  der  alten  Welt,  welche  bei  unendlich  viel  politischen  Wirren  und 
Kriegshändeln  die  Land-  und  Volks wirthschaft  nicht  aus  den  Augen  ließen. 
Schreiben  wir  auch  den  Rathschlägen  und  Wirthschaftsanschlägen  (Kapitularien) 
an  seine  Verwaltungen  nicht  den  durchschlagenden  Werth  zu  wie  Viele,  da  eben 
das  Meiste  unausgeführt  blieb,  so  gewähren  uns  seine  Weisungen  doch  ein  schönes 
Bild  vom  fortgeschrittenen  Zustande  der  Kultur  um  das  Jahr  800,  welchen  Karl 
der  Große  nicht  geschatfen  haben  konnte,  sondern  bereits  die  Zeiten  vor  ihm, 
auf  welchen  Errungenschaften  er  jedoch  weise  foiiizubauen  entschlossen  war. 

Unter  den  Städten,  welche  den  Landbau,  besonders  den  Acker-,  Garten-, 
Obst-  und  Weinbau  fördert^^n,  traten  zunächst  Basel  und  Konstanz  in  den 
Vordergrand. 


Landwirthschaft  —     234     —  Landwirthschaft 

Die  Bebe  wurde  hauptsächlich  durch  die  Elöster  und  die  Greistliohkeit 
verhreitet.  In  den  Kellern  dieser  Institute  wie  in  denen  der  kaiserlichen  Mittel- 
und  Großgüter  findet  man  nun  auch  den  Most  (Ohstwein).  Bier  und  Essig  spielen 
die  Eolie  von  landwirthschaftlichen  technischen  Produkten. 

Im  Jura  wird  wieder  tapfer  gemergelt,  wie  schon  zur  Zeit  der  Kelten. 
Alle  Wiesen  werden  gemeinsam  bis  zum  1.  Mai  beweidet.  Als  genauere  Flächen- 
maße sind  eingeführt:  Tagwerk  und  Joch  (im  Mittel  etwa  40,000  Quadratfuß 
=  36  Aren) ;  als  Hohlmaße :  Malter,  Modien,  Textarien ;  für  bluttes  Gretreide : 
„  Körbe  ** ;  für  Spelz  und  Spreu  sowie  für  Flüssigkeiten :  Sichel  und  Sexterien. 
Längenmaße  waren  das  Klafter  a  6  Schuh  oder  Schritte  (ä  5  Schuh)  und  die  Elle. 

Auch  die  ersten  Anfänge  künstlicher  Fischzucht  erscheinen  und  zwar  in 
Grestalt  von  wohlgeordneten  Teichfischereien,  welche  besonders  durch  die  Fasten- 
mandate gefördert  wurden.  Sie  bildeten  eine  sehr  erfreuliche  Nährquelle  für  die 
Landleute. 

Der  Gemüsebau  hatte  sich  ausgedehnt  auf  Gurken,  Kürbis,  Spinat,  Kohl- 
rüben, Meerrettig,  Petersilie,  Schnittlauch,  Winterlauch,  Pore,  Schalotten,  maurische 
Erbsen,  Knoblauch,   Veits-  und  Saubohnen. 

Als  Handelspflanzen  baute  man  Kresse,  zweierlei  Senf,  Anis,  Dill,  Fenchel» 
Coriander,  Kerbel,  Kümmel  (Schwarz-,  Feld-  und  Kreutzkümmel),  Mohn  und 
Reps.  Auch  schmückten  bereits  herrliche  Blumen  (Rosen  und  Lilien)  die  Zier- 
gärtchen. 

Und  zu  allem  Dem  kam  auf  größeren  Gütern  und  in  Klöstern  als  eine  der 
wichtigsten  Errungenschaften  die  landwirthschaftliche  Buchhaltung, 

Doch  sei  auch  nicht  verhehlt:  1)  daß  die  großen  Gutsbesitzer  die  kleinen 
abermals  nach  Möglichkeit  zu  unterdrücken  begannen,  indem  sie  aus  Freien 
Kolonen  und  Hörige  machten;  2)  daß  Wildgärten  (Thiergärten)  zum  Wildschute 
angelegt  wurden,  anfänglich  nur  zum  Vergnügen  der  Großen  und  zum  Schutz 
des  Bauers,  später  aber,  um  die  Jagdgerechtsame  dem  Kleinbauer  zu  entreißen, 
wodurch  er  gar  bald  allen  übermäßigen  Wild-  und  Jagdschäden  schutzlos  preis- 
gegeben war;  3)  daß  Karl  der  Große  der  Kirche  von  den  meisten  landwirth- 
schaftlichen Produkten  den  Zehnten,  erdrückenden  Angedenkens,  entrichtete.  Was 
dieser  als  Landwirthschafts-Reformator  so  viel  gerühmte  Mann  auf  einer  Seite 
unserem  Gewerbe  spendete,  hat  er  ihm  durch  den  Zehnten  doppelt  wieder  ge- 
nommen.   Die  Folgen  zeigten  sich  bald. 

III.  Die  Landwirthschaft  vom  8.  bis  zum  14.  Jahrhundert. 

Um  840  ereignet  sich  der  erste  Bauernkrieg  gegen  Fürsten  und  Adel,  an 
welchem  viele  elsäßische  und  schweizerische  Bauern  Antheil  nahmen.  Er  wurde 
von  Ludwig  dem  Deutschen  blutig  niedergeschlagen.  Das  Loos  der  kleinen  Freien 
wurde  von  dort  an  wiederum  ein  hartes.  Der  Hörigen  und  Leibeigenen  wurden 
es  von  Jahrhundert  zu  Jahrhundert  immer  mehr,  da  sich  Fürst  und  Adel  das 
Wort  gaben,  alle  unter  dem  Schutze  des  deutschen  Reiches  stehenden  freien 
Bauernstaaten  bei  günstiger  Gelegenheit  zu  vernichten.  Wie  sie  ihr  Wort  ein- 
lösten, namentlich  wenn  ein  schwacher  oder  willfahrender  Kaiser  am  Ruder  war, 
beweisen  ihre  von  vornehmen  Burgen  aus  unternommenen  Raubzüge  auf  Land 
und  Städte.  Wenn  auch  unter  Heinrich  I.  (dem  Finkler),  der  aus  vielen  Dörfern 
Städte  machte  und  sie  mit  Mauern  umgürtete,  eine  kurze  und  erfreulichere 
Zwischenpause  eintrat,  so  brachten  anderseits  die  beständigen  Kämpfe  zwischen 
dem   deutschen   Kaiser   und   Italien   den  Schweizer  Bauern    neuen  Schaden.     Sie 


Landwirthscbalt  —      235     —  Landwiilhscbaft 

lernten  „mitmachen'*  und  verwildern.  In  Chnrrhätien  wurde  die  romanische 
Bevölkerung  mehr  and  mehr  in  die  Hochberge  zurückgedrängt.  Ihr  Land  fiel 
deutschen  Vasallen  anheim. 

Eine  der  erhabensten  und  unsterblichäten  Erhebungen  der  Schweizer  Bauern, 
Bozosagen  der  erfolg-  und  glorreichste  Bauernkrieg,  den  die  Geschichte  kennt, 
fällt  in  das  Ende  des  13.  und  in  den  Anfang  des  14.  Jahrhunderts.  Er  endete 
bekanntlich  mit  dem  Sturze  des  übermüthigen,  raubslichtigen  Adels  und  mit  der 
Be*fründun(j  der  schweizerischen  Eepublik.  Die  glorreichen  Ereignisse  sind 
sattsam  bekannt;  auf  die  landwirthschattlichen  Zustände  werfen  sie  nur  wenig 
Licht,  immerhin  jedoch  so  viel,  daß  wir  einige  interessante  Thatsachen  daraas 
EU  schöpfen  im  Stande  sind,  nämlich: 

1)  Daß  es  allerdings  auch  in  der  Urschweiz  unfreie  und  hörige  Bauern 
gab,  welche  Herren  und  Klöstern  zu  eigen  waren,  aber  doch  das  Recht  des 
Waffentragens  und  Berathens  in  öffentlicher  Versammlung  besaßen. 

2)  Daß  die  vier  Waldstätte  nicht  nur  Alpwirthschaft  trieben  und  Wild- 
heuet,  sondern  auch  Ackerhau,  wie  ja  auch  zu  jener  Zeit  nöthig  und  in  den 
Hochgebirgen  von  GraubUnden  und  Wallis  heute  noch.  (Der  Pflug  im  Melchthal, 
Aufdndongen  von  Pflugscharen  aus  Eisen.) 

3)  Daß  aber  auch  ein  lebhafter  Produktenhandel  in  den  Städten  Bern,. 
Zürich,  Basel,  Luzem,  Zug  und  der  alten  Sust  (Markthauses)  am  Meggenhorn 
(See-Insel)  stattgefunden  hat.  So  hatte  Ende  des  13.  Jahrhunderts  die  Stadt 
Zürich  bereits  ihren  ^Weiberroarkt'*  und  erging  um  diese  Zeit  ein  Rathsbeschluß, 
«daß  man  Niemanden  auf  der  Brücke,  bei  einem  Schilling  Buße,  mit  Waaren 
stehen  lassen  solle,  als  die  „UßlütC,  welche  Hühner,  Eier  und  Milch  feil  haben", 
und  1331 :  »daß  die  Verkäufer  von  Kräutern  und  Rüben  (Gemüse)  unter  den 
„Tillenen'*  sein  und  jechlicher  dieser  „Kruter*"  (Gemüsehändler,  Grempler)  nicht 
mehr  als  drei  Zeinen  (Körbe)  vor  sich  haben  solle''. 

Daß  sich  nach  dem  Befreiungskampfe  die  Alpwirthschaft  wie  der  Landbau 
nur  um  so  kräftiger  gehoben  haben  werden,  steht  wohl  außer  Zweifel. 

Einen  mächtigen  Einfluß  übten  schon  frühe  in  dieser  Periode  die  Klöster, 
Stifte  und  Bischöfe  aus,  welche  sich  eine  Unzahl  von  Leibeigenen  unterjochten. 
Hieher  gehören  Romainmotier  (Waadt),  St.  Moritz  im  Wallis,  Dissentis,  Pföffers, 
St.  Gallen,  Stift  Schännis,  Murbach,  Säckingen  (Herrin  von  Glarus),  Einsiedeln, 
Engelberg,  Frauenmünst«r  Zürich,  Muri,  Wettingen,  die  Bischöfe  von  Chur, 
Basel  etc.  Kulturhistorisch  sehr  interessant  ist  die  etwa  in  die  zweite  Hälfte  des 
13.  Jahrhunderte  fallende,  erste  große  Bachkorrektionsuntemehmung  und  Kana- 
liiirung:  die  Ableitung  der  Lüischine  nach  dem  Brienzer  See,  unternommen 
vom  Kloster  Interlaken. 

In  diese  Periode  fällt  auch  der  Beginn  der  Kreugzilf/e,  welche  trotz  ihrer 
Nachtheile  dem  gedrückten  Bauer  beträchtliche  Hülfe  brachten,  z.  B. :  1)  Viel 
Verkehr,  Verdienst  (Durchzüge).  2)  Befreiunf/  der  Leibeigenen  und  Hörigen. 
Jeder  Kreuzträger  ward  einem  Ritter  gleich.  3)  Hab'  und  Grat  des  Bauers  stand 
unter  dem  Schatz  der  Kirche.  4)  Der  Kreuzträger  war  zinsenfrei.  5)  Derselbe 
durfte  Alles  verkaufen,  ohne  Einsprache.  6)  Die  Ritter-  und  Landfehden  mußten 
eingestellt  werden.  7)  Die  Großgrundbesitzer  und  Klöster  waren  genöthigt,  in 
allen  Dingen  sehr  nachgiebig  zu  sein,  um  Arbeiter  zu  behalten.  8)  Das  bauern- 
frenndliohe  Element  bekam  die  Oberhand.  Städte  und  Klöster  erwarben  eine 
ünmaflse  Bauerngüter.  9)  Viel  Raubgesindel  zo^  mit  fort,  weil  mehr  Beute 
winkte.  10)  Viele  zurückkehrende  Kreuzträger  brachten  nützliche  Kenntnisse 
nach  Hause.     11)  Das  Feudalsystem  erlitt  den  ersten  and  mächtigsten  Stoß. 


Landwirthschafl  —     236     —  Landwirthschaft 

Freilich  trat  auch  der  große  Nachtbeil  ein,  daß  sich  während  der  Kreus- 
Züge  das  eigentliche  handwerksmäßige  Ritterwesen  heraosbildete ;  es  war  der 
Militarismus  jener  Zeit,  der  alle  Arbeit,  Handel  und  Gewerbe  verachtete,  stete 
nur  auf  Krieg  bedacht  war  und  die  ihm  gefährlichen  Städte  su  vernichten  drohte, 
was  sich  weit  in  die  nächste  Periode  hinein  geltend  machte.  So  dauerte  denn, 
trotz  den  einzelnen  Sonnenstrahlen,  welche  hie  und  da  durch  das  Gewölke  der 
Bauern- Unterdrückung  und  -Verdummung  hereinbrachen,  der  flotte  Handel  und 
die  mit  allen  Mitteln  der  List  und  Gewalt  herbeigeführte  « Machung  **  mit  und 
von  Leibeigenen  fort.  Fürsten,  Herren  und  Kirche  theilten  sich  brüderlich  darein, 
noch  lange  und  in  allen  Theilen  der  jetzigen  Schweiz. 

Daß  zu  jener  Zeit  oft  in  ganzen  Dörfern  nur  noch  Ein,  manchmal  gar 
kein  Freier  sich  mehr  vorfand,  möge  hier  ein  interessantes  Beispiel  beweisen. 
„Im  13.  Jahrhundert *"  —  so  erzählt  Meier  von  Knonau  in  der  Beschreibung 
des  Kantons  Zürich  —  „ritt  ein  österreichischer  Herzog  von  Rapperswü  gen 
Winterthur.  In  Hegnau  sah  er  einen  stattlichen  Mann  den  Pflug  führen,  ein 
anmuthiger  Jüngling  leitete  das  schmucke  Gespann.  Erstaunt  sagte  der  Herzog 
zu  seinem  Hofmeister:  „Noch  nie  sah  ich  auf  solche  Weise  das  Feld  bestellen!*', 
worauf  ihm  dieser  erwiederte:  „Herr,  es  ist  der  Freie  von  Hegnau,  der  Junge 
sein  Sohn,  die  Ihr  beide  morgen  in  Winterthur  Euch  werdet  aufwarten  sehen*. 
Wirklich  kamen  die  Pflüger  am  folgenden  Morgen  mit  noch  mehreren  Edlen  auf 
ritterlich  ausgerüsteten  Pferden  an  das  Hof  Inger  des  Herzogs,  um  ihm  ihre  Ehr- 
furcht zu  bezeugen.** 

Nur  in  den  Städten  gab  es  am  Schlüsse  des  13.  Jahrhunderts  keine  leib- 
eigenen oder  hörigen  Handwerker  mehr. 

Beim  Ackerbau  herrschte  nun  vollkommen  das  Dreifeldersystem  (ausgenommen 
im  südlichen  Alpgebietej,  d.  h.  Winterzeige  mit  Düngung,  Sommerzeige  und  reine 
Brache,  wie  sie  sich  bis  in  unsere  Zeit  in  einigen  Bezirken  der  Nordschweiz 
erhalten  hat.  Es  wurde  nun  schon  regelmäßig  gedüngt  und  von  den  Klöstern 
wurden  Vorschriften  ertheilt,  wie  gedüngt  werden  solle.  Auch  wurde  der  Dünger 
gelagert  (man  ließ  ihn  wie  heute  noch  auf  der  Düngstätte  zum  großen  Theil 
„verfaulen").    Sehr  sorgfältig  war  man  im  Unterbringen. 

Als  eine  bisher  nicht  erwähnte  Neuerung  linden  wir  das  Verfertigen  von 
Strohbändern  (im  Winter,  neben  dem  Holzen  und  Dreschen).  Der  Bogrfenbau 
hatte  sich  ausgebreitet. 

Die  Grundstücke  wurden  bereits  sorgfältig  „vermarchet**  und  gar  mit  March- 
zeichen  versehen;  neben  diesen  erscheint  auch  die  Haagmutter  (Hauptwurzelstöcke 
der  lebenden  Grenzhäge).    Strenge  Gesetze  ahndeten  die  Verletzung  der  Märchen. 

Die  Wälder  wurden  im  12.  und  13.  Jahrhundert  stark  gerodet,  um  land- 
und  alpwirthschat'tliches  Nutzland  zu  gewinnen.  Von  da  stammen  die  vielen  Rüti 
und  Rütinen  und  die  Namen  Rüter,  Rüti,  Rudi,  Rü  und  Rodiger,  Roder,  Roderer, 
Röder  etc.  Die  Waldprodukte  stiegen  stark  im  Preise.  Man  verkaufte  Bau-  und 
Klafterholz,  Pfähle,  Stangen,  Schindeln,  Brennspähne,  Harz,  Kien  etc.  Der  Holz- 
frevel wird  durch  körperliche  Züchtigung  (Peitsche,  Staupe)  geahndet. 

Setzen  wir  zum  Wald  gleich  die  Jagd,  Sie  war  ein  ausschließliches  Vor- 
recht der  Fürsten,  Herren,  Klöster  und  Städte,  und  weil  sie  mit  unmäßiger 
Leidenschaft  getrieben  wurde  (bis  in  unser  Jahrhundert  hinein),  schädigte  sie  die 
Bauern,  denen  jede  Selbsthüife  bei  schweren  Strafen  untersagt  war,  namenlos. 
Die  Jagdberechtigten  ließen  das  Gewild  massenhaft  aufkommen.  Nur  die  Bären-, 
Wolfs-   und  Schweinejagd  war  frei.  Hirsche,  Rehe  und  Reiher  bildeten  die  „hohe 


) 


LandwirthscbaA  —      237     —  Landwirtbscbaft 

Jagd".  Sie  wurde  mittels  Hnndebatz,  Falkenbeiz,  Armbrust  und  Speer  betriebeu. 
Die  Steinbock-  und  Gemsjagdzeit  war  sebr  kurz.  Zur  ^niedern  Jagd**,  welobe 
gegen  Hasen,  Fücbse,  Biber,  Fischottern,  WildgedUgel  etc.  gerichtet  war,  durften 
nur  Game,  Netze,  Schlingen  und  Fallen  verwendet  werden.  Der  Jagdfrevel 
wurde  mit  G^ld  bestraft  (60  Schillinge). 

Der  Wiesenbau  blieb  beim  Alten.  Im  Wallis  werden,  geschichtlich  nach- 
weisbar, neue  Wasserfuhren  (Kanäle)  errichtet,  um  die  trockenen  Ländereien 
mehr  und  mehr  fruchtbar  zu  machen  (1292,  Clavoz), 

Die  Alpwirthschaft  wird  hier  und  da  bereits  mit  Verständniß  hervorgehoben. 
Man  bereitete  schon  große  Fettkäse  für  den  Handel,  femer,  besonders  auf 
Klosteralpen,  Butter,  Zieger  und  Magerkäse.  Die  Alpen  wurden  herrschaftlich 
nnd  genossenschaftlich  betrieben,  aber  auch  schon  einem  Senn  vermiethet,  der 
für  die  Kuh  oder  Milchmaaß  einen  Zins  bezahlte,  der  durch  mehrmaliges  Milch- 
messen  bestimmt  wurde,  wie  ja  heutzutage  noch  auf  Gemeinde-  oder  Genossen- 
schaftsalpen der  „Nutzen''.  Bezahlt  wurde  der  Zins  durch  Käse,  also  in  Natura. 
Der  Schluß  der  Alpzeit  hieß   „ Kuhscheide **. 

Sehr  kostbare  Geschirre  jener  Zeit  waren  die  kupfernen  KäsekesseL  Viele 
vermochten  solche  nicht,  dagegen  konnte  man  sie  leihweise  haben,  namentlich  in 
Klöstern.  Das  Kloster  Muri  bezog  für  einen  solchen  Kessel  im  Sommer  acht 
Käse.    Wie  schwer  diese  Käse  waren,  ist  nicht  gesagt. 

Ob  bereits  Privatalpen  vorkamen,  vernimmt  man  nicht,  wohl  aber,  daß 
noch  an  vielen  Orten  die  Alpen  einem  ganzen  großen  Bezirk  gehörten  und  wer 
sie  nutzen  wollte,  sich  droben  Haus  und  Stall  bauen  mußte,  um  im  Sommer 
dahin  überzusiedeln,  wie  es  noch  heute  im  Kanton  Uri  der  Fall  ist,  während  es 
in  den  Kantonen  Graubünden  und  Wallis  ganze  Alpdörfer  gab  und  gibt,  die 
im  Herbst  wieder  verlassen  oder  im  Sommer  öfter  be-  und  entsiedelt  wurden 
und  werden. 

Der  Viehzucht  wurde  fortdauernd  große,  einzelnen  Zweigen  derselben  sogar 
eine  größere  Aufmerksamkeit  geschenkt  als  früher.  Große  Sorgfalt  wendete  man 
der  Pferdezucht  zu;  man  sorgte  für  gute  Weiden  und  gute  Ställe.  Ein  Bauern- 
pferd  war  8 — 12  Schilling  geschätzt,  ein  Ritterpferd  zu  20 — 30  Schilling.  Alle 
Pferde  wurden  auf  die  Weide  getrieben ;  besonders  interessant  ist,  daß  die  Klöster 
für  ihre  Pferde  bereits  einen  wohlgeordneten  Weidewechsel  nach  Tagen  und 
Wochen  eingeführt  hatten.     12  Stuten  bildeten  ein  Koppel. 

Wie  in  älterer  Zeit  die  Schweinezucht,  so  nahm  nun  die  Rindviekaucht 
den  zweiten  Kang  ein.  Veranlassung  dazu  gaben  die  sich  mehr  und  mehr  ver- 
größernden Städte,  die  besonders  die  Produkte  der  Rindviehzucht  verlangten, 
namentlich  Milch,  Käse  (Handel),  Fleisch  und  Leder.  Die  Preise  der  Kühe  waren 
am  500 — 600  ^o  höher  als  fünf  Jahrhunderte  zuvor.  Ein  Zugochse  galt  10  Silber- 
schilling. (Der  Silberschilling  war  12  Denaren  k  1,53  Gramm  Silber,  der  Silber- 
werth  des  Schillings  Fr.  4.  12.  Dagegen  hat  sich  seit  jener  Zeit  der  Geldwerth 
etwa  um  das  Achtfache  vermindert.) 

Zur  Winterung  einer  Kuh  rechnete  man  damals  ein  starkes  Fuder  Heu. 
Das  gab  schmale  Kost  und  kleines  Vieh,  auch  wenn  man  nur  20  Pfund  per 
Tag  und  Kuh  annimmt  und  das  Fuder  zu  20  Zentner.  In  den  Alpthälern 
rechnete  man,  wie  vielenorts  heute  noch,  nach  „Burdenen''  oder  „ Traglasten** 
(Martini  bis  Ostern),  wie  man  ja  in  den  Bergen  meist  auch  den  Ertrag  der 
Wiesen  nach  Burdenen  oder  Heutüchern  ä  50 — 60  kg  berechnet. 

Trotz  der  Fortschritte  in  der  Rindviehzucht  ging  die  Schweinezucht  nicht 
Borfick.     Sie   kam,    wie  jene,    in  ein  bestimmtes  Verhältniß  zur  Alpwirthschaft^ 


Landwirthschatl  —      23^      —  Landwirthschaft 

indem  man  auf  den  Alpen  die  Thiere  mit  Molken  und  Alpenkräutem  mästete; 
in  Thal  und  Berg  fanden  sie  übrigens  die  vollkommenste  Nahrang  in  den  Buchen - 
und  Eichenwäldern,  welch'  letztere  dazumal  noch  nicht  nach  Holzertrag  geschätzt 
wurden,  sondern  nach  „Sauweid*".  Ein  jähriges  Zuchtschwein  kostete  3 — 4 
Schillinge,  ein  trächtiges  5,  ein  Eber  dito.  Mastschweine  schätzte  man.  Zur 
Winterhaltung  mußte  man  im  Herbste  Eicheln  sammeln.  In  guten  Eicheljahren 
hatte  der  Bauer  seinen  ^Herrschaften**  „Eichelmast*"  zu  liefern  oder  eifrigst  für 
seinen  eigenen  Bedarf  einzuheimsen. 

Das  Schaf  lieferte  Sommerfleisch  und  Wolle,  Bereits  hielt  man  schon  viel 
auf  gute  Schafwollwäscherei  und  Schafschur.  Ein  fetter  verschnittener  Schafbock 
galt  8 — 12  Pfennige.  Auch  die  Bauern  hielten  schon  gemeinsam  Hirten.  Als 
die  Holzpreise  zu  steigen  begannen,  verbot  man  bereits  hie  und  da  Schaf-  und 
Ziegen  weide  im  Walde. 

Die  Ziegenheerden  traten  nun  vielfach  getrennt  von  den  Schafen  auf  und 
erhielten,  ja  hatten  bereits  hinsichtlich  der  Weide  ziemliche  Vorrechte  als  Milch- 
thiere  der  Kleinbegüterten  und  Tauner.  Die  Ziegenbesitzer  mußten  jedoch  eigene 
Hirten  (Creiser)  halten.  Nur  wo  ungeordneter,  allgemeiner  Weidgang  war,  liefen 
die  Ziegen  frei  wie  das  übrige  Vieh,  was  sich  in  einzelnen  Alpen thä lern  bis  in 
unsere  Tage  erhalten  hat.  Die  Felle  und  Häute  der  Ziegen,  Gitzi  und  BScke 
wurden  mehr  und  mehr  gesucht  und  zu  Kleidungsstücken  verwendet,  so  gut  wie 
das  Schaffell. 

Die  Geflügelzucht  war  beim  Alten  geblieben.  Ein  erschlagenes  Huhn  mußte 
mit  1  Pfennig  bezahlt  werden,  eine  Gans  mit  2 — 3  Pfennigen.  Ein  Mandel 
Eier  (15  Stück)  kostete  1  Pfennig. 

Die  Bienenzucht  blieb  stabil.  „Zeidel weiden"  für  Wildhoniggewinnung  in 
den  Wäldern  gab  es  noch  lange.  Ein  Pfund  Wachs,  das  hauptsächlich  zu  Kirchen- 
kerzen verwendet  wurde,  kostete  1  Schilling.  Eben  so  viel  galt  eine  Emine 
(Emine  =  Immi,  altes  Fruchtmaß  in  der  Schweiz,  namentlich  Waadt  und  Neuen- 
burg, Bern,  Solothurn  etc.)  Honig.  Man  bereitete  viel  Meth  und  Klaret  daraus. 
Letzteres  war  ein  beliebtes  Feiertagsgetränk  in  Klöstern  und  ein  Heiltrank  für 
Kranke.    Auch  Brombeeren  verwendete  man  dazu. 

Betreffend  Fischzucht  ist  zu  erwähnen,  daß  sich  namentlich  die  Teich- 
fischerei mehr  und  mehr  ausdehnte.  Schädigung  derselben  wurde  sehr  hart  bestraft. 
Angelfischerei  blieb  frei  für  Jedermann. 

Einen  wesentlichen  Aufschwung  nahmen  femer:  1)  Der  Gartenbau^  2)  der 
ObstbaUy  3)  der  Weinbau, 

Der  Garten-  und  der  Gtirtenobstbau,  inkl.  der  „Bünden"  („Gärten"),  auf 
denen  Feldgemüse,  Hanf,  Flachs  etc.  produzirt  wurde,  war  namentlich  in  den 
Klöstern  mächtig  gefördert  worden.  Als  Gemüse  wachsen  in  Hülle  und  Fülle 
die  Krautarten  (Kabbis  oder  Käppis)  in  besonderen  „Kraut^rten",  und  schon 
finden  wir  den  veredelten  Spargel.  Als  Gtirtenhandelspflanzen  finden  sich  Hanf 
und  Hopfen.  Der  Blumengarten  prangt  in  lieblichem  Schmuck;  außer  den  Kosen 
und  Lilien  zieren  ihn  bereits  „Tausendschönchen"  (Bellis),  „Stiefmütterchen*, 
„Hyazinthen",  „Crokus",  „Schneeglöckchen",  „Primeln",  „Aurikeln**,  „Nelken"; 
prächtige  Kinder  des  Frühlings,  welche  uns  seitdem  herzig  treu  geblieben  sind, 
trotz  allem  Wechsel  der  Zeiten.  Gegen  Garten-  und  Obstfrevel  bestanden  sehr 
harte  Strafen :  Schandpfahl,  Handabhacken,  Landesverweisung,  ja  sogar  Todes- 
strafe und  erlaubte  Lynchjustiz. 

Der  Weinbau  hat  noch  mehr  Ausdehnung  erhalten,  und  zwar  nach  Gegenden, 
die    man    jetzt    längst   nicht    mehr  für  tauglich  hält.    Als  neu  und  mit   „großer 


Landwirthschaft  —     239     —  Landwirthschaft 

Zukunft**    und    ^  ausgedehnter  Wirksamkeit  *"    an    der  Wiege  tritt  die  Pinte  in's 
Dasein  (der  Weinschaiik). 

Seit  Karls  des  Großen  Zeit  belegte  man  die  Bauern  immer  mehr  mit 
Zehnten  aller  Art,  die  sich  hielten  bis  in's  19.  Jahrhundert  herein,  —  darunter 
sehr  merkwürdige  und  harte.  Getreide-,  Obst-,  Heu-,  Rüben-,  Werk-,  Jungi-, 
Leyenzehnten  etc. 

■ 

lY.  Die  Landwirthschaft  vom  14.  bis  zum   19.  Jahrhundert. 

Der  Äckerbau  blieb  sich  noch  lange  gleich;  immerhin  verbesserte  sich  der 
Pflug,  der  sich  erst  um  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  zu  einem  Kehr-  oder  Wende- 
pflug, dem  nftlten  Aargauer**,  umgestaltete,  damals  ein  wesentlicher  Fortschritt 
Im  Norden  finden  wir  den  einseitigen,  sehr  guten  Elsäßerpflug,  im  Süden  (Wallis, 
Graubünden)  den  alt-rhätischen  Pflug,  auch  einen  primitiven  Bäderpflug  und  statt 
der  Egge  den  Saatpflug,  an  dessen  lange  Deichsel  die  Thiere  durch  Joch  oder 
auch  mittelst  Tragsattel  (Bast)  gespannt  wurden,  im  Norden  die  dreieckige  hölzerne 
Egge,  in  der  übrigen  Schweiz  eine  hölzerne  Trapezegge,  im  Engadin  dito  mit 
beweglichen  hölzernen  Zinken.  Bis  zum  Ende  des  18.  Jahrhunderts  hielt  das 
Dreizeigsystem  strenge  Ordnung  und  die  Allgemeinweid  (AUmeind,  Allmend)  war 
Greeetz. 

Hier  ließe  sich  nun  viel  sagen  über  mancherlei  neue  Kulturpflanzen,  welche 
im  Laufe  dieser  langen  Zeit  auf-  und  abtraten,  besonders  seit  den  EreuzzUgen 
und  der  Entdeckung  Amerikas;  allein  an  uns  kann  es  nur  sein,  eine  kurze 
üebersicht  über  das  sich  Bewährende  zu  geben.  Zu  den  Getreidearten  kam 
Winter-  und  Sommergerste,  Haber,  Emmer  oder  Einkorn,  die  Wicke,  Erbse, 
Bohne  (Garten-  und  Feldbohne),  Linse,  Buchweizen,  Hirse,  als  neue  Handeb- 
pflanze  der  Tabak,  als  Knollen-  und  Wurzelgewächse  verschiedene  Rübenarten, 
die  Kartoffel,  Tompinambur  (Erdbime),  als  Futterpflanzen  neue  Gräser,  Kleearten, 
Luzerne,  Esparsette,  Spargel,  hie  und  da  auch  Lupine. 

Wir  können  nicht  umhin,  über  einige  für  uns  hochwichtig  gewordene  Er- 
zeugnisse folgende  interessante  Notizen  beizufügen : 

Der  Tabak  kam  um  1560  ab  Gartenpflanze  in  die  Schweiz.  Als  Handels- 
pflanze  faßte   er   erst  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  Boden  im  Kanton  Tessin. 

Auch  die  Tompinambur  mag  um  jene  Zeit  in  den  Gärten  erschienen  sein. 
Sie  hsid  wenig  Verbreitung. 

Die  Kartoffel,  welche  eine  förmliche  Umwälzung  unseres  Feldbaues  und  in 
der  Yolksemährung  hervorbrachte,  tritt  ebenfalls  zuerst  nur  als  Gtirtenzierpflanze 
auf  und  wird  das  erste  Mal  erwähnt  von  Kaspar  Bauhin,  Botaniker  in  Basel 
(1590). 

Hinsichtlich  des  Feldfutterbaues  meinen  die  Meisten,  „das  sei  etwas  ganz 
Neues*,  weil  sie  früher  nichts  davon  gewußt;  allein  bereits  durch  die  Kreuzzüge 
kamen  italienische  Gräser  in's  Land  und  der  Kleebau  nach  einheimischen  Klee- 
artensamen wurde  wohl,  wenn  auch  nur  in  engeren  Kreisen,  lange  vor  Schubert 
von  Kleefeld  geübt;  so  war  besonders  die  Esparsette  schon  zu  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts bei  uns.  Bereits  1718  schreibt  der  „Oesterreichische  Haushalter"  darüber: 
^.  . . .  und  wird  die  Vortrefflichkeit  dieser  Pflanze  die  ganze  Schweiz,  besonders 
die  Stadt  Bern,  attestiren,  wo  dieser  Saame  am  besten  zu  bekommen." 

Die  erste  Hagelversfcheru?H/Sf/esellschafi  in  der  Schweiz,  vielleicht  in  der 
ganzen  Welt,  taucht  1484  auf.  Die  Ertinderin  ist  die  Gemeinde  Affoltem  im 
Emmenthal  (der  Name  deutet  gleichzeitig  auf  sehr  alten  Obstbau  [Apfelbaum]). 
Diese  Gemeinde  verpflichtete  sich  und  setzte  es  bis  1784  durch,  ihrem  jeweiligen. 


Landwirthscbaft  —     240     —  Landwirthschatt 

Pfarrer  mit  Familie  and  Hausgesinde  „so  viel  Frucht,  Pflanzgewächs  und  Zubehör 
zu  liefern,  als  er  bedarf,  wenn  er  verhagelt  werden  sollte''.  (Damals  hatten  die 
Greistlichen  bekanntlich  Pfrundgüter.)  Im  letzten  Jahrhundert  mußte  er  denn 
auch  10  Thaler  „Hauszins**  zahlen.  Der  Pfarrer  von  Affoltem  i.  E.  war  also 
der  erste  gegen  Hagelschlag  Versicherte  und  die  Gemeinde  die  erste  inländische 
y  ersicheru  ngsgesellschaft . 

Nachdem  man  Gerste  und  Hopfen  zu  würdigen  gelernt  hatte,  erschien  in 
ihrem  Gefolge,  zuerst  als  technisch-landwirthschaftliches  Gewerbe,  die  Bierbrauerei. 
Wo  sie  zuerst  aufkam  in  der  Schweiz,  weiß  man  nicht.  Um  1650  dagegen  zitirte 
man  das  „1^6^**  bereits  in  den  Alpenkantonen  (Obwalden)  in  den  Staatsprotokollen. 
1629  lernte  ein  Nidwaldner  schon  „ßier  sieden**  und  versenden.  1681  tranken 
es  bereits  die  „gnädigen  Herren  und  Oberen *"  so  gerne,  daß  man  es  nicht  mehr 
einschätzen  und  verohmgelden  durfte. 

Hier  dürfte  es  wohl  auch  am  Platze  sein,  das  Auge  auf  ein  anderes  für 
den  landwirthschaftlichen  Betrieb  sehr  wichtiges  technbches  Gewerbe  zu  richten : 
auf  die  so  viel  umstrittene  Branntweinbrennerei,  Der  Branntwein  ist  eine  Er- 
findung der  Indier,  Chinesen  und  Araber  aus  dem  9.  Jahrhundert.  Nach  der 
Schweiz  kam  er  erst  Ende  des  14.  Jahrhunderts  aus  Italien  als  Kosmaringeist, 
und  zwar  in  erster  Linie  als  Arznei-  und  Lebensverlängerungsmittel,  bereitet  aus 
Wein  und  Weinhefe.  Anfangs  des  15.  Jahrhunderts  machte  man  jedoch  schon 
„gebrannten  Wein**  aus  mehligen  Stoffen  und  Bierhefe.  G^r  bald  wurden  seine 
Nachtheile  in  Folge  unmäßigen  Gebrauches  bekannt  und  von  diesem  Jahrhundert 
an  bis  in  unsere  Zeit  erschienen  „Pranntwein-Ordnungen*'  wie  Sand  am  Meer. 
Erst  im  19.  Jahrhundert  machte  man,  gewerblich,  Schnaps  aus  Kartoffeln.  (Der 
Eartoffelschnaps  soll  um  1760  erfunden  worden  sein.)  Als  Genußmittel  ver- 
wendeten den  Branntwein  im  Mittelalter  zuerst  die  Bergbauarbeiter.  Das  Kriesi- 
Wasser  tauchte  um  1600  auf  und  wurde  ebenfalls  und  oft  vergeblich  verboten. 
Um  1550  hatte  sich  der  Most  in  den  inneren  Kantonen  bereits  sehr  verbreitet. 
Um  1590  wird  er  z.  B.  in  Obwalden  schon  amtlich  erwähnt  und  dessen  Aus- 
schank geordnet.    Hieß  damals  auch   „Butzsch''. 

Landvermessuwfen  und  Kataster  blieben  die  ganze  Periode  hindurch  zurück. 
Wohl  sieht  man  hie  und  da  Gemeinde-  oder  ELlosterpläne  im  17.  und  18.  Jahr- 
hundert; allein  sie  sind  ungenau,  oft  nach  Schritten,  So  sahen  wir  z.  B.  einen 
recht  schönen  Plan  der  „Stadt  Erlach **  aus  dem  Jahre  1718  (ausgeführt  von 
einem  Ingenieur  Rüdiger)  und  andere. 

Auch  die  Alpwirthschafl  beginnt  in  den  Vordergrund  zu  treten.  Das  erste 
bezügliche  Dokument  darüber  war  der  Alpbrief  der  „Krauchthaler**  im  Kanton 
Glarns  (1458).  Von  dort  an  erschienen  1530  bis  1800  verschiedene  treffliche 
Erlasse,  wie  hier,  so  in  den  Kantonen  Appenzell,  Bern,  Freiburg,  Graubünden, 
Obwalden,  Nidwaiden,  Schwyz,  Uri,  Waadt  und  Wallis.  Im  15.  Jahrhundert 
und  später  erschienen  auch  schon  ^  Waldschutzmandate  *"  aller  Art.  Mitte  des 
15.  Jahrhunderts  macht  sich  der  pEmmenthalerkäse*"   bemerkbar. 

Dem  Natur  futterbau  auf  Trocken-  und  Bewässerungswiesen  wurde  eine 
erfreuliche  Aufmerksamkeit  geschenkt  von  Seiten  der  Regierungen,  welche  damals 
einen  sehr  richtigen  Begriff  hatten  vom  Fundamente  des  Landbaues,  nämlich  von 
größter  und  aasgedehntester  Futtererzeugung  mit  wohlfeilster  und  einfachster 
Düngerbeschaffung,  dem  Wasser,  Sie  erachteten  aber  dazu  nicht,  wie  unsere 
Zeit,  das  Abwarten  des  Gencheidtwerdens  der  bäuerlichen  Interessenten  füi'  ge- 
nügend, sondern  sie  regten  selbst  kräftig  an  und  scheuten  sogar  den  Zwang  nicht, 
um  große  volkswirthschaftliche  Ziele  zu  erreichen.    So  entstanden  im  15.  bis  in's 


Landwirthschaft  —      241      —  Landwirthschaft 

18.  Jahrhandert  in  allen  wasserreichen  Thälem  der  Schweiz  weitaasgedehnte 
Bewässerungskanäle  mit  wohlgeordnetem  Genossenschaftsbetrieb,  der  von  ohen 
vorgeschriehen  und  gesetzlich  festgestellt  wurde.  Auch  Wallis  legte  viele  neue 
Wasserfahren  (Snonen)  während  dieser  Periode  an,  trotz  der  dortigen  steten 
Bttrgerkämpfe. 

1703  die  damals  ganz  hedeutende  Elanderkorrektiou  nach  dem  Thuner  See. 
1796  beginnt  Escher  von  der  Linth  die  Yorarheiten  zur  Linthkorrektion. 

Dies  waren  fiir  die  Schweiz  Zeiten  großer  wirthschaftlicher  Errungenschaften. 
Leider  wurden  sie  im  19.  Jahrhundert  vielfach  wieder  aufgegeben  in  Folge 
irriger  und  vergessener  Begrifie  vom  Nutzen  des  Wassers.  Radrechte  und 
Industrie  leiteten  solches  sodann  auf  „ihre  MUhlen*",  zu  Ungunsten  der  Land- 
wirthschaft. 

Beihen  wir  an  dies  noch  nachträglich  die  Viehsucht  an,  so  hemerken  wir, 
daß  noch  lange  die  Pferdezucht  ohenan  stand,  wohl  bis  fast  in  die  Mitte  des 
18.  Jahrhunderts.  Der  Pferdezucht  half,  wie  wir  bereits  oben  angedeutet  haben, 
schon  die  aufdämmernde  Wissenschaft,  namentlich  in  den  Klütern,  wesentlich 
nach.  Es  hatten  sich  fünf  Hauptschlätje  oder  Rassen  herausgebildet,  die  in  und 
außer  Landes  sehr  gesucht  waren  und  erst  im  19.  Jahrhundert  den  auswärtigen 
Züchtungsfortschritten,  mehr  noch  aber  dem  Einflüsse  der  steigenden  Molkerei- 
Produktion  im  Inlande,  wichen.  Sehr  gerilhmt  wurde  1)  das  kleine,  aber  äußerst 
dauerhafte  Bündner  Pferd,  dessen  Reste  man  noch  in  Lugnetz  findet;  2)  der 
schlanke  und  helle  Einsiedler ;  3)  diesem  ebenbürtig  die  Erlenbacher  Rappen ; 
4)  das  etwas  schwere  Bauernpferd  Freiburr/s  und  des  Westens;  5)  das  seiner 
2ieit  berühmte  Jurapferd  der  Freiberge,  breit,  gedrungen,  derbknochig. 

Wallis  und  ein  kleiner  Theil  BUndens  bedienten  sich,  ihrer  Lage  angemessen, 
des  Maalthiers,  größtentheils  aus  Savoyen  eingeführt. 

Große  Fortschritte  machte  die  Rindoiehzucht.  Wenn  wir  deren  Geschichte 
flberblickeu,  die  eine  gediegene  Separatbearbeitnug  verdiente,  so  können  wir  nichts 
anderes  sagen,  als  daß  die  Bevölkerung  mit  derselben  gleichsam  zusammenwuchs 
und  die  verschiedensten  Gegenden  mit  einer  bewunderungswürdigen  Sorgfalt  und 
Anhänglichkeit  ihre  Rassen  und  Schläge  heranbildeten.  Welche  Umwandlung  seit 
den  ersten  beiden  Spuren  von  Rindvieh  zur  Pfahlbautenzeit ! 

Mitte  bis  Ende  des  18.  Jahrhunderts  begann  mit  dem  steigenden  Bedürfniß 
iler  umliegenden  Länder  nach  besserem  Milchvieh  die  Ausfuhr,  nach  Norden  und 
Westen. 

Um  den  Gotthardstock  herum  gediehen  namentlich  die  kleinen  Schläge  (I)  von 
Tessin,  Uri,  Graubünden,  Hasle,  Wallis,  mit  ihren  Unterabtheilungen  und  dem 
dortigen,  eigengearteten  Ehringerstamm.  An  diese  schlössen  sich  die  Mittelrassen 
(II)  von  Schwyz,  Glarus,  Toggenburg  (St.  Gallen),  Uuterwalden,  Zug  und  Luzern, 
von  denen  sich  später  wegen  ihrer  Rassenmerkmale  besonders  die  Schwyzer 
sonderten  und  die  Thalthiere  Luzems  und  Zugs  wegen  ihrer  Größe.  1  und  II 
repräsentirten  die  braunen  und  <franen  Schlätje  oder  Rassen,  Im  Engadin  wohl 
auch  weiß  und  gelblich  gefärbt  (III).  Land-  und  Mischvieh  pruduzirten  die 
äußeren  Kantone  Zürich,  Schatfhausen,  Thurgau,  Aargau,  Baselland  und  ein  Theil 
von  Solothnrn  (IV).  Der  Jura  bot  ein  ähnliches  Bild ;  allein  sein  eigentlicher 
Stamm  blieb  konstant  weiß  und  roth  f/eflerkt  (V),  mittelstark  (Freiberger).  An 
die  Gotthard-,  Hasle-  und  Wallis-Braunen  schlössen  sich  an,  vermittelt  (VI)  durch 
das  kleine  Brienzer  Vieh,  der  größere  Schlag  (VII)  der  Frutifier  und  (VIII)  die 
noch  weit  mehr  entwickelte  Rasse  des  Simmenthaies,  beide  bis  Anfangs  dieses 
Jahrhnnderta  roth  und  weiß  gefleckt  und  stattlich  gebaut.    Die  riesigen  S<!^voaY£- 

Famtr,  VolkawirthsohftftS'Lexikdn  d«>r  Schweiz.  \1^ 


Landwirthschaft  —     242     —  Landwirthschaft 

Schecken  (IX)  des  Greyerz-  oder  Molesongebietes  (Freiburger  und  Waadtländer 
Alpeu)  ächlossen  den  so  eigengearteten  Ring  unseres  unbestritten  prachtvollen 
und  äußerst  müchreiclien  Rindviehstandes. 

An  die  Rindviehzucht  schloß  sich  hinsichtlich  der  Entwicklung  die  Schweine- 
zucht an.  Sie  erhielt  sich  bis  herein  in  das  19.  Jahrhundert,  in  welchem  durch 
vielfach  irrig  geleitete  Kreuzungen  mit  ausländischen  Rassen  Manches  verdorben 
wurde,  vor  Allem  der  ehedem  so  gute  Ruf  unserer  einheimischen  Rassen. 

Für  unsem  Bedarf  sowohl  wie  für  die  Ausfuhr  haben  unsere  einheimischen 
Rassen  bis  zum  Schlüsse  des  18.  Jahrhunderts  Rühmliches  geleistet.  Ihr  Fleisch 
war  sehr  gesucht. 

Fangen  wir  wieder  beim  Gotthardstock  an,  so  bot  und  bietet  Graubünden, 
neben  1)  seinem  schwareeiiy  sehr  genügsamen,  im  Winter  sogar  mit  Heu  fürlieb 
nehmenden  Alpenschwein  sowohl,  wie  2)  mit  dem  rothen  (das  mit  kleiner  Ver- 
änderung auch  im  Urner  Land  gefunden  wird)  kein  schönes,  aber  ein  für  die 
rauhsten  Hochalpen  und  die  strenge  Winterszeit  geschaffenes  Schwein,  das  sozu- 
sagen an  die  Pfahlbauten  erinnert,  aber  nichts  desto  weniger  bei  Molken,  Alpeu- 
sauerampfer  (rumex  alpina)  und  sehr  karger  Kost  ein  ganz  ausgezeichnet  feines 
Fleisch  liefert.  (Der  Bünder  Alpenschinken  ist  heute  noch  entschieden  feiner 
als  der  beste  Westphäler.)  3)  In  den  tieferen  Thälem  (z,  B.  des  Prättigau) 
leistete  ein  vollkommeneres  Schwein,  das  ein  Gewicht  von  27« — 3  Zentnern 
gewann,  sehr  beliebte  Resultate,  während  sich  4)  nach  Süden  hin  die  schwarse 
Lodirasse  eher  einführen  als  züchten  ließ.  5)  Tessin  zog  südlich  ein  dem  Bündner 
ähnliches  Rothschwein,  die  Bleniorasse^  heran.  Wallis  zog  keine  eigene  Rasse, 
sondern  nützte  die  Umgebungen.  Wenn  wir  aber  der  Reuß  nach  herabsteigen, 
finden  wir  6)  das  damals  sehr  gerühmte  Unterwaldner  und  7)  das  bis  in  die 
neueste  Zeit  herein  berühmte  Luzerner  Schwein.  Vor  Allem  wurde  auch  8)  das 
Märchler  Schwein  (Schwyz-Linththal-Zürichsee)  gesucht.  Noch  im  vorigen  Jahr 
hundert  durfte  kein  unverschnittenes  Zuchtschwein  aus  der  March  verkauft  werden. 

9)  Auch  Zug  und  das  Freienamt  hielten  seiner  Zeit  einen  gesuchten  Schlag  und 

10)  rühmte  man  das  Klettfiauer  Schwein  (Schaffhausen)  sehr.  11)  Die  Waadt  hielt 
ein,  wie  uns  scheinen  will,  dem  Luzemer  ähnliches  Landachwein,  während  der 
Jura  ein  Sammelsurium  der  umliegenden  Länder  bot,  darunter  in  den  Freibergen 
—  wenn  Noth  einbrach  —  Heufresser.  Die  Ereuzungsversuche  und  -Resultate 
traten  erst  im  Laufe  des  19.  Jahrhunderts  hervor  und  gehören  nicht  hieher. 

Resümiren  wir  die  alten  Haupirassen,  so  sind  es:  1)  Das  kleine,  schwarze 
Alpenschwein ;  2)  das  rothe,  mittelgroße  Alpenschwein ;  8)  das  Luzerner  Schwein 
(roth) ;  4)  das  Märchler  Schwein  (roth  und  weiß)  und  5)  das  Elettgauer  Schwein 
(weiß).  Die  dazwischenliegenden  Schläge  waren  sehr  wahrscheinlich  meist  Misch- 
linge.    Eine  nähere  Beschreibung  kann  hier  nicht  gegeben  werden. 

Die  Schafzucht  scheint  sich  erst  im  16.  Jahrhundert  gehoben  zu  haben,  in 
Folge  der  überhandnehmenden  Wollmanufaktur.  In  der  Schweiz  blieb  sie  jedoch 
vor  Allem  1)  Sommerfleisch-Lieferantin,  2)  Woll-Lieferantin  für's  Haus,  wo  man 
sich  die  Wolle  (wie  heute  noch  im  Wallis)  selbst  spann,  wob  und  färbte,  und 
3)  Wandermastfleisch  für  die  umliegenden  Niederungsländer  und  als  solches  bis 
in  die  neueste  Zeit  herein  ein  sehr  bedeutender  Ein-  und  Ausfuhrartikel,  besonders 
von  und  nach  Italien,  wie  von  Italien  und  dem  Schwabenlande  nach  Frankreich. 
(Bergamosker,  gleichzeitig  Milchschaf.)  Graubünden  zählte  früher  allein  40,000 
im  Lohn  auf  seinen  rauhsten  Alpen  weidende  Bergamosker  Schafe.  Kreuzungs- 
versuche sind  jedenfalls  schon  in  den  70er  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts 
vorgekommen,    imd    zwar   zuerst  mit  spanischen  Merinoschafen ^    später  in  allen 


Landwirthächaft  —     243     —  Landwirthschaft 

JELantonen  bald  mit  Merinos,  bald  mit  einem  schottischen  und  englischen  Schafe. 
Da  man  keine  Stammherden  und  sachverständige,  ausdauernde  Scha&üchter  hatte, 
blieb  natürlich  der  Erfolg  gering.  Eines  unserer  besten  Gebirgssohafe,  das 
Frutiger,  soll  aus  dem  Wallis  stammen  und  dürfte  vielleicht  vor  einigen  tausend 
Jahren  mit  dem  Ehringer  Vieh  (durch  die  Gallier)  ebenfalls  aus  Spanien  gekommen 
sein.    rGeschichtlich  nicht  erwiesen.) 

Unsere  heimischen  Baasen  sind:  1)  Das  kleine  Hochalpenschaf  von  Tavetsch 
(Heideschnuckenart),  auch  Kelten-  oder  Pfahlbautenschaf  genannt,  weiß;  2)  das 
mittlere  Waliisschaf ,  meist  weiß ;  3)  das  Wanderschaf  (Bergamosker  und 
Schwabenschaf);  4)  das  Frutiger  Schaf,  weiß;  5)  das  schwarze  Freiburger  mit 
weißer  Schwanzquaste;  dito,  ein  sehr  hübsches,  mittelgroßes  Schaf;  6)  das 
Landschaf.  Deutliche  Spuren  von  verständiger  Nacb-  und  Inzucht  finden  wir 
wohl  nur  in  einigen  Orten  des  Frutiger  Thaies.  Die  Ejreuzungserfolge  mit 
spanischen  und  hie  und  da  mit  englischen  und  schottischen  Schafen  sind  ver- 
schollen. 

Die  Zieffengucht  hat  sich  seit  dem  13.  Jahrhundert,  wo  wir  sie  noch  in 
ihren  Anfangen  fanden,  ungetrennt  von  den  Schafen,  mächtig  gehoben,  und  zwar 
helbst  da,  wo  man  die  kleinsten  Kühe  hat.  Ein  Beweis,  daß  auch  die  kleinste 
Kuh  die  Ziege  nicht  zu  ersetzen  im  Stande  ist.  Dieses  Thier  breitete  sich  mächtig 
über  Alp,  Berg  und  Thal  aus,  trotz  seiner  unverkennbaren  Schattenseiten,  trotz 
seiner  Naschhaftigkeit,  Kultur-,  Baum-  und  Waldschädlichkeit.  Allein  seine  Licht- 
seiten zeigten  sich  als  weit  überwiegend  und  so  siegten  sie  und  erwarben  sich, 
namentlich  in  den  Alpen,  große  Vorrechte.  Die  Vorzüge  des  Ziegenvolkes  sind : 
1)  Ausnutzung  der  ärmlichsten  Weiden;  2)  Ausnutzung  einer  Menge  Pflanzen, 
die  kein  anderes  Thier  weidet  und  verwerthet;  3)  leicht  zu  erwerben  und  zu 
erhalten;  4)  baldiger  Nutzen;  ö)  gutes  Milchthier;  6)  die  Felle  und  Haare 
sind  zu  vielerlei  nützlicher  Verwerthung  sehr  gesucht ;  7)  das  Fleisch  ist  gut  und 
kräftig,  das  von  jungen  Thieren  und  verschnittenen  Böcken  sogar  sehr  beliebt. 
—  Auch  dieses  nützliche  Thier  wollte  man  durch  allerhand  gefehlte  Kreuzungen 
mit  Angora-,  Thibet-,  Nubier-,  kirgisischen,  Bezora-  und  anderen  Ziegen  „ver- 
bessern**, was  aber  glücklicherweise  bald  als  allzu  unnatürlich  erkannt  und  auf- 
gegeben wurde.  Versuche  der  Art  kamen  in  verschiedenen  Kantonen  vor.  Auch 
hier  lehrt  die  Geschichte,  man  solle  bei  der  Inzucht  bleiben.  Gerade  bei  den 
Ziegen,  welche  das  ganze  Mittelalter  hindurch  halbwild  herumzogen,  hat  sich 
sehr  gutes  Zuchtmaterial  erhalten.    Bleibe  jede  Gegend  bei  dem  ihrigen! 

Fassen  wir  die  Hauptschlf'ige  unseres  Landes  zusammen,  wie  sie  die  Ver- 
gangenheit zeitigte,  so  sind  es :  1)  Die  kleine  Alpenziege,  2)  die  größere  Alpen- 
und  Bergsiege,  3)  die  Thal-  und  Stallziege. 

Der  Abarten  sind  mancherlei,  welche  man  wohl  am  besten  unter  dem  Aus- 
drucke «Spielarten*"  zusammenfaßt,  da  sie  bei  allen  Hauptschlägeu  vorkamen  und 
noch  vorkommen,  nämlich:  1)  Gehörnte,  2)  ungehömte,  3)  langhaarige,  4)  kurz- 
haarige. 

Die  Farben  sind  wenig  entscheidend,  da  solche  bei  diesem  Thiere  nie  kon- 
stante Merkmale  wurden  noch  werden.  Man  könnte  hierin  nur  den  Schwarz- 
hälsen des  oberen  Wallis  eine  geschichtlich  nachweisbare  Ausnahme  gewähren. 
(Um  so  interessanter,  als  sich  diese  Schwarzhälse  auch  in  den  Pyrenäen  finden 
sollen,  von  wo,  nach  Kaltenegger's  Forschungen,  das  Ehringer  Vieh  herkomme. 

* 
Werfen  wir  nun  einen  Blick  auf  die  Zeit  des  Beginnes  unserer  Darstellung 


Landwirthschaft  —      244     —  Landwirthschaft 

zurück,  anf  die  Römerzeit,  so  bat  die  Yiebzacht  nach  ungefähr  19  Jahrhunderten 
ihre  Stellung  verändert  wie  folgt: 

I.  Zur  Helvetierzeit :  1)  Pferd,  2)  Schwein,  3)  Rind,  4)  Schaf,  5)  Ziege, 
den  Schafheerden  eingemengt. 

n.  Zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts:  1)  Rind,  2)  Pferd,  3)  Schwein,  4)  Schaf, 
5)  Ziege,  in  selbstständigen  Heerden. 

III.  Jetzt:    1)  Rind,  2)  Schwein,  3)  Pferd,  4)  Ziege,  5)  Schaf. 

Die  Greschichte  der  Milchwirthschaft  ist  so  alt  als  die  Geschichte  der 
Milchtbiere.  Ihren  eigentlichen  Aufschwung  verdankt  sie  erst  der  zweiten  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts,  wenn  wir  schon  anerkennen  müssen,  daß  der  uralt 
berühmte  Schweizer  Käse  und  Glamer  Zieger  Jahrhunderte  zuvor  von  aus- 
gezeichneten Empirikern  (Käsern)  erfunden,  gemacht  und  berühmt  wurde,  ehe 
ein  theoretisches  Licht  in  den  Käs-  und  Milchkessel  hineinfiel.  Die  Erfahrung 
ging  der  Erklärung  weit  voraus.  Immerhin  hat  die  Schweiz  den  Ruhm,  die 
ersten  amtlichen  Verordnungen  über  Molkereigegenstände  zu  besitzen,  und  zwar 
war  es  abermals  der  kleine  Kanton  Glarus,  dessen  Landsgemeinde  im  Jahre  1464 
eine  Verordnung  über  Ziegerfabrikation  erließ.  Auch  taucht  dort  schon  der 
Ziegerklee  auf  (Melilotus  Coerulex),  vermuthlich  aus  den  Klostergärten  von 
Säckingen,  der  schon  im  9.  Jahrhundert  in  Glarus  eingeführt  worden  sein  soll. 
So  viel  ist  gewiß,  daß  die  Ziegerhändler  schon  im  frühen  Mittelalter  das  Glarner 
Erzeugniß  „in  alle  Weif"  hinaustrugen.  Zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  tragen 
im  Schwabenkriege  Militärabtheilungen  „Glarner  Zieger*  und  „Thurgauer  Käse** 
bei  sich  und  1464  gab  die  Glarner  Landsgemeinde  ein  strenges  Reglement  heraus 
über  die  Ziegerfabrikation,  das  u.  A.  Fabrikationszeichen,  in  die  Rinde  eingedrückt, 
forderte.  Die  Ziegermühlen  beschrieb  zum  ersten  Mal  J.  J.  Soheuchzer,  1708, 
aber  der  erste  Schriftsteller  der  Schweiz  über  Milchwirthschaft  (sowie  überhaupt 
deutscher  Zunge)  war  ein  Zürcher,  nämlich  der  berühmte  Konrad  Geßner,  1541. 
Es  ist  dies  interessant  und  ehrend  für  die  Schweiz  zugleich,  da  im  ganzen 
deutschen  Reiche  (wozu  damals  die  Schweiz  noch  lange  gerechnet  wurde)  das  erste 
deutsche  Buch  über  Landwirthschaft  erst  1591  zu  Mainz  erschien,  also  50  Jahre 
später  als  Geßner 's  Schrift.  —  Vom  Ende  des  15.  Jahrhunderts  an  erschienen 
auch  in  anderen  Kantonen  Erlasse  über  Butter-  und  ELäsebereitung. 

Der  Obstbau  gewann  viele  Freunde  und  dehnte  sich  in  geeigneten  Theilen 
der  Schweiz  mächtig  aus,  allein  er  erlitt  auch  von  2Seit  zu  Zeit  große  Rück- 
schläge, weil  man  schon  damals,  wie  heute,  überall  Obstbau  zu  treiben  anrieth, 
auch  wo  weder  Boden  noch  Lage  dafür  paßten.  So  fegte  dann  oft  ein  einsiger 
harter  Winter  erbarmungslos  hinweg,  woran  und  worauf  mühsam  30  Jahre  lang 
gearbeitet  und  gehofft  worden  war.  Wohin  z.  B.  kamen  die  herrlichen  Obstbäume 
im  Aarthale  von  Solothurn  aufwärts  nach  Altreu,  von  denen  die  Chronik  erzählt? 
Die  rauhen  Lüfte  und  kalten  Winter  rieben  sie  auf  —  und  dennoch  pflanzten 
die  Menschen  immer  wieder  an  die  dortigen  Straßen,  trotz  aller  Geschichts- 
warnung. Das  Studium  der  landwirthschaftlichen  Geschichte  würde  unendlich 
viele  Mißgriffe  und  Kosten  ersparen.  Aehnliche  Erfahrungen  wurden  an  hundert 
anderen  Orten  immer  wieder  und  immer  wieder  vergeblich  gemacht.  So  beim 
Obstbau,  so  beim 

Weinbau!  Auch  Weinberge  wurden  häutig  mit  unendlich  viel  Arbeit^ 
Mühe  und  Kosten  an  herrlichen,  sonnigen  Halden  angelegt  und  manches  Ver- 
mögen wurde  dabei  geopfert  —  aber  der  Wein  blieb  aus.  Die  Blüthen  erfroren 
in  20  Jahren  19  Mal;  denn  nicht  überall  ist  Wallis,  wo  der  famose  Heidenwein 


Landwirthschafl  —     245     —  Landwirthschafl 

von  Yisperterminen  noch  1340  Meter  über  Meer  gedeiht,  im  höchstgelegenen 
Weinberg  der  Schweiz  (liefert  den  merkwürdigen  ^  Kniebrecher  •*).  Im  Wallis 
wasserte  man  auch  schon  im  frühen  Mittelalter  an  trockenen  Lagen  die  Wein- 
berge und  wässert  sie  noch  mit  ausgezeichnetem  £rfolge. 

Außer  dem  StaU-,  Abtritt-  und  Pferchdünger  wurden  schon  seit  dem  16.  Jahr- 
hundert bis  Ende  des  18.  allmälig  eine  Menge  Hülfsdünger  empfohlen.  Der 
Mergel  wurde  abermals  herbeigezogen ;  Asche,  Büß,  Gründüngung,  wollene  Lumpen, 
Fabrik-  und  Gewerbeabfalle,  Holzerde,  sogar  hie  und  da  schon  Ejiochenmehl  und 
Haare,  Kalk  und  Gyps  wurden  verwendet.  Mit  Bodenmischungen  wurden  große 
Erfolge  erzielt  (Kleinjogg).  Ohne  üeberhebung  darf  sich  das  Gebiet  der  Jetzigen 
Schweiz  auch  rühmen,  den  ersten  eigentlichen 

Agrikulturchemiker  geboren  zu  haben,  und  zwar  in  Horace  Benoii 
de  Saussure,  geboren  1740  zu  Grenf,  gestorben  1799  daselbst.  Er  stellte  in 
seinen  MBecherches  chimiques  sur  la  v^g^tation*'  (Paris,  1804)  die  erste  richtige 
Theorie  von  der  Pflanzenemährung  auf. 

Fügen  wir  nun  hier  noch  einige  untergeordnete  Zweige  an,  so  müssen  wir 
zuvörderst  bei  der  Geflügelzucht  bemerken,  daß  sie  keine  wesentlichen 
Fortschritte  erzeugte.  Die  ehedem  nicht  unwichtige  Gänseeucht  ging  sogar 
ungeheuer  zurück  —  mit  dem  Verschwinden  passender  G^nseweiden. 

Die  Bienenzucht  blieb  so  ziemlich  auf  gleicher  Höhe,  bis  sie  durch  den 
Kolonialzncker  (um  IGOO)  außerordentlich  an  Bedeutung  verlor.  Die  Zeidelweiden 
verschwanden  von  da  an  ganz.  Der  neue  Aufschwung  fällt  in  das  19.  Jahr- 
hundert. 

Auch  die  Fischzucht  ging,  nach  der  Reformation,  wieder  den  Krebsgang, 
da  nicht  mehr  so  viel  Werth  auf  diese  „  Fastenspeise  **  gelegt  wurde  und  man 
vergaß,  daß  die  Fische  überhaupt  ein  ausgezeichnetes  Nahrungsmittel  sind.  Man 
ließ  namentlich  die  Teichfischerei  verlottern,  wie  man  aus  hunderten  von  Weiher- 
Überresten  noch  heut«  deutlich  erkennt.  Die  zweite  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 
muß  nun  auf  dem  so  wichtigen  Grebiete  der  Fischzucht  mühsam  zu  erstreben 
suchen,  was  der  Unverstand  vergangener  Jahrhunderte  gesündigt  hat. 

Auch  der  Schneckenzucht  müssen  wir  gedenken,  welcher  im  15.  bis 
zum  18.  Jahrhundert  ziemlich  gehuldigt  wurde  und  sogar  einige  Ausfuhr  nach 
Italien  ermöglichte.  Nicht  zu  vergessen  des  Froschfanges  und  des  Froschschenkel- 
verbrauchs, der  seit  alter  bis  auf  unsere  Zeit  je  im  Frühling  in  den  katholischen 
Landestheilen  einen  sehr  beachtenswerthen  Nährzweig  bildete. 

Fast  ganz  unbeachtet,  aber  von  kaum  glaublicher  Ertragshöhe  für  die 
ärmeren  Klassen,  waren  von  jeher  und  sind  es  noch  die  Wildbeerenfluren  (oder 
-Schläge)  (die  Erd-,  Blau-,  Hirn-,  Breisel-,  Bromheeren  etc.),  dito  die  Wurzehi 
und  Kräuter  aller  Art,  als  Allgemeingut. 

Sollen  wir  noch  eines  eigenthümlichen  Kultur-Irrthums  gedenken,  der  fast 
von  den  40er  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  bis  in  die  50er  Jahre  des  19.  Jahr- 
hunderts auch  die  nördliche  Schweiz  periodisch  in  Exaltation  versetzte,  so  ist  es 
die  Seidenzucht,  welche  natürlich  nur  in  südlichen  Klimaten,  etwa  im  Tessin, 
gedeihen  kann.  Allein  weithin  pflanzte  man  oft  Maulbeerbäume;  Wanderprediger 
reisten ;  Gesellschaften  und  Regierungen  ertheilten  Prämien ;  ganze  Literaturberge 
entstanden.  Alles  umsonst!  Hätten  jene  wohlmeinenden  Männer  die  Seidenzucht- 
geschichte des  alten  Fritz  von  Preußen  studirt  (Friedrich  IL),  sie  würden  nicht 
in  diese  Dilettantentollheit  hineingetrieben  sein.    (Dito  Oliven,    Kanton  W^aadt.) 

und  endlich  die  Jagd.  Auch  hier  blieb  es  bis  zum  Ausbruch  der  franzö- 
sischen Bevolution  beim  Alten.  Die  Herren  waren  Jäger,  die  Bauern  ihre  Treib^v^ 


Landw  irthschaft  —      246     —  Landwirthschaft 

wenn  nicht  Schlimmeres!  Auch  die  Yogeljagd  hltthte,  sowohl  in  Geschmiden 
(Schlingfang)  wie  in  Vogelheerden. 

Hier  noch  ein  Wort  über  die  Leibeigenschaft  und  Hörigkeit 
unserer  Bauern.  Wenn  auch  in  milderer  Form,  so  hatte  sie  sich  leider  doch  in 
fast  allen  Kantonen  erhalten.  Bern  hob  sie  in  einzelnen  Gregenden  schon  um  1400 
herum  auf,  und  zwar  unentgeltlich;  besondere  im  Waadtland,  nach  dessen  Besitz- 
nahme (1526).  An  anderen  Orten  ging's  wie  anderswo.  Hielt  aber  auch  so- 
genannte freie  Landschaften  aufrecht  (z.  B.  die  Herren  von  Aeschi  bei  Thun). 
Ferner  wurde  nach  dem  Burgunder-  (1477)  und  Schwabenkriege  (1499)  der 
Bauer  von  den  Städtern,  seinen  Herren,  durch  allerlei  Vorspiegelungen  zu  Reis- 
läufereien  verführt.  Unter  den  Regierenden  war  eine  bodenlose  Verkäuflichkeit 
entstanden,  worüber  zuerst  in  der  innem  Schweiz,  namentlich  im  Entlebuch  und 
Hinterlande  (Willisau)  ein  großer  Bauernaufstand  losbrach  (1515),  in  dessen 
Folge  der  Landvogt  von  Eußwil  seinen  Kopf  fallen  lassen  mußte.  Eine  ähnliche 
Erhebung,  nur  etwas  ernster,  vollzog  sich  im  Kanton  Solothum,  wo  um  jene 
Zeit  herum  4000  Bauern  die  Stadt  belagerten,  „weil  sie  an  Rechten  und  Frei- 
heiten, statt  gewonnen,  verloren  hätten.  Man  bliebe  leibeigen,  wie  vorher.  Der 
Bauer  blute  wohl  auf  den  Schlachtfeldern,  aber  nicht  für  ihn,  sondern  für  die 
Freiheit  der  Städter.  Auf  fremde  Schlachtfelder  würde  er  geführt  und  geopfert, 
die  Stadtherren  aber  zögen  davon  die  Belohnungen.**  (2ieit  der  „Kronenfresserei''.) 
Die  Patrizier  begütigten,  entsetzten  hier  wie  anderwärts  Beamtete,  welche  „nach- 
weislich** fremde  Gelder  empfangen  hatten  etc.  Eine  Haupterrungenschaft  war 
die,  daß  von  nun  an  die  Leibeigenschaft  losgekauft  werden  konnte.  1525  folgte 
eine  ähnliche  Unruhe  im  Norden  der  Schweiz,  Domegg-Thierstein,  welche  als 
„Neuerworbene**  auch  etwelche  „Schweizerfreiheit**  forderten.  Auch  sie  konnten 
hierauf  die  Leibeigenschaft  loskaufen.  1570  brach  wieder  im  Kanton  Luzem 
ein  Aufstand  der  Rothenburger  und  Hochdorfer  Aemter  los,  wie  früher  auch  in 
Baselland  und  da  und  dort  in  der  Schweiz.  Soviel  als  Beispiele;  alles  deutliche 
Zeichen,  daß  die  Bauern  mit  ihren  Zuständen  keineswegs  zufrieden  waren  und 
viel  zu  klagen  hatten,  was  später  Alles,  und  jetzt  noch  gar  häufig,  so  gerne 
„todtgesch wiegen**  wurde.  1653  erfolgte  in  den  vier  Kantonen  Bern,  Luzern, 
Solothum  und  Basel  der  größte  und  letzte  Bauernkrieg.  Er  wurde  niedergeschlagen 
und  die  Anführer  vnirden  hingerichtet. 

Eine  der  seltsamsten  Dienstleistungen,  zu  denen  der  Bauer  jemals  erniedrig^ 
wurde,  war  wohl  die  Froschfrohn,  Um  1400 — 1500  mußten  die  Bauern  bei 
warmer  Zeit  ganze  Nächte  hindurch  mit  langen  Stangen  die  Frösche  auf  die 
Köpfe  schlagen  und  „gschweigen**.  Solches  erzählt  uns  die  Geschichte  aus  dem 
Wallis,  wo  die  Frösche  die  Frechheit  hatten,  „die  gnädigen  Herren"  der  Schlösser 
Gundis  und  Saillon  im  Schlafe  zu  stören  I 

Formell  und  gesetzlich  wurde  die  Leibeigenschaft  in  ihren  letzten  Spuren 
erst  um  1785  bis  1788  aufgehoben,  also  nicht  lange  vor  dem  Ausbruch  der 
französischen  Revolution. 

Dieses  Ereigniß  knüpfte  sich  fast  unmittelbar  an  jene  Periode  des  geistigen 
Erwachens,  welcher  die  „Oekonomische  Gesellschaft**  von  Bern  (1759)  und  die 
„Helvetische  Gesellschaft**  (1761)  mit  ihrem  weitverzweigten  Anhange  die  Ent- 
stehung verdankten.  Den  Bauernstand  geistig  und  materiell  zu  heben,  war  die 
Devise  dieser  Vereine;  danebst  arbeiteten  sie  für  Schule,  Verkehr  und  Staats- 
wesen, für  Alles,   „was  menschlich  war**. 

50  —  60  Jahre  später  (somit  erst  im  19.  Jahrhundert)  entwickeln  sich  die 
landwirthschaftlichen  Fachvereine.     Den  Reigen   eröffnen  Bern,   Freiburg   und 


Landwirthschaft  —     247     —  Landwirthschaft 

Waadt;  ihnen  folgen  nacheinander  Zürich,  Aargau,  Solothurn,  Genf,  Neuenbürg, 
Baselland,  St.  Grallen,  Schaff  hausen,  GrlaruB,  Luzern,  Graubtinden,  Basel.  1856 
wurde  in  Ölten  vom  Verfasser  dieser  Skizze  und  dreien  seiner  Freunde  (aus- 
übenden Landwirthen)    der  erste  V0rein  schweizerischer  Landwirthe  gegründet. 

Am  Schlüsse  dieser  Arbeit  muß  der  Verfasser  bekennen,  daß,  so  ungenügend 
dieselbe  auch  ist,  sie  für  ihn  doch  ein  Wagniß  war,  da  es  bis  auhin  an  ge- 
nügender Quellenken ntniß  fehlte.  Eine  gehörige  Landwirthschaftsgeschichte  der 
Schweiz  würde  die  Arbeit  eines  ganzen  Menschenlebens  erfordern,  denn  der  Stoff 
muß  an  unendlich  vielen  Orten  mühsam  entkörnt  werden. 

Dankbar  sei  noch  der  Literatur  gedacht,  welche  der  Verfasser  benutzt 
hat,  aber  nicht  in  Anmerkungen  beifügen  konnte: 

1)  Geschichte  Altrhätiens,  von  Dr.  P.  C.  Planta.    1872. 

2)  Geschichte  und  Statistik  des  Kantons  Wallis,  von  Pater  Furrer.     1853. 

3)  Römische  Schriftsteller:  Tacitus,  Cäsar,  Plinius,  Columella. 

4)  Chronik  von  Basel,  von  Bruchner, 

5)  Dito  vom  Kanton  Solothurn,  von  Hafner,  1666.   —  Geschichte  von  Urs 
Vigier.    1879. 

6)  Pfarrer  SieinmiUler'^  Beschreibung    der   schweizerischen  Alp-   und  Land- 
wirthschaft.   (Ueber  Glarus,  Appenzell  und  St.  Gallen.)    2  Bände.   1802. 

7)  „Gemälde  der  Schweiz**.     (21  Bände  über  die  meisten  Kantone.)     1830 
bis  1840. 

8)  Dr.  LanfienthaV^  und  Anton^  Geschichten  der  deutschen  Landwirthschaft 
1850. 

9)  Die  drei  Zeigen,  von  Prof.  Dr.  Johannes  Meyer,    1880. 

10)  Ein  Stück  Solothurner  Kulturgeschichte  (Stadtbibliothek),  von  Louis  GlutM- 
Hartmann.    1879. 

11)  Vom  Jura  zum  Schwarz wald,  von  F,  A.  Stocker,    1884. 

12)  Blotniteki,  Bewässerungskanäle  im  Wallis.     1871. 

13)  Ueber  Alpenbewässerung  im  Wallis,  von  Itöditjer.    I  und  II.     1879. 

14)  Konversationslexika  von  Pierer,  Brockhaus  u.  A. 

15)  „Alpwirthschaftliche  Monatsblätter **   von  R,  Schatzmann.     1885,    Nr.  3 
(„über  Rassenabstammung **). 

16)  Gründung  der  Oekonomischen  Gesellschaft  von  Bern.  Jubiläumsschrift  von 
1859. 

17)  Eine  Anzahl  anonymer  Broschüren  über  landwirthschaftliche  Themate  aus 
den  60er  bis  80er  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts. 

18)  «Kleinjogg",  von  Dr.  Hireel,    (Zürich.) 

19)  Geschichte  des  Pfluges,  von  Prof.  Dr.  Ran, 

20)  „Obwaldner  Volksfreund**.    Jahrgang  1885.    Gescbichtliches. 

21)  Helvetien  zur  Zeit  der  Römer,  von  T.  Burkhanlt- Biedermann.     1887. 

22)  Chronich  des  Kantons  Bern,  a.  Th.,  von  Albert  Jahn.     1857;    u.  A.-m. 

B.  Landwirthschaft  der  Gegenwart. 

(Verfasser:  Professor  Dr.  A.  Kraemer  in  Zürich.) 

Vorbemerkungen. 

Die  nachfolgenden  Zeilen  wollen  versuchen,  in  kurzen  Zügen  ein  Bild  von  dem 
Charakter  der  schweizerischen  Landwirthschaft  zu  entwerfen  und  zu  diesem  Zwecke 
eine  zusammenfassende  Darstellung  der  Grundldgen,  Einrichtungen  und  Erfolge  der- 


Landwirthschaft  —      248     —  Landwirthsdiafl 

selben  zu  liefern.  An  die  Durchführung  einer  solchen  Aufgabe  knüpfen  sich  allerdings 
recht  erhebliche  Schwierigkeiten.  Denn  die  Bedingungen,  auf  welchen  das  landwirth- 
schaftliche  Betriebsleben  der  Schweiz  beruht,  bieten  so  große  Verschiedenheiten  dar,  wie 
sie  in  auffallenderem  Grade  wohl  in  keinem  Lande  unseres  Erdtheils  angetroffen  werden. 
In  der  Erhebung  des  Terrains  von  dessen  tiefsten  Lagen  bis  zur  Grenze  des  ewigen 
Schnees  handelt  es  sich  um  Unterschiede  von  2500—2900  m;  zwischen  den  jüngeren, 
tiefgründigen  Gebilden,  welche  die  Gletscherbewegungen  und  die  Flußablagerungen  in 
den  niederen  Gegenden  und  den  Thalsohlen  zu  Stande  gebracht  haben,  und  den  An- 
häufungen von  Verwitterungsprodukten,  welche  noch  an  ihrer  Ursprungsstätte  auf  den 
sehr  verschiedenartig  zusammengesetzten  Gesteinsmassen  der  Gebirgsstöcke  ruhen,  sind  &st 
alle  Bodenarten  vertreten ;  es  wechselt  die  Gestaltung  der  landwirthschaftlich  nutzbaren 
Bodenoberfläche  in  Bezug  auf  den  Grad  der  Abdachung  selbst  auf  kürzeren  Strecken, 
häufig  in  den  äußersten  Extremen,  und  wie  die  Art  der  Erhebung  des  Landes  im  Ganzen 
bedeutende  Differenzen  in  der  Neigung  gegen  die  Hinmielsrichtung  bedingt,  so  kehren 
diese  auch  im  Einzelnen  innerhalb  enger  begrenzter  Distrikte  wieder.  Im  Zusammen- 
hange mit  der  sehr  ungleichen  Entwicklung  der  industriellen  und  kommerziellen  Thätig- 
keit  hat  sich  die  Bevölkeningsdichtigkeit  in  den  einzelnen  Kantonen  ungemein  verschieden 
gestaltet ;  es  ist  in  den  dichtest  bewohnten  Kantonen  —  abgesehen  von  den  Stadtgebieten 
Basel  und  Genf  —  die  Seelenzalil  auf  der  gleichen  Fläche  landwirthschatUich  benutzten 
Bodens  fünf  bis  acht  Mal  so  groß,  als  in  den  schwächst  bewohnten.  Die  Größen  des 
Besitzes  am  Grund  und  Boden  stufen  sich  erheblich  gegen  einander  ab,  und  selbst  in 
den  Foririen  des  Grundeigenthums  treten  bemerkenswerthe  Gegensätze  zu  Tage.  In 
Rücksicht  auf  diese  Ungleicbartigkeit  der  Grundlagen  der  Landbewirthscliaflung  in  den 
einzelnen  Territorien  hat  sich  aucli  die  Fürsorge  der  Kantone  für  die  Entwicklung  des 
Agrarrechtes  und  der  Landeskuiturgesetzgebung  in  verschiedener  Richtung  bethätigt. 

Der  hier  angedeuteten  hochgradigen  Mannigfaltigkeit  der  für  die  Landbewirth- 
schaftung  maßgebenden  Verhältnisse  entspricht  begreiflich  nicht  allein  das  Vorkommen 
ungemein  zahh-eicher  Betriebsformen,  sondern  auch  eine  gewisse  Ungleicbartigkeit  in 
der  Richtung  und  Intensität  der  fortschrittlichen  Bewegungen  in  dem  landwirthschafl- 
lichen  Gewerbe. 

Unter  so  bewandten  Umstände'n  ist  es  aber  eben  so  wenig  möglich,  ein  erschöpfendes 
Bild  von  den  Gesammt-Erscheinungen  zu  entwerfen,  wie  es  sich  lohnen  würde,  zur 
Verauschaulichung  der  Zustände  eine  Reihe  von  Einzeltypen  herauszugreifen.  Es  kann 
sich  als4)  in  der  vorliegenden  Aufgabe  nur  noch  darum  handeln,  unter  Anknüpfung  an 
tliiitsächliche  Ermittlungen  und  allgemeine  Anschauungen  und  Erfahrungen  einen  Ueber- 
blick  über  die  gegebenen  Verhältnisse  zu  gewinnen  und  in  gedrängter  Darstellung  die 
Prinzipien  liervorzuheben,  welche  der  schweizerischen  Landwirthschaft  die  Bahnen 
ihrer  Entwicklung  vorzeichnen. 

I.  Die  Grundlagen  der  landwirthschaftlichen  Produktion  in  der  Schweiz. 

In  den  Einrichtungen  des  landwirthschaftlichen  Gewerbes  je  eines  bestimmten 
Gebietes  prägen  sich  gewisse  Eigenartigkeiten  aus.  Dieselben  gehen  aus  den 
Verhältnissen  hervor,  welche  die  Art  der  Lau dbe wirf hschaftung  bedingen;  es  liegt 
ihnen  eine  Gesetzmäßigkeit  zu  Gninde;  sie  können  nicht  Erscheinungen  des  Zu 
falles  sein  oder  längere  Zeit  bleiben.  So  lehren  es  die  Thatsachen  im  Großen 
und  die  Erfahrungen  von  Jahrhunderten.  Der  Betrieb  der  Landwirthschaft  muß 
sich  also  mit  den  äußeren  Bedingungen,  welche  ihn  umgeben  und  auf  ihn  ein- 
wirken, in  Einklang  setzen ;  seine  Formgestaltungen  bedeuten  Ergebnisse  einer 
planmäijigen  Anpassung  an  die  Zustände,  welche  ihn  beeiutlnssen.  Diese  beruhen 
aber  zum  Theil  in  dem  Verhalten  der  tnitilrlirhen  Außenwelt,  soweit  es  das 
Leben  und  Gedeihen  der  Pflanzen  und  Thiere  beherrscht,  zum  Theil  in  den  Ver- 
hältni.sseii  d(.'s  (re^elhrhaßslcboni,  insofeni  sie  bestimmend  eingreifen  in  die 
Gestaltung  der  Oekunomie  der  gewerblichen  Uiiteniehmung.  Daher  rechtfertigt 
es  sich,  der  Bttracbtung  über  die  Einrichtungen  der  schweizerischen  Landwirth- 
schaft eine  kurze  J Darstellung  der  allgemeinen  Grundlagen  des  Betriebes  derselben 
vurauszusendfU. 


Landwirthschaft  —     249     —  Landwirthschaft 

1)  Flächengehalt.  —  Gestaltung  und  Erhebung  des  Terrains. 

Nach  den  neuesten  Ermittlungen  (vgl.  die  Abhandlung  „Arealyerhältnisse^) 
omfEißt  das  Gebiet  der  schweizerischen  Eidgenossenschaft  eine  Gesammtfläche  von 
41346,5  km«  (ä  100  ha).  Von  dieser  entfallen  aber  11708,9  km*  oder  28,3  7o 
auf  unproduktives  Land  (Gletscher,  See^n,  Städte,  Dörfer,  Gebäude,  Schienen- 
und  Straßenwege,  Flüsse  und  Bäche,  Felsen  und  Schutthalden),  indessen  von  dem 
produktiven,  im  Ganzen  29637,6  km*  umfassenden  Areale  7852,8  km*  oder 
26,5  ^0  vom  Waldlande  in  Anspruch  genommen  werden.  Hiemach  besitzt  die 
iandwirihschafllich  benutete  Fläche  (E^bland,  Aecker,  Wiesen,  Weiden  und 
Gärten)  eine  Ausdehnung  von  21784,8  km*  oder  73,5  ^o  des  produktiven  Landes. 

In  Bezug  auf  die  Lage  des  Terrains  bietet  die  Schweiz  ein  Bild  außer- 
ordentlicher Ungleichartigkeit  und  schroffster  Gegensätze.  Die  Gestalt  der  Ober- 
fläche desselben  wird  durch  drei  verschiedene  Eleyationnstufen  bedingt.  Die  höchste 
und  mächtigst  verzweigte  Erhebung  bildet  der  massigere  Theil  des  zentralen 
Gebietes  der  Alpen,  des  gewaltigsten  Gebirgsstockes  des  europäischen  Kontinentes, 
welcher,  in  der  Richtung  von  Südwest  nach  Nordost  verlaufend,  sich  über  die 
südliche  Hälfte  des  Landes  erstreckt  und  hier  seine  bedeutendste  Höhe  (4638  m 
Monte  Rosa)  erreicht.  Es  ist  das  Revier  mit  seiner  erstaunlich  wechselvollen 
Gestaltung  der  Bodenoberfläche,  seinen  Thaleinschnitten  und  Schluchten,  Terrassen, 
Hängen,  Halden,  steilen  Felswänden  und  Graten,  gekrönt  von  himmelanstrebeuden 
Firn-,  Gletscher-  und  Schneefeldern.  Xu  fast  der  nämlichen  Richtung  wie  die 
Alpen  durchzieht  den  Westen  des  Landes  eine  e weite  Erheb ungsstufe,  die  Jura- 
kette,  welche  aun  einer  gestreckten  Gruppe  von  zahlreichen,  gleichlaufenden 
Gebirgsrücken  gebildet  wird,  sich  etwa  auf  40  ^/«  der  mittleren  Höhe  der 
Alpen  erhebt,  frei  ist  von  Gletschern  und  Firnen,  und  nahezu  in  ihrem  ganzen 
Umfange  eine  Yegetationsdecke  trägt.  Die  dritte  Stufe  stellt  »ich  in  dem  sog. 
Mittellande,  dem  größten  Läogenthal  Europa'»,  einem  hügeligen  Flachlande,  dar, 
welches  bis  auf  eine  Höhe  von  400  m  zwischen  jenen  beiden  Gebirgszügen  ein- 
gesenkt ist  und  sich  in  der  Richtung  von  Südwest  nach  Nordost  vom  Genfersee 
bis  nach  dem  Bodensee  und  dem  Rheine  erstreckt.  Das  Mittelland  bildet  den 
fruchtbarsten  und  bevölkertsten  Distrikt  des  Landes,  den  Hauptsitz  einer  plan- 
mäßigen Bodenkultur. 

2)  Das  Klima. 

Man  beurtheilt  die  klimatische  Verfa88ung  eines  Landstriches  vorzugsweise 
nach  dem  Verhalten  der  Atmosphäre  hinsichtlich  der  Temperatur  und  der  Stärke 
der  Niederschläge,  beides  bezogen  auf  die  Daner  des  Jahres  und  auf  die  einzelnen 
Abschnitte  desselben,  sodann  nach  den  Grenzen,  innerhalb  welcher  diese  Er- 
scheinungen zeitlich  zu  schwanken  pflegen.  Faßt  man  zunächst  diese  Verhältnisse 
in's  Auge,  so  lassen  sich  auf  Grund  auszugsweiser  Benutzung  der  vorliegenden 
direkten  Beobachtungen  folgende  Tableaux  entwerfen:  *) 


*)  Die  Zahlen  über  die  Temperaturverhältnisse  verdanken  wir  einer  gütigen  Mit- 
theilung des  Direktorj?  der  scliweizerijjchen  meteorologischen  Zentralanstalt,  Herrn  Dr. 
JR.  Bülwiller  in  Zürich ;  diejenigen  öl)er  die  Niederschläge  sind  einer  Abhandlung  von 
Dr.  J".  Müller  in  den  ,Annalen  der  schweizerischen  meteorologischen  Zentralanstalt*, 
Jahrgang  1882,  entnommen. 


LAndivirthschaft 


Landwirthscbaft 


Tffinperaliir.  —  Grade  C. 
(BeobanhtDngen  am«  Zeiträumen  von   16 — 22  Jahren.) 


HHhe 

Miniere» 

Mittel 

Jahres- 

zelten 

Stationen 

Ober  Mear 

«S 

Mmi- 

mVii' 

«i„.., 

r««.>.„,lso™.. 

Harlirt 

(Bis  500) 

Lugano  

875 

1J,5 

-  6,a 

31,7 

2,55 

11,26    20,53 

n,.TO 

Basel 

27S 

9.5 

-13,6 

30,5 

1,04 

9,30    18.08 

9,39 

Genf 

lOS 

9,S 

-11,2 

33,0 

1,S8 

9,17     18,09 

9,76 

Zörirh 

470 

8.7 

— i:U 

30,4 

-0.05 

8,71     17,5* 

8.66 

Altslälleo  (ÖL  Gallen) 

47« 

8,7 

—13,4 

30,4 

—0,39 

8.73     17,31 

9,03 

Neuchätel    .... 

488 

9,0 

-Il,t 

30.5 

0,32 

8,76     17,81 

9,03 

Martipnj      .... 

498 
(5(X)-10ÜO| 

9,7 

—12,1 

32,0 

0,80 

lo,ir,  1  18,51 

9,80 

Bern 

570 

8,2 

-14,(! 

29,2 

-0,59 

8,09  i  16,95 

8.16 

St.  Gallen    .... 

660 

7,5 

-U,6 

28,5 

-0,88 

7.16     15,98 

7.80 

Ca^tasegna  .... 

700 

9,5 

—  7.8 

28,0 

1,4-9 

9,13     17,91 

9,46 

Affoltern  IBeni)  .    . 

795 

7,0 

-15,0 

27.5 

-1,15 

6,66     15.18 

7,19 

EinsieJeln   .... 

910 

5,7 

-19,5 

26,3 

-2.78 

5.36 

14.24 

6.13 

Tropen    

9S4 

(1000-1500) 

6.7 

-15,4 

27,2 

-0,94 

5,99 

14.71 

7,10 

Enpelberp    .... 

1034 

5,2 

-17.9 

26,0 

-2,81 

4,66 

13,31 

5,63 

Chauinuat   .... 

lU» 

5,6 

-1.5,7 

S6.1 

-1,43 

4,59 

13,38 

5,73 

Bealenberg' 

1150 

{1500-äOOO) 

'i.l 

-15,5 

26,8 

-1,09 

5,26     13,83 

6,57 

Davoa      

15«0 

3,0 

-22.0 

28,5 

-5.28 

2.33     11.74 

3,41 

GrScIien       .... 

1633 

4.5 

-16,7 

24,8 

-3,39 

3,10     12,31 

4.63 

m'> 

1800 

1,7 

—16.5 

20,5 

-4,70 

0.10      8,88 

2,47 

Siis.Mariii    .... 

1810 

18000-2500) 

1.5 

-22,3 

22.5 

-7.19 

Ü,40    10,38 

2.41 

Bernhardin      .     -     . 

2070 

0.6 

-21.0 

18,9 

-6,51 

-0,84 ,     8,48 

1.2t 

santis 

2476 

-3,3 

—32.5 

17,5 

-8,74 

—3,40      4,72 

-1,36 

Sl-Bernlianl,  Hospiz 

2478 

-1,5 

-sa,o 

17,9 

-8,13 

—3,20 

5,ffl 

-0,60 

In  diesen  Zahlenreihen  tritt  die  bekannte  ThatDache,  daß  die  Teuiperatar 
mit  der  Erhebung  dett  Terrains  rasch  abnimmt,  in  augenfälligster  Weiae  zu  Tage. 
Will  man  aus  denselben  i^ini^n  greifbaren  Scbluli  siehen,  so  vird  man  etwa 
annehmen  können,  dali  die  Erniedrigung  der  Jahrestemperatur  um  je  1*  C.  im 
Mittel  einer  Erhebung  von  180  m  entspreche,  indessen  diese  Zahl  für  die  Winter- 
temperatur es.  '220  ni,  für  die  Summertemperatur  dagegen  nnr  145  m  betrage. 
Es  sind  das  Ergebnisse,  welche  fUr  die  Bcurtheilang  der  Vegetatians Verhältnisse 
nnd  insbesondere  der  Bedingungen  der  landwirthsc haftlichen  Pflauxenkultur  der 
Schweiz  gerade  mit  Rücksicht  auf  die  enormen  Vernehiedenheiteu  in  der  Erhebung 
des  Landes  eine  fundamentale  Bedeutung  haben,  wie  man  erkennt,  wenn  man 
der  Erfahrung  Rechnung  trägt,  daß  jede  Erhiituing  um  300  m  im  Mittel  eine 
Verztigeruog  der  Entwicklung  der  Vegetation  um  etwa  10  Tage  bedingt.  Auf 
aolche  Verliältnisse  ist  es  aber  vornehmlieh  surUckinführen,  daß  in  dem  Gebiet« 
der  Schweiz,  von  den  paradiesischen  Ufern  den  Ltiganer-  und  des  Langensee'a 
bis  hinauf  zu  den  vereinsamten  Höhen,  in  welchen  die  Hpuren  jeder  eigentlichen 
Bodenbewirthschaftnng  vollends  verschwinden,  nahezu  die  ganze  Stufenleiter  der 
Kultiir|iännzen  unneres  Erdtheiles  vertreten  ist. 


Landwirthschaft  —      251      —  Landwirthscbaft 

Doch  nicht  entfernt  regelmäßig  sprechen  sich  diese  Einflüsse  der  Höhenlage 
anf  die  Grestaltung  der  Temperaturen  und  daher  der  Vegetationserscheinungen  ans. 
Wie  man  in  der  Verfolgung  derselben  bei  dem  Durchschreiten  großer  Gebiete  in 
horizontaler  Richtung  nach  dem  äußersten  Norden  auf  lokale  Ablenkungen  stößt^ 
80  auch  hier  bei  dem  Aufsteigen  in  die  höheren  Etagen.  Bald  sind  es  die  Isolirtheit 
oder  der  Zusammenhang  der  Berggruppen,  bald  die  Unterschiede  in  der  Strahlen- 
breohnng,  in  der  geologischen  Struktur,  in  der  herrschenden  Windrichtung,  der 
Nähe  von  großen  Grewässern  und  Waldkomplexen  etc.,  welche  den  Stufengang 
der  Verhältnisse  modiflziren,  unterbrechen  oder  verschieben.  Beispielsweise  ist 
das  auf  nahezu  gleicher  Meereshöhe  mit  Basel  liegende  Lugano  vor  jenem  sehr 
bevorzugt,  nicht  sowohl  durch  seine  südlichere  Lage,  als  vielmehr  durch  den 
Schutz,  welchen  ihm  der  Alpenkamm  gegen  Norden  gewährt,  und  durch  die 
stärkere  Insolation  des  mittäglichen  Abhanges  ist  Troffen  besser  situirt,  als  das 
fast  gleich  erhabene  aber  auf  einem  Plateau  gelegene  Einsiedeln  y  aus  ähnlichen 
Ghrtinden  Grächen  im  Wallis  den  übrigen  Stationen  der  gleichen  Höhengruppe 
weit  überlegen.  Derartige  Verschiedenheiten  kommen  aber  auch  bei  gleichen  oder 
nahezu  gleichen  Jahresdurchschnitten  in  der  Vertheilung  der  Temperatur  über 
die  einzelnen  Jahreszeiten  vor.  Auffallend  zeigt  sich  dies  beispielsweise  in  den 
verhältnißmäßig  strengen  Wintern  von  Bern,  St,  Gallen,  Einaiedeln  und  Sils, 
der  relativ  hohen  Sommer  wärme  von  Grächen  und  Davos,  und  umgekehrt  der 
geringen  Sommertemperatur  der  Etffi, 

Aber  auch  hinsichtlich  der  Niederschläge  werden  merkwürdige  Verschieden- 
heiten beobachtet.  Die  bezüglichen  Angaben  MiUler'8,  welche  sich  auf  Ermittlungen 
aus  einer  längeren  Reihe  von  Jahren  beziehen  (Durchschnitt  von  nur  8  Jahren 
bei  1,  von  10—20  Jahren  bei  39,  von  20 — 30  und  von  30—60  Jahren  bei 
je  3  Stationen),  lassen  sich  unter  Beschränkung  auf  das  Wesentlichste  zusammen- 
fassen wie  folgt: 


Lajid  wirtfaschafl 


—     252     — 
Hegenmettffen. 


LandwirtbachaA 


,. 

tftihe 

Utier 
M«ef 

Jalires- 

lahresz eilen  i 

Prozenten  der 

j 

Stationen 

Gruppen  ') 

tumme 

d,r   totp..'! 

Winlw 

Frühling 

^mmw,  titnM 

1 

A]UlüU«D    .     . 

478 

1 

9 
3 

Sarins.     .     , 
Chur  .  ■ .    .     . 

501 
603 

lOberea    Rbeinge- 
[     biel    .... 

1,^, 

16,2 

24,4 

86,J 

23,7 

i 

St.  Gallen    .    . 

660 

1 

5 

SchafThausen  . 

3S9 

1 

6 
7 

Fräueafeld  .    . 

433 
438 

[Unteres  Rheinge- 
biet   .... 

jl015 

16.» 

94,9 

»9.6 

25,3 

S 

Loliu.     .     .     . 

645 

1 

9 

Zaricli    .    .    . 

470 

lU 

Glania     .     .     . 

471 

Linimat^biet     . 

1180 

U,7 

33.6 

86,0 

34,7 

11 

Einsiedeln  .    . 

910 

13 
13 

Basel.     .     .     . 

Prunlrut     .    . 

378 
430 

'  Basel -Prunlrut    . 

809 

18,4 

24.5 

»,6 

äG.,-! 

U 
15 

Aarau     .     .    . 
Muri  .... 

372 
4S3 

1  Unteres    Aarege- 
1     biel    -    .    .     . 

j  11)70 

17,» 

34.0 

3a.ä 

24,7 

lÜ 

:?ur3ee     .     .     . 

505 

17 

AUdorf  .     .    . 

454 

lö 

Lnzerii    .    .    . 

454 

Reuß^ebiet     .     . 

1393 

15,» 

25.6 

S6.2 

22,5 

19 

Gersau    .     .    . 

461) 

äo 

Inlerlaken   .     . 

558 

21 
22 

Bern  .... 
Affoltern      .     . 

570 
795 

Oberes      Aarege- 
bitl     .... 

}l247 

17,3 

95,3 

M,0 

23,5 

23 

Beaten  berg      . 

1150 

21 

Neucliätel    .    . 
Vüiidena      .     . 

4SN 
»35 

IXeucbätel  -  Vua- 
1      dens   .... 

|,.3r, 

18.« 

34.6 

30.6 

2C,4 

2G 

Montreux     .     . 

385 

27 

Genf  .... 

408 

Genfer^ee  .     .     . 

S16 

1«,« 

93,G 

28.8 

30,8 

38 

Lausanne    .    . 

515 

39 
30 

Hartit'D}'     -     . 

Grächen       .     . 

498 
1633 

lRhone)rebiet  .     . 

1099 

1».S 

21,7 

SS.1 

30,7 

31 

Bellinzona  .     . 

239 

M 

Luttano  .    .    . 

975 

SQdschweiz     .     . 

1579 

9,7 

9(>,6 

32,7 

31,0 

'S3 

Ciislaäegna  .     . 

700 

34 
35 

Beyers    .     .     . 
S>l:i-Maria    .     . 

1715 
1810 

|limirebiel    .     .     . 

915 

IS,« 

33.1 

3*,8 

29,3 

31) 

Klüjlen'  .    .     . 

1907 

37 
3S 

Chunvalden     . 
Plalla      .     .     . 

1313 
1379 

BQndner  Höben - 
(■talionea     ,     . 

j  1358 

18,0 

34,9 

8S,9 

39,3 

39 

SpIQifen  .     .     . 

1471 

*0 

Trogen    .    .    . 

99+ 

1410 

18.« 

23.3 

«,2 

32,8 

41 

ED^relbi^iB  .     . 

1034 

173Ö 

14.4 

22.8 

m 

23,7 

43 

Sl.  Groix      .     . 

1095 

1331 

ai/( 

K,8 

K,8 

27,6 

43 

CliHuniOQt   .     . 

1138 

94y 

15^ 

34,1 

32,8 

27,3 

4V 

Aiiderniatl  .     . 

1448 

1336 

204 

37,0 

21,i 

28,8 

45 

Hii.'i-Kulni  .     . 

1800 

150;^ 

9,ä 

19,4 

SO,« 

21,8 

4H 

Sl,  Bernliard    . 

9478 

1336 

ao,2 

35,7 

218  1    29,6 

einige  Station 

n  (Nr. 

*0-46  der 

TalK'Uei.    wck'lie   hölier   ||i«le|ten    siml.    als   die 

übritren,  und 

die  il 

lierail  einen 

zietnlidi    abiveicheiiüeii    Verlauf   der   Jahre^pe 

rinden    aul'wei 

(en,    uu 

äi^escblossea 

worden.    -    ')  Die  Minima  und  Maxiniü  der  V 

roienle  sind  d 

urth  F 

tischrin  be- 

so 

ders  hervorgeho 

■fn. 

1 

Landwirthschaft  —     253     —  LandMarthschaft 

Aus  dieser  XJebersicht  geht  zunächst  hervor,  daß  die  Schweiz,  mit  Ausnahme 
etwa  des  westlichen,  zum  Jura  gehörigen  Striches  Basel-Pruntrut,  und  von  Genf,, 
sowie  des  östlichsten  Theils  von  Graubünden,  ein  an  atmosphärischen  Nieder- 
schlägen sehr  reiches  Land  ist,  daß  diese  Beobachtung  namentlich  für  die  oberen 
Gebiete  der  in  den  Zentralalpen  entspringenden  größeren  Flüsse  zutritft,  und  daß. 
überhaupt  die  Menge  der  Niederschläge  mit  der  Annäherung  an  die  Alpen 
größer  wird. 

In  Bezug  auf  den  Verlauf  der  Jahresperiode  in  den  verschiedenen  Gebieten 
resultirt  aus  den  Beobachtungen,  daß  das  Minimum  in  der  Ost-  und  Zentral- 
schweiz vorzugsweise  im  Januar,  in  der  West-  und  Südschweiz  dagegen  im 
Februar,  das  Maximum  in  einem  der  drei  Sommermonate  liegt  und  sich  nur  in 
der  Westschweiz,  einschließlich  Wallis,  im  Oktober  befindet;  ferner,  daß  der 
Oktober  fast  überall  ein  sekundäres  Maximum  aufweist. 

Faßt  man  die  Yertheilung  der  Begenmengen  über  die  Jahreszeiten  in's  Auge, 
so  zeigt  sich,  daß  die  Wintemiederschläge  in  dem  ganzen  Gebiete  nördlich  der 
Alpen  bis  zum  Neuenburger  See  (Ost-,  Zentral-  und  Nordschweiz)  tief  unter  dem 
Mittel  stehen,  der  Frühling  und  der  Herbst  sich  nur  wenig  von  demselben  ent- 
fernen, dagegen  durchweg  der  Sommer  das  Maximum  (31 — 36  ^/o)  behauptet. 
In  diesem  Distrikte  nehmen  die  Wintert  und  Herbstniederschläge  von  Ost  nach 
West  zu,  dagegen  die  Sommerregen  von  Ost  nach  West  ab.  Genfer  See  und 
Rhonethal  (Westschweiz)  bilden  zusammen  ein  Gebiet  mit  vorherrschenden  Herbst- 
regen, und  ein  drittes  Gebiet  mit  zugleich  vorherrschenden  Sommer-  und  Herbst- 
regen, mit  dem  Maximum  im  Sommer,  liegt  in  der  Südschweiz.  Eine  Mittel- 
stellung zwischen  den  Regenverhältnissen  der  Ost*  und  Südschweiz  nimmt  der 
Kanton  Graubünden  ein. 

Wie  Müller  a.  a.  0.  des  Näheren  erörtert,  wird  das  Gebiet  der  Schweiz 
von  zwei  der  Unterzonen  berührt,  in  welche  die  beiden  schon  von  Dove  für 
Europa  aufgestellten  Hauptregenzonen  (eine  südliche  subtropische  mit  fast  gänz- 
licher Regenlosigkeit  im  Sommer,  und  eine  nördliche  mit  mehr  oder  weniger 
gleichmäßiger  Yertheilung  des  Regens  auf  die  vier  Jahreszeiten)  zerfallen.  Darnach 
erscheint  in  der  Schweiz  am  Genfer  See  und  im  Rhonethal  die  üeherffangseone 
(XJebergang  von  der  subtropischen  in  die  nördliche)  mit  vorherrschenden  Herbst- 
regen, femer,  vom  Norden  und  Osten  her  herantretend  und  sich  über  die  ganze 
Zentralschweiz  ausdehnend,  südlich  begrenzt  durch  den  Kamm  der  Zentralalpen, 
die  mitteleuropäische  ZonCj  welche  gegen  Westen  allmählich  in  die  Uebergangszone 
tibergeht,  mit  entschiedenem  Uebergewicht  der  Sommerregen,  während  die  Süd- 
schweiz, da  hier  die  relative  Regenmenge  des  Herbstes  so  groß  ist,  wie  am 
Genfersee  und  im  Rhonethal  (Herbst maximum),  und  obgleich  die  Herbstregen 
hinter  den  Sommerregen  zurückbleiben  und  die  Winterniederschläge  auffallend 
tief  stehen,  ebenfalls  der  Uebergangszone,  zu  welcher  auch  die  anschließende 
Po-Ebene  gehört,  zugetheilt  wird. 

Die  relativ  sehr  große  Regenmenge  des  Sommers  in  der  Südschweiz  ist 
wesentlich  dem  Einflüsse  der  Alpen  auf  die  feuchten,  warmen  Südwinde  zuzu- 
schreiben, indessen  die  Thatsache,  daß  die  relative  Regenmenge  des  Sommers 
mit  der  Annäherung  an  die  Alpen  zunimmt,  als  eine  Folge  des  Einflusses  der 
Alpen  auf  die  westlichen  und  nordwestlichen  Winde  zu  betrachten  ist.  Ferner 
ergiebt  sich  aus  den  vorliegenden  Ermittlungen,  daß,  da  im  Sommer  die  Zunahme 
der  absoluten  Regenmenge  mit  der  Höhe  eine  raschere  L^t,  als  im  Winter,  auch 
die  Regenmenge  des  Sommers  überhaupt  mit  der  Erhebung  über  der  Ebene  zu- 
nimmt. 


Landwirihschaft  —      254     —  LandwirthschafL 

Alle  die«e  im  Großen  hervortretenden  Erscheinangen  unterliegen  übrigens 
Je  nach  den  örtlichen  Verhältnissen,  wie  z.  B.  der  Nähe  großer  See^n,  ausgedehnter 
Wälder  oder  kahler  Gebirgsstöcke,  mannigfachen  Modifikationen,  deren  Zusammen- 
hang indessen  nur  auf  Grund  zahlreicher  spezieller  Beobachtungen  näher  dargethan 
werden  kann. 

Außer  den  erwähnten  Zuständen  greifen  auch  noch  besondere,  mehr  oder 
weniger  lokale  Vorkommnisse  mitbestimmend  ein  in  die  Gestaltung  der  klimatischen 
Beschaffenheit  und  in  die  Beziehungen  derselben  zur  Pflanzenkultur.  Bekannt 
sind  die  gewaltigen  Einflüsse  des  wärmespendenden  Föhns  auf  den  Verlauf  der 
Uebergänge  von  der  rauhen  Jahreszeit  zur  Herrschaft  des  Frühlings.  In  der 
That  wären  die  höheren  Lagen  des  Landes  ohne  die  Dazwischenkunft  dieser 
merkwürdigen  Erscheinung  der  Segnungen  einer  lohnenden  Landbewirthschaftung 
überhaupt  nicht  theilhaftig.  Im  engsten  Zusammenhange  mit  den  vorgeführten 
Verhältnissen  st^ht  das  namentlich  im  Grebirge  sehr  häufige  Vorkommen  reichlicher 
erfrischender  ThaufäUe.  Aber  auch  von  außergewöhnlichen  meteorischen  Vorgängen 
wird  die  Landwirthschaft  des  Landes,  freilich  in  sehr  verschiedenem  Grade,  be- 
troffen. In  einzelnen  Distrikten  werden  ihr  durch  die  häufige  Wiederkehr  zer- 
störender Hagelwetter  die  ärgsten  Verluste  verursacht,  in  anderen  hat  sie  mit 
der  Gefahr  zu  kämpfen,  bei  Entladungen  von  Hochgewittem  durch  üeber- 
<4chwemmungen  geschädigt  zu  werden,  und  wie  ruinös  ihr  leider  nur  zu  oft  das 
Auftreten  von  Spätfrösten,  sowie  von  frühen  und  späten  Schneefällen  werden 
kann,  das  lehren  die  Erfahrungen  insbesondere  aus  den  letzten  beiden  Dezennien. 
Es  sind  also  Unfälle  mannigfacher  Art,  auf  welche  gefaßt  zu  sein  ihr  die  eigen- 
artige, wesentlich  auch  von  den  orographi sehen  Verhältnissen  abhängige  Gestaltung 
des  Klimans  zur  Pflicht  macht,  Beschwerden,  deren  Bedeutung  für  die  Oekonomie 
der  Pflanzenkultur  ihren  Ausdruck  findet  in  der  Uebernahme  eines  größeren 
Risiko's. 

3)  Der  Boden. 

Es  ist  eine  kaum  zu  bewältigende  Aufgabe,  ein  alle  Einzelheiten  umfassendes 
Bild  von  der  Beschaffenheit  des  Kulturlandes  der  Schweiz  zu  entwerfen.  Ein 
derartiges  Tableau  müßte  eine  genaue  Darstellung  der  Entstehungs-  und  Lagerangs- 
verhältnisse des  Bodens,  der  Beschaffenheit  der  Gesteine,  aus  welchen  derselbe 
her\'orgegangen,  seines  Gehaltes  an  Gerüst-  (konstituirenden)  Bestandtheilen,  und 
im  Zusammenhange  damit  einen  Nachweis  der  Höhenlage,  des  Grades  der  Ab- 
dachung, der  Neigung  nach  der  Himmelsgegend,  der  Lage  zu  Gewässern  etc. 
umfassen.  Zur  Erlangung  einer  vollständigen  Uebersicht  über  diese  Verhältnisse, 
und  namentlich  zur  räumlichen  Abgrenzung  je  besonderer  Typen,  reicht  aber  das 
vorhandene  Beobachtungsmaterial  entfernt  nicht  aus.  Und  selbst  wenn  dasselbe 
in  erschöpfendem  Umfange  zur  Verfügung  stände,  so  würde  die  Anwendung  auf 
dif,  vorliegende  Aufgabe  geradezu  scheitern  an  der  erstaunlichen  Verschiedenheit 
der  thatsächliehen  Vorkommnisse. 

Ein  großer  Theil  des  Gebietes  der  Schweiz  ist  mit  Schwemmboden  (Fluth- 
schuttland)  bedeckt.  Hierher  gehören  die  Alluvionen,  welche  sich  in  verschiedener 
Mächtigkeit  über  die  Thalsohlen  ausbreiten  und  in  Ablagerungen  von  Dammerde, 
Torf,  Löß,  Lehm,  Sand  und  Kies  bestehen,  sodann  auch  alle  jene  feinerdigen 
Schichten,  welche  sich  als  Verwitterungsprodukte  von  den  anstehenden  Felsen 
abgelöst  untl  mit  Hülfe  des  Wassers  und  des  Windes  auf  den  tieferliegenden 
Terrassen  und  Plateaux  niedergelassen  haben.  In  einem  ausgedehnten  Gebiete 
des  Mittel hindes  kommen  diluviale  Ablagerungen  von  Kies  oder  Grand,  Saud, 
Thon,    Lehm,    Mergel  etc.    verschiedenen  Alters  vor.     Dieselben  liegen  auf  dem 


Land  wir  thschafl  —     255      —  Landwirthschaft 

Grundgesteil),  welches  hier  vorherrschend  aus  Molasse-Mergel  und  -Sandstein, 
vereinzelt  auch  aus  -Nagelfluh  besteht.  Diesen  Gebilden  reihen  sich  auch  die 
ungesohichteteu  erratischen  Massen  (Morainen)  an,  welche  nicht  sowohl  die  Niede- 
rungen, als  auch  die  höheren  Hügelgebiete  in  weitem  Umfange  bedecken  und 
entweder  unmittelbar  auf  der  Molasse  oder  auf  älteren  Eiesschichten  ruhen  und 
hier  und  da  auch  von  jüngeren  Bildungen  überlagert  sind. 

In  agronomischer  Beziehung  sind  unsere  Schwemmböden  im  Allgemeinen 
günstig  zu  beurtheilen.  Sie  sind  vorherrschend  tiefgründig,  indessen  wird  die 
Bearbeitung  derselben  durch  die  Neigungsverhältnisse  gar  nicht  selten  sehr  er- 
schwert. Die  leichteren  Böden  des  Landes  gehören  vornehmlich  ihnen  an.  Aus 
manchen  der  hierher  gehörigen  Bildungen  ist  jedoch  auch  ein  steifer,  schwerer 
Boden  hervorgegangen.  Mit  Ausnahme  der  humusreichen  Decke  der  Thalsohlen 
entbehren  die  Schwemmböden  wohl  nirgends  eines  angemessenen  Ealkgehaltes. 

Es  bereitet  begreiflich  meistens  große  Schwierigkeiten,  den  Schwemmboden 
hinsichtlich  seiner  Herkunft  genauer  zu  charakterisiren  und  daraus  Schlüsse  auf 
seine  Zusammensetzung  zu  ziehen,  weil  derselbe  nicht  mehr  auf  dem  Mutter- 
gesteine lagert,  welches  seine  Bestandtheile  geliefert  hat,  diese  also  von  sehr 
verschiedenen  und  oft  weit  auseinander  liegenden  Gesteinen  herrühren.  Anders 
gestaltet  sich  das  Verhältniß  bei  den  Verwitterung sböden  (Gruudschuttlaud), 
indem  sich  für  die  Beurtheilung  der  Beschaffenheit  derselben  allerdings  schon 
wesentliche  Anhaltepunkte  aus  der  Bestimmung  der  Art  des  Muttergesteines,  auf 
welchem  er  ruht,  gewinnen  lassen.  Aber  auch  in  dieser  Hinsicht  begegnet  man 
in  der  Schweiz  einer  erstaunlichen  Mannigfaltigkeit. 

Aus  der  Tertiärformation  sind  es  namentlich  die  Molasse-  und  Eocengebilde, 
welche  zur  Entstehung  des  Kulturbodens  hauptsächlich  zwischen  Jura  und  Alpen 
in  erheblichem  Umfange  unmittelbar  beigetragen  haben.  Erstere  treten  als  obere 
Süßwassermolasse  (Sandstein,  Mergel  und  Nagelfluh)  und  als  Meeresmolasse  vieler- 
orts im  Mittellande,  sodann  als  Glieder  der  unteren  Süßwassermolasse  (Sandstein, 
Mergel  und  Nagelfluh)  in  einem  unzusammenhängenden  Streifen,  welcher  von 
G«nf  'in  nordöstlicher  Richtung  bis  zum  oberen  Bodensee  reicht,  zu  Tage.  Letztere 
liefern  in  manchen  Gebirgsdistrikteu,  so  besonders  auf  einem  Striche,  welcher 
sich  von  Freiburg  und  dem  Berner  Oberlande  aus  nach  dem  Thuner-  und  Vier- 
waldstättersee  und  von  da  nach  dem  Wallensee  bis  in  das  st.  gallische  Rheinthal 
hinzieht,  in  dem  Nummulithenkalk  und  dem  bekannten,  leicht  verwitterbaren  Flysch 
ein  verbreitetes  Grundmaterial  für  den  Kulturboden.  Von  den  übrigen  Gliedern 
der  Sedimentgebilde  ragt  hinsichtlich  der  räumlichen  Ausdehnung  die  sekundäre 
Formation,  und  in  dieser  vorzugsweise  diejenige  der  Kreide  und  des  Jura  hervor. 
Die  Kreideformation  findet  sich  reich  und  massig  in  den  Kalkalpen  in  Freiburg, 
am  Thuner-  nnd  Brienzersee,  sodann  namentlich  in  den  Kautonen  Unterwaiden 
und  Schwyz,  in  Glarus  bis  gen  Appenzell;  die  Juraformation  längs  des  ganzen 
Westens  des  Landes,  auf  beiden  Ufeni  der  unteren  Rhone  und  in  den  Kantonen 
Freiburg,  Bern  und  Schaff  hausen.  Die  ebenfalls  noch  hierher  gehörende  Triasgruppe 
ist  hauptsächlich  nur  im  Gebiete  des  östlichen  Oberrheins  (Graubünden),  sodann 
auf  dem  linken  Rheinufer  oberhalb  Basel  und  am  Stockhom  bis  zum  linken  Rhone- 
nfer  vertreten.  Eine  Reihe  von  Sedimentgesteinen  unbestimmten  Alters  wird 
durch  grane  und  grüne  Thonschiefer,  graue  Kalksteine  und  Schieferthone  reprä- 
sentirt.  Sie  finden  sich  vornehmlich  stark  im  Osten  des  Landes,  so  auf  dem 
rechten  Ufer  des  Oberrheins  und  in  Wallis  auf  dem  linken  Ufer  der  oberen 
Rhone.  Das  Grundgesteiu  für  den  Boden  in  allen  übrigen  Gebieten  des  Lundes, 
80  insbesondere  in  einem  großen  Theile  des  Kantons  Tessin,    des  Engadins^   d^^ 


Landwirtbschafl  —      256     —  Landwirthachaft 

Kantons  üri,  dee  Bemer  Oberlandes  und  eines  Distriktes  auf  dem  linken  Bhone- 
ofer  bei  Martigny,  wird  dnrcb  krystallinische  Silicatgest«ine  (Glimmerschiefer, 
Gneise,  Protogyne,  Granite,  Syenite  etc.),  den  Hauptstoek  der  Zeiitralalpen, 
gebildet.  Bekanntlich  sind  mehrere  Glieder  dieser  großen  Gmppe  dorch  hohen 
Gehalt  an  Feldspath  aasgezeichnet,  in  welchem  Verhalten  es  begründet  ist,  daß 
sie  —  wie  bei  uns  namentlich  in  Tessin  —  ein  an  Nährstoffen  reiches  Ver- 
wittemngsprodukt  liefern. 

Schon  aus  dieser  kurzen  Darstellung  ii<t  ersichtlich,  daß  auch  die  Ver- 
wittemngsböden  der  Schweiz  sich  in  Bezug  auf  ihre  Konfiguration,  ihre  Greriist- 
bestandtheile,  ihre  chemische  Zusammensetzung,  ihre  Tiefgrttndigkeit,  den  Grad 
und  die  Richtung  ihrer  Abdachung  und  auf  die  von  diesen  Momenten  abhängige 
physikalische  Beschaffenheit  der  Krume  äußerst  mannigfach  gegen  einander  ab- 
stufen. Unter  allen  Umstünden  ist  ihr  Gehalt  an  eigentlichen  Nährstoffen  und 
daher  auch  die  Fruchtbarkcit^nlage  wesentlich  von  der  chemischen  Konstitution 
der  G^steinsunterlage  bedingt,  aus  deren  Verwitterung  sie  hervorgegangen  sind. 
Im  Allgemeinen  umfassen  sie  aber  das  schwerer  zu  bearbeitende,  vorherrschend 
flachgründige,  mit  GesteinstrUmmem  mehr  oder  weniger  durchsetzte,  jedenfalls 
höher  gelegene  und  daher  auch  klimatisch  minder  begünstigte  Land. 

In  Nachfolgendem  geben  wir  schließlich  noch  *)  eine  Uebersicht  über  die 
VertheUunt/  der  Gebinjsfoi'mationen  der  Schweiz  in  Hauptffrnppen.  Geht  man 
nämlich  aus  von  der  First  des  Landes,  welche  die  zentrale  Wasserscheide  enthält, 
und  folgt  man  einer  in  nordwestlicher  Richtung  durch  dieselbe  gelegten  Linie, 
Ko  zeigt  sich,  daß  die  verschiedenen  Gebilde  in  zouenartiger  Anordnung  an 
einander  schließ(^n.     Es  lassen  sich  alsdann  unterscheiden  : 

1.  Die  Zentralalpenzone,  vorherrschend  aus  kristallinischem  Silicatgestein 
bestehend,  mit  eingelagerten  Mulden  von  Kalk  und  Thonschiefer  (Bündner 
Schiefer  etc.). 
II.  Die  Kaiknipenzone,  mit  einer  Abzweigung  im  Süden  des  Landes.  Der 
nördliche  Gürtel  ist  sehr  ausgedehnt  und  besteht  aus  Jura-  und  Kreide- 
bilduiigen,  unter  welchen  vorherrschend  Kalksteine,  in  untergeordnetem 
Grade  thonige  und  kieselige  Kalke  auftreten.  Hier  kommen  Verwitterungs- 
(Ur-)  Böden  ziemlich  häutig  vor.  Auf  den  Terrassen  und  in  den  Thal- 
gründen finden  sich  starke  Beimengungen  von  Gletschersehutt  oder  Floß- 
anschwemmungen  aus  der  zentralen  Zone.  Die  im  Süden  auftretende 
Abzweigung  ist  weit  weniger  ausgedehnt  und  entbehrt  der  Bau  derselben 
auch  der  Symmetrie  mit  der  nördlichen  Zone.  (Die  anschließenden  jüngeren 
Glieder  [Nagolfiuh  und  Molasse]  sind  dort  von  dem  Diluvium  und  Alluvium 
der  Po-Ebene  überlagert.) 
III.  Die  Flyschzone.  Dieselbe  enthält  eocene  Mergel  und  Thonschiefer  mit 
eingelagerten  Kalkbänken  und  greift  vielfach  in  die  Kalkalpenzone  hinein. 
Es  finden  sich  häutig  fruchtbare  Flächen  von  Verwitterungsboden,  aber 
auch  Schuttauflagerungen  aus  der  I.  und  II.  Zone. 
IV»  Die  yagclfinhzone  zeigt  sich  durchgehends  gegen  die  Flyschzone  scharf 
abgegrenzt.  Das  Gestein  ist  mannigfach  zusunimengesetzt  und  besteht  aus 
zusammengekittetem  Gerolle  aus  den  Zonen  I,  II  und  III.  Nach  Norden 
gehen  die  Bildungen  allmählich  in  die  Sandsteine  und  Mergel  der  Molasse  über. 
V.  Die  Mohissezone  umfaßt  hauptsächlich  die  Sandsteine  und  Mergel  des 
Mittellandes.    Hier  und  da  ist  sie  mit  Verwitterungsboden  bedeckt,  weit 


';  Auf  Grund  einer  dankenswertlien  Mittheilung  von  Prof.  Dr.  A.  Heim  in  Zürich. 


Landwirthschaft  —      257      —  Landwirthschaft 

häufiger   aber   kommen  Auflagerungen   durch   Flußanschwemmungen    und 
Gletacherschutt  aus  den  Zonen  I — IV  in  derselben  vor. 
VI.  Die  Jurazone,    In  ihr  tritt  vorherrschend  Kalkstein,  in  untergeordnetem 
Grade  Mergel  auf,  indessen  im  südlichen  Theile  Auflagerungen  von  alpinem 
Gletscherschutt  aus  den  Zonen  I — IV  häufig  angetroffen  werden. 
Die  Gesteine  der  Zonen  I,    III  und  V  (Zentralalpen,    Flysoh  und  Molasse) 
sind  schwer  durchlässig  und  liefern  nur  kleine,  aber  zahlreiche  (Quellen  (Schutt- 
quellen) ;  in  den  Kalkzonen  II  und  VI  (alpine  und  Jura)  ist  dagegen  das  Gestein 
durchlässig,  kommen  trockene  Hochfiächen  häufiger  vor  und  finden  sich  weniger 
zahlreiche,  aber  starke  Quellen  in  den  Thalgründen. 

4)  Kulturregionen. 

In  einem  Lande,  in  welchem  auf  verhältnißmäßig  kleinem  Räume  die  be- 
deutendsten Erhebungsstufen  vorkommen,  müssen  sich  die  Einflüsse  der  seither 
geschilderten  Zustände  auf  den  Charakter  der  Vegetation  und  speziell  auf  die 
Verbreitung  der  Kulturpflanzen  in  auffallendster  Weise  zu  erkennen  geben.  That- 
sächlich  ist  kaum  ein  zweites  Gebiet  so  sehr  geeignet,  jenen  Zusammenhang  zu 
veranschaulichen,  als  gerade  die  Schweiz,  und  sind  deßhalb  auch  seither  schon 
von  verschiedenen  Seiten  üebersichten  zu  dem  Zwecke  geliefert  worden,  um  die 
Erscheinungen  im  Großen  mit  Rücksicht  auf  die  Gebirgsart,  die  Höhe,  das  Klima 
und  andere  wesentlich  positive  Merkmale  durch  Abgrenzung  von  Ver/etations- 
gürtein  und  bezw.  Kulturregionen  zur  Darstellung  zu  bringen. 

In  nachfolgendem  Bilde  soll,  unter  Anlehnung  an  die  Beobachtungen  und 
Vorschläge  der  Gebrüder  Schla(jintwtitj  von  Wahlenberg,  Unger,  Uegetschwyler, 
Heer,  Christ,  Berlepsch,  versucht  werden,  einen  üeberblick  über  die  ein- 
schlagenden Verhältnisse  zu  geben. 

In  dem  Schweizer  Gebiet  lassen  sich  füglich  sechs  Kulturregionen  unter- 
scheiden.   Sie  sind  : 

1)  Die  Tiefland-  oder  Hügelland-  (coUine)  Region.  Dieselbe 
reicht  von  der  tiefsten  Lage  am  Südalpenabhang  von  197  m  (Tessinthal  am  Lago 
Maggiore)  bis  auf  etwa  800  m  Höhe  und  umfaßt  in  der  Hauptsache  das  sog. 
Mittel-  oder  Flachland  zwischen  Alpen  und  Jura,  und  überhaupt  diejenigen 
Distrikte  des  Landes,  in  welchen  sich  noch  die  Bedingungen  für  eine  planmäßige 
Feldkultur  erfüllen.  In  der  That  haben  hier  fast  alle  Kulturpflanzen  des  mittleren 
Europa's  Aufnahme  gefunden.  Au  den  sonnigen  Hängen  der  tieferen  Lagen  be- 
gegnet man  einem  sorgfältigen  und  lohnenden  Betriebe  des  Weinbaifes,  in  den 
feuchteren  Thalsohlen  einem  reichen  Graswuchse,  dazwischen  auf  nassen  Gründen 
häufig  auch  Streuewiesen.  Alles  übrige,  einer  systematischen  Kultur  überhaupt 
zugängliche  Gelände,  soweit  es  nicht  durch  den  vorzugsweise  auf  Höhenrücken, 
nördliche  Hänge,  steile  Berglehnen  und  enge  Thaleinschnitte  etc.  beschränkten 
Waldbau  in  Anspruch  genommen  wird,  vertheilt  sich  eben  —  außer  auf  Gärten 
—  auf  Äcker-  und  Wiesland,  immer  aber  doch  so,  daß  dem  ersteren  nur  die 
trockeneren,  weniger  geneigten,  leichter  bearbeit baren,  besser  beleuchteten  und 
nicht  allzuweit  von  den  Gehöften  entfernten  Grundstücke  überwiesen  werden. 
Daa  Mittelland  bildet  zugleich  den  Hauptsitz  einer  schwunghaften  Obstkultur, 

Innerhalb  dieser  Region  läßt  sich  indessen  noch  ein,  zwar  nicht  über  größere 
zusammenhängende  Flächen  sich  ausdehnendes,  aber  doch  wohl  umschriebenes 
Gebiet  absondern,  welches  die  tiefer  liegenden  Landstriche  am  Südalpenabbange 
einschließt.  Christ  gab  ihm  die  Bezeichnung:  Insubrisches  Gebiet,  In  dasselbe 
fallen  die  Thallandschaften  an  der  Südgrenze  mit  ihren  Seegestaden ^  a\i&^<&TföV(^T\.^\. 

riinr«r,  Volkiwlrtbachaftn-Lexikon  der  Scbweix.  \J1 


lAii'SwiiÜL-^baift  —     258     —  Luidwirthselialt 

durch  die  L'«ppigkeit  des  Pflanzen wachaes  und  da«  Vorkommen  von  Gliedern  der 
Mittelmf^rflora.  Es  idnd  jene  gesegneten  Düftrikte,  in  welchen  vor  Allem  die 
H«b;f  diti  lfaull>eere  und  der  Xaii»  in  der  regelmäßigen  Kaltnr  vertreten  sind, 
aber  auch  der  Oelbaom,  die  Feige,  die  Granaten  and  die  Mandel  ohne  den 
iijifid*:iitcu  Schutz  zu  großer  Vollkommenheit  gedeihen,  and  selbst  Limonen,  Lor- 
Usereil,  (>|ireiM»en,  japaniflche  ML^peln  etc.  im  Freien  aashalten.  Anklänge  an  die 
»»ttdliche  Vegetation  dieber  von  der  Natur  ungewöhnlich  bevorzugten  untersten 
Thalht riebe  geben  »ich  übrigens  aach  noch  in  den  nördlich  anschließenden  höheren 
Thallagen  Tessins  zu  erkennen,  wo  z.  B.  noch  die  edle  Kastanie  in  größeren 
licHtäudcn  auftritt  und  förmliche  Waldungen  bildet.  Nach  dem  Westen  und  Norden 
deN  Landes  sich  erstreckende,  oasenartig  auftauchende  Ausläufer  des  insubrischen 
Gebietes,  in  welchen  noch  mehrere  besonders  widerstandsfähige  Typen  der  süd- 
liehen Flora  vorkommen,  gewissermaßen  vorgeschobene  Posten,  finden  sich  endlich 
im  unteren  Rhon(;thal  bis  Sitten,  längs  des  Jura  am  Neuenburgersee,  am  Thuner-, 
Vierwaldstätter-,  Samer-  und  Wallensee,  im  Rheinthal  etc.,  insbesondere  da,  wo 
das  Terrain  durch  Hochgebirge  geschützt  und  in  Folge  seiner  Neigung  gegen 
Hüdon  durch  eine  starke  Insolation  begünstigt  ist. 

2)  Die  montane  oder  Bergregion.  In  einer  Erhebung  von  etwa 
HOO  m  bis  1300  m  erstreckt  sich  dieses  Grebiet,  in  welchem  der  Mensch  noch 
bleibende  Wohnstätten  aufgeschlagen  hat,  vornehmlich  über  die  sog.  Maietisäße, 
Vorsäße,  Vorberf/e  oder  Voralpen,  Die  Hauptkulturart  bildet  hier  außer  dem 
Holzgrund  das  Grasland,  fast  ausschließlich  Berg  wiese  oder  unbewässerbare 
Matte,  welches  in  den  Weidedistrikten  meist  mit  Ende  Mai  für  einige  Wochen 
mit  Vieh  befahren  und  wiederum  im  FrUhherbste  bis  Ende  September  als  Weide 
benutzt  wird.  Zwischen  hindurch  dienen  die  Grasländer  auch  zur  Gewinnung  von 
DUrrfutter,  und  sind  daher  diese  Reviere  vielerorts  mit  zahlreichen  zerstreut 
liegenden  Ueusf^heuneu  und  Ställen  besetzt.  Die  Flora  des  Jura  gehört  vor- 
herrschend dieser  Zone  an.  Bei  durchschnittlich  etwa  1100  -1200  m  verschwindet 
hier  der  Obstbau  und  beginnt  in  mannigfachen  Spezies  die  Alpenflora.  Der  Wein- 
stock gelangt  nicht  mehr  zu  normalem  Gedeihen,  und  der  Nußbaum  und  selbst 
die  Zwetschge  bringen  nur  noch  in  geschützten  Lagen  reife  Früöhte.  In  der 
Hergregion  kommen  noch  alle  grasartigen  Getreidearten  und  die  ELartoifeln  fort, 
in  den  tieferen  Lagen  selbst  der  Mais.  Die  Entwicklung  des  Weizens  ist  aber 
über  die  obere  Grenze  hinaus  nur  ausnahmsweise  gesichert.  Der  Wald  bedeckt 
uiiHgedehnte  Flächen.  Dabei  bestehen  die  meisten  und  bedeutendsten  Waldungen 
aus  Nadelholz.  Im  Laubholzwald  tritt  die  Buche  und  der  Bergahorn  überwiegend  auf. 

3)  Die  subalpine  oder  untere  Alpenregion.  Reichend  über  die 
Höhen  von  1300  m  bis  1800  m,  umschreibt  sie  das  Gebiet  der  mittleren  Staffel 
(Mittolalpen).  In  sonnigen  und  geneigten  Lagen  wird  hier  das  Land  von  Mitte 
oder  Ende  Mai  bis  Oktober  schneefrei.  Die  weitaus  vorherrechende  landwirth- 
sohaft  liehe  Benutzung  des  Bodens  ist  die  zur  Gras  weide,  in  deren  Reviere,  ge- 
wissermaßen anlehnend  au  die  wenigen  kleinen  Dörfer  und  einsamen  Hütten, 
welche  noch  in  die  Mittelalpen  hinaufragen,  nur  vereinzelte  Getreide-  und 
Kartoffelfelder  eingesprengt  sind.  Aber  diese  Kulturen  reichen  nicht  überall  bis 
/.ur  oberen  (ironze.  Der  Auftrieb  des  Viehes  auf  die  Weide  —  dieselbe  bildet 
den  Haupt  bestand  der  Kuhalpen  —  beginnt  hier  um  die  Zeit  von  Mitte  bis 
Knde  Juni  und  dauert  die  Weidenutznng  nur  bis  Anfiuig  oder  Mitte  September. 
Die  Waldungen  bestehen  meist  aus  düsteren  Tannenforsten.  Die  Buche  ver- 
schwindet tast  ganz,  und  bildet  der  Bergahom  das  vorherrschende  Laubholz. 


Landwirtbschaft  —     259     —  Landwirthschaft 

4)  Die  alpine  Region.  Dieselbe  erhebt  sich  von  1800  m  bis  2300  m 
und  bildet  das  G-ebiet  der  oberen  Staffel  (Hochalpen),  welches,  soweit  die  land- 
wirthdchaftliche  Nutzung  in  Betracht  kommt,  fast  ausschließlich  der  Weide- 
wirthschaft  dient,  üeber  1800  m  kommen  Waldbestände  in  geschlossener  Form 
nur  in  geringer  Ausdehnung  vor.  Einzelne  Bauraarten  reichen  noch  bis  zu 
2275  m  nnd  darüber.  Ueber  den  Wäldern  wird  der  Boden  an  stark  geneigten 
und  stark  besonnten  Hängen  von  Ende  Juni  bis  Ende  September  schneefrei, 
indeß  an  schattigen  und  zugigen  Stellen  Schneegruben  gegen  die  Höhe  hin  den 
ganzen  Sommer  über  bleiben.  Die  Weiden,  welche  hauptsächlich  der  Sommerung 
von  Galtvieh  und  Schafen  dienen,  werden  erst  Ende  Juli  oder  Anfangs  August 
bezogen  und  bis  Anfang  September  benutzt.  Das  Rindvieh  begeht  dieselben  aber 
dorchschnittlich  nicht  in  Höhen  über  1950  m,  vereinzelt  freilich  auch  bis  auf 
2100  m  unfl  mehr,  mit  welcher  oberen  Grenze  daher  auch  diejenige  der  Senn- 
hütten zusammenfällt.  Darüber  hinaus  liefert  das  Gebiet  nur  noch  Raum  und 
Gelegenheit  zur  Weide  für  Ziegen  und  Schafe  (Schafalpen).  Die  eigentlichen, 
indessen  mehr  zerstreut,  als  in  Beständen  auftretenden  Bäume  sind  die  Lärche 
und  die  Arve  oder  Zirbel.  Sonst  kommen  hier  hauptsächlich  nur  noch  Alpen- 
sträucher  (Juniperus,  Rhododendron,  Azalea,  Vaccinium,  Salix,  Pinus  Pumilio 
[Legföhre])  vor. 

5)  Die  subnivale  oder  gebrochene  Schneeregion,  welche  sich 
von  etwa  2300  m  bis  auf  2800  m  erhebt,  bildet  „eine  nach  Ort  nnd  Umständen 
varürende  üebergangszone  zum  scheinbaren  Naturtode,  auf  welcher  mehr  als  ^4 
des  Terrains  mit  Gletschern,  Schneebuchten  und  felsigen  TrUmmerhalden  bedeckt 
bleibt.  An  besonders  günstigen  Stellen  verliert  sie  bis  Ende  Juli  das  Eiskleid, 
um  nach  8 — 10  Wochen  ein  neues  anzuziehen.*"  Alle  Baumformen  sind  hier 
gänzlich  verschwunden. 

6)  Die  nivale  oder  eigentliche  Schneeregion.  Sie  umfaßt  in 
einer  Höhe  von  2800  (2665—3090)  m  bis  4638  m  alles  Hochgebirge  und 
bekommt  nur  hier  und  da,  wo  die  Felsen  zn  steil  sind  und  die  Sonne  bei  dieser 
Höhe  noch  kräftig  wirken  kann,  im  August  noch  schneefreie  Stellen.  Uebrigens 
zeigt  gerade  diese  Region  das  Beispiel  auffallender  lokaler  Abweichungen.  So 
finden  sich  nach  Berlepsch  an  der  Südseite  noch  bei  3250  m  Oasen  von 
Phanerogamen,  giebt  es  über  der  Schneegrenze  noch  umfangreiche  Bergkuppen 
(nächst  dem  großen  St.  Bernhard  bei  2876  m),  welche  während  6 — 8  Wochen 
im  Sommei  eine  dichte  und  kräftige  Rasendecke  zeigen. 

Durch  die  vorliegende  gedrängte  Darstellung  der  thatsächlichen  Erscheinungen 
wird  zugleich  die  bekannte  Erfahrung  bestätigt,  daß  für  die  Abgrenzung  der 
verschiedenen  Yegetationsgürtel  nicht  bloß  die  absolute  Höhe,  sondern  auch  die 
mehr  oder  weniger  südliche  und  östliche  Lage  nnd  die  Richtung  und  Gestalt  der 
Berge  und  Thäler  von  Einfluß  sind.  Zur  weiteren  Yeranschaulichung  des  Ver- 
hältnisses mögen  sodann  noch  einige  übersichtlich  geordnete  Angaben  über  die 
Verbreitung    der  hauptsächlich  in  Betracht  kommenden  Kulturpflanzen  folgen :  ') 


^)  Die  einzelnen  Notirungen  beziehen  sich  da,  wo  keine  besonderen  Anmerkungen 
beigefögt  sind,  durchweg  auf  die  obere  Grenze,  und  durch  die  Angabe  zweier  Zahlen 
sind  die  Schwankungen  in  dieser  oberen  Grenze  angedeutet. 


Landwirtbschalt 


—      260     — 

Landwirthschatt 

Alpengruppen 

• 
• 

Nord- 
schweiz 

Dl 

Berner             Grau- 
AlptiU            bünden 

m                          lu 

WaUis 

Monte  Rosa 
u.  Montblanc 

m 

487—552 
780 
812* 
942« 
877-975 
1105 
1365  ^« 

552—617              750 
880                  910 » 
812—877  *          1040 
1300          1300-1365^ 
1235«              1332^ 
1527                1625 
1202-1267"       1516 

790-812 
975« 
1158 
1353 

11 
1564 

890 
975' 
1137-1202 

1981 
1560—1592 

1787" 

1949 

1949 

1949  "             1949  »• 
1982  *'            2047 "       ! 
1982«'»       2047—2079" 

2086 
2112—2161 

• 

2112 

2112^« 

2112" 

K)14— 2047  2112-2177"       2274** 
2664              2697  *«       2794-2859 

2226 

2768 

2437«* 
3087" 

1.  Weinstock     .    . 

2.  Kastanie  .     .     . 

3.  Nuiibaum      .    . 

4.  Kirschbaum  .    . 

5.  Birn-  u.  Apfelbaum 

6.  Getreide**    .    . 

7.  Buche  .... 

8.  Coniferen: 

a.  Pinus  Abies . 

b.  „     Larix . 

c.  «     Cembra 

9.  Grenze  der  Strauch- 
region .... 

10.  Schneegrenze 

Von  Einzelheiten  sei  noch  erwähnt,  daß  die  Kartoffeln  im  Durchschnitt  bis 
auf  1460 — 1625  m,  im  Kanton  Wallis  (Findelenthal)  nach  Schröter  und  Siebter 
bis  auf  2000  m  reichen,  ferner  die  obere  Grenze  für  Tabak,  Spargel,  Aprikosen, 
Pfirsiche  und  Quitten  in  Bünden  750  m  beträgt,  in  diesem  Kanton  innerhalb 
der  Bergregion  (800 — 1300  m)  noch  Kürbisse,  Artischocken,  Zwiebeln,  Cichorien 
und  Buchweizen,  bei  1740  m  (im  Engadin)  noch  Erbsen  und  Blumenkohl  an- 
getroffen werden,  und  anderwärts  im  alpinen  Gebiet  Weißrüben  bis  auf  2015, 
Salat  und  Spinat  sogar  bis  auf  2045  m  reichen.  Nach  Heer  kommen  Bohnen 
in  Glaruö  noch  bei  845  ra,  in  Graubünden  bis  1040  m  vor,  und  ist  die  obere 
Grenze  für  Kohl,  Kabis,  Feldbohnen  und  Hanf  dort  1462,5,  hier  1625  m. 


5)  Bevölkerung. 
Nach  dem  Ergebnisse  der  letzten  Volkszählungen  betrug: 


1850—1860  . 
1860—1870  . 
1870—1880  . 
1850—1880  . 

Bezogen  auf  den  Flächeugehalt,  war  somit  im  Jahre  1880  die  Bewohner- 
zahl: Pro  1  km^  des  gesammten  Areals  (ohne  die  See'n)  71,  pro  1  km*  produk- 
tiven Landes  96. 


die  ortsanwesende 

Bevölkerung : 

1850  . 

.     2^392,740 

1860  . 

.      2'507J70 

IbTO  . 

.     2^669,147 

1880  . 

.     2'846,102 

Zunahme  ] 

per  Jahr : 

Absolut 

In  0/0 

10,668 

0,44 

16,238 

0,63 

17,695 

0,64 

14,867 

0,57 

*  Im  sudlichen  Graubünden.  —  ^  In  sehr  günstigen  Lagen.  —  *  Am  südlichen 
Monte  Rosa.  —  *  Maximum  in  Glarus  845  m,  am  Wallensee  940  m.  —  *  Maximum  in 
einem  Thalkessel  gegen  S.-W.  1170  m.  -  ®  Maximum  1105  m,  in  Glarus  1140  m.  — 
^  Maxiraum  1460  m.  —  *  Mittlere  Grenze.  —  ®  Apfelbaum  in  Graubünden  nach  Heer 
1140  m.  —  *®  Als  durchschnittliche  Obergrenze  gilt  für  Weizen  1300  m,  för  Gerste 
1835  m,  für  Roggen  und  Hafer  in  Graubünden  (nach  Heer)  1625  m,  für  Mais  810—880  m 
(in  Graubünden  750  m).  —  ^Mn  Wallis  Weizen  bis  auf  1320,  ausnahmsweise  2000  m, 
ebenso  Rog^'en  1370  m,  höchste  Grenze  desselben  2100  m  (nach  Schröter  und  Stehler). 

-  ^'^  Maximum  1495—1560  m.  —  "  Maximum  1462  m  (selten).  —  **  Maximum 
1884—1950  m.  —  '*  Maximum  2014-2047  m.  —  ^**  Maximum  2144  m.  —  "  AUgem. 
Maximum  2014—2047  m.  —  »«  Maximum  2075—2310  m.  —  »®  Maximum  2275-2325  m. 

-  ^"  Maximum  2112  m.  —  -'  Maximum  2274—2307  m.  —  "  Maximum  2274-2323  m. 

-  -''  Maximum  2274  m.  «*  Wachholder,  obere  Grenze  2599-2697  m.  —  **  Rhodo- 
dendron am  Monte  Rosa  2885  m.  —  "  Stellenweise  2729  m.  —  "  Südlich  am  Monte  Rosa. 


Landwirthschaft  —      261     —  Landwirthschaft 

Um  aber  das  Verhältniß  der  Bevölkerungsdichtigkeit  zar  landwirthschaft- 
lichen  Produktion  zum  Ausdruck  zu  bringen  und  an  solches  weitere  Schluß- 
folgerungen zu  knUpfen,  bt  es  erforderlich,  die  Zahl  der  Bewohner  lediglich  auf 
die  landwirthschaftlich  benutzte  Bodenfläche  zurückzuführen.  In  dieser  Beziehung 
ergiebt  sich,  daß  auf  1  km^  (100  ha)  dieser  Fläche  (21784,8  km^)  durchschnittlich 
131  Einwohner  leben.  Sehr  bemerkenswerth  ist  indessen,  daß  sich  die  Bevölkerung 
in  den  einzelnen  Kantonen  höchst  ungleich  über  den  landwirthschaftlichen  Kultur- 
boden vertheilt.  Stellt  man  beispielsweise  die  Ergebnisse  —  abgesehen  von  den 
Stadtkantonen  Basel  und  Genf  —  für  je  einige  der  dichtest  und  der  schwächst 
bewohnten  Kautone  einander  gegenüber,  so  zeigt  sich,  daß  auf  1  km'  Bewohner 
kommen  in: 

Aargau  .     .     .     .  219 

Baselland     .     .     .  214 

Tessin     ....  99 

ünterwalden    .     .  81 

Welche  Stellung  die  Schweiz  in  Bezug  auf  jenes  Verhältniß  einnimmt,  wird 
am  besten  durch  den  Vergleich  mit  anderen  Ländern  veranschaulicht.  Zu  diesem 
Zwecke  mag  hier  beispielsweise  die  Notiz  Aufnahme  finden,  daß  sich  für  je 
1  km^  landwirthschaftlich  benutzten  Boden  Einwohner  berechnen  in: 


Neuenburg  .     .     .  300 

Zürich    ....  282 

Appenzell  A.-Rh.  .  279 

Schaff  hausen     .     .  228 


Uri 64 

Wallis      ....  57 

Obwalden      ...  56 

Graubünden  .     •     •  33 


Deutschland 122 

Frankreich 112 

Oesterreich  Ungarn      ...  98 

Rußland 56 


Belgien 298 

Sachsen  (Königreich)  .     .      .  286 

Großbritannien  und  Irland   .  186 

Württemberg 158 

Wird  nun  von  der  bekannten  Thatsache  ausgegangen,  daß  die  räumlich 
gebundene  Landwirthschaft  immer  nur  eine  begrenzte  Zahl  von  Bewohnern  in 
sich  aufnehmen  und  festhalten,  ein  starkes  Anwachsen  der  Bevölkerung  also  nur 
in  der  Ausbreitung  anderer  Erwerbszweige  beruhen  kann,  so  lassen  sich  aus  dem 
Verhältnisse,  in  welchem  die  Seelenzahl  sich  über  den  landwirthschaftlichen 
Kulturboden  vertheilt,  oder  aus  der  Größe  der  Fläche  dieses  Landes,  welche  im 
Durchschnitt  auf  einen  Bewohner  trifft,  Schlüsse  auf  den  Umfang  ziehen,  in 
welchem  die  industrielle  Thätigkeit  neben  der  landwirthschaftlichen  vertreten  ist. 
In  der  oben  mit  den  höchsten  Bevölkerungsziffern  aufgeführten  Reihe  figuriren 
Länder,  in  welchen  die  Fabrikation  und  der  Handel  notorisch  ein  bedeutendes 
Uebergewicht  vor  der  Beschäftigung  in  der  Landwirthschaft  haben,  die  Erträge 
de«  von  dieser  bebauten  Landes  also  auch  nnzureichend  sind,  um  den  Bedarf  der 
Bevölkerung  zu  decken.  Nach  dem  Flächenraume  an  sich  betrachtet,  schließt 
sich  die  Schweiz  denselben  zwar  unmittelbar  an.  In  Rücksicht  aber  darauf,  daß 
hier  ein  sehr  umfangreiches  Gebiet  des  landwirthschaftlich  benutzten  Bodens  — 
insonderheit  in  den  Alpen  —  wegen  seiner  ungünstigen  Naturbeschaffenheit  auf 
einer  nur  sehr  geringen  Stufe  der  Ergiebigkeit  steht,  kann  von  einem  zutreffenden 
Vergleiche  mit  anderen  Ländern,  bei  welchen  ganz  abweichende  Bonitätsgrade 
des  landwirthschaftlichen  Kulturbodens  vorausgesetzt  werden  müssen,  kaum  die 
Rede  .sein.  Wollte  man  dieserhalb  unter  Berufung  auf  allgemeine  Anschauungen 
durch  entsprechende  Reduktion  der  Fläche  eine  Korrektur  vornehmen,  nun,  so 
würde  man  zu  der  Ueberzeugung  gelangen,  daß  die  Schweiz  sich  hinsichtlich 
der  Bevölkerungsdichtigkeit  relativ  zum  lamlwirthschaftlich  benutzten  Boden  an- 
nähernd verhält,  wie  die  ausgesprochensten  Industriestaaten  unseres  Erdtheils. 
Diese  Auffassung  gewinnt  übrigens  eine  direkte  Bestätigung  in  anderweitigen 
statistischen  Ermittlungen. 


1870 

1880 

43,845 

41,048 

35,521 

37,170 

8,897 

11,18» 

Landwirthschafl  —     262     —  Landwirthschaft 

Die  gesammte  Bevölkerung  des  Landes  (Beruftreibende,  Angehörige  und 
Hausgesinde)  vertheilte  sich  (nach  den  Angaben  in  der  Abhandlung  „Berufs- 
verhältniflse'')  auf  die  Haupterwerbsgruppen  in  Prozenten  wie  folgt: 

1)  Urproduktion    (Bergbau,    Landwirthschaft    und  ^^^^ 
Viehzucht,  Forstwirthschaft,  Jagd  und  Fischerei)  46,i8i 

2)  Industrie 35,49o 

3)  Handel  und  Verkehr 8,845 

4)  Andere  Erwerbs-  und  Berufszweige  (öflPentl.  Ver- 
waltung, Wissenschaften  und  Künste,  persönliche 

Dienste  und  ohne  bestimmte  Berufsangabej   .     .  9,984        12,2S7        10,598 

100,000     100,000      100,000 

Da  nun  von  der  2iahl  derjenigen  Bewohner,  welche  den  Gewerben  der  Ur- 
produktion angehören,  nur  ein  sehr  geringer  und  im  Allgemeinen  nur  wenig 
schwankender  Antheil  (etwa  1 — 2  ^/o)  außerhalb  der  Landwirthschaft  steht,  so 
mögen  jene  Ziffern  annähernd  auch  für  das  landwirthschaftliche  Grewerbe  zutreffen. 
In  der  That  ergaben  die  direkten  Ermittlungen  für  das  Zähljahr  1880,  daß  die 
Landwirthschaft  in  der  gesammten  Bevölkerung  (2' 846, 102)  nur  mit  1*138,678 
Personen  oder  mit  40,01  ^/o  vertreten  war,  und  daß  in  der  landwirthschaftlichen 
Bevölkerung  sich  fanden: 

Erwerbtreibende       .     .     .        546,462     =     47,99  7o 

Hausgesinde 28,031     =       2,46  7o 

Angehörige  ohne  Erwerb  .        564,185     =     49,55  7o 

1' 138,678     =  100,00  7o 

Anläßlich  der  schweizerischen  Viehzählung  im  Jahre  1886  wurde  auch  die 
2iahl  der  Viehbesitzer  ermittelt.  Dabei  zeigte  sich,  daß  im  Ganzen  289,274 
Personen  sich  mit  der  Viehhaltung  befasseu,  und  von  denselben  258,639  Per- 
sonen (89,4  7o)  zugleich  Landwirthschaft  betreiben,  dagegen  in  30,635  Fällen 
(10,6  7o)  mit  dem  Viehbesitze  kein  landwirthschaftliches  Gewerbe  verbunden  war. 
Im  Jahre  1880  wurde  konstatirt,  daß  auf  je  100  Bewohner  21,4  Haushaltungen 
kamen.  Legt  man  dieses  Verhältniß  auch  für  das  Jahr  1886  unter  Berück- 
sichtigung des  mittleren  Bevölkerungszuwachses  im  letzten  Dezennium  zu  Grunde, 
so  berechnet  sich  die  Gesammtzahl  aller  Haushaltungen  auf  628,555,  und  ergiebt 
sich  sonach,  daß  die  Zahl  der  viehbesitzenden  und  Landwirthschaft  treibenden 
Haushaltungen  (258,639)  nahezu  41,1  7o  aller  ELaushaltungen  betrug,  ein  Ver- 
hältniß, welches  sich  mit  den  Resultaten  der  direkten  Erhebung  nahezu  deckt, 
üebrigens  ist  man  berechtigt,  diese  Zahlen  auch  auf  die  grundbesiteenden  Haus- 
haltungen anzuwenden.  Denn  wenn  auch  die  Landwirthschaft  auf  mieth weise 
erworbenem  Lande  betrieben  wird,  und  daher  nicht  alle  Landwirthe  zugleich 
Grundbesitzer  sind,  so  wird  das  vorliegende  Ergebniß  durch  derartige  Fälle  doch 
nicht  wesentlich  verschoben,  weil  die  Pachtwirthschaften  in  der  Schweiz  zu  den 
selteneren  Erscheinungen  gehören. 

Bringt  man  endlich  noch  die  Zahl  der  der  Landwirthschaft  angehörenden 
Bewohner  mit  der  dieser  dienenden  Eulturfläche  in  Zusammenhang,  so  ündet 
man,  daß  auf  je  1  km^  (100  ha)  des  landwirthschafllich  benutzten  Landes  12 
landwirthschaftliche  Betriebsstellen  vorkommen,  und  52  Menschen  ihren  Lebens- 
unterhalt durch  die  Benutzung  des  Bodens  finden. 

Die  aus  den  vorliegenden  Erhebungen  unzweifelhaft  hervorgehende  Thatsache, 
daß  sich  die  Landwirthschaft  treibende  Bevölkerung  in  der  Schweiz  gegenüber 


Luidwirthschafl  —      263     —  Landwirthschaft 

den  Angehörigen  anderer  Erwerbszweige  sehr  in  der  Minderheit  befindetf  wird 
sohließlioh  auch  noch  durch  die  Ergebnisse  der  Handelsstatistik  vollends  erhärtet. 
Je  mehr  in  einem  Lande  die  außerhalb  der  Bodenkultur  stehenden  Gewerbe  zum 
üebergewichte  gelangen,  desto  weniger  ist  die  Landwirthschaft  im  Stande,  die 
für  die  stark  anwachsende  Bevölkerung  erforderlichen  Nahrungsmittel  zu  erieugen, 
desto  entschiedener  muß  sich  daher  auch  das  Bedürfniß  einer  Einfuhr  an  Er- 
zeugnissen des  Bodens  von  Außen  geltend  machen.  Dieser  Fall  liegt  für  die 
Schweiz  in  der  That  vor.  Denn  es  belief  sich  die  Mehr-Einfuhr  (Ueberschuß 
der  Einfuhr  über  die  Ausfuhr)  an  landwirihschaftlichen  Produkten  im  rohen 
und  verarbeiteten  Zustande  auf: 

Im  Granzen :        Per  Kopf  der  Bevölkerung : 

1885  .  ,  Fr.  131'188,635         Fr.  45 

1886  .  .   „  153'509,031  «  52 

Es  sind  das  Beträge,  welche  ein  Defizit  in  der  Versorgung  des  Landes  von 
etwa   Vb — ^/i  des  gesammten  Bedarfes  der  Bevölkerung  zu  bedeuten  haben. 

Der  Entwicklungsgang,  welcher  sich  in  diesen  Ergebnissen  ausspricht,  ist 
aber  bis  jetzt  keineswegs  zu  einem  Stillstande  oder  Abschlüsse  gediehen.  Denn 
die  oben  mitgetheilten  Ziffern  über  die  Zunahme  der  Bevölkerung  beweisen,  daß 
diese  seit  dem  Jahre  1850  in  von  Jahrzehnt  zu  Jahrzehnt  steigenden  Propor- 
tionen angewachsen  ist,  wenn  auch  bemerkenswerth  bleibt,  daß  die  Bewegung 
der  zweiteu  Periode  (1860 — 1870)  von  derjenigen  des  jüngsten  Dezenniums 
(1870 — 1880)  nicht  in  dem  Verhältnisse  überholt  wurde,  wie  dieselbe  dem 
Zuwachs  im  ersten  Zeiträume  (1850 — 1860)  vorauseilte. 

Dasselbe  Bild,  welches  die  Vergleichung  der  ganzen  Schweiz  mit  Ländern 
vorherrschend  agrikoler  Bevölkerung  darbietet,  wiederholt  sich,  wenn  man  die 
Stellung  betrachtet,  welche  die  einzelneu  Landestheile  in  Bezug  auf  die  Erwerbs- 
richtung zu  einander  einnehmen.  Wir  haben  Distrikte,  deren  Bevölkerung  weit 
überwiegend  auf  die  Beschäftigung  in  Industriegewerben  angewiesen  ist,  neben 
solchen,  in  welchen  andere  Gewerbe,  als  diejenigen  der  Rohstotterzeugung,  bezw. 
der  Landwiithschaft,  eine  erhebliche  Ausdehnung  nicht  haben  finden  können.  Zu 
den  ersteren  zählen  vornehmlich  die  mit  Verkehrsmitteln  reichlicher  ausgestatteten, 
dichter  bewohnten  Kantone  des  Flachlandes,  von  dem  Alpengebiete  nur  Appen- 
zell A.-Rh.  und  Glarus;  die  vorhen-schend  agrikolen  Landestheile  dagegen  sind 
fast  ausschließlich  durch  die  Gebirgskantone  vertreten.  Ein  mittleres  Verhältniß 
wird  in  den  Kantonen  Bern,  Luzeru,  Zug,  Solothurn  und  Waadt  angetroifen. 
Ans  dem  Umstände  aber,  daß  die  Erwerbsverhältnisse  in  dem  immerhin  aus- 
gedehnten Gebiete  vorwaltend  landwirthschaftlichen  Charakters  nicht  mehr  in  dem 
gesammten  Ergebnisse  zum  Durch bruch  gelangen,  darf  der  Schluß  gezogen  werden, 
daß  die  industrielle  Beschäftigung  in  den  gewerb  reichsten  Landestheilen  unge- 
wöhnlich stark  in  den   Vordergrand  tritt. 

Unverkennbar  üben  die  hier  geschilderten  Verhältnisse  einen  durchgreifenden 
Einfluß  nicht  allein  auf  den  Wohlstand  de«  Landes  überhaupt,  sondern  auch 
insbesondere  auf  den  Betrieb  der  Landwirthschaft.  Denn  das  der  industriellen 
Entwicklung  folgende  Zusammendrängen  der  Bewohner  bedingt  einen  stärkeren 
Konsum  an  Erzeugnissen  des  Bodens  im  Inlande;  es  ruft  dasselbe  einen  lebhafteren 
Absatz  in  solchen  hervor;  die  Landwirthschaft  wird  dem  Markte  näher  gerückt, 
und  da  sich  behufs  Ergänzung  der  einheimischen  Produktion  das  Bedürfniß  einer 
Einfuhr  an  Lebensmitteln  geltend  macht,  so  muß  der  Preis  für  diese  gegenüber 
dem  Auslände  um  den  Betrag  der  Bezugsspesen  steigen.  Dieses  Verhältniß  be- 
günstigt wiederum  überall  da,  wo  nicht  die  natürliche  Beschaffenheit  des  Bodens 


Landwirthschaft  —     264     —  Landwirthschaft 

und  Elima'8  einengende  Schranken  neht,  also  namentlich  im  Flachlande,  das 
Streben  nach  einer  intensiveren  Grestaltnug  der  Bodenkultur.  Im  Zusammenhange 
mit  diesen  Vorkommnissen  steht  aber  aucb  die  Thatsache,  daß  die  Ausdehnung 
der  induHtriellen  und  kommerziellen  Thätigkeit  den  Grewerben  der  Bodenkultur 
zahlreiche  Arbeitskräfte  entzogen  hat  und  noch  entzieht.  Im  Gesichtspunkte  der 
allgemeinen  Interessen  der  Erwerbsgesellschaft  wird  man  geneigt  sein,  diese 
Erscheinung  in  so  fern  als  eine  wohlthätige  zu  betrachten,  als  sie  Angesichts  der 
geringen  Dehnbarkeit  der  Arbeitsgelegenheiten  in  der  Landwirthschaft  einer 
Zunahme  der  Auswanderung  entgegenwirkte  und  die  Bevölkerung  im  Ganzen 
der  Vortheile  erleichterteren  und  lohnenderen  Erwerbes  theilhaftig  werden  ließ. 
Nichtsdestoweniger  bleibt  die  Erfahrung  bestehen,  daß  die  Landwirthschaft  der 
Schweiz,  natürlich  wiederum  am  meisten  in  der  Umgebung  der  großen  Verkehrs- 
zentren, sich  mit  dem  Faktor  relativer  Seltenheit  der  Arbeitskräfte  und  bedeutender 
Lohnhöhe  abzufinden  hat.  Nicht  minder  hat  der  gleiche  Entwicklungsgang  seinen 
Einfluß  auf  den  Verkehr  in  Liegenschaften  geübt,  indem  der  Verdienst  in  der 
Industrie  zahlreiche  Arbeiter  in  den  Stand  setzte,  die  in  Folge  der  freien  Theil- 
barkeit  der  Grundstücke  häutig  gebotene  Gelegenheit  zur  käuflichen  Erwerbung 
von  Land  zu  benutzen  und  die  Bewirthschal'tung  desselben  mit  der  Beschäftigung 
in  den  technischen  Gewerben  zu  verbinden.  Aus  bekannten  und  naheliegenden 
Gründen  erfüllen  sich  in  derartigen  Oekonomieen  die  Voraussetzungen  für  eine 
Verminderung  der  Kosten  der  landwirthschaftlichen  Produktion.  Dieses  sehr  häufig 
anzutretlende,  beispielsweise  im  Kanton  Zürich  auf  11,3  "/o  aller  Haushaltungen 
ausgedehnte,  im  Lichte  der  volkswirth^chaftlichen  Interessen  gleichfalls  günstig 
zu  beurtheilende  Vorkommen  hat  allerdings  in  den  gewerbereichen  Gegenden  des 
Landes  zur  Vertheuerung  der  Grundstücks  preise  wesentlich  beigetragen. 

6)  Die  Vert Heilung  des  Grundbesitzes. 

Die  Zustände  in  der  Vertheihmg  des  Besitzes  am  Grund  und  Boden  lassen 
hioh  von  verschiedenen  Gesichtspunkten  betrachten.  Man  kann  hierbei  nämlich 
von  dem  Verhältnisse  ausgehen,  in  welchem  sich  die  Landgüter  nach  den  Kultur- 
arten des  landwirtliHchaftlich  benutzten  Bodens  zusammensetzen,  aber  auch  an 
die  verschiedenen  Arten  und  Formen  des  Eüfenlhums  anknüpfen,  in  welche  der 
Landbesitz  zerfallt.  Und  faßt  man  insbesondere  das  Prioateiftenthnm  in's  Auge, 
so  bildet  schließlich  noch  der  Nachweis  der  Größe  des  in  je  einer  Hand  be- 
findlichen Besitzes j  sowie  der  Zakl  der  zu  einem  Besitzthum  gehörenden  einzelnen 
(rilterstürke  (Parzellen)  und  der  Lof/e  derselben  zu  einander  eine  wichtige  Grund- 
lage für  die  Beurtheilung  der  ökonomischen  Verfassung  des  Landbaues.  Es  soll 
darum  auch  in  Nachfolgendem  versucht  werden,  dem  Gegenstände  in  allen  den 
angedeuteten  Beziehungen  durch  eine  gedrängte  Darstellung  näher  zu  treten. 
Leider  aber  kann  es  sich  hierbei  um  kaum  mehr,  als  um  einige  Streiflichter 
handeln.  Denn  gerade  auf  diesem,  durch  seine  Tragweite  unzweifelhaft  hervor- 
ragenden Gebiete  begegnet  man  den  ärgsten  Mängeln  und  Lücken  unserer  Agrar- 
statistik,  einer  Erscheinung,  welche  zunächst  ihren  Grund  darin  hat,  daß  in  der 
Mehrzahl  der  Kantone  eine,  vollständige  Katastervermessung  bis  jetzt  noch  nicht 
durchgeführt  ist. 

ti.  Verthvilun(/  des  (hnndbesitzes  nach  den  Kulturarfen.  Die  hierauf 
hezügliehen  zusammenfassenden  amtlichen  Angaben,  von  welchen  bereits  die  Rede 
war,  unterscheiden  hei  dem  produktiven  Areal  nur  zwischen  dem  (^von  unseren 
Hotraditungen  auszuschließenden)  Waldgebiete,  den  Rebbergen  und  dem  ander- 
w.Mten    (landwirthscliaftlieh    benutzten)  Lande.     Aus    ihnen    ist    also  der  Antheil 


Landwirth3chaft  —     265     —  Landwirthschaft 

nicht  zu  ersehen,  welcher  im  Einzelnen  auf  die  Wiesen,  die  Weiden,  das  Acker' 
und  das  Q-artenland  entfällt.  Von  einer  besonderen  Ausscheidung  auch  der 
Torßtiche  und  der  Streueriedter  ist  vollends  keine  Rede.  Das  Bedttrfniß,  über 
die  Yertheilung  dieser  Eulturarten  einigermaßen  Klarheit  zu  erlangen,  ist  aber 
schon  lange  empfunden  worden,  und  folgten  der  Aeußerung  desselben  auch  wieder- 
holte Versuche  einer  eingehenden  Darstellung  des  Verhältnisses.  Nach  Lage  der 
Sache  hat  es  sich  hierbei  aber  nur  um  Annäherungswert  he  handeln  können,  und 
lauten  die  gewonnenen  Resultate  so  verschieden,  daß  man  sich  des  Eindruckes 
von  einer  ausgiebigen  Inanspruchnahme  des  Schätzungsverfahrens  nicht  erwehren 
kann.  Wir  stellen  in  Nachfolgendem  diejenigen  Zahlen  zusammen,  welche  uns  in 
bekannteren  Schriften  über  diese  Materie  begegnet  sind,  und  gestatten  uns,  denselben 
einige  Werthe  anzureihen,  welche  wir  auf  Grund  verschiedener  Kombinationen 
geglaubt  haben,  den  übrigens  in  neuerer  Zeit  von  mehrfachen  Wandlungen  be- 
trotiPenen  Verhältnissen  wenigstens  annähernd  entsprechend  zu  finden.  Natürlich 
folgen  dieselben  mit  allem  Vorbehalt.  ') 

Hiernach  vertheilt  sich  die  Fläche  des  landwirthschaftlich  benutzten  Landes  also : 

Vi»lk8w.-  AniiHhoriiile.H 

EniniiiiK-  t    u    u       u     i       ^i  Mühl»-  Lf>xiki>ii  Mittel  : 

hiiUM  '  mann  (i>hcIi  aniti.         ..      ,    .      In  Pro- 

liii  liit  iiH  ha  li.i  ha  (iiind) 


1)  Rebland  . 

2)  Ackerland 

3)  Oartenland 

4)  Wiesen    . 

5)  Weiden   . 


I  31,979    35,530  35,530  1,6 

65JO,197   612,000  600,000  604,699 1  621,000  28,5 

637,200  036,480  (•>95,236  r  ^*^'^^'  695,0(X)  31,9 

792,000  792,000  794,291  I  795,000  36,5 


r  488,474 


1 


^blmuUt^^  2'041,200   2UJ8,480   2'186,205    2M78,480   2'178,4S0  100,0 

Bei  Betrachtung  dieser  Zahlenergebnisse  springt  vor  Allem  die  Thatsache 
in  die  Augen,  daß  das  Grasland  (Wiesen  und  Weiden)  die  weitaus  vorherrschende 
Kulturart  des  landwirthschaftlich  benutzten  Bodens  bildet  und  vollauf  zwei  Drittel 
dieses  Areals  in  Anspruch  nimmt,  und  ferner,  daß  weit  mehr  als  die  Hälfte  des 
Graslandes  als  natürliche  Weide  bi^uutzt  wird.  Dieses  auf  den  ersten  Blick  auf- 
fallende Verhältniß  ist  ganz  wesentlich  in  der  eigenartigen  Beschatl'enheit  des 
Klimans  und  des  Bodens  des  Landes  begründet,  welche  den  Graswuchs  in  einer 
seltenen  Weise  begünstigt,  aber  auch  —  besonders  mit  Rücksicht  auf  die  reichen 
Niederschläge  und  auf  die  Lage  des  Terrains  —  eine  verhältnißmäßig  wohlfeile 
Produktion  gerade  in  der  Wiesen-  und  Weidewirthschaft  bedingt.  In  der  Art 
der  Ausbreitung  dieser  Betriebsweise  offenbart  sich  in  hervortretendem  Grade  das 
BedUrfniß  und  das  Vermögen  der  Landwirthschaft,  sich  den  gegebenen  Umständen 
anzupassen.  Das  Ueberge wicht  der  Benutzung  des  Bodens  zur  Graserzeugung 
beginnt  mit  der  Annäherung  an  das  Gebirge,  es  folgt  zunächst  den  Ebenen  und 
Hängen  der  wasserreichen  Thaleinschnitte,  besonders  den  Ufern  der  See'n,  zeigt 
sich  namentlich  zuerst  auf  dem  nach  Nordwesten,  Norden,  Osten  bis  Südosten 
abfallenden  Gelände  und  auf  feuchten  und  kalkhaltigen  Gründen.  Begünstigt  wird 
es  rUcksichtlich  der  Beschaffung  der  Handarbeitskräfte  im  größeren  Besitzstande. 


*)  Die  benutzten  Zahleti  finden  f?ich  in:  1)  „Die  schweizerische  Volkswirths<*hall*, 
von  Dr.  C.  B,  A.  Emminghaus,  I.  Band.  Leipzijjr:  2)  ,Landwirtijschaftliches  Lesebuch*, 
von  Dr.  jP.  v.  Tschudi.  Gekrönte  Preisschril'l.  Frauen  leid ;  3)  „ScLweizorkunde,  Land 
und  Volk,  übersichtlich  dargestellf*,  von  H.  A.  Brrlcpuch.  Braunschweitr ;  4)  lieber 
die  Produktion  der  liandwirlh^chatl".  Referat  von  C.  MUhUmami.  Zeitschrift  für  schwei- 
zerische Statistik.    1886. 


Landwirthschaft  —     266     —  Landwirthschaft 

Mit  dem  weiteren  AufiBteigen  in  die  höheren  Lagen  —  die  Alpen  —  gewinnt  die 
GraBnutzung  des  Bodens  immer  mehr  die  Oberhand ;  zu  ihren  Gunsten  werden  die 
Kulturpflanzen  des  Feldes  nach  und  nach  ganz  aus  dem  Dienste  der  Landwirth- 
schaft entlassen,  bis  diese  schließlicli  nur  noch  in  der  reinen  Gras-  und  Weide- 
wirthschaft  gipfelt.    So  will  es  einmal  der  Zwang  der  natürlichen  Verhältnisse! 

Das  Ackerland,  welches  demgemäß  im  Allgemeinen  stark  zurücktritt  und 
sich  im  Wesentlichen  auf  die  ebeneren,  trockeneren  und  sonnigeren  Lagen  und 
den  milderen  Boden  des  Flachlandes  beschränkt,  dient  auf  etwa  der  Hälfte  seiner 
Fläche  der  Getreidekultur,  indessen  der  übrige  Theil  zum  Anbau  von  Hackfrüchten 
(Eartoifeln  und  Rüben),  von  Hülsenfrüchten,  Lidustriepflanzen  und  namentlich 
auch  zur  Gewinnung  von  Rauhfutter  (Klee,  Kleegras,  Luzerne,  Esparsette,  Wicken, 
Mais  etc.)  verwendet  wird,  durch  letztere  Gewächse  also  noch  die  Futt^rerzeugung 
erweitem  hilft.  Abgesehen  von  den  Gärten  —  in  deren  Abtheilung  alle  Zier- 
und  Nutzgärten  und  die  Baum-  und  Rebschulen  inbegriffen  sind  —  gewährt  das 
Land  auf  ziemlich  ausgedehnten  Flächen,  freilich  vorzugsweise  nur  am  Südalpen- 
abhänge  und  dann  in  verschiedenen  Strichen  im  Westen,  Norden  und  Nordosten 
des  Mittellandes,  die  Bedingungen  des  Gedeihens  der  Bebe.  Von  weit  allgemeinerer 
Bedeutung  ist  dagegen  wiederum  der  Obstbau,  welcher  vorzugsweise  im  Mittel- 
lande, in  Verbindung  mit  der  Feld-  und  Wiesenkultur,  eine  starke  Ausdehnung 
gefunden  hat,  dessen  Umfang  im  Ganzen  aber  bis  jetzt  noch  nicht  zahlenmäßig 
festgestellt  worden  ist.  Näheres  über  die  Einrichtungen  der  Bodenbewirthschaftung 
und  die  Bedeutung  der  einschlagenden  Systeme  folgt  in  einem  späteren  Abschnitte. 

b.  Vertheiluuff  des  Grundbesitzes  in  Bücksicht  auf  das  Ei(/en(hum,  Li 
dieser  Beziehung  läßt  die  Agrar^tatiatik  fast  vollends  im  Stiche.  Zieht  man  aber 
neben  den  für  das  Alpengebiet  vorliegenden  direkten  Ermittlungen  auch  die 
Beobachtungen  und  Erfahrungen  im  Großen  zu  Rathe,  so  lassen  sich  zunächst 
eweiy  hinsichtlich  der  Eigenthumsverhältnisse  sehr  von  einander  abweichende, 
Territorien  unterscheiden.  In  dem  ganzen  Alpengebiete  ist  das  (jenossenschaflliche 
—  Gemeinde-  oder  Kori)orations-  —  Eigenthum,  hier  vorzugsweise  ausgedehnt 
auf  den  Besitz  an  den  Weiderevieren,  in  der  ganzen  übrigen  Schweiz  dagegen 
das  Privateif/enthum  am  Grund  und  Boden  vorherrschend.  Daß  dort  das  korpo- 
rative Grundeigenthum  sich  in  so  großer  Ausdehnung  behauptet  hat,  das  Eigen- 
thum einzelner  Privaten  dagegen  ho  sehr  zurücktritt,  beruht  in  den  natürlichen 
Bedingungen  für  die  Bewirthschaftung  der  Alpen,  und  namentlich  in  dem  Um- 
stände, daß  die  fast  ausschließliche  einfache  Benutzung  zur  Weide  (und  zur 
Holzproduktion)  weder  einen  großen  Aufwand  für  Handarbeit,  noch  eine  Sonder- 
behandiung  des  Bodens  erfordert,  vielmehr  auf  großen,  einheitlich  verwalteten 
Komplexen  erfolgreicher  betrieben  werden  kann.  Unter  anderen  Verhältnissen, 
welche  hiervon  wesentlich  verschiedene  Betriebseinrichtungen  vorzeichnen,  muß 
daher  das  Bestreben  zur  Herstellung  des  Sondereigenthums  zu  Tage  treten  und 
auch  zur  Verwirklichung  gelangen,  wie  gerade  die  Erfahrung  beweist,  daß  auch 
der  Thalboden  in  den  Alpen  von  dieser  Gestaltung  schon  frühzeitig  betroffen 
wurde.  Ausführlicheres  über  die  Vertheilung  des  Eigenthums  an  den  Alpen  ent- 
hält die  Abhandlung:  y^Alpwirthschaft^ ,  üebrigens  gehören  die  Fälle  korporativen 
Eigenthums  auch  außerhalb  des  Alpengebietes  und  selbst  im  Flachlande  nicht 
gerade  zu  den  selteneren  Erscheinungen.  Es  zählen  dahin  vornehmlich  die  Güter, 
welche  sich  im  Besitze  der  Gemeinden  befinden  und  als  BürgergiUer  oder  All- 
menden der  gemeinschaftlichen  Benutzung  durch  die  Ortsbürger  —  in  der  Regel 
aber  nicht  in  gemeinsamer,  einheitlich  geleiteter  Bewirthschaftung  —  dienen. 
Derartige    Liegenschaften,    welche    seither    der    Theilung    und    Ueberweisung   in 


Landwirtbsrhäfl  —      267      —  Landwirthscbaft 

Sondereigenthum  entzogen  blieben,  werden  gewöbnlicb  aaf  eine  kürzere  oder 
längere  Reibe  von  Jabren  im  Lizitationawege  verpacbtet;  und  kommen  dann  die 
£r]($se  als  G^meinde-Intraden  indirekt  den  Steuerpflicbtigen  zu  Gute,  oder  für 
gedebntere  Fristen  den  nutzungsberechtigten  Bürgern  zur  Einzelbewirtliscbaftung 
in  dem  Sinne  überwiesen,  daß  nach  Ablauf  dieser  Perioden  je  wieder  eine  neue 
VertbeiluDg  erfolgt.  Auf  Gemeinde  wiesen  wird  auch  wohl  die  Eigenregie  ange- 
wendet und  dann  die  jährliche  Crescenz  ötfentlich  versteigert.  Aebnlicb  ist  das 
Verfahren  bei  den  Gemeinde  Waldungen.  Eine  besondere,  erst  in  späterer  Zeit  ent- 
standene, in  mehreren  Kantonen,  so  namentlich  in  Zürich,  vorkommende  Form 
des  Interessentenvermögens  stellt  der  genossenschaftliche  Waldbesitz  dar,  über 
welchen  indessen  nähere  Erörterungen  an  dieser  Stelle  unterbleiben  müssen. ') 

Unter  wesentlich  andere  Gesichtspunkte  fallen  die  bezüglich  ihres  Wesens, 
ihres  Ursprunges,  ihrer  Entwicklung  und  Bedeutung  von  dem  Besitzthum  der 
Gremeinden  sehr  verschiedenen  Verhältnisse  des  Gemeineigenthums  an  Grundstücken, 
welche  einer  Mehrheit  von  Interessenten  gehören  und  gemeinschaftlich,  z.  B.  zur 
Beweidung,  zur  Streuegewinnung  etc.,  benutzt  werden.  Das  Vorkommen  von 
solchen,  rücksichtlich  der  Ansprüche  und  Bedürfnisse  der  Gegenwart  meistens  als 
kulturschädlich  zu  beurtheilenden  Nutznngsgemeinschaften  wurzelt  zum  größten 
Theile  in  den  Zuständen  der  alten  Agrarverfassung,  deren  Grundlage  eben  das 
Gremeineigenthum  und  die  Gemeinnutzung,  der  Ausgangspunkt  für  die  Entstehung 
der  sog.  Flur-  oder  Feldgemeinschaften,  war,  aus  welchen  heraus  sich  im  Laufe 
der  Zeit,  hier  früher,  dort  später,  ein  bald  ausschließliches,  bald  nur  auf  einen 
Theil  des  Besitzes  beschränktes  Privat-  oder  Sondereigenthum  entwickelte.  Jene 
Erscheinungen  bedeuten  also  Ueberreste  der  früheren  Agrargemeinschaft,  welche 
von  dem  allgemeinen  Entwicklungsgange  unberührt  geblieben  sind,  im  Uebrigen 
aber  sich  zuweilen  —  besonders  als  sog.  allgemeiner  Weidgang  —  auch  noch 
erhalten  haben,  nachdem  die  betreffenden  Grundstücke  bereits  in  Sondereigenthum 
ausgeschieden  waren.  Im  schweizerischen  Mittellande  wird  man  derartigen  Nutzungs- 
gemeinschaften wohl  nur  noch  sehr  vereinzelt  begegnen.  Nachklänge  an  dieselben 
finden  sich  hier  und  da  im  genossenschaftlichen  und  privaten  Besitz,  so  beispiels- 
weise in  Form  von  Streuerechten.  Außerdem  sind  auch  alle  sog.  einseitigen 
Dienstbarkeiten,  wenn  man  von  solchen  Servituten,  welche  auf  besonderen  Rechts- 
titeln beruhen,  aber  dann  mit  der  Art  der  Benutzung  der  belasteten  Grundstücke 
nicht  im  Zusammenhange  stehen  (Wasserleitungs-,  Wege-  etc.  Servituten),  absieht, 
in  der  Hauptsache  als  aufgehoben  zu  betrachten.  —  Anders  liegen  die  Verhält- 
nisse allerdings  im  Alpengebiete,  wo  man  zwar  die  Bewirthschaftung  der  in 
Sondereigenthum  befindlichen,  den  tieferen  Lagen  angehörenden  Grundstücke  zu 
fördern  sucht,  gleichwohl  aber  noch  hier  und  da  an  dem,  leider  von  den  ver- 
derblichsten Auswüchsen  begleiteten  allgemeinen  Weidgang  festhält.  Beispiele 
hierfür  werden  u.  a.  noch  im  Kanton  Graubünden  angetroffen.  ^) 

Von  ander  weitem  Grundeigenthum,  welches  juristischen  Personen  angehört 
oder  sich  in  todtar  Hand  befindet,  verdienen  nun  noch  die  Staatsgüter  (Domänen) 
und  die  Kirchen-,  Schul-  und  Stiftungsgüter  genannt  zu  werden.     Wie  groß  die 


*)  Sehr  orientirende  Mittheilungen  findet  der  Leser  in  der  vom  Züricher  Ober- 
forstamt  im  Jahre  1879  bearbeiteten  kantonalen  «Forststatistik*^. 

')  in  ausführlicherer  und  lichtvoller  Darstellung  wurden  die  Ansiedelungs-,  Eigen- 
thoms-  und  Dienstbarkeitsverbältnisse  erörtert  von  Prof.  Dr.  A,  Miaskoioski  (früher  in 
Basel)  in  seiner  Schrift:  ,Die  Verfassung  der  Land-,  Alpen-  und  Forstwirthschaft  der 
deutschen  Schweiz,  in  ihrer  geschichtlichen  Entwicklung  vom  XIII.  Jahrhundert  bis  zur 
Gegenwart*.    Basel,  1878. 


Landwirthschaft  —     268     —  Landwirthschait 

Zahl  derselbeD,  wie  groß  die  FlächeD,  welche  sie  umfassen,  und  wie  sie  sich 
tiber  die  einzelnen  Kantone  vertheilen,  ist  nicht  nachweisbar.  Es  mag  daher 
genügen,  zu  konstatiren,  daß  diese  Eategorieen  von  Landbesitz  aliesammt,  hier 
mehr,  dort  weniger  zahlreich,  vertreten  sind,  im  Allgemeinen  aber,  soweit  eben  der 
landwirthHchaftlich  benutzte  Boden  in  Frage  kommt,  nur  einen  untergeordneten 
Antheil  an  dem  gesammten  Grundeigenthum  haben.  Daß  namentlich  der  Staat 
am  landwirthschuftlichen  Grundbesitz  nicht  erheblich  partizipirt,  wird  vom  Stand- 
punkte der  öffentlichen  Interessen  allgemein  gebilligt  werden,  weil  derartige 
Anlagen  einer  angemessenen  Ergiebigkeit  flir  seinen  Haushalt  entbehren,  die 
Verpachtung  nur  zu  einer  geringen  Verzinsung  des  Grundkapitales  führt,  und 
die  £igenrej2:ie,  welche  einen  besonderen  Einsatz  an  Betriebskapital  und  Arbeit 
erfordert,  in  seinen  Uänden  selten  prosperirt.  Hierin  liegen  auch  wohl  die  GrtLnde 
dafür,  daß  die  Kantone  iu  der  Mehrzahl  der  Fälle  an  dem  Domanialbesitz  nur 
so  weit  festhalten,  um  verschiedene,  ihrer  Verwaltung  unterstellte  öffentliche 
Institute  (Spitäler,  Arbeits-,  Erziehungs-  und  Bildungsanstalten  etc.)  an  denselben 
anlehnen  zu  können.  Anders  als  für  die  Vertretung  des  Staates  im  landwirth- 
richaftlichen  Gutsbesitz  liegen  die  Voraussetzungen  für  seine  Betheiligung  am 
Wald  besitz.  Denn  wenn  auch  auf  diesem  Gebiete  noch  geringere  Aussichten  auf 
eine  angemessene  Verzinsung  des  Kapitales  vorliegen,  so  ist  es  doch  wesentlich 
eine  Aufgabe  des  Staates,  die  Interessen  der  Kulturgemeinschaft  auch  dadurch 
fördern  zu  helfen,  daß  er  seine  Fürsorge  für  die  Erhaltung  oder  Begründung 
eines  gewissen,  in  Rücksicht  auf  das  Klima  erforderlichen  Waldbestandes  auf  die 
Anlage,  den  Besitz  und  die  Bewirthschaftung  größerer  Waldkomplexe  ausdehnt, 
zumal  dieser  Zweig  der  Bodenkultur  einen  nur  geringen  Aufwand  an  Betriebs- 
kapital und  Arbeit  beansprucht,  dagegen  unter  allen  Umständen  in  den  Händen 
des  Staates  den  Vorzug  einer  rationellen  Einrichtung  und  planmäßigen  Durch- 
führung der  Technik  des  Verfahrens  genießt. 

Alles  übrige  Eigenthum  am  landwirthschaftlichen  Kulturboden  umfaßt  nur 
noch  dasjenige  der  Privaten,  welches  in  weitaus  überwiegendem  Grade  in  allen 
denjenigen  Gebieten  ausgebildet  ist,  in  welchen  die  Naturbeschaffenheit  des  Landes 
in  Verbindung  mit  den  Wirkungen  eines  gehobenen  Verkehrslebens  die  Voraus- 
setzungen für  eine  intensivere  Kultur  oder  für  eine  gewisse  Mannigfaltigkeit  in 
der  Benutzung  des  Bodens,  und  namentlich  auch  für  eine  stärkere  Ausdehnung 
des  offenen   Baulandes  hervorgerufen  haben. 

Wie  in  fast  allen  Ländern  unseres  Erdtheils,  so  haben  die  grundbe^itzenden 
Private,  insonderheit  des  bäuerlichen  Standes,  auch  in  der  Schweiz  bis  in  unser 
Jahrhundert  hinein  unter  dem  Drucke  vielfach  verschlungener,  ans  dem  mittel- 
alterlichen Feudal wesen  hervorgegangener  Abhängigkeitsverhältnisse  und  Be- 
schränkungen von  Person  und  Eigenthum  zu  leiden  gehabt.  Diese  sog.  Grund- 
lasten,  welche  der  Landwirthschaft  zu  Gunsten  bevorrechteter  Besitzer,  seien  es 
größere  Grnndherren  oder  weltliche  und  geistliche  Herrschat^en,  auferlegt  waren, 
und  in  Grundzinsen,  Lehenzinsen,  Zehnten  etc.  bestanden,  wurden  schon  frühzeitig 
überall  als  eine  den  Aufschwung  der  Bodenkultur  hemmende  Fessel  empfunden. 
Die  \'uranssetzungen  für  ihre  Beseitigung  eifüllten  sich  mit  der  Ausbildung  des 
Staatsrechtes,  der  Entwicklung  des  Gewerblleißes,  den  Fortschritten  in  der  Technik 
des  Laudbaucs  und  der  Vermehrung  des  bewegbaren  Kapitales,  unter  dessen 
Eintiuß  sich  das  Bedürfniß,  die  frühere  Naturalwirthschaft  durch  die  Kapital- 
vvirlhscliat't  zu  ern-tzen,  immer  <lringender  geltend  machte.  Gegen  die  Fortführung 
<ler  grundherrliclien  Rechte  wandte  sich  die  Gesetzgebung  zuerst  gegen  Ende  des 
vergangeni'U  Jahrhunderts.    Iuzwisch»Mi  ist  <las  Ablösungswerk,   welches  allerdings 


Landwirthschall  —      269     —  LandwirthschafL 

in  den  einzelnen  Kantonen  nicht  mit  gleicher  Lebhaftigkeit  aufgegritfen  wurde, 
fa8t  YollRtändig  zum  Abschlüsse  gediehen,  so  daß  nunmehr  der  schweizerische 
Grundbesitzer  im  großen  G-anzen  als  unbeschränkter  Eigenthiimer  betrachtet 
werden  dar!'. 

c.  Vertheilunff  des  Grundbesitzes  nach  der  Größe  der  Güter  und  nach 
der  Zahl  und  Lage  der  zu  je  einem  Besiisthum  gehörenden  Parzellen,  Noch 
viel  weniger,  als  in  den  seither  besprochenen  Beziehungen  des  Grundbesitzes, 
vermag  unsere  Statistik  genügende  Auskunft  über  die  Größen  Verhältnisse  desselben 
zu  geben,  wenn  auch  in  einzelnen  Kantonen,  so  namentlich  in  Genf  und  Zürich, 
Anläufe  in  dieser  Richtung  gemacht  worden  sind.  Zur  Yeranschaulichung  der 
Situation  erübrigt  uns  daher  nur  der  allerdings  nicht  gerade  ergiebige  Weg  einer 
allgemeinen  Betrachtung. 

In  dem  fünften  Abschnitte  haben  wir  erfahren,  daß  das  ganze  Land  auf 
100  ha  landwirthschaftlich  benutzten  Bodens  durchschnittlich  zwölf  landwirth- 
schaftliohe  Betriebsstellen  zählt.  Hiernach  beträgt  die  mittlere  Größe  eines  Güter- 
gewerbes (und  annähernd  auch  eines  Besitzthums)  nur  8,5  ha.  Um  dieses  Ergebniß 
richtig  zu  würdigen,  ist  es  erforderlich,  sich  zweier  bemerkenswerther  Thatsachen 
zu  erinnern.  Die  eine  ist,  daß  das  Gebiet  der  Alpweiden,  welches  etwa  ein 
Drittel  der  gesammten  landwirthschaftlich  benutzten  Bodenfläche  einnimmt,  sich 
überwiegend  im  Eigenthum  von  Gemeinden  und  Korporationen  befindet,  die  andere 
ist,  daß  der  Alpboden  eine  nur  geringe  Bonitätsstufe  besitzt,  in  Folge  dessen 
aber  der  Unterhalt  einer  auf  die  Bewirthschaftung  desselben  angewiesenen  Haus- 
haltung eine  verhältnißmäßig  große  Fläche  erfordert.  Hieraus  geht  aber  hervor, 
daß  die  durchschnittliche  Größe  der  außerhalb  des  Alpengebietes  gelegenen  land- 
wirthschaftlichen  Besitzungen  (Wiesen-,  Acker-,  Garten-  und  Rebland)  sich  noch 
erheblich  geringer  berechnen  muß,  als  die  mittlere  Größe  (8,5  ha)  aller  Land- 
güter des  Landes.  Bezieht  man  dies  Yerhältniß  lediglich  auf  den  Privatbesitz, 
so  wird  dasselbe  freilich  nicht  oder  nicht  wesentlich  verschärft  durch  die  Da- 
zwischenkunft  des  Grundeigen thums  des  Staates,  der  Gemeinden  und  Stiftungen, 
da  dieses,  wie  wir  fanden,  abgesehen  von  den  Alpen,  keinen  sehr  erheblichen 
AntheU  an  dem  landwirthschaftlichen  Kulturboden  hat.  Immerhin  kann  man  sich 
auf  Grund  gegenwärtiger  Betrachtung  überzeugen,  daß  der  Privatgrundbesitz 
außerhalb  des  Alpengebietes  in  hohem  Grade  vertheilt,  und  die  Kleinguts- 
wirthschaft  vorherrschend  sein  müsse.  Wird  dann  weiter  in  Erwägung  gezogen, 
daß  Landgüter,  deren  Umfang  so  groß  ist,  daß  der  Wirthschafter  zum  Betriebe 
derselben  der  Mitwirkung  von  Aufsichts-  und  Leitungsgehülfen  (Verwalter)  bedarf, 
geradezu  zu  den  Seltenheiten  gehören,  so  muß  man  zu  dem  Schlüsse  geführt 
werden,  daß  jene  weitgehende  Vertheilung  des  Privatgrundbesitzes  auch  eine 
ziemlich  gleichmäßige  sei  und  sich  in  der  Hauptsache  zwischen  den  Grenzen  des 
mittleren  bäuerlichen  Besitzes  einerseits,  und  der  ausgesprochensten  Klein  betriebs- 
steilen (mit  ausschließlicher  Anwendung  der  Handarbeit  zur  Bebauung  des  Bodens) 
andererseits,  bewege. 

Fragt  man  nach  den  inneren  Gründen  dieser  Art  der  Besitzvertheilung,  so 
wird  man  mehrere  Momente  in^s  Auge  zu  fassen  haben. 

Das  hier  vorzugsweise  in  Betracht  kommende  Gebiet  (zum  großen  Theile 
dem  Mittellande  angehörend)  ist  durch  seine  Lage,  seine  klimatische  und  Boden - 
beschaifenheit  geeignet  dazu,  einer  mehrseitigen  Verwendung  für  Kulturzwecke 
zu  dienen.  Thatsächlich  gewährt  dasselbe  auf  großen  Flächen  die  Bedingungen 
der  Kultur  der  Rebe,  der  anspruchsvolleren  Gewächse  des  Feldbaues  und  einer 
ergiebigen    Wiesen wirthschaft,    letztere    insbesondere    zur    Gewinnung   aucli  ^<i\i 


Landwirihschatl  —      270     —  Landwirtlischaft 

Mähefutter.  Dasselbe  gestattet  femer  auf  ausgedehnten  Flächen  die  Verbindung 
der  Obstkultur  mit  der  Acker-  und  Wiesennutzung.  Somit  erfüllen  sich  allda 
sehr  häufig  die  natürlichen  Voraussetzungen  für  den  Betrieb  von  Produktions- 
zweigen, welche  auch  die  Handarbeit  in  hohem  Grade  in  Anspruch  nehmen.  In 
wirthschaftlicher  Hinsicht  wird  aber  eine  solche  Richtung  unterstützt  und  gefördert 
durch  den  hohen  Grad  der  Bevöikerungsdichtigkeit,  den  daherigen  starken  Konsum 
an  Erzeugnissen  des  Bodens  und  den  relativ  günstigen  Preisstand  derselben,  sowie 
durch  die  mannigfache  Verbindung  des  industriellen  Erwerbs  mit  der  Beschäftigung 
in  der  Landwirthschaft.  Letzteres  Vorkommen  wirkt  aber  vornehmlich  im  Sinne 
einer  Verwohlfeilerung  des  Aufwandes  an  Handarbeit  für  die  Bodenkultur.  Daraus 
folgt,  daß  überhaupt  nur  derjenige  Besitzstand  am  meisten  in  der  Lage  ist,  sich 
jener  vorherrschend  angezeigten  Produktionsrichtung  anzupassen,  welcher  die 
Handarbeit  relativ  billig  zu  beschaffen  vermag,  und  das  ist  der  in  der  Haupt- 
sache mit  eigenen  Kräften  arbeitende  und  der  Lohnarbeit  nicht  oder  in  nur 
geringerem  Grade  bedürftige  Kleinbesitz.  In  dem  Maße  aber,  in  welchem  der 
Betrieb  auf  fremde  Hülfe  angewiesen  ist,  verlangen  die  Verhältnisse  im  allgemeinen 
Arbeitsverkehr  doch  immer  dringender  und  zwingender  die  Rücksicht  auf  öko- 
nomische Verwendung  gerade  der  Handarbeit.  Derartige  Erwägungen  erklären 
es  auch,  worin  es  beruht,  daß  unter  Bedingungen,  welche  die  arbeitsintensive 
Kultur  nicht  mehr  begünstigen  wollen,  dagegen  auf  die  einfachere  Benutzung  des 
Landes  zum  Grasbau  hinweisen,  die  Tendenz  zum  Zusammenhalten  des  Besitzes 
in  größeren  Flächen  entschieden  schärfer  zu  Tage  tritt. 

Zu  allen  diesen  Vorkommnissen  tritt  aber  noch  ein  weiteres,  entscheidend 
wichtiges  Moment.  In  der  Gesetzgebung  aller  Kantone  ist  der  Grundsatz  der 
freien  Theilbarkeit  und  Veräußerlichkeit  des  Grundeigenthums  zur  Anerkennung 
und  zum  Durchbruch  gelangt.  Die  Einführung  und  Aufrechthaltung  dieser  (ver- 
einzelt nur  durch  Festsetzung  eines,  allerdings  sehr  niedrig  gegriffenen  Flächen- 
minimnms  beschränkten)  Befogniß  entspricht  dem  Zustande,  welchen  die  Grund- 
entlastung geschaffen  hatte,  der  durch  Verfassung  und  Gesetz  hergestellten 
Gewerbefreiheit,  und  den  Thatsachen,  welche  sich  im  Erwerbsleben  vollzogen, 
vor  Allem  der  Vielseitigkeit  der  gewerblichen  Beschäftigung  des  Volkes  und 
dem  hierdurch  bedingten  starken  Anwachsen  des  bewegbaren  Kapitales.  Im  großen 
Ganzen  wird  aber  durch  die  privatrechtlichen  Bestimmungen  der  Kantone  auch 
das  Prinzip  der  Gleichstellung  der  Erbinteressenten  im  Grundbesitz,  des  Aus- 
schlusses jeden  Vorrechtes  auf  die  Erbhinterlassenschaft,  bei  weitgehender  Be- 
schränkung der  Testirfreiheit  und  entsprechenden  Bestimmungen  über  die  Pflicht- 
theilsrechte,  anerkannt,  so  daß  ein  sog.  bevor suxfies  Anerhenrecht  wohl  nirgends 
mehr  besteht.  Es  braucht  kaum  hervorgehoben  zu  werden,  daß  gesetzliche  Be- 
stimmungen, welche  auf  die  Einführung  von  Vorzugsrechten  im  Erbgange  abzielen, 
sich  mit  den  Lebens-  und  Rechtsanschauungen  der  weitaus  großen  Mehrheit  des 
Schweizer  Volkes  in  Widerspruch  setzen  würden. 

Innerhalb  des  Rahmens  der  gesetzlichen  Vorschriften  vollzieht  sich  die  Erb- 
auseinandersetzung je  nach  dem  Einflüsse  der  herrschenden  Sitten  und  Gewöhnungen 
und  je  nach  den  im  konkreten  Falle  in  Betracht  kommenden  Vermögens-  und 
Erwerbs  Verhältnissen  der  Interessenten  in  sehr  verschiedener  Weise.  Sehr  häufig 
wird  wohl  das  Verfahren  angetroffen,  daß  einer  der  Söhne  das  elterliche  Gut 
auf  Grund  des  in  den  Gesetzen  vorgesehenen  Verfahrens  der  (ermäßigten)  Taxe 
unter  der  Verpflichtung  der  Abfindung  (Auslösung  —  Auskauf)  der  miterbenden 
Geschwister  übernimmt.  Hinsichtlich  dieser  Art  der  Erbfolge  hat  sich  die  bäuer- 
liche Sitte   in   einzelnen  Gegenden    allerdings   mächtig  genug  erwiesen,    um  die 


Landwirthächatl  —      271      —  Landwirthschatl 

Geschlossenheit  der  Bauerngüter  aufrecht  zu  erhalten  und  die  Uebertragung  der- 
selben auf  einen  der  Berechtigten  (gewöhnlich  den  ältesten  männlichen  Erben) 
zu  bewirken.  Zu  diesen  Erscheinungen  zählt  insbesondere  dcis  in  der  Zentral- 
Schweiz  nicht  seltene  Vorkommen  von  Gütern,  welche  durch  Familienstatuten 
bezw.  letztwillige  Verfügungen  fideikommissarisch  gebunden,  als  solche  vom  Ge- 
setze geschützt  sind  und  vorherrschend  in  Majoraten  bestehen.  Im  Uebrigen  mag 
die  Vorliebe  für  die  ungetheilte  Vererbung  der  Güter  wohl  ihre  inneren  Gründe 
haben,  in  so  fem  sie  in  ökonomisch-technischen  Erwägungen  und  in  der  Ueber- 
Zeugung  wurzelt,  daß  im  Falle  der  Theilung  des  Grundbesitzes  sich  keinem  der 
Interessenten  die  Aussicht  auf  Errichtung  eines  gedeihlichen  landwirthschaftlichen 
Betriebes  eröffnen,  insbesondere  das  Bedürfniß  zur  Aufführung  von  Neubauten, 
die  Zersplitterung  und  die  unvortheilhafte  Lage  der  einzelnen  Güterstücke  u.  a.  m. 
über  den  neu  entstehenden  kleinen  Betriebsstellen  zu  große  Beschwerden  häufen 
wtbrden.  In  den  industriereicheren  Distrikten,  in  welchen  die  Bedingungen  für 
einen  arbeitsintensiveren  Kleinbetrieb  der  Landwirthschaft  und  für  eine  Verbindung 
desselben  mit  industriellem  Erwerb  in  ausgesprochenem  Grade  vorhanden  sind, 
wird  dagegen  weit  öfter  von  der  Naturaltheilung  Gebrauch  gemacht. 

Abgesehen  von  den  Fällen,  in  welchen  die  Interessenten  in  Voraussicht  der 
Dinge  sich  anderen  Erwerbszweigen  zuwandten,  oder  sich  im  Falle  der  Theilung 
nicht  einigen  konnten,  und  dann  behufs  der  Auseinandersetzung  der  Verkauf  des 
Besitzthums  im  Ganzen  oder  in  einzelnen  Parzellen  zur  Anwendung  kommt, 
ebenso  von  denjenigen,  in  welchen  die  betheiligten  Geschwister,  wenn  sie  sich 
mit  einem  anderen  Ausweg  nicht  zu  befreunden  vermögen,  zur  gemeinschaftlichen 
Bewirthschaftung  des  ererbten  Gutes  Zuflucht  nehmen  —  kommen  also  nur  zwei 
Formen  der  Abfindung  vor,  und  zwar  entweder  die  Uebemahme  des  Gutes  durch 
den  Einzelnen  und  Belastung  desselben  mit  der  Pflicht  der  Auslösung  der  Ge- 
schwister, oder  —  die  Naturaltheilung.  Erstere  birgt,  wie  heutzutage  überall 
anerkannt  wird,  manche  Beschwerden  und  Gi^fahren,  weil  sie  über  dem  Ueber- 
nehmer  schon  im  Beginne  des  Geschäftes  eine  Schuldenlast  häuft,  welche  um  so 
größer  und  drückender  werden  muß,  je  strenger  das  Gesetz  die  Anforderungen 
des  Pflichttheils  formulirt,  und  je  mehr  bei  der  Schätzung  der  Güter,  an  Stelle 
des  Nutzungs-  oder  Gebrauchswerthes,  auf  den  laufenden  Verkehrswerth  abgestellt 
wird,  und  weil  ferner  derartige  Ueberlastungen  sich  bei  Fortsetzung  des  Ver- 
fahrens mit  jeder  Generation  von  Neuem  wiederholen,  die  Verschuldungsquelle 
also  eine  permanente  wird.  Die  Naturaltheilung,  welche  diese  Gefahren  nicht 
kennt,  bereitet  vielfach  Bedenken  anderer  Art,  in  so  fern  die  fortgesetzte  Aus- 
übung derselben  eine  der  gedeihlichen  Entwicklung  der  Landwirthschaft  nach- 
theilige Zersplitterung  der  Grundstücke,  verbunden  mit  übertriebenem  Aufwände 
für  Wohn-  und  Wirthschaftsgebäude,  mit  sich  bringt.  Die  Tragweite  dieser 
Erscheinungen  ist  jedoch  eine  sehr  relative.  Vieles  hängt  von  der  Art  und  Weise, 
wie  die  Theilung  in  natura  sich  vollzieht,  und  namentlich  davon  ab,  ob  die 
Besitzer  es  sich  angelegen  sein  lassen,  ihren  Grundstücken  eine  wirthschaftliche 
Form  und  Lage  zu  geben  oder  zu  erhalten,  und  der  Einfluß  des  gleichen  Zu- 
fltandee  der  Größe  und  Lage  der  Parzellen  äußert  sich  auch  in  ökonomischer 
Hindoht  verschieden,  je  nachdem  man  es  mit  selbstständigen  bäuerlichen  Betriebs- 
stellen oder  mit  einer  kombinirten  Beschäftigung  der  Eleingrundbesitzer  in  Industrie 
und  Landwirthschaft  zu  thun  hat. 

Wie  mannigfach  aber  auch  diese  Verhältnisse  sich  im  Einzelnen  gestaltet 
haben,  im  Allgemeinen  wird  man  finden,  daß  die  Gesetzgebung  ül)er  die  Theil- 
harkeit   der   Gmndstücke   und   die   Erbfolge,    indem   sie   sich   den   herrschft\A^T\. 


UiiidwiilliM-iiaft  — 


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kaimiJi'.L  «>'.ivi  Iti^T  ^j*^'i.-*4--i  .r'LL4.f*rr  I^-^i^aeiiCT-  s--r*^f^-L^  :izi  ü'ii  r^.-:i 
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■i*^xi  r*r*'. -i:^i  .S:l:.-*  -i;^  V-.-.k's-  r-  Sr-rrAÄ^w-ri  ?«L  ür  Gr5je  irr  L*r.:ri^rr  =i: 
-riL  -..--^.i-vr^iiri  fei'^rtitif^-^  -irr  <xe**].B/.iAri  "iii  irr  Küinr  ir  Ei-g'&rg  1:1 
«itr-fc^;:  -:'..•  >i  *..-:  Theilr  ">:inr  ÜirrL-iriA  Zt>ia:.  i  ber:*iirrfic.n  h*;,  ui:d  weil  mAn 
'.t*iujr^a.i -.  .X  ILLblkk  «rtriie  auf  dir  Xärir ::•=».: harr i:ir;:  «ir*  Lärits  uüd  ür 
"•"'..••1 -..li'-r.  *d-*Ä  rtgrD  Lr-ArTb9>"Lpcr>.  fcu'.h  Kr  in  V^rLirÄn  •i*n:«cli  irä^,  eir^ü 
."•.«^i,  :e:  AofsÄUgTing  -irr  '  ä-:-r'.;':'b-L  Güter  dnr'/b  Gr. ikgriin'i'r-rsitnxsetn  sei 
1  ■.'.  xirw>T.  r.  •s^hen.  K-  wiri  zwar  nir^rLi«-  i-fetrfnen.  iÄÜ  drr  laniwirih=i«?bAft- 
.>r,r:^'  :.'ouk-lt;:r  it  tircLDW.L^r  Hissicb:  riLr  pcwi««^  Ur!:-rrlre*fnhci:  zuzoerkrcnen 
*^.  A'rrr  jx^:.  iftt  iSl*ricLw>i»:  überzrügt.  Cäß  die**!!-?  einr  BtrWtung  mit  des: 
V  ;,.':.Ä:.i«;rirj.,  im  Eirinbr^itz  TrrTrrttr-rn  t-rdr'itrr  ier:  GnuidkapiTal  nicht  za  er- 
'.i-i;:-r-  v*:fif*<Jchtr.  -.ni  dal*,  wrii:  dies  der  Fall.  daB>  Ergebnit^  l-ei  ei&em  Vjr- 
;»*rr-';'jv-ri  d<3-  Grolibclrirl-r*  vom  Starjiiiunkt  der  National vrirtfasohÄft  kt-ine-sweg* 
äLs  da**  gi'jtklicb»-r*;  l.rfrtrdcbtet  werden  dürfe.  I^enn  im  Lichte  der  p<'liti«ct- 
'/koDoiuin<;heo  IjDtere?s*en  er?^bei!it  liocb  nicht  diejenige  VertbeimDg  de*  Grund- 
be-itzr.«:.  die  "r.'et'te,  wel'.be  de:.  ab»Oii:t  h&:b<en  Reinertrag  vom  Boden  abwint. 
Hindern  diejeni;:^,  welche  drr  Zahlreichs teii  Bev-'-ilkcrang  ein  ^icbere^  EiRkommm 
aub  der  Land b« wi rrhiscb alt ung  gewährt  and  dadurch  den  Stand  tüchtiger,  im* 
abhängiger,  «-TÜhafter  und  heimatliebenier  Biirger  vermehren  hilft.  Wohl  wird 
überall,  wo  ijicht  Engherzigkeit  der  An^chanuLg'rn  den  Blick  in  die  Verbal tnisa-tr 
trübt,  bereitwillig  anerkannt,  daß  «Ja.  wo  die  vers-chiedenen  Besitzes-  und  Be- 
wirthhchaft'iugr-^tufen  nel^n  einander  entfrtehen  kSniien.  diese  sich  in  ihrer  sozialen 
Stellung  'jnd  Aufgabe  zum  Segm  Aller  ergänzen,  daß  insbesondere  bei  einer 
singtriue»— eiien  \'ermi^chung  derselben  der  Kleinbrtrieb  durch  die  Großwirthschatt 
in  maiicber  Hinsicht  —  anre^tnde  und  belehrende  Vorbilder  in  der  Technik  des 
Fach'jr  ijjj'i  Vertretung  der  Ir:tere^>en  des  landwirthschaftlichen  Stande«  im  Orient - 
licbi-ij   Le^en  F-'-rderung  urd  Rückhalt  tindet.    Aber  nicht  ohne  Wohlgefallen 

hängen  do';b  Augen  und  Herzen  aller  für  die  gedeihliche  Entwicklung  der  sozialen 
Zui»täf,d-r  tb eil  nehmend  gesinnten  Patrioten  an  iler  weil  iibt'rwieffendtn  Vertretung 
gerade  Jer  mittleren  und  kleinen  ländlichen  Betrie bestellen,  indem  diese  einer 
groUen  Zahl  von  Familien  in  einer  gesteigerten  Roh] Produktion  regelmäßigen 
Verdienst  uf.d  Unterhalt  darbieten  und  deren  Fleiß  und  Spartsamkeit  auf  eine 
naebhaltigi;  \'irrbef«f«erung  der  Kultur  des  Boden*  wirken  lassen.  Und  sie  wollen 
jenen  freien  Verkehr  in  Liegenschaften  auch  aus  dem  Grunde  nicht  missen,  weil 
der-elbe  aur-h  den  Arbeiter  in  den  Stand  setzt,  mit  einem  kleinen  Kapitale  sich 
•:in  H<-ini  zu  griin<leu  und  mit  ilemselben  sich  durch  Rührigkeit  und  Bethätigung 
)M'j-diiiltt:riheheu  Sinnes  eine  gesicherte  Existenz  zu  verschatfen  und  ein  tüchtigt*s 
'ili«'l  im  Gemeinwesen  zu  werden.  In  der  That  können  die  Erfahrungen  in  der 
Seliweiz  in  jeder  Hinsicht  zur  Bekräftigung  der  Anschauung  dienen,  daß  ein 
Volk,  welrbi"-  ^i(•h  sonst  der  Verkehrsfreiheit  zu  ertreuen  hat,  an  den  Folgen 
•lei    'J'heilljarkeit   «ies  Badens   nicht   zu  Grunde   geht. 

J'iiht  «dm«*  Auhnahme  begegnet  man  im  Hügel-  und  Flachlande  der  Schweiz 
'ien  iii.zwtiileutighten  Spuren  der  Niederlassung  in  Feldgemeinschaften,  der  auch 
in  d*:ij   ;inhtoßen«len  Nachbarländern  meist  scharf  ausgeprägten  Dorfverfassung  und 


Laodwirthschaft  —      273      —  Landwirthschafl 

der  hiermit  verbundenen  Gemengelage  der  Grundstücke,  oft  sogar  noch  den 
Nachklängen  der  eigentlichen  Flur-  und  Zeigen wirthschaft.  Im  Berglande,  nament- 
lich in  dem  Alpengebiete,  allwo  die  gemischten  oder  reinen  Graswirthschaften 
vorherrschen,  scheinen  die  Ansiedelungen  einen  anderen  Verlauf  genommen  zu 
haben,  in  so  fem  die  heutige  Lage  und  Gestaltung  der  Bauerngüter  noch  vielfach 
darauf  hindeutet,  daß  die  Bodenbewirthschaftung  ihren  Ausgangspunkt  in  der 
Benutzung  des  Landes  ausschließlich  zur  Grasweide  gefunden  und,  den  Bedürf- 
nissen derselben  entsprechend,  schon  frühzeitig  zum  Aufschlagen  zerstreuter  Wohn- 
sitze, zur  hofweisen  Niederlassung  geführt  hat.  Dabei  bleibt  allerdings  die  von 
Miaskowski  a.  a.  0.  ausgesprochene  und  auch  mit  Gründen  gestützte  Annahme 
bemerk  nswerth,  daß  die  Kultur  in  den  Alpengegenden  auf  den  Yorbergen  be- 
gonnen habe  und  erst  von  da  in  die  Thäler  gedrungen  sei,  um  hier  ähnliche 
Besitzvertheilungen  hervorzurufen,  welche  in  dem  Flachlande  angetroifen  werden. 
Wie  sich  aber  auch  diese  Bewegung  vollzogen  haben  mag :  in  den  höheren  Lagen 
stehen  sich  nur  zwei  Arten  der  Grundstücksformation  gegenüber.  Wir  haben 
größere  zusammenhängende  Komplexe  in  den  Alpweiden  und  regelmäßig  bebaute, 
mit  Wohnsitzen  versehene,  mehr  oder  weniger  isolirte,  in  der  Hauptsache  an*on- 
dirte  Bauerngüter,  deren  Grundstücke  sich  entweder  in  vollständigem  oder  doch 
in  annähernd  hergetitelltem  realem  Zusammenhange  um  den  in  der  Begel  erhaben 
gelegenen  Wirthschaft^hof  ausbreiten,  daneben,  anschließend  an  die  mit  weiterer 
Entwicklung  des  Verkehrs  und  mit  dem  Auftauchen  gewerblicher  Thätigkeit 
entstandenen  Ortschaften,  die  Thalgüter,  bestehend  aus  getheiltem  Grundbenitz  in 
ausgesprochener  Parzellenlage,  dessen  Bewirthschaftung,  schon  in  Rücksicht  auf 
die  ungemein  wechselnde  Lage  und  Gestaltung  des  Terrains,  die  daraus  hervor- 
gegangene Verschiedenheit  der  auf  die  Anwendung  der  Pflugarbeit  mehr  oder 
weniger  verzichtenden  Bebauungs-  und  Benutzungsweise  und  die  Zugänglichkeit 
der  einzelnen  Güterstücke,  von  den  Einrichtungen  der  Feldgemeinschaft  unberührt 
geblieben  ist.  In  allen  diesen  Fällen  ist  von  einer  den  Betrieb  störenden  Gemenge- 
lage der  Grundstücke  nicht  die  Hede.  Anders  im  Hügel-  und  Flachlandgebiet, 
dem  Mutellande,  überhaupt  im  Bereiche  der  eigentlichen  Dorfverfassung.  Sieht 
man  hier  ab  von  den  nicht  gerade  zahlreichen  Gütern,  welche  aus  einem  bevor- 
rechteten Besitzstande  hervorgegangen  oder  durch  Neukultur  oder  durch  Zusammen- 
kauf von  Parzellen  entstanden  sind  und  sich  in  Folge  dessen  in  räumlicher 
Geschlossenheit  erhalten  haben,  so  bildet  hier  die  erwähnte  Gemengelage  der 
Grundstücke  fast  allgemein  die  Regel.  Bekanntlich  ist  es  gerade  die  alte  Feld- 
gemeinschaft, welche  bei  unbeschränkter  Tlieilungsbefugniß  eine  weitgehende 
Realtheilung  der  Güter  geradezu  begünstigt,  dadurch  aber  die  Zersplitterung 
der  Grundstücke,  die  zerstreute  und  nerworrene  Lage  und  unwirthschaftliche 
Figur,  sowie  vielfach  die  Abgeschlossenheit  derselben  von  Feldwegen  herbei- 
geführt und  somit  einen  Zustand  geschaflen  hat,  welcher  der  Bodenkultur  im 
Hinblick  auf  die  unaufhaltsam  wachsenden  Anforderungen  der  Zeitlage  die  ärgsten 
Behelligungen  und  Erschwernisse  bereitet.  Das  schweizerische  Mittelland  zählt 
leider  zahlreiche  Gemeinden  in  fast  allen  Kantonen,  deren  Fluren  in  hohem  Grade 
an  dem  erwähnten  Grundübel  leiden.  Ein  zahlenmäßiger  Nachweis  darüber,  wie 
eich  diese  Verhältnisse  in  den  einzelnen  Kantonen  in  Bezug  auf  den  hier  haupt- 
sächlich in  Betracht  kommenden  Privatbesitz  an  Ackerland  und  Wiesen  gestaltet 
haben,  ist  leider  nicht  zu  erbringen.  Es  mag  daher  genügen,  zu  konstatiren, 
daß  dieselben  vielerorts  als  sehr  ungünstige  betrachtet  und  geschildert  werden, 
und  daß  man  in  ihnen  einen  der  Hauptgründe  für  die  vielfach  beengte  und 
bedrückte  Lage  des  Bauernstandes  erblickt. 

Fairer,  Volkswlrthschafts-Lexlkon  der  Schweis.  Y% 


Landwirthschaft  —      274     —  Landwirthschaft 

£in  eigentlicher  Flurzwang  wird  allerdings  in  der  großen  Mehrzahl  der 
Fälle  weder  rechtlich  noch  thatsächlich  mehr  bestehen,  da  die  G-esetzgebnng  fast 
aller  zumeist  betroffenen  Kantone  durch  Vorschriften  über  Anlage  von  offenen 
Flur-  und  Feldwegen  die  sog.  Wegedienstbarkeit  zu  vermindern,  bezw.  zu  beseitigen 
strebte  und  insbesondere  den  Eigenthttmem  von  Grundstücken,  welche  von  einem 
Flur-  oder  Feldwege  abgelegen  sind,  die  Befugniß  verlieh,  die  Einräumung  des 
zu  freier  Bewerbung  ihres  Landes  noth wendigen  Wegerechtes  von  den  Eigen- 
thümem  der  zwischenliegenden  Grundstücke  gegen  volle  Entschädigung  zu  ver- 
langen. Im  Hinblick  aber  auf  die  eigentlichen  Ursachen  der  kläglichen  Verfassung, 
in  welcher  sich  die  betreffenden  Besitzer  befinden,  erscheinen  jene  Vorkehrungen 
nur  als  Palliativmittel,  und  wird  es  heute  in  allen  mit  den  landwirthschaftlichen 
Betriebsverhältnissen  vertrauten  Kreisen  übereinstimmend  anerkannt,  daß  unter 
erwähnten  Verhältnissen  eine  von  Grund  aus  neue  und  verbesserte  Feldeintheilnng, 
verbunden  mit  der  Anlage  eines  zweckmäßigen  Wegenetzes,  unter  gleichzeitiger 
Herstellung  des  Rahmens  für  alle  dem  Grundbesitz  wichtigen  und  nöthigen  Melio- 
rationen (Ent-  und  Bewässerung  etc.),  eine  der  vornehmsten  Aufgaben  bilde,  um 
den  Bauernstand  zu  befähigen,  seinen  Betrieb  rationeller  einzurichten,  insbe^ndere 
eine  relativ  bedeutende  Erspamiß  an  Material  und  Arbeit  zu  erzielen,  daher 
billiger  zu  produziren  und  mit  größerem  Erfolge  intensiver  zu  wirthschaften. 
Sowohl  in  dem  Erlasse  eines  zur  Erleichterung  derartiger  Unternehmungen  ge- 
eigneten Gesetzes,  wie  in  der  praktischen  Bethätigung  auf  diesem  Gebiet«  ist  der 
Kanton  Aargau  mit  einem  leuchtenden  Beispiele  vorangegangen.  Dort  hat  die 
verbesserte  Feldeintheilnng  (Güterbereinigung)  seither  die  weitaus  größten  Fort- 
schritte gemacht  und  hervorgehende  Erfolge  errungen. 

7)  Das  Ka|pital  und  d|er  Kredit. 

In  Rücksicht  auf  die  eminente  Bedeutung,  welche  dem  Kapital  als  Pro- 
duktionsfaktor in  der  Bodenkultur  zukommt,  bildet  die  Darstellung  der  Grröße 
des  in  der  gesammten  Volkswirthschaft  und  speziell  in  der  Landwirthschaft 
angelegten  und  thätigen  Vermögens  eine  wichtige  Grundlage  für  die  Beurtheilung 
der  auf  dieses  Gewerbe  einflußreichen  ökonomischen  Zustände.  Der  Versuch,  einer 
solchen  Aufgabe  näher  zu  treten,  hat  zwar  bei  dem  notorischen  Mangel  an  greif- 
baren Thatsachen  in  hohem  Grade  mit  Schwierigkeiten  und  Unsicherheiten  zu 
kämpfen,  und  wenn  er  hier  gleichwohl  unternommen  wird,  so  kann  das  nur  mit 
allem  Vorbehalte  geschehen. 

Nach  einer  von  F,  v.  Tschudi  a.  a.  0.  gelieferten  Uebersicht  soll  sich  da« 
in  der  Landwirthschaft  angelegte  Grundkapital  ohne  die  Gebäude  auf  2508 
Millionen  Franken  belaufen.  Dabei  sind  Einheitspreise  pro  Hektar  zu  Grunde 
gelegt  worden  von  Fr.  1944  für  Wiesen,  Fr.  1666  für  Ackerland,  Fr.  2777 
für  Rebberge  und  Fr.  278  für  Weiden.  Zieht  man  aber  in  Betracht,  daß  seit 
den  sechziger  Jahren,  auf  welche  Periode  sich  diese  Zahlen  beziehen,  bis  zur 
Gegenwart  eine  Steigerung  des  Grundwerthes  stattgefunden  hat,  welche  in  An- 
betracht der  in  neuerer  Zeit  eingetretenen  rückläufigen  Bewegung  auf  etwa  nur 
15  ^/i)  taxirt  werden  darf,  so  ließe  sich  das  Grundkapital  der  Grundstücke  auf 
2884  Millionen  Franken  beziffern.  Erhöht  man  dann  diesen  Betrag  um  denjenigen 
des  Gebäudekapitals,  welches  in  Rücksicht  auf  die  verhältnißmäßig  einfachen 
Baueinrichtungen  in  den  Gebirgsgegenden  nach  allgemeinen  Sätzen  auf  '/&  des 
Landkapitals  =  577  Millionen  Franken  angenommen  werden  kann,  so  ergiebt 
sich  ein  GresammZ-Grundkapital  von  3468  Millionen  Franken.  Zu  einem  hiermit 
nahezu  übereinstimmenden   Ergebnisse  gelangt  man  auf  indirektem  Wege,   indem 


Landwirthschafl  —     275     —  Landwirthschafi 

man  einen  bekannten  Bestandtbeil  des  Betriebskapitals  als  Ausgangspunkt  benutzt 
und  aus  demselben  auf  Grund  allgemeiner  Yerhältnißzablen  der  landwirthschaft- 
licheu  Betriebslebre  die  Größe  der  übrigen  Glieder  des  Betriebs-  und  aucb  die- 
jenige des  Grundkapitals  berechnet.  Ein  solcher  Bestandtbeil  ist  aber  der  Vieh- 
stand,  dessen  Gesammtwerth  sieb  unter  Berufung  auf  die  Zählungsergebnisse  vom 
Jahre  1886  auf  rund  454  Millionen  Franken  veranschlagen  läßt.  Nun  wird 
aber  der  Werth  des  todten  Inventars  (Maschinen  und  Geräthe)  in  Rücksicht  auf 
unsere  spezifischen  Verhältnisse  etwa  einem  Drittel  des  Yiehstandkapitals  ent- 
sprechen, also  die  Summe  von  rund  151  Millionen  Franken  erreichen,  indessen 
ein  Betrag  auf  Höhe  von  55  ^/o  der  beiden  Bestandtheile  des  Inventars  oder  von 
rund  333  Millionen  Franken  für  das  sog.  umlaufende  Betriebskapital  (Jährlicher 
Umsatz)  in  Anspruch  genommen  werden  dürfte.  Hiernach  beliefe  sich  das  ge- 
sammte  bewegbare  oder  das  Betriebskapital  auf  938  Millionen  Franken.  Wird 
nun  für  das  Yerhältniß  zwischen  diesem  Betriebskapital  und  dem  Grundkapital 
der  Grundstücke  und  Gebäude  ein  Mittelsatz  von  27,5  :  100  zu  Grunde  gelegt, 
so  würde  sich  auf  einen  Gresammtwerth  der  Liegenschaften  von  3411  Millionen 
und  auf  ein  landwirthschaftliches  Kapital  im  Ganzen  von  rund  4350  Millionen 
Franken  schließen  lassen.    Hiernach  entfallen  aber  in  runden  Zahlen : 

Grundkapitnl  Betri  b  GesammteB  in  der  Land- 

der  Grundstücke  .      ^  f'  vrirtbücbaft    angelegtes 

ond  r.obäudo  Kapiiai        ^^^^  thätigo»  Kaplul 

Fr.  Fr.  Fr. 

Per  Kopf  der  in  der  Landwirthschaft 

erwerbenden  Bevölkerung  .     .  2820  780  3G00 

Auf  jede  Landwirthschaft  treibende 

Haushaltung 13190  3630  16820 

Nimmt  man  an,  daß  der  Kapital  werth  aller  Waldungen  des  Landes,  ent- 
sprechend  dem  jährlichen  Bruttoertrage,  welcher  von  Landolt  (vgl.  die  Ab- 
handlung: Forstwirthschafl)  auf  40  Millionen  Franken  angegeben  wurde,  eine 
Summe  von  1440  Millionen  Franken  repräsentirt,  so  berechnet  sich  das  gesammte 
Crnin tikapital,  welches  in  der  Bodenkultur  überhaupt  angelegt  ist,  auf  den  Betrag 
von  4851  Millionen  und  per  Kopf  der  in  solcher  thätigen  Bevölkerung  auf  den 
von  4262  Franken.  ^) 

Wie  hoch  sich  das  in  den  übrigen  Erwerbszweigen  des  Landes  ruhende 
Kapital  beläuft,  ist  auch  nicht  annähernd  darzuthun,  da  es  hierfür  au  allen 
Anhaltspunkten  gebricht.  Geht  man  aber  davon  aus,  daß  das  Kapitaleinkommeu 
aller  an  der  Industrie,  am  Handel  und  am  Rentenbezug  direkt  und  indirekt 
betheiligten  Personen  per  Kopf  eben  so  viel  betrage,  wie  sich  im  Durchschnitt 
dasjenige  der  in  der  Urproduktion  beschäftigten  Bevölkerung  berechnet,  so  müßte 
eben  das  außerhalb  der  Gewerbe  der  Rohatotferzeugung  bezw.  der  Bodenkultur 
angelegte  Kapital  die  Summe  von  8685  Millionen,  und  das  gesammte  Kapital 
der  schweizerischen  Volkswirthschaft  diejenige  von  14475  Millionen  Franken 
erreichen. 

So  wenig  diese  Zahlen  Anspruch  darauf  erheben  können,  mehr  als  kaum 
annähernd  zutreffend  zu  sein,  so  sehr  berechtigen  sie  doch  zu  dem  SchlusHc,  daß 
das  Land  sich  im  Besitze  eines  verhältnißmäßig  großen  Kapitalreichthums  befinde. 
Hiermit  stimmt  die  Erfahrung,  daß  sich  im  Kapital-Leihverkehr  durchschnittlich 
ein  nur  niedriger  Zinsfuß  berechnet,  und  daß  das  Kapital  sich  dem  Grundbesitz 
im  Allgemeinen  gerne  zuwendet.  Das  angedeutete  Yerhältniß  ist  seither  allerdings 

')  Beuning  berechnete  dasselbe  in  den  sechziger  Jahren  für  das  Königieich  Sachsen 
auf  3750  Franken. 


Landwirthschaft  —      270     —  Landwirthschaft 

von  erheblichen  Fluktuationen  betroffen  worden,  in  so  fem  der  Wechsel  von  Perioden 
des  Aufschwunges  und  des  Stillstandes  oder  Niederganges  in  Industrie  und  Handel 
jeweils  Erleichterungen  oder  Erschwernisse  für  ergiebige  Plaoements  des  Kapitals 
und  daher  verschiedene  Strömungen  der  Nachfrage  am  Kapitalmarkte  nach  sich 
zog.  In  auffallender  Weise  traten  derartige  Erscheinungen  während  der  letzten 
beiden  Dezennien  zu  Tage.  Von  Ende  der  sechziger  Jahre  an,  und  dann  vornehm- 
lich seit  der  Beendigung  des  deutsch-französischen  Krieges,  äußerte  sich  bekanntlich 
die  Unternehmungslust  auf  allen  gewerblichen  Gebieten  in  einem  früher  kaum 
jemals  beobachteten  Grade  der  Lebhaftigkeit.  Es  war  die  Zeit  des  leider  von 
traurigen  Ueberstürzungen  nicht  frei  gebliebenen  Haschens  nach  mUhelosem  Elr- 
werb,  des  Spekulationsfiebers  und  der  Gründungssucht.  In  diesen  Zeitraum  fiel 
namentlich  auch  eine  rapide  Entwicklung  der  Eisenbahnbauten.  Den  daherigen 
Strömungen  war  es  aber  zuzuschreiben,  daß  das  Kapital  sich  der  zur  Gewährung 
hohen  Zinsgenusses  nicht  befähigten  Landwirthschaft  gegenüber  spröde  verhielt, 
und  daß  man  es  deßhalb  in  maßgebenden  Kreisen  für  eine  dringende  Pflicht 
erkannte,  diesem  Gewerbe  Erleichterungen  in  dem  Bezüge  des  Kapitals  zu  ver- 
schaffen. Ganz  besonders  suchte  man  dies  durch  Errichtung  von  kantonalen  Banken 
bezw.  eine  entsprechende  Organisation  des  Hypothekarkredites  an  diesen  Anstalten 
zu  erreichen.  Nachdem  aber  seit  Mitte  und  Ende  der  siebenziger  Jahre  der 
vielbeklagte,  weil  von  manchen  bitteren  Täuschungen  begleitete  Rückschlag  ein- 
getreten war,  änderte  sich  auch  die  Physiognomie  des  Kapital  Verkehrs  in  durch- 
greifender Weise  zu  Gunsten  des  Grundbesitzes.  In  der  That  verzeichnet  die 
Gegenwart  eine  relative  Kapitalab undanz,  und  von  eigentlichen  Erschwernissen 
des  Hypothekarkredites  int,  ungeachtet  des  Rückganges  der  GUterpreise,  welcher 
dem  Sinken  der  Preise  der  landwirthscbaftlichen  Produkte  und  daher  auch  dem 
Sinken  der  Grundrente  folgen  mußte,  kaum  mehr  die  Rede. 

Wie  sich  die  Verhältnisse  des  landwirthscbaftlichen  Kredites  im  Einzelneu 
gestaltet  haben,  ist  an  dieser  Stelle  nicht  nachweisbar.  Sie  sind,  was  insbesondere 
den  Grundkredit  betrifft,  von  Kanton  zu  Kanton  verschieden  und  wesentlich 
bedingt  von  den  betreffenden  Hypothekar-  und  Steuer-,  den  (neuerdings  einer 
Vereinheitlichung  durch  den  Bund  entgegengehenden)  Betreibungs-  und  Konkurs- 
gesetzen und  von  den  Einrichtungen  des  Bankwesens.  Weit  gleichmäßigere,  im 
Allgemeinen  allerdings  nicht  befriedigende  Erscheinungen  werden  dagegen  bezüglich 
des  sog.  Betriebskredites  (Kredit  für  lautende  Bedürfnisse)  beobachtet,  welcher 
zweifellos  noch  einer  weiteren  Entwicklung  fähig  und  bedürftig  ist. 

Im  freien  Verkehr  in  Liegenschaften  muß  der  Grund  und  Boden  durch 
Kapital  erworben  werden.  Der  Erwerb  von  Land  bedeutet  aber  eine  Anlage, 
deren  Größe  der  durchschnittlichen  Rente  (dem  Reinertrage)  desselben  und  dem 
jeweiligen  Stande  des  Zinsfußes  entsprechen  muß.  Bei  gleichem  Zinsfuß  steigt 
der  Landpreis  mit  der  Höhe  der  Grundrente,  und  bei  gleicher  Grundrente,  wie 
in  allen  fixen  Anlagen,  mit  dem  Sinken  des  Zinsfußes,  und  umgekehrt.  Bekannt 
ist  ferner,  daß  der  inneren  Natur  des  Grundbesitzes  gemäß  ein  in  diesem  an- 
gelegtes Kapital  immer  nur  niedrige  Zinserträge  abwirft,  wie  namentlich  auch 
durch  das  Verhältniß  des  Pachtpreises  zum  Grundkapital  überall  und  allezeit 
bewiesen  wird.  Die«e  Erscheinungen  bergen  für  den  Uebernehmer  von  Grund- 
besitz niancherliu  ernste  Gefahren.  Täuscbungen  über  die  Größe  der  wahren 
durchschnittlichen  Grundrente  und  Diskontirung  übertrieben  oder  nur  vorüber- 
gehend hoher  Beträge  derselben  durch  die  Kaufsumme,  Belastung  des  Grund  und 
Bodens  mit  ungebührlich  hoch  zu  verzinsenden  Schuldkapitalien,  Rückwirkungen 
des  Steigens  des  Zinsfußes  tur  Grundschulden  bei  gleicher  oder  gar  niedergehender 


Landwirihschaft  —      277      —  Landwirthschaft 

Grundrente,  das  sind  Begebenheiten,  welche  die  Vermögenslage  und  den  Gewerbs- 
verdienst  der  Landwirthe  aufs  Tiefste  erschüttern  und  schon  in  sahireichen  Fällen 
deren  ökonomischen  Ruin  namentlich  dann  herbeigeführt  haben,  wenn  der  eigene 
freie  Antheil  der  Besitzer  am  Grundvermögen  ein  geringer  war,  und  wenn  ihnen 
nicht  ausreichendes  Betriebskapital  zur  Seite  stand.  Ganz  besondere  Beachtung  ver- 
dient hierbei  jedenfalls  die  Thatsache,  daß  die  Bewegung  der  Giiterpreise  bei  gleicher 
Grundrente  in  einer  den  Schwankungen  des  Zinsfußes  entgegengesetzten  Bichtung  ver- 
läuft. Denn  dieses  Yerhältniß  hat  eben  nur  zu  häufig  zur  Folge,  daß  sich  Erwerber 
von  Land  in  Zeiten  leichten  und  billigen  Bezuges  von  Kapital  für  diesen  Zweck  in 
übermäßiger  Weise  dauernd  engagiren.  So  gewiß  es  dem  einmal  mit  Schulden 
beladenen  Bauern  eine  Wohlthat  ist,  wenn  ihm  in  der  Benutzung  des  Leihkapitals 
Begünstigungen  durch  Herabsetzung  des  Zinsfußes  zu  Theil  werden,  so  gefährlich 
und  bedenklich  erscheint  jede  weitgehende  Erleichterung  und  Verwohlfeilerung 
des  Grundkredites  gegenüber  allen  Denjenigen,  welche  mit  Hülfe  desselben  im 
Landerwerb  konkurriren  und  den  Begehr  nach  Grundbesitz  steigern  helfen,  weil 
der  Hergang  immer  eine  außer  Yerhältniß  zur  Grundrente  steigende  Bewegung 
der  Güterpreise  nach  sich  zieht,  welche  eben  manchem  Landkäufer  die  drückendste 
Situation  bereitet,  sobald  aus  irgend  Gründen  (Yertheuerung  der  Arbeitslöhne, 
Yermehrung  der  Steuern,  Erhöhung  des  Zinsfußes,  Niedergang  der  Produkten- 
preise,  namentlich  auch  häufige  Aufeinanderfolge  von  Fehlerndten  etc.)  die  Rein- 
erträge von  Grund  und  Boden  sinken.  Yon  derartigen  Bückschlägen  sind  seit 
Jahren  leider  auch  in  der  Schweiz  nicht  wenige  Landwirthe  auf  das  Empfind- 
lichste betroffen  worden.  Sobald  man  aber  diesen  Zusammenhang  in's  Auge  faßt, 
und  auch  den  Forderungen  Rechnung  trägt,  welche  sich  aus  der  inneren  Natur 
der  Liegenschaffcskapitalien  ergeben,  so  wird  man  nicht  im  Zweifel  darüber  sein, 
daß  alle  auf  eine  fernere  zweckmäßige  Ausgestaltung  des  Realkredites  gerichteten 
Bestrebungen  ihren  Ausgangspunkt  nicht  in  dem  einseitigen  Hinarbeiten  auf  Er- 
niedrigung des  Zinsfußes  und  auf  Ausdehnung  der  Beleihungsgrenze,  d.  h.  in  der 
Erleichterung  von  Schuldanhäufungen,  als  vielmehr  in  Einrichtungen  zu  suchen 
haben,  welche  unter  Innehaltung  eines  der  Rente  aus  dem  Grundbesitz  ent- 
sprechenden Zinsniveau's  die  Unkündbarkeit  des  Schuldkapitals  und  das  System 
einer  planmäßigen  Amortisation  desselben  statuiren.  ') 

Die  Mehrzahl  der  unter  finanzieller  Betheiligung  des  Staates  und  unter  dessen 
Garantie  in's  Leben  gerufenen  kantonalen  Banken  hat  seither  das  Realkredit- 
geschäft in  ausgiebiger  Weise  gepflegt  und  es  durch  diese  ihre  Wirksamkeit 
dahin  gebracht,  daß  die  neben  dem  bankmäßigen  Yerkehr  einherlaufenden  privaten 
Geschäfte  in  Hypothekenbriefen  je  länger  je  mehr  an  Umfang  eingebüßt  haben, 
zumal  es  der  Kapitalist  vorziehen  mußte,  statt  direkt  mit  dem  Landwirth  su 
verkehren,  den  einfacheren  Weg  des  Erwerbs  von  Bankobligationen,  welche  stets 
als  sichere  und  beliebte  Papiere  angesehen  werden,  einzuschlagen. 

In  welchem  Umfange  der  Grundbesitz  des  Landes  in  Folge  von  Ankaufs- 
geschäften,  Erbauseinandersetzungen,  Errichtung  landwirthschaftlicher  Bauten  etc. 
im  Laufe  der  Zeit  mit  Schulden  beladen  wurde,  kann  nicht  genau  nachgewiesen 
werden,  weil  statistische  Erhebungen  hierüber  nur  vereinzelt  stattgefunden  haben. 
Jedenfalls   sind   die    Zustände   in   dieser   Hinsicht   von   Kanton   zu   Kanton   sehr 


')  Die  weitestgehende  Konzession  an  die  Eigenarligkeit  des  Grundbesitzes  würde 
freilich  in  der  schon  von  v.  Eodbertus  vorgeschlagenen  Umwandlung  der  Grund-Kapitäl' 
Schuldtitel  in  Grund-i2<^/efischuldtitel  liegen.  Aber  die  Schwierigkeiten  der  Ausführung 
einer  solchen  Maßregel  sind  so  in  die  Augen  springend,  daß  von  einer  näheren  Be- 
trachtung derselben  Umgang  genommen  werden  mag. 


Landwirtb^haft  —      278     —  Landwirthschafl 

verschieden.  Beispiel» weise  wird  von  Genf  angegeben,  daß  die  Hypothekanchnlden 
etwa  20  ^/o  des  Kataster werthes  amtassen,  indessen  znr  2^it  f&r  die  Kantone 
Bern  and  Zürich  eine  Belastnng  von  42  bezw.  48  ^/o  des  Landwerthes  ange- 
nommen werden  darf,  und  die  Yerschnldang  im  Kanton  Lnxern  sogar  den  Kataster- 
werth  erreichen  soll.  ')  Aber  auch  innerhalb  der  Kantone  heben  sich  diese 
Verhältnisse  in  den  einzelnen  Bezirken,  Gemeinden  and  Betriebsstellen  vielfach 
scharf  gegen  einander  ab,  so  daß  sogar  inmitten  erheblich  verschnldeter  Distrikte 
noch  zahlreiche  Grütergewerbe  vorkommen,  welche  von  der  Bewegung  der  letzten 
Jahrzehnte  nnbeeinflaßt  und  darnm  von  Schuld belastangen  mehr  oder  weniger 
verschont  geblieben  sind  oder  sich  sogar  noch  im  Besitze  aktiver  Forderungen 
befinden.  Immerhin  muß  zugegeben  werden,  daß  die  Grund  Verschuldung  von  der 
Mitte  dieses  Jahrhunderts  an  in  mehreren  Gebieten  (im  Kanton  Bern  z«  B.  von 
30 — 42  ^/o)  bedeutend  zugenommen  und  sich  auf  eine  nicht  unbedenkliche  Höhe 
gesteigert  hat.  Begreiflich  daher,  daß  diese  Erfahrung  schon  wiederholt  Anlaß 
zu  Anregungen  gab,  welche  darauf  abzielten,  eine  allmähliche  Schuldentlastung 
des  Grundbesitzes  herbeizuführen  und  Maßregeln  gegen  eine  Häufung  neuer 
Grundschnlden  (Beschränkung  der  freien  Verschuldbarkeit)  zu  ergreifen.  Von 
einer  näheren  Erörterung  dieser  Vorschläge  muß  hier  abgesehen  werden. 

In  einem  wesentlich  anderen  Lichte  stellt  sich  allerdings  die  Zohülfenahme 
des  Kredites  für  laufende  Bedürfnisse  dar.  Anlagen  dieser  Art  umfassen  nur 
bewegbare  Bestandtheile  des  landwirthschaftlichen  Kapitals,  den  eigentlichen  Be- 
triebnfond.  dessen  Bestimmung  es  ist,  die  Erträge  vom  Grundstock,  und  zwar 
direkt,  z.  B.  durch  Bodenmeliorationen,  Vermehrung  der  Düngung,  Verbesserung 
des  Saatgutes,  sorgfältigere  Bearbeitung  des  Landes,  und  indirekt,  durch  vortheil- 
haftere  Verwerthung  der  Erzeugnisse  auf  dem  Wege  der  Umformung  mittelst 
Viehhaltung  und  technischer  Gewerbe,  zu  erhöben.  Das  Maß  des  dahin  gehörigen 
Aufwandes  wird  durch  den  Preis  der  Produkte  und  rückwirkend  denjenigen  des 
Grund  und  Bodens  bestimmt;  in  dem  Verhältnisse  desselben  zum  Grundkapital 
druckt  sich  der  Grad  der  Intensität  des  Betriebes  aus.  Während  aber  das  Grund- 
kapital als  solches  sich  in  der  Bewirthschaftung  nicht  umsetzen,  also  auch  aus 
seinen  Erträgen  nicht  heimbezahlt  werden  kann,  kehrt  das  Betriebskapital  je 
nach  der  Beschaffenheit  und  Zweckbestimmung  der  einzelnen  Bestandtheile  des- 
selben bald  früher,  bald  später,  immer  aber  im  Ganzen  nach  kürzeren  Fristen 
mit  dem  Ertrage  auch  in  seinem  vollen  Umfange  wieder  in  die  Hände  des  Wirth- 
schafters  zurück.  Daher  ist  aber  der  Landwirth,  welcher  den  Kredit  zur  Ver- 
mehrung des  Betriebsfonds  benutzt,  auch  in  der  Lage,  das  geliehene  Kapital 
nach  einem  absehbaren  und  engeren  Zeiträume  aus  den  Erträgen  zu  restituiren, 
indessen  ihm  dasselbe  die  Mittel  gewährt,  sein  Geschäft  schwunghafter  einzurichten 
und  durch  vortheilhafte  Verstärkung  des  Umsatzes  auch  den  geschraubteren  An- 
sprüchen eines  hohen  Grundkapitals  Genüge  zu  leisten.  Wer  die  schweizerischen 
landwirthschaftlichen  Verhältnisse,  insbesondere  des  Flachlandes,  objektiv  betrachtet 
und  würdigt,  wird  sich  bald  überzeugen,  daß  in  dem  Mangel  an  ausreichendem 
Betriebskapital  einer  der  Hauptgründe  des  Unvermögens  zahlreicher  Oekonomieen 
liegt,  sich  den  Zeitforderungen  entsprechend  einzurichten.  Viele  sind  eben  zu 
reich  an  Land,  aber  zu  arm  an  Mitteln,  um  dasselbe  intensiv  zu  bewirthschaften. 
In  diesem  Verhältnisse  wurzelt  einer  der  größten  Uebelstände,  mit  welchen  die 
Agrikultur   in    neuerer  Zeit   zu   kämpfen  hat,    und  es  sollte  einleuchten,    wie  es 

')  Vj(l.  KoUhrunner:  Bericht  über  Gruppe  26:  Landwirthschafl,  Abtheilung  1, 
Fönlerunjr  der  Lindwirthschaft ;  II.  Theil:  Gesetzgebung,  Verwaltung,  Kulturunter- 
nehiriungen  und  Kreditwesen.    Zürich,  1884. 


Landwirthschaft  —      279     —  Landwirthschafi 

insbesondere  auch  im  Interesse  der  Hypothekargläabiger  liegt,  daß  Organisationen 
geschaffen  werden,  welche  den  Landwirthen  den  Genuß  eines  von  schwerfälligen 
Formen  nnabhängigen,  schlanken  und  billigen  Betriebskredites  ermöglichen.  Die 
lahlreichen,  kleineren  Banken,  Erspamiß-  und  Leihkassen  können  dieses  Bedürfhiß 
aus  hier  nicht  näher  zn  erörternden  Gründen  keineswegs  befriedigen.  Dagegen 
haben  sich  in  neuerer  Zeit  einzelne  kantonale  Banken,  wie  namentlich  diejenige 
von  Zürich,  jenen  Anforderungen  bereits  entgegenkommend  erwiesen.  Bevor  indeß 
die  Landwirthe  ihrerseits  nicht  Schritte  thun,  diese  Gelegenheiten  zu  befruchten, 
ist  an  eine  umfassendere  Wirksamkeit  der  Kantonalbanken  auf  diesem  Gebiete 
kaum  zu  denken.  Da  nun  aber  einmal  der  private  Ereditverkehr  erfahrungsgemäß 
absolut  außer  Stande  ist,  den  Anforderungen  der  Landwirthe  an  den  Betriebskredit 
ZQ  genügen,  so  bleibt  nur  der  eine,  in  anderen  Ländern  allerdings  seit  Jahren  mit 
hervorragendem  Erfolge  betretene  Weg  des  gemeinde  weisen  genossenschaftlichen 
Zusammenschlusses  der  Landwirthe  zur  Einrichtung  von  Kredit-  oder  Darlehens- 
kassenvereinen nach  dem  Muster  der  Raiffeisen'' sehen  Schöpfungen  übrig.  Durch 
derartige  Associationen,  deren  innere  Kräftigung  wiederum  durch  HerHtellung 
regionaler,  die  Thätigkeit  der  einzelnen  Vereine  zusammenfassender  Verbände 
wesentlich  gefördert  werden  könnte,  würde  es  dann  auch  möglich  gemacht,  den 
Zufluß  des  Kapitals  nach  der  Landwirthschaft  durch  Vermittlung  gerade  der 
kantonalen  Banken  zu  erleichtern. 

Unter  den  Aufgaben  der  Förderung  des  Betriebskredites  nimmt  nun  aller- 
dings diejenige  der  Begünstigung  speziell  des  Melioratiouswesens  eine  durch  die 
Natur  der  betreifenden  Verwendungen  bedingte  Sonderstellung  ein,  insofern  die 
auf  dauernde  Verbesserungen  des  Bodens  gerichteten  Anlagen  sich  in  einer  £lr- 
höhung  des  Grundkapitals  gewissermaßen  niederschlagen,  gleichwohl  aber,  wenn 
auch  nur  in  gedehnteren  Fristen,  durch  die  Mehrerträge  rückzahlbar  werden. 
Kredite  für  derartige  Unternehmungen  bedürfen  daher  eigenartiger  Abschlußformen, 
und  darin  liegt  auch  der  Grund,  daß  man  seither  schon  vielfach  darauf  Bedacht 
genommen  hat,  dem  Bedürfnisse  auf  diesem  Gebiete  durch  Gründung  von  be- 
sonderen Meliorations-Kreditbanken  Rechnung  zu  tragen.  Zu  dieser  Kategorie 
von  ländlichen  Kreditinstituten  gehören  auch  die  im  Auslande  bereits  gegründeten 
sog.  Landeskultur-Rentenbanken,  deren  Einführung  in  der  Schweiz  bereits  angeregt 
wurde.  *) 

8)  Die  Arbeit. 

Nach  Lage  der  allgemeinen  Erwerbsverhältnisse,  in  welchen  sich  ein  erheb- 
liches Uebergewicht  der  Volksbeschäftignng  in  den  umformenden  und  Hundeis- 
gewerben zu  erkennen  giebt,  ist  es  eine  leicht  verständliche  Erscheinung,  daß 
unsere  Landwirthschaft  hinsichtlich  der  Verfügbarkeit  und  der  Kosten  der  mensch- 
lichen Arbeitskräfte  eine  nicht  gerade  begünstigende  Stellung  einnimmt.  Die 
Wirkung,  welche  die  ihr  nun  einmal  auferlegte  Konkurrenz  mit  der  Industrie 
auf  diesem  Gebiete  geäußert  hat,  zeigt  sich  indessen  in  der  Schweiz  nicht  in 
der  augenfälligen  Schärfe,  wie  dies  anderwärts  unter  sonst  gleichen  oder  ähn- 
lichen Verhältnissen  beobachtet  wird.  Um  dieselbe  richtig  zu  beurtheilen,  ist  es 
erforderlich,  die  Beziehungen  je  der  verschiedenen  Besitzesstufen  zu  den  Vorgängen 
im  Arbeits  verkehr  in's  Auge  zu  fassen. 

In  den  gewerbereichen  Distrikten  des  Landes  begegnet  man  einer  großen 
Zahl  kleinster  Güter,  deren  Betrieb  sich  der  Beschäftigung  in  der  Industrie  an- 

')  Vgl.  A,  Krämer:  Vergleichende  Darstellung  der  Maßregeln  und  Einrichtungen 
zur  Förderung  der  Landwirtlischaft  in  verschiedenen  Ländern  Europa's.  Enquete-Bericht, 
erstattet  an  das  Schweizer.  Handels-  und  Landwirthschaits-Departement.    Zürich,    188'2. 


Landwirthschaft  —     280     —  Landwirthschafi 

schließt  QDd  mit  dieser  sich  vergesellschaftet.  Die  Besitzer  sind  Personen  des 
Arbeiterstandes,  welche  es  dahin  brachten,  käuflich  oder  miethweise  erworbenes 
Land  selbstständig  zn  bewirthschaften  nnd  sich  dadurch  zugleich  in  die  Stellang 
landwirthschaftlioher  Lohnarbeiter  auf  eiffene  Rechnufu/  emporzuschwingen.  Die 
Gmndbesitzer  dieser  Kategorie  betrachten  den  nach  Abzug  der  Eapitalzinsen  von 
dem  Roherträge  des  Landes  verbleibenden  Betrag  als  Arbeitslohn,  und  wenn 
dieser  Angesichts  der  hohen  Ansprüche  namentlich  des  Grundkapitals  auch  be- 
scheiden ausfallen  mag,  so  wird  er  doch  mit  einem  relativ  geringen  Einsalze 
erzielt,  weil  die  betreffenden  Verrichtungen  den  Charakter  von  Neben-  oder  FiÜl- 
arbeiten  tragen  und  es  gestatten,  auch  die  sonst  nicht  oder  nicht  hoch  verwerth- 
baren  Kräfte  der  schwächeren  Glieder  der  Familie  besser  auszunutzen ;  sie  erzeugen 
somit  verhältnißmäßig  wohlfeil  ganz  oder  theilweise  ihren  Bedarf  an  Lebensmitteln, 
während  der  Verdienst  in  der  Industrie  das  nöthige  Baargeld  zur  Bestreitung 
der  anderweiten  Bedürfnisse  des  Unterhaltes  in's  Haus  bringt.  Liegt  in  diesem 
Verhältnisse  schon  eine  wichtige  Triebfeder  zur  Bethätigung  in  der  Landwirth- 
schaft, so  darf  auch  nicht  unbeachtet  bleiben,  daß  diese  zugleich  einen  unver- 
kennbar vortheilhaften  Einfluß  auf  die  moralische  und  physische  Haltung  des 
Arbeiterstandes  ausübt.  Unter  solchen  Betriebsbedingungen  fällt,  wie  man  sieht, 
die  spezifische  ländliche  Arbeiterfrage  ganz  dahin.  Aber  auch  in  denjenigen  kleinen 
Oekonomieen,  welche  nur  zu  Zeiten  des  Jahres  noch  fremde  Kräfte  heranziehen 
müssen,  greift  die  Situation  im  Arbeitsverkehr  kaum  entscheidend  ein  in  die 
Geschicke  des  landwirthschaftlichen  Betriebes,  nicht  allein,  weil  der  Bedarf  an 
Hülfspersonal  an  sich  ein  absolut  geringer  ist,  sondern  namentlich  auch,  weil  in 
der  Verwendung  desselben  haushälterisch  zu  Werke  gegangen  werden  kann  und 
das  durch  die  regelmäßige  Mitarbeiterschaft  des  Wirthschafters  und  seiner  Familie 
gegebene  Vorbild  des  Fleißes,  der  Einfachheit  und  Nüchternheit  zu  einer  besseren 
Verwerthung  auch  der  gemietheten,  der  Lohnarbeit  führt. 

Wesentlich  anders  gestalten  sieh  die  Beziehungen  des  Landwirths  zum 
Arbeitsverkehr  in  dem  größeren,  auf  umfangreichere  Anwendung  des  Dienstes 
der  Lohngehülfen  angewiesenen  Besitzstande,  besonders  in  den  den  Verkehrszentren 
näher  gelegenen,  dichter  bevölkerten  Distrikten.  Hier  wird  der  Geschäftsgang 
von  den  herrschenden  Zuständen  unmittelbar  und  zum  Theil  empfindlich  betroffen. 

Aber  selbst  noch  auf  dieser  Betriebsstufe  kommen  fast  durchweg  Einrichtungen 
vor,  welche  wenigstens  eine  Milderung  der  bestehenden  Schwierigkeiten  zur  Folge 
haben.  Dieselben  bestehen  —  Ausnahmen  auf  den  nicht  zahlreichen  GroßglUem 
vorbehalten  —  darin,  daß  der  Wirthschafter  sich  an  den  vorkommenden  manuellen 
Verrichtungen,  wenn  auch  nicht  mehr  regelmäßig  in  allen  Zweigen,  so  doch 
wenigstens  zu  Zeiten  starken  Zusammendrängens  der  Arbeiten,  an  einzelnen  vor- 
zugsweise wichtigen  Geschäften  durch  eigenes  Handanlegen  betheiligt,  und  in 
dieser  sowohl  durch  seine  ökonomische  Lage  wie  durch  eine  gefeierte  Tradition 
ihm  vorgezeichneten  Thätigkeit  zugleich  die  Funktionen  des  Leiters,  Aufsehers 
und  Vorarbeiters  übernimmt,  sodann  aber  auch  darin,  daß  derselbe  einer  herr- 
schenden und  in  den  eingelebten  Anschauungen  über  die  sozialen  Beziehungen 
auf  dem  Lande  wurzelnden  Sitte  gemäß  die  Art  des  täglichen  Lebensunterhaltes, 
insbesondere  die  Tisch  Verpflegung,  mit  den  Lohngehülfen,  vor  Allem  mit  den 
Dienstboten,  theilt.  Der  „Güterknecht"  steht  daher  in  der  Schweiz  noch  weit 
mehr  wie  anderwärts  zu  seiner  Herrschaft  im  Verhältniß  der  Familienzugehörigkeit 
bczw.  der  Hausgenossenschaft.  Hierin  liegt  einer  der  vornehmsten  Gründe  für 
die  Erfahrung,  daß  die  Zahl  der  kontraktlich  gebundenen  Arbeiter  gegen  frtiher 
nicht  oder  nur  wenig  abgenommen,  und  daß  die  vielen  Unebenheiten  und  Härten, 


Landwirtbschaft  —      281     —  Landwirthschaft 

welche  die  Entwicklung  des  Dienstbotenwesens  in  der  Neuzeit  mit  sich  gebracht 
hat,  hier  zu  Lande  die  GemUther  im  Granzen  wenig  bennmhigt  haben,  wenn 
auch  allseitig  zugegeben  wird,  daß  die  Verhältnisse  der  Gregenwart  dem  Land- 
wirth  weit  dringendere  und  zwingendere  Rücksichten  und  Pflichten  auferlegt  haben, 
als  je  zuvor.  Weniger  einfach  und  erleichternd  gestaltete  sich  freilich  der  Verkehr 
mit  den  kontraktlich  nicht  gebundenen  Arbeitern,  den  Tagelöhnern,  weil  bei 
diesen  die  notorisch  vorhandene  Leichtigkeit  des  Ueberganges  von  einer  Be- 
schäftigungsart oder  Verdienstquelle  zur  anderen  viel  mehr  zu  Schwankungen  im 
Angebote  ftthrt,  und  der  Druck  der  Konkurrenz  der  verschiedenen  Erwerbsarten 
und  Betriebsstellen  sich  weit  schneller  und  schärfer  fühlbar  macht.  Insbesondere 
zeigt  sich  dies  recht  augenfällig  in  Zeiten  vorübergehend  starken  Bedarfes  an 
Kräften,  wie  z.  B.  der  Heu-  und  Emdemdte,  der  Weinlese  etc.  In  der  Löhnung 
der  kontraktlich  nicht  gebundenen  Arbeiter,  welche  zum  großen  Theile  lediglich 
den  Erwerb  im  Dienste  Dritter  verfolgen,  zu  welchen  aber  auch  Personen  des 
kleinsten,  auf  die  Benutzung  von  Gelegenheiten  von  Nebenverdienst  angewiesenen 
Besitzstandes  gehören,  kommen  zwei  verschiedene  Verfahrungs weisen  vor,  indem 
nämlich  der  gesammte  Lohn  entweder  nur  in  baarem  Gelde  besteht,  oder  zum 
Theil  in  Geld,  zum  Theil  in  der  Verköstigung  gewährt  wird  (großer  und  kleiner 
Tagelohn). 

Fragt  man  nach  den  Kosten  der  laudwirthschaftlichen  Arbeitskräfte,  so  wird 
man,  um  zu  einer  richtigen  Vorstellung  hierüber  zu  gelangen,  füglich  von  dem 
Aufwände  ausgehen  dürfen,  welchen  der  Unterhalt  eines  erwachsenen  männlichen 
Dienstboten  erfordert.  Man  kann  annehmen,  daß  der  baare  Lohn  je  nach  der 
Stellung  und  je  nach  den  Ansprüchen  an  die  Leistung  einer  solchen  Person 
zwischen  7  und  10  Franken  per  Woche  schwanken  wird,  indessen  der  gesammte 
Verpflegungsaufwand  (Lebensmittel,  Antheil  an  dem  Aufwand  für  Kochen,  — 
Arbeit  und  Küchengeschirr,  —  Bettwäsche  etc.)  je  nach  den  allerdings  lokal  abge- 
stuften Anforderungen  an  den  Tisch  und  bezüglich  der  Gewährung  von  geistigen 
Getränken,  sowie  nach  den  Preisen  der  Produkte  sich  auf  0,90  bis  1,25  Franken 
per  Tag  berechnet.  Daraus  ergiebt  sich  ein  Aufwand  im  Ganzen  per  Jahr  von 
etwa  700  —  975  Franken.  In  den  verkehrsreichen  Gegenden,  besonders  in  der 
Nähe  großer  Städte,  wird  der  höchste  dieser  Sätze  auch  wohl  noch  überschritten, 
so  daß  man  in  solchen  Verhältnissen  ganz  wohl  einen  Maximalbetrag  von  1000 
Franken  und  selbst  mehr  annehmen  darf.  Hieraus  dürfte  aber  zu  schließen  sein, 
daß  sich  auch  der  Tagelohn  der  kontraktlich  nicht  gebundenen  Arbeiter,  bei 
Annahme  von  jährlich  etwa  280 — 290  Arbeitstagen,  zwischen  2,50  und  3.50 
Franken  im  Durchschnitt  des  Jahres  bewegt,  womit  natürlich  das  Vorkommen 
einhergeht,  daß  dieser  Lohn  in  dringenden  Zeiten  des  Jahres  sich  bedeutend 
erhöht,  in  anderen  Perioden,  namentlich  im  Winter,  aber  zurückgeht.  Uner- 
wachsene männliche  Arbeiter  und  Frauen  verdienen  etwa  85  ^jo  dieser  Beträge. 

Unter  so  bewandten  Umständen  ist  und  bleibt  es  allerdings  eine  der 
dringendsten  Aufgaben  der  Landwirthschaft,  Einrichtungen  zu  trefl'en,  welche  zu 
einer  Verminderung  der  Produktionskosten  gerade  auch  in  Bezug  auf  die  Hund- 
arbeit führen.  Sie  kann  und  muß  dabei  je  nach  der  Gestaltung  der  ander  weiten 
Betriebsbedingungen  eine  Wirthschaftsweise  in 's  Auge  fassen,  welche  überhaupt 
die  menschliche  Arbeit  weniger  in  Anspruch  nimmt,  dagegen  der  Einwirkung 
des  Betriebskapitals  behufs  Steigerung  des  Umsatzes  noch  den  weitesten  Spielraum 
gewährt;  sie  wird  sich  aber  auch  darauf  angewiesen  sehen,  Maßregeln  zu  er- 
greifen, welche  im  Stande  sind,  bei  gleicher  Betriebsweise  an  Handarbeit  zu 
sparen  und  mit  den  vorhandenen  Kräften,  unbeschadet  der  vortheilhaftesteu  Ia^Vvcw« 


Landwirthschaft  —      282     —  Landwirthschafl 

Stellung  derselben,  einen  möglichst  hohen  Arbeitserfolg  zu  erzielen.  Die  Wichtig- 
keit derartiger  Vorkehrungen  ist  bereits  durch  die  Bestrebungen  der  Landwirthe 
in  den  siebenziger  Jahren,  zu  einer  2ieit,  da  sich  die  Arbeitskräfte  im  Zusammen- 
hange mit  der  damals  beobachteten  gewaltigen  Steigerung  der  Unternehmungslust 
in  der  Industrie  in  großer  Zahl  von  der  ländlichen  Beschäftigung  abwandten^ 
anerkannt  worden.  Und  wenn  auch  heute,  nachdem  in  den  übrigen  Gewerben 
eine  gewisse  Ernüchterung  eingetreten,  von  einem  Mangel  an  Arbeitern  auf  dem 
Lande  weniger  mehr  die  Rede  ist,  wie  noch  vor  einem  Jahrzehnte,  so  muß  jene 
Forderung  gleichwohl  schon  aus  dem  Grunde  aufrecht  erhalten  werden,  weil  die 
Löhne  inzwischen  kaum  einen  Rückgang  erfahren  haben.  In  Bücksicht  hierauf 
wird  man  fortfahren,  unter  sonst  geeigneten  Verhältnissen  der  einfachen  Gras- 
wirthschaft,  in  den  besseren  Lagen  in  Verbindung  mit  der  Obstkultur,  besondere 
Beachtung  zu  schenken,  aber  auch  darch  verbesserte  Feldein theilungen  (Güter- 
bereinigung), zweckmäßige  Anlage  und  sorgfaltige  Unterhaltung  der  Feldwege, 
durch  arbeiterleichternde  Einrichtungen  in  den  Wirthschaftsgebäuden,  vermehrte 
Anwendung  der  Maschinen,  namentlich  zur  Erndte,  durch  umfangreichere  Anwendung 
der  Akkordarbeit  u.  a.  m.  die  gewünschten  und  nothwendigen  Erleichterungen  zu 
schaffen.  Was  insbesondere  den  Maschinenbetrieb  anbelangt,  so  hat  die  schweize- 
rische Landwirthschaft  alle  Veranlassung,  darauf  Bedacht  zu  nehmen,  daß  ihr 
die  reichlich  gebotenen  Wassergefälle  in  noch  höherem  Grrade  wie  seither  als 
Triebkräfte  dienstbar  gemacht  werden. 

Wenn  dann  der  Landwirth,  eingedenk  seiner  Verpflichtungen  als  Vertreter 
eines  hervorragend  wichtigen  und  einflußreichen  Standes,  sich  bewährt  als  treuer 
Mitarbeiter  an  der  Aufgabe  der  Besserung  der  wirthschaftUchen  und  gesellschaft- 
lichen Stellung  der  arbeitenden  Klasse  im  Allgemeinen,  und  insbesondere  seinen 
moralischen  und  intellektuellen  Beistand  leistet  zur  Förderung  der  Volksbildung 
gerade  auch  in  diesen  Kreisen,  zur  Einführung  von  Institutionen,  welche  die 
ökonomische  Verfassung  des  Arbeiterntandes  unabhängiger  gestalten  und  ihn  in 
höherem  Grade  schützen  gegen  die  WechRclfälle  des  Lebens,  dann  darf  er  auch 
mit  Sicherheit  erwarten,  daß  seinem  Gewerbe  auf  die  Dauer  sich  immer  genügend 
zahlreiche,  treue  und  zuverlässige  Kräfte  zuwenden  werden,  welche  die  Vorzüge 
der  Beschäftigung  im  Landbau  jedezeit  zu  würdigen  wissen  und  in  dieser  eine 
sie  zufriedenstellende  und  zur  vollen  Hingebung  auffordernde  Erwerbsstellung 
erblicken. 

9)  Der  Markt. 

Aus  den  Thatsachen,  welche  wir  an  früherer  Stelle  (Abschnitt  5)  über 
die  Dichtigkeit  und  die  Erwerbsrichtung  der  Bevölkerung  und  über  das  durch 
die  betreffen  den  Zustände  hervorgerufene  Bediirfniß  starken  Importes  an  land- 
wirthschaftlichen  Produkten  vorgeführt  haben,  läßt  sich  von  vorneherein  der 
Schluß  ziehen,  daß  der  Verkehr  in  diesen  Artikeln  das  Bild  einer  hochgradigen 
Lebhaftigkeit  darbieten  müsse.  Die  Erfahrung  bestätigt  die  Richtigkeit  dieser 
Auffassung.  Dank  den  sehr  verzweigten  Kommunikationsmitteln,  welche  das  Land 
in  dem  das  ganze  Hügelgebiet  überspannenden  dichten  Eisenbahnnetz,  in  seinen 
ausgebreiteten  und  gut  unterhaltenen,  bis  in  das  Alpengebiet  vordringenden  und 
mehrfach  den  Alpenkamm  überschreitenden  Straßen,  in  seinem  Reichthum  an 
wohlgepflegten  Vizinal wegen  und  in  der  Schifffahrt  auf  seinen  Binnensee^n  besitzt, 
ist  der  Handel  in  agrikolen  Erzeugnissen  in  jeder  Richtung  erleichtert,  und  in 
der  That,  nachdem  im  Jahre  1887  mit  der  Aufhebung  der  Ohmgelder  auch  der 
letzte  Ueberrest  von  inneren  Zollschranken  gefallen  ist,  nirgends  mehr  behelligt, 
(irleichzeitig  genießt  die  Schweiz  aber  auch  nach  allen  Seiten  hin  direkte  Bahn- 


Landwirthschafl  —      283     —  Landwirthschaft 

verbindnngen  mit  dem  Auslände,  unter  welchen  die  seit  einigen  Jahren  vollendeten 
Gbtthard-  und  Arlberglinien  eine  ganz  besondere  Tragweite  erlangt  haben,  weil 
durch  sie  die  Entfernung  nach  den  vorherrschend  agrikolen  südlichen  und  östlichen 
Grebieten  unseres  Erdtheils  um  ein  Bedeutendes  abgekürzt,  und  insbesondere  durch 
die  Annäherung  an  die  Mittelmeerhäfen  der  Handel  mit  überseeischen  Plätzen 
gefördert  wurde.  War  die  schweizensche  Landwirthschaft  schon  vor  Eröffnung 
dieser  Routen  in  Folge  ihrer  leichten  Verbindungen  über  französisches  Gebiet 
bis  zu  den  südlichen  und  westlichen  Häfen  dieses  Landes,  sodann  nach  der  Nordsee 
and  durch  Süddeutschland  nach  Oesterreich-Ungaru  dem  Drucke  fremder  Kon- 
kurrenz in  hohem  Grade  ausgesetzt,  so  mußte  sich  dieser,  obendrein  durch  die 
freihändlerische  Richtung  der  schweizerischen  Zollpolitik  begünstigte  Zustand  nach 
Vollendung  der  jüngeren  Bahnstrecken  in  hohem  Grade  verschärfen,  indem  mit 
der  fortschreitenden  Verminderung  der  Kosten  der  Zufuhr  von  landwirthschaft- 
lichen  Erzeugnissen  auch  ein  immer  größerer  Rayon  billiger  produzirender  Gebiete 
sich  um  die  Betheiligung  an  der  Versorgung  des  schweizerischen  Marktes  bewarb. 
In  diesem  Entwicklungsgange  sind  aber  der  inländischen  Agrikultur  gleichwohl 
noch  manche  Vortheile,  welche  der  Sitz  inmitten  einer  dichten,  sehr  konsumtions- 
fähigen Bevölkerung  mit  sich  bringt,  verblieben,  in  so  weit  es  sich  um  die 
Befriedigung  des  inneren  Bedarfes  an  solchen  Artikeln  bandelt,  welche  wegen 
des  ungünstigen  Verhältnisses  ihres  Gewichtes  oder  ihres  Volumens  zu  ihrem 
Werthe  oder  wegen  ihrer  geringen  Haltbarkeit  einen  Transport  auf  größere 
Entfernung  nicht  vertragen.  Dies  bezieht  sich  insbesondere  auf  Kartoffeln,  einzelne 
Arten  Gemüse,  frisches  Obst,  Schlachtkälber,  namentlich  frische  Milch,  und  dann, 
freilich  in  weniger  ausgesprochenem  Maße,  auch  auf  feine  Tafelbutter.  Anderer- 
seits ist  unverkennbar,  daß  der  gleiche  Aufschwung  im  Verkehr  nach  Außen, 
während  er  einzelnen  Richtungen  der  Landwirthschaft  mancherlei  Härten  und 
Beschwerden  gebracht  hat,  doch  wiederum  anderen  Zweigen  der  inländischen 
Produktion,  welche  darauf  angewiesen  sind,  für  den  Export  zu  arbeiten,  auch 
erhebliche  Erleichterungen  des  Absatzes  verschaffte.  Diese  Erfahrung  hat  ins- 
besondere an  dem  Handel  in  Zuchtxieh  gemacht  werden  können,  welcher  seit 
Jahren  an  Lebhaftigkeit  gewonnen  und  sich  auch  über  ganz  neue,  früher  ganz 
unbetheiligt  gebliebene  Gebiete  ausgedehnt  hat.  Eine  solche  Bewegung  würde 
zweifellos  auch  noch  andere  Exportartikel,  so  namentlich  den  hier  vor  Allem  iu 
Betracht  kommenden  Käse,  erfaßt  haben,  wenn  nicht  die  exorbitant  hohen  Schutz- 
zölle, welche  fast  alle  Länder  ringsum  auch  auf  diese,  seither  in  großen  Quanti- 
täten von  uns  bezogenen  Produkte  neuerdings  gelegt  haben,  der  weiteren  Ent- 
wicklung hemmend  entgegenträten. 

Wie  die  Verkehrserleichterungen  der  Neuzeit  auf  die  Gestaltung  der  Ge- 
Bchäftsformen  gewirkt  haben,  zeigt  sich  am  Augenfälligsten  im  Getreidehandel , 
Die  hauptsächlichsten  Bezugsländer  für  Brodfrüchte  sind:  Oesterreich-Um/arn, 
Rußland,  Deutschland,  Frankreich,  die  Balkanländer  und  Nordamerika.  Mit  der 
Zunahme  der  Einfuhren  aus  jenen  Gebieten  konzentrirte  sich  dieser  Handel  immer 
mehr  in  den  Händen  von  Engros- Geschäften.  Die  bedeutendsten  Abschlüsse  voll- 
ziehen sich  heutzutage  an  den  Börsen,  indessen  dem  Verkehre  die  Errichtung 
von  großen  Niederlagshäusern  an  den  Haupteinfuhrplätzen  dienstbar  gemacht 
wurde.  Mit  diesem  Hergange  sind  die  lokalen  Märkte  in  direkt  offerirter  Waare 
nach  und  nach  zusammengeschrumpft,  aber  auch  die  kleinen  Kundenmühlen  gegen- 
über der  Kunstmüllerei  in  eine  beengtere  Lage  gekommen. 

Das  größte  Interesse  wendet  die  schweizerische  Landwirthschaft  dem  Ver- 
laufe de«  Verkehrs  in  Vieh  und  Viehprodukten  zu. 


Landwirthschafl  —     284     —  Landwirthschafl 

Unter  den  hierher  gehörigen  Artikebi  ist  das  Geschäft  in  frischer  Milch, 
welches  sich  naturgemäß  innerhalb  der  die  großen  Städte  zunächst  umschließenden 
Zone  am  Lebhaftesten  entwickelt,  das  vornehmlich  begünstigte,  weil  am  Wenigsten 
von  der  Konkurrenz  abgelegener  Gebiete  bedrohte.  Gemäß  den  in  neuerer  Zeit 
gesteigerten  Ansprüchen  an  die  öffentliche  Gesundheitspflege  sind  auch  die  An- 
forderungen an  die  bei  der  städtischen  Milchversorgung  betheiligten  Produzenten 
im  Laufe  der  Jahre  überall  verschärft  worden.  Damit  aber  auch  den  geschraubtesten 
Bedürfnissen,  insbesondere  im  Hinblick  auf  die  Kinderernährung,  Genüge  ge- 
leistet werde,  ist  es  schon  an  mehreren  bedeutenden  Plätzen  zur  Gründung  von 
größeren  städtischen  Milchversorgungs-Etablissements,  bald  auf  dem  Wege  der 
Privatuntemehmung,  bald  auf  genossenschaftlicher  Grundlage,  sowie  zur  Errichtung 
von  besonderen  Milchkuranstalten  gekommen. 

Der  Absatz  in  Käse,  eines  hervorragenden  Ausfuhrgegenstandes  der  schwei- 
zerischen Landwirthschaft,  welcher  seither  vorzugsweise  seinen  Weg  nach  Frank- 
reich, Italien,  Deutschland,  Oesterreich-Ungam,  Großbritannien,  Rußland,  Spanien, 
Algier  und  Nordamerika  nahm,  stützt  sich  fast  ausschließlich  auf  die  Vermittlung 
des  Zwischenhandels.  Dieser  wird  durch  zahlreiche,  speziell  dem  Exporte  des 
Artikels  obliegende  Firmen  geübt.  Wie  lebhaft  und  eifrig  das  Geschäft  auch 
gehandhabt  werden  mag,  so  wenig  hat  dasselbe  namentlich  in  der  neueren  Zeit 
die  Produzenten  durchweg  befriedigen  können,  da  ihm  mancherlei  Unzuträglich- 
keiten und  Beschwerden  anhaften. 

Anders  hat  sich  naturgemäß  der  Handel  in  Butter  gestaltet.  Die  allerdings 
nicht  bedeutenden  Ueberschüsse  des  Inlandes  an  Tafelbutter  wandern  meistens 
nach  Paris,  wo  der  Vertrieb  nach  den  in  den  Verkaufshallen  üblichen  Usancen 
geschieht. 

Schon  seit  einer  Reihe  von  Jahren  sind  wiederholt  Vorschläge  aufgetaucht, 
welche  darauf  abzielten,  dem  Absätze  in  Molkereiprodukteu  eine  für  den  Produ- 
zenten vortheilhaftere  Gestaltung  zu  geben,  und  faßte  man  hierbei  zuvörderst 
den  Käsehaudel  in's  Auge.  Es  lag  der  Gedanke  nahe,  eine  Organisation  zu 
schaffen,  welche  es  dem  Produzenten  ermöglicht,  mit  den  Konsumenten  durch 
Umgehung  des  ganzen  Apparates  des  Zwischenhandels  direkte  Fühlung  zu  ge- 
winnen und  somit  die  das  Produkt  belastenden  Spesen  zu  vermindern,  sowie  die 
Erzeugung  gleichmäßiger,  gut  typirter  Sortimente  je  in  größeren  Distrikten  zu 
bewirken  und  dadurch  zugleich  der  Waare  den  Vortheil  der  Schutzmarke  zu- 
zuwenden. Die  Ausführung  dieser  gegen  die  arge  2jersplitterung  des  Geschäftes 
gerichtete  Idee  hätte  freilich  zur  Voraussetzung,  daß  die  Landwirthe  den  Betrieb 
der  Käserei  auf  eigene  Rechnung  durchführen,  und  würde  dieselbe  in  der  Gründung 
von  regionalen  Genossenschaftsverbänden  zur  Verwerthung  der  Käse  gipfeln 
müssen.  Aber  auch  für  den  Butter  versandt  sind  mehrfach  Anregungen  im  Sinne 
einer  Erleichterung  gegeben  worden.  Dieselben  hatten  vornehmlich  die  gemein- 
schaftliche Beschickung  des  großen  Auslandsmarktes  im  Auge  und  bezweckten 
Verringerung  der  Transportspesen,  Gewährung  von  Garantieen  tür  bestimmte 
Qualitäten,  und  eine  gemeinsame  Vertretung  der  Interessen  aller  Betheiligten  an 
der  Vertriebsstelle  etc.  etc.  Bemerkeuswerth  ist  sodann,  daß  die  Landwirthe  der 
Schweiz  der  Ausdehnung  der  Fabrikation  und  des  Verkaufes  der  Kunstbutter 
gegenüber  schon  frühzeitig  eine  entschieden  abwehrende  Stellung  einnahmen.  Für 
die  weitere  Entwicklung  des  Marktes  in  Molkereiprodukten  überhaupt  kam  dann 
auch  noch  die  Frage  der  Anstellung  von  besonderen  Agenten  im  Auslande  und 
die  Vermittlung  der  Konsulate  zur  Sprache.  In  allen  jenen  Beziehungen  ist  aber 


Landwirlbschaft  —     285     —  Landwirthschaft 

—  mit  Aosnahme  der  Kontrole  des  Handels  in  Kanstbutter  —  bis  jetzt  ein 
positives  Resultat  nicht  erzielt  worden. 

Schlanker  wie  im  Bereiche  des  Verkehrs  in  diesen  Artikeln  geht  es  im 
Viehhandel  zu.  Der  Betrieb  der  Einfuhr,  welche  vorzugsweise  in  Schlachtwaare 
besteht,  scheint  nach  und  nach  in  so  fern  ein  festes  Gefüge  annehmen  zu  wollen^ 
als  er,  Dank  den  Begünstigungen,  welche  ihm  die  Eisen  bahn  Verwaltungen  durch 
Errichtung  von  Depots  an  der  Ostgrenze  gewähren,  immer  mehr  in  Großhandels- 
untemehmungen  und  Kommissionsgeschäfte  übergeht  und  dadurch  dem  inländischen 
Metzgergewerbe  die  wesentlichsten  Erleichterungen  gewährt.  So  wenigstens  bei 
dem  Großvieh,  mit  welchem  das  Land  namentlich  von  Osler reich-wng arischer, 
deutscher,  italienischer  und  französischer  Seite  her  sehr  ausgiebig  versorgt  wird.^) 
Die  Zufuhr  von  jungen,  zur  Mästung  bestimmten  und  von  ausgemästeten  Schweinen, 
an  welcher  hauptsächlich  Deutschland  und  Frankreich,  sodann  Oesterreich- Ungarn 
und  auch  Italien  Antheil  haben,  erfolgt  dagegen  mehr  noch  auf  dem  Wege  des 
Kleinhandels.  In  Zuchtrindoieh  ist  die  Schweiz  ein  ausgesprochenes  Exportland. 
Der  Verkehr  in  Zuchtvieh  vollzieht  sich  fast  ausschließlich  in  altherkömmlicher 
Weise  auf  den  inneren,  allerdings  sehr  zahlreichen  Märkten,  welche  von  Käufern 
aus  Deutschland,  Italien,  Frankreich  und  Oesterreich- Ungarn  stark  frequentirt 
werden,  aber  auch  außerhalb  der  Märkte,  indem  fremde  Liebhaber  (Private  und 
Delegirte  von  Genossenschaften,  landwirthschaftlichen  Vereinen  und  Behörden) 
die  betreffenden  Gebiete  von  Hof  zu  Hof,  von  Stall  zu  Stall  absuchen.  Zu  den 
erfreulichsten  Erfahrungen  in  diesem  Geschäfte  gehört  die  Thatsache,  daß  sich 
in  neuerer  Zeit  Abnehmer  für  schweizerisches  Zuchtvieh  sogar  in  Nord-  und 
Südamerika  gefunden  haben.  In  dem  Alpengebiete  begegnet  man  der  wohlthuenden 
Ehrscheinung,  daß  der  Zwischenhandel  fast  ganz  ausgeschlossen  ist,  der  Käufer 
also  es  regelmäßig  mit  dem  Produzenten  selbst  zu  thun  hat,  und  daß  das  Makler- 
wesen eine  nur  untergeordnete  Rolle  spielt.  Anders  im  Flachlande,  allwo  ins- 
besondere die  Erfahrung,  daß  sich  das  israelitische  Element  in  die  Viehhandels- 
geschäfte vielfach  stark  eingenistet  hat,  schon  zu  mannigfachen  Klagen  Anlaß 
gab.  Zur  Erleichterung  der  fremden  Käufer  ist  seither  leider  wenig  geschehen, 
und  wird  eine  Besserung  in  dieser  Richtung  nur  von  der  GrUndung  von  Vieh- 
zuchtgenossenschaften zu  erwai*ten  sein.  Hinsichtlich  des  Bedarfes  an  Pferden, 
Schafen  und  Zietjen  und  an  Wolle  macht  sich  stetsfort  ein  bedeutendes  Import- 
bedürfniß  geltend.  Besondere  Pferdemärkte  sind  so  zu  sagen  unbekannt.  Die 
Idee,  sie  in  größerem  Umfange  in  Zürich  zu  veranstalten,  fand  bis  jetzt  noch 
keine  rechte  Unterstützung.  Schafmärkte  kommen  hauptsächlich  in  der  Zentral- 
Schweiz  vor.  In  beiden  Viehgattungen  hat  also  der  gewerbsmäßige  Zwischen- 
handel die  Herrschaft.  Die  Versorgung  der  inländischen  Fabrikation  mit  Wolle 
geschieht  —  abgesehen  von  dem  Beitrage,  welcher  aus  dem  gröberen  Produkte 
der  inländischen  Schäferei  für  diesen  Zweck  geliefert  wird  —  direkt  von  den 
größeren  Handelsplätzen  des  Auslandes. 

Der  Verkehr  in  Traubenwein  ist  ein  in  jeder  Hinsicht  leicht  zu  über- 
blickender. Das  Land  deckt  nicht  entfernt  seinen  eigenen  Bedarf  und  zieht  zur 
Befriedigung  desselben  alljährlich  bedeutende  Quantitäten  namentlich  aus  Frank- 
reich, Italien  und  Oesterreich -Ungarn,  relativ  geringere  Posten  aus  Deutschland 
heran.  Die  Ausfuhr  bewegt  sich  demgemäß  in  bescheidenen  Grenzen.  Auch  auf 
dem  Gebiete    des  Weingeschäfts   ist   es    fast    ausschließlich    der   Zwischenhandel, 

*)  Von  der  Ausbeute  des  im  Inlande  (geschlachteten  Rindviehes  wird  —  auffallend 
genug  —  ein  immerhin  erheblicher  Betrag,  bestehend  in  den  werthvollsten  Fleisch- 
sortimenten, ausgeführt.  Derselbe  geht  fast  aasnahmslos  nach  Paris. 


Landwirthschaft  —     286      —  Landwirthschaft 

durch  welchen  sich  der  Vertrieb  vollzieht.  Leider  ist  auch  dieser  Handelszweig 
in  neuerer  Zeit  nicht  frei  geblieben  von  mancherlei,  den  inländischen  Rebpflanzem 
höchst  nachtheiligen  Auswüchsen,  zu  welchen  insbesondere  die  Fabrikation  und 
die  Verbreitung  von  Trockenbeerweinen  gehört. 

£ine  wesentlich  andere  Stellung  nimmt  natürlich  der  im  Uebrigen  reichlich 
produzirte  Obstwein  (Most)  ein.  Angesichts  des  starken  Bedarfes  an  diesem  Ge- 
tränke in  den  ländlichen  Wirthschaften  ti'itt  ein  nur  verhältnißmäßig  geringer 
Theil  des  Produktes  in  den  Handel  und  bewegt  sich  dieser  hauptsächlich  nur 
innerhalb  der  Landesgrenzen,  allwo  der  Most  einen  jederzeit  gut  verwerthbaren 
Artikel  bildet. 

Die  Darstellung  von  Branntwein  aus  mehligen  Stoffen  konnte  sich  seither 
nur  unter  dem  Schutze  der  sogenannten  Ohmgelder  in  einigen  Kautonen  erhalten, 
und  deckte  dieselbe  auch  nur  einen  Theil  des  inländischen  Bedarfes,  so  daß  das 
Land  noch  für  bedeutende  Quantitäten  Käufer  fremdländischen  Fabrikates  blieb. 
In  Folge  der  Einführung  des  Verkaufsmonopols  durch  den  Bund  wird  sich  die 
Situation  der  einheimischen  Brennerei  wesentlich  ändern  müssen.  In  Obst-  und 
Tresterbrannt weinen,  welche  von  diesem  Vorgange  nicht  berührt  werden,  wird 
sich  aber  voraussichtlich  in  Zukunft  ein  noch  lebhafteres  Geschäft  entwickeln, 
wie  seither.  Die  Zuckerproduktion  hat  in  der  Schweiz  nicht  Boden  fassen  können, 
und  bleibt  das  Land  für  Befriedigung  seines  Bedarfes  an  Zucker  wohl  auch 
femer  an  das  Ausland  gebunden.  Auch  in  Tabak,  Hopfen j  Brauf/erste,  Oelen^ 
Gespinnsifasern  (Flachs  und  Hanf),  Gras-,  Klee-  und  Gemüsesamen  ist  dasselbe 
regelmäßig  noch  auf  eine  bedeutende  Einfuhr  angewiesen.  Das  Gleiche  gilt  auch 
für  die  Kartoffeln;  der  Zufuhrbedarf  an  solchen  wird  zum  weitaus  größten 
Theile  aus  der  Pfalz  und  aus  Elsaß  Lothringen  gedeckt,  indessen  nur  noch  Frank- 
reich und  Oesterreich -Ungarn  in  bemerkenswerthem  Umfange  an  der  Lieferung 
betheiligt  sind.  Der  Handel  in  frischen  Gemüsen  spielt  sich  hauptsächlich  auf 
den  städtischen  Märkten  ab,  in  deren  Beschickung  vor  Allem  Deutschland  und 
Frankreich,  sodann  auch  Italien  mit  bedeutenden  Quantitäten  in  die  Lücke  treten. 
Die  Physiognomie  des  Obstmarktes  wechselt  je  nach  deu  Erträgen  so  zu  sagen 
von  Jahr  zu  Jahr.  Bei  einigermaßen  guten  Erudteu  liefert  das  Land  bedeutende 
Quantitäten  nach  den  süddeutschen,  namentlich  den  württembergischen  Handels- 
plätzen, welche  regelmäßig  schlanke  Absatzgelegenhciten  bilden.  Uebrigens  sind 
auch  schon  Fälle  zu  verzeichnen  gewesen,  daß  sich  auf  Grund  des  gewohnten 
starken  Bedarfes  im  Inlande  nach  knappen  Erndten  ein  Ueberschußimport  ent- 
wickelte. Die  betreffenden  Geschäfte  werden  gewöhnlich  durch  eigens  hierfür 
thätige  Händler,  welche  zur  Zeit  der  Obstreife  das  Land  durchziehen,  vermittelt. 
An  eigentlichen  Obstmärkten  fehlt  es  in  der  Schweiz  leider  fast  gänzlich.  In 
neuerer  Zeit  werden  aber  in  anderer  Richtung  lebhafte  Anstrengungen  gemacht, 
um  dem  Produzenten  eine  noch  bessere  Verwerthung  des  Obstes  zu  sichern,  in- 
dem man  die  Errichtung  größerer  Etablissements  zur  Bereitung  von  Obstweinen 
und  -Konserven  aller  Art  erstrebt. 

Welche  Dienste  übrigens  die  Vervollkommnung  der  Transportmittel  der 
Landwirthschaft  des  Landes  im  Verkehr  nach  Außen  geleistet  haben,  das  beweist 
u.  A.  die  Thatsache,  daß  einzelne  Gegenden  in  Jahren  der  Futterannuth  schon 
Heu  im  gepreßten  Zustande  aus  Frankreich  und  Italien  einführten,  wie  dasselbe 
heute  noch  regelmäßig  in  Form  von  Preßballen  aus  der  Nordschweiz  an  die 
MilchkurauHtalten  der  Städte  am  Mittel-  und  Niederrhein  versandt  wird,  und 
daß  seit  einigen  Jahren  nicht  allein  Torfi<treUf  sondern  auch  gepreßte«  Stroh 
aus  Norddeutsclilaud  nach  der  Nord-,  beziehungsweise  der  Zentralschweiz  wanderte 


Landwirthschafl  —     287     —  Landwirthschaft 

Ein  ganz  besonderes  Interesse  gewährt  der  in  jeder  Richtung  entfesselte  in- 
ländisohe  Handel  in  agrikolen  Produkten.  Hier  begegnet  man  den  überraschendsten 
Erscheinungen.  So  z.  B.  bildet  das  Heu  je  nach  dem  Ergebnisse  der  Erndte  in 
den  einzelnen  Landestheilen  oft  in  großen  Quantitäten  und  auf  bedeutende  Ent- 
fernungen hin  einen  Gregenstand  lebhaften  Tauscbhandels.  Auch  in  Riedtstreu 
vollziehen  sich  Jahr  aus  Jahr  ein  derartige  Abschlüsse  in  erheblichem  Umfange. 
Und  in  den  Rebgegenden,  namentlich  der  Westschweiz,  erscheint  sogar  der  Stall- 
dünger  als  Verkehrsartikel,  wie  u.  A.  beweist,  daß  der  Preis  desselben  in  den 
öffentlichen  Notirungen  Aufnahme  findet.  In  landwirthschaftlichen  Kreisen  fehlt 
es  übrigens  auch  nicht  an  Anstrengungen,  um  den  inneren  Verkehr  in  Er- 
zeugnissen und  Verbrauchsmaterial  zu  erleichtem  und  zu  vervielfältigen.  Be- 
merkenswerthe  Zeugnisse  hierfür  sind  z.  B.  die  in  mehreren  Kantonen  regelmäßig 
veranstalteten  SaatgutmKrkXA  (Getreide-  und  Futtersämereien,  Pflanzkartoffeln) 
und  die  in  zahlreichen  Gemeinden  des  Flachlandes  erfolgte  Aufstellung  von  be- 
fahrbaren öffentlichen  Wacufen, 

Von  anderweitigem  Betriebsmaterial  sind  es  insbesondere  der  fabrikmäßig 
dargestellte  konzentrirte,  sogenannte  Ffülfs-  oder  Kunstdünger  und  die  Kraft- 
futiermittelj  deren  starke  Verwendung  einen  ungemein  lobhaften  und  in  noch 
fortwährender  Ausdehnung  begriffenen  Handel  hervorgerufen  hat,  indessen  auch 
im  Uebrigen  —  wie  z.  B.  in  landwirthschaftlichen  Maschinen  und  Geräthen, 
Leder-  und  Seilerwaaren  und  anderen  Bedürfhißgegenständen  —  dem  Landmann 
überall  und  allezeit  gute  Bezugsquellen  in  inländischen  Fabriken  und  Agenturen 
zur  Verfügung  stehen.  Zu  den  bedeutendsten  Erscheinungen  auf  diesem  Gebiete 
gehört  aber  unzweifelhaft  die  Erfahrung,  daß  die  Landwirthe  im  Hinblicke  auf 
den  umfangreichen  und  stets  wachsenden  Bedarf  an  Hülfsmaterialien  —  Kunst- 
dünger, Kraftfutter,  Sämereien  etc.  etc.  —  und  zum  Zwecke  der  Erlangung  von 
Handelsvortheilen  immer  mehr  dahin  drängen,  auf  dem  Wege  g etiossensc ha ft liehen 
Zusammenschlusses  den  Engros-Bezug  solcher  Artikel  zu  betreiben.  Beispiele  der- 
artiger erfolgverheißender  Unternehmungen  sind  bereits  mehrfach,  namentlich  in 
der  Nordschweiz,  aufgetaucht.  Man  darf  mit  Zuversicht  erwarten,  daß  in  dem 
Maße,  wie  diese  Schöpfungen  gedeihen,  auch  der  Verbrauch  an  Umsatzstoffen 
immer  noch  größere  Dimensionen  annehmen,  und  dadurch  der  Landwirthschaft 
eine  durchgreifende  Erleichterung  in  der  Anwendung  intensiverer  Betriebsmethoden 
zu  Theil  werde. 

II.  Die  Einrichtungen  des  landwirthschaftlichen  Betriebes  in  der  Schweiz. 

Die  privatwirthschaftliche  Stellung  des  landwirthschaftlichen  Unternehmers 
zeichnet  diesem  die  Aufgabe  vor,  mittelst  der  Bodenbewirthschaftung  einen 
möglichst  hohen  Ertrag  aus  dem  auf  den  Betrieb  derselben  angelegten  Kapitale 
und  der  in  solchem  aufgewendeten  Arbeit  zu  ziehen.  Allüberall  und  allezeit 
handelt  es  sich  ihm  um  die  Erzielung  der  höchsten  l'eberschüsse  über  die 
Kosten.  Entscheidend  für  den  Erfolg  ist  das  Verhältniß  des  Bruttoertrages  zu 
dem  Betriebs  aufwände,  die  billigste  Produktion  der  werth  vollsten  Erzeugnisse. 
Die  natürlichen  und  wirthschaftlichen  Grundlagen  der  Landwirthschaft  sind  aber 
ungemein  vielgestaltig  nach  Ort  und  nach  Zeit.  Wenn  daher  der  ökonrnnische 
Erfolg  dieses  Gewerbes  davon  abhängt,  daß  der  Betrieb  desselben  sich  auf  die 
für  ihn  maßgebenden  Zustände  stützt  und  mit  solchen  in  Einklang  setzt,  so 
müssen  jenem  Vorkommen  auch  sehr  verschiedene  Einrichtungen,  mittelst  welcher 
die  einzelnen  Produktionsmittel  kombinirt  und  für  die  vorliegenden  Zwecke  in 
Wechselwirkung   gesetzt  werden,    d.  h.  verschiedene  Systeme   der  Landbewirth- 


Landwirthschaft  —      288     —  LandwirÜischaft 

Hchaftung  enteprecheo.  Nirgends  prägt  Hieb  dieser  ZnBammenhang  schärfer  aus, 
als  in  den  landwirthscbaftlichen  Betriebseinriohtungen  der  Schweiz,  in  welchen 
ßich  gemäß  den  thatsächlich  ungemein  abgestuften  Bedingungen  derselben  eine 
erstaunliche  lüannigfaltigkeit  ausgebildet  hat. 

Jeder  einzelne  laudwirthschaftliche  Betrieb  ist  eine  Schöpfung  sehr  zusammen- 
gesetzter Natur,  vergleichbar  mit  einem  Lebewesen,  dessen  Formen  und  Ver- 
richtungen von  der  Gestaltung  und  der  Art  des  Zusammenwirkens  der  einzelnen 
Organe  abhängig  sind,  und  dessen  gesammter  Apparat,  um  so  zweckmäßiger 
funktionirt,  je  mehr  er  sich  den  auf  ihn  wirkenden  Außen  Verhältnissen  angepaßt 
hat.  Eine  Erörterung  verschiedener  Betriebssysteme  ist  daher  auch  nicht  möglich 
durch  Anwendung  eines  Einbeitsmaßstabes ;  dieselbe  erfordert  die  Wahrnehmung 
verschiedener  Gesichtspunkte.  Dieses  Verhältniß  mag  es  rechtfertigen,  wenn  die 
nachfolgende  Darstellung  der  Betriebsverfassung  nach  den  vorzugsweise  in  Be- 
tracht kommenden  Kriterien  gegliedert  wird. 

1)  Allgemeine  Produktionsrichtung. 

Betrachtet  man  die  landwirthscbaftlichen  Betriebseinrichtungen  der  Schweiz 
lediglich  nach  dem  Einflüsse  der  Entfernung  der  Produktionsstellen  vom  Markte, 
bezw.  den  Kosten  des  Yerbandtes  der  Erzeugnisse  nach  den  Absatzorten,  so  müßte 
man  im  Stande  sein,  im  Bilde  des  v,  Thünen' sehen  „isolirten  Staates"  um  die 
einzelnen  Hauptkonsumplätze  mehrere  konzentrische  Kinge  zu  konstruiren,  in 
welchen  die  Landwirthschaft  nach  Maßgabe  der  Entfernung  vom  Mittelpunkte 
je  verschiedene  Produktionsziele  verfolgt.  Beispielsweise  so,  daß  die  innere  an 
den  Markt  anschließende  Zone  den  Standort  für  den  gärtnerischen  Betrieb  der 
Bodenkultur,  die  Milch  wir  thschaft  mit  direktem  Verkauf  der  Milch,  die  Erzeugung 
von  Futter  zur  Versor^rung  der  städtischen  Pferde  etc.  bildet,  um  dieselbe  sich 
weiter  ein  Ring  mit  ausgeprägter  Körnerbauwirthschaft,  zunächst  in  intensiver 
Betriebsform,  z.  B.  im  Fruchtwechsel,  dann  auf  extensiver  Grundlage,  z.  B.  in 
der  Dreitelderwirthschaft  mit  reiner  Brache  —  anschließt,  und  diesen  Kreisen 
bis  zur  Grenze  der  landwirthscbaftlichen  Kultur  Einrichtungen  folgen,  in  welchen 
nur  noch  die  Gras  bezw.  Weide wirthschaft,  verbunden  mit  Viehaufzucht,  betrieben 
werden  kann.  Die  Tendenz  zu  einer  solchen  räumlichen  Gliederung  der  land- 
wirthscbaftlichen Betriebsaufgaben  ist  in  der  That  vorhanden,  mag  sich  dieselbe 
auch  früher  noch  deutlicher  ausgeprägt  haben,  wie  heute. 

Indessen  entspricht  die  Wirklichkeit  jenem  Bilde  doch  nur  in  sehr  ver 
einzelten  Beziehungen,  und  zwar  hauptsächlich  noch  in  den  Einrichtungen  je  der 
innersten  Zone.  Der  Grund  hierfür  liegt  darin,  daß  in  Folge  der  Erleichterungen, 
welche  die  Vervielfältigung  und  die  Vervollkommnung  der  Kommunikationsmittel, 
insbesondere  seit  Erstellung  der  Eisenbahnen,  dem  Verkehr  gebracht  haben,  aus- 
gedehntere, abgelegene,  früher  abgeschlossene  Gebiete  dem  Markte  näher  rückten, 
mit  welchem  Vorgange  jene  Konzentrizität  der  verschiedenen  Produktionszonen 
durchbrochen  werden  mußte.  Je  mehr  aber  die  Entwicklung  des  Tausch  Verkehrs 
die  diesem  durch  Raum  und  Zeit  gezogenen  Schranken  überwand,  desto  augen- 
fälliger mußte  derselbe  den  Prozeß  der  Arbeitstheilunr/  auch  in  der  landwirth- 
scbaftlichen Produktion  begünstigen,  in  dem  Sinne,  daß  jede  einzelne  Landschaft 
diejenige  Richtung  ergreift,  in  welcher  sie  sich  durch  die  eigenartigen  Ver- 
hältnisse der  Oertlichkeit  vornehmlich  begünstigt  sieht,  zunächst  unabhängig  davon, 
ob  ihre  Erzeugnisse  einem  nahen  oder  einem  entfernteren  Markte  anheimfallen, 
und  ob  das  Land  in  diesem  oder  in  jenem  Artikel  in  mehr  oder  weniger  großen 
Uuantitätcn  auf  das  Ausland  angewiesen  ist.  Damit  unterlag  auch  das  einstmals 


Landwirthschafl  —      289     —  Landwirthschaft 

hochgehaltene  Prinzip  der  Selbst  Versorgung  der  zwingenden  Gewalt  der  That- 
gachen.  So  ist  die  schweizerische  Landwirthschaft  dahin  gelangt^  ihre  Kräfte, 
unbekümmert  um  jede  andere  RückKicht,  lediglich  auf  solche  Gebiete  zusammen- 
drängen  zu  können,  in  welchen  die  äußere  Natur  ihr  unterstützend  die  Hand 
reicht,  sie  mit  besonderer  Stärke  ausgerüstet  hat  und  ihr  auf  Grund  dieser  Be- 
günstigung eine  hilliffe  Produktion  jederzeit  gangbarer,  d.  h.  vom  Markte  gerne 
aufgenommener  Artikel  ermöglicht. 

Wenn  man  hiemach  die  thatsächlichen  Verhältnisse  überblickt,  so  findet 
man,  daß  der  Schwerpunkt  des  Ringens  und  Schaffens  der  schweizerischen  Land- 
wirthschaft in  der  Futtererzeugung,  und  zwar  mittelst  der  GraskuUur  auf 
Wiesen  und  Weiden,  liegt.  Man  kann  es  unbedenklich  behaupten,  daß  die  natür- 
lichen Bedingungen  für  eine  ergiebige,  in  Quantität  und  Qualität  reiche  Produktion 
von  Wiesen-  und  Weidefutter,  für  die  sogenannte  Graswüchsü/keä  des  B«>denR, 
in  unvergleichlich  günstigem  Maße  vereinigt  sind,  und  daß  es  in  unserem  ganzen 
Erdtheile  kaum  ein  Land  geben  dürfte,  welches  in  dieser  Hinsicht  der  Schweiz 
überlegen  wäre.  Begreiflich  daher,  daß  die  eifrige  Pflege  dieses  Betriebszweiges, 
welcher  in  den  Alpen  so  zu  sagen  die  nur  noch  einzig  mögliche  Nutzungsart 
des  der  Landwirthschaft  dienenden  Bodens  repräsentirt,  weitaus  vorherrschend 
den  Grnndcharakter  der  Wirthschaftssysteme  bestimmt  und  diesen  das  ihnen 
eigenthümliche  Gepräge  verleiht.  Auf  Grundlage  jener  Kulturaiten  und  behufs 
angemessener  Yerwerthung  der  Erzeugnisse  derselben  hat  sich  sodann  ein  sehr 
umfangreicher  und  schwunghafter  Betrieb  der  Viehhaltung  und  Viehzucht 
entwickeln  müssen,  in'  welchem  Zweige  wiederum  der  Haltung  und  Züchtung  des 
RindeSf  welches  sich  unter  den  gegebenen  natürlichen  und  den  vorherrschenden 
Besitz  Verhältnissen  zu  bevorzugt  hohen  Graden  der  Nutzbarkeit  entwickeln  läßt, 
ein  bedeutendes  Ueberge wicht  vor  den  übrigen  Viehgattungen  eingeräumt  wurde, 
der  Art,  daß  das  Schäfereiweden,  dessen  Rentabilitätsstellung  übrigens  auch  durch 
den  gewaltigen  Druck  der  Konkurrenz  überseeischer  Wollen  sehr  empfindlich  be- 
troffen wurde,  sich  im  Wesentlichen  nur  noch  an  die  Ausnutzung  der  dem  Rinde 
kaum  mehr  zugänglichen  Weiden  in  den  Hochalpen  anlehnt  und  hiervon  seine 
Richtung  und  Ausdehnung  empfa'ngt,  indessen  die  Haltung  und  Züchtung  der 
Ziege  nicht  allein  in  den  höheren  Lagen  konkurrirt,  sondern  auch  in  den  kleinsten 
Betriebsstellen  des  Hügellandes  ziemlich  zahlreich  vertreten  ist.  Der  Betrieb  der 
Haltung  und  Züchtung  des  Pferdes  und  des  Schivcines,  welche  beide  Thier- 
gattungen  überhaupt  nicht  bestimmt  und  nicht  geeignet  dazu  sind,  größere  Mengen 
planmäßig  erzeugten  Futters  zu  verwertheu,  tritt  ebenfalls  gegenüber  demjenigen 
der  Haltung  und  Züchtung  des  Rindes  sehr  zurück;  in  beiden  Viehgattungen 
deckt  die  inländische  Züchtung  nicht  den  Bedarf  an  Gebrauchsthieren.  Von  der 
Pferdezucht  kann  wegen  ihrer  bedeutenden  Anforderungen  an  die  Betriebsmittel 
des  Landwirths  und  die  Technik  des  Faches,  wegen  des  langsamen  Umsatzes  des 
in  ihr  angelegten  Kapitales  und  des  großen  Risiko^s,  welches  auf  ihr  ruht,  im 
Hinhlick  auf  den  vorherrschenden  Kleinbesitz  eine  Entwicklung  zu  ersprießlichen 
Leistungen  nur  in  sehr  begrenzten  Lokalitäten  erwartet  werden.  Anders  die 
Schweinezucht,  welche  noch  mit  großem  Vortheil  ausgedehnt  werden  könnte, 
zumal  die  Mästung  des  Schweines,  vornehmlich  anlehnend  &n  die  Haltung  des 
Rindes  bezw.  den  Molkereibetrieb,  doch  eine  allgemeinere  Verbreitung  gefunden 
hat,  und  in  Folge  dessen  der  Absatz  an  jungen  Thieren  im  Inlande  jederzeit 
schlank  verläuft.  In  der  Rind\  iehhaltung  kommen  in  der  Hauptsache  nur  zwei 
Nutzungsrichtungen  in  Betracht.  In  den  Alpen  hat  nicht  sowohl  der  geringeren 
Entwicklung  des  Verkehrs,  alä  vielmehr  der  reichlichen  Weidegelegenheiten  willen 

Furr«r»  VolkiwlrthschaftK-Lexikon  der  Sehweis«  Y<^ 


Landwirthschaft  —     290     —  .  Landwirthschaft 

die  gewerbsmäßige  Züchtung  für  die  Zwecke  der  Ausfuhr,  in  den  tieferen  Lagen 
dagegen  die  Benutzung  des  Binden  zur  Milcher  Zeugung,  und  zwar,  über  den 
Bedarf  des  Inlandes  an  Milch  und  Molkereiprodukten  hinaus,  auch  zur  Darstellung 
von  Exportartikeln,  namentlich  an  Käse,  Butter,  kondensirter  Milch  etc.  etc., 
die  Herrschaft.  Dort  geht  neben  dem  Betriebe  der  Aufzucht  derjenige  der  Molkerei 
naturgemäß  einher,  hier  ist  die  Verbindung  der  Aufzucht  mit  der  Milchwirth- 
schaft  fakultativ,  jedoch '  in  zahlreichen  Fällen  in  dem  Sinne  hergestellt,  daß  die 
Milchviehhalter  wenigstens  den  Bedarf  an  Ersatzkühen  durch  eigenen  Betrieb 
der  Aufzucht  decken.  Die  Verwendung  des  Rindes  zur  Arbeit  erscheint  nur  bei 
der  Haltung  von  Schnittochsen  als  Haupt-,  im  Uebrigen  als  Nebennutzung,  in- 
dessen durch  die  Mästung,  abgesehen  von  den  zur  Zeit  erst  vereinzelten  Fällen, 
in  welchen  Thiere  lediglich  für  die  Zwecke  der  Schlachtbank  aufgezogen  werden, 
nur  eine  angemessene  Verwerthung  der  in  den  laufenden  Erträgen  zurückgehenden 
Exemplare  beabsichtigt  wird. 

Verlangt  man  Beweise  für  die  Richtigkeit  dieser  Darstellung,  so  sind  die- 
selben in  den  Ergebnissen  der  Viehzählung  zu  finden.  Nach  den  neuesten  Er- 
mittlungen vom  Jahre  1886  und  nach  mehrfachen,  auf  Ghrund  derselben  vor- 
genommenen Berechnungen  und  Veranschlagungen  besitzt  das  Land: 

Pferd«', 
Maulthioro     Rindvieh      Schweine      Schafe        Ziegen  Total 

1)  Absolut:  «"^  Esel 

a.  Stückzahl 103,410  r212,538  394,917  341,804  416,323         — 

b.  Auf  Rindvieh  reduzirtes  Vieh 

(Rindvieh-Einheiten)    .     .     .  137,880  1*212,538    98,729    34,180    34,693  1*518,020 

c.  Werth  in  Tausenden  Franken    52,429     360,730    20,931       6,836       7,494     448,420 

2)  Antheil  der  einzelnen  Viehgat- 
tungen am  Gesammtwerth  in  7o  lli'  80,4  4,7  1,5  1,T  100,0 

3)  Per  km*  landwirthsch.  benutzten 
Bodens :  a.  Stückzahl .... 

b.  Werth  in  Franken 

4)  Per  1000  Bewohner: 

a.  Stuckzahl 

h.  Werth  in  Franken  .... 

5)  Werth  des  jährlichen  Brutto-Er- 
trages  in    Tausenden  Franken 

6)  Antheil     der    einzelnen    Vieh- 
gattungen an   dem  gesammten 

Jahresertrag  in  Prozenten   .     .         18,8  72,»  6,4  0,8  1,4  100,o 

Zu  den  Ertragsergebnissen  aus  dem  Kindviehstande  muß  bemerkt  werden, 
daß  von  demselben  etwa  62  ®/o  auf  die  Milchnutzung  (rund  174  Millionen  Fr.) 
entfallen,  indessen  der  Rest  von  38  ^/o  sich  mit  ca.  19  **/o  (53  Millionen)  airf 
den  dem  Ersatz  durch  Nachzucht  entsprechenden  Flebchertrag,  mit  7  ®/o  (21 
Millionen)  auf  den  Erlös  aus  Exportvieh,  und  mit  12^/o  (33  Millionen)  auf  die 
Arbeitsleistung  vertheilt.  —  Bezeichnend  für  die  bestehenden  Einrichtungen  ist 
schließlich  die  Thatsache,  daß  von  den  289,274  Viehbesitzem  sich  befinden  im 
Besitze  von  Rindvieh:  219,193  =  75,8  7o,  von  Ziegen:  145,760  =  50,4  7o, 
von  Schweinen:  139,682  — -  48,3  7o,  von  Schafen:  67,686  ^  23,4  7o,  und 
von  Pferden,   Maulthieren  und   Eseln:   56,499   =   19,5  Vo. 

Die  hier  skizzirten  Einrichtungen  bilden  gleichsam  eine  Domäne  der  schwei- 
zerischen Landwirthschaft,  eine  Eigenthlimlichkeit,  mit  welcher  diese  eine  von 
der  Schöpfung  über  das  herrliche  Gebirgsland  reichlich  ausgegossene  kostbare 
Gabe  auszunutzen  strebt,  und  welche  wie  durch  eine  glückliche  Fügung  des 
Schicksals  bestimmt  ist,  ihre  hohe  wirthschaftiiche  Bedeutung  gerade  zu  behaupten 
in    einer    Zeit,    da    die    Fortschritte    der  Technik    und   Erfindung    und    des  weit- 


4,8 

2,434 

55,7 
16,571 

18,1 
959 

15,7 

314 

19,1 
344 

20,622 

36,t 

18,408 

426,0 
126,735 

138,8 
7,335 

120,0 
2,400 

146,8 
2,6(>3 

157,511 

71,800 

280,900 

25,000 

2,900 

5,600 

386,250 

Landwirtbschafl  —     291      —  Landwirthschafl 

umfassenden  Verkehrs,  indem  sie  immer  mehr  die  internationale  Arheitetheilung 
erzwingen,  auch  zur  Aushildnng  spezifischer  Richtungen  in  der  Landwii*thschaft 
auffordern.  Man  wird  dessen  erst  recht  inne,  wenn  man  sich  nicht  allein  die 
von  der  Natur  dargehotenen  Vorzüge,  sondern  auch  die  reichlichen  Grelegenheiten 
zu  durchgreifender  Steigerung  der  ßetriehserfolge  auf  diesem  Gehiete  vergegen- 
wärtigt, ferner  aher  festhält  an  dem  Gesichtspunkte,  daß  die  Graswirthschaft 
eine  Betriehsweise  darstellt,  welche,  indem  sie  gestattet,  den  Aufwand  an  Hand- 
arheit,  dem  unter  vielen  Verhältnissen  des  Landes  theuersten  Produktionsfaktor, 
einzuschränken,  gerade  der  nutzbringendsten  Anlage  von  Betriebskapital  einen 
weiten  Spielraum  gewährt,  und  wenn  man  schließlich  auch  hinblickt  auf  den 
Gang  der  Entwicklung  des  Bedarfes  der  Menschen  an  Nahrungsmitteln,  insonder- 
heit des  Marktes  in  Erzeugnissen  der  Viehhaltung  gegenüber  demjenigen  in  Mehl- 
frticbten. 

Mit  den  erwähnten  Einrichtungen  hängt  übrigens  jene  eigenthUm liehe  Kultur- 
art des  Bodens  eng  zusammen,  welche  lediglich  dazu  bestimmt  ist,  der  Gewinnung 
von  Streuematerial  zu  dienen.  Es  sind  die  in  Flußthälern,  an  Seenfern  etc.  etc. 
häufig  vorkommenden  sogenannten  Streuewiesen  oder  Sireueriedter,  d.  h.  ab- 
sichtlich in  einem  Zustande  der  Nässe  oder  Versumpfung  belassenen  oder  in  einen 
solchen  versetzten  Wiesengrundstücke,  welche  ihrer  Beschaifenheit  entsprechend 
vorzugsweise  Sauergräser  produziren  und  deren  Ertrag  wie  süßes  Wiesenfutter 
regelrecht  durch  Mähen  und  Trocknen  ausgebeutet  wird.  Zu  einer  solchen  Be- 
nutzungsweise  feuchten  Landes  drängt  hauptsächlich  der  bei  einseitiger  Bevor- 
zugung der  Graswirthschaft,  also  bei  stark  oder  völlig  zurücktretendem  Feld- 
und  namentlich  Kömerbau  permanente  Mangel  an  Einstreu  für  das  Vieh.  Das 
auf  den  ersten  Blick  auffallende  Verfahren  rechtfertigt  sich  nicht  allein  durch 
das  nattlrliche  Verhalten  vieler,  der  Entwässerung  nicht  oder  nur  schwer  zu- 
gänglicher Thalgrundstücke,  sondern  auch  durch  die  in  Folge  der  Armuth  an 
Stroh  und  an  anderen  geeigneten  Ersatzmitteln  für  dasselbe  hervorgerufenen  hohen 
Preise  für  die  Riedt-  oder  Schwarzstreu.  Auf  solche  Umstände  ist  auch  die  Er- 
fahrung zurückzuführen,  daß  die  Reinerträge  und  Preise  ergiebiger  Streu riedter 
denjenigen  guter  Futterwiesen  nicht  nachstehen.  *) 

In  demselben  Verhältnisse,  in  welchem  die  Gras  (Wiesen-  und  Weide-) 
Wirthschaft  durch  die  natürlichen  Bedingungen  begünstigt  wird,  vermindert  sich 
die  Chance  für  einen  ergiebigen  planmäßigen  Betrieb  des  eigentlichen  Feldbaues, 
insonderheit  der  Getreidekultur.  In  Folge  der  Erschwernisse,  welche  der  Be- 
arbeitung des  Bodens  durch  bindige  oder  steinige  Beschaffenheit  und  durch  stark 
geneigte  Lage  desselben  bereitet  werden,  häufen  sich  die  Kosten  <ier  Produktion, 
indessen  vortheilhafte  Kultur-  und  Erndtemethoden  (Tiefbearbeitung  des  Bodens, 
Drillsaat,  Anwendung  der  Mähemaschinen  etc.)  so  zu  sagen  ausgeschlossen  bleiben 
müssen;  in  rauhen,  kalten,  wie  an  Niederschlägen  reichen  Distrikten  steigern  sich 
die  Gefahren  des  Auswinterns  und  Ausfanlens  der  Saaten,  der  Schädigung  der- 
selben durch  Spätfröste  und  Schneedruck,  des  Auftretens  parasitischer  Krankheiten, 
des  Lagerns  des  Getreides,  des  Verlustes  durch  ungünstige  Erudtewitterung  u  s.  w., 
und    selbst   in   günstigen  Jahren  wird    es  unter  solchen  Verhältnissen  kaum  ge- 


*)  Welch'  erhebliche  Ausdehnung  die  Streueried ter  in  manchen  Distrikten  besitzen, 
beweist  die  Erfahrung  im  Kanton  Zürich,  in  welchem  die  auf  Streue  benutzten  Riedter 
eine  Fläche  von  6936,4  ha  oder  4,3  7*>  des  laudwirthschattlich  benutzten  Bodens  um- 
fassen. Vgl.  „Statistische  Mittheilungen  betrefTend  den  Kanton  Zürich.  I.  Heft.  Land- 
wirthschaftliche  Statistik.  Mitlheilun^en  ul)er  den  Gang  und  die  Resultate  der  landwirth- 
schafllichen  Produktion  von  1885.  Winterthur  1886*. 


Landwirthschaft  —     292     —  Landwirlbschafl 

lingen,    in    der  Qualität    der  Produkte  die  Erfolge  der  Acker wirthschaft  in  den 
tieferen,  milderen  Lagen  der  trockeneren  Ebenen  zu  erreichen.    Faßt  man  diese 
Erfahrungen    in's  Auge,    und   zieht   man   in  Betracht,    daß  heut  zu  Tage  Brod- 
getreide  yorzüglichster  Qualität  mit  bewundernswerther  Leichtigkeit  und  Sicher- 
heit aus  den  dasselbe  billigst  produzirenden  Ländern  herangeführt  wird,  in  Folge 
dessen    der  Preis    der  Körnerfrüchte   außer  Verhältniß   zu    demjenigen   für  Vieh 
und  Yiehprodukte  gesunken  ist,  daß  aber  der  Getreidebau  den  Hauptrepräsentanten 
der  Feldwirthschaft   bildet,    eine   planmäßige   Ackerkultnr   desselben    kaum    ent- 
behren kann,  so  begreift  sich,  daß  der  Körner-  und  mit  ihm  überhaupt  der  Feldbau 
in    der  Schweiz    seit  Jahren    immer  mehr    (seit  Mitte  der  70er  Jahre  etwa  um 
15  ^/o)   zu  Gunsten   der  Graskultur   zurückgegangen    und   nur    noch  in  den  ihn 
besonders   begünstigenden  Gegenden   des  Flachlandes  seßhaft  geblieben  ist.     Wo 
immer  aber  auch  die  eigentliche  Ackerwirthschaft  Platz  greift,  nirgends  geschieht 
das  einseitig  auf  Kosten  des  gerade  auch  für  ihre  Prosperität  wichtigen  Wiesen- 
baues. Man  muß  also  aus  den  Alpen  und  Yorbergen  in  das  Hügelland  hernieder- 
steigen, um  eine  Vorstellung  davon  zu  gewinnen,  in  welchem  Umfange  das  offene 
Bauland  und  speziell  der  Getreidebau  in  der  Schweiz  betrieben  wird.  Das  Vor- 
kommen  vereinzelter  Getreide-   und  Kartoffelfelder    an   sonnigen   und   trockenen 
Vorsprüngen  im  Gebirge,  welches  hier  nicht  mehr  als  eine  Gelegenheit  zu  besserer 
Ausnützung  einmal  vorhandener  Arbeitskräfte  bedeutet,  ändert  Nichts  an  dieser, 
die  Verhältnisse  im  Großen  zusammenfassenden  Betrachtung.  Indessen  bleibt  doch 
immer    zu    berücksichtigen,    daß   ein    systematisch  betriebener  Feldbau  eben  den 
Wechsel  der  Früchte  im  Felde  erfordert,    und  daß  deshalb  überall  da,  wo  der- 
selbe  angetroffen    wird,    die  Kultur    des  Getreides   zu    derjenigen   anderer  Feld- 
gewächse in  ein  Verhältniß  gegenseitiger  Unterstützung  und  Förderung  tritt.  Zu 
letzteren    gehören    aber    außer    den   für   die    direkte  Versorgung   des   Menschen 
wichtigen  und  in  starker  Ausdehnung  gebauten  Kartoffeln  wiederum  vornehmlich 
Futterpflanzen,    so   daß    also    die  Viehhaltung   auch   von   dieser  Seite    einen    be- 
deutenden Succurs  empfangt.    Zur  Zeit  wird  man  annehmen  dürfen,  daß  von  der 
dem  Getreidebau  gewidmeten   Fläche,  deren  Ausdehnung  wir  etwa  auf  die  Hälfte 
des  gesammten  Ackerlandes  angenommen  haben,  kaum  3,5  Millionen  Kilozentner 
Kömer  geerndtet  werden.   Der  Bedarf  des  Landes  an  Brodgetreide,  an  Saatfrucbt 
und    an  Körnern   für  Viehfdtterungs-  und    für  technische  Zwecke  berechnet  sich 
auf  etwa  7,5  Millionen  £jlozentner,  so  daß  ein  Defizit  von  ca.  4  Millionen  Kilo- 
Zentnern  durch  die  Einfuhr  zu  decken  bleibt. 

Li  neuerer  Zeit  wird  die  Frage  vielfach  ventilirt,  ob  die  Landwirthschaft 
inskünftig  auf  der  hier  angedeuteten  Bahn  der  Einschränkung  des  Getreidebaues 
weitergehen  oder  einhalten,  oder  ob  dieselbe  gar  wieder  zu  einer  stärkeren  Be- 
vorzugung der  Kultur  der  Mehlfrüchte  zurückkehren  werde.  Betrachtungen  hier- 
über tauchen  immer  wieder  auf,  sobald  das  Preisverhältniß  zwischen  Getreide 
und  Yiehprodukten  von  erheblichen  Aenderungen  betroffen  wird,  wie  es  nament- 
lich in  den  letzten  Jahren  angesichts  des  Rückschlages  im  Handel  in  Molkerei- 
produkten der  Fall  war.  Wer  die  Preisbewegung  in  jenen  beiden  Kategorieen 
von  Produkten  über  längere  Zeiträume  verfolgt  und  sich  die  inneren  Gründe  des 
Herganges  vergegenwärtigt,  der  kann  unmöglich  dem  Gedanken  an  ein  bleibend 
ungünstiges  Verhältniß  der  Preise  der  thierischen  Produkte  zu  denjenigen  der 
Brodfrüchte  Raum  geben,  und  muß  sich  überzeugen,  daß  die  Zeit  einer  plan- 
mäßigen Begünstigung  des  Körnerbaues  in  der  Schweiz  —  einzelne  Ausnahmen 
an  der  Nordwest-  und  Nordgrenze  und  vielleicht  im  Süden  gerne  zugelassen  — 
ein  für  alle  Mal  vorüber  sei.  Andererseits  wäre  es  aber  eine  ungeschickte  Rechnang, 


Landwirthschaft  —     293     —  Landwirlhschaft 

wollte  man  aus  der  Fortdauer  einer  relativ  vortheüliaften  Konjunktur  für  Er- 
zeugnisse der  Viehhaltung  den  Schluß  2dehen,  daß  unsere  Landwirthschaft  mit 
der  Getreidekultur  noch  weiter  aufzuräumen  hahe.  Einer  solchen  Argumentation, 
die  allerdings  manche  enthusiastische  Anhänger  zählt,  widerstreiten  mehrfache 
Erwägungen.  Grar  oft  ist  nämlich  der  Landwirth  geradezu  darauf  angewiesen, 
sich  auf  den  Anhau  von  Feldgewächsen  einzurichten,  welche  für  ihn  eine  ganz 
hesondere  Bedeutung  haben,  sei  es,  weil  die  spezifische  Beschaffenheit  des  Bodens 
und  der  Lage  eine  ausnehmend  billige  Produktion  derselben  ermöglichen  (gewisse 
Industrie-  und  Futterpflanzen,  von  letzteren  namentlich  auch  Luzerne  und  Esper), 
sei  es,  weil  er  des  Erzeugnisses  für  seinen  Haushalt  und  bezw.  den  Yiehstand 
bedarf,  dasselbe  aber  nicht  mit  gleichem  Yortheil  and  gleicher  Regelmäßigkeit 
wie  durch  eigenen  Betrieb  der  Kultur  von  Außen  beziehen  kann  (Kartoffeln  und 
Blibengewächse).  In  allen  solchen  Fällen  greift  er  auch  zum  Körnerbau  als  einem 
geeigneten  Vermittler  des  Wechsels,  und  schreibt  er  demselben  diese  seine  in- 
direkten Wirkungen  als  einen  Bestandtheil  des  Ertrages  zu  Gute.  Je  mehr  die 
Landwirthschaft  grundsätzlich  den  Futterbau  und  die  Viehhaltung  bevorzugt, 
desto  stärker  tritt  auch  das  Bedilrfniß  zur  ausreichenden  Versorgung  des  Vieh- 
standes mit  Streuematerial  hervor.  In  dieser  Beziehung  ist  aber  der  Getreidebau 
besonders  geeignet,  in  die  Lücke  zu  treten,  wie  namentlich  da  empfunden  wird, 
wo  es  an  Streuriedtern  fehlt.  Ueber  dieses  Verhältniß  belehrt  am  Auffälligsten 
der  enorm  hohe  Stand  der  Strohpreise,  welche  sich  in  neuerer  Zeit  nahezu  auf 
diejenigen  des  Heues  erhoben  haben.  Ein  solcher  Zustand  drängt  begreiflich  immer 
mehr  dahin,  an  der  Stroheinstreu  möglichst  zu  sparen  und  dieselbe  durch  ander- 
weite Materialien  zu  surrogiren.  Immer  aber  bedingt  derselbe  eine  bevorzugte 
Leistung  des  Getreidebaues  durch  dessen  Strohertrag.  Endlich  aber  muß  auch 
in  Betracht  gezogen  werden,  daß  der  Körnerbau  innerhalb  gewisser  Grenzen  seiner 
Aasdehnung  dem  mittleren  und  kleinen  Besitzstand  verhältnißmäßige  Erleichterungen 
in  der  Bestreitung  der  Betriebsspesen  gewährt.  Die  Kosten  der  Scheunen,  der 
Acker«  und  Fnhrgeräthe,  des  Spannviehes  etc.  sind  bei  einer  doch  einmal  noth- 
wendigen  Ausrüstung  der  Wirthschaft  mit  den  betreffenden  Kapitalien  nahezu 
oder  ganz  die  gleichen,  ob  der  Getreidebau  dieselben  in  Anspruch  nimmt  oder 
nicht,  und  wenn  man  sich  vorstellt,  daß  in  der  Familie  des  Landwirtbs  ein  stets 
vorhandener  und  zu  unterhaltender  Grundstock  von  Arbeitskräften  gegeben  ist, 
die  Verrichtungen  in  der  Getreidekultur  aber  der  Zeit  nach  sich  günstig  ver- 
theilen  und  zwischen  die  übrigen  Betriebsgeschäfte  hineinschieben,  so  leuchtet  ein, 
daß  solche  Verhältnisse  auf  eine  Verringerung  der  Kosten  der  Getreideproduktion 
hinauslaufen.  Angesichts  derartiger  Vorkommnisse  ist  man  aber  zu  der  Voraus- 
sicht berechtigt,  daß  die  schweizerische  Landwirthschaft  auch  dann,  wenn  der 
Getreidemarkt  sich  femerweit  noch  ungünstiger  ftir  sie  gestalten  sollte,  den 
Körnerbau  gleichwohl  nicht  oder  nicht  mehr  erheblich  reduziren,  dagegen  den 
demselben  durch  die  künftige  Konjunktur  etwa  in  noch  höherem  Grade  bereiteten 
Erschwernissen  durch  rationelle  Technik  des  Betriebes  auszuweichen  suchen  werde. 
Von  den  ander  weiten  Gewächsen  des  Feldbaues  nehmen  die  Futterkräuter 
und  die  sogenannten  Hackfrüchtej  darunter  vornehmlich  die  Kartoffeln,  eine  her- 
vorragende Stellung  ein,  indessen  die  sogenannten  Handelsgewächse  oder  In- 
dustriepflanzen räumlich  sehr  zurücktreten  und  nur  in  einzelnen  Landstrichen 
eine  große  Bedeutung  erlangt  haben.  Durch  den  Anbau  von  Feldfutterkräutern 
(Luzerne,  Esper,  Klee,  Kleegras  [sog.  Kunstfutter],  Futterroggen,  Sommer-  und 
Winterwicken,  Mais  etc.)  hat  es  der  Landwirth  in  der  Hand,  in  den  denselben 
zusagenden  Lagen  mit  Hülfe  eines  gesteigerten  Kulturaufwandes  für  Arbeit  und 


Landwirthschaft  —      294     —  Landwirthschäft 

DüDgung  die  Massenerzeugnng  von  Futter  vortheilbaft  zu  betreiben  und  ins- 
besondere den  Grund  zu  einer  ergiebigen  SommerstallfUtterung  des  Viehes  zu 
legen.  Wo  daher  überhaupt  der  Feldbau  mit  Erfolg  durchgeführt  werden  kann^ 
pflegen  derartige  Kulturen  zur  Ergänzung  des  Wiesenfutters  namentlich  im  ver- 
mögenderen mittleren  und  kleinen  Besitzstande  des  Flachlandes  mit  Vorliebe  er- 
griffen zu  werden.  Insbesondere  gilt  das  von  der  Luzerne,  welche  sich  vornehmlich 
auch  in  trockenen  Jahrgängen  als  eine  verläßliche  Futterpflanze  bewährt.  Mit 
der  Aufnahme  der  schon  für  eine  rationelle  Gestaltung  des  Fruchtumlaufes 
wichtigen  Rübengewächse  wird  die  Gewinnung  einer  Zubuße  für  die  Winter- 
fütterung bezweckt,  welche  die  Bestimmung  trägt,  das  Rauhfutter  zu  ergänzen 
und  durch  Mischung  mit  demselben  den  Thieren  schmackhafter  zu  machen.  Die 
billigste  Produktion  in  diesen,  viele  Handarbeit  erfordernden  Kulturen  bringt 
offenbar  wieder  der  Kleinbauer  zu  Stande.  —  Ungeachtet  der  vielen  Schwierig- 
keiten, welche  die  Boden-  und  klimatische  Beschaffenheit  ihm  entgegenstellen > 
hat  doch  der  Kartoffelbau  innerhalb  jener  Kategorie  von  Feldgewächsen  die  all- 
gemeinste Verbreitung  bis  in  die  höheren  Lagen  hinauf  gefunden.  Zum  nicht 
geringen  Theile  beruht  diese  Erscheinung  wiederum  auf  den  Erleichterungen, 
welche  der  Kleinbesitzer  in  der  Beschaffung  der  Handarbeit  genießt,  dann  aber 
namentlich  darauf,  daß  das  Einfuhrbedürfniß  immer  ein  sehr  großes  ist,  und  die 
verhältnißmäßig  bedeutenden  Transportspesen  und  Risiken,  welche  auf  dem  Be- 
züge der  Kartoffeln  lasten,  zu  hohen  Marktpreisen  derselben  führen.  Leider  ver- 
zeichnet das  Land  nur  zu  viele  Jahre,  in  welchen  der  Kartoffelbau  in  Folge 
trüber  und  nasser  Witterung  gar  nicht  lohnt.  Am  Günstigsten  ist  in  dieser 
Branche  der  Kanton  Schaffhausen  situirt;  ihm  folgen  Baselland,  der  bemische 
Jura  und  Waadt.  Im  Kanton  Bern  wurde  demselben  übrigens  seither  eine  starke 
Ausdehnung  für  die  Zwecke  der  Brennerei  gegeben,  welche  unter  dem  Schutze 
des  Ohmgeldes  die  Verwendung  selbst  eines  theureren  Rohstoffes  noch  gestattete. 
Eigenartig  ist  die  Stellung  der  Kultur  der  Industriepflanzen.  Der 
Anbau  des  Flachs,  welcher  früher  ziemlich  verbreitet  war  und  dessen  Rohprodukt 
in  den  bäuerlichen  Oekonomieen  von  Hand  verarbeitet  zu  werden  pflegte,  ist  im 
Laufe  der  Jahre  hauptsächlich  wegen  seiner  bedeutenden  Ansprüche  an  die  theurer 
gewordene  Handarbeit  und  dann  der  Konkurrenz  der  wohlfeilen  Maschinen- 
gespinnste  immer  mehr  zurückgegangen.  Eine  Wiederauffrischung  desselben  scheint 
nur  noch  möglich  durch  Einführung  von  mechanischen  Werkstätten  (Faktoreien), 
welche  dem  Landmann  das  durch  sie  zuzurichtende  Roherzeugniß  abnehmen.  Ein 
gleiches  Schicksal  traf  die  Kultur  der  Oelsaaten,  welche  in  Anbetracht  des  durch 
die  Konkurrenz  des  Petroleums  und  der  aus  Früchten  der  südlichen  Zone  be- 
reiteten Oele  herbeigeführten  Preisdruokes  hier  zu  Lande  absolut  nicht  mehr  ge- 
nügend billig  produzirt  werden  können.  In  geschützteren  Lagen,  auf  von  Natur 
reichem,  mildem  Boden,  so  insbesondere  im  Waadtlande,  im  Murtengebiet  (Frei- 
burg\  im  Rheinthale,  hat  dagegen  die  Kultur  des  Tabaks  seither  mit  Erfolg 
betrieben  werden  können,  und  neuerdings  wurde  derselben  unter  der  Begünstigung, 
welche  ihr  durch  den  vom  Bunde  auf  das  Produkt  gelegten  hohen,  für  sie 
schützend  wirkenden  Finanzzoll  zu  Theil  geworden  ist,  eine  erheblich  weitere 
Ausdehnung  vornehmlich  in  den  Kantonen  Aargau  und  Thurgau  gegeben.  Von 
anderen  Gewächsen  dieser  Gruppe  hat  sich  seither  keines  einbürgern  wollen. 
Wohl  hat  es  an  Ansätzen  zu  einer  Kultur  derselben,  wie  z.  B.  des  Hopfens,  der 
Cichorie,  von  Farbe-  und  Arzneipflanzen  etc.,  nicht  gefehlt.  Dieselben  bedeuteten 
aber  kaum  mehr  als  Versuche,  deren  Ergebnisse  zur  Verallgemeinerung  des  Be- 
triebes nicht  ermunterten.  Bald  berechnen  sich  die  Erzeugungskosten  dieser  Artikel 


Landwirtbschaft  —     295     —  Landwirthschaft 

sni  hoch,  bald  scheitert  das  Problem  an  der  Unmöglichkeit  der  Gewinnung  be- 
vorzugter und  daher  vom  Markte  willig  aufgenommener  Qualitäten,  oft  fehlt 
überhaupt  der  schlanke  Absatz  und  dann  —  droht  von  allen  Seiten  eine  bereits 
äußerst  scharf  zugespitzte  Konkurrenz.  Aehnliche,  übrigens  hier  nicht  näher  zu 
erörternde  Gesichtspunkte  berechtigen  auch  zu  der  Ansicht,  daß  der  neuerdings 
lebhaft  aufgegriffene  und  befürwortete  Gedanke  der  Einführung  der  Zuckerrüben- 
kultur und  der  Zuckerfabrikation  eine  Aussicht  auf  Verwirklichung  nicht  hat. 

Von  einer  Gartenkultur  kann  hier  nur  in  so  fern  die  Bede  sein,  als  sie 
des  direkten  Erwerbes  willen  systematisch  betrieben  wird  und  sich  auf  die  Ge- 
winnung von  Gemüsen  richtet.  Diese  ist  aber  nur  an  einzelne  Lokalitäten,  und 
zwar  an  die  innerste,  die  Stadt  umgebende  Zone  gebunden.  Eine  allgemeine  und 
spezifisch  landwirthschaftliche  Bedeutung  besitzt  sie  nicht,  und  darum  kann  auch 
für  sie  im  Hinblick  auf  die  uns  vorschwebende  Aufgabe  ein  nur  untergeordnetes 
Interesse  beansprucht  werden.  Uebrigens  gilt  es  als  eine  ausgemachte  Thatsache, 
daß  die  gewerbsmäßige  Gemüsezüchterei,  ungeachtet  des  konstant  zunehmenden 
Verbrauches  ihrer  Artikel,  ebenfalls  seit  Jahren  mit  mancherlei  Beschwerden 
kämpft,  welche  ihr  die  erleichterten  Verbindungen  nach  dem  Süden  (Südfrankreich 
und  Italien)  bereitet  haben,  und  daß  diese  für  sie  drückende  Konkurrenz  vor 
Allem  die  frühen  Gemüse  trifft.  Der  Landwirth,  namentlich  der  Kleinbauer,  int 
seit  Jahren  durch  die  Thätigkeit  der  Vereine  und  der  Presse  ermuntert  worden, 
der  Gemüsekultur  mehr  Aufmerksamkeit  zu  schenken  und  eine  größere  Aus- 
dehnung zu  geben.  Es  sind  das  artige  Bestrebungen,  mit  welchen  man  sympathisiren 
kann,  wenngleich  man  gefaßt  darauf  sein  muß,  daß  ihre  Erfolge  zugleich  die 
geschäftliche  Position  der  gewerbsmäßigen  Gemüseproduzenten  beeinträchtigen. 
Denn  es  handelt  sich  ihnen  doch  darum,  einer  wohlfeileren,  gesunderen  und  daher 
rationelleren  Ernährung  des  Bauernstandes  Vorschub  zu  leisten,  zumal  die  Ge- 
müsekultur dem  kleinbäuerlichen  Betriebe  eine  sehr  ergiebige  Gelegenheit  zur 
Abspaltung  von  vort  heil  haften  Neben-  und  FUllarbeiten  darbietet,  mittelst  welcher 
zugleich  eine  bessere  Verwerthung  der  Arbeitskräfte  überhaupt,  und  somit  eine 
wohlfeilere  Darstellung  der  einzelnen  Produkte  erzielt  werden  kann. 

Eine  ganz  besondere  Aufmerksamkeit  verdient  ohne  alle  Frage  jene  groß- 
artige Doppelkultur,  welche  wie  geschaffen  dazu  ist,  die  Kosten  der  Produktion 
auf  den  Grundstücken  durch  Gewährung  von  Neben-Einnahmen  bedeutend  herab- 
zumindern —  nämlich  die  in  der  Schweiz  sehr  beliebte  und  verbreitete  Ver- 
bindung des  Obstbaues  mit  der  Acker-  und  namentlich  der  Wiesenkultur.  Die 
Erfahrung  lehrt,  daß  die  Schweiz,  insbesondere  in  dem  nördlich  der  Alpenkette 
gelegenen  Theile  des  Flachlandes,  sehr  günstige  Bedingungen  für  die  Obstkultur 
besitzt,  und  daß  diese  sich  durch  größere  Regelmäßigkeit  der  Erträge  vor  der- 
jenigen unserer  Nachbarländer  auszeichnet.  Boden  und  Klima  sagen  derselben  in 
hohem  Grade  zu,  und  kaum  anderwärts  zählen  die  Obstbäume  so  gesunde,  lang- 
lebige Riesengestalten,  wie  hier.  Bekannt  ist  ferner,  daß  sich  die  Obstkultur  in 
vortheilhafter  Weise  mit  der  Graswirthschaft  veigesellschaftet.  Der  Markt  hat 
aber  noch  nicht  aufgehört,  gegen  die  Erzeugnisse  der  Obstkultur  in  hohem  Grade 
dankbar  zu  sein.  Schon  der  durch  die  herrschende  Geschmacksrichtung  der  in- 
ländischen Bevölkerung  bedingte  starke  Konsum  an  frischem  und  dürrem  Obste 
und  an  Obstwein  sichert  dem  Produzenten  eine  lebhafte  Nachfrage,  und,  nicht 
genug  damit,  es  hat  die  Schweiz  in  Jahren  eigentlichen  Obstsegens  alle  Mal  ein 
sehr  einträgliches,  in  die  Millionen  zählendes  Exportgeschäft  betrieben.  Die  Er- 
fahrung, daß  eine  reiche  Obstern  dte  dem  Land  wir  the  geradezu  Verlegenheiten 
bereiten  konnte,  schwebt  nur  noch  in  dunkler  Erinnerung  an  längst  vergangene. 


Landwirthschafl  .—      296      —  LandwirÜLschaft 

Tage.  Der  Obstmarkt  wird  aber  auch  aller  Voraossicht  nach  an  seiner  Ergie'bigkeit 
nicht  mehr  einbüßen.  Dafür  bürgt  die  wachsende  Verbreitung  des  Obstgenosses 
und  die  zunehmende  Erleichterung  des  Verkehrs.  In  bevorzugten  Lagen  am 
Zürcher  See  und  in  der  Zentralschweiz  hat  man  es  schon  dahin  gebracht,  daß 
der  sogenannte  ^ Obernutzen''  sich  durchschnittlich  auf  40  ^/o  des  gesammten  Er- 
trages des  Mattlandes  beläuft,  während  dieser  durch  den  Besatz  mit  Obstbäumen 
bekanntlich  nicht  einmal  sehr  beeinträchtigt  wird.  Weit  entfernt  davon,  zu  be- 
haupten, daß  solche  Resultate  überall  zu  erzielen  sind,  beweisen  derartige  2jahlen 
doch  die  eminente  Bedeutung  der  Obstkultur,  deren  wohlthätiger  Einfluß  auf 
Erwerb  und  Einkommen  in  der  Landwirthschaft  erst  in  seinem  wahren  Lichte 
erscheint,  wenn  man  in  Betracht  zieht,  daß  die  Betriebskosten  dieses  Kultur- 
zweiges verhältnißmäßig  sehr  gering  sind,  dabei  im  Wesentlichen  nur  Arbeits- 
aufwand umfassen,  indessen  dieser,  da  er  gerade  in  sonst  weniger  bedrängten 
Zeiten  des  Jahres  erfordert  wird,  billig  geleistet  werden  kann. 

Zu  welcher  Ausdehnung  der  Obstbau  in  der  Schweiz  bereits  gediehen  ist, 
und  wie  hierdurch  die  Tragweite  desselben  durch  die  ausübende  Landwirthschaft 
anerkannt  wird,  beweiBcn  die  Ergebnisse  der  in  mehreren  Kantonen  durchge- 
fiihrten  Obstbaumzählungen.  Darnach  berechnet  sich  die  Zahl  der  Obstbäume  im 
Yerhältniß  sowohl  zur  land  wirthschaftlich  benutzten  Bodenfläche,  ausschließlich 
der  Rebberge  (Acker-  und  Grasland  und  Gärten),  als  auch  zur  Bevölkerung 
folgendermaßen  :  *)  <  i  fr 

Glarus    St.  Gallen  Thiirgau     Zürich      (,^1]*^;*     Aargau 

(1886)        (1886)         (1884)         (1886)         (1886)         (1885) 

1)  Land  wirthschaftlich    benutzter  Boden 

(exkl.  Rebberge)  in  km^ 324,8     1347.7     636,«      1069,8     167,o       881,5 

2)  Zahl  der  Bewohner  (1880)    ....  34,213  210,491  99,552  317,576  38,348  198,645 

3)  Zahl  der  Bäume  p.  ha  landw.  benutzten 
Bodens  in  den  einzelnen  Obstarten: 

a.  Apfel- 0,74  4,09  7,o7  '      6,8o  4,8»  6,07 

h.  Birn- 0,4«  3,29  5,oo  5,«8  2,«6  4,o7 

c.  Kirsch- 0,-^4  0,58  0,45  O,«»  2,8i  2.8? 

d.  Pflaumen-  und  Zwetschgen-  .     .     .  0,ii  0,««  1,8?  l,5s  5,54  3,o7 

e.    Nuß- 0,1«  O,««»  0,«S  0,88  0,48  0,49 

/".  Gartenbäume 0,4o         0,6i        0,47  0,»i        0,5:f  0,65 

4)  Gesammtzahl   aller  Obstbäume   p.  ha 

land  wirthschaftlich   benutzten  Bodens        2,ii  9,7o      15,o9        15,74      15,94        16,8s 

5)  Gesammtzahl  aller  Obstbäume  p.  100 

Bewohner 202         621     1,003         531        653         747 

Das  Land  besitzt  ein  Weinbauareal  von  rund  34,530  Hektaren,  welche 
Hieb,  wie  wir  sahen,  in  den  bevorzugten  Lagen  des  ÜUgellandes  über  die  südlich 
und  westlich  geneigten  Hänge  desselben,  insbesondere  auch  längs  der  Seeufer, 
erstrecken  und  im  Mittel  auf  etwa  750  m  Höhe  (ausnahmsweise  auf  800  m  und 
darüber)  hinaufreichen.  Abgesehen  von  einzelnen  besonders  günstig  ausgestatteten 
Distrikten,  namentlich  im  Süden  und  Westen  des  Landes,  und  hier  und  da  auch 
im  nördlichen  und  östlichen  Gebiete,  verfolgt  der  Betrieb  der  Rebkultur  vor- 
herrschend die  Bichtung  der  Produktion  bedeutender  Quantitäten,  allerdings  dann 

')  Die  in  Baumschulen  befindlichen  Obstbäume  sind  von  der  Berechnung  aus- 
geschlossen geblieben.  —  Daß  aber  hier  die  Gartenobstbäume  ebenfalls  aufgenommen 
wurden,  ist  darin  begründet,  daß  in  den  betreffenden  Uebersichten  über  die  Areal- 
verhältnisse die  Gärten  nicht  besonders  ausgeschieden  sind.  —  Bei  einem  Vergleiche  der 
Ergebnisse  ist  zu  berücksichtigen,  daß  Glarus  zu  den  Alpenkantonen  gehört,  und  daher 
die  für  Obstbaumpflanzungen  geeignete  Fläche  allda  sehr  beschränkt  ist,  ebenso,  daß 
auch  der  Kanton  St.  Gallen  noch  einen  beträchtlichen  Antheil  an  dem  Alpengebiete 
besitzt. 


Landwirthschaft  —      297     —  Landwirthschaft 

auf  Kosten  der  Feinheit  des  Produktes.  Der  Grrond  hierfür  liegt  nicht  allein 
darin,  daß  der  Weinstock  noch  vielfach  an  der  äußersten  Grrenze  seiner  Ver- 
hreitnng  koltivirt  wird  und  daher  die  Erzeugung  hervorragender  Qualitäten  durch 
Benutzung  hierfür  besonders  geeigneter  Sorten  nicht  mehr  gestattet,  sondern  auch 
darin,  daß  der  Rebe  durch  Vermittlung  des  reichen  Futterwachses  eine  stärkere, 
den  Trieb  und  die  Massenproduktion  besonders  fördernde  Düngnng  zu  Theil  wird. 
Im  Durchschnitt  werden  daher  hohe  Bruttoeiträge  verzeichnet,  und  diese  sogar 
auf  33  hl  per  ha,  also  im  Granzen  auf  1^139,490  hl  veranschlagt.  „Die  Masse 
des  Ertrages  unserer  Bebgelände  ist  ein  gesunder,  kurrenter  Branchwein,  der 
unser  Hauptbedürfniß  befriedigt.  Rezent,  durch  ihre  Kohlensäure  erfrischend  und 
durststillend  sind  unsere  Weine  wie  keine  andern,  und  sind  dieselben  für  unsere 
Konsumtion  im  Großen  ganz  geeignet  und  unserem  Graumen  so  angenehm,  daß 
sie  besonders  in  besseren  Jahren  fremden  Weinen  vorgezogen  werden."  ') 

Wer  sich  eine  Vorstellung  von  den  künftigen  Greschicken  unseres  Weinbaues 
bilden  will,  der  muß  sich  absolut  frei  machen  von  den  Eindrücken,  welche  die 
Ergebnisse  dieser  Kultur  seit  mehr  denn  zehn  Jahren  hinterlassen  haben.  Es 
giebt  bekanntlich  in  der  betreffenden  Zone  bei  uns  kein  Gewächs,  welches  von 
den  natürlichen,  aber  ewig  wechselnden  Vorgängen  in  der  Atmosphäre  so  be- 
einflußt wird,  wie  der  Weinstock,  und  diesem  Verhältnisse  entspricht  ebenso 
naturgemäß  ein  ewiges  und  starkes  Schwanken  zwischen  ergiebigen  und  knappen 
Erträgen,  zwischen  Jahren  reichen  Erndtesegens  und  gänzlichen  Fehlschiagens. 
Was  man  in  der  einen  Periode  entbehrte,  wird  und  muß  durch  die  Erfolge  einer 
anderen  ausgeglichen  werden,  und  diese  üngleichmäßigkeit  giebt  der  Rechnung 
des  Winzers  ein  eigenartiges  Gepräge.  Die  lange  Reihe  von  Mißjahren  darf  daher 
auch  ebenso  wenig  als  Argument  gegen  die  Bedeutung  der  Rebkuitur  verwerthet 
werden,  wie  es  sich  rechtfertigt,  mit  dem  Glänze  des  einen  Zeitraumes  die  trüben 
Erfahrungen  des  anderen  überstrahlen  zu  lassen.  In  letzterer  Beziehung  mag  aller- 
dings bei  uns  das  Urtheil  über  die  Rentabilität  des  Rebbaues  nach  den  glücklichen 
Erfahrungen  in  den  50er  und  60er  Jahren  hier  und  da  in  eine  schiefe  Richtung 
gedrängt,  und  diese  Kultur  auch  dahin  getragen  worden  sein,  wo  sie  eine  volle 
Berechtigung  nicht  mehr  besitzt.  Jetzt  wird  man  hierin  innehalten,  zumal  man 
genugsam  erfahren  hat,  daß  Rebgelände,  weil  deren  Herstellungs-  und  Betriebs- 
kosten unabhängig  sind  von  der  Regelmäßigkeit,  der  Höhe  und  Güte  der  Erträge, 
da  am  wenigsten  lohnen,  wo  die  über  dem  Wachsthum  und  Gedeihen  des  Wein- 
stocks schwebenden  Unsicherheiten  und  Gefahren  (z.  B.  Frost  und  Hagel,  parasitäre 
Krankheiten  etc.)  am  größten  sind.  Man  wird  also  im  Angesichte  der  natürlichen 
Chancen  keine  Rebberge  wieder  ansstocken,  um  so  weniger,  als  die  allgemeine 
Geschäftslage,  d.  h.  der  Handel,  ungeachtet  der  auf  diesem  Gebiete  ungewöhnlich 
thätigen  fremden  Konkurrenz,  zu  einer  pessimistischen  Auffassung  der  künftigen 
Konjunkturen  noch  nicht  berechtigt.  An  dieser  Zuversicht  darf  man  um  so  mehr 
festhalten,  als  der  inländische  Weinbau  sich  künftighin  in  Folge  der  Aufhebung 
der  Ohmgelder  eines  schlankeren  Absatzes  in  den  betreifenden  Kantonen  zu  er- 
freuen haben  wird,  und  als  demselben  die  persönlichen  Neigungen  und  Anlagen 
des  Pflanzers,  welche  in  allen  landwirthschaftlichen  Kulturen  über  den  Erfolg 
entscheiden,  in  hohem  Grade  zu  Statten  kommen.  In  der  That  sind  Sauberkeit 
und  Akkuratesse  in  allen  Manipulationen,  welche  die  Rebe  erfordert,  Sorgfalt  in 
der  Wahrnehmung  aller  Kulturvortheile  und  in  der  Abwehr  schädlicher  Einflüsse, 


*)  Bericht  von  J.  Wegmann  in  Erlenbach  (Zürich)  in  dem  „Katalog  der  Schweizer. 
Landesausstellung  ISSS*". 


Landwirtfaschaft  —     298     —  Landwirthschaft 

Fleiß  and  Pünktlichkeit,  Unverdrossenheit  and  Aasdaaer  in  allen  Verrichtangen, 
getragen  von  einer  gewissen  Anhänglichkeit  an  diese  vielgefeierte  Pflanze  — 
ansem  Behbaaem  in  rühmlichem  Orade  eigen. 

2)  Intensiver  und  extensiver  Betrieb. 

In  der  landwirthschaftlichen  Produktion  wirken  regelmäßig  drei  Faktoren 
zusammen.    Sie  sind : 

1)  Das  benutzbare  Land,  ein  gewisser  Erdenraum,  welcher  den  Pflanzen 
die  für  ihr  Wachsthum  und  Gredeihen  erforderlichen  Stand ortsbedingungen  ge- 
währt. Diese  Bedingungen  resultiren  aus  der  vereinten  Wirksamkeit,  welche  die 
in  der  Erde  gegebenen  Stoffe  und  die  an  sie  gebundenen  Kräfte,  die  Bestand- 
theile  und  die  Bewegungserscheinungen  der  Atmosphäre  und  der  Einfluß  der 
leuchtenden  und  erwärmenden  Sonne  auf  das  Pflanzenleben  üben ;  dieselben  werden 
auch  wohl  kurz  zusammengefaßt  in  der  Bezeichnung:  Natur,  Immerhin  bildet 
der  Boden  den  Hauptrepräsentanten  aller  Naturbedingungen,  mit  welchen  es  der 
Landwirth  zu  thun  hat.  Unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  muß  der  Grund  und 
Boden  mit  Kapital  erworben  werden,  ist  derselbe  Gegenstand  des  Verkehrs  ge- 
worden, kommt  ihm  also  ein  Tausch-  oder  Verkehrswerth  zu,  in  welchem  sich 
der  Grad  des  Nutzens  ausdrückt,  welchen  er  durch  seine  Bewirthschaftung  dem 
Erwerber  gewährt.  Das  Kapital  desselben  ist  an  den  Erdenraum  gebunden,  im- 
mobil. Man  faßt  es  daher  auch  sammt  allen  dauernd  auf  den  Grund  und  Boden 
gemachten  und  mit  ihm  unbewegbar  vereinigten  technischen  Anlagen  (Bauten, 
Straßen,  Einfriedigungen  etc.)  unter  der  Benennung  Grundkapital  zusammen. 
—  Ohne  menschliches  Zu  thun  liefert  das  Grundkapital  keine  Rente,  kein  Ein- 
kommen. Soll  dasselbe  dem  gewerblichen  Zwecke  dienen,  so  müssen  noch  andere 
Mittel  der  Produktion  zu  Hülfe  genommen  werden,  um  die  Stoffe  und  Kräfte 
der  Natur  durch  die  Kultur  des  Bodens,  an  welchen  deren  Wirksamkeit  gebunden 
ist,  in  Bewegung  zu  setzen  und  nutzbar  zu  machen.  Hierzu  braucht  der  Land- 
wirth : 

2)  Bewegbares  oder  Betriebskapital,  z.  B.  Vieh,  Maschinen  und  Geräthe, 
Düngemittel,  Futter,  Saatfrucht  etc.,  und 

3)  Menschliche  Arbeit,  bestehend  in  Dienstleistungen  des  Unternehmers  und 
der  Gehülfen  denselben  in  der  Leitung  und  Beaufsichtigung  ^Verwalter)  und  in 
der  eigentlichen  Handarbeit  (Dienstboten  und  Tagelöhner).  Wenn  auch  die  Ent- 
stehung allen  Kapitales  auf  die  Arbeit  zurückzuführen  ist,  und  die  Arbeit  wiederum 
nur  durch  Kapital  unterhalten  und  zu  dauernden  Leistungen  befähigt  werden 
kann,  so  laufen  doch  diese  beiden  Faktoren  in  dem  Produktionsprozesse  seitlich 
neben  einander  her. 

Aus  dieser  einfachen  Betrachtung  erhellt,  daß  der  Boden  die  eigentliche 
Grundlage,  das  passive  Element  der  Bewirthschaftung  bildet,  auf  welches  die 
übrigen  Produktionsmittel  zum  Zwecke  lohnender  Benutzung  aller  Glieder  des 
Prozesses  einwirken  müssen,  daß  dagegen  das  sachliche  Betriebskapital  und  die 
Arbeit,  welche  die  eigentlichen  Betriebskosten  bedingen,  die  aktiven  Elemente 
darstellen,  von  welchen  jene  Einwirkung  auszugehen  hat.  Um  aber  aus  der  ge- 
sammten  Anlage  der  genannten  drei  Faktoren  einen  hohen  Ueberschuß  über  den 
Aufwand  zu  erzielen,  müssen  dieselben  in  einer  angemessenen  Weise  kombinirt 
und  in  Wechselwirkung  gesetzt  werden. 

Bekannt  ist,  daß  das  Verhältniß,  in  welchem  der  Preis  des  Landes  zum 
Zinsfuße  vom  Betriebskapitale  und  zum  Arbeitslohne  steht,  sich  örtlich  und 
zeitlich    sehr   ungleich  gestaltet.     Die  Art  und  Weise,  wie  man  Land,  Betriebs- 


Landwirlhschaft  —      299      —  Landwirlbschaft 

kapital  und  Arbeit  zasammenwirken  lassen  muß,  wird  also  so  oft  verschieden 
ausfallen,  als  jenes  Yerhäitniß  sich  ändert  und  verschiebt,  und  leicht  verständlich 
ist  der  Grundsatz,  daß  der  Landwirth  von  jenen  drei  Faktoren  denjenigen  am 
Stärksten  heranzuziehen  hat,  welcher  nach  Lage  des  Verkehrs  der  billigste  ist. 
Ist  das  Land  theuer,  während  das  Betriebskapital  und  die  Arbeit  billig  beschafft 
werden  können,  dann  spart  man  an  Land  und  häuft  man  auf  derselben  Fläche 
den  Betriebsfond;  man  forcirt  das  Geschäft,  man  wirthschaftet  intensiv,  Ist  das 
Land  wohlfeil,  während  der  Zinsfuß  hoch  steht,  und  die  Gewinnung  der  Arbeit 
relativ  bedeutende  Kosten  verursacht,  so  spart  man  an  letzteren  beiden,  räumt 
man  dem  Lande  ein  Ueberge wicht  ein,  lasset  man  die  Natur  das  Meiste  und 
Beate  thun ;  man  wirthschaftet  extensiv.  Liegt  der  Fall  vor,  daß  intensiv  ge- 
wirthschaftet  werden  muß,  so  kann  man  den  Erfolg  wiederum  auf  verschiedenen 
Wegen  in  so  fem  erstreben,  als  man  je  nach  dem  Verhältniß  des  Zinsfußes  zum 
Arbeitslohn  entweder  mehr  sachliches  Betriebskapital  anwendet  und  die  Mit- 
wirkung der  Arbeit  zurücktreten  läßt,  beschränkt  —  oder  die  Arbeit  schärfer 
heranzieht  und  an  sachlichem  Betriebskapital  spart.  Dort  wirthschaftet  man 
kapitalintensiv,  hier  arbeitsintensiv. 

Bevor  auf  die  Nutzanwendung  dieser  allgemeinen  Grundsätze  auf  den  Betrieb 
der  schweizerischen  Landwirthschaft  eingegangen  werden  kann,  ist  es  erforderlich, 
vorerst  noch  an  einige  andere  Erfahrungen  zu  erinnern. 

Unter  sonst  gleichen  äußeren  Bedingungen  und  unter  der  Voraussetzung 
umsichtiger  und  zweckmäßiger  Anordnung  und  Leitung  des  Geschäftes  steht  die 
Quantität  der  Bodenproduktion  in  engster  Beziehung  zu  der  Summe  der  auf  den 
Boden  verwendeten  Kosten  oder  zu  dem  Umfange  des  zur  Bewirthschaftnug» 
desselben  aufgewendeten  Betriebskapitales  und  zu  der  Schnelligkeit  seines  Um- 
satzes. Aber  diese  Vermehrung  des  Rohertrages  steht  nicht  in  geradem  Ver- 
hältnisse  zu  der  Quantität  des  Aufwandes  für  die  Produktion.  Dieser  steigt  in 
stärkerem  Verhältnisse,  als  der  Ertrag  zunimmt,  oder  —  eine  jede  Vermehrung 
der  Betriebskosten  gewährt  von  der  gleichen  Bodenfläche  einen  verhältnißmäßig 
geringeren  Ertrag,  Diese  Beziehungen,  welche  in  den  Erfahrungen  der  Land- 
wirthschaft allüberall  und  allezeit  zu  Tage  treten,  führen  zu  dem  Schlüsse,  daß 
der  Reinertrag  eines  Gütergewerbes  nicht  in  demselben  Maße  wie  dessen  Boh- 
ertrag  zunimmt,  und  die  Konsequenz,  welche  aus  diesem  Verhalten  gezogen 
werden  muß,  lautet  einfach,  daß  der  Uebergang  zu  einem  intensiveren  Betriebe 
wirthschaftlich  nur  dann  zulässig  und  geboten  ist,  wenn  das  TFefr^Averhältniß 
zwischen  Rohertrag  und  Kosten  sich  ändert.  Fälle  dieser  Art  liegen  aber  vor, 
sobald  im  Vergleiche  eum  Aufwände  die  Preise  der  Bodenereeugnisse  steigeny 
oder  bei  gleichen  Preisen  der  Produkte  die  Betriebsspesen  sirh  mindern. 

Eine  jede  Erweiterung  des  Verhältnisses  zwischen  dem  Werthe  des  Roh- 
ertrages und  des  Aufwandes  bedeutet  eine  Steigerung  der  Grundrente  und,  wenn 
dieselbe  eine  nachhaltige  ist,  auch  des  Landpreises.  Man  kann  daher  jenen  Grund- 
satz auch  dahin  ausdehnen,  daß  die  intensive  Betriebsweise  um  so  rathsamer  und 
noth  wendiger  wird,  je  höher  die  Güter  werthe  sind.  In  der  That  liegt  unter 
solchen  Wandlungen  das  einzige  Mittel,  um  den  Einfluß  der  starken  Belastung 
der  Bewirthschaftung  mit  hohen  Grundzinsen  zu  paralysiren,  in  der  planmäßigen 
Häufung  des  Betriebsaufwandes  behufs  Vermehrung  des  Ertrages,  weil  sich  mit 
der  Steigerung  der  Produktion  auf  der  gleichen  Fläche  jene  erhöhten  An- 
forderungen des  Grundkapitals  günstiger  auf  die  Einheit  der  Erzeugnisse  repartiren. 

Es  ist  erfahrungsgemäß  feststehend  und  leicht  erklärbar,  daß  die  Voraus- 
setzungen der  Intensität  des  Betriebes  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  unv  %^ 


Landwirthschaft  —     300     —  Landwirthschaft 

näher  liegen,  je  mehr  eine  günstige  Natorbeschafienheit  des  Landes  die  gesteigerten 
Einwirkungen  der  Kanstmittel  der  Menschen  erleichtert  und  ergiebiger  macht. 
Darin  beruht  hauptsächlich  das  nicht  seltene  Vorkommen,  daß  die  extensivsten 
und  intensivsten  Wirthschaftsformen  räumlich  neben  einander  liegen.  Während 
z.  B.  unter  sonst  zutreffenden  Bedingungen  die  Betriebsstellen  in  den  Tieflands- 
gegenden  auf  fruchtbarem  Boden  und  in  mildem  Klima  der  intensiven  Kultur 
nicht  entbehren  können,  müssen  diejenigen  in  den  höheren  Lagen  und  auf  ge- 
ringem Boden  beharrlich  darauf  verzichten,  die  Steigerung  der  Erträge  von  diesem 
durch  Konzentration  der  Produktionsmittel  zu  forciren,  weil  einer  solchen  Wirth- 
schaftsweise  zu  gewaltige  äußere  Beschwerden  (bedeutende  Entfernungen  des 
Kulturlandes  von  den  Hofstätten,  ungunstige  Lage  des  Terrains  an  sich,  mangel- 
hafte Beschaffenheit  der  Zugangs wege  etc.)  entgegenstehen,  und  weil,  ganz  ab- 
gesehen hiervon,  die  Yegetationszeit  in  jenen  Revieren  zu  kurz  ist,  um  in  solcher 
einen  stark  vermehrten  Aufwand  auf  den  Boden  angemessen  verweHhen  zu  können. 
Aber  selbst  in  an  und  für  sich  gesegneten  Distrikten  muß  in  jener  Hinsicht 
scharf  gesichtet,  und  es  vermieden  werden,  alles  Land  unbekümmert  um  dessen 
natürliclie  Fruchtbarkeitsanläge  intensiv  zu  bewirthschaften.  Manches  Grundstück, 
welches  allda  jetzt  Ackerland  oder  Wiese  ist,  würde  vielleicht  besser  der  Wald- 
kultur überlassen,  und  manches,  welches  dem  Hoch  wüchse  dient,  manche  nasse 
Wiese,  mancher  schwere,  kalte,  träge  Acker  durch  Drainage  und  Tiefkultur  mit 
Nutzen  einer  intensiveren  Kultur  unterworfen. 

Unter  Berufung  auf  diese  Erwägungen  lassen  sich  nunmehr  für  die  Schweiz 
hinsichtlich  der  vorliegenden  Aufgabe  zwei  große  Kulturdistrikte  unterscheiden. 
Ohne  alle  und  jede  Frage  sind  für  die  Flachlandswirihschaflen  die  Bedingungen 
der  ^eXv'iQh^- Intensität  in  vollem  Maße  gegeben.  In  einem  Grebiete,  dessen  dichte 
und  gewerbreiche  Bevölkerung  noch  einer  bedeutenden  Zufuhr  an  Lebensmitteln 
und  Ver Wandlungsstoffen  aus  dem  Auslande  bedarf,  in  welchem  sich  ein  ungemein 
reges  Yerkebrsleben  entwickelt  hat,  der  Landwirth  in  der  Nähe  des  Marktes 
einen  unverkennbaren  Vorsprung  genießt,  der  Grundbesitz  in  hohem  Grade  ver- 
theilt  ist,  und  die  Güterpreise  sich  in  den  höchsten  Stufen  bewegen  —  in  einem 
solchen  Gebiete  ist  im  Allgemeinen  die  Intensität  des  landwirthschaftlichen  Be- 
triebes eine  Grundbedingung  für  dessen  Prosperität  und  daher  ein  zwingendes 
Gebot  der  Nothwendigkeit.  Allerdings  nur  im  Allgemeinen,  um  damit  hervor- 
zuheben, daß  allda  dem  Landwirth  immer  noch  die  Aufgabe  des  Lokalisirens 
verbleibt,  und  je  nach  der  natürlichen  Ausstattung  der  Lage  und  des  Bodens 
und  je  nach  der  Entfernung  der  Grundstücke  vom  Wirthschaftshofe  abgewogen 
werden  muß,  wie  weit  der  Aufwand  im  Einzelfalle  ausgedehnt  werden  kann. 
Wie  prägnant  hier  die  Verhältnisse  vielfach  liegen,  beweist  u.  A.  die  Ausbreitung 
der  Gärtnerei,  des  Tabakbaues  und  namentlich  der  Kultur  der  Rebe,  Erscheinungen, 
welche  als  „geborene"  Begleiter  der  Hochkultur  betrachtet  werden  müssen,  und 
deren  Betrieb  auf  extensiver  Grundlage  einen  inneren  Widerspruch  bedeuten 
würde.  Gegen  diese  Auffassung  der  Dinge  lasset  sich  auch  nicht  einwenden,  daß 
durch  den  in  der  Neuzeit  beobachteten  Rückgang  der  Produktenpreise  die  Vor- 
aussetzungen für  eine  vermehrte  Anlage  auf  den  Betrieb  dahingefallen  seien,  weil 
jene  Baisse  in  fast  gleichem  und  zum  Theil  sogar  stärkerem  Verhältnisse  auch 
die  meisten  Bestandtheile  des  Aufwandes  (Kunstdünger,  Ejraftfutter,  Maschinen 
und  Geräthe,  HülfsstofFe  verschiedener  Art  etc.)  betrotten  hat,  und  weil  unter 
allen  Umständen  die  namentlich  für  den  Schuldenbauern  geradezu  zwingende 
Thatsache  der  Belastung  mit  hohen  Ansprüchen  des  Grund  kapitales  verbleibt. 

Innerhalb  des  Bereiches  der  Hügelland  wir thschaften  ist  dann  in  Bezug  auf 


Landwirthschaft  —      301      — •  Landwirthschatt 

die  BetriebsinteDsität  freilich  wieder  zwischen  den  Besitzesgrößen  zn  unterscheiden. 
Der  mittlere  und  der  große  Besitzstand  werden  nach  Lage  der  Verhältnisse  den 
Schwerpunkt  gesteigerter  Verwendung  nothgedrungen  in  der  Verstärkung  des 
sachlichen  Betriebskapitales  zu  suchen  haben  und  demgemäß  in  der  Heranziehung 
der  .menschlichen  Arbeit  möglichst  sparsam  zu  Werke  gehen  müssen,  die  Klein 
besitzer  dagegen  sich  in  dieser  Beziehung  weit  mehr  Spielraum  gönnen  dürfen 
und  Bedacht  auf  Einrichtungen  nehmen,  welche  die  Zahl  der  nutzbaren  Arbeits- 
tage vermehren  helfen,  allerdings  immer  mit  Rücksicht  darauf,  daß,  wenn  auch 
die  Kapitalkraft  in  manchen  Operationen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  durch 
die  Arbeitskraft  ersetzt  werden  kann,  die  Ergiebigkeit  der  Arbeit  doch  wiederum 
wesentlich  davon  bedingt  ist,  daß  dieser  ausreichendes  Umsatzmaterial  dargeboten 
wird.  Je  umfangi-eicher  also  das  Gewerbe,  desto  mehr  wird  sich  die  Rücksicht 
auf  eine  gewisse  Vereinfachung  desselben  —  z.  B.  auf  stärkere  Einschränkung 
den  Feldbaues,  entsprechende  Ausdehnung  des  Graslandes,  starke  Bevorzugung 
der  Obstknltur  etc.  etc.  —  geltend  machen,  zumal  eine  derartige  Richtung  gerade 
für  die  Anwendung  höherer  Grade  der  Kapital-lntensiteit  des  Betriebes  reichliche 
und  lohnende  Gelegenheit  darbietet.  Die  Kleinwirthschaft  hingegen  kann  und  wird 
mit  ungleich  größerem  Erfolge  sich  einer  gewissen  Mannigfaltigkeit  der  Kultur 
befleißigen,  zu  diesem  Zwecke  weit  mehr  im  Stande  sein,  dem  offenen  Banlande 
eine  größere  Ausdehnung  zu  geben,  den  Futterbau  im  Felde,  Milchwirthschaft 
mit  direktem  Verkaufe  der  Milch  vortheilhaft  zu  betreiben,  auch  dem  Rebbau 
mit  Sorgfalt  obzuliegen  u.  s.  w. 

Wirft  man  die  Frage  auf,  in  welcher  Art  und  Weise  das  Bedürfniß  zu 
vermehrter  Anlage  von  Betriebskapital  sich  vornehmlich  geltend  mache,  so  darf 
als  fundamentalster  Satz  aufgestellt  werden,  daß  der  Ausgangspunkt  eines  jeden 
Aufschwunges  zu  höheren  Stufen  in  der  Vermehrung  der  Produktivkraft  des 
Bodens  zu  suchen  ist.  Grundbedingung  für  einen  jeden  Fortschritt  auf  der  an- 
gedeuteten Bahn  ist  also,  daß  mit  der  Steigerung  der  Bodenkraft  angefangen 
wird.  Wo  nur  irgend  die  pnmären  Fruchtbarkeitsbedingungen  des  Landes  nicht 
oder  nicht  genügend  aufgeschlossen  sind,  da  ist  jede  auf  Abhülfe  der  betrefiPenden 
Mängel  zielende  dauernde  Verbesserung  desselben  —  eigentliche  Grundmelioration 
—  der  erste  und  nothwendigste  Schritt  zur  Herbeiführung  eines  Zustande«,  in 
welchem  überhaupt  Betriebskapital  und  Arbeit  ersprießlich  wirken  können.  In 
allen  Fällen  der  Bedürftigkeit  müssen  also  Ent-  und  Bewässerungsanlagen,  Kor- 
rektion von  Wasserläufen,  Verbauungen,  Terrassirungen,  Tiefkultur,  Boden- 
mischungen etc.,  vorangehen.  Eine  indirekt  die  Kapitalverwerthungskraft  des 
Grundbesitzes  bedingende  und  durchgreifend  fördernde  Kulturmaßregel  bildet  so- 
dann die  verbesserte  Feldeintheilung  und  bezw.  die  Zusammenlegung  der  Güter- 
stücke, verbunden  mit  der  Anlage  ausreichender  und  zweckmäßiger  Zugangswege. 
Gegenüber  den  vielfach  noch  vorkommenden,  elenden  Zuständen  der  argen  Zer- 
splitterung, der  ungeschickt^jn  Figur  und  der  zerstreuten  und  verworrenen  Lage 
der  Parzellen  bedeutet  eine  solche  Operation  die  Herstellung  unbedingter  Freiheit 
in  der  Benutzung  des  Grundeigenthums,  eine  Verminderung  der  Arbeitskosten 
für  die  Bebauung  und  Beerndtung  desselben,  und  eine  Vorbedingung  fnr  die 
Durchführung  umfassender  Meliorationen.  Ohne  eine  solche  Verfassung  aber  ist 
die  Landwirthschaft  zur  Anwendung  höherer  Stufen  der  Betriebsintensität  un- 
fähig. Reichliche  Futtererzeugung,  Ergänzung  derselben  durch  Zuschüsse  von 
Kraftfutter,  gleichmäßig  reichliche  Ernährung  der  Thiere,  sorgfältigstes  Zurathe- 
halten  und  rationellste  Behandlung  und  Anwendung  des  Viehdüngers,  Verstärkung 
des   Düngerkapitals   und   qualitative  Vervollständigung   desselben   durch  Be\kA.v\^ 


Landwirthschafl  —      302     —  Landwirthschaft 

von  konzentrirtem  Hülf«-  (sog.  KuDät-)  DUnger,  diese  und  ähnliche  Einrichtungen 
inüsäen  dann  dazu  dienen,  die  Ausgestaltung  der  Grundlagen  eines  gesteigerten 
Umsatzes  zu  vollenden.  Und  erst,  wenn  diese  Bedingungen  sich  erfnlien,  erst 
dann  kann  naturgemäß  mit  Erfolg  der  Aufgabe  näher  getreten  werden,  den  Be- 
trieb mit  allen  den  HUlfsmitteln  zu  versehen,  welche  dazu  dienen,  die  Leistungen 
der  Arbeit  in  quantitativer  und  qualitativer  Beziehung  zu  steigern  (verbesserte 
Oeräthe  und  Maschinen)  und  eine  bessere  Verwerthung  der  Produkte,  insonder- 
heit des  Futterbaues,  zu  erzielen  (Haltung  der  leistungsfähigsten  Viehstamme). 
Unter  allen  Umständen  steht  aber  die  Ausdehnung  der  Anlagen  auf  das  nn- 
produktive  Gebäudekapital  in  letzter  Linie.  Leider  verzeichnet  die  Landwirthschaft 
des  Flachlnndgebietes  nur  zu  zahlreiche  Fälle,  in  welchen  die  Grundbesitzer  ein 
viel  zu  großes  Kapital  in  Wirthschaftsgebäuden  angelegt  haben,  unbekümmert 
darum,  wie  stark  sie  mit  demselben  den  Betrieb  durch  die  vom  Baukapital  be- 
anspruchten Zinsen,  die  jährlichen  Reparaturkosten  und  die  Neubaurent«  (Amorti- 
sation) belasten.  Hierin  und  namentlich  in  der  häutig  ausgeprägten  Neigung  nicht 
allein  zur  Erstellung  unnöthig  umfangreicher,  sondern  auch  zu  theurer  Massiv- 
bauten liegt  einer  der  Hauptgründe  der  geringen  Rentabilität  mancher  Landgüter. 

Der  vorliegenden  Betrachtung  über  die  intensive  Betriebsweise  entspricht 
der  Grundzug  der  Einrichtungen  in  den  besseren  Lagen  des  Landes.  Aber  auch 
nur  der  Grundzug.  Das  Bestreben,  jener  Richtung  zu  folgen,  tritt  unverkennbar 
überall  zu  Tage.  Aber  nicht  alle,  vielleicht  nicht  einmal  die  Mehrzahl  der  Land- 
wirthe  ist  in  der  Lage,  sie  voll  und  ganz  zum  praktischen  Ausdruck  zu  bringen. 
Diese  Lückenhaftigkeit  und  Schwei^fälligkeit  beruht  leider  darin,  daß  eben  ein 
zu  großer  Theil  der  Gütergewerbe  zu  sehr  mit  Grundschulden  belastet  ist,  und 
der  hohe  Grad  der  Zinspflichtigkeit  es  ihm  verunmöglicht,  ein  ausreichend  starkes 
Betriebskapital  zur  Verfügung  zu  halten.  Aus  diesem  Grunde  aber  erscheint  es 
als  eine  zwingende  Forderung  der  Zeitlage,  daß  Alles  aufgeboten  werde,  um 
Einrichtungen  in*s  Leben  zu  rufen,  welche  geeignet  sind,  den  Betriehskredit  des 
Landwirthes  zu  erleichtern  und  zu  verwohlfeilem.  Ohne  solche  Institutionen  wird 
die  Verallgemeinerung  der  Betriebsintensität  noch  lange  Gegenstand  frommer 
Wünsche  bleiben. 

Im  Gegensatz  zu  den  Wirthschaften  des  begünstigten  Hügellandes  stehen 
bezüglich  der  vorliegenden  Frage  die  Betriebfest  eilen  in  den  verkehrsärmeren  Lagen 
auf  geringerem  Boden  und  namentlich  im  Gebirge,  in  den  Alpen.  Unter  Berufung 
auf  die  vorausgesandten  allgemeinen  Grundsätze  kann  man  es  unbedenklich  aus- 
sprechen, daß  hier  von  einer  intensiven  Kultur-  und  Betriebsweise  nicht  die 
Rede  sein  kann,  das  Erzwingen  einer  solchen  nothgedrungen  zu  einer  Vergeudung 
von  Kräften  und  Mitteln  führen  und  den  Rückgang  in  Erwerb  und  Verdienst 
besiegeln  würde.  Hier  wird  es  für  die  Landbewirthschaftung  nach  wie  vor  nur 
eine  Parole  geben  müssen.  Sie  lautet :  Anklammerung  an  die  Natur,  um  die 
starren  Triebe  derselben  mit  verhältuißmäßig  geringem  üCopi^a/aufwande  unter 
verstjuuliger  Benutzung  der  menschlichen  Arbeit  in  die  Bahnen  erhöhter  Pro- 
duktivität zu  leiten.  Die  Wirthschaften  werden  daher  extensiv  bleiben  in  der 
Anlage,  dagegen  entwickelt  werden  müssen  durch  gewissenhafte  Bekämpfung  der 
einschneidendsten  Kulturhindernisse.  Lohnen  werden  dort  stetsfort  Einrichtungen, 
welche  zur  bi'sseren  Ausnutzung  des  Wassers,  zur  Beseitigung  zu  großer  Nässe 
führen,  ferner  die  regelmäßige  Arbeit  zur  Pflege  des  Grasbestandes  (Säubern, 
Räumen,  Ebnen  des  Weidebo<len8,  sorgfältige  Ansammlung  und  rationelle  Ver- 
wendung des  ViehdUngers),  die  Erstellung  und  der  sorgfältige  Unterhalt  von 
zweckmäßigen    Einfriedigungen,    von    Wasserversorgungen,    die    Neuanlage    und 


Landwirthschaft  —     303     —  Landwirthschafl 

Yerbessernng  der  Alpenwege,  die  Verbauung  der  Wildbäche,  die  Vorkehrungen 
gegen  Erdschlipfe,  alle  Maßregeln  zum  Schutze  und  einer  sonst  ergiebigen  Pflege 
des  Weideviehes  (Stallbauten,  Vorräthe  an  Dürrfutter)  u.  a.  in.  Abßr  alle  diese 
niUglichen  und  nothwendigen  Einrichtungen  und  Vorkehrungen  bedingen  eben 
noch  lange  nicht  eine  intensive  Betriebsweise. 

3)  Die  Feldsysteme. 

In  dem  Feldsystem  findet  die  Gesammtheit  aller  planmäßig  getroffenen  Maß- 
regeln zur  landwirthschaftlichen  Benutzung  der  Felder  ihren  praktischen  Ausdruck. 
Zur  Klarstellung  des  Wesens  des  Feldsystems  darf  man  aber  den  Begriff  des 
„Feldes**  nicht  auf  denjenigen  des  Pfluglandes  (Ackerfeldes  oder  Ackerlandes) 
beschränken,  muß  man  denselben  vielmehr  auf  alle  landwirthschaftlichen  Eultur- 
arten  ausdehnen,  weil  die  landwirthschaftliche  Benutzung  des  Bodens  sich  in  der 
Regel  nicht  auf  ausschließlichen  Feldbau  gründet  und  —  weil  da,  wo  mehrere 
Kulturarten  neben  einander  auftauchen,  die  Landbewirthschaftung  ihren  eigen- 
artigen Charakter  aus  der  Wechselwirkung  derselben  empfängt.  Am  Augenfälligsten 
ist  dies  erkennbar  in  allen  den  zahlreichen  Fällen,  in  welchen  sich  die  land- 
wirthschaftlich  benutzte  Fläche  auf  Ackerfeld  und  Wiesen  vertheilt.  Das  Feld- 
system bedeutet  hiernach  den  Inbegrifl*  aller  Methoden  der  Benutzung  des  land 
wirthschaftlichen  Kulturbodens,  und  begreiflich  hängt  seine  Gestaltung  von  dem 
gesammten  Wirthschaftssystem  ab,  von  welchem  es  nur  einen  einzelnen,  aller- 
dings hervorragenden  und  grundlegenden  Bestandtheil  bildet.  Im  Wesentlichen 
umfaßt  dasselbe  die  Bestimmung  der  Kulturarten,  die  Eintheilung  der  Grundstücke 
und,  speziell  in  Rücksicht  auf  den  Feldbau,  die  Anordnung  der  Fruchtfolge 
(Turnus,  Rotation). 

Aus  den  seitherigen  Erörterungen  über  die  landwirthschaftlichen  Betiiebs- 
einrichtungen  der  Schweiz  darf  von  vorneherein  der  Schluß  gezogen  werden,  daß 
auch  in  den  Feldsystemen  des  Landes  eine  gewaltige  Verschiedenheit  zu  Tage 
trete.  Die  Beobachtung  der  Thatsachen  bestätigt  dies.  Der  Uebersicht  willen 
wird  man  aber  wohlthun,  die  Erscheinungen  im  Großen  festzustellen  und  darnach 
nur  mehrere  Hauptgebiete,  welchen  typische  Einrichtungen  entsprechen,  einander 
gegenüber  zu  stellen. 

Auf  Grund  der  äußeren  Bedingungen,  wie  sie  in  der  Erhebung  und  Ge- 
staltung des  Terrains,  der  Beschaffenheit  des  Bodens  und  Klimans,  in  der  Be- 
völkerungsdichtigkeit, der  Verkehrslage  und  der  Vertheilung  des  Grundbesitzes 
zu  Tage  treten,  hat  sich  in  den  westlichen  und  nördlichen  Grenzgebieten  des 
Mittellandes,  überall  im  Bereiche  der  Dorfverfassung,  bei  ausgesprochenster  Ge- 
mengelage der  Grundstücke,  schon  frühzeitig  eine  eigentliche  Feld  wir  thschaft, 
mit  stark  hervortretendem  Ackerbau  und  bleibender  Trennung  der  vornehmlich 
auf  die  Thalsohlen  und  feuchtgründigen  Hänge  beschränkten  Wiesen  von  dem 
Ackerlande,  ausgebildet.  Der  Ausgangspunkt  dieses  Systems  liegt  zweifellos  in 
der  Dreifelderwirihschaftf  in  welcher  man  den  Turnus  mit  reiner  Brache  er- 
öfl'net«,  um  derselben  Wintergetreide  und  diesem  Sommergetreide  folgen  zu  lassen. 
Heute  begegnet  uns  diese  Anordnung  aber  nur  sehr  ausnahmsweise,  vereinzelt 
noch  in  einem  Striche  an  der  Nordwestgrenze  gegen  Elsaß  und  Frankreich  hin. 
Im  Allgemeinen  darf  man  wohl  behaupten,  daß  die  schwarze  Brache  —  ein 
unverkennbares  Symptom  extensiver  Betriebsweise  —  in  der  schweizerischen 
Landwirthschaft  abgethan  ist.  Schon  dadurch  und  durch  die  Bepflanzung  der 
Brachäcker  mit  Klee,  Kartoffeln,  Rüben,  Industriepflanzen  etc.,  sowie  in  Folge 
der   hiermit   einhergehenden    Aufhebung   des   allgemeinen  Weideganges   hat    das 


LandMrirthschaft  —      304     —  Landwirtbschatt 

alte  System  seine  Physiognomie  durchgreifend  und  namentlich  in  dem  Sinne  ge- 
ändert, daß  es  eine  reichlichere  Futtererzeugung  und  die  Haltung  eines  stärkeren 
Viehstandes  ermöglichte.  Doch  nicht  genug  damit.  Ueherall,  wo  man  durch  Neu- 
anläge  und  bessere  Unterhaltung  der  Flurwege  die  Zugänglichkeit  der  einzelnen 
Grundstücke,  und  dadurch  die  Freiheit  in  der  Benutzung  derselben  herzustellen 
suchte,  machte  sich  mit  den  gesteigerten  Anforderungen  des  Yerkehrslebens  an 
die  Bodenbewirthschaftung  und  mit  dem  verhältnißmäßigen  Rückgang  der  Körner- 
preise auch  das  Bestreben  geltend,  mit  der  überlieferten  Dreifelderwirthschaft 
mehr  oder  weniger  zu  brechen  und  in  der  Einrichtung  der  Fruchtfolge  das  Prinzip 
des  Wechsels  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Soweit  dies  geschah,  wurde  aber  die 
unmittelbare  Aufeinanderfolge  je  zweier  Getreidesaaten  preisgegeben,  der  auf 
Weizen,  namentlich  aber  Dinkel  oder  Spelz  (Eorn),  Roggen,  Grerste  und  Hafer 
beschränkte  Kömerbau  reduzirt,  und  die  Gelegenheit  eröffnet,  dem  Fntterbau  im 
Felde  eine  noch  größere  Fläche  einzuräumen.  Die  Mittel  dazu  fanden  sich  in  der 
Aufnahme  auch  mehrjähriger  Futterkräuter,  wie  Esparsette  nnd  Luzerne,  in  den 
Feldbau,  und  insbesondere  in  der  Einführung  von  Zwischenkulturen,  vorherrschend 
von  Stoppelgewächsen,  unter  welchen  wiederum  die  Weißrüben  (Raben)  sehr 
bevorzugt  wurden.  Neuerdings  kam  die  Kultur  des  Kleegrases  (Kunstfutter)  dazn, 
und  mannigfach  zeigt  sich  das  Verlangen,  die  Futtererzeugung,  ganz  besonders 
auch  in  Rücksicht  auf  die  Sommerstallfütterung  des  Viehes,  je  nach  lokalen  Um- 
ständen durch  die  Aufnahme  der  Sommer-  und  Winterwicken,  des  Fatterroggens^ 
des  Mais  etc.  zu  steigern.  Hand  in  Hand  mit  dieser  Entwicklung  ging  und  geht 
dann  auch  die  sorgfältigere  Düngung  und  Pflege  der  Dauer  wiesen.  Derartige 
Maßregeln  gewannen  begreiflich  die  hervortretendste  Bedeutung  in  den  Land- 
strichen, in  welchen  auch  der  Rebbau  stark  verbreitet  ist,  weil  dieser  weitgebende 
Ansprüche  an  das  Düngerkapital  der  Wirthschaften  stellt,  aber  denselben  nur 
wenig  Material  zur  Düngererzeugung  zurückgiebt.  Die  in  diese  Gruppe  gehörenden, 
immerhin  durch  eine  gewisse  Familienähnlichkeit  ausgezeichneten  Systeme,  deren 
äußersten  Glieder  einerseits  in  der  alten  Dreifelderregel,  andererseits  in  dem  reinen 
Fruchtwechsel  zu  ßnden  sind,  reichen  im  Allgemeinen  bis  an  den  Fuß  der  Vor- 
berge oder  an  jene  Lagen,  in  welchen  die  planmäßige  Pflugbearbeitung  des  Landes 
auf  grcißere  Beschwerden  stößt,  aber  die  spezitische  Qualifikation  des  Landes  für 
den  Gras  wuchs  desto  greifbarer  hervortritt. 

Einen  merkwürdigen  Gegensatz  zu  jenen  Einrichtungen  bildet  die  Art  der 
Landeintheilung  und  -Bewirthschaftung  in  den  gesegneteren  Landstrichen  am 
Südalpenabhang,  insbesondere  in  dem  Gebiete  der  unteren  Weinzone  Tessins.  *) 
Charakteristisch  für  dieselbe  ibt  die  allgemeine  Eintheilung  des  Ackerlandes  in: 
1)  Campi  scoperti  oder  offene,  gar  nicht  beschattete  Felder,  und  2)  Campi  vignati, 
oder  Felder,  welche  mit  Reihen  von  Feldahorn,  Pappeln,  Ulmen  und  Maulbeer- 
bäumen bepflanzt  sind,  an  denen  (als  lebender  Stütze)  der  Weinstock  gezogen 
wird.  —  In  der  Feldkultur  sind  allda  alle  bei  uns  einheimischen  G^treidearten, 
am  Wenigsten  freilich  der  Hafer,  vertreten.  Während  der  Roggen  in  allen  höher 
gelegenen  Landestheilen  das  Hauptgetreide  bildet,  wird  in  den  tieferen  Lagen 
ganz  vorzugsweise  der  Mais  in  starker  Ausdehnung,  vielfach  auch  auf  den  „Campi 
vignati",  gebaut,  und  dessen  Erndte  für  doppelt  so  ergiebig  gehalten,  als  die 
der  übrigen  Mehlfrüchte.  Von  anderweiten  Gewächsen  kommen  als  Hauptgegen- 
stände   der  Feldkultur    noch  in  rauheren  Strichen  die  Kartoffeln,    außerdem  der 

^)  Die  nachfolgende,  hierauf  bezügliche  Skizze  gründet  sich  auf  gütige  direkte 
Mittheilungen  von  Prof.  Dr.  Schröter  in  Zürich. 


Landwirthscbalt  —     305     —  Landwirthschafl 

Hanf,  vereinzelt  auch  der  Raps  und  dann  der  Rothklee,  die  Luzerne,  das  ita- 
lienische Raygras,  die  Zuckerhirse,  der  Pferdezahnmais,  und  hier  und  da  auch 
das  Kleegras  in  Betracht.  Von  einer  hesonderen  Bedeutung  sind  aher  die  häufig 
vorkommenden  eigentlichen  Zwischenkalturen,  welche  gewöhnlich  als  zweite  Fracht 
nach  Gretreide  eingeschohen  werden  und  dem  Feldsystem  einen  eigenartigen 
Charakter  gehen.  Hierhin  gehören  verschiedene,^  als  sog.  „Schmalsaat''  (grani 
minuti)  gehaute  Körnerfrüchte,  z.  B.  Kolben-  und  Rispenhirse,  Zuckerhirse, 
Buchweizen,  außerdem  Rüben,  und  in  der  Thalebene  hin  und  wieder  sogar  noch 
Kartoffeln.  Aber  auch  merkwürdige  Fälle  von  Doppelkulturen  werden  dort  an- 
getroffen. So  finden  sich  beispielsweise  neben  einander  auf  dem  gleichen  Felde, 
angebaut:  1)  Die  Rebe,  an  in  Reihen  gepfianzten  Feldahorn en  oder  an  einer 
auf  Gneissäulen  ruhenden  Laube  gezogen;  2)  Getreide  (Weizen,  Roggen  und 
Gerste),  in  Reihen  gesäet,  und  zwischen  diesen  Reihen  3)  Cinquantino-Mais.  Der 
Roggen  ist  Winterroggen  und  wird  im  November  bestellt.  Hat  derselbe  im 
Frühling  die  Höhe  von  20  cm  erreicht,  so  säet  man  jenen  kleinkörnigen,  früh- 
reifen Mais  dazwischen.  Der  Frndte  des  Roggens,  welcher  im  Juni  geschnitten 
wird,  folgt  im  September  und  Oktober  diejenige  des  Mais.  Eine  sehr  wichtige 
Kultur  ist  diejenige  des  Maulbeerbaumes  (Monis  alba),  weil  sie  die  Grundlage 
für  die  Seidenproduktion  bildet,  aus  deren  Betrieb  schon  in  den  vierziger  Jahren 
eine  Ausbeute  von  nahezu  24,000  kg  Seide  hervorging.  Dieselbe  wird  schon 
oberhalb  Biasca  angetroffen  und  gewöhnlich  in  Reihen pflanzung  ausgeführt.  Der 
Olivenbaum  gedeiht  zwar  in  den  niederen  Theilen  des  Kantons  vortrefflich,  scheint 
aber  nirgends  mehr  in  erheblicher  Ausdehnung  als  Kulturbaum  gepflegt  zu  werden. 
Die  eigentlichen  Fruchtbäume  mögen  hier  unerwähnt  bleiben,  da  sie  entweder, 
wie  die  Kastanie,  einen  Gegenstand  der  Waldkultur  bilden,  oder,  wie  die 
Wallnuß-,  Feigen-,  Mandel-,  die  Kern-  und  Steinobstbäume,  in  den  Bereich  des 
Obstbaues  fallen.  Nur  sei  hier  noch  bezüglich  der  Kastanie  bemerkt,  daß  sie, 
seit  die  Maiskultur  sehr  zugenommen  hat,  vielfach  als  Niederwald  gezogen  wird, 
um  Rebstecken  zu  gewinnen.  —  Berücksichtigt  man,  daß  eine  in  größerem  Maß- 
stabe betriebene  systematische  Kultur  der  Feldfutterpflanzen  dort  nicht  eingebürgert 
ist,  so  köimte  Angesichts  der  bedeutenden  Ansprüche  der  Feldkultur  auf  ein 
starkes  Bedürfniß  der  Landwirthschaft  an  natürlichen  Wiesen  geschlossen  werden. 
Die  thatsächlichen  Verhältnisse  entsprechen  dieser  Auffassung  indessen  nicht.  Er- 
hebliche Zubußen  erhält  die  Feldwirthschaft  nur  aus  den  sog.  fetten  Wiesen 
(prati  grassi),  deren  Besitzer  sich  im  unbeschränkten  Genüsse  aller  Nutzungs- 
rechte an  solchen  befinden  und  gewöhnlich  zwei  Schnitte  und  eine  Weidenutzung 
im  Herbste  erzielen.  Die  sogenannten  Berggüter,  Bergwiesen  (monti)  unterliegen 
dagegen  dem  den  Gemeinden  zustehenden  Rechte  des  allgemeinen  Weideganges, 
welcher  bis  zu  einem  bestimmten  Tage  des  Frühjahres  und  von  einem  bestimmten 
Tage  im  Herbste  an  geübt  wird,  so  daß  der  Besitzer  eine  Beeinträchtigung  des 
Ertrages  an  Heu  und  Emd  erleidet,  und  die  sog.  Magerwiesen  (maggenghi)  sind 
von  der  Weidedienstbarkeit  so  stark  betroffen,  daß  der  Besitzer  nur  auf  einen 
Schnitt  rechnen  darf.  Unter  solchen  Zuständen  ist  eben  die  Prosperität  des  Feld- 
baues nar  möglich  und  erklärlich  durch  das  glückliche  Zusammentreffen  aller 
Bedingungen  des  Gedeihens  der  Gewächse,  insonderheit  des  überaus  milden  Klimans 
und  des  von  Natur  reichen  Bodens. 

Wenn  auch  nicht  im  Prinzipe,  so  doch  in  der  äußeren  Erscheinung  mehr 
oder  weniger  mit  den  Einrichtungen  im  Tessin  verwandten  Vorkommnissen  be- 
gegnet man  in  der  landwirthschaftlichen  Bodenbenutzung  des  mittleren  und  unteren 
Wallis,  im  Rhonethal  und  an  den  sanfter  ansteigenden  und  besonders  nach.  SASääxv 

Fttrrer,  VolktwirthachafU-Lexikou  der  Schweic.  ^<;^ 


l^;i«iw.rtliM:ri:i:*  —     30»  >      —  Lamiwirthschaft 

abfallen« i^n  ^i: liehen  ELioi^n  «iesselben.  L>ad  ELlima  jener  Land>K!haft,  vornehmlich 
im  eixertlwht^n  mirr leren  Vl'allis  —  vöü  Lenk  bis  Martigny  —  ist  abgezeichnet 
dur  h  eine  ^eh/  h  iht?  nüd  gleiehmädige  :?ommeTtempeRitnr.  nnr  geringe  Nlederdchlige 
und  starke  rns«>latii>n.  Nicht  allein  Eadtaniea-  nnd  Xniibäume  and  anaer  'edelstes 
Kern-  und  Steine hnt.  «^Dndem  auch  die  Rebe,  nnd  selbst  Feigen  nnd  Mandeln 
rinden  dort  vollanf  die  Bedingnngen  trendigen  nnd  sicheren  Gedeihens.  In  der 
Felskultnr  wird,  ähnlich  den  Einrichtungen  im  Tefti»in,  neben  den  gewöhnlichen 
6ewäoh<^n  dem  Mai>  eine  starke  Vertretnng  eingeräumt,  während  die  Thalgrdnde 
vieillaoh  von  einer  siorgsiamen  E^ege  der  Wiesenknltnr  Zengniß  geben.  Es  sind 
demgemäß  hohe  Ant'ordemngen,  welche  an  die  Benntznng,  insbesondere  anch  des 
Ackerlandes  gei^^tellt  werden,  in  äo  fem  der  nnnnterbrochene  Anb«n  desselben  mit 
anspmchdV'jUeren  Gewichen  einen  um  s«j  gri'^tjeren  Einsati  an  Material  nnd 
Arbeit  voran^uietzt.  j^  weniger  da»  schonende  Prinzip  de^*  Fruchtwechsels  zom 
praktischen  Ausdruck  kommt.  Zn  den  bedeutsamsten  Erschein angen  in  der  Land- 
bewirth^haftung  jenes  Gebietes  geh?>ren  aber  ohne  Frage  die  außerordentlichen 
Vorkebmngen.  welrhe  dort  zar  Bekämpfung  der  verderb liehen  Einflüsse  der  lang- 
andauernden  Tro<?kenheit  währenii  des  Sc>mmer!*  getroffen  wurden.  Es  idnd  die 
wahrhaft  grußarrigen.  mit  den  gewaltigsten  Opfern  «elbst  den  steilsten  Abgründen 
entlang  erstellten  Kanalanlagen  V\'as6erfuhren\  mittelst  welcher  das  dem  be- 
nachbarten Hochgebirge  entstammende  Walser  auf  die  dem  Sonnenbrand  aus- 
gesetzten Berghalden  geleitet  nnd  nicht  bloß  den  Wiesen  und  Obotgirten.  sondern 
anch  d^n  Kebbergen  nnd  unter  Umstanden  selbst  dem  Ackerlande  zugeführt  wird.^) 
In  dr-r  That  bildrt  die^  WaM^ernntzung  geradezu  die  Bedingung  der  Existenz 
<ier  Gnin  ibe>itzr-r  in  den  betreffenden  Lagen,  unl  nur  ihr  ist  es  insbesondere 
zn  vrr.lar.ken.  daß  dort  der  RebViau  in  der  gegenwärtigen  Ausdehnung  und  mit 
gluck li ehr m  Flrföl^e  betrieben  werdrr.  kann.  Für  den  Umfang,  in  welchem  die 
B^"jr-i**r-rijri:''kanäle  erstellt  wurden,  und  die  Opfer,  welche  sie  erforderten,  be- 
weist 'lie  That«vi«jhr.  daU  die  g^>ammte  Länge  der  Leitnngen  ca.  1545  km  be- 
tragt, -.ni  da  Li  die  Ko?>ten  der  Anlage  den^lben  nach  mäßiger  Schätzung  sich 
auf  i.rtiir-z ;  7  3IiHi'jnen  Franken  beliefcn.  Wie  diese  staunenswerthen  Unter- 
nehmungen ^iii  rrihmlioh*r.s  Zengniß  ablegen  von  der  Einsicht,  dem  Fleiße  und 
•ier  Thatkraft  «Icr  d'*rtigen  Bewohner,  so  verdienen  übrigens  auch  die  An- 
-trengung^Mi  anerkannt  zn  werden,  welche  im  Kanton  Wallis  zur  Korrektion  der 
Hh'ine,  zur  Trockenlegung  versumpften  Thalgebietes,  zur  Verbauung  der  Wild- 
bü'di»-  eto.  aufgeboten  wurden. 

Mit  der  Annäherung  an  die  eigentlichen  Gebirgslandschaften  beobachtet  mau 
naturgemäß  fort^rhreitend  eine  »tarkere  Einlenkung  in  die  Bahnen  der  bevor- 
zugt »-n  Futterzeugung  durch  den  Gra^^ban  auf  Kosten  der  eigentlichen  Acker- 
wirtb>^hatt.  We^entli■  b  bedingt  un«i  erleichtert  wird  dieselbe  in  jenen  Landstrichen 
iiu'-h  durch  die  Art  der  Landauftheilung.  welche  den  Zusammenhang  der  Güter- 
htück»-  in  griiß-rvn  Flächen  zu  erhalten  strebt.  Die  Wicsenknltur  gewinnt  immer 
iiif-br  Terrain.  Sirh  nicht  mehr  in  der  Hauptsache  auf  das  geborene  bewässerbare 
o'ier  unbewHsserhare  Gra>land  der  F'lußniederungen  und  die  für  eine  anderweite 
Iiindwirths4^haftliche  Kultur  Uberhau|*t  ungeeigneten  oder  nnzogänglichen,  stark 
^reiiHigtrn  oder  feiichten  ultrr  minder  beleuchteten  Gehänge  beschränkend,  umfaßt 
-i«'  immer  au*.g»'dehntere   Fliiehen  au  den  Berglehnen   —   von  sog.  MaUland,  al> 

M  Lehnei«lie  F:{esch  reib  untren  dieser  Aulajren  lieferten:  L.  Blotnitxki:  Ueber  die 
Hewä^-frun^'-kaniUe  der  Walli>er  Alpen,  Bern  1>71 :  Fr.  Boediger:  Bericht  über  die 
-\i|.lM'\vri?-enin;.'  iru  Walli?:  .Aarau,  l.  Thoil  1>7*.*.  11.  Theil  ISNJ:  R,  Schutzmann:  IHe 
<fl»'t-«hoMnil«'Ji  J.T  Massa.  Schweizer,  landw.  Zeit<i'hri!t  1SS(>. 


Ijandwirthschafi  —      307      —  Landwirihschafl 

welches  man  alle  dem  Graewuchs  tiberlieferten,  höher  gelegenen,  unbewäseerten 
Wiesen  bezeichnen  kann.  In  Folge  dessen  nimmt  auch  das  Feldsystem  einen 
anderen  und  eigenartigen  Charakter  an.  Die  Grenze  zwischen  den  oben  erwähnten 
Feldwirthschaften  und  den  nunmehr  auftauchenden  Einrichtungen  ist  zwar  schwer 
zu  ziehen,  weil  überall  vermittelnde  Uebergänge  angetroffen  werden,  und  das 
Verhältniß,  in  welchem  der  Thalboden  an  dem  gesammten  Areal  der  Landgüter 
Antheil  hat,  von  Fall  zu  Fall  verschieden  ist.  £s  dttrite  aber  im  Allgemeinen 
wohl  der  Wirklichkeit  entsprechen,  wenn  man  davon  ausgeht,  daß  die  eigentliche 
Ackerwirthschaft  da  aufhört,  wo  das  Wiesland  in  Folge  der  Ausdehnung  desselben 
über  die  Thalniederungen  hinaus  sich  mindestens  über  die  Hälfte  des  ganzen  land- 
wirthschaftlich  benutzten  Areales  erstreckt.  Nennen  wir  das  hieraus  resultirende 
System :  die  kombinirte  Acker-  und  Wiesenwirihschaft.  In  der  Mehrzahl  der 
Fälle  wird  dann  bei  dieser  Betriebsweise  auch  der  Obstkultur  insbesondere  auf 
dem  Mattlande  eine  starke  Ausdehnung  gegeben.  Indessen  entbehren  die  Methoden 
der  Landbewirthschaftung  innerhalb  dieses  Gebietes  bei  sonst  gleichem  Grund- 
charakter derselben  doch  im  Einzelnen  wiederum  sehr  der  Uebereinstimmung. 
Der  besseren  Uebersicht  willen  mögen  die  nächsten  Voraussetzungen  in  ewet 
Ivichtnngen  unterschieden  werden : 

1)  Das  Land  ist  sonnig  und  frei  gelegen,  der  Boden  trocken,  höchstens 
mäßig  schwer,  tiefgründig,  nicht  steinig,  gleichmäßiger  und  sanft  geneigt,  die 
Entfernung  der  Grundstücke  von  den  Hofstätten  nicht  bedeutend.  Unter  solchen 
Verhältnissen  pflegt  die  Dauerwiese,  sei  es  Thal-  oder  Berg  wiese  (Matte,  Dreesch) 
noch  bleibend  vom  Feldbau  geschieden  zu  werden.  Die  eigentlichen  Wiesen  sind 
und  bleiben,  was  sie  waren.  Das  immerhin  stark  zurücktretende  Ackerfeld  wird 
zwar  selbstständig  für  sich  bewirthschaftet,  ohne  indessen  allen  Viehdiinger  für 
sich  in  Anspruch  zu  nehmen.  Ein  Theil  des  letzteren  muß  noch  der  Matte  zu- 
fließen. Auf  dem  Ackerlande  kommen  verschiedene  Eintheilungen  und  Fruchtfolgen 
vor,  und  werden  allda  je  nach  lokalen  Bedingungen  angetrofiPen: 

a.  Kömerwirthschaften  mit  angebauter  Brache  (Hackfrucht bau),  oder 

b.  Fruchtwechsel  mit  Einschaltung  von  Buben-  und  Knollengewächsen  und 
Feldfutterkräutem,  oder 

c.  Eigentliche  Feldgras-  oder  Egartenwirthschaften ,  d.  h.  Feldsysteme,  in 
welchen  das  fUr  nur  eine  Beihe  von  mehreren  Jahren  andauernde  Gras- 
land mit  Ackerfeld  (Halm-  und  Hackfruchtbau)  wechselt.  Demgemäß  wird 
das  Grasland,  sobald  seine  Erträge  quantitativ  oder  qualitativ  oder  in  beiden 
Beziehungen  zurllckgehen,  umgebrochen,  mehrere  Jahre  als  Ackerland  be- 
nutzt, und  dann  wieder  zu  Gras  niedergelegt.  Die  Wieder  her  asung  über- 
läßt mau  entweder  der  Natur,  oder  man  stellt  sie  mittelst  künstlicher  An- 
saat von  Kleearten  und  Gräsern  (Kunstfutterbau)  her.  Letztere  Methode 
ist  die  Vereinigung  von  Acker-  und  Grasbau  in  der  intensivsten  Form. 

2)  In  noch  höheren  Lagen  ändern  die  Betriebsbedingungen  wesentlich  ab. 
Die  Niederschläge  sind  reichlicher,  die  Grundstücke  liegen  weniger  trocken,  der 
Boden  ist  schwerer,  die  Neigung  des  Terrains  ist  unregelmäßig,  zeigt  häufige 
Wechsel,  es  fällt  im  Allgemeinen  stärker  ab. 

Diesem  Vorkommen  entspricht  das  Verfahren,  die  Bewirthsohaftung  der  uu- 
bewässerbaren  Wiesen,  der  Bergmatten,  mit  derjenigen  des  Ackerfeldes  in  der 
Weise  zu  verbinden,  daß  das  Mattland  von  Zeit  zu  Zeit  umgebrochen  und  als 
Ackerland  benutzt  wird,  letzteres  also  wandert.  Das  räumlich  weit  mehr  über- 
wiegende Wiesland  wird  also  nicht  durchweg  und  bleibend  vom  Feldbau  getrennt. 
Dieser  und  bezw.  der  Körnerbau  sind  nicht  mehr  systematisch,  sondern  nur  ge- 


Landwirthschafl  —     308     —  Landwirthschafl 

wissermaßen  als  Nebennutziing  und  als  Vermittler  einer  höheren  Kultur  mit  Vor- 
theil  zu  betreiben.  Die  Hauptbenutzung  des  Bodens  ist  und  bleibt  die  als  Natur- 
wiese.  Der  Einrichtung  liegt  das  Prinzip  zu  Grunde,  durcb  periodisch  wieder- 
kebrenden  Aufbruch  des  Mattlandes  —  durcb  eine  von  Zeit  zu  Zeit  erfolgende 
Durchdüngung  in  tieferen  Schichten,  Durchlüftung  und  Reinigung  des  Bodens, 
diesen  zu  höheren  Graserträgen  zu  befähigen  und  die  Erndten  durch  regulären 
Betrieb  des  sog.  Kunstfutterbaues  —  Anbau  edler  und  wUchsiger  Gräser  und 
Kräuter  —  quantitativ  und  qualitativ  zu  steigern.  Es  bleibt  dabei  natürlich 
nicht  ausgeschlossen,  daß  neben  den  dem  Wechsel  unterworfenen  Matten  immer 
noch  ewige  oder  Dauerwiesen  und  beständige  Weiden  vorkommen.  Innerhalb  jener 
Maßregel  lassen  sich  aber  wieder  zwei  gut  charakterisirte  Formen  unterscheiden : 

a.  Sofern  die  Beschaffenheit  des  Bodens  der  Benutzung  desselben  als  Acker- 
land keine  Hindernisse  bereitet,  wird  der  ganze  Wiesenkomplex,  oder  doch 
eine  größere,  für  die  Umwandlung  geeignetere  Fläche  desselben  successive, 
in  jährlichen  Theilstücken,  umgebrochen  und  einige  Jahre  als  Ackerfeld 
bewirthschaftet,  indessen  ein  ebenmäßig  großes  Stück  Ackerfeld  zu  Wiese 
niedergelegt  wird.  Alle  Neu* Anlagen  zu  Wiese  sind  auf  lange  Dauer  be- 
rechnet, indem  man  dadurch  die  immerhin  nicht  unerheblichen  Kosten 
derselben  auf  viele  Jahre  zu  vertheilen  sucht.  Dieses  Verfahren  bedingt 
einen  langsameren  Umsatz  des  für  den  Wechsel  der  Kultarart  aufgewendeten 
Kapitals  und  somit  eine  relative  Ersparniß  an  solchem.  Hierher  gehören 
auch  die  in  einzelnen  Gegenden,  so  ramentlich  in  den  Emmenthaler  Bergen, 
häufig  vorkommenden  sog.  „Reutenen**,  d.  h.  Weideflächen,  welche  einige 
Jahre  als  offenes  Bauland  bewirthschaftet  und  dann  wieder  zur  Weide 
niedergelegt  werden.  Dort  pfiegt  man  die  „  Reutiplätze  **  mit  Tannenästen, 
gereuteten  kleinen  Tannen,  Erlen  etc.  zu  überdecken  und  das  Holz,  wenn 
es  dUrr  geworden,  durch  Brennen  in  Asche  zu  verwandeln,  welche  dann 
mit  oder  ohne  Viehmist  als  Dünger  für  die  erste  Fracht  des  hergerichteten 
Ackerfeldes  dient.  Der  Zwischenbau  dauert  2  bis  3  Jahre,  während  welcher 
das  Feld  zum  Schutze  gegen  das  Weidevieh  eingezäunt  wird. 

b,  Ist  das  Land  feucht  und  nicht  sehr  sonnig  gelegen,  stellt  dasselbe  in  Folge 
seiner  Bindigkeit  oder  seiner  ungünstigen  Neigungsverhältnisse  der  regel- 
mäßigen Bearbeitung  durch  den  Pflug  empfindliche  Beschwerden  entgegen, 
liegen  die  Grundstücke  weiter  ab  von  den  Hofstätten,  dann  zeigt  sich  auch 
das  Wiesland  nur  an  wenigen  Stellen  geeignet  dazu,  gelegentlich  als  Acker- 

;  feld  benutzt  zu  werden.   Man  bestimmt  dann  hier  und  da  einzelne,  für  die 

Bearbeitung  durch  den  Pflug  besonders  passende  Mattlandparzellen  hierzu. 

Ein  planmäßiger  Wechsel  zwischen  beiden  Kulturarten  findet  nicht  mehr  statt ; 

es    ist  also  auch  von  einem  dadurch  bedingten,  besonderen  Systeme    nicht 

mehr  die  Rede. 

In  den  beiden  letztgenannten  und  ähnlichen  Fällen  dient  das  Verfahren 
wefientlich  auch  als  Maßregel  der  Pflef/e  der  Dauerwiesen. 

Die  Grenzen  der  Verbreitung  der  hier  vorgeführten  Einrichtungen  sind  aller- 
dings schwer  zu  ziehen.  Man  kann  nur  sagen,  daß  die  Tendenz  vorhanden  ist, 
sie  mit  dem  Aufrücken  in  die  höheren  Landschaften,  in  die  gebirgigen,  klimatisch 
minder  vortheilhaft  ausgestatteten  (jebiete  und  mit  der  Entfernung  von  den 
größeren  Verkehrsplätzen  nach  der  angedeuteten  Reihenfolge  zum  praktischen 
Ausdruck  zu  bringen.  Von  scharf  markirten  Zonen  kann  also  keine  Rede  sein. 
Dabei  bleibt  auch  immer  zn  berücksichtigen,  daß  zahlreiche  Betriebsstellen  in- 
mitten   der   gleichen  Grundformen    ihre  Anordnungen    nicht    schablonenmäßig  zu 


Landwirthschaft  —      30  i)      —  Landwirthschaft 

treffen,  vielmehr  je  nach  Zeit  und  Umständen  Modifikationen  an  solchen  in  ver- 
schiedenen Bichtungen  vorzunehmen  pflegen.  Hiernach  kann  es  auch  gar  nicht 
wundern,  wenn  beispielsweise  am  linken  Ufer  des  Zürichsee's,  in  Lagen  von  nur 
400 — 500  m  über  Meer,  dort  wo  die  Graswüchsigkeit  des  Bodens  eine  geradezu 
hervorragende  ist,  und  alle  Bedingungen  ftir  die  Prosperität  der  Obstkultur  sich 
glücklich  vereinigt  finden,  zum  nicht  geringe  Theile  auch  unter  dem  Einflüsse 
des  bedeutenden  Eonsumplatzes  Zürich,  sich  eine  typische  und  musterhafte  Gras- 
wirthschaft  entwickeln  konnte,  innerhalb  welcher  für  einen  eigentlichen  Feldbau 
nur  noch  wenig,  oder  überhaupt  kaum  mehr  Baum  verblieben  ist  —  und  wenn 
andererseits  in  manchen  hochgelegenen  und  von  dem  Verkehr  mehr  abgeschlossenen 
Distrikten,  wo  zugleich  die  Lage  und  Beschaffenheit  des  Terrains  die  nachhaltige 
Bearbeitung  desselben  nicht  ungebührlich  erschwert,  z.  B.  in  manchen  Hochthälem, 
noch  Anklänge  und  Eonzessionen  an  das  Prinzip  der  Selbstversorgung  mit  den 
zum  Leben  nothwendigsten  Erzeugnissen  des  Bodens  in  einer  mit  der  Graswirth- 
schaft  verbundenen,  freilich  immer  nur  mit  großen  Opfern  durchzuführenden, 
planmäßigen  Feld-  (Kartoffel-  und  Getreide-)  Kultur  angetroffen  werden.  Be- 
greiflich ijodann,  daß  dort  der  Betrieb  des  relativ  beschrankten  Feldbaues  weit 
überwiegend  dem  Grundsatze  des  Fruchtwechsels  (System  1  b)  huldigt,  hier  da- 
gegen der  unverhältnißmäßig  bevorzugte  Ackerbau  vielfach  noch  an  der  Körner- 
wirthschaft  (System  1  a),  hier  und  da  —  besonders  auf  schwerem,  kalten  Boden  — 
sogar  noch  mit  reiner  Brache  und  unmittelbarer  Aufeinanderfolge  mehrerer  Ge- 
treidesaaten,   festhält.     Beispiele    letzterer  Art   liefert  u.  a.  der  Kanton  Wallis. 

Ungleich  einfacher  und  durchsichtiger  gestalten  sich  die  Verhältnisse  freilich 
im  eigentlichen  Alpengebiete,  allwo  die  Graswirthschaft  mit  ihren  ansgedehnten 
Weide-Revieren  so  zu  sagen  die  Alleinherrschaft  besitzt.  Dem  Bilde,  welches 
hierüber  bereits  in  der  Abhandlung  y^Alpwirthschaft^  entworfen  wurde,  mag 
darum  hier  nur  noch  die  Andeutung  nachgetragen  werden,  daß  im  Gebirge  mehr- 
fach Ausläufer  jener  Einrichtungen,  gewissermaßen  die  äußersten  Spitzen  derselben 
angetroffen  werden,  freilicli  meist  nur  in  dem  Sinne,  daß  der  Landwirth  einzelne 
bevorzugte,  sonnige  und  trockene  Bergvorsprünge  und  Berglehnen,  oder  von  seinen 
Wohnstätten  geschützte  Stellen  benutzt,  um  allda  ein  Stück  offenen  Landes  her- 
zustellen, auf  welchem  er  mit  verhältnißmäßig  geringem  Einsatz  an  Zeit  und 
Kraft  —  auf  dem  Wege  der  Neben-  und  Füllarbeit  —  wenigstens  einen  Theil 
.seines  Bedarfes  an  Brodkorn,  Kartoffeln,  Gemüsen,  Streue  für  den  Vieüstand,  zu 
decken  sucht.  Maßregeln  dieser  Art,  welche  gewissermaßen  die  äußersten  An- 
strengungen bedeuten,  mit  welchen  der  Mensch  noch  kämpft  um  die  Herrschaft 
über  die  Triebe  der  Natur,  erfordern  fast  ausschließlich  die  Anwendung  der 
Handarbeit  für  die  Zurichtung  des  Landes,  die  Pflege  und  Erndte  der  Gewächse 
und  selbst  den  Transport  der  Produkte  durch  Menschenkraft.  Mit  ihnen  schließt 
überhaupt  jede  systematische  landwirthschaftliche  Kultur  des  Bodens  vollends  ab. 

üeber  die  Kultur  der  Wiesen  und  den  Anbau  der  einzelnen  Feldpflanzen 
findet  der  Leser  ausführliche  Mittheilungen  in  den  betreffenden  Spezialabhandlungen. 

4)  Die  Viehhaltung. 

Vergegenwärtigt  man  sich  alle  die  Einrichtungen,  welche  die  schweizerische 
Landwirthschaft  für  die  Benutzung  des  ihr  dienenden  Kulturbodens  getroffen  hat, 
Hü  springt  vor  Allem  die  Thatsache  in  die  Augen,  daß  dieselbe  im  großen  Ganzen 
—  im  Gebirge  mehr  wie  im  Flachlande,  in  dem  einen  Distrikte  des  Flachlandes 
mehr,  wie  im  andern  —  den  Schwerpunkt  ihrer  Produktiousziele  in  die  Futter- 
erzeugung legt.    Der  Natur  der  Sache  nach  können  die  Fälle,  in  welchen  de.«. 


Landwirthschatl  —     310     —  Landwirthschalt 

gewonnene  Futter  planmäßig  im  Marktverkehr  umgesetzt  wird,  nur  Ansnahmen 
bilden.  Da  nun  aber  der  Export  an  Futter,  fast  nur  auf  Preßheu  beschränkt^ 
sich  seither  in  sehr  bescheidenen  Grenzen  bewegte,  und  der  interne  Handel  in 
Futter  immer  nur  eine  Dislokation  der  Vorräthe  bedeutet,  so  ist  erkennbar,  daß 
die  Verwerthung  des  Futters  fast  ausschließlich  auf  der  Verarbeitung  desselben 
durch  den  inländischen  Betrieb  der  Viehhaltung  beruht.  Diese  stellt  somit 
ein  auf  breitester  Grundlage  nngelegtc^s  und  allgemein  verbreitetes  landwirth- 
schaftlich- technisches  Gewerbe  dar,  welches  die  Bestimmung  trägt,  die  Bestand- 
theile  der  konsumirten  Rohstoffe  in  vom  Verkehr  jederzeit  willig  aufgenommene 
Erzeugnisse  —  Nahrungs-  und  Bekleidungsstoffe,  Zuchtvieh  —  und  bezw.  in  Arbeits- 
leistung umzuformen  und  durch  die  KUokgewähr  der  hierbei  sich  ergebenden 
Abfallstoffe  —  der  Exkremente  der  Thiere  —  an  den  Boden  einen  wesentlichen 
Beitrag  zur  Wiederherstellung  der  durch  die  Entnahme  der  Erndten  alterirteii 
Fruchtbarkeitsbedingungen  desselben  zu  liefern.  Nur  in  einem  Theile  des  Landes, 
in  welchem  eben  die  Viehhaltung  in  den  Erträgen  aus  ihren  Produkten  eino 
angemessene  Rente  von  dein  ausschießlichen  Futterbau  nicht  gewährt,  ist  die 
Bedeutung  dieser  beiden  Produktionszweige  mehr  oder  weniger  in  der  Wechsel- 
wirkung begründet,  welche  dieselben  mit  dem  Feldbau  in  so  fern  verbindet,  als 
die  Viehhaltung  im  Stande  ist  und  dazu  dienen  muß,  einen  Theil  der  Erzeng- 
nisse des  Feldbaues,  insonderheit  gewisse  Abfälle  desselben,  angemessen  auszu- 
nutzen und  zu  verwerthen,  andererseits  aber  der  Feldbau  der  Wiedererstattung 
des  größten  Betrages  der  Bestandtheile  der  von  ihm  gelieferten  Erndten  in  dem 
ViehdUnger  bedarf.  Unter  solchen  Voraussetzungen  sind  Futterbau  und  Vieh- 
haltung eben  nur  Mittel  zum  Zwecke.  Anders  in  den  geborenen  Futterbau- 
Distrikten,  im  Bereich  der  zahlreichen  Wiesen-  und  Weidewirthschaften,  in  welchen 
aller  Erfolg  in  dem  Ergebnisse  des  Fntterbaues  und  der  Viehhaltung  gipfelt^ 
diese  einen  selbstständigen  Betriebszweig  bilden,  Zweck  selbst  sind  und  die  Rente 
vom  Boden  —  nicht  vermitteln,  sondern  bedingen.  Wie  man  aber  auch  dieses 
Verhältniß  im  Einzelnen  auffassen  mag,  immer  föUt  doch  die  an  früherer  Stelle 
bereits  nachgewiesene  Thatsache  in's  Gewicht,  daß  das  Land  einen  sehr  zahl- 
reichen Viehstand  besitzt,  und  daß  dieser  den  weitaus  größten  Theil  der  Betriebs- 
kräfte der  Landwirthschaft  in  Anspruch  nimmt.  ^)  Aus  dieser  Betrachtung  resul- 
tirt  die  eminente  Bedeutung  der  Viehhaltung  für  die  schweizerische  Landwirth 
schaft,  und  aller  Einrichtungen,  welche  im  Stande  sind,  mittelst  derselben  die 
höchhte  Verwerthung  des  erzeugten  Futters  zu  erzielen. 

Geht  man  davon  aus,  daß  der  Werth  des  von  einer  Futtereinheit  bei  der 
Umwandlung  derselben  durch  die  Thiere  erscheinenden  Abfallproduktes,  des 
Düngers,  und  auch  die  indirekten  Kosten  für  die  Viehhaltung,  (Wärterlohn» 
Stallung,  Geräthe,  Kapitalzinsen  etc.),  bezogen  auf  den  gleichen  Futter  verbrauch, 
bei  verschiedenen  Gattungen  und  Nutzungsrichtungen  der  Thiere  nicht  erheblich 
ditferiren,  so  wird  die  Beantwortung  der  Frage,  durch  welche  Einrichtung  der 
Viehhaltung  die  höchste  Verwerthung  des  Futters  zu  erzielen  sei,  sich  wesentlich 
auf  eine  Krmittlung  darüber  stützen  müssen,  welchen  Aufwand  an  Futter  es  zur 
Erzeugung  einer  Kinheit  der  verschiedenen  thierischen  Produkte  bedarf,  und  wie 
der  Handel  eine  solche  Einheit   bezahlt. 


^)  Von  einem  Vorgleiche  der  Viehstarid.'?ilichtigkeit  «ler  Schweiz  mit  derjenigen 
anderer  Länder  wird  hier  L'iiijrang  genommen,  weil  derselbe  in  Rücksicht  auf  die  ge- 
ringe Ergiebigkeit  <ler  Weiden  in  unserem  Hochgebirge  nicht  genügend  zutreffende 
Anhaltspunkte  gewährt. 


idwirthschaft  —     311      —  Landwirthschaft 

So  weit  diese  Aufgabe  die  Wahl  der  Viehgattungen  betrifft,  hat  die 
(veizerische  Landwirthschaft  über  nie  bereits  entschieden.  Sie  stellt  die  Haltung 

Rindviehes  unbedingt  und  weit  voran,  überläßt  den  Schafen  und  Ziegen  die 
1  Rindvieh   nicht  mehr   auszunutzenden  Weiden   im  Hochgebirge,    begünstigt 

letzteren  außerdem  noch  überall  im  Kleinbesize;  sie  befleißigt  sich  zwischen 
iurch  eines  ausgedehnten  und  sorgfältigen  Betriebes  der  Schweinehaltung,  ver- 
idet  das  Pferd  zur  Arbeit,  wo  sie  seiner  für  diesen  Zweck  nicht  entbehren 
n,  und  beschränkt  dessen  Züchtung  nur  anf  verhältnißmäßig  wenige,  hierfür 
anders  geeignete  Betriebstellen  im  größeren  Besitzstande,  namentlich  des  Flach- 
les.  Alle  diese  Einrichtungen  entsprechen  der  Verfassung  der  Landwirth- 
ift  sowohl  rücksichtlich  der  von  der  äußeren  Natur  gegebenen  Bedingungen 
Betriebes,  wie  auch  der  Art  der  Vertheilung  des  Grundbesitzes  nnd  der  Lage 
jelben  zum  Marktverkehr. 

Innerhalb  jener  Thiergattungen  bleibt  aber  noch  ein  gewisser  Spielraum 
die  Bestimmung  der  speziellen  Nutzungsrichtung.  Wie  es  in  dieser 
isicht  bestellt  ist,  lehrt  am  Besten  die  Statistik  des  Viehstandes.  wenn  man 
in  Ergebnisse  zu  gliedern  und  den  inneren  Zusammenhang  der  Einzelverhält- 
e  zugleich  unter  Berücksichtigung  auch  des  Einfuhr-  und  Ausfuhr-Handels 
iizu weisen  sucht.  Für  eine  Erörterung  dieser  Art  findet  sich  aber  die  ge- 
letste  Grundlage  in  den  Resultaten  der  Viehzählung  vom  21.  April  188G. 

A.  Die  Rindviehhaltung.     Es  wurden  gezählt  Stück: 

1)  Kälber  bis  V«  Jahr: 

a.  Zur  Aufzucht 150,276 

b.  Zum  Schlachten 32,823 

—  183,099 

2)  Jun^,'vieh  von   V»  bis  1  Jahr 102,641 

3)  Stiere  von  1  bis  2  Jahren 13,820 

4)  Rinder  über  1  Jahr 186,983 

5)  Ochsen  von   l  bis  3  Jahren 41,192 

6)  Kühe 663,102 

7)  Stiere  über  2  Jahre 4.571 

s)  Ochsen  über  3  Jahre _     17,130 

Total :  Rindvieh :    1  '2 1 2,538 

Diese  Zahlenreihe  gestattet  folgende  Berechnung : 

Von  den  663,102  Kühen  darf  im  Durchschnitt  ein  Milchertrag  von  kaum 
ir  als  6  Liter  p.  Tag  ^^  2190  Liter  p.  Jahr,  im  Ganzen  also  auf  14^521,934  hl 
jiiommen  werden.  Setzt  man  in  Rücksicht  auf  die  Notirungen  im  Detail- 
cehr  und  insbesondere  im  städtischen  Milchmarkt  den  Literpreis  etwas  höher, 
er  zur  Zeit  im  Sennhüttenverkehr  gezahlt  wird,  also  auf  rund  12  Cts.  an, 
)erechnet  sich  ein  Brutto- Milchertrag  p.  Kuh  von  Fr.  262.  HO,  und  für  den 
immten   Bestand  von  Fr.  174'263,205. 

Die  Erfahrung  im  Großen  hat  ergeben,  daß  man  im  Durchschnitt 
rlich  auf  4  Kühe  3  lebende  Kälber  rechnen  darf.  Nach  diesem  Verhält- 
3  würden  im  Jahre  1885/86  von  jenen  Kühen  im  Ganzen  497,326  Kälber 
)ren  sein.  Am  Schliisse  des  Jahres  (Zähltermin)  waren  aber  an  Jungvieh  im 
?r  bis  zu  1  Jahr  vorhanden :  285,740  Stück.  Hieraus  ergiebt  sich,  daß  im 
fe  des  Jahres   Kälber  zur  Zucht  oder  zum  Schlachten   veräußert  wurden : 

326  —  285,740  - 211,586 

Zilhltaiire   ermittelte    man   einen  Bestand  an  zum  Schlachten  l»e- 
stimniten  Kälbern  von 3*2,^23 

chieden  somit  von  dem  Nachwuchs  des  Jalires  aus :244,409 


Landwirthschafl  —     312     —  Landwirthschaft 

üebertrag :     244,409 
Die  Zählung  ergab  an  Tliieren  im  ersten  Lebensjahre: 

a.  Kälber  unter  V«  Jahr  alt,  zur  Zucht 150,276 

b.  V«-  bis  Ijährige  Thiere 102,641 

Zusammen:  252,917 
Hiervon  dienen  zum  Ersatz: 

a.  Für  die  1-  bis  2jährigen  Zuclitstiere 13,820 

b.  Für  die  Oclisen,  41,192  Stück  von  1  bis  3  Jahren, 

also  für  einen  Jahrgang 13,731 

c.  Für  die  weibliche  Nachzucht,  V»  der  Kühe  (durch- 
schnittUche  Dauer  der  Nutzung  bis  zum  Alter  von 

7  bis  8  Jahren) 132,620 

160,171 
Hiervon  ab  die  Deckung  durch  eine  Einfuhr  von  Nutzvieh  von 

über  150kg;  1885:  26,238,  1886:  31,152,  im  Mittel.     .     28,695 

Es  beträgt  daher  die  Remonte  aus  der  inländischen  Nachzucht    .     .  131,476 

Woraus  sich  ein  Ueberschuß  an  jungen  Thieren  ergiebt  von 121,441 

Es  scheiden  forner  jährlich  aus: 

Von  den  1-  bis  2jährigen  Stieren:  13,820  —  4571  = 9,249 

Aeltere  Stiere 4,571 

Ochsen 13,731 

Rinder  über  1  Jahr  alt:  Gezählt  wurden  186,983  Stück.  Legt  man  ein 
Alter  von  durchschnittlich  2V*  Jahren  bis  zum  ersten  Gebären  zu 
Grunde,  so  rücken  jähriich  5:4=  186,983  :  x  ;  x  =^  149,586  Stück 
hochtragende  Rinder  bezw.  junge  Kühe  ein.  Davon  Bedarf  zum 
Ersatz  der  austretenden  älteren  Kühe:  132,620.  Bleiben  überzählig  16,966 
Kühe 132,620 

Zusammen :     542,987 
Hiervon  ab  2  7o  Veriust 10,859 

Mithin  werden  jährlich  aus  dem  inländischen  Viehstande  abgestoßen     .     .     .     532,128 
Nach   den    handelsstatistisdien  Uebersichten  pro  1885  und  1886  verzeichnete 
die  Schweiz  eine  Ausfuhr  an: 

Aelterem  Vieh  (hauptsächlich  Zucht-  bezw.  Nutzvieh)  im  Mittel    68,053 
Kalbern  von  einem  Gewicht  bis  60  kg,  im  Mittel 14,447 

Der  Export  betrug  also  im  Ganzen       82,500 

Und  verbleiben  somit  für  die  Konsumtion  im  Lande 449,628 

Auf  dieser  Grundlage  lasset  sich  nunmehr  darthun,  in  welchem  Umfange 
die  8chweizeri.-che  Landwirthschaft  an  der  Versorgung  des  inländischen 
Fleisch  mar  ktes  mit  Rindvieh  betheiligt  ist  und  die  Viehaufzucht  betreibt. 

Der  Fleischmarkt  empfängt: 

a.  Kälber 244,409 

Davon  ab :  2  "/<'  Verlust 4,888 

Die  Ausfuhr 14,447 

19,335 

Bleiben  im  Inlande:  225,074 
ä  40  k^:  im  Durchsdinitl 90,029  q 

b.  Aelteres  Vieh :  Gesamnitzalil  (s.  oben) 542,987 

Davon  ab:  Die  Kälber 244,409 

2  'V'>  Verlust  (antbeilig  von  298,578  Stück)   .       5.971 
Die  Ausfuhr  an  Zucht-  und  Nutzvieh  .     .     .     68,053 

318,433 

Bleiben  im  Inlande:  224.554 
ä  2(KJ  k^  im   Durchschnitt 449,108  , 

~539^i37~ii 

Hicivon  ah  «li.«  Ausfuhr  an  ausgeschlachtetem  Fleische,  Mittel  von  1885  u.  1886   _  26,987  , 

Total  der  Zufuhr  an  die  inlandische  Schlachtbank:     512,150  q 


Landwirthschaft  —     313     —  Landwirthscliaft 

Berechnet  man  zugleich  in  Bücksicht  auf  die  geringere  Qualität  der  in  jener 
2iahl  einbegriflenen  älteren  Kühe  den  Eilozentner  Fleisch  auf  nur  Fr.  105,  so 
stellt  der  Fleischertrag  (512,150  q)  einen  TVerth  dar  von  Fr.  53^775,750.  Auf 
Grund  der  Aufzeichnungen  der  Handelsstatistik  ergiebt  sich  femer,  daß  der  Werth 
des  exportirten  Bindviehes  und  Fleisches  im  Mittel  der  beiden  Jahrgänge  1885 
und   1886  betrug: 

Kälber,  14,447  Stück Fr.       410,700 

Aelteres  Vieh,  meist  Zuchtvieh,  68,053  Stück      .     .      „    18769,788 
Fleisch  (vornehmlich  Rindfleisch) »„^^i?»?^^ 

Summa :    Fr.  24'399,849 

Jene  224,554  Stück  im  Inlande  geschlachteter,  zum  größten  Theile  (195,859) 
in  solchem  gezogener,  zum  kleineren  Theile  (28. 695)  als  Nutzvieh  importirter 
älterer  Thiere  bestehen  aus: 

Kühen 132,620 

Aelteren  Ochsen 13,731 

Stieren 13,820 

160,171 

Jungen  Stieren,   Hindern  und  jungen  Ochsen,   und  zwar:    121,441  -|-  16,966 

=  138,407,  abzüglich  <ler  Ausfuhr  und  der  Verluste:  68,053  -r  5971  =  74,024       64,383 

Wie  oben:      224,554 

Dagegen   gehören  jene  225,074  zur  inländischen  Schlachtbank  gelangenden 

Kälber  ausschließlich  auch  dem  Yiehstande  des  Landes  an.     Die  Zahl  derselben 

wurde  in  den  Jahren  1885  und  1886  um  eine  Einfuhr  von  im  Mittel  4280  Stück 

vermehrt. 

Nach  den  Ergebnissen  der  Handelsetatistik  betrug  der  Import  an  Schlacht- 
Rindvieh  und  Fleisch  im  Mittel  der  Jahre  1885  und    1886: 

a.  38,890  Stück  Sohlachtvieh  über         150  kg,  ä  durchschnittlich  350  kg     136,115  q 

b.  22,930      ,  ,  von  60—150   „    „  ,  120  „        27,516  , 

c.  4,280      ,       Kälber  unter         60   „    ,  „  50  „  2,140  , 

d.  Fleisch 6,850  „ 

Zusammen:     172,621  q 

Hiernach  berechnet  sich  der  gesammte  Verbrauch  der  Schweiz  an  Rindfleisch : 
512,150  -f  172,621  ^=  684,771  q,  von  welchen  auf  die  inländische  Produktion 
entfallen:  74,8,  und  auf  die  Einfuhr:  25,2  %.  Der  Durchschnittskonsum  an 
Kindfleisch  per  Kopf  der  Bevölkerung  (berechnet  auf  das  Jahr  1885)  betrug: 
23,3  kg. 

Fragt  mau  nun,  in  welchem  Umfange  die  inländische  Viehaufzucht 
betrieben  werde,  so  ergiebt  sich  aus  den  vorliegenden  Zahlen  Folgendes: 

Nach  obiger  Berechnung  werden  aus  dem  gesammten  Kindviehstande  nach 
Maßgabe  der  durchschnittlichen  Nutzungsdauer  in  den  einzelnen  Gruppen  desselben 
und  ohne  Anrechnung  der  Zwischenverluste 

an  Stieren,  Kühen  und  Ochsen  (Zucht-  und  Nutzvieh)  abgestoßen     160,171 
Hier\'on  wurden  als  „Nutzvieh**  importirt 28,695 

Es  gingen  daher  aus  der  inländischen  Nachzucht  hervor    .     .     .     131,476 
Hierzu  die  Aufzucht  für  den  Export 68,053 

Es   wurden   also   zur  Reniontirung  des  inländischen  Viehstandes 

und  zur  Ausfuhr  im  Ganzen  aufgezogen 199,529 

oder  rund  200,000  Stück.  Hierzu  kommt  aber  noch  derjenige  Nachwuchs  an  Rindern 
und  Ochsen,  welcher  vorzeitig  der  Schlachtbank  verfällt,  und  zwar  jene  121,441, 
abzüglich  der  Ausfuhr  von  68,053,  ^-  53,388  Stück  (64,383  _  [IG, 966  —  5971]), 
so  daß  die  Gesammtzahl  der  jährlich  aufgezogenen  Thiere  sich  auf  252,917  Stück 


Landwirthschaft  —      314     —  Landwirthschaft 

belauft,  eine  Ziffer,  welche  sich  wiederum  genau  mit  den  Ergebnissen  der  Zählung 
der  einjährigen  Thiere  deckt. 

Schließlich  ist  auch  noch  die  Arbeitsleistung  der  Ochsen  und  Kühe  in  Rück- 
sicht zu  ziehen.  Die  Zahl  der  Ochsen,  welche  im  Alter  von  mehr  als  2  Jahren 
stehen,  berechnet  sich  auf  rund  44,590  Stück,  und  können  für  dieselben  k  160 
Tage  ä  Fr.  3  angenommen  werden.  Von  den  Kühen  dürften  für  den  Zagdienst 
10  %  des  Bestandes  in  den  Flachland-  und  5  ®/o  des  Bestandes  in  den  Berg- 
kantonen =  rund  38,000  Stück  in  Betracht  kommen,  und. im  Mittel  a  120  Tage 
a  Fr.  2.  50  anzusetzen  sein.     Der  daherige  Betrag  ist  daher: 

Arbeitsleistung  der  Ochsen Fr.  2r4O3,20O 

ArbeitsleLstung  der  Kühe ^  ir 400,000 

Summa :     Fr.  32^803,200 

Hiernach  beziffert  sich  der  gesammte  Bruttoertrag  (ohne  Anrechnung  des 
Düngernutzens  einer-  und  der  indirekten  Betriebsspesen  andererseits)  aus  der  Rind- 
viehhaltung ; 

Fiir  Milch Fr.  174^263,205 

„  Srhltichtvieh  für  ilen  inländischen  Markt  ,      53775,750 

,  Arbeitsleistung „      32'803,:200 

„  Exportvieh  und  Fleisch „ 24^399,849 

Total :    Fr.  285'242,004 

Wir  berechneten  an  anderer  Stelle  ')  das  Lebendgewicht  des  Rindviehes  im 
Durchschnitt  aller  Alteniklassen  auf  371  kg  per  Kopf.  Dies  macht  für  den  ge- 
sammten  Kindviehstand:  4'498,516  q.  Nimmt  man  an,  daß  es  Behufs  ausgiebiger 
Ernährung  desselben  per  1000  kg  Lebendgewicht  im  Mittel  etwa  26  kg  Trocken- 
(wasserfreier)  Substanz  von  der  Zusammensetzung  guten  bis  sehr  guten  Wiesen- 
futters (ca.  1 1  *^/o  Prote'ingehalt)  bedürfe,  so  erfordert  der  Rindviehstand  im  Jahre : 
449,852  X  365  X  0,26  =  42'690,955  q  Trockensubstanz  Futter  von  erwähnter 
Beschaffenheit,  was  für  den  einzelnen  Kilozentner  ruud  Fr.  6.  70  und  auf  den 
Kilozentner  lufttrockenen  Wiesenfntters  (Heu  und  Emd)  Fr.  5.  76  oder  rund 
etwa  Fr.  6  betragen  würde. 

Aus  vorliegender  Darstellung  ergiebt  sich  in  recht  augenfälliger  Weise,  daß 
die  schweizerische  Landwirthschaft  die  Verwerthung  des  Futters  durch  die  Rind- 
viehhaltung weit  überwiegend  in  der  Milchproduktion  sucht.  Diese  Richtung 
wird  zunächst  bedingt  durch  den  starken  Bedarf  der  Bevölkerung  an  Rohmilch, 
welcher  ausschließlich  durch  das  inländische  Erzeugniß  befriedigt  werden  muß 
Die  jährliche  Produktion  an  Milch  beläuft  sich  : 

a.  Aus  der  Kuhhaltung,  nach  obijrer  Berechnung',  auf 14'521,934  hl 

b.  Aas  der  Zie^'cnhaltung,  416,3i23  Stuck  im  Ganzen;  «lavon  ab  die  Zahl 

der  Böcke  und  der  jungen  Ziegen,  ca.  30  *^  o, '^j  bleiben  rund  !291,426 

Milchziegen  ä  durchschnittlich  i>00  P),  auf __^1l^_2_« 

_  Zusammen:  15' 104,786  hl 

^)  Die  Statistik  i\e<  Viehstandes  in  der  Schweiz.  Schweizer,  landw.  Gentralblatt  1886. 
Den  «lort  ausgeführten  Berechnungen  liegen  übrigens  die  „vorläufigen*  Ergebnisse  der 
Viehz;ihlung  zu  Grunde,  welche  durch  die  inzwiscben  erschienenen  abschließenden  Zu- 
sarnriK'nsteJlungHn  in  melirfacher  Beziehung  eine  Aenderung  erfahren  haben. 

-)  Berechnet  auf  Grund  einer  Haltungsdauer  der  Ziegen  von  8  Jahren  und  der 
Voraussetzung,  daß  im  Durchschnitt  100  Mutterziegen  jährlich  80  Lämmer  liefern. 

^)  In  Berücksichtigung  der  Angaben  von  F.  Fankhauser,  in  dessen  Schrift:  „Die 
Be(l(?utung  der  Ziegenwirthschaft  für  «11»,'  schweizerischen  Gebirgsgegemlen  in  forstlicher 
un<l  volkswirthschaftlicher  Hinsicht*".    Bern.  1887. 


LaDdwirthschafl  —     315     ..—  Landwirthschalt 

Nach  allgemeinen  Beobachtungen  und  nach  den  Anhallepunkten,  welche 
sich  aus  der  niilchwirthschafllichen  Statistik  mehrerer  Kantone  ent- 
nehmen lassen,  beträgt  der  dh-ekte  Konsum  an  Milch  in  runder  Zahl 
per  Kopf  der  Bevölkerung  per  Tag  0.6,  im  Jahre  also  2191,  welches 
Quantum  einem  gesam inten  Bedarf  entspricht  von 6'432,417  hl 

Hiernach  dienen  zur  Ffltterung  von  Zucht-  und  Mastkälbern  und  zur  tech- 
nischen Verarbeitung  (Käse-  und  Bulterbereitung  und  zur  Kondensation)    8'672,369    ,^ 

Nach  obiger  Darstellung  werden  von  neu  zutretenden  497,326  Kälbern 
252,917  Stück  aufgezogen  und  demgemäß  244,409  Stuck  anderweil,  in 
der  Hauptsache  an  der  Schlachtbank  verwerthet.  Wie  viele  von  letzteren 
einer  eigentüchen  Mästung  untenvorfen  werden,  entzieht  sich  einer 
näheren  Nachweisung.  Rechnet  man  in  Rücksicht  darauf,  daß  jeilenfaUs 
eine  selir  große  Zahl  «lieser  Kälber  schon  wenige  Wochen  nach  der 
Geburt  der  Scldachtbank  verfällt,  im  Durchschnitt  des  ganzen  Be- 
standes nur  300  1  Milch  per  Kopf,  so  ergiebt  das r491,978   » 

Und  es  bleiben  demnach  für  die  technische  Verarbeitung  übrig  ....     7*180,391    „ 

Rundet  man  diese  Ziffer  in  Rücksicht  auf  den  Bedaif  auch  noch  anderer 
Viehgattungen,  insbesondere  der  Schweine  (bei  der  Abgewöhnung  und 
der  Mast  junger  Thiere)  ab  auf 7*000,000    „ 

und  bringt  man  davon  in  Abzug  den  V^erbrauch  zur  Fabrikation  von  kon- 

densirter  Milch  und  von  Kindermehl  mit 300,000   „. 

so  verbleiben  für  die  eigentliche  Milchwirthschafl  (Butter-  u.  Käsebereitung)    6700,000   „ 

Im  Beginne  der  80er  Jahre  berechneten  wir,  daß  das  der  Milch wirthschaft 
überlieferte  Quantum  Milch  sich  mit  45  ®/o  auf  die  Darstellung  von  Fett-,  und 
mit  55  ®/o  auf  diejenige  von  halbfettem  und  Magerkäse  vertheile.  *)  Da  aber 
inzwischen  in  einzelnen  Gegenden  eine  noch  stärkere  Bevorzugung  der  Mager- 
sennerei  eingetreten  ist,  wird  man  wohl  kaum  erheblich  fehlen,  wenn  man  unter 
Bezugnahme  auch  auf  die  statistischen  Ermittlungen  in  mehreren  Kantonen  für 
letztere  mindestens  20  ®/o  aussetzt. 

Hiernach  würde  sich  die  gesammte  Ausbeute  beziffern  lassen,  wie  folgt: 

6»700,(X)0  X  0,45  r  .  3H)15,<.KJ<)  hl  ä,  9,0  k«  -  271,350  q  Fettkäae  und  4  0,8  kg  —    24,120  q  Vorbnxclibntter, 

C'700,000  X  0»35  —  2'345,0rH1   „    „  7,5    ^       -  175,875  „  halbfetter  KUne    „     „  1,5    „    --   35,175  „  Bahmbutter. 
6»700,OOOXO,2<»--- 1'340,0CX)   ,    „  6,0   „      -    8<>,4<^H»  ^  J/af/erkäso  „     „  3,5    „     -     46,9(.)0  ,  Kahmbuttflr. 

Summa :   älilch  -  r»f700,(XK)  hl        Käse   -  527,625  q  Butter      lf>6,l»5  q 

In  den  Jahren  1885  und   1886  betrug  durchschnittlich  in  Kilozentnern: 

An  Käse  :         An  Butter  : 

Die  Ausfuhr -259,721  7.149 

Die  Einfuhr 11,052  12,290 

Die  Mehraasfuhr 248,669  - 

Die  Mehreinfulu* —  5,1^1 

Es  verfielen  also  der  inländischen  Konsumtion      .     .  278,956  111,330 

Und  per  Kopf  der  Bevölkerung 9,5  kg  3,8  k^ 

Wie  aus  diesen  Uebersichten  erkennbar,  werden  in  der  Schweiz,  abgesehen 
von  der  Bereitung  der  Konserven,  nahezu  40  ^/o  des  gesammten  Milcherzeugnisses 
durch  die  Darstellung  von  Käse  und  Butter  verwerthet,  und  von  dem  gewonnenen 
Käse  nahezu  50  ^/o  in  den  Exporthandel  gebracht,  indessen  die  Butterproduktion 
dem  inländischen  Konsum  nicht  genügt.  Daß  das  dem  Grundsatze  der  inter- 
nationalen Arbeitstheilung  auch  in  dem  Betriebe  der  Land  wir  thschaft  huldigende 
und  demgemäß  den  Futterbau  und  die  Viehhaltung,  insbesondere  die  Rind  Vieh- 
haltung ungemein  stark  bevorzugende  und  auf  solche  in  hervortretendem  Maße 
angewiesene  Land,  bei  einer  durch  die  Bedürfnisse  einer  gewerbreichen  und  dichten 
Bevölkerung  hervorgerufeneu  bedeutenden  Mehr- Einfuhr  an  Lebensmitteln  über- 
haupt, dennoch  den  Export  an  Erzeugnissen  jener  Erwerbszweige  zu  H'ilfe  nehmen 

*)  Beiträge  zur  Wirthschaftslehre  des  Landbau's.    Aarau,  1882. 


Landwirthschafl  —      :U6      —  Landwirthschaft 

muß,  ist  an  und  für  sich  nicht  befremdend  und  leicht  erklärlich.  Indessen  scheinen 
^och  innerhalb  des  Bahmens  dieser  Begebenheiten  im  Ganzen  sich  Wandlungen  voll- 
ziehen zu  wollen,  welche  die  Nothwendigkeit  einer  Verschiebung  der  seither  einge- 
schlagenen Bichtungen  signalisiren.  Die  in  Folge  der  VervielfaltigUDg  und  Yervoll- 
kommnung  der  Kommunikationsmittel  eingetretene  Leichtigkeit  der  Versorgung  der 
westeuropäischen  Märkte  mit  wohlfeilen  Brodfrüchten  aus  Ländern,  welche  ft'üher 
vom  Verkehr  abgeschlossen  waren,  hat  bewirkt,  daß  die  Landwirthschaft  in  den 
von  dieser  Konkurrenz  betroffenen  Gebieten  den  Körnerbau  einschränkte  und  sich 
mehr  als  seither  der  Futterproduktion  und  Viehhaltung  zuwandte.  Gleichzeitig 
aber  drückten  hier  die  fortgesetzt  sich  ausdehnenden  Zufuhren  an  Wolle  aus  - 
überseeischen  Ländern  die  Chancen  für  die  Wolleschäferei  herab,  was  zur  Folge 
hatte,  daß  die  Schafhaltung  vielfach  zu  Gunsten  der  Bindviehhaitung  rednzirt 
wurde.  Das  Ergebniß  dieser  Erscheinungen  mußte  vornehmlich  seinen  Ausdraok 
finden  in  einer  ungeahnt  raschen  Ausbreitung  der  Milchviehhaltung  und  der 
Milchindustrie.  Dieser  Bewegung,  welche  wir  seit  Jahren  notiren,  und  deren 
Abschluß  noch  nicht  in  Sicht  ist,  sowie  den  bedeutenden  Erhöhungen  der  Schutz- 
zölle, welche  fast  alle  Staaten  ringsum  auf  Molkereiprodukte  gelegt  haben,  ist 
es  zuzuschreiben,  daß  im  Käsegeschäft  sich  eine  voraussichtlich  dauernde,  für  die 
schweizerische  Milch wirthschaft  ungünstige  Wendung  vollzog.  Angesichts  der- 
selben drängt  sich  aber  je  länger  je  mehr  die  Nothwendigkeit  auf,  mehrere 
gleichzeitig  eingetretene  wichtige  Thatsachen  in's  Auge  zu  fassen.  Dieselben  be- 
stehen darin,  daß: 

1)  von  jenem  Konkurrenzdruck  vornehmlich  der  als  Handelsartikel  durch 
seine  relaliv  leichte  Versendbarkeit  und  größere  Haltbarkeit  ausgezeichnete  Käse, 
nicht  aber  in  gleichem  Grade  die  Butter  betroffen  wurde,  femer  alle  Handels- 
spesen (Fracht  und  Zölle)  bei  dem  Export  das  Produkt  um  so  weniger  empfind- 
lich treffen,  je  höher  der  Werth  desselben  im  Verhältnisse  zum  Gewichte  steht; 

2)  die  Schweiz  hinsichtlich  der  Technik  der  Butterproduktion  durch  alle 
jene  äußeren  Bedingungen  in  hohem  Grade  begünstigt  ist,  von  welchen  die  Er- 
zeugung vorzüglicher  Milch  und  speziell  hochfeiner  Tafelbutter  abhängt,  während 
sie  den  Vortheil  der  leichten  Verbindung  mit  dem  für  den  Absatz  dieses  Pro- 
dukten sehr  ergiebigen  Markte  von  Paris  genießt  und  selbst  im  Stande  ist,  ein 
lohnendes  Geschäft  mit  den  englischen  Märkten  zu  unterhalten ; 

3)  auch  die  Produktion  von  Fleisch  der  Nachfrage  auf  dem  Markte  nicht 
in  dem  Maaße  gefolgt  ist,  wie  die  Erzeugung  von  Molkerei produkten,  und  that- 
sächlich  bei  jenem  kaum  ein  Rückschlag,  jedenfalls  kein  so  erheblicher  Nieder- 
gang der  Preise  eingetreten  ist,  wie  bei  diesen  und  rückwirkend  bei  der  Milch ; 

4)  die  inländische  Fleischproduktion  ca.  25  ®/o  des  eigenen  Bedarfes  an 
Fleisch  unbefriedigt  lasset,  das  Land  also  auf  eine  starke  Einfuhr  von  Schlacht- 
rindvieh (beispielsweise  im  Jahre  1886:  Rindvieh  von  60 — 150  kg  und  von 
über  150  kg  im  Werthe  von  Fr.  16' 7 10,521  über  die  Ausfuhr)  angewiesen  ist, 
während  der  Käse  bedeutende  Export- Werthe  (beispielsweise  im  Jahre  1886: 
Fr.  36'280,505  über  die  Einfuhr)  verzeichnet,  in  Rücksicht  auf  die  Transport- 
und  Handelsspesen,  die  Zölle  etc.  also  dort  eine  Begünstigung,  hier  dagegen  eine 
Benachtheiligung  für  den   Inlandspreis  vorliegt; 

5)  auf  dem  Fleischmarkte  sich  nach  und  nach  eine  Wendung  vollzieht, 
in  Folge  deren  die  Uualitätsunterschiede  schärfer  hervorgehoben,  und  besonders 
werthvüUe  Surtiraente  durch  Vorzugspreise  ausgezeichnet   werden ; 

6)  die  Ausdehnung  der  Hindvieh-  und  insbesondere  der  Milchviehhaltung 
iu  allen    Ländern  ringsum  das  Bedürlniß  zum  Bezüge  leistungsfähiger  Zucht-  und 


Landwirthschaft  —     317     —  Landwirthschafl 

Natzthiere  aas  den  für  die  Yiehaufzucht  besonders  vortbeilhaft  situirten  Gebieten 
zuverlässig  steigern  mnß. 

Ist  die  Richtigkeit  dieser  Betrachtangea  unbestreitbar,  so  wird  sich  au» 
denselben  ergeben  müssen,  daß  die  schweizerische  Landwirthschaft  wohlthut,  ins- 
künftig : 

1)  80  weit  sie  an  der  Darstellung  von  Versan dtkäsen  festhält,  den  Haupt- 
vortheil  darin  zu  suchen,  daß  sie  ihre  Superiorität  auf  dem  Weltmarkte  in  der 
Erzeugung  nur  der  hochfeinsten  Sortimente  behauptet  und  somit  diese  vor- 
nehmlich in^s  Auge  faßt; 

2)  der  Darstellung  feiner  Tafelbutter  mehr  Aufmerksamkeit  zu  schenken 
und  dieselbe  noch  mehr  zu  bevorzugen,  wie  seither  (Magersennerei),  dabei  ins- 
besondere eifrig  und  gewissenhaft  prüfend  und  rechnend  den  Wegen  einer  ratio- 
nellen Yerwerthung  der  Magermilch  nachzugehen  und  zu  diesem  Behufe  auch 
auf  die  sog.  Frühmast  von  Bindvieh  und  Schweinen  Bedacht  zu  nehmen; 

3)  unter  geeigneten  Bedingungen,  namentlich  im  Flachlaude,  der  Fleisch- 
Produktion  (Mästung),  selbst  auf  Kosten  der  Milchwirthschaft,  eine  größere  Aus- 
dehnung zu  zu  geben,  und 

4)  dem  Betriebe  der  Aufzucht  von  Racethieren  in  allen  denselben  be- 
günstigenden Lagen,  vornehmlich  im  Alpengebiete,  vermehrte  Aufmerksamkeit 
zuzuwenden. 

B.  Die  Haltung  von  Pferden,  Maulthieren  und  Eseln.  Sieht 
man  zunächst  von  dem  sehr  zurücktretenden  Bestände  von  (2742)  Maulthieren 
und  (2046)  Eseln  ganz  ab,  und  bringt  man  von  der  gesammten  Zahl  der  Pferde, 
welche  1886  :  98,622  Stück  betrug,  alle  Fohlen  bis  zum  Alter  von  3  Jahren 
=  13,392  Stück  in  Abzug,  so  erübrigen:  85,230  Stück  ältere,  im  Gebrauche 
stehende  Thiere.  Auf  diese  kommen  aber  6888  tragende  und  säugende  Stuten, 
d.  h.  nur  8,1  ®/o  des  Bestandes.  Man  ersieht  daraus,  daß  in  der  That  der  Be- 
trieb der  Pferdezucht  unter  den  obwaltenden  Verhältnissen  nur  eine  sehr  be- 
scheidene Ausdehnung  gewonnen,  und  auch  eine  Bestätigung  der  bekannten  Erfahrung^ 
daß  derselbe  nur  in  einzelnen,  durch  die  Vertheilung  des  Grundbesitzes,  die  Ver- 
mögenslage der  Landwirthe,  die  Terrainverhältnisse  und  die  Art  der  Land- 
bewirthschaftung  in  jener  Richtung  begünstigten  Lokalitäten  zahlreichere  Freunde 
gefunden  hat.  Von  den  13,392  Fohlen  standen  8048  im  Alter  von  weniger  als 
zwei,  5344  im  Alter  von  zwei  bis  drei  Jahren,  indeß  der  folgende  Jahrgang 
nur  5568  Stück  umfaßte.  Könnte  man  nun  aus  der  Handelsstatistik  erfahren,  wie 
viele  Thiere  je  der  einzelnen  Altersstufen  ein-  und  ausgeführt  wurden,  dann 
würde  man  auch  im  Stande  sein,  annähernd  darzuthun,  wie  viele  Fohlen  jene 
inländischen  Stuten  geboren  haben,  ebenso,  auf  welche  Jahrgänge  sich  der  An- 
kauf von  jungen  Pferden  aus  dem  Auslände  vornehmlich  richtete.  Da  die  er- 
wähnte Voraussetzung  sich  aber  nicht  erfüllt,  und  es  in  der  vorliegenden  Auf- 
gabe auch  unzulässig  ist,  von  Durchschnittsprozenten  für  die  Fruchtbarkeit  der 
Stuten  auszugehen,  so  muß  von  weiteren  Betrachtungen  über  das  in  Frage  ge- 
stellte Verhältniß  Umgang  genommen  werden.  Wie  wenig  übrigens  die  inländische 
Pferdezucht  im  Stande  ist,  den  eigeneu  Bedai*f  an  Ersatzpferden  zu  liefen,  wird 
durch  die  Ergebnisse  der  handelsstatistischen  Ermittlungen  erwiesen.  Darnach 
betrug  im  Durchschnitt  der  beiden  Jahre  1885  und   1886: 

Stück         Werth  In  Fr. 

Die  Einfuhr 6386        5'413,447 

Die  Ausfuhr 1639  985,975 

Die  Mehreinfuhr 4747        4'427,472 


Landwirlhschaft  —      :51}:5     —  Landwirthschaft 

Der  Ertrag  der  Pferdehaltuiig  besteht  im  Uebrigen  nur  in  dem  Werthe  der 
durch  solche  erzielten  Arbeitsleistung.  Legt  man  zur  Berechnung  derselben 
4ie  erwähnte  Zahl  der  mehr  als  3  Jahre  alten  Thiere  =rr  85,230  Stück  zu  Grunde 
und  veranschlagt  man  die  Dauer  der  jährlichen  Arbeitszeit  im  Mittel  auf  200 
Tage  a  Fr.  4,  so  erhält  man  die  Summe  von Fr.   ()8'184,000 

Die  Arbeit  der  Maulthiere  und  Esel,  von  welchen  die 
«rsteren  fast  ausschließlich  in  den  Gebirgsgegenden,  namentlich 
in  den  Südkantonen  und,  wie  die  Esel,  meist  außerhalb  des 
landwirthschaftlichen  Gewerbes  angetroffen  werden,  dürfte  sich 
unter  angemessener  Reduktion  auf  Pferde-Arbeit  beziffern  lassen 
auf  2337  X  200  X  4  = „       r8Ö9,G00 

Summa:      Fr.   70^053,600 

C  Die  Schweinehaltung.  Eine  eigenartige  Zusammensetzung  und  Be- 
wegung spricht  sich  in  dem  Bestände  an  Schweinen  aus. 

Gezählt  wurden  im  Jahre  1886  an  Faseln  und  Mastschweinen,  ülter  als 

3  Monate 241,842  Stück 

Zum  Ersätze  der  abgehenden  Zuchtthiere  berechnen  sich  hiervon  etwa 

*  8  der  verwendeten  Eber  und  Mutterscliweine  =  38,050  oder    .     .       12,683      „ 

Die  Äusfulir  betrug  im  Durchschnitt  der  Jahre  1885  und  1886     .     .     .       10,835      , 

Der  tiurchschnittlicii  einjährij^e  Umsatz  liefert  an  Sclilachtthieren      .     .  229,159      „ 

Es  betragt  also  die  einjährige  Renionte,  wdclie  voral)  aus  der  inländischen 

Nachzuclit  geliefert  wird 494,519  Stück 

Angenommen,  diese  Thiere  würden  sämmtlich  von  den  im  Inlande  gehaltenen 
Zuchtthieren  in  jährlich  zwei  Würfen  a  247,260  Stück  geboren,  so  würde  sich 
in  dem  Bestände  folgende  Bewegung  ergeben : 

Am  Jahresbeginn  sind  vom  Frühjahrswurf  an  Ferkeln  vorhanden  (Zählung) .      115,025 
Es    gehen    von    denselben    bis    in    den    Herbst    über    (rückständig) : 

247,260—115.025= 132,2:i5 

Dazu  der  Herbstwurf 247,259 

379,494 

Der  Zuwachs  beträgt  also 494,519 

Zieht  man  hiervon  ab  die  im  Laufe  des  Jahres  austretenden  Thiere  mit  .     .      252.677 

So  bleibt  wieder  ein  Bestand  an  Faseln  und  zur  Mast  bestimmten  Schweinen  von      241,842 

Dazu  dann  noch  die  aus  dem  folgenden  Frühjahrswurfe  wieder  neu  hinzu- 
kommenden Ferkel  (115,025).  Wäre  jener  Ersatz  aus  der  inländischen  Züchterei 
gedeckt  worden,  so  hätten,  da  36,551  Zuchtsauen  gezählt  wurden,  je  10  derselben 
jährlich  135  (1  :  13.5)  Ferkel  liefern  müssen.  Das  ist  aber  ein  Fruchtbarkeits- 
grad, auf  welchen  im  Durchschnitt  nicht  gerechnet  werden  kann.  Geht  man 
vielmehr  schätzungsweise  von  einem  Verhältnisse  =1:12  aus,  wie  es  im  Großen 
eher  zuzutreffen  pflegt,  so  lieferte  der  inländische  Zuchtbetrieb  nur  438,612  Stück. 
Woraus  dann  folgt,  daß  die  fehlenden  55,907  Stück  durch  den  Handel  geliefert 
und  demgemäß  von  der  Einfuhr  vorweg  als  Läufer  in  den  Bestand  aufgenommen 
wurden,  so  daß  von  der  importirten  Waare  (Mittel  von  1885  und  1886:  68,438 
♦Stück)  nur  12,351  Stück  direkt  der  Schlachtbank  verfielen.  Daß  eine  solche 
Bewegung  thatsächlich  statttindetf  beweist  der  starke  Zutrieb  von  jungen  Schweinen 
(Läufern)  durch  italienische,  französische  und  elsäßische  Händler.  Auf  Grund 
dieser  Uebersicht   berechnet  sich  nun  der  Ertrag  aus  der  Schweinehaltung  also : 

1)  An  Fleisch  von  12,683  Stück  nlterer  Zuchtthiere  ii  HO  kg      13,951  q 

2)  Ebenso  von  229,159  Stück  aus  einjährifrem  Umsatz  hervor- 

^'eheiulcn  jün^jeren  Schlachtviehes  ä  90  kjr 206,243  , 

Summa:    220,194  q 


LaDdwirtbschaft  —      319      —  Landwirthschaft 

Uebertrag   220,194  q 
Davon   ab  die  Ausfulir  (Mittel  von  1885  und  1886), 
bauptsächlicb   in   Ferkeln   bestehend,    10,835   Stück,    im 
Durcliscbnitt  ii  20  kg  =  2167  q  ;  dazu  Schweineschmalz : 
212  q,  zusammen 2,379  ^ 

Bleiben  für  die  inländische  Schlachtbank 217,815  q 

ä  115  Fr 25'048,72o  Fr. 

3)  fixport  an  jungen  Thieren  nach  der  Handelsstatistik  (Süttel  vuu  1885 

und  1886) 267,432  , 

Summa    25^316,157  Fr. 

D.  Die  Haltung  von  Schafen  und  Ziegen.  In  dem  vorzugsweise 
in  den  Alpgegenden  verbreiteten  Sohäfereiwesen  kommt  hauptsächlich  Zuchtbetrieb 
mit  Beibehaltung  der  Hammellämmer  vor.  Dieses  Verhältniß  ist  durch  den  Um- 
stand bedingt,  daß  die  Wollenutzung  des  Alpenschafes,  in  welchem  nur  genüg- 
same und  spätreife  Schläge  vertreten  sein  können,  tiberwiegend  berücksichtigt 
werden  muß.  Unter  jener  Voraussetzung  lasset  sich  berechnen,  daß  bei  einer 
sechsjährigen  Dauer  der  Haltung  die  älteren  Thiere  64,  die  Jährlinge  17  und 
die  Lämmer  19  ^/o  des  Bestandes  der  Heerden  bilden,  und  jährlich  15  %  dieses 
Bestandes  ausrangirt  werden  können.  ^)  Behufs  Darstellung  des  Umsatzes  aus  der 
Ziegenhaltung  kann  auf  frühere  Angaben  Bezug  genommen  werden.  Demgemäß 
beziffert  sich  der  Ertrag: 

a.  Aus  der  Schafhaltung: 

1)  An  abgängigem  älterem  Vieh,  15  ^/o  von  341,804  Stück  (Zählung  von 

1886)   -=  51,270  Stück  a  20  kg  =  10,254  q  Fleisch  k  Fr.  120      .     .     Fr.  r230,480 

2)  An  Wolle:  Von  341,804  Schafen  ä  1,5  kg  =  512,706  kg  ä  Fr.  3.  50  =       ,    1794,471 

Summa     Fr.  3^024,951 
6.  Aus  der  Ziegenhaltung: 

1)  An  Milchertrag,  gemäß  fi-üherer  Berechnung,  582,852  hl  k  Fr.  12  .     .     Fr.  6'994,224 

2)  An   abgängigen   älteren  Thieren,    12  >   von  416,323  Stück   (Zählung 

von  1886)  =  49,959  Stück  ä  20  kg  =  9992  q  ä  Fr.  70     .     .     .     .       „       699,440 

3)  An  Kitzen:   Von   rund  320,000  jälirlicli  geborenen  Lämmern  ab  zum 

Ersatz  15  7o  des  Bestandes  =  62,448,  bleiben :  257,552  Stück  ä  Fr.  3 

(davon  a  2,5  kg  =  6438  q  Fleisch) ^       772,656 

Summa    Fr.  8'466,320 

c.  Aus  der  Schaf-  und  Ziegenhaltung  zusammen: 

Es  wurden  im  Mittel  ausgeführt  in  den  Jahren  1885  und  1886:  7296  Stück 
im  Werthe  von  Fr  133,914,  per  Stück  also  von  Fr.  18.  35.  Da  die  Einzel- 
posten  nicht  ausgeschieden  wurden,  muß  hier  von  einer  besonderen  Kechnung 
abgesehen  werden.   Die  Ausfuhr  entspricht  einem  Fleiscbge wicht  von  etwa  1,488  q. 

Auf  Grund  der  vorliegenden  Uebersichten  ist  es  nunmehr  auch  möglich,  ein 
Bild  von  der  Fleischversorgung  der  Schweiz  im  Ganzen  zu  entwerfen. 


*)  In  dem  südöstlichen  Alpengebiete,  vornehmlich  im  Kanton  Graubünden,  wird 
heute  noch  vielfach  das  schon  .seit  sehr  langer  Zeit  bestehende,  im  Lichte  der  ökono- 
mischen Interessen  freilich  recht  ungünstig  zu  beurtlieilende  Verfahren  angetroffen,  die 
Sommernutzung  der  höher  gelegenen  Weidereviere  an  italienische  Besitzer  von  Schal- 
heerden  zu  verpachten.  Diese  Wanderschafe  gehören  fast  ausschließlich  der  Berganiasker 
Race  an.  Da  dieselben  in  dem  Zählbestande  nicht  enthalten  sind,  so  erhöht  sich  «ler 
Ertrag  aus  den  Bergi^eiden  um  den  erwähnten  Erlös  an  W'eidepacht.  Derselbe  ist  aber 
nicht  genauer  zu  ennitteln. 


Landwirthschaft  —     320     —  Landwirthschaft 

An  früherer  Stelle  (Seite  312  und  313)  wurde  berechnet,  daß  der  inländische 
Fleiscbraarkt  empfängt  an  Eilozentnem  : 

Aus  dem       Aus  dem 
Inland«       Auslände 

1)  An  Rind-  und  Kalbfleisch 512,150     172,621 

Hierzu  kommen  weiter: 

2)  An  Schweinefleiscii : 

o.  Inländische  Produktion  abzüglich  der  Ausfuhr  (Seite  319)  .     .  217,815  — 

b.  Import  (Mittel  von  1885  und  1886):  68,438  Stuck  a  70  kg      .        —  47,906 

3)  An  Scliaf-  und  Ziegenfleisch: 

a.  Inländisclie  Produktion  (S.  319):  10,254+9992  i- 6438  =  26,684  q 

Davon  ab  die  Ausfuiir  (Seite  319) 1,488  „ 

25  196         

6.  Import  (Mittel  von  1885  und  1886):  56,743  Stück  a  25  kg      .       —  14,186 

4)  An  Schweineschmalz:  Import  (Mittel  von  1885  und  1886)     .     .     .        —  34,283 

755,161     268,996 

Summa:  1*024,157 

Hiernach  werden  von  dem  gesammten  Bedarfe  aus  dem  inländischen  Yieh- 
stande  gedeckt  73,7  ^/o,  und  ist  die  ausländische  Zufuhr  an  der  Eleischversorgong 
des  Landes  betheiligt  mit:  26,3  ®/o.  —  Es  ergiebt  »ich  femer  ein  Durchschnitts- 
konsum an  Fleisch  überhaupt  per  Kopf  der  Bevölkerung  im  Jahre  von :  34,9  kg. 

Faßt  man  schließlich  die  Erträge  der  Viehhaltung  gemäß  den  bis  dahin 
festgestellten   Ergebnissen  zusammen,  so  erhält  man  folgende  Werthe  : 

1)  Aus  der  RiudviehhaltUDg  (Seite  314) Fr.  285*242,004 

2)  ,,      ,,    Pferdehaltung  (Seite  318) „     70*058,600 

B)    „      ,,    Schweinebaltani?  (Seite  319) ,,     25*810457 

4)  ,,      ,,    Schafhaltung  (Seite  319) ,,       B'024,951 

5)  ,,      ,,    Ziegenhaltang  (Seite  319) „       8'4e6,320 

0)    ,,     ,,    Schaf- und  Ziegenhaltang  zasammen  (Ausfuhr)     „         138,914 

Summa  s    Fr.  892*2d6,»IO 

Diese  Ziffern  stimmen  im  Wesentlichen  mit  den  vorläufigen  Uebersichten, 
welche  oben  (s.  290)  mitgetheilt  wurden,  und  haben  die  noch  bestehenden  Ab- 
weichungen nur  ihren  Grund  darin,  daß  in  Berücksichtigung  der  Ergebnisse  der 
Handelsstatistik  auch  pro  1886  die  Werthe  der  Ausfuhr  für  Rindfleisch  höher 
gegriffen  wurden,  und  daß  die  Erträge  aus  der  Ziegenhaltung  einen  Zuschlag 
erfahren  mußten. 

Hinsichtlich  der  Fragen  über  die  technischen  Einrichtungen  der  Viehhaltung, 
sowie  insbesondere  über  den  Stand  und  die  Entwicklung  der  Milch wirthschaft 
darf  auf  die  bezüglichen  Spezialabhandlungen  verwiesen  werden. 

III.  Die  Erfolge  des  landwirthschaftlichen  Betriebes  In  der  Schweiz. 

Um  die  geschäftlichen  Ergebnisse  eines  gewerblichen  Einzel-Unternehmens 
nachzuweisen,  bedient  man  sich  bekanntlich  einer  systematischen  Buchführung, 
deren  Aufgabe  es  ist,  an  den  beiden  Endpunkten  einer  Rechnungsperiode  den 
Stand  des  Vermögens  im  Granzen  und  in  seinen  einzelnen  Griiedern  festzustellen, 
und  die  Veränderungen,  welche  die  fortlaufend  angewandten  Betriebsmittel  inner- 
halb der  Grenzen  eines  gewissen  Zeitabschnittes  durch  den  Umsatz  erleiden,  nach 
Art,  Zeit,  Richtung  und  Umfang  übersichtlich  darzulegen.  Auf  Grundlage  der 
solchermaßen  gewonnenen  Thatsachen  setzt  sodann  die  Rechnungsführung  in  den 
Stand,  zu  ermitteln,  nicht  allein,  um  welche  Beträge  sich  das  angelegte  Kapital 
veränderte  —  ab-  oder  zunahm  — ,  sondern  auch,  in  welchem  Verhältnisse  die 
einzelnen  Geschäftszweige  an  dem  gesammten  Ergebnisse  Antheil  haben,  und  wie 


Landwirthschaft  —      320  a     —  Landwirthschaft 

dieses  sich  auf  die  verschiedenen  Einkommensquellen  vertheiit.  So  verlangt  es 
der  gewerbliche  Betrieb  vom  Standpunkte  der  Privatwirthschaft.  Die  Aufgabe 
gewinnt  aber  eine  andere  Seite,  wenn  die  Erfolge  eines  Zweiges  der  gesammten 
Gewerbet hätigkeit,  in  unserem  Falle  der  Landwirthschaft,  im  ganzen  Lande 
oder  Volke,  und  die  sozialwirthschaftlichen  Beziehungen  desselben  in  Frage 
kommen.  Es  knüpft  sich  dann  ein  allgemeines  Interesse  an  sie,  weil  ihre  Lösung 
die  Quelle  der  Erkenntniß  derjenigen  Thatsachen  bildet,  welche  für  die  Ent- 
wicklung richtiger  wirthschaftspoli tischer  Gesichtspunkte  und  Prinzipien  grund- 
legend sind.  Der  Weg  dahin  führt  aber  nothgedrungen  durch  die  Statistik, 
welche  gewissermaßen  eine  Buchführung  im  Großen,  eine  Buchführung  für 
Alle  ist. 

Es  ist  im  Allgemeinen  noch  sehr  dürftig  bestellt  mit  der  privaten  Buch- 
haltung der  Landwirthe.  Der  Gebrauch  des  Maßes,  der  Waage  und  des  Rechen- 
stiftes für  die  Zwecke  des  internen  Geschäftsganges  ist  nur  einer  kleinen  Minderzahl 
derselben  geläufig.  Unter  solchen  Umständen  hat  die  öffentliche  landwirthschaf liehe 
Buchführung,  welche  sich  doch  in  der  Hauptsache  nur  aus  den  Ergebnissen  der 
privaten  Buchführung  aufbauen  kann,  d.  h.  die  landwirthschaftliche  Statistik,  in 
der  That  einen  schweren  Stand.  Aber  nicht  allein  die  Schwächen  und  Lücken, 
welche  in  den  Neigungen  und  Gewöhnungen  der  Landwirthe  selbst  begründet 
»ind,  bilden  ein  Hemmniß  für  die  Entwicklung  agrar-statistischer  Forschung, 
auch  die  öffentliche  Verwaltung  ist  mit  den  Aufgaben,  der  landwirthschaftlichen 
Statistik  vorzuarbeiten,  wenigstens  in  Bezug  auf  den  Grundbesitz  und  dessen 
Vertheilung,  vielfach  zurückgeblieben.  Eine  große  Zahl  von  Kantonen  entbehrt 
heute  noch  der  Parzellar Vermessung  und  der  Kataster- Einrichtung.  Ohne  Kataster 
aber  ist  eine  genaue  Areal-,  Anbau-  und  Emdtestatistik,  die  erste  und  wichtigste 
Grundlage  für  die  Ermittlung  der  Erfolge  des  landwirthschaftlichen  Betriebes, 
ungemein  erschwert,  wenn  nicht  unmöglich. 

Diese  Betrachtungen  überzeugen,  daß  es  zur  Zeit  nicht  gelingt,  an  der 
Hand  direkter  Ermittlungen  zahlenmäßig  nachzuweisen,  was  und  wie  viel  die 
Hchweizerische  Landwirthschaft  produzirt,  welches  Einkommen  sie  aus  ihrem  Be- 
triebe bezieht,  und  welche  Stellung  sie  demgemäß  im  Kreise  der  übrigen  ge- 
werblichen Thätigkeiten  einnimmt.  Will  man  gleichwohl  an  eine  Aufgabe  dieser 
Art  herantreten,  so  muß  dieselbe  von  vornherein  sehr  eingeschränkt,  und  kann 
für  die  Behandlung  derselben  nur  der  Weg  indirekter  Beobachtungen,  der 
der  Uebertragung  einzelner  faktischer  Ergebnisse  auf  die  Lage  im  Ganzen,  und 
des  Zurückgreifens  auf  allgemeine  Erfahrungen  im  landwirthschaftlichen  Betriebs- 
leben  —  das  Verfahren  der  Vergleichung  und  Kombination  —  eingeschlagen 
werden.  In  dieser  Richtung  wenigstens  einen  Versuch  zu  wagen,  mag  sich  durch 
die  Tragweite  des  Gegenstandes  rechtfertigen.  Die  Resultate  können  freilich 
nicht  anders,  als  mit  Vorbehalten  gegeben  werden. 

Es  dürfte  zweckmäßig  sein,  die  bezüglichen  überhaupt  aufgreifbaren  Fragen 
nach  drei  Richtungen  zu  gliedern,  insofern  das  allgemeine  Interesse  Auskunft 
darüber  verlangt,  erstens,  ob  und  in  wie  weit  die  landwirthschaftliche  Pro- 
duktion des  Landes  im  Stande  ist,  den  Bedarf  der  eigenen  Bevölkerung  an 
agricolen  Produkten  (Nahrungs-  und  Genußmitteln,  Bekleidungsstoffen  etc.)  zu 
decken,  zweitens,  wie  hoch  sich  der  Werth  der  durchschnittlich  jährlich  er- 
zeugten landwirthschaftlichen  Produkte,  und  drittens,  wie  hoch  sich  das  ge- 
werbliche Einkommen  der  Landwirthschaft  im  Ganzen  und  einer  Landwirthschaft 
treibenden  Haushaltung  im  Durchschnitt  berechnet. 

Furrer,  Volk8wirtb8chaft8>Lexikon  der  Schweiz.  ^(^  U. 


Landwirthschafl  —      320  6     —  Landwirthschaft 

1)  Erfolg  des  landwirthschaftlichen  Betriebes   hinsichtlich 
der  Yersorgatig  des  Landes   mit   agrikolen  Prodakteo. 

Der  Bedarf  der  inländischen  Bevölkerung  an  Lebensunterhaltsmitteln  ist  einer 
genauen  Ermittlung  unzugänglich  geblieben.  Unter  den  zahlreichen  Artikeln 
dieser  Art,  welche  die  Landwirthschaft  des  Landes  produzirt,  giebt  es  nicht 
einen,  von  welchem  direkt  nachgewiesen  wäre,  wie  hoch  sich  der  Eonsam  der 
Bevölkerung  an  solchen  belauft.  Erfaßbar  sind  die  betreffenden  Mengen  nur  bei 
solchen  Produkten,  welche  einer  Verzehrungssteuer  unterliegen,  ein  Fall,  welcher 
seither  nur  für  Spirituosen  und  nur  in  mehreren  Kantonen  zutraf.  Eine  Aus- 
nahme werden  in  Zukunft  nur  die  gebrannten  Wasser  bilden,  weil  der  Vertrieb 
derselben  zum  Bundesmonopol  geworden  ist.  Alles,  was  man  über  die  inländische 
Eonsamtion  an  landwirthschaftlichen  Erzeugnissen  seither  angegeben  hat,  beruht 
auf  Schätzungen  von  zum  Theil  sehr  zweifelhaftem  Werthe. 

Genau  bekannt  sind  dagegen  die  Mengen  und  Werthe  an  jenen  Artikeln, 
welche  über  die  Landesgrenzen  aus-  und  eingehen.  Hierüber  giebt  die  allerdings 
erst  seit  1885  eingeführte  schweizerische  Handelsstatistik  die  zuverlässigste  und 
daher  eine  in  hohem  Grade  verwei*thbare  Auskunft.  Besäße  nun  das  Land  eine 
auch  nur  einigermaßen  exakte,  über  das  ganze  Gebiet  ausgedehnte  landwirth- 
schaftliche  Produktionsstatistik,  so  wäre  der  oben  aufgeworfenen  Frage  mühelos 
näher  zu  treten  mit  den  Formeln :  C  =  P  —  A  und  C  =  P  -|-  E,  wobei  C  die 
Größe  der  Eomsumtion,  P  die  Ergebnisse  der  jährlichen  Produktion  und  A  und  E 
den  Betrag  der  Mehrausfuhr  bezw.  der  Mehreinfuhr  bedeuten.  In  Ermangelung 
einer  Produktionsstatistik  kann  aber  der  Werth  von  P  auch  nicht  abgeleitet 
werden  aus  den  Formeln :  P  :=  A  -f-  C  und  P  =  C  —  E,  weil  eben  derjenige 
von  C  gänzlich  unbekannt  ist.  Wie  man  sieht,  fehlt  uns  immer  die  Bekannt- 
schaft je  noch  eines  zweiten  der  konkurrirenden  Werthe,  sei  es  derjenige  von  C 
oder  von   P,  um  ein  getreues  Bild  von  der  Situation  entwerfen  zu  können. 

Nur  um  zu  zeigen,  wie  sich  eine  solche  üebersicht  ausnehmen  würde,  setzen 
wir  drei  Beispiele,  und  zwar  je  eine  Rechnung  über  Getreide,  Wein  und 
Käse  hierher.  Bei  diesen  Artikeln  könnte  man  sich  eine  ungefähre  Vorstellung 
über  die  Größe  der  jährlichen  Produktion  (P)  bilden;  außerdem  sind  A  und  E 
bekannt.  Gefragt  ist  also  nach  C.  Aber  gleich  hier  muß  bemerkt  werden,  daß 
die  Erträge  an  Getreide  und  namentlich  au  Wein  von  Jahr  zu  Jahr  sehr  be- 
trächtlichen Schwankungen  unterliegen. 


Es  beträgt  die 


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2j  irem    .     .     .     Hektoliter:     l'l 39,490 ')  518,961  —  1*658,451 

Z)  Käse    .     .     .     Kilozentner:      527.625*)  —  248,669  278,956 

In  Ermangelung  brauchbarer  Anhaltepunkte  für  Weiterführung  dieser  Auf- 
gabe beschränken  wir  uns  nur  noch  auf  die  Zusammenstellung  der  Quantitäten 
und  Werthe  der  Ein-  und  Ausfuhr  der  wichtigsten  Artikel  der  landwirthschaft- 
lichen Produktion  in  den  Jahren  1885  und  1886.  (Siehe  diese  tabellarische 
Zusammenstellung  auf  den  Seiten  320  (/,   e,   f.) 

')  Von  rund  30<),0(K)  ha  (Si^ite  292)  ä  durclisehnittlich  11,66  q. 
■-')  Zur  Saat,   zum   nienschiichon  Konsum,   zur  Viehfütterung  und  zur  technischen 
Verarheitun;:  in  Brennereien,  BrauereiiMi  und  Stärkefabriken. 
')  Von  34,530  ha  (Seite  297)  ii  durclisohnittlicli  33  hl. 
♦)  Sii'he  Seite  315. 


Landwirthschail  —      320  c     —  Landwirthschaft 

Hinsichtlich  des  gesammten  Resultates  ist  aber  besonders  darauf  aafinerksam 
zu  machen,  daß  in  den  genannten  Jahren  fUr  eine  Reihe  vorzugsweise  in  Betracht 
kommender  Produkte,  wie  z.  B.  Getreide,  Käse  etc.,  ungewöhnlich  niedrige  Preise 
verzeichnet  wurden.  Je  nach  dem  von  Jahr  zu  Jahr  schwankenden  Ergebnisse 
der  Erndten  würde  man  somit  wohl  zu  der  Annahme  berechtigt  sein,  daß  das 
Defizit  zwischen  der  inländischen  Produktion  und  dem  Bedarf  der  Bevölkerung 
sich  im  gegenwärtigen  Dezennium  etwa  zwischen  50  bis  60  Franken  p.  Kopf  bewege. 

Im  Uebrigen  ist  unsere  Tabelle  in  einer  Weise  angeordnet,  daß  aus  der- 
selben leicht  ersehen  werden  kann,  in  welchen  Artikeln  das  Land  eine  Mehr- 
Einfuhr,  und  in  welchen  es  eine  Mehr -Ausfuhr  hat,  und  welche  Stellung 
die  einzelnen  Produkte  in  diesem  Verkehre  einnehmen. 

2)  Werth  der  jährlichen  Produktion  der   schweizerischen 

Landwirthschaft. 

Zwischen  den  einzelnen  Gliedern  der  Produktionsmittel,  welche  der 
Landwirth  anwendet,  besteht  ein  gewisser  organischer  Zusammenhang.  Keines 
derselben  kann  der  Mitwirkung  des  anderen  entbehren.  Aber  sie  werden  nicht 
in  einem  übereinstimmenden  gegenseitigen  Verhältnisse  dem  Betriebe  dienstbar 
gemacht.  Die  landwirthschaftliche  Verhältnißkunde  weiß  daher  nur  von  Ab- 
stufungen zwischen  höchsten  und  niedrigsten  Sätzen  zu  berichten.  Von  der  Größe 
des  Grund-  und  Gebäudekapitales,  welches  in  unserer  Landwirthschaft 
steckt,  wissen  wir  nur  sehr  wenig,  und  aus  der  allerdings  ziemlich  genau  be- 
kannten Flächenausdehnung  des  landwirthschaftlich  benutzten  Areales  lediglich 
auf  dem  Wege  der  Schätzung  einen  Werth  beziffern  zu  wollen,  ist  zu  sehr  ge- 
wagt. Was  aber  das  Betriebskapital  betrifft,  welches  in  unserer  Land- 
wisthschaft  funktionirt,  so  hat  die  Statistik  sich  seither  nur  mit  dem  Vieh- 
stande befaßt.  Das  in  den  Maschinen  und  Geräthen,  den  Apparaten 
und  dem  Hausrath  angelegte  Kapital  ist  nirgends  ermittelt,  ebenso  wenig  ist 
auch  der  Versuch  gemacht  worden,  nachzuweisen,  was  die  Landwirthschaft  jähr- 
lich an  Handarbeit  aufwende.  Somit  ist  nur  ein,  allerdings  wesentlicher 
Faktor  des  landwirthschaflichen  Produktionsprozesses  —  das  Viehstands- 
Kapital  —  wirklich  und  genau  genug  bekannt.  Legt  man  aber  dieses  zu 
Grunde,  so  berechnet  sich  das  gesammte  ümtriebsver mögen  in  der  schweizerischen 
Landwirthschaft  wie  folgt:  Millionen 

Franl^eii 

1)  Viehstand  nach  der  letzten  Zählung  von  1886  (Seite  290)  inkl.  der  Bienen- 

str>cke  (6,22) 454.64 

2)  Diesem  Kapitale   entsprechend  und   in  Rücksicht  auf  unsere  spezitischen 

Verhältnisse  ein  Werth  des  todten  Inventars  (Maschinen  und  Geräthe  etc.) 

von  33  7°  des  lebenden  Inventars 151,55  *) 

3)  Jährlicher  laufender  Betriehsnufwand  im  Betrage  von  55  7o  *)  des  Inventar- 

werthes __?^l'il 

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*)  In  seiner  Schrift:  „Die  Geräthe  und  Maschinen  der  Landwirtiischaft.  Aarau  1884" 
veranschlagt  Professor  H.  Fritz  in  Zürich  dius  in  den  mechanischen  Hülfsrnitteln  der 
schweizerischen  Landwirthschaft  angelegte  Kapital   auf  160  bis  170  MüUonen  Franken. 

*)  Dieses  Verhältniß  deckt  sich  natürlich  nicht  mit  dem  Bedarfe  an  effektiv  ver- 
fügbar zu  haltenden  umlaufendem  Betriebskapital.  In  Rücksicht  auf  die  landwirth- 
schaftlichen  Betriebseinrichtungen  in  dem  größten  Theile  der  Schweiz  wird  man  an- 
nehmen dürfen,  daß  dieses  nur  33  7«  des  Invenlarwerthes  und  60  7o  ^^^'^  Jahresauhvandes 
ausmache,  daß  also  40  7o  der  Betriebskosten  je  aus  wieder  verwendbaren  laufenden 
Einnahmen  bestritten  werden. 

(Fortsetzung  auf  Seite  320//.) 


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94 


Land  wirthscha  ft 


Landwirthachaft 


S- 
s 

M|Ppii|||||.tiii|ili 

i 

2915,6 

757,1 

6085.2 

979,5 

19,9 

12,4 

3613,7 

1696,9 

11,9 

i 

33,9 
1366,3 

7212,7 
89S,5 
17,7 
23310,0 
116.5,0 
368,1 
6396,2 
627,3 
9753.6 
6967,4 
1119,5 
9103,5 
3237.9 

3.6 
3509.6 
557.3 
4504.8 
4104,9 
1666,7 
167.1 
323.0 

i" 

2769,7 

499,8 

3,9 

19,7 

4601,3 

1384,9 

7,6 

s" 

71.4 
14.2 

0.74 

50674.3 

4,15 

7,5 

10368,5 

9,7 

177,0 

139,9 

4161,1 

14,9 

6,8 

5,8 

31.1 
3,6 
32,9 
12,7 
6,2 
3,1 
0,86 

o 

i 

4181 

9496 

4766 

1836 

14 

67 

48946 

63671 

436 

g 

71.6 

11,0 

i3 117,9 

3,95 

6,1 

11001,4 

17,0 

162,6 

105,6 

4133.2 

13,3 

6,3 

4,5 

37,0 

11.5 

6,2 
1.4 
0.7 

i 

6993 

4739 

1304 

7 

109 

66360 

45994 

996 

a 

241,3 

2199,1 

181,0 

199,3 

3,0 

2394,0 

909,6 

0,4 

327.1 

0,2 

17,5 

5,2 

319,8 

1887,1 

137,4 

2068.6 

182.3 

36,0 

303.3 

21,9 

148,0 

31,3 

39,1 

8,7 

1 

7987,6 

1575,7 

985,6 

51,6 

6,1 

3,6 

299,1 

131,5 

3,6 

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LandwirthscFiaft  —     320//     •**  Landwirthschaft 

Nun  erfahren  wir  aus  der  landwirthschaftlichen  Betriebslehre,  daß  das 
Betriebskapital  im  Granzen  20  bis  35  ^/o  von  dem  Grund-  und  Gebäudekapital 
beträgt.  Nehmen  wir  den  zugehörigen  Mittelsatz  von  27,5  '7o,  so  würde  sich 
dasgesammte  Immobiliarvermögen  der  Landwirthsohaft  berechnen  auf  341 7  Millionen 
Franken,  von  welchen  etwa  */«  (*A  ^^  Landwerthes)  =  rund  570  Millionen 
auf  die  Gebäude  entfaUen.  >)    (Vgl.  S.  274  und  275.) 

Das  wären  also  annähernd  die  Einsätze,  mit  welchen  unsere  Landwirthsohaft 
regelmäßig  und  durchschnittlich  operirt. 

Auf  diesen  Einsätzen  beruhen  aber  die  Produktionskosten,  welche  die 
Landwirthschaft  aufwendet,  und  diese  Produktionskosten  bilden  den  wesentlichsten 
Bestimmungsgrund  für  den  Werth  der  Erzeugnisse,  müssen  zum  mindesten  durch 
diesen  wieder  ersetzt  werden. 

Rechnet  man  nun : 

1)  Vom  Grundkapitale   im  Betrage   von  3417  Millionen  ä  3,5  ^/o  Zins 

(Grundrente) 119,59  Mill.  Fr. 

2)  Vom  stehenden  Betriebskapital  (Viehstand  und  todtes  Inventar)  auf 

Hohe  von  606,19  Millionen  ä  6  %  Zins  und  Versicherung  .     .     .      36,37      ,      , 

3)  Den  ganzen  jälirlichen  Betriebsaufwand  (Umsatz) 333.41      ,,      , 

4)  Zins  und  Risiko  mit  8  ^/o  von  demjenigen  Theile  des  umlaufenden 

Betriebskapitales,  welcher  auf  Material  (Erneuerung  der  Gebäude 
und  des  Inventars,  Kunstdünger,  Kraftfutter,  Saatgut  etc.)  und  auf 
Mietharheit  entfällt,  ca.  30  °/o  des  ganzen  Betrages  *)  =  rund  100  Mill. 8,00      ,      , 

SSO  erhalten  wir  an  Kosten  der  Herstellung  des  gesammten  jährlichen 

Erzeugnisses  der  Landwirthschaft 497,37      ,      , 

Oder  in  runder  Summe 500,00      „      , 

Dies  macht  bei  einer  Bevölkerung  (berechnet  auf  das  Jahr  1885)  von  rund 
2' 937,000  Einwohnern:  Fr.  170  per  Kopf,  und  würde  sich  somit  unter  Zuzug 
der  Mehreinfuhr  der  Bedarf  für  einen  Bewohner  im  Durchschnitt  berehnen  auf: 
170  -|-  55  r=  225  Franken.  Hieraus  geht  aber  auch  hervor,  daß  der  Werth  der 
inländischen  Produktion  nahezu  dem  Werthe  des  Bedarfes  der  Bevölkerung  für 
neun  Monate  des  Jahres  entspricht,  letztere  also  Behufs  Versorgung  mit  land- 
wirthschaftlichen Produkten  für   7«  Jahr  auf  das  Ausland  angewiesen  ist. 

Wir  haben  bereits  darauf  hingewiesen,  daß  die  Produktionsstatistik  es  nicht 
gestattet,  den  Werth  den  gesammten  jährlichen  Erzeugnisses  der  Landwirthschaft 
darzustellen.  Will  man  gleichwohl  einen  Versuch  in  dieser  Richtung  zu  dem 
Zwecke  wagen,  um  eine  Vorstellung  darüber  zu  erlangen,  in  wie  weit  die  Schätzung 
mit  den  Ergebnissen  der  indirekten  Rechnung  (Produktionskosten)  in  Einklang 
steht,  so  mag  das  folgende,  der  Natur  der  Sache  nach  allerdings  nur  im  Groben 
gezeichnete  Bild  zur  Orientirung  dienen : 

l)  Oben  wurden  die  Ertragnisse  des  Viehstandes  ermittelt  auf  .     .     .     392,10  Mill.  Fr. 
Hiervon   t?elien  als  latente,    weil  im  Betriebe  der  Landwirth- 
schaft wieder  verwendete  Posten  ab: 

a,  Werth  der  Arbeitsleistung  des  Rindviehes    .     .     .      32,80 
h.  Werth  der  Arbeitsleistung  der  Pferde:  70.05.  Da- 
von antheilig  auf  die  Landwirthschaft  ah  V^  =     .     .     .       46,70 

-       --      79.50      „      , 

Bleiben    312,t)0      „      „ 

M  Nach  direkten  Schätzungen  von  A.  v.  Fellenh er g- Ziegler  in  dessen  Schrift : 
, Pläne  und  Beschreibung  von  Sdieunen  und  Stüllon  nach  dem  von  Jm-jffo/f sehen 
System.  Bern  1887.**  beziffert  sich  dieses  Kapital  auf  540  Millionen  Franken. 

*)  Die  Differenz  (70**/  reprasentirt  hiernach  den  Werth  der  von  den  Landwirthen 
und  ihren  Angehörigen  geleisteten  Arbeiten  (Unternehmerlohn).  Derselbe  sehwankt  je 
nach  der  Größe  des  Besitzes  und  dem  Grade  der  Kapitahntensität  des  Betriebes  zwischen 
50  und  75  7*  <ics  Jahresaufwandes. 


Landwirthschafi  —     320  h     —  Landwirthsdiaft 

Uebertrag  312,60  Mül.  Fr. 

2)  Aus  dem  Gretreidebau :  3,5  Millionen  Kilozentner  Körner  k  Fr.  20  .  70,00      „      , 

3)  Aus  dem  Weinbau:  ri39,490  Hektoliter  ä  Fr.  40 46,58      ,.      ^ 

4)  Aus  dem  Kartoffelbau:  5  Millionen  Kilozentner  ä  Fr.  7      ....  35,00     „      „ 

5)  Ertrag  des  Obstbaues :  3,5  Millionen  Hektoliter  im  Durchschnitt  ä  Fr.  6  21,00      ,      , 

6)  Ertrag  an  Industriepflanzen  (Tabak,  Hanf,  Flachs  und  Hopfen  etc.), 

aus    der  Geflügel-  und   Bienenzucht,   Erlös  für  Weidepachl  von 

fremden  Heerden  etc 20,00      „      , 

Summa    506,18      „      , 
Diese  Zifl^er   stimmt   allerdings   nahezu    überein  mit  dem  Ergebnisse  obiger 
Berechnung  der  Produktionskosten. 

3)  Gesammt-Einkommen  aus  dem  Betriebe  der  Landwirthschaft. 

Um  eine  Vorstellung  von  der  Größe  des  Brutto -Einkommens  der  Land- 
wirthschaft des  Landes  zu  gewinnen,  ist  es  zweckmäßig,  von  der  Berechnung 
des  Werthes  der  jährlichen  Produktion  und  des  Betriebsaufwandes  auszugehen. 
Geeignete  Anhaltepunkte  hierfür  geben  aber  die  bereits  vorgeführten  Zahlen. 

Der  Werth  des  gesammten  4äbreserzeugnisses  beträgt  im  Durchschnitt    500,00  Mill.  Fr. 
Von  diesem  Werthe  kehren  in  die  Hände  des  Unternelmiers  zurück : 

1)  Der  Ertrag  des  Grundkapitales  (Grund-  und  bezw.  Pachtrente)   .     .     119,59      ,      „ 

2)  Der  Zinsertrag  von  dem  in  dem  Inventar  angelegten  Kapitale    .     .      36,37      „      , 

3)  Der  Ertrag  von  der  ünternehmerarbeit,  ausgedmckt  in  den  je  ein- 

maligen direkten  Aufwendungen  bezw.  den  laufenden  Betriebs- 
spesen =  333,41  Mill.  Fr.,  abzüglich  derjenigen  Posten,  welche  an 
Dritte  vergütet  werden  müssen  =  rund  100  Millionen.  Es  bleiben 
sonach 233,41      „      , 

4)  Der  Zinsertrag  von  dem  in  Material  und  Mietharbeit  verwendeten 

Kapitale ' 8,00      „      , 

Summa  397,37  ,  , 
oder  rund :  400  Millionen  Franken.  Nimmt  man  nun  an  der  Hand  der  jüngsten 
Ermittlungen  258,639  Vieh  besitzende  und  Landwirthschaft  treibende  Haus- 
haltungen an,  so  beträgt  jenes  Brutto-Einkommen  im  Durchschnitt  für  jede 
landwirthschaftliche  Betriebsstelle  —  allerdings  ohne  Anrechnung  der  nicht  un- 
bedeutenden Nebenverdienste  —  etwa  Fr.  1600.  Um  aber  das  Beineinkommen 
aus  dem  landwirthschaftlichen  Betriebe  darzustellen,  müßte  diese  Summe  noch  um 
die  Zinsen  der  auf  dem  Betriebsvermögen  lastenden  Schulden  vermindert  werden. 
Zu  einer  Berechnung  des  Antheils  der  Passiven  im  Ganzen  fehlen  aber  zur  Zeit 
noch  alle  Anhaltepunkte.  Ueberträgt  man  jene  Zahl  auf  die  durchschnittlich  auf 
eine  landwirthschaftliche  Betriebsstelle  entfallende  Fläche  von  8  (genauer:  8,423) 
Hektare  (Seite  269),  so  trifft  auf  jede  Hektare  ein  Brutto-Einkommen  von  Fr.  190, 
und  eine  Grundrente  von  Fr.  54.  90,  welche  bei  einem  Zinsfuße  von  3,5  *^/o 
einem  Kapitalwerthe  der  Liegenschaften  von  im  Mittel  Fr.  1563  per  Hektare  und 
im  Ganzen  der  Summe  von  nahezu  wiederum  3417  Millionen  Franken  entspricht. 

*  *  * 

Schlußwort. 

In  voriiej-'euHer  Arbeit  haben  wir  versucht,  in  einitren  grolien  Zügen  ein  BUd  der 
schweizerischen  Landwirthschaft  zu  entwerfen.  Seliistverständlich  iconnte  es  sich  dabei 
niciit  danun  lumdeln,  eine  vollständifre  Besclireibunij:  <lerselben  zu  liefern  und  demgemäU 
auch  auf  «lie  Teciinik  des  Betriebes  im  Einzelnen  einzuziehen.  Eine  solche  Behandlung 
des  StoH'es  erscliien  unttiunlicli,  nicht  sowolil,  weil  sie  einen  unverhältnißmäßig  großen 
Raum  in  Anspruch  jjrenoninien  haben  würde,  als  vielnielir,  weil  jene  Details  schon  in 
zahheiclien  Spezialahhandlunjjren  eine  einläLUiche  Bearbeitunjj:  gefunden  haben.  Somit 
verblieb  uns    nur  die  Aufgrabe  einer   zusammenlassenden   Darstellung   der   allgemeinen 


Landwirth^chaft  —     320  /     —  Landwiithscliaft 

Grundlagen,  der  Ziele  und  Einrichtungen  der  schweizerischen  Landwirthsdiafl  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  des  volkswirlhschaftlichen  Gesichtspunktes  und  der  Beziehungen 
des  Landbau's  zur  gesammten  Erwerbsthätigkeit.  Dabei  schwebte  uns  der  Gedanke  Tor, 
die  Erörterung  so  zu  führen,  da(i  auch  der  diesem  Gebiete  sonst  ferner  stehende  Leser 
in  den  Stand  gesetzt  werde,  eine  klare  Vorstellung  von  dem  landwirthschaftlichen  Be- 
triebsleben des  Landes  und  von  den  allgemeinen  und  großen  Prinzipien  zu  gewinnen, 
welche  dasselbe  durchwehen.  Der  Versuch  hatte  mit  mancherlei  Schwierigkeiten  zu 
kämpfen,  weil  es  ihm,  wie  bereits  mehrfach  hervorgeheben  wurde,  an  ausreichenden 
Erhebungen  über  die  thatsäclüichen  Zustände  gebrach.  Wir  sind  uns  daher  der  Lücken 
und  Mängel  der  Abhandlung  wold  bewußt.  Wie  immer  aber  auch  das  Ergebniß  be- 
trachtet werden  möge,  so  erhoffen  wir  doch,  bei  dem  Leser  wenigstens  den  Eindruck 
hervorgerufen  zu  haben,  daß  wir  es  uns  angelegen  sein  ließen,  die  Wahrheit  zu  er- 
forschen. 

Am  Schlüsse  der  Darstellung  angelangt,  erübrigt  uns  nur  noch  der  Ausdruck  des 
Wunsches,  daß  sich  einer  späteren  Neubearbeitung  der  Aufgabe  ergiebigere  Anknüpfungs- 
darbieten, und  daß  die  weiteren  Forschungen  auf  diesem  Grebiete  in  der  Lage  sein 
möchten,  nachhaltig  steigende  Erfolge  hn  Betriebe  der  schweizerischen  Landwirthschafl 
zu  verzeiclmen. 

HC  Ht  * 

Staatliche  Förderung  der  Landwirthschaft. 
(Mitgetheilt,    wie  auch  die  folgenden  Abschnitte,    von  Herrn  Habegger  auf  dem 

eidg.  Landwirthschafks-Departement.) 

In  die  staatliche  Förderung  der  Landwirthschaft  theilen  sich  der  Bund  und 
die  Kantone.  Sie  findet  hauptsächlich  statt  durch  das  Mittel  der  Gesetzgebung,  der 
Subventionen  und  der  Schulen. 

A,  Gesetzgebung.  1)  Des  Bundes:  W^enn  man  von  den  Maßnahmen 
des  Bundes  und  den  Vereinigungen  mehrerer  Kantone  (Konkordate)  gegen  Vieh- 
seuchen (siehe  das  Kapitel  „Viehseuchen"*')  absieht,  so  dürfte  als  erstes  auf  die 
Landwirthschaft  bezugnehmendes  Gesetz  das  Bundesgesetz  betreffend  die  Vornahme 
einer  schweizerischen  Viehzählung ^  vom  18.  Heumonat  t865.  zu  betrachten  sein. 
Durch  dasselbe  wurde  angeordnet,  daß,  im  Jahre  1866  beginnend,  jedes  zehnte 
Jahr  eine  allgemeine  Viehzählung  stattzufinden  habe. 

Am  22.  Heumonat  1868  wurde  der  Bandesbeschluß  betreffend  die  Hebung 
der  schweizerischen  Pferdezucht  erlassen,  mit  welchem  ein  Kredit  bis  auf 
Fr.  60,000  bewilligt  wird,  um  damit  die  Differenz  zwischen  Ankaufs-  und 
Verkaufskosten  von  zu  importirenden  englischen  Halbblut-Zuchtpferden  zu  decken. 

Am  23.  Christraonat  1869  folgte  das  Bundesgesetz  betreffend  Erweiterung 
der  Forstschule  des  eidgenössischen  Poli/technikums  zu  einer  land-  und  forst- 
wirthschafllichen  Schule^  welches  der  Schweiz  den  höheren  landwirthschaftlichen 
Unterricht  brachte. 

Durch  das  Bundesgesetz  betreffetid  die  Organisation  des  Handels-  und 
LandwirthschaftS'DepartementeSy  vom  27.  Brachmonat  1881,  wurde  in  diesem 
Departement  eine  besondere  Sektion  für  Landwirthschaft  gegründet.  Dieses  Gesetz 
wurde  durch  das  gleichnamige  Bundesgesetz  vom  21.  April  1883  dahin  abgeändert, 
daß  statt  der  „Sektion"  (mit  einem  Adjunkten  des  Departementsseki-etärs  an  der 
Spitze)  eine  besondere  Abtheilung  Landwirthschafl  geschaffen  wurde,  mit  einem 
Abtheilungschef,  einem  Sekretär,  einem  Uebersctzer,  einem  Kegistrator  und  der 
nöthigen  Anzahl  Kanzlisten. 

Am  27.  Jnni  1884  erließ  die  Bundesversammlung  den  Bundesbeschluß 
betreffend  die  Förderung  der  Landwirthschaft  durch  den  Bund.  Da  derselbe 
das  grundlegende  Gesetz  für  die  gegenwärtig  zu  Gunsten  der  Landwirthschaft 
getroffenen  und  vorbereiteten  Maßnahmen  ist,  lassen  wir  ihn  in  extenso  folgen 
(A.  S.  n.  F.  VII,  pag.  605) : 


Landwirthschaft  —     320  ifc     —  Lamlwirthst'hafl 

Bumlesbesckluß  oam  27.  Juni  1884  betreffend  die  Fördern f ig  der  Land- 

wirthschaft  durch  den  Bund, 

Art.  1.  Zur  Förderung  der  Landwirthschaft  wird  der  Bund  die  in  nachfolgenden 
Artikeln  aufgeführten  Maßnahmen  trefTen  und  Ton  den  Kantonen  oder  landwirthschatl- 
lichen  Vereinen  in's  Leben  gerufene  Institutionen  und  Vorkehrungen  unterstützen. 

A.  Landwirthschaftliches  Unterrichtswesen  und  Verstichsanstalten.  Art.  2.  Der 
Bundesrath  ist  ermächtigt,  Sctiülern,  welche  sich  als  Landwirthschaftslebrer  oder  Kultur- 
techniker ausbilden  wollen,  unter  folgenden  Bedingungen  Stipendien  bis  zum  Betrage 
von  je  Fr.  400  per  Jahr  zu  ertheilen:  n.  Dieselben  müssen  sich  mindestens  ein  Jahr 
mit  praktischer  Landwirthschaft  I)efaßt  haben,  b.  Die  Kantone,  denen  sie  angehören, 
müssen  ein  Stipendium  von  demselben  Betrage  wie  das  eidgenössische  gewähren,  c.  Die 
Stipendiumgenössigen  haben  sich  zu  verpflichten,  nach  Ablauf  ihrer  Stipendienzeit 
während  sechs  Jahren  ihre  Thätigkeit  der  schweizerischen  Landwirthschaft  zu  widmen. 

Wer  ohne  hinreichende,  vom  Bundesrathe  zu  würdigende  Gründe  dieser  Ver- 
pflichtung nicht  nachkommt,  ist  gehalten,  die  genossenen  Stipendien  zurückzuerstatten. 

—  Der  Bundesrath  kann  auch  Reisestipendien  für  landwirthschaflliche  Studien  und 
Untersuchungen  ertheilen.  —  Er  wird  die  besonderen  Vorschriften  betreffend  die  Aas- 
richtung der  in  diesem  Artikel  überhaupt  bezeichneten  Stipendien  erlassen. 

Art.  3.  Kantonen,  welche  theoretisch-praktische  Ackerbauschulen  und  landwirth- 
schaflliche Sommer-  oder  Winterkurse  eingerichtet  haben  oder  einzurichten  gedenken 
und  dem  Bundesrathe  das  bezügliche  Scliulprogramm  zur  Genehmigung  vorlegen,  kann, 
in  der  Voraussetzung,  daß  Schüler  aus  allen  Kantonen  unter  den  gleichen  Bedingungen 
Aufnahme  in  die  Schule  finden,  eine  regelmäßige  jährliche  Subvention  verabfolgt  werden. 

—  Unter  Bedingungen,  die  der  Bundesrath  aufstellen  wird,  können  auch  solche  Kantone 
Unterstützungen  erhalten,  die  landwirthschaftliche  Wandervorträge  und  Spezialkurse 
abhalten  lassen. 

Art.  i.  Der  Bund  kann  je  nach  Bedürfniß  die  Errichtung  und  den  Betrieb  von 
Milchversuchsstationen,  Musterkäsereien,  Obst-  und  Weinbau-Versuchsstationen,  sowie 
weitere  landwirthschaflliche  Unlersuchungsstationen  Subvention iren.  Der  Bundesrath  i>t 
ermächtigt,  mit  den  Kantonen,  welche  solche  Stationen  errichten  wollen,  in  Unter- 
handlungen zu  treten,  und  wird,  falls  dieselben  einen  befriedigenden  Al)schluß  finden, 
die  zu  einer  Betheiligung  des  Bundes  an  der  Gmndung  und  dem  Betrieb  der  erwähnten 
Anstalten  erforderlichen  Summen  anläßlich  der  Budgetvorlage  verlangen. 

B.  Fiprderung  der  Thierzucht.  Art.  5.  In  das  eidgenössische  Budget  wird  all- 
jährlich ein  Posten  zur  Hebung  und  Verbesserung  der  Hindviehzucht  von  mindestens 
Fr.  1<M),0(K)  aufgenommen  werden.  Derselbe  soll  hauptsächlich  zur  Förderung  einer  ge- 
ordneten Zuchtstierhaltung  in  den  Kantonen,  ausnahmsweise  auch  zur  Unterstützung 
einer  schweizerischen  Betheiligung  an  ausländischen  Hindviehausstellungen  verwendet 
werden.  Der  Bundesrath  wird  die  Bedingungen  feststellen,  unter  denen  die  Unter- 
stützungen aus  dem  genannten  Kredite  verabfolgt  werden. 

Art.  6.  In  das  eidgenössische  Budget  wird  alljährlich  ein  Posten  von  mindestens 
Fr.  t»0,()<K)  zur  Hebung  und  Verbesserung  der  Pferdezucht  aufgenommen  werden.  Der- 
selbe soll  folgende  Verwendung  finden:  a.  zum  Ankaufe  von  fremden  und  allfällig  in 
der  Schweiz  gefallenen  Zuchthengsten,  wenn  letztere  nachweisbar  in  Abstammung  und 
Qualität  resp.  Race  den  importirten  nicht  nachstehen ;  b.  zur  Prämirung  von  Stutfohlen 
und  von  Zuchtsluten,  deren  Abkunft  von  mit  Bundessubvention  unterstützten  Zucht- 
hengsten nachgewiesen  wird :  c.  zur  Erhöhung  von  Prämien,  welche  an  den  von  Kan- 
tonen oder  Pferdezuchtvereinen  angeordneten  Pferde-Ausstellungen  zur  Vertheilung 
kommen;  d.  zur  Unterstützung  solcher  Pferdezuchtvereine,  Genossenschaften  oder  Kan- 
tone, welche  passende  Fohlonweiden  besitzen. 

[)i'V  Hun«lesrath  wird  die  Bedingungen  feststellen,  unter  denen  die  Unterstützungen 
aus  obigem  Kredite  verabfolgt  werden. 

C.  Verhi'sscruny  dts  Bodens.  Art.  7.  Der  Bundesrath  ist  ermächtigt,  Unter- 
nelniiung(ui,  welche  eine  Verbesserung  des  Hodens  oder  die  Erleichterung  seiner  Be- 
nutzung zum  Zwecke  haben,  unter  folgenden  Hedin^'ungen  zu  unterstützen:  a.  Unter- 
stützungsbegehren müssen  stets  vor  Inangrilfnahme  der  Arbeiten  mit  den  nöthigen 
Angaben  über  die  BeschalTcidieit  und  Wichtigkeit,  über  die  Kosten  der  auszuführenden 
.Arbeiten,  sowie  mit  den  technischen  Vorla^'en  versehen,  von  der  Kantonsregierung  dem 
Hinulesratli  ein;rereicht  werden,  b.  Der  Beitrag  des  Kantons  oder  der  Gemeinde  oder 
der  Korporation  niuli  iiiiiulestens  eben  so  hoch  sein,  als  der  des  Bundes,  welcher  40  "  o 
«ler  (iesimnitko-iten  (exklusive  riiterhaltungskosteni  nichl   uliersteigen  darf.    c.    Es  muß 


Landwirthschafl  —      320  /      —  Landwirthschaft 

die  kantonale  Verwaltung'  in  jedem  einzelnen  Falle  die  bestimmte  Verpflichtung  über- 
nehmen, die  ausgeführten  Verbesserungsarbeiten  gut  zu  unterhalten ;  doch  steht  der- 
selben der  Rückgriff  auf  die  betheiligten  Gemeinden,  Korporationen  oder  Privaten  zu. 
d.  Die  Ausbezahlung  des  Bundesbeitrages  erfolgt  in  der  Regel,  nachdem  die  Arbeiten 
ausgeführt  und  von  der  Oberaufsichtsbehörde  untersucht  worden  sind. 

Art.  8.  Der  Bundesrath  setzt  alljährlich  die  Beiträge  an  die  Kantone  nach  Mai^ 
gäbe  der  im  eidg.  Budget  bewilligten  Summen  fest. 

Art.  9.  Der  Bundesrath  kann  das  zur  Prüfung  der  Unterstützungsbegehren  und 
zur  Ausübung  der  Oberaufsicht  erforderliche  technische  Personal  je  nach  Bedürfhiß 
beiziehen. 

D.  Maßnahwien  gegen  Schäden,  welche  die  landwirthsdiaftliche  Produktton  be- 
drohen. Art.  10.  Der  Bundesrath  ist  ermächtigt,  eine  gehörige  Ueberwachung  der  Wein- 
berge, sowie  die  erforderlichen  Schutzmaßregeln  gegen  die  Verbreitung  der  Reblaus 
und  anderer  Schädlinge  anzuordnen,  die  Einfuhr,  Zirkulation  und  Ausfuhr  von  Pflanzen, 
Stoffen  und  Produkten,  welche  Träger  der  Reblaus  oder  eines  analeren  die  Landwirth- 
schaft bedrohenden  Schädlings  sein  können,  zu  verbieten  und  Strafbestimmungen  auf- 
zustellen, welche  für  Uebertretungen  dieses  Verbotes  Bußen  bis  zum  Betrage  von  1000 
Franken  vorsehen.  —  Der  Bund  kann  denjenigen  Kantonen,  welche  zur  Bekämpfung 
von  Schädlingen  und  Krankheiten  der  landwirthschaftlichen  Kulturen  Maßregeln  ergreifen, 
Unterstützungen  bis  zum  Betrage  von  40%  der  von  ihnen  geraachten  Ausgaben  zu- 
kommen lassen.  -  -  Die  zur  Ausrichtung  dieser  Entschädigungen  erforderlichen  Summen 
sollen  alljährlich  auf  dem  Budgetwege  verlangt  werden.  —  Der  Bundesrath  wird  die 
Bedingungen  feststellen,  unter  denen  Entschädigungen  beansprucht  werden  können. 

E,  Landirirthschaftliche  Vereine  und  Genossenschaften.  Art.  11.  Dem  schweize- 
rischen alpwirthschafUichen  Verein  können  alljährlich  Subventionen  bewilligt  werden, 
und  zwar  namentlich  folgende :  a.  für  die  Erhaltung  und  Weiterentwicklung  der  Milch- 
versuchsstation:  b.  für  Prämirung  ausgezeichneter  Alpwirthschaflen :  c.  für  alpwirth- 
schaflliche  Wandervorträge  und  Käsereikurse. 

Art.  12.  Den  schweizerischen  landwirthschaftlichen  Hauptvereinen,  beziehungswei^je 
Genossenschaften  können  alljährlich  Subventionen  bewilligt  werden,  und  zwar  namentlch 
folgende:  a.  für  die  Abhaltung  von  Wandervorträgen  und  Spezialkursen ;  b.  für  Er- 
stellung und  Verbreitung  landwirthschaftlicher  Fachschriften;  c.  für  Förderung  des 
Pflanzenbaues  und  Hebung  der  Klein  Viehzucht. 

Art.  13.  Für  diese  und  andere  Zwecke  können  den  landwirthscliafllichen  Vereinen, 
beziehungsweise  Genossenschaffen  die  Subventionen  unter  folgenden  Bedingungen  be- 
willigt  werden:  1)  Die  gehörig  zu  motivirenden  Subventionsbegehren  müssen,  um  in 
dem  Budget  eines  Jahres  Berücksichtigung  finden  zu  können,  vor  dem  15.  August  des 
vorhergehenden  Jahres  eingereicht  sein.  2)  Den  Begehren  muß  ein  genaues  Programm 
beigegeben  werden,  aus  welchem  in  klarer  Weise  die  Natur  des  Unternehmens,  für  das 
eine  Subvention  verlangt  wird,  der  Voranschlag  der  Gesammtkosten  der  Durchführung 
desselben  und  die  Art  und  Weise  der  Verwendung  der  Subvention  entnommen  werden 
können.  3)  Die  Bundesbeiträge  dürfen  nicht  zur  Erzielung  eines  Privatnutzens  dienen. 
4)  Die  Ausbezahlung  der  Subvention  erfolgt  nur  gegen  Vorweis  der  Rechnungsbelej^e 
und  Erstattung  eines  Berichts  über  das  Unternehmen. 

Art.  14.  Für  Unternehmen,  die  nur  durch  da««  Mitwirken  kantonaler  Behörden  in 
zweckentsprechender,  gedeihlicher  Weise  durchzuführen  sind,  soll  die  Subsidie  den 
betreffenden  Kantonen  ausgehändigt  werden.  -  Der  Bundesrath  wird  dafür  sorgen, 
daß  bei  der  Verwendung  der  den  landwirthschaftlichen  Vereinen  gewährten  Subventionen 
der  landwirtbschaffliche  Kleinbetrieb  besondere  Berücksichtigung  finde. 

Art.  15.  Den  landwirthschaftlichen  Hauptvereinen  kann  der  Bundesrath  für  Arbeiten, 
welche  sie  in  seinem  Auttrage  ausgeführt  haben,  besondere  Entschädigungen  gewähren. 

I^\  Anderweitige  Förderung  der  Landwirthschaft.  Art.  16.  Der  Bund  unterstützt 
allgemeine  landwirtlischaftliche  Ausstellungen,  welche  nicht  nfler  als  von  vier  zu  vier 
Jahren  abwechselnd  in  der  östlichen,  mittleren  und  westlichen  Schweiz  stattfinden 
sollen.  —  Die  Unterstützung'  des  Bundes  darf  nur  zu  Prämien  verwendet  werden.  Das 
Ausstellungsprogramm,  die  Wahl  der  Jury,  sowie  das  Juryregiement  unterliegen  der 
Genehmigung  des  Bundesrathes.  Die  Organisation  der  Aussteilungen  ist  Sache  der  land- 
wirthschaftlichen Vereine  und  der  Kantone.  —  Für  allgemein  schweizerische  oder  inter- 
kantonale Spezialausstellungen  können  ausnahmsweise  ebenfalls  Suhventir>nen  bewilli^^t 
werden,  vorausgesetzt,  daß  dieselben  nicht  in  einem  Jahre  abgehalten  werden,  in  welchem 
eine  allgemeine  landwirthschaftliche  Ausstellung  stattündet. 


Landwirthschaft  —     320^1     —  Landwirthschaft 

Art.  17.  DerJBundesrath  wird  für  den  weiteren  Ausbau  der  landwirtbschaftlichen 
Statistik  die  geeigneten  Maßnahmen  treffen.  Ueber  die  Natur  und  den  Umfang  der  zu 
machenden  Ernebungen,  sowie  über  die  Kosten  derselben,  wird  er  jeweilen  besondere 
Vorlagen  einbringen. 

G,  Allgemeine  und  Schlußbestimmungen.  Art.  18.  Der  Bundesrath  wird  darüber 
wachen,  daß  die  Opfer  des  Bundes  nicht  eine  Verminderung  der  bisherigen  Leistungen 
der  Kantone  und  landwirthschafUichen  Vereine  zu  Gunsten  der  Landwirthschaft  zur 
Folge  haben,  sondern  ausschließlich  dazu  dienen,  die  in  gegenwärtigem  Beschlüsse 
namhaft  gemachten  Institutionen  und  Maßregeln  zu  f5rdern  und  zu  vervollkommnen. 

Art.  19.  Die  Bundesbeschlüsse  vom  15.  Juni  1877  (Amtl.  Samml.  III,  102)  und 
21.  Februar  1878  (III,  337),  betreffend  Maßregeln  gegen  die  Reblaus,  sowie  der  Bundes- 
beschluß vom  28.  Juni  1881  (V,  437),  betreffend  die  Verwendung  des  Pferdezuchtkredites, 
sind  aufgehoben. 

Li  Ausführung  dieses  Bundesbeschlusses  wurde  am  20.  März  1885  vom 
Bundesrath  eine  Volleiehunffsverordnung  erlassen,  welche  das  landwirthschaftliche 
Unterrichtswesen,  die  Verbesserung  des  Bodens  und  die  landwirthschaftlichen 
Vereine  und  Genossenschaften  beschlägt  (s.  Seite  277/280  im  I.  Band).  Am 
23.  März  1887  folgte  die  Verordnung  betreffend  die  Hebung  der  Pferdezucht 
durch  den  Band,  Der  Wortlaut  derselben  ist  unter  dem  Kapitel  „Pferdezucht" 
mitgetheilt. 

Die  Maßnahmen  zu  Gunsten  der  Rindviehzucht  werden  alljährlich  durch  ein 
Kreisschreiben  des  schweizerischen  Landwirthschafts-Departementes  den  Kantonen 
mitgetheilt,  bis  eine  Uebereinstimmung  in  den  bezüglichen  Anschauungen  so  weit 
erzielt  sein  wird,  um  ebenfalls  eine  eidgenössische  Verordnung  erlassen  zu  können 
(vide   „Viehzucht**). 

Unter  den  legislatorischen  Maßnahmen  muß  endlich  noch  erwähnt  werden 
die  Internationale  Phylloxera-Uebereinkunfl  vom  3.  November  1881  zwischen 
den  Yertragsstaaten  Belgien,  Deutschland,  Frankreich,  Luxemburg,  den  Nieder- 
landen, Oesterreich-Ungarn,  Portugal,  der  Schweiz,  Serbien  und  Italien,  zu  welcher 
das  YolUichungsreglement  betreffend  Vorkehrungen  gegen  die  Reblaus ^  vom 
29.  Januar  1886,  erlassen  wurde  (vide   „Reblaus**). 

2)  Der  Kantone:  Gesetzliche  Bestimmungen  betreffend  die  Flurpolizei 
bestehen  in  den  Kantonen  Zürich,  Bern,  Luzern,  Freiburg,  Solothurn,  Baselstadt, 
Schaff  hausen.  Appenzell  A.-Rh.,  St.  Gallen,  Aargau,  Thurgau,  Tessin,  Waadt, 
'  Wallis,  Neuenburg  und  Genf. 

Gesetze  und  Verordnungen  zur  Hebung  der  Viehzucht  sind  von  sämmt- 
lichen  Kantonen  erlassen  worden,  mit  Ausnahme  von  Zug,  Baselstadt  und  Appen- 
zell I..Rh. 

Anderweitige,  die  Förderung  der  Landwirthschaft  im  Allge- 
meinen betreffende  F.rlasse  haben  die  Kantone  Zürich,  Bern,  Luzern,  Zug, 
Solothurn,  Baselstadt,  Basellandschaft,  Schaffhausen,  St.  Gallen,  Aargau,  Tessio, 
Waadt,  Wallis,  Neuenburg  und  Genf. 

B.  Subventionen.  1)  Des  Bundes  Wie  aus  beiliegender  Tabelle  er- 
sichtlich, hat  der  Bund  von  1848  bis  Ende  1887  zu  Gunsten  der  Landwirthschaft 
etwas  über  2^2  Millionen  Franken  ausgeworfen.  Während  bis  1860  nur  Aus- 
stellungen bedacht  wurden,  kam  von  diesem  Jahre  an  ein  landwirthschaftlicher 
Zweig  um  den  andern  an  die  Reihe. 

'2)  Der  Kantone;  Pro  1888  haben  die  Kantone  insgesammt  rund  Fr.  570,000 
Subventionen  für  die  Landwirthschaft  budgetirt,  und  zwar:  Aargau  56,000, 
Appenzell  A.-Rh.  5600,  Appenzell  I.-Rh.  ?,  Baselland  8300,  Baselstadt  nichts, 
Bern  99,800,  Freiburg  42,400,  Genf  13,400,  Glarus  5700,  Graubünden  26,000, 


Tabelle  I  ad  Seite  320  m  des  Volks wirthschafts-Lexikons  der  Schweiz. 


Tl 


i 


Bezeichnung 


1860 


1861 


1.  Autttellungen,  landwirthschaftliche  (1851/59:  Fr.  134,564)     .    .     . 

a.  Im  Inlande  (1855/59:  Fr.  68,000) 

6.  Im  Auslande  (1851/59:  Fr.  66,564) 

2.  Viehseuchenpolizei 

a.  Verschiedenes 

b,  Entschädigungen  an  Kantone  für  Maßnahmen  gegen  Rinder- 

pest, Lungenseuche  etc 

c.  Impirersuche  (Rauschbrand,  Rothlauf  etc.) 

d,  Thierärztliche  Untersuchungen  an  der  Grenze 


Fr. 

5,100 

5,100 


Fr. 

20,00t 

90,00( 


J 


J 


r 


T»'^ 


)84 

1885 

1886 

1887 

Total 

1888 

1889 

1890 

Fr. 

Fr. 

Fr. 

Fr. 

Fr. 

Fr. 

Fr. 

Fr.         ' 



— 

— 

15,600 

1 



..- 

16,700 



— 

— 

48,500 

■ 

»,474 

30,228 

31,331 

25,540 

349,879 

• 

9,776 

1,687 

14,033 

7,359 

10,490 

46,095 

— 

505 

1,500 

3,500 

5,505 

— 

5,638 

4,873 

10,511 

161 

44,766 

45,828 

"44,403 

502,566 

,716 

189,577   259,239 

509,253 

r  023,763 

• 

,877 

284,848 

805,067 

558,656 

2526,329 

iscbaftliche  Ausstellung  in  Luzem  (Fr.  92,000). 

„   Zürich  (Fr.  89,017). 

„   Neuenburg  (Fr.  115,740). 
landen  meistens  in  landwirthschaftlichen  Ausstellungen. 


Landwirtbschaft  —      320  n     —  Landwirthschaft 

Luzern  32,500,  Neuenbürg  21,500,  Nidwaiden  1800,  Obwalden  3000,  St.  Gallen 
62,000,  Scbaffhansen  5800,  Schwyz  8300,  Solothurn  11,800,  Tessin  10,000, 
Thurgan  30,200,  üri  2600,  Waadt  48,500,  Wallis  14,400,  Ztirich  58,500, 
Zug  ?. 

In  diesen  Beträgen  sind  die  Ausgaben  für  Forstwesen,  Wildbacb verbauungen 
u.  8.  w.,  sowie  die  Bundesbeiträge  an  die  Kantone,  nicht  inbegriffen. 

Addirt  mau  zu  den  Fr.  570,000  der  Kantone  noch  die  vom  Bunde  pro  1888 
für  die  Landwirthschaft  budgetirten  Fr.  631,000,  so  ergibt  sich  eine  gesammte 
staatliche  iinanzielle  Unterstützung  der  Landwirthschaft  von  Fr.  1 '200,000. 


C.  Schulen:  Zu  den  bereits  genannten  landwirthschaftliohen  Lehranstalten 
(s.  I.  Band,  Seite  275)  sind  seit  dem  Jahre  1885  unter  dem  Einflüsse  des  Bundes- 
beschlusses betreffend  die  Förderung  der  Landwirthschaft  durch  den  Bund,  vom 
27.  Juni  1884,  die  folgenden  Anstalten  bis  1888  neu  hinzugekommen: 

1)  Zu  den  theoretisch-praktischen  Ackerbauschulen: 

Die  landwirthschaftliche  Schule  des  Kantons  Neuenburg  in  Cernier.  Die 
Schule,  welche  Ende  des  Jahres  1884  von  zwölf  Gemeinden  des  Yal-de-Ruz 
gegründet  wurde,  ist  im  Jahre  1887  in  eine  kantonale  Anstalt  umgewandelt 
worden.  Sie  wurde  im  genannten  Jahre  von  28  Schülern  besucht,  welche  Zahl 
zugleich  das  Maximum  darstellt,  bis  zu  welchem  Aufnahmen  in  die  Anstalt  statt- 
finden. Der  Bund  verabfolgt  an  die  Kosten  der  Schule  einen  jährlichen  Beitrag 
von  der  Hälfte  der  Auslagen,  welche  für  Lehrkräfte  und  Lehrmittel  gemacht 
werden. 

2)  Zu  den  theoretischen  landwirthschaft  liehen  Schulen: 

a.  Die  landwirthschaftliche  Winterschule  des  Kantons  Luzern  in  Sursee.    Sie 
wurde  im  Jahre  1885  eröffnet.  Konviktsystem.  Frequenz  im  Winter  1887/88 
42  Schüler. 
6.  Die  landwirthschaftliche  Winterschule  des  Kantons  Zug  in  Zug.    Ebenfalls 
im  Jahre  1885    eröffnet,    ohne  Konvikt,    wurde  die  Anstalt  wegen  wenig 
zahlreichen  Besuchs  aus  dem  Kanton  im  Jahre  1887  aufgehoben. 
c.  Die    landwirthschaftliche   Winterschule    des    Kantons    Aargau    in    Brugg. 
Konviktsystem.    Die  Schule  zählte  im  ersten  Jahre  ihres  Bestehens  (1887) 
18  Schüler. 
Alle   diese  Winterschulen   sind   zweikursig,    d.  h.    der  Unterricht  vertheilt 
sich    auf  zwei  Wintersemester.    Auch   die  Winterschule   des  Kantons  Waadt  in 
Lausanne  (s.  L  Band,  Seite  276)  ist  seit  dem  Jahre  1887  eine  zweikursige  Schule. 
An  die  Kosten  der  seit  dem  Jahre  1885  entstandenen  Winterschulen  wurden 
bis  zum  Jahre  1888  Bundesbeiträge  in  der  Höhe  eines  Dritttheils  der  für  Lehr- 
kräfte   und  Lehrmittel   gemachten  Auslagen   gewährt.     Seit   1888    betragen    die 
Bundesbeiträge  die  Hälfte  dieser  Auslagen. 

3)  Molkereischulen: 

a.  Molkereischule  des  Kantons  St.  Gallen  in  Sornthal. 

b.  Molkereischule  des  Kautons  Bern  auf  der  Rütti  bei  Zollikofen. 

Die  erste  dieser  Schulen  ist  im  Jahre  1886,  die  zweite  im  Jahre  1887 
eröffnet  worden.  An  beiden  Schulen  bestehen  halbjährige  Kurse,  in  welchen  an- 
gehenden Käsern  und  Käserei-Literessenten  theoretischer  und  praktischer  Unter- 
richt im  Molkereiwesen  ertheilt  wird. 

Die  Einrichtung  einer  Molkereischule  des  Kantons  Freiburg  in  Treyvaux 
ist  in  Aussicht  genommen. 


Landwirthschaft  —     320  o     —  Landwirthschaft 

Diese  Anstalten  werden  vom  Bunde  in  gleicher  Weise  snbventionirt  wie 
die  landwii*thschaftiichen  Winterschulen. 

4)  An  dieser  Stelle  ist  auch  die  Errichtung  einer  Gartenbauschale  in 
Genf  zu  erwähnen,  welches  Institut  im  Jahre  1887  aus  Privatinitiative  hervor- 
gegangen ist  und  von  Direktor  E.  Vaucher  in  Genf  geleitet  wird.  Das  Schul- 
programm sieht  theoretischen  und  praktischen  Unterricht  vor,  welcher  sich  über 
zwei  Jahreskurse  erstreckt.  Die  Anstalt  steht  unter  der  Aufsicht  des  Kantons 
Genf  und  wird  von  den  Kantonen  Freiburg,  Waadt,  Wallis,  Neuenburg  und  Genf 
mit  jährlichen  Beiträgen  unterstützt.  Der  Bund  tibernimmt  die  Hälfte  der  für 
Lehrkräfte  und  Lehrmittel  gemachten  Auslagen. 

5)  Die  landwirthscha^tliche  Abtheilung  des  eidgenössischen 
Polytechnikums  in  ZUrich  hat  durch  den  Bundesbeschluß  vom  25.  Juni 
1886  eine  Erweiterung  erfahren.  Zufolge  diesem  Beschlüsse  werden  am  Poly- 
technikum Spezialkurse  für  die  Bildung  von  Kulturtechnikern  und  von  Land- 
wirthschaftslehrern  eingerichtet.  Zu  diesem  Zwecke,  sowie  zum  Betriebe  eines 
Versuchsfeldes  für  Obstbaumzucht  und  für  Rebbau,  in  Verbindung  mit  der  ge- 
nannten Abtheilung,  ist  das  jeweilige  Jahresbudget  der  polytechnischen  Schule 
um  den  Betrag  von  jährlich  Fr.  17,000  erhöht  worden. 

Landwirthschaft  liehe  Vereine. 

Der  älteste  Verein  zur  Förderung  der  Landwirthschaft  in  der  Schweiz  ist 
die  ^Oekonomische  Gesellschaft  des  Kantons  Bern**,  gegründet  im 
Jahre  1759.  Es  ist  ihr  in  diesem  Lexikon  ein  besonderes  Kapitel  gewidmet. 
Gegen  Ende  des  vorigen  und  gegen  Anfang  und  Mitte  dieses  Jahrhunderts  ent- 
standen sodann  in  der  deutschen  Schweiz  landwirthschaftliche  Kantonalvereine  in 
den  Kantonen  Zürich,  Solothurn,  Aargau,  Thurgau,  Basellandschaft,  St.  Gtillen, 
Graubünden,  Luzern  u.  s.  w. 

Unterm  9.  Oktober  1856  wurden  auf  Anregung  von  Aargau  hin  die  be- 
stehenden Kantonalvereine  vereinigt  unter  dem  Namen  „Verein  schweize- 
rischer Landwirthe".  Die  Zahl  der  Mitglieder  betrug  128  aus  den  Kantonen 
Zürich,  Bern,  Luzern,  Uri,  ünterwalden,  Zug,  Glarus,  Freiburg,  Basellandschaft, 
Schaff hauien,  Thurgau,  Aargau  und  Graubünden.  Ende  des  Jahres  1858  zählte 
der  Verein  eine  Mitgliedschaft  von  ca.  800  Landwirthen  aus  nahezu  sämmtlichen 
Kantonen. 

Im  Jahre  1858  (9.  Juli)  erfolgte  ferner  die  Gründung  eines  sog.  „Land- 
wirthschaft liehen  Bundes,  welcher  den  Zweck  hatte,  die  bestehenden 
Kantonal  vereine  zu  einem  schweizerischen  Zentral  verein  zu  sammeln.  Diesem 
Bunde  schlössen  sich  damals  die  kantonalen  landwirthschaftlichen  Vereine  von 
Zürich,  Thurgau  und  St.  Gallen  an;  später  auch  die  Oekonomische  Gesellschaft 
von  Bern.  Die  angestrebte  Vereinigung  mit  dem  „Verein  schweizerischer  Land- 
wirthe"   kam  nicht  zu  Stande. 

Infolge  Revision  der  Statuten  im  Juni  1859  wurde  die  Benennung  „Land- 
wirthschaftlicher  Bund**  aufgehoben  und  dem  Verein  der  Name  „  Schweize- 
rischer landwirthsc  haftlich  er  Zentralverein**   beigelegt. 

Am  2.  November  1863  kam  sodann  eine  Vereinigung  des  „Vereins  schwei- 
zerischer Landwirthe"  mit  dem  „Schweizerischen  landwirthschaftlichen  Zentral- 
verein unter  dem  Namen  „Schweizerischer  landwirthschaftlicher 
Verein"  zu  Stande.  Diesem  waren  beigetreten  14  Kantonal  vereine,  nämlich: 
Zürich,  Bern,  Luzern,  Schwyz,  ünterwalden,  Glarus,  Zug,  Solothurn,  Sohaffhausen, 
Aargau,  Thurgau,  St.  Gallen,  Graubündeu  und  Basellandschaft.    Im  Jahre   1864 


Landwirtbschaft  —     320  j9     ----  Landwirthschaft 

erfolgte  der  Eintritt  der  beiden  Fachvereine  ^Scbweizerischer  alpwirthschaftlicher 
Verein *"  (gegründet  am  25.  Januar  1863)  und  „ Schweizerischer  Obst-  and  Wein- 
banvereiu**  (gegründet  im  Jahre  1864).  Später  traten  noch  ein  die  Aarganische 
Weinbaugesellschaft  mit  mit  325  Mitgliedern  (1882),  die  Aarg^auische  Tabakbau- 
gesellschaft  mit  105  M.  (1882),  der  Obwaldner  Bauemverein  mit  120  M.  (1882), 
der  Schweizerische  Bienenzüchterverein  mit  483  M.,  die  Landwirthschaftiiche 
Gesellschaft  des  Kantons  Üri  mit  150  M.  (1884),  der  Bauernverein  von  Nid- 
walden  mit  61  M.  (1885)  und  im  Jahre  1887  der  Schweizerische  milchwirth- 
schaftliche  Verein  mit  742  M. 

Am  Schluß  des  Jahres  1887  zählte  der  Schweizerische  landwirthschaftiiche 
Verein  17  Kantonal-  und  6  Fachvereine  mit  einer  Mitgliederzahl  von  12,013, 
und  zwar: 

1)  Kautonalvereine:  Kantonaler  Verein  Zürich  mit  1600  Mitgliedern, 
Oekonomische  Gesellschaft  des  Kantons  Bern  mit  2360  M.,  Bauernverein  des 
Kantons  Luzem  mit  742  M.,  Uri  mit  400  M.,  Schwyz  mit  50  M.,  Obwalden 
mit  340  M.,  Nidwaiden  mit  67  M.,  Kantonaler  Verein  Glarus  mit  30  M.,  Zug 
mit  100  M.,  Solothurn  mit  845  M.,  Basellandschaft  mit  777  M.,  Schaff  hausen 
mit  48  M.,  Appenzell  mit  230  M.,  St.  Gallen  mit  600  M.,  Graubünden  mit 
60  M.,  Aargau  mit  890  M.,  Thurgau  mit  656;  Total  Mitgliederzahl  9795. 

2)  Fachvereine:  Schweiz,  alpwirthschaftlicher  Verein  mit  109  M., 
Schweiz.  Obst-  und  Weinbau  verein  mit  330  M.,  Schweiz.  Bienenzüchterverein 
mit  630  M.,  Aargauische  Weinbaugesellschaft  mit  320  M.,  Aargauische  Tabak- 
baugesellschaft mit  87  M.,  Schweiz,  milch wirthschaftlicher  Verein  mit  742  M. ; 
Total  Mitgliederzahl  2218. 

Im  Jahre  1881  wurde  von  Zürich  aus  die  Gründung  eines  auf  direkter 
Mitgliedschaft  beruhenden  Paralell Vereins  des  Schweiz,  landwirthschnftlichen 
Vereins  angeregt.  Am  3.  Februar  1882  kam  es  zu  einer  konstituirenden  Ver- 
sammlung, wobei  37  Landwirthe  durch  Namensunterschrift  ihren  Beitritt  zu  der 
Gesellschaft  schweizerischer  Landwirthe  erklärten.  Bis  Ende  1887 
ii>t  die  Mitgliederzahl  dieser  Gesellschaft  auf  184  angestiegen. 

Wie  in  der  deutschen  Schweiz,  so  bestanden  auch  in  den  romanischen 
Kantonen  kleinere  landwirthschaftiiche  Vereinigungen.  Der  einzige  landwirth- 
schaftiiche Verein,  welcher  seine  Thätigkeit  über  die  ganze  romanische  Schweiz 
ausdehnte,  war  die  ^Societe  d'agriculture  de  la  Suisse  romande*".  Dieselbe  wurde 
seit  dem  Jahre  1860  bis  zum  Jahre  1882  mit  Bundesbeiträgen  bedacht.  Eine 
Reorganisation  dieses  Vereins  fand  statt  am  21.  Juli  /  6.  Dezember  1881.  Es 
umfaßte  derselbe  nunmehr  im  Jahre  1882  unter  dem  Namen  ^Fediration  des 
Hocietes  d'agriculture  de  la  Suisse  romande^  die  landwirthschaftlichen  Vereine 
der  Kantone  Freiburg,  Waadt,  Wallis,  Neuenburg,  Genf  und  des  beniischen  Jura 
mit  einer  Mitgliederzahl  von  4 — 5000.  Ende  des  Jahres  1887  gehörten  der 
„Federation"    33  Sektionen  mit  zusammen  8107  M.  an. 

In  der  italienischen  Schweiz  resp.  im  Tessin  bestehen  landwirthschaft- 
iiche Vereine  seit  dem  Jahre  1861,  In  diesem  Jahre  wurde  ein  Gesetz  (28.  No- 
vember) erlassen,  das  den  Kanton  in  neun  landwirthschaftiiche  Vereinsbezirke 
eintheilt  und  jedem  Verein  auf  eingereichten  Bericht  hin  einen  Jahresbeitrag  von 
Fr.  100,  Total  Fr.  900,  zusichert.  Diese  neun  Sektionen  wurden  alsdann  successive 
gegründet  und  im  Jahre  1868  waren  alle  neun  Vereine  in  Thätigkeit,  ohne  jedoch 
einen  zentralen  Verband  zu  haben.  Im  Februar  1885  wurde  der  bis  dahin  be- 
standene „Consiglio  di  Agricoltura",  welcher  dem  kantonalen  Landwirthschafts- 
Departement  beigegeben  war  und  von  diesem  im  Bedürfnißfalle  einberufen  wurde 


Landwirthschaft  —     320  ^     —  LandwirUischaft 

aufgehoben  und  ein  kantonaler  landwirthschaftlicher  Verein  gegründet,  ans  den 
bereits  bestehenden  nenn  Sektionen,  welche  je  einen  Abgeordneten  in  den  kanto- 
nalen Vorstand  entsenden.  Der  kantonale  Vorstand  des  landwirthschaftlichen 
Vereins  besteht  demnach  aus  neun  Mitgliedern  und  einem  Sekretär.  Die  Mitglieder- 
zahl der  Vereine  war  anfänglich  sehr  klein,  weil  man  den  Zweck  der  landwirth- 
schaftlichen Vereine  nicht  kannte  und  namentlich,  weil  diese  durch  die  politischen 
Vereine  in  den  Hintergrund  gedrängt  wurden.  Am  31.  Dezember  1887  war 
der  Mitgliederbestand  der  tessinischen  landwirthschaftlichen  Vereine  folgender: 
1)  Circondario  Mendrisio  222  Mitglieder,  2)  C.  Lugano  161  M.,  3)  C  Malcantone 
(Agno  Breno)  96  M.,  4)  C.  Locarno  230  M.,  5)  C.  Vallemaggia  118  M., 
6)  C.  Bellinzona  42  M  ,  7)  C.  Biviera  (Biasca,  Giornico)  274  M.,  8)  C.  Leven- 
tina  283  M.,  9)  C.  Blenio  238  M.;  Total  der  tessinischen  Mitglieder  1664. 
Hiezu  kommen  noch  11  Ehren-  und  20  ausländische  Mitglieder.  Außer  den 
Bundesbeiträgen  bezieht  dieser  kantonale  landwirthschaftliohe  Verband  „Societä 
cantonale  di  agricoltura  e  selvicoltura**  vom  Kanton  Tessin  eine  jährliche  Unter- 
stützung von  Fr.  iiOOO,  aus  welcher  Snmme  das  Vereinsorgan  „  I/agricoltore 
ticinese**  mit  1700  Abonnenten  bezahlt  und  die  übrigen  Vereinsauslagen  bestritten 
werden.  Das  Vereinsorgan,  welches  jedem  Mitglied  gratis  zugestellt  wird,  kostet 
ca.  Fr.  2200. 

Von  den  bereits  erwähnten  Vereinen  sind  als  „Hauptvereine"  im  Sinne  von 
Art.  16  der  Vollziehungsverordnung  zum  Bundesbeschlnß  betreffend  die  Förderung 
der  Landwirthschaft  durch  den  Bund,  vom  20.  März  1885,  ')  anerkannt  worden : 
der  p Schweizerische  landwirthschaftliche  Verein**,  die  „F^diration  des  soci^tes 
d^agriculture  de  la  Suisse  romande"  und  die  „Societa  cantonale  di  agricoltura  e 
selvicoltura**. 

Ein  weiterer  landwirthschaftlicher  Hauptverein  ist  der  am  20.  April  1885 
auf  Anregung  der  „Society  d'horticulture  du  canton  de  Vaud"  gegründete 
„Schweizerische  Gartenbauverein'*.  Derselbe  zählte  Ende  1887  2010 
Mitglieder.  Er  theilt  sich  in  eine  deutsche  und  eine  romanische  Sektion,  welche 
aus  folgenden  Vereinen  gebildet  werden  : 

1)  Verband  deutsch -schweizerischer  Garten  bau  vereine:  Zürich,  Flora  mit 
105  Mitgliedern,  Zürich,  Gemiisebauverein  mit  17  M.,  Bern,  Kanton  mit  70  M., 
Bern,  Stadt  mit  27  M.,  Solothurn  mit  94  M.,  Aargau  mit  75  M.,  Schaffhausen 
mit  32  M.,  Winterthur  mit  16  M.,  Korschach  mit  34  M.,  Luzem  und  Urkantone 
mit  53  M.,  Basel  mit  52  M. ;  Total  575  M. 

2)  FMeration  des  societes  horticoles  de  la  Suisse  romande :  Soci^te  d^horti- 
culture  vaudoise  mit  3G1  M.,  Soci6t6  d'horticulture  helvetique  de  Q^neve  mit 
425  M.,  Society  d'horticulture  de  Geneve  mit  375  M.,  Societe  d'horticulture  de 
Fribourg  mit  80  M.,  Societe  d'horticulture  Chaux-de-Fonds  mit  73  M.,  Societe 
d'horticulture  de  Neuchatel  et  du  vignoble  mit  61  M.,  Societe  d'horticulture  du 
Val  de  Travers  mit  60  M.;  Total   1435  M. 

Landwirthschaftliche   Presse. 
23  Organe:   16  deutsche,  7  französische,   1   italienisches. 

Landwirthschaft liches  Versicherungswesen 
siehe   .,  Versicherungswesen  ** . 

*  Art.  16.  Das  schweizerische  Landwirthschafts-Departement  bezeichnet,  unter 
Vorbehalt  detinitiven  Entscheides  durch  den  Bundesrath,  diejenigen  Verbindungen,  welche 
als  Hauptvereine  zu  betrachten  sind.  Es  wird  dabei  die  Sprachverschiedenbeit,  die  Ziele 
und  den  Umfang  der  Wirksamkeit  der  betreffenden  Verbindungen  berücksichtigen.  (Siehe 
Amtliche  Sammlung,  Band  VllI,  Seite  47,  Kap.  III  C.  Landwirthschaftliche  Vereine  und 
Genossenschaften .) 


Lanjmau-Burgdorf  —     321      —  Lausanne-Echallens 

Langiiau-Burgdorf  s.  Emmenthalbahn. 

Langstichätickerei.  Stickerei  mit  offenem,  nicht  gezwirntem  Garn,  meist 
in  Form  von  Vorhängen  mit  großen  Blumen  u.  dgl.  Dieselbe  kam  in  St.  Gallen 
in  den  30er  Jahren  in  Aufnahme,  gelangte  aber  ihrer  etwas  plumpen  Wirkung 
halber  nie  zu  großer  Bedeutung. 

Langstielerin,  eine  Wirthschaftsbime  ersten  Ranges,  auch  Eheinthaler-, 
Friesli-,  Friesi-  oder  Griesi-,  Pfynerbirne,  in  den  Kantonen  Zürich  und  Aargau 
„Chriesibirne"  genannt,  kommt  beinahe  in  allen  obstbautreibenden  Gegenden  der 
Schweiz  vor,  am  häufigsten  wohl  im  st.  gallischen  Rheinthal  und  im  Kanton 
Thurgau.  Sie  soll  Mitte  vorigen  Jahrhunderts  im  Rheinthal  gezogen  worden  sein 
und  von  da  auch  den  Weg  in  die  Staaten  jenseits  des  Rheins  und  Bodensees 
gefunden  haben.  Der  Baum  ist  hinsichtlich  der  Lage,  Bodenart  und  des  Klimas 
gar  nicht  wählerisch,  daher  seine  große  Verbreitung.  An  südlichen  Abhängen 
gedeiht  er  vortrelTlich  bis  zu  690  m  ü.  M.  Derselbe  erreicht  ein  Alter  von 
1(50 — 180  Jahren;  wenn  er  gut  gepflegt  wird,  trägt  er  besonders  im  hohem 
Alter  reichlich  und  fast  alljährlich.  100 — 110  Sester  sind  sein  höclister  Ertrag. 
(„Schweizerische  Obstsorten",  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhom  in 
St.  Gallen.) 

La  Plaine-Genf  (Eisenbahnstrecke)  s.  Paris -Lyon -M^diterranee. 

Lasca  (früh-blauer  Wälscher),  eine  aus  Steiermark  stammende  blaue  Trauben- 
sorte, die  in  den  letzten  Dezennien  auch  in  der  Schweiz  hie  und  da  versuchsweise 
gebaut  worden  ist.  Sie  ist  überaus  fruchtbar,  das  Holz  leidet  jedoch  leicht  im 
Winter.  Li  ganz  frühen  Lagen  reift  sie  früher  als  der  schwarze  Burgunder, 
in  späten  Lagen  bleibt  sie  in  der  Reife  hinter  demselben  zurück.  Die  Trauben 
haben  einen  gewissen  Grasgeschmack  und  der  Wein  erreicht  bei  weitem  nicht 
die  Güte  de«  Burgunders.  Kr. 

Lausanne-Bern  (Eisenbahnstrecke)  s.  Suisse  Occidentale. 

Lausanne-Echallens.  Die  Eisenbahn  von  Lausanne  nach  Echallens  ist 
das  Unternehmen  einer  Aktiengesellschaft,  deren  Verwaltuugssitz  in  Lausanne  ist. 
Der  Betrieb  wurde  wie  folgt  eröffnet:  Am  5.  November  1873  die  Strecke 
Lausanne-Cheseaux  (7509  m)  und  am  2.  Juni  1874  die  Strecke  Cheseaux- 
Echallens  (6857  m).    Nächster 

Rückkau fster min  für  den  Bund:  2.  Juni  1904. 

Bahnlänge  Ende  1885  :  Bauliche  Länge  14,366  m,  Betriebslänge  14,218  m 
oder  rund  15  km. 

Bauliche  Verhältnisse:  Bauliche  Länge  mit  einem  Hauptgeleise 
14,031  m,  mit  zwei  Hauptgeleisen  (in  Stationen)  335  m.  Auf  1000  m  Bahn 
entfallen  durchschnittlich  1124  m  Geleise.  Von  der  ganzen  Bahnlänge  liegen 
10,817  m  auf  der  öffentlichen  Landstraße,  1746  m  auf  Dämmen  und  1798  m 
in  Einschnitten  eigener  Anlage  und  5  m  auf  Brücken,  wobei  Durchlässe  unter 
2  ra  Oeffnung  nicht  gerechnet  sind.  Von  der  Betriebslänge  liegen  935  m  in  der 
Horizontalen,  13,283  m  in  Steigungen  bis  zu  40  ^/oo,  9594  m  in  der  Geraden 
und  4624  m  in  Kurven  bis  100  m  Minimalradius.  Mittlere  Steigung  der  ganzen 
Bahn  15,03  ®/oo;  mittlerer  Krümmuugf^halbmesser  für  die  ganze  Bahn  846  m. 
Stationen  8,  wovon  die  wichtigsten  Lausanne  und  Echallens. 

Rollmaterial  Ende  1 885 :  3  Lokomotiven  von  durchschnittlich  70  Pferde- 
kräften und  einem  Leergewicht  von  77«  t  per  Maschine,  14  Personenwagen 
(zweiachsig:)  mit  286  Plätzen  und  24  Güterwagen  mit  114  t  Tragkraft.  Betriebs- 
personal im  Jahre  1885:  Im  Ganzen  24  Mann  oder  1,6  per  Bahnkil. 

BetriebHcrgebnisse  im  Jahre  1885:  Mit  durchschnittlich  8,52  täglichen 

Furrer,  Volkswirthschafta-Lexlkon  der  Schweiz.  ^\ 


Lausanne-Echallens  —     322     —  Lausanne-Ouchy 

Zügen  a  7,40  Wagenachaen  wurden  befördert  86,954  Reisende  und  2996  t 
Güter  im  ganzen  Jahre.  Die  Reisenden  haben  im  Ganzen  758,327  km,  die  Güter 
40,591  Tonnenkil.  zurückgelegt.  Auf  die  ganze  Bahnlänge  bezogen,  repräsentiren 
diese  Zahlen  einen  spezifischen  Verkehr  von  50,555  Reisenden  und  2706  t 
Gütern. 

Betriebseinnahmen:  Für  Reisende  Fr.  53,458,  für  Güter  Pr,  15,637, 
für  Verschiedenes  Fr.  1028,  im  Ganzen  Fr.  70,123,  per  Balinkil.  Fr.  4675. 

Betriebsausgaben:  Reine  Betriebskosten  Fr.  46,054,  verschiedene  Aus- 
gaben Fr.  1587,  im  Ganzen  Fr.  47,641,  per  Bahnkil.  Fr.  3176  (67,94  7o  der 
Einnahmen). 

Gewinn-  und  Verlustrechnung  pro  1885:  üeberschuß  der  Betriebs- 
einnahmen Fr.  22,482,  Ertrag  von  Kapitalien  Fr.  529,  aus  sonstigen  Quellen 
Fr.  1610,  zusammen  Fr.  24,621.  Davon  gehen  ab:  Konto-Korrent-Zinse  und 
Provisionen  etc.  Fr.  496,  Einlage  in  den  Erneuerungsfond  Fr.  1825.  Somit 
bleibt  ein  Reinertrag  von  Fr.  22,300  (1,75  ^o  vom  Anlagekapital),  wovon 
Fr.  19,500  zur  Verzinsung  des  3  ^o  Anleihens  und  Fr.  2800  zur  Deckung 
früherer  Defizite  verwendet  wurden. 

Bilanz  per  31.  Dezember  1885:  Baukonto  Fr.  1'202,888,  zu  amortisirende 
Verwendungen  Fr.  30,358,  verfügbare  Mittel  Fr.  42,693,  Passivsaldo  der  Ge- 
winn- und  Verlustrechnuug  Fr.  19,653,  zusammen  Aktiven  Fr.  l'295,r)92  ; 
Aktien  Fr.  621,500,  konsolidirtes  Anleihen  (3  7o)  Fr.  650,000,  schwebende 
Schulden  Fr.  17,088,  Erneuerungsfond  Fr.  7004,  Total  Fr.  1*295,592  Passiven. 

Laiisanne-Freiburg-Sense  und  Gonf-Versoix.  Diese  Bahugesellschaft 
erwarb  am  1.  Juli  1858  die  Bahnstrecken  Genf-Versoix  und  die  geuferische 
Enclave  bei  Celigny  von  der  französischen  Bahngesellschaft  Lyon-Genf  und  er- 
öffnete in  der  Folge  noch  folgende  Linien:  Am  1.  August  1858  die  Strecke 
Versoix  bis  zur  waadtländischen  Grenze  bei  Versoix  (1672  m);  am  2.  Juli  1860 
die  Strecke  von  der  bernischen  Grenze  bei  Thörishaus  (Sense)  bis  Balliswyl 
(östliches  Saaneufer  bei  Freiburg)  (16,654  m);  am  4.  September  1862  die  Linie 
von  Balliswyl  bis  Lausanne  (66,270  m).  Am  1.  März  1864  gingen  die  Linien 
Lausanne -Freiburg-Sense  (85,924  m)  und  Genf-Versoix  mit  der  Enclave  bei 
Celigny  (zusammen  10,927  m)  an  den  Staat  Freiburg  über  (siehe  Freiburgische 
Staatsbahn). 

Lausaiine-Genove,  Lausanne-Neuveville,  Lausanne-St-Mau- 
rice  (Eisenbahnstrecken)  s.  Suisse  Occidentale. 

Lausanne-Ouchy.  Die  Drahtseilbahn  von  Lausanne  nach  Ouchy  bildet  mit 
den  Wasserwerken  von  Bret  (Wasserleitung  vom  Bretsee  bei  Chexbres  nach 
Lausanne)  das  unternehmen  einer  Aktiengesellschaft  mit  Verwaltuugssitz  in 
Lausanne.  Die  Eisenbahn  wurde  wie  folgt  erötfnet:  Am  16.  März  1877  die 
Linie  Lausanne-Ouchy  mit  1928  m  baulicher  Länge  und  1481  m  Betriebslänge; 
am  4.  Dezember  1879  die  Strecke  von  Lausanne-Stadt  bis  zum  Bahnhof  der 
Suisse  ()<:cidentale  mit  einer  baulichen  Iiänge  von  528  m  und  einer  Betriebslänge 
vi>n  i514  u).  J)ie  ganze  bauliche  Länge  beträgt  somit  2456  m  und  die  ganze 
Betriebslänge  17i>5  m.  Die  Maximalsteigung  ist  116  ®/oo.  An  Betriebsmaterial 
besaß  die  Gesellschaft  Knde  1885:  11  zweiachsige  Personenwagen  mit  380  Sitz- 
plätzen und  1(>  Giiterwag(!n  mit  118  Tonnen  Tragkraft.  Das  Betriebspersonal 
bestand  im  gleichen  Jahre  ans  35  Mann. 

Verkehr  im  Jahre  1885:  Mit  98,08  täglichen  Zügen  ä  6  Wagenachsen 
wurden  während  dem  ganzen  Jahre  befördert  508,543  Reisende  und  37,821  t 
Güter.  J')ie  Reisenden  haben  zusammen  457,688  km,  die  Güter  34,038  Tonnenkil. 


Liiusanne-Ouchy  —     323     —  Lebensmittelkontrole 

zurückgelegt.  Auf  die  ganze  Bahnlänge  bezogen,  repräsentirt  dies  einen  spezififiohen 
Verkelir  von  254,271  Reisenden  und  18,910  t  Gütern. 

Finanzielle  Betriebsergebnisse  im  Jahre  1885:  Einnahmen  von 
Keisenden  Fr.  88,323,  von  Gütern  Fr.  44,907,  Gesammteinnahmen  aus  dem 
Bahnbetrieb  Fr.  133,230,  per  Bahnkil.  Fr.  74,017.  Betriebskosten  im  Ganzen 
Fr.  01,6:)r.,  per  Bahnkil.  Fr.  50,920  (68,79  7o  der  Einnahmen). 

Die  Gewinn-  und  Verlnstrechnung  weist  folgende  Zahlen  auf: 
Ueberschuß  der  Einnahmen  des  Eisenbahnbetriebes  Fr.  41,574,  Zuschüsse  aus 
den  Speziahbuds  Fr.  ftOOO,  Ertrag  von  Kapitalien  Fr.  2037,  Ertrag  der  Wasser- 
werke und  Liegenschaften  Fr.  75,172,  zusammen  Fr.  126,783  Einnahmen, 
woraus  zu  bestreiten  waren  Fr.  20,249  Konto-Korrent-Zinse  etc.,  Fr.  18,679 
Einlage  in  die  Spezialfonds  und  Fr.  8683  Amortisation.  Es  blieb  somit  ein 
Reinertrag  von  Fr.  79,172  oder  1,01  ^o  vom  konsolidirten  Anlagekapital.  Die 
Anleihenszinse  erforderten  aber  Fr.  226,983  oder  Fr.  147,811  mehr  als  der 
Reinertrag.  Damit  ist  das  Betriebsdetizit  von  Fr.  1'124,730  auf  Fr.  1'272,541 
Angewachsen. 

Bilanz  per  31.  Dezember  1885:  Noch  nicht  oinbezahlte  Aktien  Fr.  100,000, 
Baukonto  der  Eisenbahn  Fr.  3'410,563,  zu  amortisirende  Verwendungen  Fr.  121,910, 
Verwendungen  auf  die  Wasserwerke  und  Liegenschaften  Fr.  3'347,988,  verfüg- 
bare Mittel  Fr.  114,897,  Betriebsdetizit  Fr.  r272,541,  zusammen  Aktiven 
Fr.  8\S67,H99  5  Aktien  Fr.  2^600,000,  konsolidirte  Anleihen  Fr.  5^292,785, 
Baufond  aus  Betriebserträgen  Fr.  13,118,  schwebende  Schulden  Fr.  425,587, 
Spezialfond  Fr.  36,409,  Total  der  Passiven  Fr.  8'367,899. 
Lavaiix.     Bekannte  WeiiiJjorte  des  Kantons  Waadt. 

Lavezstein  (Topf-  oder  Giltstein).  Vortretf lieber,  feuerfester  Stein,  welcher 
in  den  Kantonen  Wallis,  Uri,  Tessin  und  Graubünden  seit  alter  Zeit  für  die 
Ot'enmacherei  Verwendung  findet.  Derselbe  läßt  sich  leicht  bearbeiten,  widersteht 
der  größten  Hitze  und  ist  bedeutend  leistungsfähiger  als  Thon. 

Lebende  Pflanzen  (Bäume,  Sträucher  etc.).    Einfuhr  1885:  4717  q  im 
Werthe  von  Fr.  1'088,200.    Ausfuhr  1885:  646  q  im  Werthe  von  Fr.  45,338. 
Lebensmittel-Industrie  s.  Seite  228,  I.  Bd. 

Lebensmittelkontrole.  (Mitgetheilt  von  Herrn  Durrer,  Adjunkt  des 
«idg.  statistischen  Bureau.)  Es  wurde  zuerst  beabsichtigt,  diesen  Gegenstand  durch 
eine  mr)gIiohst  übersichtliche  Zusammenstellung  der  auf  diesem  Gebiete  in  den 
verschiedenen  Kantonen  bestehenden  gesetzlichen  Vorschriften  darzustellen.  Ein 
Versuch  ergab  jedoch,  daß  dieses  Vorgehen  hier  nicht  thunlich  sei.  Entweder  wäre 
eine  solche  Zusammenstellung  ausführlicher  geworden,  als  an  diesem  Orte  erlaubt 
ist,  oder  sie  hätte  sich  auf  die  allgemeinen  und  wichtigsten  Bestimmungen  beschränken 
müssen,  wäre  dabei  vielfach  in  eintönige  Wiederholungen  verfallen  und  die  nicht 
selten  interes^tantern  und  lehrreichem  praktischen  Detailvorschriften  wären  doch 
unbekannt  geblieben.  Dann  erhält  man  wohl  nirgends  durch  eine  für  sich  noch 
tso  vollständige  Kenntniß  der  Gesetze  und  Vorschriften  ein  ungenügenderes  Bild 
der  Wirklichkeit,  als  auf  demjenigen  der  Polizei.  So  können  in  Bezug  auf  die 
Lebensmittelpolizei  beispielsweise  noch  so  vorzügliche  und  anscheinend  bindende 
Vorschriften  über  die  diesfällige  Thätigkeit  der  Lokalbehörden  bestehen  und  die 
letztem  zu  jährlicher,  halbjährlicher,  ja  monatlicher  Berichterstattung  verpflichtet 
werden,  wenn  es  dann  über  die  Ausführung  heißt,  daß  diese  Berichte  nicht  aus 
der  Hälfte  der  Gemeinden  eingehen  und  von  den  eingegangenen  viele  kaum  etwas 
anderes  Q.h  einige  nichtssagende  Phrasen  enthalten !  Oder  aus  einem  andern  Kantone 
wäre  ein  wohldurchdachtes  und  gutgeschriebenes  Gesetz  über  die  amtliche  K."ii\vttv>\Ä 


Lebensmittelkontrole  —     324     —  Lebensmittelkontrole 

des  Brod-  und  Mehlverkaufes  anzuführen  —  aber  über  dessen  AnsfÜhrung  wird 
schon  nach  wenigen  Jahren  berichtet,  ^daß  alle  Vorschriften  dieses  Gesetzes  nicht 
befolgt  werden".  —  Offenbar  decken  sich  aber  auf  diesem  Gebiete  Vorschrift 
und  Wirklichkeit  auch  in  umgekehrter  Richtong  nicht ;  die  polizeiliche  ThStigkeit 
kann  eben  so  häufig  eine  eingreifendere,  nachhaltigere  und  erfolgreichere  sein,  als 
dieses  den  gesetzlichen  Vorschriften  zu  entnehmen  wäre;  Beispiele  könnten  auch 
hiefür  angeführt  werden.  Diese  Erwägungen  führten  zum  Entschlüsse,  statt  der 
Gesetzgebung  die  wirkliche  Thätigkeit  der  Behörden  für  die  Eontrole  der  Lebens- 
mittel darzustellen,  oder  wenigstens  eine  solche  Darstellung  zu  versuchen. 

* 

Als  Material  hiezu  lagen  die  jährlichen  Geschäftsberichte  der  Kantons- 
regierungen vor  und  zwar  voUzählig  oder  doch  nahezu  erst  für  das  Jahr  1885; 
es  bildet  also  das  letztere  den  zeitlichen  Bahmen  der  nachfolgenden  Berichte, 
wenn  nicht  ausdrücklich  etwas  anderes  angegeben  ist.  Der  Mängel  dieser  Zu- 
sammenstellung ist  sich  der  Schreiber  derselben  wahrscheinlich  am  besten  bewußt 
und  es  soll  hier  auf  einige  der  wesentlichem  aufmerksam  gemacht  werden.  Wenn 
man  zuerst  fragt,  ob  diese  Berichte  die  volle  und  ganze  Thätigkeit  der  Behörden 
für  die  Lebensmittelpolizei  darstellen,  so  wird  dieses  in  Bezug  auf  die  staatlichen, 
kantonalen  Organe  so  ziemlich  der  Fall  sein,  dagegen  an  einigen  Orten  weniger 
sicher  bezüglich  der  lokalen  Behörden.  Es  besteht  in  mehreren  Städten  eine  ziem- 
lich thätige  Lebensmittelkontrole,  ohne  daß  dieselbe  in  den  kantonalen  Berichten 
entsprechende  Darstellung  findet.  Gleichwohl  schien  es  nicht  erlaubt,  die  genannten 
Berichte  durch  die  entsprechenden  städtischen  zu  ergänzen,  da  sich  an  Beispielen 
ergab,  daß  hiebei  nicht  selten  Doppelmeldungen  der  gleichen  Fälle,  und  zwar 
vorzugsweise  der  gravirendem,  vorgekommen  wären,  ohne  daß  immer  die  Mög- 
lichkeit vorlag,  dieselben  mit  Sicherheit  auszuscheiden.  Es  darf  also  schon  an- 
genommen werden,  daß  in  einzelnen  Städten  die  Lebensmittel  doch  einer  fleißigem 
und  schärfern  Kontrole  unterliegen,  als  bloß  aus  den  folgenden  Berichten  zu 
schließen  wäre.  Was  andere,  die  Landgemeinden,  betrifft,  da  wird  die  Lücke 
der  Berichte  im  Allgemeinen  nicht  groß  sein,  wenn  auch  nur  weniges  über  die- 
selben angeführt  wird.  Es  tritt  nämlich  sehr  überzeugend  zu  Tage,  daß,  von  den 
Städten  abgesehen,  die  Thätigkeit  der  lokalen  Behörden  nur  da  eine  nennens- 
werthe  und  erfolgreiche  ist,  wo  dieselbe  durch  die  kantonalen  Aufsichtsbehörden 
durch  angehaltene  Stimulation  vor  dem  Einschlafen  bewahrt  wird,  dann  aber 
wird  auch  nicht  unterlassen,  dieses  und  den  Erfolg  in  dem  kantonalen  Berichte 
zu  melden. 

Was  die  Vergleichbarkeit  der  im  Folgenden  aus  den  einzelnen  Kantonen 
mitgetheilten  Thatsachen  und  ihrer  Zahlen  betrifft,  so  ist  diese  Vergleichbarkeit 
bei  weitem  nicht  diejenige,  welche  man  wohl  voraussetzen  und  wünschen  möchte» 
Schon  die  Einschränkung  der  Berichte  auf  den  Zeitraum  eines  Jahres  engt  diese 
Vergleichbarkeit  ein.  Da  in  dem  einen  Kanton  gerade  in  diesem  Jahre  bei 
Wirthen  und  Lebensmittel  verkauf em  eine  allgemeine  Inspektion  und  Erhebung 
von  Mustern  stattfinden  mochte,  in  einem  andern  Kantone  aber  eine  solche  viel- 
leicht gerade  in  diesem  Jahre  nicht  stattfand,  so  sind  diese  einjährigen  Berichte 
begreiflich  nicht  sofort  und  an  jedem  Orte  als  ein  annäherndes  Bild  des  dauernden 
Zustandes  aufzufassen.  Indessen  wird  man  doch  selten  fehl  gehen,  wenn  man  es 
wagt,  aus  dem  ganzen  Inhalt  und  Tenor  eines  Berichtes  darauf  zu  schließen,  ob 
in  diesem  oder  jenem  Kantone  der  Lebensmittelpolizei  die  gebührende  Aufmerksam- 
keit geschenkt  werde.  Dann  sind  auch  die  iSahlen  aus  den  einzelnen  Kantonen 
über  die  von  den  E^ntonschemikern  und  ähnlichen  Stellen  vorgenommenen  Unter- 


Lebensmittelkontrole  —     325     —  Lebensmittelkontrole 

saohungen,  das  Prozentverhältniß  der  dabei  naohgewiesenen  Fälschangen  and  dgl* 
ganz  anders  zu  werthen,  je  nachdem  am  einen  Orte  sämmtliohe  bei  einer  allge- 
meinen Inspektion  erhobenen  Muster  dem  chemiBchen  Laboratorium  zur  Prüfung 
überwiesen  wurden,  an  anderm  Orte  bloß  die  verdächtigen  Muster,  am  dritten 
Orte  bloß  solche,  welche  bereits  zu  gerichtlicher  Behandlung  Anlaß  gaben  etc. 
Solche  Verhältnisse  führen  zu  der  Bitte,  es  wolle  kein  Leser  an  die  folgende 
Zusammenstellung  mit  der  Prätention  herantreten,  aus  derselben  eine  durchaus 
zutreffende  und  überall  vollständige  Darstellung  der  in  den  einzelnen  Kantonen 
geübten  Lebensmittelkontrole  zu  ünden ;  will  man  EInttäuschungen  entgehen,  dann 
seien  die  Anforderungen  namhaft  bescheidenere. 

Es  folgen  nunmehr  die  den  oben  genannten  Quellen  entnommenen  Berichte 
aus  den  einzelnen  Kantonen. 

Aargau.  Der  Geschäftsbericht  des  Begieruugsrathes  erwähnt  einer  bis- 
herigen Thätigkeit  für  Lebensmittelkontrole  in  keiner  Weise;  dagegen  wird  in 
Aussicht  gestellt,  daß  in  Folge  der  Verfassungsrevision  in  Zukunft  auch  auf  diesem 
Gebiete  eine  regere  Wirksamkeit  entfaltet  werde. 

Appenzell  A. -Rh.  Der  Bericht  erwähnt  der  Brod- und  der  Fleischschau. 
Erstere  wurde  im  Ganzen  bei  281  Bäckern  und  Brod  Verkäufern  ausgeübt,  bei 
70  derselben  wurde  Gewichtmangel  konstatirt;  es  wurden  aus  diesem  Grunde, 
•dann  auch  als  schlecht  gebacken,  im  Ganzen  290  Brodlaibe  von  den  Schauern 
zerschnitten  und  47  der  Schuldigen  der  Bestrafung  überwiesen.  lieber  die  Fleisch- 
schau  wird  geklagt,  daß  dieselbe  nicht  nur  in  vielen  Gemeinden  sehr  unregel- 
mäßig, sondern  auch  überhaupt  mit  sehr  verschiedener  Strenge  gehandhabt  werde ; 
hatte  doch  ein  Thierarzt  in  seiner  Eigenschaft  als  Fleischschauer  sogar  Schweine- 
lieisch,  das  in  hohem  Grade  finnenkrank  war,  als  genießbar  erklärt;  er  wurde 
allerdings  dafür  zur  Verantwortung  gezogen.  " 

Appenzell  L-Rh.  verötfentlicht  selbst  keinen  Geschäftsbericht;  dagegen 
finden  sich  im  Berichte  des  Kantonschemikers  in  St.  Gallen,  welcher  zur  Vor- 
nahme einer  sämmtliche  WirthKchaften  Innerrhodens  umfassenden  Weinkontrole 
berufen  wurde,  folgende  Angaben :  Zahl  der  untersuchten  Weinproben  600,  davon 
unreell  (meistens  mit  Sprit  und  Wasser  gestreckt)  66  Proben  =  11%;  hiebei 
traf  es  in  16  Fällen  den  gleichen  Lieferanten,  welcher  dafür  mit  16  X  ^0  Franken 
gebüßt  wurde. 

Baselland.  Der  Rechenschaftsbericht  erwähnt  der  Lebensmittelkontrole  in 
keiner  Weise. 

Baselstadt.  In  der  Stadt  und  den  Landgemeinden  zusammen  wurden  nach 
der  Fleischkontrole  die  folgende  Anzahl  von  Thieren  geschlachtet:  Ochsen  4224, 
Stiere  1233,  Kühe  1886,  Rinder  890,  Schweine  10,081,  Kälber  10,818,  Schafe 
4)076,  Ziegen  198,  Pferde  3.  (Es  wird  berechnet,  daß  [inkl.  Loaport]  in  der  Stadt 
und  deren  Umgebung,  ohne  die  Landgemeinden,  im  ganzen  Jahre  4' 260,690  kg 
Fleisch  konsumirt  worden  seien,  oder  auf  1  Einwohner  per  Jahr  62  kg,  per  Tag 
0,169  kg;  der  Fleischkonsum  scheint  in  den  letzten  Jahren  ein  zunehmender  zu 
sein.)  Ln  ganzen  Jahre  wurden  1469  Proben  in  die  Stadt  eingeführter  Milch 
untersucht  (nach  dem  Müller'schen  Verfahren).  Diese  Proben  rührten  im  Ganzen 
von  691  Lieferanten  her,  von  welchen  30  zu  polizeigerichtlicher  Beetrafong 
gelangten.  Neben  diesen  Milchuntersuchungen  hatte  sich  der  öffentliche  Chemiker 
^mch  mit  der  allgemeinen  Frage  über  das  Verhältniß  der  Centrifugenmilch  zur 
Marktmilch  zu  beschäftigen,  sowie  mit  Ghitachten  über  Molkerei-Etablissemente, 
Butterverkauf  n.  dgl.;  Untersuchungen  von  Butter  fanden  3  statt,  solche  von 
Trinkwasser  17,  von  Wein  36,  dann  in  kleinerer  Zahl  auch  eine  Menge  sonstiger 


Lebensmittelkontrole  —     326     —  Lebensmittelkontrole 

Lebensmittel,     üeber  das   £rgebniß  dieser   Untersoohangen   wird  jedoch   nichts- 
angeführt. 

Bern.  Im  Jahre  1885  wurde  eine  Untersuchung  der  geistigen  Getränke 
in  19  (von  im  Ganzen  30)  Amtsbezirken  ganz  und  in  3  Bezirken  theilweise 
durchgeführt.  Zu  vorläufif/er  Prüfung  gelangten  auf  diese  Weise  7753  Both- 
weine,  8119  Weißweine  und  6100  Spirituosen;  zu  näherer  Untersuchung  im  amt- 
lichen Laboratorium  wurden  von  den  Sachverständigen  101  Getränkemuster  und 
von  Ohmgeldbureaux  34  Muster  eingesandt;  in  Folge  letzterer  Untersuchung 
wurden  von  den  135  Mustern  88  (davon  11  Spirituosen)  definitiv  beanstandet^ 
und  zwar 

39  als  über  die  erlaubte  Toleranz  platrirt, 

20  als  Kunstweine  oder  Mischung  mit  solchen, 

11   als  verdünnt,  petiotisirt,  avinirt, 

6  als  Imitationen, 

7  als   gesundheitsschädlich    (2    fuchsinirt,    3  fuselhaltig,    1  kupfer- 
haltig,  1  schwefelsäurehaltig), 

5  als  verdorben. 

20  dieser  Fälle  wurden  dem  Strafrichter  überwiesen. 

Anläßlich  des  Truppenzusammenzuges  im  Oberaargau  fand,  neben  einer  all- 
gemeinen Inspektion  der  (je tränke  und  Lebensmittel,  durch  den  Kantonschemiker 
eine  spezielle  Untersuchung  der  in  den  betreffenden  (regenden  vorhandenen  Bier- 
vorräthe  statt;  es  wurden  in  Folge  dessen  5600  Liter  verdorbenes  Bier  aus- 
geschüttet. 

Den  Ortspolizeibehörden  wird  Lässigkeit  in  der  gesetzlichen  Kontrolirung 
der  Bierpressionen  vorgeworfen  und  in  Folge  dessen  für  nächstes  Jahr  eine  all- 
gemeine Untersuchung  der  genannten  Apparate  in  Aussicht  genommen. 

Der  Eantonschemiker  gibt  über  die  von  ihm  ausgeführten  Untersuchungen 
von  Lebensmitteln  die  folgende  Zusammenstellung: 

Ge-  ^^^ 

Gegenatand  der  Untersuchung  sammt-     j^  amtlichen    im  Privat-         bean-  unbean- 

^^'^^  Auftrag  auftrag  standet  standet 

Bier 13  6  7  4  9 

Branntwein,  ordinärer.     .8  7  1  2  «3 

Brod 2  1  1  —  2 

Butter 2  1  1  —  2 

Cognac 20  17  3  14  6 

Druseubranntwein    ...  1  —  1  —  1 

Eier 2  -  2  2  -- 

Essig 3  —  3  —  3 

Futtermittel 3  1  2  1  2 

Geheimmittel 5  3  2  —  5 

Kirschwasser 3  3  —  3 

Konditorwaaren  ....  2  —  2  2  — 

Konserven 4  3  1  2  2 

Lufl 0  6  —  4  2 

Melil 6  2  4  2  4 

Milch 42  2  40  10  32 

Obstwein 3  3  —  —  3 

Hhum «  5  1  3  3 

Safran 1  1  —  1  — 

Sypiionköpfe 5  5  —  3  2 

Wasser 6  3  3  —  6 

Wein 16«  114  54  90  78 

Weizen 1  1  —  ~  1 

Zucker 1 _1 "^ ~_^ 1_ 

Total  313  185  128  143  170 


Lebensmittelkontrole  —      327     —  Lebensmittelkontrole 

Dieser  Zusammenstellung  fügt  der  Eantouschemiker  gedrängte  Dissertationen 
über  einzelne  Grrnppen  der  obigen  üntersncbnngen  an,  ro  z.  £.  eine  über  den 
Trockenbeerwein,  eine  andere  über  die  Untersuchung  der  Milch  mittelst  der  Milch- 
waage und  des  Cremometers,  welche  nicht  selten  zu  ganz  unrichtiger  Beurtheilung 
führe,  weil  die  Rahmabsonderung  einer  Milch  nicht  bloß  von  deren  Bahmgehalt 
abhänge,  sondern  beispielsweise  unter  Umständen  gerade  durch  einen  gewissen 
Watiserzusatz  befördert  werden  könne.  £ndlich  hat  der  Eantonschemiker  einen 
wohlfeil  zu  erstellenden  und  doch  leicht  und  sicher  fanktionirenden  Apparat 
konstrnirt  behufs  Untersuchung  der  Luft  auf  ihren  gesundheitlich  zulässigen  Gishalt 
an  Kohlensäure  (0,7 — 1  7üo). 

Frei  bürg.  Im  Kechenschaftubericht  wird  die  Lebensmittelkontrole  in  keiner 
Weise  erwähnt. 

Genf.  Ueber  die  polizeiliche  Thätigkeit  auf  dem  Gemüsemarkt  wird  Fol- 
gendes berichtet:  Es  wurden  58  Obsthändlern  im  Ganzen  2740  kg  unreifen 
Obstes  (Pfirsiche,  Pflaumen,  Birnen  etc.)  weggenommen,  gegen  12  derselben 
wurde  strafrechtliche  Verfolgung  eingeleitet.  9  Händlern  wurden  zusammen  361 
verdorbene  Melonen  weggenommen  und  vernichtet;  das  gleiche  Schicksal  traf 
40  kg  verdorbener  Tomaten.  9 1  kg  verdorbener  Fische  wurden  in  den  Kehricht- 
wagen geworfen.  Bei  71  Butterhändlern  wurden  101  Butterproben  enthoben; 
davon  erwiesen  sich  38  als  gefälscht  (einige  enthielten  zu  viel  "Wasser,  andere 
zu  viel  Käsestoff,  wieder  anderen  waren  sonstige  Fette  beigemischt);  29  Schuldige 
wurden  an  den  Strafrichter  gewiesen.  Von  30  genommenen  Wurstproben  erwiesen 
sich  10  als  gefälncht  oder  sonst  verdorben  und  gesundheitsschädlich ;  die  Schuldigen 
wurden  sammtlich  dem  Strafrichter  verzeigt.  Von  27  Konfiserieprodukten  wurden 
4  als  gesundheitiischädlich  geftirbt  erklärt.  12  Krämer  wurden  gebüßt  wegen  des 
Gebrauches  von  Waagen  mit  kupfernen  Schalen,  an  welchen  Grünspan  nachge- 
wiesen wurde. 

Besonders  sorgfältiger  Aufisicht  scheint  der  Verkehr  mit  eßbaren  Schwämmen 
unterworfen  zu  sein.  Es  ist  demselben  ein  eigener  und  einziger  Marktplatz  an- 
gewiesen. Widerhandlungen  gegen  diese  Vorschrift  wurden  2  festgestellt  und 
gebüßt.  Am  vorgeschriebenen  Platze  wurden  von  114  Händlern  im  Ganzen 
18,910  kg  Schwämme  (40  Sorten)  zum  Verkaufe  gebracht  und  davon  456  kg 
als  giftige  oder  sonst  gesundheitsschädliche  weggenommen  und  vernichtet. 

Milchproben  wurden  bei  444  Lieferanten  im  Ganzen  2104  genommen; 
davon  wurden  (nach  dem  Quevenne-MüUer' sehen  Verfahren)  als  gut  befunden 
1814,  als  zweifelhaft  157,  als  entrahmt  124,  als  gewässert  9.  Es  fanden  100 
Strafeinleitungen  statt. 

Das  Ergebniß  der  im  kantonalen  Laboratorium  vorgenommenen  Analysen 
von  Lebensmitteln  war  das  folgende: 

Gogerirttanil  Zahl  ErgebniM  der  Vnterauchung 

Wein G36  Nicht  gegypst  367,  zu  weniger  als  3  g  901,  zu  mehr 

als  3  g  68.    Fälschungen  87,  Mischungen  28. 

Wasser 110  Gut  59,  schlecht  51. 

Milch 10  Gut  7,  schlecht  3. 

Butter 116  Gut  105,  schlecht  11. 

Liqueurs 17  Alle  gut. 

Essig 4  «       r> 

Gele i  ,       , 

Biere 5  „       „ 

Wurstwaaren 26  Gut  !20,  schlecht  6. 

Verschiedene  andere  Waaren  109  ? 

Glarus.    In    diesem  Kanton    werden   je  dreijährige  Geschäftsberichte  ver- 


Lebensmittelkontrole  —     328     —  Lebensmittelkontrole 

öffentlicht;  der  letzte,  dem  das  Folgende  entnommen  ist,  bezieht  sich  auf  die 
drei  Jahre  1881 — 1884.  Derselbe  bietet  in  mehr  als  einer  Beziehung  ein  be- 
sonderes Interesse  (es  ist  dieses  übrigens  eine  Eigenschaft  der  glarnerischen 
amtlichen  Publikationen  überhaupt).  In  erster  Linie  erfreute  sich  die  Gesetegehung 
über  die  Lebensmittelpolizei  einer  besonderen  Entwicklung.  Schon  zu  Anfang  der 
Berichtsperiode  waren  durch  mehrere  Initiativvorschläge  aus  dem  Volke  der  Erlaß 
eines  strengeren  Lebensmittel-Polizeigesetzes  und  die  Schaffung  spezieller  Aus- 
führungsorgane gefordert  worden.  Die  Laudsgemeinde  ließ  sich  für  dieses  Mal 
durch  den  Bath  mit  der  Erklärung  befriedigen,  daß  das  bisherige  Gesetz  eine 
strengere  Ausführung  erhalten  solle.  Eine  solche  wurde  auch  in's  Werk  gesetzt, 
fand  jedoch  so  viele  Schwierigkeiten  und  so  ungenügenden  Erfolg,  daß  die  frühern 
Initiativanträge  aus  dem  Volke  sich  erneuerten.  Dieses  Mal  ging  der  Bath  darauf 
ein  und  brachte  einen  Gesetzesentwurf  an  die  Landsgemeinde,  nur  war  auch 
hierin  von  der  Kreirung  eines  eigenen  Kantonschemikers  abgesehen  worden.  Die 
Landsgemeinde  acceptirte  den  Entwurf,  ergänzte  jedoch  denselben  durch  die 
Bestimmung,  daß  doch  ein  Kantonschemiker  geschaffen  werden  solle.  So  erscheint 
hier,  prägnanter  als  sonst  irgendwo,  die  Verschärfung  der  Lebensmittelpolizei 
aus  der  Anschauung  des  Volkes  hervorgegangen  und  von  dieser  getragen. 

üeber  die  Thätigkeit  während  der  Berichtsperiode,  noch  unter  der  Herr- 
schaft des  alten  Gesetzes,  ist  das  Folgende  anzuführen:  Die  Polizeikommission, 
in  Verbindung  mit  Vorstehern  der  Gemeinden,  nahm  eine  persönliche  Inspektion 
sämmtlicher  im  Kanton  befindlichen  311  Wirthschaften,  57  Wein-  und  Brannt- 
weinhandlungen, 6  Brauereien,  82  Bäckereien  oder  Brod-  und  Mehlläden,  179 
Verkaufslokalen  sonstiger  Lebensmittel,  18  Zuckerbäckereien,  7  Müllereien  und 
7  Zigerfabriken  vor.  Als  erstes  Ergebniß  wurde  konstatirt,  daß  Wirthschaften, 
Bäckereien  und  andere  Verkaufslokale  manchenorts  in  Beziehung  auf  Reinlichkeit 
.  zu  wünschen  übrig  lassen;  dann  wurde  bei  24  Bäckern  Gewichtmangel  nach- 
gewiesen, 6  Weinhändler  wurden  der  Fälschung  angeklagt  und  ihre  Waaren 
konfiszirt;  andere  Verkäufer  wurden  angehalten,  schlechte  oder  mangelhaft  ver- 
packte Waaren  zu  beseitigen.  Neben  dieser  allgemeinen  Inspektion  scheint  eine 
anhaltende  Thätigkeit  nur  in  Bezug  auf  Milch-  und  Weinkontrole  stattgefunden 
zu  haben.  Während  den  drei  Jahren  1881 — 1883  fanden  im  Granzen  6259  Milch- 
proben statt  (davon  5274  Wägungen  ganzer,  939  Wägungen  abgerahmter  Milch 
und  46  Stallproben)  nud  es  wurden  6  Personen  der  Milchfälschung  angeklagt. 
Von  den  374  Weinproben  wurden  durch  den  Chemiker  223  nicht  beanstandet, 
in  68  Fällen  wurden  nur  untergeordnete  Punkte  hervorgehoben  und  den  Eigen- 
thümern  zur  Kenntniß  gebracht;  61  Muster  erwiesen  sich  als  zu  sehr  geschwefelt 
und  es  wurden  diese  Weine  unter  polizeilicher  Aufsicht  mit  schwefelfreiem  ver- 
mischt; in  11  Fällen  wurde  der  Wein  polizeilich  ausgeschüttet;  3  Fässer  wurden 
konfiszirt,  jedoch  den  Eigenthümem  später  wieder  zugestellt;  8  Mal  wurde  beim 
Polizeigericht  Klage  eingeleitet,  es  erfolgten  2  Freisprechungen  und  6  Verur- 
theilungen. 

Graubünden.  Der  Geschäftsbericht  vom  Jahre  1885  berichtet  bezüglich 
der  Thätigkeit  des  Kantonschemikers  erst  über  das  Jahr  1884.  Es  wurden  von 
demselben  in  amtlichem  oder  privatem  Auftrage  folgende  üntersnchungen  von 
Lebensmitteln  vorgenommen  : 

Gcf(eii8taiifl  Zahl  Krgebniss  der  Unteraachung 

Wein 54    3  Weine   mit  Essigstich,   1  Wein   enthielt  per 

Liter  3  g  schwefelsaures  Kali. 

Obstmost 7     1  Probe  mit  übermäßigem  Quantum  von  Gerbstoff. 

Branntwein 39    10  Proben  mehr  oder  weniger  fuselhaltig. 


Lebensmiltelkontrole  —      329     —  Lebensmittelkontrole 

Mehl 20    V 

Fäßlisc'hmalz,  Kunstbutter  u.  dgl.     16    Die  meisten  Proben  waren  Fettgemische,  welche 

kein  Butterfeli  enthielten  ;  nur  4  Proben  ent- 
hielten letzteres,  jedoch  höchstens  50  ^  o. 

Milchbutter 4  2  Proben  geschmolzener  Butter  waren  stark  ge- 
tischt, d.  h.  bis  zur  Hälfte  mit  anderem  Fette 
gemengt ;  durch  große  Verschiedenheit  zeich- 
neten sich  auch  die  unverfälschten  Proben  aus. 

Teigwaaren 3    ? 

Schweineschmalz 1     ? 

Gewürze 6    3  Pfefferproben  enthielten  viel  Sand  (bis  3,8  ^/o), 

Zucker 7     ? 

Kaffee 6    V 

Kaffee-Extrakt 1     , Aechter  holländischer  Kaffee-Extrakt*  enthielt 

auch  nicht  eine  Spur  von  GaffeTn,  die  Metall- 
umhüllung bestand  größtentheils  aus  Blei. 

Cichorien 3     1  Probe  enthielt  3,5  ^  o  Sand. 

Kochsalz 2    Das  Salz  aus  Rheinfelden  war  erheblich  reiner 

als  dasjenige  von  Hall  in  Tyrol. 

Chokolade 2    V 

Essig 3    2  Proben   enthielten  allerlei  Unreinigkeiten,   1 

Probe  bloß  1,2  ^o  Essigsäure,  1  Probe  «reiner 
Weinessig"  war  doch  nur  zur  Hälfte  Wein- 
essig, zur  andern  Hälfte  Essigsprit  und  Wasser. 

L  a  z  e  r  n.  Der  regierungsräthliche  Geschäftsbericht  überläßt  das  Meiste,  was 
unsem  Gregenstand  betrifft,  dem  Spezial berichte  des  Sanitätsrathes ;  der  erstere 
-enthält  die  Notiz,  daß  in  den  Jahren  1884  und  1885  zusammen  im  Kanton  im 
Ganzen  31  Personen  (davon  29  einzig  im  Bezirk  Luzern)  wegen  Getränke- 
fnlschiiuf/  von  den  Statthalterämtern  (!)  bestraft  worden  seien;  es  fanden  ferner 
im  gleichen  Zeiträume  im  Ganzen  50  Bestrafungen  statt  wegen  Uebertretang  des 
Gesundheitspolizeigesetzes  und  der  Fleisohschan-  und  Metzgerverordnungen. 

Entsprechend  einem  bezüglichen  Antrage  dos  Sanitätsrathes  wurde  Anfangs 
des  Jahres  1885  durch  den  Kegierungsrath  der  fernere  Gebrauch  von  Bier- 
pressionen jeder  Art  von  Konstruktion  verboten.  In  Folge  eines  gegen  diese 
Verfügung  an  den  Bundesrath  gerichteten  Rekurses  wurde  dem  Verbote  von 
Seite  der  kantonalen  Behörde  die  Interpretation  beigefügt,  daß  sich  dasselbe  nur 
auf  Pressionen  mit  atmosphärischer  Luft,  dagegen  nicht  auf  rationell  eingerichtete 
Kohlensäurepressionen  mit  direktem  Ausschank  vom  Faß  beziehe.  In  diesem  Sinne 
wurde  das  Verbot  vom  Bundesrathe  (den  14.  Mai  1886)  als  zulässig  erklärt 
und  sodann  durch  den  Regierungsrath  mittelst  ausführlicher  Verordnung  (vom 
14.  Juli  1886)  auf  den  1.  Oktober  1886  in  Kraft  erklärt. 

Der  Spezi albericht  des  Sanitätsrathes,  welcher  Eingehenderes  über  die  Lebens- 
mittelpolizei enthalten  soll,  war  über  die  Jahre  1884  und  1885  zur  Zeit  der 
Drucklegung  dieser  Zusammenstellung  (Anfangs  Mai  1887)  noch  nicht  erschienen, 
konnte  somit  nicht  benützt  werden. 

Neuenburg.  Den  1.  September  1885  trat  ein  G^etz  in  Kraft,  wonach 
es  in  Zukunft  strafbar  ist,  unter  der  bloßen  Bezeichnung  „Wein**  etwas  anderes 
zu  verkaufen,  als  das  direkte  Produkt  der  natürlichen  Gährung  von  Traubensaft ; 
alle  anderen  weinartigen  Getränke,  wie  Trockenbeerwein,  mit  Wasser  oder  Alkohol 
versetzte  Weine  etc.,  sind  ausdrücklich  als  solche  zu  bezeichnen,  vom  Weinhändler 
in  der  Faktur,  vom  Wirth  auf  einer  im  Lokale  an  sichtbarer  Stelle  aufgehängten 
Weinkarte,  sowie  in  einer  Mittheilung  an  die  Ortspolizei. 

Die  vom  kantonalen  Laboratorium  vorgenommenen  Untersuchungen  von 
Lebensmitteln  waren  folgende: 


Lebensmittelkontrole 


—     330     — 


Lebensmittelkontrolfr 


Uegenstand  Zahl  Erfolg  der  Untersuchung 

Wein 331  Der  Erfolg  ist  bloß  für  193  Proben  von  Wein  und  152 

Branntwein  und  Liqueurs  158  Proben  von  Branntwein  etc.  angegeben ;  von  erstem 

Wasser 58  waren  88  gut,   36  passabel,   69  schlecht  (zu  stark 

Milch 19  gegypst,  gefälscht  etc.);  von  den  Branntweinproben 

Essig 7  wurden   144  als  gut  und  8  als  schlecht  befunden. 

Bier 3  üeber   das  Ergebniß   der   übrigen   Untersuchungen 

Butter  und  Fette     ...  29  wird  nichts  notirt. 

Mehl 3 

Oele 9 

Verschiedenes 24 

lieber  das  Ergebniß  einer  durch  die  Ortsbehörden  alljährlich  vorzunehmendea 
gesundheitspolizeilichen  Inspektion  wird  auf  einen  Spezialberich t  verwiesen,  welcher 
hier  nicht  vorliegt. 

Nidwaiden  veröffentlicht  keinen  Geschäftsbericht. 

Obwalden.  Ein  Geschäftsbericht  erscheint  nur  je  alle  vier  Jahre.  Der 
letzte  umfaßt  die  Zeit  vom  1.  Mai  1880  bis  1884.  Während  derselben  wurde 
bei  den  Wirthen  einer  Gemeinde  durch  einen  von  auswärts  gerufenen  Kantons- 
chemiker ein  Getränkeuntersuch  vorgenommen,  welcher  nichts  Strafbares  kon- 
statirte.  Bei  den  Bäckern,  Mehl-  und  Brod Verkäufern  werden  durch  das  Gemeinde- 
departement allmonatlich  Erhebungen  über  Qualität  und  Preis  des  Brodes  und 
Mehles  gemacht  und  im  Amtsblatte  veröffentlicht;  dieses  Vorgehen  soll  vortheil- 
haft  wirken,  üeberdies  wurden  wiederholt  sämmtliche  Bäckereien  durch  einea 
Experten  auf  Reinlichkeit  der  Utensilien  und  der  Brodbereitung  etc.  untersucht;, 
es  hatte  dieses  mehrfache  Bestrafungen  zur  Folge.  Ebenso  fand  eine  Inspektion 
sämmtlicher  Schlachtlokale  statt,  welche  da  und  dort  Verfügungen  entsprechender 
Verbesserungen  hervorrief.  Bezüglich  der  Fleischkontrole  beklagt  der  Regierungs- 
rath,  daß  dieselbe  dann  und  wann  durch  Thierärzte  und  Fleischschauer  mit  zu 
viel  Mitleid  für  den  Einzelnen  und  zu  wenig  Sinn  für  das  Gemeinwohl  vor- 
genommen werde. 

St.  Gallen.  Die  durch  den  Kantonschemiker  vorgenommenen  Lebensmittel- 
untersuchungen und  deren  Ergebnisse  waren  die  folgenden : 

Gegenstund  Zahl  KrgebniM  der  Unterduchung 

Milch 235    Fälschung  in  8  Fällen,   darunter  6  Male  absichtlicher 

Milchzusatz  (10—25  V)  und  2  Male  Abrahmung. 

Trinkwasser 103    Die   aus  mehreren  Gemeinden,   so  St.  Gallen.   Tablat,. 

Rorschach  etc.  eingesandten  Trinkwasser  waren 
hochgradig  verunreinigt,  mit  Abfallstoffen  und  deren 
Zersetzungsprodukten  beladen. 

Wein 130    (Üeberdies  600  Untersuchungen  für  Appenzell  I.-Rh.) 

Es  wurden  26  Muster  beanstandet,  5  wegen  Essig- 
stich, 1  wegen  einfachem  Wasserzusatz,  10  wegen 
Zusatz  von  Zucker  und  Wasser,  5  wegen  Zusatz 
von  Sprit  und  Wasser,  3  als  verdorben.  2  (Sauser- 
proben) wegen  starkem  Gehalt  an  schwefliger  Säure. 

Bier 8     1  Probe  ungenießbar. 

Obstmost 3    ? 

Branntwein 5    Als   „Magenbitter*   wird  bald  jede  mögliche  Mischung 

von  Sprit,  Wasser  und  irgend  einem  Bitlerstoff  etc. 
verkauft. 

Essig 2     1  Probe  fuchsinirt. 

Würste 130    52  Proben   waren   mehlhaltend,   und  zwar  29  Proben 

mehr  als  das  gesetzlich  zulässige  Quantum  von  2  "/o 
Mehl  enthaltend.  Würste  mit  4,  5  7o  Mehl  waren 
nicht  selten. 


jebensiiiittclkontrole  —     331      —  Lebensmittelkonlrole 

Butter 12    Eine  mit  möglichst  viel  Vorbruch  dargestellte  Butter- 

probe  enthielt  immer  noch  84  %  Butterfett ;  Vor- 
bruchbutter  sei  überhaupt  bloß  2—3  "^/o  weniger 
werth  als  irgend  eine  Rahmbutter.  Es  wird  dringend 
einer  Regelung  des  Handels  mit  Kunstbutter  gerufen. 

)livenöl :i     1  Piobe  Fälschung  durch  Beisatz  von  40  "/o  Sesamöl. 

lonig 5    Als  sicherstes  Erkennungsmittel  der  Kunsthonige  wurde 

die  Reaktion  auf  Dextrin  mittelst  Jodtinktur  gefunden, 
'^erschiedene  Lebensmittel      13    V 

Der  Bericht  den  st.  gallischen  Sanitätarathes  ist  auch  weitaus  reichhaltiger 
Is  derjenige  irgend  eines  anderen  Kantons  in  seinen  Mittheilungen  über  die 
^hätigkeit  der  lokalen  Behörden  auf  dem  Gebiete  der  Leben smittelkontrole.  Der 
taum  gestattet  hier  bloß  einige  summarische  Resultate  aus  den  tabellariHchen 
iusammenstellungen  anzuführen. 

Brodschau:  Zahl  der  untersuchten  Brodlaibe  10,027;  davon  wurden  ihrer 
lualität  nach  befunden:  gut  9213,  mittelmäßig  778,  schlecht  36.  Fleischschau: 
ibgesehen  von  wenigen  Gemeinden,  welche  nicht  darüber  berichten,  wurden  im 
ranzen  987  geschlachtete  Thiere  als  „nicht  bankmäßig**  erklärt.  Milchprüfungen: 
ahl  der  Proben  im  Ganzen  1589,  davon  mit  gutem  Ergebniß  1286,  mit  mittel- 
läßigem  260,  mit  schlechtem  43.  Wasserkontrole :  Zahl  der  untersuchten  Brunnen 
50,  davon  mit  gutem  Befunde  89,  mit  mittelmäßigem  68,  mit  schlechtem  64, 
tefund  nicht  angegeben   129. 

Der  jährliche  Bericht  des  st.  gallischen  Sanitätsrathes  darf  auch  Behörden 
nd  andern  Interessenten  der  Lebensmittelkontrole  außer  dem  genannten  Kauton 
Is  interessante  und  höchst  anregende  Lektüre  empfohlen  werden. 

Schaff  hausen.  Der  Bericht  beschränkt  sich  auf  folgende  allgemeine  Mit- 
leilung:  „Außer  der  Fleischschau,  die  im  ganzen  Kanton  geregelt  vor  sich  geht, 
eschränkt  sich  die  Thätigkeit  der  Sanitätspolizei  hauptsächlich  auf  die  Stadt, 
[ilch-  und  Getränkeuntersuchungen,  Untersuchungen  von  Mehl  und  Gewürzarten 
wurden  sowohl  auf  Ansuchen  der  städtischen  Polizei  als  von  Privaten  verlangt 
nd  durch  den  Chemieprofessor  des  Gymnasiums  ausgeführt.  ** 

Schwyz.  Dem  Kegierungsrathe  lag  im  Berichtsjahre  der  Entwurf  zu  einer 
euen  Verordnung  über  die  Lebensmittelkontrole  vor,  welcher  gegenüber  dem 
isherigen  Zustande  zwei  wesentliche  Neuerungen  enthielt:  1)  Die  Oberaufsicht 
ber  die  Lebensmittelkontrole  in  den  Händen  einer  kantonalen  Behörde  zu  zentra- 
siren ;  2)  eine  eigene,  kantonale  amtliche  Untersuohungsstelie  zu  kreiren.  Einer 
}nstigen  Thätigkeit  der  kantonalen  Behörden  auf  diesem  Gebiete  wird  nicht 
rwähnt.  Dagegen  enthält  ein  Spezialbericht  des  Begierungsrathes  über  einen  im 
ahre  1886  stattgefundenen  Kommunaluntersuch  Angaben,  ob  in  den  einzelnen 
remein  den  die  Protokolle  über  Brod-,  Mehl-  und  Fleischschau  vorschriftsgemäß 
eführt  werden. 

Solotburn.  Es  wird  geklagt,  daß  die  Gesundheitskommissionen  die  vor- 
eschriebenen  Fragebogen  über  Lebensmittelpolizei  nur  sehr  lässig  einschicken, 
.nläßlich  des  Truppen zusammenzuges  im  Herbste  1885  wurde  in  den  betreffenden 
egenden  durch  den  Kantonschemiker  eine  ähnliche  Kontrole  über  Lebensmittel 
nd  Getränke  angeordnet,  wie  dieses  oben  bei  Bern  angeführt  wurde.  lieber  den 
irfolg  wird  jedoch  nichts  angegeben.  Gegen  eine  Gemeinde  wurde  wegen  sanitäts- 
idrigem  Zustande  einer  Wasserleitung,  gegen  eine  Fabrik  wegen  Verunreinigung 
.nes  Flusses  eingeschritten. 

Der  Kantonschemiker  hat  in  amtlichem  und  privatem  Auftrage  die  folgenden 
rntersuchungen  von  Lebensmitteln  vorgenommen,  über  deren  Erfolg  aber  nichts 
Qgegeben  wird : 


Lebensmittelkontrole  —     332     —  Lebensmittelkontrole 


Gegenstand 

Milch 

Rothweine     .... 
Weißweine     .... 

Zahl  der 
rntersncbiingen 

.    .        162 
.     .          29 
.     .          27 

Gegenstand 

Butter 

Bier 

Kirschwasser 

Alkoholische  Getränke 
Essig 

Zahl  der 
rntersnchnngen 

.     .          7 

5 

.    .          2 

Wasser 

.     .          11 

.     .          1 

Käse 

.     .          11 

.    .          1 

Tessin.  Von  einer  bisherigen  Thätigkeit  auf  dem  Grebiete  der  Lebensmittel- 
polizei ist  in  dem  Greschäftsberichte  über  1885  nichts  ersichtlich.  Dagegen  ist 
im  Verlaufe  des  genannten  Jahres  von  der  Begiemng  dem  Großen  Bathe  der 
Entwurf  eines  Gesetzes  über  Gesundheitspolizei  unterbreitet  worden,  der  in  be- 
sondern Kapiteln  auch  die  amtliche  Eontrole  der  Lebensmittel  und  die  Errichtung 
von  kantonalen  hygienischen  Laboratorien  vorsieht.  Durch  das  gleiche  Gesetz 
soll  auch  das  speziell  zu  Tage  getretene  Bedürfiiiß  einer  [Jeberwachung  der 
Schlachtlokale  befriedigt  werden. 

Thurgau.  Der  Fleischschau  waren  im  Gtinzen  22,823  Schlachtthiere 
unterworfen;  davon  wurden  39  Stücke  ganz  beseitigt,  295  Stücke  ^an  Private 
verkauft"  und  überdies  in  407  Fällen  im  Gtinzen  4520  kg  Fleisch  und  Ein- 
geweide als  ungenießbar  beseitigt. 

Der  Lebensmittel-Eontrolstation  (durch  den  Chemielehrer  der  Eantonsschule 
geleitet  und,  wie  es  scheint,  erst  unlängst  entstanden)  wurden  im  Ganzen  93 
Gegenstände  zur  Prüfung  übergeben,  davon  43  Proben  Milch,  24  Wein,  14 
Wasser,  je  1  von  Mehl,  Most  und  Branntwein,  dann  8  andere  Objekte,  lieber 
Jen  Erfolg  der  Untersuchung  wird  nicht  berichtet. 

Einer  Anregung,  die  Fabrikation  von  Kunstbutter  speziell  zu  überwachen 
und  deren  Verkauf  nur  mehr  mit  der  Bezeichnung  ,»Kochfett''  zuzulassen,  wurde 
keine  Folge  gegeben. 

Es  wird  in  Aussicht  genommen,  das  Listitut  der  Lebensmittel-Eontrolstation 
zu  erweitern. 

U  r  i.  Im  regierungsräthlichen  Geschäftsbericht  wird  der  Lebensmittelkontrole 
in  keiner  Weise  erwähnt. 

Waadt.  Die  vom  kantonalen  Bureau  für  Untersuchung  der  Getränke  und 
Lebensmittel  vorgenommenen  Analysen  waren: 

Gegenstand  Zahl  Erfolg  der  Untersuchung 

Wein 105    23  (=  22  7^)  gefillschte  oder  sonst  mangelhafte  Proben. 

Wasser 


Milch  . 
Liqueurs 
Kaffee  . 
Mehl.  . 
Fleisch  . 
Früchte 
Essig 
Arzneien 
Hefe.    . 


37 

11 

10 

1 

6 

3 

3 

1 

1 

6 

2 

1 

2 

3 

176    39  ,  .         .  • 

Wallis.  Da8  kantonale  Eomite  für  Lebensmittelkontrole  nahm  in  zwei 
Sitzungen  Eenntniß  von  den  eingegangenen  halbjährlichen  Berichten  der  Lokal- 
behörden ;  über  deren  Inhalt  und  Erfolg  wird  nichts  angegeben.  Dem  Departement 
des  Innern  wurden  mehrere  Proben  verdächtigen  Weines  eingesandt;  das  Depar- 
tement erklärt,  es  habe  sich  bei  mehreren  derselben  mit  dem  Gustiren  begnügt; 
wie  es  sich  mit  den  anderen  verhielt,  wird  nicht  notirt.  Daneben  wird  im  All- 
gemeinen   über   die    nicht  immer  gelungene  Manipulation  mit  dem  einheimischen 


Lebensmittelkontrole  —     333     —  Lebensmittelkontrole* 

Weine  geklagt.  Einige  untersuchte  Schnäpse  waren  mit  „Alkohol  versetzt **.  Ein& 
Ortsbehörde  berichtete  über  den  Oewichtmangel  aus  andern  Gemeinden  einge- 
führter Brodlaibe,  eine  andere  Behörde  über  die  mangelhafte  Einrichtung  der 
Schlachtlokale. 

Zürich.  Durch  den  Eantonschemiker  wurden  im  Jahre  1885  im  Granzen 
1674  UnterBuchungen  von  Lebensmitteln  u.  dgl.  vorgenommen,  welche  den  in 
der  folgenden  Zusammenstellung  angegebenen  Erfolg  hatten: 

Gegenstand  Zahl  Ergebnias  der  üntersttchnng 

Milch,  ganze 313    23  ^/o  ungenügend  oder  getischt. 

Markt- 270      9  , 

,       Stall- 78 

Trinkwasser 210    39  ^   genügten    dem   chemischen   BegrilTe 

guten  Trinkwassers  nicht. 

Wein  von  der  Trotte 153    Feststellung  der  großen   natürlichen   Ver- 
schiedenheiten der  Zürcher  Weine. 

„      sonstiger 221     19  7o  entsprachen  der  Deklaration   nicht, 

darunter  waren  gallisirte,  mit  Sprit  ver- 
setzte, zu  stark  gegypste  und  eine  Probe 
fuchsinirt. 

Bier 43    5  Proben  enthielten  Salicylsäure. 

Most 5    Alles  normal. 

Wurst 131     9  Proben  wurden  wegen  Mehlzusatz  bean- 
standet und  1  war  ganz  verdorben. 

Butter 28    3  gefälscht. 

(iewürze 56    2  Proben  enthielten  mineral.  Beimischungen. 

Petroleum 112  Proben  wurden  als  feuergefährlich  erklärt.. 

Andere  Gregenstände  (Kaffee,  Thee  etc.)    155    V 

1674 

Umfassend  scheint  die  Eontrole  des  Fleisches  organisirt;  es  waren  für 
dieselbe  232  Fleischschauer  thätig,  nach  deren  Kontrolen  während  dem  Berichts- 
jahr im  ganzen  Kanton  (in  öffentlichen  Schlachthäusern  und  von  Privaten  zu- 
sammen) geschlachtet  wurden:  14,209  Ochsen,  4950  Kühe,  7221  Rinder, 
21,072  Kälber,  29,720  Schweine,  7113  Schafe,  170  Ziegen,  409  Pferde.  Ueber 
die  sonstige  Thätigkeit  der  Lokalbehörden  werden  folgende  Angaben  aus  der 
Stadt  Zürich  gemacht:  Es  fanden  durch  die  Polizei  1920  Vorprüfungen  von 
Milch  statt,  31  ^/o  (!)  der  Proben  entsprachen  den  gesetzlichen  Anforderungen 
nicht.  Die  Fehlbaren  wurden  gebüßt  und  ihre  Namen  veröffentlicht.  Es  fand 
auch  eine  scharfe  Kontrole  der  Bierpressionen  statt  nnd  wurden  dabei  in  neun 
Fällen  unreine  Schläuche  konfiszirt. 

Zug.     Durch   den  Kantonschemiker   wurden  folgende  üntersnohungen  vor- 
genommen : 

Gegenstand  Zahl  Ergebniai  der  Untertnchung 

Butter    .     .    129  Ballen  2  Ballen  als  ranzig  konfiszirt. 

Wasser  .     .    7  Sodbrunnen  und  die  Lorze    ? 

Milch     .     .    44  Muster  In  jeder  Beziehung  günstig. 

Wein     .    .    304  Faß  geprüft,  26  Sorten    3  Faß  angeblicher  Waadtländer  und  4  Faß 

chemisch  untersucht  verdorbener   Kunstwein    wurden    ausge- 

schüttet 
Bier  ...    24  Wirthschaflen  der  Stadt    Alle  Biere  wurden  gut  befunden,  dagegen 

Zug  viele  Luft-  und  Handpressionen  in  mangel- 

haftem Zustande,  namentlich  unterbleibt 
die  Zuführung  von  reiner  Luft. 
Most.     .    .     «Mehrfache* Untersuchungen     «Oft  genug  gefäls  ht*. 
Sauser   .    .    3  Wirthschaflen  ? 

Um  der  Verschiedenheit  und  der  ünvollständigkeit  der  kantonalen  Gesetz- 
gebung  auf  dem  Gebiete  der  Lebensmittelkontrole  ein  Ziel  zu  setzen  und  über- 


Lebensmittelkontrole  —     334     —  Lederhandschuhe 

haupt  Besserung   in  die  bestehenden  Yerhältniase  zu  bringen,   hat  der  National- 
rath  in  der  Janisession  1887  folgende  Motion  des  Herrn  Curii  angenommen: 

«Der  Bundesrath  ist  eingeladen,  zu  untersuchen  und  darüber  Bericht  zu  erstatten, 
-wie  auf  dem  Wege  der  Hundesgesetzgebung  die  kantonalen  Vorschriften  betreffend  Her- 
stellung und  Verkauf  gesunder  und  unverfTilschter  Nahrungs-  und  Genußmittel  und  ge- 
wisser Gebrauchsgegenstände  zweckmäßig,  namentlich  auch  in  der  Richtung  zu  ergänzen 
wären,  daß  der  Hersteller  und  Verkäufer  seine  V^aare  mit  ihrem  wahren  Namen  zu 
bezeichnen  hätte. 

Lebensmittelpreise  s.  Preise  der  Lebensmittel. 
Leckerlifabrikation.    Eine  Spezialität  der  BaHler  Eonditoren. 

Leder  s.  auch  ^Gerberei**.  Die  Schweiz  konsumirt  jährlich  allein  flir  die 
Schuhfabrikation  für  ca.  227«  Millionen  Franken  Leder.  {Schuhfabriken  7  Mil- 
lionen.) Nur  V*  dieses  Konsums  wird  von  den  inländischen  Gerbereien  gedeckt; 
ca.  75  *Vo  werden  eingeführt,  besonders  Schmalleder  resp.  Oberleder,  wogegen 
die  Hauptmasse  des  Sohlleders  im  Inland,  aus  inländischen  Häuten,  gegerbt  wird. 
Die  Handschusterei  bedient  sich  fast  ausschließlich  inländischen  Sohlenmaterials, 
wogegen  die  Schuhfabriken  für  ihre  etwas  leichteren  Fabrikate  vorwiegend 
ausländisches  Sohlleder  verwenden. 

Außer  dem  Sohlleder  werden  in  der  Schweiz  verfertigt:  Vacheleder  (Vache 
lissee),  Crownleder,  Homleder,  Triebriemenleder,  Sattlerleder,  Kalbleder,  Schmal- 
leder, Kalbkidleder,  Schaf  leder,  Roßleder,  Schaf kidleder,  Chevraux  zur  Handschuh- 
fabrikation, Ziegellieder  zu  Sattlerarbeiten,  Spaltleder. 

Im  Jahre  1882  zählte  man  in  der  Schweiz  356  Gerbereien  und  Leder- 
fabrikationsgeschäfte; Birkhäuser^s  Adreßbuch  (Basel,  1885)  verzeichnet  511 
Lederhandlungen. 

Einfuhr  von  Leder  und  Lederwaaren: 

1M\:\  1673     1883     1884     lb85 

Leder,  fe'emeines,  ungefärbtes q  8254  11.663     11,804     13,974 

,       anderes ,   1663  2,802      4,548      5,588 

Sohlleder 5,148 

Anderes  Leder 13,658 

Lederwaaren,  ohne  Schuhe,  fertige  .     .     .     .     „  960 

,             vorgearbeitete  Bestandtheile     .     „  59 

Der  Werth  der  Einfuhr  betrug  im  Jahre  1885  :  von  Leder  Fr.  11 '753,880, 
von  Lederwaaren  Fr.  2'342,r)36.  Der  EinhcitHwerth  von  Sohlleder  betrug  per  q 
Fr.  300,  von  anderem  Leder  Fr.  725. 

Ausfuhr  von  Leder  und  Lederwaaren: 

186:)  1873  1883  1884  1S85 

Leder,  gemeines,  ungefärbtes q  |  qa-A  Aini        ^^^       ^526 

,      anderes J  *^"^         456       1614 

Sohlleder 648 

Anderes  Leder ,  2706 

Lederwaaren,  ohne  Schuhwaaren,  fertige  .     .     „  157 

,.             vorgearbeitete  Bestandtheile     .     „  24 


Der  Werth  der  Ausfuhr  betrug  im  Jahre  1885:  von  Leder  Fr.  2'882,517, 
von  Lederwaaren  Fr.  136,(574;  der  Einheitswerih  des  Sohlleders  per  q  Fr.  397, 
von  anderem  Leder  per  q  Fr.  970. 

Lederäpfel  s.  Keinetten,  graue. 

Lederhandschuhe  werden  in  Genf,  Lausanne  und  Zürich  fabrizirt,  jedoch 
bei  wi'iteiu  nicht  in  dem  Maße,  das  dem  inländischen  Konsum  entspräche.  Es  sind 
ca.  ein  halbes  Dutzend  Fubrikanten  mit  ca.  20  Arbeitern,  meistens  Ausländern, 
und    yo  Näherinnen    und  HüKsarbeitern,    die  6 — 7000  Dutzend  Handschuhe  im 


Leguminosen  —     335     —  Leinenindustrie 

AVerthe  von  höchstens  Fr.  200,000  produziren.  Die  Halbfabrikate,  auch  das 
Leder,  werden  größtentheils  vom  Auslände  bezogen. 

Einfuhr  im  Jahre  1885:  94  q  h  Fr.  12,000  =  Fr.  1^128,000,  wovon 
42  q  aus  Deutschland,  38  q  aus  Frankreich. 

Ausfuhr  im  Jahre  1885:  5  q  ä  Fr.  3567  =  Fr.  17,837,  wovon  3  q 
nach  Frankreich,  2  q  nach  Deutschland. 

Leguminosen,  Konserven  aus  HUlsenfrilchten,  die  in  den  letzten  Jahren 
durch  die  Firmen  Magf/i  dt  Cie.  im  Eemptthal  und  Schneebeli  S  Cie,  in  Af- 
foltem  a.  A.  zu  großer  Bedeutung  als  NahiTingsmittel  gelangt  sind. 

Lehrwerkstätten  für  angehende  Handwerker  bestehen  in  der  Schweiz 
noch  nicht  (Mitte  1887).  Indessen  werden  in  Bern  zur  Zeit  Anstrengungen  ge- 
macht, Lisiitute  jener  Art  zu  gründen. 

Leibwäsche  s.  Kleider,  Lingerie. 

Leim  wird  in  der  Schweiz  in  verschiedenen  Sorten  hergestellt,  von  denen 
einige  zum  Export  gelangen,  während  von  anderen  Sorten  mehr  importirt  wird. 
Man  unterscheidet  namentlich  Hautleim  (bis  jetzt  noch  meist  importirt),  Knochen- 
leim  (wovon  viel  ausgeführt  wird),  Käseleim  (ein  spezilisch  schweizerisches 
Produkt  aus  Käse  und  Kalk  zum  Kaltleimen  von  Holz  etc.),  flilssigen  Leim  als 
Bureauartikel,   (relatine  (s.  d.). 

Birkhäuser's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  verzeichnet  12  Leimfabriken,  wovon 
6  Thurgau,  3  Zürich,  je  1  Aargau,  Freiburg,  St.  Gallen. 

Zur  Zeit  der  letzten  eidg.  Volkszählung  (1.  Dezember  1880)  beschäftigten 
sich  mit  der  Leimsiederei  196  Personen,  wovon  173  im  Kt.  Zürich,  16  im 
Kt.  Thurgau.    Siehe  auch  Gelatine. 

Leindotter.  Eine  Oelpflanze,  die  seit  der  Einbürgerung  des  Petroleums 
und  des  Leuchtgases  in  der  Schweiz  fast  nicht  mehr  kultivirt  wird. 

Leinenindustrie.  Diese  Industrie  ist  es,  welche  bereits  vor  einem  halben 
Jahrtausend  als  Vorgängerin  der  Seiden-  und  Baumwollindustrie  den  Weltruf 
der  schweizerischen  Textilindustrie  eingeleitet  hat.  Im  Gebiete  mehrerer  der 
jetzigen  Kantone,  namentlich  in  der  Stadt  St  Gallen,  im  Appenzeller  Gebiet  und 
im  Toggenburg,  im  Oberaargau  und  im  bernischen  Emmenthal,  spielte  die  Leinen- 
und  Hanfspinnerei  und  -Weberei  vom  13.  bis  zum  19.  Jahrhundert  eine  große 
Rolle  und  beschäftigte  in  den  besten  Perioden  nebst  der  Landwirthschaft,  Flachs- 
und  Hanfknltur  direkt  oder  indirekt  fast  die  ganze  erwerbende  Bevölkerung.  In 
St.  Gallen  und  der  benachbarten  Stadt  Konstanz  soll  die  Leinenmanufaktur  nach 
der  Zerstörung  Mailands  (1162)  durch  Flüchtlinge  aus  dieser  Stadt  besonders 
gefordert  worden  sein.  Später  erhielt  das  st.  gallische  Leinwandgewerbe  durch 
Zuwanderung  von  Leinenwebern  aus  Konstanz,  welche  Stadt  während  dem  ökume- 
nischen Konzil  (1414 — 1418)  mit  Fremden  überfüllt  war,  einen  neuen  Impuls. 
Die  Waare  wurde  durch  st.  gallische  Händler  besonders  auf  den  großen  Messen  in 
Lyon  und  Beaucaire  abgesetzt.  Im  Allianz veii;rag  der  Eidgenossen  mit  Ludwig  XII. 
wurden  diesen  Händlern  verschiedene  Vorrechte  eingeräumt.  Als  Absatzländer 
für  Schweizerleinen  —  die  gemeiniglich  je  nach  dem  Fabrikationsgebiet  den 
Namen  ^Toile  de  Constance"  oder  „Toile  d'Aarau**  führten  —  kamen  außer 
der  Schweiz  und  Frankreich  hauptsächlich  noch  Italien,  Deutschland  und  Spanien 
in  Betracht. 

Nach  Franscini^s  „Nuova  Statistica  della  Svizzora"  würden  gegen  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  in  der  Schweiz  30 — 40,000  Personen,  also  zehn  mal  so  viel 
als  heute,  mit  der  Leinwandfabrikation  beschäftigt  gewesen  sein.  Nach  der  gleichen 
Quelle,  resp.  nach  Vulliemin,  „Continuation  de  Thistoire  de  la  Confederation  suisse'*^ 


Leinenindustrie  —      336     —  Leinenindustrie 

U,  S.  28,  fabrizirte  man  im  Kanton  Appenzell  im  Jahre  1549  an  12,000  Stück,, 
im  Jahre  1638  11,864  Stück  Leinwand.  1740—1760  zogen  die  Appenzeller 
und  natürlich  auch  die  St.  Galler  großen  Vortheil  aus  den  Eriegsereignissen, 
welche  die  Leinenindustrie  in  Schlesien  und  Böhmen  damiederdrückten.  In  Trogen 
allein  sollen  zu  jener  Zeit  jährlich  an  9000  Stück  Leinwand  ä  100  Ellen  gemacht 
worden  sein. 

Neben  der  Leinenweberei  blühte  in  der  Schweiz  auch  die  Kunststickerei 
auf  Leinwand;  dieselbe  läßt  sich  bis  in^s  13.  Jahrhundert  zurück  verfolgen.  £» 
waren  Weißstickereien  auf  ungebleichter  Leinwand,  wobei  der  Reiz  der  Zeichnung 
öfters  durch  Anwendung  von  bunter  Seide  gehoben  wurde.  Solche  Stickereien 
wurden  in  älterer  Zeit  meistens  zu  Altarbehängen,  Kommunionstüchern  und 
^ Rückelachen **  verwendet,  waren  daher  gewöhnlich  streitig  gemustert.  Im 
16.  Jahrhundert  und  später  war  der  Gebrauch  von  Leinenstickereien  als  Tiseh- 
lachen,  „Stüllachely**,  Bettdecken,  „Hantzwechlen**,  ferner  als  Kopftücher,  Hemd- 
einsätze und  Schürzen  etc.  zu  festlichen  Anlässen  in  wohlhabenden  Bürgerhäusern 
ziemlich  allgemein.  (Vgl.  J.  Meyer  am  Rhyn,  über  Leinenstickerei,  im  Bericht 
über  alte  Kunst  an  der  Landesausstellung  in  Zürich,   1883.) 

Im  18.  Jahrhundert  vollzog  sich  dann  die  große  Textil-Revolution  durch 
die  Baumwolle j  die  in  der  Ostschweiz  mit  der  fast  vollständigen  Niederlage  von 
Lein  und  Hanf  endete.  Auf  Zürcher  und  Glamer  Gebiet  faßte  das  Baumwoll- 
spinnen zuerst  Boden  und  muß  dort  schon  in  den  ersten  zwei  Jahrzehnten  des 
18.  Jahrhunderts  sehr  viele  Hände  beschäftigt  haben.  In  St.  Gallen  vollzog  sich 
der  Uebergajig  erst  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts,  durch  das  Weben 
von  Halbleinenzeug  —  Barchent  und  Bombasin  mit  iiächsemer  Kette  und  Eintrag 
von  Glarner  und  Zürcher  Baumwollgarn.  Um  1720  war  die  Baumwollweberei 
der  leinenen  bereits  zum  mindesten  ebenbürtig  an  Umfang  und  Technik,  und  wo 
die  Lein wandfabrikat Ion  am  frühesten  und  am  kräftigsten  blühte,  ist  sie  nun  seit 
einem  halben  Jahrhundert  sozusagen  spurlos  verschwunden.  Erhalten  hat  sie  sich 
in  nennenswerthem  Umfang  nur  im  Oberaiirgau  und  im  Emmenthal,  wo  sie  heute 
mannigfachen  Schwierigkeiten  innerer  und  äußerer  Natur  in  achtunggebietender 
Weise  und  mit  unverkennbarem  Erfolg  Stand  hält,  so  daß  sie  eher  in  Zunahme 
als  in  Abnahme  begriffen  ist.  Ihre  Stärke  und  Widerstandskraft  liegt  vor  Allem 
darin,  daß  sie  sich  auf  die  Fabrikation  der  komplizirteren  Artikel,  die  weniger 
als  die  kurronten  glatten  Gewebe  der  englischen,  belgischen,  deutschen  etc.  Kon- 
kurrenz mit  Maschinengeweben  ausgesetzt  sind,  konzentrirt. 

Die  schweizerische  Leinenweberei  ist  demnach  vorwiegend  Handweberei, 
resp.  Hausindustrie  in  Verbindung  mit  Landwirthschaft.  Es  werden  mit  Vorliebe 
Jacquard-  und  Damastgewebe  zu  Tischzeug  etc.,  sowie  ganz  schweres,  dichtes 
Bettzeug,  ganz  feine  Hemdenleinen  und  Mouchoirs  gewebt;  hiefür  wird  größten- 
theils  flandrischer  Flachs  bezogen,  dessen  Güte  und  Schönheit  der  Bemer  Lein- 
wand ihren  vorzüglichen  Ruf  und  die  solide,  inländische  Kundschaft  erhält,  zu 
welch'  letzterer  besonders  auch  die  Gasthöfe  gehören.  Die  schweizerischen  Leinen- 
fabnkanten  vermöchten  mit  diesen  schönen  Spezialitäten  sehr  wohl  auch  den. 
Export  in  großem  Maßstabe  zu  entwickeln,  wenn  die  Zölle  in  den  großen 
Nachbarstaaten  einen  weniger  prohibitiven  Charakter  hätten;  so  beschränkt  sich 
der  schweizerische  Export  von  Leinen-  und  Hanfartikeln  insgesammt  auf  den 
Werth  von  ca.  ^2  Million  Franken  per  Jahr,  wogegen  die  Einfuhr  ca.  10 
Millionen  Franken  beträgt.  Die  Gesammtproduktion  wird  auf  4  Millionen  Franken 
geschätzt.  Wir  haben  bereits  erwähnt,  daß  es  sich  in  der  Schweiz  in  der  Haupt- 
suche   nur    um    Handweberei    handelt.     Von    reinen    Leinen-    oder   Hanfgeweben 


Leinenindustrie  —     337     —  Leinenindustrie 

werden  nur  unbedeutende  Quantitäten  grobe  Artikel,  wie  rohes  und  imprägnirtes 
Segeltuch  zu  Zelten,  Schiffs-,  Wagen-  und  Pferdedecken,  Zwilch  etc.,  auf  mecha- 
nischen Stuhlen  erstellt.  Bedeutender  ist  hingegen  die  mechanische  Fabrikation 
von  Halbleinengeweben,  —  Matratzen-,  Stören-  und  Bettdrilch  etc.,  —  meist 
Baum  wollkette  und  Leinenschuß.  Der  « Verein  schweizerischer  Leinenindustrieller'' 
hat  im  Jahre  1882  ermittelt,  daß  die  Jahresproduktion  der  Handweberei 
20,185  Stück,  diejenige  der  mechanischen  Weberei  13,062  Stück  betrage. 
Letztere  wird  in  5  Etablissementen  mit  zusammen  ca.  300  Arbeitern  betrieben. 
Bemerkenswerth  ist  auch  die  Fabrikation  von  Hanfgurten,  Hanfschläuchen  und 
-Säcken,  die  in  mehreren  kleineren  G^chäften  betrieben  wird. 

Das  benöthigte  Leinengarn  wird  bis  Nr.  40  meistens  in  den  heimischen 
Spinnereien  erzeugt.  Feinere  Sorten  werden  größten theils  aus  Belgien  eingeführt. 
Hanfgarn  wird  bis  Nr.  25  gesponnen,  d.  h.  bis  zu  der  Feinheit,  zu  welcher 
«ich  die  Hanffaser  zu  gutem  Gram  überhaupt  verspinnen  läßt.  Eine  Fabrik 
beschäftigt  sich  auch  mit  der  Produktion  von  leinenem  Nähfaden.  Nach  den 
Ermittlungen  des  genannten  Vereins  existirten  im  Jahre  1882  8217  Flachs-  und 
Hanfspindeln ;  die  Zahl  der  Spinnereiarbeiter  betrug  489,  die  Produktion  von 
Oam  107,755  Bündel,  diejenige  von  Nähfaden  989  q. 

Die  Seilerei  ist  in  der  Schweiz  nur  durch  ein  größeres  Etablissement 
vertreten:  die  mechanische  „Bindfadenfabrik  Schaff  hausen",  die  jedoch  ganz  Vor- 
tzügliches  leistet  und  sich  entsprechender  Prosperität  erfreut,  ob  zwar  der  Export 
wegen  den  Zöllen  sehr  schwierig  ist.  Daneben  bestehen  selbstverständlich  eine 
^oße  Zahl  von  Handwerksmeistern. 

Die  Flachs-  und  Hanfkultur  ist  in  der  Schweiz  sehr  zurückgegangen, 
obschon  sich  einzelne  Gegenden  besonders  dafür  eignen.  Der  Bemer  Flachs 
gehört  z.  B.  zu  den  beliebtesten  Sorten  und  zeichnet  sich  durch  sehr  schönes 
AV  eiß  nach  der  Bleiche  aus.  Am  meisten  Flachs  wird  noch  in  den  Kantonen 
Bern  und  Aargau  gepflanzt,  also  um  die  Hauptsitze  der  betreffenden  Industrie 
selbst.  Kultur  und  Behandlung  sind  vielerorts  sehr  mangelhaft.  Die  jetzige 
inländische  Flachs-  und  Hanfproduktion  deckt  den  Bedarf  bei  weitem  nicht.  Wir 
haben  schon  erwähnt,  daß  der  Bezug  des  Fehlenden  hauptsächlich  aus  Belgien 
•erfolgt.  In  frühern  Zeiten  lieferten  das  Elsaß  und  Schwaben,  was  man  an  Rohstoff 
vom  Ausland  beziehen  mußte. 

Die  Leistungen  der  inländischen  Bleichereien  werden,  soweit  es  sich  um 
Oewebe  handelt,  als  befriedigend  angesehen,  wenn  sie  auch  immerhin  hinter 
denjenigen  der  holländischen,  belgischen  und  deutschen  Bleicher  noch  zurückstehen 
sollen.    Die  Garnbleichen  sollen  noch  bedeutenderer  Vervollkommnung  bedürfen. 

Die  Gesammtstatistik  der  schweizerischen  Leinenindustrie  nach  den  Erhebungen 
des  Vereins  schweizerischer  Leinenindustrieller  im  Jahre  1882  faßt  sich  wie  folgt 
zusammen : 

Spindeln  8217.  Mechanische  Webstühle  267.  Arbeiter  3467,  wovon  489 
Spinnerei,  2613  Handweberei,  262  mechanische  Weberei,  73  Bleicherei.  Arbeits- 
löhne Fr.  1'025,051,  wovon  Fr.  297,921  Spinnerei,  Fr.  537,072  Handweberei, 
Fr.  144,340  mechanische  Weberei,  Fr.  45,718  Bleicherei.  Produktion  107,755 
Bündel  Garn,  98,880  kg  Nähfaden,  20,185  Stück  Handgewebe,  13,062  Stück 
Maschinengewebe.  (In  den  40er  Jahren  soll  die  Leinwandproduktion  in  11 
bemischen  Bezirken,  nach  Franscini's  ^^^ova  Statistica  della  Svizzera**,  auf 
^73,000  Stab  =  14,500  Stück  geschätzt  worden  sein.)  Bleicheverkehr  9100  kg 
Oam  gebleicht,  72,300  kg  Garn  gelaugt,   14,365  Stück  Gewebe  gebleicht. 

Fnrrer«  VolXfwlrthschafts-LexIkon  der  Schweiz.  <)^ 


Lenzburg-Emmenbrücke  —     338     —  Lielibach 

Nach  Schlatter^s  Indiifitriekarte  für  die  Landesausstellang  in  Zürich  wäre» 
im  Jahre  1883  597  Personen  mit  der  Leioenspinnerei,  2652  Personen  mit  der 
Leinenweberei  beschäftigt,  und  zwar 

Spinner  im  Kt.  Zürich  291,  Bern  216,  Aargaa  46,  Schaffhausen  44;. 
Weber  im  Kt.  Bern  1817,  Thurgau  250,  Zürich  133,  Lnzem  121,  Appenzell 
A.-Rh.  70,  Freiburg  66,  Waadt  60,  Schaflfhausen  34,  Aargau  26,  Baselland  25, 
Zug  22,  Schwyz  10,  St.  Gallen  8,  Nidwaiden  5,  Graubünden  5. 

Die  eidg.  Berufsstatistik  pro  1880  schreibt  der  Leinen-  und  Halbleinen- 
industrie (inbegrififen  Seilerei  und  filastiquefabrikation)  10,785  erwerbsthätige 
Personen  zu  =  8,2  ®/oo  aller  Berufsthätigen.  Die  Summe  10,785  vertheilt  sich 
auf  die  Kantone  wie  folgt;  Bern  4016,  Luzern  924,  Aargau  813,  Waadt  615, 
Freiburg  611,  Solothurn  542,  Zürich  485,  Graubünden  477,  Thurgau  319, 
Tessin  277,  Schaffhausen  248,  WaUis  245,  St.  Gallen  229,  Schwyz  217,  Ob- 
walden  215,  Uri  103,  Nidwaiden  88,  Baselland  81,  Glarus  61,  G«nf  55,  Zug 
55,  Baselstadt  40,  Neuenburg  37,  Appenzell  A.-Bh.  28,  Appenzell  I.-Bh.  4. 

Von  obigen  10,785  Personen  entfallen  auf  die  Seilerei  1172,  auf  die 
Elastiquefabrikation  644  Personen. 

Dem  schweizerischen  Fabrikgesetz  sind  (Ende  1886)  11  EtabHssemente 
der  Leinenbranche  (inkl.  Seilerei  und  Hanfsohlauchfabrikation)  mit  595  Arbeitern 
unterstellt;  549  Pferdekräfte.  Es  entfallen  auf  den  Kanton  Bern  4  Etabl.  mit 
272  Arb.,  Zürich  3  Etabl.  mit  227  Arb.,  Aargau  2  Etabl.  mit  48  Arb., 
Schaffhausen  «  Etabl.  mit  48  Arb. 

Lenzburg-Emmenbriicke  s.  Seethalbahn. 

Leopoldshöhe-Basel-Grenzaoh  s.  Badische  Staatsbahnen. 

Liberia  steht  mit  der  Schweiz  in  vertraglicher  Beziehung  durch  den  Welt- 
postverein «vertrag. 

Lichtdruckerei«  Diesen  Geschäftszweig  betreibt  laut  Handelsregister  die 
Firma  Brunner  &  Cie.  in  Winterthur ;  ferner  laut  Birkhäuser^s  Adreßbuch  (Basel, 
1885)  eine  Firma  in  Basel. 

Lichtenstein,  Die  mit  diesem  Fürstenthum  seit  1848  abgeschlossenen  und 
noch  in  Kraft  bestehenden  Verträge  sind :  Der  Vorarlbergbahn  -  Vertrag,  d.  d. 
27.  August  1870  (A.  S.  10,  p.  380),  der  Niederlassungsvertrag  vom  6.  Juli 
1874  (A.  S.  n.  F.  1,  p.  451),  der  Vertrag  über  gegenseitige  Zulassung  der  an 
der  Grenze  doraizilirten  Medizinalpersonen  (A.  S.  n.  F.  9,  p.  226).  Siehe  auch 
OesteiTeich-Ungam. 

Liegel's  Winterbutterbirne,  eine  Tafelfmcht  ersten  und  Wirthschafts- 
frucht  vierten  Ranges,  ist  auch  in  der  Schweiz  verbreitet.  Der  Baum  ertrSgt 
die  Winterkälte  gut  und  wird  etwas  spät  tragbar.  („Schweizerische  Obstsorten •*, 
Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhorn  in  St.  Gallen.) 

Lielibacll-  und  Trestlibach -Verbauung  bei  Beokenried  (Nidwaiden). 
Den  Anlaß  zur  Verbauung  dieser  beiden  Bäche  gab  die  Katastrophe  vom  Juli 
1883,  welche  einen  bedeutenden  Schaden  durch  Verschüttung  von  Grundstücken 
und  Gebäulichkeiten  verursachte.  Vor  diesem  Ereigniß  flössen  die  beiden  Bäche, 
deren  Zusammenfluß  unmittelbar  oberhalb  der  Brücke  der  Straße  Beckenried-Buocbs 
stattfand,  vereinigt  etwas  unterhalb  dieser  Brücke  dem  Vierwaldstätter  See  zu ; 
seither  fließt  nun  der  Trestlibach  etwas  unterhalb  des  Austrittes  aus  der  Schlucht 
in  mehr  westlicher  Bichtung  durch  das  „Riedlithal**  direkt  in  den  See,  welchen 
Lauf  er  schon  früher  einmal  genommen  hatte  und  nach  dem  bestehenden  Projekte 
auch  beibehalten  soll.  Was  die  Arbeiten  am  Lielibach  betrifft,  so  beziehen 
sich   dieselben  auf:    1)  die  Verbauung  der  Erosionsrinne  in  einer  Gesammtlänge 


Liestal -Waidenburg  —      339      —  Lingerie 

voD  3440  m,  2)  die  Eeglung  des  untern  Laufes  in  einer  Länge  von  1100  m, 
vom  Ende  der  Erosionsrinne  bis  zum  See. 

Zu  den  hier  genannten  Arbeiten  kommt  noch  die  Yerbauung  der  beiden 
Zuflüsse:  des  Graben-  und  des  Moosbaches  mit  einer  Länge  von  je  600  m  und 
1000  m.  Beim  T res tlibach,  in  dessen  oberstem  Laufe  wie  am  Lielibach  keine 
schlechten  Zustände  bestehen,  handelt  es  sich  um  die  Verbauung  der  Erosions- 
rinne in  einer  Länge  von  1600  m;  der  untere  Theil  dieses  Baches  wird  in 
seinem  neuen  Laufe  belassen  und  ist  daher  nur  die  Reglung  desselben  auf  der 
2030  m  langen  Strecke  vorgesehen.  Zu  diesen  Arbeiten  kommt  noch  die  Ver- 
bauung seiner  beiden  Zuflüsse:  Hombaoh  und  Schwabergtobel  mit  einer  Länge 
von  je  400  m  und   100  m. 

Dem  Halbkanton  Nidwaiden  wurde  an  die  Kosten  dieser  Arbeiten,  fUr  deren 
Ausführung  8  Jahre  vorgesehen  sind,  ein  Bundesbeitrag  zugesichert,  der  fest- 
gesetzt wurde  auf  50®/o  der  wirklichen  Kosten,  bis  zum  Maximum  von  Fr.  125,000, 
als  50  ®/o  der  Yoranschlagssumme  von  Fr.  250,000.  Bundesbeschluß  vom  19.  De- 
zember 1884  (A.  S.  n.  F.  Bd.  7,  pag.  776). 

Liestal- Waidenburg  s.  Waldenburgerbahn. 

Ligne  d'Italie*  Unter  diesem  Namen  bestanden  früher  zwei  Gesellschaften 
fUr  die  Eisenbahn  im  Kanton  Wallis.  Die  Betriebseröffnungen  und  der  Eigen thums- 
wechsel  haben  wie  folgt  stattgefunden:  Am  14.  Juli  1859  Eröffnung  der  Strecke 
Bouveret-Martinach  (38,321  m),  am  10.  Mai  1860  Eröffnung  der  Strecke 
Martinach-Sitten  (25,882  m),  am  1.  August  1867  Uebergang  der  Linie  Bouveret- 
Sitten  an  die  neue  Gesellschaft,  am  15.  Oktober  1868  Eröfliiung  der  Strecke 
Sitten-Sierre  (15,496  m),  am  1.  Juni  1874  IJebergang  der  Linie  Bouveret-Sierre 
(79,699  m)  an  die  Simplon-Bahngesellschaft  (siehe  Simplonbahn). 

Limberger.  Blaufränkische,  blaue  Frankentraube,  welche  aus  Niederöster- 
reich stammt.  Die  Rebe  ist  sehr  kräftig  und  fruchtbar,  dagegen  dem  schwarzen 
Brenner  (Fleck)  sehr  unterworfen;  auch  treibt  sie  frühe  aus  und  leidet  daher  oft 
von  den  Spätfrösten.  Die  Trauben  sind  groß,  schwarzblau,  faulen  nicht  leicht, 
reifen  später  als  der  Burgunder  und  geben  einen  etwas  rauhen,  aber  kräftigen 
Wein.  Kr. 

Limmatkorrektion  (Kanton  Zürich).  Es  handelt  sich  bei  dieser  Korrektion 
um  die  in  Ausführung  begriffene  14  km  lange  Strecke  von  Wipkingen  bis  zur 
Kantonsgrenze  bei  Oetweil.  Diese  Thalstrecke  wird  zeitweise  auf  große  Breiten 
überschwemmt,  in  Folge  der  ungestümen  Hochwasser  und  großen  Geschiebszufuhr 
der  Sihl.  Das  Korrektionssystem  für  die  ca.  10  km  lange  Strecke  von  der 
Kantonsgrenze  bis  Höngg,  bei  der  es  sich  um  eine  zusammenhängende  Korrektion 
handelt,  während  die  übrige,  ziemlich  regelmäßige  Flußstrecke  nur  kleinerer 
Ergänzungsarbeiten  bedarf,  ist  ein  ähnliches  wie  an  der  Thur  (siehe  „Thur- 
korrektion**),  nur  daß  hier  zur  Erzielung  einer  zweckmäßigen  Flußrichtnng  und 
zum  Zwecke  einer  erwünschten  Vermehrung  des  GefHlIes  einige  Durchstiche 
auszuführen  sind.  Das  projektirte  mittlere  Sohlengefäll  beträgt  1,5  ^oo  bei  einer 
Sohlenbreite  von  50  m.  Der  Kostenvoranschlag  für  diese  Korrektion  belauft  sich 
auf  Fr.  900,000.  Der  Bund  bewilligte  einen  Beitrag  im  Verhältnisse  eines  Dritt- 
theils  der  wirklichen  Kosten,  bezw.  im  Maadmum  Fr.  300,000.  Bundesbeschluß 
vom  28.  Juni  1882  (A.  S.  n.  F.  Bd.  6,  pag.  218). 

Lingerie«  Es  wird  angenommen,  daß  in  der  Schweiz  jährlich  für  15 
Millionen  Franken  Herren-  und  Damenwäsche  gebraucht  werde  (1' 600,000  Herren- 
hemden k  Fr.  37«  =  Fr.   5' 600,000;    Damenhemden,    Hosen,    Jacken^  Jw^viv^^ 


Linon  —     340     —  Linthkorrektion 

Schürzen,  üntertaillen,  Kragen,  Manohetten,  Büschen,  Corsets  etc.  Fr.  9^400,000), 
exkl.  Einderwäsche,  und  für  ca.   Y2  Million  Franken  Papier  wasche. 

Weitaus  der  größte  Theil  diesem  Bedarfs  wird  fertig  importirt  oder  aas 
importirten  Gewehen  oder  Halhfiahrikaten  (haomwollene  and  leinene  Hemden- 
brüste etc.)  verfertigt.  Der  Lieferangen  ordinärer  Waare  dieser  Art  hemächtigt 
sich  immer  mehr  Deutschland,  namentlich  Bielefeld  und  Berlin,  sowie  Plauen 
(für  Damenlingerie).  Eigentliche  Lingeriefabriken  existiren  wenige  in  der  Schweiz, 
wohl  aber  eine  Unmasse  kleinerer  Greschäfte  in  Verbindung  mit  Yerkaufeläden, 
die  Herrenhemden  und  Damenartikel  auf  Maß  und  im  Yorrath  verfertigen. 

Im  Handelsregister  waren  £nde  1885  215  Firmen  der  Lingeriebranche 
eingetragen. 

Linon,  Feine  Leinwand,  deren  Fabrikation  in  St.  Gallen  in  den  Neunziger 
Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  eingeführt  wurde,  um  die  durch  die  Kevolntions- 
ereignisse  in  Frankreich  hewirkte  Arbeitsnoth  zu  mindern.  £ine  größere  Bedeutung 
hat  indessen  diese  Fabrikation  nie  erlangt,  wohl  aber  die  Stickerei  auf  franzö- 
sischen und  niederläncttschen  Linons.  Imitation  von  Linon  in  Baumwolle  wurde 
in  St.  Gallen  schon  früher  betrieben. 

Linthkorrektion.  Die  Linth,  gebildet  durch  den  Sandbach  und  den  Limmem- 
hach,  welche  ihre  Quellen  an  der  Tödigruppe  haben,  durchfließt  der  Länge  nach 
den  ganzen  Kanton  Glarus,  eine  große  Anzahl  kleinerer  und  größerer  Bäche  in 
sich  aufnehmend,  und  ergießt  sich  etwas  oberhalb  dem  Städtchen  Weesen  in  den 
Wallenstadter  See.  Noch  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  floß  sie  mehrfach  zer- 
theilt  und  in  manchen  Krümmungen  an  Niederumen  vorbei,  der  Ziegelbrücke  zu, 
wo  sie  sich  mit  der  Weesener  Linth  oder  sog.  Maag  vereinigte,  welche  die  Fort- 
setzung des  bei  Wallenstadt  in  den  Wallenstadter  See  fließenden  Seez  ist.  Beide 
vereint  durchflössen  nun  die  große  Thalebene  zwischen  Wallenstadter  und  Züricher 
See,  um  unweit  Schmerikon  in  fast  gleicher  Richtung  wie  noch  jetzt,  sich  in 
letztern  zu  ergießen. 

Durch  vielleicht  Jahrhunderte  lang  fortgesetzte  Ablagerungen  der  Geschiebe 
der  Glamer  Linth  hatte  sich  allmälig  die  Thalebene  unter  Netstall  erhöht  und 
wurde  bei  Hochwassem  überschwemmt.  Das  vom  G^chiebe  befreite  Wasser 
vereinigte  sich  weiter  unten  mit  dem  tiefern  Abfluß  des  Wallenstadter  See's  in 
unschädlicher  Weise  und  überführte  bei  üeberfluthungen  die  angrenzenden  Grund- 
stücke bis  zum  Züricher  See  hinab  mit  fruchtbarem  Schlamm.  Nach  und  nach 
mußten  in  Folge  von  immer  höherer  Ablagerung  die  nutzbaren  Grundstücke  durch 
Eindämmung  der  Linth  geschützt  werden.  Die  Geschiebe,  welche  nun  nicht  mehr 
seitwärts  ausweichen  konnten,  wurden  immer  weiter  vorwärts  geschoben,  bis  sie 
die  Yereiniguugsstelle  mit  der  Maag  bei  der  Ziegelbrücke  erreicht  hatten  und 
dadurch  das  Bett  derselben  derartig  erhöhten,  daß  sich  der  Seezspiegel  über  die 
gesammte  Niederung  von  Näfels  bis  zum  Wallenstadter  See  und  auch  abwärts 
nach  dem  Züricher  See  erhob.  Die  Ortschaften  Weesen  und  Wallenstadt,  sowie  noch 
andere  Orte  wurden  zeitweise  unter  Wasser  gesetzt,  ja  bei  hohen  Wasserständen 
erreichte  das  Wasser  die  ersten  Stockwerke  in  genannten  Ortschaften,  so  daß  der 
Yerkehr  nur  mit  großen  Schiffen  bewerkstelligt  werden  konnte. 

Durch  diese  mißlichen  Zustände  wurden  mehrere  hundert  Jnchartcn  des 
fruchtbarsten  Bodens  gänzlich  versumpft  und  die  aus  den  Sümpfen  entstandenen 
Dünste  verursachten  eine  Menge  von  Krankheiten. 

Um  diesem  Unheil  wirksam  entgegen  zu  treten,  wurde  an  der  Tagsatzung 
im  Jahre  1804  auf  den  Yorschlag  des  Staatsraths  Conrad  Escher  in  Zürich, 
der   auch   später  die  Leitung  der  Arbeiten  übernahm,  die  Korrektion  der  Linth 


LinthkorrektioD  —      341      —  Linthkorrektion 

beschlossen.  Die  kOnstliche  Senkung  des  Wallenstadter  See^s  auf  das  gegenwärtige 
Seenivean,  auf  welcher  das  ganze  Gelingen  der  üntemehmung  beruhte,  wurde 
bewerkstelligt  durch  Ableitung  der  Geschiebe  der  Glarner  Linth  in  den  Wallen- 
stadter See  vermittelst  dem  zu  diesem  Zwecke  erstellten  Molliser  Kanals  der 
später  zu  Ehren  des  Leitenden  den  Namen  nEscher-Eanal"  erhielt,  sowie  durch 
Anlage  des  Linthkanals,  welcher  vom  Wallenstadter  nach  dem  Züricher  See  führt. 

Die  Arbeiten  am  Molliser  Kanal  begannen  am  1.  September  1807  und 
es  konnte  der  letztere  am  8.  Mai  1811  der  Linth  geöffnet  werden.  Die  Totallänge 
dieses  Kanals  war  zu  3900  m  bestimmt,  mußte  aber  um  ca.  1200  m  verlängert 
werden,  da  sich  an  der  Mündung  im  Wallenstadter  See  aus  den  reichlichen  Sink- 
stoffablagerungen der  Linth  bedeutende  Alluvionen  bildeten,  die  das  Profil  des 
Kanals  beengten  und  seine  Gefälle  verminderten.  Zudem  wurde  die  Korrektion 
der  Glarner  Linth  in  einer  Länge  von  1800  m  von  der  Molliser  Brücke  aufwärts 
ausgeführt.  Der  dermalige  Zustand  des  Kanals  nach  den  nothwendig  gewordenen 
Berichtigungs-  und  Ergänzungsbauten  zeigt  bei  einem  gleichmäßigen  Sohlengefäll 
von  3  ^/oo  die  Eigenthümlichkeit,  daß  dessen  Profilweite  von  der  Molliser  Brücke 
abwärts  gegen  den  Wallenstadter  See  zu  abnimmt.  Der  Zweck  besteht  darin, 
die  Triebkraft  des  Wassers  zur  Vermeidung  von  Geschiebsablagerungen  nach  unten 
zu  verstärken.  Obenher  dem  Kupferkrumm  in  einer  Länge  von  1800  m  hat  der 
Kanal  eine  Sohlenbreite  von  18  m  bei  2,1  m  hohen  Wuhren  und  bis  2,4  m 
hohen  Dämmen;  unter  der  Kupferkrumm  bis  zur  Kanalverlängerung  beträgt  die 
Sohlenbreite  nur  15  m  bei  2,4  m  hohen  Wuhren  und  bis  3  m  hohen  Dämmen; 
in  der  Kanalfortsetzung,  über  1200  m  lang,  reduzirt  sich  die  Sohlenbreite  sogar 
auf  12  m  bei  3,6  m  hohen  Wuhren,  ohne  Dämme. 

Gleichzeitig  mit  der  Inangriffnahme  des  Molliser  Elanals  begannen  die  Ar- 
beiten am  Linthkanal  unterhalb  der  Ziegelbrücke  mit  Ausgrabung  eines  neuen 
Flußbettes.  Sowohl  auf  den  Strecken,  wo  auf  eine  Gesammtlänge  von  750  m 
einige  Liseln  zu  durchschneiden  waren,  wie  auch  bei  den  Durchschnitten  der  lang- 
gezogenen Serpentinen,  wodurch  die  Gesammtlänge  des  alten  Linthlaufes  von  der 
Ziegelbrücke  bis  Grynau  um  ca.  4340  m  reduzirt  werden  konnte,  wurde  derselbe 
nur  auf  halbe  Breite  ausgehoben,  die  weitere  Verbreitung  und  Vertiefung  der 
Wasserkraft  überlassen.  Der  Kanal  vom  Wallensee  bis  zur  Ziegelbrücke  wurde 
vollständig  im  alten  Sumpfboden  ausgegraben.  Den  17.  April  1816  war  die 
Korrektion  der  untern  Linth  bis  ca.  1350  m  unterhalb  Grynau  vollständig  und 
glücklich  durchgeführt,  jedoch  noch  ohne  IJferversicherungen,  da  sich  der  Fluß 
erst  noch  durch  Vertiefung  und  Erweiterung  seines  Bettes  einen  Normalzustand 
bilden  mußte  und  erst  nach  und  nach  ausgebaut  werden  konnte. 

Wie  am  Escher-Kanai,  so  waren  auch  am  Linthkanal  außer  den  unvermeid- 
lichen Ünterhaltungsarbeiten  im  Laufe  der  Jahre  noch  andere  Nachhülfen  nothwendig. 
Ebenso  mußte  der  Kanal  auf  eine  Strecke  von  ca.  2400  m  unterhalb  Grynau 
verlängert  werden,  um  die  Bodenkulturflächen  zwischen  Benken,  Reichenburg, 
Tuggen,  Grynau,  Schmerikon  und  Utznach,  welche  durch  den  Rückstau  des 
Züricher  See's  in  den  Linthkanal  häufig  an  Ueberschwemmungen  zu  leiden  hatten, 
von  diesem  Uebel  zu  befreien.  Um  die  periodisch  sehr  bedeutenden  Gewässer 
der  beiden  Thalseiten  von  Schännis  und  Niederumen  direkt  in  den  Züricher  See 
abzuleiten,  mußten  Hinterwasserkanäle  hinter  den  Linthdämmen  erstellt  werden, 
deren  Sohlen  breite  rechtsseitig  auf  15  m  und  linksseitig  auf  12  m  bestimmt 
wurde. 

Die  Totallänge  des  Linthkanals  beträgt  ca.  17  km,  das  Flußgefäll  1,15^00, 
bei  der  Ausmündung  unterhalb  Grynau  0,50  ^/oo;  oberhalb  Grynau  hat  der  Kanal 


Linththal-Glarus  —      342     —  Literarisches  Eigenthum 

ein  mittleres  Profil  von  30  m,   ly^malige  Böschangen,  2,4  m  Tiefe,  Hochwasser 
dämme  1,8  m  hoch;    die  Entfernung  der  Dammkronen  beträgt  60  m;  unterhalb 
Grynau  ein  mittleres  Profil  von  33  m,  1 '/« malige  Böschung,  2,4  m  Tiefe,  Hoch- 
wasserdärame  1,8  hoch,  Entfernung  der  Dammkronen  75  m. 

Bis  zum  Jahre  1827,  wo  das  unternehmen  abgeschlossen  und  die  neuen 
Kanäle  dem  Unterhalt  der  betreffenden  Genoßsamen  übergeben  worden,  betrugen 
die  sämmtlichen  auf  die  ganze  Korrektion  aufgewendeten  Kosten  Fr.  1' 476, 762, 
die  gesammten  Ausgaben  für  das  Linthunternehmen  seit  1807  bis  1885  Fr.  3'952,324. 
Damit  kann  aber  das  Unternehmen  noch  lange  nicht  als  völlig  abgeschlossen  be- 
trachtet werden,  indem  zu  dessen  Vollendung  noch  eine  Summe  von  ca.  einer 
Million  Franken  erforderlich  und  ein  etwa  dreißigjähriger  Vollendung« termin 
vorgesehen  ist.  (Vgl.  auch  G.  H,  Legier^  Linthingenieur,  „Summaiischer  Bericht 
über  das  Linthunternehmen  1866  und  September  1886** ;  Glanis,  Buchdruckerei 
W.  Schmid.)  Br. 

Linththal-Glarus  s.  Nordostbahn. 

Ijiqueur  im  eigentlichen,  engeren  Sinne  des  Wortes  (Anisette,  Kümmel, 
Genievre,  Nußwasser,  Maraschino,  Creme  de  menthe,  Creme  de  vanille,  Parfait 
d'amour,  Curagao,  Chartreuse  etc.)  wird  in  der  Schweiz  nicht  fabrikmäßig,  sondern 
mehr  nur  zum  Hausgebrauch  oder  als  Nebenerwerb  bereitet.  Anders  verhält  es 
sich  mit  den  gemeiniglich  ebenfalls  zu  den  Liqueuren  gezählten  Bittem,  Absinth, 
Wermuthwein,  Iva,  Enzianschnaps.  Am  bedeutendsten  ist  die  Absinth-  und 
Wer muth Weinfabrikation  —  hauptsächlich  im  romanischen  Jura  und  in  Genf  zu 
Hause  —  mit  einer  Produktion,  deren  Werth  wahrscheinlich  über  1  Million  Franken 
beträgt  und  die  großentheils  exportirt  wird.  Die  Fabrikation  von  Magenbitter, 
hauptsächlich  durch  den  Alpenkräutermagenbitter  von  Dennler  in  Interlaken  und 
Zürich,  sowie  von  Amstutz  &  Denner,  und  die  Ivapräparate  von  Apotheker 
S.  Bernhard  in  Samaden  (Graubünden)  repräsentirt,  hat  ebenfalls  große  Dimen- 
sionen angenommen. 

Ein  wichtiger  Liqueur  ist  in  der  Schweiz  auch  der  Enzianschnaps  (Gentiane), 
dessen  Bereitung  seit  einiger  Zeit  im  Großen  betrieben  wird. 

Die  Bereitung  aller  übrigen  Liqneursorten  —  in  großer  Zahl  —  bildet  in 
der  Schweiz,  wie  bereits  erwähnt,  nur  einen  Nebenerwerb  von  meistens  ganz 
lokaler  Bedeutung. 

Durch  große  Mannigfaltigkeit  der  Sorten  zeichnet  sich  der  Kanton  Tessin  aus. 

Die  schweizerische  Liqueur-Industrie  stützt  sich  hauptsächlich  auf  den  Reich- 
thum  des  Landes  an  den  bezüglichen  Kräutern  (Wermuthkraut,  Iva,  Enzian, 
Thymian,  Angelika  etc.),  die  meist  nur  in  den  Alpen  zu  finden  sind. 

Einfuhr  von  Liqueurs  im  Jahre  1885;  1663  q  ä  Fr.  325  =  Fr.  540,475 
(13.20  q  aus  Frankreich,   152  q  aus  Deutschland,   110  q  aus  Italien). 

Ausfuhr:  4607  q  a  Fr.  132  =  Fr.  607,576  (3323  q  nach  Frankreich, 
237  q  nach  Deutschland,  225  q  nach  den  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika, 
183  q  nach  Italien,  98  q  nach  Belgien). 

Cognac,  Rhum,  Arrac  sind  hie  vor  nicht  inbegriffen. 

Im  Handelsregister  waren  Ende  1884  130  Liqueur- Fabrikationsgeschäfte 
eingetragen.  Birkhäuser's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  verzeichnet  1050  Liqueur- 
und  Spirituosengeschäfte  (Fabrikation  und  Handel). 

Literarisches  und  künstlerisches  Eigenthum.  (Mitgetheilt  von  Herrn 
Dr.  Kaufmann,  eidg.  Gewerbesekretär.)  Dieser  Zweig  des  geistigen  Eigenthums 
hat,    wie  seine  Komponente,    das  gewerbliche  Eigenthum,    in  der  Schweiz  lange 


Literarisches  Eigenthum  —     343     —  Literarisches  Eigenthum 

auf  die  Fürsorge  des  Gesetzgebers  warten  müssen,  aber  doch  schließlich  unter 
der  Herrschaft  der  1874er  Verfassung  die  staatliche  Anerkennung  auf  eidge- 
uössischem  Boden  gefunden,  während  Eründungen,  Muster  und  Modelle  (betr. 
Fabrik-  und  Handelsmarken  s.  diese)  noch  um  dieselbe  kämpfen,  und  weit  heftigerm 
Widerstand  begegnen. 

Vor  1874  wurden  wohl  in  einzelnen  Fällen  obrigkeitliche  PrivUeffien  für 
den  Druck  und  Verkauf  literarischer  Werke  ertheilt,  jedoch  nur  auf  dem  engen 
Gebiete  der  StUdte  und  Stände  (z.  B.  Zürich,  Baselstadt,  Aargau),  So  konnte 
z.  B.  die  Toffsaizung  über  ein  Gesuch  Heinrich  Pe8taloiszi\  um  Bewilligung 
eines  solchen  Privilegiums  keinen  Entscheid  fassen,  weil  dies  nicht  in  ihrer 
Kompetenz,  sondern  in  derjenigen  der  Stände  lag;  sie  übermittelte  dagegen  das- 
selbe dem  Vororte  ^zu  angemessener  Empfehlung  an  die  Stände,  sei  es  unter 
dem  Titel  des  Rechts  und  der  Beschützung  des  Eigenthums,  sei  es  aus  Achtung 
für  die  Verdienste  und  Hingebung  des  Herrn  Pestalozzi  zu  gemeinnützigen 
Zwecken"  (19.  Aug.  1816).  Aehnlich  erging  es  einem  der  Tagsatzung  durch 
Vermittlung  des  preußischen  Gesandten  am  16.  Juli  1829  zugekommenen  Gesuche 
des  Landgerichtrathes  von  Schiller  in  Trier  um  ein  Privilegium  für  Schiller' s 
Werke  zu  Gnnsten  seiner  hinterbliebenen  Blinder  Karl,  Ernst,  Karoline  und 
Emilie. 

Luzern  z.  B.  hat  im  Jahre  1829,  gewissermaßen  aus  Pietät  gegenüber  den 
betr.  Autoren,  den  Nachdruck  und  den  Verkauf  nachgedruckter  Ausgaben  der 
Werke  Schiller's  und  des  Bischofs  Sailer  von  Regensburg  unter  polizeilicher 
Strafandrohung  und  Konfiskation  verboten. 

Baselland  ließ  im  Jahre  1838  einer  französischen  Gesellschaft,  welche  in 
Allschwyl  zum  Zwecke  des  Nachdrucks  eine  Druckerei  errichtet  und  bereits  mit 
dem  Nachdrucke  von  Schiller  s  Werken  begonnen  hatte ,  die  Fortführung  des 
Geschäftes  untersagen  und  die  Presse  schließen. 

Den  ersten  Anstoß  zur  eidgenössischen  Regelung  der  Frage  versuchte  die 
Gesandtschaft  des  Standes  Aargau  in  der  Tagsatzungssitzung  vom  21,  Äug,  1838, 
indem  sie  die  Anregung  brachte,  „ob  es  nicht  zweckmäßig  wäre,  sei  es  auf  dem 
Wege  eines  verbindlichen  Tagsatzungsbeschlusses  oder  eines  freiwilligen  Konkordats 
<lie  Sicherstellung  des  literarischen  Eigenthums  gegen  Nachdruck  oder  Verkauf 
des  Nachdrucks  zu  bewirken**.  Einige  Stände  erklärten  sich  wohl  zur  Mitwirkung 
bereit,  von  anderer  Seite  aber  wurde  auf  die  großen  Schwierigkeiten  hingewiesen, 
welche  anderwärts  die  Ergreifung  derartiger  Maßregeln  zur  Folge  gehabt,  und 
welche  noch  vermehrt  würden  durch  die  konföderative  Verfassung  der  Schweiz, 
zudem  ein  bloßes  Konkordat  über  diesen  Gegenstand  von  gar  keinem  Erfolg 
wäre.  Die  große  Mehrheit  der  Stände  behielt  sich  denn  auch  das  einfache 
Referendum  über  die  stattgefundene  Berathung  vor  (s.  Repertorium  der  Abschiede 
1814—1848,  Bd.  2,  p.  650/51). 

Später  wurde  in  der  durch  die  Tagsatzung  am  16.  Aug.  1847  mit  der 
Revision  des  Bundesvertrages  vom  7.  Aug.  1815  beauftragten  Kommission  ein 
Vorschlag,  welcher  auf  Sicherung  des  literarischen  Eigenthums  abzielte,  eingebracht, 
aber  auf  die  Bemerkung,  „daß  solche  Spezialitäten  nicht  in  den  Bundesvertrag 
gehören,  und  daß  es  Sache  der  Gesetzgebung  sei,  diesfalls  den  nöthigen  Schutz 
zu  gewähren"*,  zurückgezogen  (Sitzung  vom  30.  März  1848;  s.  Protokoll  der 
Kommiss.-Verhandl.,  p.  149). 

In  der  die  Verfassungsrevision  berathenden  Ta(/satzung  selbst  wurde  am 
•31.  Mai  1848  von  der  Gesandtschaft  des  Standes  Genf  der  Antrag  gestellt,  zu 
Art.  11  der  Verfassung  das  Amendement:   „Les  dispositions  legislatives  touchant 


Literarisches  Eigenthum  —     344     —  Literarisches  Eigenthuia 

les   brevets    d'invention,   la  proprieti  artistique  et  iitt6raire  dans  tonte  Tetendue 
de  la  Confed^ration"   aufzunehmen. 

Dieser  Vorschlag  yeranlaßte  eine  längere  Diskussion.  Es  wurde  eingewendet^ 
„daß  das  Patentsystem  nicht  demokratisch  sei,  und  stets  nur  dazu  gedient  habe, 
die  herrschende  Gewalt  zu  unterstützen.  Ein  geistiges  Eigenthum  dtlrfe  nicht 
wie  eine  Waare  behandelt  werden,  und  was  dem  Geiste  einmal  entflossen  sei, 
dürfe  von  Jedermann  als  vollständiges  Eigenthum  angesehen  werden.  Durch  den 
Nachdruck  insbesondere  sei  ein  hauptsächliches  Mittel  gegeben,  das  Volk  auf- 
zuklären und  nützliche  Kenntnisse  unter  demselben  zu  verbreiten,  indem  das  Volk 
nicht  im  Stande  sei,  mit  schwerem  G^lde  theure  Bücher  sich  zu  verschaffen. 
Üeberdies  dürfte  ein  Gesetz,  wie  das  beantragte,  in  der  Praxis  nicht  auszuführen 
sein,  indem  die  Grenze  schwer  zu  finden  wäre,  für  welche  Erfindung  im  Gebiete 
der  Kunst  oder  der  Industrie  der  Staat  einen  ausdrücklichen  Schutz  zu  gewähren 
habe." 

Zu  Gunsten  des  Schutzes  wurde  augeführt,  daß  das  literarische  Eigenthum 
seinem  Begriffe  nach  ebenso  gut  in  seiner  Integrität  erhalten  werden  und  unter* 
den  öffentlichen  Schutz  gestellt  sein  müsse,  wie  jedes  andere  materielle  Eigenthum.. 
Nur  dann  könne  der  Gelehrte  sich  ermuntert  fühlen,  literarischen  Arbeiten  sich 
zu  unterziehen,  während  er  bei  der  bestehenden  Rechtlosigkeit  genöthigt  sei, 
seine  Produkte  in  solchen  Staaten  drucken  zu  lassen,  wo  sie  nicht  gleich  nach 
ihrem  Erscheinen  ganz  unberechtigten  Personen  zur  Beute  werden  dürfen.  Dann 
könne  die  Schweiz  auch  mit  den  Nachbarntaaten  bezügliche  Verträge  abschließen,, 
wodurch  sich  den  schöpferischen  geistigen  Talenten  ein  weiter  Markt  eröffnen 
würde,  was  zu  vermehrter  Beschäftigung  im  Gebiet  der  Literatur  und  somit  zur 
Hebung  der  Wissenschaft  und  Kunst  führen  müßte.  Außerdem  komme  nicht 
bloß  die  geistige  Thätigkeit,  sondern  auch  der  Umstand  in  Betracht,  daß  der 
Schriftsteller  für  die  Ausarbeitung  seines  Werkes  oft  bedeutende  materielle  Opfer 
bringen  müsse,  für  welche  der  Schutz  eine  billige  Entschädigung  böte. 

In  der  Abstimmung  stimmten  für  den  im  Antrage  Genfs  auch  enthaltenen 
Schutz  der  Erfindungen  nur  die  Gesandtschaften  der  drei  Stände  Freiburg,  Neuen- 
burg und  Genf,  nebst  Baselstadt,  für  den  Schutz  des  literarischen  Eigenthums 
diejenigen  der  neun  Stände  Zürich,  Schwyz,  Zug,  Freiburg,  Thurgau,  Waadt,. 
Wallis,  Neuenburg  und  Genf,  nebst  Baselstadt,  also  eine  ansehnliche  Minderheit 
(s.  Abschied  der  ord.  Tags.   1847,  IV.  Theil,   117—119). 

Es  blieb  somit  einstweilen  beim  alten  Zustande,  welcher  deßwegen,  weil  drei 
Kantone,  6refn/* (französische  Gesetzgebung),  Solothurn  (Zivilgesetzbuch,  §  1404  ff.),. 
Tessin  (Gesetz  betr.  d.  lit.  Eigenthum,  vom  20.  Mai  1835),  das  Autorrecht 
(jeseizUch  geregelt  hatten,  nicht  befriedigender  war,  denn  diese  Gesetzgebungen 
mußten,  weil  isolirt  und  auf  kleines  Gebiet  beschränkt,  ganz  unwirksam  bleiben. 

Immerhin  gewann  die  Theorie  des  Schutzes  der  Urheberrechte  doch  nach 
und  nach  Boden.  Nachdem  der  Staatsrath  von  Freiburg  schon  am  5.  Dez.  1849 
die  Initiative  ergriffen,  die  Mitstände  auf  die  mit  dem  herrschenden  gesetzlosen 
Zustande,  namentlich  auch  bezüglich  der  Schulbücher,  verbundenen  Nachtheile 
aufmerksam  gemacht  und  zu  deren  Beseitigung  die  Gründung  eines  Konkordates 
angeregt  hatte,  gelangte  am  21.  April  1852  der  Schweiz.  Bundesrath,  veranlaßt 
durch  den  wiederholt  geäußerten  dringenden  Wunsch  Frankreichs,  mit  der  Schweiz 
in  ein  Vertragsverhältniß  zur  Verhinderung  des  Nachdrucks  zu  treten,  an  die 
Kantone,  um  sie  über  die  Ausßichten  auf  Regelung  der  Angelegenheit  durch 
Kantonalgesetzgebung  oder  Konkordat  zu  sondiren.  Das  Resultat  war  derart^ 
daß  der  Bundesrath  eine  interkantonale  Konferenz  organisirte,  welche  am  4.  Febr» 


Literarisches  £igei)thum  —     345     —  Literarisches  Eigenthum 

1854  in  Bern  zusammentrat  und  nach  Antrag  Zürichs  beschloß,  den  Bundesrath 
um  Ausarbeitung  eines  Konkordatsentwurfs  zu  ersuchen,  mit  dem  Beifügen,  «daß 
es  wünschenswerth  wäre,  wenn  auch  etwas  zum  Schutze  der  Erfindungen  geschehen 
könnte**.  Bei  üebermittlung  seines  Entwurfs  an  die  Kantone  (17.  Mai  1854) 
sprach  sich  indeß  der  Bundesrath  gegenüber  letzterem  Begehren  ablehnend  aus; 
es  sei  nicht  rathsam,  durch  die  Vereinigung  beider  Gegenstände  in  einem  Konkordat 
die  Kantone  in  die  Alternative  zu  versetzen,  entweder  beides  oder  nichts  an- 
nehmen, und  außerdem  sei  von  jeher  die  Benutzung  von  Erfindungen  in  der 
öffentlichen  Meinung  anders  beurtheilt  worden,  als  der  literarische  Nachdruck. 
Die  Anregung  betr.  die  Erfindungen  blieb  auf  sich  beruhen.  Eine  neue  inter- 
kantonale Konferenz  vom  15.  Juli  1854  in  Bern  nahm  den  bundesräthlichen,  von 
ihr  noch  durohberathenen  Entwurf  an,  ließ  ihn  durch  Vermittlung  des  Bundesrathes 
(Kreisschreiben  vom  7.  Aug.  1854)  sämmtlichen  Ständen  mittheilen  und  letztere 
zum  Beitritt  einladen. 

Der  Enthusiasmus  fUr  das  allerdings  nicht  vollkommene  Werk  war  zwar 
nicht  groß«  und  erst  am  3.  Des,  1856  konnte  das  Konkordat  vom  Bundesrath 
promulgirt  werden  (A.  S.  5,  p.  494),  nachdem  ihm  beigetreten  waren;  Zürich, 
Bern,  Uri,  Unterwaiden,  Glarus,  beide  Basel,  Schaffhausen,  Appenzell  I.-Rh., 
Graubünden,  Thurgau,  Tessin,  Waadt  und  Genf.  Später  schlössen  sich  noch  an  : 
Aargau  (13.  Febr.  1857),  AppenzeUA.-Rh.(28.0kt.  1860),  Schwyz  (8.  Juni  1«67). 

Einzelne  Stände  verhielten  sich  unbedingt  ablehnend,  und  es  leuchtet  ein, 
daß,  nachdem  es  nicht  gelang,  alle  zu  dem  Konkordate  zu  vereinigen,  letzteres 
seinen  Zweck  höchst  mangelhaft  erfüllte. 

Die  Situation  wurde  noch  aus  einem  andern  Grunde  verschlimmert. 

Wie  schon  angedeutet,  verfolgte  Frankreich  seit  Jahren  beharrlich  das 
Ziel,  mit  der  Schweiz  einen  Vertrag  gegen  den  Nachdruck  abzuschließen.  Die 
nach  der  1848er  Verfassung  auf  diesem  Gebiete  souveränen  Kantone  weigerten 
sich  ebenso  beharrlich,  auf  dieses  Begehren  einzutreten,  mit  Ausnahme  von  Genf^ 
welches  mit  Frankreich  durch  Vermittlung  des  Bundesrathes  einen  auch  die 
Fabrikmarken  umfassenden  Separatvertrag  vom  30.  Okt.  1858  (A.  S.  6,  p.  86) 
abschloß. 

In  den  Anfangs  der  60er  Jahre  nachfolgenden  Unterhandlungen  zwischen 
der  Schweiz  und  Frankreich  machte  jedoch  letzterer  Staat  den  Abschluß  des  von 
der  Schweiz  lebhaft  angestrebten  Handelsvertrages  von  der  absoluten  Bedingung 
abhängig,  daß  die  französischen  Produzenten  gegen  unbefugte  Nachahmung  ihrer 
Produkte  gegenüber  den  schweizerischen  gesichert  würden.  Ea  gelang  zwar,  den 
in  diesem  Begehren  enthaltenen,  am  meisten  Bedenken  erregenden  Schutz  der 
Erfindungen  und  Modelle  zu  eliminiren  und  die  geforderte  und  auch  zugestandene 
üebereinkunfi  (vom  30,  Juni  1864,  A.  S.  8,  p.  334;  Schweiz.  Vollziehungs- 
verordnung vom  14.  Juni  1864,  A.  S.  8,  p.  425)  auf  das  literarische  und 
ktlnstlerische  Eigenthum,  die  Fabrik-  und  Handelsmarken  und  industriellen  Zeich- 
nungen zu  beschränken,  aber  auch  so  noch  wurde  sie  in  der  Schweiz  allseitig 
mit  großem  Widerstreben  und  nur  mit  Rücksicht  auf  die  Vortheile  des  Handels- 
vertrages in  den  Kauf  genommen  (s.  den  Bericht  des  Bundesrathes  vom  15.  Juli, 
der  nationalräthlichen  Kommission  vom  26.  Aug.,  der  Minderheit  der  letztern 
vom  26.  Aug.,  der  ständeräthlichen  vom  2.  Sept.  1864).  Die  Uebereinkunft  war 
in  der  That  schon  aus  dem  Grunde  eine  höchst  eigen thümliche  Erscheinung,  weil 
sie,  Angesichts  der  fehlenden  Befugniß  des  Bundes,  über  das  geistige  Eigenthum 
ein  Gesetz  zu  erlassen,  und  der  Schwierigkeit,  ja  Unmöglichkeit,  an  dessen 
Stelle  25  kantonale  Gesetze  oder  ein  alle  Kantone  umfassendes  Konkordat  treten 


Literarisches  Eigenthum  —     346     —  Literarisches  Eigenthum 

zu  lassen,  über  den  in  der  Schweiz  den  Franzosen  zu  gewährenden  Schatz  eine 
eigentliche  aosfdhrliche  Gesetzgebung  mit  Strafcodex  enthielt,  wie  es  übrigens 
auch  noch  mit  der  spätem  Uebereinkunft  vom  23.  Febr.  1882  der  Fall  ist.  Schon 
dies  war,  abgesehen  davon,  daß  die  Materie  damals  überhaupt  nicht  beliebt  war, 
sehr  seltsam,  und  dazu  kam,  daß  damit  für  den  Ausländer  Schatzgarantien  ein- 
geführt wurden,  welche  der  Schweizer  selbst  entbehrte. 

Diese  fatale  UngleichheU  zu  G-unsten  des  Ausländers  und  andere  aus  den 
Verträgen  mit  Frankreich  hervorgehende  Uebelstände  (sog.  Jadenfrage,  etc.)  suchte 
man  allerdings  bald  nachher  durch  eine  Partialrevision  der  Verfassung  (s.  Bot- 
schaft des  Bundesrathes  vom  1.  Juli  1865;  betr.  das  Verhalten  der  Kommissionen 
der  Räthe  s.  unter  Erfindungsschutz,  p.  574)  zu  beseitigen,  jedoch  ohne  Erfolg, 
indem  auch  der  Revisionspunkt:  „Der  Bund  ist  befugt,  gesetzliche  Bestimmungen 
zum  Schutze  des  schriftstellerischen,  künstlerischen  und  industriellen  Eigenthams  zu 
erlassen**  in  der  Volksabstimmung  vom  14.  Jan.  1866  mit  177,386  gegen  137,476 
Stimmen  verworfen  wurde. 

Dieses  Resultat  war  um  so  schlimmer,  als  sich  die  Schweiz  in  der  Folge 
genöthigt  sah,  die  Frankreich  gemachten  Zugeständnisse  auch  andern  Staaten 
einzuräumen.  Es  geschah  dies  in  der  Uebereinkunft  mit  Belgien  vom  25.  April 
1867  (A.  S.  9,  p.  114),  mit  Italien  vom  22.  Juü  1868  (A.  S.  9,  p.  680;  s. 
auch  Protokoll  vom  1.  Mai  1869,  A.  S.  9,  p.  "756,  betr.  Vollziehung  der  Uebcr- 
einkünfte  vom  22.  Juli  1868,  Artikel  I),  mit  dem  Norddeutschen  Bund  vom 
13.  Mai  1869  (A.  S.  9,  p.  919;  Schweiz.  Vollziehungsverordnung  vom  20.  Aug. 
1^69,  A.  S.  9,  p.  941),  mit  Bayern^  Würtemberg  und  Hessen  vom  16.  Okt. 
1869  (A.  S.  10,  p.  126),  mit  Baden  vom  16.  Okt.  1869  (A.  S.  10,  p.  149; 
Schweiz.  Vollziehungsverordnung  zu  beiden  vorstehenden  Uebereinkünften  vom 
13.  April   1870,  A.  S.  10,  p.  163). 

Es  ist  daher  begreiflich,  daß  in  den  Verfassungsrevisionsbestrebungen  Anfangs 
der  1870er  Jahre  die  Sache  wieder  lebhaft  aufgegriffen  wurde.  In  seiner  RevisionS' 
büischafl  vom  17.  Juni  1870  betonte  der  Bundesrath  die  Noth wendigkeit  eines 
Bandesgesetzes  „schon  zur  Beseitigung  des  stoßenden  Verhältnisses**,  daß  Fremde 
besser  gehalten  waren,  als  die  eigenen  Landesangehörigen.  Er  schlug  daher  einen 
Art.  59  a  vor:  „Es  sollen  durch  Bundesgesetze  für  die  ganze  Schweiz  einheitlich 
geordnet  werden : 3)  Die  Bestimmungen  über  den  Schutz  des  schriftstelle- 
rischen und  künstlerischen  Eigenthums. "  Die  ständeräthliche  Kommission  faßte 
ihren  Vorschlag  in  die  Form  (Art.  54) :    „Dem  Bande  steht  das  Recht  der  Gre- 

setzgebung  zu: b.  tiber  das  Urheberrecht  an  Werken  der  Literatur  und 

Kunst  ^  ;  während  die  nationalräthliche  von  dieser  speziellen  IJeberweisung  absah, 
in  der  Meinung,  „daß  dieser  Gegenstand  im  Wege  des  Obligationenrechts  seine 
Lösung  finden  könne"  (Protokoll  des  Nat.-Rathes,  p.  313).  Die  Räthe  selbst  gingen 
weiter,  indem  der  von  ihnen  beschlossene  Art.  55  des  Verfassungsentwurfes  vom 
5.  März  1872  die  Gesetzgebung  über  das  gesammte  Zivilrecht  dem  Bunde  übertrug. 
Bekanntlich  wurde  jedoch  dieser  Entwurf  in  der  Volksabstimmung  vom  12.  Mai 
1872  verworfen. 

Bei  Wiederaufnahme  der  Revision  sah  man  sich  durch  diese  Verwerfung 
veranlaßt,  die  vollständige  SjentraHsation  des  Rechtes  aufzugeben  und  dem  Bunde 
die  Gesetzgebung  nur  in  Beziehung  auf  einzelne  Materien  zuzuweisen.  Der  Bundes- 
rath führte  in  seiner  Botschaft  vom  4.  Juli  1873  unter  anderm  das  Obligationen- 
recht als  eine  solche  auf,  die  Kommissionen  beider  Räthe  fügten  ihren  Entwürfen 
ausdrücklich  „das  Urheberrecht  an  Werken  der  Literatur  und  Kunst'  bei  (Art.  55, 
s.  Protokolle   1873/74,  p.  69).     Eine  spezielle  Diskussion  über  diesen  Punkt  fand 


Literarisches  Eigenthum  —     347     —  Literarisches  Eigenthuiu 

in  den  Käthen  nicht  statt,  und  in  den  Art.  6i  der  nachmals  angenommenen 
Bundesverfassung  vom  29.  Mai  1874  wurde  ohne  Widerstand  die  Bestimmung 
aufgenommen : 

„Dem  Bunde  steht  die  Gesetzgebnnff  zu : über  das    Urhchcrrecht 

an   Werken  der  Literatur  und  Kunst. ^ 

Damit  war  die  verfassungsmäßige  Grundlage  für  die  G-esetzgehung  geschaffen. 
Immerhin  dauerte  es  ahermals  eine  Anzahl  von  Jahren,  bis  diese  in's  Leben  trat. 
Den  Hauptanstüß  zur  Vornahme  der  bezüglichen  Vorarbeiten  gab  wiederum  die 
begünstigte  Stellung  der  Ausländer,  resp.  eine  in  Aussicht  stehende  Bevision  der 
betreffenden  Verträf/e  mit  dem  Auslande.  Um  die  untergeordnete  und  demüthigeode 
Lage  nicht  wieder  auf  eine  Reihe  von  Jahren  auf  sich  nehmen  zu  müssen,  wurde 
ein  Gesetzesentwurf  vom  zuständigen  Departemente  des  Bundesrathes  (Handel  und 
Landwirthschaft)  im  Jahre  1H80  ausgearbeitet,  und  nach  Konsultirung  der  be- 
theiligten Kreise  und  einer  Expertenkommission  vom  ßundesrath  mit  Botschaft 
vom  9.  Dez.  1881  den  gesetzgebenden  Käthen  unterbreitet  (s.  auch  den  Bericht 
der  Kommission  des  Nationalrathes  vom  12.  Juni  1882  und  derjenigen  des  Stände- 
rathes  vom  10.  Febr.  1883).  Das  sodann  am  J23.  April  1883  erlassene  Gesetz 
führt  den  Titel:  „Bundesgesetz  betr.  das  Urheberrecht  an  Werken  der  Literatur 
und  Kiinst^  (A.  S.  n.  F.  7,  p.  261)  und  trat  am  1.  Jan.  1884  in  Kraft.  Der 
Bundesrath  erließ  am  28.  Dez  1883  zu  demselben  eine  Vollziehungsverordnunff 
(A.  S.  n.  F.  7,  p.  298).  Ferner  sei  noch  verwiesen  auf  einen  zu  demselben 
erschienenen  Kommentar  von  Prof.  Dr.  A.  v.  Orelli;  Zürich,  F.  Schultheß,  1884. 

Folgendes  ist  der  Wortlaut  des  Gesetzes  : 

Art.  l.  Das  Urheberrecht  an  Werken  der  Literatur  und  Kunst  besteht  in  dem 
ausschließlichen  Rechte,  diese  zu  vervielföltigen,  beziehungsweise  darzustellen.  —  Dieses 
Recht  steht  dem  Urheber  oder  seinen  Rechtsnachfolgern  zu.  —  Von  dem  Schriflsteller 
oder  Kilnstler,  der  für  Rechnung  eines  andern  Schriftstellers  oder  Künstlers  arbeitet, 
wird  aufgenommen,  er  habe  diesem  sein  Urheberrecht  abgetreten,  sofern  nicht  eine 
gegentheilige  Vereinbarung  vorliegt.  —  Das  Urheberrecht  begreift  auch  das  Uebersetzungs- 
recht  in  sich. 

Art.  2.  Das  Urheberrecht  an  Werken  der  Literatur  und  Kunst  dauert  während 
der  ganzen  Lehenszeit  des  Urhebers  und  während  eines  Zeitraums  von  dreißig  Jahren 
v<im  Tage  seines  Todes  an.  —  Wenn  es  sich  um  ein  nachgelassenes  Werk  oder  ein 
solches  handelt,  welches  vom  Bund,  von  einem  Kanton,  einer  juristischen  Person  oder 
einem  Verein  veröffentlicht  wird,  so  dauert  das  Urheberrecht  dreißig  Jahre  vom  Tage 
der  Veröffentlichung  an.  —  Der  Urheber,  beziehungsweise  dessen  Rechtsnachfolger,  wird 
in  seinem  ausschließlichen  Uebersetzungsrechte  nur  geschützt,  wenn  er  von  demselben 
während  fünf  Jahren  nach  dem  Erscheinen  des  Werkes  in  der  Ursprache  Gebrauch 
macht.  —  Uebersetzungen  genießen  gleich  Originalwerken  den  Schutz  dieses  Gesetzes 
gegen  Nachdruck. 

Art.  3.  Nachgelassene  und  andere  im  Art.  %  Absatz  2,  genannte  Werke  sind 
längstens  binnen  drei  Monaten  nach  ihrer  Veröffentlichung  in  ein  vom  schweizerischen 
Handelsdepartement  doppelt  geführtes  Register  einzuschreihen.  —  Für  andere  Werke 
ist  der  Urheber  zur  Sicherung  seines  Rechtes  an  keine  Formalitaten  gebunden,  er  kann 
aber  immerhin  nach  Belieben  seine  Werke  auch  in  obbenanntes  Register  einschreiben 
lassen.  —  Die  Gebühr  für  die  Einschreibung  darf  zwei  Franken  für  ein  Werk  nicht 
übersteigen.  -  Der  Bundesrath  wird  zur  Ausführung  dieser  Bestimmungen  die  nöthigen 
Vollzugsverfugungen  erlassen. 

Art.  i.  Für  die  Rechtsverhältnisse  zwischen  Urheber  und  Verleger  literarischer 
oder  künstlerischer  Werke  ist  das  Bundesgesetz  über  das  Obligationenrecht  maßgebend. 

Art.  5.  Sofern  nicht  gegentheilige  Vereinbarungen  vorliegen,  hat  der  Erwerber 
-eines  Werkes  der  bildenden  Künste  nicht  das  Recht,  es  vor  Ablauf  des  im  Art.  2,  Ab- 
satz 1  und  2,  vorgesehenen  Zeitraumes  vervielfilltigen  zu  lassen.  —  Das  Vervielfältigungs- 
recht gilt  indessen  als  mitveräußert,  wenn  es  sich  um  ein  bestelltes  Porträt  oder  eine 
Porträtbüste  handelt.  —  Weder  der  Urheber  eines  Kunstwerkes,  noch  seine  Rechts- 
nachfolger können  behufs  Ausübung  ihres  Vervielfältigungsrechtes  den  Eigenthümer  des 
Werkes  in  seinem  Besitze  stören. 


Literarisches  Eigenthmn  —     348     —  Lit^wsches  EigenthuiD 

Art.  6.  Sofern  nicht  ^egentheUige  Veieinbarongen  vorliegen,  ist  der  Erwerber  von 
architektonischen  Plänen  berechtigt,  dieselben  aosführen  zu  lassen. 

Art.  7.  Die  Veräußerung  de$  Veröfifentlichungsrechtes  von  dramatischen,  musi- 
kalischen, oder  dramatisch-musikalischen  Werken  schheßt  an  sich  nicht  schon  die  Ver- 
äußerung des  AufTührungsrechtes  in  sich,  noch  umgekehrt.  —  Der  Urheber  eines  solchen 
Werkes  kann  die  öflentliche  AufTi^hrung  desselben  an  spezielle  Bedingungen  knüpfen, 
sofern  er  diese  an  der  Spitze  des  Werkes  verOfifentlicht  —  Die  Tantieme  soll  jedoch 
den  Betrag  von  2  ^/o  der  Bruttoeinnahme  der  betretenden  AufÜQhrung  nicht  übersteigen. 
—  Wenn  die  Bezahlung  der  Tantieme  gesichert  ist,  so  kann  die  Aufführung  eines  schon 
veröffentlichten  Werkes  nicht  verweigert  werden. 

Art.  8.  Die  Bestimmungen  dieses  Gesetzes  finden  auch  Anwendung  auf  geographische, 
topographische,  naturwissenschaftliche,  architektonische,  technische  und  ähnliche  Zeich- 
nungen und  Abbildungen. 

Art.  9.  Erzeugnisse  der  Photographie  und  andere  ähnliche  Werke  genießen  die 
Vortheile  dieses  Gesetzes  unter  folgenden  Bedingungen :  a.  Das  Werk  muß  nach  Art.  3, 
Absatz  1,  einregistrirt  sein.  b.  Die  Dauer  des  Vervielfältigungsrechtes  wird  auf  fünf 
Jahre  festgesetzt,  vom  Tage  der  Einschreibung  an  gerechnet  Wenn  es  sich  um  die 
Vervielfältigung  eines  noch  nicht  zum  Gemeingut  gewordenen  künstlerischen  AVerkes 
handelt,  so  richtet  sich  die  Dauer  des  Vervielfältigungsrechtes  nach  der  Vereinbarung 
zwischen  dem  Photographen  und  dem  Berechtigten.  In  Ermanglung  einer  hierauf  be- 
züglichen Vereinbarung  bleibt  die  Dauer  auf  fQnf  Jahre  bestimmt,  nach  deren  Ablauf 
der  Urheber  des  Kunstwerkes  oder  dessen  Rechtsnachfolger  wieder  in  aUe  ihm  durch 
Art.  2  gewährten  Rechte  eintritt  c.  Wenn  das  Werk  auf  Bestellung  ausgeführt  worden 
ist,  so  steht  dem  Photographen  das  Vervielfaltigungsrecht  nicht  zu,  es  sei  denn,  daß 
l^'egentheilige  Vereinbarungen  getroffen  worden  sind.  —  Die  neue  Originalaulhahme  eines 
bereits  photographirten  Gegenstandes  gilt  nicht  als  Nachbildung. 

Art.  10.  Die  Bestimmungen  dieses  Gesetzes  finden  Anwendung  auf  die  in  der 
Schweiz  domizilirten  Urhelier  für  alle  ihre  Werke,  gleichviel  wo  dieselben  erscheinen 
oder  veröffentlicht  werden ;  sodann  auf  die  nicht  in  der  Schweiz  domizilirten  Urheber 
für  diejenigen  Werke,  welche  in  der  Schweiz  erscheinen  oder  veröffentlicht  werden.  Die 
nicht  in  der  Schweiz  domizilirten  Urheber  genießen  für  diejenigen  W^erke,  die  im  Aus- 
lande erscheinen  oder  veröffentlicht  werden,  die  gleichen  Rechte  wie  die  Urheber  der 
in  der  Schweiz  erscheinenden  Werke,  sofern  die  letzteren  in  dem  betreffenden  Lande 
gleich  behandelt  werden  wie  die  Urheber  der  daselbst  erscheinenden  Werke. 

Art  11.    Eine  Verletzung  des  Urheberrechtes  wird  nicht  begangen: 

A.  an  Werken  der  Literatur:  1)  durch  Aufnahme  von  Auszügen  oder  ganzen 
Stücken  aus  belletristischen  oder  wissenschaftlichen  Werken  in  Kritiken,  literarisch- 
historisr'hen  Werken  und  Sammlungen  zum  Schulgebrauch,  sofern  die  benutzte  Quelle 
angegeben  wird ;  2)  durch  die  Vervielfältigung  von  Gesetzen^  Beschlüssen  und  Ver- 
handlungen der  Behörden  und  von  öffentlichen  Verwaltungsberichten ;  3)  durch  die  Ver- 
öffentlichung von  Berichten  über  öffentliche  Versammlungen;  4)  durch  den  uuter  Quellen- 
angabe erfolgenden  Abdruck  von  Artikeln  aus  Tagesblättern  und  Zeitschriften,  es  sei 
denn,  daß  der  Urheber  in  dem  betreffenden  Tagesblatt  oder  der  Zeitschrift  ausdrücklich 
den  Abdruck  verboten  hat;  für  Artikel  politischen  Inhalts,  welche  in  den  Tagesblättern 
erschienen  sind,  ist  ein  solches  Verbot  unwirksam;  5)  durch  den  Abdruck  von  Tages- 
neuigkeiten, selbst  wenn  die  Quelle  derselben  nicht  angegeben  wird; 

B.  an  Werken  der  bildenden  Künste:  6)  durch  die  theilweise  Wiedergabe  eines 
den  bildenden  Künsten  angehörigen  Werkes  in  einem  für  den  Schulunterricht  bestimmten 
Werke;  7)  durch  die  Nachbildung  von  Kunstgegenständen,  welche  sich  bleibend  auf 
Straßen  oder  öffentlichen  Plätzen  befinden,  vorausgesetzt,  daß  diese  Nachbildung  nicht 
in  der  Kunstform  des  Originals  stattfindet;  8)  durch  die  Aufnahme  oder  Ausführung 
von  Plänen  und  Zeichnungen  bereits  erstellter  Gebäude  oder  Theilen  derselben,  sofern 
diese  letztern  nicht  einen  spezifisch  künstlerischen  Charakter  haben; 

C.  an  dramatischen  und  musikalischen  Werken:  9)  durch  die  Aufnahme  bereits 
veröffentlichter,  kleinerer  musikalischer  Kompositionen  in  ein  speziell  für  die  Schule 
oder  Kirche  bestimmtes  Sammelwerk,  mit  oder  ohne  Originaltext,  unter  der  Voraussetzung^ 
daß  die  Quelle  angegeben  wird;  10)  durch  die  Aufführung  von  dramatischen,  musi- 
kalischen oder  dramatisch -musikHliscben  Werken,  welche  ohne  Absicht  auf  Gewinn 
veranstaltet  wird,  wenn  auch  aus  derselben  eine  Einnahme  zum  Zwecke  der  Kosten- 
deckung oder  zu  Gunsten  eines  wohlthätigen  Zweckes  erzielt  wird;  11)  durch  die  Be- 
nutzung musikalischer  Kompositionen  für  Spielwerke. 


laterarisches  Eigenthum  —      349      —  Literarisches  Eigenthum 

Art.  12.  Wer  vorsätzlich  oder  aus  grober  Fahrlässif^keit  Werke  der  Literatur 
und  Euost  unerlaubt  vervielfältigt,  beziehungsweise  aufftXbrt,  oder  sich  des  Imports 
oder  des  Verkaufs  von  nachgedruckten  oder  nachgebildeten  Werken  schuldig  macht, 
hat  den  Urheber  oder  dessen  Rechtsnachfolger  auf  deren  Klage  hin  zu  entschädigen.  — 
Der  Richter  setzt  die  Höhe  der  Entschädigung  nach  freiem  Ermessen  fest.  —  Wer  ohne 
ein  solches  Verschulden  eine  unbefugte  Vervielfältigung  vornimmt,  oder  einen  Nachdruck 
oder  eine  unerlaubte  Nachbildung  verbreitet,  oder  eine  unzulässige  AufTührung  veranstaltet, 
kann  nur  auf  Unterlassung  weiterer  Störungen  des  Urheberrechtes  und  auf  Herausgabe 
der  Bereicherung  (Art.  73.  0.)  belangt  werden. 

Art.  13.  Wer  aus  Vorsatz  oder  grober  Fahrlässigkeit  das  Urheberrecht  verletzt, 
kann  überdies  auf  Klage  des  Geschädigten  je  nach  der  Schwere  der  Verletzung  zu  einer 
Geldbuße  von  Fr.  10  bis  zu  Fr.  2000  verurtheilt  werden.  Wurde  auch  der  Name  oder 
die  Marke  des  Urhebers  oder  des  Verlegers  nachgebildet,  so  kann  auf  Gefängniß  bis 
auf  ein  Jahr  oder  zu  Geldbuße  und  Gefängniß  innerhalb  der  angegebenen  Begrenzung 
erkannt  werden.  —  Die  Theilnahme  und  die  Versuchshandlungen  werden  mit  einer 
geringeren  Strafe  belegt.  —  Im  Rückfall  kann  die  Strafe  bis  auf  das  Doppelte  erhöht 
werden. 

Art.  14.  Die  Bußen  fallen  in  die  betreffende  Kantonskasse.  Bei  Ausfällung  der 
Geldbuße  hat  der  Richter  für  den  Fall  der  Nichteinbringlichkeit  derselben  eine  ent- 
sprechende Gefängnißstrafe  festzusetzen,  welche  an  Stelle  der  ersteren  tritt. 

Art.  15.  Die  Strafverfolgung  geschieht  nach  der  Strafprozeßordnung  desjenigen 
Kantons,  in  welchem  die  Klage  angestrengt  wird.  Diese  kann  entweder  am  Domizil 
des  Angeschuldigten  oder  am  Orte,  wo  das  Vergehen  begangen  wurde,  erhoben  werden. 
In  keinem  Falle  dürfen  für  das  gleiche  Vergehen  mehrere  strafrechtliche  Verfolgungen 
eintreten. 

Art.  16.  Nach  Einleitung  der  Klage  können  vom  Richter  die  nöthigen  vorsorg- 
lichen Verfügungen  (Arrest,  Kaution,  Verbot  der  Weiterproduktion  u.  s.  w.)  getroffen 
werden. 

Art  17.  Sowohl  die  zivil-  als  die  strafrechtliche  Klage  ist  nicht  mehr  zulässig, 
wenn  mehr  als  ein  Jahr  verflossen  ist,  seitdem  der  geschädigte  Urheber  oder  sein  Rechts- 
nachfolger von  dem  Nachdruck,  der  Nachbildung  oder  der  Ausführung  und  der  Person 
des  Schuldigen  Kenntniß  erlangt  hat,  und  jedenfalls  nach  Ablauf  von  fünf  Jahren  von 
dem  Tage  an,  wo  die  Veröffentlichung,  die  Aufführung  oder  der  Verkauf  des  nachge- 
machten Werkes  stattgefunden  hat. 

Art.  16.  Sowohl  gegen  den  Nachdrucker  oder  Nachbildner  als  gegen  den  Importeur 
und  Verkäufer  kann  der  Richter  nach  freiem  Ermessen  auf  Konfiskation  des  nach- 
gedruckten oder  nachgebildeten  Werkes  erkennen.  Ebenso  soll  es  mit  den  speziell  für 
den  Nachdruck  oder  die  Nachbildung  bestimmten  Instrumenten  und  Geräthschaften  ge- 
halten werden.  —  Wenn  es  sich  um  die  Aufführung  eines  dramatischen  oder  musikalischen 
oder  dramatisch-musikalischen  Werkes  handelt,  so  kann  der  Richter  die  Konfiskation 
der  Einnahmen  verfügen.  Das  Ergebniß  der  Konfiskation  oder  die  konfiszirten  Einnahmen 
sind  zunächst  zur  Ausbezahlung  der  Zivilentschädigung  des  Eigenthümers  des  Werkes 
zu  verwenden. 

Art.  19.  Das  gegenwärtige  Gesetz  findet  auf  alle  vor  dem  Inkrafttreten  desselben 
erschienenen  Schriften,  Kunstwerke,  musikalischen  Kompositionen  und  dramatischen  oder 
dramatisch-musikalischen  Werke  Anwendung,  selbst  wenn  dieselben  nach  dem  bisherigen 
kantonalen  Rechte  keinen  Schutz  gegen  Nachdruck,  Nachbildung  oder  öffentliche  Auf- 
führung genossen  hatten.  —  Bei  Berechnung  der  Schutzfristen  wird  die  seit  der  Ver- 
öffentlichung eines  Werkes  bis  zum  Inkrafttreten  dieses  Gesetzes  abgelaufene  Zeit  in 
gleicher  Weisi  angerechnet,  wie  wenn  das  Gesetz  schon  zur  Zeit  der  Veröffentlichung 
gegolten  hätte.  —  Wegen  Nachbildungen,  welche  vor  dem  Inkrafttreten  des  gegen- 
wärtigen Gesetzes  stattgefunden  haben,  findet  weder  strafrechtliche  noch  zivilrechtliche 
Verfolgung  nach  Maßgabe  dieses  Gesetzes  statt.  Dagegen  ist  der  Verkauf  derselben  nach 
dem  Inkr^ttreten  des  Gesetzes  nur  gestattet,  wenn  der  Eigenthümer  sich  hierüber  mit 
dem  Autor  verständigt,  oder  in  Abgang  einer  Verständigung  die  Entschädigung,  welche 
vom  Bundesgericht  festzusetzen  ist,  geleistet  hat 

Art.  20.  Die  durch  Art.  2  bestimmte,  den  bisherigen  gesetzlichen  Vorschriften 
gegenüber  verlängerte  Schutzfrist  kommt  dem  Urheber  und  dessen  Erben,  nicht  aber 
dem  Verleger  oder  einem  andern  Cessionaren,  zu  gut.  Ist  die  Schutzfrist  nach  gegen- 
wärtigem Gesetze  kürzer,  so  bleiben  die  nach  bisherigen  gesetzlichen  Vorschriften  er- 
worbenen Rechte  gleichwohl  fortbestehen. 


Literarisches  Eigenthum  —     350     —  Literarisches  Eigenihum 

Art.  2L  Das  gegenwärtige  Gesetz  tritt  mit  dem  1.  Januar  1881  in  Kraft.  —  Durch 
dieses  Gesetz  werden  die  mit  demselben  in  Widerspruch  stehenden  Bestimmungen  der 
kantonalen  Gesetze  und  Verordnungen  und  im  Besondern  das  Konkordat  vom  3.  De* 
zember  1866  (A.  5.,  Bd.  V,  S.  494—497)  aufgehoben. 

Bestehende  Vertragsverhältnisse.     Zur  Zeit  sind  folgende  in  Kraft: 

1)  Uebereinkuuft  mk  Belgien  zum  gegenseitigon  Schutze  des  literarischen 
und  künstlerischen  Eigenthums,  vom  25.  April  1867  (A.  S.  9,  p.  114).  Die 
Dauer  dieser  Uebereinkunft  war  nach  Art.  31  derselben  allerdings  an  diejenige 
des  am  18.  Okt.  1879  abgelaufenen  Freundschafts-,  Nieder lassungs-  und  Handels- 
vertrages vom  11.  Dez.  1862  geknüpft,  indeß  gab  eine  Anfrage  Belgiens,  ob  die 
Literarübereinkunft  auch  in  der  Schweiz,  wie  in  Belgien,  bis  zu  gegen theiliger 
Notifikation  von  der  einen  oder  andern  Seite  als  fortbestehend  betrachtet  werde,, 
dem  Schweiz.  Bundesrathe  Veranlassung,  diese  Frage  seinerseits  ebenfalls  zu  be- 
jahen (29.  Sept.  1885;  s.  B.-B.  1886,  1,  p.  256). 

2)  Uebereinkunft  mit  Deutschland  betr.  den  gegenseitigen  Schutz  der  Rechte 
an  literarischen  Erzeugnissen  und  Werken  der  Kunst,  vom  23.  Mai  1881  (A.  S. 
n.  F.  5,  p.  483).  Protokoll,  die  Bestimmungen  der  bezüglichen  uebereinkunft 
mit  dem  Norddeutschen  Bund,  vom  13.  Mai  1869  (A.  S.  9,  p.  919),  als  auch 
fernerhin  maßgebend  erklärend. 

3)  Uebereinkunft  mit  Frankreich  zum  gegenseitigen  Schutze  des  literarischen 
und  künstlerischen  Eigenthums,  vom  23.  Febr.  1882  (A.  S.  n.  F.  6,  p.  418). 

4)  Art.  14  des  Handelsvertrages  mit  Italien,  vom  22.  März  1883  (A.  S. 
n.  F.  7,  p.  396).  Derselbe  bestimmt  u.  A.,  daß  bis  zum  Abschluß  einer  neuen 
Konvention  die  bisherigen  Vereinbarungen  (Uebereinkunft  zum  gegenseitigen  Schutze 
des  literarischen  und  künstlerischen  Eigenthums,  vom  22.  Juli  1868,  A.  S.  9, 
p.  680;  Protokoll  betr.  die  Vollziehung  der  Verträge  von  1868,  vom  1.  Mai 
1869,  Art.  1,  A.  S.  9,  p.  756)  in  Gültigkeit  bleiben. 

Es  geht  aus  dieser  kurzen  Darstellung  unschwer  hervor,  daß  die  für  die 
Schweiz  ungünstigen  Vertragsverhältnisse  in  Sachen  der  Autorrechte  eigentlich 
immer  noch  fortbestehen;  auch  der  erneuerte  Vertrag  mit  Frankreich  ist  nur 
eine  Nachbildung  desjenigen  von  1864,  weil  bei  seinem  Abschluß  das  Bundes- 
gesetz noch  nicht  erlassen  war.  Dagegen  haben  alle  diese  Vereinbarungen,  eben 
mit  Rücksicht  auf  die  Gesetzgebung,  den  Charakter  des  Provisoriums  an  sich,  pnd 
die  Kündigungsverhältnisse  sind  derart  normirt,  daß  die  Fortdauer  jener  auf  kurze 
Termine  sistirt  werden  kann. 

Es  wird  hiebei  wohl  nur  so  lange  sein  Verbleiben  haben,  bis  5)  die  inter- 
nationale Konvention  zum  Schutze  der  literarischen  und  künstlerischen  Werke, 
vom  9.  Sept,  1886,  in  Kraft  getreten  sein  wird.^  Diese  Konvention,  das  Seiten- 
stück zu  derjenigen  zum  Schutze  des  industriellen  Eigenthums,  vom  20.  März  1883 
(s.  Gewerbliches  Eigenthum),  beruht  auf  dem  universellen  Charakter  der  Erzeug- 
nisse der  Literatur  und  Kunst,  und  auf  dem  Bestreben,  die  Ungleichheit,  Eng- 
herzigkeit und  Unzulänglichkeit  der  verschiedenen  nationalen  Gesetzgebungen  und 
interstaatlichen  Separatvorträge  zu  beseitigen.  Verschiedene  internationale  Kongresse 
(Brüssel  1858,  Antwerpen  1861  und  1877,  Paris  1878)  sprachen  sich  zu  Gunnten 
einer  einheitlichen  Kodifikation  des  Urheberrechtes  aus  Derjenige  von  Paris  be- 
schloß am  28.  Juni  1878  die  Gründung  der  „Association  litteraire  internationale", 
welche  sofort  für  Erreichung  ihres  Zieles  die  regste  Thätigkeit  entwickelte.  In 
einer  in  Bern  vom  10. — 13.  Sept.  18ö3  abgehaltenen  Konferenz  wurde  von  ihr 
der  Entwurf  einer  internationalen  Konvention  aufgestellt  und  der  Schweiz.  Bundes- 

'  1.  Januar  1888. 


Literarisches  Eigenthura  —      351      —  Literarisches  Eigenthum 

rath  ersucht,  für  Gründung  einer  internationalen  Union  auf  deren  Grundlage  die 
Initiative  zu  ergreifen.  Der  Bundesrath  nahm  das  Mandat  an;  drei  von  ihm 
einberufene  diplomatische  Konferenzen  (8. — 18.  Sept.  1884,  7.  — 18.  Sept.  1885» 
6. — 9.  Sept.  1886,  Bern)  führten  zum  endgültigen  Abschlüsse  der  „Konvention 
betr.  die  Errichtung  einer  internationalen  U.  ion  zum  Schutz  der  literarischen  und 
künstlerischen  Werke**,  vom  9.  Sept.  1886;  folgende  Staaten  traten  bei:  Schweiz, 
Belgien,  Deutschland,  Frankreich,  Großbritannien,  Haiti,  Italien,  Spanien,  Tunis. 
Die  Konvention  ist  seitens  der  vertragsschließenden  Staaten  im  Laufe  des  Jahres 
1887  ratifizirt  worden  und  die  Ratifikationen  wurden  am  5.  September  1887 
in  Bern  ausgetauscht  (s.  Botschaft  des  Bundesrathes  vom  19.  Nov.  1886). 
Die  Konvention  hat  in  der  Hauptsache  folgenden  Wortlaut; 

Art.  1.  Die  vertragschließenden  Länder  konstituiren  sich  als  Union  zum  Schutz 
der  Rechte  der  Urheber  über  ihre  literarischen  und  künstlerischen  Werke. 

Art.  2.  Die  Angehörigen  der  Unionsländer  oder  ihre  Rechtsnachfolger  genießen 
in  den  andern  Ländern  für  ihre  Werke,  seien  dieselben  nun  in  einem  dieser  Länder 
veröffentlicht,  oder  seien  sie  nicht  veröffentlicht,  die  Rechte,  welche  die  bezüglichen 
Gesetze  den  Einheimischen  gegenwärtig  gewähren  oder  in  Zukunft  gewähren  werden.  — 
Der  Genuß  dieser  Rechte  wird  davon  abhängig  gemacht,  daß  die  Bedingungen  und 
Formalitäten,  welche  durch  die  Gesetzgebung  des  Ursprungslandes  des  Werkes  gefordert 
werden,  erfüllt  worden  seien;  er  kann  in  den  andern  Ländern  die  Dauer  des  in  dem 
Ursprungslande  gewährten  Schutzes  nicht  übersteigen.  —  Als  Ursprungsland  des  Werkes 
wird  dasjenige  der  ersten  Veröffentlichung  betrachtet,  oder,  wenn  diese  Veröffentlichung 
gleichzeitig  in  mehreren  Unionsländern  stattfand,  dasjenige  derselben,  in  welchem  die 
Gesetzgebung  die  geringste  Schutzdauer  gewährt.  —  Für  die  nicht  veröffentlichten  Werke 
wird  das  Heimatland  des  Urhebers  als  Ursprungsland  des  Werkes  betrachtet. 

Art.  3.  Die  Bestimmungen  der  gegenwärtigen  Konvention  gelten  gleicherweise 
für  die  Verleger  von  literarischen  oder  künstlerischen  Werken,  die  in  einem  der  Unions- 
länder veröffentlicht  werden  und  deren  Urheber  einem  Lande  angehört,  das  der  Union 
nicht  beigetreten  ist. 

Art.  4.  Der  Ausdruck  , literarische  und  künstlerische  Werke*  umfaßt  Bücher^ 
Broschüren  oder  alle  andern  Schriftwerke;  die  dramatischen  oder  dramatisch-musika- 
lischen Werke,  die  musikalischen  Kompositionen  mit  oder  ohne  Worte ;  die  Zeichnungs- 
werke, die  Werke  der  Malerei,  der  Bildhauerei,  die  Stiche;  die  Lithographien,  die 
ülustrationen,  die  geographischen  Karten ;  die  auf  die  Geographie,  die  Topographie,  die 
Architektur  oder  die  Wissenschaften  im  Allgemeinen  bezüglichen  Pläne,  Skizzen  und 
plastischen  Arbeiten ;  endlich  jedes  Erzeugniß  irgend  welcher  Art  auf  dem  literarischen, 
wissenschaftlichen  oder  künstlerischen  Gebiet,  das  mittelst  eines  Druck-  oder  Verviel- 
faltigungsverfahrens  veröffentlicht  werden  könnte. 

Art.  5.  Die  einem  Lande  der  Union  angehörenden  Urheber  oder  ihre  Rechts- 
nachfolger genießen  bis  nach  Ablauf  von  zehn  Jahren,  von  der  Veröffentlichung  des 
Originalwerkes  in  einem  der  Unionsländer  an  gerechnet,  in  den  andern  Ländern  das 
ausschließliche  Recht,  ihre  Werke  zu  übersetzen  oder  Obersetzen  zu  lassen.  —  Für  die 
in  Lieferungen  erscheinenden  Werke  ist  für  die  Bestimmung  des  Zeitpunktes  der  Ver- 
öffentlichung, von  welchem  an  die  Frist  von  zehn  Jahren  zu  berechnen  ist,  erst  das 
Erscheinen  der  letzten  Lieferung  des  Originalwerkes  maßgebend.  —  Von  Werken,  die 
aus;  verschiedenen  in  Intervallen  erscheinenden  Bänden  bestehen,  sowie  von  Berichten 
und  Heften,  die  von  literarischen  oder  wissenschaftlichen  Gesellschaften  oder  von  Pri- 
vaten veröffentlicht  werden,  wird  jeder  Band,  jeder  Bericht  oder  jedes  Heft,  was  die 
Frist  von  zehn  Jahren  anbetrifft,  als  eigenes  Werk  betrachtet.  —  In  den  in  diesem 
Artikel  vorgesehenen  Fällen  wird  für  die  Berechnung  der  Schutzfrist  als  Datum  der 
Veröffentlichung  der  31.  Dezember  des  Jahres,  in  welchem  das  Werk  erschienen  ist, 
angenommen. 

Art.  6.  Die  rechtmäßigen  Uebersetzungen  werden  wie  Originalwerke  geschützt. 
Sie  genießen  demnach,  was  ihre  nicht  autorisirte  Vervielfältigung  in  den  Ländern  der 
Union  anbetrifft,  den  in  den  Art.  2  und  3  bezeichneten  Schutz.  —  Man  ist  damit  ein- 
verstanden, daß,  wenn  es  sich  um  ein  Werk  handelt,  dessen  Uebersetzung? recht  bereits 
Gemeingut  ist,  der  Uebersetzer  sich  der  Uebersetzung  des  nämlichen  Werkes  durch 
andere  Schriftsteller  nicht  widersetzen  kann. 

Art.  7.    Artikel   aus  Zeitungen   oder   aus  Zeitschritten,   die   in  einem  der  Uniou-s- 


Literarisches  Eigenthum  —      352      —  Literarisches  Eigen thum 

länder  veröffentlicht  werden,  können  in  den  andern  Ländern  der  Union  im  Original 
oder  in  der  Uebersetzung  wiedergegeben  werden,  wenn  die  Urheber  oder  die  Verleger 
dies  nicht  ausdrücklich  untersagt  haben.  Bei  Zeitschriften  genügt  es,  wenn  das  Verbot, 
allgemein  gefaßt,  an  der  Spitze  jeder  Nummer  der  betreffenden  Zeitschrift  wiederholt 
wird.  —  In  keinem  Falle  aber  kann  sich  dieses  Verbot  auf  Artikel  politischer  Natur 
oder  auf  die  Wiedergabe  der  Tagesneuigkeiten  und  der  , Vermischten  Nachrichten* 
erstrecken. 

Art.  8.  Was  das  Recht  anbetrifft,  aus  literarischen  und  künstlerischen  Werken  in 
Pubhkationen,  die  für  den  Unterricht  bestimmt  sind  oder  die'  einen  wissenschaftlichen 
Charakter  besitzen,  oder  in  Chrestomathien,  Stellen  wiederzugeben,  so  sind  hier  die 
Gesetzgebungen  der  einzelnen  Unionsländer  und  die  zwischen  denselben  bestehenden 
oder  noch  abzuschließenden  Sonderabkommen  maßgebend. 

Art.  9.  Die  Bestimmungen  des  Art.  2  gelten  auch  für  die  öffentliche  Aufführung 
von  dramatischen  oder  dramatisch-musikalischen  Werken,  ob  diese  W^erke  veröffentlicht 
seien  oder  nicht.  —  Die  Urheber  dramatischer  oder  dramatisch-musikalischer  Werke 
oder  ihre  Rechtsnachfolger  sind  während  der  Dauer  ihres  ausschließlichen  Uebersetzungs- 
rechtes  gegenseitig  gegen  die  nicht  autorisirte  öffentliche  Aufführung  der  Uebersetzung 
ihrer  Werke  geschützt.  —  Die  Bestimmungen  des  Art.  2  gelten  gleichermaßen  für  die 
öffentliche  Aufführung  von  nicht  veröffentlichten  musikalischen  Werken,  oder  von  solchen, 
die  veröffentlicht  worden  sind,  bei  denen  aber  der  Urheber  auf  dem  Titel  oder  an  der 
Spitze  des  Werkes  ausdrücklich  erklärt  hat,  daß  er  die  öffentliche  Aufführung  derselben 
untersage. 

Art.  10.  Unter  die  unerlaubten  Reproduktionen,  auf  welche  die  gegenwärtige 
Konvention  Anwendung  findet,  werden  besonders  die  mit  verschiedenen  Namen,  wie: 
Adaptationen,  musikalische  Bearbeitungen  (Arrangements)  etc.  bezeichneten  indirekten 
nicht  autorisirten  Aneignungen  eines  literarischen  oder  artistischen  Werkes  gezählt, 
sobald  sie  nur  die  Wiedergabe  eines  solchen  Werkes  sind,  sei  es  in  der  nämlichen 
Gestalt  oder  unter  einer  durch  unwesentliche  Aenderungen,  Zusätze  oder  Weglassungen 
entstandenen  Form,  die  aber  nicht  den  Charakter  eines  neuen  Originalwerkes  an  sich 
trägt.  —  Man  ist  damit  einverstanden,  daß  bei  der  Anwendung  dieses  Artikels  die 
Gerichte  der  verschiedenen  Unionsländer  den  Vorbehalten  ihrer  bezüglichen  Gesetze 
eintretendenfalls  Rechnung  zu  tragen  haben. 

Art.  11.  Damit  die  Urheber  der  durch  die  gegenwärtige  Konvention  geschützten 
Werke  bis  zum  Gegenbeweis  als  solche  betrachtet  werden  und  demnach  das  gerichtliche 
Verfahren  gegen  unrechtmäßige  Nachahmungen  vor  den  Gerichten  der  verschiedenen 
Unionsländer  eröffnen  können,  genügt  es,  wenn  ihr  Name  in  der  gewöhnlichen  Form 
auf  dem  Werke  angegeben  ist.  —  Für  die  anonymen  und  Pseudonymen  Werke  ist  der 
Verleger,  dessen  Name  auf  dem  Werke  bezeichnet  ist,  berechtigt,  die  dem  Urheber 
zustehenden  Rechte  zu  wahren.  Er  wird  ohne  weitere  Beweise  als  Bevollmächtigter  des 
anonymen  oder  Pseudonymen  Urhebers  betrachtet  —  Man  ist  immerhin  einverstanden, 
daß  die  Gerichte  eintretendenfalls  die  Vorweisung  eines  durch  die  kompetente  Behörde 
ausgestellten  Zeugnisses  verlangen  können,  welches  bestätigt,  daß  die  durch  die  Gresetz- 
gebung  des  Ursprungslandes  vorgeschriebenen  Formalitäten  im  Sinne  des  Art.  2  erfOJlt 
worden  sind. 

Art.  12.  Jedes  unrechtmäßig  nachgeahmte  Werk  kann  bei  der  Einfuhr  in  eines 
der  Unionsländer,  in  welchem  das  Originalwerk  das  Recht  auf  gesetzlichen  Schutz 
genießt,  mit  Beschlag  belegt  werden.  —  Die  Beschlagnahme  findet  statt  gemäß  der 
innern  Gesetzgebung  jedes  Landes. 

Art.  13.  Man  ist  einverstanden,  daß  die  Bestimmungen  der  gegenwärtigen  Kon- 
vention in  keinem  Falle  dem  Rechte  Eintrag  thun  dürfen,  das  der  Regierung  jedes 
Landes  der  Union  zukommt,  durch  gesetzliche  Maßnahmen  oder  durch  die  innere  Polizei 
die  Verbreitung,  die  Aufführung,  die  Ausstellung  jedes  W^erkes  oder  jeder  Produktion, 
in  Bezug  auf  welche  die  kompetente  Behörde  dieses  Recht  ausüben  könnte,  zu  erlauben, 
zu  ü})er wachen  oder  zu  untersagen. 

Art.  14.  Die  gegenwärtige  Konvention  gilt  unter  den  gemeinsam  zu  bestimmenden 
Vorbehalten  und  Bedingungen  für  alle  W'erke,  die  im  Momente  ihrer  Inkrafltretung  in 
ihrem  L'rspi*ungslande  noch  nicht  Gemeingut  geworden  sind. 

Art.  15.  Man  ist  einverstanden,  daß  die  Regierungen  der  Unionsländer  gegenseitig 
<i(h  das  Recht  vorbehalten,  unter  sich  besondere  Vereinbarungen  zu  treffen,  insofern 
<Hese  Vereinbarungen  den  Urhebern  oder  ihren  Rechtsnachfolgern  ausgedehntere  Rechte, 
als  die  durch  die  Union  gewährten,  zusichern,  oder  anderweitige  der  gegenwärtigen 
Konvention  nicht  zuwiderlaufende  Bestimmungen  enthalten. 


Literarisches  Eipenlhum  —      353     —  Literarisches  Eigenthum 

Art.  1().  Ein  internationales  Bureau  ist  unter  ilem  Namen  , Bureau  de  TTnion 
internationale  poui*  la  protection  des  ueuvres  littöraires  et  artistiques*^  errichtet.  —  Dieses 
Bureau,  dessen  Kosten  von  den  Verwaltungen  aller  Unionsländor  getragen  werden,  wird 
unter  die  Autorität  der  Zentral  Verwaltung  der  schweizerischen  Eidgenossenschaft  gestellt 
und  von  derselben  in  seinen  Funktionen  überwacht.  Die  Obliegenheiten  desselben  werden 
von  den  Ländern  der  Union  gemeinschaftlich  festgestellt. 

Art.  17.  Die  gegenwärtige  Konvention  kann  Revisionen  unterworfen  werden 
behufs  Einführung  von  Verbesserungen,  welche  geeignet  sind,  das  System  der  Union 
zu  vervollkommnen.  —  Fragen  dieser  Art,  sowie  solche,  die  in  anderer  Hinsicht  die 
Entwicklung  der  Union  betreffen,  werden  in  Konferenzen  behandelt  werden,  die  nach- 
einander in  den  Ländern  der  Union  zwischen  den  Delegirten  der  erwähnten  Länder 
abgehalten  werden  sollen.  -  -  Man  ist  einverstanden,  daß  keine  Aenderung  der  gegen- 
wärtigen Konvention  für  die  Union  Gültigkeit  haben  soll,  wenn  nicht  sämmt liehe  Lander, 
die  «lerselben  angehören,  damit  einverstanden  sind. 

Art.  18.  Denjenigen  Staaten,  welche  an  der  gegenwärtigen  Konvention  nicht  Theil 
i^'enommen  haben  und  welche  auf  ihrem  Gebiete  den  gesetzlichen  Schutz  der  den  Gegen- 
stand dieser  Konvention  bildenden  Rechte  gewähren,  soll  auf  ilir  Gesuch  der  Beitritt 
t,'ewährt  werden.  —  Dieser  Beitritt  soll  schrifthch  der  Regierung  der  schweizerischen 
Eidgenossenschaft,   und  von  dieser  allen  andern  mitgetheilt  werden.  Derselbe  ziehl 

mit  voller  Rechtskraft  die  Zustimmung  zu  sämmtlichen  Verpflichtungen  und  den  Genuin 
aller  Vortheile  der  gegenwärtigen  Konvention  nach  sich. 

Art.  19.  Die  der  gegenwärtigen  Konvention  beigetretenen  Länder  haben  auch  das 
Recht,  jederzeit  für  ihre  Kolonien  oder  ihre  fremden  Besitzungen  beizutreten.  —  Sie 
können  zu  diesem  Zweck  entweder  eine  allgemeine  Erklärung  abgeben,  nach  welcher 
alle  ihre  Kolonien  oder  Besitzungen  in  dem  Beitritt  inbegriffen  .sind,  oder  ausdrücklich 
diejenigen  nennen,  die  darin  inbegriffen  sind,  oder  sich  darauf  l^eschränken,  diejenigen 
zu  bezeichnen,  die  davon  ausgeschlossen  sind. 

Art.  ^.  Die  vorliegende  Konvention  wird  vollziehbar  drei  Monate  nach  Aus- 
wechslung der  Ratifikationen,  und  wird  während  einer  unbestimmten  Zeit  bis  zum 
VerJluß  eines  Jahres,  von  dem  Tage  an  gerechnet,  an  welchem  die  Kündigung  erfolgt 
ist,  in  Kraft  bleiben.  —  Diese  Kündigung  wird  an  die  Regierung  gerichtet,  welche  be- 
auftragt ist,  die  Beitritterklärung  entgegenzunehmen.  Ihre  Wirkung  erstreckt  sich  nur 
auf  den  Staat,  welcher  die  Kündigung  angezeigt  hat,  indem  die  Konvention  für  die 
andern  vertragschließenden  Theile  in  Kraft  bleibt. 

Zusatzartikel.  Die  mit  heutigem  Datum  abgeschlossene  Konvention  berührt  in 
keiner  Weise  die  Aufrechthaltung  der  gegenwärtig  zwischen  den  vertragschließenden 
Staaten  bestehenden  Konventionen,  insofern  diese  Konventionen  den  Urhebern  oder 
ihren  Rechtsnachfolgern  ausgedehntere  Rechte,  als  die  durch  die  Union  gewährten, 
zusichern  oder  anderweitige  Bestimmungen  enthalten,  welche  dieser  Konvention  nicht 
zuwiderlaufend  sind. 

Schlußprotokoll.  \ )  In  Bezug  auf  Art.  4  ist  man  übereingekommen,  daß  diejenigen 
Länder  der  Union,  in  welchen  die  photographischen  Erzeugnisse  unter  die  künstlerischen 
Werke  gerechnet  werden,  sich  verpflichten,  diese  Werke  vom  Tage  der  Inkrafttretung 
der  mit  heutigem  Datum  abgeschlossenen  Konvention  den  Wohlthaten  derselben  theil- 
haftig  werden  zu  hissen.  Uebrigens  sind  sie  nur  in  dem  Maße,  als  ihre  Gesetzgebung 
es  erlaubt,  gehalten,  die  Urheber  der  erwähnten  Werke  zu  beschützen,  es  sei  denn,  daß 
internationale  Uebereinkommen  bestehen  oder  noch  abgeschlossen  werden.  —  Man  ist 
damit  einverstanden,  daß  die  autorisirte  Photographie  eines  geschützten  Kunstwerkes 
in  allen  Ländern  der  Union  gemäß  dem  Sinne  der  Konvention  den  gesetzlichen  Schutz 
eben  so  lange  genießt,  als  der  Schutz  der  original  werke  selbst  dauert  und  innert  den 
Grenzen  der  zwischen  den  Berechtigten  abgeschlossenen  privaten  Uebereinkommen. 

2)  In  Bezug  auf  Artikel  9  ist  man  übereingekommen,  daß  diejenigen  Länder  der 
Union,  deren  Gesetzgebung  unter  die  dramatisch-musikalischen  Werke  auch  die  chore- 
graphischen Werke  (Ballet)  zählt,  den  erwähnten  Werken  ausdrücklich  die  Wohlthaten 
der  Bestimmungen  der  mit  heutigem  Datum  abgeschlossenen  Konvention  gewähren  sollen. 
-~  Man  ist  einverstanden,  daß  die  Streitigkeiten,  die  sich  bei  der  Anwendung  dieser 
Klausel  erbeben  sollten,  dem  Entscheid  der  respektiven  (ierichte  vorbehalten  bleiben.  — 
Man  ist  einverstanden,  daß  die  Fabrikation  und  der  Verkauf  von  Inntnmienten,  die  zur 
mechanischen  Wiedergabe  von  Musikstürken  dienen,  welche  dem  Privatbesitz  der  Ur- 
heber entlehnt  sind,   nicht  als  unerlaubte  musikalische  Nachahmung  betrachtet  worden. 

3)  Die  durch  Artikel  14  der  Konvention  vorgesehene  gemeinsame  Uebcreinkunft 
lautet  wie  folgt: 

Fnrr^r    Viilk4wirtIiHclmrtf«*Lexikuii  der  Schweiz.  -V^^ 


Lithographie  —     354     —  Lorze  verbauung 

Die  Anwendung  der  Konvention  auf  die  im  Momente  ihrer  Inkrafttretung  dem 
Gemeingut  nicht  angehörenden  Werke  wird  stattfinden  gemäß  den  Bestimmungen,  welche 
in  den  speziellen  vorhandenen  oder  zu  diesem  Zwecke  noch  abzuschließenden  Verein- 
barungen enthalten  sind.  —  Mangels  ähnlicher  Vereinbarungen  zwischen  Ländern  der 
Union  werden  die  bezüglichen  Länder,  jedes  für  sich  selbst,  durch  die  innere  Gesetz- 
gebung die  Art  und  Weise  der  Anwendung  des  in  Artikel  14  enthaltenen  Grundsatzes 
bestimmen. 

Lithographie.  Nach  der  Yolkszählungsstatistik  vom  1.  Dezember  1880 
befaßteo  sich  damal»  in  der  Schweiz  1023  Personen  (wovon  170  Ausländer) 
mit  der  Lithographie  =  0,8  ®/oo  aller  erwerbsthätigen  Personen.  Davon  kamen 
auf  Zürich  252,  St.  Gallen  137,  Genf  90,  Bern  87,  Baselatadt  83,  Scbwyz  62, 
Waadt  52,  Aargau  43,  Solothum  39,  Neuenburg  30,  Appenzell  A.-Rh.  27, 
Freiburg  20,  Luzem  20,  Baäelland  16,  Thurgau  15,  Glarus  13,  Schaff  hausen  10, 
Tessin   10,  auf  die  übrigen  Kantone  17. 

Birkhäuser's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  verzeichnet  194  Lithographiegeschäfte. 
Im  Handelsregister  waren  Ende  1884  67  G^chäfte  eingetragen. 

Die  meisten  Lithographien  fertigen  die  gewöhnlichen  kommerziellen  Arbeiten; 
eine  kleinere  Zahl  betreibt  die  Druck-  und  Chromolithographie,  d.  h.  die  An- 
fertigung von  farbigen  Bildern,  Gemälde- Imitationen  etc.  In  großartigem  Maßstäbe 
vollzieht  sich,  speziell  in  Einsiedeln,  die  Fabrikation  von  Heiligenbildern  und 
illustrirten  Gebetbüchern  etc.  in  Farben-  und  Schwarzdruck,  die  massenhaft  in 
die  Länder  mit  katholischer  Bevölkerung  exportirt  werden.  In  dieser  Branche 
fand  die  lithographische  Schnellpresse,  die  heute  ziemlich  allgemein  für  den 
Farbendruck  angewendet  wird,  ihre  erste  Verwendung  in  der  Schweiz. 

Lithographiesteine  liefern  u.  A.  die  Firmen  Hofer  &  Burger  und 
Buegg  &  Schauf eiber ger  in  Zürich.  —  Einfuhr  von  Lithographiesteinen  (ohne 
Zeichnungen)  im  Jahre  1883:  1482  q,  1884:  1495  q,  1885:  1713  q  ä  Fr.  22, 
wovon  1631  q  aus  Deutschland,  82  q  aus  Frankreich.  —  Ausfuhr  1883:  14  q, 
1884:  29  q,   1885:   20  q  a  Fr.  41,  wovon   15  q  nach  Frankreich. 

Lithoreactiv-Fabrikation.  Mit  diesem  Geschäftszweig  befaßt  sich  u.  A. 
die  Firma  E.  Weiß  &  Co.  in  Basel. 

Litzenfabrikation.  In  Birkhäuser's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  sind  7  6«- 
Hchäfte  dieser  Art  angegeben:  3  Aargau,  2  Bern,   1  Baselstadt,  1  Zürich. 

Liverdon  (Yverdoner).  Diese  Traubensorte,  obschon  von  etwas  schwachem 
Wuchs,  widersteht  aller  Unbill  der  Witterung  vorzüglich,  erträgt  Kälte  bestens 
und  kommt  auch  bei  nassem  Wetter  gut  durch  die  Blüthe.  Der  Liverdon  ist 
»ehr  fruchtbar,  die  Trauben  sind  großbeerig,  etwas  spät  reifend,  faulen  im  Herbste 
leicht  und  liefern  einen  leichten  säuerlichen  Roth  wein.  In  Neubruchland  gedeiht 
der  Liverdon  besser  als  jede  andere  Sorte.  Kr. 

Loearno-Bellinzona  s.  Gotthardbahn. 

Locle-Neuenburg  s.  Bernische  Jurabahnen;  bildet  seit  1.  Januar  1887 
die   „ Neuenburgische  Jurabahn". 

Logisgeberei  s.  Kostgeberei. 

Lohnkutscher  s.  Fuhrleute. 

Lokomobile,  Lokomotive  s.  Maschinen. 

liOndon-Biscuits.  Die  Fabrikation  von  sog.  London-Biscuits  wird  seit  1886 
von  einer  Aktiengesellschaft  in  Winterthur  sowie  von  einer  Firma  in  Genf  be- 
trieben. 

Lorzeverbauung  (Kanton  Zug).  Dieselbe  bezieht  sich  auf  die  9  km  lange 
Strecke  von  der  Rämselbachmüudung  (unterlialb  der  Spinnerei  ünterägeri)  bis 
zur   Straßenbrücke    bei   der   Spinnerei    Baar   und    bezweckt   die  Verbauung   der 


Lotterie  —     355      —  Lukmanierstraße 

Oeschiebsqaellen  im  obem  Laufe  der  Lorze,  zur  BeseitiguDg  der  mißlichen  Zu- 
stände, welche  längs  dem  ganzen  Lorzelaufe  bis  zum  Zngersee  bestehen,  hervor- 
gerufen durch  Geschiebsablagerungen,  welche  das  Flußbett  theil weise  erhöhten. 
Bei  Hochwasser  wurde  das  anliegende  Land  nicht  nur  überschwemmt,  sondern 
strecken  weise  mit  Geschieben  verschüttet.  An  diese  Yerbanung,  zu  deren  Voll- 
endung eine  Zeitdauer  von  8  Jahren  vorgesehen,  ist  dem  Kanton  Zug  ein  Bundes- 
beitrag zugesichert  von  40  ^/o  der  wirklichen  Kosten,  bezw.  im  Maximum 
Fr.  116,000  ==  40  7©  der  Voranschlagssnmme  von  Fr.  290,000.  Bundes- 
beschluß vom  27.  Juni  1884  (A.  S.  n.  F.  Bd.  7,  pag.  481). 

Lotterie.  Absatz  3  des  Art.  35  der  Bundesverfassung  von  1874  lautet: 
^Der  Bund  kann  auch  in  Beziehung  auf  die  Lotterien  geeignete  Maßnahmen 
treffen-. 

Bin  jetzt  (Mitte  1887)  sind  seitens  des  Bundes  keine  solchen  Maßnahmen 
getroffen  worden.  An  Anregungen  dazu  hat  es  zwar  nicht  gefehlt;  namentlich 
die  postalische  Beförderung  von  Lotterie-Offerten  war  Gegenstand  von  Berathungen 
sowohl  im  Schooße  des  Bundesrathes  als  in  der  Bundesversammlung.  Die  Motion 
Jooä  vom  30.  April  1881,  lautend:  „Der  Bundesrath  wird  eingeladen,  zu  be- 
richten, ob  nicht  der  Postverwaltnng  Weisung  zu  ertheilen  sei,  offene  Lotterie- 
Offerten  nicht  weiter  zu  befördern*^,  bot  dem  Bundesrath  Anlaß  zu  einer  besonderen 
Botschaft  (B.-BL  1881,  Bd.  4),  deren  Inhalt  sich  dahin  zusammenfassen  läßt, 
daß  zwar  die  bestehenden  internationalen  Postvereinsverträge  die  Unterdrückung 
der  Beförderung  von  Lotterieloosen  zulassen  würden,  die  Postbeamten  aber  nicht 
in  der  Lage  wären,  ohne  Verletzung  des  Postgeheimnisses  die  Lotterie-Offerten 
von  den  übrigen  Korrespondenzen,  namentlich  den  Anlehensloosen,  zu  unterscheiden. 

Ein  Postulat  der  Bundesversammlung  vom  30.  Januar  1882,  lautend:  „Der 
Bundesrath  wird  eingeladen,  in  Ausführung  des  Art.  35,  AI.  3,  der  Bundes- 
verfassung einen  Antrag  einzubringen  über  geeignete  Maßnahmen  gegen  das 
Lotterieunwesen **,  harrt  zur  Zeit  noch  der  flrledigung. 

In  den  Kantonen  ist  die  Veranstaltung  von  Lotterien,  das  Kollektiren  für 
solche  und  das  Ankündigen  derselben  entweder  unbedingt  verboten  oder  an  die 
Bewilligung  der  Behörden  geknüpft.  Verloosungen  zu  wohlthätigen  Zwecken 
werden  in  der  Kegel  gestattet. 

Lüstrine  wird  namentlich  in  Zürich  (zum  Theil  auch  in  Lyon)  hergestellt 
und  ist  ein  leichtes  zweitrettiges  Ganzseidengewebe,  das  hauptsächlich  als  Futter- 
stoff Vei*wendung  findet. 

Luftstickerei.     Spitzenstickerei  in  Plattstich  auf  leichtem  Seiden-,   WoU 
oder  Baumwollstoff,    der   nach    dem  Besticken   weggeäzt   wird,    so   daß    nur  die 
Stickerei  als  wirkliche  Spitze  übrig  bleibt.     Diese  Art  Stickerei,  zu  welcher  es 
besonders  geschulter  Leute  und  künstlerischer  Leitung  bedarf,  gelangte  um  1880 
nach  jahrelangen,  kostspieligen  Versuchen  zu  größerer  Bedeutung. 

LiiikenapfeL  Zählt  als  Tafelfrucht  zum  zweiten,  als  Wirthschaftsobst  zum 
ersten  Hange.  Der  Baum  ist  bei  uns  noch  wenig  verbreitet;  doch  findet  man 
ihn  z.  B.  in  Baselland  (Sissach),  Herzogenbuchsee,  Wynau,  auch  in  den  Kantonen 
Zürich,  St.  Gallen  und  Thurgau,  jedoch  immer  nur  in  einzelnen  Exemplaren. 
Obgleich  der  junge  Baum  sehr  schwachtriebig  ist,  so  wird  er  doch  einer  der 
allergrößten  und  ältesten  unter  den  Apfelbäumen.  Er  trägt  auch  ohne  Pflege 
reichlich,  wozu  wohl  wesentlich  das  sehr  späte  Blühen  beiträgt.  Erträge  von 
20 — 30  Zentner  sind  von  einem  Baume  öfters  gewonnen  worden.  („Schweize- 
rische Obstsorten",  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhorn  in  St.  Galleu.) 

Lukmanierstrasse.    Eine  der  interessantesten  Alpenstraßen  der  Sch^^vL\ 


t 


Lustenau  —     356     —  Luzem 

sie  führt  von  Dissentis  im  Yorderrlieinthal  über  Coraglia  dem  Mittelrhein  entlang 
nach  St.  Maria,  über  den  Lnkmanierpaß  (Pa£h6he  1917  m  ü.  M.)  nach  Olivone, 
dem  Blegnothale  folgend  nach  Biasca,  hier  in  die  Grotthardstraße  einmündend. 
Ihre  Länge  beträgt  61,3  km,  die  Fahrbahnbreite  4,8 — 6,0m.  Kosten  Fr.  1'984,700. 

Bauperioden:  1871/77  für  das  bündnerische  Straßenstück  von  Dissentis  bis 
zur  Grenze  von  Tessin.  Länge  20,5  km,  Breite  4,8  m.  Kosten  Fr.  669,000.  — 
1877  für  die  tessinische  Strecke  von  der  Grenze  bis  Olivone  im  Tessin.  Länge 
18,4  km,  Breite  4,8  m.  Kosten  Fr.  435,700.  Bundesbeitrag  laut  B.-B.  vom 
25.  Juü  1873  (A.  S.  Bd.  11,  pag.  217)  Fr.  133,500.  Graubtinden  verzichtete 
auf  Bundesbeitrag.  —  1820  für  das  Straßenstück  Olivone-Biasca.  Länge  22,4  km, 
Breite  6,6  m.    Kosten  Fr.  880,000.    {Bavier,   »Straßen  der  Schweiz-.) 

Lustenau-St.  Margrethen  s.  Yorarlbergerbahn. 

Luxemburg.  Die  Schweiz  steht  mit  dem  Großherzogthum  Luxemburg  in 
Vertragsbeziehungen  durch:  1)  den  Auslieferungsvertrag  vom  10.  Febr.  1876 
(A.  S.  n.  F.  2,  pag.  119);  2)  den  internationalen  Phylloxeravertrag ;  3)  die 
internationalen  Postverträge  betreffend  den  allgemeinen  Postverkehr,  die  Geld- 
anweisungen, die  Poststücke  ohne  Werthangabe,  die  deklarirten  Werthbriefe; 
4)  den  internationalen  Telegraphenvertrag  von  1875.  Für  die  Handelsbeziehungen 
mit  L.  gilt  der  Handelsvertrag  mit  Deutschland. 

Luzern.  Schweizerischer  Kanton  seit  7.  November  1332.  Ortsanwesende 
Bevölkerung  am  1.  Dezember  1880  134,806  Personen  =  4,7  ®/o  der  schweize- 
rischen Bevölkerung.  Flächeninhalt  1500,8  km^;  5  Bezirke,  109  Gemeinden, 
109  Zivilstandskreise,  4  Nationalraths Wahlkreise  (11./14.)  mit  7  Mandaten; 
gehört  zum  II.  eidgenössischen  Assisenbezirk,  in  militärischer  Beziehung  zum 
rV.  Divisionskreis. 

Nach  dem  Größenverhältniß  unter  den  wirthschaftlichen  Ghruppen  nimmt 
Luzern  folgende  Rangstufen  unter  den  Kantonen  ein :  Die  5.  hinsichtlich  Ur- 
produktion, die  10.  hinsichtlich  Handel,  die  10.  hinsichtlich  persönliche  Dienst- 
leistungen, die  12.  hinsichtlich  öffentliche  Verwaltung,  Wissenschaft  und  Kunst, 
die  15.  hinsichtlich  Verkehr,  die  20.  hinsichtlich  Industrie  und  Kleingewerbe. 

An  den  Hauptberufsgruppen  sind  nämlich  als  Erwerbende  betheiligt: 

«/o  aU.  Beruf-  «/o  der 

PersoDen  treibenden       gl.  Kategorie 

des  Kantons      der  Schweiz 

an  Urproduktion 34,029  56,4  6,1 

„    Industrie 17,916  29,7  3,2 

„    Handel 4,006  6,6  4,2 

Verkehr 1,569  2,6  3,2 

öffentl.  Verwaltung,  Wissenschaft  u.  Kunst  2,062  3,4  4,4 

„    persönlichen  Dienstleistungen  ....  788  1,3  4,3 

60,370         100,0 
Die  Gesammtbevölkerung  (Beruftreibende,    Angehörige,    Hausgesinde) 
ist  wie  folgt  an  den  Haupterwerbsgruppen  betheiligt : 

o/o  der  ^0  der 

Personeu  Bevölke-         gl.  Kategorit* 

rung  der  Schweiz 

an  Urproduktion 71,005  52,7  6,1 

Industrie 35,428  26,3  3,3 

Handel 8,748  6,5  4,2 

Verkehr 4,270  3,1  3,8 

öffentl.  Verwaltung,  Wissenschaft  u.  Kunst  4,967  3,7  4,3 

persönlichen  Dienntleistungen  .     .     .     .  1,121  0,8  3,7 

125,539  93j 


n 


n 
r» 

n 


Luzern 


—     357 


Luzern 


Die  übrigen  9,267  6,9  6,0 

sind  Personen  ohne  oder  unbekannten  Beru£3. 

Handel,  Industrie  und  Kleingewerbe. 

Folgende  Gruppirung  umfaßt  diejenigen  unter  diese  Rubrik  zählenden  Beruüs- 
Arten,  welchen  im  Jahre  1880  5  ^/oo  und  mehr  aller  erwerbsthätigen  Personen 
des  Elantons  oblagen  (laut  eidgenössiBoher  Yolkszäblungsstatistik) : 

jp        -^  ®/iM)  aller  <*;oo  der  nämlichen 

Beruf  thithre"  Erwerbathätlgen      Bernfskategorie 

^  des  Kantons        d.  ganzen  Schweiz 

Handel,  eigentlicher 2333  39,0  42 

Stroh-  und  ßoßhaarflechterei      .     .  1650  27,3  135 

Schneiderei 1574  26,1  45 

Schuhmacherei 1407  23,3  47 

Hotellerie  und  Wirthsohaftsbetrieb  .1374  22,7  45 

Weißnäherei 1003  16,6  37 

Leinen-  und  Halbleinenindustrie       .  924  15,3  86 

Zimmerei 812  13,4  45 

Schreinerei  und  Glaserei  ....  793  13,1  38 

Seidenindustrie 790  13,1  12 

Wascherei  und  Glätterei  ....  714  11,8  49 

Schmiedehand  werk 572  9,5  58 

Maurerei  und  Gypserei     ....  562  9,3  26 

Müllerei 506  8,4  66 

Baumwollindustrie 481  8,0  11 

Bäckerei 462  7,7  40 

Wagnerei  und  Waggonfabrikation  .363  6,0  57 

Strumpfwirkerei  und  -Strickerei      .  359  5,9  99 

Metzgerei  und  Wursterei       ...  351  5,8  40 

Maschinen-  und  Mühlenbau   .     .     .  325  5,4  33 

Dachdeokerei 325  5,4  86 

Fabriken. 

Dem  schweizerischen  Fabrikgesetz  waren  Ende  April  1886  62  Etablissements 
unterstellt  (1,8  ^/o  aller  unterstellten  Etablissements),  mit  2406  Arbeitern  (1,6  ^o) 
und  2050  Pferdekräften  (3  7o).  15  Etablissements  mit  291  Arbeitern  sind  ohne 
Motoren.     Die  am  stärksten  vertretenen  Industriezweige  sind: 

1)  Textilindustrie 15  Etebl.,  883  Arb.,  594  Pf. 

2)  Metallindustrie 5        „        580       „       490     „ 

3)  Papier-  und  Papierstofffabrikation   .       2        „        223       „       600     „ 

4)  Tabakindustrie 9        „        184       „ 

Die  lexiilindusirie  umfaßt: 

1  Baumwollspinnerei 72  Arb.,  170  Pf.  (ßeiden.) 

2  Baum  Wollzwirnereien     ....  51      „  20    „    (Egoltswyl  und  Wykon.) 
1  Buntweberei 38      „  25    „    (Dagmersellen.) 

3  Floretseidespinnereieu    ....  494      „  340    „    (1  Eriens,  2  Littau.) 
1  Seidenwinderei 53     „  5    „    (Sursee.) 

1  Seidenzwimerei 55  „  7  ,  (Willisau.) 

1   Seidenweberei 26  „  (SohUpfheim.) 

1  Wollen-  und  Halbwollenfabrik     .15  „  9  ^  (Altishofen.) 

2  Halbleinfabriken 25  „  15  „  (Entlebuch.) 


Luzern  —     358     —  Luxem 

1  RothfÄrberei 16  Arb.,        1  Pf.  (Reiden.) 

1  Strickerei 38     ^  2    „    (Dagmersellen.) 

Die  Metallindustrie  umfaßt: 

1  Eisenwerk 140  Arb.,  370  Pf.  (Emmenweid.) 

1  Kupfer- u.  Messingblech- Walzwerk     35     ,         16    „    (Kriens.) 

1  Schlosserei 32     „         lo    „    (Meggen.) 

1  Maschinenfabrik 7      „  4    „    (Luzern.) 

1  Maschinenfabrik  mit  Gießerei       .366      „         85    ^    (£riens.) 

Die  Papier-  und  Papierstofffabrikation  umfaßt: 

1   Papierfabrik 171  Arb.,   200  Pf.  (Root.) 

1   Holzstofffabrik 52      „       400    ,    (Buchrain.) 

Die  Tabakindustrie  umfaßt: 

5  Cigarrenfabriken 74  Arb.     (1  Malters,  3  Triengen,   1  Kul- 

merau.) 
4  Cigarren-  und  Tabakfabrikeu  .     .110     „       (1  Horw,  1  Eickenbach,  1  Sur- 
see,  1  Triengen.) 

Die  übrigen  dem  Fabrikgesetz  unterstellten  Fabriken  sind: 

2  Bierbrauereien  (Luzern);  4  Buchdruckereien  (Luzern);  1  Kokosmatten- 
fabrik (Ebikon);  2  Edelsteinschleifereien  (1  Diamantschleiferei  in  Luzern,  1  Uhren- 
Stein-  und  Edelsteinschleiferei  in  Sursee);  1  Gasfabrik  (Luzern);  1  Glashtitte 
(Wauwyl);  1  Holztypenfabrik  (Luzern);  1  Leisten-  und  Holzsohlenfabrik  (Luzern); 
1  Lithographie  (Luzern);  8  Milhlen  (1  Alberswyl,  1  Altishofen,  1  Kriens,  1 
Langnau,  1  Littau,  2  Luzern,  1  Malters);  1  Schiffsreparaturwerkstätte  (Luzern); 
3  Schreinereien  (1  Kriens,  2  Luzern);  4  Teigwaarenfabriken  (1  Horw,  1  mit 
Säge  in  Kriens,   1   Luzern,   1  Wolhausen);  1  Ziegelei  (Nebikon). 

Industriegeschichtliohes. 

Bis  auf  die  jüngste  Zeit  herab  kommt  der  Stadt  und  dem  Land  Luzern  alsr 
industriellem  Gebiete  nur  eine  beschränkte  Bedeutung  zu.  Von  den  mancherlei 
Zweigen,  über  deren  Betrieb  bald  aus  einem  frühem,  bald  aus  einem  spätem 
Jahrhundert  etwa  Nachrichten  vorliegen,  haben  sich  bloß  vereinzelte  ein  längeres 
oder  besonders  gedeihliches  Dasein  zu  sichern  vermocht.  Die  Ursachen  des  Un- 
bestandes  oder  des  geringen  Erfolges  auf  diesem  Felde  der  menschlichen  Thätigkeit 
alle  zu  ermitteln,  dürfte  schwer  halten,  nicht  ebenso  die  Namhaftmachung  einiger 
der  wichtigsten.  £in  neuerer  G^chichtschreiber  sagt,  daß  strenge  Arbeit  in 
Luzern  ehedem  nicht  sonderlich  beliebt  gewesen  sei;  man  arbeitete  nur  so  viel 
und  so  lange,  als  zum  Unterhalte  durchaus  erforderlich  war :  „Feste,  frohe  Feste 
wollte  der  Luzemer  zu  allen  Zeiten  des  Jahres.*^ 

Vor  dem  befruchtenden  Einflüsse,  welchen  die  fremden  Protestanten  in 
manchen  Theilen  der  Schweiz  auf  den  Gewerbsfleiß  ausübten,  schützte  sich  Luzern 
durch  seinen  starren  Abschluß  gegen  die  andersgläubigen  Flüchtlinge.  Seine 
Bewohner,  soweit  sie  nicht  ihr  Heimwesen  bestellten,  zogen  das  Reislaufen  der 
beschwerlichen  und  eintönigen  Arbeit  des  G^werkmannes  vor.  Auch  galten  Handel 
und  Gewerbe  dem  regierenden  Stande  zu  einer  2^it  noch  nicht  als  ehrenvoll, 
als  anderorts  die  angesehensten  Bürger  sich  ihnen  widmeten  und  damit  ihre 
Städte  zu  schönster  Blüthe  brachten.  Und  als  dann  verhältnißmäßig  spät  —  wohl 
kaum  vor  dem  16.  Jahrhundert  —  die  vornehmen  Luzemer  in  ihren  Ansichten 
eine  Wandlung  wollten  eintreten  lassen,  vereitelte  das  unheilvolle  Pensionsweeen 
eine  ernstliche  Bethätigung  derselben. 

So    wurde   denn   weder   von  Luzern,    noch   von  den  kleinen  Landstädteben 


Luzem  —     359     —  Luzern 

aus  der  Sinn  für  die  Industrie  geweckt;  diese  sah  sicli  vielmehr  darauf  ange- 
wiesen, Vorbilder  oder  Anlehnung  jenseits  der  Grenzen  zu  suchen.  Der  Umstand« 
daß  nun  auch  in  Folge  der  Verbesserungen  in  der  Landwirthschaft  gegenwärtig 
vielen  Händen  Beschäftigung  geboten  wird,  die  bisher  für  die  Industrie  verwendbar 
gewesen  wären,  hat  diese  sich  nicht  in  einem  der  Grröße  des  Kantons  und  seiner 
Bevölkerung  entsprechenden  Umfange  entwickeln  lassen. 

Die  Mittheilungen,  welche  vor  den  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  zurück- 
gehen, erscheinen  bloß  in  Form  zerstreuter  Notizen.  Besonderes  Gewicht  muß 
auf  die  Gerberei  gelegt  worden  sein.  Wiederholte  Angaben  finden  sich  auch  über 
Bergwerke,  die  sich  zeitweise  lohnten  und  ohne  Zweifel  früh  die  Entstehung 
verschiedener  Hammerwerke  zur  Folge  hatten.  Vor  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts 
entstand  am  Kriensbach  eine  Papiermühle,  welche  später  fortwährend  erweitert 
worden  ist.  —  Die  Wollenmanufaktur  war  in  Luzern  schon  vor  dem  15.  Jahr- 
hundert eingebürgert,  erstarkte  jedoch  nie  recht.  Das  Nämliche  läßt  sich  bemerken 
über  das  anfangs  des  17.  Jahrhunderts  eingeführt«  Leine n<jew erbe  und  über  die 
wenige  Jahrzehnte  nachher  begonnene  Seidenfabrikation,  welche  bald  wieder 
eingestellt  wurde.  Zu  erwähnen  bleibt  noch,  daß  in  Beromünster  im  Jahre  1470 
das  erste  Buch  in  der  Schweiz  gedruckt  wurde ;  doch  gelangte  auch  diese  Kunst 
weder  dort,  noch  sonstwo  im  Kanton,  je  zu  größerer  Entfaltung. 

Das  18.  Jahrhundert  brachte  größere  Mannigfaltigkeit  und  Lebhaftigkeit  in 
das  industrielle  Schaffen.  Im  benachbarten  Emmenthal  und  im  Oberaargau  waren 
inzwischen  die  Leinen-  und  die  Baumwollenindustrie  heimisch  geworden  und 
begannen  sich  allmälig  auch  in  den  Aemtem  Willisau,  Entlebuch  und  Sursee 
anzusiedeln.  Es  wurde  dort  Baumwollen-  und  Leinengarn  gesponnen,  letzteres 
auch  ver woben.  Die  liegierung,  den  Nutzen  erkennend,  welche  diese  neben  den 
landwirthschaftlichen  Arbeiten  betriebenen  Hausindustrien  ihrem  Lande  bringen 
konnten,  wollte  nun  ein  Uebriges  thun  und  die  Industrie  von  Staatswegen  in 
andern  Landesgegenden  ebenfalls  fördern.  Sie  machte  den  Anfang  mit  der  aber- 
maligen Errichtung  einer  Seidenmannfaktur  in  Luzern,  welcher  sie  bald  darauf 
eine  Baum  wollen  fabrik  folgen  ließ.  Innert  wenigen  Jahren  —  1702 — 1723  — 
hatte  sie  aber  derartige  Verluste  zu  verzeichnen,  daß  ihr  eine  Wiederholung  des 
gutgemeinten  Versuchs  nie  mehr  räthlich  erschienen  ist. 

Am  See,  in  Wäggis,  ließen  Basler  Häuser  Seide  kämmein  und  gegen  das 
Ende  des  Jahrhunderts  kam  im  Amte  Hochdorf  —  wo  für  Zürich  gleichfalls 
etwas  Baumwolle  und  Seide  gesponnen  wurde  —  die  Stroh  flechter  ei  in  Aufnahme. 

Neben  den  bezeichneten  Industrien  bestanden  in  und  um  Luzem  noch  etliche 
Etablissements:  so  das  staatliche  Wollenhaus,  welches  indessen  ebenfalls  nicht 
gedieh ;  eine  gegen  den  Schluß  des  Jahrhunderts  gegründete  Seidenbandfabrik ; 
bei  Kriens  die  schon  genannte  Papierfabrik  und  ein  Hammerwerk.  Im  Lande 
herum  liefen  überdies  die  nöthigen  Mühlen  und  Sä(jen.  Ergänzend  mag  beigefügt 
werden,  daß  in  der  Emme  und  in  der  Luthem  bis  in  das  gegenwärtige  Jahr- 
hundert hinein  Gold  gewaschen  wurde. 

Die  erste  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  änderte  nichts  Wesentliches  an  der 
geschilderten  Lage.  An  die  Stelle  der  durch  den  Maschinenbetrieb  verdrängten 
Baumwollspinnerei  trat  die  Buntweberei,  und  die  Floretspinnerei  gewann  an 
Ausdehnung.  Das  wegen  der  veränderten  Produktionsverhältnisse  im  obern  Aargau 
bewirkte  Weichen  der  Baumwollspinnerei  vor  der  Buntweberei  zeigt  deutlich  die 
Abhängigkeit  der  Luzerner  Industrie  von  derjenigen  der  angrenzenden  Gebiete. 
So  begegnet  man  auch,  bald  nach  dem  im  Emmenthal  und  Oberaargau  theil weise 
erfolgten  Uebergang  von  der  ausschließlichen  Baumwollen-  und  Leinenverarbeitung 


Luzei-n  —     360     —  Lmern 

auf  die  Halbwollenbranche,  derselben  Erscheinung  in  dem  nordwestlichen  Theile 
des  Kantons  Luzem. 

Ein  nicht  weniger  gutes  Beispiel  für  die  geringe  Selbstständigkeit  der 
Luzerner  Industrie  bietet  die  Strohflechterei  bis  auf  die  heutigen  Tage  herab. 
Anfänglich  hatte  das  Aargauer  Freiamt  für  Luzerner  Hutmacher  Stroh  geflochten 
und  verschiedene  Nachrichten  aus  den  20er,  30er  und  40er  Jahren  melden  ien 
Bestand  mehrerer  Luzerner  Strohflechtereien  und  Hanfknüpfereien.  In  neuerer 
Zeit  aber  stehen  diese  vom  Hitzkircherthale  bis  weit  in's  Entlebuch  hinein  ver- 
breiteten Zweige  ganz  im  Dienste  von  Aargauer  üäusern. 

Diese  Botmäßigkeit  der  Lnzerner  Industrie  nöthigte  sie  indessen  auch  nicht, 
die  Absatzgebiete  für  ilire  Erzeugnisse  selbst  zu  suchen.  Das  Meiste  wurde  in\ 
Lande  konsumirt,  der  Rest  ging  durch  die  Vermittlung  großer  benachbarter 
Firmen  in  den  Handel  über. 

Mit  der  zweiten  Hälfte  des  laufenden  Jahrhunderts  ist  nun,  wie  überall, 
der  eigentliche  Fabrikbetrieb  mehr  und  mehr  zur  Geltung  gekommen.  Doch 
weisen  auch  in  diesem  nur  die  Seiden-,  Metall-  und  Papierbranche  größere 
Etablissements  auf  Es  ist  vorab  die  Floretspinnerei,  welche  im  Amt  Luzem 
eine  ziemliche  Rolle  spielt ;  ihr  stehen  die  Zwirnerei,  Stoff-  und  Bandweberei 
bescheiden  zur  Seit«.  In  der  Metallbranche  sind  es  die  große  Maschinenfabrik 
und  Gießerei  in  Kriens,  die  dortige  Werkstätte  für  Kupfer-  und  Messingartikel, 
Gießerei,  Walzwerk  und  Drahtzug  bei  Luzem,  und  die  Werkstätten  der  Gotthard- 
bahn  und  der  Dampfschifffahrts-Gesellschaft,  die  in  erster  Linie  zu  nennen  sind. 
Die  Papier-  und  Holzstofffabrik  Perlen  endlich  mißt  sich  erfolgreich  mit  den 
andern  Konkurrenten  ihrer  Branche  in  der  Schweiz. 

Baumwolle,  Flachs  und  Wolle  werden  in  mehreren  kleineren,  vorzugsweise 
in  den  Aemtern  Willisau,  Sursee  und  Entlebuch  gelegenen  Fabriken  gesponnen 
und  ver woben.  Die  Handweberei,  welche  sich  hauptsächlich  auf  die  Erstellung 
halbleinener  und  halbwollener  Tücher  verlegt  hat,  hält  sich  ungefähr  in  den 
hergebrachten  Grenzen  und  arbeitet  immer  noch  größtentheils  für  das  Inland. 
Von  der  wichtigen  Stroh-  und  Hanf  flechterei  war  schon  oben  die  Rede. 

Außer  den  behandelten  Industrien  sind  nur  noch  wenige  von  untergeordneter 
Bedeutung  zu  erwähnen.  Vom  Aargau  ist  die  CigarrenfabrikaUon  in  die  an- 
grenzenden Aemter  herübergekommen.  —  Der  Kanton  zählt  etliche  gut  ein- 
gerichtete Mühlen  und  auch  an  Bierbrauereien  fehlt  es  nicht.  —  In  Wauwyl 
betindet  sich  eine  Glashütte,  welche  Hohl-  und  Tafelglas  liefert,  sich  aber  bei 
den  bestehenden  zollpolitischen  Verhältnissen  der  ausländischen  Konkurrenz  kaum 
erwehren  kann.  —  Die  vorübergehend  in  Schwung  gewesene  Parqneterie  scheint 
keine  starken  Fortschritte  zu  machen,  dagegen  ist  die  Möbelfabrikation  in  Auf- 
nahme gekommen.  —  Ebenso  hat  die  Bijouterie  Fuß  gefaßt  und  es  sind  Versuche 
im  Gang,  im  Kanton  noch  weitere  Industriezweige  einzubürgern. 

Wie  schon  bemerkt,  beschäftigt  sich  die  Bevölkerung  lebhaft  mit  Ackerbau, 
Viehzucht  und  Käserei.  Sie  bilden  heute  noch  die  wesentlichsten  Erwerbsquellen. 
Es  werden  vorzugsweise  Käse  nach  Art  der  Emmenthaler,  daneben  aber  auch 
Spalenkäse  gemacht.  Großhändler  im  Entlebuch  und  aus  dem  Hemer  Emmenthal 
kaufen  die  Waare  auf  und  verhandeln  sie  in  alle  Welttheile.  —  Auch  der 
Viehhandel  bewegt  sich  in  beträchtlichen  Summen. 

Der  Luzemer  Markt  war  vormals  gut  besucht  und  namentlich  als  Korn- 
stapelplatz für  die  innem  Kantone  wichtig.  Im  Uebrigen  war  es  der  ober- 
italienisch-rheinische Transithandel,  welcher  von  Alters  her  seinen  Weg  über 
Luzern  nahm  und  schon  im  14.  Jahrhundert  Veranlassung  gab  zu  Handelsverträgen 


Luzern  —      361     —  Luzern 

mit  Mailand  und  mehreren  deutschen  Städten.  Der  Bau  der  Gotthardbahn  hat 
Luzern  seine  bisherige  Stellung  in  dieser  Richtung  neuerdings  gesichert.  Die 
Yerkehrsverbindungen  im  Kanton  herum  haben  sich  in  den  letzten  Jahrzehnten 
fitetig  vermehrt  und  verbessert. 

Zum  Schlüsse  soll  noch  des  vielen  Verdienstes  gedacht  werden,  welcher  der 
prächtig  gelegenen  Hauptstadt  am  Vierwaldstätter  See  und  ihrer  Umgebung  aus 
dem  Jahr  für  Jahr  wachsenden  Fremdenverkehr  zufließt. 

Urproduktion. 

Der  Urproduktion  widmeten  sich  im  Jahre  1880  laut  eidgenössischer  Volks- 
zählungsstatistik 34,029  Personen,  und  zwar  33,601  der  Landwirthschaft,  137 
dem  Bergbau,  252  der  Forst wirthschaft,  35  der  Fischerei,  4  der  Jagd. 

Der  Bergbau 
ist  nicht  ergiebig.  Er  besteht  (laut  schweizerischer  Rohprodukten  karte  von  Weber 
<S;  Brosij    Verlag   von  J.  Wurster  &  Co.  in  Zürich)  hauptsächlich  in  der  Aus- 
beutung von  Steinbrüchen  und  Torflagern. 

Es  kommen  Sandsteinbrüche  vor  in  oder  bei :  Adelwil,  Altishofen,  Buchen- 
rain, Dagmersellen,  Ennerhorw,  Geiß,  Großwangen,  Horw,  Littau,  Luzern, 
Mauensee,  Neuenkirch,  Niederwil,  Oberkirch,  Richenthal,  Ruswil,  Wiggern. 

Tufsteinbrüche  in  oder  bei  Ebnet,  Pfeffikon,  Uffikon. 

Torflager  bei  Meerlischachen,  Münster,  Müswangeu,  Rain,  Rüdiswil,  Wauwil. 

Landwirthschaft liehe  Verhältnisse. 

Der  Kanton  Luzern  hat  136,900  ha  produktives  Land,  wovon  29,990  ha 
Waldboden,  83  ha  Rebland,  106,827  ha  sonstigen  Kulturboden.  7  ^/o  des 
letzteren  =  7500  ha  mögen  dem  Getreidebau,  4  ^/o  =  4300  ha  dem  Kartoffel- 
bau eingeräumt  sein.  Auf  den  Geldwerth  berechnet,  wird  der  Getreidebau  (ä 
Fr.  500  per  ha)  ca.  Fr.  3^750,000,  der  Kartoffelbau  (a  80  q  per  ha  und 
Fr.  5  per  q)  Fr.  1 '700,000  jährlich  abwerfen.  Das  Hauptgetreide  ist  Korn 
(Spelz);  danebst  wird  auch  Weizen,  Hafer,  Roggen  und  Gerste  gepflanzt.  Am 
Getreidebau  wird  das  Amt  Sursee  mit  ca.  30  ®/o,  das  Amt  Willisau  mit  ca.  30  ^o, 
das  Amt  Hochdorf  mit  ca.  20  ^/o,  das  Amt  Luzein  mit  ca.  1 5  ^/o,  das  Amt 
Entlebuch  mit  ca.  5  %  partizipiren. 

Neben  dem  Getreide  imd  den  Kartoffeln  sind  stark  verbreitete  Ackerfrüchte: 
Möhre,  weiße  Rübe,  Kohl,  Runkelrübe,  Kohlrübe,  Bohne. 

Der  Futter  bau  ist  bedeutend,  namentlich  im  Entlebuch,  wo  die  Milch  wirth- 
schaft der  vorherrschende  Zweig  des  landwirthsohaftlichen  Betriebes  bt.  Die  ver- 
breitetsten  Futterpflanzen  sind :  Der  Klee,  die  Esparsette,  das  Raygras  (englisch, 
italienisch  und  französisch),  das  Timothegras,  das  Ruchgras,  der  Wiesenschwingel, 
<la8  Wiesen rispengras. 

Der  Jahresertrag  der  Obstkultur  darf  auf  Fr.  5*520,000  veranschlagt 
werden  (r380,000  Bäume  ä  Fr.  4). 

Weinbau  wird  in  9  Gemeinden  des  Hitzkircherthales  betrieben.  Areal 
ca.  «3  ha.    Ertrag  per  ha  ca.  Fr.  2160,  somit  Geeammtertrag  ca.  Fr.  179,000. 

Betreffend  den  Viehstand  s.  den  Artikel  „Viehzucht**.  Es  bestehen  im 
Kanton  zwei  Viehversicherungsvereine, 

Landwirihscha fluche  Konsumgenossenschaften  bestehen  in  Sempach,  Hoch- 
dorf, Altishofen,  Reiden,  Meggen,  Meierskappel,  Root,  Udligenschwil. 

Die  Zahl  der  Kfisereigesellschaflen  beläuft  sich  auf  etwas  über  20.  Be- 
treffend die  Käserei  s.  den  Artikel   „Milch wirthschaft''. 


Literarisches  Eigenihum  —      352      —  Literarisches  Eigenthom 

länder  veröfifentlicht  werden,  können  in  den  andern  Ländern  der  Union  im  Original 
oder  in  der  Uebersetzung  wiedergegeben  werden,  wenn  die  Urheber  oder  die  Verleger 
dies  nicht  ausdrücklich  untersagt  haben.  Bei  Zeitschriften  genügt  es,  wenn  das  Verbot, 
allgemein  gefaßt,  an  der  Spitze  jeder  Nummer  der  betreffenden  Zeitschrift  wiederholt 
wird.  —  In  keinem  Falle  aber  kann  sich  dieses  Verbot  auf  Artikel  politischer  Natur 
oder  auf  die  Wiedergabe  der  Tagesneuigkeiten  und  der  , Vermischten  Nachrichten* 
ei*strecken. 

Art.  8.  Was  das  Recht  anbetrifft,  aus  literarischen  und  künstlerischen  Werken  in 
Publikationen,  die  für  den  Unterricht  bestimmt  sind  oder  die*  einen  wissenschaftlichen 
Charakter  besitzen,  oder  in  Chrestomathien,  Stellen  wiederzugeben,  so  sind  hier  die 
Gesetzgebungen  der  einzelnen  Unionsländer  und  die  zwischen  denselben  bestehenden 
oder  noch  abzuschließenden  Sonderabkommen  maßgebend. 

Art.  9.  Die  Bestimmungen  des  Art.  2  gelten  auch  für  die  öffentliche  Au^ührung 
von  dramatischen  oder  dramatisch-musikalischen  W^erken,  ob  diese  Werke  veröffentlicht 
seien  oder  nicht.  —  Die  Urheber  dramatischer  oder  dramatisch-musikalischer  Werke 
oder  ihre  Rechtsnachfolger  sind  während  der  Dauer  ihres  ausschließlichen  Uebersetzungs- 
rechtes  gegenseitig  gegen  die  nicht  autorisirte  öffentliche  Aufführung  der  Uebersetzung 
ihrer  Werke  geschützt.  —  Die  Bestimmungen  des  Art.  2  gelten  gleichermaßen  für  die 
•öffentliche  Aufführung  von  nicht  veröffentlichten  musikalischen  Werken,  oder  von  solchen, 
die  veröffentlicht  worden  sind,  bei  denen  aber  der  Urheber  auf  dem  Titel  oder  an  der 
Spitze  des  Werkes  ausdrückUch  erklärt  hat,  daß  er  die  öffentliche  Aufführung  derselben 
untersage. 

Art.  10.  Unter  die  unerlaubten  Reproduktionen,  auf  welche  die  gegenwärtige 
Konvention  Anwendung  findet,  werden  besonders  die  mit  verschiedenen  Namen,  wie: 
Adaptationen,  musikalische  Bearbeitungen  (Arrangements)  etc.  bezeichneten  indirekten 
nicht  autorisirten  Aneignungen  eines  literarischen  oder  artistischen  Werkes  gezählt, 
sobald  sie  nur  die  Wiedergabe  eines  solchen  Werkes  sind,  sei  es  in  der  nämlichen 
Gestalt  oder  unter  einer  durch  unwesentliche  Aenderungen,  Zusätze  oder  Weglassungen 
entstandenen  Form,  die  aber  nicht  den  Charakter  eines  neuen  Originalwerkes  an  sich 
trägt.  —  Man  ist  damit  einverstanden,  daß  bei  der  Anwendung  dieses  Artikels  die 
Gerichte  der  verschiedenen  ünionsländer  den  Vorbehalten  ihrer  bezüglichen  Gesetze 
eintretendenfalls  Rechnung  zu  tragen  haben. 

Art.  11.  Damit  die  Urheber  der  durch  die  gegenwärtige  Konvention  geschützten 
Werke  bis  zum  Gregenbeweis  als  solche  betrachtet  werden  und  demnach  das  gerichtliche 
Verfahren  gegen  unrechtmäßige  Nachahmungen  vor  den  Gerichten  der  verschiedenen 
Unionsländer  eröffnen  können,  genügt  es,  wenn  ihr  Name  in  der  gewöhnlichen  Form 
auf  dem  Werke  angegeben  ist.  —  Für  die  anonymen  und  Pseudonymen  Werke  ist  der 
Verleger,  dessen  Name  auf  dem  Werke  bezeichnet  ist,  berechtigt,  die  dem  Urheber 
zustehenden  Rechte  zu  wahren.  Er  wird  ohne  weitere  Beweise  als  Bevollmächtigter  des 
anonymen  oder  Pseudonymen  Urhebers  betrachtet.  —  Man  ist  immerhin  einverstanden, 
daß  die  Gerichte  eintretendenfalls  die  Vorweisung  eines  durch  die  kompetente  Behörde 
ausgestellten  Zeugnisses  verlangen  können,  welches  bestätigt,  daß  die  durch  die  Gesetz- 
gebung des  Ursprungslandes  vorgeschriebenen  Formalitäten  im  Sinne  des  Art.  2  erfüllt 
worden  sind. 

Art.  12.  Jedes  unrechtmäßig  nachgeahmte  Werk  kann  bei  der  Einfuhr  in  eines 
der  Unionsländer,  in  welchem  das  Originalwerk  das  Recht  auf  gesetzlichen  Schutz 
genießt,  mit  Beschlag  belegt  werden.  —  Die  Beschlagnahme  findet  statt  gemäß  der 
innem  Gesetzgebung  jedes  Landes. 

Art.  13.  Man  ist  einverstanden,  daß  die  Bestimmungen  der  gegenwärtigen  Kon- 
vention in  keinem  Falle  dem  Rechte  Eintrag  thun  dürfen,  das  der  Regierung  jedes 
Landes  der  Union  zukommt,  durch  gesetzliche  Maßnahmen  oder  durch  die  innere  Polizei 
die  Verbreitung,  die  Aufführung,  die  Ausstellung  jedes  Werkes  oder  jeder  Produktion, 
in  Bezug  auf  welche  die  kompetente  Behörde  dieses  Recht  ausüben  könnte,  zu  erlauben, 
zu  überwachen  oder  zu  untersagen. 

Art.  14.  Die  gegenwärtige  Konvention  gilt  unter  den  gemeinsam  zu  bestimmenden 
Vorbehalten  und  Bedingungen  für  alle  Werke,  die  im  Momente  ihrer  Inkrafltretung  in 
ihrem  Urspningslande  noch  nicht  Gemeingut  geworden  sind. 

Art.  15.  Man  ist  einverstanden,  daß  die  Regierungen  der  Unionsländer  gegenseitig 
sich  das  Recht  vorbehalten,  unter  sich  besondere  Vereinbarungen  zu  treffen,  insofern 
diese  Vereinbarungen  den  Urhebern  oder  ihren  Rechtsnachfolgern  ausgedehntere  Rechte, 
als  die  durch  die  Union  gewährten,  zusichern,  oder  anderweitige  der  gegenwärtigen 
Konvention  nicht  zuwiderlaufende  Bestimmungen  enthalten. 


Literarisches  Eigentbum  —     353     —  Literarisches  Eigenthum 

Art.  IG.  Ein  internationales  Bureau  ist  unter  dem  Namen  , Bureau  de  ITnion 
internationale  poui*  la  protection  des  ceuvres  litt6raires  et  artistiques**  errichtet.  —  Dieses 
Bureau,  dessen  Kosten  von  den  Verwaltungen  aller  ünionsländer  getragen  werden,  wird 
unter  die  Autorität  der  Zentralverwaltung  der  schweizerischen  Eidgenossenschaft  gestellt 
und  von  derselben  in  seinen  Funktionen  überwacht.  Die  Obliegenheiten  desselben  werden 
von  den  Ländern  der  Union  gemeinschaftlich  festgestellt. 

Art.  17.  Die  gegenwärtige  Konvention  kann  Revisionen  unterworfen  werden 
behufs  Einführung  von  Verbesserungen,  welche  geeignet  sind,  das  System  der  Union 
zu  vervollkommnen.  —  Fragen  dieser  Art,  .sowie  solche,  die  in  anderer  Hinsicht  die 
Entwicklung  der  Union  betreflfen,  werden  in  Konferenzen  behandelt  werden,  die  nach- 
einander in  den  Ländern  der  Union  zwischen  den  Delegirten  der  erwähnten  Länder 
abgehalten  werden  sollen.  —  Man  ist  einverstanden,  daß  keine  Aenderung  der  gegen- 
wärtigen Konvention  für  die  Union  Gültigkeit  haben  soll,  wenn  nicht  sänimtliche  Länder, 
die  derselben  angehören,  damit  einverstanden  sind. 

Art.  18.  Denjenigen  Staaten,  welche  an  der  gegenwärtigen  Konvention  niclit  Thcil 
{.'enommen  haben  und  welche  auf  ihrem  Gebiete  den  gesetzlichen  Schutz  der  den  Gegen- 
stand dieser  Konvention  bildenden  Rechte  gewäliren,  soll  auf  ihr  Gesuch  der  Beitritt 
gewährt  werden.  —  Dieser  Beitritt  soll  schriftlich  der  Regierung  der  schweizerischen 
Eidgenossenschaft,  und  von  dieser  allen  andern  mitgctheilt  werden.  Derselbe  zieht 
mit  voller  Rechtskratl  die  Zustimmung  zu  sämmtlichen  Verpilichtungen  und  den  Genuß 
aller  Vortheile  der  gegenwärtigen  Konvention  nach  sich. 

Art.  19.  Die  der  gegenwärtigen  Konvention  beigetretenen  Länder  haben  auch  das 
Recht,  jederzeit  für  ihre  Kolonien  oder  ihre  fremden  Besitzungen  beizutreten.  —  Sie 
können  zu  diesem  Zweck  entweder  eine  allgemeine  Erklärung  abgeben,  nach  welcher 
alle  ihre  Kolonien  oder  Besitzungen  in  dem  Beitritt  inbegriffen  sind,  oder  ausdrücklich 
diejenigen  nennen,  die  darin  inbegriffen  sind,  oder  sich  diirauf  beschränken,  diejenigen 
zu  bezeichnen,  die  davon  ausgeschlossen  sind. 

Art.  20.  Die  vorliegende  Konvention  wird  vollziehbar  drei  Monate  nach  Aus- 
wechslung der  Ratifikationen,  und  wird  während  einer  unbestimmten  Zeit  bis  zum 
V^erfluß  eines  Jahres,  von  dem  Tage  an  gerechnet,  an  welchem  die  Kündigung  erfolgt 
ist,  in  Kraft  bleiben.  —  Diese  Kündigung  wird  an  die  Regierung  gerichtet,  welche  be- 
auftragt ist,  die  Beitritterklärung  entgegenzunehmen.  Ihre  Wirkung  erstreckt  sich  nur 
auf  den  Staat,  welcher  die  Kündigung  angezeigt  hat,  indem  die  Konvention  für  die 
andern  vertragschließenden  Theile  in  Kraft  bleibt. 

Zuaatzartikel.  Die  mit  heutigem  Datum  abgeschlossene  Konvention  berührt  in 
keiner  Weise  die  Aufrechthaltung  der  gegenwärtig  zwischen  den  vertragschließenden 
Staaten  bestehenden  Konventionen,  insofern  diese  Konventionen  den  Urhebern  oder 
ihren  RechLsnachfolgern  ausgedehntere  Rechte,  als  die  durch  die  Union  gewährten, 
zu>ichern  oder  anderweitige  Bestimmungen  enthalten,  welche  dieser  Konvention  nicht 
zuwiderlaufend  sind. 

Schlußprotokoll.  \ )  In  Bezug  auf  Art.  4  ist  man  übereingekommen,  daß  diejenigen 
Länder  der  Union,  in  welchen  die  photographischen  Erzeugnisse  unter  die  künstlerischen 
Werke  gerechnet  werden,  sich  verpflichten,  diese  Werke  vom  Tage  der  Inkrafttretung 
der  mit  heutigem  Datum  abgeschlossenen  Konvention  den  Wohlthaten  derselben  theil- 
haftig  werden  zu  lassen.  Ucbrigens  sind  sie  nur  in  dem  Maße,  als  ihre  Gesetzgebung 
es  erlaubt,  gehalten,  die  Urheber  der  erwähnten  Werke  zu  beschützen,  es  sei  denn,  daß 
internationale  Uebereinkommen  bestehen  oder  noch  abgeschlossen  werden.  —  Man  ist 
damit  einverstanden,  daß  die  autorisirte  Photographie  eines  geschützten  Kunstwerkes 
in  allen  Ländern  der  Union  gemäß  dem  Sinne  der  Konvention  den  gesetzlichen  Schutz 
eben  so  lange  genießt,  als  der  Schutz  der  öriginalwerke  selbst  dauert  und  innert  den 
Grenzen  der  zwischen  den  Berechtigten  abgeschlossenen  privaten  Uebereinkommen. 

2)  In  Bezug  auf  Artikel  9  ist  man  übereingekommen,  daß  diejenigen  Länder  der 
Union,  deren  Gesetzgebung  unter  die  dramatisch- musikalischen  Werke  auch  die  chore- 
gra[)hischen  Werke  (Ballet)  zählt,  den  erwähnten  Werken  ausdrücklich  die  Wohlthaten 
der  Bestimmungen  der  mit  heutigem  Datum  abgeschlossenen  Konvention  gewähren  sollen. 
—  Man  ist  einverstanden,  daß  die  Streitigkeiten,  die  sich  bei  der  Anwendung  dieser 
Klausel  erheben  sollten,  dem  Entscheid  der  respektiven  Gerichte  vorbehalten  bleiben.  — 
Man  ist  einverstanden,  daß  die  Fabrikation  und  der  Verkauf  von  Instrumenten,  die  zur 
mechanischen  Wiedergabe  von  Musikstücken  dienen,  welche  dem  Privatbesitz  der  Ur- 
heber entlehnt  sind,   nicht  als  unerlaubte  musikalische  Nachahmung  betrachtet  wtTden. 

3)  Die  durch  Artikel  U  der  Konvention  vorgesehene  gemeinsame  Uebereinkunft 
lautet  wie  folgt: 

Fiirr^r    Vulktfwirthachnrtti-Lexikon  der  Schweiz.  -v^ 


Maß  und  Gewicht  —     364     —  Maß  und  Gewicht 

oder  4  ZUrcherzoll  sei,  angenommen  worden.  Diese  Einheit  soll  „Finger"  heißen 
und  nach  dem  Dezimalsystem  in  10  Zoll  a  10  Linien  getheilt  werden.  Die 
Vielfachen  des  Fingers  waren :  10  Finger  =  1  Elle,  10  Ellen  =  1  Kette, 
1 0  Ketten  =  1  Schnur.  Als  Einheit  für  körperliche  Maße,  und  zwar  sowohl  für 
feste  als  flüssige  Körper,  wurde  vorgeschlagen  der  „Kuhikfinger  oder  Fingerich' 
(also  der  heutige  Liter).  Die  Gewichtseinheit  ist  das  Gewicht  eines  Knbikfingers 
des  reinsten  und  destillirten  Wassers  und  heißt  „Pfund"  (das  heutige  Kilogramm). 
Dasselbe  sollte  eingetheilt  werden  in  10  Unzen  ä  10  Loth  ä  10  Drachmen 
(Gramm)  ä  10  Scrupel  ä  10  Gran  ä  10  As  (Milligramm).  10  Pfund  bildeten 
den  Stein  und  10  Stein  den  Zentner. 

Durch  Gesetz  vom  4.  August  1801  wurde  für  Helvetien  dieses  Maß-  und 
Gewichtsystem  eingeführt,  mit  der  Abänderung,  daß  die  Längeneinheit  den  Namen 
„Hand"  erhielt,  femer  lÖ  Hand  =  1  Stab  (statt  Elle)  und  10  Schnur  =  1  Kette 
(Kilometer),  10  Ketten  =  1  Meile  (Myriameter)  genannt  wurden.  Für  feste  Körper 
erhielt  die  Kubikhand  den  Namen  Becher  (Liter),  der  in  10  Löflel  getheilt  war. 
Die  Vielfachen  des  Bechers  waren :  10  Becher  =  1  ScheflTel,  10  ScheflTel  =  1  Sack 
und  10  Sack  =  1  Malter.  Für  flüssige  Körper  wurden  eingeführt:  1  Kubikhand 
=  1  Kanne  a  10  Glas  (1  Deziliter),  10  Kannen  =  1  Eimer,  10  Eimer  r=  1  Saum, 
10  Saum  =  1  Faß. 

Am  6.  September  1801  reichte  Tralles  seine  Vorschläge  ein  betreffend  die 
Beschaffenheit  der  neu  zu  erstellenden  Muttermaße,  und  aus  mehreren  Schreiben 
ist  ersichtlich,  daß  bereits  Verträge  mit  den  Bürgern  Bär  und  Develay  über 
<lie  Lieferung  der  für  150  Bezirke  erforderlichen  Muttermaße  angebahnt  wurden, 
lu  Folge  der  Ereignisse  kam  aber  das  Gesetz,  welches  schon  im  Jahre  1801 
der  Schweiz  nicht  nur  einerlei  Maß  und  Gewicht,  sondern  das  jetzt  bestehende 
metrische  Maß-  und  Gewichtsystem  gebracht  hätte,  nicht  zur  Ausführung  und  es 
blieb  während  der  nun  folgenden  Mediationszeit  Alles  im  Alten. 

Zwar  fehlte  es  nicht  an  Anregungen,  die  Verhältnisse  in  Maß  und  Gewicht 
einheitlich  zu  ordnen,  und  es  hat  sich  die  Tagsatzung  in  den  Jahren  1803  bis 
1^13  wiederholt  damit  beschäftigt. 

Am  18.  Juli  1803  wurde  der  Landammann  der  Schweiz  angewiesen,  über 
die  Einführung  eines  gleichmäßigen  Maß-  und  Gewichtsystems  wissenschaftliche 
Untersuchungen  zu  veranstalten  und  das  Ergebniß  derselben  den  Kantonen  mit- 
zutheilen. 

Am  25.  Juni  1807  wurde  beschlossen,  den  durch  die  helvetische  Regierung 
am  14.  Juli  1801  abgefaßten  Gesetzes  Vorschlag  für  die  Einführung  eines  gleich- 
mäßigen Maß-  und  Gewichtsystems  durch  den  Abschied  den  Kantonen  zur  Kenntniß 
zu  bringen,  „wobei  die  Tagsatzung  mit  Vergnügen  sehen  wird,  wenn  die  eine 
oder  andere  Regierung  mit  dem  Beispiel  eines  Versuches  in  ihrem  Kanton  voran- 
gehen will**. 

Wie  groß  trotz  dieses  Beschlusses  der  Widerstand  war,  geht  daraus  hervor, 
daß  Basel  und  Bern  „ein  für  allemal  das  Protokoll  dieses  Gegenstandes  entladen 
wollten",  welchem  Vorgehen  sich  im  nächsten  Jahre  (1808)  noch  Schwyz,  Grau- 
bünden,  Appenzell  und  Schaff  hausen  anschlössen,  während  Bern  nicht  mehr  unter 
den  Gegnern  einer  Reform  erscheint. 

Am  22.  Juni  1811  wurde  (mit  17  Stimmen)  beschlossen,  daß  ein  eidge- 
nössisches Maß-  und  Gewichtsyiitem  aufgestellt,  das  Verhältniß  desselben  su  den 
in  der  Schweiz  bestehenden  Maßen  und  Gewichten  ausgemittelt  und  den  Kantonen 
überlassen  werde,  das  eidgenössische  System  bei  ihnen  einzuführen.  Dieser  Be- 
schluß wurde  im  nächsten  Jahre  erneuert,  kam  aber  doch  nicht  zur  Ausführung. 


Maß  und  Gewicht  —     365     —  Maß  und  Gewicht 

Im  Jahre  1813  wurde  den  Ständen  vom  Vorort  ein  ausführliches  Gutachten 
von  Professor  Homer  in  Zürich  mitgetheilt,  welcher  als  Längeneinheit  die  Länge 
von  3  dm  (weil  dieser  Fuß  sich  am  meisten  den  in  der  Schweiz  hisher  gebräuch- 
lichen nähert),  als  Einheit  für  Flüssigkeitsmaße  die  Maß  von  1,5  1  und  als 
Gewichtseinheit  das  Pfund  =  7«  kg  vorschlug;  als  Einheit  für  trockene  Maße 
Kchien  ihm  dagegen  das  Viertel  von  15  1  zu  klein  zu  sein.  Wir  haben  hier  den 
ersten  Vorschlag  des  spätem  schweizerischen  Maß-  und  Gewichtsystems.  Auch 
einige  gelehrte  Gesellschaften  fingen  an,  sich  mit  diesen  Fragen  zu  beschäftigen, 
was  die  Tagsatzung  im  Jahre  1813  veranlaßte,  zu  beschließen,  es  sei  das  Resultat 
dieser  Arbeiten  noch  abzuwarten. 

Auch  während  der  Restaurationszeit  (1813 — 1830)  blieb  das  Maß-  und 
G^wichtswesen  der  Schweiz  noch  stationär,  obschon  von  verschiedenen  Seiten 
Anstrengungen  gemacht  wurden,  einen  bessern  Zustand  herbeizuführen,  indem 
z.  B.  im  Jahre  1822  die  schweizerische  naturforschende  Gesellschaft  auf  Vorschlag 
von  Professor  Homer  in  Zürich  eine  dreigliedrige  Kommission,  bestehend  aus 
dem  Antragsteller  und  den  Professoren  Pictet  in  Genf  und  Trechsel  in  Bern, 
niedersetzte. 

Diese  Kommission  erstattete  im  Jahre  1823  an  die  Gesellschaft  ausführlichen 
Bericht,  aus  welchem  hervorgeht,  daß  die  Anregung  zum  erneuerten  Studium 
dieser  Frage  auf  guten  Boden  gefallen  sei.  1 1  Kantone  hatten  ihre  Untersuchungen 
über  ihre  Maße  und  Gewichte  abgeschlossen  und  aus  2  Kantonen  waren  bezüg- 
liche Arbeiten  angekündigt.  Die  rückständigen  Kantone  ließen  indessen  lange  auf 
sich  warten,  denn  noch  im  Jahre  1827  lautet  der  Bericht  an  die  Gesellschaft: 
nKs  sind  mit  wenigen  Ausnahmen  die  Angaben  von  allen  Kantonen  eingegangen.*" 
Bei  diesem  Anlaß  machte  Homer  das  Anerbieten,  die  Angaben  auf  ein  gemein- 
sames Maß  (pied  de  roi  und  poids  de  marc)  unter  seiner  Aufsicht  reduziren  zu 
lassen  und  in  eine  allgemeine,  vergleichende  Uebersicht  zu  bringen,  wozu  ihm 
der  nöthige  Kredit  ertheilt  wird.  (Leider  ist  von  diesen  Arbeiten  nirgends  mehr 
etwas  aufzufinden.) 

Inzwischen  hatte  aucb  die  Regierung  von  Bern  sich  der  Sache  angenommen, 
indem  sie  eine  Anzahl  von  Regierungen  eingeladen  hatte,  an  einer  Konferenz  zur 
Besprechung  aller  dieser  Fragen  Theil  zu  nehmen.  Dem  Konferenzprotokoll  vom 
5.  Mai  1828  welches  von  den  Abgeordneten  der  8  Stände  Zürich,  Bern,  Lueern, 
Freiburg,  Soloihurn,  Basel,  Aargau  und  Waadt  unterzeichnet  ist,  ist  zu  ent- 
nehmen, daß  als  Längeneinheit  die  Länge  von  3  dm  angenommen  wurde;  ferner 
einigte  man  sich  noch  auf  folgende  Maße:  1  Elle  =  2'  (Fuß),  1  Stab  =4', 
1  Klafter  ==  6 ',  1  Ruthe  =  10';  1  Juchart  =^  40,000  Quadratfuß  und 
1  Pfund  =  500  g.  Ueber  die  Größe  der  Hohlmaße  kam  keine  Einigung  zu 
Stande.  6  Stände  einigten  sich,  für  trockene  Gegenstände  1  Viertel  (Quarteron) 
von  500  Kubikzoll,  für  Flüssigkeiten  1  Maß  von  50  Kubikzoll  (4  Stände) 
anzunehmen,  und  4  Stände  wollten  eine  Wegstunde  von  16,000'  einführen. 

£s  hatte  also  auch  diese  Konferenz  noch  kein  bestimmtes  Resultat,  indem 
nicht  einmal  8  Kantone  sich  auf  bestimmte  Maße  einigen  konnten,  immerhin 
aber  bildet  dieses  Konferenzprotokoll  für  die  Arbeiten  der  spätem  Kommissionen 
„eine  Vorarbeit,  die  ihnen  in  theoretischer  und  praktischer  Hinsicht  den  Weg 
bezeichnete,  den  sie  zu  befolgen  hatten**. 

Wenn  auch  in  der  Restaurationsperiode  noch  keine  Einigung  in  Beziehung 
auf  Maß  und  Gewicht  in  der  Schweiz  erzielt  werden  konnte,  so  findet  man  doch 
in  einzelnen  Kantonen  wesentliche  Fortschritte.  Vor  allen  ist  hier  der  Kanton 
Waadi  hervorzuheben,  der  durch  Gesetz  vom  27.  Mai  1822  auf  seinem  ganzen 


Maß  und  Gewicht  —     366     —  Maß  und  Gewicht 

Gebiet  einheitliches  Maß  und  Gewicht  einführte,  während  vorher  20  verschiedene 
Stäbe  (Aane),  25  Viertel  (Quarteron),  26  Maß  und  9  Pfunde  im  Gebranch 
waren.  Die  Ghrundlage  des  waadtländischen  Maß>  und  Gewichtsystems  bildete  der 
Fuß  von  3  dm  Länge,  mit  dezimaler  Gliederung;  weitere  Längenmaße  waren 
der  Stab  von  4 '  und  die  Toise  von  10 '.  Flächenmaße  waren  die  Quadrattoise 
=  100  Quadratfuß,  1  Fossorier  =  50  Quadratfuß  und  1  Pose  =  500  Quadrat- 
toisen.  Als  Hohlmaße  für  trockene  Körper  wurden  eingeführt:  1  Quarteron 
:=  72  Eubikfuß,  eingetheilt  in  10  Emines  ä  10  Copets;  Vielfache:  10  Quar- 
terons =  1  Sac  und  10  Sacs  =  1  Muid.  Diese  Hohlmaße  waren  zylindrisch 
mit  einer  Höhe  =  ^jb  des  Durchmessers.  Flüssigkeit^maße  waren:  1  Pot 
=  V20  Kubikfuß  (d.  h.  =  1  Emine),  1  Pot  =  10  Verres;  Vielfache:  10  Pots 
=  1  Broc,  3  Brocs  =  1  Setier,  16  Setiers  =  1  Char.  Die  Gewichtseinheit  ist 
das  Pfund  gleich  dem  absoluten  Grewicht  von  Y54  Kubikfuß  Wasser  bei  seiner 
größten  Dichtigkeit  (also  =  500  g).  Dasselbe  wurde  eingetheilt  in  16  Onces 
a  8  Gros  ä  72  Grains.  Im  gewöhnlichen  Verkehr  wird  das  Pfund  und  die 
Unze  auch  nur  in  halbe,  viertel  und  achtel  eingetheilt. 

Durch  dieses  System  ward  in  der  Schweiz  zum  ersten  Mal  eine  dezimale 
Gliederung  eingeführt,  freilich  nicht  ausschließlich,  und  es  ist  femer  zu  bemerken, 
daß  die  neuen  Hohlmaße  (Quarteron  und  Pot)  von  Ys  und  Y20  Kubikfuß  wirklich 
als  von  der  Längeneinheit  abgeleitete  Größen  zu  betrachten  sind,  was  bei  den 
spätem  schweizerischen  Viertel  und  Maß  nicht  der  Fall  ist. 

Dem  Beispiel  der  Waadt  folgte  bald  darauf  der  Kanton  Wallis,  der  durch 
Gesetz  vom  15.  Dezember  1824  folgende  Maße  allein  als  gesetzliche  anerkennt: 
a,  1  Schuh  =  3  dm;  6.  1  Elle  =  4';  e.  1  Fischöl,  dessen  Inhalt  gleich 
1  Kubikfuß;  1  Fischöl  =  2  Bischel  ä  2  Quarterons  a  5  Emines;  d.  das  Pot 
(Maß)  =  50  Kubikzoll;  e.   1  Sester  =  30  Pots  {rr=  172  Kubikfuß). 

Diese  Maße  sollten  vom  1.  Juli  1825  an  allein  gebraucht  werden.  Es 
scheint  aber,  daß  trotz  diverser  Straf bestimmungen  die  alten  Maße  größtentheils 
beibehalten  blieben,  indem  in  den  im  Jahre  1857  publizirten  und  wohl  offiziellen 
^Tableaux  de  conversion  des  mesures  usit^es  en  Valais  en  mesures  föderales  et  en 
mesures  m^triques'  bemerkt  wird :  „L^usage  ne  sanctionna  pas  entierement  Tadoption 
du  pied  de  3  dm ;  chaque  localite  conserva  sa  toise  pour  T^valuation  des  surfaces 
agraires  et  en  general  le  pied  du  roi  pour  les  mesures  lineaires." 

Durch  Gesetz  vom  14.  Mai  1827  wurde  als  Gewichteinheit  das  Pfund  von 
500  g  angenommen  und  es  scheint  diese  Bestimmung  größern  Anklang  gefunden 
zu  haben.  Unwichtige  Aenderungen  in  andern  Kantonen  Übergehen  wir  hier. 

Größere  Fortschritte  weist  die  folgende  Periode  von  1830 — 1848  auf. 

Im  Jahre  1832  wurde  eine  Revision  des  Bundesvertrages  beschlossen  und  eine 
Kommission  von  15  Mitgliedern  ernannt,  welche  in  Beziehung  auf  Maß  und 
Gewicht  beantragte: 

„Art.  22.  Dem  Bunde  steht  das  Recht  zu,  für  den  Umfang  der  Eidgenossenschaft 
gleiches  Maß  und  Gewicht  einzuführen.  Die  Schweiz.  Maße  und  Gewichte  sollen  nach 
dem  Dezimalsystem  angeordnet  und  ihre  Größe  so  bestimmt  werden,  daß  sie  mit  den 
<lurch  andere  Staaten  eingeführten  Dezimalsystemen  in  möglichst  einfachen  Verhrdtnissen 
stehen.  —  Ein  Bundesgeselz  wird  bestimmen,  in  welcher  Zeit  die  neuen  Schweiz.  Maße 
und  Gewichte  jeder  Art  im  Innern  der  Kantone  eingeführt  werden  sollen.* 

Dieser  Artikel  wurde  auch  von  der  Tagsatzung  angenommen,  der  neue 
Bundesvertrag  aber  im  Jahre  1833  von  der  Mehrheit  der  Stände  abgelehnt. 

Am  31.  März  1834  theilte  der  Vorort  neue  Vorschläge  mit,  nämlich:  Bericht 
und  Anträge  der  in  Angelegenheiten  des  schweiz.  Handels  einberufenen  Experten- 
Kommission  an  den  h.  eidg.  Vorort  hinsichtlich  eines  in  der  Schweiz  einzuführenden 


Maß  und  Gewicht  —     367     —  Maß  und  Gewicht 

gleichförmigen  Maß-  und  Grewichtsystems  (vom  8.  März  1834),  nebst  einem 
Entwurf  eines  Schweiz.  Maß-  und  Gewichtsystems  von  Hofrath  Homer  und 
Heinrich  Pestaluzz  vom  6.  März  1834. 

Eine  besondere  Kommission  wurde  zur  Berathung  dieser  Frage  niedergesetzt ; 
sie  erstattete  am  30.  August  Bericht  in  Anlehnung  an  ein  weiteres  Gutachten  der 
obgenannten  Herren  (vom  22.  August  1834)  und  am  nämlichen  Tage  wurde  von 
zwölf  Ständen  die  neue  Schweiz.  Maß>  und  Gewichtsordnung  auf  dem  Wege  eines 
freiwilligen  Konkordats  unter  Ratüikationsvorbehalt  angenommen. 

Die  Ratifikation  wurde  am  17.  August  1835  von  den  elf  Ständen  Zürich, 
Bern,  Liizern,  Ztig,  Freihurg,  Solothurn,  Basel,  Schaff  hausen,  St  Gallen, 
Aargau  und  Thurgau  ausgesprochen,  und  im  Jahre  1836  schloß  sich  auch  Glarus 
dem  Konkordat  an. 

Die  wesentlichsten  Grundsätze  des  Konkordates  waren: 

1)  Die  Maß-Einheiten  werden  yon  den  gleichartigen  Einheiten  des  französischen 
metrischen  Systems  dergestalt  abgeleitet,  daß  sie  einerseits  dem  Bedürtniß  des  täglichen 
Verkehrs  Genüge  leisten,  andrerseits  zu  den  metrischen  Maß-Größen  in  möglichst  ein- 
fachem Verhältniß  stehen. 

2)  Die  Dezimal-Eintheilung  in  auf-  und  absteigender  Ordnung  wird  fQr  alle  Maße 
als  Regel  auftrestellt  mit  Vorbehalt  der  fQr  den  täglichen  Verkehr  erforderlichen  Aus- 
nahmen. 

3)  Die  landesüblichen  Benennungen  sind  soviel  immer  möglich  beizubehalten. 

4)  Die  Zahl  der  Maße  soll  auf  das  Unentbehrliche  beschränkt  und  keine  unnütze 
Vervielfältigung  nahe  gleicher  Maße  geduldet  werden. 

Wir  haben  es  hier  noch  nicht  mit  einem  besondern,  in  sich  selbst  abgeschlossenen 

S}^tem  zu  thun,  in  welchem  aus  einer  Grundeinheit  alle  andern  Größen  direkt 
abgeleitet  werden,  während  bei  dem  waadtländischen  System  (mit  Ausnahme  der 
Gewichtseinheit)  alle  andern  Maße  aus  dem  Fuß  abgeleitet  sind.  Die  Gründe, 
warum  namentlich  die  Kohlmaße  vom  Liter  und  nicht  vom  Kubikfuß  abgeleitet 
wnrden  (also  das  waadtländische  System  nicht  adoptirt  wurde)  sind  in  der  Kleinheit 
der  direkten  Maße  zu  suchen,  da  das  waadtländische  Sester  500,  die  Maaß  50 
Kubikzoll  betragen,  während  die  entsprechenden  Konkordatsmaße  555^9  und  55^9 
Kubikzoll  sind  und  sich  mehr  den  bisher  gebräuchlichen  Maßen  näherten. 

Das  Konkordat  bildete  später  die  Grundlage  der  ersten  Schweiz.  Maß-  und 
Gewichtsordnung  und  die  eingeführten  Maße  werden  dort  aufgezählt  werden. 

Der  Vorort  wurde  femer  angewiesen,  dafür  zu  sorgen,  daß  die  Muttermaße 
in  der  gleichen  Werkstätte  durch  einen  geschickten  Mechaniker  verfertigt  und  daß 
ein  vollständiges  Exemplar  von  jedem  konkordirenden  Stand  aus  dieser  Werkstätte 
bezogen  werden  könne. 

Die  Vollziehung  des  Konkordates  sollte  durch  eine  besondere  Konferenz  der 
Konkordatsstände  angeordnet  werden.  Die  Konferenz,  an  welcher  die  Stände 
Zürich,  Bern,  Luzern,  Freiburg,  Solothurn,  Baselstadt,  Baselland,  Schafifhausen, 
St.  Gallen,  Aargau  und  Thurgau  vertreten  waren,  und  an  welche  der  Vorort 
zwei  eidg.  Experten  abgeordnet  hatte,  versammelte  sich  in  Bern  am  1.  Februar 
1836.    Die  wichtigsten  Beschlüsse  derselben  sind  folgende: 

Die  im  eidg.  Archiv  (jetzt  in  der  eidg.  Eichstätte)  deponirten,  seiner  Zeit  durch  die 
französische  Regierung  der  obersten  helvetischen  Vollziehungsbehörde  offiziell  zugestellten 
Maße,  nämlich  ein  Meterstab  aus  Eisen  und  1  Kilogramm  aus  Messing,  wurden  als 
acht  anerkannt  und  als  Hauptgrundlagen  der  Schweiz.  Maß-  und  Gewichtsordnung 
erklärt. 

Vier  durch  Mechaniker  Oeri  in  Zürich  verfertigte  Urmaße  (1  Fuß  aus  Schmiedeisen, 
1  Viertel  aus  Messing,  1  Maß  aus  Messing  und  1  Pfund  aus  Messing)  werden  sowohl 
der  Form  als  dem  Stoffe  nach  als  mit  dem  Konkordat  übereinstimmend  anerkannt  und 
die  Experten-Konmiission  beauftragt,  diese  Urmaße  genau  zu  untersuchen  und  nachdem 
sie  sich  von  der  vollkommenen  Richtigkeit  und  der  vorgeschriebenen  Uebereinstimmun^ 


Maß  und  Gewicht  —     368     —  Maß  und  Gewicht 

mit  dein  Meter  und  dem  Kilogramm  überzeugt  haben,  darüber  einen  Verbalprozeß  aus> 
zufertigen  und  durch  den  Vorort  diese  Urmaße  beglaubigen  zu  lassen.  (Auch  diese 
4  Urmaße  sind  in  der  eidg.  Eichstätte  deponirt.) 

Jeder  konkordirende  Kanton  soll  ein  Exemplar  einer  genauen  Nachbildung  der 
Schweiz.  Urmaße  unter  dem  Namen  , Muttermaße*  übernehmen,  nachdem  dieselben  von 
Oeri  verfertigt  und  durch  die  Experten-Kommission  beglaubigt  seien.  Die  konkordaLs- 
gemäß  verfertigten  Maße  und  Gewichte  führen  den  Namen  Schweizermaße  und  Schweizer- 
gewichte; die  Muttermaße  werden  mit  dem  eidg.  Kreuz,  die  Nachbildungen  derselben 
(sowohl  Probemaße  als  Verkehrsmaße)  mit  dem  eidg.  Kreuz  und  mit  dem  Kantonszeichen 
bezeichnet. 

Als  Zeitpunkt  der  allgemeinen  Einführung  des  neuen  Systems  wird  einstimmig 
der  1.  Januar  1838  bestimmt,  wobei  es  den  einzelnen  Kantonen  frei  steht,  die  neuen 
Maße  schon  früher  einzuführen. 

Zur  Ausführung  der  erforderlichen  wissenschaftlichen  Arbeiten  wurde  be- 
schlossen, eine  unter  dem  Vorort  stehende  Experten-Kommission  von  drei  Mit- 
gliedern aufzustellen,  welche  die  Aufgabe  erhielt:  1)  die  Prüfung  der  Urmaße 
mit  möglichster  Beförderung  vorzunehmen;  2)  die  Anfertigung  der  Muttermaße 
zu  überwachen,  dieselben  zu  prüfen  und  an  die  Kantone  zu  versenden ;  3)  Aus- 
arbeitung einer  speziellen  Anleitung  über  die  Verfertigung  der  Probemaße  mit 
Beziehung  auf  ihre  Form,  Dimensionen  und  Stoff;  4)  Ausarbeitung  eines  Entwurfs 
einer  Prüfungsordnung  für  die  Fichter,  welche  gleichzeitig  eine  Anleitung  für 
die  Eichmeister  sein  sollte;  5)  Berechnung  von  Reduktionstafeln  über  das  Yer- 
hältniß  der  neuen  Schweizermaße  und  Grewichte  zu  denen  des  Aaslandes  (Nachbar- 
staaten). 

Nachdem  diese  Kommission  ihre  Aufgaben  gelöst  hatte,  wurde  sie  durch 
Konferenzbeschluß  der  konkordirenden  Stände  am  19.  August  1839  wieder  aufgelöst. 

In  Ergänzung  des  Konkordates  wurden  ferner  folgende  Beschlüsse  über  An- 
zahl und  Form  von  Hohlmaßen  für  trockene  Körper  gefaßt: 

Die  Verkehrsmaße  erhalten  eine  Höhe  gleich  dem  halben  Durchmesser ;  gestattet 
werden:  1  Malter  =  10  Viertel  oder  Sester  ä  10  Immi,  ferner  V«  und  V<  Sester.  In 
Beziehung  auf  Flüssigkeitsmaße  wurde  den  Kantonen  angerathen,  die  Maß  für  den 
Verkehr  nach  fortgesetzten  Halbirungen  zu  tlieilen  und  100  Maaß  den  Namen  Saum 
beizulegen,  bei  Nonnalgefaßen  soll  die  Tiefe  gleich  dem  doppelten  Durchmesser  sein. 
Bezüglich  der  Gewichte  wui'de  den  Kantonen  empfohlen,  die  Eintheilung  des  Pfundes 
sowohl  in  500  g  als  in  32  Loth  zu  gestatten  und  das  Apothekergewicht  einstweilen 
unverändert  zu  belassen.  Ueber  die  bei  Verkehrsmaßen  zu  gestattenden  Fehlergrenzen 
sollten  die  Vorschläge  der  Experten-Kommission  maßgebend  sein. 

Im  Jahre  1836  beschloß  die  Tagsatzung,  daß  die  Bestimmungen  des  Kon- 
kordats in  allen  eidg.  Verhältnissen  als  verbindliche  Vorschriften  gelten  sollen. 
Nachdem  die  konkordirenden  Stände  (Aargau  auf  1.  April  1838  und  Glaras  auf 
1.  Januar  1839)  auf  1.  Januar  1838  das  Konkordat  in  Vollziehung  gesetzt 
hatten,  wurden  die  Bestimmungen  desselben  auch  nach  und  nach  in  der  eidg. 
Militärverwaltung  eingeführt.  Im  Femern  wurden  die  Kantone  eingeladen,  aus- 
ilihrliche  Berichte  an  den  Vorort  einzureichen  über  die  Einführung  der  neuen 
Maß-  und  Gewichtordnung  und  am  23.  Juli  1844  betrachtete  die  Tagsatzung 
die  Verhandlungen  über  die  Einführung  des  Konkordates  als  abgeschlossen. 

Die  Kantone  waren  ferner  eingeladen  worden,  ihren  Berichten  über  die  Ein- 
führung des  Konkordates  auch  die  Reduktionstabellen,  enthaltend  die  Vergleichung 
der  bisher  gebräuchlichen  Maße  und  Gewichte  mit  den  Schweizermaßen,  beizugeben. 
Die  Mehrzahl  der  konkordirenden  Kantone  kam  diesem  Wunsche  nach  und  es 
sind  diese  Tabellen  im  eidg.  Archiv  niedergelegt  worden. 

Wie  nöthig  eine  Einigung  im  Maß-  und  Gewichtswesen  war,  geht  aus  der 
folgenden  Zusammenstellung  der  früher  gebräuchlichen  Maße  und  Gewichte  hervor. 


Maß  und  Gewicht 


369     — 


Maß  und. Gewicht 


Die  nachfolgenden  Tabellen  enthalten  (so  weit  es  möglich  war,  das  bezüg- 
liche Material  zu  erhalten)  für  die  Eonkordatakantone  die  vor  1838  gebräuch- 
lichen Maße  und  Grewichte  nach  den  offiziellen  Reduktionstabellen,  wobei  sämmtliche 
Reduktionen  auf  metrische  Maße  aus  den  ursprünglichen  Definitionen  der  Maße 
neu  berechnet  wurden,  da  in  einigen  der  offiziellen  Tabellen  Fehler  enthalten 
waren.  Für  die  nicht  konkordirenden  Kantone  wurde  das  Material  (meist  auch 
offizielle  Reduktionstabellen)  in  freundlicher  Weise  von  den  betreffenden  kanto- 
nalen Behörden  zur  Disposition  gestellt,  wofür  denselben  hiemit  der  verbindlichste 
Dank  ausgesprochen  wird. 

Zur  Orientirung  sei  den  Tabellen  noch  folgende  Erläuterung  vorausgeschickt: 
Der  bis  zur  Einführung  des  metrischen  Systems  (10.  Dezember  1799,  resp. 
1.  Januar  1800)  in  Frankreich  üblich  gewesene  Pariserfuß  war  0,3248394  m, 
der  Pariserzoll  0,0270699  m  =  Via  des  Fußes,  die  Pariserlinie  0,00225583  m 
^=  ^/i2  des  Zolles,  der  Pariser  Enbikzoll  19,83648  cm',  das  livre  poids  de  marc 
=  489,5058  g,  1  grain  de  marc  =  53,11478  mg,  1  toise  =  2  m,  1  aune 
=  12  dm,   1  boisseau  =  ^/s  hl. 


Farrer,  YolkBwtrthBchafta-Lexlkon  der  Schweiz. 


^V 


Maß  und  Gewicht 


370     — 


Maß  and  Gewicht 


I.  Längenmasse  vor  1835/38,  verglichen  mit  den  seitherigen. 


a.  Fuß  (überall  =  12"  i  12'")- 


Definition : 
Pariaerlinien  * 


Schweixerfuss 
1838—1868,77 


Meter 
seit  1868/77 


Äargau:  Bezirk  Aarau 130  0,977526  0,293258' 

,       Baden 133  1,000084  0,300025* 

BFemgarten      ....  133,13552  1,001103  0,300331 

.       Bnigg wie  Aarau 

j,       Kulm ,        „ 

,       Laufenburg 140,13  1,0536979  0,316109* 

^       Lenzburg wie  Aarau 

„       Muri wie  Bremgarten 

„       Rheinfelden      ....  wie  Laufenburg 

Zofingen,  Aarburg     .    .  132,408  0,9956328  0,298690 

«       Zurzaich wie  Baden 

Klingnau 133,5816  1,0044577  0,301337 

Kaiserstuhl 133,1568  1,0012634  0,300379 

Nümberger-Stadtfuß 134,675  1,012679  0,303804* 

Alter  Pariserfuß 144  1,082798  0,324839» 

Appenzell  Ä.'Bh 135,97  1,022417  0,306725« 

Appenzell  L-Bh 136  1,022643  0,306793' 

Baselland wie  Baselstadt 

Basehtadt:  Fuß« 135  1,015123  0,304537 

Alter  Baselfeldschuh 124,7  0,937673  0,281302  • 

Bern:  Fuß 130  0,977526  0,293258 

Steinbrecherschuh 13"  bern.  Maß  1,058987  0,317696 

Pariserfuß  (Pied  de  roi) 144  1,082798  0,324839 

Frutigerfuß V«"  kurzer  als  bern. '    0,916431  0,274929»* 

Freiburg:  Bernfuß vide  Bern 

Pied  de  Gruy^re 146,5  bern.  "'  0,994497  0,298349 

Genf:  Pied  de  roi 144  1,082798  0,324839 

ö/aru«;  Fuß 1,02265  0,306795" 

Qraubünden^^ :  Churerfuß 1  0,3 

Jenatzer-Heuschuh 1,01736  0,305208 

Jenatzer-Güterschuh 0,79167  0,237501 

Luzeinerfuß» 1  Pariserfuß  1,08280  0,324840 

Davoserfuß 1,010  0.3030 

Oberengadinerfuß 1,080  0,3240 

Obertasnerfuß 1,070  0,3210 

MQnsterthalerfuß 1,05340  0,316020 

2A*2ffrn:  Luzerner  Stadtfuß 126  0,9474482  0,284234** 

Nürnbergerfuß 134,675  1,0126793  0,303804 " 

Pariserfuß 144  1,0827979  0,324839" 

Neuenburg:  Pied 130  0,977526  0,293258  " 

Pied  de  champ 16  =  is'  8"  neuchAteiois    0,957161  0,287148  *• 

Nidwaiden:  Pariserfuß 144  1,0828  0,32484 

(keine  offlsiellen  Angaben  erh&Itlich;   nach  Heldmann 
wie  in  Luxem ;  nach  Meyer,  Gemälde  der  Schweiz,  um 
V»a  kleiner  al«  in  Luzem 

5t  öaKen;  St.  GaUer-Stadtfuß  .    .    .    .  134,5  1,011364  0,303409 

Rorschacherfuß 136  1,022642  0,306793  »• 

Rheineckerfuß 137,5  1,033922  0,310177 


^  1  Pariserlinie  =  0,00225583  m.  —  *  1  Bemfüas.  —  *  1  alter  ZOrcherfuBS  nach  Uteiten  Angaben.  — 

*  1  WienerfuBB.  —  ^  In  mehreren  Bezirken.  —  *  Laut  Beschluss  des  Grossen  Bathes  vom  12.  Oktober  1824 

—  ''  Nach  Messungen  des  Mutterfusses  durch  Mechaniker  Zuber  ron  Btthler,  beglaubigt  14.  Juli  1823.  — 

*  Der  Baselfuss  wurde  für  den  Gebrauch  bei  Handwerkern  in  12"  k  12"-,  bei  der  Verwendung  als  Feld- 
mass  aber  in  10"  k  10"'  abgetheilt  —  *  Seit  1820  abgeschafft.  —  *<>  Vide  Bemerkung  bei  den  KUen.  — 
'*  Nach  Heer,  Gemälde  der  Schweiz.  —  ^*  In  den  hier  nicht  angegebenen  Kreisen  des  Kantons  wurde 
der  Churerfuss  gebraucht,  im  Kreise  Trins  theils  der  Luzeinerfuss,  theils  der  deutsche  Fuss,  welcher  aber 
nicht  näher  bezeichnet  wird.  —  *>  Auch  im  Kreise  Schams  gebräuchlich.  —  **  FOr  Maurer  und  Feldmesser. 

—  >^  Fttr  Zimmerleute.  —  ^«  Fttr  die  ttbrigen  Handwerker.  —  "  Beruf uss.  —  "  1  Pied  de  champ  =  16 
minutes  ä  16  oboles.  —  **  Auch  in  Weesen. 


Maß  und  Gewicht 


—     371     — 


Maß  und  Gewich 


Definition : 
Pariaerlinien 


St  Gallen:  Berneckerfuß 136,5 

Allstätten 135,5 

Grabs  und  Werdenberg 135 

Sargans  und  Azmoos 132 

Rapperschwyl 132,8 

Ragaz  und  Pföffers 133,5 

Schaffhausen :  Schaffhauser- Werkschuh  .  132 

Nürnbergerfuß 134,675* 

Schafifhauser-Feldmeßfuß 158,40 

Steiner-Feldmeßfuß 133 

Schwyz:   Bezirke  Schwyz  und  Küßnacht 

Einsiedeln  ^ 

Gersau 

March 

Solothum 130 

Teasin  l  ^  ^^°  bezüglichen  TabeUen  kommen 
^  j^jg  LÄngenmasse  vor 

Thurgau:  Nürnbergerfuß 134,67  1,012640 

Uri:  Umerfuß 1,116279 

TToode :  Waadtländerfuß l'3"/i«5'"  alt.  waadÜ.*  1 

Alter  Waadtländerfuß 

Wallis :  Walliserfuß 

Alter  Walliserfuß 

ZüHch:  Zürichfuß 133,6 

Zug 


SchweizerfuBS 
1838—1868/77 

1,026404 

1,018883 

1,015123 

0,992565 

0,998580 

1,003844« 

0,992565 

1,01268 

1,191078 

1,000084 

1,0573 

1,0127 

1,0505 

1,0187 

0,9775259 


0,977517 

1 

1,082798 

1,0045960 

1,012868 


b.  Elle. 

Definition : 
Pariserlinie 

Äargau:  Bezirk  Aarau 263,261 

,      Baden 266,549 

„       Breingarten      ....  266,271 

,       Brugg 267,552 

,      Kulm 268,032 

^      Laufenburg 264,888 

„      Lenzburg wie  Kulm 

.      Muri wie  Bremgarten 

.      Rheinfelden     ....  242,942 

Zofingen,  Aarburg    .    .  264,816 

„       Zurzach 267,163 

Elle  von  Mellingen 266,436 

,       ,.     Kaiserstuhl 266,314 

^  t  Pariserstab 263,41666 

Appenzell  Ä.-Bh,:  Wolienelle  ....  270,26 

Leinwandelle 325,45 

Stab  für  Mousseline 537,26 

,    Baumwolle 529,36 

Appenzell  L-Bh.:  Kurze  Elle    ....  271,4 

Lange  Elle 325,5 

Baselland wie  Baselstadt 


Sohweizorelle 
1838—1868/77 

0,9897865 
1,0021484 
1,0011032 
1,0059194 
1,0077240 
0,9959036 


0,9133928 

0,9956329 

1,0044569 

1,0017236 

1,001265 

0,9903718 

1,016101 

1,223449 

2,019946 

1,990244 

1,020387 

1,223788 


Meter 
•eit  1868/77 

0,307921  * 

0,305665  « 

0,304537  • 

0,297770 

0,299574 

0,301153 

0,297770* 

0,303804 

0,357323 

0,300025^ 

0,31719» 

0.30381" 

0,31515» 

0,30561» 

0,293258  " 

nur  Ellenmasse 

0,303793  " 
0,334884 
0,3» 
0,293255 
0,3" 

0,324839  " 
0,301379  » 
0,303860  >• 


Meter 
seit  1868/77 

0,593872 
0,601289 
0,600662 
0,603552 
0,604635 
0,597542 


0,548036 

0,597380 

0,602674 

0,601034 

0,600759 

0,594223  " 

0,609661  »• 

0,734070 

1,211967 

1,194146 

0,612232  " 

0,734273 


>  Anch  in  Wyl.  —  *  Auch  in  Oberriet,  8a3c,  Sennwald,  Utsnach,  Lichtensteig.  —  *  Auch  in  Gams 
(Baselfuss).  —  *  Nach  der  amtlichen  Ausgabe  der  Bednktionstabellen  ist  1'  =  1,0025  Schweiserfuss,  welche 
Zahl  aber  mit  der  Angabe  133,5"'  nicht  übereinstimmt.  Auch  der  fHkhere  Inspektor,  Herr  Prof.  Bertsch, 
gibt  in  seiner  Geschichte  des  Mass-  und  Gewichtswesens  des  Kantons  8t  Gallen  1,00382'  an.  —  'In  der 
letsten  Zeit  nicht  mehr  gebraucht.  —  *  In  der  amtlichen  Ausgabe  der  Beduktionstabellen  steht  134,87 ;  die 
Angabe  in  Bchweiserfuss  stimmt  aber  mit  der  Angabe  des  KQmbergerfUsses,  Tide  Luxem,  überein.  — 
''  idter  Zürcherfnss.  —  *  Direkte  Vergleiohung  der  alten  und  neuen  Mnstermasse  durch  den  Fichter  Carl 
Beichlin  in  Schwyz.  Die  hier  nicht  angeführten  Bexirke  sollen  den  Zürcherfuss  benütxt  haben.  —  *  Ist 
wohl  der  Nümbergerfuss.  —  ^^  Bemfnss.  —  ^^  Kleine  Abweichung  gegenüber  der  Angabe  Tide  Luxem.  — 
**  Nach  dem  Gesetz  Ton  1822.  —  *'  Gesetz  Ton  1824.  —  ^*  1  Pariserfuss.  —  *'  Ausserdem  waren  im  Kanton 
Zürich  mehrere  Fuas  der  benachbarten  Kantone  im  Gebrauch.  —  **  Wahrscheinlich  Nümbergerfuss. 

"  In  mehreren  Bezirken.  —  **  Laut  Besohluss  des  Grossen  Bathes  Tom  12.  Oktober  1824.  —  **  Nach 
Messung  durch  Mechaniker  Zuber  Ton  Bühler,  beglaubigt  14.  Juli  1623. 


Maß  und  Gewicht 


—     372     — 


Maß  und  Grewicht 


Doflnition :  Schwcizerellen  Meter 

Fariserlinien  1838— 18f>8;77       seit  1868y77 

BaseUtadt:  EUe» 239,3                    0,899667  0,539820* 

Bern:  BernereUe 22"  2"'  bern.  Maß      0,9028537  0,541712 

Langenthalerelle 25V«"  bern.            1,0386215  0,623173 

Pariserstab 526«^  •'"  Pariser         1,980744  1,188446 

BielereUe 22"  8*"  bern.          0,923219  0,553932* 

BurgdorfereUe 99V6=  100  bern.  Ellen  0,906480  0,543888* 

Erlacherelle 22"  6"'  bern.          0,916431  0,549859 

SiebenthalereUe 2'  bern.               0,977527  0,586516 

FrutigereUe 22"  6"'               0,916431  0,549859 

Neuenstadterelle 22"  7"*               0,919825  0,551895 

Oberhaslerelle 26"                   1,058987  0,635392 

Saanerelle 2'  »/*''  bern.           1,008076  0,604844 

Freilmrg:  Aune  (Stab)  de  Fribourg  .     .  1,781948  1,069169^ 

Aune  d'Estavayer  et  de  Romont     .     .  1,792130  1,075278 

,      de  Morat 1,826072  1,095643 

,       .    Rue 1,853226  1,111936 

,       .    Chätel  (la-petite) 1,894892  1,136935 

,       ,    Ghätel  üa-grande)    ....  1,985124  1,191074 

„       ,    Gruy^re 586"'  bern.            1,988995  1,193397 

,       .    BuUe 1,995782    "^    1,197469 

,       .   Paris 1,980744  1,188446 

,       ,    Moudon 1,839648  1,103789» 

Genf:  Aune  du  roi 1,980744  1,188446 

Glarus :  Kurze  EWe 2'  glarn.              1,02265  0,613590' 

Lange  Elle 27«'  glarn.             1,27831  0,766986 

Graubünden:  Elle  in  Chur 1,1053558  0,663213«» 

Elle  in  Schanfigg 2  Churerfuß           1  0,6 

,      ,   Luzein 1,14446  0,686676 

,      ,   Bergün 1,16353  0,698118 

„      ,    Oberengadin 1,220  0,7320 

,      ,    Obtasna 1,365  0.8190 

r,      ,   Untertasna 1,37656  0,825936 

,      ,   Münsterthal 1,18510  0,711060 

Braccio  di  Misocco 1,16667  0,700002 

,   Roveredo 1,150  0,6900 

,    Calanca 1,15167  0,691002 

Brazzetto  di  Galanca 0,98833  0,592998 

Braccio  di  Poschiavo wie  in  Roveredo 

,   bottega  della  Bregaglia  .    .  1,11550  0,669300 

Xu5^n;  Luzernerelle* 278,458                 1,0469227  0,628154** 

Neuenburg:  Aune 45"  57«"'  neuenb.      1,851385  1,110831 

7Vr«/2«i)/i7/j!A«i  •  FIlo  /  ^*®   *°  Lnzern   (nach   gütiger  Mittheilting   von  Herrn 

litawaiaen,   lliJie J  Regiemngsrath  Camenitiend  in  Buochs) 

(keine  Angaben  erhältlich  ;   auf  dem  RathhauB  war  die 
sog.  Matterelle  angebracht,  von  welcher  die  Masse  ab> 
genommen  wurden. 

St  Gallen:  Wollenelle  in  St.  GaUen  .     .  270,8  1,01813  0,610879 

Leinwandelle  in  St.  Gallen  >^     ...  326  1,22567  0.735401 

Elle  in  Rorschach  (kurze) 271  1,01888  0,611330 

,     ,           ,          (lange)  »^    ....  325  1,22191  0,733145 

«     ,    Rheineck 308,5  1,15987  0,695924 

,     ,   Berneck 307,5  1,15611  0,693668 

,     ,   Altstatten  (für  Wolle)      .    .     .  270,5  1,017  0,610202 

_    ,     , ,         (für  Leinwand)"     .    wie  die  lange  Elle  in  Rorschach 

»  Für  Wolltücher  wurde  in  Basel  der  halbe  Pariserstab  benutzt  (vide  unter  Aargau).  —  *  Urmass 
auf  der  8afi-anj5unft  (Yerglcichung  von  HofHtth  Wild  1810).  —  »  Seit  1816  bemischc  Masse.  —  *  Bern  hatte 
im  Jahre  1807  auf  seinem  ganzen  Gebiet  einheitliches  Mass  und  Gewicht  eingeführt.  Nichtsdestoweniger 
blieben  einzelne  der  älteren  Masse  im  Verkehr,  welche  hier  auch  angegeben  werden.  —  *  Die  ofäziellen 
Tabellen  geben  direkte  Verwandlung  der  alten  Stftbe  in  Schweizerellen.  —  <*  Stimmt  nicht  genau  mit  der 
Angabe  von  Moudon  (vide  Kanton  Waadt).  —  ">  Nach  Heer.  Gemälde  der  Schweiz.  —  •  Die  hier  nicht 
fljigegebeneu  Kreise  haben  die  Churerelle.  —  •  Wenn  der  rhciuländische  Fuss  (nach  der  eidg.  Experten- 
kommisuiou)  zu  13ü,13"'  tnnz.  angenommen  wird,  so  ist  die  Luzemerelle  -:  O.G'27707  m.  —  "2  rbein- 
IftndiHche  Fuss.  —  »  In  der  amtlichen  Beduktionstabelle  von  1836  fehlen  diese  Ellen ;  ich  verdanke  deren 
Angabe  der  gütigen  Mittheilung  des  Herrn  Prof.  Bertsch,  gew.  Mass-  und  Gewichtsinspektor  in  St.  Gallon. 


Maß  und  Gewicht 


—     373     — 


Maß  und  Gewicht 


Definition : 

Schweizerellen 

Meter 

Fariserlinien 

1838—1868/77 

seit  1868/77 

269 

1,01136 

0,606818 

325,5 

1 ,22379 

0,734273 

284 

1,0678 

0,640680  • 

289 

1,08655 

0,651935» 

295,5 

1,111 

0,666598 

294,5 

1,10724 

0,6&i342 

wie  in  Rorschach 

317,8 

1,19484 

0,716903 

274,5 

1,03204 

0,619225 

269,5 

1,01324 

0,607946 

318 

1,19559 

0,717354 

266 

1,00008 

0,600051 

321 

1,20687 

0,724122 

wie  in  Altstatten 

317 

1,19183 

0,715098 

264 

0,992565 

0,595539 

251,40 

0,945193 

0,567116* 

309,70 

1,164385 

0,698631  * 

100  EU.  =  105'/4  Schw.-Bll. 

1,0575 

0,63450  • 

100  -  104«/i  -f  »/«  +  V" 

1,046875 

0,628125« 

100  =  101  »A  +  Va 

1,01875 

0,61 1250  • 

100  =  101 V* 

1,0125 

0,60750  • 

242 

0,909851 

0,545911 

524 

1,970091 

1,182055 

l  eingetheilt  in  10  oncie 
\              k  10  pnnti 

0,833333 

0,5« 

1,129167 

0,6775* 

0,858333 

0,515*^ 

0,883333 

0,53 

eingetheilt  in  12  oncic. 

'  l'oncia   in  12  punti,   il 
punto  in  12  atomi 

0,998333 

0,599  ^^ 

0,873333 

0,524 

1,218333 

0,731 

1,198333 

0,719 

0,99156 

0,594936  " 

260,6976 

0,98015 

0,588089 

309,15 

1,16232 

0,697390 

269,8 

1,01437 

0,608623 

318,8 

1,19860 

0,719159 

266,6 

1,00234 

0,601404 

326,0 

1,22567 

0,735401 

288 

1,082798 

0,049679  >* 

alte  Waadtländerfuß 

2 

1,2  »^ 

4'  — •'  7"/w'" 

1,980727 

1,188436  " 

4'     2"  10'" 

2,070435 

1,242261 

4'     1**     7*'/ 

2,019523 

1,211714 

4'       "     9"' 

1,985582 

1,191349 

St  Gallen:  Elle  in  Oberriet  (kurze)  .  . 
Elle  in  Oberriet  (lange)  ^ 

^      ,   Sax  und  Sennwald     .... 

„      ,   Grabs  und  Werdenberg  .     .    . 

,.      ,    Sargans 

,.      „   Azmoos 

,      ,   Weesen  (kurze) 

,      ,         ,        (lange)* 

,      «   Utznach 

,      ,   Rapperschwyl  (kurze)      .     .     . 

.      ,.  y,  (lange)*    .     .     . 

,      „   Lichtensteig  (für  Wolle)      .    . 

„      ,  ,  (für  Leinwand)*  . 

,      „   Wyl  (kurze) 

,      ,      ,     (lange)* 

Schaffhausen:  Schaff bauserelle      .     .     . 

Ordinäre  Steinerelle 

Lange  „  

Schwyz:  Elle  in  Schwyz  und  Küßnacht '^ 
Elle  des  Bezirkes  Gersau  ^ 

,      ,  ,        March 

„      „  „        Einsiedeln  .... 

Solothurn:  Solothurnerelle 

Solothumerstab 

Tessin:  Braccio  legale  del  Gantone    .    . 

Braccio  di  Locarno  e  Vallemaggia .     . 
„        vecchio  Svizzero  (Mendrisio  e 

Lugano) 

„        corto  di  Mendrisio  e  Lugano  . 
„        di  Bellinzona  e  Riviera  per  i 

legnami 

,        corto  di  Bellinzona  e  Riviera 

,        di  ßlenio 

,        di  Leventina 

,        Milanese 

Thurgau:  Konstanzer-Wollenelle**     .     . 

Konstanzer-Lei  nwandelle 

Frauen  felder-Kränier  eile 

Frauenfelder-Hauselle 

Dießenhofenerelle 

Thurgauer-Leinwandelle 

Uri:  ürnerelle 

Waadt:  Aune 

Aune  de  roi 

„       „    Chateau-d'Oex 

,      d*Aubonne 

"_d'Aigle 

*  In  der  amtlichcu  Reduktionstabclle  von  1836  fehlen  diese  Ellen;  ich  verdanke  deren  Angabe  der 
gtitigen  Mittheiluiig  den  Herrn  Prof.  Bertsch,  gew.  Mass-  und  GeMrichtsinspektor  in  8t.  Oallen.  —  ^1  Feld- 
kirchereile.  —  '  Dito  in  Garns  und  Ragaz-Ffüfcrs.  —  *  In  den  amtlichen  Tabellen  ist  angegeben  0,9451 
und  1,1G433  Schweizerellen.  —  '  Nach  Mittheilung  des  Bezirksrathes  Schwyz  vom  29.  Oktober  1844  an  den 
Begiernngnrath  hält  die  Elle  des  Bezirkes  Öchwyz  282  Parisorlinien ;  wird  diese  Zahl  angenommen,  so  ist 
1  EUe  --  0,036144  ui.  —  ^  Direkte  Yergleichung  der  alten  und  neuen  Mustermasso  durch  den  Fichter 
Herrn  f'arl  Kcichlin  in  Schwyz.  Wollerau  und  Pfftffikon  brauchten  die  Ztlrcherelle.  —  ^  Soll  die  Luzemer- 
elle  sein.  —  *  Nach  dem  Gesetz  vom  7.  Juni  1826.  —  ^  FtLr  Tuch  und  Leinwand  auch  in  den  Distrikten 
Mendrisio,  Lugano,  Bellinzona  und  Biviera.  —  *®  Bei  Bauten.  —  *'  Für  Brennholz.  —  **  Hauptsächlich 
für  Seide.  —  "  Die  amtlichen  Tabellen  geben  die  Länge  der  Konstanzer-Wollenelle  an  zu  261,rt5"'  Pariser 
Mass  --.  O,.'>90012  m.  Damit  stimmt  aber  die  Beduktion  in  Schweizerellen  (0,9802)  nicht  ttberein.  Nach 
Hofrath  Wild  (Keber  allgemeines  Mass  und  Gewicht,  1809),  der  mit  der  Untorsnchung  der  grossherzogl. 
badischen  Masse  beauftragt  war,  ist  eine  Konstanzer- WoUenelle  —  1,8104  Pariserfuss  oder  260,69776'", 
welche  Zahl  oben  angenommen  wurde  und  welche  mit  der  Angabe  in  Schweizerellen  nahe  übereinstimmt. 
—  **  2  Pariserfuss.  —  *■*  Nach  dem  Gesetz  von  1822.  —  *•'•  Stimmt  nicht  ganz  mit  anderen  Angaben 
(vide  Bern;. 


Maß  und  Gewicht 


—     374     — 


Maß  imd  Gewicht 


Waadt:  Anne  de  Nyon 

Aune  de  Rolle 

,   Morges 

,       ,    Grandson 

,   Vevey 

„       n    MoudoD  et  la  Sarraz    .     .    . 

,    Lutry 

,    Romainmötier 

„    Gossonay 

,      d'Yverdon 

„     d'Orbe  et  de  Lucens     .... 

,      de  Payerne 

^       ,    Baulmes 

,       „    Lausanne 

,     d^Avenches 

TTo««;  Walliserstab* 

Zürich:  Zürcherelle 

Zörcherstab 

Zug:  Zug^relle 


3111 
914* 

5"' 


I>efixiition: 
Fariterlinien 

3'  11" 
3'  9" 
3'    9" 

31    9<i    ^itt 

3'  8"  11'" 
3'  8"  10" 
3'    8"    9'" 

3'  8"  6"' 
31    gl/    5^.1 

31    g/<    3<i, 


3' 
3' 


8"   — '" 
7"    2"' 


2*  zürch. 


Schweiser«llen 
1838—1868/77 

1,958428 

1,924487 

1.863392 

1,849815 

1,846422 

1,839633 

1,829450 

1,826057 

1,822662 

1,819268 

1,812480 

1,809087 

1,802297 

1,792115 

1,758167 

2 

1,004596 

2 

1,01819 


Meter 
seit  1868/77 

1,175057 

1,154692 

1,118035 

1,109889 

1,107853 

1,103780 

1,097670 

1,095634 

1,093597 

1,091561 

1,087488 

1,085452 

1,081378 

1,075269 

1,054904 

1,2« 

0,602758 

1,2« 

0,610914 


c.  Klafter  und  Ruthen  vor  1838. 


In  den  meisten  Kantonen  wurden  als  größere  Längenmaße  Klafter  zu  6 
oder  Ruthen  zu  10  Fuß  (der  betreffenden  Orte)  gebraucht,  deren  Werthe  in 
Meter  aus  den  Angaben  der  verscbiedenen  Fuß  demnach  leicht  ermittelt  werden 
können.  Abweichungen  hievon  kamen  einzig  in  den  Kantonen  Bern,  Glarus  (6 
und  7'\  Graubünden,  Luzem,  Neuenburg,  Nidwaiden,  St.  Gallen  und  Wallis  vor» 
worüber  folgende  Zusammenstellung: 

Definition : 


Schwei«prfu88 
1838—1868.77 


Bern :  Klafter 8'  bem. 

Frutigen T  37«"  Frutigen 

Crratibünden :  Ghurerklafter  im  Baufach  6'  Ghur 

Ghurer-Guterklafter 7'      „ 

Klafler  in  RhäzOns 6'  2"  Ghur 

„   Bergün 3  Ellen  Bergün 

„   Alvaschein 6V«  Pariserfuß* 

,   Domleschg 1,05930  Seh w.-Klafter   6,35580 

,   Rheinwald 1  Schweizerklafler      6 

„   Disentis,  Ilanz  und  Savien  .        3  Ghurerellen  6,632135 

,    Oberengadin 1,01390  Schw.-Klafter   6,08340 


7,82021 

6,68231 

6 

7 

6,16667 

6,98118 

7,03819 


,    Obtasna  (Feldelle) ....  1,06833 
„        „   Untertasna  (pas  da  fond)    .  1,14671  „ 

„        „   Münsterthal  (Heumaß)    .     .  6' 

Ruthe  im  Münsterthal 1,89620  Schw.-Ruth. 

Pertica  di  Poschiavo 1,12220 

Luzem:  Klafter 3  Luzernerellen 

Neuenburg:  Perche  de  champ  ....       15'  8"  neuenb. 

Perche  de  vigne 16'  neuenb. 

Toise  commune 10'         , 

Nidwaiden:  Klafter 3  Nidwaldnerellen 


St  Gallen 


Wallis'^:  Klafler  in  Gonthey,  Nendaz 
Klafter  in  Bourg  de  St-Pierre     .    . 


Meter 

seit  1868/77 

2,346064  * 

2,004693 

1.8 

2,1 

1,85 

2,094354 

2,111457 

1.906740 

1,8 

1,989641 
1,825020 
1,922994 
2,064078 
1,896120 
5,6886 
3,3666 
1,884362 
4,594374 
4,692127 
2,932580 
6,281536    1.884362  • 

In  den  meisten  Bezirken  hat  das  Klafler  6  der  dort 
vorkommenden  Fuss,  nur  in  den  Bezirken  Orabs  und 
Werdenberg,  Sargane,  Azmoos,  Oams,  Kagaz,  PftlfeT« 
ist  das  Klafter  7  der  in  diesen  Bezirken  gebrftuchl.  Fusa 

6'  4"  Wallis     6,85773    2,057320 
5'  9"   „      6,22610    1,867830 


6.40998 

6,88026 

6,32040 

18,96200 

11,2220 

6,281536 

15,31458 

15,64042 

9,77527 


*  Aeltere  Angaben  waren  nicht  erh&ltlich.  —  »  Gesetz  von  1824.  —  '  Verordnung  vom  '14.  Febr.  1829. 

*  Ausserdem  für  Heu  das  Klafter  au  6'  welches  Klafter  auch  von  den  Dachdeckern  gebraucht  ward« 
(Beschreibung  und  Vergleichuug  bemiacher  Masse  und  Gewichte,  1821).  —  ^1  Pariserfuss  =  0,3248394  m. 
—  ^  Vido  Luzem.  —  ''In  den  meisten  Gemeinden  hatte  das  Klafter  (Toise)  G  alte  WalliserfViss. 


Ifafi  und  Gewicht 


—     376     — 


Maß  und  Gewicht 


Tv^i  ...                     Schweiserfass  Meter 

i/enmuon:                1838—1868/77  seit  1868/77 

Wallis:  Klafter  in  Liddes 5'    7''  Wallis          6,04563  1,813690 

Klafter  in  FuUy.  Leytron,  SaiUon,  Saxon        6'  iO"        ,             7,39913  2,219740 

,       ,  Isörables T              ,             7,57960  2,273879 

,       ,  Riddes 6'    8"       ,              7,21867  2,165600 

,      im  Bezirk  Monthey 7'    8"       ,              8,30147  2,490440  * 

,       St-Maurice  ....        8*               „             8,66240  2,598720* 

Walliserklafler 6'               ,              6,49680  1,949040 

d.   Geographische  Maße  (Standen). 

In   den    verschiedenen  Redaktionstabellen   sind   nar   folgende  geographische 
Längenmaße  angegeben : 

«^  .    ...                   Schweizeratnnden  Kilometer 

uennmon :                 1838—1868/77  seit  186877 

Basel:  Franz.  Lieue 13682  Pariserfuß       0,925926  4,4444448 

Bern:      Stunde 18000  Bemerfuß        1,099717  5,278643 

Zürich:       ,        15000  ZQrcherfuß      0,941809  4,520685 


II.  Flächenmasse  vor  1838,  verglichen  mit  den  seitherigen. 

Qnadratfaß,  Qaadratklafter  und  Quadratruthen  erhält  man  leicht  aus  den 
Längenangaben  über  Fuß,  Ruthen  and  Klafter;  es  werden  hier  nur  die  großem 
Flächenmaße  angegeben : 

T»^Ä_iA,-rt„ .  Jucharteu  Aren 

lienniuon.  1838—1868.77       seit  1868;77 

Aargau  *;  Aarau,  Brugg,  Kulm,  Lenzburg: 

Waldjuchart 45000  3'  bern.         1,075002  38,70010 

Ackerjuchart 40000  „         ,  0,955558  34,40010 

Mattenjuchart 36000  „         ,  0,860002  30,96008 

Gartenjuchart 32000  ,         „  0,764447  27,52008 

Baden:  Große  Waldjuchart    ....      45000  „     zQreh.        1,125191  40,50685 

Gemeine  Waldjuchart     .     .     .      40000  „         ,  1,000169  36,00609 

Ackerjuchart 36000  „         „  0,900152  32,40549 

Mannwerk  Reben  oder  Wiesen      32000,         „  0,800135^  28,80487 

Bremgarten,  Muri:  Juchart     ....  40000 □'  1,002206  36,07942* 

Laufenburg,  Rheinfelden:  Juchart  .     .      36000  Q  Wien         0,999252«  35,97307 

Zofingen,  Aarburg:  Größte    Juchart   .  50000 Q  1,239107  44,60784 

MitUere        „  45000  „  1,115196  40,14706 

Kleinere       „        .  40000  ,  0,991285  35,68627 

Zurzach:  Juchart 40000,  1,000169  36,00609' 

Klingnau:  Juchart 40000  ,  1,008936  36,32168 

Kaiserstuhl:  Juchart 40000.  1,002529  36,09106 

36000  ,  0,902276  32,48195 

Äppensell keine  Angaben 

Baselland wie  Baselstadt 

Baselstadt:  Neue  Baseljuchart  ....  36000  Q  0,927428  33,38742 

Alte  ,  ....  30580  ,  0,787799  28,36076 

Bern:  Juchart 40000  ,  0,955558  34,40009 

Journal  (im  Jura) 30000  [J  Paris         0,879339  31,05622 

Freiburg:  Pose 40000  ,     bern.         0,955558  34,40010 

, 50000  „         ,  1,194447  43,00011 

Genf:  Pose 0,75037  27,013 

Glarus keine  Angaben 

Graubünden\  Ghurer-Mal  Acker  .     .     .    400 □-Klafter  Chur     0,49  17,64 
Churer-Mamet  Wiesen     .   800         ,             ,       0,98  35,28 

*  Mit  Ansnahme  von  St-Gingolph  (8').  —  *  Mit  Aasnahmo  von  Salvau  (6). 

*  Die  hier  angeffohonon  Zahlen  stimmen  in  der  letzten  Dezimalstelle  nicht  immer  Uboroiu  mit  den 
Angaben  der  amtlichen  Tabelle;  grossere  Abweichungen  sind  angegeben.  —  *  (),8<Mi024.  —  ^  at>,07961.  — 
•  0,S>99807.  —  '»  36,6068.  —  '  lieber  die  hier  nicht  angeführten  Kreise  des  Kantons  ist  entweder  keine 
Angabe  vorhanden  oder  es  stimmen  die  Flächenmasse  mit  denen  von  Chur  überein. 


Maß  und  Grewicht 


—     376     — 


Maß  und  Gewicht 


Definition : 


Jucharten 
1838—1868,77 

(Jraubünden :  Churer-Mal  Weingarten     .  250  Q-Klafter  Chur  0,30625 

Maienfelder-Mannsschnitz 100         ^            ,  0,1225 

Schierser-Mal  Acker 240         ,            ,  0,294 

Üanzer-Mal  Acker 300         ,         Danz  0,329889 

Staggia  di  Galanca 0,0092133 

Staro  di  Poschiavo ä  64  Quartelli  0,07254 

Iru^^cm ;  Juchart 45000  Q  1,009866 

Neuenbürg :  Perche  de  champ  röduite  ^ .  0,0938 

Ouvrier  pour  les  vignes 4096  „  0,97849 

Faux 1,5 

Pose 0,75 

Nidwaiden keine  Angaben 

Obwalden „            „ 

St  Gallen:  Juchart:  St.  GaUen  Stadt     .  36000  0"  0,920571 

Juchart:  Rorschach 36000  ,  0,941219 

,         Rheineck keine  Angaben 

Berneck 32000  0  0,842802 

36000  ,  0,948153 

43500  ,  1,145684 

Altstätten,  für  Acker,  Reben  36000  „  0,934311 

„    Waldungen    .  40000  .  1,038123 

Viertel:  Oberriet 4058  „  0,105318 

Mitmal:  Grabs,  Werdenberg  ....  11270  „  0,290337 

Mal  für  Wiesen  in  Sargans    ....  19600  ,  0,482741 

Rebfuß  in  Sargans 4900  ,  0,120685 

Theil  Reben  in  Azmoos* 1800  G'  zürch.  0,045415 

Garns kein  bestimmtes  Flächenmaß 

Juchart  in  Rapperschwyl 36000  0  0,897447 

„   Lichtensteig 30240  ,  0,784821 

,   Wyl 36000  „  0,948153 

Mal  in  Ragaz,  Pföffers 19600  „  0,493775 

Quadratruthe :  Sax  und  Sennwald  .     .  36  ,  37,372444  0 

Quadratklafter:  Weesen 49  ,  51,244133  0' 

Schaff  hausen :  Juchart 25200  „  0,893761 

Schwye keine  Angaben 

SolotJturn :  Jucliart 40000  O'  0,955558 

Tessin:  Pertica  cantonale 2000braccioquadrate  0,138889 

Pertica  di  Lugano  e  Mendrisio   .     .    .  0,195455 

„    Locarno 0,235623 

„    Riviera 0.199334 

,    Milano 0,181811 

Spazza    ,   Locarno 3,932756  0' 

fl         „    Vallemaggia 62,475850  , 

„    Rlenio 43,697387  , 

„   Leventina 40,833314  „ 

T/*ur(7rtu;  Juchart 36864  O'  Nümb.  0,945050 

Frauentelderjuchart 30240  ,          ,  0,775236 

Uri keine  Angaben 

Waadt:  Fossorier 50  toiscs  carr^es  0,125 

Pose 10  fossoriers  1,25 

Wallis  :  Bezirke  :  Toisea  carrdes  : 

Briei,',  Gonches;  Fischel 156  ii  6'  0,164613 


Aren 
seit  1868/77 

11,025 

4,41 
10,584 
11,876 

0,33168 

2,61144 
36,35518 

3,37 

3,52257 
54 
27 


33,14057 
33,88389 

30,34088 

34,13349 

41,24464 

33,63520 » 

37,37244« 

3,79143 

10,45212 

17,37868 

4,34467 

1,63493 

32,30810 
28,25356  «^ 
34,1335 
17,77590 
3,36352  m* 
4,61197  m* 
32,17538» 

34,40009 
5^ 

7,03637  « 
8,48244 
7,17602 
6,54518 
0,35395  m* 
5,62283  , 
3,93276  , 
3,67500  , 
34,02179 
27,90849 

4,50« 
45 

5,92606 


'  Die  oftixiell«'  Tabelle  gibt  an  1  Perche  de  champ  röduite  •-=  3,37  ares  --  3752  QuailratfaHs,  welche 
Zahlen  oben  eingeifotzt  wurden,  da  die  Angaben  Über  die  Definition  fehlen ;  diese  l*erchc  scheint  demnach 
nicht  vm  Qundrat  von  der  Seite  1  Perche  gewesen  zu  sein.  —  '  Wo  keine  bcijoudere  Domorkung,  sind 
Quadrat  fiiMM  der  betreffenden  Bezirke  zu  verstehen.  —  '  Ebenso  in  Utzuach.  —  *  Die  offizielle  Tabelle 
enthält    1    Theil   Kebeu  1800   Zürcher-Quadratfuss    oder   1794,9  Schweizer-Quadrat  f ums,   was  0,(448725 

Jucharten  entsprechen  würde.  Die  Angaben  stimmen  aber  auch  nicht,  wenn  der  ZlircherfusH  zu  133'"  oder 
der  Sarganserfuss  zu  132'"  der  Beduktion  zu  Grunde  gelegt  wirtl ;  es  sind  oben  ZUrcherfuss  angenommen. 
—  *  3Go'  lauft  und  84'  breit.  —  *  Eingetheilt  in  Iti  Quärtlein  oder  Miisslein.  —  "  (ie.«eti  vom  17.  Dezember 
1827.  ---  "  Kbenso  in  Bellinzona.  —  •  Gesetz  von  1822. 


Haß  und  Gewicht 


HaC  uDd  Gewicht 


Wallis:  Bezirice: 
Conihey,  Härene: 
Ardon,  Chamoson;  Fichelin 
Quartaaöe 
Seyteur 
Peur     . 
Conthey,   Nandaz:  Fichelin 

Peur     . 
Entremoat : 
Bourg  de  St-Pieire:  Quartanie 
Liddes:  Quarlanäe      .... 


Lea  a 
Loeche  : 
Tourtemagne :  Fischy 
Hamat 

Lea  aulrea 


Hamat 
Ma<)chDiIt 


Martigny ; 

Fully,  Leytron,  Sailloo,  Saxon :  Quar- 

Fossoyer 

Is^rables:  Quartanfie 

Rtddes ;  QuarUnie 

Lea  autres  cominuDes:  Quartana*. 

Hontbey : 

Cbampiry.  Honthey ;  Coupe    .     .    . 

Journal .     .    . 

Seyteur .    .     . 

Fosnorier    .     . 

St-GiDgolph ;  Journal 

TroLstorrens :  Jouroal 

Fussorier 

Val  d'iUiei:  Journal^         

Vionnaz,  Vouvry.  Fossorier    .... 

Rarogne  occidental:  Fischy    .... 

oriental:  ,   '      .     .     .     . 

St-Uaurice : 

Collonges.  Duruuaz,  Evionnaz,  Hex : 

Bichet 

Fossorier 

FiDs-HauLs,  Sitlvan;  Quartana    .     , 

HassoDgeü,  St-Hauricc ;  Seyteur  .    . 

Fossorier     , 

Sierre,  .Sion:  Fichelin 

Seyteur 

Peur 

Viege ;  Fischel 

Zürich:  Juchart 


140  .  5'  9" 
140  ,  5'  7" 
100  ,  6' 


100  ,  6'  10" 
800  ,  6'  10" 
50  .  fi'  10" 


100  ,  6' 

125  ,  T  8" 

500  ,  T  8" 

500  .  T  8" 

40  ,  T  8" 

400  ,  8' 

1000  .  r  8" 

40  .  7-  8" 
500  ,  7'  8" 


62.ä  ,  ü- 
30  ,  8' 
100  ,  6' 


150  .  6' 

28000Q 
33000  , 


0,911042  7,53751' 

0,105521  3,79876 ' 

0,844168        30.39005* 

=  Fichelin* 
0,235143  8,46513 ' 

0,94057  33,86052* 

^  Fichelin' 


0,135675 
0,1979*4 
0,105521 


0,215357 
0,861439 
0,8614Ä9 

0,068314 
0,750370 
1.7*2858 
0,068914 
0,861429 
0,103372 
0,158282 
0,161613 


0,117246 

0,056278 
0,10f)521 
0,93796* 
0,056277 
0,211049 
0,844168 

=  F 
0.158282 
0,706449 
0,807371 
0,908292 
1,009213 


4,88430 


7,59751 ' 
34.18880» 
3,79876 ' 


4,927fö 
39,41796' 
2,46362 ' 
5,17053 

4,68982 
3,79876* 

7,75286 ' 
31,01144' 
31,01144' 

3,48092* 
37,01332 


4,32084 
2,02600' 
3,79876 
33,76671  • 
3,02600 
7,59751 ' 


35,43217' 
29,06534' 
32,69850' 
36,33167 " 


<i  Bebni  Foii-Ofci 


Maß  und  Gewicht 


—     378     — 


Maß  und  Gewicht 


III.  Kubikmasse  vor  1838. 

Die  bezüglichen  Angaben  über  Kubikfaß,  Eabikklafter  etc.  erhält  man  leicht 
aas  den  Angaben  bei  den  Längenmaßen.  Von  den  eigentlichen  Eubikklaftern  (zu 
6  oder  7  Faß  Länge,  also  von  216  oder  343  Enbikfuß)  abweichend  sind  hin- 
gegen die  Brennholzmaße,  über  welche  folgende  Tabelle  Aufschluß  gibt. 
Kantone,  in  welchen  entweder  keine  solchen  Maße  vorkamen  oder  deren  Reduktions- 
tabellen  keine  bezüglichen  Angaben  enthalten,  sind  hier  nicht  aufgeführt. 


Dimensionen 


Aargau:  Aarau:  Holzklafter 
Baden:  Waldklafler     .    . 


Bremffarten :  Holskiafter 


Breite  BBha  Ltnge  Inhalt 

FoM  Fnp«  Fass  Knbikf. 

6  6  3Vi  126 

6Va  6  3»;t  136,5 

6  6  3i;t  126 


Waldklafter {  6Vi        6      3Va      136,5 


Brugg: 
Laufenburg : 

Muri : 

Bheinfelden : 

Zoflngen : 
Zurzach : 
Klinguau : 


Holzklafter 


6 
6 
6 
6 
6 
6 
6 
6 
6 


6 
6 
6 
6 
6 
6 
6 
6 
6 


3»/« 

4 
4 
3 

4 
3 
3»'« 

4 
4*/a 


126 
144 
144 
1()8 
144 
108 
126 
144 
162 


Schweizer* 

FuBsmass     knbikfutt 

1838-68/77 

1'  =  135,33'"  P.    132,773» 

Bemer 

Zürcher 
Bremgarten 

Bemer 
Bremgarten 

Bemer 

Zürcher 

Bemer 

Wiener 
Bremgarten 


127,502 
136,535 
126,418 
117,694 
136,953 


Ster 

•eil 

1868  77 

3,5849 

3,4426 

3,6864* 

3,4133 

3,1777 

3,6977 

3,4426 

3,6864» 

3,1777  ♦ 


Basel:  Holzklafter 6 

Berft:  Holzklafter 6 

.Frei&tiry.*  Toiffo  oumouledcMorat 6 

,  Bulle 10 

^  Cb&teletRue     .    .  6 

„  PribourgetRomont  5 

Olarus  ...    6 

Neuenbürg:  Toiue  pour  le  bois 10 

St.  Gallen  :  Kt.  »allen :  Holzklafter 6 

r  6 


6  unbestimmt 


•1 


Wiener 


Zofinger 
Zurzacher 
Klingnauer 


n 


n 

1 


Rorschach 


Rlieineck  : 


Berutfck :  .,  .     . 

Attstätteu:  ^  .     . 

Grab»,  Werdenberg :  ^ 

Sargans :  .,  .     . 

Weeseu :  .,  .     . 

Utznach :  .,  .     . 

Rapperschwyl :  ^  ,  . 
Solothurn:  Holzklafter 

Holzbergklafter 

Teasin :  Moggio  di  carbonc 

Uri:  Mesiiburdo  fftr  Heu 

Waadt:  Toise  ou  moulo  pour  les  bois 

Moule  uncieii 

Toise  de  Lausanne 

Zürich  :  Holzklafter 


6 
6 
6 
6 
6 
7 
6 
6 
6 
6 
0 


6 
5 
6 
5 
6 
5 
6 
6 
6 
6 
6 
6 
6 
7 
6 
6 
6 
6 
6 
10 


3V« 
6 

3 

3»/t 

2V« 

3 

3 

2 

2Vs 

2 

2Va 
2 
2 
2 

3»/ti 
21/« 

2"  4 
2V2 
2Va 

4 
4 


105 
216 
150 
126 

62 
10« 
150 

72 

90 

72 

IX) 

72 

72 

72 
171,5 

90 

09 

90 

IK) 
144 
200 


127,502 
136,535 
117,694 

lti8,466»    4,5486« 
144,477"'    .\9009« 
108,358       2,9257 
168,466»    4,5486  >• 
126,349  I*  3,4114 
124,357       3,3576 
144,037       3,8890 " 
164,176       4,4328 
kann  demnach  nicht  reduzirt  wer- 
den.    1  Klafter  Bheinholz  ist  in 
Breite  und  Höhe  um  Vs6  grösser 


Bemer 


(^lamcr 

Bemer 

8t.  »aller 

Borschaeher 

Rheiuccker 

Bemeckcr 

Altstätten 

Grabs 

Hargaus 

Borschacher 

Altstätten 

Rapperschwyl 

Berner 


98,o79 

201,762 

140,113 

117,694 

58,380 

115,506 

140,113 

74,483 

%,253 

77,002 

99,473 

79,579 

77,855 

76,156 

179,399 

88,008 

105,878 

95,195 

89,617 

134,508 

lh6,817 


2,6481 

5,4476 

3,7830 

3,1777 

1,5763 

3,1187 

3,7830 

2,0110 

2,5988 

2,0791 

2,6858 

2,1486 

2,1021  " 

2,0562  »♦ 

4,8438 

2,3762  >* 

2,8587 

2,5703  »• 

2,4197 

3,6317 

5,0441 


Kohlenraalter 
Torfklafter  . 


6  6 

'.)  9 

6«  2"  5'" 


36 
125 
3^3       126 
4»,a       364,5 
2»  a      96,143 

3  115,372 
3Va    134,600 

4  153,829 

27,5 
72 


19,676  0,53125  " 
5<l,083   1,3522  >• 
125 


alter  Waadtl. 


117,691 

340,4<V4 

97,475 

116,970 

136,465 

155,960 

27,881 

72,997 


3,375 

3,1777 

9,1925 

2,3632 

3,1582 

3,6H46 

4,2109 

0,7528  »• 

1,9709  "• 


IV.  Hohlmasse  fUr  trockene  KOrper  (Getreidemasse)  vor  1838. 


Äargau:  Aarau:  Getreideviertel 
Baden:  Kernenviertel     .    .    . 


Definition  : 
Pariserkubikzoll 

1135,215 
1156,12« 


Schweizersester 
1838— 1868;77 

1,50124 
1,52890 


Liter 
seit  1868/77 

22,5187»' 

22,9335  " 


»  Nach  der  offi/.iollen  Tabelle  132,767.  —  ■  3,6855.  —  »  3,6855.  —  *  Ebenso  Leiuburg,  Kulm.  — 
•  168,452.  —  «  4,5482.  —  "»  144,467.  —  '  3,9<K»6-  —  »  168,452.  —  »o  4^5482.  —  »'  In  der  Tabelle  152J}746, 
ofTeubar  unrichtig.  — -  "  3,98898.  —  "  Ebenso  Wyl.  —  »•  Ebenso  Oberriet,  Sax,  Sennwald,  Lichtensteig.  — 
»*  Kheuso  Azmoos.  —  >*  In  der  Tabelle  =  88  Kubikfuss,  unrichtig.  —  "  Kohlonmaltor.  —  "  \'6  Kubik- 
klafter.  —  »"  &  2  Kohlenkörbe.  --  •<>  &  12  Torf  körbe. 

"»  1  Malter    -  4  Mntt  t  4  Viertel.  —  "  1  Mtttt  --  4  Viertel  &  9  Immi. 


Maß  nnd  Gewicht 


Haß  and  Gewicht 


PulKTkablkioU 

1310,446 
1199,368 
1188,742 
1115,15B 
1113,0919 
1143,088 
1329,493 
1136,138 
1207,136 
1130,511 
1941,781 
131t 
1132,695 
1130,31 
1290 
930,80* 


1M8— l»i8/77 

1,73997 
1,49351 
1,57203 

1,47472 
1,47199 


1,69599 
1,50345 
1,59636 
1,49502 
1,64317 
1,73503 
1,48469 
1,49476 
1,70594 
1,23093 
1,30921 


Aargau:  Baden:  Haberviertel  .  , 
Bremgarten :  KemenTierlel  .  . 
Haber»iortel  ,  .  . 
Brugg:  Gelreilievierlel  .... 
Laufenbur^:  Getreide  viertel  .  . 
Lenztiurg,  Kulm :  Kernenviertel  , 
,      Haberriertel    . 

Muri:  Kernenviertel 

,      Haberviertel 

,       Zugervierlel " 

Hbeinfelden:  Getreide  viertel  .    . 
ZofiDgen,  Aarburg:  Gelreideviertel 
Znrzach,  Klingnaa:  Gelreide viertel 
Kaiseratuhl :  Kernenviertel .    .    . 
,  Haberviertel   .     .     . 

Appenteü  A.-IO».:  Viertel     .     .    . 

Appmieil  I.-ßh. :  Viertel b«' 

Bagetland wie  Baseletadt 

fiasehtodt .- KleiDer  Sester:  Burgerm&a.    17,M3    üd.;rsül,t5     1,13880 

Rittermaß    .  ]6S>ck=^i?s.Burgtrmtii  1,20997 

Viertel,  Viertelmäß  (in  Riehen)  .     ,     .  ais.ck  =  3sa.Hurg«miH  l,6tX)75 

Bern.Uiß 960  bem.  KubikzoU    0,93408 

Biel:  Maß 8         Süberii.MSli    0,99955 

Burgdorf:         103Vi=lfX)liern,Mäli  0,9ü578 

Erlach :  959Vi  bem.  KubikzoU  0,92876 

Langentbai : 656  frani.  KubikzoU    0,K6753 

Saaneo:  , 1544'7i>  bern.  Kubikz.  1,50:293 

Freiburg:  Quarteron  de  Vevey  (Ch&tel)  8  au  sac  1.160791 

Bichet  (Maß)  de  Fribourg 8    ,  .r..-..^. 

QuarteroD  de  la  Gruyfere 10    . 

,   Bulle 10    . 

,  ,    Romont 10   , 

Bichet  de  Morat 10    , 

Ancien  Quarteron  de  Moudon    ...  13    „ 

Quarteron  de  Ruc 19    , 

,  d'Estavayer 13    , 

de  Ck)rbi«re3 19    . 

Emioe  d'avoine   de  Neu<:bätel    .     .     . 
.      ordiuaire    .  .  ... 

Genf:  Quart 

Glartw;  Kornviertel ä  4  Kflpf  ii  4  Mässli 

Grambänden .-  Chur :  Viertel 

Quartane  .... 
Klosters:  Quartane 

ül..-rfQ-aJin:'st6r     '.     '.'.'.'..'. 
Oblasn;.     Slär 

Unlerlasna    Schaffe! 

Bemüs    Mult 

Hanstertbol:  Hutt 

Nisocco:  Lo  Stajo 


0,8504O3 
0,783393 
0,73:i6*:i 
0,794886 
0,655803 
l,057!l* 
1,01503 
1,:)2343 


0,5 

0,60473 

0,56950 

0,470 

0.40358 

0,3749* 


Sit   196H/7T 

95,9946 
99,4027' 
93,5805 
22,1307' 
92,0798" 
99,6050* 
94,3888* 
99,5368* 
23,9453' 
92,4254  ■ 
34,63  J6 ' 
96,0955' 
92,3703* 
99.431* ' 
95,5891 
18,4639* 
19.6381  ■" 

17.089" 
18,1496 
24,9112" 
14,0113" 
13,8383  " 
13,5867 
13,9314 
13,0127 
29,5439 
17,4119" 
15,9670 
13,6317 
13,4712 
13,2331 
13,7560 
11,73**" 
11,0046 
10,8733 
9,8370 
15,8691 
I5,Ä^43 
19,83635  " 
30,7  '- 

7,5 


4:1,7138 
18,75 


iltn  PulBfrknblkioIl  1» 
ITIcrtflt     Mi»  k  3 
ins  Tonllafrftlb  Wild. 


ro  I>ei<m>lil«Uoiiln  den 


Maß  und  Gewicht 


—     380 


Maß  und  Gewicht 


Definition : 
PariserkubikzoU 


Graubünden:  Roveredo:  Lo  Stajo 

Calanca:     Lo  Stajo 

Poschiavo:    „       , 

Bregaglia:    ,       ^ 


Luzem:  Luzernerviertel 

Willisauviertel 

Surseeviertel 

Hofmäßviertel 

Mflnsterviertel,  klein 

groß 

Zugerviertel 

Neuenburg:  Emine  pour  Torge*    .    .    . 

Emine  pour  Tavoine* 

Bosse  de  chaux 

Nidwaiden:  Viertel 

Obwalden 

St.  Gallen:  Stadt  St. Gallen :  Kornhausviertel 
,     ,       ,       Marktviertel 
Rorschach:  Komhausviertel    .     .     .     . 

y.  Marktviertel 

Rheineck:  Marktviertel 

,  Rauhes  Viertel 

^  Kleines  Viertel 

Berneck:  Viertel 

Altslätten :  Kornhausviertel    .     .     .     . 

„  Marktviertel 

Oberriet:  Kornviertel 

Haferviertel 

Grabs,  Werdenberg:  Viertel   .     .     .     . 

Sargans:  ^        .     .     .     . 

Azmoos :  ^        .     .     .     . 

Weesen : 

Uznach : 

Rapperschwyl :  Kornviertel 

„  Haferviertel     .     .     .     . 

Lichtensteig:  Kornviertel 

Rauhes  Viertel  .     .     .     . 

Wyl:  Kornviertel 

,      Rauhes  Viertel 

Schaffhausen:  Viertel   für  glatte  Frucht 

,     rauhe 
Stein:  Viertel  für  glatte  Frucht 

^     rauhe       , 
Schwyz:  Schwyzerviertel  . 
Gersauerviertel  (Küßnacht) 
March:  Viertel  .... 
Solothurn^^:  Solothurnmäß  , 

Gäuviertel , 

Tessin:   Mendrisio,   Bellinzona,   Riviera, 
Blenio :  Stajo 


Schweiserpfd.  WaM«r  bei  4*  C. 

69,27112 

53,55906 

44,751867 

53,0278 

44,87698 

45,0204368 

44,8708 


Schweizersester 
183»— 1868;77 

1,21667 
1,25333 
0,56667 
0,98667 


2,30904 
1,78530 
1,49173 
1,76759 
1,49590 
1,50068 
1,49569 
1,01562 
1,05794 


24,37 

stimmt  mit  Luzernerriertel  aberein,  auch 

keine  Angaben  erhältlich 


1041 

980 
1040 

964 
1082 
1552,5 
1207 
1360 
1041 

973 
1240 
1342 
1472 
1640 
1480 
1006 
1060 
1061 
1160 
1220 
1410 
1279 
1501 

1123,540 
1297,280 

818,494 

945,816 


667,6594 


1,37665 

1,29598 

1,37532 

1,27482 

1,43087 

2,05308 

1,59617 

1,79850 

1,37665 

1,28672 

1,63981 

1,77470 

1,94662 

2,16878 

1,95720 

1,33037 

1,40178 

1,40330" 

1,53403 

1,61337 

1,86463 

1,69139 

1,98497 

1,48580»« 

1,71557 

1,08240 

1,25078 

2,5 

2,301 

1,38 

0,88293 


=  2  Solothurnmäß  1,76586 
1  M.  =  150,86505  1  1,25721 


Liter 

seit  1868/77 

18,2501 

18,8 

8,5 

14,8 

34,6356  > 
26,7795  * 
22,3759 
26,5139 
22,4385 « 
22,5102* 
22,4354  * 
15,2343' 
15,8691 
365,55 

in  der  Eintklg. 

20,6498» 
19,4397 
20,6299 
19,1224 
21,4631  • 
30,7961 » 
23,9426 
26,9776 
20,6498  * 
19,3009 
24,5972  " 
26,6206  •* 
29,1993" 
32,5318  >' 
29,3580  " 
19,9555 
21,0267 
21,0465 
23,0104  "" 
24,2005 
27,9694  »^ 
25,3709 
29,7746 »» 
22,2870  »• 
25,7335 
16,2360 
18,7617 
37,5 »« 
:^,515 »« 
20,70  -" 
13,2440" 
26,4880  " 

18,85813  " 


»  1  Malter  —  4  Mütt  &  4  Viertel;  1  Viertel  -..  10  Immi  oder  16  Becher.  —  ^  i  Viertel  -     12  Becher. 

—  '  Kernenviertel.  —  *  Komviertel.  —  ^  Abweichend  von  den  Angaben  von  Zug.  —  **  Die  offizielle  Tabelle 
enthalt  1,01  Quarterun  -  15,2  1  und  1,05  Quartoron  -  15,8  1;  es  werden  daher  hier  die  Angaben  von 
Freiburg  benutzt.  —  "^  1  tSac  :-  8  Emincs  &  8  Pots.  —  •  Nach  Bertsch.  —  ''•  In  der  Tabelle  steht  1080 
Knbikzull,  hoII  aber  108.2  sein.  —  *<>  Ebenso  Sax  und  Sennwald.  —  ^i  Ebenso  in  Garns.  Tabelle:  1470 
Kubikzoll.  —  ^'  h  A  Köpf  &  4  Mässli.  —  >>  Ebenso  Kagaz  und  Pfäffers.  ä  4  Quartane  ;  1  Malter  --  6  Viertel. 

—  >«  Tabelle     -  l,4«y(H».  —   »»  Nach  Bertsch.  —  »^  Tabelle  —  1,48979.  —  '"  1  Mütt    _  4  Viertel,  1  Viert«! 

—  4  Viorling  h  4  Mässli.  —  "  ä  16  Immi.  —  *"  Soll  gleich  dem  Luzemerviertol  sein.  1  Viertel  -  10  Immi 
oder  16  Becher.  —  •*»  ft  4  Vierling  ik  4  Mässli.  —  ■*  Ausserdem  wurden  noch  gebraucht  das  Aarauermalter 
_  It)  Aaraiierviertel    (A   1135''a  Pariserkubiksoll)  und  der  Baselsack  k  8  Sester  Burgermäss.   —    ^*  1  Mfttt 

12  Miis^  :  l  Viertel        8  Mass.  —  "  1  Malter  -     4  Mütt  h  4  Viertel.  —  **  1  Moggia  -  8  Stajo  A  4  Quarto 
äk  4  <^uartiiie. 


Maß  und  Gewicht 


—     381      — 


Maß  und  Gewicht 


Definition :              Schweizerseater 

Liter 

Pariserkubikzoll 

1838— 18C8/77 

Reit  1868/77 

1  M.  =  162,2286    1 

1,35191 

20,27858 

1    ,  =  238,90296  , 

1,99086 

29,86287 

1    „  =  135,2865    , 

1,12739 

16,91081 

1428 

1,88843 

28,3265  * 

1519,8 

2,00983 

30,1475 

1231,8 

1,62897 

24,4346 

1442,5 

1,90761 

28,6141 

1128,6 

1,49249 

22,3874 

1288,5 

1,70395 

25,5593 

1067,6 

1,41183 

21,1774 

821,117 

1,08587 

16,2881 » 

946,846 

1,25214 

18,7821 » 

keine  Angaben;  nach  Heldmann 

wie  Zürich 

500  Schweiz.  Kubikzoll  0,9 

13.5* 

1347  alte  waadtl.  Kabikz 

.  1,31060 

19,6590 

1271    ,        , 

1,23665 

18,5498 

1193    .        , 

1,16076 

17,4114 

1177    ,        , 

1,14519 

17,1779 

1124    ,        , 

1,09363 

16,4044 

1121    .        , 

1,09071 

16.3606 

1093    ,        , 

1,06346 

15,9519 

1078    ,        , 

1,04887 

15,7330 

1048    ,        , 

1,01968 

15,2952 

1013    .        , 

0,98563 

14,7844 

994    ,        , 

0,96714 

14,5071 

991    ,        , 

0,96422 

14,4633 

977    ,        , 

0,95060 

14,2590 

960    ,        , 

0,93406 

14,0109 

939      f>            n              n 

0,91363 

13,7044 

927    ,        , 

0,90195 

13,5292 

879    ,        , 

0,85525 

12.8287 

860    ,        , 

0,83676 

12,5514 

855    ,        ,          , 

0,83189 

12,4784 

809      n             n               n 

0,78714 

11,8071 

804    ,        . 

0,78227 

11,7341 

715    .        . 

0,69568 

10,4352 

(  =  i  Bicheta  ft  3  Qnarte- 

•  1,8 

27* 

[  rous  oder  —  10  Emines 

7  — ^6  noaveanx  Fich 

.  1,54286 

23,1429 

12=-   7 

1,05 

15,75 

8-   5       . 

1,125 

16,875 

15--=   8       , 

0,96 

14,4 

11-5 

0,81818 

12,2727 

10-7       . 

1,26 

18,9 

11-9        . 

1,47273 

22,0909 

10-11        . 

1,98 

29,7» 

20—11        . 

0,99 

14,85' 

11         7       ,         . 

1,14545 

17,1818» 

20—13 

1,17 

17,55 

10        6       „         , 

1,08 

16.2 

1,38 

20,7« 

Bestimmnng  durch 

1,39 
1,605 

20,85 
24,075 

l       Wasserwagnng  und 
[       Messung  mit  Samen 

1 

1,85 

27,75 

1,531 

22,965  >^ 

Tessin:  Lugano:  Slajo 

Locarno:     Stajo 

Leventina:     „        

Thurgau  ^ :  Konstanzerviertel  für  glatU  Fracht 

f,  nnhe     , 
Frauenfelderviertel  für  glatte  Frucht  . 

,    rauhe 
Dießenhoferviertel  für  glatte  Frucht    . 

„    rauhe 
Bischofszellerviertel  f.  glatte  u.  rauhe  Fr. 
Steinerviertel  für  glatte  Frucht  .     .     . 
,  ,     rauhe       „        ... 

Uri 

Waadt:  Nouveau  Quarteron      .... 

Quarteron  de  Goppet 

d'Aigle 

de  Vevey  et  Villeneuve 

,    Nyon 

,    Morges 

„  „    Romainmötier  .... 

„  d'Avenches 

„  de  Rolle 

.    Bex 

,  „    Gudrefin 

,  d'Aubonne 

de  la  Sarraz 

d^Orbe 

de  Payerne 

.,  „    Lausanne  et  Lutry   .     . 

,    Ghäteau-d'Oex .... 

d*Yverdon  et  de  Ste-Groix  . 

,  de  Gossonay 

d'OUon 

„  de  Lucens 

,  n    Moudon  

„  „    Grandson 

IFaWt»;  Fichelin 

Aeltere  Maße : 

Dixain  des  Gonches :  Fichelin  .... 

Section  de  Moerel:  „        .... 

Dixain  de  Brigue:  „        .... 

n         ji     *  *ege  I  n         .... 

,        „    Rarogne:         

„        ,    Lolche:  „        .... 

n        n    oierre  i  ,1        .... 

,1        „    ^lon :  „        .    .     .     . 

Bourgeoisie  de  Martigny:  Mesure    .    . 

Dixain  de  St-Maurice:  ,        .    . 

Bourgeoisie  de  Monthey:         ,        .    . 

GommunesdeVouvry  et  Vionnaz :  Mesure 

Zürich:  Viertel  für  glatte  Frucht  .    .    . 

„  .         ,    rauhe       „       ... 

Winterthur:  Viertel  für  glatte  Frucht 

,  „         ,     rauhe      , 

Zug:  Viertel 

*  Ausserdem  wurden  auch  die  beiden  Wylerviertel  gebraucht  (vide  unter  St.  Qallen).  —  •  1  Viertel 
---  4  Vierling  ä  4  Mässli.  —  *  Abweichend  von  den  Angaben  unter  Schaffhausen.  —  *  Oesets  von  1823. 
1  Muid  --  10  Sac«,  1  Sac  ^  10  Quarterons  h  10  Emines  &  10  Copets.  —  •  Gesetz  von  1824.  —  «  Ebenso 
in  Harens  und  Conthey.  —  "»  Ebenso  in  Entremont.  —  •  Ebenso  Commune  de  Conthey.  —  '1  Viertel 
^  4  Vierling  k  4  Mässli.  1  Matt  fflr  glatte  Frucht  =  4  ViertcL  1  Malter  fllr  rauhe  Frucht  =  16  Viertel. 
—  10  1  Viertel  :^  4  Vierling  ä  4  MttssU. 


Uaü  und  Gewicht 


Mafi  and  Gewicb 


V.  FlUujgkeitsmBSie  vor  1838. 


Aargav:  Aamu:  LautennaaS    ....               73,632                0,96037  1,44056' 

Schenk- oder  Piatmaaß  108  =  100  LautemiaaC  0,S89j4  1,33386 

Trflbmaaß 100  =  108           .            1,03721  1,55581 

Oel-  und  Hotuemaaß  .               83,17                  1,08664  1,63996 

Hilchmaaß     ....               87,08                  1,15157  1,73736 

Baden:  Landmaaü 90,0937               1,19141  1,78719 

Stadt-  oder  SchenkraaaU     .     .               81,6595              1,07989  1,61984 

Bremgarten:  LautermaaS 81,36                  1,07461  1,61191 

Trflbmaaß 86,09                  1,13848  1,70772 

Oel-  und  HilchmaaEl  .    .               97,99                  1,38660  1,93989 

Bnigg:  Lautermaatt 77,7689              1,038*4  l,B4366 

,       TrQbmaaß 83,1573               1,08647  1,62971' 

KeUer-  oder  WirUimaaß      .     .               71,73                  0,94844  1,42367 

Laufenburg:  LandmaaQ 86,658                1,14599  1,71899 

Stadtmaaß 67,381                0,88975  1,33462 

Oel-  u.  Branntweininaali               87,99                  1,16361  1.74541 

Lenzburg,  Kulm :  Gratschaflsmaaß    .    .               80,33                  1,06239  1,59343 

.  Lauter- od.  ScheDtmaaß               79,1174               1,04637  1,56941 

.      Trflbmaaß    ....  4''egrflßeraULauterm.  1,08812  1,63219 

Rlieiüfelden :  Landmaaß 73,817                0,96295  1,44443* 

Stadtmaal! 63.664                0,84191  1,36987* 

Zofingen ;  Landmaaß  oder  Fectraaaß  .               77,674                1,09719  1,54078» 

Stadt-  oder  Schenkmaaß                     74.438                0,98439  1,47659' 

.         Hilcbmaali  (Hilchschoppea) .        =  7  Sechsteli          0.99960  0,44939 

Zurzach:  LauUnnaaß 77,341                 1,09146  1,53319* 

Trabraaaß 97  =  38  Lautermaaß    1,05939  1.58894 

KaUerstuhl:  Lautermaaß 65,3748              0,86454  1,29681* 

Appeniell  Ä.-}ih.:  hlaaü 67,595                0,89596  1,34394'" 

viRpenK«  /.-ÄA.;  Maaß  fOr  Wein     .    .               69                      0,91348  1,36879" 

,    Milch     .    .               88                       1,16374  1,74561 

Bagelland:  Liestal:  Saummaaß     .    .     ,               81,639                1,07969  1,61943  " 

Schenkmaaß  .     .     .               77,597                1,09617  1,53925 

FatasburgermaaC 76,838                1,01613  1,59490 

BattUladt:  Baselmaaß 71,691                0,94807  1,4991  "" 

,           Schenk-  oder  neue  Haaß '•  .  5  =  ialleßaselmaaß    0,75845  1,13768" 

Oelmaaß 78,44                  1,0373  1,556  " 

Bern.- Weinmaaß 114,47beni.Ki,tikzoll     1,11380  1,67070" 

.       Milchmaaß" 100  =  lääWeiniiiaaü    1,39335  3,08838" 

Waadtlandermaaß siehe  unter  Waadt 

Biel:              Haaß 103'/»  =  100 bern.  M.    1,07874  1,61811" 

Burgdorf:            ,         104V  =  100      ,       .      1,06803  1.60204 

Erlach :              104Vi  =  120     ,      ,      1,37901  1,91851 

FniÜgen:           1      =  IV.      ,      ,      1,95303  1.87954 

Langenthai: 75.2                    0,99447  1,49170 

Neuenstadt: 39V(  =  31  bern.  Maaß    1,07929  1,60844 

Saanenr             ,        300  s=  500"/«  bern.  M.    1,85919  3,78868 

Zweisimmen:     ,        99  =^  25  bern.  Maaß    0,96017  1,4*036 

Freiburg":  Pot  de  BuUe 1,825833  9,73876 

Pot  de  Chätel 1,796740  3,69511 

PKi.rrknhikioUjr  ISJiaMH  cm'.  —  1  1  SiDiB  =  4  Kimtr  k  IS  Mmh.  —  '  Ancb  (Or  Orl  und 

Mui>       M^ochnloll.  T.b.llo  I,»T6S7.  "opL-  nod  Mü'li™«.      fl«l^   ™1<"m.w1.  -  •  1  L.uWI-' 

MUm  llHMu».  TraliMuo.  1,16W>mi.  "■  i.Oklobcr  1834.  S2  Mmi.  Kiomr,  —  >■  MMmn« 
wn^ub«,  (ikuni  3ühin  131  Mnun.  "  xfnn„mr  dat  Woiolenwn.unn.  IBkun^SOha 
A  .«"•«  ,  M  M««.!.  Trtb..iim  MI»  Hun.  '•  Kor  In  den  WoiMohsnkfii  d«  bltudi  aniuil«: 
tU«  I.»nd«eniBindi.n  und  TirirDou-irtho  dnrfm.  nui  Jio  n\u  Bu.Idum  B:oLfii«chfln.    ßie  BOskü  dw 

XO-Ter  kMPD  nKh  TrOhmli..  gMÜiai.        "  U™«.  muf  doi  «»niiennuiifl.       "      S«um  1»  Muu. 
"  Iji  di-B  ofniioUdu  Tutiellen  fnlilt  dleMllchmuii.  £odul  lieh  ilw  in  der  BMch™fl,nn»i>od  Terrldgliui« 

berni.cliM  Maus  und  Orwlclite  (18J1).  '*  Huit  &  VleiMlt.  —  '•  Viil«  H=ni«tkuna  bei  dsn  ÄU™- 
-uut^u.  »  In  dta  araiislltn  Tabellru  jind  diu  alten  Miui  dirskt  In  8chwvijii-niiiu>  TPniuidell  nnd 
ei  werden  daber  bl«  ancb  (Immtlfsba  DtilawliteUui  d*t  orBiltUtD  Tatala  urgmonmas. 


Maß  und  Gewicht 


—     383 


Maß  und  Gewicht 


Definition :  Schweizermaass  Liter 

PariserkubikzoU            183»— 1868/77  seit  1868/77 

Freiburg:  Pot  de  Gruydres 1,767939  165191 

Pot  de  Corbi^res 1,517878  2,27682 

,      ,    Romainmötier 1,452688  2,17903 

,      ,    Morat 1,347603  2,02140 

.      ,    Rue 1,109219  1,66383 

.     d'EsUvayer 1,091928  1,63789 

„     de  Fribourg,  RomontetdelaTour- 
de-Peih    1,050839  1,57626 

,      .    Moudon 0,936025  1,40404* 

.      ,    Neuchätel 1,26952  1,90428* 

Qenf:  Pot 0,75186  1,12779« 

(?Zar«« :  Weinmaaß 1,415566  2,12335* 

Milchmaaß [    Z\  JSÄSr        «»12335  3,18502 

Graubünden:  Ghur:  Weinmaaß     .    .    .                                        0,8907202  1,33608 <^ 

„      Milchmaaß     .    .    .                                        0,92005  1,38008 

Klosters:          Weinmaaß 0,84122  1,26183 

Oberengadin:          ,           0,68016  1,02024 

Obtasna:                  0,83721  1,25582 

üntertasna:             0,747  1,1205 

Remüs:                    0,77938  1,16907 

Münsterthal:            ,           0,79194  1,18791 

Misocco:      La  Pinta 1,00206  1,50309 

Roveredo: 1,02778  1,54167« 

Calanca:       ,       , 1,01333  1,52000^ 

Poschiavo:  II  Poccale 0,55305  0,82958 

Bregaglia:    .         ,         1,02604  1,53906« 

JLujf«rn;  Weinmaaß 3,45738  Schweizer  Pfd.    1,15246  1,72869  • 

Müchmaaß 5,2314567         ,              1,74382  2,61573 « 

Neuenburg:  Pot 96                       1,26954  1,90430  *^ 

Ntdwaiden:  Weinmaaß wie  Luzera                   1,15246  1,72869 

Ausschenkmaaß IVsVo  größer  als  obige    1,17118  1,75678 

Aiüchmaaß 100  =  178»' m  seh w.M.   1,78531  2,67797 

Ohfcalden nach  Heldmann  wie  Luzem 

SU  Gallen : 

Stadt  St.  Gallen :  Ausschenkmaaß     .    .               58,8                   0,77759  1,16638 

.       ,        ,       Stadtmaaß     ....               66,15                 0,87479  1,31218" 

.      ,        „       Maaß  f.  Leinöl  u.  Honig               68,4                   0,90454  1,35682 

Rorschach:  Ausschenkmaaß    ....               59,4                    0,78552  1,17829 

.          Most-  oder  Landmaaß  .    .               67,7                   0,89529  1,34293  " 

Tablat:  Maaß 68,4                    0,^0454  1,35682  '* 

Rheineck:  Ausschenkmaaß     ....               62,2                    0,82255  1,23383 

Branntweinmaaß    ....               66,7                    0,88206  1,32309  " 

Bemeck :  Weinmaaß 67,5                    0,89264  1,33896 

Milchmaaß =  IV»  Weinmaaß       1,33896  2,00844" 

Altstätten:  Weinmaaß 65,5                    0,86619  1,29929  >» 

Müchmaaß =  IV«  Weinmaaß       1,29929  1,94894 " 

Oberriet:  Weinmaaß 68,4                    0,90454  1,35682" 

Milchmaaß =  IV«  Weinmaaß       1,35682  2,03523  " 

Grabs,  Werdenberg:  Weinmaaß      .    .               84,3                   1,11480  1,67222 '<^ 

Sargans :  Weinmaaß »« 93                      1,22985  1,84479" 

Azmoos  und  Ragaz:  Weinmaaß"  .    .               67,3                    0,88999  1,33499  *• 

Gams:  Weinmaaß 66,4                    0,87809  1,31714 

,       Müchmaaß =  IV«  Weinmaaß       1,31714  1,97571 

*  Wenig  abweichend  von  der  Angabe  b«i  Waadt.  —  *  Ebenso  bei  Neuenbürg.  —  *  Tabelle  1,12830. 
—  *  Nach  Heer ;  1  Eimer  =  30  Kopf  &  2  Maass.  —  »  1  Saum  =  90  Haaas ;  1  Zuber  =  10  Viertel  k 
8  Maau.  —  •  1  Brenta  =  5  Sta^o  &  12  Pinta.  —  ">  1  Brenta  =  60  Pinta.  —  •  1  Soma  =  80  BoccaU.  — 
•  1  Saum  =  100  Maass.   —    ^o  1  Setier  =  16  pots ;   1  Brante  =  20  Pots ;   1  Qerle  =  52  Pots ;   1  Bosse 

=  480  Pots.  —  "  Nach  Bertsch ;  1  Eimer  =  32  Maass.  —  >*  Nach  Bertoch.  — .  »  1  Eimer  =  32  Maass.  — 
M  Ebenso  in  Saz  und  Sennwald.  —  >»  1  Ohm  =  10  Viertel  &  6  Maass.  —  >*  Soll  die  Zttrcherlandmaass 
sein ;  die  Werthe  stimmen  aber  nicht  fiberein.  —  >''  1  Eimer  =  60  lantere  oder  64  trfibe  Maass.  —  *■  Soll 
die  Churerweinmaass  sein ;  die  Werthe  stimmen  aber  nicht  fiberein.  —  **  1  Saum  =  2  LAgel  h  5  Viertel 
k  8  Maats. 


Maß  und  Gewicht 


—     384      — 


Maß  und  Gewicht 


St  GaJlen :  Weesen :  Weinmaaß     .     . 

,        Zöricherlandmaaß 
Uznach:  Ausschenkmaaß    .    .    . 
f,        Züricherlandinaaß    .    . 
Rapperschwyl :  Ausschenkmaaß  . 
„  Züricherlandmaaß 

Lichtensteig:  Weinmaaß    .     .     . 
Wyl:  Stadt- Ausschenkmaaß    .     . 
,      Landmaaß  (Immenhergermaaß) 
Schaff  hausen* :  Ordinäre  oder  Landmaaß 
^  Stadt-  oder  Schenkmaaß 

Stein:  Maaß 

Schwyz:  Wein-,  Milch-,  Oelmaaß  der  Be- 
zirke Schwyz  und  Küßnacht   .    .     . 

Maaß  von  Gersau 

Schenk-  und  Milchmaaß  der  March 
Oelmaaß  von  Einsiedeln  und  Höfe 

Tansenmaaß  der  March 

Milchmaaß  von  Einsiedeln      .     .    .    . 
Wein-  und  Milchmaaß  des  Bezirks  Höfe 

Solothurn:  Maaß 

Tessin  : 
Mendrisio,  Bellinzona  e  Riviera:  Pinta 

Lugano :  Pinta 

Locarno  e  Valiemaggia:  Boccale     .     . 

Blenio:  Pinta 

Leventina:  Pinta 

Thurgau:  Konstanzer-  oder  Seemaaß 
Frauenfelder  lautere  Maaß      .    .    .     . 
n  trübe        ,         .    .     .    . 

Dießenhofermaaß 

Immenberger  lautere  Maaß    .     .     .     . 

,  trübe         n        .     .     .    . 

Uri:  Maaß 


Waadt:  Nouveau  Pot  . 

Pot  de  Berne  .  .  . 
„  ,  Chäteau-d'Oex 
,  ,  Gudreiin  .  . 
,  „  Ste-Croix  .  . 
•      ,   Romainmötier 

,   Grandson  .     . 

j,  La  Sarraz 
„  ,  Villeneuve 
,  d^Orbe  .... 
«  de  Morges .  .  . 
„  dTverdon  .  .  . 
„  d'Avenches  .  . 
,  de  Payerne  .  . 
,  ,  Rolle  .  .  . 
„      ^   Coppet  .     .     . 


Definition : 
Pariserknbikzoll 

SchweizorraaasB 

1838—1868,77 

Lit«r 

seit  18C8  77 

108,2 

1,43087 

2,14631 

92 

1,21664 

1,82496' 

107,5 

1,42161 

2,13242 

Wie 

öei  Weesen 

82 

1,08439 

1,62659 

wie 

bei  Weesen 

84 

1,11084 

1,66626 

59 

0,78023 

1,17035 

64,5 

0,85297 

1,27945« 

66,058 

0,87357 

1,31036* 

55,627 

0,73563 

1,10344* 

58,186 

0,76947  * 

1,15421 

1,2225 

1,83375' 

1,1525 

1,72875  • 

1,0875 

1,63125 

0,9209375 

1,38141 

1,239375 

1,85906« 

1,3565625 

2,03484 

1,201375 

1,80206 

80,3664 

1,06279 

1,59419  ^* 

IBrenta—  89,8039   1 

l    0,93546 

1,40319  " 

*      » 

=  91,07063 

,   0,94865 

1,42298  " 

■•■      11 

—   60,48849, 

,   0,61099 

0,91649  » 

*■          r» 

—  99,16515, 

.    1,03297 

1,54946  " 

*          1» 

— 109,02522 

,    1,13568 

1,70352  »» 

60,7 

0,80272 

1,20407  " 

63,28 

0,83683  " 

1,25525  '* 

67,235 

0,88914 

1,33371 

61,01 

0,80682  *« 

1,21022 

64,5 

0,85297 

1,27945 

68,53125 

0,90628 

1,35942 

91,476 

1,20971 

1,81456  " 

100  = 

=  105  luz.  Maaß 

1,21008 

1,81512  " 

f  50  Bchw.  Kubikzoll  =  92,5  a  n 

1,35  *« 

waadtländiBche  Kubikzo 

11  ^»^ 

1 14,4  waadtl.  Kubikzoll 

l    1,11309 

1,66963  »• 

198,6 

ti             » 

1,93233 

2,89850 

168,8 

W                                1» 

1,64239 

2,46358 

161,5 

1t                     n 

1,57135 

2,35703 

149,3 

n                     fl 

1,45265 

2,17898 

145,9 

«                     n 

1,41957 

2,12936 

128,3 

1»                     n 

1,26833 

1,87249 

117,3 

ti                     11 

1,14130 

1,71195 

116,7 

«                     n 

1,13808 

1,70712 

111,1 

n                     » 

1,08097 

1,62146 

109,0 

»                     fl 

1,06055 

1,59082 

107,4 

n                     n 

1,04498 

1,56747 

106,6 

71                           » 

1,03719 

1,55579 

106,0 

fl                      1» 

1,03135 

1,54703 

105,5 

n                     1» 

1,02649 

1,53974 

1  Nach  BerUch ;  1  Eimer  =  60  Maass.  —  ^  Nach  Bortsch ;  1  Eimer  —  32  Maass.  —  ^  i  Schaffliaater- 
eanm  trllbc  Sinn  ist  nm  7'*/7oo  Maast  grösser  als  der  Saum  lautere  8inn,  also  -^^  71,0343  alte  Maass  von 
Schaffhausen.     1  Stoinersaum   trfibe   Sinn   ist   um   7,999  Maass   grösser   als   der  Saum   lautere  Sinn,   also 

-  71,999  alte  Maass  von  Stein.  —  ♦  1  Saum  —  4  Eimer  k  4  Viertel  &  8  Maass.  —  *  1  Viertel  ^  9»  i  Maass. 

—  ^  Nach  der  Tabelle  0,769425.  —  ''  Auch  Weinmaass  von  Einsiedeln.  —  '  Soll  Luzemermaast  sein.  — 
^  1  Eimer  —  60  Maass.  1  Trübeimer  —  64  Maass.  —  »«  1  Saum  —  100  Maass.  —  "  1  Brenta  =■  8  SUjo 
k  8  Piute  ü  2  Boccali.  —    "  1  Brenta  =  6  Mine  k  11  Boccali.  —   "  1  Brenta  =  64  Pinte.  —  »*  1  Kimer 

=  32  Maass.  1  TrOheimer  ■-:  33  Maass.  —  i*  Die  offizielle  Tabelle  hat  (offenbar  unrichtig)  0,886829  Maas«, 
w&brend  zu  den  Reduktionen  0,836832  angenommen  wurde.  —  *^  Nach  der  Tabelle  0,807098,  was  mit  den 
Pariserzoll  nicht  ttbereinstimmt.  —  ^"^  Nach  Heldmann.  —  i<  1  Char  r .-  16  Setiers  k  3  Brocs  k  10  Pots.  — 
*'  Stimmt  nicht  genau  mit  den  Angaben  von  Bern. 


Maß  und  Gewicht 


—     385     — 


Mai»  und  Gewicht 


Waadt:  Pot  de  Lucens 

Pot  de  Gossonay 

,      „   Vevey    

,     d'Aubonne 

,     d'Aigle 

,     d'Ollon 

,     de  Bex  

^      ,    Moudon 

y,      y,   Nyon 

«      „   Lutry 

,      ,   Lausanne 

Oelmaße:  Pot  d'Aubonne  .  .  .  . 
,  de  Moudon  .... 
„      ,   Vevey,  Payerne .    . 

,      ,   Morges 

^      „   Lausanne  .... 

Wallis:  Xouveau  Pot 

Aeltere  Maaße :  Dixain  des  Gonches :  Pot 

Section  de  Moerel :      „ 
Dixain  de  Brigue:      „ 
,    Vi6ge: 
y,    Rarogne:  , 
,    Lo6che:     , 
,    Sierre:       „ 
,    Sion:          „ 
Bourgeoisie  de  Martigny:  Pot.     .     . 
Gommune  de  FuUy:  Pot     .    .    .    . 
Bourgeoisie  de  Serabrancher :  Pot    . 
Dixain  de  St-Maurice:  Pot  .    .     .     . 
Bourgeoisie  de  Monthey :  Pot  .     .     . 
Gommunes  de  Vionnaz,  Vouvry,  Port- 
Valais:  Pot 

Gonnnune  de  St-Gingolph:  Mesure  . 

Zürich:  Schenkmaaß 

«         Landmaaß^ 

„        Oelmaaß,  auch  für  Honig     .     . 

„        Milch  niaaß 

Winterthur :  Lauteniiaaß  ** 

Zug :  Maaß 


Definition : 

Schweizenuaaas 
1838— 18C8.77 

Liter 
seit  18t>8/77 

105,0  waadtl.  Kubikzoll 

1,02163 

1,53244 

104,5      , 

n 

1,01676 

1,52514 

103,0      , 

n 

1,00217 

1,50325 

102,9       , 

D 

1,00119 

1,50179 

97,9       , 

•f 

0,95255 

1,42882 

97,7       „ 

n 

0,95060 

1,42590 

97,5       , 

it 

0,94805 

1,42298 

90,2       , 

n 

0,93600 

1.40400 

91,5       , 

« 

0,89027 

1,33541 

87,3       , 

T» 

0,84941 

1,27411 

79,5      , 

n 

0,77174 

1,15761 

128,8       . 

n 

1,25319 

1,87979 

122,9      , 

n 

1,19579 

1,79368 

116,8       , 

n 

1,13643 

1,70465 

115,3       . 

n 

1,14184 

1,08276 

89,5      « 

it 

0,87081 

1,30622 

50   Schweiz 

» 

1» 

0,9 

1,35 ' 

11  —  15  nouv 

.  Pots 

1,22727 

1,84091 

10  =  13 

n 

n 

1,17 

1,755 

10  —  13 

« 

n 

U7 

1,755 

7—9 

T» 

m 

1,15714 

1,73571 

11  =  14 

II 

n 

1,14545 

1,71818 

9  —  11 

» 

t» 

1,1 

1,65 

28  =  29 

»» 

n 

0,93214 

1,39821 

16  =  17 

» 

3 

0,95625 

1,43438* 

23  —  22 

n 

» 

0,86087 

1,29130 

22  =  23 

T 

n 

0,94091 

1,41136 

44  =  45 

fl 

1» 

0,92045 

1,38068 

100  — loo'A 

n 

n 

0,90225 

1,35338 

12  =  13 

« 

V 

0,975 

1,4625 

7—9 

it 

It 

1,15714 

1,73571 

1  la  mesuro  diff^re 

ti  pen  de  la  nouvolle  du  canton,  que 

[       le  tableau  de  r^duction 

i  ne  (lerait  d'aucnno  ntilit6 

1,046767 

1,57015» 

1,222619 

1,83393  «^ 

0,920854 

1,38128» 

1,304989 

1,95748^ 

0,897500 

1,34625^ 

1,21 

1,815 

VI.  Gewichte  (Pfund)  vor  1838. 


Aargau:  Pfund  in  Aarau 
Pfund  in  Laufenburg  . 
,  ,  Rheinfelden  . 
,  Zofmgen  .  . 
„  fl  Zurzach** 
„  ,  Klingnau  .  . 
„  ,.  Kaiserstuhl  . 
„       als  Salzgewicht 


Eintheilung 

32  Loth 
32  , 
32  , 
32  , 
36  „ 
36  , 
40     , 


Definition :  Schw<»izeri>fd. 

Grain  des  Parisergew.  ^o  1838—1868,77 


8972,764 
8904.867 
9499,44 
9066,316 
9949,375 
9896,502 
10805,033 
9216 


0,953173 
0,945960 
1,009122 
0,963110 
1,056918 
1,051300 
1,147814 
0,979012 


Kilogramm 
seit  18G8  77 

0,476586 
0,472980 
0,504561 
0,481555 
0,528459 
0,525650 
0,573907 
0,489506 


*  1  Setior  -.  30  Pot8.  —  *  Kbenao  U^>reu8  und  ein  Theil  von  Conthey.  —  •  Direkte  Bestimmung 
xoittelüt  Waii«er\i'äguug.  —  •  1  Saum  lautere  Sinne  _--  90  Landmaasa ;  1  Saum  trübe  Sinne  =r  1'/«  Eim^r 
zu  &1  Landmaasa  -  HG  Landmaass.  —  ^1  Saum  -  iVa  Eimer  k  60  Maasi».  1  Kopf  =z  2  Maass.  — 
*  1  Honigmaans  -  2  Becher.  —  '1  Maass  —  4  Milchmässli.  —  '1  Saum  lautere  Sinne  in  Winterthur 
-  4  Eimer  &  30  --  120  Maas« ;  1  Saum  trübe  Sinne  -  4  Eimer  ä  32  —  128  Maavs.  —  '^  1  Saum  -  4  Eimer 
&  dO  Blaass. 

>o  1  Li\'re  poid»  de  marc  489,5058  g  —  2  Marc»  h  8  Onces  &  8  Gros  h  3  Deniers  h  21  Grains 
--  9216  Grains:  1  Grain  -  53,11478  mg.  —  "  Das  Zurzacher-  oder  Zürcherpfund  wurde  auch  in  den  Bezirken 
Baden,  Bremgarten,  Brugg,  Lenzburg,  Kulm,  Muri  und  Meilingen  angewendet ;  die  betreffenden  Muttor- 
pfnnde  haben  aber  etwas  andere  Werthe. 

Fnrrer,  Volkswirthschafta-Lexikon  der  Schweiz.  <^ 


Maß  und  Gewicht 


—     38ü      — 


Maß  und  Gewicht 


Kinthcilunff 


Aargau:  Pfund  in  Baden   . 

Pi'und  in  Bremgarten  .    . 

^   Brugg  .... 

Lenzburg,  Kulm 


,   Muri 

,   Mellingen 


Appenzell  A.-Bh.:  Pfund*  . 


Appenzell  I.-Rh. 


36 
36 
36 
36 
36 
36 

40 

32 


Loth 


DcHnitioii : 
(Train  des  Parisergew. 

9950,667 

9956,703 

9955,083 

9946,164 

9954,26 

9960,803 

2  Mark  7  Loth  333G 
Richti»feniiig  köln. 


Schweizerpfd.  Kilofrnimm 

1838— 186«;77  «fit  18ft«,77 

1,057055  0,528528 

1,057696  0,528848 

1,057524  0,528762 

1,056576  0,528288 

1,057436  0,528718 

1.058132  0,529066 

1,163854  0,581927' 

0,931084  0,465542 


» 
1» 


Baselland 

Baselstadt '  ; 

Pfund:  Handelsgewicht  (großes 

Eisengewicht)  .... 

,,        Eisengewicht    für    den 

Detailverkehr  .... 

„        Messinggewicht '^  .     .    . 

„        Silbergewicht  .... 

Bern :  Pfund 

„  ,.       Markgewicht  (franz.) 

Burgdorf:       Pfund 

Erlach : 
Langenthai : 
Neuenstadt : 

Saanen:  „      

Freiburg:  Livre  de  Fribourg  .     . 

Livre  de  Bulle 

Livre:  Poids  de  fer      .    .    .    . 

Genf:  Pfund 

Glarus:  Pfund 

Grauhünden :  Churer-Ladenpfund 

Churer-Krinne 

Ghurer-Fleischpfund  .  .  .  . 
Davoser-  (kleine)  Krinne  .  .  . 
Avers:  Pfund    .     .     .    . 

Oberengadin : 
Obtasna : 
Untertasna : 
Munsterthal : 
Misocco:       Lihbra  grossa     .     . 

„       piccola    .    . 
Roveredo:        ,        grossa      .     . 

„       piccola    .     . 

Galanca:  „       grossa     .    . 

Libbretta    .    .    .     . 

Posch  iavo :  Libbra  grossa     .     . 

Libbretta   .     .     .     . 

Bregagiia:    Libbra  grossa     .     . 

Libbretta   .     .    .    . 


Die  Gewiohto  in  Innor-Rliodeu  waren  offenbar  dieselben  wie  in 
AuBser-Rhoden.  Mechaniker  Zuber  suRt  in  seinem  Bericht : 
„Alle  Landeaprodukte  worden  zu  40  liuth  per  Pfund  und  die 
Spezereien  meistens  zu  32  Loth  ausgewogen.  Der  Zentner  s&hlt 
100  Pfund,  ist  aber  oft  1  —2  ''/o  schwerer  als  der  in  Ausser-Rhoden." 

wie  Baselstadt 


Pfund  Poids  de  marc 

1,00763 

0  9932 
32  Loth  o!98105 

2  Mark  ä  8  Unzen  0,95547 
32  Loth  17  Unz.  Poids  de  marc 
9216  Grains 
104^8^  100  bem.  Pfd. 

21  -^  20  Pfd.  2  Loth  bem. 
8^0  leichter  als  bem.  Pfd. 

30  Loth.  bern. 

17  V*  Unzen  franz. 

17  Onces  1  Gros 

17  Onces  5i  Grains 

17  Onces 
16      , 

18  . 
36  Loth 

32  , 
48  , 
80      , 


0,986482    0,493241 


II 


die  offiziellen 
Tabellen  enthalten 
nur  die  Reduktion 
in  Schweizerpfund 


0,972354 

0,960459 

0.935416 

1,040200 

0,979012 

0,991848 

0,993763 

0,956984 

0,975188 

1,070794 

1,047848 

1,045936 

1, 040200 

0,979012 

1,101388 

1,056914 

0,92534 

1,38801 

1,73501 

1,00<)36 

1,85068 

0,850 

0,86228 

0,8.5679 

0,89880 

1,92308 

0,76923 

1,83()06 

0,73442 

1,842 

0,73680 

1,74259 

0,65347 

1,85156 

0,625 


0,486177* 

0,480230  « 

0,467708  ^ 

0,520100 

0,489506 

0,495924  * 

0,496881 

0,478*92 

0,487594 

0,535397 

0,523924 

0,522968 

0,520100  • 

0,489506 

0,550694 

0,528457  " 

0.46267 

0,694005  " 

0,86750  >» 

0,50468  " 

0,92534 

0,425 

0,43114 

0,428395 

0,44940 

0.96154 

0.384615 

0,91803 

0,36721 

0,921 

0,36840 

0,871296 

0,326735 

0,92578 

0.3125 


*  Die  kOln.  Mark  ist  angenommen  zu  233,8556  g  (schweizerische  Expertenkommission).  —  *  12.  Oktober 
1824.  —  >  T)as  HandelPKewicht  diente  im  Grosshandel;  das  Messinggewicht  für  Zuckerbäcker,  OewQn- 
händler,  Strickwolle-,  Nähseide-Dctaillours ;  das  kleine  Eisenguwicht  für  den  ttbrigen  DetailhandeL  Di« 
Kinengewiclitu  stimmen  nahe  mit  dem  Livre  poids  de  marc  --  0,48951  kg  tiberein.  Das  Hilbergewicbt  ttimmt 
mit  dem  kuln.  Pfund  ganz  nahe  Uberein.  —  *  Urmasse  auf  der  Schmieden-,  Gartnemznnft  und  im  Zeughaot. 
—  *>  Die  oftizielle  Angabe  lautet  0,480235,  während  0,981(15  Livre  poids  de  marc  sind  =.  0,4802297  kg.  — 
^  Saffrauxunft.  —  "^  Bäreuzunft.  —  •  Vide  Bemerkung  bei  den  Ellenmassen.  —  '  Bernpfund.  —  *•  Nach 
Heer  gleich  dem  ZUrcher-Handelspfund.  —  "2  Krinnen  -.  3  Ladenpfund.  —  "  S  Fleischpfund  =::  10 
Krinnen.  —  ''  Noch  in  mehreren  Bezirken,  neben  dem  Churer-Ladenpfund. 


Maß  und  Gewicht 


—     387     — 


Maß  und  Gewicht 


Luzern:  Zurzacherpfund 

Salzpfund 

Neuenburg:  Pfund  .  .  . 
Nidwaiden :  Zurzacherpfund 
Obwalden 


Pfund 


Eintheiliing 

36  Loth 
32     , 


Definitiou :  Schweizerpfd.  Kilogramm 

Grain  des  Pariscrgew.     1438— 1868/77  8eitl8G8  77 

Angabe  in  g  1,057796  0,528898* 

=  franz.  Markgew.     0,979012  0,489506 

17  Onces  1,040200  0,520100 

1,(^7796  0,528898« 
hat  nach  Heldmann  ebenfalls  Luzernergewicht 

*S(.  6=a//en^•  Stadt  St.  GaUen:  Pfund  40  Loth    161926  köln.  Richtpf.    1,155188  0,577594 

,      ,       ,  ,      32      ,       130372    „  ,         0,930094  0,465047 

32      ,       128395     „  ,         0,916  0,458 

32      ,       126470    ,  ,         0,902313  0,451156 

32     „       128428    ,  ,         0,916188  0,458094* 

hat   nach  Berttch  Zürcborgewicht  k  'A(i  Loth;   ebeuso  Azmoot 

36  Loth    148050  köln.  Richtpf.    1,056188  0,528094* 


32 
32 

48 


Rorschach : 

Rheineck :  , 

Altstätten :  „ 

Sargans  

Rapperschwyl :  Pfund  . 

Lichtensteig : 

Wyl :  .       . 

Ragaz,  PfUtfers:  Krinne 
Schaff  hau8en  : 

Schaffhausen :  Pfund :  leicht  Gew.  32 
,.  ,    schwer     ,     40 

Stein :  Pfund :  leicht    Gewicht  .  32 
,  ,       schwer        „       .  40 

Schwyz:  Pfund 36 

Solothurn"^ 32 

Tessin :    Mendrisio,   Bellinzona 
Riviera :      Libbra 

Lugano :  ,.      grossa 

„  Libbretta     .    .    .12  Oncie 

Locarno  e  Vallemaggia :  Libbra  32     „ 

Blenio :  „        ....  36     ^ 

Leventina:  ,        ....  35      „ 

Bellinzona:  36      ., 

Milano:  Libretta     ...  12      „ 

T/ti4r^au^^;  Altes  Konstanzerpfund  32  Loth 

Uri   .... 


127844 
131624 
200400 


.    02 

linzona  e|  ;^o 
.  .  .  .?  241 
frossa  .    .J  ^  ^** 


8651,5 
10814,37 

8642 
10802,50 

9760 


Oiicie  t 
Denan 
Orani 


Reduktion  direkt 
in  kg  angegeben 


Waadt:  Neues  Pfund  # 

Vevey :  Li  vre 

Nyon : 

Yverdon :  ,. 

Grandson :  , 

Romainmötier : 
Morges :  „ 

Lausanne :  ^ 

Payeme :  „ 

Wallis:  Neues  Pfund 
Zürich:  Handelspfund 


8673»7i7 
11517,25 
nach  Heldmann  wie  in  Zürich 

IG  Onccs  k 


0.912094  0,456047 

0,939  0,4695 

1,428125  0,714063« 

0,919046'  0,459523 

1,148806  0,574403 

0,918036  0,459018 

1,147544  0,573772 

1,056908  0,528454** 

1,0368  0,518400 

1.583312  0,791656 

1,57112  0,78556 

0,628448  0,314224 

1,740058  0,870029 

1,960758  0,980379 

1,879058  0,939529 

1,899974  0,949987  *^ 

0,653586  0,326793  " 

0,921423  0,460711 

1,151778  0,575889 


8  Gros  ä  72 
(Trains  oder 

9413,575 

1       0,5  >» 

Va»  V«,  '.^ 

10766 

1,143668  0,571834 

10731 

1,139950  0,569975 

10111 

1,074088  0,537044 

10091 

1,071962  0,535981 

10051 

1,068350  0,534175 

9526 

1,011942  0,505971 

9525 

1,011836  0,505918 

9473 

1,006312  0,503156 
1       0,5  '* 
1,056914  0,528457 

36  Loth 

durch  Wägung 

*  Abweichend  gegenüber  den  Angaben  sab  Aargau.  —  *  Wie  Lazem.  —  '  Die  hier  angegebenen 
Zahlen  nnter  Schweiseriifund  und  Kilogramm  «ind  nicht  aus  den  köln.  Richtpfeuuigeu  abgeleitet,  sondern 
die  Kednktion  in  Schweizeriifund  ist  den  ofHziellon  Tabellen  entnommen  und  daraus  die  Reduktion  in 
Kilogramm  berechnet.  Wird  die  k(»ln.  Mark  angenommen  zu  '233,85.'>G  g  und  daraus  die  St.  Galler-I^nd  in 
Kilogramm  reduzirt,  so  erhält  man  folgende  Werthe :  St.  Galler-Piund  0,5778093,  0,4653130,  Rorschach 
0,458158«,  Altstätten  0,4582706,  Lichtensteig  O,4501i»27,  Rheineck  0,4512898,  Rapperschwyl  0,5282949,  Wyl 
0,4696810,  Ragaz  0,7150982.  Ueber  die  Gewichte  der  Bezirke  Berneck,  Grabs  und  Werdenberg,  Gams,  Woesen 
und  Utznach  tinden  sich  keino  Angaben.  —  '*  Ebenso  Oberriet,  iSax  und  Seunwald  (nach  Bertsch).  — 
'  Zarcherpfund  (nach  Bertwch).  —  *"'  Soll  rhurergewicht  sein  (nach  Bertsch).  —  "^  Tabelle  0,919056.  aber 
unrichtig.  —  ■  Zurzacherpfund.  —  '  Für  den  Salzverkauf  un<l  im  Verkehr  mit  edlen  MetaUen  wurde  das 
franz.  Markgewicht  gebraticht  (vide  Bern).  —  ^^  Auch  in  der  Riviera,  für  Brennholz  und  Heu.  —  '^  25  1 
--  1  Rubbo.  —  "  Die  oftiziellcn  Tabellen  geben  folgende  Verwandlung  von  alten  Pfund  in  neue  Pfund: 
100  alte  Pfund  (k  32  Loth)  --.  92  Pfund  4  Loth  "m  Loth  und  */io ;  100  alte  Pfund  (&  40  Loth)  - --  115  Pfund 
5  Loth  **64  Loth  und  '/lo.  Diese  Angaben  stimmen  mit  obigen  Ubcrein.  —  "  Gesetz  von  1822.  —  •♦  Gesots 
von  1824. 


Maü  und  Gewicht  —      388     —  Maß  un<l  Gewicht 

EintheUunff  Dc-finition-  Schweizerpfd.   Kilogramm 

x^imatuuiip  1/fnniuon.  1838—1868,77     seit  1868/77 

Zürich : 
Leichtes  Pfund  (Antorferpfund)  32  Loth        durch  Wäjning        0,939479    0,469740 

(16  Loth  ü  4> 
gti.  4  4  Pfg.  l  =  V«  leichtes  Pfd.      0,469740    0,234870  ' 
k  18  Gran  J 

Krone  (Goldgewicht)     ....  0,006731    3,365535  g 

Zug:  Pfund 36  Loth  1,056918    0,528459- 

Außer  den  hier  angegebenen  Gewichten  wurde  noch  das  sog.  Medizin alge wicht 
gebraucht;  dasselbe  war  das  sog.  Nümbergergewicht,  aber  an  verschiedenen  Orten 
sehr  verschieden.  In  den  amtlichen  Tabellen  finden  sich  nur  folgende  zwei  Angaben : 

Baselstadt:  Pfund  =  0.35778    kg. 
Luzern:  „       =  0,357951    , 

Mass  und  Gewicht  von  1838—1868/75. 

(Ersten  BandosgcRctz  über  MasH  und  Gewicht  1851.  Vollziehungsverordnung  1853.  Auleitnng  für  dii-  Eicb- 
meister  1853.  Inspcktiou  1860  61.  £idg.  Eichstätte  1864.  Doppelsytom  von  18(>8  76  lant  liundeoge^etz  von 
1868.    VolIziehungMverordnung  1870.     Anleitung  für  die  Eichmeisiter  1871  ;  flichmoisterkurs  1871.     liumlos- 

gesetz  von  1875,  wirksam  seit  1877.) 

Art.  37  der  Bundesverfassung  von   1848  lautet: 

„Der  Bund  wird  auf  den  Grundlagen  des  bestehenden  eidg.  Konkordates  für  die 
ganze  Eidgenossenschaft  gleiches  Maß  und  Gewicht  einführen*. 

In  Ausführung  dieser  Yerfassungsbestimmung  wurde  vom  Bundesrath  unterm 
13.  März  1851  ein  die  Maß-  und  Gewichtsordnung  betreffender  Gesetzentwurf 
definitiv  berathen,  in  welchem  die  durch  das  Konkordat  festgesetzten  Größen 
vollständig  adoptirt  wurden. 

Gegen  diesen  Entwarf  wurden  hauptsächlich  aus  den  Kantonen  Waadt  und 
Neuenburg  herkommende  Petitionen  (31,198  Unterschriften)  eingereicht,  welche 
um  unbedingte  Einführung  des  französischen  Maßsystems  nachsuchten,  und  einen 
ähnlichen  Wunsch  sprach  die  Regierung  des  Kantons  Neuenburg  aus. 

Die  Mehrheit  der  national räthlichen  Kommission  hielt  den  bundesräthlichen 
Entwurf  allein  für  verfassungsgemäß,  namentlich  auch  weil  bei  der  Berathung 
der  neuen  Bundesverfassung  Anträge,  welche  die  Einführung  des  metrischen 
Systems  bezweckten,  mit  großer  Mehrheit  abgelehnt  worden  waren ;  der  Entwurf 
sei  aber  auch  zweckmäßig,  weil  er  sich  eher  an  die  bisher  gebräuchlichen  Maße 
anschließe,  und  er  sei  auch  am  leichtesten  auszuführen,  da  in  zwölf  Kantonen 
mit  ^/a  der  gesammten  Bevölkerung  der  Vorschlag  des  Bundesrathes  schon  in 
Geltung  sei. 

Die  Minorität  der  Kommission  wollte  das  metrische  System  annehmen  ;  dasselbe 
sei  ebenfalls  verfassungsgemäß,  indem  die  Grundlage  des  Konkordatssystems  der 
Meter  sei;  man  werde  doch  später  dazu  gelangen,  das  metrische  System  einzu- 
führen. Die  Ansicht  des  Bundesrathes  und  der  Kommissionsmehrheit  siegte  und 
am  23.  Dez.  1851  wurde  endlich  das  erste 

Bundesgesetz  über  Maß  und  Gewicht  von  beiden  Eäthon  an- 
genommen.    Die  wesentlichsten  Bestimmungen  desselben  sind : 

Art.  2.  Der  Fuß  ist  die  Grundeinheit  der  neuen  Maßordnung  und  kommt  genau 
'/>o  des  französischen  Meters  gleich.  1  Fuß  =  10  Zoll  ä  10  Linien  ä  10  Strich;  1  Elle 
=  2';  1  Stab  =  4';  1  Klafter  =  6';  1  Ruthe  =10';  1  Wegstunde  =  16,000';  1  Juchart 
=^  40,000  Quadratfuß. 

Ein  Holzklafter  soll  auf  der  Vorder-  und  Ilinteriläche  ein  Quadratklafter  halten ; 
die  Festsetzung  der  Tiefe  bleibt  den  Kantonen  überlassen,  jedoch  ist  die  Scheiterlänge 
in  dem  durch  das  gegenwartige  Gesetz  aufgestellten  Längenmaße  auszudrücken. 

Hohlmaße  für  trockene   Gegenstände:    1  Maaß  (Viertel  oder  Sester)  =  15  Liter. 

^  Vm  1,12  K  !«rliw*»Ter  uU  kolu.  Mark.  —  ■  Zurzachorpfnud. 


Maß  und  Gewicht  —      389     —  Maß  uad  Gewicht 

1  Maaß  =  10  Immi  oder  =  4  Vieriing  =  16  Mäßlein.  1  Malter  =  10  Maaß  (Viertel). 
Die  Hohlmaße  haben  die  Gestalt  eines  hohlen  Cylinders,  dessen  Höhe  gleich  dem  Durch- 
messer, wenn  sie  als  Urmaß,  Mustermaß  oder  Probemaß  gebraucht  werden,  und  dessen 
Höhe  dem  halben  Durchmesser  gleichkommt,  wenn  dieselben  zu  Verkehrsmaßen  be- 
stimmt sind. 

Flüssigkeitsmaße.  1  Maß  =  1,5  1,  eingetheilt  nach  fortgesetzten  Halbirungen 
(1  Schoppen  =  \'i  Maß),  1  Saum  =  100  Maß,  1  Eimer  =  25  Maß.  Die  Maß  und  ihre 
Unterabtheilungen  erhalten,  wenn  sie  als  Normalgetaße  dienen  sollen,  die  Gestalt  eines 
hohlen  Cylinders,  dessen  Höhe  dem  doppelten  Durchmesser  gleich  ist. 

Gewichte:  1  Pfund  =  V«  kg,  1  Pfund  =  32  Loth  oder  16  Unzen,  wird  auch 
nach  fortgesetzten  Halbirungen  eingetheilt.  Das  Pfund  kann  auch  eingetheilt  werden 
in  500  Gramm.   1  Zentner  =  100  Pfund. 

Das  Apothekergewicht  kann,  wie  es  in  Uebung  ist,  im  Gebrauch  bleiben,  jedoch 
ausschließlich  zur  Verschreibung  ärztlicher  Rezepte.  1  Apothekerpfund  (=  '/*  des  Civil- 
pfundes)  ist  gleich  12  Unzen  oder  24  Loth  =  375  g.  1  Unze  =  8  Drachmen  ä  3  Scrupel 
a  20  Gran. 

Art.  3  gibt  die  Oberaufsicht  über  Ausübung  und  Handhabung  der  Maß-  und 
Gewichtsordnung  dem  Bundesrath,  welcher  auch  (Art.  4)  den  Kantonen,  die  dem  eidg. 
Konkordat  nicht  angehörten,  die  nöthigen  Mustermaße  und  Mustergewichte  zustellt, 
wählend  (Art.  5)  die  Kantone  für  Herstellung  der  Probemaße  und  Probegewichte  zu 
sorgen  haben.  Die  Kantonsregierungen  haben  (Art.  6)  die  direkte  Aufsicht  über  die 
Verkehrsmaße  und  Gewichte.  Art.  9  bis  11  handeln  von  den  gegen  Fehlbare  zu  er- 
lassenden Strafen  und  Art.  12  schreibt  vor,  daß  die  neue  Maß-  und  Gewichtsordnung 
spätestens  bis  31.  Dezember  1856  in  sämmtlichen  Kantonen  eingeführt  sein  soll. 

Zur  Beschaffung  der  Mustermaße  und  Gewichte  wurde  1852  mit  Mechaniker 
Oeri  in  Zürich  ein  Vertrag  abgeschlossen  und  die  Maße  wurden  später  durch 
den  eidg.  Experten,  Herrn  Professor  Brunner  in  Bern,  geprüft. 

Unterm  6.  April  1853  erließ  der  Bundesrath  eine 

Vollziehungsverordnung  über  Maß  und  Gewicht,  welche 
«peziellere  Bedingungen  über  Material  und  Form  der  Verkehrsgewichte  und 
einige  Vorschriften  über  die  Organisation  der  Eichstätten  und  ihrer  Obliegen- 
heiten aufstellte. 

Am   18.  Mai  1853  wurde  vom  eidg.  Departement  des  Innern  eine 

Anleitung  für  die  Schweiz.  Eichmeister  erlassen,  welche  laut  der 
Vorrede  als  eine  ^neue  Auflage  der  im  Jahre  1837  erschienenen  Anleitung  zur 
Prüfung ,  Abgleichung  und  Bezeichnung  der  Maße  und  Gewichte  fi*r  den  ge- 
wohnten Verkehr,  als  Entwurf  einer  Prüfungsordnung  für  die  Schweiz.  Eich- 
meister** betrachtet  werde;  es  war  den  Kantonen  anheim  gestellt,  entweder  diese 
Anleitung  als  delinitive  Verordnung  anzusehen  oder  den  kantonalen  Bestimmungen 
zu  Grunde  zu  legen. 

In   Folge    von    Heklamatiouen ,    namentlich   seitens   der   Kantone  Baselstadt 
und  Bern,  betreffend  die  Strafbestimmungen  wurde  unterm   18.  Juli  185G  durch 
Itandesbcsrhlnj.)    bestimmt,    daß    die    nöthigen  Verfügungen  betreffend  das  Ver 
fahren  bei  Beurtheilung  von  üebertretung  der  eidg.  Maß-  und  Gewichtsordnung 
den  Kantonen  übertragen  seien. 

In  der  nämlichen  Session  hatte  sich  die  Bundesversammlung  noch  eingehender 
mit  der  Frage  über  Maß  und  Gewicht  zu  befassen ,  indem  die  Kantone  Tessin, 
\Vaadt,  Neuenburg  und  Genf  das  Begehren  stellten,  die  Einführung  der  eidg. 
Maß-  und  Gewichtsordnung  auf  unbestimmte  Zeit  zu  verschieben  und  Waadt 
s[)rach  den  femern  Wunsch  aus,  daß  das  französische  rein  metrische  System 
eingeführt  werden  möchte.  Diesen  letztern  Wunsch  hatte  die  Regierung  des 
Kantons  Waadt  schon  im  Jahre  1853  an  den  Bundesrath  gerichtet,  welcher 
aber,  gestützt  auf  die  Bundesverfassung  und  die  Berathungen,  welche  dem  Erlaß 
des  Bundesgesetzes  über  Maß  und  Gewicht  vorangegangen  waren,  das  Begehren 


Maß  und  Gewicht  —     390     —  Maß  und  Gewicht 

von  sich  aus  abgewiesen  hatte.  Die  Bundesversammlung  trat  der  Ansicht  des 
Bundesrathes  bei  und  wies  mit  Bundesbeschluß  vom  18.  Juli  1856  beide  Be- 
gehren ab. 

Bei  Behandlung  des  Geschäftsberichts  des  Bundesrathes  pro  1858  wurde 
am  20.  Juli  das  Postulat  angenommen: 

„Der  Bundesrath  wird  eingeladen,  sich  in  geei^eter  Weise  zu  überzeugen,  ob  die 
Einrichtung  der  neuen  Maß-  und  Gewichtsordnuniyr  nunmehr  wirklich  überall  vorschrift?- 
gemäß  erfolgt  sei". 

In  Folge  dieses  Postulates  wurden  die  Kantone  eingeladen ,  ihre  Ver- 
ordnungen nebst  bezüglichen  Berichten  einzusenden  und  gleichzeitig  wurde  be- 
schlossen, eine  allgemeine  Inspektion  vorzunehmen,  mit  welcher  im  Jahre 
1860  Herr  Professor  Dr.  Heinrich  Wild  betraut  wurde.  Die  Inspektion  fand 
in  den  Jahren  1860  und  1861  statt. 

Dem  sehr  ausführlichen  Bericht  entnehmen  wir,  daß  das  Urpfund  im 
eidg.  Archiv  sich  gegenüber  früheren  Bestimmungen  etwas  verändert  hatte,  daß 
die  Mustermaße  in  den  Kantonen  nur  an  wenigen  Orten  gut  erhalten  waren, 
ja  daß  sogar  einige  derselben  ganz  fehlten  und  daß  zwischen  dem  schwersten 
Musterpfund  (Appenzell  I.-Rh.)  und  dem  leichtesten  (^Thurgau)  eine  Differenz 
von  118  mg  bestand,  während  die  Musterpfunde  bei  ihrer  Anfertigung  sämmtlioh 
bis-  auf  1  mg  richtig  gewesen  waren.  Die  Probemaße  der  Eichstätten  waren 
in  einzelnen  Kantonen  nicht  vollständig  vorhanden  und  in  mehreren  Kantonen 
fehlten  die  Waagen.  Die  Aufbewahrung  der  Probemaße  ließ  Vieles  zu  wünschen 
übrig  und  ebenso  die  Genauigkeit  derselben.  Dementsprechend  zeigten  auch  die 
Verkehi*ömaße  bedeutende  Abweichungen,  welche  der  Inspektor  erklärte  aus  dem 
mangelhaften  Zustand  der  Probemaße,  der  ungenügenden  Instruktion  der  Eich- 
meister, dem  spärlichen  Nachschauen  und  der  allzu  großen  Zahl  von  Kichstätten. 
Alte  oder  fremde  Maße  fanden  sich  nur  wenige  vor. 

Es  zeigten  sich  also  noch  bedeutende  Mängel  in  jeder  Beziehung,  welchen 
nur  durch  eine  durchgreifende  Reform  abgeholfen  werden  konnte.  Von  den 
wesentlichen  Anforderungen,  die  an  die  Urmaße  gestellt  w^erdeu  müssen  fUn- 
zweideutigkeit  und  ünveründerlichkeit),  erachtete  der  Inspektor  keine  als  genügend 
erfüllt.  Es  erschien  ihm  daher  noth wendig,  eine  Reform  der  Schweiz.  Urmaße 
durchzuführen,  welcher  sich  dann  eine  gründliche  Prüfung  und  Verifikation  der 
Muster-  und  Probemaße  anzuschließen  hätte.  Um  aber  auch  in  den  Verkehrs- 
maßen  die  nüthige  Uebereinstimniung  zu  erzielen,  müßten  auch  die  Eichmeister- 
ap])arate  überall  vollständig  und  in  guter  Beschati'enheit  vorhanden  sein  und  die 
Eichmeister  selbst  einer  häufigen  Kontrole  durch  kantonale  und  eidg.  Behörden 
unterworfen  werden.  Um  die  ersten  und  wichtigsten  Reformen  durchzuführen, 
wurde  die  Gründung  einer 

eidg  Norm  alcichstä  tte  vorgeschlagen  und  diese  Frage  einer  Expert^in- 
kommis.sion  vorgelegt,  welche  unterm  13.  April  18(>2  ein  ausführliches  Gutachten 
abgab,  in  welchem  die  Nothwendigkeit  einer  eidg.  Eichstätte  unbedingt  bejaht 
wurde. 

Derselben  sollten  einige  Räumlichkeiten  im  Erdgeschosse  des  Münzgebäudes 
abgetreten  werden.  Zur  Besorgung  der  Geschäfte  wurden  vorgeschlagen:  Ein 
Inspektor  der  Eichstätte,  welchem  die  eigentlichen  wissenschaftlichen  Arbeiten 
anvertraut  würden  und  ein  Direktor,  welcher  namentlich  die  Prüfung  der  Probe- 
maße und  die  Inspektion  der  kantonalen  Eichstätten  auszuführen  hätte.  Im 
Weitern  wurde  beantragt,  eine  Abordnung  nach  Paiis  zu  senden,  welche  die 
Prüfung    und    allfällige    Erneuerung   der   schweizerischen    Urmaße    vorzunehmen 


Siaß  und  Gewicht  —     391      —  Maß  und  Gewicht 

hätte.  Der  Bundesrath  genehmigt«  am  18.  Juni  1862  diese  Anträge  (mit  kleinen 
Abänderungen).  Als  Abgeordnete  nach  Paris  wurden  die  HH.  Professoren  Wild 
und  Mousson  bezeichnet,  welche  in  den  Jahren  1863  und  1864  einen  Meterstab 
ans  Messing  und  ein  Kilogramm  aus  Platin,  sowie  ein  Messingkilogramm  mit 
den  im  Conservatoire  des  arts  et  metiers  zur  Verfügung  gestellten  Kopien  der 
eigentlichen  Urmaße  verglichen.  Unterdessen  waren  auch  die  ersten  Arbeiten 
zur  Einrichtung  der  cidg.  Eichstätte  geschehen  und  am  6.  Januar  1864  wurde 
vom  Bundesrath  ein  Rer/lement  über  die  Orf/anisation  und  Verwaitunr/  der- 
selben erlassen,  das  am  25.  September  1867  einige  kleinere  Abänderungen  erhielt. 

Zur  Besorgung  der  Geschäfte  wurde  nur  ein  Experte  vorgesehen,  welcher 
unter  seiner  Verantwortlichkeit  die  nöthigen  Gehülfen  beizieht.  Die  Arbeiten 
in  der  Eichstätte  nahmen  ihren  ruhigen  Fortgang  und  im  Sommer  1868  konnte 
der  Direktor  der  cidg.  Eichstätte  seinen  ausführlichen  ^Bericht  über  die  Arbeiten 
zur  Reform  der  schweizerischen  Urmaße"   ablegen. 

Inzwischen  waren  erneuerte  Anstrengungen  zur  Einfiihrung  des  metrischen 
Maß-  und  Gewiclitsystems  in  der  Schweiz  gemacht  worden.  Im  Jahre  18 63 
waren  ans  20  Kantonen  Petitionen  mit  2814  Unterschriften  an  die  eidg.  Be- 
hörden gelangt  mit  dem  Gesuch,  es  möchte  das  bisherige  schweizerische  Maß- 
und  Gewiclitssystem  durch  das  metrische  ersetzt  werden,  oder  dasselbe  doch 
wenigstens  neben  jenem  erlaubt  werden.  Der  Bundesrath  erstattete  am  8.  Sep- 
tember 1864  bezüglichen  Bericht  (nach  Einholung  der  Gutachten  der  Kantons- 
regierungen) und  stellte  den  Antrag,  es  sei  zur  Zeit  auf  die  eingelangten  Peti- 
tionen für  Einführung  oder  gesetzliche  Anerkennung  des  metrischen  Maß-  und 
Gewichts vstems  nicht  weiter  einzutreten. 

Unterdessen  waren  auch  Anträge  auf  theil weise  Revision  der  Bundes- 
verfassung vom  Jahre  1848  gestellt  worden,  über  welche  das  Schweizervolk 
am  14.  Januar  1866  abzustimmen  hatte.  Der  erste  Revisionspunkt  betraf  den 
Art.  37,  welcher  nach  den  Beschlüssen  der  h.  Räthe  abgeändert  werden  sollte 
in;  „Die  Festsetzung  von  Maß  und  Gewicht  ist  Bundeasache".  Dieser  Artikel 
wurde  vom  Volke  mit  151), 202  gegen  156,306  Stimmen  angenommen,  von  der 
Mehrheit  der  Stände  aber  verworfen  (OVa  Stände  waren  für  Annahme,  I2V2 
für  V^erwerfnng). 

Trotz  der  Ablehnung  der  Revision  von  Art.  37  war  aber  damit  die  Pe- 
tition um  Einfiihrung  des  metrischen  Systems  noch  nicht  aus  den  Traktanden 
der  Räthe  gefallen.  Die  nationalräthliche  Kommission  über  Einführung  des 
metrischen  Maß-  und  Gewichtsystems  befürwortete  in  ihren  vorzüglichen  Be- 
richten vom  6.  Juli  und  17.  Dezember  1866  die  fakultative  Einführung  dieses 
Systems  und  mit  Be^irhlnß  der  Buifdesccrsamnthinr/  vom  8.  Juli  1868  wurde 
der  Bundesrath  eingeladen,  „einen  Bericht  vorzulegen  über  die  Art  und  Weise, 
wie  das  reine  metrische  Maß-  und  Gewiehtsystem  in  der  Schweiz  eingeführt 
werden  könne". 

Diesem  Auftrag  kam  der  Bundesrath  mit  Botschaft  vom  12.  Juni  1^68 
nach.  Er  erwähnte  darin  der  großen  Fortschritte,  welche  das  metrische  System 
in  den  europäischen  Staat(?n  gemacht  hatte,  er  verwies  auf  die  Beschlüsse  einer 
bei  Anlaß  der  Pariser  Weltausstellung  im  Jahre  18()7  zusammengetretenen  inter- 
nationalen Kommission  (von  2 1  Staaten  beschickt),  welche  das  metrische  System 
als  universelles  empfahl  und  zeigte,  daß  die  Scliweiz  nicht  allein  hinter  den 
andern  Staaten  zurückbleiben  könne.  Trotzdem  glaubte  aber  doch  der  Bundesrath 
den  Zeitpunkt  noch  nicht  gekommen,  um  das  metrische  System  allein  als  ge- 
setzliches Maß  einzuführen,  namentlich  da  auch  in  einzelnen  Nachbarländern  diu 


Maß  und  Gewicht  —      392     —  Maß  und  Gewicht 

Ansichten  noch  nicht  ganz  abgeklärt  waren.  £r  konnte  aber  auch  nicht  zugeben, 
daß  daa  metrische  System  (wie  es  faktisch  bisher  der  Fall  gewesen)  geduldet 
sei,  ohne  daß  die  bezüglichen  Maße  einer  amtlichen  Kontrole  unterworfen  seien 
und  gelangte  daher  zum  Antrag,  das  rein  metrische  System  neben  dem  bisherigen 
anzuerkennen,  gewisse  Größen  desselben  der  amtlichen  Eichung  zu  unterwerfen 
(also  auch  den  Gebrauch  ungeeichter  Maße  des  metrischen  Systems  zu  untersagen) 
und  die  neu  erforderlichen  Probemaße  durch  die  eidg.  Eichstätte  erstellen  zu 
lassen.   Am   14.  Juli  1808  wurde  durch 

Bundesgesetz  der  Antrag  des  Bundesrathes  zum  Beschluß  erhoben. 

Nach  Art.  1  dieses  Gesetzes  wird  neben  dem  durch  Gesetz  vom  23.  De- 
zember 1851  eingeführten  Maß-  und  Gewichtsystem  auch  das  rein  metrische 
System  anerkannt  und  zwar  in  denjenigen  Einheiten,  Mehrfachen  und  Theilen, 
welche  in  den  Beilagen  zu  obigem  Gesetz  unter  Lit.  A  und  B  aufgeführt  sind. 
In  der  erwähnten  Beilage  sind  aber  alle  metrischen  Einheiten  (Meter,  Are,  Liter, 
Gramm)  nebst  ihren  Vielfachen  und  Theilen  nach  dem  Dezimalsystem  angeführt, 
so  daß  die  Anzahl  derjenigen  Maße  und  Gewichte,  welche  nach  dem  neuen  Ge- 
setz hätten  eingeführt  werden  können,  eine  außerordentlich  große  gewesen  wäre. 

Durch  die  VollziehumjsoerordnniKj  vom  23.  Mai  1870  wurde  die  Zahl 
der  gestatteten  Maße  bedeutend  beschränkt,  indem  nur  die  zwei-  und  fünffachen 
Einheiten  oder  deren  dezimale  ünterabtheilungen  gesetzlich  eingeführt  wurden. 

Durch  zahlreiche  Petitionen  dazu  veranlaßt,  beschloß  der  Bundesrath  am 
26.  Dezember  1871,  außer  den  gesetzlichen  Maßgrößen  2  und  5  dl  auch  noch 
die  Größe  3  dl  für  Flaschen  und  Gläser  zu  gestatten,  ein  Beschluß,  der  vielfach 
auf  Opposition  stieß,  obschon  der  Bundesrath  hiezu,  nach  dem  Wortlaut  des 
Bundesgesetzes  vom  14.  Juli  1868,  vollständig  berechtigt  war.  Dieses  Gesetz 
bestimmte  ferner,  daß  die  metrischen  Probemaße  den  Kantonen  durch  die  eidg. 
Eichstätte  geliefert  werden  sollen  und  es  wurden  die  nöthigen  Arbeiten  sofort 
an  die  Hand  genommen,  Modelle  für  die  Probemaße  bestimmt  und  am  14.  Januar 
1871  erstattete  di«  Direktion  der  eidg.  Eichstätte  (Herr  Friedrich  Hermann) 
Bericht  über  Vollendung  dieser  Arbeit.  Um  bei  der  Justirung  der  Verkehrsmaße 
ein  gleichmäßiges  Verfahren  zu  erzielen,  erließ  der  Bundesrath  am  23.  Mai  1870 
auch  eine 

AnleltutHj  für  die  svhweiserischcn  Eichmeister  und  außerdem  wurde  noch 
im  gleichen  Jahre  ein  erster  EichmeiHerknr.a  in  Bern  abgehalten,  an  welchem 
sich  alle  Kantone  durch  Absendung  eines  oder  mehrerer  Eichmeister  betheiligten. 
Am  gleichen  Tag  beschloß  der  Bundesrath  ferner,  daß  mit  der  allgemeinen  Ein- 
führung des  metrischen  Systems  mit  Eröffnung  des  Schuljahres  1870  bei  der 
Schweiz.  Armee  in  allen  ihren  Dienstzweigen  begonnen  werden  solle  und  daß 
in  allen  Schulen  und  Wiederholungskursen  das  metrische  System  zu  erklären 
und  die  Mannschaft  in  der  Anwendung  desselben  zu  unterrichten  sei. 

In  den  Jahren  1871  bis  1874  folgten  die  Berathungen  über  die  Revision 
der  Bundesverfassung.  Die  neue  Bundesverfassung  vom  2i>.  Mai  1874,  welche 
am   11).  April   1874  vom  Volke  angenommen  wurde,  sagt  in  Art.  40: 

,Die  Festsetzung  von  Maß  und  Gewicht  i.st  Bundessache.  -  Die  Ausführung  der 
bezüplichon  (Jesetze  geschieht  durch  die  Kantone  unter  Aufsicht  des  Bundes.* 

Mit  der  Annahme  dieser  Verfassung  war  das  letzte  Hinderniß,  welches  einer 
ausschließlichen  Anwendung  des  metrischen  Systems  noch  im  Wege  stand,  weg- 
geräumt, und  es  wurden  sofort  die  njjthigen  Schritte  gethan,  um  dasselbe  allein 
gesetzlicli  einzufüliren.    Es  erschien  um  so  noth wendiger,  diese  Frage  bald  einer 


Maß  und  Gewicht  —      393     —  Maß  und  Gewicht 

endlichen  Losung   entgegenzuf  iihren ,   als   das  Nebenein  ander  bestehen  zweier  ver- 
schiedener Systeme  viele  Mißbränche  veranlaßt  hatte. 
Am  3.  Juli  1875  wurde  das  neue 

Bundesgesetz  über  Maß  und  Gewicht 

von  den  Käthen  angenommen,  und  da  das  Referendum  dagegen  nicht  ergriffen 
wurde,  vom  Bundesrath  am  22.  Oktober  iu  Kraft  und  mit  dem  1.  Januar  1877 
als  vollziehbar  erklärt.     Dasselbe  lautet: 

Art.  1.  Das  schweizerische  Maß-  und  Gewichtssystem  hat  den  Meter  zur  Grundlage. 

Art.  2.  Als  Urmaß  für  die  Längeneinheit  gilt  der  auf  der  eidgenössischen  Eichstätte 
deponirte,  durch  eine  Expertenkommission  von  schweizerischen  Gelehrten  in  den  Jahren 
1863  bis  1867  mit  den  Urmaßen  der  Archive  zu  Paris  verglichene  Meterstab  ä  bout  von 
Messing,  dessen  Endflächen  durch  ebene  Goldstilte  von  3,5  Millimeter  Durchmesser 
gebildet  werden.  Die  Distanz  zwischen  den  Mitten  der  Goldstifte  beträgt  bei  der  Tem- 
peratur des  schmelzenden  Eises  0,99999801  Meter :  die  lineare  Ausdehnung  für  1  Grad 
des  hunderttheiligen  Thermometers  ist  0,0000180870. 

Sobald  die  Schweiz  die  von  der  internationalen  Meterkommission  anzufertigende 
identisclie  Kopie  des  neuen  internationalen  Meterprot otj^js  (Strichm.aß)  erhalten  haben 
wird,  tritt  diese  an  die  Stelle  des  oben  beschriebenen  Urmaßes. 

Art.  3.  Das  Urniaß  für  das  Gewicht  (ebenfalls  durch  die  genannte  Kommission 
verglichen  und  auf  der  eidgenössischen  Eichstätte  de))onirt)  ist  ein  fein  polirter  Cy linder 
von  Platin.  Verglichen  mit  dem  Platinkilogramm  der  Archive  zu  Paris  ist  das  wahre 
Gewicht  dieses  Urmaßes  im  leeren  Raum  1000,00088  Gramm,  oder  es  ist  dasselbe  um 
0,88  Milligramme  schwerer  als  das  erstere.  Das  spezifische  Gewicht  dieses  Platinkilo- 
j^rammes  bei  0  Grad,  bezogen  auf  destillirtes  Wasser  von  4  Grad  des  hunderttheiligen 
Thermometers,  ist  20,5478,  die  kubische  Ausdehnung  desselben  für  1  Grad  0,0000:2580. 

Sobald  die  Srhweiz  die  von  der  internationalen  Meterkommission  zu  erstellende 
Kopie  des  internationalen  Kilogramms  erhält,  tritt  diese  an  die  Stelle  des  obigen  Ur- 
kilogramms. 

Art.  4.  Die  rein  metrischen,  in  der  Schweiz  gesetzlich  erlaubten  Maße  und  Gewichte 
sind  folgende: 

a.  Längenmaße.  Der  Meter.  Er  ist  die  Grundeinheit  des  ganzen  Systems. 
Seine  Länge  wird  durch  ein  von  der  internationalen  Meterkonimission  hergestelltes  und 
im  internationalen  Maß-  und  Gewichtsbureau  deponirtes  Prototyp  festgestellt.  Dasselbe 
ist  ein  Strichmeter  aus  Platin-Iridium,  welches  mit  sämmtlichen,  den  einzelnen  Ländern 
ausgelieferten  identischen  rrmaßen.  sowie  mit  dem  bisherigen  ,metre  des  archives"  in 
Paris  genau  verghchen  ist. 

Demnach  sind  «lie  Längenmaße :  1  Kilometer  1000  Meter,  1  Hektometer  100 
Meter,  1  Dekameter  10  Meter,  1  Meter  1  Meter,  1  Decimeter  \/ia  Meter,  1  (Zenti- 
meter        •  10.)  Meter.  1  Millimeter         V»""'  Meter. 

b.  Flächenmaße.  Der  Hektar  10,(KX)  Quadratmeter,  der  Ar-  100  Quadrat- 
meter, der  Quadratmeter         1  Quadrat  von  1  Meter  Seite. 

c.  Körpermaße,  i.  Enummaße.  Die  Einheit  ist  der  ."^ter.  Er  ist  gleich  einem 
Kubikmeter.  Die  Uaummaße  sind:  1  Dekaster  10  Kubikmeter,  1  Ster  1  Kubik- 
meter, 1  Decister         \i'»  Kubikmeter. 

//.  Hohlmaße  für  trockfiie  und  flüssige  Körper.  Die  Einheit  ist  der  Liter,  welcher 

einem  Rauminhalt  von  1  Kubikdecimeter  entspricht  und  genau  1  Kilogramm  destillirten 

VVaiSsers  bei  4'*  Celsius  enthält.   Folgendes  sind  die  Hohlmaße:  1  Kiloliter        lOtKj  Liter, 

1    Hektoliter         100  Liter,    1    Dekaliter         10  Liter.    1    Liter         1    Liter,    1    Deciliter 

Vi'>  Lit^r,  1  Centiliter         ^'iod  Liter,  1  Milliliter      -  Viooo  Liter. 

d.  Gewichte.  Die  Gewichtseinheit  ist  das  Gramm.  Dasselbe  ist  gleich  dem  Ge- 
wicht von  1  Kul>ikcentimeter  destillirten  Wassers  im  Zustand  seiner  größten  Dichtigkeit 
bei  4"  Celsius.  Die  Gewichte  sind:  1  Tonne  rO(M),0(K)  Gramm  l  1000  Kiloixramm), 
1  metrischer  Zentner  lOO.^HJO  Gramm  (  100  Kilogramm),  1  Myriagranmi  -  10,000 
Gramm  (  lo  Kilogramm),  1  Kilogramm  lOCX)  Gramm,  1  Hektogramm  100  Gramm, 
1  Dekagramm  10  Gramm.  1  Gramm  1  Gramm,  1  Decigramm  V»«  Gramm, 
1  Centigramm         V»""  Gramm,  1  Milligramm         Viofo  Gramm. 

Art.  5.  Die  Oberaufsicht  über  Ausfuhrung  und  Handhabung  der  Maß-  und  Gewichts- 
ordnung steht  bei  dem  Bundesratbe.  Er  veranstaltet  durch  die  eidgenössische  Eichstätte 
regelmäßige  und  in  vorkommenden  Fallen  besondere  Inspektionen  in  den  Kantonen, 
welche  jeweilen  in  einer  F*eriode  von  In  Jahren  die  ganze  Schweiz  umfassen  sollen. 


MaL>  und  (iewichl  —     a04     —  Mati  und  Gewicht 

Art.  6.  Der  Bundesrath  sorgt  dafür,  daß  in  der  eidgenössischen  EichstStte  die 
erforderlichen  Kopien  der  Urmaße  und  die  geeigneten  Hfll&instrumente  vorhanden  sind, 
um  damit  die  Normal-Probematie  und  Gewichte  der  schweizerischen  Eichstätten  möglichst 
genau  nach  den  Urmaßen  vergleiclien  und  veriiiziren  zu  können. 

Art.  7.  Der  Bundesrath  läßt  ferner  l>ehufs  möglichst  genauer  Uehereinstimmung 
der  Verkehrsma£>e  und  Gewichte  durch  die  eidgenössische  Eichstätte  den  Kantonen  gegen 
Vergütung  der  Erstellungskosten  die  erforderliche  Anzahl  von  Normal-  und  Gebrauchs- 
Probeinaßen  und  Gewichten  zustellen,  welche  m«Vlichst  genau  mit  den  Uriiiaßen  über- 
einstimmen sollen. 

Art.  8.  Die  direkte  Aufsicht  über  Maß  un<l  Gewicht  liegt  in  jedem  Kanton  der 
Regierung  ob.  Jede  Kantonsreirierung  l>ezeichnet  diejt»ni^'en  Behörden  und  Beamten, 
welchen  diese  Beaufsichtigung'  und  die  Kontrole  der  Verkehrsmaße  übertragen  ist.  Die 
Beamten  handeln  nach  einer  gemeinsamen,  vom  Bundesrathe  durch  Vermittlung  der 
Kantone  erlassenen  Instruktion.  Die  Regierung  überwacht  deren  Beobachtung,  bestimmt 
die  Zahl  der  Eichstätten,  wählt  sachkundige  Eichmeister,  welche  beeidigt  werden,  und 
sorgt  dafür,  daß  wenigstens  alle  drei  .lahre  eine  allgemeine  Nachschau  abgehalten  werde, 
für  welche  die  Eichmeister  ein  von  der  Regierung  bestimmtes  Taggeld  erhalten. 

Für  die  amtliche  Stempelung  von  Maßen,  Gewichten  und  Waagen  beziehen  die 
Eichmeister  die  in  der  Eichmeisleranleitung  festgesetzten  Gebühren. 

Kantone,  in  welchen  der  Amtsei<l  nicht  mehr  in  Hebung  ist,  verhalten  ihre  Eich- 
meister zur  Pllichterfüllung  nach  den  Bestimmungen  ihrer  eigenen  Gesetzgebung. 

Art.  9.  Die  Regierungen  der  Kantone  haben  mit  möglichster  Strenge  darauf  zu 
achten,  daß  im  Verkehr  keine  andern,  als  mit  diesem  Gesetze  und  mit  dessen  Voll- 
ziehungsverordnung übereinstimmende  geeichte  Maße  und  Gewichte  und  nur  solche 
Waagen  gebraucht  werden,  welclie  gehörig  gestempelt  sind. 

Art.  10.  Sie  sorgen  ferner  dafür,  daß  für  Materialien,  wie  Torf,  Holzkohle.  Kalk. 
Gyps  u.  s.  w..  welche  nach  dem  Maße  verkauft  werden  w«>llen,  so  weit  thunlich,  in  den 
verschiedenen  Gemeinden  die  zur  Messung  erforderlichen  geeigneten  Kubik-  und  Hohl- 
maße dem  Publikum  zur  Verfügung  stehen,  und  daß  beeidigte  oder  sonst  in  Pflicht 
genommene  Personen  bestellt  werden,  welche  gegen  eine  l.testimmte  Gebühr  diese  Messung 
vornehmen. 

Die  gleiche  Bestimmung  gilt  auch  für  die  bereits  vorhandenen  oder  erst  noch  zu 
errichtenden  Sinnanstulten  zum  Eichen  der  Fasser  und  dergleichen. 

Das  Brennholz  soll,  besondere  Vereinbarung  vorbehalten,  eine  S<beiterl5nge  von 
einem  Meter  baben.  Für  den  Verkauf  desselben  auf  Molzlegplätzen  und  in  Magazinen 
sind  besondere  Meßralunen  erlbnlerlidi,  übpr  deren  (irftUe  und  Konstruktion  die  Voll- 
ziehungsverordnung  die  nabern  Aufschlüsse  ertheilt. 

Art.  II.  Die  Gas-  und  Wa-sormesser  (Gas-  und  Wasserulnen)  sollen  den  Verbrauch 
an  Leuchtgas  und  Wasser  in  Kubikmetern  angeben  un<i  geeicht  sein.  Der  Bundesrath 
wird  den  Zeitpunkt  des  Beginnes  «1er  Eiclmng  bestimmen  unti  bekannt  machen. 

Art.  V2.  In  den  Apntheken  sollen  in  Zukunft  ans<chliel.'.lich  tlie  Maße  und  Gewichte 
des  metri-cben  Sy>tems  zur  Anwendung  kommen. 

Art.  1I{.  Die  von  irgend  einer  sr bweizerischen  Eichstälte  nach  den  Vorschriften 
der  Vüllziehun;rsverordnnng  vorgenommene  amtiiclie  Eichung  und  Stempelung  von 
Maßen,  Gewiciiten  und  Waajren  hat  in  allen  Kantonen  -  nachgewiesene  Unri<'hligkeit 
vorbelialten  —  gesetzliche  Gülli|;keit. 

Art.  lt.  hl  neuen  V<;rlrä^:en  dürfen  Angaben  über  Malö  und  Gewicht  nur  nach 
den  Beslimnnuigen  des  gegenwiii  tij^en  Gesetzes  gemacht  werden. 

Art.  ir>.  Wer  im  Verkehr  un^reei«hte  oder  unb(^zeichnete  Malie.  Gewi«-hte  und 
Waagen  gebraucht,  verfällt,  wenn  der  Fall  ni<-ht  durch  wissentliche  Täuschun}.'  und 
Schä.iigun^'  als  Betrug  erscheint,  in  eine  Bul.ie  von  zwei  bis  zwanzig  Franken. 

Art.  Iß,  Der  Gebrauch  geei«*hler  nml  l»ezeichneter,  aber  unrichtiger  Maße  und 
Gewichte.  insr)fern  die  Ueborfretunir  nicht  ein  schwerer  zu  bestrafende^  Vergehen  enthalt, 
ist  mit  einer  Bul/ie  von  zwei  bis  vierzig:  Franken  zu  bele^'en.  Rückfall  wir<l  als  wesent- 
licher Krschwernngsj.'rund  angesehen  und  behan«lolt.  Kann  bewiesen  werden,  daß  die 
Unrichti;:keit  einzig  der  S«'hul«l  des  Kichnieisters  beizumessen  ist.  <o  ist  nur  der  Letzlere 
zu  be-trafen. 

I'eberdies  sollen  Mähe.  (Jewichte  und  Waa^:en.  \vel<"lu'  diesem  Gesetze  uuil  dessen 
Vollziehnng-veronlnun^"^  nicht  ent>*j)rechen.  weini  sie  im  Verkehre  gebraucht  werden 
-olllen.  auf  Kdsten  de^  Fjgenlhümers  berichtiget  <Mler.  wo  diese«;  nicht  geschehen  kann, 
konli-'zirt  und  der  zu<tän<lij!en  Behörde  abi.'elieterl  werden. 


MaÜ  und  Gewicht  —      395     —  Mali  und  Gewicht 

Art.  17.  Die  Uebertretungen  des  Gesetzes  werden  durch  die  zuständigen  kantonalen 
Behörden  bestraft. 

Art.  18.  Die  Buße  fällt  demjenigen  Kanton  zu,  in  dessen  Gebiet  die  Uebertretung 
stiittgefunden  und  die  Untersuchung  gewaltet  hat. 

Art.  19.  Die  durch  gegenwärtiges  Gesetz  aufgestellte  Maß-  und  (rewichtsordnung 
soll  unter  Vorbehalt  der  Bestimmungen  des  Art.  89  der  Bundesverfassung  am  1 .  Jänner 
1877  im  ganzen  Gebiet  der  schweizerischen  Eidgenossenschaft  eingeführt  und  in  Wirk- 
samkeit sein. 

Art.  20.  Von  diesem  Zeitpunkte  an  sind  aufgehoben:  a.  das  Bundesgesetz  vom 
23.  Chru^tmonat  1851  (III,  84);  b.  das  Bundesgesetz  vom  14.  Heumonat  1868  (IX,  368) 
betreffend  Abänderung  desjenigen  über  die  Maß-  und  Gewichtsordnung  vom  23.  Christ- 
monat 1851. 

Art.  21.  Der  Bundesrath  ist  mit  der  Bekanntmachung  dieses  Gesetzes,  sowie  mit 
Erlassung  aller  für  die  Vollziehung  desselben  erforderlichen  Verordnungen  und  Regle- 
mente  beauftragt,  welche  die  Verhältnißangaben  der  bisherigen  Maße  und  Gewichte  mit 
den  metrischen  und  die  nöthigen  Bestimmungen  über  Organisation  des  Maß-  und  Ge- 
wichtswesens, Zahl,  Kontrole  und  Zulässigkeit  der  verschiedenen  Arten  von  Normal-  und 
Verkehrsmaßen,  Gewichten  und  Waagen  zu  enthalten  haben. 

Spezielle  Verordnungen  über  den  Verkauf  der  Lebensmittel,  Brennmaterialien  etc. 
werden  dagegen  von  den  Kantonsregierungen  erlassen. 

Mass  und  Gewicht  seit  1875/77. 

(K«.-iii«'<*  iiu-rriKche«  System  l.iut  Hundi'KpffHi'tz  von  IS7.'» ;  Vollzioliuiiffsverordiiuiiur  Ihl'».  Aiiloitnuu  fiir  ili»* 
KichinoidUT  l'ST.'i.  Aiiitlioh«>  HiMluktionsttibolIo  iSTit.  Jii!»tniktion  für  (lii.>  Plü-hniitf  von  (lasiiic^Horii.  Zweiter 
J'licliTHoi*«t«*rk«rs  IKTt'».  ZwiMflieiimiisur»  l.**7**.  Oftiziolle  nbK*'kilr/.t(' IlpzeielnuiiiK«^*!!  l-SM».  Verordiiunpt  botrctteml 
jUp  Kii'huiii;  von  Mo^Hnppaniteii  fUr  Petroleum  ete.  \HS'i.  Ihi^truktion  iilx-r  «lie  Prüfung;  und  Stompeliiiiir 
von  Waa^^oii  Iss-J.  Ver)>t>t  der  Kiehnnfr  alter  (iewichte  1SN4.  luiftnikticm  betrettend  die  Kicliuntf  von  Zeitfer- 
\vanK<'ii  i»  Käsereien  etc.  l^Hö.     I*rä/isionxK'*wiehle  untl  -Wuaj^en.     Finanzen.) 

Durch  die  Annahme  dieses  Gresetzes  war  endlich  die  Schweiz  im  Maß- 
und  Gewichtswesen  wieder  so  weit  gekommen,  als  sie  im  Jahre  1801  gewesen 
wäre,   wenn  das  Gesetz  vom  4.   Augnst    1801    wirklich  Kraft  erhalten  hätte. 

Die  Vollziehungsverordnung  über  Maß  und  Gewicht  vom  22.  Okt. 
1875  setzt  im  Abschnitt  I  die  Funktionen  der  eidg.  Eichstätte,  in  Abschnitt  II 
diejenigen  der  Eichstätten  in  den  Kantonen  fe^st,  enthält  in  Abschnitt  III  und  IV 
die  nöthigen  Vorschriften  über  Form,  Material,  Fehlergrenzen  etc.  der  Kopien 
der  Urraaße,  der  Kontrol-Normalmaße  und  der  Probemaße  der  Schweiz.  Eich- 
stätten, sowie  über  die  zur  Ausrüstung  der  Eichstiitten  erforderlichen  Gegenstände. 

Die  Probemaße  der  Eichstätten  zerfallen  in  Gebrauchsprobemuße^  welche 
bei  der  Justirung  der  gewöhnlichen  Verkehrsmaße  verwendet  werden  und  in 
Sormalprobemal.k',  welche  zur  Kontrole  der  erstem  dienen  sollen. 

Im  V.  Abschnitt  sind  die  Vorschriften  über  die  im  öffentlichen  Verkehr 
geltenden  und  zur   Eichung  zuzulassenden  Maße  und  Gewichte  enthalten. 

Eichfähige  LätKjenmaße  sind  Maße  von  20,  10,  f),  2,  1  m,  5,  2  und 
1  dm,  wobei  Charniermeßstäbe,  Meßbänder  (mit  Ausnahme  der  metallenen),  über- 
haupt Maße,  deren  Uxwg^.  bei  längerem  Gebrauch  oder  zufolge  Dehnbarkeit  nicht 
konstant  bleibt,   von  der  Eichung  ausgeschlossen  sind. 

Als  Hohlmaße  für  trockene  Körper  werden  eichfähig  erklärt  Maße  von 
100,  50,  20,  10,  f),  2,  1  1,  5,  2  und  1  dl,  welche  aus  Blech  oder  Holz  an- 
gefertigt sein   können  und  eine   Höhe  gleich  dem  Durchmesser  haben. 

Dieselben  Maßgrößen  werden  auch  bei  den  Flüsfit'f/keitsmaßen  adoptirt, 
wobei  Gel-  und  Milclimaße  ebenfalls  einen  Durchmesser  gleich  der  Höhe,  Maßt- 
für  Wein,  Alkohol,  ätherische  Oele  etc.  einen  Durchmetsser  gleich  der  halben 
Höhe  erhalten.  Fässer,  Brenten  etc.  sind  nicht  an  die  oben  erwähnten  Maßgrößeii 
gebunden,  doch  sollen  di»3  Brenten  etc.  eine  durch  5  theilbare  Anzahl  von  Litern 
enthalten.  Glasflaschen  und  Gläser  sind  nur  eichfähig,  wenn  die  den  Inhalt  be- 
grenzende Marke  wenigstens  3,  resp.    1   cm  unter  die  Octtnung  fällt. 


Maß  und  Gewicht  —     39<]      —  Maß  und  Gewicht 

Die  Eichung  der  gläsernen  Flüssigkeitsmaße  wird  im  Allgemeinen  auch 
'  den  Eichmeistern  Uhertragen.  Die  gesetzlich  gestatteten  Gewichts  großen  sind 
solche  von  50,  20,  10,  5,  2,  1  kg,  500,  200,  100,  50,  20,  10,  5,  2,  1  g 
u.  8.  w.  bis  zum  Milligramm.  Der  Grebrauch  älterer  Gewichte  mit  Pfundbezeichnung, 
welche  den  neuen  Gewichten  in  Größe  und  Form  entsprechen,  wurde  ebenfalls 
noch  gestattet. 

Im  YL  Abschnitt  werden  die  wichtigsten  Bedingungen,  welche  die  Verkehrs- 
waagen erfüllen  sollen,  erlassen,  wobei  als  eichfähig  angesehen  werden:  Die 
gleicharmige  uuterschalige  Balkenwaage,  die  oberschalige  Waage,  die  Komaine 
und  die  Dezimal-  und  (^entesimalwaage. 

Am  27.  Dez.  1875  erließ  der  Bundesrath  ferner  eine 

Anleitung  für  die  Schweiz.  Eichmeister,  welche  diesen  Beamten 
nicht  bloß  Anleitung  gibt,  wie  sie  bei  der  Kontrole  und  Justirung  der  Verkehrs- 
maße zu  verfahren  haben,  sondern  in  welcher  weitere  Vorschriften  über  die  Art 
und  Weise  der  Stempelung,  über  Material  der  Verkehrsmaße  etc.  und  außerdem 
den  Gebührentarif  enthält  (der  letztere  wurde  im  Jahre  1877  einer  Kevision 
unterworfen).    Im  Jahre  1870  erschien  eine 

Amtliche  Reduktionstabelle  zur  Umrechnung  der  bisherigen  Schweiz. 
Maße  und  Gewichte  in  neue  {metrische)  und  umgekehrt  und  femer  wurde  am 
11.  Sept.   1876  eine 

Instruktion  für  die  Eichung  von  Gasmessern  erlassen,  in  welcher 
die  nöthigen  Vorschriften  über  die  Einrichtung  der  bezüglichen  Eichstätten,  die 
Anforderungen,  welche  an  Gasmesser  zu  stellen  sind  und  endlich  die  Art  und 
Weise  der  Prüfung  derselben  enthalten  sind.  Bisher  waren  an  den  meisten  Orten, 
namentlich  der  deutschen  Schweiz,  Gasmesser  verwendet  worden,  welche  die  An- 
gabe des  verbrauchten  Gases  nach  englischen  Eiibikfuß  registrirten.  Durch  diese 
Instruktion  wurde  eine  Frist  bis  Ende  1878  gesetzt,  bis  zu  welchem  Zeitpunkt 
sämmtliche  Gasmesser  in  der  Schweiz  auf  metrisches  Maß  eingerichtet  und  ge- 
wicht sein  KoUten. 

Um  die  Eichmeister  mit  den  neuen  Vorschriften  genauer  bekannt  zu  machen, 
wurde  im  Juli   1870  ein  zweiter 

Eichmeisterkurs  abgehalten  und  ferner  wurde  mit  der  Anfertigung  und 
Justirung  der  Probemaße  begonnen  und  diese  bedeutende  Arbeit  im  Frühling  1877 
beendigt.  Die  Kantone  wurden  eingeladen,  die  noch  nöthigen  Vorschriften,  speziell 
über  Lebensmittel  und  Brennmaterialien  zu  erlasj^en  und  so  war  es  möglich,  am 
1.  Januar  1877   die  neue  Maß-  und  Gewichtsordnung  in  Kraft  treten  zu  lassen. 

Am  20.  Januar  1877  forderte  der  Bundesrath  die  Kantonsregierungen  auf, 
ohne  Verzug  eine  erste  Nachschau  durch  die  betreffenden  Beamten  abhalten 
zu  lassen,  um  so  dem  verkehrtreibendeu  Publikum  zu  zeigen,  daß  die  neue  Maß- 
und  Gewichtsordnung  wirklich  zu  Kraft  bestehe  und  gehandhabt  werden  solle. 

Inzwischen  war  aufs  Neue  die  Frage  der  Zulassung  von  Zwischenmaßen 
zwischen  2  und  5  dl  wieder  aufgetaucht;  am  11.  Dez.  1870  lehnte  der  Stande- 
rath  eine  Motion  um  Zulassung  des  7^  1  und  am  14.  Dez.  der  Nationalrath  eine 
solche  um  Zulassung  des  3  dl  ab.  Damit  war  aber  diese  Frage  noch  nicht  er- 
ledigt, indem  der  schweiz.  Bierbrauerverein  eine  Petition  an  die  h.  Bundes- 
versammlung einreichte,  durch  welche  solche  Zwischenmaße  gewünscht  wurden. 
Der  Bundesrath  wies  in  seiner  Botschaft  vom  10.  Juni  1877  darauf  hin,  daß 
nach  Art.  21  des  Bundesgesetzes  die  Frage  der  Zulässigkeit  von  Verkehrsmaßen 
seinem  Ent.scheid  überlassen  sei.   Eine  bezügliche  Anfrage  an  die  Kantonsregierungon 


Maß  und  Gewicht  —     397     —  Maß  und  GewicliL 

ergab   ferner,    daß   die  Mehrzahl    derselben   keine   anderen  Hohlmaße  einführen 

wollte.    Trotzdem  beschloß  die  Bundesversammlung  am  21.  Dez.   1877: 

,Der  Bundesrath  ist  eingeladen,  den  Art.  19  der  Vollziehungsverordnung  über 
Maß  und  Gewicht  vom  22.  Okt.  1875  mit  thunlicher  Beförderung  in  dem  Sinne  abzu- 
ändern, daß  beim  Detailverkauf  als  Flössigkeitsmaß  vom  Liter  abw^ärts  5,  4,  3,  2,  1  dl 
gestcittet  wird". 

Der  Bundesrath  kam  dieser  Einladung  nach  und  erließ  am  8.  Januar  1878 
eine  Verordnung  über  die  Einführung  des  4  und  3  Dezilitermaßes,  wonach 
diese  beiden  Maße  für  alle  Flüssigkeiten  gestattet  wurden.  Die  Erstellung  und 
Justirung  der  nöthigen  Gebrauchsprobemaße  wurde  sofort  an  die  Hand  genommen. 

Am  30.  Sept.  1879  beschloß  der  Bundesrath,  daß  auch  die  Maße,  Gewichte 
und  Waagen,  welche  in  den  Fabriken  verwendet  werden,  den  allgemeinen  Vor- 
schriften über  Verkehrsmaße  unterworfen  seien,  mit  Ausnahme  derjenigen  Maße  etc, 
welche  nur  für  die  Fabrikation  selbst  dienen. 

Am  1.  Juni  1880  wurden  vom  Bundesrath  offizielle  abgekürzte  Be- 
zeichnungen eingeführt,  und  zwar  (mit  geringen  Modifikationen)  diejenigen, 
welche  er  selbst  im  Jahre  1879  dem  Comite  international  des  poids  et  mesures 
vorgeschlagen  hatte. 

Am   16.  Januar  1883  wurde  eine 

Verordnung  betreffend  die  Eichunf]  von  MefJapparaten  für  Petroleum 
und  andere  leicht flüchilf/e  FUlssigheiten  erlassen  und  am  4.  Januar  1884  eine 
ausführliche 

Instruktion  über  die  Prilfang  und  Stempelung  von  Waof/en^  welche 
namentlich  den  Zweck  hatte,  dem  Ueberhandnehmen  schlechterer  Verkehrs waagen 
(namentlich  aus  dem  Ausland  eingeführte)  zu  steuern  und  durch  welche  die  Eich- 
meister auch  mit  der  Konstruktion  der  Waagen  vertraut  gemacht  werden  sollen. 

Durch  Beschluß  vom  12.  Dez.  1884  wurde  vom  1.  Januar  1885  an 
die  Eichung  aller  Gewichte  mit  der  Bezeichnung  nach  Pfund,  welche  bisher  noch 
im  Verkehr  zulässig  waren ,  untersagt  und  ebenso  die  Eichung  von  Dezimal- 
gewichten, welche  nie  gesetzlich  eingeführt  und  obschon  absolut  unnöthig,  doch 
nach  und  nach  sich  verbreitet  hatten.  Es  wird  aber  nicht  lange  mehr  gehen, 
bis  alle  alten  Gewichte  und  damit  überhaupt  alle  alten  Maße  aus  dem  öffentlichen 
Verkehr  verschwunden  sein  werden. 

Endlich  wurde  am  17.  Nov.  1885  eine 

Instruktion  betreffend  die  Eichung  von  Zeigerwaagen  für  den  Milch- 
verkehr  in  Käsereien,  Sennereien  und  ähnlichen  Anstalten  erlassen.  Durch 
dieselbe  werden  zwei  Systeme  von  Zeigerwaagen  in  Zukunft  gesetzlich  gestattet, 
wenn  sie  gewisse  Bedingungen  erfüllen,  welche  denjenigen  entsprechen,  welche 
an  die  Komainen  gestellt  werden. 

Die  hievor  erwähnten  Verordnungen,  Instruktionen  etc.  setzen  den  fähigen 
Eichmeister  in  Stand,  sich  in  allen  Fragen  des  Maß-  und  Gewichts wesens  zu 
Orientiren.  Nur  in  einem  Punkte  sind  die  Reglemente  noch  lückenhaft,  nämlich 
in  Beziehung  auf  die  sog.  Präeisionsgewichte  und  PräzisionswacyjeUy  welche  im 
Verkehr  mit  edlen  Metallen  und  in  den  Apotheken  gebraucht  werden.  Eine  be- 
zügliche Verordnung  wurde  zwar  auch  entworfen,  es  zeigten  sich  aber  bei  einer 
Schlußberathung  erhebliche  Divergenzen  zwischen  den  Vertretern  der  Pharmazie 
und  den  Maß-  und  Gewichtsbehörden,  welche  nicht  gehoben  werden  konnten. 
Früher  oder  später  wird  aber  auch  diese  Lücke  ausgefüllt  werden  müssen.  Ebenso 
ist  die  in  Art.  11  des  Bundesgesetzes  schon  vorgesehene  Eichung  der  Wasser- 
messer, weil  noch  kein  eigentliches  Bedürfniß  vorlag,  und  weil  die  Verhältnisse 


Mati  iiD<l  Gewicht  _      398     —  Bfaß  und  Gewicht 

unserer  städtischen   Wasserversorgungen    sehr  verschieden    sind,    noch  nicht  ein- 
geführt. 

Die  in  den  Jahren  1878  bis  1886  abgehaltenen  eidg.  Inspektionen, 
welche  sämmtliche  Kantone  umfaßten,  haben  ergeben,  daß  das  neue  Maß-  und 
Gewichtsystem  sich  nach  und  nach  einlebt.  Während  in  den  ersten  Jahren  noch 
häufig  alte  Maße  und  Gewichte  im  Verkehr  anzutretfen  waren,  verschwinden 
dieselben  mehr  nnd  mehr  und  auch  im  Publikum  sieht  man  die  Vortheile  der 
neuen  Ordnung  immer  mehr  ein.  Am  schlimmsten  ist  es  noch  in  vielen  Kantonen 
mit  dem  Handel  mit  Brennfiofs,  hie  und  da  auch  mit  Torf  und  Heu,  wo  noch 
häufig  alte  Maße  gebraucht  werden.  Doch  sind  da  auch  mit  jedem  Jahre  neue 
Fortschritte  zu  verzeichnen  und  lassen  die  Bundesbehörden  es  sich  angelegen  sein, 
den  noch  vorkommenden  Mängeln  abzuhelfen. 

Blicken  wir  zurück  auf  die  frühem  Zustände  im  Maß-  und  Gewichtswesen, 
HO  dürfen  wir  uns  glücklich  schätzen,  daß  die  Zeit  gekommen  ist,  wo  keinerlei 
eingreifende  Veränderungen  mehr  zu  erwarten  sind,  weil  unsere  jetzigen  Maße 
und  Gewichte  bald  in  allen  zivilisirten  Staaten  Geltung  haben  werden. 

Das  metrische  System  ist  nämlich  allein  gesetzlich  gültig  in  den  euro- 
päischen Staaten :  Belgien,  Deutschland,  Frankreich,  Italien,  Norwegen,  Oesterreich- 
Ungarn,  Portugal,  Rumänien,  Schweiz,  Serbien  und  Spanien,  ferner  in  den  ameri- 
kanischen Staaten:  Argentinien,  Peru  und  Venezuela.  Fakultativ  ist  dasselbe  in 
Großbritannien  und  Irland,  Schweden,  Türkei,  ferner  in  den  Vereinigten  Staaten 
von  Nordamerika,  während  Dänemark,  Rußland  und  Japan,  welche  ebenfalls  der 
internationalen  Meter-Konvention  vom  20.  Mai  1875  beigetreten  sind,  den  Meter 
noch  nicht  eingeführt  haben.  Ihre  Adhäsion  an  diese  Konvention  läßt  aber 
wenigstens  erwarten,  daß  auch  in  diesen  Staaten  das  metrische  System  in  nicht 
allzu  ferner  Zeit  sich  einbürgern  wird. 

Zum  Schlüsse  mag  noch  erwähnt  werden,  welche  finanziellen  Lei- 
stungen den  Kantonen  bei  der  Adoptirung  des  neuen  Maß-  und  Gewichtsystems 
oblagen.  Die  Kosten  für  die  Anschaffung  der  Probemaße  betragen  für  die  Nurmal- 
probemaße  Fr.  300,  für  die  Gebrauchsprobemaße  Fr.  7yO,  zusammen  Fr.  1090. 
Da  die  Zahl  der  Eichstätten  der  Schweiz  sich  auf  149  beläuft,  so  betrugen  die 
Gesammtkosten,  welche  in  den  Jahren  1870  bis  1878  von  den  Kantonen  zu  be- 
streiten waren,  rund  Fr.  150,000.  In  diesen  Kosten  sind  die  Preise  der  Waagen 
und  übrigen  Geräthschaften  der  Eichstätten  nicht  inbegriffen  und  kommen  bei 
einer  Umänderung  auch  nicht  in  Betracht.  Nimmt  man  dazu  die  Kosten  für  Nen- 
anschafi'ung  von  Verkehrsmaßen  aller  Art,  deren  Betrag  sich  jeder  Berechnung 
entzieht,  so  sieht  man,  daß  eine  Umänderung  eines  Maß-  und  Gewichtsystems 
auch  bedeutende  finanzielle  Opfer  fordert. 

Resume  der  gegenwärtig  (Mitte  1887)  in  Kraft  bestehenden 

Gesetze,  Verordnungen  etc. 

1)  Reglement  vom  25.  Sept.  1867  über  die  Organisation  und  Verwaltung 
der  eidg.  Eichstätte  (A.  S.  9,  p.  182). 

2)  Bundesgesetz  vom  3.  Juli  1875  über  Maß  und  Gewicht  (A.  S.  n.  F.  1, 
l>.  752). 

3)  Vollziehungsverordnung  vom  22.  Okt.  1875  über  Maß  und  Gewicht 
(A.  S.  n.  F.  1,  p.  761);  Abänderung  des  Art.  23  (Eichung  der  Gläser  von 
2  dl)    (A.  S.  n.  F.   2,    p.  506);    Abänderung   des   Art,   26    (betr.    alte  Pfund- 


Maß  und  Gewicht  —     399      —  Maß  und  Gewicht 

gewichte  etc)  (A.  S.  n.  F.  3,  p.  761)  5  Aufhebung  des  Art.  24  (Probeflaschen) 
(A.  S.  n.  F.  *J,  p.  288). 

4)  Anleitung  für  die  schweizerischen  Eichmeister,  vom  27.  Dez.  1875  (A.  S. 
n.  F.  1,  p.  822);  Abänderung  von  Art.  24  (Tarif  für  die  Eichgebühren)  (A.  S. 
n.  F.  3,  p.  146). 

5)  Bundesrathsbeschluß  vom  25.  Aug.  1876  betr.  Zusatzbestimmungen  zur 
Vollziehungs Verordnung  über  Maß  und  Gewicht  (Postgewichte)  (A.  S.  n.  F.  2, 
p.  485). 

6)  Instruktion  vom  11,  Sept.  1876  für  die  Eichung  von  Gasmessern 
(B.-Bl.  1876,  Bd.  3,  p.  545). 

7)  Verordnung  vom  8.  Jan.  1878  betr.  die  Einführung  des  Vier-  und 
Drei-Dezilitermaßes  (A.  S.  n.  F.  3,  p.  295). 

8)  Bundesrathsbeschluß  vom  30.  Sept.  1879  betr.  Maße,  Gewichte  und 
Waagen,  welche  iu  Fabriken  verwendet  werden  (A.  S.  n.  F.  4,  p.  345). 

9)  Bundesrathsbeschluß  vom  1.  Juni  1880  betr.  die  Abkürzung  für  die 
Maß-  und  Gewichtsbezeichnungen  (A,  S.  n.  F.  V,  p.  89). 

10)  Verordnung  vom  16.  Jan,  1883  betr.  die  Eichung  von  Meßapparaten 
für  Petroleum  und  andere  leichtflüchtige  Flüssigkeiten  (A.  S.  n.  F.  7,  p.  1). 

11)  Instruktion  vom  4.  Jan.  1884  zu  den  Art.  30 — 35  der  Vollziehungs- 
verordnung über  Maß  und  Gewicht  und  zum  Art.  19  der  Anleitung  für  die 
schweizerischen  Eichmeister,  die  Prüfung  und  Stempelung  der  Waagen  betreffend 
(A.  S.  n.  F.  7,  p.  329). 

12)  Instruktion  vom  17.  Nov.  1885  betr.  die  Eichung  von  2jeigerwaagen 
für  den  Milchverkehr  in  Käsereien,  Sennereien  und  ähnlichen  Anstalten  (A.  S. 
n.  F.  8,  p.  333). 

13)  Meterkonvention,  internationale,  vom  20.  Mai  1875  (A.  S.  n.  F.  II,  3). 

Vergleichung  der  schweizerischen  Maße  und  Gewichte  von 

1835/38—1868/77  mit  den  metrischen. 

Längenmaße.  1  Ruthe  =  10  Fuß  zt:=  3  Meter  =  7*0  Dekameter; 
1  Fuß  =  10  Zoll  =  30  Centimeter  =  300  Millimeter;  1  Zoll  =  10  Linien 
=  3  Centimeter  =  30  Millimeter;  1  Linie  =  10  Punkte  =  3  Millimeter; 
1  Punkt  oder  Strich  =  7io  Millimeter;  1  Klafter  =  6  Fuß  =  l^/io  Meter 
=  180  Centimeter;  1  Elle  =  2  Fuß  =  «/lo  Meter  =  60  Centimeter;  1  Stab 
=  2  Ellen  ==  4  Fuß  =  l^io  Meter  =  120  Centimeter;  1  Wegstunde 
=  16,000  Fuß  =  4800  Meter. 

Flächenmaße.  1  Juchart  =  400  Quadratruthen  =  40,000  Quadratfuß 
==  3600  Quadratmeter  =  36  Are;  1  Quadratruthe  r=  100  Quadratfuß  =  9 
Quadratmeter  =  7ico  Ar;  1  Quadratklafter  =36  Quadratfuß  =  3^25  Quadrat- 
meter; 1  Quadratfuß  r=  100  Quadratzoll  =  7ioo  Quadratmeter  =  900  Quadrat- 
centimeter;  1  Quadratstunde  (geogr.  Flächenmaß)  ==  6400  Jucharten  =  2304 
Hektare. 

Körpermaße,  a,  Baummaße,  1  Kubikruthe  =  1000  Kubikfuß  =  27 
Kubikmeter  (Stere)  oder  27,000  Kubikdecimeter ;  1  Kubikklafter  —  216  Kubik- 
fuß =  58^71000  Kubikmeter  oder  5832  Kubikdecimeter;  1  Kubikfuß  oder  1000 
Kubikzoll  =  *7iooo  Kubikmeter  oder  27  Kubikdecimeter. 

6.  Hohlmaße  ßr  trockene  Körper,  1  Malter  =10  Sester  (Maß  oder 
Viertel)  =r=  172  Hektoliter  oder  150  Liter;  1  Sester  =  10  Immi  =15  Liter; 
V2  Sester  =  5  Immi  =  77«  Liter;   7*  Sester  (Vierling)  =  27«  Immi  =  374 


Maß  und  Gewicht  —     400      —  '       Maß  und  Gewicht 

Liter;  1  Imrai  =  Yio  Seater  =  172  Liter;  V2  Ininp  =  y^o  Sester  =  ®/4  Liter; 
1  Mäßlein  =-=   "/le  Sester  r^   '^le  Liter. 

c.  Hohlmaße  für  Flilssif/ketlcn,  1  Saum  =  100  Maaß  =150  Liter; 
1  Eimer  (Brente)  =  25  Maaß  =  3772  Liter;  1  Maaß  =  Vioo  Saum  =  IV«- 
Liter ;  1  Halbmaaß  (Flasche)  =  7*  Liter ;  1  Viertelmaaß  (Schoppen)  =  '^/s  Liter ; 
1  Halbschoppen  =  ^/la  Liter. 

Gewichte.  1  Zentner  =  100  Pfund  =  50  Kilogramm;  1  Pfund  =  32 
Loth  =  500  Gramm;  1  Halbpfund  =  IG  Loth  =  250  Gramm;  1  Viertel- 
pfund  =  8  Loth  =125  Gramm;  1  Achtelpfund  =  4  Loth  =  6273  Gramm; 
1  Unze  ^^  2  Loth  =  317*  Gramm;  1  Loth  rrr^  4  Quintchen  =  15*/8  oder 
15,625  Gramm;   1   Uuintchen    —  8^^/32  oder  3906 7*  Milligramm. 

Vergleichung  der  metrischen  Maße  und  Gewichte  mit  den 
schweizerischen  Maßen  und  Gewichten  von  1835/38  — 1868/77. 

Längenmaße.  1  Meter  oder  1000  Millimeter  =  378  Fuß;  1  Decimeter 
oder  100  Millimeter  -^  3^^  Zoll;  1  Centimeter  oder  10  Millimeter  =  37»  Linie; 
1  Millimeter  =  373  Strich;  1  Dekameter  =  10  Meter  =  3378  Faß;  1  Hekto- 
meter  =  100  Meter  =  33373  Fuß  —■  748  Stunde;  1  Kilometer  z=  1000  Meter 
=  333373  Fuß  =  724  Stunde;  1  Myriameter  =  10,000  Meter  =  33,3337s 
Fuß  =  2712  Stunden. 

Flächenmaße.  1  Hektar  =r^  100  Are  ==  10,000  Quadratmeter  =:  27» 
Juchart  =  1111 79  Quadratruthen  =  111,11179  Quadratfuß;  1  Ar  =  100 
Quadratmeter  =  7»«  Juchart  =  1 1 7»  Quadratruthen  =  1 1 1 1 79  Quadratfuß ; 
1   Quadratmeter  =  11 7o  Quadratfuß  =  1111 79  Quadratzoll. 

Körpermaße.  1  Kubikmeter  (Ster)  r=  10  Hektoliter  =:  37727  Kubik- 
fuß;  1  Hektoliter  oder  100  Liter  =  6673  Maaß;  1  Halbhektoliter  oder  50 
Liter  =  3373  Maaß;  1  Doppeldekaliter  oder  20  Liter  —  13 73  Maaß;  1  Deka- 
liter  oder  10  Liter  —  67»  Maaß;  1  Halbdekaliter  oder  5  Liter  ::-=  37.3  Maaß; 
1  Doppelliter  oder  2  Liter  =  1 73  Maaß;  1  Liter  =  73  Maaß;  1  Halbliter 
=   7»  Maaß;    1  Doppeldeci liter  =  71»  Schoppen;    1  Deciliter  =  7^^  Schoppen; 

1  Halbdecilittr  ^^  7i5  Schoppen;  1  Doppelcentiliter  -^  ^/ib  Schoppen;  1  Centi- 
liter  =  ^/ib  Schoppen  ;  4  Kubikmeter  (Brennholzmaß)  =  148727  Kubikfuß ; 
3  Kubikmeter  r-^-  III727  (79)   Kubikfuß;    2  Kubikmeter  =  74727  Kubikfuß. 

Gewichte.  1  Kilogramm  oder  1000  Gramm  ::=  2  Pfund  oder  64  Loth; 
72  Kilogramm  (oder  5  Hektogramm)  oder  500  Gramm  =  1  Pfund  oder  32 
Loth;  2  Hektogramm  oder  200  Gramm  =  ^/b  Plund  oder  127^  Loth;  1  Hekto- 
gramm oder  100  Gramm  =  7*  Pfund  oder  675  Loth;  5  Dekagramm  oder  50 
Gramm  =  37b  Loth;  2  Dekagramm  oder  20  Gramm  =-  1725  Loth;  1  Deka- 
gramm oder  10  Gramm  =  *72^  Loth;  5  Gramm  oder  5000  Milligramm  =  72s 
Loth;  2  Gramm  oder  2000  Milligramm  =  ^^/i2b  Loth;  1  Gramm  oder  1000 
Milligramm  -—  7126  Loth;  5  Decigramm  oder  500  Milligramm  =   ^/\2b  Loth; 

2  Decigramm  oder  200  Milligramm  :^~r  7e25  Loth;  1  Decigramm  oder  100  Milli- 
gramm rr=  7625  Loth. 

Abkürzungen  der  Bezeichnungen  der  metrischen  Maß-  und  Ge- 
wichtsgrößen,   vom   schweizerischen  Bundesrath    angeordnet  durch  Beschluß 

vom   1.  Juni  1880  (A.  S.  n.  F.  5,  Seite   90). 

Läiufenmaße.  Kilometer  —  km.,  Meter  =^  m.,  Decimeter  ^=  dm.,  Centi- 
meter =:  cm.,  Millimeter  -  -  mm.,  Mikron  (0,001    mm.)  =   n, 

Fffichenmaße.     Quadratkilometer   =    km'^.,    Hektare  =  ha.»    Are  ^=  a., 


Macliia  '  —     401     —  Majenapfel 

Quadratmeter  =  m^.,  Quadrat decirneter  =  dm^.,  Quadratcentimeter  =  cm^., 
Quadratmillimeter  =  mm^. 

Körpermaße,  Kubikmeter  ==  m"*.,  Stere  =  s.,  Kubikdecimeter  =  dm*., 
Eubikcentimeter  =  cm*.,  Eubikmillimeter  =  mm*. 

Hohlmaße,  Hektoliter  =  bl.,  Dekaliter  =  dal.,  Liter  =  1.,  Deciliter 
=  dl.,  Centiliter  =  cl. 

Gewichte.  Tonne  =  t.,  Metr.  Zentner  =  q.,  Kilogramm  =  kg.,  Gramm 
==  g.,  Decigramm  =  dg.,  Centigramm  =  cg.,  Milligramm  =  mg. 

Machia.    Bunter  Marmor,  der  in  Arzo  (Tessin)  vorkommt. 

Madapolams.    Feines,  dicbtes  Baumwollgewebe.     Exportartikel. 

Madeleine  angevine.    Die  früheste  weiße  Tafeltraube  in  der  Schweiz. 

Madeleine  royale.    Eine  frühe  weiße  Spaliertraube. 

Madrastficher  (Mouchoirs  Madras).  Mehrfarbig  carrirte  BaumwolltUcher, 
wozu  die  Muster  ursprünglich  vermuthlich  aus  Madras  importirt  wurden.  Export- 
artikel. 

Mälzer  s.  Bierbrauerei,  Seite  251  oben,  I.  Band. 

Magdalenebirne,  grüne,  ein  Wirthschaftsobst  (Sommerfrucht)  dritten 
Ranges,  auch  große  Heubirne  und  Jakobsbirne  genannt,  ist  überall  zu  finden. 
Ungewöhnliche  Fruchtbarkeit  ist  dieser  Sorte  eigen.  („Schweizerische  Obstsorten**, 
Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhorn  in  St.  Gallen.) 

Magenbitter.  Ein  von  Apotheker  Aug.  F.  Dennler  in  Interlaken  1860 
erfundener  Liqueur,  mit  dessen  Zubereitung  in  verschiedenen  Qualitäten  und  Zu- 
sammensetzungen sich  jetzt  ca.  20  Firmen  befassen. 

Maggiabrücke.  An  die  Wiederherstellung  der  in  den  dOer  Jahren  letzt- 
mals konstruirten  großen  steinernen  Brücke  über  die  Maggia  (bei  Ascona,  Bezirk 
Locarno)  bewilligte  die  Bundesversammlung  durch  Beschluß  vom  19.  Juli  1869 
(A.  S.  Bd.  10,  p.  861)  dem  Kanton  Tessin  einen  Beitrag  von  Fr.  188,000. 
Kostenvoranschlag  Fr,  563,650.  Der  Neubau  ist  (Mitte  1887)  noch  nicht  in 
Angriff  genommen. 

Magglingen-Biel.  Die  Drahtseilbahn  von  Biel  nach  Magglingen,  welche 
das  Eigenthum  einer  Aktiengesellschaft  ist,  wurde  am  1.  Juni  1887  eröfiPnet. 
Die  Bahnlänge  beträgt,  horizontal  gemessen,  1640  m,  die  Maximalsteigung  82  ^/o. 
üeber  die  Betriebsresultate  fehlen  zur  Zeit  Angaben.  Die  Einnahmen  im  Juni 
1887  erreichten  im  Ganzen  Fr.  8487. 

Mais  8.  Seite  713  und  725  im  1.  Band.  Einfuhr  im  Jahresdurchschnitt 
1876/84:  brutto  280,793  q,  1885:  netto  250,026  q  ä  Fr.  17.  50,  1886:  netto 
279,046  q  ä.  Fr.  17,  und  zwar  91,699  q  aus  Deutschland,  60,553  q  aus  Italien, 
53,687  q  aus  Oesterreich,  31,773  q  aus  den  Ver.  Staaten  von  Nordamerika, 
15,917  q  aus  Frankreich,  11,779  q  aus  Rußland,  7865  q  aus  Belgien,  3094  q 
aus  den  Donauländem,  1556  q  aus  Argentinien,  1123  q  aus  verschiedenen 
Ländern.  —  Ausfuhr  1885:  netto  490  q  ä  Fr.  19  53,  1886:  netto  308  q  ä 
Fr.  20.  30,  das  meiste  nach  Deutschland. 

Majenapfel,  saurer,  Wirthschaftsobst  ersten  Eanges  (Winterfrucht),  auch 
Majech  vom  Jura,  Majecher  (Aargau),  Maj'cher  (Baselland)  und  Manch' er  (Basel- 
stadt) genannt,  nahm  seinen  Ursprung  wahrscheinlich  im  Jura ;  jetzt  ist  die  Sorte 
in  den  Kantonen  Aargau,  Solothum,  Baselland  heimisch.  Sie  gedeiht  fast  in  jeder 
Lage  und  findet  sich  z.  B.  auf  dem  Hauenstein  in  einer  absoluten  Höhe  von 
2072  Fuß.  Der  Majenapfelbaum  trägt  regelmäßig  alle  zwei  Jahre  reichlich. 
(„Schweizerische  Obstsorten**,  Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhorn  in 
8t.  Gallen.) 

Furrcr,  Volkswiith&chafta-Lexikon  der  Schwel».  <^<^ 


Majolika  —      402     —  Marchands-Taüleurs 

Majolika  s.  Thonwaaren. 

Makobaumwolle.  Durch  Samen  von  Sea  Island  veredelte  egyptische 
Baumwolle.  Dieselbe  spielt  in  der  Schweiz.  Baumwollspinnerei  seit  den  20er  Jahren 
des  laufenden  Jahrhunderts,  d.  h.  seit  die  Schweiz.  Baumwollspinnerei  feinere 
Garne  erzeugt,  die  Hauptrolle. 

Malerei  s.   „Flach-  und  Dekorationsmaler**,  sowie   ^Kunst**. 

Malingre,  pr^coce.  Frühreifende,  überaus  fruchtbare  weiße  Tafeltraube 
mit  etwas  kleinen,  leicht  faulenden  Beeren.  Gredeiht  auch  im  freien  Weinberge 
recht  gut.  Kr, 

Malmkalkstein  von  bedeutender  Festigkeit  birgt  hauptsächlich  der  Lägern- 
steinbruch bei  Regensberg. 

Maloja-Chiavenna-Bahn.  Konzessionsertheilung  in  der  Wintersession  1885. 
Höchstgelegene  Bahn  Europas. 

Malojastrasse  s.   „Obere  Straße  über  Julier  und  Maloja**. 

Malvasier,  rother,  italienischer,  auch  frührot  her  Veltliner.  Vorzüg- 
liche, dichtgebeerte,  ziemlich  früh  reifende  Tafeltraube.  Der  Kebstock  ist  sehr 
starktriebig  und  muß,  wenn  er  regelmäßig  tragen  soll,  mit  langem  altem  Holze 
erzogen  werden.  £r  paßt  daher  am  besten  an  hohe  Mauern  und  Wände  und  ist 
an  solchen  außerordentlich  fruchtbar.  Kr, 

Malvoisie  blanche.  Weinsorte,  welche  bei  Martigny  im  Wallis  gedeiht. 
Der  Stock  der  Rebe  ist  von  mittlerer  Stärke;  die  Traube  ist  klein,  gelb  und 
mittelfrüh  reifend.  Kr, 

Malvoisie   rose.    Im  Wallis  Bezeichnung  für  Ruländer  und  Tokajerwein. 

Malz.  Die  ca.  400  in  Betrieb  stehenden  Bierbrauereien  der  Schweiz  ver- 
wenden zu  ca.  1  Million  Hektoliter  Bier  jährlich  ungefähr  290,000  q  Malz, 
wovon  ca.  45  ^/o  oder  130,000  q  in  den  Brauereien  selbst  bereitet  werden. 

Im  Handelsregister  waren  Ende  1884  5  Malzfabriken  eingetragen,  wovon 
2  Baselstadt,   1  Aargau,   1   St.  Gallen,   1   Zürich. 

Einfuhr  von  Malz  im  Jahresdurchschnitt  1855/64  :  brutto  16, 1 85  q,  1865/74 ; 
brutto  46,690  q,  1875/84:  brutto  122,713  q;  im  Jahre  1885:  netto  129,161  q 
ä  Fr.  32;  im  Jahre  1886:  netto  165,550  q  ä  Fr.  30.  25,  und  zwar  150,709  q 
aus  Oesterreich,  der  Rest  aus  Deutschland,  Frankreich  und  Italien.  —  Ausfuhr 
im  Jahresdurchschnitt  1877/84:  brutto  961  q,  1885:  netto  113  q,  1886:  netto 
166  q  ä  Fr.  30.  70. 

Malzextrakte  in  vielen  Varietäten  zum  diätetisch-medizinischen  Grebrauche 
werden  namentlich  in  einer  Berner  Fabrik  (Dr.  G.  Wander,  seit  1866)  hergestellt, 
außerdem  auch  von  einigen  Apotheken. 

Malzzucker.  Birkhäuser's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  verzeichnet  4  Malz- 
zuckerfabriken, wovon  3  im  Kanton  Bern,    1  im  Kanton  Schaffhausen. 

Mangan  s.  Metalle. 

Mangansalze,  wie  das  Chlorür,  Sulfat  und  Acetat  werden  in  geringen 
Mengen  in  der  Färberei  und  dem  Zeugdruck  verwendet  und  zum  Theil  auch  in 
der  Schweiz  hergestellt. 

Manufaktur-,  Tuch-  und  Ellenwaarengeschäfte.  Im  Handels- 
register waren  Ende  1884  ca  3000  Geschäfte  dieser  Art  eingetragen.  Sie  bilden 
9,4  ®/o  aller  eingetragenen  Firmen  und  sind  die  stärkste  Gruppe  nach  den 
Kolonial-  und  Spezereiwaaren. 

Marceline.  Ein  Hauptartikel  der  zürcherischen  Seidenindustrie.  Verwendung 
zur  Blumenfabrikation,  zu  Heiltaffet,  Schirm-  und  Hutfutter  etc. 

Marchands-Tailleurs  s.   „Kleider*". 


Margarin  —      403     —  Martinsbirne 

Margarin  8.  Kunstbutter.  Als  „Margarine**  bezeichnet  das  deutsche  Reichs- 
gesetz vom  12.  Juli  1887  diejenigen  der  Milchbutter  ähnlichen  Zubereitungen, 
deren  Fettgehalt  nicht  ausschließlich  der  Milch  entstammt.  Außer  den  im  Artikel 
^  Kunst butter*"  erwähnten  Kantonen  Graubünden  und  Zürich  hat  auch  der  Kanton 
Glarus  eine  Verordnung  betreffend  die  Kunstbutter,  d.  d.  2,  Juni  1886,  erlassen. 
Auch  da  darf  nur  die  aus  Milch  oder  Rahm  ohne  jeglichen  Zusatz  bereitete 
Butter  als  „Butter"   oder  „reingesottene  Butter"  in  den  Handel  gebracht  werden. 

Marmor.  Die  südliche  Schweiz,  speziell  das  Gebiet  der  Kantone  Wallis 
und  Tessin,  ist  reich  an  herrlichen  Marmorsorten,  die  zwar  im  Lande  selbst  noch 
lange  nicht  nach  Gebühr  verwerthet  und  ausgebeutet  werden.  Von  ganz  hervor- 
ragender Schönheit  sind  folgende  Sorten :  Schwarze  Breccie,  Ste-Anne  suisse  und 
Portor  aus  den  Brüchen  bei  Mnraz  (Station  Monthey,  Wallis),  Arvel,  Rouge 
jaspe  und  Chable  rouge  von  Doret  in  Vevey  (Waadt),  Cipoline  von  Saillon  ; 
ferner  die  bunten  Marmore  von  Arzo,  welch'  letztere  ihr  Absatzgebiet  bis  jetzt 
hauptsächlich  in  Norditalien  hatten,  aber  auch  an  vielen  Gebäuden  in  Lausanne 
und  Bellinzona  etc.  zu  finden  sind.  Auch  die  brecciosen  Marmorsteine  des  Kantons 
Tessin  sind  von  großer  Schönheit  und  werden  vermittelst  der  Gotthardbahn  ver- 
muthlich  sehr  bald  den  Weg  in  die  übrige  Schweiz  und  weiter  nördlich  finden. 

Nach  der  Rohprodukten kärt6  von  Weber  und  Brosi  (Verlag  von  J.  Wurster 
&  Cie.  in  Zürich)  waren  um   1882/83  Marmorbrüche  im  Betrieb: 

im  Kt.  Graubünden :  bei  St.  Anna,  Cresta,  Hinterrhein,  Präsanz,  Savognin 
und  Vrin ;  im  Kt.  Tessin :  bei  Meride  und  Rancate ;  im  Kt.  Uri :  bei 
Andermatt;  im  Kt.  Waadt:  bei  St- Triphon  und  Villeneuve;  im  Kt.  Wallis: 
bei  la  Bätiaz,   Evouettes,  Leytron,   St- Maurice,  Monthey,  Muraz  und  Saillon. 

Früher  besaßen  auch  Marmorbrüche  die  graubündnerischen  Ortschaften 
Inner-Ferrara,  Silgin  und  Splügen,  sowie  die  schwyzerischen  Orlschaften  Mor- 
schach, See  wen  und  Trachslau. 

Einfuhr: 

JahreRdurch-       ,oj.„  -„e^ 

Hchnitt  1872  81    '^**^'*  ^**^^ 

brutto      7    brutto  netto 

Marmor  und  Alabaster,  roh,  in  Blöcken     .     .    .     q  6525  10635  13004  ä  Fr.  10.  — 

in  Platten,  nicht  polirt ,  3469  2232  3458  ,    ,    19.  — 

polirt 1333  593  246  ,    „    30.  — 

Steinhauer-  u.  Sleindrechslerarbeiten  aus  Marmor    ,      ?  ?  671,    ,16.  — 

Ausfuhr: 

18H3  1884  1885 

bratio  brutto  netto 

Marmor  und  Alabaster,  roh,  in  Blöcken     .    .     .    q  5072  13718  3829  ä  Fr.    6.  59 

in  Platten,  nicht  polirt ,322  267  461  ,    ,    23.  19 

, '       ,         polirt      .........     588  533  242  .    ,    67.  05 

Steinhauer-  u.  Steindrechslerarbeiten  aus  Marmor    ,      ?  ?  830  ,    ,    71.  03 

Im  Handelsregister  waren  Ende  1884  41  Marmor-  und  Marmorwaaren- 
geschäfte  eingetragen,  davon  6  als  Steinbruchausbeuter  (5  Waadt,  1  Freiburg), 
30  als  Marmoristen  und  Marmorindustrielle,  Rest  als  Handlungen. 

Birkhäuser^s  Adreßbuch  (Basel,  1885)  gibt  die  Adressen  von  34  Marmor- 
industriellen. 

Maroquinerie.  Diesen  Geschäftszweig  betreiben  laut  Handelsregister  die 
Firmen  Alb.  Marfort  in  Basel  und  J.  Lambelly  in  Estavayer. 

Martinsbirne,  ein  Wirthschaftsobst  (Winterfrucht)  ersten  Ranges,  ist  eine 
alte  französische  Frucht,  die  bei  uns  vornehmlich  in  altem  Herrschaftsgärten, 
doch   auch   da   und   dort   ziemlich   allgemein   in  Obstgärten  zu  treffen  is^t«    l^^t 


k 


Marxenbirne  —     404     —  Maschinenindastrie 

Banm  wächst  mäßig,  kommt  auch  in  etwas  rauherer  Lage  und  in  minder  gutem 
Boden  fort  und  ist  meist  sehr  fruchtbar.  (^»Schweizerische  Obstsorten*,  A'erlag 
der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhorn  in  St.  Gallen.) 

Marxenbirne,  Wirthschaftsobst  zweiten  Ranges  (Serbstfrncht) ,  auch 
Schwarzbime,  Märxler  und  Spätler  genannt,  ist  im  ganzen  Kanton  Zürich  und 
in  den  angrenzenden  Kantonen  stark  verbreitet.  («Schweizerische  Obstsorten*' > 
Verlag  der  Lithogr.  Anstalt  J.  Tribelhorn  in  St.  Gallen.) 

Marzilibahn  in  Bern.  Die  Drahtseilbahn  Marzili  -  Stadt  Bern  ist  das 
Unternehmen  einer  Aktiengesellschaft.  Betriebseröffiiung  den  18.  Juli  1885. 
Bahnlänge  105  m.  Spurweite  0,750  m.  Maximalsteigung  302  ^/oo.  Rollmaterial 
2  Personenwagen  mit  zusammen  28  Sitzplätzen.  Betriebspersonal  im  Jahre  1885 
5  Mann.    Aktienkapital  Fr.  60,000. 

Verkehr  im  Jahre  1885:  Mit  189,5  täglichen  Zügen  a  2  Achsen  wurden 
bis  Ende  des  Jahres  100,874  Personen  befördert. 

Finanzielles  Betriebsergebniß  im  Jahre  1885:  Einnahmen  aus 
dem  Personentransport  Fr.  8149;  verschiedene  Einnahmen  Fr.  2379;  Gesammt* 
einnahmen  Fr.  10,528.    Betriebskosten  im  Ganzen  Fr.  7570. 

Maschinenindustrie.  Die  Maschinenindustrie  hat  sich  in  der  Schweiz  trotz 
des  beinahe  gänzlichen  Mangels  der  nöthigsten  Rohstoffe  und  Halbfabrikate, 
als  Eisen,  Stahl,  Messing,  Kupfer,  Rohguß  etc.,  im  Verlauf  eines  halben  Jahr- 
hunderts in  wahrhaft  glänzender  Weise  entwickelt.  Dieselbe  produzirt  heute  für 
ungefähr  35  Millionen  Franken  jährlich,  wovon  ca.  19  Millionen  für  den  Export, 
und  beschäftigt  ca.  12,000  Arbeiter,*)  welche  13  Millionen  Franken  Lohn  beziehen. 
Im  Jahre  1860  besaß  diese  Industrie  noch  kaum  Vs  ihres  jetzigen  Umfanges. 
Ihre  Größe  verdankt  sie  vor  Allem  der  großartigen  Entwicklung  der  schweize 
rischeu  Textilindustrie,  die  denn  auch  unmittelbar  zur  Gründung  der  ersten  und 
größten  schweizerischen  Maschinenfabrik,  derjenigen  von  Escher  Wyß  dt  Cie.  in 
Zürich,  Veranlassung  gegeben  hat,  indem  sich  Joh,  Caspar  Escher  in  den  ersten 
Jahren  dieses  Jahrhunderts  mit  Erfolg  bemühte,  englische  Spinnmaschinen 
für  die  Einrichtung  einer  eigenen  Spinnerei  selbst  zu  bauen.  Im  Jahre  1807 
kamen  die  ersten  von  ihm  konstruirten  Maschinen  in  der  ^  Neumühle  *"  in  Zürich 
in  Betrieb.  Nach  und  nach  wurden  auch  Spinnmaschinen  für  Andere  geliefert. 
Sein  Sohn  Albert  führte  Ende  der  20er  Jahre  neue  Konstruktionszweige  ein  und 
brachte  das  Etablissement  bald  zu  großer  Blüthe.  Das  Spinnmaschinenfach  bildete 
später  besonders  auch  eine  Spezialität  der  Firma  Johann  Jakob  liieier  (nun 
J.  J.  Rieter  &  Cie.)  in  Winterthur,  welches  Etablissement  im  Jahre  1826  ebenfalls 
mit  dem  Spinnmaschinenbau  eröffnet  wurde  und  sich  später  mit  großem  Erfolg 
auch  auf  die  übrigen  Gebiete  der  Maschinentechnik  warf;  heute  ist  diese 
Firma  die  einzige,  welche  sich  mit  der  Einrichtung  ganzer  Baumwollspinnereien 
befaßt.  Bestandtheile  von  Spinnmaschinen  liefern  außer  ihr  eine  Reihe  anderer 
Konstruktions  Werkstätten. 

Durch  die  Konstruktion  von  Webmaschinen  haben  sich  seit  den  40er 
Jahren  besonders  die  Firmen  Kaspar  llonetjger  in  Rüti  und  J.  J.  Bieter  dt  Cie, 

M  Die  eidg.  Berufsstatistik  vom  1  Dezember  1860  gibt  für  den  Maschinen-  und 
MQhlenbau  0893  erwerbsthätige  Personen  an  (387  Maschinen- Ingenieurs  und -Techniker 
nicht  inbegriffen)  =  7,6  ^to  aller  Heruftreibenden.  Auf  die  Kantone  trifft  es:  3638  Zürich, 
839  St.  Gallen.  7«>7  Bern,  631  Thurgau,  613  Solothurn,  573  Aargau,  409  Genf,  361 
Baselstadt,  351  Schaffhausen,  348  Waadt,  325  Luzern,  282  Neuenburg,  212  Appenzell  A.-Rh., 
156  Baselland,  119  Glarus,  98  Freiburg,  55  Graubünden,  49  Schwyz,  43  Wallis,  39  Tessin, 
25  Zug,  7  Nidwaldeu,  5  Appenzell  I.-Rh.,  4  Obwalden,  4  Uri.  S.  auch  am  Schluß  dieses 
Artikels  die  Fabrikstatistik. 


Maschinenindustrie  —     405     —  Maschinenindustrie 

in  Winterthur  ausgezeiclmet ;  außerdem  werden  solche  in  zahlreichen  kleineren 
Werkstätten  fabrizirt. 

Der  Stickmaschinenbau  beschäftigt  ungefähr  ein  halbes  Dutzend  größere 
Maschinen  Werkstätten  ganz  oder  theilweise,  worunter  namentlich  die  Maschinen- 
werhsiäiie  St.  Georgen,  Saurer  &  Söhne  in  Arbon,  F.  Martini  dt  Cie,  in 
Frauenfeld,  Gebrüder  Benninger  in  NiederuzwiK  J,  J,  Rieter  dt  Cie,  in  Winter- 
thur etc.  Obschon  von  Josua  Heilmann  in  MUhlhausen  erfunden  (1827)  ist  die 
Plattstich-Stickmaschine  doch  mehr  ein  schweizerisches  als  fremdes  Produkt,  da 
mit  den  ersten  Heilmann 'sehen  Maschinen  sozusagen  nichts  anzufangen  war.  Erst 
die  viel  jährigen,  zähesten  Bemühungen  des  Herrn  Hange  und  der  Herren  Bitt' 
meyer  in  St.  Gallen  brachten,  unter  Mithülfe  des  geschickten  thurgauischen 
Mechanikers  Vogel,  eine  Reihe  der  uoth wendigsten  Aenderungen  und  Verbesse- 
rungen der  Originalmaschine  und  damit  ein  brauchbares,  allgemein  verkäufliches 
Handelsprodukt  zu  Stande.  Auch  später  noch  kamen  durch  ostschweizerische 
Mechaniker  und  Fabrikanten  eine  Reihe  von  Verbesserungen  und  Vervollkomm- 
nungen hinzu,  bis  die  Maschine  zur  heutigen  vielseitigen  Leistungsfähigkeit  ge- 
langte. Eis  jetzt  wurden  in  der  Schweiz  über  25,000  Handstickmaschinen  im 
Werthe  von  ca.  50  Millionen  Franken  gebaut.  Mit  dem  Bau  von  Stickmaschinen 
sind  in  der  Ostschweiz  gegen   2000  Arbeiter  beschäftigt. 

Die  neueste,  von  der  Spuhle,  also  mit  fortlaufendem  Faden  stickende  sog. 
Schifflistickmaschine  mit  Dampfbetrieb  ist  in  ihrer  Grundidee  eine  Er- 
findung des  Herrn  J.  Gröbli  in  Uzwil,  der  seine  Maschine  mit  Hülfe  von  Sticke 
fabrikant  J.  Wehrli  in  St.  Fiden  und  von  J.  J,  Rieter  &  Cie,  zur  vollen  Aus- 
führung und  Leistungsfähigkeit  brachte.  Eine  andere  Konstruktion  wurde  mehr 
oder  weniger  unabhängig  von  Saurer  dt  Söhne  in  Arbon  erzielt.  Ein  drittes* 
neuestes  System  haben  F.  Martini  dt  Cie.  in  Frauenfeld  erfunden.  Bis  End- 
1884  sind  gegen  800  Schifflimaschinen  gebaut  worden. 

Die  Kettenstich-Stickmaschine  ist  eine  Erfindung  des  Franzosen 
Bonnaz  und  wird  in  vervollkommneter  Form,  einnadlig  und  mehrnadlig,  heute 
noch  vornehmlich  von  französischen  Fabrikanten  bezogen. 

Strickmaschinen  vorzüglicher  Art  ei-stellt  die  Schaff  hauser  Strick- 
maschinenfabrik. 

Neben  der  Textilindustrie  sind  es,  abgesehen  von  reinen  Motoren,  namentlich 
die  Mühlenindustrie,  die  Landwirthschaft,  die  Papier-  und  Holzstofffabrikation, 
Holzbearbeitungsindustrie,  Uhrenindustrie  etc.,  welche  einen  großen  Theil  der 
schweizerischen  Maschinenindustrie  beschäftigen.  Die  Walzenstuhle  von 
Wegmann,  die  Dresch-  und  Futterschneidmaschinen  etc.  von  Johs, 
Rauschenbach  in  Schaffhausen,  die  Papiermaschinen  und  Holzschleif- 
maschinen von  Theod.  Bell  &  Cie.  in  Kriens  und  Escher  Wyß  dt  Cie.  in 
Zürich,  die  Werkzeugmaschinen  der  Werkzeugmaschinenfabrik  Oerlikon 
u.  s.  w.,  die  Dynamomaschinen  von  Bürgin,  Hipp,  der  Societi  genevoise 
pour  la  construction  des  instrtiments  de  physique,  von  Meuron  dt  Cuenoud, 
der  Zürcherischen  Telephongesellschaft  etc.  haben  im  In-  und  Ausland  den  Ruf 
der  Vorzöglichkeit  und  es  bietet  deren  Fabrikation  wiederum  mehreren  Tausenden 
intelligenter  Arbeiter  Beschäftigung. 

Im  allgemeinen  Fache  der  Dampf-  und  Wassermotoren  aller  Art 
weist  die  Schweiz,  das  Land  der  Wasserkräfte,  ihre  eigenartigsten,  zum  Theil 
bahnbrechenden  maschinentechnischen  Leistungen  auf.  Mit  dem  Bau  von  Dampf- 
kesseln und  Dampfmaschinen  begannen  Escher  Wyß  dt  Cie.  gegen 
Ende   der   30er  Jahre,    Gebrüder  Suleer  mit  dem  Bau  der  Dampfkessel  gegen 


MaschineDindustrie  —      406     —  Maschinenindustrie 

Ende  der  40er  Jahre,  mit  dem  der  Dampfmaschinen  1854.  Ihnen  folgten  Th,  Bell 
dt  Cie.  in  Krieos,  Burhhardi  &  Cie,  in  Basel,  Marcuard  in  Bern,  Socin  dt  Wich 
in  Basel  (1861),  Berchtold  in  Thalweil  (1871),  Lohomotiv-  und  Maschinen- 
fabrik in  Winterthur  (1872)  etc. 

Unter  den  eigenartigen  schweizerischen  Konstruktionen  von  Dampfmaschinen 
ragt  namentlich  die  1866  erfundene  epochemachende  Su/xrer^sche  Ventil- 
maschine  hervor,  die  1867  in  Paris  die  höchste  Auszeichnnng  erhielt  und 
wovon  dann  viele  Hunderte  vom  Erfinder  und  von  Nachahmern  erstellt  wurden. 

Im  Jahre  1875  führte  die  Schweizerische  Lokomotiv-  und  Maschinenfabrik 
in  Winterthur  Ventilmaschinen  ein,  hei  welchen  die  Ventile  durch  Hehel  statt 
Federn  geschlossen  werden.  Außerdem  sind  von  schweizerischen  Ingenieuren  resp. 
Maschinenfabriken  eine  Reihe  von  Erfindungen  und  Verbesserungen  ausgegangen. 

Turbinen  werden  seit  den  30er  und  40er  Jahren  hauptsächlich  von 
Escher  Wyß  dt  Cie.  in  Zilrich,  Cr,  Roy  <&  Cie,  in  Vevey,  J.  J.  Bieter  dt  Cie. 
in  Winterthur,  Socin  dt  Wick  in  Basel  etc.  gebaut.  Zuppinf^er,  Konstrukteur 
bei  Escher  Wyß  &  Cie.,  baute  1864  das  erste  Tangentialrad,  auch 
Znppinger-  oder  Zupper-Rad  genannt,  das  später  von  der  Girardturbine  verdrängt 
wurde. 

Als  Frucht  einer  Konkurrenzausschreibung  der  Stadt  Zürich  im  Jahre  1871 
erfand  A,  Schmid  in  Zürich  seinen  Kolbenwassermotor,  dazu  bestimmt» 
den  Druck  des  Wassers  der  neuen  Wasserversorgung  als  Kraft  für  das  Klein- 
gewerbe zu  verwerthen.  Die  nützliche  Maschine  fand  rasche  Verbreitung  und 
wird  nun  auch  zum  Betrieb  großer  Fabriken  verwendet. 

Gaskraftmaschinen  nach  dem  Deutzersjstem  liefern  seit  1872  Burk» 
hardt  dt  Cie,  in  Basel,  nach  eigenem  System  seit  1880  Martini  (t  Cie,  in 
Frauenfeld ;  Heißluftmaschinen,  nach  Rider  konstruirt,  fabrizirt  seit 
1878  Schaufelber<jer  in  Wald  (Zürich). 

Hydraulische  Aufzüge  und  Pressen,  Hebmaschinen  etc. 
liefert  Rud,  Rieter  in  Winterthur,  Wassermesser  nach  eigener  Erfindung 
A,  Schmid  in  Zürich ;  Pumpwerke  für  Wasserversorgungen  führen  namentlich 
Qebr.  Sulzer  in  Winterthur  aus,  Transmissionen,  besonders  für  Drahtseile» 
in  großem  Styl  J.  J,  Rieter  dt  Cie,  in   Winterthur. 

Spezieller  Erwähnung  bedürfen  auch  die  bedeutenden  Leistungen  von  Escher 
Wyß  dt  Cie,  im  Gebiete  des  Schiffsmaschinenbaues.  Bis  1883  sind 
von  dieser  Firma  für  das  In-  und  Ausland  über  400  Schiffsmaschinen  geliefert 
worden. 

Eben  »o  hervorragend  sind  die  Leistungen  von  Gebrüder  Salzer  speziell 
im  Fache  der  Gießerei. 

Eine  Hauptschwierigkeit  bietet  für  die  schweizerische  Maschinenindustrie 
einerseits  der  kostspielige  Bezug  des  Rohmaterials  und  vieler  Halbfabrikat«  vom 
Auslande,  anderseits  die  Schutzzollpolitik  des  Auslandes  nebst  den  großen  Transport- 
spesen für  das  fertige  Fabrikat  und  die  dadurch  bedingte  nothgedrungene  Ein> 
schränkung  auf  das  kleine  inländische  Absatzgebiet.  Ihre  Konkurrenzfähigkeit  im 
Auslande  beschränkt  sich  daher  in  der  Regel  auf  kompUzirtere  Konstruktionen,, 
bei  welchen  die  Kosten  des  Rohmaterials,  der  2k>ll  und  die  Transportspesen  in 
kleinerem  Verhältnisse  zum  Werthe  stehen,  als  dies  bei  gewöhnlichen  Maschinen 
der  Fall  ist. 

Vorzügliche  Bildungsmittel  für  Maschinen-Ingenieure  bietet  das  eidg.  Poly- 
technikum in  Zürich  (s.  dieses). 


Maschinenindustrie  —     407     —  Maschinenindustrie 

Einfuhr  und  Ausfuhr.  Das  Wacbsthum  des  MaHchinenbedarfes  und  der 
ElrzenguDg  von  Maschinen  in  der  Schweiz  wird  auch  trefflich  durch  die  Auf- 
zeichnungen der  Waarenverkehrsstatistik  illnstrirt.  Die  Lokomotive  ausgenommen, 
welche  bis  1877  unter  ^Eisenbalinmaterial*'   rnbrizirt  wurde,  betrug  die 

im  Jahresdurchschnitt  1851/59 

1860/69 
1870/79 
1880/84 

„    Jahre  1885 63,310 

„       1886 72,148 

Der  Werth  des  Maschinenumsatzes  mit  dem  Auslande  beziffert  sich  (Kratzen, 
Kratzenbe^chläge  und  Treibriemen  nicht  inbegriffen)  im  Durchschnitt  der  Jahre 
1885  und  1886  auf  ca.  21^1%  Millionen  Fr.,  wovon  ca.  Fr.  19'200,000  (70  7o) 
Ausfuhr  und  ca.  Fr.  8' 300,000  (30  ^o)  Einfuhr.  Der  Antheil  jeder  Maschinen- 
gattung ergibt  sich  aus  folgender  Zusammenstellung . 


Einfuhr 

Auffuhr 

13,734  q 

19,739  q 

30,677    „ 

32,068   « 

59,467    , 

91,135   „ 

58,176   „ 

164,590   . 

63,310   „ 

188,518   , 

72,148   . 

156,678   „ 

Einfuhr  Ausfuhr 


860,000 

209,000 

2727,000 

3'469,000 

26,000 

132,000 

1*849,000 

2*485,000 

315,000 

112.000 

531,000 

787,000 

38,000 

51,000 

346,000 

471,000 

155.000 

80,000 

334,000 

965,000 

3,000 

7,000 

10,000 

28,000 

1,000 

18,000 

7,000 

100 

807,000 

754,000 

190,000 

283,000 

1886  1885  188G  1885 

Nicht  speziell  genannte  Maschinen  und  Ma- 

schinentheile 6*632,000  6*403,000  11*735,000  12*203,000 

Müllerei-   u.  landwirthschaftliche  Maschinen 
Webstühle  und  Webereimaschinen      .     . 

Lokomotive 

Dampfkessel 

Stickmaschinen 

Lokomobile 

Eiserne  Konstr.  für  Brücken  und  Gebäude 
Roh  vorgearbeitete  Maschinentheile     .     . 

8*837,000  7*766,000  17*729,000  20*691,000 

Die  Differenz  zwischen  der  Ausfuhr  von  1886  und  derjenigen  von  1885 
(Fr.  2*962,000)  soll,  wie  der  Verein  schweizerischer  Maschinenindustrieller  sich 
ausdruckt,  mindestens  dem  Jahresumnatz  eines  Etablissements  gleichkommen  das 
1000—1500  Arbeiter  beschäftigt. 

Von  der  1886er  Ausfuhr  trifft  es  80  ®/o  auf  die  vier  Nachbarstaaten, 
nämlich  25,5  7o  Italien,  24  7o  Deutschland,  1 8  ^o  Frankreich,  12,5  »/o  Oester- 
reich.  Hierauf  folgt  Rußland  mit  6  ^Of  England  mit  3  ^o,  Spanien  und  Belgien 
mit  je  2  ^o*  Der  Rest  entfällt  hauptsächlich  auf  die  südamerikanischen  Staaten. 

Von  der  1886er  Einfuhr  kommen  88  ®/o  auf  die  vier  Nachbarstaaten 
(Deutschland  70  7o,  Frankreich  14  7o,  Italien  2  "/o,  Oesterreich  2  7o),  10,5  7o 
auf  England. 

Dem  Schweiz.  Fabrikgesetz  sind  Ende  1887  118  Maschinenfabriken  und 
mechanische  Werkstätten  mit  8413  Arbeitern  und  2216  Pferdekräften  unterstellt. 
Es  macht  dies  3,3  7o  all^r  dem  Gesetz  unterstellten  Etablissemente  und  5,7  7o 
der  Arbeiter.  Nicht  inbegriffen  sind  die  Werkstätten  für  Kleinmechanik,  sowie 
die  Reparaturwerkstätten  für  Eisenbahnmaterial. 

Jene  118  Etablissemente  und  8413  Arbeiter  repartiren  sich  wie  folgt  auf 
die  Kantone  : 


Kanton 

Arb. 

KUbl. 

Durchschn. 
d.Arb.  p.  Et. 

Kanton 

Arb. 

Etabl. 

Durchschn. 
d.  Arb.  p.  El. 

Zürich    .     .     . 

.     4597 

31 

148 

Lnzem      .     . 

.     373 

2 

186 

Thurgau 

968 

6 

161 

Bern    . 

.     296 

15 

20 

St.  Gallen    . 

625 

15 

41 

Schaffhausen  . 

.     261 

4 

65 

Baselstadt    .     . 

448 

10 

45 

Waadt      .     . 

.     173 

6 

29 

Maschinen-Ingenieure  —     408     —  Medizinalpfianzen 


Solothurn  ....  169  3  56 

Aargau      ....  143  7  20 

Genf 91  7  13 

Glarus 89  2  45 

Graubünden    ...  55  3  18 


Preibnrg    .     .     . 
Tessin  .     .     .     . 
Appenzell  A.  Rh. 
Neuenburg 
Baselland  . 


42  2  21 

26  1  26 

20  2  10 

20  1  20 

17  1  17 


Maschinen-Ingenieure  und  «Techniker.  Die  eidg.  Berufsstatistik  von 
1880  verzeichnet  deren  387,  wovon  217  Zürich,  36  Baselstadt,  23  Bern,  19 
Luzern,  16  St.  Gallen,  13  Thurgau,  12  Waadt,  10  Schaffhausen,  8  Solothurn, 
7  Wallis,  6  Genf,  5  Aargau,  5  Glarus,  4  Graubünden,  je  1  Appenzell  A.-Rh., 
Basel  land,  Schwyz,  Tessin. 

Mascliinenstrickerei  s.  Strickerei.  In  Bern  besteht  eine  vom  Bernischen 
Verein  für  Kleinindustrie  gegründete  und  von  der  Regierung  subventionirte 
(1887  :  Fr.  500)  Maschin enstrickschule. 

Matelasse.  1)  Ein  halbbaumwollenes  und  halbseidenes  Gewebe,  das  von 
den  großen  einheimischen  Schuhfabriken  zu  Damenschuhen  verwendet  wird.  Wird 
in  der  Schweiz  in  ungenügenden  Mengen  fabrizirt.  2)  Ein  stark  importirter 
halbseidener,  fa^onnirter  Damenmantelstoff.     In  der  Schweiz  wenig  verfertigt. 

Matratzenfabrikation.  Mit  diesem  Geschäftszweig  befaßten  sich  im  Jahre 
1880,  abgesehen  von  den  Tapezierern  und  Sattlern,   759  Personen. 

Maulthiere  und  Maulesel.  Ausfuhr  im  Jahresdurchschnitt  1872/81  : 
121  Stk.,  1884:  77  Stk.,  1885:  40  Stk.  ä  Fr.  384  nach  Italien  und  Frank- 
reich. —  Einfuhr  im  Jahresdurchschnitt  1872/81:  129  Stk.,  1884:  37  Stk., 
1885;  47  Stk.  ä  Fr.  396  aus  Italien  und  Frankreich. 

Maurer  und  Gypser.  Am  1.  Dez.  1880  wurden  in  der  Schweiz  21,294 
Maurer  und  Gypser  gezählt,  worunter  5963  Ausländer.  Die  Zahl  21,294  ver- 
theilt  sich  auf  die  Kantone  wie  folgt:  4367  Tessin,  2544  Zürich,  2524  Bern, 
1506  Waadt,  1206  Genf,  1177  Aargau,  113«  St.  Gallen,  841  Baselstadt,  714 
Solothurn,  706  Neuenburg,  693  Thurgau,  677  Basellaud,  586  Freiburg,  569 
Graubünden,  562  Luzem,  342  Wallis,  305  Schaffhausen,  164  Schwyz,  162 
Glarus,  154  Appenzell  A.-Rh.,  124  Zug,  67  Uri,  62  Obwalden,  55  Nidwaiden, 
49  Appenzell  I.-Rh. 

Maybashseide  kommt  aus  Japan. 

Meclianiker.  Birkhäuser's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  verzeichnet  840  Firmen 
von  Mechanikern  und  mechanischen  Werkstätten. 

Medizinalkonventionen.  Konventionen  behufs  freier  Äusübimf/  des  äret- 
liehen  Berufes  in  den  resp.  Grenzgebieten  hat  die  Schweiz  abgeschlossen : 

1)  Mit  Deutschland  am  29.  Febr.  1884  (A.  S.  n.  F.  7,  p.  446,  frz.  402). 
Vergl.  hiezu  Konvention  zwischen  Elsaß  Lothringen  und  den  Kantonen  Basel 
(Stadt  und  Landschaft),  Bern  und  Solothurn,  vom  20./29.  November  1872 
(A.  S.  10,  p.  1069,  frz.  1006). 

2)  Mit  Oesterreich  am  29.  Okt.  1885  (A.  S.  n.  F.  8,  p.  220). 

3)  Mit  dem  Fürstenthum  Liechtenstein  am  1.  Juli  1885  (A.  S.  n.  F.  8, 
p.  226)- 

Medizinalpflanzen,  Gift-  und  Spezereipflanzen.  (Mitgetheilt  von  Herrn 
F.  An  der  egg.)  Medizinal-  und  Spezereipflanzen  werden  im  Allgemeinen  in  der 
Schweiz  sehr  wenig  angebaut,  obschon  Boden  und  Klima  für  sehr  viele  Spezies 
günstig  wären.  Fast  alle  bedeutsamen  Arten  der  gemäßigten  Zone  kommen  in 
verschiedenen  Gegenden  der  Schweiz  wild  vor.  VorauFgesetzt,  daß  Derjenige,  der 
Arzneipflanzen  anbaut,  deren  Kultur  nud  die  rechte  Zeir  des  Einsammelns  kennt, 
sowie  die  geeigneten  Trockenapparate  besitzt,  fehlt  ihm  der  Absatz  an  Droguisten, 


Medizinalpflanzen  —     409      —  Medizinalpflanzen 

Apotheker,  Destillateure  etc.  nicht.  Unsere  Kleinbauern  könnten  auf  diese  Weise 
ein  hübsches  Einkommen  flnden,  wie  denn  auch  für  viele  Gegenden  des  Aus- 
landes der  Anbau  von  Arznei-  und  Spezereipflanzen  eine  Quelle  des  Wohlstandes 
geworden  ist  (z.  B.  fdr  Bamberg  der  Anbau  von  Süßholz,  für  Jena  der  Anbau 
von  Angelika  und  Alantwurzel,  für  Erlangen  der  Anbau  von  Eibisch,  für 
Sacbsen-Altenburg  der  Anbau  von  Kamillen,  Lavendel,  Bertramswurzel,  Pfeifer- 
münze und  Krausemünze,  für  französische  Gegenden  der  Anbau  von  Lavendel, 
für  viele  Gegenden  Englands  der  Anbau  von  Süßholz,  Bilsenkraut,  Eibisch,  Stech- 
apfel, Tollkirsche,  Krausemünze,  Fingerhut  etc.). 

In  der  Schweiz  haben  wir  vorzüglich  im  Kanton  Neuenburg  den  Anbau 
von  Wermitthj  Melisse  j  Ysop  und  Krausemünze  (meistens  zum  Zwecke  der 
Liqueurbereitung),  in  Rorschach  den  Anbau  von  Melissen  zum  Zwecke  der 
Syrupbereitung. 

Außerdem  würden  sich  zum  Anbau  in  der  Schweiz  folgende  unter  diese 
Eubrik  zählende  Pflanzen  eignen  : 

Alant  (Inula  Helenium),  in  tiefgründigem,  etwas  feuchtem  Erdreich  ge- 
deihend. 

Althee  oder  Eibisch  (Althete  officinalis),  in  gutem,  frachtbarem  Sandboden 
gedeihend.  Alle  Theile  der  Pflanze;  Wurzel,  Blätter,  Stengel  und  Samen  dienen 
zu  medizinischen  Zwecken. 

Angelika  (Engelwurz;  Archangelica  officinalis),  einen  tiefgründigen,  etwas 
feuchten  Boden  liebend.  Die  zweijährigen  getrockneten  Wurzeln  werden  medizinisch 
und  auch  zur  Liqueurfabrikation  verwendet.  Auch  die  Samen  werden  zu  medi- 
ziniiüchen  Zwecken  benutzt. 

Arnica  oder  Wohlverleih  (Arnica  montana),  eine  der  lohnendsten  Kulturen 
für  Moosboden,  wie  sie  in  solchem  in  höheren  Lagen  bereits  wild  vorkommt. 
Die  dreijährigen  Wurzeln  kommen  zu  medizinischen  Zwecken  in  den  Handel, 
wie  auch  die  Blätter  und  Blüthen. 

Baldrian  (Valeriana  officinalis),  einen  etwas  feuchten  Mittelboden  liebend. 
Die  getrockneten  Wurzeln  werden  sehr  gut  bezahlt. 

Beifuß  (Artemisia  vulgaris),  einen  sandigen,  sehr  trockenen  Boden  liebend, 
wächst  wild  an  Flußufern,  Hecken  und  Schutthaufen.  Blätter,  Blüthen  und 
Wurzeln  werden  als  Arzneimittel  verwendet. 

Belladonna  (Tollkirsche 5  Atropa  Belladonna),  eine  in  den  Wäldern  des 
Jura  und  in  den  Alpen  wild  wachsende  Giftpflanze,  welche  in  lehmigem,  humus- 
reichem Boden  sehr  gut  gedeiht.  Aus  den  Wurzeln,  Blättern  und  Früchten  be- 
reitet man  das  Atropin. 

Benediktenkraut  (Geum  urbanum),  einen  warmen,  geschützten,  wenn  auch 
eher  schattigen  Standort  und  tiefgründigen  Sandboden  liebend.  Medizinisch  sind 
die  schwach  riechende  Wurzel  (ein  Ersatzmittel  des  China)  und  die  getrockneten, 
mit  Beginn  der  Blüthe  abgeschnittenen  Blätter. 

Bertramswurz  (Pyrethrnm  Parthenium),  fdr  welche  sich  ein  trockener, 
etwas  sandiger  Boden  eignet.  Von  dieser  stark  aromatisch  riechenden  Pflanze 
ist  nur  die  Wurzel  offizineil. 

Bilsenkraut  (Hyosciamus  niger),  eine  Giftpflanze,  welche  einen  mageren 
sandigen  Boden  erheischt.  Medizinisch  verwendbar  sind  die  getrockneten  Blätter 
und  der  gereifte  Samen. 

Bittersüß  (Solanum  Dulcamara),  am  besten  in  feuchtem  Boden  längs  den 
Bach-  und  Flußufern  gedeihend.  Die  einjährigen  Zweige,  im  Herbste  geschnitten 
und  getrocknet,  kommen  als  Medizinalpflanzen  in  den  Handel. 


k 


Medizinalpilanzen  —     410     —  Medizinalpflanzen 

Cardobenediktenkraut  {CnicvLs  benedictus).  Kraut  und  Fr'dchte  sind  medizinisch. 

Eberwurzel  (Carlino  acaalis),  am  besten  an  sonnigen  Bergabhängen  ge- 
deihend. Die  Wurzel  ist  medizinisch  und  wird  per  Meterzentner  oft  mit  Fr.  45 
bis  60  bezahlt. 

Ehrenpreis  (Veronica  officinalis)  wächst  auf  trockenem  Boden.  Das  Kraut 
ist  medizinisch. 

Eisenhut  (Sturmhut;  Aconitum  Napellus),  eine  in  den  höheren  Alpen  oft 
in  großen  Mengen  wild  wachsende,  medizinisch  sehr  geschätzte  Giftpflanze.  Man 
bereitet  aus  ihr  das  Aconitin. 

Enzian  (Gentiana)  kam  früher  im  Jura  und  in  den  Alpen  vielfach  vor, 
wird  aber  in  Folge  fleißiger  Ausgrabung  der  Wurzel  immer  seiteuer,  ohne  daß 
durch  Anbau,  wozu  sich  in  Berggegenden  Halden  und  Plätze  mit  feuchtem,  tief- 
gründigem, eher  fettem  Boden  gut  eignen,  Ersatz  geboten  würde.  Die  Wurzel 
wird  zur  Bereitung  des  Enzianbranntweins  benutzt.  Der  Meterzentner  wird  oft 
mit  Fr.  65  bis  90  und  mehr  ])ezahlt. 

Fingerhut  (Digitalis  purpurea),  eine  Giftpflanze,  welche  einen  schattigen 
Standort,  lockeren  und  mäßig  feuchten  Boden  liebt.  Die  offizinellen  Blätter  werden 
im  Herbst  geemtet  und  kommen  getrocknet  in  den  Handel. 

Giftlattich  (Lactuca  virosa).  Der  Saft  wird  unter  dem  Namen  Lactucarium 
von  Droguerien  und  Apotheken  gekauft. 

Crnadenkraut  (Gratiola  officinalis)  liebt  einen  feuchten  Standort.  Wurzel 
und  Blätter,  die  vor  der  BlUthe  gesammelt  werden  müssen,  sind  medizinisch. 

Hoflunder,  schwarzer  (Sambucus  niger),  der  allgemein  bekannte  HoUunder- 
strauch,  welcher  in  Gebirgsgegenden  sehr  häufig  wild  vorkommt.  Seine  Blüthen 
und  Früchte  besitzen  eine  bedeutende  Heilkraft.  Die  Gemeinde  Trimmis,  Kt.  Grau- 
bünden, besitzt  große  HoUunderst rauchhecken.  Die  Beeren  werden  fleißig  ge- 
sammelt und  zu  Latwergen  vei-wendet,  während  die  Rückstände  einen  sehr  ge- 
sunden Hollunderbranntwein  geben.  Genannte  Gemeinde  (799  Einw.)  vereinnahmt 
für  ihre  Latwergen  jährlich  zirka  Fr.  3000.  Der  Meterzentner  getrocknete 
Blüthen  wird  oft  mit  Fr.  100  bis   125  bezahlt. 

Kalmus  (Acorus  calamus)  liebt  feuchten  Standort  und  wächst  wild  an 
Gräben  und  feuchten  Stelleu.  Die  von  den  Fasern  befreite  Wurzel  ist' medizinisch 
und  wird  oft  per  Meterzentner  mit  Fr.   (»0  bis  70  bezahlt. 

Kamille  y  ächte  (Matricaria  Chamuomilla) ,  welche  in  einzelnen  Stöcken  in 
vielen  Hausgärten  gefunden  wird.  Die  Blüthen  sind  medizinisch  und  werden  per 
Meterzentner  mit  Fr.  120  bis   150  bezahlt. 

Kamille,  römische  (Anthemis  nobilis),  gedeiht  in  humusreichem  Sandboden, 
kann  jährlich  per  Juchart  (36  Ares)  500  kg  Blüthen  geben,  deren  Rohertrag 
sich  auf  Fr.   500,  ja  unter  Umständen  aufs  Doppelte  bezifl'ert. 

Kirschlorbeer  (Pninus  Laurocerasus),  aus  deren  Blättern  durch  Destillation 
das  medizinische  Kirschlorbeerwasser  bereitet  wird.  Obschon  eine  immergrüne 
Pflanze,  hält  sie  auch  in  der  Schweiz,  gleich  dem  Immergrün  und  der  Stachel- 
palme, den  Winter  gut  aus. 

Könif/skerze  (Verbascum  Thapsus)  gedeiht  am  besten  in  leichtem,  trockenem 
Boden  an  sonniger  Lage.  Sie  kommt  in  vielen  Gegenden,  namentlich  an  steilen 
Abhängen,   wild  vor. 

Lavendel  (Lavandule),  am  besten  in  leichten  Bodenarten  an  stark  geneigten 
südlichen  Abhängen  gedeihend.  Sie  wird  hauptsächlich  ihres  medizinischen  Oeles 
halber  gebaut.    Blätter  und  Blüthen  sind  offizineil. 


Medizinalpflanzen  —     411      —  Medizinalpflanzen 

Nachtschatten,  schwarzer  (Solanum  nigrum),  verlangt  einen  fetten,  gnten» 
feuchten  Boden  in  sonniger  Lage.  Das  Kraut  ist  medizinisch  und  wird  oft  per 
Meterzentner  mit  Fr.  90  bis  100  bezahlt. 

Nießwurz,  schwarze  (Kelleborus  niger),  verlangt  guten  Boden  an  schattiger 
Lage.    Die  Wurzel  ist  medizinisch. 

Osterluzei  (Aristolochia  Clematilis).    Wurzeln  und  Kraut  sind  medizinisch. 

Pfeffermünze  (Mentha  piperita)  gedeiht  in  fettem,  trockenem  und  sonnigem 
Boden.  Bei  gutem  Boden  und  guter  Behandlung  kann  man  jährlich  2 — 3  Schnitte 
ernten.  Die  jungen  Triebe  und  die  Blätter  sind  oflSzinell.  Aus  denselben  läßt 
sich  ein  vorzügliches  Oel  bereiten,  welches  bei  der  Liqueurfabrikation  starke 
Verwendung  findet.  Zum  Gebrauch  im  täglichen  Haushalt  legt  man  sog.  Essenzen 
an,  wobei  man  durch  Aufguß  von  Spiritus  (ä  90  Tralles)  auf  die  getrocknete 
oder  grüne  Pflanze  das  ätherische  Oel  herauszieht  und  dann  diese  Essenz  zur 
Bereitung  von  Pfeif  er  milnzwasser  benützt. 

Rainfarn  (Tanacetum  vulgaro)  gedeiht  in  jeder  Bodenart.  Blätter,  Blüthen 
und  Früchte  sind  medizinisch. 

Raute  (Ruta  graveolens)  verlangt  einen  warmen,  lockeren  und  trockenen 
Boden.    Blätter  und  Samen  sind  medizinisch. 

Rhabarber  (Rheum)  verlangt  einen  ziemlich  thonhaltigen ,  mit  Kalk  und 
Humus  gemengten  Boden.  Aus  dem  Saft  der  Wurzel  läßt  sich  ein  in  der  Medizin 
sehr  gesuchter  Syrup  bereiten.  Der  feine  Saft  der  Rhabarber  heißt  Rhabarber- 
butter. Für  den  Anbau  von  Rhabarber  wären  wahrscheinlich  in  den  Alpen  un-l 
im  Jura  viele  Lagen  sehr  günstig. 

Salbei  (Salvia  officinalis)  kommt  am  besten  in  trockenem  Boden  an  ge- 
schützter Lage  fort.  Aus  den  getrockneten  Blättern  läßt  sich  ein  Thee,  ähnlich 
dem  chinesischen,  bereiten. 

Scharfgarbe  (Achillea  Millefolium),  deren  Blätter  und  Blüthen  medizinisch 
sind  und  sehr  t heuer  bezahlt  werden. 

Schierling,  gefleckter  (Con'ium  maculatum),  kommt  in  vielen  Gegenden  der 
Schweiz  wild  vor,  besonders  in  schattigen  Lagen  bei  etwas  feuchtem  Boden. 
Die  Blätter  sind  oflizinell.  Aus  den  Früchten  der  Pflanze  wird  das  Con'in  (ein 
Gift)  bereitet. 

SchöUkraut  (Cheledonium  majus)  wächst  an  schattigen  Orten,  namentlich 
Hecken  und  Mauern  entlang.  Der  Saft  ist  ein  ns^rkotisches  Gift  (Chelidonin),  das 
medizinisch  verwendet  wird. 

Schwarzkümmel  (Nigella  sativa)  gedeiht  in  feuchtem,  lehmigem  Boden  und 
kann  auch  mit  Vortheil  als  Nachfrucht  von  Frühkartoffeln ,  Roggen ,  Raps  ge- 
pflanzt werden.  Der  Anbau  ist  sehr  lohnend.  Der  Same  ist  medizinisch.  Die 
Schwarzkümmelfelder  bieten  den  Bienen  reiche  Honigweide. 

Stechapfel  (Datura  Stramonium)  verlangt  einen  sonnigen  warmen  Standort 
mit  viel  Feuchtigkeit.  Blätter  und  Samen  sind  medizinisch. 

Süßholz  (Glycyrrhia  glabra)  bedarf  ein  mäßig  feuchtes,  warmes  Klima  und 
einen  lockeren,  reichlich  gedüngten  Boden.  In  Bamberg  gewinnt  man  aus  einer 
Jncharte  Süßholz  in  3  Jahren  4  bis  5  2fentner  Wurzeln  im  Werthe  von  Fr.  250 
bis  300,  sowie  2  bis  3  Klafter  Brennholz  im  Werthe  von  Fr.  70  bis  100. 

Tausendguldenkraut  (Erythrtea  Centaureum),  welches  sehr  gut  bezahlt  wird. 
Die  Blätter  sind  medizinisch. 

Thymian  (Thymus  vulgaris)  liebt  einen  lockeren,  nahrhaften  Boden  und 
freien  Standort.    Zweige  und  Blüthen  sind  medizinisch. 

Veilchenwurzel  (Iris  florentina)  gedeiht  in  warmer  trockener  Lage.  Die  ein- 


Mehl  —     412     —  MeijeleDseekorrektion 

zelnen  Wurzelglieder  werden,  Ton  der  Rinde  befreit,  zu  medizinischen  Zwecken 
nnd  zur  Bereitung  von  Liqueuren  benatzt. 

Wasserfenchel  (Oenanthe  Phellandrinm)  gedeiht  in  fenchtem  Boden.  Die 
Frucht  ist  medizinisch. 

Einfuhr  von  medizinischen  Blüthen,  Blättern,  Samen,  Binden  u.  s.  w.  im 
Jahre  1883:  1213  q,  1884:  1443  q,  1885:  ?.  —  Ausfuhr  1883:  298  q, 
1884:  339  q,   1885:  ?. 

Mehl  8.  Müllerei.  Einfuhr  im  Jahresdurchschnitt  1855/64:  156,876  q, 
1865/74:  162,516  q,  1875/84:  258,493  q,  1885  netto  302,392  q,  1886  netto 
306,306  q  ä  Fr.  30.  50 ;  beinahe  die  Hälfte  aus  Ungarn.  Vs  der  eingeführten 
Mehle  sollen,  nach  Angabe  der  MtÜler,  feinere  Sorten  sein;  an  gewöhnlichen 
Brodmehlen  soll  die  Schweiz,  nach  der  nämlichen  Quelle,  ca.  820,000  q  be- 
dürfen, wovon  ca.  Yio  aus  dem  Ausland  komme.  —  Ausfuhr  im  Jahresdurcb- 
Bchnitt  1855/64:  8674  q,  1865/74:  19,087  q,  1875/84:  39,042  q,  1885  netto 
40,831  q  ä  Fr.  32,   1886  netto  50,748  q  ä  Fr.  56. 

MeistbegünstigUDg  s.  Handelsverträge. 

Meklenburg-Schwerin  ist  mit  der  Schweiz  vertraglich  verbunden :  1)  Durch 
<lie  Genfer  Konvention;  Beitritt  am  9.  März  1865  (A.  S.  8,  p.  545).  2)  Durch 
die  internationalen  Post-  und  Telegraphenverträffe, 

Melasse  s.  Katteesurrogate. 

Meleliaa-  und  Aawasserkorrektion  (Obwalden).  Diese  im  Jahre  1879 
begonnenen  nnd,  was  die  bauliche  Ausführung  betrifft,  im  Jahre  1883  vollendeten 
Korrektionswerke  setzen  sich  zusammen:  \)  Aus  der  Ableitung  der  Melchaa  in 
den  Sarnersee  durch  den  1232  m  langen,  in  ganz  veränderter  Richtung  laufenden 
Melchaakanal  mit  einem  Gefälle  von  9,5  ^j  o;  Breite  des  Querprotils  in  der 
Sohle  9  m,  in  der  Höhe  18,6  m. 

2)  Aus  der  vollständigen  Reglung  des  Laufes  des  Aawassers  vom  Ausflüsse 
aus  dem  Saruersee  bis  zur  Mündung  der  großen  Schlieren,  in  einer  Länge  von 
5900  m,  mit  einem  Gefälle  von  0,5  %o  auf  der  1350  m  langen  Strecke  vom 
Seeausiluß  abwärts,  und  von  der  frühern  Melchaamündung  bis  zum  untern  Ende 
der  Korrektion  successive  abnehmend  5  **/oo  bis  3  ®/oo.  Die  Breite  des  nun  aus- 
geführten Normalprofils  beträgt  in  der  Sohle  14  m  und  in  der  Höhe  24  m. 

3)  Aus  der  Erstellung  eines  1 900  m  langen  Dammes  an  der  großen  Schlieren, 
um  deren  Mündung  in  die  Aa  weiter  abwärts  zu  verlegen,  zur  Sicherung  des 
untersten   Theiles  des  korrigirten  Kanals  vor  Verschüttung. 

An  die  Kosten  dieser  Korrektion,  welche  die  Entsumpfung  der  Ebene  unter- 
halb Samen  durch  Tieferlegung  des  Bettes  der  Aa  und  Senkung  des  Sarnersee's, 
die  Sicherung  von  Samen  gegen  die  Melchaa  durch  Ableitung  derselben  in  den 
Sarnersee  bezweckte  und  als  erreicht  betrachtet  werden  kann,  leistete  der  Bund 
einen  Beitrag  von  Fr.  138,400  =  40  ^/o  der  Voranschlagssumme  von  Fr.  346,000. 
Bundesbeschluß  vom   16.  Aug.  1878  (A.  S.  Bd.  3,  p.  471). 

Melisse  s.  Medizinalpflanzen. 

Mercerie  s.  Kurzwaaren. 

Merinos.  Ganz  wollener  DamenkleiderstofF.  Wird  seit  1883  von  einer 
nie(;h.  Weberei  im  Kt.  Glarus  mit   Erfolg  fabrizirt. 

Merjelenseekorrektion.  Der  Merjelensee,  um  dessen  Tieferlegung  es  sich 
handelt,  befindet  sich  auf  dem  Gebiet  des  Kantons  Wallis,  einerseits  zwischen 
dem  Eggischhorn  und  den  Strahlhörnern,  anderseits  zwischen  dem  Aletsch-  und 
dem  Viescliergletscher,  an  erstem  unmittelbar  anstoßend,  während  er  gegen  den 
letztern  hin  durch  eine,  einen  flachen  Rücken  bildende,  schwache  Bodenerhebung 


Merligen-Neuhaus-Straße  —      413     —  Messersrhmiede 

begrenzt  ist.  Der  Wasserspiegel  des  See's  liegt  (nach  dem  Siegfried-Atlas)  in 
einer  Höhe  von  2367  m  ti.  M. ;  letztere  kann  aber  der  stark  wechselnden  Wasser- 
stände wegen  nur  approximativ  bestimmt  werden.  Die  Veranlassung  zur  Tiefer- 
legung dieses  See's  findet  sich  in  folgenden  Umständen :  Der  See,  der  im  Westen 
durch  den  Aletschgletscher  begrenzt  ist,  steht  dort  beim  höchsten  Wasserstande 
ungefähr  50  m  hoch  an  einer  fast  senkrechten  Eiswand.  Er  entleert  sich  nun 
von  Zeit  zu  Zeit,  doch  meistens  nur  theilweise  und  daher  für  die  Wahrnehmung 
im  Thale  unmerklich,  durch  den  Grletscher  und  dessen  Abfluß  in  die  bei  Naters 
in  die  Rhone  mündende  Massa.  Hie  und  da  kommen  aber  auch  gänzliche  Ent- 
leerungen vor  und  diese  bilden  für  das  Rhonethal  eine  große  Gefahr,  da  das 
Seebecken  annähernd  10^000,000  m^  Wasser  faßt.  Derartige  große  Entleerungen 
haben  in  neuerer  Zeit  stattgefunden  in  den  Jahren  1872  und  1878,  und  die 
durch  diese  Entleerungen  beobachtete  Steigerung  des  Wasserstandes  der  Rhone 
bei  ßrieg  betrug  lYa  m,  zufällig  bei  ziemlich  niedrigem  Wasserstande  und  ohne 
Schaden  anzurichten.  Unter  gege ntheiligen  Umständen  hätten  diese  Entleerungen 
für  die  Rhonekorrektion  (besonders  im  obern  Theile  derselben)  durch  Verdoppelung 
der  sonstigen  maximalen  Wassermenge  verhängnißvoU  werden  müssen.  Zur  Ver- 
meidung einer  solchen  Gefahr  soll  nun  eine  Ableitung  des  See's  nach  dem  tiefer 
gelegenen  Vieschergletscher  hin  stattfinden,  und  zwar  durch  Vertiefung  eines 
Ablaufes  (vermittelst  eines  Einschnittes  durch  den  oben  erwähnten  Rücken  in 
einer  Länge  von  540  m),  durch  welchen  das  Wasser,  wenn  das  Becken  voll  ist, 
schon  jetzt  seinen  Abfluß  nimmt.  Durch  die  vorgesehene  Senkung  des  Wasser- 
spiegels um  12,50  m  wird  eine  Verminderung  der  jetzigen  maximalen  Wasser- 
menge des  See's  erzielt,  die  annähernd  der  Hälfte  der  letztern  entspricht,  und 
es  kann  auch  mit  Bestimmtheit  angenommen  werden,  daß  die  Entleerungen  durch 
den  Aletschgletscher  in  Zukunft  weniger  heftig,  also  in  geringerem  Maße  in  der 
Zeiteinheit,  stattfinden  werden.  Laut  Bundesbeschluß  vom  20.  Dezember  1884 
(A.  S.  n.  F.  Bd.  7,  p.  782)  wurde  dem  Kanton  Wallis  ein  Bundesbeitrag  zu- 
gesichert im  Betrage  von  50  ^/o  der  wirklichen  Kosten,  resp.  im  Maximum 
Fr.  75,000  =  der  Hälfte  der  Voranschlagssumme  von  Fr.  150,000. 

Die  Korrektionsarbeiten   sind   zur  Zeit    (Mitte  1887)  noch  nicht  begonnen. 

Meriigen-Neuhaus-Strasse,  eigentlich  eine  Thalstraße,  aber  von  großem 
militärischem  Interesse,  weil  dieses  Straßenstück  als  Fortsetzung  der  seiner  Zeit 
subventionirten  Brünigstraße  betrachtet  werden  muß;  dasselbe  war  noch  das 
fehlende  Verbindungsglied  (für  eine  möglichst  kurze  und  gedeckte  Verbindung) 
zwischen  Bern  und  Luzern,  resp.  der  West-  und  Centralschweiz.  Die  Länge 
dieser  Straßenstrecke  von  Merligen,  auf  dem  rechten  Ufer  des  Thunersee's,  bis 
Neuhaus  am  oberen  Ende  des  See's,  beträgt  8,2  km.  Die  Straße  ist  auf  ca. 
1870  m  horizontal  und  hat  im  Uebrigen  Steigungen  oder  Gefälle  bis  5,8  "/o; 
die  Fahrbahnbreite  beträgt  4,8  m.  Offene  Felssprengungen  über  63,000  m^  und 
in  Halbgallerie  und  Tunnel  über  22,500  m^  An  den  Baukosten  im  Betrage  von 
Fr.  507,300  dieser  im  Jahre  1883  begonnenen  und  1884  vollendeten  Straßen- 
strecke betheiligte  sich  der  Bund  mit  Fr.  168,000.  Bundesbeschluß  vom  30.  Jan. 
1882  (A.  S.  n.  F.  6,  p.  136). 

Messerschmiede  und  Bandagisten.  Die  Zahl  derselben  belief  sich  am 
1.  Dez.  1880  laut  eidg.  Volkszählungsstatistik  auf  511,  worunter  67  Ausländer, 
Es  waren  im  Kt.  Bern  167,  Waadt  70,  Zürich  41,  St.  Gallen  35,  Aargau  27, 
Genf  27,  Baselstadt  21,  Freiburg  20,  Schaffhausen  15,  Luzern  14,  Schwyz  13, 
Baselland  12,  Neuenburg  10,  Solothurn  9,  Thurgau  9,  Wallis  8,  Graubünden  4, 
Appenzell  A.-Rh.  3,  Glarus  3,  Zug  2,  Tessin  1. 


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im  Jührr  1>?"?5:  srtro  614  -^  i  Fr.  7'.«*  S-**?  <i  11*  Ik^ct-chLubL  ld«>  q  ao» 
Frarikf'tich.  21  q  43*  Ecziac-i  .  —  J'r«f''«.ir  :3i  jÄhrw-iirccsraiitt  1^77  84: 
hnitto    26  q,    im    Jihr?    I^-^o:    ücttv    32    ^    *    Fr.    1634.    E?stt.4i   Ter>ciii<edeiieii 

waarrri2rÄ«:hÄftr:  riziZ^tra^TQ.   woniitcr  5   M-T5fiaz;ririi?rcirn. 

Esmfukr  At<fmMr 

Xe9.»iL?.  rJ:,  tini  Me5*?iiiztnioh  q  17V 
yL*T-ff^wh\r^:\i  and  X«>^inzdrAhr  ^  20^2 
M-*--inzTrrjAren ,    1  *,•;;-'? 

In    drr    WiAF'^nverkrhr&fttAristik    pr-^f    1' 
l''/-ition  mrbr. 

Metalle.  Das  einzige  XeuU.  das  zur  Z>^it  in  der  Schweiz,  and  zvmr  im 
Jara,  eine  erhebliche  A^b-eate  liefert,  L-t  di-j  Eisenerz.  Terri.  den  Artikel 
-Elisen-. 

Als  a*t(itr  Btiri»:b  ot^fizie  Fundorte  bezeichnet  «üe  R*>hpn>iaktenkarte  Ton 
W'sbf^r  und  Brosi :  Im  Kt.  Äan/au :  Aarau :  in  B»is^U*in'ii  Lausen,  R&nenbnrg, 
8ls6acb  and  Wenslicgen:  im  Kt.  B^rn:  Baderhom  und  Matten:  im  Kt.  Grau- 
hunden :  Bellalnna.  Bergan,  Birio.  Bmsio.  £J>.*«ters,  Lavin.  Minger,  Molinis, 
Nafenen,  Parpan,  Laro»,  Splugen,  Sarleg,  Tarasp,  Tiefenkaaten,  Trans,  Verkam 
und  Vnipera:  im  Kt.  S:haff hauten :  Osterfingen:  im  Kt.  S.ktctfi:  Seewen;  im 
Kt.  S*jlolh>'rn:  BaL^thal.  Inner  Klos  und  Lanpersdorf:  im  Kt.  Tes.^in:  Bogno 
und  Tarena:  im  Kt.  Fnihurg:  MoLtb*>von:  im  Kt.  WalUn  Col  de  Bahne, 
Boßwal'l  und  Sembrancher. 

Nebftt  dem   Eiaen   wurden  früher  n«>ch  folgende  Metalle  gewonnen : 

Blei  in  Traeh.<>ellaaenen,  Kt.  Bern:  in  Andeer,  Cierfe,  Flond.  Minger, 
Schmitten,  Teniger  Bad  und  Wie^n,  Kt.  Graubündtn:  in  L'Amone,  Broson, 
liorenaz,  Evionnaz,  Gamf^l.  Lagert,  Prajean  und  VL»ove,  Kt.  WallU. 

Gold  in  Sa.  Maria  ur.d  Tamin;«,  Kt.  Granbünden,  nnd  Gondo,  Kt.  Wallis, 

Kobalt  in  Ayer  und  Fang,  Kt.  Wallis. 

Kupfer  am  Mürtechen,  Kt.  Glarus ;  in  Arosa,  Filisar,  Flond,  Faldera, 
Lavin,  Marmorera,  Mira,  Molinis,  Monstein.  Parpan,  Salnx,  Schmitten,  Safere, 
Tinzen,  Trunn  und  Wiegen,  Kt.  Graubünden :  am  Col  de  Balme,  in  Fang,  Lourtier, 
Ht.  Martin,   Prajean  und  Vissove,  Kt.  Wallis. 

Etwas  Kupfer  wird  zur  Zeit  noch  im  Tal  d'Annivier  (Wallis)  aasgegraben. 

31augan  in  Tinzen,  Kt.  Graubünden. 

Nickel  in  Ayer  und  Fang,  Kt.  Wallis. 

Silber  in  Trachsellanenen,  Kt.  Bern;  in  Andeer,  Cierfe,  Rlisar,  Flond, 
Fnornn,  Lavin,  Minger,  Molinis,  Parpan,  Schmitten,  Semeus,  Tamins  und  Wiesen, 
Kt.  Graubünden ;  in  Fang  und  Vissoye,  Kt.  Wallis. 

Zinn  in  Monstein,   Kt.  Graubünden. 

Meteorologie  «.  Witterungsverhältnisse. 

Metzf^er  und  Wurster.   Am   1.  Dez.  18^0  gab  es  deren  in  der  Schweiz 
74H  LJ-  0,f;  'yiK>  aller  erwerbsthätigen  Personen.    S69  Ausländer. 


Mexiko  —     415     —  Milchwirthschaft 

Mexiko  s.  Centralamerika. 

Mldouble  (Mydoubles).  Halbdichtes,  rohes  Baamwollgewebe,  das  meist 
bedruckt  und  nachher  zu  tlirkischen  Kopftüchern  oder  „Türkenkappen**  verarbeitet 
wird.  In  großen  Mengen  von  den  Glamer  Druckern  aufgekauft,  zum  Theil  in 
der  Ostschweiz,  zum  Theil  in  England. 

Milehversuchstationen  b.  Milchwirthschaft  und  Musterkäserei. 

Milchwirthschaft.  (Verfasser:  F.  Merz  in  Faido,  Redaktor  der  ,,Schweize- 
rifichen  Milchzeitung**.) 

In  der  schweizerischen  Volks wirthschaft  nimmt  die  Milchwirthschaft  eine 
hervorragende  Stelle  ein,  indem  die  jährliche  Milchproduktion  einen  Werth  von 
über  182  Millionen  Franken  repräsentirt. 

Wie  wir  im  ganzen  Welt  Organismus,  vom  unscheinbaren  Pflänzchen  bis  zum 
höchsten  Wesen  der  Erde,  einen  unaufhörlichen  Kampf  um's  Dasein  konstatiren 
können,  so  finden  wir  diesen  Kampf  auch  in  den  Industrien  eines  Landes  und 
speziell  in  der  Benutzung  unseres  Bodens.  Wie  einst  blühende  große  Geschlechter 
jetzt  verschollen  sind,  so  treffen  wir  heute  stundenweite  Länderstrecken,  deren 
Bevölkerung  Grasbau  und  Milchwirthschaft  treibt,  während  die  Vorfahren  die 
Felder  mit  Korn  bestellt  hatten. 

Schlagen  wir  z.  B.  im  Kanton  Bern  die  Urkunden  aus  dem  15.  und  16.  Jahr- 
hundert nach,  so  begegnen  wir  einer  Menge  Regierungsverordnungen  und  Ausfuhr- 
verboten, die  Milchprodukte  betreffend.  Aus  jenen  Urkunden  geht  hervor,  daß 
der  tiefer  gelegene  Theil  des  Kantons  Bern,  welcher  gegenwärtig  mit  Käsereien 
übersäet  ist,  vor  etwa  drei  Jahrhunderten  noch  allgemein  mit  Korn  und  Getreide 
bebaut  wurde.  Das  Emmenthal  und  das  Berner  Oberland  mußten  damals  dem 
tiefern  Kantonstheil  die  Milchprodukte,  namentlich  Butter,  liefern,  welch'  letztere 
damals,  im  Gegensatz  zur  gegenwärtigen  Zeit,  eine  große  Rolle  spielte. 

Wie  in  der  Bodenproduktion  können  wir  auch  in  der  Milchwirthschaft  eine 
gewaltige  Umwandlung  konstatiren.  Die  gegenwärtig  allgemein  übliche  Fabrikation 
von  Fettk("ise  wurde  noch  im  16.  Jahrhundert  als  eine  Anmaßung  bezeichnet 
und  das  Volk  wurde  von  den  „fürsichtigen  gnädigen  Herren  und  Oberen"  an- 
gehalten, nur  Butter  und  Maf/erkäse  zu  fabriziren.  Die  höher  gelegenen  Gegenden 
des  Kautons  Bern  wurden  unter  ständiger  Androhung  der  Korn-  und  Salzsperre 
verpflichtet,  sämmtliche  Butter  nach  der  Stadt  Bern  zu  bringen.  Im  Jahre  1487 
wurde  z.  B.  im  Kanton  Bern  eine  schon  1481  erlassene  Verordnung  erneuert, 
daß  „keinerlei  Nahrung,  als  Frucht,  Futer,  Gmüs,  Obs,  Käs,  Zif/er,  Anken, 
Eyer,  Hühner,  Vych,  Sau,  Fleisch,  Wyn,  Salz.  Ysen,  Tuch  etc."  außer  Landes 
dürfe  geführt  werden. 

Und  in  dem  jetzt  so  industriellen  und  verkehrsreichen  Appenzell  erließ  die 
Regierung  am   18.  Mai  1598  folgende  Verordnung: 

„Die  Außerrooder  sollen  das  Molchen  (Butter  und  Käse),  das  sie  in  Innerrooden 
kaufen,  hier  (Appenzell)  am  Wochenmarkt  zuerst  feil  haben.  Es  sollen  auch  die  Molchen- 
Grempler,  sowohl  Außer-  als  Innerroodens,  die  Molchen  in  unserm  Land  kaufen,  neben 
dem,  das  sie  sonst  dem  Umgang  nach  in  die  Waag  zu  thun  schuldig  sind,  alleweg  zwei 
unter  ihnen  in  jedem  Umgang  ein  Saum  Schmalz  (Butter)  und  Käse  auf  dem  Markt 
monatlich  feil  haben,  bei  der  Büß  5  Pfund  Denie  (5  Gulden).  Es  soll  auch  allen  Aus- 
ländischen, die  auf  Fürkauf  Molken  kaufen  wollen,  verbotlen  sein,  Sommerzeit  vor  10  Uhr 
solches  zu  kaufen  u.  s.  w. 

„Wo  etwa  ein  Landmann  oder  Hausfrau,  die  Haushaben  (Haushaltungen)  haben, 
auch  gerne  1.  2  oder  3  Molchen  kaufen  wollten  und  er  gibt  dem  Bauer  das  Geld  dafür, 
so  wie  es  ihm  der  Grempler  bezahlt,  alsdann  soll  jeder  Bauer  demselben,  so  viel  er 
mangelt,  zu  geben  schuldig  sein,  dem  Uebertreter  bei  3  Pfund  5  Schilling  Straf.* 

Wie    ganz   anders   steht   es    heute,    nach   drei    bis  vier  Jahrhunderten,    wo 


Milchwirthschafl  —      416      —  Milchwirthschaft 

unsere  eidgenössischen  nnd  kantonalen  Behörden  durch  Hebung  des  Käserei- 
gewerbes und  durch  günstige  Handelsbeziehungen  den  Export  unserer  Milch- 
produkte möglichst  zu  vermehren  suchen. 

Mit  dem  allmäligen  Bau  von  Yerkehrsstraßen  begann  auch  der  Handel  mit 
Vieh  und  Milchprodukten  nach  dem  Auslande,  und  immer  mehr  nahm  die  Ver- 
arbeitung der  Milch  zu  Fettkäse  überhand.  Im  Jahre  1622  sah  sich  die  Berner 
Regierung  wiederum  genöthigt,  ihre  Untergebenen  an  das  Verbot  betreflPend  Vieh- 
und  Käseansfuhr  zu  ermahnen,  da  täglich  solche  Waaren  an  „Lampartern  und 
Meyländern**   etc.  verkauft  wurden. 

Allein  alle  die  strengen  Verordnungen  und  Verbote  waren  nicht  im  Staude, 
die  Fettkäserei  und  den  Handel  mit  diesem  Produkt  zu  unterdrücken ;  die  Freiheit 
in  Handel  und  Gewerbe  brach  sich  Bahn  und  namentlich  waren  es  die  gegen 
Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  im  Emmenthal  entstandenen  Handlungshäuser, 
welche  mit  unternehmendem  Geiste  die  aromatischen  Fettkäse  unserer  Schweizer 
Alpen  in  die  entferntesten  Gegenden  brachten  und  dadurch  unserem  Produkte 
seinen  Weltruf  begründeten.  Daß  aber  der  Export  von  Käse  Anfangs  unseres 
Jahrhunderts  sich  noch  in  engen  Schranken  bewegte,  beweist  wohl  die  Thatsache, 
daß  die  jährliche  Ausfuhr  der  ersten  Schweizer  Handlungshäuser,  welche  damc^ls 
den  Gesammtverkehr  besorgten,  bis  zum  Jahre  1810  im  Ganzen  nur  auf  5000 
bis  6000  Kilozentner  veranschlagt  wurde. 

Unserem  Jahrhundert  war  es  vorbehalten,  die  schweizerische  Milchwirthschaft 
als  eine  großartige  Industrie  aufblühen  zu  sehen.  Die  Eröffnung  der  Simplon- 
und  der  Gotthardstraße  wie  der  andern  Verkehrsstraßen  und  namentlich  der  Bau 
der  Eisenbahnen  brachten  einen  großartigen  Aufschwung  in  die  Milchindustrie. 
Auf  der  andern  Seite  wurde  aber  die  Produktion  an  Milch  und  Käse  in  hohem 
Maße  gefördert  sowohl  durch  die  Einführung  des  Kunstgrasbaues  und  der  Stall- 
fütterung, als  auch  durch  die  Bildung  von  Käsereigenossenschaften  in  den  Thälem 
und  Ebenen  der  Schweiz.  Wir  machen  uns  durchaus  keiner  Uebertreibung  schuldig, 
wenn  wir  behaupten,  daß  die  Milchproduktion  in  der  Schweiz  sich  seit  dem 
Anfang  unseres  Jahrhunderts  zum  Wenigsten  verdoppelt,  in  vielen  Gegenden  aber 
verdreifacht  hat. 

In  hunderten  von  Gemeinden  könnte  an  der  Hand  bestimmter  Zahlen  die 
Thatsache  dieser  enormen  Steigerung  der  Milchproduktion  nachgewiesen  werden ; 
denn  wo  früher  der  Boden  5  Kühe  zu  ernähren  vermochte,  treffen  wir  heute 
10  und  mehr  Kühe  im  Stalle,  welche  durch  rationellere  Züchtung,  Fütterung 
und  Behandlung  ein  bedeutend  größeres  Milchquantum  geben  als  eine  gleiche 
Anzahl  vor  einem  halben  Jahrhundert.  Zum  Beweise  hiefür  sei  uns  gestattet, 
wenigstens  zwei  Beispiele  anzuführen. 

Direktor  Spörri  in  Düdingen  (Freiburg)  illustrirt  die  Vermehrung  der 
Milchproduktion  mit  folgenden  Zahlen:  Die  Anglo  Swiss,  Filiale  Düdingen,  hat 
Milch  erhalten  von: 


Milchwirthschaft 


—      417      — 


Milchwirthschaft 


Jahrgang 

1 
Düdingen 

(Dorfschaft) 

Ottisberg 

(einige  Hofe) 

Garmiswyl 

(3  Güter) 

Filiistorf 

(3  Güter) 

Rasch  und 
Wittenbach 

(kleine  Ortjcb.) 

Vogelhaus 

(einzelner  Hof) 

2  1 
"1 

'             q 

.. 

q 

H 

«1 

4 

1                  'l 

!       1873 

874 

— 

782 

618 

— 

' 

1874 

935 

839 

989 

598 

1                

1       1875 

1083 

— 

927 

997 

618 

'      3426 

!       1876 

1093 

485 

901 

— 

1020 

635 

3665 

'       1877 

1280 

568 

1053 

1078 

1124 

689 

4068 

•       1878 

1208 

730 

1086 

1095 

1343 

665 

3942 

1879. 

1368 

650 

1143 

1155 

1465 

718 

]      4228 

;      1880 

1543 

743 

1282 

1221 

1690 

744 

4756 

;    1881 

1760 

770 

1508 

1407 

1935 

901 

4740 

!       1882 

2053 

791 

1433 

1938 

1814 

1074 

4945 

1883 

2215 

820 

1552 

2296 

1951 

1023 

5488 

Wie  aus  vorstehenden  Zahlen  hervorgeht,  hat  sich  in  der  Umgehung  von 
Dudingen  auf  den  meisten  Liegenschaften  der  Milchertrag  in  einem  Jahrzehnt 
verdoppelt. 

Im  Entlehuch,  Kanton  Luzem,  wurde  die  erst«  Genossenschaftskäserei 
um's  Jahr  1831  gegründet,  in  welche  Zeit  daselhst  auch  der  Anbau  des  Kunst- 
grases  und  die  Einführung  der  Stallfiitterung  fällt.  Yen  jener  erstgegrtindeten 
Sennerei  Lehn  (Gemeinde  Escholzmatt)  wurden  uns  die  Bechnungen  von  einem 
halben  Jahrhundert  zur  Verfügung  gestellt,  aus  welchen  hervorgebt,  daß  stets 
von  den  f/leichen  ca,  33  Liegenschaften  die  Milch  in  diese  Käserei  geliefert 
wurde.  Trotzdem  keine  neuen  Lieferanten  hinzukamen,  stieg  das  Milchquantum 
fortwährend,  was  aus  folgenden  Stahlen  hervorgeht: 


Jalir 

Milchquantiim 

JahreseiDDahmen 

Mllchpreis  per  kg 

Biia- 

und  Venvaltangs- 
kosten 

1854 

49,047 

Liter 

Fr.     3,923 

8,00  Rp. 

Fr. 

147.  09 

1859 

89,073 

n 

r       9,615 

8,80    , 

1» 

274.  24 

1864 

99,431 

n 

«     11,235 

11,30     , 

n 

368.   70 

1869 

143,177 

n 

„     16,823 

11,75     „ 

r 

486.  65 

1874 

118,031 

« 

.     17,999 

15,25     . 

n 

70.  85 

1879 

181,738 

r» 

„     23,625 

13,00     , 

t* 

1293.  54^) 

1883 

198,982 

T» 

„     24,872 

12,50     , 

n 

966.  25 

Diese  Zahlen  bestätigen  gewiß  in  vollstem  Maße  unsere  Behauptung,  daß 
durch  bessere  Düngung  und  Bearbeitung  des  Bodens  und  durch  rationellere  Vieh- 
haltung die  Milchproduktion  in  der  Schweiz  sich  seit  Anfang  dieses  Jahrhunderts 
verdoppelt,  ja  in  vielen  Gegenden  sogar  verdreifacht  hat. 

Hand  in  Hand  mit  der  Steigerung  der  Produktion  wuchs  auch  der  Absatz 
der  Milchprodukte,  Mit  jedem  Jahr  vermehrte  sich  die  Nachfrage  nach  denselben 
und  auch  die  Anzahl  der  Käsereien  wurde  eine  immer  größere.  Im  Kanton 
Thurgau  z.  B.,  wo  der  ost^chweizerische  Käserverein  eine  genaue  Käserei- 
statistik aufgenommen  hat,  wurde  die  erste  Käserei  im  Jahre  1845  gegründet, 
welcher  bis  zum  Jahre  1855  6  weitere  folgten ;  in  den  folgenden  10  Jahren 
entstanden    47  Käsereien   und  von   1866 — 1875  wieder  48  neue  Käsereien.     In 


*j   Im    Jahre    1879   wurde   eine   neue   Sennhütte   gebaut,    wobei   die   Kosten   von 
Fr.  8548  auf  die  Lieferanten  vertheilt  wurden  im  Betrage  von  Fr.  82—605  yet  ^vVs^xsA. 

Furrer,  Volk(«wirthschaftä-LexikoD  der  Schweiz.  ^ 


Milchwirthschaft 


—      418 


Milchwirtlischaft 


den  letzten  10  Jahren  vermehrte  sich  ihre  Zahl  wieder  um  30  and  stieg  auf 
131,  welche  per  Jahr  ca.  40  Millionen  Liter  Milch  verarbeiten. 

Im  Kanton  Aargau  wurden  1840—1850  4,  1851—1860  9,  1861-1870 
37,   1871—1880  21  und  1881  —  1882   13  neue  Käsereien  errichtet. 

Deutlicher  noch  als  die  Errichtung  von  Käsereien,  worüber  wir  aus  andern 
Kantonen  keine  Anhaltspunkte  besitzen,  geht  die  Entwicklung  der  schweizerischen 
Milchwirthschaft  hervor  aus  den  Ziffern  der  eidgenössischen  Zolltabellen. 

a.  Käse, 


Jahr 

Einfuhr 

AuHfulir 

Jahr 

Einfuhr 

Ausfuhr 

1854 

128,950  kg 

5*356,150  kg 

1871 

720,300  kg 

20*670,750  kg 

1855 

137,200    , 

6'546,050    , 

1872 

928,850    , 

19^271,600    , 

1856 

115,300    , 

7*362,700    , 

1873 

921,800    , 

19*607,650    , 

1857 

130,650    , 

7*156,500    , 

1874 

926,700   , 

20*433,650    , 

1858 

192,750    , 

5*305,900    ^ 

1875 

1*088,100    , 

19*875,100    , 

1859 

181,550    . 

7'044,600    , 

1876 

1*259,450    , 

20*095,750    , 

1860 

253,500    „ 

7'339,450    , 

1877 

r 368,000    , 

17*799,000    , 

1861 

319,800    , 

8*352,450    , 

1878 

r337,100    , 

19*579,900    , 

1862 

281,850    , 

8*610,550    „ 

1879 

1*211,200    , 

21*017,400    , 

1863 

323,850    . 

8^360,800    „ 

1880 

r 325,400    , 

21718,900    , 

1864 

353,850    , 

9*274,500    , 

1881 

1*264,900    , 

24^039,700    , 

1865 

472,200    „ 

ir 684,250    , 

1882 

r  125,300    , 

26*025,700    , 

1866 

503,600    , 

12*556,300    , 

1883 

ri  19,900    , 

26'947,200    , 

1867 

437,300    , 

14*842,200    , 

1884 

r21 1,800    , 

25*387,000    , 

1868 

477,200    „ 

14^193,000    , 

1885 

1*124,900    ,  0 

24*512,200    , 

1869 

492,600    „ 

16*249,700    , 

1886 

1*085,600    , 

27*431,900    , 

1870 

588,900    „ 

16*986,100    „ 

b,  B 

uiler. 

.fuhr 

Killfuhr 

Aujifuhr 

Jalir 

Einfuhr 

Ausfuhr 

1861 

r877,400  kg 

107,350  kg 

1875 

2'977,700  kg 

642,650  kg 

1862 

2'610,900    , 

296,600    , 

1876 

4*083,400    , 

437,900    . 

1863 

2'977,900    , 

463,400    , 

1877 

4*611,200    , 

456,200    „ 

1864 

2'081,100    , 

702,500    , 

1878 

5*341,700    , 

445,700    , 

1865 

r36o,2(X)    , 

1*500,500    , 

1879 

5'82 1,700    „ 

441,700    , 

1866 

r 644,900    , 

817,500    , 

1880 

5*052,000    , 

586,100    , 

1867 

2'249,150    , 

515,450    , 

1881 

5' 180,200    , 

836,400    , 

1868 

r899,700    , 

787,150    , 

1882 

4*223.200    , 

672,000    , 

1869 

2'048,550    . 

1*041,050    , 

1883 

5'069,200    , 

764,800    . 

1870 

1770,200    . 

1*107,500    . 

1884 

4'42 1,600    , 

656,100    , 

1871 

2774,150    , 

774,650    , 

1885 

r  ri50,700    , 

705,000    ,*) 

1872 

4'250,000    , 

590,550    , 

1  3717,400    . 

18,800    ,») 

1873 

4'415,550    , 

535,600    „ 

1886 

1*307,400    , 

724,800    , 

1874 

3'073,100    , 

792,4a)    „ 

c,    Milc 

1 
hzncker. 

.lalir 

r.infulir 

Ausfuhr 

Jahr 

Einfuhr 

Audfnbr 

1878 

39()0  kgr 

136,000  kg 

1882 

23(X)  kg 

133,900  kg 

1879 

48()0    , 

57,400    , 

1883 

1200    , 

122,400    , 

188() 

-M)    , 

178,400    , 

1884 

1000    „ 

113,900    , 

1S81 

800    , 

110,100    „ 

^)  Seit  1885  wird  das  Nettogncicht  in  den  Zolllabellen  notirt,  während  die  früheren 
Zahlen  das  BrultDgewicht  repräsent iren.  Um  mit  der  Ausfuhr  früherer  Jahre  einen 
Verfrleich  anstellen  zu  können,  ist  es  nolhwendig,  dem  Nettogewicht  der  zwei  letzten 
Jahre  die  Tara  von  10  "  o  desselben  hinzuzufügen ;  hienach  betrug  die  Bruttoausfuhr 
im  Jahre  18^5  2r>'%3,i00  kg  und   18S0  3()*175,UMJ  kg. 

■')  Butter.  —  •*')  Schweineschmalz.  Diese  beiden  Fette  werden  seit  1885  getrennt 
in  der  Zolltabelle  aufgeführt  uml  zwar  netto. 


Milehwirthschafl 

— 

419 

— 

Milchwirtlischaft 

d.  Kondensirte  Milch. 

Jahr 

Einfuhr 

Ausfahr 

( 

Jahr 

Einfuhr 

Ausfuhr 

1877 
1878 
1879 
1880 
1881 

24,500  kg 

20,600    , 

23,000    „ 

4,600    , 

1,800    , 

5*499,100  kg 
6*419,700    , 
7*813,800    , 
9*229,300    „ 
11*591,400    , 

1 
1 

i 
1 

1882 
1883 
1884 
1885 
1886 

1,100  kg 
3,700    , 
200    , 

1,500    . 

11*621,500  kg 
12*094,300    , 
14*677,900    , 
11*830,400    /) 
13*106,600    , 

Wenn  auch  diese  Zahlen  schon  ohne  Kommentar  die  großartige  Entwicklang 
des  schweizerischen  Molkereiwesens  veranschaulichen,  mag  es  dennoch  nützlich 
sein,  denselben  einige  weitere  Betrachtungen  anzuschließen. 

a.  Käse.  Die  Käse-Einfuhr  ist  von  den  5Üer  bis  Ende  der  70er  Jahre 
fortwährend  gestiegen  und  hat  sich  in  den  zwei  Dezennien  geradezu  verzehnfacht. 
Seit  10  Jahren  ist  sich  die  Einfulir  so  ziemlich  gleich  geblieben  und  bildet 
durchschnittlich  4 — 5  "/o  unserer  Ausfuhr.  Die  Einfuhr  fremder  Käse  nimmt 
eher  ab,  weil  man  in  der  Schweiz  mehr  Weichkäse,  welche  hauptsächlich  ein- 
geführt werden,  fabrizirt,  und  anderseits,  weil  unsere  Bevölkerung  den  einheimischen 
Schweizerkäse  6tet.s  in  größerem  Maße  konsumirt. 

Fünfjähriger  Durchschnitt  der  Käse-Ein-  und  Ausfuhr. 

Einfuhr  Ausfuhr 

1854  —  1858  140,990  kg  6^345,460  kg 

1859—1863  272,510  „  8'141,540  „ 

1864  —  1868  448,830  „  12*510,050  „ 

1869  —  1873  730,490  „  18^557,160  „ 

1874—1878  1^195,870  ,  19^556,680  „ 

1879—1883  1*209,340  „  23^949,780  „ 

1884—1886  1*214,400  „  27^508,500  „ 

Bis  in  die  neueste  Zeit  hat  also  die  Ausfuhr  von  Käse  stetig  zugenommen; 
indessen  werden  die  bisherigen  Absatzgebiete  sich  nur  noch  mühsam  behaupten 
lassen,  da  einige  Länder  ihre  Zölle  erheblich  erhöht,  andere  mit  der  Käse- 
fabrikation selbst  begonnen  haben. 

Und  zwar  nicht  nur  quantitativ,  sondern  auch  qualitativ  suchen  diese  Länder 
uns  zu  überflügeln,  so  daß  es  hohe  Zeit  ist,  der  Fabrikation  von  Ausschußwaare 
in  der  Schweiz  Einhalt  zu  thun. 

In  den  frühern  Jahren  betrug  die  Ausschußwaare  25 — 30  ®/o  der  Gesammt- 
käseproduktion  und  in  den  letzten  3  Jahren  stieg  dieselbe  sogar  auf  40  und  mehr 
Prozent.  Die  Preisdifferenz  zwischen  Prima-  und  Ausschußwaare  beträgt  Fr.  20 
bis  40.  Veranschlagen  wir  nun  die  jährliche  Käseproduktion  auf  nur  300,000 
Kilozentner,  so  ergibt  sich  bei  40  ^/o  oder  120,000  Kilozentner  Ausschußwaare 
und  bei  einer  mittlem  Preisd^ferenz  von  Fr.  30  per  100  kg  ein  jährlicher 
Ausfall  in  unserer  Käseindustrie  von  über  372  Millionen  Franken, 

Es  ist  aber  namentlich  die  bessere  fremde  Imitation,  welche  mit  unserer 
Export waare  einen  ernsten  Kampf  aufgenommen  hat.  Viele  unserer  Mitbürger 
sind  als  tüchtige  Käser  nach  Kußland,  Deutschland  und  Frankreich  gezogen  und 
haben  dort  Käsereien  mit  den  besten  Einrichtungen  erbaut.  In  Deutschland  wird 
nun  dem  Publikum  von  unsern  Berner  Käsern  in  Ost-  und  Westpreußen  die 
Prima  Emmenthaler-Imitation  zu  Fr.  100 — 120  per  Kilozentner  franko  in's  Haus 
geliefert,     während    der    gleichen    Kundschaft    unsere    Prima    Emmenthaler    auf 

*j  Das  Bnitlogewicht  (Nettogewicht  mit  337»  7«  Tarazuschlu};)  betrug  1885 
15773,900  kg  und  1886  17*475,500  kg. 


Milchwirthschaft  —      420     —  Milchwirthschaft 

Fr.  160 — 170  franko  zu  stehen  kommen.  Noch  größer  ist  die  Differenz  in 
Rußland,  wo  eine  gute  Emmen thaler- Imitation  fabrizirt  werden  soll;  unsere 
Prima  Waare  kostet  in  Rußland  sammt  Fracht  und  Zoll  wenigstens  Fr.  330 — 360 
per  100  kg,  während  die  dortige  einheimische  beste  Imitation  zu  Fr.  120 — 130 
ofiferirt  wird. 

Wir  werden  auf  die  Eäsefabrikation  später  noch  zurückkommen,  glauben 
aber  schon  aus  vorstehenden  Betrachtungen  den  Schluß  ziehen  zu  dürfen,  daß 
die  schöne  Zeit,  wo  der  Schweizerkäse  den  ganzen  Weltmarkt  beherrschte,  vorbei 
ist,  und  daß  sich  unser  Export  nur  durch  die  höchste  Vervollkommnung  der 
Fabrikation  aufrecht  erhalten  kann. 

6.  Butter,  Wenn  auch  die  Zolltabellen  an  Einfuhr  von  Butter  und  Schweine 
schmalz  stets  das  fünf-  bis  zehnfache  Quantum  der  Ausfuhr  notirten,  herrschte 
doch  vielfach  die  Ansicht,  die  Schweiz  produzire  für  ihren  Konsum  genügend 
Butter.  Die  im  Jahre  1885  zum  ersten  Mal  durchgeführte  Trennung  von  Butter 
und  Schweineschmalz  in  den  Zolltabellen  hat  nun  ergeben,  daß  die  705,000  kg 
betragende  Butterausfuhr  von  der  Einfuhr  um  445,700  kg  tibertroffen  wird. 
Trotz  dieser  beträchtlichen  Mehreinfuhr  an  Butter  repräsentiren  die  ausgeführten 
7050  Kilozentner  einen  Mehrwerth  von  Y2  Million  Franken;  nach  den  Zoll- 
deklarationen beträgt  der  Werth  der  eingeführten  11,507  Kilozentner  Butter 
Fr.  1' 530,431,  der  Werth  der  ausgeführten  7050  Kilozentner  Butter  dagegen 
Fr.  2*051,589.  Während  die  Schweiz  die  beste  Butter  im  durchschnittlichen 
Werth  von  Fr.  2.  90  per  Kilogramm  ausführt,  kauft  sie  vom  Ausland  um  kaum 
den  halben  Preis  ein  größeres  Quantum  zurück. 

Aus  dem  billigen  Preis  der  eingeführten  Butter  von  ca.  Fr.  1.  40  per 
Kilogramm  können  wir  schließen,  daß  nur  ein  ganz  kleiner  Theil  derselben  ächte 
Butter  ist  und  daß  wir  es  hier  in  den  meisten  Fällen  mit  Margarin  oder  gering- 
werthigem  Kochfett  zu  thun  haben. 

Daß  die  Schweiz  für  ihren  Konsum  zu  wenig  Fett  produzirt,  beweisen  die 
Einfuhrziffern  zur  Genüge,  betrug  doch,  abgesehen  von  der  obenerwähnten  Mehr- 
einfuhr an  Butter,  die  Einfuhr  von  Schweineschmalz  3' 7 17, 400  kg,  während  die 
Schweiz  nur  18,800  kg  dieses  Fettes  ausführte.  Dieser  bedeutende  Ausfall  an 
Butter  und  Schweinefett  bietet  der  schweizerischen  Landwirthschaft  noch  ein 
schönes  Wirkungsfeld.  Die  fremde  Konkurrenz  ist  jedoch  auf  diesem  Gebiete  so 
drückend,  daß  wir  bei  unsern  hohen  Bodenpreisen  kaum  konkurrenzfähig  sein 
werden. 

c.  Kondensirie  Milch,  Wohl  am  großartigsten  hat  sich  die  Ausfuhr  konden- 
sirter  Milch  entwickelt.  Vor  20  Jahren  kannte  man  in  der  Schweiz  die  Fabri- 
kation kondensirter  Milch  noch  gar  nicht  und  heute  führen  die  Fabriken  netto 
ir830,400kg  im  Werthe  von  Fr.  13*590,751   aus. 

# 
Nachdem  wir  nun  die  Bedeutung  der  Milchwirthschaft  als  eine  der  wich- 
tigsten Exportindustrien  in  kurzen  Zügen  gezeichnet  haben,  glauben  wir  den 
Leser  am  besten  in  dieses  Gebiet  einführen  zu  können,  indem  wir  den  Stoff 
naturgemäß  in  folgende  drei  Abschnitte  eintheilen:  I.  Milchproduktion ;  II.  Ver- 
werihumf  der  Milch  und  III.  Förder un(ß  der  schweizerischen  Milchwirthschaft. 

I.  Milchproduktion. 

Nach  der  Viehzählung  vom  21.  April  1886  besitzt  die  Schweiz  662,336 
Milchkühe  und  415,916  Ziegen.  Weitere  oHizielle  Anhaltspunkte  zur  Bestimmung 


Milchwirthschaft  —     421      —  Milch  wirthschafl 

der  Milchproduktion  fehlen,  weßhalb  es  ungemein  schwierig  ist,  dieselbe  nur 
einigermaßen  genau  zu  bestimmen,  namentlich  da  wir  in  der  Schweiz  mit  den 
verschiedensten  Yerhältnissen,  Yiehracen  und  Fütterongsarten  zu  rechnen  haben. 

Der  Milchertrag  der  Ktlhe  ist  je  nach  Bace,  Züchtung  und  Haltung  sehr 
verschieden,  er  varirt  zwischen  1600  und  4700  Liter.  Thatsache  ist,  daß  das 
Braonvieh  verhältnißmäßig  einen  größern  Milchertrag  liefert  als  das  Fleckvieh, 
welches  dagegen  hinsichtlich  Fleischproduktion  und  Arbeit  größere  Leistungen 
aufweist.  Das  Braun vieh  finden  wir  in  der  Schweiz  zahlreicher  als  das  Fleckvieh, 
und  zwar  ungefähr  im  Yerhältniß  von  5:3. 

Sowohl  beim  Braun-  wie  beim  Fleckvieh  können  wir  einen  großen,  mittleren 
und  kleinen  Schlag  unterscheiden,  welche  auch  im  Milchertrag  bedeutend  von 
«inander  abweichen. 

Der  kleine  und  mittlere  Schlag  des  Braunviehes  findet  sich  nur  in 
verhältnißmäßig  geringer  Zahl  im  Bündner  Oberland  wie  in  andern  Thälem 
Oraubündens,  im  Tessin,  im  Obertoggenburg  und  Appenzell.  Jedes  Jahr  werden 
jedoch  eine  Anzahl  Stiere  und  Kühe  aus  dem  Kanton  Schwyz  in  diese  Thäler 
eingeführt,  um  die  Race  zu  veredeln  und  namentlich  den  Milchertrag  zu  steigern. 

Weitaus  der  größte  Theil  der  Braunviehrace  gehört  dem  großen  Einsiedler, 
March-  oder  Schwyzer  Schlage  an,  welcher  in  den  letzten  Jahren  überall  sorg- 
fältiger gezüchtet  wird,  da  man  an  gar  vielen  Orten  darauf  ausgeht,  den  ganzen 
Ertrag  der  Liegenschaft  aus  dem  Euter  der  Kühe  zu  ziehen.  In  den  verschiedenen 
-Gegenden  der  Schweiz  treffen  wir  eine  Menge  von  Braunviehschlägen  an,  wie 
den  Grlarner,  Toggenburger,  Appenzeller,  Rheinthaler  und  Zuger  Schlag,  welche 
sich  alle  durch  große  Milchergiebigkeit  auszeichnen. 

Wir  haben  eine  Anzahl  Aufnahmen  über  die  Milchergiebigkeit  der  Braun- 
viehrace gesammelt  und  theilen  vorab  diejenigen  des  Generaldirektors  Page  in 
Langrüthi  bei  Cham  mit. 


Hilchivirthsi-baft 


Milchwirthu'hall 


Milcherträge  von  diverseii  Etthen  aus  der  Viehherde  des  Herrn 
Generaldirektor  Page  in  LaugrUthi  bei  Cham. 


: 

Geumml- 

DlirGltKhnIHL  Ertrag 

!i  =  5 

Altw 
der  Kah 

;    Anzahl 
'■■  MelMM« 

Milch- 
ertrag 

per  Meihtm  gleich 

'§r 

Jakrc 

!■« 

«K 

Llltr 

1    •. 

10 

4.  November    1885 

315 

4825 

15^ 

16.8 

;     3,38 

9 

6.  April            1886 

330 

4726 

14.3 

15.7 

3,29 

7 

1.  Februar 

972 

3390 

19,4 

13,6 

;      3,55 

» 

7.  Juni 

!      381 

4227 

15,0 

16.6 

1  .  3,07 

1-      , 

;      273 

2758 

10.1 

n.i 

3,78 

10 

17.  November    1885 

280 

2881 

10.3 

11,3 

3,61 

8 

25.  Hai              1886 

266 

4364 

16,3 

17,9 

3,31 

8 

19.  April 

370 

4151 

15,3 

16,8 

3.32 

25.  September   1885 

266 

3941 

14,8 

16.3 

3,34 

7 

15.  Mira            1886 

273 

4276 

15,7 

17,9 

3,17 

8 

17.  November    1885 

299 

4194 

14,0 

15,4 

3.37 

8 

4-      . 

483 

3961 

14,0 

15,4 

3,27 

6 

28.  Oktober        1835 

300 

4308 

14.3 

15,7 

3.35 

8 

12.  April            1886 

348 

3767 

15,2 

KJ 

3,46 

8 

37.  Mai 

270 

3148 

11,6 

12,7 

3:45 

•J 

35.  August         1885 

285 

2877 

10,1 

11.1 

3.65 

« 

11.      , 

284 

3073 

10.8 

11,8 

3,33 

8 

28.  Oktober 

338 

5734 

16,9 

18,5 

3,19 

8 

29.      , 

384 

3881 

13,6 

14,9 

3,94 

7 

11.  September      . 

382 

2886 

10.2 

11,9 

4,00 

6 

28.  Otlober 

300      , 

3172 

10.5 

11.5 

3.45 

8 

11.  November       , 

269 

4042 

15.0 

16,5 

3.42 

16.  Mi              1886 

272 

2744 

10.1 

11,1 

3,55 

6 

315 

3747 

11,9 

13,0 

3,36 

6 

%i.  Hai                188<; 

975 

3442 

12,5 

13,7 

3,79 

6 

18.  November     1885 

.314 

3608 

11,4 

12,5 

3.49 

(i 

15.  JiiDuar          1886 

276 

4107 

14.8 

16,9 

3,03 

1) 

30.  Mai 

975 

SAH 

11,6 

13,7 

3.39 

5 

11.  Harz 

256 

3Ö91 

14.4 

15.8 

3,91 

20.  NovembiT    iSXb 

ä95 

3474 

11,7            12.8 

3,99 

30.  April            1886 

363 

3097 

113 

12.9 

3.0« 

9.  Mirz 

9Wi 

9871    1 

13,9 

15.2 

3,31 

7.  Okhjber       lSt!5 

359 

3371    ^ 

9.1 

10,0 

3,48 

28.  JuDi             1886 

272 

2619 

9.7 

10,6 

3,79 

15.  April            1885 

264 

2715    . 

10,3 

11,3 

335 

8.  Xoveinber       . 

279 

3966 

11.7 

!?•«_. 

3.00 

Dur<hsdmittl885,s6 

283 

3626 

12,8 

14,0 

3,39  " 

1884/86 

288 

3745,2 

i:i.n 

14,3 

3.39 

Eu  ixt  dies  ein  echiiner,  koatbarer  Yiehatand,  welcher  allerdinge  mehr  alü 
den  Durchschnitt  repräaentirt ;  allein  aus  obigem  Resultat  ist  zu  ersehen,  wie 
hoch  der  Milchertrag  auch  bei  ungekilnutelter  Fütterung  durch  sorgffiltige  ZUchtnng 
und  Haltung  de^  Viehes  gebracht  werden  kann.  Bei  einer  anasch ließ) ich  natür- 
lichen Filttemng  von  Gras  rei^p.  Heu  und  Emd  betrug  der  Jahres -Milchertrag 
1886  von  4—8  Jahre  alten  Kühen  2fj-iy— 482.'i  kg  oder  durchschnittlich 
;it;2(;  kg  gegenüber  :(745,2  kg  im  Jahre   188.'). 

AuN  obiger  Tabelle  ersieht  man  auch  eine  tiufl'allende  Ditferenz  zwischen 
dem    Uenultat   von   Wägen    und    Me.-nten.     Bekanntlich    igt    1    Liter    kalte  Hilch 


Milchwirthschaft  —      423      —  Milchwirthschaft 

ca.  30  Gramm  schwerer  als  1  kg,  während  12  Liter  warme  Milch  nur  11  kg 
wiegen;  dies  ist  beim  Eäsereibetrieb  sowohl  för  die  Lieferanten  wie  für  den 
Milchkäufer  von  größter  Wichtigkeit.  Auch  der  Fettgehalt  der  einzelnen  Milchen 
wurde  bestimmt  und  man  fand,  daß  derselbe  bei  der  Braunviehrace  und  bei  der 
natürlichen  Fütterung  zwischen  3  und  4  ^/o  varirte  und  im  Durchschnitt  3,32  % 
betrug  (im  Jahre  1885  3,39  7o). 

Einen  ähnlichen,  sehr  schönen  Braunviehstand  trafen  wir  bei  Gebrüder 
Brunnschweiler  in  Hauptweil,  welche  uns  auch  in  zuvorkommender  Weise 
die  Melkresultate  mittheilten.  Von  31  3 — 11  Jahre  alten  Kühen  betrug  der 
Milchertrag  vom  1.  Januar  bis  31.  Dezember  des  Jahres  1884  5,2  — 12,1  Liter 
per  Tag  oder  1889 — 4436  Liter  per  Jahr  und  im  Durchschnitt  8,4  Liter  per 
Tag  und  3066  Liter  per  Jahr.  In  dem  bezüglichen  Bericht  bemerkte  Hauptmann 
Brunnschweiler,  daß  keine  milchtreibenden  Futtermittel  angewendet,  sondern  fast 
ausschließlich  Gras,  Heu  und  Emd  gefüttert  werden.  Nach  vorgenommenen 
Fntterwägungen  wurden  au  eine  Euh  per  Tag  verabreicht :  1 5  kg  Heu  und  Emd, 
120  g  Futtermehl  (etwas  besser  als  Kleie)  und  100  g  Salz. 

Im  „Strickhof"  bei  Zürich  wurden  im  Jahre  1883  von  8  Stück  Braun- 
vieh 6,3  — 11,1  Liter  oder  durchschnittlich  8,7  Liter  Milch  per  Tag  und  per 
Stück  gemolken.  Der  jährliche  Milchertrag  auf  100  kg  Lebendgewicht  varirte 
zwischen  367  und  693  kg  und  betrug  im  Durchschnitt  536  kg. 

In  der  Strafanstalt  Luzern  erzielte  man  im  Jahre  1884  folgendes 
Resultat : 

Milchertrag 

_  per  Kuh  uml 

Total  ' ^ 


jier  Tag  per  Jahr 

Sedelhof      .     .      152  Juch.     26  Kühe     77,633  Liter     8,2  Liter     2986  Liter 
Müchhof     .     .       85       „         21       „        69,745       „        9,0      „        3321       „ 
Emmenland      .        45       „         19       „         67,562       „        9,7       „         3556 

Die  Milchkondensations fabrik  in  Cham  (Zug)  bezog  im  Jahre  1886 
die  Milch  von  7600  Kühen,  fast  ausschließlich  der  Braunviehrace  angehörend. 
Der  durchschnittliche  jährliche  Milchertrag  per  Kuh  betrug  nach  bezüglichen 
Aufnahmen  von  Inspektor  Ritter  2735  kg  oder  2650  Liter  r^  7,26  Liter  per  Tag. 

Man  wird  uns  vielleicht  vorwerfen,  daß  alle  die  obigen  Zahlen  über  dem 
Durchschnitt,  wie  er  sich  in  der  Schweiz  findet,  stehen.  Auch  wir  sincl  damit 
einverstanden,  daß  der  durchschnittliche  Milchertrag  bedeutend  unter  3000  kg 
per  Kuh  steht,  was  schon  die  Erhebungen  von  Ritter  im  Kanton  Zug  (Anglo 
Swiss)  beweisen. 

Auf  unsere  Anregung  hat  nun  Herr  Reber,  Mi  Ichkon  troleur  des  allgemeinen 
Konsumvereins  Basel,    interessante   Erhebungen   in  Arisdorf  (Baselland)  gemacht. 

Im  Jahre  1886  lieferten  75  Landwirthe  aus  Arisdorf  mit  275  Kühen  an 
genannten  Konsumverein 634,897  kg  Milch. 

Der  eigene  Hausbedarf  für  75  Familien,  durchschnittlich 
täglich  zu  4  kg  berechnet,  macht  für  das  ganze  Jahr  .      .      109,500    „        ^ 

was  zusammen  einen  jährlichen  Milchertrag  von       .     .      .      744,397  kg  ergibt. 

Der  Jahresertrag  per  Kuh  stellt  sich  demnach  durchschnittlich  auf  2710  kg 
und  das  tägliche  durchschnittliche  Milchquantum  auf  7,42  kg  r-^  7,2  Liter 
(1   Liter  =  1030  g  berechnet). 


Milchwirthschaft  —      424     —  Milchwirthschaft 

Aas  diesen  und  vielen  anderen  Erhebungen  glauben  wir  den  Schluß  ziehen 
zu  dürfen,  daß  der  durchschnittliche  j&hrliche  Milchertrag  der  Braunyiehrace  zu 
2500  Liter  darf  veranschlagt  werden. 

Die  Fleckviehrace  ist  am  meisten  vertreten  durch  den  großen  Simmen- 
thaler und  Freiburger  Schlag;  die  mittlem  und  kleinen  Freiberger,  Frutiger, 
Ghindelwald'  und  ^alliser  Schläge  beschränken  sich  nur  auf  einige  Bezirke. 

Auch  über  die  Milchergiebigkeit  der  Fleckviehrace  liegen  uns  von  ver- 
schiedenen Gutswirthschaften  zuverlässige  Zahlen  vor.  So  erzielte  z.  B.  die 
landwirthschaftliche  Schule  Bütti  bei  Bern  von  ca.  25  Fleckktthen 
während  7  Jahren,  1872  —  78,  einen  durchschnittlichen  Milchertrag  von  8,4  Liter 
per  Kuh  und  per  Tag  =  3066  Liter  per  Jahr.  In  der  gleichen  Anstalt  betrug 
im  Jahre  1884  der  Milchertrag  von  20  Kühen  durchschnittlich  8,3  Liter  per 
Tag  oder  3029  Liter  per  Jahr,  und  im  Jahre  1885  von  25  Kühen  durch- 
schnittlich 2866  Liter. 

Auf  dem  Gute  der  Irrenanstalt  Waldao  bei  Bern  gaben  im  Jahre 
1876  28  Fleckkühe  durchschnittlich  10,7  kg  per  Tag  oder  3920  kg  per  Jahr. 

An  der  landwirthschaftlichen  Schule  „Strickhof**  bei  Zürich 
erhielt  man  im  Jahre  1883  von  6  Stück  Fleckvieh  durchschnittlich  8,9  Liter 
per  Tag  oder  513  Liter  per  Jahr  auf  100  kg  Lebendgewicht. 

Wir  begegnen  hier  durchweg  sehr  hohen  Milcherträgen,  welche  3000  Liter 
per  Jahr  größtentheils  übersteigen.  Im  Allgemeinen  aber  steht  der  Milchertrag 
der  Fleckviehrace  unter  demjenigen  des  Braunviehes,  und  wir  werden  der 
Wirklichkeit  wohl  am  nächsten  kommen,  wenn  wir  den  durchschnittlichen 
jährlichen  Milchertrag  der  Fleckkühe  zu  2300  Liter  und  denjenigen 
unseres  ganzen  schweieeHschen  Viehstandes  zu  2iOO  Liter  per  Kuh  und  per 
Jahr  veranschlagen.  Die  nach  der  Viehzählung  von  1886  in  der  Schweiz  vor- 
handenen 662,336  Milchkühe  liefern  demnach  einen  jährlichen  Milchertrag  von 
15'896,064  hl,  welche  zu  Fr.  1 1  per  Hektoliter  einen  Werth  von  Fr.  174'856,704 
repräsentiren. 

Eben  so  sehr  wie  der  Ertrag  der  Kühe  varirt  derjenige  der  Ziegen. 
Während  diese  in  einigen  Kantonen,  wie  z.  B.  im  Tessin,  zur  Winterzeit  schlecht 
gehalten  und  meist  nur  vor  dem  Verhungern  geschützt  werden,  sucht  man  in 
andern  Gegenden  der  Schweiz  den  Milchertrag  durch  rationelle  Fütterung  der 
Ziegen  möglichst  zu  steigern.  Bei  schlechter  Fütterung  und  Pflege  steht  dieses 
Kleinvieh  wenigstens  die  Hälfte  des  Jahres  trocken  und  gibt  im  Sommer  auf 
der  Weide  kaum  mehr  als  einen  Liter  Milch  per  Tag,  während  gut  gefiitterte 
Ziegen  einen  jährlichen  Milchertrag  von  400  und  mehr  Liter  zu  geben  vermögen. 
Nach  unsern  Erfahrungen  sind  ca.  ^/s  des  Ziegenstandes  Milchziegen,  so  daß  von 
den  415,916  Ziegen  der  Schweiz  277,277  Stück  Milch  geben.  Veranschlagen 
wir  nun  den  durchschnittlichen  Jahresertrag  der  Milchziegen  zu  250  Liter  Milch, 
60  beträgt  die  jährliche  Milch produktion  der  Ziegen  6939192  hl,  was  zu  Fr.  11 
per  Hektoliter  die  Summe  von  Fr.  7'62S,112  ausmacht. 

Der  Gesammtmilchertrag  der  Kühe  und  Ziegen  beziffert  sich  demnach  per 
Jahr  auf  16'589,256  hl,  welche  ä  Fr.  11  per  Hektoliter  einen  Werth  von 
Fr.  182*481,816  repräsentiren. 

II.  Die  Verwerthung  der  Milch. 

Wir  treffen  in  den  verschiedenen  Theilen  der  Schweiz  hinsichtlich  Milch- 
konsum, Butter-  und  Käsefabrikation,  Aufzucht  und  Mästung  von  Jungvieh  so 
verschiedenartige    Verhältnisse,    daß   von    einer   sichern    Antwort   über   die    Ver- 


Milchwirthschaft 


425 


Milchwirthschafl 


werthnng  der  Milch  Mlbatveretfindlicli  nicht  die  Bede  sein  kann.  Hiebei  vermiesen 
wir  nomeotliob  eine  schweizeriBcbe  milchwirtbschaftliche  Statistik,  welche  uns 
wenigstens  über  die  Verarbeitung  der  Milch  xu  Butter  und  Käse  Auskunft  geben 
würde.  Eine  Anzahl  Eantone  haben  zwar  in  onerkennenawerthester  Weise 
ntatistische  Aufnahmen  Über  die  milch wirthscbafllichen  VerhUltnisde  aasgefUhrt, 
allein  ee  mangelt  hier  vor  Allem  ein  einheitliches  Vorgeben,  weßbalb  nur  schwer 
Znaammenstellungen  und  Folgerungen  iUr  die  Schweiz  gemacht  werden  künnen. 
In  mancher  Beziehung  werden  uns  jedoch  diese  ausgeführten  statistischen  Er- 
hebungen als  Grundlage  dienen,  weßhalb  wir  dieselben  in  chronologischer  Keihen- 
folge  hier  auffuhren  wollen. 

Statistisches. 

1)  Schweieeriüche  aipwirlhschaftUche  Slaliglik.  Im  Jahre  1864  wurde  eine 
schweizerische  Alpen atatiiitik  aufgenommeD,  welche  große  Opfer  an  Zeit  und  Arbeit 
forderte  und  dennoch  hinsichtlich  Genauigkeit  nur  von  untergeordnetem  Werthe  ist. 

Der  Nettoertrag  der  45Ö9  Schweizer  Alpen  wird  zu  Fr.  IO'691,310 
berechnet,  wovon  Fr.  8'182,788  oder  ca.  */i  des  Totalertrages  auf  die  Milch- 
wirthschaft  fallen.  Der  dnrchschnitt liebe  Ertrag  der  152,711  AlpkUhe  wurde 
zu  Fr.  — .  58  per  Tag  und  auf  die  durchschnittliche  Alpzeit  von  92  Tagen  zu 
Fr.  53.  58  berechnet.  Ueher  die  Verwerthnng  der  Milch  auf  den  Alpen  ent- 
nehmen wir  der  Alpen  Statistik  von  1864  folgende  Zahlen: 


und  Verwerthung  ( 


Produktion 
ir  Hilch  auf  dei 


■  Alpe 


-ff 

-& 

t^ 

ii 

II    i 

6,7 

98   1; 

'/•.i 

127  ;,■ 

Verwerthung  der  Milch  lu 


^J 

1^ 

i' 

17,9 

1,5 

♦,5 

1,8 

a,7 

18.5 

l,V 

9.6 

1,0 

3,0 

10,0 

6.6 

(),B 

0,fi 

I,F. 

39,4 

tfi 

S,3 

97.8 

93,9 

33,9 

17 

49,7 

M,;i 

2,fi 

17,4 

7,4 

OÜ 

(i,a 

1,7 

60,0 

10,3 

".' 

il  ili*^* 


Uri     .    .  . 

Sthwyz  ,  . 

ObwfJden  . 

Nidwaiden  . 

Glaruü    .  . 

Zug    .     .  . 
Freiburg 

Solothum  . 


Appenz.  A.-Rh, 
Appenl.   I.-Rh. 

St.  Gallen  . 
Graubünden 
Waadt  .  . 
Wallis  .  . 
Neuen  bürg  . 
Tessin     ,    . 

Schweiz 


'  39,915'' 
2,952 ,' 
4.33t  'I 
0,133 


303 

5,848 

Hl 

3,393 

90 

5,275 

3 

17K 

0,193 

l.<föO 

38 

6*8 

93 

1.790 

11^ 

2,890 

iüi 

13,863 

Mti 

98.890 

:W5 

14,236 

37a 

13,425 

77fi 

5,764 

400 

16,998 

4559 

153,711 

I:  31.7 
i;  80,9 
'I  93,6 


6,4  1 

6.9; 
5.0  il 


>_||_97.2_ 
i  li  31,3 


Milclitcirihwhart 


Milch  wirthschftfc 


=  pH5|-|SS      i  i|i  "^ß 


:   '^llilWII      I 


iS5r:v|s-: 


SsSgsi     s         ''^■J? 


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1  -i 

|;13^.i||| 

e-  1 

'täl 

5::S»s|:! 

Milch  wirthschaft 


—     427 


Milch  wirthschaft 


Zu  vorstehender  Statistik  ist  Folgendes  zu  bemerlten: 

1)  Ad  Schaffhausen.  Die  erste  kantonale  Käsereistatistik  wurde  veröffent- 
licht von  der  Regierung  von  Schaff  hausen  im  Jahre  1877.  Nach  dieser  Statistik 
bestanden  damals  im  Kanton  Schaff  hausen  13  Käsereien,  welche  in  den  Jahren 
1864 — 1874  errichtet  worden  waren.  Es  kam  die  Milch  von  910  Kühen,  im 
Ganzen  per  Jahr  21,537  q,  zur  Verarbeitung.  Dieser  Statistik  war  ein  inte- 
ressanter Bericht  von  Direktor  Schatzmann  beigegeben  (vide  Alpw.  Monatsbl.,  1878). 

2)  Ad  Luzern.  Hier  beauftragte  1881  der  Große  Rath  die  Regierung,  die 
Käsereien  anzuhalten,  daß  sie  dem  Publikum  gegen  Bezahlung  gesunde  Milch 
abgeben.    Dieser  Auftrag  gab  Veranlassung  zu  einer  Käsereistatistik. 

Nach  den  Angaben  der  Gemeinderäthe  wurden  ca.  60  ®/o  der  Milchproduktion 
in  den  Käsereien  verarbeitet,  10  ^/o  zur  Aufzucht  von  Jung-  und  Kleinvieh  und 
30  %  für  die  Haushaltungen,  d.  h.  zur  Nahrung  der  Menschen,  verwendet. 

3)  Ad  Thurgau.  Hier  wurde  ebenfalls  im  Jahre  1881  eine  milchwirth- 
schaftliche  Statistik  aufgenommen,  welche  die  Anzahl  Käsereien  mit  ihrem 
bezüglichen  Milchquantum  aufzählte  und  Angaben  über  den  Milchpreis  und  den 
Zuschlag  auf  die  ausgeschenkte  Milch  enthielt,  sowie  notirte,  ob  der  Abgang 
(Schotte)  dem  Käser  oder  den  Lieferanten  gehört.  In  117  Käsereien  wurden 
33'626,891  Liter  Milch  für  Fr.  4'318,964  geliefert.  Die  Schotte  gehörte  in 
102  Käsereien  dem  Käser,  in  15  dagegen  den  Lieferanten.  Die  Milch  wurde  in 
den  Käsereien  zum  Preise  von  15 — 17  Rp.  per  Liter  verkauft ;  der  Zuschlag  be- 
trug fast  durchweg  3 — 372  Rp-  per  Liter. 

In  den  Jahren  1885  und  1886  hat  der  Ostschweieerische  Käserverein 
durch  eine  Anzahl  seiner  Mitglieder  eine  Käsereistatistik  des  Kantons  Thurgau 
aufgenommen,  welche  in  ihrer  Ausführlichkeit  einzig  dasteht.  Die  Resultate  dieser 
Käsereistatistik  sind  in  folgender  Tabelle  wiedergegeben: 


i 
1 

Bezirk 

1 

1- ^  __ , .  ___  _ 

i 

;   Arbon     .      .     . 

'1    2  J 

i 

1 

i  Lieferanten 

1 

Tägliches  INilchquantum 

im  Sommer    '     im  Winter 

1 

INilcli- 
!  vericauf 
!     Liter 
1  per  Tag 

l!_   

ilil 

1    «.  CO          1 

;2._iij 

22 

l     22 

;     778  1 

21,650 

17,950 

1;      698 

Bischoffzell  . 

.   '        26 

864  1 

;       28,150 

23,250 

'1    1108 

26 

Dießenhofen 

•  ;■    4 

,     240  ' 

'          3,200 

3,000 

;    140 

4 

Frauenfeld    . 

.   i        15 

628  , 

10,580 

9,630 

i;      590 

15 

,   Kreuzlingen 

•   ',        15 

702  1 

1 

i        11,770 

10,050 

1       347 

15 

Steckborn     . 

.      ;               10 

519 : 

8,150 

7,050 

'      365 

10 

Münchweilen 

.      '               21 

667 

13,430 

13,430 

'!      589 

21 

Weinfelden  . 

.   '.       18 

r                              

!     989  ' 

1             .1 

I       17,800 

15,700 

\\      902 

18 

Kanton  Thurgau 

L      ,        131 

1 

5387 

1     114,730 

100,060 

4739 

131 

Die  131  Käsereien  wurden  in  folgenden  Zeitperioden  errichtet:  1845 — 55: 
6   Käsereien,   1856—65:  47,   1866—75:  48,   1876-86:  30. 

4)  Ad  Aargau.  Die  älteste  Käserei  ist  um  das  Jahr  1760  vom  Kloster 
Muri  auf  dem  Sentenhof  gebaut  worden.  Im  Jahre  1822  entstand  die  zweite 
Käserei.  Von  1840 — 50  wurden  4  Käsereien  eröffnet,  von  1851  —  60  9,  von 
1861—70  37,  von  1870  —  80  21,  1881—82  13  und  für  die  Jahre  1883—86 
darf  wohl  die  Zahl  24  angenommen  werden.  (Siehe  Seite  209/10  im  I.  Band 
dieses  Lexikons. 


MilcbvirthBchaft 


428     — 


Hilcbwirthsdiaft 


5)   Ad  Freibnrg,  'Die  Regierong   veröffentlichte  im   Staatsverwaltange- 
beriebt  pro  1884  folgende  Statistik  Über  die  Käsereien,  wonach  3T'0U,341  Liter 

Kilcb  ia   dieselben   und    6'627,060  Liter  in    die    KondenHationsfabrik  Dtldingen 
geliefert  wurden.    Leider  worde  die  Zahl  der  Käsereien  nicht  angegeben. 


Butlerlab  rikatton 


tabri- 
kaliofl 


Broye 

GreyeK  . 
See     .     . 

Vivisbach 

Kant.  Frei  bürg 
In  7"      ... 


4'700,5t 
5'376,93 
7'013,7J 

ß'0Sä,9E 


185,600 
3G7,33ß 
342,789 
384,954 
397.722 
324,175 
i'334,10ß 


37'04i,341      3'236,61 


4'357,791 
Ö'205,I10 
6'61 6,023 
5"698,778  1     63;896 
1*993,365  !     24.614 


22,741 

17.441 
11.734 


7,871 
52,527 
19,855 

6,1500 
46,834 
31,939 
37,539 


)33'313.1S4'):  304.7; 
91,3 


191,443 


6)  Ad  Zürich.   Im  Jahre  1885  hat  dae  statistisohe  Bareau  eine  KSserei- 
statixtik  anfgenomnien,  deren  Resultate  in  folgender  Tabelle  xoBammengestellt  aind. 


ai 


1  gclielertes     '  ^  ^■b 


Davon  wird 
(«rkuilt     iinrlwIM 


KSie- 
produk- 


Byttar- 
pro du k- 


Zflrieh 

AfToltem 

HorE:en 

Hin  weil 

Usler  . 
Pßfnkön 
Winterthur 


Kanton    ,  Zürich' 


10,315 

83.799 
103,563 
33,155 
110,ß65 
68.473 
66,065 
31,293 
16,033 


14,343  I 
20,653 
18,931 


667,1 

198,3 

5728,5 

1659,7 

5243,6 

1933,0 

774,3 

6229,3 

2702,9 

4863,7 

953,0 

4573,9 

13.^2.7 

2357,3 

654,4 

1193.5 

176,4 

1717,0 

350,4 

1469.0 

279,9 

308 '^1  564,808  ll  79.714 


486.394       19,0    I;  35736,9')!   10965,0') 


')  Es  machten  nur  292  Käsereien  Aneaben.   —  ')  Wovon  15326,8  q  feit  k 
Fr.  118,  6916,8  q  halbfett  ä  Fr.  88,  I997I.3  q  mager  ä  Fr.  50.  274,5  q  Liinburger 
k  Fr.  70,  1247.5  (|  Zieger  ä  Fr,  15.  -  ')  Wovon  9153,7  q  Raboibutter  h  Ft.  240, 
l8J9,3.i  Vi.rljniclibntler  a  Fr.  220. 
Die  Statistik  führt  ferner  29  MUohaammelstellen  auf,  welche  die  Milch  mm 
Konsum  nach  den  Städten  und  größern  Ortschaften  fiihren.    Der  Vertrieb  dieser 
Uilchsammelstellen  bezifferte  sich  auf  42,674  q,  welche  zum  DarchBchnittspreise 
von  12,7   Rp.  einen  Werth  von  Fr.  542,193  reprSaentiren. 


Milchwirihschaft  —     429     —  Milcttwirthschaft 

7)  Ad  St.  Gallen.  Die  Begiernog  ließ  im  Jabre  1880  eine  Käserei- 
Statistik  aufnehmen,  nach  welcher  167  Thalkäsereien  existiren.  Im  Jahre  1864 
wurden  nach  der  Alpw.  Statistik  auf  130  Alpen  Butter  und  Käse  bereitet,  so 
daß,  der  gleiche  Bestand  auf  den  Alpen  angenommen,  die  G^sammtzahl  der 
Käsereien  297  beträgt.  Die  drei  Bezirke  St.  Gallen,  Werdenberg  und  Sargans 
besitzen  keine  Käsereien. 

8)  Ad  Z  u  g.  Hier  hat  Herr  Bitter,  Milchinspektor  der  Anglo-Swiss  in  Cham, 
im  Jahre  1886  eine  milch wirthschaftliche  Statbtik  aufgenommen,  deren  Resultat 
er  in  der   ^  Schweizerischen  Milchzeitung**   veröffentlichte. 

Punkto  Verwerthung  der  Milch  steht  obenan  die  Kondensationsfabrik  in 
(yham.  Dieselbe  bezieht  ihre  Milch  von  7600  Kühen,  von  welchen  aber  nur 
3092  im  Kanton  Zug  stehen.  Von  diesen  sind  noch  1000,  deren  Milch  nicht 
kondensirt,  sondern  in  der  Käserei  der  Gesellschaft  zur  Fabrikation  von  Butter 
und  Magerkäse,  sowie  zum  Ausmessen  verwendet  wird,  abzuziehen.  Der  Milch- 
preis schwankte  im  letzten  Jahre  zwischen  11 — 12  Bp.  per  Kilogramm. 

9)  Thalkäsereien  in  der  Schweiz.  Die  Kantone  Schaffhausen, 
Luzem,  Thurgau,  Aargau,  Bern,  Zürich,  St.  Gallen  und  Zug  besitzen  12,725  km^ 
produktives  Land  und  1689  Thalkäsereien;  es  trifft  somit  auf  je  7,5  km^  eine 
Käserei  und  auf  die  ganze  Schweiz  würde  es  nach  diesem  Maßstab  ca.  4000 
Thalkäsereien  treffen,  was  jedoch  auf  den  ersten  Blick  zu  hoch  erscheint. 

Ziehen  wir  die  Anzahl  der  Milchkühe  der  oben  angeführten  8  Kantone  in 
Betracht,  so  kommen  auf  eine  Thalkäserei  durchschnittlich  262  Stück,  wonach 
in  der  Schweiz  2528  Thalkäsereien  existiren  würden. 

Wir  werden  der  Wirklichkeit  am  nächsten  kommen,  wenn  wir  die  Zahl 
der  schweizerischen  Thalkäsereien  zu  2600  veranschlagen,  mit  einem  jährlichen 
Milchquautum  von  je  2000  hl  oder  im  Gtwzen  5'000,000  hl.  Hienach  trifft  es 
auf  eine  Thalkäserei  1 1 ,4  km^  und  250  Kühe. 

Die  in  den  Familien  zu  Butter  und  Käse  verarbeitete  Milch  veranschlagen 
wir  zu  300,000  hl;  in  den  Kantonen  Graubünden,  üri,  Tessin  und  Wallis  ist 
die  Hauskäserei  die  fast  allgemeine  Verwerthung  der  Milch. 

Von  dem  in  die  Käsereien  gelieferten  Milchquantum  werden  durchschnitt- 
lich 7,8  ^/o  zum  direkten  Konsum  wieder  verkauft  und  92,2  ^/o  zu  Butter  und 
Käse  verarbeitet. 

In  den  acht  Kantonen  Schaff  hausen,  Luzem,  Thurgau,  Bern,  Frei  bürg, 
Zürich,  St.  Gallen  und  Zug  werden  jährlich  299  Millionen  Liter  Milch  verarbeitet, 
und  zwar  188,4  Millionen  oder  63  7o  zu  Fettkäse,  66  Millionen  oder  22  7o 
zu  Butter  und  Halbfettkäse  und  44,6  Millionen  Liter  oder  15  ^ja  zu  Butter  und 
Magerkäse. 

10)  Alpkäsereien.  Nach  der  Alpw.  Statistik  von  1864  existiren  4559 
Alpen,  wovon  ca.  63  ^jo  oder  2900  Alpen  ihre  Milchproduktion  zu  Butter  und 
Käse  verarbeiten.  Es  trifft  durchschnittlich  auf  je  10,2  km*  oder  auf  je  228 
Kühe  eine  Alpkäserei. 

11)  Das  in  der  Schweiz  produzirte  Milchquantum  wird  verwerthet: 

A,  Durch  Verarbeiten  desselben  in  Käsereien  und  Milchkondensationsfabriken ; 

B.  als  direktes  Nahrungsmittel  der  Menschen  und 

C  zur  Aufsucht  und  Mästung  von  Jung-  und  Kleinvieh. 


Milchwirthschaft  —     430     —  Müchwirthschaft 

A.  Verarbeitung  der  Milch  in  Käsereien  und  Kondensationsfabriken. 

Seit  uralter  Zeit,  d.  h.  so  lange  das  Eindvieh  dem  Menschen  als  Haasthier 
diente,  existirt  wohl  die  Bereitung  von  Käse,  beweisen  uns  doch  Geräthe  aus 
den  Pfahl bauresten  unzweideutig,  daß  schon  in  vorhistorischer  Zeit  die  überflüssige 
Milch  in  eine  feste,  haltbarere  Form,  d.  h.  in  Käse,  verwandelt  wurde.  Und 
die  ältesten  griechischen  und  römischen  Schriftsteller  erzählen  von  der  Bereitung 
von  Käse. 

Wenn  die  Grewinuung  der  Butter  aus  der  Milch  auch  schon  im  Alterthum 
bekannt  war,  so  darf  doch  mit  ziemlicher  Sicherheit  angenommen  werden,  daß 
man  schon  geraume  Zeit  vorher  die  Bereitung  von  Käse  kannte;  ebenso  ist  die 
Gewinnung  des  Ziegers  erst  später  erfunden  worden. 

Der  Milchzucker,  welcher  den  größten  Bestandtheil  der  Milch  bildet, 
wurde  erst  im  Jahre  1619  entdeckt  und  im  Großen  erst  vor  etwa  100  Jahren 
dargestellt. 

Der  Neuzeit,  d.  h.  der  zweiten  Hälfte  unseres  Jahrhunderts,  gehört  die 
Herstellung  von  kondensirter  Milch,  von  Kindermehl  und  von  Kunst- 
butter an. 

Der  Baum  gestattet  uns  nicht,  auf  die  Entwicklung  und  Herstellung  dieser 
Milchprodukte  im  Speziellen  einzugehen;  immerhin  wollen  wir  versuchen,  den 
Leser  mit  der  schweizerischen  Milchprodukten-Industrie  wenigstens  einigermaßen 
vertraut  zu  machen.  Ueber  den  Verkehr  mit  den  verschiedenen  Milchprodukten, 
deren  Ein-  und  Ausfuhr  sind  bereits  Eingangs  dieses  Artikels  einige  Mittheilungen 
gemacht  worden,  auf  welche  hiemit  verwiesen  wird. 

Ihrer  Entwicklung  gemäß  wollen  wir  die  schweizerischen  Milchprodukte  in 
folgender  Reihenfolge  betrachten:  1)  Käse;  2)  Butter;  3)  Zieger;  4)  Milchzucker; 
5)  kondensirte  Milch;  6)  Kindermehl. 

1)  Die  Käsefabrikation 

bildet  in  der  kleinen  Schweiz  die  bunteste  Musterkarte.  Wir  beabsichtigten,  die 
verschiedenen  Fabrikationsarten  auf  einer  Karte  durch  verschiedene  Farbentöne 
darzustellen,  allein  die  finanziellen  Verhältnisse  dieses  Lexikons  gestatteten  dies 
sowie  auch  verschiedene  graphische  Darstellungen  nicht;  es  ist  zu  hoffen,  daß 
dies  bei  einer  spätem  Auflage  des  Volks wirthschafts-Lexikons  möglich  sein  wird. 
Um  dem  Leser  einen  Begriff  zu  geben  von  der  Mannigfaltigkeit  der  schwel- 
zerisohen  Käse-Industrie,  fuhren  wir  hier  die  wichtigeren  Käsesorten  mit  ihrem 
Fabrikationsgebiet  an.  Auf  die  Unmasse  von  Hauskäsen,  welche  fast  in  jedem 
Dorf  wieder  verschieden  bereitet  werden,  können  wir  hier  selbstverständlich  nicht 
eintreten. 

1)  Emmenihaler  (fest,  fett  und  halbfett),  Bern,  Luzern,  Zug,  Solothurn,  Frei- 
burg (Sensebezirk),  Baselland,  Aargau,  Zürich,  St.  Gallen,  Schwyz  (March), 
Thurgau  und  Schaffhausen. 

2)  Spalenkäse  (fest,  halb-  bis  dreiviertelfett),  Nidwaiden,  Obwalden,  Bern 
('Oberland),  Schwyz,  Uri  (Seegemeinden),  Luzeni  (Habsburg  und  zum  Theil 
Entlebuch). 

i))  Greyerzerkäse  (fest,  fett  bis  halbfett),  französische  Schweiz,  speziell  Frei  bürg. 

4)  Urserenkäse  (weich  bis  fest,  fett),  Uri. 

5)  Formaf/f/io  dolce  (Battelmatt)  und  Formaqgio  della  pof/lia  (weich  bis 
fest,  fett),  Tessin. 

G)  Saanenkäse  (sehr  hart,  fett),  Bern  (Simmenthai). 
7)    Walliserkflse  (hart,   fett),  Wallis. 


Milchwirthschaft  —      431      —  Milchwirthschaft 


8 

9 

10 


Cristallina  (hart,  fett),  Graubünden  (Medels). 

Bellelaykäse  (weich,  fett),  Berner  Jura. 

Vacherin    (weich,    fett),    Neuenburg,    Waadtland    (Jura)    und    Freiburg 

(Greyerz). 

11)  Schabzieger  oder  GrUnkäse  (hart,  mager),  Glarus,  St.  Gallen  (Toggenburg). 

12)  Bündner  und  St,  Galler  Oherländer-Magerkäse  (fest,  mager),  Graubünden 
und  St.  Gallen  (Oberland). 

13)  Appemellerkäse  (weich  big  fest,  mager).  Appenzell. 

14)  Fräitigäuer-Magerkäse  (fest,  mager),  Graubünden  (Prättigäu). 

15)  Waadtländer-  und  Freibtirger-Magerkäse  (fest,   mager),    Waadtland  und 
Freiburg. 

1  (5)   Chamer-  oder  Pfister-Magerkäse  (fest,  mager),  in  den  meisten  Centrifugen- 
molkereien. 

17)  Limburgerknse  (weich,  halbfett  bis  mager),    in  verschiedenen  Theilen  der 
Schweiz. 

18)  Sauermilch-  (Blöder)  Käse  (fest,    mager),    St.  Gallen  (Rheinthal,  Toggen- 
burg). 

19)  Geißkäsli   (Ziegenkäse,    weich,    fett),    Bündner,    Berner   und    Waadtländer 
Alpenland. 

unter  den  aufgeführten  19  schweizerischen  Käsesorten  sind  wohl  die  3 
ersten  Sorten,  Emmenthaler-,  Spalen-  und  Greyerzerkäse,  die  wichtigsten,  und 
unter  ihnen  hat  wiederum  der  Emmenthaler,  der  „ König*'  der  Schweizerkäse, 
die  größte  Bedeutung.  Diese  drei  Gruppen  liefern  weitaus  den  größten  Theil 
unseres  Exportkäses,  während  die  übrigen  Käsesorten,  wie  Schabzieger,  Urseren-, 
Appenzeller-,  Bellelay-  und  der  Tessinerkäse  (Formaggio  dolce)  als  Exportkäse 
von  nur  untergeordneter  Bedeutung  sind. 

Eine  der  ältesten  Thalkäsereien  der  Schweiz  ist  diejenige  in  Muri  (Aargau), 
welche  im  Jahre  1760  vom  dortigen  Kloster  errichtet  wurde.  Die  allgemeine 
Einführung  der  Dorf-  oder  Thalkäsereien  fällt  jedoch  dem  Kanton  Bern  zu,  wo 
man  Anfangs  der  20er  Jahre  in  verschiedenen  Theilen  des  Kantons  Gesellschafts- 
käsereien bildete.  Die  erste  Genossenschaftskäserei  im  Kanton  Bern  hat  Oberst 
Rudolf  von  Effinger  von  Wildegg  in  Kiesen  bei  Thun  gegründet  im  Jahre  1815 
und  die  zweite  in  Wangen  1822.  Auch  in  Trubschachen  wurden  in  den  Jahren 
1826 — 1828  Gesellschaftskäsereien  errichtet,  welche  aber  wie  überall  nur  mit 
größtem  Mißtrauen  angesehen  wurden.  Namentlich  die  Händler  erklärten  damals 
den  Thalkäsereien  den  Krieg,  da  diese  ein  absolut  unbrauchbares  Fabrikat  liefern 
und  dazu  geeignet  seien,  den  „Ruf  und  Kredit  der  Emmenthalerkäse  in  alle 
Ewigkeit  hinaus  zu  gefährden**.  Es  zeigte  sich  aber  bald,  daß  die  in  den  Niede- 
rungen fabrizirten  Käse  den  Alpenkäsen  mindestens  gleichstanden,  wenn  nicht 
denselben  überlegen  waren.  Auf  dem  Lager  eines  der  bedeutendsten  Handlungs- 
häuser machten  noch  im  Jahre  1831  die  Bergkäse  ca.  ^/lo  und  die  Thalkäse 
nur    Yio  des  Gesammtvorrathes  aus. 

Dreißig  Jahre  später  wurde  der  Werth  der  Thalkäsereien  in  vollem  Maße 
anerkannt  und  wir  lesen  diesbezüglich  im  „Bund"  vom  Jahre  1859,  Seite  247  : 
„Die  Käsereien  sind  die  eigentliche  Quelle  des  Wohlstandes  der  Berner  Bauern 
geworden ;  von  den  Küherbergen  haben  sich  die  Sennereien  in  die  Niederungen 
verbreitet  und  überall  sichere  und  bleibende  Wurzeln  gefaßt.  Durch  die  Bauern- 
käsereien ist  allerwärts  den  Berg-  oder  Küherkäsereien  der  Rang  abgelaufen 
worden,  und  erst,  wenn  keine  guten  Bauernmulchen  mehr  zu  haben  sind,  kommen 
die  Bergkäse  an  die  Reihe.  Mit  diesem  ist  man  allgemein  zu  der  Ansicht  gela\\^t^ 


Milchwirthschaft 


—     432      — 


Milchwirthschaft 


daß  es  nicht  sowohl  auf  das  Gras  und  Kraut,  als  auf  die  sorgfältige  und 
f/eschickte  Art  der  Zubereitung  ankomme,  um  einen  feinen,  tadelfreien  Käse 
zu  er  zeugen, ''^ 

Id  nachstehender  Tabelle  stellen  wir  die  nns  bekannt  gewordenen  Preise 
der  drei  Hanptsorten  zusammen: 

Preise  vor  1800,  per  50  kg. 

Emmenthalerkäse :  1580:  Fr.  14.  48;  1593:  Fr.  10.  86— 18.  10;  1622: 
Fr.  28.  96;  1718:  Fr.  15.  20—16.  48;  1723:  Fr.  11.  15  —  11.  86;  1726: 
Fr.  15.  20—16.  27;  1730:  Fr.  15.  91  —  17.  24;  1740:  Fr.  21.  72—24.  87; 
1762:  Fr.  23.  53—32.  58;  1771:  Fr.  36.  20;  1772:  Fr.  31.  11;  1780: 
Fr.  30.  39;  1789:  Fr.  34.  37;  1791:  Fr.  38.  71;  1794:  Fr.  46.  30;  1795: 
Fr.  54.  30;   1798:  Fr.  47.  06;  1799:  Fr.  54.  30. 

Spalenkäse:  1673:  7  Gl.  20;  1693:  12—13  Gl.;  1698:  10—11  GL; 
1702:  lOVs  Gl.;  1714:  12  Gl.  oder  5  Thaler;  1716:  IOV2— 11  Gl.;  1718: 
9  GL;  1722:  8— 8V2  GL;  1728:  7V2— 8  GL;  1730:  978—10  GL;  1791: 
24  GL   20;   1796:  23  GL;   1798:  25  GL 


Jahr 

Er 

nme 

1800 

Fr. 

52. 

47 

1805 

n 

56. 

74 

1810 

V 

50. 

50 

1815 

n 

47. 

— 

1820 

r* 

32. 

50 

1825 

n 

41. 

40 

1830 

n 

41. 

50 

1835 

f* 

44. 

1840 

f> 

45. 

1845 

n 

45. 

1850 

n 

43. 

50 

1855 

r 

54. 

1860 

n 

64. 

1865 

V 

65. 

1870 

rt 

66. 

— 

1875 

n 

90. 

1880 

n 

85. 

1885 

n 

60. 

3  886 

« 

62. 

Preise  seit  1800,  per  50  kg. 
erkäse  Spalenkäse 


Greyerzerkäse 


Fr. 


bis  Fr. 


61. 

50 

54. 

41. 

50 

50. 

50 

49. 

47. 

50 

54. 

55. 

55. 

60. 

70. 

r) 


n 


72. 
70. 


48. 

22 

54. 

24 

49. 

17 

47. 

21 

35. 

10 

33. 

30 

30. 

60 

39. 

60 

39. 

60 

49. 

93 

35. 

10 

41 

bis  Fr. 

49 

50 

«1   » 

58 

52 

f»      T» 

60 

49 

n    n 

63 

65 

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78 

66 

r    n 

78 

60 

rt          Ti 

70 

50 

«•     n 

60 

Thalkäte     AlpeDkäse 


Fr. 


49 

Fr. 

51 

52 

r 

54 

54 

n 

55 

59 

f» 

62 

60 

r» 

62 

78 

n 

79 

50 

n 

57 

48 

« 

59 

1)  Der  Emmenthalerkäse  hat  seine  ursprüngliche  Heimat  im  Emmen- 
Ihal,  Kanton  Bern,  von  wo  aus  schon  im  17.  Jahrhundert  Käse  nach  ver- 
schiedenen Ländern  exportirt  wurde.  Bis  in  die  30er  Jahre  unseres  Jahrhunderts 
hatte  der  Emmenthaler,  welcher  damals  nur  auf  den  Alpen  fabrizirt  wurde,  ein 
Gewicht  von  25 — 50  kg;  gegenwärtig  besitzen  diese  schleifsteinförmigen  Rund- 
käse einen  Durchmesser  von  80 — 100  cm,  eine  Höhe  von  10 — 15  cm  und  ein 
Gewicht  von  50  — 100  kg  und  darüber.  An  der  Ausstellung  in  Luzern  wie  an 
derjenigen  in  Zürich  waren  die  Negotianten  und  das  Preisgericht  einig,  daß  ein 
Gewicht  über  100  kg  nicht  zu  empfehlen  sei.  Daß  kleinere  Formen  an  Feinheit 
des  Teiges  und  speziellem  Aroma  verlieren,  kann  schwerlich  behauptet  werden, 
denn  im  Gebiete  der  Greyerzerkäse,  welche  30 — 50  kg  wiegen,  sind  diese  Eigen- 
schaften häufig  vorhanden. 


Milchwirthschaft  —     433      —  Milchwirthschaft 

Nach  und  nach  verbreitete  sich  die  Emmenthalerkäse-Fabrikation  über  einen 
großen  Theil  der  Schweiz,  namentlich  über  die  nordöstlich  von  Bern  gelegenen 
Kantone,  indem  eine  Anzahl  Berner  Käser  sich  in  diesen  Gegenden  niederließ 
und  Sennereien  nach  Emmenthaler  Art  gründete.  In  den  5()er  und  besonders  in 
den  60er  und  70er  Jahren  wurden  aber  auch  außerhalb  unseres  Vaterlandes 
Emmenthalerkäsereien  errichtet  und  heute  kennen  wir  für  diese  Fabrikation  keine 
Grenze  mehr.  In  Deutschland,  speziell  in  Ost-  und  Westpreußen,  in  Rußland, 
in  Amerika,  überall  finden  wir  Emmenthalerkäsereien,  welche  Alles  aufbieten, 
ein  vollkommenes  Produkt  herzustellen  und  dem  ächten  Emmenthalerkäse  eine 
erbitterte  Konkurrenz  zu  bereiten. 

Hunderte  von  Beispielen  könnten  aufgezählt  werden,  wo  ausländische  Guts- 
besitzer ganze  Viehheerden  aus  der  Schweiz  bezogen,  um  die  gleiche  Qualität 
Milch  zu  produziren;  es  scheuten  dieselben  keine  Auslagen,  um  die  tüchtigsten 
Emmenthaler  Käser  zu  gewinnen  und  Käsereien  nach  Emmenthaler  Art  einzu- 
richten, wie  wir  sie  im  Emmenthal  nicht  schöner  und  vollkommener  linden. 
Es  fehlten  also  einzig  noch  unser  Klima,  das  klare  Quellwasser  und  unsere 
duftenden  Alpen  und  Wiesen,  so  wäre  ein  schöner  Theil  der  schweizerischen 
Milchwirthschaft  in  fremde  Länder  versetzt  worden.  Was  aber  dem  Ausland  in 
diesem  Punkte  für  immer  abgeht,  das  suchte  man  daselbst  durch  möglichste 
Vervollkommnung  der  Technik  zu  ersetzen,  und  namentlich  Deutschland  hat  es 
in  der  Imitation  der  Emmenthalerkäse  weit,  sehr  weit  gebracht,  so  daß  in  jenem 
Lande  einzig  noch  die  feinste,  tadelloseste  Emmenthalerwaare  konkurrenzfähig  ist. 

Wenn  wir  etwa  hundert  Jalye  zurückblicken,  so  muß  konstatirt  werden, 
daß  auch  die  schweizerische  Käsereitechnik  großartige  Fortschritte  gemacht  hat. 
Am  Ende  des  vorigen  und  auch  Anfangs  unseres  Jahrhunderts  wurde  der 
Emmenthalerkäse  nur  auf  den  Alpen  gemacht  und  die  gleiche  Ansicht  herrschte 
dazumal  im  Kanton  Bern  wie  gegenwärtig  noch  in  der  italienischen  Schweiz, 
daß  nämlich  ein  feiner  Käse  nur  auf  den  Alpen  gemacht  werden  könne.  Durch 
die  Gründung  der  Genossenschaftskäsereien  im  Thale  wurde  jedoch  allmälig  das 
Gegentheil  bewiesen.  Die  Fabrikation  der  Emmenthalerkäse  vervollkommnete  sich 
bald  in  dem  Maße,  daß  auch  die  Kundsäme  im  Auslande  erhöht«  Ansprüche  an 
den  Emmenthalerkäse  machte  und  sich  einzig  mit  einem  feinen,  zarten,  schön 
gelochten  Laib  zufrieden  stellte.  Einer  der  ersten  Käsehändler  im  Emmenthal 
äußerte  sich  in  den  40er  Jahren,  mau  sollte  demjenigen  Käser  die  Finger  ab- 
schlagen, welcher  den  ersten  Käse  mit  schönen  regelmäßigen  Augen  fabrizirte, 
denn  jetzt  wolle  Jedermann  nur  solch'  schön  gelochten  Käse,  während  früher 
Alles  Absatz  fand,  was  rund  war. 

Seit  den  40er  Jahren  sind  aber  die  Ansprüche  an  unsere  Exportkäse, 
namentlich  zufolge  der  erbitterten  fremden  Konkurrenz  und  der  Zollmauem, 
womit  die  fremden  Staaten  ihre  eigene  Produktion  schützen,  noch  gewaltig  ge- 
stiegen. An  einen  Prima  Emmenthalerkäse  werden  heute  folgende  Anforderungen 
gestellt : 

1)  Ein  feiner,    zarter,    weicher,    fetter,    ganz  kompakter  Teig,    der  beim  Ab- 
schneiden absolut  nicht  gläseln,  nicht  bröckeln,  nicht  brechen  darf. 

2)  Ein  reiner,  nußkerniger  Geschmack  und  absolut  feines  Aroma. 

3)  Eine  gleichmäßige,  regelmäßige,  schön  großgelochte  Bohrung. 

4)  Ein    ganz   gesundes,    reinliches  Aussehen,    selbst   wenn    der  Käse    alt    und 
vollsaftig  ist. 

b)  Der  Emmenthalerkäse  soll  sich  wenigstens  12  Monate  aufbewahren  lassen, 
ohne  daß  er  spaltet  oder  gläselt  oder  im  Teige  geringer  wird. 

Furror,  VolkswirthscliRfts-Lexikon  der  Schweiz.  '^^l^ 


Milchwirthscbaft  —      434      —  Milchwirthschaft 

Ein  Emraenthalerkäse,  welcher  diese  Haupteigenschaften  nicht  besitzt,  wird 
nicht  als  Prima  Waare  anerkannt  und  muß  mit  Verlust  als  Ausschußwaare 
abgesetzt  werden. 

Wollen  wir  den  Weltruf,  welchen  sich  der  Emmenthalerkäse  erworben, 
aufrecht  erhalten  und  dafür  sorgen,  daß  das  Absatzgebiet  desselben,  welches  sich 
auf  fast  alle  Länder  der  Welt  erstreckt,  sich  nicht  verkleinere,  so  ist  es  unsere 
erste  Pflicht,  Alles  aufzubieten,  damit  die  Schweiz  eine  vollkommene,  gleichmäßige 
Prima  Waare  an  ihre  Kundsame  abgeben  kann.  Vor  Allem  müssen  wir  daher 
die  Ausschußwaare  als  den  größten  Feind  unserer  Käse-Industrie  bekämpfen. 
Welchen  enormen  Schaden  der  Ausschuß  der  schweizerischen  Käse-Industrie  ver- 
ursacht, haben  wir  bereit«  Eingangs  dieses  Artikels  gesehen.  Wir  werden  nicht 
zu  hoch  greifen,  wenn  wir  den  durch  Ausschußkäse  an  unserem  Nationaleinkommen 
verursachten  Ausfall  während  den  letzten  10  Jahren  zu  25  Millionen  Franken 
veranschlagen. 

In  Anbetracht  der  Wichtigkeit  des  Käsereigewerbes  und  namentlich  auch 
der  Fortschritte,  welche  unsere  Konknrrenzländer  auf  dem  Gebiete  der  Käserei- 
technik machen,  zeigen  sich  die  eidgenössischen  wie  kantonalen  Behörden  bereit, 
für  die  Förderung  der  Milchwirthschaft  bedeutende  Opfer  zu  bringen. 

Vor  Allem  aber  liegt  es  an  den  Zunächstbetheiligten,  den  Landwirthen  und 
Käsern,  das  Ihrige  zur  Vervollkommnung  der  Fabrikation  beizutragen.  Die 
Landwirthe  müssen  zur  naturgemäßen  DUngnng  und  zur  ungekünstelten,  natür- 
lichen Fütterung  zurückkehren,  um  eine  reelle,  reine,  aromatische  Milch  in  die 
Sennerei  zu  liefern.  Der  Käser  muß  sodann  sein  Gewerbe  gründlich  kennen  und 
Alles  aufbieten,  um  ein  tadelloses  Produkt  herzustellen. 

2)  Der  Spalenkäse  wurde  ursprünglich  nur  in  Unterwaiden  und  Seh wyz 
fabrizirt,  nach  und  nach  breitete  sich  aber  diese  Fabrikation  auch  über  die 
angrenzenden  Landestheile  aus.  In  Italien  wird  dieser  Käse  „Sbrinz**  genannt; 
den  deutschen  Namen  Spalenkä^je  hat  er  von  seiner  Verfrachtung  nach  Italien  in 
Fäßchen,  sog.  Spalen.  Das  Gewicht  der  Spalenkäse,  welche  gewöhnlich  das 
Produkt  von  30 — 35  Kühen  sind,  varirt  zwischen  17 — 24  kg.  In  früherer  Zeit 
wurde  der  Spalenkäse  ganz  fett,  „glattfeiß"  gemacht;  heute  wird  jedoch  überall 
mehr  oder  weniger  Butter  gewonnen.  Nach  einem  15jährigen  Durchschnitt 
(1867  — 84)  einer  Unterwaldner  Sennerei  wurden  aus  3'47 1,437  ff  Milch 
293,159  ff  oder  8,44  7o  Käse  und  25,421  ff  oder  0,73  7o  Butter  erzielt. 
In  einigen  Fällen  ist  der  Buttorentzug  bedeutend  größer,  je  nachdem  die  Butter 
im  Preise  hoch  oder  niedrig  steht. 

Die  Spalenkäse  haben  im  Alter  von  2  —  3  Jahren  den  größten  Werth  urid 
werden  alsdann  meistens  in  Italien  zu  Maccaroni,  Polenta  und  Reisspeisen  ver- 
wendet. Es  ist  klar,  daß  beim  langen  Aufbewahren  dieser  Käsesorte  der  Butter- 
entzug von  höchster  Bedeutung  ist,  indem  man  allgemein  annimmt,  daß  beim 
Entzug  von  1  kg  Butter  der  Käse  1,6  — 1,8  kg  an  Gewicht  verliert.  Wer  daher 
dem  Spalenkäse  viel  Fett  entzieht,  verliert  am  Käsgewicht  und  an  der  Qualität 
mehr,  als  Derjenige,  der  nur  in  ganz  bescheidenem  Maße  abrahmt. 

Nach  Urbarien  der  Klöster  Engelberg  und  Muri  wurde  schon  vor  dem 
12.  Jahrhundert  im  Kanton  Unterwaiden  Spalenkäse  gemacht  und  im  vorigen 
Jahrhundert  soll  der  Käsehandel  nach  Italien  die  nidwaldnerischen  Geld  Verhältnisse 
viel  mehr  beherrscht  haben  als  der  Viehhandel.  Die  Ausfuhr  von  Nidwaldner 
Spalenkäse  wurde  Ende  der  60er  Jahre  auf  5000  q  geschätzt. 

Die  Fabrikation  des  Spalenkäses  steht  derjenigen  des  Emmenthalerkäsea  im 
Allgemoinen  nach,  namentlich  mit  Rücksicht  auf  die  Käserei -Einrichtungen.    Das 


Milch  wirthscbaft  —      435      —  Milchwirthschaft 

Aufstellen  der  Milch  in  schlecht  gelüfteten  Lokalen,  sowie  das  Aufbewahren  der 
Käse  in  kleinen,  ungeeigneten  Kellern  resp.  Zimmern  wirkt  schon  sehr  nach- 
theilig  auf  die  Qualität  des  Spalenkäses.  Der  größte  Fehler  besteht  aber  in  der 
Ungleichheit  der  Waare,  sowohl  hinsichtlich  Fettgehalt  wie  Fabrikation  des  Käses. 

Diese  Ungleichheit  in  der  Fabrikation  treffen  wir  auch  bei  einer  Eeihe 
anderer  Käsesorten,  wie  beim  Greyerzer-  und  namentlich  beim  süßen  Tessiner- 
käse,  mitunter  auch  beim  Emmenthaler.  Der  Hauptfehler  liegt  hier  entschieden 
am  Käser,  welcher  gar  oft  in  seinem  schwierigen  Berufe,  zu  wenig  Fachkenntnisse 
und  Erfahrungen  besitzt. 

i\)  Der  Greyerzer  käse  gehört  zur  Emmenthaler  Gruppe,  ist  aber  älteren 
Ursprunges  als  dieser.  Seinen  Namen  hat  er  von  der  frei  burgischen  Stadt  Greyerz ; 
die  Greyerzerfabrikation  wurde  im  15.  und  16.  Jahrhundert  trotz  dem  Widerstand 
der  Behörden  aus  dem  Frei  burgischen  im  Kanton  Bern  eingeführt.  Schon  um 
die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  existirten  in  der  Umgebung  von  Pontarlier 
eine  Anzahl  Greyerzerkäsereien  und  gegenwärtig  treffen  wir  im  Jura-  und  Doubs- 
departement  sowie  in  Savoyen  eine  Unzahl  von  Käsereien  mit  Greyerzerfabrikation. 
Meistens  sind  es  Freiburger,  welche,  durch  große  Löhne  gelockt,  in  die  Nachbar- 
staaten hinausziehen  und  Greyerzerkäsereien  errichten,  welche  den  einheimischen 
die  heftigste  Konkurrenz  machen.  Es  ist  dies  übrigens  nicht  nur  bei'r  Greyerzer-, 
sondern    in    viel  ,s;rößerem  Maße  noch  bei  der  Emmenthalerfabrikation  der  Fall. 

Wie  in  der  Ostschweiz,  so  wird  auch  im  Kanton  Freiburg  im  Gebiete  der 
Greyerzerfabrikation  die  Milch  meistens  an  Käser  verkauft,  was  aber  von  vielen 
einsichtigen  Männern  bekämpft  wird.  Wenn  die  Genossenschaften  die  Milch  auf 
eigene  Rechnung  verarbeiten,  so  haben  einerseits  die  Lieferanten  ein  größeres 
Interesse  an  einer  reellen,  guten  Milchlieferung  und  anderseits  bietet  der  genossen- 
schaftliche Betrieb  gi'ößere  Garantie  für  die  Fabrikation  fetter,  vorzüglicher  Käse, 
welche  den  alten  guten  Ruf  erhalten. 

Während  der  Greyerzerkäse  im  letzten  Jahrzehnt  nicht  mehr  zu  den  Fett- 
käsen gezählt  werden  konnte,  befürworten  heute  eine  Anzahl  Händler  ganz 
besonders  die  Fabrikation  fetter  Käse,  denn  bei  keiner  andern  Käsesorte  bezahlt 
sich  das  Fett  im  Käse  so  gut  wie  beim  Greyerzerkäse.  Leider  stellen  sich  aber 
der  Fettkäserei  die  Pachtverhältnisse  auf  den  Alpen  in  den  Weg,  indem  ein 
Theil  des  Alpzinses  laut  Vertrag  in  Butter  geliefert  werden  muß.  Im  Allgemeinen 
hat  sich  die  Fabrikation,  welche  bis  Ende  der  60er  Jahre  noch  auf  einer  tiefen 
Stufe  stand,  in  den  letzten  Jahren,  namentlich  hinsichtlich  der  Käserei-Einrichtungen, 
bedeutend  verbessert,  um  den  gesteigerten  Ansprüchen  zu  entsprechen. 

Die  Greyerzerkäse  haben  einen  Durchmesser  von  60 — 70  cm,  eine  Höhe 
von  9  — 12  cm  und  ein  Gewicht  von  30 — 50  kg.  Auf  der  Jerbseite  sind  die 
Greyerzerkäse  etwas  eingebogen,  während  die  Spalenkäse  gerade  und  die  Emmen- 
thaler etwas  ausgebogen  sind. 

Der  Verkauf  der  Greyerzerkäse  an  die  Händler  ist  von  demjenigen  der 
Emmenthaler  vollständig  verschieden,  indem  bei  jenen  zu  verschiedenen  Jahres- 
zeiten reife  Partien  gekauft  und  beim  Einwägen  gewöhnlich  haar  bezahlt  werden, 
während  beim  Emmenthalerkäse  —  wenigstens  in  frühern  Jahren  —  der  Ankauf 
des  gewaltigen  Quantums  auf  einige  wenige  Tage  beschränkt  wurde;  heutzutage  ist 
dieses  Drängen  oder  die  „wilde  verwegene  Jagd",  wie  der  Ankauf  der  Emmen- 
thaler mit  Recht  genannt  wurde,  weniger  fühlbar  geworden,  da  die  Produktion 
sich  immer  mehr  steigert,  die  Absatzverhältnisse  dagegen  stets  schwieriger  sich 
gestalten.     Auch   die  6  ^/o  Eingewicht,    welche  beim  EmmenthakT-"^\v\VÄ\Ä  w!cv^ 


Milchwirthschaft  —      436      —  Milchwirthschaft 

fast   allgemein    gebräuchlich    sind,    werden    beim   Verkauf  der  Greyerzerkäse  nie 
gestattet. 

Das  Hauptabsatzgebiet  des  Greyei  zerkäses  ist  Frankreich  und  Italien,  in 
letzter  Zeit  auch  überseeische  Länder.  In  früherer  Zeit  genoß  der  Greyerzerkäse 
einen  verhältnißmäßig  größeren  Ruf  als  jetzt ;  er  führte  das  Wappen  der  Grafen 
von  Greyerz,  einen  Kranich,  für  welchen  Stempel  die  Käser  dazumal  wahr- 
scheinlich eine  Steuer  bezahlen  mußten. 

4)  Der  ürserenkäse  hatte  seine  ursprüngliche  Heimat  ohne  Zweifel  auf 
der  südlichen  Seile  des  Gotthards,  von  wo  aus  sich  die  Fabrikation  dieses  süßen, 
weichen,  aromatischen  Käses  auch  im  Urserenthal  eingebürgert  hat.  Dieser 
spezifische  Alpenkäse  wird,  wie  auch  der  Formaggio  dolce,  im  Tessin  nur  in 
den  Sommermonaten  Juli  und  August  auf  den  höchsten  Alpen  bereitet,  und  zwar 
stets  aus  frisch  gemolkener  Milch,  weßhalb  er  sehr  fett  ist  und  einen  aus- 
gezeichneten Geschmack  und  Geruch  besitzt. 

In  der  Form  ist  der  Ürserenkäse  vom  tessinischen  Formaggio  dolce  wesent- 
lich verschieden,  indem  dieser  die  Form  der  Spalenkäse  von  60  —  70  cm  Durch- 
messer und  10  cm  Höhe,  jener  aber  einen  Durchmesser  von  30  cm  und  eine 
Höhe  von  30  —  45  cm  hat.  Es  nähert  sich  der  ürserenkäse  mehr  dem  Formaggio 
della  pnglia  und  dem  Parmesankäse,  welche  ähnliche  Formen  haben. 

Der  größte  Theil  dieses  Käses  wird  im  eigenen  Lande  konsumirt  und  ein 
Theil  nach  den  oberitalienischen  Städten  gesandt.  Wie  der  tessinische  Weichkäse, 
muß  auch  der  ürserenkäse  rasch,  d.  h.  innert  6 — 8  Monaten,  genossen  werden, 
denn  nachher  wird  er  leicht  ranzig,  bitter  und  scharf.  Die  Fabrikation  ist  noch 
einer  großen  Verbesserung  fähig  und  es  ist  nur  zu  wünschen,  daß  die  kostbare 
Alpenmilch,  das  Hauptprodukt  vieler  ürner  Gemeinden,  mit  mehr  Sorgfalt  und 
Sachkenntniß  verarbeitet  werde. 

5)  Der  Formaggio  dolce  ^)  ist  gleich  dem  ürserenkäse  ein  überaus 
fetter,  weicher,  süßer,  aromatischer  Kundkäse,  welcher  auf  ca.  150  Alpen  des 
Kantons  Tessin  in  einer  Höhe  von  1500  —  2500  m  fabrizirt  wird.  Im  Sommer 
1886  fand  die  erste  Käsereiprämirung  auf  den  Tessiner  Alpen  statt,  wo  alljährlich 
während  den  Sommermonaten  für  ca.  Fr.  600,000  Käse  bereitet  wird.  Der 
Verfasser  dieser  Zeilen  traf  bei  dieser  Käserei-Inspektion  einige  tüchtige  Käser, 
welche  ein  ausgezeichnetes  Mulchen  herstellten;  im  Allgemeinen  aber  steht  es 
mit  der  Käsefabrikation  auf  den  Tessiner  Alpen  wie  mit  der  Alpwirthschafb 
selbst  noch  sehr  traurig.  Die  Käser  kennen  in  der  Regel  ihren  Beruf  viel  zu 
wenig,  weßhalb  wir  höchst  selten  ein  durchweg  gleichmäßiges  Fabrikat  antreffen. 

Die  Klage  über  bittere,  scharfe,  geblähte  und  andere  minderwerthige  Käse 
ist  im  Kanton  Tessin,  wie  auch  im  Gebiete  der  ürserenkäsefabrikation,  eine 
allgemeine.  Auf  diesen  Alpen  liegt  der  Fehler  nicht  an  der  Kunstdüngung  und 
Kunstfütterung,  welche  die  Emmenthaler  Käser  beim  Mißlingen  des  Mulchens 
stets  anklagen,  sondern  hier  liegt  die  Schuld  unbedingt  am  Käser,  welcher  seinen 
Beruf  zu  wenig  kennt  und  nicht  die  nothwendige  Sorgfalt  und  Reinlichkeit 
aufwendet. 

Der  Engros-Preis  des  Formaggio  dolce  beträgt  Fr.  130 — 135  per   100  kg. 

M  Dieser  Käse  wurde  früher  irrthömlich  Battehnattkäse  genannt,  nach  gleichem 
Namen  einer  Walliser  Alp.  Dieser  Name  erscheint  uns  jedoch  ganz  ungerechtfertigt, 
weil  der  Walliserkäse  in  einigen  Punkten,  wie  z.  B.  in  der  Bohrung,  vom  Tessiner 
Ali)enkase  verschieden  ist.  Mehr  gerechtfertigt  wäre  der  Name  Gotthard- oder  Piorakäse ; 
um  jedoch  aller  Rivalität  auszuweichen,  wählten  wir  den  schon  vielfach  üblichen  Namen 
Formaggio  dolce. 


Milch  wirthschaft  —     437     —  Milchwirthschaft 

In  Mailand,  welches  das  wichtigste  Absatzgebiet  dieser  Eäsesorte  ist,  wird  das 
Kilogramm  Tessinerkäse  zu  Fr.  2  und  darüber  verkauft,  während  daselbst  für 
Ausschußwaare  kaum  Fr.  1  per  Kilogramm  erhältlich  ist.  Eine  Verbesserung 
der  Fabrikation  ist  hier  dringend  nothwendig. 

Der  Formaggio  della  paglia  hat  seinen  Namen  von  der  Stroh- 
verpackung und  besitzt  die  Form  des  Urserenkäses.  Er  wird  gewöhnlich  nur  in 
-den  ersten  Tagen  der  Alpzeit  oder  bei  geringem  Milchquantum  fabrizirt  und  ist 
nicht  so  aromatisch  wie  der  Formaggio  dolce.  Früher  wurde  der  Formaggio 
della  paglia  in  bedeutenden  Quantitäten  ausgeführt  und  war  namentlich  in  Mailand 
sehr  gesucht.  Heute  wird  er  aber  nicht  mehr  in  gleich  guter  Qualität  fabrizirt 
und  hat  als  Exportartikel  keine  Bedeutung  mehr.  Im  Mai  1887  wurden  in  fast 
allen  Theilen  des  Kantons  Käserkurse  abgehalten,  an  welchen  von  Seite  der 
Bevölkerung  und  speziell  der  Käser  das  größte  Interesse  an  den  Tag  gelegt 
wurde.  Schon  die  Thatsache,  daß  in  dieser  Zeit  über  80  Thermometer,  welche 
man  früher  im  tessiuischen  Käsereibetrieb  noch  nirgends  kannte,  von  Käsern 
angeschafft  wurden,  beweist  uns,  daß  man  auch  im  Kanton  Tessin  die  Käse- 
fabrikation verbessern  will. 

(>)  Der  Saanenkäse  ist  im  Gegensatz  zu  den  beiden  Käsesorten  von  Uri 
und  Tessin  sehr  hart,  so  daß  er  als  Tafelkäse  ganz  fein  geschnitten  resp.  gehobelt 
werden  muß;  ein  eigenes  Instrument,  der  Käsehobel,  leistet  zu  diesem  Zwecke 
gute  Dienste.  Die  10 — 20  kg  schweren  Saanenkäse  von  30 — 40  cm  Durchmesser 
und  8  — 9  cm  Höhe  werden  in  den  bernischen  Thälern  von  Frutigen,  Interlaken 
und  Obersimmenthal  bereitet  und  lassen  sich  sehr  lange  aufbewahren. 

Wie  der  Spalenkäse  wird  auch  der  Saanenkäse  nicht  auf  Käsbänke  gelegt, 
sondern  in  trockenen,  luftigen  „Gaden"  auf  zwei  Latten  gestellt,  so  daß  er  ganz 
von  Luft  umgeben  ist  und  leicht  austrocknen  kann.  Gewöhnlich  hat  der  Saanen- 
käse beim  Konsum  ein  Alter  von  4 — 6  Jahren;  Viele  behaupten,  er  erhalte  erst 
nach  10  Jahren  das  feine  Aroma  und  den  ausgesprochen  nußkernigen  Geschmack. 
Wie  aus  den  später  aufgeführten  Analysen  hervorgeht,  enthält  der  Saanenkäse 
sehr  wenig  Wasser  und  ist  von  ausgezeichnetem  Nahrungswerth ;  auch  ist  er 
weit  verdaulicher  als  alle  übrigen  Käsesorten.  Es  sollen  sich  Exemplare  von 
Saanenkäse  finden,  die  ein  Alter  von  100 — 150  Jahren  haben;  früher  kam  es 
nicht  selten  vor,  daß  Bauern  einige  Zentner  Käse  aufbewahrten,  und  hienach 
habe  man  den  Reichthnm  derselben  beurtheilt. 

7)  Von  ungefähr  gleicher  Beschaffenheit  wie  der  vorhergehende  ist  der 
W  a  1 1  i  8  e  r k  ä  8  0 ,  welcher  auch  50 —  1 00  und  mehr  Jahre  aufbewahrt  zu  werden 
pflegt.  Dieser  harte  Fettkäse  ist  außerordentlich  fett  und  nimmt  im  Alter  die 
Farbe  von  gelbem  Wachs  an.  Auch  hier  wird  über  viel  Ausschußwaare  geklagt, 
was  wiederum  der  geringen  Berufsbildung  der  Käser  zur  Last  gelegt  werden 
muß,  denn  die  kuhwarm  verarbeitete  Milch,  welche  von  den  herrlich  duftenden 
Alpenkräutern  stammt,  sollte  doch  einen  regelmäßig  feinen  Käse  liefern.  In  den 
70er  Jahren  sind  einige  Verbesserungen  eingeführt  worden;  so  findet  man  auf 
den  Walliser  Alpen  den  für  den  Käser  unentbehrlichen  Thermometer,  welchen 
wir  auf  den  Tessiner  Alpen  auf  der  Käserei  Inspektion  im  Jahre  1886  noch 
nirgends  angetroffen  haben. 

Das  Gewicht  des  Walliserkäses  übersteigt  10  kg  niemals.  Derselbe  wird 
im  ganzen  Kanton  Wallis  fabrizirt,  jedoch  nur  in  unbedeutendem  Maße  exportirt. 

8)  Der  Cristallinakäse  hat  seinen  Namen  von  der  Alp  Cristallina  im 
Medelser  Thale  des  Bündner  Oberlandes  und  gleicht  dem  Oberwalliserkäse  sehr 
gut,  wird  aber  nicht  so  lange  aufbewahrt  wie  dieser. 


Milch  wirthscbafc  —      438      —  Milch  wirthschaft 

• 

9)  Der  Bellelaykäse,  auch  Tetes  des  moines  genannt,  worde  schon  im 
15.  Jahrhundert  in  den  Sennereien  des  Prämonstratenserstiftes  Bellelay  im  ber- 
nischen Jura  fabrizirt.  Noch  im  vorigen  Jahrhundert  war  dieser  5 — 6  kg  schwere 
Fettkäse  von  10 — 12  cm  Durchmesser  und  16 — 18  cm  Höhe  sehr  berühmt, 
während  dessen  Fabrikation  jetzt  nicht  mehr  gepflegt  wird.  Im  Jahre  1862 
sollen  ca.  1500  Stück  mit  einem  Gewicht  von  ca.  90  q  fabrizirt  worden  sein, 
welche  mehr  in  unsern  Nachbarstaaten  als  in  ihrer  Heimat  genossen  werden. 
Der  Preis  per  Kilogramm  betrug  vor  ca.  60  Jahren  20  Kreuzer  =75  Rp. ; 
jetzt  ist  sein  Preis  auf  Fr.  2  gestiegen. 

10)  Der  Vacherin  ist  ein  delikater,  fetter  Weichkäse  und  wird  theils  im 
Jura  (Neuenburg  und  Waadtland),  theils  im  Greyerzer  Land  fabrizirt;  in  letzterem 
wird  jedoch  nur  der  Schmelz- Vacherin  (Fondu)  in  Form  und  Größe  der  Greyerzer- 
käse  bereitet,  während  der  in  den  Jurathälern  im  Gewicht  von  3— 5  kg  gemachte 
Vacherin  {k  la  main)  von  Hand  gegessen  wird  und,  aufs  Brod  gestrichen,  eine 
vorzügliche  Delikatesse  bildet. 

11)  Der  Schabzieger,  auch  Grünkäse  genannt,  hat  seine  Heimat  im 
Kanton  Glarus,  woher  auch  der  Name  Glarnerzieger,  welcher  in  allen  Welttheilen 
als  schmackhaftes  Nahrunga-  und  Würzmittel  bekannt  ist;  den  Kindern  wird  er 
bei  Anhäufung  von  Spulwürmern  mit  sicherem  Erfolg  gegeben. 

Wo  im  Kanton  Glarus  die  Verhältnisse,  wie  Wasserzuleitung  oder  natür- 
liche Luftzüge,  das  Aufrahmen  der  Milch  begünstigen,  wird  diese  zu  Zieger 
verarbeitet.  Nationalrath  Schindler  in  Mollis  theilte  uns  mit,  daß  wenigstens  auf 
der  Hälfte  der  Alpen  die  Milch  zu  Zieger  verarbeitet  werde,  was  folgende 
Vortheile  biete:  Der  gewonnene  Zieger  findet  zu  weiterer  Verwendung  in  den 
Ziegerfabriken  des  Kantons  Glarus  sicheren  und  naheliegenden  Absatz.  Die 
Manipulation  ist  beim  Ziegern  einfacher  als  beim  Käsen,  es  gibt  viel  weniger 
Ausschußwaare.  Die  Verwendung  der  Milch  zu  Zieger  erlaubt,  ohne  diesem 
Produkt  zu  schaden,  möglichst  allen  Kahm  aus  derselben  zu  gewinnen.  Die 
Butterproduktion  ist  daher  beim  Ziegern  größer  als  beim  Käsen  und  kann  die 
Butter  bei  der  großen  Industriebevölkerung  stets  gut  abgesetzt  werden. 

Die  Glarner  Zieger- Industrie  ist  schon  sehr  alt  und  es  wurde  bereits  im 
15.  Jahrhundert  „grüner  Zieger**  aus  Glarus  nach  Zürich  und  den  benachbarten 
Landschaften  verhandelt. 

Schon  im  17.  Jahrhundert,  schreibt  Dr.  Tschudi  ^),  hatte  der  Ziegerhandel 
eine  bedeutende  Ausdehnung  gewonnen.  Zu  jener  Zeit  bauten  die  glarnerischen 
Handelsleute  an  der  Ziegelbrücke  eigene  Schiffe,  befrachteten  sie  mit  ihren 
Landesprodukten,  als:  Schahziecfer^  Schiefertafeln,  geschnittenen  feinen  Hölzern 
u.  s.  w.,  und  führten  dieselben  unter  eigener  Aufsicht  und  Leitung  nach  Rotterdam 
und  anderen  Seeplätzen  in  Holland,  von  wo  dann  der  Inhalt  der  Schilfe  nach 
England,  Rußland,  Amerika,  Ost-  und  Westindien  etc.  verhandelt  wurde.  Gegen- 
wärtig wird  der  Glarnerzieger  nach  dem  ganzen  Kontinent  und  den  meisten 
überseeischen  Ländern  verfrachtet  und  sind  jetzt  vorzüglich  Bremen  und  Hamburg 
die  Seeplätze,  von  welchen  aus  der  Handel  nach  außereuropäischen  Ländern 
vermittelt  wird. 

Dr.  Tschudi  veranschlagt  die  Fabrikation  und  den  Export  des  Schabziegers 
aus  dem  Kanton  Glarus  per  Jahr  auf  ca.  10,000 — 13,000  q,  welche  im  Mittel 
zu   11,500  q  ä  Fr.  Ö4  per   100  kg  einen  Werth  von  Fr.  736,000  repräsentiren. 

')  Alpw.  Monatsblätter  1869.  —  Wer  sich  um  diese  Glarner  Industrie  interessirt, 
iindet  in  diesen  Blättern  ausführlichen  Bescheid. 


Milcbwirthschaft  —     439     —  Milchwirthschaft 

Eine  bescheidene  Ziifer,  sagte  Dr.  Tschudi,  gegenüber  der  anderen  Glarner  In- 
dustrie, welche  nur  in  Banmwollwaaren,  nach  der  Zusammenstellung  des  ersten 
Fabrikinspektionsbenchtes  vom  Jahre  1865,  einen  Handelswerth  von  46  Millionen 
Franken  aufwies. 

12)  Bündner  und  Sl.  Galler  Oberländer-Magerkäse, 

Vd)  Appenzellerkäse. 

14)  Prätt  ig  au  er- Magerkäse. 

15)  Waadtländer-  und  Freiburger-Magerkäse, 

16)  Chamer-  oder  Pßster-Magerkäse. 

17)  Limburgerkäse, 

18)  Sauermilch-  (Blöder)  Käse, 

Diese  von  12  bis  18  aufgeführten  Käsesorten  sind  mit  Ausnahme  des  Lim- 
burgers, welcher  auch  hie  und  da  halbfett  fabrizirt  wird,  magere  Schweizer  käse, 
wozu  sich  noch  eine  Unzahl  magerer  Hauskäse  gesellen.  £s  würde  uns  zu  weit 
führen,  auf  alle  diese  Sorten  einzutreten,  zumal  dieselben  in  unserer  Export- 
induötrie  keine  oder  nur  eine  untergeordnete  Bedeutung  haben.  Von  um  so 
höherem  Werthe  sind  die  Magerkäse  für  unsere  Volksernährung,  indem  dieselben 
ca.  33  Vo  Proteinsubstanz  besitzen,  während  z.  B.  mageres  Ochsenfleisch  nur 
21  7o  Protein  enthält. 

Der  Schweizer  Magerkäse  ist,  wenn  er  gut  bereitet  wird,  anerkanntermaßen 
ein  gutes,  sehr  haltbares  Produkt  von  angenehmem,  pikantem  Geschmack,  welches 
weder  leicht  austrocknet  noch  fault.  Die  Rinde  ist  sehr  dünn  und  es  gibt  deßhalb 
wenig  Abfall  beim  Detailausschnitt.  Dr.  von  Klenze  sagt:  „Beinahe  kein  anderer 
Magerkäse  vereinigt  alle  diese  Eigenschaften  in  sich  oder  besitzt  sie  in  so  hohem 
Maße,  wie  der  Schweizer  Magerkäse.  Und  doch  wird  er  bis  jetzt  so  selten  gut 
bereitet,  sondern  im  Gegentheil  meist  ganz  vernachlässigt.  Fieischmann  hat  in 
Mecklenburg  diese  Fabrikation  eingeführt  und  sie  ist  sehr  günstig  aufgenommen 
worden,  so  daß  die  Käse  sich  eines  lebhaften  Absatzes  erfreuen.  ** 

Es  ist  eine  feststehende  Thatsache,  daß  der  Magerkäsefabrikati on  in  der 
Schweiz  im  Allgemeinen  zu  wenig  Aufmerksamkeit  geschenkt  wird.  Die  bisherige 
Fabrikationsweise  liefert  ein  sehr  gutes  Produkt,  wenn  mit  Sachkenntniß  und 
Aufmerksamkeit  gearbeitet  wird.  Es  existirt  aber  leider  fast  allgemein  das  Vor- 
urtheil,  es  sei  nicht  noth wendig,  besondern  Fleiß  auf  die  Magerkäsefabrikation 
zu  verwenden,  da  der  Magerkäse  ja  im  Lande  selbst  und  meist  nur  von  der 
niederen  Volksklasse  gegessen  werde.  Wir  halten  es  nicht  für  nothwendig,  die 
UnStichhaltigkeit  dieser  Idee  zu  beweisen  und  wünschen  nur,  daß  auch  Behörden 
und  Vereine  der  Verarbeitung  der  Milch  zu  Magerkäse  vermehrte  Aufmerksamkeit 
schenken. 

Unter  den  Magerkäsen  verdient  noch  besondere  Erwähnung  der  Appen- 
zellerkäse, welcher  in  pikanter  oder  vielmehr  räßer  Qualität  und  in  Laiben 
von  7 — 8  kg  (25 — 30  cm  Durchmesser  und  12  —  15  cm  Höhe)  in  den  Handel 
kommt.  Eine  besondere  Eigenthümlichkeit  des  Appenzellerkäses  besteht  darin, 
daß  der  Senn  den  frischen  Käse  nicht  preßt  und  etwa  8  Tage  lang  liegen  läßt. 
Dann  wird  der  trockene,  ungesalzene  Käse  an  die  Händler  verkauft,  welche  den 
reifen  Käse  mit  einer  „Sulz"  (Salzlacke)  von  Wasser,  Wein,  Hefe  von  weißem 
Wein,  Salz  und  Pfeffer  einbeizen.  Die  kunstgerechte  Bereitung  der  „Beize**, 
welche  dem  Appenzellerkäse  den  beliebten  Geschmack  gibt,  wird  noch  als  Ge- 
heimniß  betrachtet.  Der  Appenzellerkäse,  welcher  mitunter  auch  fett  („Fähstkäse") 
fabrizirt  wird,  findet  im  Appenzeller  Lande  selbst,  im  Kanton  St.  Gallen,  Thurgau 
und    dann   auch   in  Schwaben    guten  Absatz.     Vor  einem  Preisgericht,    sagt  der 


Milchwirthschaft  —     440     —  Milchwirthschafl 

Bericht  über  die  Landesausstellung  in  Zürich,  wird  der  Appenzeller-,  Saanen- 
nnd  Walliserkäse  schwerlich  jemals  Gnade  finden,  denn  ihre  äußere  Form  sticht 
sehr  stark  von  den  Handelskäsen  ab  (gespalten,  unebene  Oberfläche),  immerhin 
finden  dieselben  ihre  Liebhaber. 

Der  Chamer-  oder  Pfisterkäse,  benannt  nach  seinem  Erfinder  Pfister- 
Huber,  hat  namentlich  für  den  Centrifugenbetrieb  große  Bedeutung,  da  die  Ver- 
arbeitung der  durch  die  Centrifuge  gewonnenen  Magermilch  große  Schwierigkeiten 
bietet.  Dieser  Pfisterkäse,  ein  harter,  schmackhafter,  stark  gesalzener  Magerkäse, 
wird  frisch  einige  Tage  in  eine  zwanzigprozentige  Salzlacke  und  nachher  in  ein 
Dampfzimmer  gebracht.  Diese  Fabrikation  hat  in  zahlreichen  Centrifugenmolkereien 
der  Schweiz  und  des  Auslandes  Eingang  gefunden. 

Schatzmann's  Bericht  über  die  Landesausstellung  in  Zürich  von  1883  sagt : 
„Aus  Centrifugenmilch  einen  guten  Magerkäse  zu  fabriziren,  hat  seine  großen 
Schwierigkeiten,  die  Pfister  überwunden.  Er  stellt  einen  Magerkäse  in  Form  und 
Größe  der  „Spalen**  her,  der  theils  frisch  und  jung  als  Volkskost  bei  uns  verzehrt 
wird,  theils  älter  und  fest  nach  Italien  als  Reibkäse  guten  Absatz  findet.  Dieses 
günstige  Resultat  wurde  durch  viele  und  verschiedenartige  Versuche  gewonnen, 
sowohl  was  das  Laben  (Labpulver),  das  Salzen  (im  Wasser)  und  das  Gähren 
(Dämpfen)  der  Käse  anbetrifft;  Herr  Pfister  hat  mit  diesen  Versuchen  der  Milch- 
wirthschaft einen  großen  Dienst  geleistet.  Die  Chamerkäse  hatten  nicht  nur  eine 
tadellose  Form,  sondern  auch  einen  sehr  guten  Geschmack.** 

Der  Limburgerfabrikation  sollte  in  der  Schweiz  mehr  Aufmerksam- 
keit geschenkt  werden,  denn  die  Käse-Einfuhr  im  Werthe  von  ca.  2  Millionen 
Franken  betrifft  zum  großen  Theil  Limburger  käse.  Da  aber  diese  Käsesorte 
bekanntermaßen  in  der  Schweiz  vielerorts  in  eben  so  guter  Qualität  wie  in 
Deutschland  fabrizirt.  wird,  ist  nur  zu  wünschen,  daß  unsere  Bevölkerung  ihren 
Bedarf  mehr  mit  einheimischem  Produkte  decke. 

Der  Sauermilch-  oder  B 1  o d  e r k ä s e  ist  der  einzige,  welcher  ohne  Zu- 
setzen von  Lab,  einzig  durch  Gerinnen  der  Milch,  bereitet  wird.  Dieser  Bloder- 
käse  hat  ein  Gewicht  von  2  —  10  kg  und  wird  wie  Ziegerstöcke  behandelt.  Die 
Fabrikation  beschränkt  sich  auf  das  st.  gallische  Rheinthal  und  Toggenburg  und 
ist  von  untergeordneter  Bedeutung. 

19)  Die  Geißkäsli,  welche  zur  Sommerszeit  aus  vielen  Alpengegenden  auf 
den  Markt  gebracht  werden,  sind  die  kleinsten  Käschen  der  Schweiz  und  bilden 
den  größten  Kontrast  gegenüber  den  zweizentnerigen  Emmenthalem,  mit  welchen 
wir  die  Umschau  über  die  schweizeri.Nchen  Käsesorten  begonnen  haben. 

Schließlich  führen  wir  hier  noch  einige  Analysen  der  verschiedenen 
Käsesorten  an ; 

.. .  .  Wasser  Fett  Kä-sestofT  Salne 

Emmenthaler       ....  34,9  —  37,4  30,4—31,2  28,5—29,9  3,4—4,0 

Greyerzer  (ähnlich  Spalen)  34,57  —  40,0  24,0—29,0  30,6—32,5  3,0—3,8 

Bellelaykäse 37,59  30,05  28,88  3,48 

Saanenkäse,  alt  ...      .  12,40  34,35  46,80  6,45 

Vacherin 45,87  27,21  25,29  1,63 

2)  Die  Butterfabrikation 

spielte,  wie  wir  bereit'«  im  Eingang  dieses  Artikels  gesehen  haben,  in  früheren 
Jahrhunderten  bei  uns  eine  viel  größere  Rolle  als  gegenwärtig. 

Im  16.  und  17.  Jahrhundert  scheint  eine  beständige  Angst  vor  Buttermangel 
geherrscht  zu  haben,  weßhalb  die  damaligen  Behörden  den  Butterexport  möglichst 


Milchwirthschaft  —     441      —  Milchwirthschaft 

einschränkten  und  auch  das  Fettkäsen  zu  unterdrücken  suchten.  Im  Jahre  1601 
maßte  z.  B.  von  allen  Kanzeln  des  Kantons  Bern  verkündet  und  das  Volk 
gewarnt  werden,  „sich  des  Verkoufs  des  Ankens  an  Ußländische,  auch  Eidge- 
nössische Kouflüt  zu  mäßigen^. 

Und  im  Jahre  1619  klagt  ein  obrigkeitliches  Mandat  über  die  Vertheuerung 
der  Butter  und  sagt  alsdann: 

, Habend  wir  keinen  Verzug  nemen  wollen  den  Hauptursachen  nachzuforschen, 
und  deren  fürnemlich  Dreyen  befunden :  Erstlich  das  hin  und  wider  insonderheit  unserer 
Oberländischen  Unterthanen,  sich  je  lenger  je  mehr  angemaßetj  gar  feißte  Käsen  und 
andere  Molchen  zu  machen  und  selbige  an  ußere  Ort  zu  verkauffen ;  die  andere  Ursach, 
das  unangesechen  unser  Mandaten  und  Verpotten  eine  große  Anzahl  Anken  um  Elsaßer 
Wyn,  Salz  und  anders  vertuschet  und  uß  unseren  Landen  gefertiget  wird ;  drittens  daß 
unsere  Unterthanen  Ir  Vych  mit  Schmaal  ußeren  und  frömbden  Vychgewerberen  und 
Mezgeren  ußem  Land  verkoufil  habend,  und  die  Kelter ,  so  sy  an  deren  statt  ufzestellen 
und  erzüchen  begehrend,  etliche  Wuchert  lang  sugen  lassend.  Hieruf  nun  zu  Abschey- 
dung  solcher  und  anderer  ursächlichen  höchst  schädlichen  Mittlen  sind  wir  bereit  uff 
ernsthaftige  Verpott  und  Publikationen  zu  Abschaffung  Mangels  und  VerthOrung  des 
Ankens  gerichtet  ete/ 

Aehnliche  Verordnungen  und  Mahnungen  zur  vermehrten  Biitterfabrikation 
wurden  im   17.  Jahrhundert  in  großer  Zahl  erlassen. 

Durch  die  allmälige  Ausdehnung  der  Fettkäserei  und  durch  den  guten  Absatz 
der  Fettkäse  wurde  aber  die  Butterfabrikation  stets  mehr  in  den  Hintergrund 
gedrängt,  ja  in  einigen  Gegenden,  wo  jetzt  die  Fettkäserei  so  recht  zu  Hause 
ist,  hat  die  vor  2 — 3  Jahrhunderten  geherrschte  Ansicht  vollständig  umgeschlagen, 
indem  man  es  jetzt  oft  als  eine  Anmaßung  betrachtet,  der  Milch  das  Fett  zu 
entziehen  und  Butter  zu  bereiten. 

Die  Ansicht,  es  schade  eine  vermehrte  Butterfabrikation  unserer  Käse- 
Industrie,  vermögen  wir  nicht  zu  theilen,  indem  magere  oder  halbfette  Käse  doch 
nicht  als  Fettkäse  verkauft  werden  können.  Wird  aber  die  „Nidelkelle"  auch 
bei  der  Fettkäserei  viel  gebraucht,  so  muß  dies  als  ein  „unehrliches"  Handwerk 
bezeichnet  werden,  welches  die  schweizerische  Fettkäse-Exportindustrie  schwer 
schädigt. 

Deßhalb  ist  aber  die  Butterfabrikation  an  sich  durchaus  nicht  zu  verwerfen, 
im  Gegentheil  leistet  dieselbe  bei  einer  Ueberproduktion  an  Fettkäsen  resp.  bei 
gedrückten  Käsepreisen,  wie  sie  die  letzten  Jahre  aufweisen,  der  Land-  und 
Milchwirthschaft  nicht  zu  unterschätzende  Dienste. 

Seit  20  Jahren  ist  der  Butterfabrikation  in  der  Schweiz  stets  vermehrte 
Aufmerksamkeit  geschenkt  worden.  Die  früher  allgemeine  und  gewiß  berechtigte 
Klage,  man  erhalte  in  der  Schweiz  keine  gute  Butter,  ist  allraälig  verstummt, 
wobei  namentlich  die  KonkuiTcnz  der  Centrifugenbutter  große  Verdienste  hat. 

In  Hunderten  von  neuen  Käsereien  wurde  das  bewährte  Abkühl  verfahren 
eingeführt,  bei  welchem  ein  frischer,  süßer  Rahm  und  eine  vorzügliche  Butter 
gewonnen  werden.  Für  das  Aufstellen  der  Milch  werden  immer  mehr  luftige 
Bäume  eingerichtet,  denn  man  beginnt  allgemein  zu  erkennen,  daß  der  Rahm 
alle  üblen  Gerüche  in  sich  aufnimmt  und  daß  in  einem  dumpfen,  schlecht  ge- 
lüfteten Lokal  niemals  eine  gute  Butter  kann  bereitet  werden.  Es  wäre  sehr  zu 
wünschen,  daß  an  Stelle  der  porösen  Holzgeschirre  die  allgemein  empfohlenen 
Blechgepsen  eingeführt  würden,  welche  leicht  zu  reinigen  sind  und  die  Milch 
weniger  ansäuern  als  die  Holzgefäße ;  zum  Transport  der  Milch  sind  die  Blech- 
gefäße fast  tiberall  eingeführt  und  mit  der  Zeit  werden  auch  die  Holzgepsen 
verdrängt  werden. 

Ein  Hauptfaktor  bei  der  Butterfabrikation  ist  sodann  die  Reinlichkeit,  ohne 


Milchwirthschaft  —     442     —  Milchwirthschaft 

welche  auch  mit  den  besten  Geräthen  niemals  eine  feine  Prima  Butter  hergestellt 
werden  kann.  Als  einen  fast  allgemeinen  Fehler  heben  wir  speziell  das  Kneten 
mit  den  landen  hervor;  hier  leisten  die  Knetmaschinen  oder  für  kleineren  Betrieb 
die  Knetbretter  vorzügliche  Dienste. 

Die  Vorbrachbutter  spielt  bei  der  vorherrschenden  Fettkäserei  eine  hervor- 
ragende Rolle,  beweisen  doch  die  Rechnungen  der  Genossenschaftskäsereien  zur 
Gentige,  daß  mit  dem  Erlös  aus  der  Vorbruchbutter  die  Betriebskosten  vollständig 
gedeckt  werden  können.  Das  Abkühl  verfahren  bietet  namentlich  bei  der  Bereitung 
von  Vorbruchbutter  große  Vortheile,  indem  es  eine  bessere  Qualität  Butter  liefert 
und  bedeutende  Ersparnisse  an  Brennstoff  gestattet. 

Wenn  aber  durch  sorgfältige  Fabrikation  und  Mehraufwand  an  Arbeit 
und  Geld  ein  wirklich  besseres  Produkt  hergestellt  wird,  so  sollte  dasselbe  auf 
dem  schweizerischen  Markte  auch  einen  höheren  Preis  erzielen  gegenüber  geringer 
Butter;  ist  dies  nicht  der  Fall,  so  wird  der  fleißige  Arbeiter  entmuthigt  und 
liefert  wieder  die  geringe  Qualität  Butter  wie  früher. 

Ein  epochemachendes  Ereigniß  in  der  Butterfabrikation  war  im  Anfang  der 
80er  Jahre  die  Einführung  des  Centrifugenbetriebes,  welcher  es  gestattet, 
aus  der  frisch  gemolkenen  Milch  sofort  den  Rahm  zu  gewinnen  und  Butter  zu 
bereiten.  Aus  der  nachstehenden  Tabelle,  welche  wir  behufe  dieser  Berichterstattung 
aufgenommen  haben,  geht  hervor,  daß  die  erste  Milchcentrifuge  im  Jahre  1879 
in  Cham  eingeführt  worden  ist.  Jene  erste  Lefeldt-Centrifuge  arbeitete  jedoch  noch 
nicht  kontinuirlich,  d.  h.  nachdem  die  im  rotirenden  Kessel  befindliche  Milch  in 
Rahm  und  Magermilch  ausgeschieden  war,  mußte  der  Betrieb  unterbrochen,  die 
Centrifuge  entleert  und  neuerdings  mit  ganzer  Milch  gefüllt  werden. 

Die  Gewinnung  des  Rahmes  vermittelst  Centrifugalkraft  ist  eine  spezifisch 
deutsche  Erfindung.  Professor  Fuchs  in  Karlsruhe  hat  den  Gedanken  zuerst  aus- 
gesprochen, die  Rahmausscheidung  aus  der  Milch  durch  Anwendung  der  Centrifugal- 
kraft zu  beschleunigen.  Seit  dem  Jahre  1872  verfolgte  der  deutsche  Ingenieur 
Wilhelm  Lefeldt  diesen  Gedanken  mit  unentwegter  Ausdauer  und  machte  sich 
die  Lösung  der  Frage,  ob  sich  die  Centrifugalkraft  für  die  milchwirthschaftliche 
Praxis  im  Großen  verwerthen  lasse,  zur  Lebensaufgabe.  An  der  Bremer  Aus- 
stellung 1874  eregte  Lefeldt  durch  eine  Eimer  centrifuge  das  größte  Interesse, 
und  als  sich  ergab,  daß  dieselbe  in  der  Praxis  nicht  brauchbar  war,  so  baute 
er  die  Trommelcentrifugen,  ähnlich  denen,  die  bei  der  Rübenzucker-  und  Stärke- 
mehlgewinnung schon  längst  im  Gebrauche  waren.  Die  zuerst  konstruirten  Centri- 
fugen  mit  intermittirendem  Betrieb  wurden  allmälig  vollständig  verlassen,  da  »lie 
Praxis  leistungsfähigere  Centrifugen  mit  kontinuirlichem  Betriebe  verlangte. 

Seit  den  80er  Jahren  wurden  namentlich  vier  Centrifugensysteme  gebaut, 
welche  sich  in  der  Praxis  und  auch  in  der  Schweiz  Eingang  verschafft  haben, 
es  sind  die  Systeme  Lefeldt,  Laval,  Burmeister  &  Wain  und  H.  Petersen.  Die 
ersten  zwei  Systeme  schleudern  bei  einer  Umdrehungsgeschwindigkeit  von  6 — 8000 
Touren  per  Minute  die  Magermilch  und  den  Rahm  aus  der  Trommel,  während 
die  letztern  zwei  Maschinen  Schälcentrifugen  sind,  d.  h.  durch  röhrenartige  Vor- 
richtung Rahm  und  Magermilch  herausschälen  und  nur  2 — 3000  Touren  per 
Minute  machen.  In  neuerer  Zeit  baut  auch  Maschinenkonstrukteur  Seyferth  in 
Kriens  zwei  Systeme  Centrifugen,  Schleuder-  und  Schälcentrifugen,  in  welchen 
er  die  Prinzipien  der  deutschen  (Lefeldt),  schwedischen  (Laval)  und  dänischen 
(Burmeister  &  Wain)   Erfindungen  kombinirt  hat. 

Die  Frage:  welches  ist  die  beste  Centrifuge?  wird  allgemein  dahin  beant- 
wortet,   daß  jedes  System    in    gewissen  Verhältnissen   Vorzüge    besitzt    und   alle 


Milchwirthschaft 


—     443 


Milchwirthschaft 


Systeme  unter  vollster  Ausnutzung  der  treibenden  Kraft  die  Milch  möglichst 
vollständig  zu  entrahmen  im  Stande  sind.  Das  vollständige  Entrahmen  der  Milch 
wird  aber  heute  nicht  mehr  so  allgemein  verlangt,  da  die  absolut  entfettete 
Milch  für  die  Käsefabrikation,  als  Nahrungsmittel  der  Menschen  sowie  zur  Aufzucht 
und  Mästung  von  Jung-  und  Kleinvieh  nur  von  sehr  geringem  Werthe  ist. 


Statistik    über   den    Centrif ugenbetrieb    in    der    Schweiz, 
Januar  1887,  aufgenommen  von  F.  Merz  in  Faido. 


E 
E 


Kanton 


Freiburg 


Luzern 
Thurgau 


1  I  Appenz.  A.-Rh. 

2! 

3  I  Baselstadt 

4  I  Bern  .     . 
5' 
6 
7 
8 
9 

10    St.  Gallen 

11 

12 

13 

14 

15 

16 

17 

18'  Waadt 

19  I  Zug 

20 

21 

22     Zürich 

23 

24 

25 

26! 

27 

28 

29  I 

30' 

311 

32' 

33! 


Schweiz 


Gemeinde 


Centrifugen 


System 


Heiden  .... 

Gais 

Basel  .... 
Steflisburg  .  . 
Kiesen  .... 
La  Roche  .  .  . 
Drognons-Roniont 
La  Schürra  .  . 
Bulle  .... 
Wyl-Roßreuti  . 
Untereggen  .  . 
Sornthal  .  .  . 
Rappersweil  .  . 
Luzern  .... 
Karthaus  .  .  . 
Wigoltingen  .  . 
Eppishausen  .  . 
La  Sarraz  .  .  . 
Zug 


Cham 

Uster 

I  Bäretswil  .  .  .  . 
I  Bauma 

Illnau-Ottikon  .  . 
I  Netschweil  .  .  . 
I  Oberweil  b.  Pfaffikon 
'  Richtersweil    .     .     . 

Bubikon  .  .  .  . 
I  Aeugsterthal  .     .     . 

1  Bachs 

I  Spitzen  bei  Hirzel  . 
I  Riff ers weil      .    .     . 


1883  XI 

1885  XII 

1884  XI 
1884 
1883  V 
18861 
1883 
1885 
1884 
1883 

1886  V 
1886 IX 

1883  VIII 
1883 
1884 
1883 III 
1886 
1885 
1882 

1884  V 
1879 
1884 
1885Vm 
1885 
1886  III 

1885  VIII 

1884  VI 

1886  V 
1886  V 
1884 
1883 
1886  XI 

1885  XI 


1 
2 
2 
2 
2 
2 
1 
2 
3 


2 


3 


Lefeldt 

Laval  83 

Lefeldt  83 

Laval 

Lefeldt 
Burmeister  &  Wain 

Laval 
Burmeister  Sc  Wain 
2Lavalu.  1B.Ä;W. 
Burmeister  &  Wain 

Lefeldt 

Burmeister  &  Wain 

H.  Petersen 

Lefeldt 

Laval 

Lefeldt 
Burmeister  &:  Wain 

Lefeldt 

Burmeister  &  Wain 

Laval 
Burmeister  &  Wain 


Laval 
Burmeister  &:  Wain 

Laval 
Burmeister  Sc  Wain 


1879/86    145  1     ') 


»)  22  Burmeister  Sc  Wain,  10  Lefeldt,  12  Laval,  1  Petersen. 


•g-sg 

SS« 


Litfr 

1000 

1400 

800 

800 

2000 

4500 

300 

3000 

2000 

1800 

300 

1000 

2700 

800 

1400 

2700 

1500 

3000 

350 

300 

6000 

650 

300 

300 

750 

650 

400 

600 

550 

600 

550 

1500 

1750 


46250 


Außer  den  in  vorstehender  Tabelle  aufgeführten  Centrifugenmolkereien 
existiren  noch  solche  in  Chätel-St-Denis,  Freiburg  (2  Burmeister  &  Wain),  in 
Yverdon,  Aigle,  Lausanne,  Genf,  Bern  und  Egnach  (4  Seyferth-  und  2  Laval- 
Separatoren).  Von  diesen  Molkereien  erhielten  wir  jedoch  keine  Antwort.  Die- 
Zahl  der  Centrifugenmolkereien  beträgt  demnach  40,  wovon  12  auf  den  Kanton 
Zürich,    5  auf  den  Kanton  Freiburg,  je  4  auf  die  Kantone  St.  Gallen,  Thurgau 


Milch  wirthschaft  —     444      —  Milchwirthschaft 

und  Waadt,  je  3  auf  die  Kantone  Zug  und  Bern,  2  auf  den  Kanton  Appen- 
zell A.-Rh.  und  je  1  auf  die  Kantone  Baselstadt,  Luzem  und  Genf  treffen. 

Errichtet  wurden  im  Jahre  1879  1,  1882  1,  1883  8,  1884  8,  1885  7 
und  1886  8  Centrifugenmolkereien. 

In  23  Molkereien  arbeiten  je  1  Centrifuge,  in  8  Molkereien  je  2  und  in 
2  Molkereien  3  Centrifugen.  In  den  40  Centrifugenmolkereien  der  Schweiz 
(inkl.  7,  die  keine  Angaben  machten)  sind  53  Centrifugen  im  Betrieb,  wovon 
10  dem  System  Lefeldt,  14  dem  Laval,  24  dem  Burmeister  &  Wain,  4  dem 
Seyferth  und  1  dem  H.  Petersen  (Hamburg)  angehören.  Die  Leistungsfähigkeit, 
d.  b.  das  per  Stunde  zu  entrabmende  Milchquantum  varirt  zwiscben  250  Liter 
(Laval)  bis  600  Liter  (Burmeister  &  Wain). 

Die  zum  Betrieb  der  Centrifugen  noth wendige  Kraft  wird  in  16  Molkereien 
durcb  Dampf,  in  14  durch  Wasser,  in  2  durch  Göpel  (Pferd  und  Ochs)  und  in 
1   durcli  Gasmotor  erzeugt. 

Das  durchschnittliche  tägliche  Milchquantum  varirt  in  den  33  Molkereien 
zwischen  300  und  6000  Liter.  Im  Ganzen  verarbeiten  die  Centrifugenmolkereien 
in  der  Schweiz  per  Tag  46,250  Liter  oder  per  Jahr  16'881,250  Liter;  es  trifft 
somit  durchschnittlich  auf  eine  Centrifugenmolkerei  per  Tag  ca.  1400  Liter  Milch. 

Obschon  keine  Klagen  über  zu  geringe  Leistungsfähigkeit  der  verschiedenen 
Centrifugensysteme  laut  wurden,  haben  sich  in  unserem  Fragebogen  doch  mehr 
als  die  Hälfte  der  Centrifugenbesitzer  entschieden  geyen  eine  größere  Verbreitung 
der  Centrifuge  in  der  Schweiz  ausgesprochen,  und  zwar 

1)  weil  der  Butterabsatz  namentlich  im  Sommer  schwierig  und  unregelmäßig 
ist  und 

2)  weil  die  Magermilch  sich  nur  zu  sehr  geringem  Preise  (2 — 4  Rp.  per 
Liter)  verwerthen  läßt.  Die  Käsefabrikation  mit  Centrifugenmilch  ist  nach 
übereinstimmendem  ürtheil  sehr  schwierig  und  liefert  in  der  Regel  gering- 
werthige  Produkte. 

In  Dänemark  und  Schleswig-Holstein  mit  26,000  km*  Kulturland  sind 
gegenwärtig  1600  Burmeister  &  Wain-Centrifugen  in  Betrieb,  so  daß  es  auf  je 
16  km*  eine  Centrifuge  trifft;  in  der  Schweiz  dagegen  mit  29,637  km^  Kultur- 
land existiren  nur  53  Centrifugen,  so  daß  hier  auf  je  560  km*  eine  Centrifuge 
kommt.  Aus  diesen  Ziffern  erhellt  wohl  am  besten  der  Kontrast  beider  annähernd 
gleich  großen  Länder  in  der  Verwerthung  der  Milch ;  Dänemark  charakterisirt 
sich  als  vorherrschend  Butter,  die  Schweiz  dagegen  als  vorherrschend  Käse 
produzirendes  Land. 

3)  Die  Ziegerfabrikation 
ist  in  der  Schweiz  trotz  ihrer  hohen  Bedeutung  für  die  Volksernährung  nur  von 
untergeordneter  Bedeutung.     Als  Exportartikel    spielt   der  Grün-,    Glarner-  oder 
Schabzieger    eine    nicht   unbedeutende    Rolle;    da    derselbe   jedoch    den    Käsestoff 
sammt  Zieger  enthält,  haben  wir  denselben  unter  den  Käsesorten  aufgeführt. 

Der  weiße  Zieger  wird  namentlich  bei  der  Fettkäserei  gewonnen,  nachdem 
der  Fettkäse  und  der  Vorbruch  schon  herausgezogen  wurden.  In  vielen  Fett- 
käsereien und  namentlich  in  den  Magerkäsereien  wird  die  Käsmilch  direkt  den 
Schweinen  gefüttert.  Bei  der  Fettkäserei,  welche  selbstverständlich  besseren  Zieger 
liefert  als  die  Magerkäserei,  beträgt  die  Ausbeute  an  Zieger  IY2 — 2  kg  per 
100  Liter  Milch.  Mit  Rücksicht  auf  den  Nährwerth  sollte  dem  Zieger  eine 
höhere  Bedeutung  beigemessen  werden  als  dies  gewöhnlich  geschieht,  indem 
derselbe  die  eiweißhaltige,  blutbildende  Substanz  der  Milch  enthält  und  im  Ver- 
hältniß    zum  Preis    (20 — 40  Rp.    per  Kilogramm)    eines   der    nahrhaftesten   und 


Milch  wirthschaft 


—     445     — 


Milchwirthschal't 


billigsten  Nahrungsmittel  ist.  Der  Zieger  wird  namentlich  von  der  Alpenbevölkerung 
häufig  gegessen,  entweder  frisch  und  süß  oder  dann  eingesalzen  und  getrocknet. 

4)  Milchzucker. 

Als  Nebenprodukt  der  Käserei  führen  wir  noch  den  Milchzucker  an,  dessen 
Fabrikation  eine  spezifisch  schweizerische  genannt  werden  kann.  Der  Milchzucker 
wurde  im  Jahre  1619  von  Bartoleiti  entdeckt,  allein  erst  Ende  des  vorigen 
Jahrhunderts  im  Entlebuch  (Luzern)  im  Großen  dargestellt,  und  zwar  zuerst  in 
Tafeln  und  erst  seit  den  40er  Jahren  in  der  schönen,  kristallisirten  Form. 

Wenn  aus  der  Milch  das  Butterfett,  der  Käse  und  Zieger  gewonnen  sind, 
verbleibt  eine  klare,  grünliche  Flüssigkeit,  Schotte  genannt,  aus  welcher  man 
durch  Eindämpfen  den  „  Zuckersand •*  und  aus  diesem  durch  weitere  Behandlung 
den  kristallisirten  Milchzucker  erhält  *).  Während  jedoch  die  Milch  im  Durch- 
schnitt 472  ^jo  Milchzucker  enthält,  beträgt  die  gegenwärtige  Ausbeute  gewöhnlich 
nur   1,2—1,5  7o. 

Die  eigentliche  Heimat  der  Milchzuckerfabrikation  ist  die  kleine  Berggemeinde 
Marbach  im  Entlebuch,  wo  seit  Anfang  unseres  Jahrhunderts  diese  Industrie  mit 
großem  Erfolg  betrieben  wurde.  Bis  vor  einigen  Jahren  beherrschten  einige  wenige 
Fabrikanten  in  Marbach  die  Milchzuckerindustrie  auf  der  ganzen  Erde.  Die  That- 
sache,  daß  seit  dem  Jahre  1811  die  kleine  Gemeinde  Marbach  für  ca.  12  Millionen 
Franken  Milchzucker  exportirte,  berechtigt  uns,  in  beistehender  Tabelle  die  Ent- 
wicklung der  Milchzuckerindustrie  jener  Berggemeinde  diesem  Berichte  beizufügen. 

Entwicklung  der  Milchzuckerindustrie  in  der  Gemeinde  jlilar- 

bach   1811  —  1883.     Aufgenommen  von  F.  Merz. 


^S  '         Ausgaben  fUr  Zuckersand          ,  Einnahmen  für  raffinirten Milchzucker 

Periode 

l|z  1    Quan- 
1  c-S  1    tum 
I<i2     jahrlich 

1 il_  _  _  _ 

Preis  per  q 

Ausgabe    ii  Quantum 
jahrlich        jahrlich 

'1 

Preis  per  q 

Einnahme 
jahrlich 

1 

i 

M 

Fr. 

Fr.         'i         q 

Fr. 

Fr. 

1811-20 

13   '  2080 

60—70 

135,200  1;      1250 

120-130 

156,250 

1821—30 

3  1     830 

70-15 

35,275  1,  ca.  500 

25—50 

18,750 

1831-40 

3  ,     830 

80-100 

74,700  1,  ca.  500 

150—180 

82,500 

1841-45 

3  1'    830 

70—80 

62,250  1  ca.  500 

140-160 

75,000 

1846-50 

4  ,'  1670 

60—70 

108,550  i,      1000 

130-140 

135,000 

1851-55 

4  |!  1410 

35-40 

52,875  1,       850 

60—70 

55,250 

1856—60 

5  1'  1750 

60-70 

113,750  1      1050 

120—160 

147,000 

1861—65 

5  1    1830 

70—80 

137,250  '1      1100 

160 

176,000 

'    1866-70 

7  ,1  2170 

50—60 

119,350  ',      1300 

120-130 

162,500 

1871—75 

7  ;i  2170 

55-130 

200,725  ',      1300 

150—260 

266,500 

1876-80 

8  '1  2670 

130—145 

367,125  ',      1600 

280-300 

464,000 

1881-83 

8  1   2420 

100;   70;   90 

209,814  1;      1450 

250  ;  180  ;  200 

304,500 

1811-83 

6  ,    1605 

75,8« 

121,794  '1       964 

154,82 

149,243 

Wie  überall  bei  hohen  Preisen  sich  leicht  eine  Üeberproduktion  einstellt, 
so  war  dies  auch  beim  Milchzucker  im  zweiten  Jahrzehnt  dieses  Jahrhunderts 
der  Fall.  Bei  den  damaligen  schlechten  Verkehrsverhältnissen  wurden  jährlich 
1250  q  Milchzucker  in  den  Handel  gebracht,  wodurch  das  Verhältniß  zwischen 
Angebot  und  Nachfrage  arg  gestört  wurde  und  der  Preis  für  den  von  den  Sennen 

*)  Näheres  über  die  Fabrikation  des  Milchzuckers  und  seine  Industrie  findet  sicli 
in:  „Entlebuch,  seine  Viehzucht,  Alpen-  und  Milchwirthschaft**,  von  F.  Merz.  Verlag 
von  Cäsar  Schmidt,  Zürich,  1887. 


^lilchwirthschaft  —     446     —  Milchwirthachaft 

bereiteten  Zuckersaiid  von  Fr.  70  auf  Fr.  15  und  derjenige  für  raffinirten  Zucker 
von  Fr.  130  auf  Fr.  25  sank.  Daher  erklärt  sich  auch  die  Verminderung  der 
Zuckerfabrikanten  in  Marbach,  deren  Zahl  sich  in  den  20er  Jahren  von  13  auf 
3  reduzirte. 

Seit  jener  Zeit  varirte  der  Preis  des  Zuckersandes  zwischen  Fr.  35  und 
Fr.  145  per  100  kg  und  derjenige  des  raffinirten  Milchzuckers  zwischen  Fr.  60 
und  Fr.  300.  Die  durchschnittliche  Ausfuhr  der  Gemeinde  Marbach  an  Milcb- 
zucker  betrug  in  den  letzten  10  Jahren  1400  — 1600  q  im  Wert  he  von 
Fr.  300,000—464,000.  Bis  zum  Jahre  1883  betrug  die  Ausfuhr  nach  bei- 
fstehender  Tabelle  Fr.  10'894,76();  rechnen  wir  hiezu  noch  die  Produktion  der 
letzten  3  Jahre,  so  erreicht  die  Milchzuckerproduktion  seit  den  verflossenen  76 
Jahren  einen  Werth  von  ca.   12  Millionen   Franken. 

Der  Milchzucker  kommt  im  Handel  als  Traubenzucker,  Plattenzucker  und 
pulverisirter  Zucker  vor  und  findet  in  der  Medizin  als  leicht  abführendes  Mittel 
namentlich  in  tropischen  Ländern  in  bedeutenden  Quantitäten  Verwendung.  In 
der  Allopathie  wird  der  Milchzucker  wegen  seiner  geringen  Lösbarkeit  als  sog. 
Füllungsmittel  und  in  der  Homöopathie  als  Verdünnungsmittel  häufig  angewendet. 

5)  Kondensirte  Milch. 

Die  Fabrikation  kondensirter  Milch  wurde  im  Jahre  1867  in  der  Schweiz 
und  zugleich  in  Europa  zum  ersten  Mal  betrieben,  indem  im  Jahre  1866  die 
zwei  amerikanischen  Brüder  Page  die  ersten  Milchkondensirungsmaschinen  aus 
den  Vereinigten  Staaten  nach  Europa  brachten  und  in  Cham  (Zug)  eine  Fabrik 
für  Milchkondensation  gründeten. 

Es  wurde  schon  wiederholt  versucht,  die  Milch  in  natürlichem  Zustande  zu 
exportiren,  wodurch  vielen  milcharmen  Gegenden  eine  große  Wohlthat  erwiesen 
würde.  Allein  die  Milch  ist  namentlich  im  Sommer  ein  so  vergängliches  Wesen, 
daß  zumal  in  warmer  Jahreszeit  an  einen  weiten  Milchtransport  nicht  gedacht 
werden  kann.  Professor  Felder  in  Lnzern  hatte  indeß  ein  Verfahren  erfunden, 
nach  welchem  die  Milch  ohne  Zusatz  fremder  Stoffe  (wie  kohlensaurer  Kalk, 
Borsäure,  Salicylsäure  etc  )  10  und  mehr  Tage  in  frischem,  unverändertem  Zu- 
stande sich  aufbewahren  ließ.  Obschon  sich  das  Verfahren  bei  ununterbrochenen 
Sendungen  nach  Paris  seit  dem  Jahre  1884  ausgezeichnet  bewährt  hat,  vermochte 
sich  der  Export  von  Schweizermilch  noch  nicht  weiter  zu  entwickeln. 

Anders  verliält  es  sich  dagegen  mit  der  Fabrikation  kondensirter  Milch, 
welche  seit  20  Jahren  großartige  Fortschritte  gemacht  hat,  wie  aus  den  Eingangs 
dieses  Artikels  aufgeführten  Zahlen  über  die  Ausfuhr  hervorgeht.  Das  Prinzip 
der  Milchkondensation  besteht  darin,  durch  Abdampfen  der  Milch  im  luftverdünuten 
Räume  den  Wassergehalt  derselben  ungefähr  auf  einen  Viertel  zu  reduziren  und 
die  kondensirte  Masse  durch  Zuckerzusatz  haltbar  zu  machen.  Da  die  Milch  in 
diesem  luftleeren  Räume  schon  bei  einer  Temperatur  von  ca.  50^  C.  siedet,  so 
können  dabei  die  einzelnen  Milchbestandtheile,  namentlich  Albumin  und  Case'in, 
noch  nicht  gerinnen  und  bleiben  also  ganz  unverändert.  Schon  viele  Versuche 
wurden  gemacht  und  große  Geldsummen  geopfert,  um  die  kondensirte  Milch  auch 
ohne  Zuckerzusatz  zu  konserviren,  allein  bisher  nur  mit  geringem  Erfolg.  Die 
Fabrik  Swiss  Dairy  Comp,  in  Uttwyl  (Thnrgau),  welche  ungezuckerte  kondensirte 
Milch  in  Handel  brachte,  wurde  im  Jahre  1882  gegründet  und  1886  geschlossen; 
auch  andere  Fabriken  scheinen  neben  der  Chamer  Milchsiederei  eine  schwierige 
Existenz  gefunden  zu  haben,  da  seit  Gründung  der  Chamer  Fabrik  schon  über 
-JO  Konkurrenzfabriken  ihre  Existenz  aufgegeben  haben  sollen. 


Milchwirthschaft  —     447     —  Milchwirthscbaft 

Die  wichtigste  Kondensationsfabrik  in  der  Schweiz  ist  diejenige  von  Cham 
(Zug)  mit  Filiale  in  Büdingen  (Freiburg),  welche  im  Jahre  1886  die  Milch  von 
ca.  10,000  Kühen  verarbeiteten.  Außer  der  Cham  er  Kondensationsfabrik  existirten 
Anfangs  1887  noch  Anstalten  für  Milchkondensation  in  Steffisburg  (Franco  Suisse), 
Romanshorn  (Erste  schweizerische  Alpenmilch-Exportgesellschaft),  Gruyere  (Fa- 
brique  de  lait  condense),  Vevey  (Nestle  und  Pauchaud-Lavanchy  &  Perrier), 
Montreux  (Societe  des  Usines  de  Vevey  et  Montreux). 

Die  Anglo  Swiss  Condensed  Milk  Co.  in  Cham  wurde  am  9.  August  1866 
durch  sechs  Theilnehmer  in's  Leben  gerufen,  welche  390  Aktien  ä  Fr.  200 
zeichneten,  also  ein  Kapital  von  Fr.  78,000  zusammenlegten,  welches  sich  suc- 
cessive  vermehrte,  bis  es  am  1.  Januar  1886  auf  9  Millionen  Franken  ange- 
wachsen war.  Obschon  der  Reingewinn  per  Büchse  kondensirte  Milch  kaum 
5  Rp.  beträgt,  bezifferte  sich  der  Reingewinn  der  Gesellschaft,  welche  gegenwärtig 
mit  7  Fabriken  arbeitet,  im  Jahre   1885  auf  Fr.  2' 102,027. 

Nach  einer  Mittheilung  des  Generaldirektors  G.  H.  Page  beliefen  sich  in  den 
letzten  18  Jahren  die  an  die  Aktionäre  ausgerichteten  Dividenden  auf  10  Mil- 
lionen Franken.  In  der  gleichen  Zeit  bezahlte  die  Gesellschaft  an  ihre  Arbeiter 
die  Summe  von  9  Millionen  und  verausgabte  für  den  Bau  der  Gebäude  und  die 
Anschaffung  der  Maschinen  weitere  8  Millionen  Franken. 

Zur  Veranschaulichung  der  Entwicklung  dieses  Unternehmens  mögen  folgende 
Zahlen  dienen  : 

Verkanrte  Büchsen  Fakturabetrag 

1807  ....       64,704     Fr.     73,9:]9 


1872  . 
1877  . 
1882  . 
1884  . 

1867/84 


3'1 16,355  ,         2'485,001 

15^847,113  ,       10795,295 

28'824,285  ,      16^695,295 

4r32 1,282  „      23'873,462 

247'844,475  ,    156'319,678 

Im  Jahre  1867  lieferten       43  Landwirthe  von         263  Kühen  die  Milch. 
.       1877         ,         1358  ,  „     10,778        , 

.       1884         ,         2581  „  .     25,676        „         „        „ 

Am  15.  Dezember  1882  richtete  die  Anglo  Swiss  ein  Gesuch  an  die 
schweizerische  Bundesversammlung  behufs  Rückvergütung  des  Zuckerzolles.  Der 
zur  Kondensation  verwendete  Zucker  sei  nur  als  Transit waare  zn  betrachten, 
indem  der  eingeführte  Zucker  mit  kondensirter  Milch  vermischt  kurze  Zeit  nachher 
wieder  über  die  Grenze  spedirt  werde.  Im  Jahre  1881  bezahlte  die  Charaer 
Milchfabrik  für  den  in  die  Schweiz  eingeführten  Zucker  einen  Zoll  von  Fr.  155,000 
und  im  Ganzen  beläuft  sich  die  von  1867 — 1882  bezahlte  Summe  für  Eingangszoll 
auf  Zucker,  Blech,  Leim  und  Blei  und  der  Ausgangszoll  auf  kondensirter  Milch 
auf  Fr.  1^497,044.  Die  eidgenössischen  Räthe  wiesen  jedoch  das  Gesuch  dieses 
Milchgeschäftes,  namentlich  mit  Rücksicht  auf  die  aus  einer  Zollrückvergütung 
entstehenden  Konsequenzen,  ab. 

Ueber  die  Produktion  und  den  Absatz  der  kondeusirten  Milch  sagt  der 
Geschäftsbericht  der  Anglo  Swiss  vom  Jahre   1885: 

,Das  Geschäft  in  kondensirter  Milch  hat  in  den  letzten  10  Jahren  häufig  mehr 
oder  weniger  an  Ueberproduktion  gelitten;  doch  nie  in  so  starkem  Maße,  wie  dies  im 
Berichtsjahre  der  Fall  gewesen  ist.  In  der  Schweiz,  in  England,  Irland,  Norwegen, 
Holland,  Deutschland,  Italien  und  in  Amerika  bestehen  zur  Zeit  genug  Fabriken,  um 
eine  verdoppelte  Nachfrage  zu  befriedigen.  Von  ungefähr  zwölf  Firmen  hat  keine, 
soweit  es  uns  bekannt  ist,  während  des  Jahres  1885  stets  voll  fabrizirt.  Mehrere  haben 
nicht  einmal  die  Hältle  ihrer  Produktionsßhigkeit  ausgenutzt,  andere  haben  es  nicht 
auf  einen  Viertel    derselben   gebracht,   und  trotzdem,   glauben  wir,    Uahew  •ä.Ws.  tasl  n\^ 


Milch  wirthschaft  —     448      —  Milch  wirthschaft 

l'ertige  Waare  auf  Lager,  wir  selbst  nicht  ausgenommen,  wenigstens  soweit  es  Schweizer- 
milch betrint." 

,Die  Ueberproduktion  in  unserem  Geschäfte  erklart  sich  nicht  aus  einem  allge- 
meinen Rückgang  des  Absatzes  unseres  Produktes.  Verschiedene  andere  Faktoren  haben 
die  Anhäufung  eines  grollen  Lagers  von  Schweizermilch  herbeigeführt.** 

,,Die  Nachfrage  nach  unserer  englischen  Milch  hat  auf  allen  Markten  zugenommen, 
wogegen  der  Absatz  von  Schweizermilch  an  einigen  Orten  stationär  gebheben,  an  anderen 
sogar  zurückgegangen  ist;  immerhin  hat  sich  der  Totalabsatz  auch  im  Berichtsjahre 
gesteigert.'' 

Der  Gescbättsbericht  bemerkt  ferner,  daß  in  Folge  der  stets  wachsenden 
Milchproduktion  die  Milchlieferungen  in  den  letzten  Jahren  um  20  ^/o  größer 
waren  als  man  zu  kaufen  begehrte,  was  ein  Hauptgrund  des  großen  Vorrathes 
und  der  Einschränkung  des  Geschäftsbetriebes  ist. 

Die  Anglo  Swiss  in  Cham  und  Düdingen  hat  für  die  schweizerische  Milch- 
wirthschaft  durch  ihre  jährliche  Verarbeitung  von  über  26  Millionen  Liter  Milch 
eine  eminente  Bedeutung  erlangt.  Leider  ist  diese  schweizerische  Industrie,  wie 
aus  dem  Geschäftsbericht  und  der  massenhaften  Abbestellung  der  Milchlieferungen 
hervorgeht,  von  einer  Krisis  bedroht  und  die  Produktion  in  beiden  schweizerischen 
Fabriken  im  Jahre   18H7   bedeutend  reduzirt  worden. 

())  Das  Kindermehl 

ist  ein  außerordentlich  feines  Gemisch  von  Milchpulver  und  stickstofFreichem 
Weizenmehl  und  wurde  im  Jahre  1868  von  Henri  Nestle  in  Vevey  erfunden. 
Diese  Fabrik  besitzt  in  der  Umgebung  von  Vevey  selbst  größere  Milchwirth- 
schaften,  welche  das  erforderliche  Milchquantum  liefern.  Die  genau  untersuchte 
Milch  wird  in  Apparate  gegossen,  welche  durch  Dampf  geheizt  sind,  und  ver- 
dunstet im  luftleeren  Räume  bei  einer  Temperatur  von  40 — 50**,  so  daß  außer 
der  Kondensation  die  Eigenschaften  der  Milch  unverändert  bleiben.  Das  Brod 
wird  aus  dem  feinsten  Weizenmehl  nach  einer  eigenen  Methode  bereitet,  welche 
demselben  die  stickstoffhaltigen  Substanzen  erhält,  so  daß  ein  an  Kleber  reiches 
Mehl  zur  Brodbereitung  verwendet  wird.  Da  nun  zum  Mehl  in  feinster  Ver- 
theilung  nur  die  Brodkruste  verwendet  wird,  ist  dadurch  der  Stiokstoffreichthum 
noch  gemehrt. 

Das  Kindermehl  ist  bekanntlich  ein  ausgezeichneter  Ersatz  der  Frauenmilch; 
dasselbe  enthält  auf  1000  Theile  rj,5  — 21,5  Theile  Stickstoff  und  7  Theile 
Nährsalze.  Kocht  man  daher  1  Theil  Milchpulver  in  3  Theilen  Wasser,  so  erhält 
man  eine  Milch,  welche  eine  der  Muttermilch  ähnliche  Zusammensetzung  von 
4,8  °/oo  Stickstoff  und  3,7  ^/oo  Nährsalze  besitzt. 

Außer  der  Kindermehlfabrik  von  Nestle  in  Vevey,  deren  Produkte  über 
die  ganze  Erde  verbreitet  sind,  bestehen  noch  andere  Fabriken,  welche  Kinder- 
mehl fabriziren,  als:  Anglo  Swiss  in  Cham  (Zug),  Franco-Suisse,  Steflisburg 
(Bern),  Kichner  &  Schneebeli,  Affoltern  a.  A.,  Anderegg- Ad  1er,  Brunnadern 
(St.  Gallen),  Societe  des  Usines  de  Vevey  et  Montreux  in  Montreux. 

B.  Verwerthung  der  Milch  als  direktes  Nahrungsmittel  der  Menschen. 

In  den  70er  Jahren,  als  der  Emmenthalerkäse  den  abnormen  Preis  von 
Fr.  li^O  und  darüber  per  100  kg  galt  und  die  Käsereien  für  den  Hektoliter 
Milch  bis  Fr.  18  bezahlten,  hielten  viele  Bauern  die  Milch  für  ein  zu  kost- 
spieliges Nahrungsmittel,  und  der  Konsum  derselben  nahm  bedeutend  ab.  Wie 
aber  in  jedem  Geschäft  auf  den  Schwindel  eine  Katastrophe  folgt,  so  zeitigten 
auch   die  enormen  Milch-  und  Käsepreise  für  viele  Familien  und  Gemeinden  die 


Milch  wirthschaft  —      449      —  Milch  wirthschaft 

bittersten  Früchte.  Für  die  theuer  verkaufte  Milch  wurden  alle  möglichen  Sur- 
rogate angeschafft,  namentlich  Kaffee,  Zucker  und  Schnaps,  welche  wohl  geeignet 
waren,  den  Körper  momentan  zu  reizen,  allein  demselben  keine  neuen  Kräfte 
zuführten.  Den  größten  Schaden  richteten  aber  diese  Surrogate  unter  der  Jugend 
an,  welche  in  vielen  Familien  und  Gemeinden  geistig  wie  körperlich  verkümmerte. 

Dieser  enorme  moralische  und  materielle  Schaden  wurde  vielfach  den  Käsereien 
and  Milchkondensationsanstalten  aufs  Kerbholz  geschrieben,  welche  die  Milch  als 
vorzüglichstes  Nahrungsmittel  der  Familie  entziehen  und  in  Form  von  Käse, 
Butter  und  kondensirter  Milch  nach  entfernten  Ländern  versenden.  Dieser  Vor- 
wurf war  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ganz  gerechtfertigt,  indem  das  Volk  gar 
oft  sich  selbst  nicht  zu  beherrschen  vermag  und,  fast  unwissend  und  seine  Freiheit 
mißbrauchend,  sich  den  größten  Schaden  zufügt.  Hieraus  erklären  sich  zum  Theil 
die  mehrerwähnten  „fürsichtigen"  Gesetze  und  Verordnungen  im  16.  und  17.  Jahr- 
hundert, welche  jede  Ausfuhr  von  Milchprodukten  strengstens  verboten. 

Unsere  Zeitrichtung  strebt  aber  gerade  das  Gegentheil  der  angeführten 
Verordnungen  an,  indem  die  Behörden  und  Führer  des  Volkes  die  Entdeckung 
neuer  Absatzgebiete  erleichtern.  In  dieser  freien  Zeit,  wo  alle  Fesseln  im  Welt- 
verkehr gesprengt  sind,  ist  es  dem  Landwirth  vollständig  freigestellt,  den  ganzen 
Milchertrag  seiner  Viehwaare  in  die  Sennerei  oder  Milchfabrik  zu  tragen  und 
seine  Familie  mit  anderen  Lebensmitteln  zu  ernähren.  Obschon  jedes  Käserei- 
reglement die  Bestimmung  enthält,  daß  der  Landwirth  nur  den  Ueberschuß  über 
seinen  häuslichen  Bedarf  liefern  soll,  konnten  es  bei  den  hohen  Milchpreisen  doch 
viele  Landwirthe  nicht  über  sich  bringen,  dieses  beste  Nahrungsmittel  wenigstens 
für  die  Blinder  zurückzuhalten.  Solche  Familienväter  sind  der  Freiheit,  welche 
sie  genießen,  nicht  würdig  und  verdienten  mit  den  strengen  Verordnungen  früherer 
Jahrhunderte  gemaßregelt  zu  werden. 

Die  Reaktion  im  Milchgeschäft,  d.  h.  der  Preisrückgang  der  Fettkäse  um 
Fr.  50 — 60  per  Kilozentner  und  die  Reduktion  des  Milchpreises  auf  10 — 12  Rp. 
per  Liter,  hat  nun  auf  den  Tisch  der  meisten  Familien  wieder  die  Milchschüssel 
gestellt,  welche  in  der  milchwirthschaftlichen  Schwindelperiode  an  so  manchem 
Orte  abgeschafft  worden  war.  Der  Konsum  an  Milch  und  Käse  hat  in  den  letzten 
Jahren  wieder  bedeutend  zugenommen  und  man  erkennt  allgemein,  daß  die  Milch, 
namentlich  für  die  Jugend,  zum  Preise  von  13 — 15  Rp.,  ja  selbst  bis  zu  20  Rp., 
wie  er  in  großen  Städten  und  im  Kanton  Tessin  bezahlt  werden  muß,  im  Ver- 
hältniß  zum  Nährwerth  das  billigste  Nahrungsmittel  ist.  Nach  den  heutigen 
Lebensmittelpreisen  kostet  1  kg  Eiweißstoffe  in  der  Milch  185,  im  Magerkäse 
195,  im  Halbfettkäse  290,  im  Fettkäse  340,  im  Ochsenfleisch  630,  im  Schaf- 
fleisch 710,  im  Schweinefleisch  795  und  in  den  Eiern  830  Rp. 

Die  Milch  enthält  im  großen  Durchschnitt  877*  V'*  Wasser  und  12'/*  V^ 
Trockensubstanz  (Nährstoffe).  In  100  kg  Milch  erhalten  wir  3*/^  kg  Butterfett 
und  472  kg  Milchzucker  als  fettbildende  Stoffe,  372  kg  Käse  und  72  kg  Zieger 
als  fleisch-  und  blutbildende  Stoffe  und  ^Ja  kg  Salze  als  knochenbildende  Stoffe. 
Die  Milch  liefert  demnach  dem  Kinde  zum  Aufbau  seines  Körpers  und  dem 
Erwachsenen  zur  Erhaltung  desselben  alle  uothwendigen  Substanzen. 

Auch  die  Magermilch  und  namentlich  die  Centrifugen-Magermilch  hat  für 
die  Volksernährung  eine  hohe  Bedeutung,  da  dieselbe  bei  ihrem  billigen  Preise 
mit  Ausnahme  des  Butterfettes  noch  alle  Bestandtheile  der  Kuhmilch  enthält. 
Als  Kindemahrung  sollte  die  Magermilch  jedoch  nicht  gestattet  werden,  da  die 
Blinder  in  der  Regel  für  das  der  Milch  entzogene  Fett  keinen  Ersatz  erhalten, 
daher    mangelhaft    ernährt  werden  und  sich  nur  kümmerlich  entwickeln  können. 

Fnrrer,  VolkswirtbjichaflB-Lexikon  der  Schwolz.  <^^ 


Milch  wirthscbaft  —     450     —  Milchwirthscbaft 

Für  die  großen  Städte  haben  die  in  den  letzten  Jahren  eingeführten  Milch- 
anstalten einen  nicht  zu  unterschätzenden  Werth,  indem  dieselben  dem  Publikum 
eine  gesunde  und  garantirt  unverfälschte  Milch  liefern.  Solche  städtische  Milch- 
anstalten existiren  unseres  Wissens  in  Basel,  Genf,  Bern  und  Sitten. 

Den  Milchkonsum  in  der  Schweiz  zu  bestimmen,  ist  eine  sehr  schwierige 
Aufgabe,  da  Anhaltspunkte  aus  den  verschiedenen  Gegenden  fehlen.  Nach  einer 
großen  Anzahl  von  Erkundigungen,  die  wir  in  landwirthschaftlichen  und  städtischen 
Kreisen  eingezogen,  trifft  es  per  Kopf  unserer  Bevölkerung  (» — 10  oder  im  Durch- 
schnitt 8  Deziliter  per  Tag  oder  292  Liter  Milch  per  Jahr.  In  Basel  werden 
gegenwärtig  täglich  45,000  Liter  Milch  verkauft,  was  auf  die  Bevölkerung  von 
65,101  Einwohner  täglich  per  Kopf  7  Deziliter  Milch  trifft.  In  Uebereinstimmung 
mit  dieser  Berechnung  theilt  uns  der  allgemeine  Konsumverein  in  Basel  mit, 
daß  er  bei  einem  täglichen  Mi  Ich  verbrauch  von  7000  Liter  einen  Konsum  von 
mindestens  ^/a  Liter  per  Kopf  berechne. 

Ferner  hat  die  von  der  Luzerner  Regierung  im  Jahre  1881  angestellte 
Untersuchung  betreffend  Milchkonsum  und  Branntweingenuß  ergeben,  daß  ca. 
30  °/o  der  Milchproduktion  direkt  zur  Xahrung  der  Menschen  verwendet  werden; 
die  Milchproduktion  des  Kantons  Luzern  berechneten  wir  oben  zu  119^852,000 
Liter;  der  jährliche  Konsum  der  134,806  Einwohner  des  Kantons  Luzern  beträgt 
somit  35' 955,600  Liter  oder  per  Kopf  und  per  Jahr  266  Liter. 

Wir  glauben,  der  Wirklichkeit  am  nächsten  zu  kommen,  wenn  wir  den 
Milchkonsum  der  schweizerischen  Bevölkerung  per  Jfjir  und  per  Kopf  auf  250 
Liter  oder  beinahe  0,7  Liter  veranschlagen.  Es  werden  demnach  in  der  Schweiz 
per  Jahr  ca.  7'115,255  hl  Milch  konsumirt. 

Bei  der  vorstehenden  Berechnung  wurde  der  große  schweizerische  Fremden- 
verkehr gar  nicht  in  Betracht  gezogen,  obschon  derselbe  auf  den  Milchkonsum 
entschieden  einen  bedeutenden  Einfluß  ausübt;  es  fehlten  uns  jedoch  bestimmte 
Anhaltspunkte,  weßhalb  wir  diesen  Faktor  außer  Acht  ließen.  Immerhin  wollten 
wir  nicht  unterlassen,  hierauf  aufmerksam  zu  machen  und  nachzuweisen,  daß 
unsere  Zahlen  hinsichtlich  Milc.hkonsum  in  der  Schweiz  jedenfalls  nicht  zu  hoch 
gegriffen  sind. 

C.  -Verwerthung  der  Milch  zur  Aufzucht  und  Mästung  von  Jung-  und  Kleinvieh. 

Wie  in  so  mancher  anderen  Beziehung,  bietet  die  Schweiz  auch  hinsichtlich 
Aufzucht  und  Mästung  von  Jung-  und  Kleinvieh  die  größten  Verschiedenheiten. 
Während  z.  B.  im  Berner  Oberland  und  im  Jura  fast  alle  Milch,  welche  nicht 
von  den  Menschen  konsumirt  wird,  zur  Aufzucht  und  Mästung  des  Jungviehes 
verwendet  wird,  tragen  die  Bauern  des  bernischen  Oberaargaues,  Mittellandes 
und  Emmenthales  den  größten  Theil  der  Milch  in  die  Käsereien.  Diese  Beob- 
achtung linden  wir  auch  bestätigt  in  der  bernischen  milchwirthschaftlicheu  Statistik 
vom  Jahre  188H,  wonach  im  bernischen  Jura  per  Kuh  286  und  im  Oberland 
349  Liter  Milch  in  die  Käsereien  geliefert  werden,  während  man  im  Oberaargau 
1483,  im  Emmenthal  1015  und  im  3littelland  per  Kuh  sogar  1624  Liter  Milch 
in  die  Käsereien   liefert. 

Seit  einigen  Jahren  wird  in  der  Schweiz  der  Aufzucht  von  Jungvieh  eine 
besondere  Aufmerksamkeit  geschenkt  und  die  eidgenössischen  wie  kantonalen 
Behörden  opfern  alljährlich  einige  hunderttausend  Franken,  um  durch  Prämirungen 
von  schönem  und  ertragreichem  Zuchtvieh  eine  sorgfältige  Aufzucht  zu  begünstigen. 
Die  Zeiten  sind  demnach  vorüber,  wo  von  Staatswegen  dem  guten  Abtränken 
des    Viehes,    dem    „langen   Sugenlassen"    entgegengetreten    wird,    wie   dies    vor 


Milchwirthschaft  —     451      —  Milchwirthschaft 

* 

272  Jahrhunderten  im  Kanton  Bern  der  Fall  war.  Heute  sehen  die  Landwirthe 
allgemein  ein.  daß  nur  bei  einer  sorgfaltigen  Zucht  und  einer  guten,  reichlichen 
Nahrung  ertragreiche  und  werth volle  Thiere  aufgezogen  werden  können.  Die 
einsichtigen  Viehzüchter  werden  nicht  nur  auf  den  Viehschauen  durch  Prämien 
belohnt,  sondern  erhalten  auch  im  Stalle  und  auf  dem  Markte  reichliche  Ent- 
schädigung für  das  aufgewendete  Milchquantum.  Gewöhnlich  wird  den  Kälbern 
bei  der  Aufzucht  8  — 14  Wochen  lang  6 — 8  Liter  Milch  verabreicht  oder  im 
Ganzen  400—700  Liter. 

Die  Kälbermast  betreffend  haben  wir  im  Entlebuch  (Luzern)  genaue  Auf- 
nahmen gemacht  und  gefunden,  daß  im  Durchschnitt  8  Liter  Milch  1  kg  Fleisch 
produziren.  Die  Kälbermast  ist  für  viele  Gegenden  und  namentlich  da,  wo  keine 
Käsereien  existiren,  von  hoher  Bedeutung  und  verwerthet  bei  einem  guten  Absatz 
der  Mastkälber,  welcher  bei  dem  großen  schweizerischen  Fremdenverkehr  wohl 
stets  gesichert  ist,  die  Milch  bedeutend  höher,  als  dies  gegenwärtig  bei  der 
Käserei  der  Fall  ist.  Bei  einem  Preise  von  Fr.  1 — 1.  10  per  Kilogramm  Kalb- 
fleisch (Lebendgewicht)  vervverthete  sich  die  Milch  nach  unseren  Aufnahmen  zu 
12 — 15  Rp.  per  Liter. 

Es  ist  sehr  schwierig,  betreffend  Aufzucht  und  Mästung  von  Rindvieh  sowie 
von  Schweinen  und  Ziegen  bestimmte  Zahlen  aufzustellen.  Um  uns  jedoch 
wenigstens  eine  Idee  von  der  Bedeutung  dieses  Zweiges  für  die  schweizerische 
Milchwirthschaft  zu  machen,  wollen  wir  versuchen,  eine  flüchtige  Berechnung  zu 
machen. 

Nach  der  Viehzählung  vom  21.  April  1886  besaß  die  Schweiz  an  diesem 
Tage  150,380  bis  \/j  Jahr  alte  Kälber  zur  Aufzucht,  32,802  bis  V2  Jahr  alte 
Kälber  zum  Schlachten,  102,587  Stück  Jungvieh  von  72  — 1  Jahr,  13,805  Stiere 
von  1 — 2  Jahren,  186,864  Rinder  über  1  Jahr,  41,251  Ochsen  von  1 — 3  Jahren, 
662,336  Kühe,  4569  Stiere  über  2  Jahre  und  17,119  Ochsen  über  3  Jahre, 
im  Ganzen  l'2ll,713  Stück  Rindvieh;  ferner  394,451  Schweine  und  415,916 
Ziegen. 

Die  Viehzüchter  nehmen  im  Allgemeinen  an,  daß  eine  Kuh  in  3  Jahren 
zwei  gesunde  Kälber  werfe;  demnach  würden  die  662,336  Kühe  alljährlich 
*/»  X  662,336  =  441,557  Kälber  werfen,  wovon  ca.  45  ^/o  zur  Aufzucht, 
ca.  35  **/o  zur  Mast  verwendet  und  etwa  20  ®/o  sofort  geschlachtet  werden.  Bei 
dieser  Voraussetzung  erhalten  wir  folgendes  Resultat: 

4570  r=  198,700  Kälber  zur  Aufzucht  ä  600  Liter  =  1' 192,200  hl 
35   „    =  154,500        „  „     Mast  „    700      „      =   r081,500   „ 

20   „    =     88,300        „        zum   sofortigen  Schlachten 

2'273,700  hl 

Es  würden  demnach  ca.  2,27  Millionen  Hektoliter  Milch  zur  Aufzucht  und 
Mästung  von  Rindvieh  verwendet  und  wir  werden  kaum  irre  gehen,  wenn  wir 
die  zur  Aufzucht  und  Mästung  der  Schweine  und  Ziegen  verwendete  Milch  zu 
630,300  hl  veranschlagen. 

Gesammt-Produktion  und  -Verwerthung  der  Milch 

in  der  Schweiz, 
a.  Produktion: 

662,336  Kühe  a  2400  Liter  per  Jahr  =  15'896,064  hl 

415,916  Ziegen  Va    „      250      „        „        „     =        693,192  „ 

Total-Produktion  =  16' 589,^ 56  h. 


« 


« 


n 


Milchwirthschaft  —     452     —  Milchwirthschaft 

b,  Venverihunr/ : 

1)  KSsereien  und  Kondensationsfabriken: 
2G00  Thalkäßereien  mit  durchschnitt- 
lich 2000  hl 5'200,000  hl 

Hauskäserei 300,000 

2900  Alpkäsereien  mit  durchschnitt- 
lich 300  hl 870,000 

Kondensationsfabriken       ....      200,000 

"     6^570,000  hl  =  39,6  7o 

2)  Konsum   der    2^846,102  Einwohner  ä  250  Liter     7' 115,255  „   =  42,9    „ 

3)  Aufzucht   und  Mästung  von  Jung-  und  Kleinvieh     2'904,001  „  =  17,5    „ 

Total  wie  oben  16'589,256hl 

III.  Förderung  der  Milchwirthschaft. 

Die  guten  alten  Zeiten,  wo  man  mit  dem  Ausland  nicht  zu  rechnen  brauchte 
und  durch  Ausfuhrverbote  die  heimische  Produktion  zu  schützen  suchte,  sind 
vorbei  und  an  ihre  Stelle  ist  ein  schrankenloser  Weltverkehr  getreten.  Die 
einzelnen  Nationen  suchen  sich  in  der  Ausfuhr  ihrer  Landeserzengnisse  zu  über- 
bieten und  die  Schweiz  steht  hinsichtlich  Export  von  Milchprodukten  obenan. 
Da  unser  Getreidemarkt  seit  Jahren  mit  fremder  Waare  überfluthet  wurde,  sind 
Viehzucht  und  Milchwirthschaft  die  Haupterwerbsquellen  der  schweizerischen 
Landwirthschaft  geworden;  es  bedarf  nun  einer  gewaltigen  Ausfuhr  von  Milch- 
produkten und  Vieh,  um  den  Ausfall  an  Getreide  und  andern  landwirthschaft  liehen 
Produkten  zu  ersetzen.  Die  eidgenössischen  Behörden  richten  daher  ihr  Haupt- 
augenmerk auf  möglichste  Begünstigung  der  Ausfuhrverhältnisse  und  Schutz  unserer 
eigenen  Produktion,  namentlich  der  Butter,  gegen,  fremde  Konkurrenz. 

Werfen  wir  einen  Blick  in  die  Vergangenheit,  so  können  wir  uns  nicht 
verhehlen,  daß  die  schweizerische  Milchwirthschaft  in  diesem  Jahrhundert  großartige 
Fortschritte  gemacht  hat ;  gleichzeitig  müssen  wir  aber  gestehen,  daß  dieselbe  seit 
den  70er  Jahren  in  ihrer  qualitativen  Entwicklung  dem  Ausland  nicht  Stand  hielt, 
vielmehr,  statt  mit  oifenem  Auge  vorwärtszustreben,  im  Bewußtsein  errungener 
Siege  steben  blieb. 

Wohl  eine  der  wichtigsten  Neuerungen  war  die  Bildung  von  Käserei- 
genossenschaften, welche  sich  in  den  30er  und  40er  Jahren  vom  Kanton 
Bern  aus  auf  die  übrigen  Kantone  der  Schweiz  ausdehnten.  Merkwürdigerweise 
wurde  in  den  meisten  Gegenden  der  Schweiz  der  genossenschaftliche  Betrieb  der 
Käserei  allmälig  verlassen  und  der  Milchverkauf  eingeführt,  welcher  gegenüber 
dem  erstem  den  großen  Nachtheil  hat,  daß  beim  Milchverkauf  das  Interesse  der 
Landwirthe  resp.  Milchlieferanten  am  Gelingen  des  Mulchens  ein  viel  geringeres 
ist  als  beim  genossenschaftlichen  Betrieb. 

Mit  der  Entwicklung  und  Förderung  der  schweizerischen  Milchwirthschaft 
in  den  zwei  letzten  Dezennien,  in  welchen  dieselbe  zur  höchsten  Blüthe  gelangte, 
steht  der  schweizerische  alpwirthschaftliche  Verein  und  speziell  dessen  Präsident, 
Schatzmann  sei.,   in  engster  Beziehung. 

Eudolf  Schatzmann  wurde  am  5.  Juni  1822  zu  Saanen  im  Simmenthai 
geboren  und  widmete  sich  gleich  seinem  Vater  der  Theologie.  Neben  seinem 
Mitschüler  Bundesrath  Schenk  zeichnete  sich  Schatzmann  durch  hohe  geistige 
Anlagen  aus  und  fand  in  den  Jahien  1846  bis  1864  als  Pfarrer  der  Berggemeinden 
tiuttannen  und  Frutigen,  sowie  in  der  Gemeinde  Vechigen  die  schönste  Gelegenheit, 


Milchwirtbschaft  —     453      —  Milch  wirth  seh  aft 

sein  Lieblingsfach,  die  Land-  und  namentlich  die  Alpwirthschaft  gründlich 
zu  Btudiren,  welcher  er  sein  späteres  Leben  voll  und  ganz  widmete.  Im  Jahre 
1864  wurde  Schatzmano  als  Direktor  der  landwirthschaftlichen  Schule  des  Kantons 
Thurgau  (Kreuzlingen),  und  als  schon  nach  vier  Jahren  dieselbe  aufgehoben  ward, 
als  Seminardirektor  nach  Chur  berufen,  wo  er  den  landwirthschaftlichen  Unterricht 
einführte. 

Wenn  Dr.  Schild,  Professor  der  Naturwissenschaften  in  Bern,  als  der  Gründer 
des  Schweizerischen  Alp wirthscha filichen  Vereins  betrachtet  werden  muß,  so  war 
Schatzmann  seit  20  Jahren  die  Seele  dieses  ehrwürdigen,  patriotischen  Vereins. 
Als  schon  nach  dem  ersten  Lebensjahr  des  Vereins  im  Jahre  1865  Dr.  Schild 
starb,  wurde  Schatzmann  als  Präsident  erkoren,  von  welcher  Zeit  an  er  sich  mit 
ganzem  Herzen  und  mit  voller  Manneskraft  seiner  neuen  Lebensaufgabe,  der  För- 
derung der  Schweizerichen  Alpen-  und  Milchwirthschaft  hingab. 

Wohl  selten  besaß  die  Schweiz  einen  so  populären  und  fruchtbaren  Schrift- 
steller wie  Schatzmann,  der  im  Jahre  1859  mit  dem  ersten  Heft  Schweizerischer 
Alpwirthschaft  in  die  OefFentlichkeit  trat  und  uns  seither  die  reichste  Fülle 
alp-  und  milchwirthsühaftlicher  Abhandlungen  bot.  Es  würde  uns  hier  zu  weit 
führen,  auf  all'  die  fast  unzähligen  Schriften  Schatzmann's  einzutreten ;  den  Haupt- 
schatz seiner  Erfahrungen  legte  Schatzmann  in  den  sieben  Bänden  „Schweize- 
rische Alpwirthschaft**  1859  — 1866,  sowie  in  den  zwanzig  Jahrgängen  der 
^ Alpwirthschaftlichen  Monatsblätter**  1867 — 1886  nieder,  welche  wir  Jedem, 
der    sich  um  Alpen-  und  Milchwirthschaft  interessirt,   aufs  Wärmste  empfehlen. 

An  der  Wanderversammlung  des  Alpwirthschaftlichen  Vereins  im  Rathhaus 
zu  Staus  im  Jahre  1872  nahm  die  von  Schatzmann  lang  genährte  Idee  eine 
praktische  Form  an,  es  wurde  eine  schweizerische  Milchversuchsstation, 
d.  h.  eine  Zentralstelle  für  Alpen-  und  Milchwirthschaft  geschaffen  und  Schatzmann 
als  Direktor  dieser  vaterländischen  Anstalt  erkoren.  Wie  an  jeder  guten  Frucht 
sich  stets  nagende  Wespen  einfinden,  so  blieben  auch  dem  Direktor  Schatzmann 
die  heftigsten  Anfeindungen  nicht  erspart,  die  ihm  oft  sein  Leben  verbitterten. 
Allein  mit  eiserner  Ausdauer  und  unerschütterlichem  Mannesmuth  verfolgte  Schatz- 
mann bis  zum  letzten  Atherazng  sein  hehres  Ziel,  die  Förderung  der  schweize- 
rischen Alpen-  und  Milchwirthschaft.  Am  15.  Juni  1886  wurde  dieser  begeisterte 
Alpensohn  ganz  unerwartet  aus  seinem  weit  ausgedehnten  Wirkungskreis  abberufen. 
Dieser  Pionier  der  schweizerischen  Nationalindustrie  hat  es  verdient,  daß  wir 
auch  im  volkswirthschaftlichen  Lexikon,  in  welchem  er  noch  den  Artikel  „Alp- 
wirthschaft** verfaßte,  sein  Andenken  ehren,  denn  selten  hat  ein  Zweiter  der 
vaterländischen  Volkswirthschaft  so  große  Dienste  geleistet  wie  Schatzmann. 

Sehr  zutreffend  sagt  Fritz  Uödiger  in  der  Alpen-  und  Jura-Chronik  (früher 
Alpwirthschaftliche  Monatsblätter)  vom   15.  Januar  1887  : 

, Hunderte  von  Vorträgen,  Instruktionen,  Prämirungen  und  sonstige  Demonstrationen 
gingen  von  unserm  Verein  aus,  und  die  Früchte  dieser  Saaten,  im  Molkereiwesen  und 
in  der  Alpwirthschaft,  treten  jetzt  schon  Jedermann  befriedigend  vor  das  Auge,  der 
diese  Fächer  einigermaßen  seiner  Aufmerksamkeit  gewürdigt  hat.  Wo  noch  vor  25  Jahren 
Oede  und  vielfach  grelles  Unverständniß  dem  Alpenfreunde  entgegentrat,  waltet  jetzt 
bereits  hoffenerregende  Dämmerung,  ja  hier  an  vielen  Orten  sogar  schon  wohlthueiides 
Licht  I  —  Wer  weiß,  wie  langsam  und  schwer  in  unsern  Wirkungskreisen  der  gewerbliche 
Foilschritt  Feuer  ßlngt,  der  wird  sich  aufrichtig  mit  uns  freuen  und  uns  zu  unaus- 
gesetztem Fortarbeiten  ermuntern!" 

Die  Mittel,    welche  in  der  Schweiz  zur  Förderung  der  Milchwirthschaft  in 
Anwendung  kamen,  lassen  sich  kurz  in  folgende  Punkte  zusammenfassen. 
1)  Ausstellungen; 


Milch  wirthschaft  —     454     —  Milchwirtbschaft 

2)  Prämirungen  ganzer  Molchen,  guter  Käserei-Einrichtungen  und  tüch- 
tiger Geschäftsführung; 

3}  Zentralstelle  für  Molkereiwesen  (Milchversachsstation); 

4)  Wandervorträge,  Käserkurse  und  Molkereischulen; 

5)  Käserei-Inspektionen ; 

6)  Milchwirthschaft liehe  Vereine. 

7)  Schriftliche  Arheiten  (Literatur). 

1)  Die  erste  Milchprodukten-Ausstellung  fand  im  Jahre  1867  in 
Bern  statt  und  wurde  von  Bund  und  Kantonen  mit  einem  Beitrag  von  Fr.  4070 
unterstützt.  Das  Preisgericht  theilte  an  51  Emmenthaler-,  6  Greyerzer-,  6  Halh- 
fett-,  3  Mager-  und  6  Hartkäse  Preise  aus  im  Betrage  von  Fr.  2000. 

Für  Weichkäse  kamen  8,  für  verschiedene  Milchprodukte  16  und  für  Milch- 
geräthschaften  12  Preise  zur  Vertheilung. 

In  seinem  Generalbericht  über  die  Milchprodukten-Ausstellung  in  Bern  sagte 

Schatzmann : 

,Wenn  es  dem  alpwirthschaftlichen  Verein  gelungen  ist,  durch  diese  Ausstellung 
eine  allseitige  Besprechung  der  Milchwirthschaft  anzuregen  und  Belehrung  zu  schaffen, 
so  hat  er  schon  Großes  erreicht.  Aber  damit  sind  wir  nicht  am  Ziele;  wir  stehen  im 
Gregentheil  erst  an  der  Stufe  der  Erkenntniß,  Es  bedarf  des  raschen  und  energischen 
Handelns,  um  ausgezeichnete  Leistungen  bleibend  aufrecht  zu  erhalten,  erkannte  Schäden 
auszubessern  und  überhaupt  die  vermehrte  Einsicht  nutzbar  für  das  Leben  zu  machen. 
Wir  müssen  weiter  studiren,  namentlich  die  Käse-  und  Butterfabrikation  anderer  Länder, 
den  Geschmack  der  Abnehmer.  Es  müssen  sich  Theorie  und  Praxis,  Wissenschaft  und 
Kunstfertigkeit  die  Hand  bieten,  wenn  etwas  Tüchtiges  geschaffen  werden  soll." 

Diese  vor  20  Jahren  von  Direktor  Schatzmann  ausgesprochenen  Worte  be- 
halten auch  heute  noch  ihre  volle  Bedeutung  und  Wahrheit,  und  alle  seither 
veranstalteten  Ausstellungen  basirten  auf  dem  soeben  erwähnten  Grundgedanken. 

Eine  zweite  milchwirthschaftliche  Spezialausstellung  fand  im  Jahre  1869  in 
St.  Gallen,  eine  dritte  1880  in  Genf  statt.  Seitdem  aber  die  Landesausstellungen 
in's  Leben  gerufen  wurden,  reihte  man  die  Milchwirthschaft  in  die  allgemeine 
Produktion  des  Landes  ein.  Die  ausgestellten  Produkte  vertheilen  sich  auf  die 
verschiedenen  Ausstellungen  wie  folgt: 

Weinfelden  Freiburg  Lu/.ern  Zürich 

1873  1877  18S1  1883 

Käse 67  70  162  185 

Butter 16  19  35  57 

Zieger 4  2  8  8 

Milchzucker 3  —  11  2 

Hülfsstoffe  (Lab,  Farbe)    .     .  1  1  6     '  3 

Konservirte  Milch   ....  2  2  6  3 

Geräthe 25  27  67  30 

Gesammtaussteller    ....      119  121  295  288 

In  Freiburg  und  Luzern  wurde  dem  Besucher  der  Ausstellung  die  Käse- 
fabrikation  (Greyerzer  und  Emmenthaler)  praktisch  vorgeführt,  was  allseitig  die 
vollste  Anerkennung  fand,  üeberdies  waren  an  der  landwirthschaftlichen  Aus- 
stellung in  Luzern  die  Produkte  und  Geräthe  in  demselben  Lokale  wohlgeordnet 
aufgestellt,  wo  der  Emmenthalerkäser  arbeitete.  Die  milchwirthschaftliche  Ab- 
theilung an  der  Landesausstellung  in  Zürich  1883  muß  dagegen  als  eine  vollständig 
mißlungene  bezeichnet  werden,  denn  es  fehlte  nicht  nur  der  praktische  Molkerei- 
betrieb, sondern  die  Produkte  und  Geräthe  waren  so  zerstreut  aufgestellt,  daß 
der  fremde  Besucher  der  Ausstellung  von  der  schweizerischen  Milchwirthschaft 
nur  einen  ungünstigen  Eindruck  erhalten  konnte.    An  der  diesjährigen  Ausstellung 


Milch  wirtbschaft  —     455      —  Milchwirthschaft 

in  Nenenbarg  1887  soll  die  milohwirthschaftliche  Abtheilang  in  einem  eigenen 
Gebäude  untergebracht  werden,  wo  eine  moderne  Molkerei  im  Betriebe  stehen 
wird.  Zum  ersten  Mal  wird  an  dieser  landwirthschaftlichen  Ausstellung  eine 
Kosthalle  für  Milchprodukte  eingerichtet,  wo  sämmtliche  ca.  20  schweizerischen 
Käseßorten  zum  Verkaufe  ausgestellt  werden.  Für  50  Rp.  wird  man  je  5  ver- 
schiedene Qualitäten  Käse  zu  kosten  bekommen. 

2)  Molchenprämirungen  wurden  seit  dem  Jahre  1884  vom  frei- 
burgischen  und  ostschweizerischen  Käserverein  (Thurgau  und  St.  Gallen),  sowie 
von  den  Kantonen  Lazem,  Tessin,  Zürich,  ünterwalden  und  Schwyz  ausgeführt ; 
ein  besonderes  Verdienst  hat  sich  der  Schweizerische  Alpwirthschaftliche  Verein 
erworben,  welcher  diese  Prämirungen  anregte  und  mit  namhaften  Geldsummen 
unterstützte.  Einen  Schritt  weiter  ist  der  Kanton  Zürich  gegangen,  welcher  vor- 
zügliche Leistungen  auf  dem  ganzen  Gebiete  der  Milchwirthschaft  prämirte;  er 
verabfolgte  im  Jahre  1886  in  27  Prämien  die  Summe  von  Fr.  1200  und  zwar 
an  Milchwirthschaft  treibende  Landwirthe,  an  Sennereigesellschaiten  und  an  Käser. 

Der  Molchenprämimng  muß  gegenüber  der  Prämirung  von  Milchprodukten 
an  Ausstellungen  entschieden  der  Vorzug  gegeben  werden,  denn  bei  ersterer 
unterliegt  dem  ürtheil  des  Preisrichters  die  ganze  Produktion  eines  Sommers 
oder  Winters,  während  auf  den  Auststellungen  oft  Solche  prämirt  wurden,  welche 
das  Glück  hatten,  einen  schönen  tadellosen  Laib  Käse  auszuwählen,  mit  Rücksicht 
auf  die  ganze  Produktion  jedoch  keine  Prämie  verdient  hätten,  umgekehrt  kam 
es  häufig  vor,  daß  ein  Käser  bei  der  Auswahl  eine  unglückliche  Hand  hatte  und 
trotz   seinen   ausgezeichneten  Molchen    bei  der  Ausstellung  leer  ausgehen  mußte. 

3)  Im  Oktober  1871  beschloß  der  Schweizerische  Alpwirthschaftliche  Verein 
in  seiner  Wanderversammlung  zu  Stuns,  eine  schweizerische  Milchversuchs- 
station zu  gründen,  damals  das  erste  Institut  dieser  Art  in  Europa.  Direktor 
Schalzmann  wies  darauf  hin,  daß  wir  die  in  den  Nachbarländern  gemachten  Fort- 
schritte mit  der  größten  Aufmerksamkeit  verfolgen  und  alle  Kräfte  aufbieten 
müssen,  um  den  ehrenvollen  Platz  zu  behaupten,  den  die  schweizerische  Milch- 
industrie bisher  eingenommen  habe.  Im  August  1872  wurde  die  Milchversuchs- 
station unter  der  Leitung  von  Direktor  Scbatzmann  in  Thun  eröffrtfet,  nachdem 
die  linanziellen  Verhältnisse  durch  jährliche  Beiträge  des  Bundes  (Fr.  2500)  und 
der  Kantone  (Fr.  3290)  gesichert  waren.  Im  Jahre  1875  wurde  die  Versuchs- 
station  nach  Lausanne    verlegt,  wo  dieselbe  bis  zu  Schatzmann's  Tode  verblieb. 

Ueber  die  Thätigkeit  der  Milchversuchsstation  oder  der  Zentralstelle  für 
schweizerische  Milchwirthschaft  geben  uns  die  Jahresberichte  1872 — 1885  genaue 
Auskunft;  dieselben  sind  im  Organ  der  Station,  den  alpwirthschaftlichen  Monats- 
blättern enthalten. 

Seit  dem  Jahre  1872  hielt  der  Direktor  der  Zentralstelle  499  Wandervorträge 
und  außer  den  viermonatlichen  Winterkursen  66  Käserkurse  in  den  verschiedenen 
Theilen  der  Schweiz. 

Mit  dem  Tode  Schatzmann's  ist  nun  die  Neugestaltung  der  milch wirthschaft- 
lichen  Zentralanstalt  in  den  Vordergrund  getreten,  und  man  hat  sich  in  Fachkreisen 
in  folgenden  Punkten  ziemlich  geeinigt. 

Die  Verlegung  der  Zentralanstalt  an  das  schweizerische  Polytechnikum,  wo 
dem  Vorsteher  derselben  das  agrikulturchemische  Laboratorium  zu  Gebote  stände, 
auch  könnte  derselbe  als  Lehrer  an  der  landwirthschaftlichen  Abtheilung  des 
Polytechnikums  verwendet  werden.  Vor  Allem  aber  soll  diese  Anstalt  der  Zentral- 
punkt des  schweizerischen  Molkereiwesens  sein  und  dieses  nach  Innen  und  Außen 
vertreten;  sie  soll  ferner  eine  allgemeine  populäre  Auskunftsstation  und  in  Ver- 


Milch  wirthschaft  —     456      —  Mikhwirtfaschaft 

bindang  mit  den  Molkereischalen  und  den   £Lä!$erei-Inspektoren  eine  Fonchongs- 
Station  »ein. 

4)  Wandervorträge,  Käserkurse  und  Molkereischalen.  Direktor 
Schatzmann  sei.  ging  vom  Grandsatz  aas,  daß  das  Eäserge werbe  nicht  in  einer 
Schole,  sondern  einzig  in  der  Praxis  bei  einem  tüchtigen  Meister  richtig  erlernt  werden 
könne.  Um  aber  den  jungen  Leuten  Gelegenheit  zu  bieten,  sich  im  Fache  aus- 
zubilden, wurden  in  allen  Theilen  der  Schweiz  Wandervortrage  und  Easerkorse 
abgehalten.  Namentlich  im  Kanton  Graubünden  erzielte  man  mit  diesen  Kursen 
vorzügliche  Erfolge  und  es  ist  zu  hoffen,  daß  die  E^serkurse  auch  inskünftig  in 
den  verschiedenen  Landestheilen  stattfinden  werden. 

Im  Bundesbeschluß  vom  27.  Juni  1884  (A.  S.  n.  F.  Bd.  7,  p.  G05)  wurde 
nun  die  Subventirung  von  drei  schweizerischen  Molkereischulen  vorgesehen 
und  an  die  Errichtungskosten  ein  einmaliger,  sowie  an  die  Betriebskosten  ein 
jährlicher  Beitrag  zugesichert.  Der  Beitrag  soll  ungefähr  so  hoch  sein  wie  die 
Aut^gabe  des  betreffenden  Kantons.  Die  drei  Molkereischulen  sollen  sich  auf  die 
Ost-,  Zentral-  und  die  W&stschweiz  vertheilen  und  die  verschiedenen  Spezialitäten 
(Emmentbaler-,  Spalen-,  Greyerzer-  und  Mager käsefabrikation),  sowie  die  Butter- 
licreituDg  möglichst  berücksichtigen;  diese  Schulen  sind  berufen,  tüchtige  Käser 
sowie  Käserei-Inspektoren  und  Wanderlehrer  heranzubilden.  Eine  sehr 
wichtige  Aufgabe  dieser  Lehranstalten  wird  es  femer  sein,  im  Vereine  mit  der 
2Sentralbtation  genaue  Versuche  über  die  verschiedenen  Butter-  und  Käsefabrikationen 
anzuhtellen  und  neue  3Iaschinen,  Geräthe  und  Hülfsstotfe  zu  prüfen. 

Die  erste  schweizerische  Molkereischule  wurde  vom  Kanton  St.  Gallen  am 
1.  November  1886  in  Sornthal  erötinet.  Dieselbe  wird  von  10  Zöglingen  aas 
H  verschiedenen  Kantonen  besucht.  Der  Unterricht  ist  für  Schweizerbtlrger 
unentgeltlich  und  das  Kostgeld  beträgt  für  den  halbjährlichen  Kurs  Fr.  350. 
Für  8t.  Gallische  Zöglinge  hat  der  Kanton  St.  Gallen  6  Stipendien  von  je  Fr.  300 
per  Jahr  ausgesetzt.  Die  Ein  rieht  angskosten  der  Molkerei  in  Sornthal  (ohne  Bau) 
für  Maschinen  und  Geräthe  kamen  auf  Fr.  12,110  zu  stehen  und  die  Betriebs- 
kosten >ind  pro  1887  auf  Fr.  7000  veranschlagt,  an  welch  letztere  Summe  der 
Bund  einen  Beitrag  von  Fr.  4000  zugesichert  hat.  Der  Molkereischule  Sornthal 
stehen  ein  Viehstand  von  ca.  50  Stück  Braunvieh,  eine  gewöhnliche  Dorf käserei 
und  eine  vorzüglich  eingerichtete  Centrifugenmolkerei  zur  Verfügung  nebst  Labora- 
torium und   Lelirsaa!. 

Am  1.  Januar  1887  wurde  in  Treyvaux,  Kanton  Freiburf/y  eine  zweite 
Molker»jischule  für  die  Westschweiz  und  am  1.  Mai  1887  eine  dritte  in  Rütti 
bei  Jkrn  fiir  die  Zentralschweiz  erötfnet. 

5)  K  ä  .s  e  r  e  i  - 1  n  8  p  e  k  t  o  r  e  n.  Es  ist  einleuchtend,  daß  von  den  Tausenden 
der  Schwoizer-Käser  nur  ein  kleiner  Theil  die  halbjährlichen  oder  jährlichen 
Kurse  d^^r  Molkereischulen  besuchen  kann.  Um  aber  dem  Käsereigewerbe  rasch 
uufziihelfcn,  machte  Direktor  PUster- Huber  in  Cham  im  Sommer  1885  den  Vor- 
schlag, die  Käsereien  von  Zeit  zu  Zeit  durch  tüchtige  Fachmänner  untersuchen 
zu  lansen.  H(;i  solchen  Inspektionen,  sagte  Pfister,  werden  die  Käser  wie  auch 
di<;  Küsereigesellschaiteu  auf  manchen  Uebelstand  aufmerksam  gemacht,  und  durch 
eine  vertrauliche  Besprechung  mit  dem  ins[>izirenden  Fachmanne  wird  in  der 
Kegel  vi(fl  mehr  erreicht  als  durch  Streitigkeiten  zwischen  Käser  und  Milch- 
lieferanteii. 

Diese  Anregung  hat  in  der  ganzen  Schweiz  Beifall  gefunden  und  auch  das 

schweizerische  Landwirthschaftsdepartement  si)richt  in  einem  Kreisschreiben  vom 

t  5.  Juli   18HG  an    sämmtliche  Kantonsregierungen  seine  Geneigtheit  aus,  die  Ein- 


Milch  wirthschaft  —     457      —  Müchwirthschaft 

führang  dieser  Käserei-Inspektionen  finanziell  zu  unterstützen.  In  diesem  Ereis- 
schreiben  wird  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß,  wenn  es  auch  nicht  viel  nütze, 
alle  die  vielen  Ursachen  zu  erörtern,  denen  die  gegenwärtige  schlimme  Lage  der 
Milch  wirthschaft  zugeschrieben  werden  müsse,  weil  wir  die  wenigsten  derselben 
beeinflussen  können,  doch  gleichwohl  nicht  genug  darauf  hinwiesen  werden  könne,  daß 
Milchprodukte  erster  Qualität  nach  übereinstimmendem  Urtheil  der  Fachmänner 
immer  noch  offenen  Markt  zu  lohnenden  Preiseyi  finden ;  es  müsse  sich  daher 
hauptsächlich  darum  handeln,  auf  bessere  Qualität  von  Butter  und  Käse  (mit 
weniger  Ausschußwaare)  hinzuarbeiten. 

Das  eidgenössische  Landwirthschaftsdepartement  glaubt  daher,  es  dürfe  von 
gutem  Erfolg  begleitet  sein,  wenn  anerkannte  Fachmänner  tiberall  da,  wo  es 
verlangt,  oder  wo  ihnen  der  Eintritt  nicht  verweigert  wird,  die  Käsereien  besuchen 
und  in  Bezug  auf  die  vorhandenen  Einrichtungen,  G-eräthe  und  Fabrikationsmethoden, 
sowohl  den  Hüttengenossenschaften,  als  auch  den  Käsern  an  Ort  und  Stelle  Rath 
ertheilen  würden. 

Der  erste  Kanton,  der  diesen  Vorschlag  verwirklichte,  war  Zürich,  dessen 
Kommission  für  Land  wirthschaft  am  17.  Dezember  1886  an  die  Käsereigenossen- 
Bchaften,  Käser  und  Milchinteressenten  des  Kantons  Zürich  ein  Kreisschreiben 
erließ,  in  welchem  dieselben  eingeladen  werden,  sich  bei  allfälligem  Bedürfniß 
von  Kath  an  die  Direktion  des  Innern  zu  wenden.  Zu  diesem  Zwecke  hat  sich 
diese  Behörde  an  eine  Reihe  bewährter  Praktiker  gewendet,  welche  geneigt  und 
im  Staude  sein  werden,  mit  ihrem  Rath  da  an  die  Hand  zu  gehen,  wo  es  an 
der  Lieferung  einer  gesunden  Milch  in  die  Hütte,  an  einer  entsprechenden  Ordnung 
und  Einrichtung  in  derselben,  an  der  Herstellung  eines  richtigen  Produktes  in 
der  Fett-,  Mager-  und  Weichkäserei  etc.  fehlen  sollte.  Bezügliche  Gesuche  sind 
unter  Angabe  des  Mangels,  zu  dessen  Verbesserung  resp.  Abhülfe  der  Rath  eines 
in  der  betrettenden  Materie  Bewanderten  gewünscht  wird,  jeweilen  an  die  zürche- 
rische Direktion  des  Innern  zu  richten.  Die  Honorirung  der  Fachmänner  (Reise- 
spesen und  Fr.  12  Taggeld)  übernimmt  der  Staat  unter  Beiziehung  der  vom 
Bunde  in  Aussicht  gestellten  Subvention. 

Es  ist  zu  hoffen,  daß  auch  andere  Kantone  dem  Beispiele  Zürichs  folgen 
und  sich  diese  treffliche  Institution  zu  Nutzen  machen  werden.  Während  die 
Früchte  der  Molkereischulen  erst  nach  geraumer  Zeit  in  unserem  Molkerei wesen 
zu  Tage  treten  werden,  wird  das  Institut  der  Käserei-Inspektionen  auch  der 
gegenwärtigen  altern  Käsergeneration  von  hohem  Nutzen  und  am  ehesten  geeignet 
sein,  die  bedrohte  Milchindustrie  in  bessere  Bahnen  zu  lenken. 

6)  Eine  Hauptaufgabe  in  der  Förderung  der  schweizerischen  Müchwirthschaft 
iällt  den  Milch wirthschaftlichen  Vereinen  zu,  welche  berufen  sind,  die 
Milchproduktion  durch  rationelle  Fütterung,  zweckmäßige  Stalleinrichtungen  und 
gute  Behandlung  der  Milch  zu  steigern  und  die  Qualität  der  Milch  zu  verbessern, 
durch  Belehrung  des  Volkes  die  Verwerthung  des  Rohproduktes  günstiger  zu 
gestalten  und  namentlich  die  Interessen  dieses  Industriezweiges  hinsichtlich  der 
Handelsbeziehungen  und  Bildungsanstalten  zu  wahren.  Nachdem  seit  einigen 
Jahren  der  ostschweizerische  und  der  freiburgische  Käserverein  eine  rege  Thätig- 
keit  entfaltet  hatten,  folgten  auch  in  den  Kantonen  Bern,  Thurgau,  Zürich  und 
St.  Gallen  Milchinteressentenvereine,  welche  sich  nun  zu  einem  schweizerischen 
milchwirthschaft  liehen  Zentral  verein  vereinigt  haben;  ebenso  haben 
die  französischen  Kantone  einen  westschweizerischen  milchwirth  schaft- 
lichen Verein  gegründet  und  auch  in  der  italienischen  Schweiz  arbeitet  der 
landwirthschaftliche  Verein  wacker  an  der  Hebung  des  Molkerei wesens. 


Milchzucker  —     458     —  Mineralwasser 

7)  Schriftliche  Arbeiten.  Die  milch wirthschaftliche  Literatur  in  der 
Schweiz  ist  nicht  reich  auHgestattet.  Außer  einigen  Werken  über  Milchunter- 
suchung (Müller,  Dietsch,  Gerber,  Ambühl,  Schumacher  etc.)  stammt  fast  unsere 
ganze  milchwirthschaftliche  Literatur  aus  der  Feder  von  Schatzmann,  unter 
seinen  Arbeiten  heben  wir  speziell  die  sieben  Jahrgänge  „Schweizerische  Alpen- 
wirthschaft**,  1859 — 1866,  sowie  die  „Alpwirthschaftlichen  Monatsblätter **, 
1867—  1886,  hervor,  in  welchen  wir  eine  Fülle  größerer  und  kleinerer  milch- 
wirthschaftlicher  Arbeiten  finden  5  wir  erwähnen  „Die  Milch wirthschaft  im  Kanton 
Bern"  ;  „Berichte  über  die  Molkereians-stellungen  in  Bern  1867,  Wien  1872, 
Hamburg  1877,  Portici  1878,  Zürich  1883  imd  München  1884 '^  ;  „Die  Milch- 
frage im  Kanton  Bern";  „Die  Dorfkäsereien  und  Volksernährung" ;  „Offenes 
Sendschreiben  an  die  Käsereigesellschaften •* ;  „Anleitung  zum  Bau  einer  Käserei"  ; 
„Ueber  Feuernngseinrichtungen  der  Alp-  und  Thalkäsereien"  ;  „Verbesserte  Käse- 
pressen mit  verschiebbarem  Gewicht"  ;  „Die  Butterfabrikation"  ;  „Die  Abkühlung 
der  Milch"  ;  „Das  Blähen  der  Käse" ;  „Die  Temperatur  und  Feuchtigkeit  der 
Käsekeller"  ;  „Zubereitung  und  Verwendung  des  Labes" ;  „Die  Käsefabrikation 
der  Schweiz"  ;  „Das  Milchbüchlein  zur  Untersuchung  gesunder  und  kranker 
Milch"   etc. 

P>ine  Monographie  über  Alpen-  und  Milch  wirthschaft  des  Enilebuchs,  1887, 
vom  Verfasser  dieses  Artikels,  beleuchtet  die  milchwirthschaftlichen  Verhältnisse 
dieses  Landestheiles  wie  der  ganzen  Schweiz. 

Milchwirthschaftliche  Fachorgane  sind;  Die  ^^Schweizerische  Milchzeiiung^y 
gegründet  1875,  im  Verlag  der  Brodtmann'schen  Buchdruckerei,  Schaff  hausen, 
redigirt  von  F.  Merz  in  Faido;  Die  „Milchindttsirie^,  gegründet  1884,  im 
Verlag    von  K.  J.   Wyß    in  Bern,    redigirt   von  Anderegg  und  Gerber  in  Bern. 

Den  milchwirthschaftlichen  Vereinen  und  Fachorganen  wartet  noch  eine 
große  und  wichtige  Arbeit,  indem  sie  einerseits  die  vermittelnden  Organe  zwischen 
der  Bevölkerung  und  den  Behörden  sind  und  anderseits  direkt  eingreifen  müssen, 
um  die  milchwirthschaftlichen  Verhältnisse  nach  jeder  Richtung  günstiger  zu 
gestalten.  Eine  Hauptaufgabe  derselben  wird  sein,  durch  Einführung  einer  ratio- 
nellen Fütterung  und  Pflege  des  Viehes  die  Milchproduktion  nicht  nur  zu  ver- 
mehren, sondern  auch  deren  Qualität  zu  verbessern,  auf  daß  unsere  Milchprodukte 
ihren  alten,  bewährten  Ruf  nicht  einbüßen;  ferner  den  Konsum  von  Milch  und 
Milchprodukten  im  eigenen  Lande  zu  heben,  die  Fabrikation  von  Butter  und 
Käse  durch  Belehrung  und  Beispiele  zu  verbessern  und  endlich  die  Handels- 
beziehungen zu  fremden  Ländern  günstiger  zu  gestalten.  Wir  hoffen,  daß  es 
den  vereinten  Kräften  gelingen  wird,  die  unserer  Milchwirthschaft  drohende 
Gefahr  abzuwenden  und  diese  nationale  Industrie  wieder  zur  Blüthe  emporzuheben 
zu  Nutz  und  Frommen  des  Vaterlandes. 

Milchzucker  s.  Milchwirthschaft. 

Militärstrassen  s.  Alpenstraßen. 

Minerale  s.  Bergbau. 

Mineralsäuren.      Jährliche    Produktion    in    der    Schweiz    ca.    90,000  q 

rrrr    Fr.     900,000. 

Mineralwasser.  Die  Schweiz  besitzt  einen  großen  Reichthum  an  Heilquellen 
aller  Art.  Ks  finden  sich  darunter  einige  «chun  im  Alterthum  berühmt  gewonlene. 
Die  Badener  Thermen  werden  z.  B.  schon  von  Tacitus  als  vielbesucht  erwähnt. 
Im  Mittelalter  übten  neben  Baden  Lenk  und  Pfäfers  eine  große  Anziehungskraft 
aus  und  selbst  nach  den  damals  noch  schlecht  zugänglichen  rhätischen  Alpen 
pilgerten  Bedürftige  zum  Genuß  der  kräftigen  Sauerbrunnen.    Durch  die  moilerne 


Mineralwasser  —     459     —  Mineralwasser 

Entwicklung   des  Verkehrswesens    konnten   endlich  eine  Menge  von  Heilquellen^ 
die  sich  fast  auf  alle  Kantone  vertheilen,  zur  verdienten  Geltung  gelangen. 

Die  warmen  Quellen  sind,  mit  Ausnahme  der  chemisch  wenig  differenten 
Pfäferser  Therme,  meistens  mehr  oder  weniger  mit  Schwefelverbindungen  imprägnirt 
und  variren  hinsichtlich  der  Wärme  von  26^  bis  51®. 

Weißenburg  im  Kt.  Bern,  Leuk  im  Kt.  Wallis,  Lavey  im  Kt.  Waadt,. 
Baden  und  Schimnach  im  Kt.  Aargau  gehJiren  nebst  Pfäfers  zu  den  bekanntesten 
Thermalquellen. 

Ungleich  mannigfaltiger  ist  die  chemische  Zusammensetzung  der  kalten 
Quellen,  die  nach  Hunderten  zählen,  wenn  die  unbedeutenden  oder  sonst  nicht 
benutzten  Wasser  inbegriffen  werden. 

Hervorragend  sind  die  kalten  Schwefelquellen:  Gurnif/elj  Heustrich, 
Lenk  und  Schwarzseebad  im  Kt.  Bern,  Stachelberr/  im  Kt.  Glarus,  Alveneu 
im  Kt.  Graubtinden,  Lostorf  im  Kt.  Solothum,  Stabio  im  Kt.  Tessin  etc. ;  femer 
p]  i  8  e  n  s  ä  u  e  r  1  i  n  g  e  :  St.  Moritz,  Schuls,  Fideris,  St.  Bernhardin,  Belvedra 
im  Kt.  Graubnnden,  Morf/ins  im  Kt.  Wallis,  Brissago,  Osasco,  Lugano  im 
Kt.  Tessin,  Schupf  heim  im  Kt.  Luzern,  Gonten  und  Heinrichsbad  im  Kt.  Appen- 
zell etc. ;  sodann  muriatisch-alkalinische  (abführende)  und  Natron- 
quellen :  Tarasp,  Passugg,  Tiefencastef ^  Peiden  im  Kt.  Graubtinden,  Birmenstorf 
und  Gyrenbad  im  Kt.  Zürich ;  auch  manche  Eisensäuerlinge  gehören  hieher. 
Ferner  kommen  in  Betracht  kalk-  und  gypshaltige  Wasser  und  jod- 
haltige Quellen:  Wildegg  im  Kt.  Aargau,  Saxon  im  Kt.  Wallis,  Solis  im 
Kt.  Graubünden,  Rothenbninnen  im  Kt.  Graubünden.  Arsenhaltig  ist  die 
Quelle  im  Val  Sinestra,  Kt.  Graubünden.  Soolbäder  endlich  sind  in  Bex 
im  Kt.  Waadt,  Rheinfelden  im  Kt.  Aargau  und  Schweizerhalle  im  Kt.  Baselland. 

Am  reichsten  an  Mineralquellen  ist  nach  dem  Vorstehenden  der  Kanton 
Graubünden.  In  seiner  Gebirgsmasse  ist  es  namentlich  der  sog.  Bündnerschiefer, 
ein  kalkhaltiger,  vielfach  mit  Schwefelkies,  Kalkspath,  Gyps,  Graphit,  Magnesit 
u.  s.  w.  durchsetzter,  sehr  oft  Bittersalz,  selbst  Alaun  und  kohlensaures  Natron 
auswitternder  Thonschiefer ,  aus  welchem  eine  ganz  bedeutende  Menge  von 
Mineralquellen  entspringt.  Größtentheils  sind  es  Eisensäuerlinge,  sodann  natron- 
reiche und  Schwefelquellen.  Bemerkens werth  ist  der  Gehalt  an  HaloYden,  Bor- 
säure und  Lictin.  Ebenso  ist  das  Auftreten  verschiedener  mineralisirter  Quellen 
innerhalb  eines  beschränkten  Umkreises  (so  bei  Tarasp  und  Passugg^  im  untern 
Albulathal  etc.)  von  Interesse.  Eine  weitere,  doch  schon  geringere  Anzahl  Mineral- 
quellen entspringen  aus  Urgebirgsgestein  (Gneis,  Glimmerschiefer),  dolomitischen 
Kalken  und  Verrucano,  einige  wenige  aus,  wohl  nur  in  einer  andern  Formation 
gelagertem,  Serpentin.  Die  meisten  Quellen  zeigen  eine  gewöhnliche  Temperatur 
von  8—12**  C. ;  durch  geringere  Wärme  zeichnen  sich  namentlich  St.  Moritz 
und  die  Tarasper  Natronquellen  aus. 

Einige  dieser  Wasser  werden  in  beträchtlichem  Maße  exportirt.  Der  Export 
betrug  im  Jahre  1877  von  SL  Moritz  96,(500,  Tarasp  53  500,  Fideris  37,000, 
Passugg  30,000,  Val  Sinestra  3000,  zusammen  220,100  Flaschen.  (VergL 
Dr.  Ed.  Killias   „Rhätische  Kurorte  und  Mineralquellen".  Chur  1883.) 

Zahlreich  sind  auch  die  Fabrikanten  kUnstlicher  Mineralwasser,  deren  Ver- 
brauch in  der  Schweiz  trotz  den  vielen  und  guten  Naturwassern  ein  beträchtlicher 
ist.  Es  existiren  in  den  meisten  größeren  Ortschaften  Miiieralwasserfabrikanten 
oder  Apotheken  mit  bezüglichen  Einrichtungen,  welche  namentlich  die  als  Genuß- 
mittel konsumirten  kohlensauren  Wasser  und  Limonaden,  häufig  aber  auch  medi- 
zinisch verwendbare  Wasser  produziren. 


Missionäre  —     460     —  Molkerei 

VoiJ  fremden  Mineralwassem  werden  am  meisten  eingeführt:  Ungarisches 
Bitterwasser  (Hunvadi),  Selterser-  nnd  Karlsbaderwasser,  und  zwar  in  großem 
Maßstabe. 

Siehe  auch  den  Artikel   „Kurorte  der  Schweiz". 

Missionäre*  Als  M.  bezeichneten  sich  bei  Anlaß  der  eidg.  Volkszählung 
von   1880   157  Personen. 

Mittelmeerbahn,  französische,  s.  Paris-Lyon-Mediterranee. 

Mockenholzbirne,  Wirthschaftsobst  ersten  Ranges  (Herbstfrncht),  zur  Most- 
bereitung geeignet,  ist  im  Thurgau  seit  einem  halben  Jahrhundert  bekannt  und 
auch  in  den  angrenzenden  Gegenden  zu  finden.  Der  Baum  liebt  schweren  Boden, 
ist  in  Beziehung  auf  Lage  nicht  wählerisch,  trägt  frühe,  beinahe  alljährlich  and 
oft  reichlich.  Der  höchste  Ertrag  beläuft  sich  wohl  auf  80 — 90  Sester.  (Pomo- 
logisches  Bild  er  werk.) 

Modellschutz  s.  Gewerbliches  Eigenthum  und  Patentschutz. 

Modellstecheroi  s.  Xylographie. 

Modewaaren.  Die  Einfuhr  von  fertigen  Modewaaren,  Putzwaaren  und 
Schmuckfedern  betrug  im  Jahresdurchschnitt  1855/64:  45  q,  1865/74:  330  q, 
1875/84:  1195  q,  im  Jahre  1885  (Modewaaren,  garnirte  Damenhllte,  künstliche 
Blumen  und  Schmuckfedern):  944  q  a  Fr.  2500  =  Fr.  2'360,000,  wovon 
511  q  aus  Frankreich,   351  q  aus  Deutschland. 

Im  Handelsregister  waren  Ende  1884  447  Modewaarengeschäfte  eingetragen. 
Birkhliuser's  Adreßbuch  von   1885  verzeichnet  ihrer  740. 

Modistinnen.  Birkhäuser's  Adreßbuch  von  1885  gibt  die  Adressen  von 
etwas  über   1200  M. 

Möbel.  Die  durchschnittliche  Jahresproduktion  von  Möbeln  in  der  Schweiz 
wird  dem  Werthe  nach  auf  372  Millionen  Franken  geschätzt.  Größtentheils  sind 
es  Möbel  gewöhnlicher  Art.  Luxusmöbel  werden  noch  vorwiegend  vom  Ausland 
bezo^^cn,  trotz  mustergültigen  und  dabei  billigeren  Leistungen  des  Inlandes.  Die 
Produktionsforin  ist  noch  vorwiegend  Handwerk;  doch  macht  die  Konzentration 
in  größeren,  fabrikähnlichen  Werkstätten  Fortschritte.  Der  Jahresbedarf  an  Möbeln 
wird  auf  10   Millionen   Franken  geschätzt. 

Einfu  hr  im  Jahresdurchschnitt  1877/84:  Gepolsterte  hölzerne  Möbel  155  q, 
polirte  und  bemalte  hölzerne  Möbel   G040  q,  alte  hölzerne  Möbel   1208  q. 

Ausfuhr  im  Jahresdurchschnitt  1877/84:  Gepolsterte  hölzerne  Möbel  74  q, 
polirte  und  bemalte  hölzerne  Möbel   1344  q,  alte  hölzerne  Möbel  2542  q. 

Seit  1885  sind  in  der  Waarenverkehrsstatistik  die  Möbel  mit  den  übrigen 
Tischlerarbeiten  vermengt. 

lieber  die  eisernen  Möbel  gibt  die  Statistik  keine  Auskunft. 

Mohn.     Die   Kultur  dieser  Pflanze  ist  unbedeutend. 

Moirag^e.  Unter  dieser  Geschäftsbezeichnung  waren  Ende  1884  drei  Firmen 
(Kt.  Basidstadt)  im  Handelsregister  eingetragen. 

MoiroestolTe  (Moire  alsacienne,  Moire  antique,  Moire  ä  r^erve,  Moire 
franyaiso,  Moire  rondej  sind  zweitrettige  Ganzseidenstoffe,  die  von  der  zürche- 
ri.^^chen  S«'i«lenintlustrie  wohl  gewoben,  aber  nicht  ausgerüstet  (moirirt)  werden. 
Zu  diesem  Zwecke  werden  sie  meistens  nach  Lyon  gesandt.  In  den  Jahren  1881 
und   lbS2  herrsehte  >rroße  Nachfrage  nach  Moiree^totfen. 

Wollene  Moireestolfe  werden  in  erheblichen  Quantitäten  aus  England  bezogen 
zur  Fabrikation  vtm  Schürzen  etc. 

Molkerei  s.  Milehwirthschaft. 


Molkereischulen  —     461     —  Moreas 

Molkereischulen  bestehen  in  Sornthal  bei  Utzwyl,  Rtitti  bei  Bern,  Trey- 
vaux  im  Kt.  Frei  bürg. 

Monopole  6.  Staatsmonopole. 

Montenegro  steht  mit  der  Schweiz  in  vertraglicher  Beziehung :  1 )  Durch 
die  Genfer  Konvention  betreffend  die  Behandlung  der  Verwundeten  im  Kriege ; 
2)  durch  den  allgemeinen  Weltpostvertrag ;  3)  durch  den  internationalen  Post- 
vertrag betreffend  Poststücke  ohne  Werthangabe. 

Moratoriumslinien.  Hierunter  sind  folgende  Eisenbahnprojekte  verstanden : 
1)  Koblenz-Stein  (Aargau),  2)  Eglisau- Schaff  hausen,  3)  Etzweilen-Schaff  hausen, 
4)  Dielsdorf-Niederwenigen,  5)  Thalweil-Zug,  6)  Zürich-Meilen-Rapperawyl. 

Die  Verpflichtung  zum  Bau  dieser  Linien  war  in  den  Jahren  1872  und 
1873  von  der  Gesellschaft  der  Schweizerischen  Nordostbahn  übernommen  worden ; 
dieselbe  sah  sich  aber  zu  Anfang  des  Jahres  1877  veranlaßt,  die  Erklärung 
abzugeben,  daß  sie  sich  außer  Stande  befinde,  obige  Bauverpflichtung  zu  erfüllen. 
Die  Gesellschaft  ersuchte  hierauf  den  schweizerischen  Bundesrath,  seine  Ver- 
mittlung eintreten  lassen  zu  wollen,  damit  eine  Verständigung  zwischen  den 
Vertragsparteien  erzielt  werden  möge.  Der  Bundesrath  entsprach  diesem  Gesuche 
und  es  kamen  über  sämmtliche  Linien,  ausgenommen  Dielsdorf-Nieder  wenigen, 
Verträge  zu  Stande,  welche  in  der  Hauptsache  bedingten,  daß  der  Schweizerischen 
Nordostbahn  zur  Inangrittnahme  der  Arbeiten  an  jenen  Linien  Frist  bis  Ende 
1885  gewährt  sei,  in  dem  Sinne,  daß  dannzumal  der  Bundesrath  zu  entscheiden 
habe,  ob  die  Nordostbahn  wieder  genügend  erstarkt  sei,  um  diese  Arbeiten  an 
Hand  zu  nehmen. 

Hiemit  übereinstimmend  faßte  die  Bundesversammlung  am  14.  Februar  1878 
folgenden  Beschluß  (Eisenbahnaktensammlung  1878  und  1879,  Seite  29): 

, Unter  Vorbehalt  erworbener  Rechte  werden  die  für  die  Bahnkonzessionen 
Thalweil-Zug,  Etzweilen-Schaffhausen,  Bülach-Schafifhausen,  Koblenz-Stein,  rechts- 
ufrige Zürichseebahn  und  Dielsdorf-Niederwenigen  von  den  kantonalen  und  Bundes- 
behörden für  den  Finanzausweis,  Beginn  der  Erdarbeiten  und  Inbetriebsetzung 
dieser  Linien  aufgestellten  Fristen  um  8  Jahre  erstreckt. 

,  Soweit  unter  den  Betheiligten  eine  diesbezügliche  Vereinbarung  besteht,  hat 
der  Bundesrath  nach  Ablauf  des  Jahres  1885  zu  entscheiden,  ob  die  Nordosthahn- 
gesellschaft wieder  genügend  erstarkt  sei,  um  den  Bau  der  vorgenannten  Linien 
an  Hand  zu  nehmen  (beziehungsweise,  was  die  Linien  EtzweUen-SchafThausen 
und  Koblenz-Stein  betrifH,  ihre  bezog  liehen  VertragspÜichten  zu  erfüllen),  und  in 
welcher  Reihenfolge  dies  zu  geschehen  habe,  und  er  wird  dann  unvorgreiflich 
den  gesetzlichen  Befugnissen  der  Bundesversammlung  für  jede  einzelne  Linie  die 
Ausweis-  und  Bautennine  neu  festsetzen." 

Dem  in  Alinea  2  dieses  Bundesbeschlusses  enthaltenen  Auftrag  ist  der 
Bnndesrath  nachgekommen,  indem  er  am  23.  Juni  1887  Folgendes  beschloß: 

1)  Die  Gesellschaft  der  Schweizerischen  Nordostbahn  ist  genügend  erstarkt, 
um  den  Bau  der  linksseitigen  Zürichseebahn  (Thalweil-Zug),  der  Eisenbahn  von 
Bülach  nach  SchafThausen  und  der  rechtsufrigen  Zürichseebahn  an  die  Hand  zu 
nehmen  und,  w;is  die  Linie  Koblenz-Stein  und  diejenige  von  Etzweilen  nach 
SchafThausen  betrifft,  die  bezüglichen  Vertragsverpflichtungen  zu  erfüllen. 

2)  Der  Bundesrath  wird  die  Reihenfolge  bestimmen,  in  welcher  die  Erfüllung 
der  obigen  Verpflichtungen  zu  geschehen  hat,  und  es  erhält  das  Eisenbahn- 
departement den  Auftrag,  den  daherigen  Bericht  und  Antrag  ohne  Verzug  vor- 
zulegen. 

3)  Die  gesetzlichen  Befugnisse  der  Bundesbehörden  in  Bezug  auf  die  Ver- 
längerung der  für  diese  Linien  ertheilten  Konzessionen,  den  Finanzausweis,  sowie 
in  Bezug  auf  die  Bautermine,  bleiben  vorbehalten. 

Moreas.  Der  Artikel  kam  nebst  den  Printanicres,  Cutnies,  Hakirs  etc.  in 
den  Dreißiger  Jahren  als  ein  Hauptexportartikel  der  toggenburgischen  Buntwebevöi 


Most  —     462     —  Bffonaseline 

auf   und    fand    in    der   Levante   und   in  Ostindien    während    mehreren  Dezennien 
großen  Absatz. 

Most  8.  Obstwein. 

Mostbirne,  gelbe,  ein  Wirthschaftsobst  zweiten  Ranges  (Sommerfrucht), 
wird  gewöhnlich  „Gälmostler"*  genannt.  Diese  in  einem  großen  Theil  der  Kantone 
St,  Gallen,  Appenzell  und  Thurgau  stark  verbreitete  Sorte  stammt  muthmaßlich 
von  Bemhardszell,  Kanton  St.  Gallen,  von  wo  sie  gegen  Ende  des  vorigen  Jahr- 
hunderts weiter  verbreitet  wurde.  Sie  gedeiht  in  verschiedenen  Lagen  und  Boden- 
arten bis  zu  einer  Höhe  von  2500  Fuß  über  dem  Meere.  Die  alljährlich  und 
oft  sehr  reichlich  tragende  Sorte  wird  von  weuigen  anderen  an  Fruchtbarkeit 
übertrotfen;  auch  eignet  sie  sich  sehr  gut  zum  Umpfropfen  älterer  Bäume,  die 
dann  gewöhnlich  schon  im  dritten  Jahre  tragen.  Die  gelbe  Mostbirne  wird  aus- 
«chließlich  zur  Mostbereitung  verwendet.     (Pomologisches  Bilderwerk.) 

Mouehoirs.  Abgepaßte,  glatte,  bedruckte,  buntgewebte  oder  bestickte  Tücher 
von  Seide  oder  Baumwolle,  zur  Verwendung  als  Taschen-,  Kopf-  und  Umschlag- 
tücher etc. 

Die  größte  Bedeutung  für  die  schweizerische  Fabrikation  haben  die  be- 
druckten und  die  buntgewebten  baumwollenen  Mouehoirs,  erstere  im  Toggenburg, 
letztere  im  Kanton  Glarus  fabrizirt  und  in  großem  Maßstabe  vorwiegend  in  die 
südlichen  Länder  und  nach  dem  Orient  ex|)ortirt.  Von  den  einzelnen  Sorten  haben 
oder  hatten  namentlich  die  Mouehoirs  Madras,  Pignas,  Balazores,  Barocs  Bedeutung. 

Bestickte  leinene  und  baumwollene  Mouehoirs  waren  namentlich  gegen  Ende 
des  vorigen  und  im  Anfang  des  jetzigen  Jahrhunderts  gebräuchlich  uud  bildeten 
einen  bedeutenden  Artikel  der  ostschweizerischen  Stickerei.  Die  feinen,  von  Hand 
bestickten  Tücher  von  Appenzell  L-Rh.  waren  bis  in  die  Sechziger  Jahre  in 
hohem  Grade  gesucht  und  geschätzt ;  seit  dem  Aufkommen  der  Maschinenstickerei 
in  Plattstich  ist  aber  diese  künstlerische  Feinstickerei  nach  und  nach  zurückgegangen 
und  beschäftigt  heute  nur  noch  wenige  Arbeiterinnen.   (Vergl.   Handstickerei.) 

Seidene  Mouehoirs  resp.  Cachenez  (vergl.  d.)  bilden  einen  Hauptartikel  der 
zürcherischen  Seidenweberei. 

Mousseline.  Feines,  undichtes  Baum woUge webe,  glatt,  bemustert  oder 
bestickt,  hauptsächlich  zu  Vorhängen,  Kleiderbesatz  und  Damenroben  dienend, 
und  zwar  meistens  weiß,  seltener  mit  farbigen  Mustern.  Die  Mousselineweberei 
und  -Stickerei  ist  es,  durch  welche  vor  100  Jahren  die  st.  gallisch-appenzellische 
Industrie  den  Weh  ruf  erneuerte,  den  sie  schon  anderthalb  Jahrhunderte  vorher 
durch  ihre  Lein wandge webe  erlangt  und  bis  gegen  das  Ende  des  vorigen  Jahr- 
hunderts bewahrt  hatte. 

In  St.  Gallen  und  Appenzell  sowie  in  Zürich,  Glarus  etc.  war  dem  Mousseline- 
weben  die  Fabrikation  von  Druckkattun  vorausgegangen.  Der  Ruhm,  die  erste 
Mousseline  zuwege  gebracht  zu  haben,  darf  nach  Wartmann :  „Industrie  und 
Handel  des  Kantons  St.  Gallen",  ziemlich  sicher  dem  st.  gallischen  Webermeister 
Hans  Jakob  Kirchhofer  in  St.  Gallen  zugeschrieben  werden,  der  solche  schon  um 
IToO  gewebt  haben  soll. 

Als  die  geschicktesten  Mousseline  weher  und  als  diejenigen,  welche  „mit  ihrer 
Ausdauer  und  ihrem  ertinderischen  Genie**  durch  Vervollkommnung  der  Webstühle 
und  gewandtere  Manipulation  diese  einträgliche  Fabrikation  zu  ihrem  überraschenden 
Flore  gebracht  haben,  galten  später  allgemein  die  Appenzeller.  Das  Appenzeller 
Land  mit  seinen  Tausenden  von  Webkellern  wurde  in  kurzer  Zeit  der  eigentliche 
Sitz  der  Mousselineweberei,  die  von  dort  aus  sich  allmälig  auch  in  einige  an- 
grenzende Gemeinden  de»  Toggenburgs  verpflanzte.     Der  Geschicklichkeit  dieser 


Mousseline  —     463     —  Mousseline 

Weber,  die  ihre  Fabrikate  rastlos  vervollkommneten,  und  der  Rührigkeit  der 
8t.  gallischen  und  appenzellischen  Eaufleute  ist  es  zu  verdanken,  daß  St.  Gallen 
mit  seinem  Industriegebiete  während  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts 
in  Bezug  auf  Mousseline  und  die  verwandten  leichten  Baumwollgewebe,  Midoubles, 
Jaconats  etc.,  unbestritten  an  der  Spitze  der  gesamraten  europäischen  Industrie 
stand  und  hierin  sozusagen  das  Monopol  in  ganz  Europa  hatte,  bis  gegen  Ende 
des  Jahrhunderts  England,  durch  sein  Maschinenwesen  unterstützt,  als  über- 
wältigender Konkurrent  aufzutreten  begann.  —  Die  st.  gallisch-appeuzellische 
Mousseline  ging  in  dieser  oder  jener  Form  so  ziemlich  nach  aller  Herren  Ländern, 
am  meisten  nach  den  südlichen,  nach  Frankreich  und  Spanien,  deren  Kolonien 
und  nach  Italien.  Sie  waren  öfters  so  gesucht,  daß  die  eigene  lebhafte  Fabri- 
kation für  den  Bedarf  nicht  hinreichte;  daim  ließen  die  Kaufleute  zur  Aushülfe 
Mousseline  aus  dem  Kanton  Zürich  kommen,  wo  die  Mousselineweberei  ebenfalls 
sehr  ausgedehnt  war  und  wo  nach  amtlicher  Zählung  im  Jahre  1787  4392 
Mousseline  Webstühle  neben  2087  Indienne  Webstühlen  im  Gange  waren.  Die  Zürcher 
Mousseline  stand  indessen  der  st.  gallischen  bedeutend  nach.  Den  Grund  davon 
suchte  man  vornehmlich  darin,  daß  sie  nicht  im  Keller  gewoben  wurde,  wie  die 
appenzellische,  denn  die  feuchte  Kellerluft  erhielt  den  spröden  Baumwollfaden 
geschmeidig  und  verRtärkte  die  Wirkung  des  Schlichtens  wesentlich. 

Die  Mousseline  wurde  von  den  Fabrikanten  gewöhnlich  in  Stücken  von 
16  Stab  (32  Ellen)  Länge  und  ^/4,  zuweilen  auch  % — ^^ji  Breite  verkauft, 
dann  aber  zu  8 stäbigen  Stücken  zerschnitten  und  so  in  den  Handel  gegeben. 
Der  Preis  des  Stückes  glatter  Mousseline  gewöhnlicher  Länge  und  Breite  schwankte 
zwischen  6  —  30  Fl.,  je  nach  Qualität.  Bestickte  Mousseline  soll  nach  den  einen 
Angaben  12 — CO  Fl.,  nach  den  andern  20 — 150  Fl.  per  Stück  gegolten  haben. 
Ostindische  Mousselines  mit  Gold-  und  Silberstickereien  erreichten  bisweilen  den 
Werth  von  60  Karolin  (ä  ca.  Fr.  26)  das  Stück. 

Es  ist  ohne  Uebertreibung  anzunehmen,  daß  in  der  Stadt  St.  Gallen  in  den 
blühendsten  Jahren  100,000  Stück  glatte  (d.  h.  nicht  bestickte)  und  50,000  Stück 
bestickte  Mousseline  umgesetzt  worden  seien.  Was  außerdem  in  Herisau,  Teufen 
u.  s.  w.  umgesetzt  wurde,  mag  diese  Zahl  eher  übersteigen  als  bloß  erreichen. 
Zur  Stickerei  wurde  übrigens  lange  Zeit  nur  ostindische  Mousseline  verwendet, 
bis  in  Folge  der  zunehmenden  Vervollkommnung  der  einheimischen  Weberei  das 
indische  Fabrikat  zu  Gunsten  des  einheimischen  immer  mehr  verdrängt  wurde. 
Französische  und  italienische  Händler  brachten  die  ostindische  Mousseline  längere 
Zeit  allein  nach  St.  Gallen  etc.  zu  Markte.  Als  dann  später  England  in  Indien 
immer  entschiedener  die  Oberhand  behielt,  als  sich  die  Beziehungen  zu  jenem 
Lande  überhaupt  vervielfachten  und  der  ganze  st.  gallische  Handel  sich  immer 
freier  entfaltete,  wurde  das  ostindische  Gewebe  in  bedeutenden  Quantitäten  auch 
aus  England  bezogen.  So  wird  nach  Wartmann  berichtet,  daß  der  Chef  eines 
der  ersten  st.  gallischen  Handelshäuser  schon  g^g^n  Ende  des  letzten  Jahrhunderts 
alljährlich  nach  England  reiste,  dort  seine  Einkäufe  ostindischer  Mousseline  machte, 
diese  in  St.  Gallen  mit  Mustern  bedrucken  und  darnach  sticken  ließ,  die  Stickereien 
hauptsächlich  nach  Frankreich  und  Italien  verkaufte  und  sich  damit  sein  großes 
Vermögen  erwarb. 

Wie  bereits  erwähnt,  setzten  die  politischen  Ereiijcnisse  der  Neunziger  Jahre 
und  die  kommenden  kriegerischen  Zeiten  einerseits,  die  englische  Maschinen - 
konkurrenz  anderseits  dem  Fortblühen  dieser  Industrie  große  Hindernisse  entgegen, 
ja  führten  bisweiligen  gänzlichen  Stillstand  der  Fabrikation  und  im  Allgemeinen 
ein  entschiedenes  Rückschreiten  derselben  herbei.     Nur  mit  Mühe  konnte  in  dsyc^ 


Mozambique  —     464     —  Müllerei 

ersten  Jahrzehnten  des  neuen  Jahrhunderts  weiter  praduzirt  werden ;  der  Gewinn 
war  im  Kampf  mit  der  Maschine  für  ordinäres  Gewebe  ^ring  geworden.  Als 
Anfangs  der  Dreißiger  Jahre  die  allgemeine  Einführang  des  Jacquard  webst  ahls 
und  später  der  Broehirlade  und  Spickplatte,  sowie  die  Erfindung  des  Plattstich- 
webstuhls die  Fabrikation  (fvmusterttr  Mous^elineartikel  besonders  begünstigte 
und  die  neuen  Modeartikel  diet^er  Ai*t  großen  Anklang  fanden,  wurde  im  St.  Gal- 
lischen und  Appenzellischen  dieser  neue  Zweig  allgemein  als  Rettungsanker  er- 
griffen, die  Weberei  gewöhnlicher  tjlatter  Monsseline  aber  völlig  vernachlässigt 
und  der  englischen  Konkurrenz  überlassen.  Im  Kant<»n  Zürich  blieb  man  hingegen 
der  Weberei  glatter  Mousseline  eher  treu.  In  Wald  bildete  sich  dieselbe  im 
Laufe  der  Zeit,  namentlich  durch  die  Lieferung  feiner,  halbdichter  Gewebe  für 
die  Druckerei  der  bessern  Sorten  der  sog.  Türkenkappen,  und  feiner  Monsseline 
für  Frankreich  und  für  den  Bedarf  der  st.  gallisch-appenzeUischen  Vorhang- 
stickereiy  noch  mehr  aus.  In  den  Fünfziger  Jahren  erfolgte  im  Kanton  Zürich 
die  allgemeine  Einfuhrung  der  mtchanischen  Weberei  der  mousseline^rtigen 
Gewebe,  während  in  Appenzell  und  St.  Gallen  die  Feiuweberei  auf  einen  kleinen 
Rest  der  früheren  Weberarmee  beschränkt  blieb.  Die  vielen  Arbeitskräfte,  die 
gegen  Enile  der  Fünfziger  Jahre  in  Folge  einer  allgemeinen  Stockung  und  all- 
mäligen  Rückgangs  der  Fabrikation  gemusterter  Mousselinevorhänge  frei  wurden, 
nahm  die  eben  aufblühende  Maschinenstickerei  auf. 

Zur  Zeit  wird  fast  der  ganze  Mousselinebedarf  der  einheimischen  Stickerei 
und  Druckerei  durch  die  zürcherischen  mechanischen  Webereien  gedeckt.  Der 
Export  von  glatter  Mousseline  ist  nicht  mehr  bedeutend  seit  Frankreich  seine 
Zölle  erhöht  hat,  abgesehen  davon,  daß  der  Konsum  feiner  Gewebe  überhaupt 
allgemein  abgenommen  hat. 

Gemusterte  Mousseline  resp.  brochirte  und  damassirte  Vorhänge,  Plattstich- 
gewebe etc.  sind  in  Folge  der  Konkurrenz  der  billigen  Nottinghamer  Vorhänge  und 
der  Billigkeit  ähnlicher  r/estickter  Artikel,  nicht  am  wenigsten  aber  auch  mangels 
jr-der  technischen  und  künstlerischen  Vervollkommnung,  nur  noch  wenig  begehrt. 
(Vgl.  Geschichtliches  bei  WarimanHy  „Handel  und  Industrie  des  Kts.  St.  Gallen"). 

Mozambique.  Eine  Art  buntgewebter,  baumwollener  Mouchoirs,  haupt- 
sächlich für   Afrika. 

Müllerei.  Es  existiren  zur  Zeit  in  der  Schweiz  ca.  2400  Handels-  oder 
Kunstmiihlen  und  H{)()  Kunden-  oder  Bauernmühlen.  Dieselben  umfassen  Immo- 
bilien im  Werthe  von  ungefähr  150  Millionen  Franken,  verfügen  über  25,000 
Pferdekräfte,  beschäftigen  7  —  8000  Personen  (am  1.  Dez.  Ib80  nach  der  eidg. 
Volkszählung  7091  Personen,  wovon  ,325  weiblich "l  und  5 — öOOO  Pferde,  und 
vermählen  ungefähr  4^2  Millionen  metrische  Zentner  Weizen,  Halbfrucht  und 
Roggen,  nicht  ganz  entsprechend  dem  Bedarf  der  schweizerischen  Bevölkerung. 
Alljährlich  werden  noch,  hauptsächlich  für  die  Grenzbevölkerung,  ca.  300,000  q 
Mehl  eingeführt,  hingegen  nur  ca.  50,000  q  in  die  benachbarten  Grenzgebiete 
ausgeführt.  (Vergl.  die  statist.  Angaben  im  Fachbericht  und  Zentralkatalog  der 
Landesausstellung  in  Zürich  von  lH8ii,  sowie  die  Jahresberichte  des  Schweiz. 
Handels-  und  Industrievereins  und  der  Kaufm.  Gesellschaft  Zürich). 

Der  technische  Entwicklungsgang  der  schweizerischen  Müllerei  bekundet  einen 
ehrenvollen  Antheil  an  den  Fortschritten  der  Müllerei  überhaupt.  Noch  in  den 
Vierziger  Jahren  war  die  Mehrzahl  der  größeren  Mühlen  nach  dem  primitiven 
deutschen  System  eingerichtet.  Daneben  bestand  aber  seit  Ende  der  Zwanziger 
Jahre  ein  anderes,  in  der  Schweiz  erfundenes  Verfahren :  die  Walzenmüllerei. 
Die  Erfinder  und  Förderer  derselben  sind :    Müller  in  Luzern,    Helfenberger  in 


Müllerei 


4Ü5     — 


Müllerei 


Rorschach,  namentlich  aber  Suhberr/er  in  Frauenfeld,  nach  dessen  System  eine 
Walzmühle  in  Frauenfeld  und  je  eine  Dampfmühle  in  Venedig,  Budapest  und 
Prag  eingerichtet  wurden.  Die  erwarteten  großen  Erfolge  traten  nicht  ein,  weil 
kein  genügend  hartes  Walzenmaterial  hergestellt  werden  konnte  und  die  Walzen 
sich  deßhalb  rasch  abnutzten,  ungleich  und  unbrauchbar  wurden.  Ende  der 
Vierziger  Jahre  stellte  die  mechanische  Werkstätte  St.  Georgen  bei  St.  Gallen 
eine  Walze  aus  bestem  und  härtestem  Stahl  her,  welche  zum  Schroten  verwendet 
und  durch  „Meißeln"  geschärft  werden  konnte.  Dieselbe  lieferte  viel  und  sehr 
schöne  Griese  und  wurde  namentlich  in  den  ostschweizerischen  Mühlen,  auch  in 
zwei  Etablissements  in  Zürich  und  in  einer  Mühle  in  Zug  eingeführt,  fand  aber 
sonst  wenig  Verbreitung.  Später,  in  den  Fünfziger  Jahren,  wurde  unter  Beihülfe 
schweizerischer  Mühlenindustriellen  in  Budapest  das  „Riffeln"  der  Hartgußwtilzen 
und  damit  deren  ununterbrochene  Verwendung  ermöglicht,  anderseits  gelangte 
Herr  Wegjuann  in  der  Maschinenfabrik  Oerlikon  bei  Zürich  dazu,  einen  vor- 
trefflichen Wälzenstuhl  mit  Porzellan  walzen  zu  konstruiren.  Beide  Systeme  sichern 
eine  wenigstens  eben  so  gute  Ausbeute  des  Rohmaterials  und  liefern  zudem  viel 
feineres,  weißeres  und  reineres  Mehl  als  alle  andern  Mahlverfahren.  Anfänglich 
verhielten  sich  die  schweizerischen  Müller  dieser  Neuerung  gegenüber  sehr 
reservirt;  als  aber  einige  größere  Geschäfte  das  neue  System  einführten,  damit 
überraschende  Erfolge  erzielten  und  vermöge  ihrer  bessern  Fabrikate  den  Zurück- 
gebliebenen erdrückende  Konkurrenz  machten,  hieß  es  allerwärts  „mitgehen",  so 
daß  nach  Verfluß  weniger  Jahre  die  wichtige  Wandlung  überall  vollzogen  war. 
Die  schweizerische  Müllerei  steht  damit  technisch  mindestens  auf  der  Höhe  der 
besten  Mühlen  im  Auslande. 

Die  Zahl  der  im  Jahre  1880  bei  der  Müllerei  beschäftigten  Personen,  unter 
denen  sich  662  Ausländer  befanden,  vertheilt  sich  auf  die  Kantone  wie  folgt: 
1614  Bern,  693  Zürich,  658  Waadt,  627  Aargau,  617  St.  Gallen,  506  Luzem, 
465  Freiburg,  436  Tessin,  377  Thurgau,  307  Graubünden,  270  Wallis,  224 
Solothuru,  148  Baselland,  129  Appenzell  A.-Rh.,  116  Genf,  116  Schaffhausen, 
98  Neuenbürg,  74  Baselstadt,  74  Zug,  64  Schwyz,  3.9  Glarus,  14  Obwalden, 
9  Nidwaiden,  9  Uri,   7  Appenzell  I.-Rh. 

Gemäß  Bundesrathsbeschluß  vom  13.  April  1886  sind  alle  Mühlen  mit 
mehr  als  fünf  Arbeitern  unter  das  Bundesgesetz  betreffend  die  Arbeit  in  den 
Fabriken  zu  stellen,  und  gemäß  Bundesrathsbeschluß  vom  2.  September  gleichen 
Jahres  ist  diese  Verordnung  auf  alle  jene  Mühlen  mit  mehr  als  zwei  Arbeitern, 
welche  nicht  ausschließlich  Familienglieder  des  Besitzers  beschäftigen,  auszudehnen. 

In  Ausübung  dieser  Verordnungen  waren  Ende  Juni  1887  130  Mühlen  mit 
867  Arbeitern  und  4757  Pferdekräften  dem  schweizerischen  Fabrikgesetz  unter- 
stellt.   Dieselben  vertheilen  sich  auf  die  einzelnen  Kantone  wie  folgt: 


Mühlen 

Arbeiter 

Pferrtekr.    j 

Mühlea 

Arbeiter 

rfcrdek 

Zürich  . 

.      21 

193 

858      1 

Schaff  hausen 

2 

16 

80 

Bern     . 

.      11 

56 

309      i 

App.  A.-Rh. 

.       6 

43 

172 

Luzem 

8 

46 

230   ; 

St.  Gallen  . 

.     18 

129 

729 

Schwyz 

1 

4 

30     j 

Graubünden 

2 

8 

94 

Glarus  . 

4 

26 

190 

Aargau 

8 

30 

186 

Zug       .      . 

4 

22 

110     1 

1 

Thurgau     . 

9 

44 

345 

Freiburg    . 

1 

7 

30 

Tessin  . 

2 

10 

45 

Solothurn  . 

4 

16 

118 

Waadt .      . 

.     14 

92 

649 

Baselstadt  . 

6 

27 

235 

Neuenburg 

2 

23 

90 

Baselland   . 

2 

12 

80    : 

Genf 

.        5 

63 

177 

Furrer,  Volkswirthschafts-Lexikon  «1er  Schwel/.. 


*i<^ 


Mühlcnbau  —      46G      —  Münzwesen 

3IiililCiibau.  Birkhäu«er'8  Adreßbuch  (Basel,  1885)  gibt  die  Adrcßsen  von 
70  Mühlebauern,  wovon  15  im  Handelsregister  eingetragen.  Dem  sehweiz.  Fabrik- 
gesetz sird  (Ende  Juni  1887)  7  Mühlebauwerkstätten  mit  132  Arbeitern  unter- 
stellt (2  Kt.  Zürich,  2  Kt.  Solothurn,  je  1  Kt.  Bern,  Kt.  Schaffhausen  und 
Kt.  St.  Gallen). 

Mühlsteine  kommen  aus  Steinbrüchen  bei  Mels  (Kt.  St.  Gallen),  bei  Echarlens 
und  Villard-Volard  im  Freiburgischen. 

Mülierg^aze  s.  Beuteltuch. 

3Iüllerrebe,  so  genannt  von  den  weißlichen  Triebspitzen.  Sie  ist  mit  dem 
blauen  Burgunder  verwandt  und  findet  sich  häutig  mit  demselben  vermischt, 
selten  als  reiner  Satz.  Der  Stock  ist  von  mittlerem  Wuchs,  aber  sehr  robust, 
so  daß  er  selten  von  der  Kälte  des  Winters  leidet ;  auch  im  Frühjahr  widerstehen 
die  schon  ausgetriebenen  Schosse  den  Spätfrösten  besser,  als  die  meisten  anderen 
Sorten.  Die  Müller rebe  paßt  daher  sehr  gut  in  niedrige  Lagen,  wo  die  Reben 
oft  von  Frösten  heimgesucht  werden.  Die  Trauben  sind  ziemlich  groß,  reifen 
mittelfrüh  und  liefern  einen  guten  Roth  wein,  der  aber  zumeist  dem  Wein  des 
schwarzen  Burgunders  etwas  nachsteht.  Bei  vollständiger  Reife  hat  der  Wein 
einen  Vanillegeschmack.  Kr. 

Münzwesen.     (Verfasser:  Herr  Edm.  Platel,  eidg.  Münzdirektor.) 

I.   Theil:  Münzwesen  der  Schweiz  vor   1848. 
(Nach  Esdier's  Artikel  in  Max  Wirlh's  Statistik  der  Schweiz.) 

Die  Schweiz  ist  vermöge  ihrer  Größe  und  geographischen  Lage  den  ver- 
schiedenen Wandlungen  der  allgemeinen  Münzverhältuisse  gefolgt,  und  es  haben 
die  angrenzenden  Länder  meist  einen  entscheidenden  Einfluß  auf  die  schweizerischen 
Münzverhältnisse  ausgeübt.  Die  einzelnen  Kantone  sind  je  nach  ihrer  geographischen 
Lage  und  ihren  Verbindungen  öfters  dem  einen  oder  dem  andern  Münzsystem 
von   benachbarten  Staaten  beigetreten. 

Es  ist  indeß  kein  Leichtes,  eine  klare  Uebersicht  über  die  Münzverhältnisse 
der  Schweiz  in  früheren  Zeiten  zu  gewinnen  und  wiederzugeben,  indem,  wie 
später  gezeigt  wird,  jeder  Kanton  nach  Gutdünken  münzte  und  prägte  und  sich 
oft  die  verschiedenartigsten   Einflüsse  geltend  machten. 

Die  ältesten  Münzen,  die,  so  weit  bekannt,  in  der  Schweiz  geprägt  wurden, 
sind  die  sogenannten  merovinf/ischcn  Goldmünzen.  Dieselben  wurden  im  VI.  und 
VII.  Jahrhundert  in  Sitten  und  in  St.  Moritz  im  W^allis,  ferner  in  Genf,  Lausanne, 
Basel  und  Windisch  im  Aargau  geschlagen. 

In  den  folgenden  Jahrhunderten  prägten  deutsche  Kaiser  in  ihren  Münzstätten 
zu  Basel,  Chur  und  Zürich,  auch  burgundische  Könige  in  Basel  und  die  alle- 
mannischen  Herzoge  des  X.  Jahrhunderts  in  Zürich.  Bald  nachher  finden  wir 
aueh  viele  (icUtll'he  Münzherren,  so  die  Bischöfe  von  Basel,  Chur,  Sitten,  Genf, 
Lausanne,   St.  Gallen  und  die  Aebtissin  des  Frauenmünsters  in  Zürich. 

Di(j  Münzgerechtigkeit,  das  heißt  das  Recht,  Münzen  zu  schlagen,  bildete 
schon  seit  Anfang  des  Mittelalters  einen  Theil  des  Hoheitsrechtes  überhaupt  und 
gehörte  im  Deutschen  Reiche  zu  den  Regalien  des  Kaisers,  welches  er  als  Reichs- 
lehcn  nach  und  nach  an  eine  Menge  Fürsten,  Städte  und  sogar  Klöster  verlieh. 
Diese  ersten  schweizerischen  Münzen  geben  keinen  großen  Begriff  von  der  da- 
maligen Münzkunst.  Es  sind  meistens  dünne  Silberplättchen  mit  nur  einseitigem 
Gepräge  und  eckiger,  unregelmäßiger  Form,  sogenannte  Bracieatcn.  Wie  ganz 
anders  waren  die  antiken  römischen  und  griechischen  Münzen  geprägt,  eigentliche 
Denkmäler  jener  Kunst  im  Alterthum. 


Münz  Wesen  —      467      —  Munzwesen 

Gegen  Ende  des  Mittelalter«,  al«  die  einzelnen  Theile  der  Schweiz  sich  faktisch 
vom  Deutschen  Reiche  unabhängig  machten,  und  größere  und  kleinere  Republiken 
bildeten,  entwickelte  sich  das  Münzwesen  in  reichster  Fülle  und  Mannigfaltigkeit. 

Da  gab  es  keinen  Kanton,  der  nicht  sein  souveränes  Münzrecht  ausübte  und 
sein  Standeswappen  auf  die  selbstgeprägten  Münzen  setzte  ^  und  es  entstand  im 
X\'.  und  XVI.  Jahrhundert  eine  erstaunliche  Menge  von  großen  und  kleinen 
Silber-  und  hauptsächlich  Kupfermünzen.  Gold  wurde,  wenn  auch  in  geringer 
Menge,  von  allen  Kantonen,  selbst  den  kleinsten  geprägt.  Daß  unter  solchen 
Umstäntlen  bald  Reibungen  und  Streitigkeiten  entstanden,  ist  selbstverständlich. 
Jeder  Kanlon  suchte  seiner  Münze  so  viel  als  möglich  Geltung  zu  verschaffen, 
und  derjenige,  welcher  zu  einem  höher  gehaltenen  Münzfuß  prägte,  sah  sich  bald 
übervortheilt  durch  diejenigen  Kantone,  die  geringhaltige  Münzen  zum  nämlichen 
Nennwerthe  schlugen.  Es  gab  Zeiten,  in  welchen  Kantone,  um  sich  aus  einer 
momentanen  hnanziellen  Klemme  zu  helfen,  eine  Menge  geringhaltiger  Scheide- 
münzen prägten  und  damit  die  andern  Kantone  überschwemmten.  In  solchen  Fällen 
suchten  sich  dann  letztere  durch  Verbote  und  Außerkurserklärungen  zu  schützen, 
was  aber  neue  Mißhelligkeiten  herbeiführte. 

Indem  wir  nachstehend  die  hauptsächlichsten  Begebenheiten  der  im  Ganzen 
unerquicklichen  schweizerischen  Münzgoschichte  durchgehen,  ersehen  wir,  daß  im 
Jahre  1387  der  erste  eigentliche  schweizerische 

Milnzccrtrnff  (Münzbrief)  zwischen  den  Städten  Basel,  Zürich,  Bern,  Luzern, 
ßurgdorf,  Thun,  Unterscen,  Aarberg,  Laupen  und  Solothurn,  ferner  den  ober- 
rheinischen Städten  Kolmar,  Münster,  Kaisersberg  u.  s.  w.,  zusammen  58  Städte, 
mit  Herzog  Albert  zu  Oesterreich  wegen  der  vielen  zirkulirenden  schlechten 
Pfennige  abgeschlossen  wurde,  wobei  sie  übereinkamen,  „zu  schlagen  ein  Pfund 
für  einen  Gulden  und  für  eine  Mark  Silber  sechs  Pfund  derselben  Münzen  und 
zu  thun  zu  je  einer  Mark  sechs  Loth  Kupfer  und  sollen  schroten  auf  vier  Loth, 
ein  Pfund,  vier  Schilling  und  vier  Pfennige  und  sollen  34  von  diesen  Pfennigen 
sechs  Loth  wägen". 

Auch  wurden  dabei  sehr  strenge  Verordnungen  gegen  die  Falschmünzerei 
erlassen  und  die  Toleranz  der  Münzen  genau  festgesetzt. 

Außer  den  schon  oben  genannten  Bracteaten  sind  in  diesem  Jahrhundert 
hauptsächlich  dicke  Plapparte  und  Fünfer  geprägt  worden.  Laut  obigem  Münz- 
brief wurde  das  Beschroten,  d.  h.  Beschneiden  der  Münzen  mit  dem  Abschlagen 
der  Finger  und  Henken  bestraft;  wer  die  neuen  Pfennige  auslas  und  einschmolz, 
dem  war  Leib  und  Gut  verfallen.  Wer  Silber  oder  gemünztes  Geld  aus  dem 
liande  führte,  dem  wurde  eine  Hand  abgeschlagen. 

Anfangs  des  XV.  Jahrhunderts  vereinigte  sich  Zürich  mit  Schaffhausen  und 
8t.  Gallen  zu  einer  neuen  Münze,  worüber  im  Abschiede  der  Tagsatzung  in  Zürich 
1424  steht,  daß  die  Boten  der  VII  übrigen  alten  Orte  die  Zürcher  ersuchten, 
von  dieser  neuen  Münze  abzustehen  und  mit  ihnen  eine  gemeinsame  Münze  und 
AVährung  anzunehmen.  Allein  Zürich  erwiederte,  daß,  da  sie  gesehen,  wie  die 
schwäbischen  Städte  das  Geld  erlasen,  das  gute  einschmolzen,  das  leichte  dagegen 
\s4eder  in's  Land  schickten,  damit  Alles  aufkauften  und  Theuerung  verursachten, 
so  habe  Zürich  nicht  länger  zuwarten  können  und  sich  mit  obigen  Städten  auf 
fünf  Jahre   verbunden. 

Da  indeß  Zürich  seit  dem  Sempacher  Verkommniß  von  1393  den  Orten 
Luzern,  Bern,  Solothurn,  Zug,  üri,  Schwyz,  LTnterwalden  und  Glarus  zu  nahe 
stand,  um  sich  in  dieser  Hinsicht  zu  isoliren,  so  kam  schon  im  Jahre  1425  mit 
denselben,    mit  Ausnahme  von  Bern,    ein  Münz  vertrag  auf  50  Jahre  zu  Stande, 


enbau  —       4GG      — 

Blülilcnbau.    Birkhäuöcr's  Adreßbuch  (Basel,    1885)  gibt  die  Adresr 
MiihlebauerD,   wovon  15  im  Handelsregister  eingetragen.  Dem  Schweiz, 
setz  sir'd  (Ende  Juni   1887)   7  Mühlebauwerkstätten  mit   132  Arbeitern 
dlt   {'2    Kt.  Zürich,    2    Kt.  Solothurn,    je    1  Kt.   Bern,    Kt.  Schaffhaus 
t.  St.  G-allen). 

Mühlsteine  kommen  aus  Steinbrüchen  bei  Mels  (Kt.  St.  Gallen),  bei  E( 
ind  Villard-Volard  im  Freiburgischeu. 

Müllergaze  s.  Beuteltuch. 

Müllerrebe,  so  genannt  von  den  weißlichen  Triebspitzen.  Sie  ist  n 
blauen  Burgundt^r  verwandt  und  findet  sich  häutig  mit  demselben  vei 
selten  als  reiner  Satz.  Der  Stock  ist  von  mittlerem  Wuchs,  aber  sehr 
so  daß  er  selten  von  der  Kälte  des  Winters  leidet ;  auch  im  Frühjahr  wide 
die  schon  ausgetriebenen  Schosse  den  Spätfrösten  besser,  als  die  meisten  i 
Sorten.  Die  Müllerrebe  paßt  daher  sehr  gut  in  niedrige  Lagen,  wo  die 
oft  von  Frösten  heimgesucht  werden.  Die  Trauben  sind  ziemlich  groß, 
mittelfrüh  und  liefern  einen  guten  Rothwein,  der  aber  zumeist  dem  W 
schwarzen  Burgunders  etwas  nachsteht.  Bei  vollständiger  Reife  hat  dei 
einen  Vanillegeschmack. 

Münzweseii.     (Verfasser :  Herr  Edm.  Platel,  eidg.  Münzdirektor 

I.   Theil:  Münzwesen  der  Schweiz  vor   1848. 
(Nach  Escher's  Artikel  in  Max  Wirth's  Statistik  der  Schweiz.) 

Die  Schweiz  ist  vermöge  ihrer  Größe  und  geographischen  Lage  dt 
schiedenen  Wandlungen  der  allgemeinen  Münzverhältuisse  gefolgt,  und  es 
die  angrenzenden  Länder  meist  einen  entjscheidendeu  Einfluß  auf  die  schweize 
Münzverhältuisse  ausgeübt.  Die  einzelnen  Kantone  sind  je  nach  ihrer  geogray 
Lage  und  ihren  Verbindungen  öfters  dem  einen  oder  dem  andern  Mür 
von  benachbarten  Staaten  beigetreten. 

Es  ist  indeß  kein  Leichtes,  eine  klare  Uebersicht  über  die  Münzve 
der    Schweiz    in    früheren    Zeiten    zu    gewinnen    und  wiedei-zugeben,    in 
später  gezeigt  wird,  jeder  Kanton  nach  Gutdünken  münzte  und  prägte 
oft  die  verschiedenartigstt-n   Einflüsse  geltend  machten. 

Die  ältesten  Münzen,  die,  so  weit  bekannt,  in  der  Schweiz  geprf 
sind  die  sogenannten  merovinr/ischen  Goldmünzeu.    Dieselben  wurden 
VIL  Jahrhundert  in  Sitten  und  in  St.  Moritz  im  Wallis,   ferner  in  Gen 
Basel  und  Windisch  im  Aargau  geschlagen. 

In  den  folgenden  Jahrhunderten  prägten  deutsche  Kaiser  in  ihren 
zu   Basel,    Chur    und    Zürich,    auch    burgundische  Könige   in  Basel 
mannischen  Herzoge    des    X.  Jahrhunderts    in  Zürich.      Bald   nachh 
auch  viele  c/elatliche  Münzherren,   so  die  Bischöfe  von  Basel,  Chur, 
Lausanne,   St.  Gallen  und  die  Aebtissin  des  Frauenniünsters  in  Zu 

Die    Münzgerechtigkeit,    das    heißt  das  Recht,    Münzen  zu  s( 
schon  seit  Anfang  des  Mittelalters  einen   Theil  des  lioheitsr«'chteg 
gehörte  im  Deutschen  Reiche  zu  den  Regalien  des  Kaisers,   welch 
Ichen  nach   und  nach  an   eine   Menge  Fürsten,   Städte   und   sogar 
Diese    ersten    schweizeris^'hen  Münzen    geben    keinen  grüßen  Bef 
maligen  Münzkunst.     Es  sind  meistens  dünne  Silbeipliittclu'n   mi 
Gepräge  und  eckiger,  unregelmäßiger  Form,  sogenannte  BracU 
anders  waren  die  antiken  römischen  und  griechischen  Münzen  g 
Denkmäler  jener  Kunst  im   Alterthuni. 


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Münzweien  —     4  68     —  Münzwesen 

In  diesem  Vertrag  wurde  der  rheinische  Silbergulden  als  Standart  angenommen, 
wobei  sieben  rheinische  Gulden  auf  eine  Mark  Silber  kamen.  Auch  eine  Menge 
anderer,  fremder  Münzen  wurden  darnach  taritirt,  so  die  Mailänder  Plapparte, 
die  böhmischen  Lichtstockplapparte,  die  Mailänder  Fünfer  u.  s.  w. 

Man  kam  tiberein,  daß  Zürich  und  Luzern  mit  ihrer  Städte  Zeichen  im 
Namen  der  Vlll  alten  Orte  prägen  und  ausgeben  sollten:  24  Plapparte  für  einen 
rheinischen  Gulden  halbfeines  Silber  und  sollen  94  Stück  auf  eine  Zürcher  Maik 
und  ein  Plappart  für  15  Stäblerpfennige  genommen  werden,  femer  15  Schilling 
Angsterpfennige  (Antlizer)  üIt  einen  rheinischen  Gulden ;  es  sollen  45  derselben 
auf  ein  Loth  gehen  und  halbfein  Silber  sein.  Kleine  Pfennige  (Stäblerpfennige) 
30  Schilling  Stäblerpfennige  für  einen  rheinischen  Gulden,  nnd  62  auf  ein  Loth 
und  ^/s  Kupfer  enthalten.  In  diesem  Vertrage  wurden  auch  gewerthet  die  Zürcher, 
Berner,  Schafthauser  und  St.  Galler  Plapparte  zu  12  Stäbler[)fennigen.  Und  die 
Angster-  und  Stäbler pfennige,  sowie  die  von  Zürich,  Schatfhausen  und  St.  Gallen 
vorigen  Jahres  mit  einander  auf  ein  Korn  geschlagen,  sollen  auch  in  dieser  Münz- 
währschaft heißen  und  sein.  Es  wurde  auch  die  Mark  Silber  auf  sieben  rheinische 
Gulden  gewerthet. 

Durch  die  Bündnisse  der  Schweizer  mit  den  Nachbarstaaten  veranlaßt  wurden 
nach  und  nach  auch  die  Münzen  von  Mülhausen,  Straßburg  und  Basel  tarifirt. 
Bern  hingegen  hielt  sich  von  diesem  Vertrage  fern,  da  es  seinen  eigenen  Münz- 
fuß besaß,  der  mehr  mit  dem  savovschen  und  burfrundischen  Svsteme  harmonirte. 
Bern  prägte  seine  ersten  ^Batzen"  um  das  Jahr  1498,  vou  dem  darauf  geprägten 
Bären  (Bätz)  also  genannt,  nachdem  die  Eidgenossen  darauf  gedrungen  hatten,  daß 
Bern  die  fernere  Prägung  von  Fünfern  einstelle,  wobei  aber  die  Bemcr  bemerkten, 
daß  sie  nur  mit  Savoyeii,  Bnrgund  und  Frankreich  handeln  und  der  Mangel  an 
Münze  sehr  groß  sei. 

Im  Jahre  1487,  infolge  der  größeren  Anhäufung  der  zirkulirenden  Scheide- 
münzen, wurde  in  Luzern  in  Verbindung  mit  den  übrigen  alten  Orten  eine  neue 
Tarilirung  d(?r  in  der  Eidgenossenschaft  betindlichen  Münzen  vorgenommen  und 
Unterhandluugt-n  mit  Bern,  Freiburg  und  Solothurn  angeknüpft,  um  dieselben 
zu  g(?meinschaftlichem  weitem  A'orgehen  zu  bewegen,  jedoch  umsonst.  Die  VI 
Orte  Zürich,  Luzern,  Uri,  Schwyz,  Zug  und  Glarus  nahmen  die  definitive  Münz- 
werthung  auf  zehn  Jahre  an. 

Es  wurde  festgesetzt:  1  rheinischer  Gulden  gleich  2  Pfund  Heller,  1  guter 
Dukaten  gleich   5:5   Schillinge  und   4   Heller  u.  s.  w. 

Diese  Maßregel  scheint  iiideß  keine  guten  Frücbte  getragen  zu  haben,  denn 
während  einer  Reihe  von  Jahren  war  das  beständige  Traktandum  auf  den  Tag- 
satzungen, jeder  Bote  solle  heimbringen  und  berathschlagen.  wie  man  sich  der 
Münze  wegen  vereinigen  könne.  Auch  bot  die  Tarifirung  jeder  neuen  3[ünze,  die 
in's   Land  kam,  neue  Schwierigkeiten  dar. 

Im  Jahre  1503,  da  wegen  des  ungleichen  Gehaltes  der  schweizerischen 
Münzi^n  viel  Verwirrung  im  Verkehr  herrschte,  auch  Zürich  bei  seinen  Frei- 
heiten nnd  seinem  Münzfuße  bleiben  wollte,  wurde  auf  dem  Tage  zu  Luzern 
beschlossen,  daß  Zürich  und  Basel  alle  in  der  Scnweiz  kursirenden  Gold-  nnd 
Silbermünzen   ihrem   eigentlichen   Gehalte  nach   untersuchen  sollen. 

Im  Jahre  1500  beschloß  die  Tagsatzimg,  alle  Jahre  einen  Münztag  abzuhalten, 
um  sieh  über  <len  Gehalt  der  3Iünzen  je  nach  dem  Steigen  und  Fallen  der  Silber- 
preise zu  verständigen,  einstweilen  soll  man  das  Prägen  überhaupt  einstellen,  da 
di<*  Verwirrung  im  Münzwesen  son>t  immer  größer  werde.  Es  kam  sogar  so 
W(?it,   daß  einige  Orte  förmlich  aufgefordert  wurden,  kein  Silber  mehr  anzukaufen, 


Münzwes?€n  —      469     —  Miinzwesen 

indem  der  Kaiser  1573  sich  über  die  schlechten  schweizerischen  Münzen  beklagte. 
Die  Folge  davon  war,  daß  1586  eine  große  Münzkonferenz  in  Konstanz  zwischen 
den  Käthen  der  fränkischen,  bayrischen  nud  schwäbischen  Elreise  mit  Erzherzog 
Ferdinand  und  mit  den  Gesandten  der  Eidgenossenschaft  abgehalten  wurde,  ohne 
jedoch  bedeutende  Resultate  zu  erzielen. 

Am  auffallendsten  zeigte  sich  die  Erscheinung  der  damaligen  allgemeinen 
Münzverschlechterung  zur  Zeit  des  westphälischen  Friedens,  wo  die,  während  des 
dreißigjährigen  Krieges  in  Menge  geprägten  geringhaltigen  Münzen  plötzlich  in 
Folge  des  nachherigen  Sinkens  der  Silberpreise  heruntergesetzt  werden  mußten. 
So  setzte  Bern  1652  nicht  nur  seine  eigenen  Batzen  auf  die  Hälfte  herunter,  sondern 
tariürte  auch  die  Freiburger  und  Solothurner  Batzen  auf  3  Kreuzer.  Luzern  und 
die  IV  alten  Orte  Uri,  Schwyz,  Unterwaiden  und  Zug  folgten  nach.  Wirklich 
zahlte  man  während  des  Krieges  für  einen  neuen  Thaler  in  Silber  nicht  weniger 
als  50  Batzen  Scheidemünze. 

Diese  Maßregel  erregte  ungeheuren  Unwillen  im  Volke  und  war  Mitursache 
des  darauffolgenden  sog.  Bauernkrieges.  In  der  revolutionären  Bundesversammlung 
in  Huttwyl  1653  wurde  vom  Volke  das  Begehren  gestellt,  es  möchte  in  Hin- 
sicht auf  die  Münze  Gleichheit  in  allen  Kantonen  eingeführt  und  dadurch  die 
Möglichkeit  gegenseitigen  Verkehrs  wieder  hergestellt  werden;  auch  sollte,  wenn 
die  Münzen  zu  leicht  seien,  durch  die  Obrigkeit,  von  welcher  die  Münze  aus- 
gegeben worden,  nach  der  Probe  das  Mangelhafte  vergütet  werden,  indem  die 
A'erbüudeten  sonst  entschlossen  seien,  uuter  einander  die  Münzen  nach  bisherigem 
Werthe  zu  nehmen  und  die  Obrigkeit,  sofern  sie  die  Münze  in  solcher  Weise  nicht 
annehmen  wolle,  mit  Waaren  zu  bezahlen. 

Noch  im  nämlichen  Jahre  hielten  Zürich,  Luzern,  Schwyz,  Unterwaiden  und 
Zug  eine  Münzkonferenz,  bei  welchem  Anlasse  beschlossen  wurde,  Bern  anzu- 
halten, seine  un währschaft  gemünzten  Batzen  einzulösen  und  die  übrigen  Orte 
gemahnt  wurden,  auf  die  „ Eigenmünzler  und  Verwechsler  des  Gelds**  fleißig 
Aufsicht  zu  halten.  Es  wurde  nämlich  entdeckt,  daß  der  Berner,  Solothurner 
und  Freiburger  Stempel  außer  der  Eidgenossenschaft  mißbraucht  und  dadurch  eine 
Menge  falscher  Münzen  in  Kurs  gesetzt  wurde.  So  sollen  durch  eine  Falsch- 
münzerbande in  Italien  ganze  Fässer  voll  falscher  Bernbatzen  über  den  Gotthard 
in  die  Schweiz  eingeschmuggelt  worden  sein. 

Sichrere  Kantone  scheinen  indessen  mit  dem  Prägen  geringhaltiger  Scheide- 
münzen fortgefahren  zu  haben,  indem  sich  im  Jahre  1658  Abt  und  Stadt  St.  Gallen 
und  Appenzell  über  die  ausgemünzten  neuen  Zürcher  Schillinge,  Schaff'hauser 
Batzen  und  A'ierbätzler  beschweren  und  ebenso  Luzern  seine  Mitstände  vor  den 
Berner,  Schatl'hauser  und  Baserschen  neuen  Münzen  warnt.  Auf  der  Tagsatzung 
1668  beschlossen  die  Stände,  die  Zürcher'sche  Silberprobe  einzuführen,  nämlich 
13^2  Loth  auf  die  Mark  und  2\/2  Loth  Kupferzusatz  (843^/4  Milliemes)  für  die 
Silbermünzen. 

Einen  neuen  Zwist  verursachte  1673  die  Maßregel  von  Luzern,  die  neu  ge- 
prägten Oertli  (7^  Gulden)  von  Schwyz  nicht  anzunehmen.  Schwyz  dagegen 
verbot  seinen  Angehörigen  den  Besuch  des  Marktes  in  Luzern,  was  natürlich 
ebenfalls  böses  Blut  machte  und  zur  Folge  hatte,  daß  durch  unparteiische  Münz- 
meister eine  Untersuchung  veranstaltet  wurde,  die  darthat,  daß  kein  erheblicher 
Unterschied  zwischen  diesen  und  den  andern  Münzen  bestand. 

Im  Jahre  1757  hielten  die  Stände  Zürich,  Bern,  Luzern  und  Solothurn  eine 
Münzkonferenz  in  Baden,  wo  neuerdings  betont  wurde,  daß  die  Zerrüttung  des 
eidg.  Münzwesens    in    der    Ueberschwemmung    des   Landes    mit    unprobehaltigen 


Münzwesen  —      470     —  Münzwesen 

Münzen  liege,  so  daß  Gold-  und  Silbersorteji  im  Preise  sehr  gestiegen  und  fast 
aus  dem  Verkehre  verschwunden  seien.  Um  diese  Zeit  vermehrten  sich  noch  die 
geringhaltigen  Münzen  durch  diejenigen  von  Montfort  und  Haldenstein.  Auch  dies- 
mal konnte  man  sich  auf  keinen  gemeinsamen  Münzfuß  einigen,  indem  Zürich 
nach  Reichsgulden,  wobei  die  Mark  Silber  fein  auf  21  Gulden  und  45  Kreuzer 
gesetzt  wurde,  Bern  hingegen  nach  Kronen,  Batzen  und  Kreuzern,  wobei  die 
Mark  fein  Silber  14  Kronen  und  15  Batzen,  rechnen  wollte.  Hingegen  wurden 
die  Grenzorte  ersucht,  die  Masse  geringhaltiger  Reichsmünzen,  die  um  diese  Zeit 
in  die  Schweiz  eindrangen,  nicht  in  das  Innere  der  Eidgenossenschaft  zu  werfen^ 
im  Falle  sie  dieselben  überhaupt  nicht  ganz  von  der  Hand  weisen  könnten. 

Nach  jährlich  wieder  erneuten  Versuchen  zu  einer  gemeinsamen  Münze  kam 
man  endlich  auf  der  Tagsatzung  von  1760  überein:  1)  daß  jeder  Ort,  der  eine» 
Standes  neu  geprägte  oder  sonst  tolerirte  Münze  verrufen  oder  herabsetzen  wolle, 
dies  zwei  Monate  vorher  den  übrigen  Ständen  anzeige ;  2)  daß,  wenn  ein  Ort 
Münzen  schlagen  wolle,  er  gehalten  sein  soll,  den  übrigen  Orten  vorher  von 
Schrot  und  Korn  derselben  Kenntniß  zu  geben. 

Diese  zwei  Beschlüsse  hatten  ihre  guten  Folgen  und  schon  zwei  Jahre  später 
scheinen  die  geringhaltigen  Reichsmünzen  sich  bedeutend  vermindert  zu  haben. 

Nach  diesem  kurzen  Rückblick  auf  die  ältere  schweizerische  Münzgeschichte 
knüpfen  wir  an  das  Jahr  1798  an,  in  welchem  im  Frühling  sämmtliche  Kantone 
zu  einer  einzigen  untheilbaren  helvetischen  Republik  verschmolzen  wurden  und 
womit  auch  das  Münzrecht  an  den  neu  gebildeten  Zentralstaat  abgegeben  wurde. 

Die  gesetzgebenden  Räthe  beschlossen  am  25.  Juni  und  10.  Dezember,  daß 
die  helvetischen  Münzen  zu  40,  10,  5  und  1  Batzen,  zu  2  und  1  Kreuzer  einst- 
weilen genau  nach  dem  bernischen  Münzfuße  ausgeprägt  werden  sollen.  Dabei 
wurde  der  Schweizerfranken  gleich  Y37  Mark  feines  Silber  als  Münzeinheit  auf- 
gestellt, er  theilte  sich  in  10  Batzen  und  der  Batzen  in  10  Rappen,  ^Das  Gold 
unter  helvetischem  Gepräge  soll  zu  21^^/32  Karat  fein  (903/1000)  ausgemünzt 
werden." 

Die  helvetische  Regierung  schien  aber  dieses  Münzregal  nur  ausgeübt  zu 
haben,  um  sich  durch  die  Ausprägung  von  ungetahr  einer  halben  Million  gering- 
haltiger Scheidemünze  Gewinn  zu  verschatfen. 

Durch  die  Mediationsverfassung  von  1803  ging  das  Münzrecht  an  die  wieder 
souverän  gewordenen  Kantone  zurück,  die  dasselbe  dann  wieder,  wie  in  früheren 
Zeiten,  und  ohne  Rücksicht  auf  die  Vorschriften  der  Tagsatzung,  in  vollem  Maße 
ausübten.  Gemäß  Artikel  7  dieser  Verfassung  nämlich  sollten  alle  Münzen  nach 
einem  von  der  Tagsatzung  zu  bestimmenden  gleichfcirmigen  Gehalte  geprägt  werden» 
allein  mit  Befolgung  von  Schrot  und  Korn  haperte  es  gewaltig.  Daher  denn  auch 
der  Druck  dieser,  außer  allem  Verhältnisse  zum  Bedarf,  in  die  Zirkulation  ge- 
worfenen Scheidemünze  sich  bald  sehr  fühlbar  machte  und  sich  von  1800  an 
jährlich  Klagen  darüber  an  der  Tagsatzung  erhoben.  Von  1803  bis  1811  wurde 
für  mehr  als  zwei  Millionen  Scheidemünze  ausgeprägt,  so  prägte  Zürich  Acht- 
und  A^ier- Batzenstücke,  Glarus  Stücke  zu  15,  3  und  1  Schilling,  Uri  und  Schwj'z 
Vier-  und  Zweibätzier,   Basel  Dreibätzlcr,  St.  Gallen  Sechskreuzerstücke  u.  s.  w. 

Die  Tagsatzung  aber  war,  so  wenig  als  in  früheren  Zeiten,  nach  ihrer  poli- 
tischen Bedtiutung  im  Stande,  dem  üebel  zu  steuern,  und  einzelne  Kantone, 
namentlich  die  östlichen,  wollten  nicht  einmal  dazu  Hand  bieten,  das  übermäßige 
Scheideniünzen-Ausprägen  einzustellen.  So  darf  man  annehmen,  daß  Anfangs  der 
Zwanziger  Jahre  bei  872  Millionen  Schweizerfranken    in  Scheidemünzen    in    der 


Munzwesen  —     471      —  Münzwesen 

• 

Schweiz  zirkulirten,  wovon  zwei  Dritttheile  aus  den  geringsten  Sorten  bestanden. 
Im  Jahre  1819  ward  eine  Kommission  aufgestellt,  welche  die  gröbsten  Mißstände 
neuerdings  nachwies  und  es  wurden  keine  Anstrengungen  gescheut,  um  der  noch 
fortdauernden  Scheideratinzfabrikation  Einhalt  zu  thun.  Im  Jahre  1824  gelang  es 
endlich,  ein  Verkommniß  zwischen  sechszehn  Ständen  zu  Stande  zu  bringen,  näm- 
lich :  Zürich,  Bern,  Luzern,  Uri,  Schwyz,  Unterwaiden,  Zug,  Freiburg,  Solothurn, 
Basel,  Schaff  hausen.  Appenzell,  Aargau,  Waadt,  Wallis  und  Neuenburg,  die  sich 
entschlossen,  während  zwanzig  Jahren  die  Prägung  von  Scheilemünze  einzustellen. 
Thurgau  trat  jenem  Vertrage  nachträglich  bei,  während  Glarus,  Graubünden, 
Tessin,  Genf  und  St.  Gallen  bei  ihrer  Weigerung  beharrten. 

Allein  schon  im  Jahre  1825  sah  man  ein,  daß  mit  dieser  Maßregel  dem 
Uebel  nicht  genügend  abgeholfen  war,  und  besonders  waren  es  die  helvetischen 
Scheidemünzen,  die  Niemand  annehmen  wollte.  So  ward  ein  Münzkonkordat 
errichtet  zwischen  den  Ständen  Bern,  Freiburg,  Solothurn,  Ba«el,  Aargau  und 
Waadt,  welche  sich  verpflichteten,  gemeinschaftlich  zur  Einziehung  des  einen 
Jeden  unt(*r  ihnen  treffenden  skalamäßigen  Antheils  der  helvetischen  und  über- 
dies einer  halben  Million  eigener  Scheidemünze  zu  schreiten.  Der  normale  Scheide- 
münzbedarf wurde  zu  5  Franken  per  Kopf  der  Bevölkerung  angenommen  und 
so  ergab  sich  ein  Uebermaß  von  Fr.  1*600,000,  wovon  wirklich  Fr.  500,000 
eingezogen  wurden.  Die  in  Zirkulation  bleibenden  Scheidemünzen  der  konkor- 
direnden  Kantone  wollte  man  auf  dem  Wege  kalter  ümprägung  mit  dem  gemein- 
schaftlichen Konkordatßstempel  versehen,  was  aber  nicht  vollständig  ausgeführt 
wurde. 

Endlich  im  Jahre  1828  faßte  die  Tagsatzung  den  für  die  damaligen  Ver- 
hältnisse wirklich  großartigen  Beschluß,  daß  die  bereits  im  Jahre  1819  grund- 
sätzlich beschlossene  Einziehung  und  Vernichtung  der  helvetischen. Scheidemünzen 
auszuführen  sei,  und  der  Tagsatzung  von  1830  wurde  die  Liquidationsrechnung 
vorgelegt. 

Die  Ausprägung  hatte  470,000  Fr.  betragen.  Eingelöst  wurden  für  den 
Nennwerth  von  Fr.  464,758.  50.  Der  realisirte  Metallwerth  betrug  Fr.  328,770. 45, 
also  Verlust,  der  nach  der  Geldskala  unter  die  Kantone  vertheilt  wurde,  Fran- 
ken  135,988.  05. 

Mit  diesem  Werke  war  nun  wenigstens  die  Last  des  Scheidemünzübermaßes 
erleichtert;  man  kann  füglich  annehmen,  daß  in  den  Jahren  1820  bis  1825  eine 
Masse  von  zirka  6  Millionen  Franken  oder  3  Schweizerfranken  per  Kopf  der 
Bevölkerung  zirkulirte. 

Bei  der  Bundesverfassungsrevision  im  Jahre  1832  endlich  wurde  das  Prinzip 
der  Zentralisation  des  Münzwesens  ausgesprochen.  Als  Münzeinheit  sollte  der 
Schweizerfranken  zu  121  Gramm  fein  Silber  dienen.  Bekanntlich  trat  aber  diese 
Bundesverfassung  nie  in's  Leben.  Später  wurde  zwar  diese  Angelegenheit  wieder 
aufgenommen,  allein  eine  im  Jahre  1834  aufgestellte  Münzkommission,  wenigstens 
deren  Minderheit,  behauptete;  „Nicht  in  der  ünvollkommenheit  des  Vorschlages 
liege  das  Hinderniß  gegen  dessen  Ausführung,  sondern  in  der  Hinneigung  der 
westlichen  Kantone  zum  französischen  Münzfuße.  Es  stehe  indeß  nicht  zu  erwarten, 
daß  die  Östlichen  Kantone  das  ihnen  in  Werthung  und  Benennung  fremde,  den 
Verkehr  mit  Deutschland  erschwerende  französische  S3^stem  annehmen  werden. 
Eher  möchte  ein  Doppelsystem  sich  ausbilden,  wenn  nicht  das  überwiegende  Ge- 
fühl der  Nationalität  alle  Kantone  in  dem  empfohlenen  Frankensystem  vereinige.** 

Im  Jahre  1836  berief  der  Vorort  Bern  wieder  eine  Expertenkommission, 
ebenso  Luzern  1837,   allein  immer  noch  ohne  thatsächlichen  Erfolg. 


Münz  Wesen  —     472     —  Münzwesen 

Die  Münzfrage  verschwaml  aber  dessenungeachtet  nicht  von  den  Traktanden 
und  in  Luzern  fand  schon  im  folgenden  Jahre  1838  wieder  eine  Konferenz  statt, 
wobei  sich  zeigte,  daß  in  der  Zwischenzeit  die  Anhänger  des  französischen  Münz- 
fußes hieb  vennehrt  hatten.  Es  waren  dies  die  Stände  Bern,  Luzern,  Frei  bürg, 
Solothurn,  Basel,  Aargau,  Waadt,  Wallis  und  Genf.  Bei  dieser  Konferenz  wurde 
das  französische  MUnzgesetz  als  Grundlage  angenommen  und  bei  einer  neuen  Kon- 
ferenz 1839,  die  in  Zürich  stattfand,  durften  elf  Stände,  mit  über  l'50t),000 
Seelen  Bevölkerung,  als  diesem  Münzsystem  gewonnen  betrachtet  werden.  Der 
daherige  Gesetzentwurf  enthielt  folgende  Hauptbestimmungen : 

Münzeinheit:  der  Franken  zu  5  Grammen  Silber,  ^/lo  fein,  theilbar  in 
100  Centimes.  Errichtung  gemeinsamer  Münzstätten.  Prägung  von  Goldmünzen 
zu  40,  20  und  10  Franken.  Prägung  von  Silbermünzen  zu  5,  2,  1  und  Y2 
Franken.  Billonmünzen  zu  25,  10  und  5  Centimen.  Kupfermünzen  zu  2  und  1 
Centimen.  Der  relative  Werth  zwischen  Silber  und  Gold  wurde  gleich  dem  fran- 
zösischen Gesetze  wie  15  72  zu  1  festgesetzt  und  die  meisten  übrigen  Bestim- 
mungen waren  ebenfalls  die  nämlichen,  wie  beim  französischen  Münzgesetze  vom 
28.  März   180:^. 

Zur  Verwirklichung  gelangte  dieses  Projekt  ebensowenig,  als  seine  Vorgänger, 
und  bis  im  Jahre   1m48  kam  dieser  Gegenstand  nicht  mehr  zur  Sprache. 

Ordnung  und  Uebereinstinimung  in  dieses  seit  Jahren  sich  hinschleppende 
Verhältniß   zu  bringen,    war  erst  der  kommenden  Bundesverfassung  vorbehalten. 

II.   Theil:  Münzwesen  von   1848   bis   1854. 
(Erstes  eidg.  Münzgesetz.    Durchgreifende  Münzreform.) 

Nachdem  im  Jahre  1848  eine  neue  Bundesverfassung  in  Kraft  erwachsen 
war,  und  als  die  daraus  hervorgegangenen  neuen  Behörden  zur  Verwirklichung 
neuer  Einrichtungen  auf  dem  materiellen  Gebiete  schritten,  mußte  nothwendiger- 
weise  der  ungeregelte  Zustand  des  Münzwesens  als  erster  Stein  des  Anstoßes  im 
Wege  sicli  z(?igon.  Bei  der  Ansarbeitung  von  Zoll-  und  Posttarifen  bildete  die 
Verscliiedenartigkeit  der  Währungen  kein  geringes  Hiuderniß,  das  man  freilich 
umging,  aber  nicht  beseitigte.  Die  Ungleichheit  der  in  den  verschiedenen  Theilen 
der  Schw«'iz  kursirenden  Münzsorteu  oder  die  Abweichung  in  den  Werthungen 
derselben  drohte  für  die  zu  errichtenden  eidgenössischen  Kassen  zu  einem  gefähr- 
lichen Elenu*nte  der  Verwirrung  sich  zu  gestalten,  sowie  dadurch  auch  der  Grund- 
satz der  Gleichtormigkeit  der  Besteuerung  verletzt  wurde.  Es  sah  sich  daher 
die  neue  Bundesversammlung  genöthigt,  am  *M),  Juni  1849  eine  provisorische 
Münzverfügung  zu  erlassen,  laut  welcher  bis  zur  Einführung  eines  allgemeinen 
schweizerischen  Münzfußes  die  eidgenössischen  Kassen  sich  nach  den  bestehenden 
ges(!tzlichen  Währungen  der  betreffenden  Kantone  zu  richten  hatten.  Zugleich 
be^c'lilol.)  sie  aber,  daß  bis  zum  nächsten  Zusammentritt  der  Bundesversammlung 
der  Bundesrath  geeignete  Anträge  über  die  Einführung  eines  allgemeinen  schwei- 
zerischen Münzfußes  an  die  Bundesversammlung  zu  bringen  habe. 

Die  absolute  Xothwendigkeit  einer  Münzreform  war  demnach  allgemein  an- 
erkannt: auch  konnte  bei  der  Auswahl  des  Münzsvstems  nicht  wohl  von  einem 
ganz  neuen,  bcjsonderen  Systeme  die  Rede  sein.  Es  wurde  als  unbestrittener 
Grundsatz  angenommen,  daß  die  Schweiz  in  ihren  Münzeinrichtungen  sich  ihren 
Nachbarn  anpassen  müsse  und  der  Hauptstreit  beschränkte  sich  hauptsächlich 
darauf,  ob  die  Schweiz  den  süddeutsclien  oder  aber  den  französischen  Münzfuß 
zu   dem  ihrigen  machen  solle. 

Nach  einer  sehr  eiuläßlichen  und  interessanten  Begutachtung  durch  den  aus- 


Münzwesen  —     473     —  Münzwesen 

gezeichneten  Münzexperten  Herrn  Bankdirektor  Speiser  und  -nach  gründlicher 
Berathung  durch  die  beiden  Käthe  nahm  die  Bundesversammlung  das  eidgenös- 
sische Münzgesetz  vom  7.  Mai  1850  an,  nach  welchem  der  französische  Münzfuß 
für  die  Zukunft  auch  den  Münzfuß  für  die  ganze  Schweiz  bildete. 

Dieses  Münzgesetz  ist  seit  seinem  Erlaß  mehrmals  abgeändert  und  ergänzt 
worden,  zum  Theil  jedoch  noch  in  Kraft  bestehend.  Der  ursprüngliche  Wortlaut 
desselben  ist  folgender  (der  gegenwärtig,  nach  allen  Abänderungen,  gültige  Wort- 
laut bit  am  Schlüsse  des  Artikels  mitgetheilt) : 

Art.  1.  Fiint'  Grammen  Silber,  neun  Zehntheile  (%o)*)  fein,  machen  die  schweize- 
rische Münzeinheit  aus.  unter  dem  Namen  Franken. 

Art.  2.    Der  Franken  theilt  sich  in  hundert  (100)  Kappen  (Gentimes). 
Art.  3.    Die  schweizerischen  Münzsorten  sind: 

a.  In  Silber:  Das  Fünffninkenstück,  das  Zweifrankeustück,  das  Ein  frankenstück,  das 
Halbfrankenstück. 

b.  In  Bülon:  Das  Zwanzigrapj>enstück,  das  Zehnrappenstück,  das  Fünfrappenslück. 

c.  In  Kupfer:  Das  Zweirappenstück,  das  Rappenstück. 

Art.  4.  Die  Silbersorten  enthalten  den  Feingehalt  der  Münzeinheit  und  so  viel  Mal 
das  Gewicht  derselben,  als  ihr  Xennwerth  es  ausspricht. 

Das  Zwanzigrappenstück  wird  ausgeprägt  im  Gewicht  von  3V*  Grammen  und  ent- 
hält ^^Viooo  fein  Silber. 

Das  Zehnrappenstück  wiegt  S'/s  Grammen  und  enthält  ^''V'o^  f^in  Silber. 

Das  Fünfrappenslück  wiegt  IV«  Grammen  und  enthält  "^^/low  lein  Silber. 

Der  Zusatz  der  Billonsorten  soll  in  Kupfer,  Nickel  und  Zink  bestehen. 

Die  Kupfersorten  sollen  aus  Kupfer,  mit  Zusatz  von  Zinn  bestehen. 

Das  Zweirappenstück  wiegt  2V^  Grammen;  das  Eiiirappenslück  wiegt  V,i  Grammen. 

Art.  i\  Die  erlaubte  Fehlergrenze  im  Feingehalte  der  schweizerischen  Münzen  ist 
festgesetzt:  für  die  sämintlichen  Silbermünzen  auf  zwei  Tausendlheile  (*  looo)  nach  Innen 
und  nach  Außen,  d.  h.  an  Minder-  oder  Mehrgehalt. 

Für  die  Billonmünzen  auf  sieben  Tausendtheile  ("/»o'^o)  nach  Innen  und  nach  Außen. 

Vorkommende  Abweichungen  nach  Innen  sollen  stets  durch  ent*<prechende  Ab- 
weichungen nach  Außen  wieder  ausgeglichen  werden. 

Art.  G.  Die  erlaubte  Fehlergrenze  im  Gewicht  nach  Innen  und  nach  Außen,  d.  h. 
an  Minder-  oder  Mehrgewicht  ist  festgesetzt : 

a.  Bei  den  Silbersorten:  Für  das  Fünffrankenstück  auf  drei  Tausendtheile  ('/looo) ; 
für  das  Zweifrankenstück  auf  fünf  Tausendtheile  (V»(»oo);  für  das  Einfrankenstück 
auf  fünf  Tausendtheile  (Viuoo);  für  das  Halbfrankenstück  auf  sieben  Tausendtheile 
(V>ooo)  ; 

b.  Bei  den  Billmisorten :  Für  d;is  Zwanzigrappenstück  auf  zwölf  Tausendtheile  (*7^ooo); 
für  das  Zehnrappenstück  auf  fünfzehn  Tausendtheile  ('Viooo);  für  das  Fünfrappen- 
stück auf  achtzehn  Tausendtheüe  {^*^j\(^oq)', 

c.  Bei  den  Kupfersorten:  Für  das  Ein-  und  Zweirappenslück  auf  fünfzehn  Tausend- 
lheile  CVlOfK)}. 

Bei  den  Silber-  und  Billonsoilen  ist  die  Abweichung  nur  auf  dem  einzelnen  Stück 
gestattet:  bei  den  Kupfersorten  gilt  dieselbe  für  je  zehn  Franken  an  Nennwcrth  oder 
tausend  Grammen  an  Gewiclit. 

Alle  Abweichungen  nach  Innen  sollen  durch  entsprechende  Abweichungen  nach 
Außen  wieder  gut  gemacht  werden. 

Art.  7.  Der  Durchmesser  der  Silbersorteii  soll  mit  demjenigen  der  entsprechenden 
französischen  Sorten  übereinstimmen. 

Art.  8.  Niemand  ist  gehalten,  andere  Münzen  anzunehmen,  mit  Ausnahme  solcher 
Silbersorten,  die  in  genauer  Uebereinstimnmng  mit  dem  durch  das  gegenwärtige  Gesetz 
aufgestellten  Münzsysteui  geprägt  und,  nach  vorheriger  Untersuchung,  vom  Bundesrath 
als  diesen  Bedingungen  entsprechende  Zahlungsmittel  anerkannt  sind. 

Bezüglich  der  Geldverträge,  die  vor  Inkrafttretung  dieses  Gesetzes  abgeschlossen 
worden,  sollen  die  Kantone  noch  im  Laufe  des  Jahres  1S50  den  Reduktionsfuß  für  die 
Umwandlung  theils  der  in  jenen  Verträgen  enthaltenen  Währungen,  theils  der  in  den- 


*)  Im  Jahre  1800  auf  "^/lo,  durch  die  lateinischen  Münzkonventionen  von  1865  und 
1886  auf  '^'V»'>oo  abgeändert. 


Mönzwesen  —      474      —  Hünzwesen 

selben  au.s«chlieC»licb  einbedunperien.  in  Fol^  die<e<  (resetzes  eingeschmolzenen  Münz- 
Sorten  in  die  neue  Währung  unter  Genehmigung  des  Bundesrathes  feststellen  und  die 
Anfertigung  von  angemei?senen  Heduktion>tabellen  anordnen. 

Verträge,  die  nach  InkralUretun;.'  die-es  Ge?*tze?  in  bestimmten  fremden  Mänz- 
>orten  oder  Währungen  abger^hk^st-n  wt^rden.  «ind  ihrem  Wortlaute  nach  zu  halten. 
Jedoch  dürfen  I»hnTerträge  nur  auf  den  gesetzlichen  Miinzfuü  abgeschlossen,  und 
Löhnungen  nur  in  gesetzlichen  Münzi«orten  ausbezahlt  werden. 

Art.  9.  Den  «'.ffent liehen  K.is.-en  der  Eidgenossens<hafl  ist  es  untersagt,  andere  al= 
gesetzliche  Münz-r^jrten  an  Zahlun;.'  zu  nehmen.  Nur  in  aulierordenllichen  Zeiten,  wo  in 
Folge  eine^  hohen  Wech.selkur^es  Mangel  an  gesetzlichen  Münzen  eintreten  könnte,  sollen 
dierfe  Ka--en  ermächti;rt  sein,  andere  .Münzsorten  anzunehmen.  Zu  dem  Ende  hat  «1er 
Bundesrath,  s^jbald  und  für  <o  lange  al-  der  dem  französischen  MünzfuÜ  entsprechende 
We<hseikurs  ein  halljes  Prozent  und  mehr  über  dem  Silberpari  steht,  für  die  in  anderer 
als  der  gesetzlichen  Währung  geprägten  Münzsorten  einen  ihrem  Gehalle  entsprechenden 
Tarif  aufzustellen,  womarh  sie  bei  den  öffentlichen  Kassen  der  Eidgenossenschaft  an- 
zunehmen smd. 

Art.  10.  Es  >(A\  Niemrind  gehalten  sein,  mehr  als  zwanzig  Franken  an  Werth  in 
Silber-orten  unter  dem  Einfranken^tück.  mehr  als  zwanzig  Franken  an  Werth  in  Billon- 
unil  mehr  als  zwei  Franken  an  Werth  in  Kupfermünzen  als  Z^ihlung  anzunehmen, 
welches  auch  der  Betrag  der  Zahlung  sein  mag. 

Art.  11.  Der  Bundesrath  bezeichnet  in  je^lem  Kanton  diejenigen  Kassen,  «lenen  die 
Verpflichtung  obliegt,  jeweilen  schweizerische  Billon-  und  Kupfermünzen  einzuwechseln, 
jedoch  nirht  in  Beträgen  unter  lünfzi^r  Franken. 

Art.  \'2.  Die  Bundesversammlung  >etzt  jeweilen  die  Summen  und  die  Sorten  der 
stattzulindenden  Ausprägungen  fest. 

Art.  13.  Die  abgenutzten  Schweizermünzstürke  sollen  eingezogen,  eingeschmolzen 
und  dun-lj  neue  ersetzt  werden.  Di«.-  daherigen  Kosten  sin«l  jeweilen  in  das  Ausgaben- 
budget aufzunehmen. 

GleichzeitifcT  wurde  nun  auch  das  Gesetz  für  die  Ausfuhrung  dieser  MUnz- 
reform  erlasben,   dessen   Hauptbestin)niungen  folgende  sind: 

Die  vorzunehmende  Befonii  s«)ll  durch  «len  Bundesrath  bewerkstelligt  werden.  Der 
sich  ergebende  Verlust  auf  den  einzuschmelzemlen  Kantonalmünzen  lallt  den  Kantonen 
zur  l^isf,  un«l  zwar  je«Iem  für  diejenigen  Münzen,  die  unter  seinem  Stemi>el  geprägt 
wr»rden  sind. 

Der  G*fwinn,  welchen  die  neu«jn  Prägungen  nach  Abzug  aller  und  je«ler  Unkosten 
herausstellen  wenlen.  soll  unter  die  sämmtliclien  Kantone  vertheilt  werden,  nach  dem 
Maßstabe  der  eidgenössischen  Geldskala  von  iK^S. 

Es  s«>llen  nachfolgende  Summen  und  Sorten  neuer  schweizerischer  Münzen  nach 
Vorschrift  «les  neuen  Münzgesetze*^  ausgeprägt  und  in  rmlauf  gesetzt  werden: 

Silbersorten  :          5(X),00<)  Stück  ä  Fünffranken Fr.  ä'500,00() 

75().()(XJ  ,  .  Zweifranken r500,CMX) 

2'r/J<),(XX)  -  ,  Einfranken 2'50O,000 

ii'(K)(),(XK)  ,  ,  f laibfranken rOOO.OOO 

Billonsorten :      1()'0()0/KK)  .  .  Zwanzigrappen 2't)CK),0(K> 

12'5(H),(HK)  ,  „  Zehnrappen 1*250,000 

20'0(X),(XM)  ,  ,  Fünfrappen r(XX)000 

Kuptersorlen:    ircXJiMMJO  ,  ,  Zweirappen 220,000 

:nKX),(XX)  -  ,  Einrappen 3o,000 

(>2'250,(KX)  Stück  im  Ncnnwerth  von Fr.  12'000,00() 

Die  sämmtlichen,  gegenwärtig  vorhandenen  und  in  l'ndauf  l)etindlichen  schweize- 
rischen Münzen  jeder  Art  sollen  innert  festzusetzenden  Terminen  eingelöst  und  nach 
VerlluL»  <ler  betreffenden  Termine  einges<hmolzen,   s<»wie  auUer  Kurs  gesetzt  werden. 

Die  Einlösung  geschielit  nach  einem  bestimmten  Tarife. 

Der  Bundesrath  besorgt  «lie  F'.inlösung  und  «lie  Bundeskasse  leistet  «He  hierzu  er- 
forderlichen VorM-liüsse. 

Es  \vnrd«i  hierauf  eine  permanente  Münzkommission  aufgestellt  und  derselben 

ein   Münzwanlein   ixngegeben,   ferner  «'in  Konkurs  für  die  Zeichnungen  der  Müdi- 

st«*mp«d   eröffnet   und  di«;  folgenden   Grav«*ur^  bezeichnet:   Hctt  Ä.  Bov^  in   Paris 

für  Anfertigung  der  Silbermiiuzstempel,   Herr  Voif/i  in  München  für  Anfertignog 


Mfmzwesen  —      475      —  Münzwesen 

der  Billonmünzsterapel  und  Herr  Barre  in  Paris  für  Anfertigung  der  Kupfer- 
münzstempel. 

Als  Lokal  für  die  münzreformlichen  Arbeiten  wurde  die  kantonale  Münz- 
stätte in  Bern  gewählt  und  für  die  Ausführung  der  Prägungen  der  neuen  Münzen 
Verträge  mit  folgenden  im  Betriebe  stehenden  Münzstätten  abgeschlossen,  wobei 
die  Silber  münzen  und  Kupfermünzen  in  Paris,  die  Billonmünzen  dagegen  in  Straß- 
burg zu  prägen  waren.  Diese  Verträge  datiren  von  den  ersten  Monaten  des 
Jahres   1851. 

Die  Aufsicht  über  sämmtliche  nach  dem  Münzausführungsgesetz  vom  7.  Mai 
1850  zu  prägenden  Münzen  übte  die  französische  Münzkommission  unter  ihrer 
Verantwortung  durch  ihre  Angestellten  so  aus,  wie  für  die  Münzen  des  eigenen 
Landes  und  nach  denselben  Bestimmungen,  ferner  gemäß  den  Vorschriften  des 
erwähnten  schweizerischen  Münzgesetzes.  Für  die  Fabrikation  der  Billonmünzen 
in  Straßburg  blieb  einem  Abgeordneten  der  Schweiz  das  Recht  vorbehalten,  die- 
selbe jederzeit  und  in  allen  Theilen  zu  beaufsichtigen. 

Nachdem  die  Prägungs vertrage  abgeschlossen  worden  waren,  konnten  nun 
auch  die  nöthigen  Versuche  in  größerem  Maßstabe  für  die  Ausmittlung  der  zweck- 
mäßigsten Legirung  der  Billonmünzen  in  der  Straßburger  Münzstätte  und  im 
Beisein  des  eidgenössischen  Münzwardeins  stattfinden,  indem  das  Münzgesetz  be- 
züglich der  Billonmünzen  nur  den  Silbergehalt  angibt  und  beifügt:  „Der  Zusatz 
besteht  aus  Kupfer,  Nickel  und  Zink".  Der  Bundesrath  genehmigte  alsdann 
(25.  April)  die  folgenden,  mit  möglichster  Rücksicht  auf  geringen  Verbrauch  an 
Nickel  ihm  gemachten  Vorschläge,  für  die  prozentische  Zusammensetzung  der 
Billonmünzen : 

SjUmt  Kupfer  Nickel  Zink 

Zwanzigrappen 150  500  100  250 

Zehnrappen 100  550  100  250 

Fünfrappen 50  600  100  250 

Die  französische  Münzkommission  ihrerseits  erließ  im  Mai  1851  für  ihre 
Aufsichtsbeamten  und  für  die  beiden  Münzdirektoren  ein  ausführliches  Reglement 
betreffend  die  Prägung  der  schweizerischen  Münzen,  zur  richtigen  und  genauen 
Ausführung  der  im  schweizerischen  Münzgesetz  aufgenommenen  Bestimmungen  und 
im  Üebrigen  konform  den  Gesetzen  und  Reglementen  über  das  französische  Münz- 
wesen. Sie  bestimmte  ferner  die  Gratifikationen,  die  für  Beaufsichtigung  und 
Kontrole,  für  Gehalt«prüfungen  etc.  an  die  betreffenden  französischen  Beamten 
von  der  Schweiz  zu  entrichten  seien:  Im  Ganzen  Fr.  17,000,  zu  welcher  Summe 
dann  noch,  als  besondere  Unkosten,  einige  tausend  Franken  für  Bureau-  und 
Laboratoriumsverbrauchsgegenstände  hinzukamen. 

Das  obige  Reglement  erlitt  indessen  in  der  Folge  auf  Veranlassung  des  da- 
maligen Münzexperten  selbst  eine  kleine  Modifikation,  und  wurde  dadurch  auch 
von  vollständiger  Erfüllung  des  Art.  (>  des  Müuzgesetzes  vom  7.  Mai  1850  ab- 
strahirt,  in  so  weit  derselbe  auch  bei  den  Billonsorten  die  angegebene  Abweichung 
im  Gewichte  nur  auf  den  einzelnen  Stücken  gestattet,  eine  Forderung,  welche  in 
Frankreich  nicht  einmal  für  die  kleinsten  Silbersorten  gestellt  wird,  welche  die 
Fabrikation  unserer  Billonmünzen  bis  in's  Unendliche  erschwert  hätte,  und  welche 
für  80  kleine  Theilmünzen  ganz  unnöthig  ist.  £s  wurde  daher  im  gegenseitigen 
Einverständniß  festgesetzt,  es  solle  die  im  Münzgesetz  angegebene  Toleranz  auf 
je  40  Stück  zusammen  beschränkt  werden,  welcher  Bedingung  zu  genügen  immer- 
hin eine  sehr  sorgfältige  Fabrikation  voraussetzt.  Wir  bemerken  hier  beiläufig, 
daß  bei  dem  gegenwärtig  in  Kraft  bestehenden  Regulativ  über  die  Koi\t^vAvt\i.w>^ 


Münz  Wesen  —     476      —  Münzwesen 

der  Münzfabrikation  in  Beziehung  auf  das  Gewicht  und  den  Feingehalt  (vom 
20.  Januar  1871)  die  im  Münzgesetz  angegebene  Toleranz  sogar  auf  nur  20  Stück 
zusammen  beschränkt  worden  ist. 

Um  die  Einlösung  der  alten  Münzen  zu  bewerkstelligen,  wurde  beschlossen, 
kantonsweise  und  zwar  in  10  Gruppen  von  je  einigen  Kantonen  zusammen,  im 
Südwesten  der  Schweiz  beginnend  und  nach  Nordosten  fortschreitend,  vorzugehen. 

Die  Regulirung  des  Verkehrs  zwischen  dem  Publikum  und  den  Einlösungs- 
bureaux  blieb  den  Kantonen  überlassen  und  fand  in  verschiedener  Weise  statt, 
indem  einige  Kantone  in  jedem  Bezirk,  andere  in  jeder  Gemeinde  solche  Bureaux 
errichteten. 

Im  Ganzen  dauerte  diese  Einlösungsepoche  12^2  Monate,  mit  je  2  Monaten 
Zeit  für  die  Einlösungsoperation,  eine  gewiß  sehr  kurze  Zeit,  in  der  dieses 
wiclitige  Geschäft  beendigt  wurde. 

Am  Schlüsse  dieser  Operation  im  August  1852  ordnete  der  Bundesrath  noch 
einen,  für  die  ganze  Schweiz  gültigen,  nachträglichen  Einlösungstermin  an, 
welcher  bis  Ende  Oktober  dauerte. 

Noch  hatte  die  Prägung  der  neuen  Münzen  in  den  besagten  Münzstätten 
von  Paris  und  Straßburg  nicht  begonnen,  so  wurde  schon  die  Noth wendigkeit 
einer  Vermehrung  der  Prägung  von  Silberscheidemünzen  und  von  Zwanzigrappen- 
stücken erkannt  und  die  Bundesversammlung  vermehrte  demgemäß  (Beschluß  vom 
7.  August  1851)  die  im  Ausführungsgesctze  vom  7.  Mai  1850  dekretirten  drei 
Sorten  von  Silbertheilmünzen,  sowie  die  Zwanzigrappenstücke. 

Auch  die  Prägungen  der  Zehn-  und  Einrappenstücke  wurden  vermehrt,  indem 
die  einzelnen  Kantone  bis  auf  dreimal  soviel  Rai)penstücke  verlangten,  als  ihnen 
nach  dem  ursprünglichen  Vertheilungstableau  zukamen. 

Es  sind  im  Ganzen  bei  Anlaß  der  schweizerischen  Münzreform  in  den  Jahren 
1850  und   1851    folgende  Münzen  geprägt  worden: 

5()(),000  Fünffrankenstücke     ...      Fr.     2'500,000.  — 

2'500,000  Zweifrankenstücke     . 

5'75(),(H)()  Einfrankenstücke. 

4^500,000  Halbfrankenstücke     . 
1 1 '559,783   Zwanzigrappenstücke 
13'v3 10,548  Zehnrappenstücke 
20'()12,06(>   Fiinfrappenstücke       . 
iru0O,000  Zweirappenstücke 

5'000,000   Einrappenstücke  . 


5'000,000.  — 
5^750,000.  — 
2' 250,000.  — 
2'311,956.  60 
1'331,<)54.  80 
l'00O,603.  30 
220,000.  — 
50,000.  — 


74'138,397   Stücke  im  Nennwerthe  von     Fr.  20'414,214.  70 

Bis  im  Juni  1852  waren  die  sämmtlichen  Prägungen  beendigt,  nicht  ohne 
zwar  zu  vielfachen  Reklamationen  und  Unzufriedenheiten  von  Seite  der  Münz- 
kommission gegen  die  Unternehmer  Anlaß  gegeben  zu  haben,  so  daß  erstere 
jetzt  schon  zur  Ansicht  kam,  es  sollten  spätere  Nachprägungen  in  einer  eigenen 
Münzstätte  ausgeführt  werden. 

Bei  <Ier  Abrechnung  ergab  die  ganze  Münzreform  schließlich  folgendes 
Resultat  ; 

Alte  Münzen  gingen  ein  zur  Einlösung  für  ca.  Fr.  15^000,000  und  mit 
Ausschluß  der  Goldmünzen  Fr.  14'8U0,000,  von  letzterer  Summe  aber  24®/o  grobes 
Silbergeld,  41  7o  kleine  Silhersorteu,  34  *>/o  Billon  und  0,0021)  7o  Kupfergeld, 
also  von  Kupfermünzen  fast  nichts,  indem  diese  letztere  Sorte  in  über  alles  Et- 
warten  starkem  Verhältniß  verloren  geht. 


Munzwesen 


477      — 


Mönzwesen 


Der  Einschmelzungsverlust  auf  diesen  alten  Münzen  betrug  Fr.  2 '27 5,000. 

Der  Gewinn  auf  den  neuen  Prägungen  belief  sich  dagegen  auf  Fr.  1' (522,000, 
welcher  von  den  Billon-  und  Kupfermünzen  herrührt,  während  die  Silbersorten 
einen  Ausfall  ergaben. 

Aus  allen  diesen  Faktoren  ergab  sich  nach  Abzug  des  Gewinnes  auf  den 
neuen  Münzen  von  der  oben  erwähnten  Differenz  zwischen  Nennweith  und  Metall- 
werth  der  alten  Münzen,  ein  unter  sämmtliche  Kantone  vertheilter  Nettoverlust 
von  Fr.   1' 160,000. 

Mit  vollem  Rechte  durfte  daher  die  Münzkommission  in  ihren?.  Schlußbericht 
im  März  185ii  betonen,  daß  mit  großer  Befriedigung  gegenüber  den  gehegten 
Erwartungen  und  Befürchtungen  auf  die  vollendete  Münzreform  zurückgeblickt 
werden  dürfe. 

Wohl  wenige  Länder  dürften  sich  rühmen,  eine  so  großartige  Operation  bei 
einem  Gesammtgeschäftsverkehr  von  wenigstens  300  Millionen  Franken  in  so 
kurzer  Zeit  und  zu  so  allgemeiner  Zufriedenheit  durchgeführt  zu  haben.  Ohne 
erhebliche  Klagen  fügte  sich  das  Publikum  in  die  durch  den  Einlösungstarif 
bedingten  kleinen  Verluste ;  über  Erwarten  schnell  und  leicht  fand  es  sich  in  das 
neue  System. 

Noch  mag  angeführt  werden,  daß  das  aus  den  Einschmelzungen  der  alten 
Münzen  erhaltene  Münzgut  theils  direkt  zu  den  neuen  Prägungen  benutzt  wurde ; 
zum  größten  Theil  jedoch  wurde  dasselbe  in  ausländischen  Scheideanstalten  afHnirt 
und  die  ausgeschiedenen  Metalle  dann  zu  Neuprägungen  verwendet. 

Verzeichniß  der  eingeschmolzenen  alten  Schweizermünzen  nach  den 


PriU/ungskanionen. 

Kanton 

Stückzahl 

EinlösungHwcrth 
Fr. 

Kantun 

Stückzahl 

Einl6siing9worth 
Fr. 

Zürich  .     .     .     . 

13'364,861 

3*089,353.  95 

Graubünden  .     , 

1*877,371 

133,017.  34 

Bern     .     .     .     . 

irot4,98i 

3*797,535.61 

Aargau      .     .     , 

2*229,270 

679,231.  58 

Luzern .     .     .     . 

5*327,11)5 

1*873,489. 89 

Thurgau    .     .     . 

339,551 

42,471.61 

Uri 

34,27i 

4,795.  43 

Tessin  .     .     . 

1*403,789 

159,073. 17 

Schwyz      .     .     . 

3'544,806 

116,706.14 

Waadt  .     .     . 

.     8*086,019 

1*290,824. 31 

Obvvalden 

48H,8J>r) 

128,903. 16 

Wallis  .     .     . 

.     2*336,974 

297,097.  65 

Nidwaiden      .     . 

30,715 

4,687.  74 

Neuenburg     .     . 

760,339 

126,739.  32 

Glarus  .     .     .     . 

271,305 

31,690.  72 

Genf     .     .     . 

.     1*882,809 

216,831.55 

Zuj?  .... 

33,369 

1,112.78 

Helvetische    Re 

Freiburg    .     . 

.     3*186,186 

427,707.  63 

publik    .     . 

103,542 

192,864.  72 

Solotliurn .     .     . 

2*460,897 

830,832.  87 

Bisthum  Basel  . 

47,072 

5,944.  43 

Basel     .     .     .     . 

1*355,147 

539,053.  79 

Abgeschliffene  u 

Schaffhausen 
Appenzell  A.-Rh 

88,537 
554,980 

9,285.  24 
80,328. 36 

Verruf.  Mfinzer 

\       211,253 

17,221.67 

St.  Gallen  .     . 

.     4*760,920 

915,825.  78 

65*823,017 

15*012,626.  44 

Diese  alten,  eingeschmolzenen  Schweizermünzen  bestanden  nach  den  Prägungs- 
kantonen aus  den  nachfolgenden  Sorten,  denen  gleichzeitig  der  damalige  Ein- 
lösungHwerth  in  neuer  Währung   beigefügt  ist. 


Münzwesen 


—      478     — 


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14 


Munzwesen  —      480     —  Münzwesen 

III.  Theil:    Münzwesen  von   1854—1886. 

(Revision  do8  Münzgeset/.cs  von  lNi«>;  oidtfenüftfliHche  Münzstsltto  ;  lateinische  MQnzkonvoution  ;  Einfühniuff 

der  (ioldmttnze  etc.) 

Im  Jahre  1854  wurde  die  Frage  der  Goldtariiirunß:  in  der  Bundesversammlung 
erhoben,  hervorgerufen  durch  die  merkwürdige  Thatsache  des  allmäligen  Ver- 
Kchwindens  des  Silber geldes  in  der  Schweiz,  und  dessen  Ersetzung  durch  Gold- 
münzen. 

Schon  seit  dem  Jahre  1 848  nämlich  zeigte  sich  im  Werthverhältnisse  zwischen 
Gold  und  Silber,  welches  laut  dem  französischen  Münzgesetze  sich  wie  1  :  15  "/s 
verhält,  ein  bedeutendes  Schwanken.  Die  Bedürfnisse  des  ungeheuer  zunehmenden 
Handels  mit  Indien  uud  China  mußten  mit  dem  in  Asien  beliebten  Silber  gedeckt 
werden,  und  dagegen  trat  an  seine  Stelle  das  Gold,  welches  durch  die  Minen 
Kaliforniens  und  Australiens  in  solchen  Quantitäten  geliefert  wurde,  daß  es  die- 
jenigen des  verschwindenden  Silbers  weit  überstieg. 

Diese  Erscheinung  begann  die  Aufmerksamkeit  der  Finanzmänner  in  hohem 
Grade  in  Anspruch  zu  nehmen,  ohne  jedoch  im  Jahre  1854  schon  genügend 
aufgeklärt  zu  sein;  auch  zeigte  sich  eine  gewisse  Aengstlichkeit,  nach  kaum 
vollendeter  Münzreform  im  schweizerischen  Münzwesen  Aenderungen  vorzunehmen. 

Die  Anregung  blieb  daher  in  der  Bundesversammlung  ohne  Folgen,  d.  h., 
man  blieb  beim  bisherigen  Systeme.  Dagegen  beschloß  die  Bundesversammlung 
im  gleichen  Jahre  die  Errichtung  einer  eidgenössischen  Münzstätte, 

In  Folge  dieses  Beschlusses  überließ  der  Kanton  Bern  der  Eidgenossenschaft, 
für  so  lange,  als  die  Stadt  Bern  Bundessitz  bleibt,  das  kantonale  Münzgebäude 
zur  freien  Benutzung  zum  Zwecke  der  Münz-  und  Medaillenfabrikation,  sowie  der 
Fabrikation  der  Frankomarken. 

Es  wurden  sofort  die  nöthigen  baulichen  Veränderungen  vorgenommen, 
Maschinen,  Werkzeuge  und  Geräthschaften  angeschafft  und  der  bisher  funktionirende 
Münzwardein  als  eidgenössischer  Münzdirektor   bestätigt. 

Die  Thätigkeit  dieser  Anstalt  begann  alsdann  mit  einer  Prägung  von  2Y2 
Millionen  Stück  Einrappen,  welche  185b  durch  weitere  2^2  Millionen  Stück 
derselben  Münzsorte  vermehrt  wurde. 

Wie  schon  oben  bemerkt,  nahm  die  Zirkulation  der  französischen  Goldmünzen 
immer  mehr  zu,  öffentliche  Blätter  und  Finanzbehörden  fingen  an,  sich  damit  zu 
beschäftigen,  und  auch  der  Bundesrath  sah  sich  veranlaßt,  im  Jahre  1856  wieder 
eine  eingehende  Untersuchung  dieser  Erscheinung  zu  veranstalten.  Doch  auch 
jetzt  noch  vermochte  die  Thatsache  des  allmäligen  Sieges  des  Goldes  über  das 
Silber  nicht  durchzudringen,  und  die  Bundesversammlung  beschloß  abermals,  es  sei 
an  dem  bisherigen,  auf  das  Silber  basirten  Münzsysteme  festzuhalten,  und  in  die 
Goldtarifirung  auch  dermalen  nicht  einzutreten. 

Endlich  im  Jahre  1800,  nachdem  die  Schweiz  auf  den  Standpunkt  gekommen 
war,  beinahe  nur  noch  Gold-  und  Nickelmünzen  zu  besitzen,  während  alle  silbernen 
Fünffrankenthaler  und  fast  alle  vollwichtigen  Zwei-  und  Einfrankenstücke  dem 
Verkehre  entzogen  waren,  und  demnach  eine  eigentliche  Münznoth  eingetreten  war 
(da  dem  Reisenden  oft  nicht  gewechselt  werden  konnte),  schlug  der  Bundesrath 
vor,  den  französischen  Goldmünzen  und  allen  nach  demselben  System  geprägten 
Münzen  gesetzlichen  Kurs  zum  Nennwerthe  zu  geben. 

Die  durch  den  Nationalrath  gewählte  Münzkommission  ging  aber  in  ihrer 
großen  Mtdirheit  noch  weiter,  stimmte  nicht  nur  obigem  Antrage  vollkommen 
bei,  sondern  schlug  der  Bundesversammlung  vor,  um  dem  Silbermünzmangel 
bleibend  abzuhelfen,  eine  neue  Silberscheideniünzc  zu  kreiren,  die  dem  Verkehre 


Mönzwesen  —     481      —  Munzwerfen 

nicht    mehr   entzogen   würde,   nämlich   mit   herabgesetztem   Feingehalte    zu   800 
Tausendstel  fein. 

Dabei  war  die  Kommission  der  festen  Ueberzeugung,  daß  der  reinen  Gold- 
währung auf  die  Länge  nicht  widerstanden  werden  könne  und  daß  die  jetzt 
vorgeschlagenen  Maßregeln  nur  den  Uebergang  zur  baldigen  Goldwährung  mit 
dem  NapoUon  (Tor,  beziehungsweise  dem  Goldfranken  als  Standard  bilden  werden, 
indem  damit  einer  kulturhistorischen  Nothwendigkeit  Folge  geleistet  werde. 

Demgemäß  wurde  unterm  31.  Januar  1860  das  Bundesgesetz  über  das 
eidgenössische  Mttnzwesen  vom  7.  Mai   1850  theil weise  abgeändert. 

Der  Wortlaut  dieses  neuen  Münzgesetzes  ist  folgender  (vgl.  Seite  492): 

Art.  1.  Die  französischen  Goldmünzen,  welche  im  Verhältnisse  von  einem  Pfund  fein 
Gold  zu  fünfzehn  und  einem  halben  Pfund  fein  Silber  ausgeprägt  sind,  werden  für  so 
lange^  als  sie  in  Frankreich  zu  ihrem  Nennwerthe  gesetzlichen  Kurs  haben,  ebenfalls 
zu  ihrem  Nennwerthe  als  gesetzliches  Zahlungsmittel  anerkannt.  Diese  Bestimmung  gilt 
auch  für  die,  von  andern  Staaten  in  ""vollkommener  Uebereinstimmung  mit  den  ent- 
sprechenden französischen  Münzsorten  ausgeprägten  Goldmünzen. 

Der  Bundesrath  wird  nach  vorheriger  Untersuchung  bestimmen,  welche  ausländische 
Goldmünzen  vorstehenden  Bedingungen  entsprechen  und  als  gesetzliches  Zahlungsmittel 
anzuerkennen  sind. 

Art.  2.  Die  Zweifranken-,  Einfranken-  und  Halbfrankenstücke  werden  fortan  als 
bloße  Silberscheidemüuze  ausgeprägt;  sie  erhalten  wie  die  bisherigen  Stücke  so  viel 
Mal  das  Gewicht  von  fünf  Grammen,  als  ihr  Nennwerth  es  ausspricht ;  dagegen  sollen  sie 
nur  acht  Zehntheile  (7io)  feines  Silber  enthalten. 

Art.  3.  Die  erlaubte  Fehlergrenze  im  Feingehalt,  wie  im  Gewicht  der  neuen 
schweizerischen  Zweifranken-,  Einfranken-  und  Halbfrankenstücke  ist  die  in  den  Artikeln 
5  und  6  des  Bundesgesetzes  über  das  eidgenössische  Münzwesen  vom  7.  Mai  1850  fest- 
gesetzte. 

Der  Durchmesser  dieser  Münzen  verbleibt  der  gleiche,  wie  für  die  entsprechenden 
bisherigen  schweizerischen  Münzsorten. 

Art.  4.  Niemand  ist  gehalten,  mehr  als  zwanzig  Franken  an  Werth  in  Silberscheide- 
münze anzunehmen. 

Art.  5.  Der  Bundesrath  wird  entscheiden,  ob  und  welche  fremde  Silbertheilmünzen 
im  Verkehr  zuzulassen  seien. 

Art.  6.  Die  nach  dem  Gesetz  über  das  eidgenössische  Münzwesen  vom  7.  Mai  1850 
ausgeprägten  schweizerischen  Silbermünzen  von  Zwei-,  Ein-  und  Halbfranken  (50  Bappen) 
sind  in  den  vom  Bundesrath  zu  bestimmenden  Fristen  und  Formen  aus  dem  Verkehr 
zurückzuziehen. 

Art.  7.  Die  gemäß  dem  gegenwärtigen  Gesetze  ausgeprägten  schweizerischen  Silber- 
scheidemünzen können  bei  den  hiefür  bezeichneten  Kassen  gegen  gesetzliche  grobe  Munz- 
sorten  nach  Maßgabe  von  Art.  11  des  Bundesgesetzes  über  das  eidgenössische  Mönzwesen 
vom  7.  Mai  1850  umgewechselt  werden. 

Art.  8.  Aus  den  bei  den  neuen  Münzprägungen  sich  ergebenden  Einnahme- 
überschüssen ist  ein  Reservefond  zu  bilden,  aus  dem  je  nach  Erfordernis  die  Kosten 
ganz  oder  theilweise  gedeckt  werden  sollen,  welche  die  Einlösung  abgenutzter  Schweizer- 
münzen nach  Art.  13  des  Bundesgesetzes  über  das  eidgenössische  Münzwesen  zur  Folge 
haben  wird.    Die  Zinsen  dieses  Reservefonds  sollen  zum  Kapital  geschlagen  werden. 

Art.  9.  Die  Menge  der  zu  prägenden  Münzen  wird  jeweilen,  wie  für  die  übrigen 
schweizerischen  Münzsorten,  im  Voranschlage  festgesetzt  werden. 

Art.  10.  Das  gegenwärtige  Gesetz  tritt  sofort  in  Kraft  und  der  Bundesrath  ist  mit 
der  Bekanntmachung  und  Vollziehung  desselben  beauftragt. 

Es  muß  noch  angeführt  werden,  daß  um  dem  Mangel  an  NickelmUnzen 
einigermaßen  zu  begegnen,  in  den  Jahren  1858  und  1859  eine  größere  Anzahl 
Zwanzigrappenstücke  geprägt  wurden,  nämlich  4'323,825  Zwanzigrappenstücke 
im  Nennwerthe  von  Fr.  864,765.  Von  den  durch  das  abgeänderte  Münzgesetz 
neu  kreirten  ®/io  feinen  Silbermünzen  wurden  geprägt   1860 — 1863: 

Furrer,  VolkawIrthschafUi-LexIkün  der  Schweiz.  *i\ 


Mönzwesen  —     482      —  MüDZwesen 

3^500,760  Zweifrankenstücke  im  Nennwertbe  von  Fr.      7^001, 520 
3\517,558  Einfrankenstlicke      ^  „  „       „       3'517,558 


7^018,318  Stücke  „  „  „Fr.  lO'öl  9,078 

Dagegen  wurden  die  altern  'lo  feinen  Zwei  ,  Ein-  und  Halbfrankenstücke 
von  den  Jahren  1850  und  1851  als  der  neuen  Legirung  nicht  mehr  entsprechend, 
allmälig  aus  dem  Verkehr  zurückgezogen. 

Bis  zum  Jahre  1865  sind  von  der  Schweiz  für  ca.  32  Millionen  Franken 
Silber-  Nickel-  und  Kupfermünzen  geprägt  worden,  nach  Maßgabe  der  beiden 
erwähnten  MUnzgesetze  vom  7.  Mai  1850  und  vom  31.  Januar  1860.  Diese 
Prägungen  wurden  sämmtlich  für  Rechnung  der  Eidgenossenschaft  theils,  wie 
schon  erwähnt,  in  den  Münzstätten  von  Paris  und  Straßburg,  theils  in  der  neu 
eröffneten  eidgenössischen  Münzstätte  in  Bern  ausgeführt. 

Unterm  2.  Januar  1865  eröttnete  nun  ,die  französische  Gesandtschaft  in  Bern 
dem  Bnndesrathe,  daß  in  Folge  der  letzthin  in  der  Schweiz,  in  Italien  und  in 
Frankreich  zur  Verhütung  des  Exportes  und  der  Einschmelzung  zu  Industrie- 
zwecken der  Silberscheidemünzen  getroffenen  Maßregeln  die  Gleichförmigkeit  des 
Münzsystems,  welche  den  Münzen  von  Frankreich,  Italien,  Belgien  und  der  Schweiz 
freie  Zirkulation  im  Gesammtgebiete  dieser  Länder  gestattete,  gestört,  und  somit 
auch  der  gemeinsame  und  einheitliche  Münzfuß,  welcher  namentlich  den  Grenz- 
bezirken jener  Staaten  so  große  Vortheile  darbot,  aufgehoben  worden  sei.  Es 
wäre  daher  in  hohem  Grade  wünschbar,  daß  die  betheiligten  Regierungen  die 
Mißstände  wieder  aufhöben,  welche  aus  den,  ohne  vorheriges  gegenseitiges  Ein- 
verbtändniß  vorgenommenen  Abänderungen  im  Gehalte  der  Silberscheidemtinzen 
entstanden  seien.  Als  zweckmäßigstes  Mittel  hiezu  wurde  eine  Münzkonferenz 
in  Paris  vorgeschlagen,  die  dann  am  20.  November  1865  eröffnet  wurde,  und 
wobei  Frankreich,  Italien,  Belgien  und  die  Schweiz  vertreten  waren. 

In  dieser  Konferenz  wurde  beschlossen,  zwischen  den  genannten  vier  Staaten 
einen  Münzverein  zu  bilden.  Dieser  Münzverein  sollte  bezwecken,  die  Münz- 
gesetzgebungen, namentlich  in  Bezug  auf  Feingehalt,  Gewicht,  Durchmesser  und 
Kurs  der  Gold-  und  Silbermünzen  in  vollständigere  Uebereinstimmung  zu  bringen, 
die  Uebelstände  zu  heben,  welche  für  den  Verkehr  und  die  Geschäftsbeziehungen 
zwischen  den  Bewohnern  der  resp.  Staaten  durch  die  Verschiedenheit  in  dem  Fein- 
gehalte ihrer  Silberscheidemünzen  entstehen,  und  durch  Bildung  eines  Münz  Vereines 
unter  sich  zu  den  Fortschritten  in  der  Münzeinigung  im  Allgemeinen  beizutragen. 

Am  23.  Dezember  gleichen  Jahres  wurde  nun  in  Folge  dieser  Konferenz 
von  den  Vertretern  der  vier  Staaten  Frankreich,  Italien,  Belgien  und  der  Schweiz 
in  Paris  dieser  Münzvertrag,  die  sog.  lateinische  MUnzkonvention  abgeschlossen, 
und  unterm  5.  März  1866  vom  schweizerischen  Bundesrathe  ratifizirt. 

Dieser  Münzvertrag,  dem  im  Jahre  1868  noch  Griechenland  beitrat,  wurde 
vorläufig  auf  die  Dauer  von  15  Jahren  abgeschlossen,  nach  Ablauf  dieses  Zeit- 
raumes bih  zum  1.  Januar  1886  verlängert,  und  schließlich  unterm  6.  November 
1885  neuerdings  für  fünf  Jahre,  also  bis  zum  1.  Januar  1891  erneuert.  Die 
Bestimmungen  dieses  Münz  Vertrages  beziehen  sich  haupt«»ächlich  auf  die  Fabrikation 
der  Gold-  und  Silbermünzen,  bestimmen  deren  Gewicht,  Durchmesser  und  Fein- 
gehalt. Bezüglich  der  Goldmünzen  wurde  eine  Tabelle  aufgestellt,  die  fast  genau 
dem  französischen  Gesetze  entspricht,  dabei  wurde  vollkommen  freigestellt,  Gold 
zu  münzen  oder  nicht,  was  der  Schweiz  erlaubte,  das  ihren  Interessen  am  besten 
tut  sprechende  Verfahren  einzuschlagen. 

Bezüglich    der  Silbermünzen   wurde  für  die  Fünffrankeustücke  der  bisherige 


Münz  Wesen  —     483     —  Münzwesen 

Feingehalt  (^/lo)  beibehalten,  dagegen  die  Nothwendigkeit  erkannt,  für  die  Zwei-, 
Ein-  und  Halbfrankenstücke  den  Feingehalt  herabzusetzen,  und  aus  dieser  Kategorie 
nach  dem  zweckmäßigen  Vorgehen  der  Schweiz,  eine  Kredit-  oder  Scheidemünze 
zu  machen.  Dabei  entschied  man  sich  für  den  Feingehalt  von  ®*Yiooo,  und 
bewilligte  der  Schweiz  ausnahmsweise  einen  Termin  von  12  Jahren,  um  ihre 
seit  1860  neu  geprägten  Silberscheidemünzen  umzuprägen.  Bis  zum  31.  Dezember 
1878  sollten  diese  Münzen  daher  im  internationalen  Verkehre  inbegriffen,  und 
den  neuen  Münzen  der  andern  konkordirenden  Staaten  vollkommen  gleichgestellt 
sein.  Der  Vertrag  regelte  ferner  die  Zirkulation  und  die  Annahme  der  Konventions- 
mttnzen  an  den  Öffentlichen  Kassen  im  Gesammtgebiet  der  vertragschließenden 
Staaten. 

Ferner  schrieben  die  letztern  einander  gegenseitig  ein  Maximum  in  der 
Menge  der  auszugebenden  Silberscheidemünzen  vor,  und  zwar  im  Verhältniß  von 
Fr.   6  auf  den   Einwohner,  in  Zwei-,  Ein-  und  Halbfrankenstücken. 

Für  die  Schweiz  wurde  dieser  Betrag  erstmals  auf  17  Millionen  Franken 
festgesetzt.  Diese  Summe  wurde,  um  dem  in  der  Schweiz  sehr  fühlbaren  Mangel 
an  kleinem  Silbergeide  abzuhelfen,  auf  19  Millionen  Franken  erhöht,  und  schließlich 
wurde  durch  den  neuen  Vertrag  vom  6.  November  1885  der  Schweiz  die  Aus- 
prägung einer  weitern  Summe  von  6  Millionen  Franken  in  diesen  Silberscheide- 
münzsorten bewilligt,  so  daß  sich  der  bez.  für  die  Schweiz  festgesetzte  Betrag 
in  Zwei-,  Ein-  und  Halbfrankenstücken  auf  25  Millionen  Franken  beläuft. 

Die  Prägung  von  silbernen  Fünffrankenstücken,  im  Wortlaute  des  Vertrages 
von  1865  nicht  beschränkt,  wurde  vom  Jahre  1874 — 1878  durch  Zusatzverträge 
in  der  Weise  geregelt  und  eingeschränkt,  daß  jedem  der  Vertragsstaaten  ein 
Maximum  vorgezeichnet  wurde,  innerhalb  dessen  auf  seinen  Prägeanstalten  für 
das  laufende  Jahr  Fünf  frankenstücke  geprägt  werden  durften. 

Vom  Jahre  1878  an  wurden  auch  diese  Prägungen  von  silbernen  Fünf- 
frankenstücken, auf  Grund  der  stetig  sinkenden  Silberpreise,  für  sämmtliche  Vertrags- 
staaten der  lateinischen  Münzkonvention  gänzlich  untersagt,  gleichviel  ob  dieselben 
das    ihnen    zustehende  Quantum    dieser  Münzsorte  ausgemünzt  hatten  oder  nicht. 

Von  dem,  der  Schweiz  zulässigen  Quantum  von  ca.  29  Millionen  Franken 
sind  bloß  8  Millionen  im  Jahre  1873/74  und  zwar  zum  größten  Theil  in  der 
Brüsseler  Münze  ausgeprägt  worden. 

Betreffend  den  Wortlaut  des  lateinischen  Münzvertrages  vom  6.  No- 
vember 1885  siehe  Seite  495  u.  ff. 

Nach  diesen  Erörterungen  über  die  lateinische  Münzkouvention  kehren  wir 
zu  der  eigentlichen  Münzgeschichte  zurück. 

Im  Münzgesetz  vom  7.  Mai  1850  waren  keine  Bestimmungen  vorhanden, 
welche  die  Prägung  von  Goldmünzen  betrafen.  Ein  Gesetz,  welches  dem 
Bnndesrathe  das  Recht  zugesteht,  Goldmünzen  zu  prägen,  existirte  bis  dato  noch  nicht. 

Im  lateinischen  Münzvertrag  vom  23.  Dezember  1865  war  nur  die  Ver- 
pflichtung aufgenommen,  keine  anderen  Goldmünzen  zu  prägen,  als  die  im  Vertrage 
bestimmten.  Bis  anhin  hatte  man  sich  in  der  Schweiz  stets  mit  ausländischem, 
meistens  französischem  Golde  beholfen,  und  war  dessen  stets  zur  Genüge  vorhanden. 

Im  Jahre  1870,  nach  Ausbruch  des  deutsch -französischen  Krieges,  wurde 
die  Sachlage  mit  einem  Schlage  eine  andere.  In  Folge  der  Unterbrechung  des 
Verkehres  zwischen  Frankreich  und  der  Schweiz,  welche  unmittelbar  nach  Erklärung 
des  Krieges  eintrat,  und  wodurch  der  Münzzufluß  von  Seite  Frankreichs  für  die 
Schweiz  nahezu  gänzlich  abgeschlossen  wurde,  befand  sich  letztere  in  bitterstem 
Geldmangel. 


Munzwesen  —     484     —  Münzwesen 

In  Folge  dessen  wurde  die  Frage  der  Goldprägung  in  der  Bundesversammlung 
ernsthaft  in  Erwäguug  gezogen,  und  schließlich  unterm  22.  Dezember  1870  das 
nachfolgende  Gesetz  betreffend  die  Prägung  von  Goldmünzen  an- 
genommen : 

,Art.  1.  Der  Bundesrath  ist  ermächtigt,  sowohl  für  Rechnung  des  Bundes,  als  für 
Rechnung  dritter  Personen  diejenigen  Goldmünzen  auszuprägen,  welche  der  Tabelle  des 
Art.  2  im  Münzvertrage  vom  23.  Christmonat  1865  entsprechen. 

Art.  2.  Die  Größe  der  Prägungen  für  Rechnung  des  Bundes  muß  jeweilen  durch 
die  Bundesversammlung  bestimmt  werden. 

Die  Bedingungen  der  Prägungen  für  Rechnung  dritter  Personen  sind  durch  ein 
Regulativ  des  Bundesrathes  festzustellen. 

Art.  3.  Auf  die  schweizerischen  Goldmünzen  ist  der  Art.  13  des  Münzgesetzes  vom 
7.  Mai  1850  nicht  anwendbar. 

Goldstücke,  deren  Gewicht  durch  Abnutzung  um  V«  ^'^  unter  die  untere  Fehlergrenze 
(Art.  2  des  Münzvertrages  vom  23.  Christmonat  1865)  gesunken  ist.  gelten  nicht  mehr 
als  gesetzliches  Zahlungsmittel. 

Art.  4.  Der  Bundesrath  ist  mit  der  Vollziehung  dieses  Gesetzes  beauftragt.* 

Unterm  15.  Januar  1873  wurde  hierauf  in  Vollziehung  des  Bundesgesetzes 
betreffend  die  Prägung  von  Goldmünzen,  vom  22.  Christmonat  1870,  vom  Bundes- 
rathe  nachfolgendes  Regulativ  erlassen  : 

Regulativ  fUr  Prä(/nv<f  von  Goldmünzen  für  Eechnunr/  dritter  Personen, 

Art.  1.  Die  eidgenössische  Münzstätte  übernimmt  Prägungen  von  Goldmünzen  für 
Privaten,  vorläufig  jedoch  nur  in  Zehn-  und  Zwanzigfrankenstücken,  und  konform  der 
Münzkonvention  von  1865. 

Art.  2.  Erfolgt  eine  Einsendung  von  Gold,  gemünzt  oder  in  Barren,  so  wird  dessen 
Gewicht  und  Feingehalt  sogleich  durch  den  Münzdirektor  und  einen  der  bestellten  Münz- 
essayeus  genau  ermittelt  und  dem  Einsender  eine  auf  die  Bundeskasse  lautende  Empfangs- 
bescheinigung zugestellt,  womit  derselbe  auf  eine  der  Hauptzoll-  oder  Kreispostkassen 
angewiesen  werden  kann. 

Art.  3.  Bei  kleineren  Beträgen  bis  auf  die  Summe  von  Fr.  10,000  geschieht  die 
Entrichtung  sofort ;  bei  größeren  Summen  dagegen  muß  eine  Frist,  die  in  keinem  Falle 
20  Tage  überschreiten  darf,  bedingt  werden. 

Art.  4.  Die  Preisberechnung  geschieht  gemäß  dem  Konventionstarife  von  Fr.  3100 
für  1  Kilogramm  Münzgold  (900  Milli^mes  Feingehalt),  und  die  Münzstätte  wird  dem 
Uebersender  bei  der  Auszahlung  einen  genauen  Rechnungsausweis  zustellen. 

Art.  5.    Als  Präglohn   wird  auf  der  nach  obigem  Tarife  berechneten  Summe  ein 
Abzug  von  vorläufig  5  pro  mille,  also  per  Kilogramm  Münzgold  Fr.  15. 50  gemacht. 
Art.  6.     Außer  diesen  Kosten  ist  in  folgenden  Fällen  noch  zu  entrichten: 
a.  Bei  Gold  unter  dem  gesetzlichen  Feingehalt  von  900  Milli^mes  eine  Scheidegebühr 
von  Fr.  6   per  Kilogramm  Feingold.     Ausgenommen   davon   ist  dasjenige  Gold, 
welches  so  viel  Silber  beigemischt  enthält,  daß  die  Scheidekosten  damit  gedeckt 
werden  können. 
h.  Eine  außerordenthche  Probirgebühr  von  Fr.  1  per  Goldbarre,  wenn  dieselbe  nicht 
bereits  einen  garantirten  Feingehalt  aufweist. 
Art.  7     Transportspesen  für  Hin-  und  Hersendungen  der  Werthe  werden  den  be- 
trettenden  Personen   nur  insoweit   in  Anrechnung  gebracht,  als  die  Eidgenossenschatt 
selbst  dafür  belangt  wird. 

Nachdem  alsdann  in  den  Jahren  1871  und  1873  kleine  Versuchsprfigungen 
von  Zwanzigfrankenstücken  stattgefunden  hatten,  jedoch  verschiedenen  bezüglichen 
Vorlagen  des  Bundesrathes  zur  Ausführung  einer  größeren  Goldprägung  von  der 
Bundesversammlung  nicht  entsprochen  worden  war,  war  endlich  für  das  Jahr 
1883  eine  erste  eidgenössische  Goldprägung  in  ZwanzigfrankenstUcken  budgetirt 
und  durch  die  Bundesversammlung  genehmigt  worden.  Dieser  ersten  Goldprägung, 
im  Betrage  von  6  Millionen  Franken,  welche  allgemein  befriedigte,  folgte  1886 
eine  zweite  in  gleich  hohem  Betrage,  so  daß  also  gegenwärtig  die  Schweiz  ftir 
10  3JjJ]ionen  Franken  Zwanzigfrankenstücke  eigenen  Gepräges  besitzt. 


MüDZwesen  —     485      —  Münzwesen 

Privatgoldprägun^n  sind  bis  dato  noch  keine  durch  die  eidgenössische  Münz- 
stätte ausgeführt  worden. 

War  nun  durch  die  lateinische  Münzkonvention  vom  Jahre  1865  die  Fabri- 
kation der  Gold-  und  SilbefmUnzen  genau  festgestellt  und  normirt  worden,  so 
enthielt  der  genannte  Vertrag  dagegen  keine  Bestimmungen  in  Betreff  der  Billon- 
und  Kupfermünzen,  vielmehr  wurden  diesbezügliche  Bestimmungen  jedem  Yertrags- 
staat  anheimgestellt. 

Für  diese  beiden  Münzsorten  galten  stets  noch  unverändert  (bis  zum  Jahre 
1879)  die  im  ersten  schweizerischen  Münzgesetz  vom  7.  Mai  1850  enthaltenen 
Bestimmungen  betreffend  die  Erstellung  der  Nickel-  und  Kupfermünzen. 

Nachdem  vom  Zeitpunkte  der  Münzreform  bis  zum  Jahre  1870  keine  Prä- 
gungen von  Nickelmünzen  mehr  stattgefunden  hatten  (mit  Ausnahme  der  Zwanzig- 
rappen-Prägungen  von  1858 — 1859),  wurden  dieselben,  um  dem  stets  fühlbarer 
hervortretenden  Mangel  an  Kleingeld  zu  begegnen,  im  Jahre  1871  wieder  auf- 
genommen. 

In  den  folgenden  Jahren  von  1871 — 1877  sind  für  Fr.  762,905  Fünf- 
und  Zehn  rappenstücke  geprägt  worden. 

Betreffend  die  Zwanzigrappen stücke  waren  weitere  Prägangen  in  dieser 
Münzsorte  unterblieben.  £s  zeigte  sich  nämlich  im  Laufe  der  Jahre,  daß  die 
Zwanzigrappenstücke  in  größerem  Maßstabe  nachgemacht  wurden,  indem  deren 
zur  Zeit  der  Münzreform  gewählte  Legirung  so  hart  ausfiel,  daß  mit  gut  er- 
haltenen, ächten  Stücken  durch  Reproduktion  auf  weichen  Stahl  Prägstempel 
geschaffen  werden  konnten,  mit  welchen  man  dann  im  Stande  war,  beliebige 
Mengen  von  Zwanzigrappenstücken  zu  prägen.  In  Folge  dieses  Uebelstandes 
wurden  vorläufig  die  Prägungen  von  Zwanzigrappenstücken  nicht  wieder  auf- 
genommen. 

Mittlerweile  war  das  Aussehen  der  bei  Grelegenheit  der  Münzreform  in  den 
Jahren  1850  und  1851  geprägten  Nickelmünzen  nach  25jähriger  Zirkulation  ein 
derartiges  geworden,  daß  ein  Um-  oder  Neuprägen  derselben  dringend  noth wendig 
erschien.  Nach  vielfältigen  Präg  versuchen,  Botschaften  und  Berichten  wurde  endlich 
aus  technischen  Grründen  beschlossen,  für  die  Nickelmünzen  eine  neue  Legirung, 
ohne  Silberzusatz,  zu  wählen,  und  wurden  demgemäß  die  im  ersten  schweizer. 
Mtlnzgesetz  vom  7.  Mai  1850  enthalteneu  Bestimmungen  betreffend  die  Erstellung 
der  Nickelmünzen  durch  die  Bundesgesetze  vom  29.  März  1879  und  30.  April 
1881  über  das  eidgenössische  Münzwesen  dahin  abgeändert,  daß  in  der  Folge 
die  kleineren  Münzsorten,  d.  h.  die  Fünf-  und  Zehnrappenstücke,  aus  einer 
Legirung  von  Kupfer  und  Nickel,  die  Zwanzigrappenstücke  dagegen  nur  aus 
Nickel,  mit  oder  ohne  einen  Zusatz  von  Kupfer  ausgeprägt  werden  sollen. 

Für  sämmtliche  drei  Münzsorten  wurde  gleichzeitig  das  Gewicht  etwas 
erhöht,  nämlich  für  das 

Fünfrappen  stück        von  1,666  Gramm  auf  2  Gramm 
Zehnrappenstück  „     2,500        „  „     3         „ 

Zwanzigrappenstück     ^     3,250         „  „     4         „ 

In  Ausführung  dieser  neuen  Bestimmungen  wurde  im  Jahre  1879  mit  der 
Neuprägung  der  schweizerischen  Nickelmünzen  begonnen. 

Für  die  Fünf-  und  Zehn  rappenstücke  wurde  die  früher  schon  von  der  deutschen 
Reichsregiernng  angenommene  zweckmäßige  Nickellegirung  von  25  ®/o  Nickel  und 
75  7o  Kupfer  gewählt. 

Für  die  Zwanzigrappenstücke  wurde  nach  vielen  sorgfältigen  Untersuchungen 
und  Prägungsversuchen  als  Metall  Reinnickel  bestimmt  und,  nachdem  eine  erste 


Mänzwesen  —      486     —  Münzwesen 

Yersachsprägong  von  1  Million  Stück,  iin  Jahre  1881  ausgeführt,  dessen  Zweck- 
mäßigkeit dargethan  hatte,  mit  den  eigentlichen  Neuprägungen  der  Zwanzigrappen- 
stücke im  Jahre  1883  begonnen.  Beiläufig  möge  erwähnt  werden,  daß  die  Schweis 
bis  jetzt  der  einzige  Staat  ist,  der  Yerkehrsmünzen  /aus  reinem  Nickel  besitzt. 

Zur  Unterscheidung  der  neuen  Nickelmünzen  von  denjenigen  der  früheren 
Periode  wurden  erstere  in  allen  drei  Sorten  mit  einem  neuen  Aversstempel 
(Helvetiakopf)  geprägt.  Für  die  Kupfermünzen  ist  an  den  ursprünglichen  Be- 
stimmungen des  ersten  schweizerischen  Müuzgesetzes  vom  7.  Mai  1850  nichts 
geändert  worden,  und  haben  Prägungen  von  Kupfermünzen  seit  der  Münzreform 
bis  in  die  jetzige  Zeit  je  nach  Bedürfniß  alle  2 — 3  Jahre  stattgefunden. 

Noch  bleibt  zu  erwähnen  eine  der  Schweiz  eigenthümliche  Münze,  die  zwar 
keine  Verkehrsmünze,  vielmehr  eine  Medaille  mit  Werthbezeichnung  ist.  Es  betrifft 
dieses  die  silberoen  sog.  eidgenössischen  Schützenthaler,  oder  richtiger 
Schützenmedaillen,  welche  bei  Gelegenheit  der  alle  zwei  Jahre  abgehaltenen 
eidgenössischen  Schützenfeste  von  dem  jeweiligen  Organisationskomite  als  Schieß- 
prämien verabfolgt  werden.  Diese  in  Gewicht,  Größe  und  Feingehalt  den  Fünf- 
frankenstücken analogen  Schützenmedaillen  erhielten  bis  dato  bei  jedem  Schützen- 
feste eine  neue  Stempelzeichnung  mit  dem  Namen  und  dem  Wappen  des  Festortes. 
Dieselben  wurden  bis  anhin  unter  staatlicher  Kontrole  in  der  eidgenössischen 
Münzstätte  geprägt  und  erhielten  demzufolge  die  Werthbezeichnung  5  Fr.,  haben 
jedoch  bloß  fakultativen  Kurs  und  werden  von  den  eidgenössischen  Kassen  nicht 
angenommen. 

Diese  Schützenthaler  liegen  übrigens  meistens  in  Privataammlungen  und 
kommen  im  Verkehr  nur  selten  vor.  Von  nun  an  werden  dieselben  nicht  mehr 
unter  staatlicher  Aufsicht  geprägt  und  deßhalb  auch  nicht  mehr  mit  Werth- 
bezeichnung versehen. 

Das  alljährlich  zu  prägende  Münzkontingent  wird  jeweilen  vom  Bundes- 
rathe  in  der  eidgenössischen  Budgetvorlage  bestimmt  und  unterliegt  der  Ge- 
nehmigung der  Bundesversammlung. 

Die  eidgenössische  Münzstätte  gehört  zum  Geschäftskreis  des  eidgenös- 
sischen Finanzdepartementes.  Dieselbe  wurde  in  Bern  am  1.  September  1855  im 
ehemaligen  kantonalen  bernischen  Münzgebäude  als  solche  eröffnet.  Ursprünglich 
nur  zur  Erstellung  von  Kupfermünzen  und  zur  Prägung  von  Medaillen  eingerichtet, 
ist  dieselbe  jetzt  im  Stande,  sämmtliche  Münzsorten  zu  prägen.  Seit  deren  Er- 
öffnung, resp.  schon  vom  Jahre  1853  an  bis  heute,  sind  mit  Ausnahme  der  im 
Jahre  1874  in  Brüssel  geprägten  Fünffrankenstücke  sämmtliche  Prägungen  für 
die  Schweiz  in  dieser  Anstalt  ausgeführt  worden. 

Die  Kontrole  über  die  geprägten  Münzen  wird  von  einem  Münzkommissär 
und  zwei  Essajeurs  ausgeübt;  der  erstere  ist  ein  Beamter  des  schweizerischen 
Finanzdepartementes,  die  letzteren  werden  jeweilen  vom  Bundesrathe  gewählt. 
Die  Münzprägungen  geschehen  für  Rechnung  des  Bandes.  Aus  den  auf  den 
Prägungen  sich  ergebenden  Gewinnsten  ist  ein  eigener  Fond,  der  sog.  Münz- 
reservefond, gebildet  worden.  Aus  demselben  werden  dann  wieder  die  durch 
das  Einziehen  der  außer  Kurs  gesetzten  Münzen  sich  ergebenden  Verluste  gedeckt. 

Dieser  Münzreservefond  ist  bis  Ende  1886  auf  Fr.  3^513,610.  30  ange- 
wachsen. 

Die  geprägten  Münzen  werden  von  der  eidgenössischen  Münzstätte  nicht 
direkt  an  das  Publikum  abgegeben,   dieselben  werden  vielmehr  an  die  eidgenös- 


Münzwesen  —     487      —  Mönzwesen 

sische  Staatskasse  abgeliefert,  welche  dann  darch  Vermittlung  der  Kreispost-  und 
Zollkassen  den  Abfluß  in  den  Verkehr  besorgt.  Ebenso  vermittelt  oder  vollführt 
die  eidgenössische  Münzstätte  keinerlei  MUnzaustausch  oder  MUnzauswechslung. 
Genaue  Bestimmungen  hierüber  enthält  folgendes  vom  Bundesrathe  aufgestellte 

Betflement  vom  10.  Märe  1869 
über  die  Zirkulation  und  den  Austausch  der  Silberscheidemümen,  der  Nickel- 

und  Kupfermüneen : 

I.  Zirkulation  der  Silberschetdemü^een.  Art.  1.  Nach  Art.  6  des  internationalen 
Münzvertrages  vom  23.  Christmonat  1865  ist  Jedermann  gehalten,  schweizerische  Silber- 
scheidemönzen  (Zwei-,  Ein-  und  Halbfrankenstücke)  bis  auf  fünfzig  Franken  an  Zahlungs- 
statt anzunehmen. 

Hinsichtlich  der  Silberscheidemünzen  (Zwei ,  Ein-  und  Halbfranken  und  Zwanzig- 
centimesstücke)  derjenigen  Staaten  (bis  jetzt  Belgien,  Frankreich,  Italien  und  Griechen- 
land), welche  mit  der  Schweiz  im  Münzverbande  stehen,  ist  die  Annahme  für  Privaten 
freigestellt. 

Art.  2.  Die  Bundeskässe,  die  Hauptzoll-  und  Kreispostkassen,  sowie  die  Kassen 
der  eidgenössischen  Pulververwaltung,  die  Grenzzoll-,  Post-  und  Telegraphenbureaux  und 
die  ÖfTentlichen  Kassen  in  den  Kantonen  sind  gehalten,  die  schweizerischen  Silberscheide- 
münzen in  unbeschränktem  Maße  an  Zahlungsstatt  anzunehmen,  dagegen  sind  sie  zur 
Annahme  einer  höhern  Summe  als  hundert  Franken  nicht  verpflichtet,  wenn  fremde 
Silberscheidemüiizen  an  Zahlung  gegeben  werden  wollen. 

Den  Kantonen  bleibt  überlassen,  auf  ihrem  Gebiete  diejenigen  Kassen  naher  zu 
bezeichnen,   welche   innert  den  Schranken  dieser  Bestimmung  sich  zu  bewegen  haben. 

Bei  Zahlungen,  welche  die  obgenannten  schweizerischen  Kassen  an  Privaten  zu 
machen  haben,  gilt  hinwieder  die  Vorschrift  des  Art.  1   hievor. 

IL  Austausch  der  Süher Scheidemünzen  im  AUgetneinen.  Art.  3.  Die  schweizerischen 
Silberscheidemünzen  können  zu  jeder  Zeit  bei  der  Bundeskasse,  bei  den  Hauptzoll-  und 
Kreispostkassen,  sowie  bei  den  verschiedenen  Kassen  der  Pulververwaltung  gegen  grobe 
gesetzliche  Sorten  (Gold-  oder  silberne  Fun ffran kenstücke)  ausgetauscht  und  umgekehrt 
von  diesen  Kassen  Silberscheide  münzen  gegen  grobe  gesetzliche  Sorten  bezogen  werden. 

Die  Summe  eines  einmahgen  solchen  Bezuges  darf  jedoch  nicht  weniger  als  fünfzig 
Franken  betragen.  Die  zu  diesem  Zwecke  ein-  und  ausgehenden  Gelder  genießen  der 
Portofreiheit,  sofern  dabei  die  von  der  Postverwaltnng  diesfalls  erlassenen  Vorschriften 
beobachtet  werden. 

Art.  4.  Fremde  Silberscheidemünzen  werden  von  den  eidgenössischen  Kassen  behufs 
bloßen  Austausches  nicht  angenommen. 

Für  den  Fall,  daß  Privaten  oder  öffentliche  Kassen  von  der  Bestimmung  des  Art.  8 
des  Münzvertrages  sollten  Gebrauch  machen  und  fremde  Silberscheidemünzen  gegen 
grobe  gesetzliche  Sorten  direkt  austauschen  wollen,  sind  hiefür  folgende  Kassen  im 
Auslande  bezeichnet: 

1)  Die  Nationalbank  in  Brüssel  für  die  belgischen  Münzen. 

2)  Das  Greneral-Sehatzamt  in  Lyon  (Tr^sorerie  g6n6rale)  \  fürdiefranzösi- 

3)  Die  Partikular-Einnehmerstelie  in  Mülhausen  (Recette  particuli^re) )  sehen  Münzen. 

4)  Das  Provinzial-Schatzamt  in   Corao  (Tr^sorerie   provinciale)  für  die  italienischen 
Münzen. 

Die  zum  Umtausch  bestimmte  Summe  darf  jedoch  nicht  weniger  als  hundert  Franken 
betragen  (Art.  8  des  Münz  Vertrages)  und  in  Bezug  auf  Verpackung  und  Ausscheidung 
der  Münzen  sind  im  Allgemeinen  die  in  Art.  5,  Lemma  3  und  4  aufgestellten  Vorschriften 
zu  beobachten. 

Art.  5.  Privaten  welche  vorziehen  sollten,  den  Umtausch  mit  den  im  Art.  4 
genannten  auswärtigen  Kassen,  statt  direkt,  durch  Vermittlung  der  Bundeskasse  zu  be- 
werkstelligen, ist  dies  zu  folgenden  Bedingungen  gestattet. 

Die  betreffenden  Münzen  sind  in  Summen  von  wenigstens  tausend  Franken  frankirt 
an  die  eidgenössische  Staatskasse  zu  senden. 

In  jeder  Sendung  sind  die  Münzen  nach  ihrer  Herkunft  und  ihrem  Werthe  genau 
zu  ordnen,  so  daß  jede  Rolle  oder  jedes  Paket  nur  Stücke  einer  und  derselben  Sorte 
und  eines  und  desselben  Werthes  enthält. 

Wenn  größere  Summen  als  fünftausend  Franken  auszutauschen  sind,  so  ist  für 
jede  einzelne  Sorte  ein  besonderes  Paket  zu  machen,  oder  ein  besonderer  Sack  zu  ver- 


Münzweäeo  —     488     —  Münzwesen 

wenden.    Die  ganze  Summe  soll  jedoch  schließlich  in  einer  und  derselben  Sendung  ent- 
ballen  sein. 

Die  Münzen  werden  bei  ihrer  Ankunft  von  der  Staatskasse  gezählt,  und  das  Resultat 
dieser  2^hlung  ist  für  den  Versender  ma(»gebend. 

Art.  6.  Spätestens  dreißig  Tage  nach  Empfang  des  Geldes  richtet  die  Bundeskasse 
den  Gegenwerth  frankirt  und  auf  Verlangen  in  groben,  gesetzlichen  Sorten  aus,  unter 
Abzug  folgender  Spesen  als  Vergütung  für  gehabte  Portoauslagen: 

80  Rappen  per  100  Franken  für  belgische        Münzen 
50        „  ,       ,  ,  „    französische         , 

80        ,  ,       ,  ,  ,    italienische  , 

Die  Spesen  für  frankirte  Zusendung  des  Gegeqwerthes  sind  in  obigen  Taxen  in- 
begriffen. 

III.  Zirkulation  upid  Ätistausch  der  Nickel-  und  Kupfermünzen.  Art.  7.  Zur 
Annahme  von  Nickel-  (Zwanzig-,  Zehn-  und  Fünfcentimesstücken)  und  Kupfermünzen 
(Zwei-  und  Eincentimesstücken)  sind  Private  in  folgendem  Maße  verpflichtet: 

a.  an  Nickelmüozen  zwanzig  Franken  i  welches  auch  der  Betrag 

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Den  in  Art.  2  hievor  bezeichneten  eidgenössischen  Kassen  und  Bureaux,  mit  Aus- 
nahme der  kantonalen  Kassen,  können  dagegen  diese  Münzsorten  in  behebigen  Quantitäten 
an  Zahlungsstatt  gegeben  werden.  Fremde  Nickel-  und  Kupfermünzen  sind  vom  Verkehr 
in  der  .Scliweiz  ausgeschlossen. 

Art.  8.  Den  Umtausch  der  Nickel-  und  Kupfermünzen  bewerkstelligen  die  in  Art  2 
hievor  genannten  Kassen :  die  Bundeskasse  gegen  Einsendung  von  wenigstens  Fr.  100, 
und  die  übrigen  Kassen  gegen  Einsendung  von  wenigstens  Fr.  50. 

Die  zu  diesem  Zwecke  ein-  und  ausgehenden  Gelder  genießen  der  Portofreiheit, 
sofern  dabei  die  von  der  Postverwaltung  diesfalls  erlassenen  Vorschriften  beobachtet 
werden. 

Art.  9.  Gegenwärtiges  Reglement  tritt  vom  Tage  seiner  Bekanntmachung  an  in 
Kraft ;  alle  frühem  mit  dem  gegenwärtigen  im  Widerspruch  stehenden  Reglemente  und 
Beschlüsse  werden  außer  Kraft  gesetzt.  j^  B    ..ijif  . 

Fälschungen  schweizerischer  Münzen  sind  mit  Ausnahme  der  schon  er- 
wähnten Fälschungen  der  Zwanzip^appenstticke  der  ersten  Emission  keine  von 
Beiang  oder  in  größerem  Maßstabe  vorgekommen.  Fälschungen  von  Silbermünzen, 
jedo(;h  nur  durch  Guß,  kommen  jeweilen  von  Zeit  zu  Zeit  vor.  Da  solche  Stücke 
jedoch  nur  vereinzelt  auftreten  und  gewöhnlich  leicht  erkennbar  sind,  so  wird 
denselben  keine  Wichtigkeit  beigemessen. 

Wir  führen  schließlich  noch  einen  Bundesrathsbeschluß  an  vom 
17.  Juni  1867,  betreffend 

Zcifilnruiifi  falscher  und  Ersatzlelstunf/  für  zerschnittene  ächte  Münzen. 

Art.  1.  Die  eidgenössischen  Finanzbeamten  sind  angewiesen  und  die  öffentlichen 
kantonalen  Kassabeamten  ermächtigt,  falsche  Münzen,  wenn  ihnen  dieselben  an  2^ahlungs- 
statt  angeboten,  oder  sonst  vorgewiesen  werden,  vermittelst  Zerschneidens  zur  Zirkulation 
untauglich  zu  machen  und  sie  dem  Träger  oder  Einsender  zurückzustellen. 

Vorbehalten  bleiben  selbstverstundlich  die  bestehenden  gesetzlichen  Vorschriften 
nber  polizeiliche  Maßnahmen,  wenn  die  betreffende  Person  oder  Firma  der  Falschmünzerei 
oder  des  Munzbetrugs  verdächtig  ist.  In  diesem  Falle  ist  der  zuständigen  Polizeibehörde, 
unter  Zustellung  der  Münze,  sofort  Anzeige  zu  machen. 

Art.  2.  Wenn  ein  Geldstück,  oder  mehrere  solche,  auf  die  im  iVrt.  1  bezeichnete 
Weise  unbrauchbar  gemacht  worden  sind,  und  Zweifel  darüber  erhoben  werden,  ob  die 
betreffende  Münze  falsch  sei,  so  kann  dieselbe  der  eidgenössischen  Münzstätte  zur  maß- 
gebenden Untersuchung  fibermittelt  werden. 

Geht  durch  die  Untersuchung  die  Aechtheit  der  unbrauchbar  gemachten  Münze 
hervor,  so  leistet  fVir  deren  Nennwerth  die  Eidgenossenschaft  in  diesem  Falle  vollen  Ersatz. 

Art.  3.  Gegenwärtiger  Bescliluü  tritt  vom  Tage  seiner  Bekanntmachung  an  in 
Kiatt.     Das  Finanzdepartenient  ist  mit  dessen  Vollziehung  beauftragt. 


Münzwesen 


489     — 


Münzwesen 


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Silbermünzen     Fr.  23'520,848.  — 


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Dem  Verkehre  sind  entzogen  worden  durch  Rückzug  und  Außerkurserklärung 
der  betreffenden  Münzsorten  : 

Silbermümen:  Die  Emissionen  der  Zwei-,  Ein-  und  Halbfrankenstücke  von 
1850,  51,  57,  60—63.     Letzter  Termin  der  Einlösung:   31.  Dezember   1881. 

Billonmümen:  Die  Emissionen  der  Zwanzig-,  Zehn-  und  Pünfrappenstücke 
von  1850,  51,  58,  59,  71,  72,  73,  74,  75,  76,  77,  78.  Letzter  Termin  der 
Einlösung:  30.  Juni  1886. 

Kupfermünzen  sind  keine  zurückgezogen  worden. 

Es  sind  also  im  Ganzen  aus  dem  Verkehr  zurückgezogen  worden: 

2  Fr.  =     6W1,382  Stück  =-  Fr.  12'002,764.  — 

1  Fr.  =    9^268,084      .      ---  ,  9^268,084.  — 

V«  Fr.  =    4'500,000      .       =  ^  2'250,000.  — 

20  Rp.  =  15*883,608      ,       =-  ,  3*176,721.  60 

10  Rp.  =  17*694,848      ,       ^  ,  1*769,484.  80  }  Billonmünzen       ,      6*271,884.  70 

5  Rp.  --  26*513,566      ,      =  ,  1*325,678.  30                            

Total  der  Rückzüge  und  Außerkurssetzung  Fr.  29*792,732.  70 
Aus  der  vorliegenden  Tabelle  der  Münzrückzüge  ergibt  sich,  daß  bei  den 
Silbermünzen  im  Durchschnitt  20 — 25  ^/o  der  ausgegebenen  Münzen  beim  Rück- 
zuge nicht  mehr  einlangten.  Bei  der  ersten  Emission  der  Zweifranken  von  1850 — 57 
steigt  die  Zahl  der  nicht  wieder  eingelangten  Stücke  sogar  bis  auf  45,8  ^/o ;  es 
mag  dieses  wohl  daher  rühren,  daß  von  dieser  Sorte  bei  den  früheren,  hohen 
Silberpreisen  ein  ziemlich  ansehnliches  Kontingent  eingeschmolzen  und  zu  Industrie- 
zwecken verwendet  worden  ist. 

Die  durch  die  Zirkulation  hervorgebrachte  Abnutzung  betrug  bei  den  aus 
dem  Verkehr  zurückgezogenen  Silbermüneen,  bei  den  Zwei-  und  Einfrankenstücken 
durchschnittlich  zwischen  1  und  2  ^/o  vom  ursprünglichen  Normal  gewicht,  bei 
den  kleinen  Halbfrankenstücken  zwischen  4  und  5  ^/o.  Von  den  Billonmünzen 
sind  ca.  30  ®/o  von  den  Zehn-  und  Zwanzigrappensiücken,  von  den  Fünfrappen- 
stücken  sogar  gegen  70  ^/o  der  ansgegebenen  Münzen  nicht  mehr  zum  Rückzuge 
gelang^.  Die  Abnutzung,  durch  die  Zirkulation  hervorgebracht,  betrug  bei  den 
zurückgezogenen  Billonmünzen  zwischen  4  und  6  ^/o  vom  Normalgewicht. 


1 

Münzprägungen  und  Münzrückzüge, 

Stückzahl. 

Prägungen 

Rückzüge 

In  Zirkulation 

1850—1886 

1850—1886 

1886 

20  Fr.     .     .     .             500,000 

500,000 

5  Fr.     . 

2*126,000 

2*126,000 

2  Fr.     . 

11'001,382 

6*001,382 

5*000,000 

1  Fr. 

17^268,084 

9*268,084 

8*000,000 

Va  Fr.     . 

10*500,000 

4*500,000 

6*000,000 

20  Rp.     . 

26*383,608 

15*883,608 

10*500,000 

10  Rp.    . 

34*694,848 

17*694,848 

17*000,000 

5  Rp.    . 

42*513,566 

26*513,566 

16*000,000 

2  Rp.    . 

16*513,300 

16*513,300 

1  Rp.    . 

27*046,097 

27*046,097 

Nennwert] 

1 

F 

r.  76*623,459.  67 

29*792,732.  70 

46*830,726.  9' 

Die  Zusammenstellung  der  Münzprägungen  und  der  Münzrückzüge  von 
1850 — 1886  ergibt  nach  vorliegender  Tabelle  als  im  Verkehr  bleibend  ein 
schweizerisches  Münzkontingent  von  Fr.  46*830,726.  97. 


Mfinzwesen  —     492     —  Münzwesen 

Wir  dürften  kaum  zu  tief  geben,  wenn  wir  dasselbe  gegenwärtig  (Apiil 
1887)  nocb  auf  rund  42  Millionen  Franken  veranscblagen,  da  von  den  in  den 
Jabren  1850/51  emittirten  Fünf  frankenstücken  eine  erbeblicbe  Anzabl  zu  Industrie- 
zwecken eingescbmolzen  wurde,  und,  wie  wir  aus  der  Tabelle  der  Münzrückztige 
geseben  baben,  von  den  kleineren  Münzsorten  stets  ein  verhältnißmäßig  bedeutender 
Prozentsatz  sieb  ziemlicb  rascb  aus  dem  Verkebr  verliert.  Bei  einer  Bevölkenmgs- 
zabl  von  3  Millionen  Einwobnem  für  die  Scbweiz  würde  sieb  somit  per  Kopf  ein 
Betrag  von  ca.  Fr.  14  ergeben.  Hiezu  gesellt  sieb  nocb  eine  gewisse  Menge 
fremden  Geldes,  dessen  Betrag  aber  unmöglicb  anzugeben  ist. 

Zusammenstellung    der    gegenwärtig    (Anfangs   1887)    in   Kraft   bestehenden 
Gesetzesparagraphen  des  eidgenössischen  MUnzgesetzes  von  1850  mit  seinen 

verschiedenen  Zusätzen  und  Abänderungen, 

wie    solcbes  im  Zusammenbange  lauten  würde  (abgesehen  vom  Bundesgesetz  be- 
treffend die  Prägung  von  Goldmünzen,  vom  22.  Cbrüitmonat  1870,  Seite  484): 

(Lat.  Münzvertrag  vom  6.  November  1885.  Bundesgesetz  vom  7.  Mai  1850.) 
Fünf  Grammen  Silber  achtbundertfünfunddreißig  Tausendtbeile  fein  {^^^l\oao)  machen 
die  scbweiz.  Münzeinheit  aus,  unter  dem  Kamen  Franken. 

(B.-G.  v.  7.  Mai  1850.)  Der  Franken  tbeilt  sich  in  hundert  (100)  Bappen 
(Centimes). 

(B.-G.   V.   7.  Mai  1850.)   Die  schweizerischen  Münzsorten  sind: 
a.  In  Silber: 

Das  Fünffrankenstück, 
das  Zweifrankenstück, 
das  Einfrankenstück, 
das  Halbfrankenstück. 


h.  In  Billon 


c.  In  Kupfer: 


Das  Zwanzigrappenstück, 
das  Zehnrappenstück, 
das  Fünfrappenstück. 


Das  Zweirappenstück, 
das  Happens tück. 

(B.-G.  V.  31.  Jan.  1860.)  Die  französischen  Goldmünzen,  welche  im  Ver- 
bältnisse von  einem  Pfund  fein  Gold  zu  fünfzehn  und  einem  halben  Pfund  fein 
Silber  ausgeprägt  sind,  werden  für  so  lange,  als  sie  in  Frankreich  zu  ihrem 
Nennwertbe  gesetzlichen  Kurs  haben,  ebenfalls  zu  ihrem  Nennwerthe  als  gesetz- 
liches Zahlungsmittel  anerkannt. 

Diese  Bestimmung  gilt  auch  für  die  von  andern  Staaten  in  vollkommener 
Uebereinstimmung  mit  den  entsprechenden  französischen  Münzsorten  ausgeprägten 
Goldmünzen. 

Der  Bundesrath  wird  nach  vorheriger  Untersuchung  bestimmen,  welche  aus- 
ländischen Goldmünzen  vorstehenden  Bedingungen  entsprechen  und  als  gesetzliches 
Zablungs  i  ittel  anzuerkennen  sind. 

(B.-G.  V.  31.  Jan.  1860;  Münzvertrag  v.  6.  Nov.  1885.)  Die  Zweifranken-, 
Eiufranken-  und  Halbfranke  .^stücke  werden  fortan  als  bloße  Silberscheidemünzen 
ausgeprägt;  sie  erhalten  so  viel  Mal  das  Gewicht  von  fünf  Grammen,  als  ihr 
Nennwerth  es  ausspricht.  Sie  enthalten  achtbundertfünfunddreißig  Tausendtbeile 
feines  Silber. 

(B.-G.  v.  30.  April   1881.)    Das  Zwanzigrappenstück  wird    ausgeprägt  im 


Mönzwesen  —     493     —  Münzwesen 

Grewichte  von  vier  Grammen    und   besteht  aus  Nickel  mit  oder  ohne  einen  Zu- 
satz von  Kupfer. 

(B.-G.  V.  29.  März  1879.)  Das  Zehnrappenstück  wird  ausgeprägt  im  Ge- 
wichte von  drei  Grammen.  Das  Fiinfrappenstiick  wird  ausgeprägt  im  Gewichte 
von  zwei  Grammen.  Beide  Münzsorten  werden  aus  einer  Legirung  von  Kupfer 
und  Nickel  hergestellt. 

(B.-G.  v.  7.  Mai  1850.)  Das  Zweirappensttick  wiegt  272  Grammen;  da» 
Einrappenstück  wiegt  1 Y2  Grammen.  Die  Kupfersorten  sollen  aus  Kupfer,  mit  Zu- 
satz von  Zinn  bestehen. 

(Münzvertrag  v.  6.  Nov.  1885.)  Die  erlaubte  Fehlergrenze  im  Feingehalte 
der  schweizerischen  Münzen  ist  festgesetzt : 

Für  die  Fünffrankenstücke  auf  zwei  Tausendtheile  (^looo). 

Für  die  Zwei-,  Ein-  und  Halbfrankenstücke  auf  drei  Tausendtheile  (Yiooo) 
nach  Innen  und  nach  Außen,  d.  h.  an  Minder-  oder  Mehrgehalt. 

Vorkommende  Abweichungen  nach  Innen  sollen  stets  durch  entsprechende 
Abweichungen  nach  Außen  wieder  ausgeglichen  werden. 

(B.-G.  V.  7.  Mai  1850;  Regulativ  v.  20.  Jan,  1871.)  Die  erlaubte  Fehler- 
grenze im  Gewicht  nach  Innen  und  nach  Außen,  d.  h.  an  Minder-  oder  Mehr- 
gewicht ist  festgesetzt: 

a.  Bei  den  Silbersorten  :  für  das  Fünffrankenstück  auf  drei  Tausendtheile  (7iooo), 
für  das  Zweifrankenstück  auf  fünf  Tausendtheile  (Vi 000),  für  das  Einfranken- 
stück auf  fünf  Tausendtheile  (*/iooo),  für  das  Halbfrankenstück  auf  sieben 
Tausendtheile  (Viooo). 
6.  Bei  den  Billonsorten ;  für  das  Zwanzigrappenstück  auf  zwölf  Tausendtheile 
(^Viooo),  für  das  Zehnrappenstück  auf  fünfzehn  Tausendtheile  (^^i^oo),  für 
das  Fünfrappenstück  auf  achtzehn  Tausendtheile  (^V^^oo). 
c.  Bei  den  Kupfersorten:  für  das  Ein-  und  Zweirappenstück  auf  fünfzehn 
Tausendtheile  {^^/i 000). 

Bei  den  Silbersorten  ist  die  Abweichung  nur  auf  dem  einzelnen  Stück  ge- 
stattet; bei  den  Billonsorten  gilt  dieselbe  für  je  zwanzig  Stück  zusammen  ge- 
wogen, und  bei  den  Kupfersorten  für  je  hundert  Stück  zusammen  gewogen.  Alle 
Abweichungen  nach  Innen  sollen  durch  entsprechende  Abweichungen  nach  Außen 
wieder  gut  gemacht  werden. 

(B.-G.  V.  7.  Mai  1850.)  Der  Durchmesser  der  Silbersorten  soll  mit  dem- 
jenigen der  entsprechenden  französischen  Sorten  übereinstimmen. 

(B.-G.  V.  7.  Mai  1850.)  Niemand  ist  gehalten,  andere  Münzen  anzunehmen, 
mit  Ausnahme  solcher  Silbersorten,  die  in  genauer  Uebereinstimmung  mit  dem 
durch  das  gegenwärtige  Gesetz  aufgestellten  Münzsystem  geprägt  und,  nach  vor- 
heriger Untersuchung,  von  dem  Bundesrathe  als  diesen  Bedingungen  entsprechende 
Zahlungsmittel  anerkannt  sind. 

(B.-G.  V.  31.  Jan.  1860.)  Der  Bundesrath  wird  entscheiden,  ob  und  welche 
fremde  Silbertheilmünzen  im  Verkehre  zuzulassen  seien. 

(B.-G.  V.  22.  Christm.  1870.)  Den  öffentlichen  Kassen  der  Eidgenossenschaft 
ist  es  untersagt,  andere  als  gesetzliche  Münzsorten  an  Zahlung  zu  nehmen. 

In  außerordentlichen  Zeiten  jedoch,  und  wenn  Mangel  an  gesetzlichen  Münzen 
eintreten  sollte,  behält  sich  die  Bundesversammlung  vor,  für  Münzen,  die  in 
anderer  Währung  geprägt  sind,  eine  ihrem  eigentlichen  Gehalte  entsprechende 
Werthung  aufzustellen.  Diese  Werthung  ist  sodann  für  alle  öffentlichen  und 
Privatkassen  auf  Schweizergebiet  verbindlich,  und  die  so  gewertheten  Münzen 
sind  den  gesetzlichen  Münzen  gleichgestellt,  so  lange  die  Tarifirung  dauert. 


Munzwesen  —     494     —  Hünzwesen 

(Lat.  Münivertrag  v.  6.  Nov.  1885;  B.-G.  v.  7.  Mai  1850;  B.-G.  v. 
29.  März  1879.)  Niemand  ist  gehalten,  mehr  als  fünfzig  Franken  an  Werth  in 
Silherscheidemünze,  mehr  als  zehn  Franken  an  Werth  in  Billon,  nnd  mehr  als 
zwei  Franken  an  Werth  in  Kupfermünzen  als  2^h]ung  anzunehmen,  welches  aach 
der  Betrag  der  Zahlung  sein  mag. 

(B.-G.  V.  7.  Mai  1850.)  Der  Bundesrath  hezeichnet  in  jedem  Kanton  die- 
jenigen Kassen,  denen  die  Verpflichtung  obliegt,  jeweilen  schweizerische  BiUon- 
und  Kupfermünzen  einzuwechseln,  jedoch  nicht  in  Beträgen  unter  fünfzig  Franken. 

(B.-G.  V  31.  Jan.  1860.)  Die  gemäß  dem  gegenwärtigen  Gesetze  ausge- 
prägten schweizerischen  Silberscheidemünzen  können  bei  den  hiefür  bezeichneten 
Kassen  gegen  gesetzliche  grobe  Münzsorten  umgewechselt  werden,  jedoch  nicht 
in  Beträgen  unter  fünfzig  Franken. 

(^B.-G.  V.  7.  Mai  1850.)  Die  Bundesversammlung  setzt  jeweilen  die  Summen 
und  die  Sorten  der  stattzufindenden  Ausprägungen  fest. 

(B.-G.  V.  7.  Mai  1850.)  Die  abgenutzten  Schweizermünzstücke  sollen  ein- 
gezogen, eingeschmolzen  und  durch  neue  ersetzt  werden.  Die  daherigen  Kosten 
sind  jeweilen  in  das  Auügabenbudget  aufzunehmen. 

(B.-G.  V.  31.  Jan.  1860;  B.-B.  v.  1.  Juli  1875.)  Aus  den  bei  den  neuen 
Münzprägungen  sich  ergebenden  Einnahme-Ueberschüssen  ist  ein  Reservefond  zu 
bilden,  aus  dem  je  nach  Erforderniß  die  Kosten  ganz  oder  theilweise  gedeckt 
werden  sollen,  welche  die  Einlösung  abgenutzter  Schweizermünzen  zur  Folge 
haben  wird.  Der  Bundesversammlung  wird  vorbehalten,  über  die  Verzinsung 
dieses  Reservefonds  bei  der  jeweiligen  Berathung  des  Budgets  auf  Antrag  des 
Bundesrathes  weitere  Schlußnahmen  zu  fassen. 

Uehersicht  der  (Anfancfs  1887)  in  Kraft  bestehenden  Gesetze,    Verordnungen, 
Recflemenie  etc.  betreffend  das  Münzwesen  der  Schweiz. 

Neue  Bundesverfassung  (v.  29.  Mai  1874)  Art.  38.  A.  S.  n.  F.  I,   13. 

Bundesgesetz  über  das  eidgenössische  Münzwesen  (v.  7.  Mai  1850),  A.  S. 
a.  F.  I,  305.  Abänderungsgesetze  :  31.  Januar  1860,  A.  S.  a.  F.  VI, 
442;  22.  Dezember  1870,  A.  S.  a.  F.  X,  342;  29.  März  1879,  A.  S.  n.  F.  IV, 
217;  30.  April   1881,  A.  S.  n.  F.  V,  453. 

Bundesbeschluß  betreifend  Errichtung  einer  eidgenössischen  Münzstätte 
(v.   28.  Januar  1854).    A.  S.  a.  F.  IV,   19. 

Verordnung  über  die  Organisation  der  eidgenössischen  Münzstätte  (vom 
17.  März  1860).  A.  S.  a.  F.  VI,  463.  Abänderungsbeschluß  des  Bundes- 
rathes:  20.  Januar   1871.    A.  S.  a.  F.  X,  372. 

Uebereinkunft  zwischen  dem  schweizerischen  Bundesrath  und  der  Regiernng 
des  Kantons  Bern,  betreffend  die  nutzuugsweise  Abtretung  des  Münzgebäudes 
(v.  4.  November  1854).    A.  S.  a.  F.  V,  44. 

Bundesrathsbeschluß  betreffend  Zerstörung  falscher  und  Ersatzleistung  für 
zerschnittene  ächte  Münzen  (v.  17.  Brachmonat  1867).  A.  S.  a.  F.  IX,  760. 

Reglement  über  die  Zirkulation  und  den  Austausch  der  Silberscheide- 
münzen, der  Nickel-  und  Kupfermünzen  (v.  10.  März  1869).  A.  S. 
a.  F.  IX,  640. 

Bundesgesetz  betreffend  die  Prägung  von  Goldmünzen  (v.  22.  Dezember 
1870).    A.  S.  a.  F.  X,  346. 

Regulativ  über  die  Kontrolirung  der  Münzfabrikation  in  Beziehung 
k      Auf  das  Gewicht  und  den  Feingehalt  (v.  20.  Januar  1871).    A.  S.  a.  F.  X,  373. 


Münzwesen  —      495      —  Münzwesen 

Regulativ  über  Prägung  von  Goldmünzen  für  Rechnung  dritter 
Personen  (v.   15.  Januar  1873).  A.  S.  a.  F.  XI,  96. 

Bundesbeschluß  betreflFend  NichtVerzinsung  des  Münzreservefonds  (vom 
1.  Juli  1875).   A.  S.  n.  F.  I,  585. 

Münzvertrag  zwischen  der  Schweiz,  Frankreich,  Griechenland  und  Italien 
(v.   6.  November  1885).    A.  S.  n.  F.  VIII,  425. 

Zusatzakt  zu  obigem  Münzvertrag.  Beitritt  von  Belgien  (v.  12.  Dezember 
1885).    A.  S.  n.  F.  VUI,  456. 

Münzvertrag  vom  6.  November  1885  (vergU  Seite  48?): 

Art.  1.  Die  Schweiz,  Frankreich,  Griechenland  und  Italien  halten  ihren  Münz- 
verband in  Bezug  auf  Feingehalt,  Gewicht,  Durchmesser  und  Kurs  ihrer  Gold-  und 
Silbermünzsorten  aufrecht. 

Art.  2.  Als  Typen  der  das  Gepräge  der  hohen  Vertragsstaaten  tragenden  Gold- 
münzen sind  anzusehen:  Die  Stücke  von  100  Franken,  von  50  Franken,  20  Franken, 
10  Franken  und  5  Franken,  deren  Feingehalt,  Gewicht,  Fehlergrenze  und  Durchmesser 
wie  folgt  festgestellt  werden: 

Feingehalt Gewicht 

Münzen  Richtiger       Fehlergrenze  des  Richtiffen  Fehlergrenze  des  ^^u*^" 

GohMlt       ^*'***'^»  °*c*^  ^°"*^"  Gewicht  Gewichts  nach  Innen       messer 

und  nach  Aussen  und  nach  Aussen 

Franken  Tausendstel  Tausendstel  Gramm  Tausendstel  Millimeter 

j  .  35 


f  100  I  (  32,258.06  \ 

50  16,129.03  1  • 

:     20  900  1  (     6,451.61  \  ^  )  21 

3,225.80  1  ^  19 

J  I     1,612.90  3  I    17 


10 
5 

Die  vertragschließenden  Regierungen  werden  an  ihren  öffentlichen  Kassen  die  in 
dem  einen  oder  dem  andern  der  vier  Staaten  nach  vorstehenden  Normen  geprägten 
Goldstücke  ohne  Unterschied  annehmen,  jedoch  unter  Vorbehalt  des  Ausschlusses  solcher 
Stücke,  deren  Gewicht  durch  Abnutzung  um  V«  7o  unter  die  obbezeichneten  Fehler- 
grenzen herabgesunken  oder  deren  Gepräge  verschwunden  sein  sollte. 

Art.  3.  Der  Typus  der  das  Gepräge  der  hohen  Vertragsparteien  tragenden  Silber- 
mflnzen  von  5  Franken  wird  mit  Bezug  auf  Feingehalt,  Gewicht,  Fehlergrenze  und 
Durchmesser  wie  folgt  festgestellt: 

. ^^«'°g«'"^'t ^    ^_ 2^i±i ^      Durch- 

Richtiger  Fehlergrenz«>  des  Gehalts  Richtiges  Fehlergrenze  des  Gewichts  messer 

Gehalt    '         nach  Innen  und  nach  Aussen  Gewicht  nach  Innen  und  nach  Aussen 

Tausendstel  Tausendstel  Gramm  Tausendstel  Millimeter 

900  2  25  3  37 

Die  vertragschließenden  Regierungen  werden  gegenseitig  an  ihren  öffentlichen 
Kassen  die  erwähnten  Silbermünzen  von  5  Franken  annehmen.  Jeder  der  Vertragsstaaten 
verpflichtet  sich,  von  den  öffentlichen  Kassen  der  andern  Staaten  diejenigen  silbernen 
Fünffrankenstücke  zurückzunehmen,  deren  Gewicht  durch  Abnutzung  um  1  V*»  unter  die 
gesetzliche  Fehlergrenze  herabgesunken  ist,  unter  dem  Vorbehalte  jedoch,  daß  keine 
betrügerische  Alterirung  solcher  Stücke  stattgefunden  habe,  oder  daß  deren  Gepräge 
nicht  verschwunden  sei.  In  Frankreich  werden  die  silbernen  Fünffrankenstücke  an  den 
Kassen  der  Bank  von  Frankreich  für  Rechnung  des  Staatsschatzes  angenommen,  wie 
dies  aus  den  zwischen  der  französischen  Regierung  und  der  Bank  von  Frankreich  am 
31.  Oktober  und  2.  November  1885  gewechselten  und  dem  gegenwärtigee  Vertrage 
angefügten  Schreiben  erhellt.  *)  Diese  Verpflichtung  erstreckt  sich  auf  die  in  Art.  13, 
Alinea  1,  festgesetzte  Dauer  des  gegenwärtigen  Vertrages,  ohne  daß  die  Bank  über 
dieselbe  hinaus  durch  die  in  Alinea  2  des  gleichen  Artikels  enthaltene  Bestimmung 
betreffend  die  stillschweigende  Vertragserneuerung  gebunden  wäre. 

Für  den  Fall,  daß  die  Bestimmungen  betreffend  den  gesetzlichen  Kurs  der  in  den 
andern   Staaten  der  Münzunion   geprägten  silbernen   Fünffrankenstücke   während   der 

^)  Hier,  weil  überflüssig,  nicht  abgedruckt 


F<>h!«rfreDZ«  d« 

Gewicht«  nx'h  Itmeo 

ubd  nach  Aaw^'O 

Durch- 
messer 

Gramm 

Taa^^dbtel 

MillimettT 

10.  00  1 
5.  00  1 
-2.  50 
1.  00 

i 

10 

27 
23 
18 
16 

\y!ktxM,r  Atzt  '.Oft  «1er  Bsiak  t.^ü  Frackreich  ein/e^.AiL,:eaTii  VcrpJiohtony.  sei  es  von 
^/rie^henUo'l  ^f^er  tod  luiiea  f-»«ler  von  der  Sriiwelz.  aui^eh-oben  werden  sollten,  wird 
Ofi  «ler  H^u'iti  fA^r  T^,a  den  Jlächten.  welche  diese  Anfhebnn;?  aosäpreehen.  die  Ver- 
pflichtuci;r  0 bermj mxnen.  ihre  EioIasionfLanktrn  Z3  TerhaiUrn.  •iie  sil^iemen  Fünffranken- 
<;tiV:ke  der  andern  Unio.'iäätaateQ  za  den  giei'^hen  Bedin^ngen  anzunehmen,  wie  die 
^iJl/ernefi  Ftjnffranken»t'V:ke  einheimischen  Gepri,?^.  Zwei  Monate  vor  Eintritt  des  für 
die  Knndiifunir  des  Vertrag  Ifezeichneten  Zeitpunktes  hat  die  fninz^'-sische  Re^ernng 
den  L'nion^laaten  kundzugeben,  ob  die  Bank  von  Frankreich  die  oberwähnte  Ver- 
fiflirhtunir  weiter  Qbemimmt  oder  nichL  Unterbleibt  diese  Mittheilung,  so  gilt  für  die 
Verpfli/thtanir  der  Bank  Ton  Frankreich  die  Bestimmung  Ober  die  stillschweigende 
Vertrajfrerneuerun^. 

Art.  4.  Die  vertragb^hlieCenden  Regierungen  verpflichten  sich,  SilbermQnzen  von 
i  Franken.  1  Franken,  50  Rappen  und  20  Rappen  nur  mit  Einhaltung  folgender  Normen 
in  Bezug  auf  Feingehalt,  Gewicht,  Fehlergrenz*;  und  Durchmesser  zu  prägen: 

Feingehalt  Crewicht 

Mllnzen  Kihti««  F|-bl.^r^r«2^    Ir« 

/•   w   1.  Gehait4  nach  Iva^n 

un<l  bar.'i  \n9**-tt 

Yt.  R|«  Tai.ft«^iiil«tel  Tanten  i4t-I 

±   00    I 

I.    00     I  ^OT  o 

0.  50  ^'  ^ 

0.  2K)  ' 

Die?»e  Münzen  sollen  von  den  Regierungen,  die  sie  ausgegeben  haben,  einge- 
H^rhrnolzen  werden,  s^ibald  ihr  Gewicht  durch  Abnutzung  um  5  "/o  unter  obbezeichnete 
Fehlergrenzen  heral>gesunken  oder  ihr  Gepräge  verschwunden  sein  sollte. 

Art.  5.  Die  naMi  den  Vorschriften  des  Art.  4  geprägten  Silbenuünzen  sollen  füi- 
die  f'rivaten  def>jenigen  Staates,  der  sie  ausgegeben  bat,  bis  zum  Belaufe  von  Fr.  50 
auf  jed^r  Z^ihlung  gesetzlichen  Kurs  haben.  Der  Staat,  der  sie  in  Umlauf  gesetzt  hat, 
wird  -tie  von  Meinen  l^nde^^angehörigen  ohne  Beschränkung  des  Betrags  annehmen. 

Art.  0.  Die  «iffentlii-hen  Ka.ssen  jede>-  der  vier  Staaten  werden  die  von  einem 
oder  HH.'hreren  «ier  anderen  Vertragsstaaten  gemal»  Art.  4  geprägten  Silbermünzen  bis 
zum  Belauf«;  von  Fr.  100  auf  jeder  Zahlung,  die  an  genannte  Kassen  geleistet  wird. 
iinnf?hni(;n. 

Art.  7.  Jede  der  vertragschließenden  Regierungen  verpflichtet  sich,  von  Privaten 
in\tr  den  ßlTentlichen  Ka.ssen  der  andern  Staaten  die  von  ihr  ausgegebenen  Silberscheide- 
nirinzim  :inzunehmen  und  gegen  einen  gleichen  Betrag  kurrenter  Gold-  oder  SilbermQnzen, 
<lie  n.'uh  den  Vorschriften  der  Art.  "1  und  3  geprägt  sind,  auszuwechseln;  jedoch  darf 
die  auszuwechselnde  Summe  nicht  weniger  als  Fr.  100  betragen.  Diese  Verpflichtung 
bleibt  noch  ein  Jahr  über  den  Ablauf  des  gegenwärtigen  Vertrages  hinaus  in  Kraft. 

Art.  8.  Die  Ausprägung  von  Goldstöcken  nach  Maßgabe  des  Art.  2,  mit  Ausnahme 
derjenigen  von  goldenen  FunlTrankenstucken,  welche  vorläufig  eingestellt  bleibt,-  ist  jedem 
der  V«!rtrags.--taaten  freigestellt.  Die  Ausjiragung  von  silbernen  Funffrankenstöcken  bleibt 
vorläufig  ein^'estcllt.  Sie  darf  nur  auf  Grund  einstimmigen  Einverständnisses  aller 
Vertnigsstaaten  wied<;r  aufgenommen  werden.  Sollte  jedoch  einer  der  Staaten  die  freie 
PräKUiig  der  silbernen  Funffrankenstficke  wieder  aufnehmen  wollen,  so  ist  ihm  solches 
unbciioniiiien,  unter  der  Bedingung,  daß  er  während  der  ganzen  Dauer  des  gegenwärtigen 
Vertrages  <Umj  andern  Vertra^'sstaateu  auf  ihr  Verlangen  die  von  ihm  geprägten,  auf 
ihrem  ({««biete  zirkulirenden  silbernen  Funffrankenstöcke  in  Gold  und  auf  Sicht  aus- 
werhsb*  o«It;r  rückzahle.  Im  Weitern  stünde  es  den  andern  Staaten  frei,  die  Fönffranken- 
^tückc  des  Staates,  «Ier  jene  Prägung  wieder  aufnähme,  nicht  mehr  anzunehmen.  Will 
ein  Staat  diese  Au-^pragung  wie<ier  aufnehmen,  so  hat  er,  derselben  vorgängig,  eine 
Kniilrnnz  mit  den  andern  verbündeten  Staaten  zu  veranlaßen,  um  die  Bedingungen 
dieser  Wiederaufnahme  festzustellen,  ohne  daß  jedoch  die  im  vorhergehenden  Alinea 
erwähnte  Hdugniß  an  das  Zustandekommen  eines  Einverständnisses  geknöpft  wäre, 
und  oline  daß  die  im  gleichen  Alinea  über  Austausch  und  Rückzahlung  stipulirten 
l|edin^;ungen  modifizirt  werden  dürften.  Kommt  es  zu  keiner  Verständigung,  so  behält 
-ich  die  Schweiz,  unbeschadet  der  Vergünstigung,  welche  ihr  durch  vorstehende  Be- 
slinniinngen  gegenül»i*r  einem  die  freie  Pnlgung  von  silbernen  Funffrankenstöcken  wieder 
aul'nelinienden  Staate  eingerrmmt  ist,  die  FVeiheit  vor,  vor  Ablauf  des  gegenwärtigen 
V^rt^a^M"•  ,\\\<  dein  Münzverbande  auszutreten.  Diese  Freiheit  ist  jedoch  an  die  doppelte 
BediiiKunK  geknüpll:  1)  daß  Wilhrend  vier  Jahren,  vom  Inkrafttreten  des  gegenwärtigen 


Mfinzwesen  —      497     —  Munzwesen 

Vertrages  an  gerechnet,  der  Art.  14  und  die  angehängte  Spezialvei  einbai  ung  nicht 
anwendbar  sein  sollen  gegenüber  denjenigen  Staaten,  welche  die  freie  Prägung  silberner 
Fünffrankenstücke  nicht  aufgenommen  haben;  und  2)  daß  die  Silbermünzen  der  ge- 
nannten Staaten  während  des  gleichen  Zeitraumes  in  der  Schweiz  auch  femer  gemäß 
den  Bestimmungen  des  gegenwärtigen  Vertrages  zirkuliren  dürfen.  Ihrerseits  verpflichtet 
sich  die  Schweiz,  während  des  gleichen  Zeitraumes  von  vier  Jahren  die  freie  Prägung 
silberner  Fünffrankenstücke  nicht  wieder  aufzunehmen.  Die  schweizerische  Bundes- 
regierung ist  ermächtigt,  die  Umschmelzung  der  frühem  Emissionen  schweizerischer 
Fünffrankenstücke,  bis  auf  den  Betrag  von  10  Millionen  Franken,  vornehmen  zu  lassen, 
wobei  ihr  jedoch  obliegt,  die  alten  Stücke  auf  ihre  Kosten  zurückzuziehen. 

Art  9.  Die  hohen  Verlragsstaaten  dürfen  Silbermflnzen  von  2  Franken,  1  Franken, 
.50  Rappen  und  20  Rappen,  die  nach  den  Vorschriften  des  Art.  i  geprägt  sind,  nur  bis 
zum  Betrage  von  6  Franken  auf  jeden  Einwohner  ausgeben.  Mit  Rücksicht  auf  die 
neuesten,  in  jedem  Staate  vorgenommenen  Volkszählungen  und  die  normale  Bevölkerungs- 
zanahme  werden  diese  Beträge  wie  folgt  festgestellt:  für  die  Schweiz  auf  Fr.  19*000,000, 
für  Frankreich,  Algier  und  die  Kolonien  auf  Fr.  256*000,000,  für  Griechenland  auf 
Fr.  lo  000,000,  für  Italien  auf  Fr.  182*400,000.  In  obigen  Summen  sind  die  Beträge 
inbegriffen,  welche  durch  die  Vertragsstaaten  bis  zum  heutigen  Tage  bereits  ausgegeben 
sind.  Die  italienische  Regierung  ist  ausnahmsweise  ermächtigt,  Silberscheidemünzen  im 
Betrage  von  20  Millionen  Franken  prägen  zu  lassen.  Diese  Summe  ist  dazu  bestimmt, 
die  Ersetzung  der  alten  Münzen  durch  solche  zu  sichern,  welche  den  Vorschriften  von 
Art.  4  des  gegenwärtigen  Vertrages  entsprechend  geprägt  sind.  Die  schweizerische  Bundes- 
regiemng  ist  ausnahmsweise  ermächtigt,  mit  Rücksicht  auf  die  Bedürfnisse  der  Landes- 
bevölkerung, Silberscheidemünzen  im  Betmge  von  6  Millionen  Franken  ])rägen  zu  lassen. 
Die  franz<ysische  Regierung  ist  ebenfalls  ausnahmsweise  ermächtigt,  zur  Umprägung  der 
früher  aus  der  Zirkulation  zurückgezogenen  päpstlichen  Münzen  in  silberne  Scheide- 
münzen bis  auf  den  Beirag  von  8  Millionen  Franken  zu  schreiten. 

Art.  10.  Die  Jahreszahl  soll  auf  den  in  den  vier  Staaten  geprägten  Gold-  und 
Silbermünzen  in  genauer  Uebereinstimmung  mit  dem  Datum  der  Aus{)rägung  angemerkt 
werden. 

Art.  11.  Die  Regierung  der  französischen  Republik  übernimmt  den  Auftrag,  alle 
auf  die  Emission  von  Münzen,  auf  die  Produktion  und  Konsumtii)n  von  Edelmetallen, 
aul  den  Münzumlauf,  die  Falschmünzerei  und  Alterirung  von  Münzen  bezüglichen  ad- 
ministrativen und  statistischen  Dokumente  zusammenzustellen.  Sie  wird  dieselben  den 
andern  Regierungen  mittheilen,  und  es  wird  erforderlichenfalls  von  Seite  der  Vertrags- 
staaten im  gegenseitigen  Einverständniß  auf  Vorkehrungen  Bedacht  genommen  werden, 
die  geeignet  sind,  diesen  Aufschlüssen  alle  wünschbare  Genauigkeit  zu  geben,  sowie  der 
Falschmünzerei  und  Münzverschlechtemng  vorzubeugen  und  deren  Unterdrückung  zu 
ifichern. 

Art  12.  Verlangt  ein  Staat  den  Beitritt  zum  gegenwärtigen  Vertrage,  indem  er 
die  demselben  zu  Grunde  liegenden  Verpflichtungen  zu  übernehmen  und  das  Münzsystem 
des  Verbandes  zu  adoptiren  erklärt,  so  kann  diesem  Begehren  nur  mit  einstimmiger 
Einwilligung  der  hohen  Vertragsparteien  entsprochen  werden.  Diese  letztem  verpflichten 
sich,  den  silbernen  Fünffrankenstücken  der  nicht  zum  Münzverbande  gehörenden  Staaten 
den  gesetzlichen  Kurs  zu  entziehen  oder  zu  verweigern.  Es  dürfen  diese  Stücke  weder 
an  den  öffentlichen  Kassen,  noch  bei  den  Emissionsbanken  angenommen  werden. 

Art  13.  Der  gegenwärtige,  mit  dem  1.  Januar  1886  vollziehbare  Vertrag  bleibt 
bis  zum  1.  Januar  1891  in  Kraft.  Wenn  er  nicht  ein  Jahr  vor  Ablauf  dieser  Frist  ge- 
kündet worden  ist,  so  gilt  er  als  stillschweigend  um  ein  Jahr,  und  so  fort  von  Jahr  zu 
Jahr  verlängert.  Nach  geschehener  Kündigung  bleibt  er  noch  ein  Jahr,  vom  1.  Januar 
an  gerechnet,  der  auf  die  Kündigung  folgt,  in  Kraft. 

Art  14.  Im  Falle  der  Kündigung  des  gegenwärtigen  Vertrages  ist  jeder  der  Ver- 
lragsstaaten gehalten,  die  von  ihm  ausgegebenen  silbernen  Fünffrankenstücke,  wenn 
sich  solche  bei  den  andern  Staaten  im  Umlauf  oder  in  den  öffentlichen  Kassen  derselben 
befinden,  zurückzunehmen,  und  dafür  an  diese  Staaten  einen  Betrag  auszuzahlen,  der 
dem  Nennwerth  der  zurückgenommenen  Münzen  gleichkommt;  Alles  gemäß  den  Moda- 
litäten, wie  sie  in  einer  besondern,  dem  gegenwärtigen  Vertrage  beigefQgten  Vereinbarung 
des  Xähem  festgesetzt  sind. 

Vereinbarung  betreffend  die  Aufführung  von  Artikel  14  des  Vertrages,  Art.  1 : 
Während  des  Jahres,  welches  auf  das  Erlöschen  des  Vertrages  folgt,  ist  zur  Auswechslung 
und  zur  Heimsendung  der  sill)ernen  Fünffrankenstücke  zu  schreiten,  welche  in  den 
verschiedenen  Staaten  in  gleichen  Quantitäten  vorhanden  sein  mögen. 

Fnrrer,  Yolktwirthiebafti-Lexikun  der  Schweiz.  *^^ 


Münzwesen  —     498      —  Munzwesen 

Art.  2.  Die  zur  Ausführung  der  gegenwärtigen  Vereinbarung  nöthigen  Lieferungen 
von  i)aarem  Gelde  oder  Werthpapieren  sind  zu  bewerkstelligen:  In  der  Schweiz:  in 
Bern,  Basel,  Genf  oder  Zürich ;  in  Frankreich :  in  Paris,  Lyon  oder  Marseille ;  in  Griechen- 
land: in  Athen;  in  Italien:  in  Rom,  Genua,  Mailand  oder  Turin. 

Art.  3.  Jeder  der  Vertragsstaaten  wird  die  das  Gepräge  der  andern  Unionsstaaten 
tragenden  silbernen  Fünffrankenstücke  aus  der  Zirkulation  zurückziehen.  Diese  Zurück- 
ziehung muß  am  L  Oktober  des  Jahres,  welches  auf  das  Erlöschen  des  gegenwärtigen 
Vertrages  folgt,  beendigt  sein.  Von  diesem  Datum  an  können  alle  oberwähnten  Silber- 
münzen von  den  öffentlichen  Kassen  außerhalb  des  Ursprungslandes  dieser  Münzen 
zurückgewiesen  werden.  Sollte  ein  Staat  sie  ferner  annehmen,  so  könnte  dies  nur  für 
seine  eigene  Rechnung  geschehen  und  nicht  für  Rechnung  des  Staates,  der  sie  aus- 
gegeben hat.  Am  15.  Januar  des  folgenden  Jahres  ist,  nach  vollzogener  Ausgleichung, 
die  Rechnung  betrefifend  die  aus  der  Zirkulation  gezogenen  Münzen  nach  Nationalitäten 
in  jedem  der  Staaten  abzuschließen  und  gegenseitig  mitzutheüen.  Der  Ueberschuß,  wenn 
zu  dieser  Zeit  ein  solcher  besteht,  ist  von  dem  Staate,  der  ihn  besitzt,  demjenigen  Staate, 
der  die  Münzen  geprägt  hat,  zur  Verfügung  zu  halten.  Letzterer  wird  diese  Münzen 
zurückziehen  und  deren  Betrag  nach  ihrem  Nennwerthe  vergüten. 

Art.  4.  Die  im  vorhergehenden  Artikel  stipulirte  Rückzahlung  soll  in  Gold  oder 
in  silbernen  Fünf&ankenstücken  vom  Gepräge  des  als  Gläubiger  figurirenden  Staates, 
oder  in  Tratten  geschehen,  die  in  diesem  Staate,  sei  es  in  gleichen  Münzen,  sei  es  in 
Banknoten,  die  daselbst  gesetzlichen  Kurs  haben,  zahlbar  sind.  Diese  Rückzahlung  kann 
in  Raten  geschehen,  die  sich  von  drei  zu  drei  Monaten  folgen,  so  daß  die  Rechnung  in 
spätestens  fünf  Jahren,  vom  Tage  des  Erlöschens  des  Vertrages  an,  zur  Bereinigung 
gelangt.  Diese  Verfallzeiten  können  stets  ganz  oder  theilweise  antizipirt  werden.  Die 
zurückzuzahlenden  Summen  sind  im  2.,  3.  und  4.  Jahre  mit  1  ^/o  und  im  5.  Jahre  mit 
V/i  '7^  per  Jahr  zu  verzinsen.  Diese  Zinsen  sind  vom  15.  Januar,  d.  h.  von  dem  Tage 
an  zu  berechnen,  an  welchem  der  zurückzuziehende  Saldo  festgestellt  worden  ist;  im 
Falle  einer  Antizipation  der  Verfallzeiten  tritt  eine  verhältnißmäßige  Zinsreduktion  ein. 

Art.  5.  Alle  Transportkosten,  sowohl  diejenigen  der  Saldos  der  heimzusendenden 
Silbermünzen,  als  diejenigen  der  zur  Ausgleichung  bestimmten  Werthpapiere  oder  Baar- 
Schäften,  sind  von  jedem  Staate  bis  zu  seiner  Grenze  zu  tragen. 

Art.  6.  In  theilweiser  Abweichung  von  vorstehenden  Bestimmungen  und  in  Be- 
rücksichtigung der  ausnahmsweisen  Lage  der  Schweiz  ist  Nachfolgendes  vereinbait 
worden : 

1)  Die  von  Frankreich  emittirten  und  aus  der  Zirkulation  in  der  Schweiz  zurück- 
gezogenen silbernen  Fünffrankenstücke  werden  von  der  eidgenössischen  Regierung  der 
französischen  Regierung  zugestellt,  welche  letztere  sie  in  folgender  Weise  der  Schweiz 
zurückzahlen  wird:  Die  französische  Regierung  wird  alle  Sendungen  von  silbernen 
Fünffrankenstücken,  die  von  Frankreich  ausgegeben  und  aus  der  Zirkulation  in  der 
Schweiz  zurückgezogen  worden  sind,  von  welchen  Sendungen  keine  weniger  als  eine 
Million  und  keine  mehr  als  zehn  Millionen  Franken  ausmachen  darf,  successive,  auf 
Sicht,  in  schweizerischen  silbernen  Fünffrankenstücken  oder  in  Goldstücken  von  Fr.  10 
und  darüber,  welche  nach  den  Vorschriften  des  Vertrages  geprägt  sind,  rückzahlen,  und 
zwar  vom  Beginne  des  Jahres  an  gerechnet,  welches  auf  das  Erlöschen  des  Vertrages 
folgt  Nur  der  Restbetrag  darf  weniger  als  eine  Milhon  Franken  ausmachen.  Immerhin 
dürfen  die  von  der  französischen  Regierung  an  die  eidgenössische  Regierung  für  den 
Rückzug  der  französischen  silbernen  Fünffrankenstücke  in  Gold  zu  leistenden  Vergütungen 
die  Summe  von  60  Millionen  Franken  nicht  übersteigen. 

2)  Die  von  Italien  emittirten  und  aus  der  Zirkulation  in  der  Schweiz  zunick- 
gezogenen silbernen  Fünffrankenstücke  sind  von  der  eidgenössischen  Regierung  der 
italienischen  Regierung  zuzustellen,  welche  letztere  dieselben,  vom  Beginne  des  auf  das 
Erlöschen  des  Vertrages  folgenden  Jahres  an  gerechnet,  successive  nach  Sicht  in  schwei- 
zerischen silbernen  Fünffrankenstücken  und  in  Goldstücken  von  Fr.  10  und  darüber, 
die  nach  den  Vorschriften  des  Vertrages  geprägt  sind,  oder  in  Sicht-Tratten  auf  Bern, 
Basel,  Genf  oder  Zürich,  die  nach  den  Vorschriften  von  Art.  4,  Alinea  1,  der  gegen- 
wärtigen Vereinbarung  zahlbar  sind,  vergüten  wird.  Reine  dieser  Sendungen  darf  in- 
dessen weniger  als  Fr.  500,000  betragen,  außer  bei  der  Regelung  des  Restbetracres,  noch 
dürfen  solche  Sendungen  zwei  Millionen  Franken  übersteigen.  Die  von  der  italienischen 
Regierung  an  die  schweizerische  Regierung  zu  leistenden  successiven  Rückzahlungen 
sollen  in  der  Regel  jeweilen  mindestens  zu  zwei  Dritttheilen  aus  Goldstücken  und 
schweizerischen  silbernen  Fünffrankenstücken  bestehen,  und  für  den  Rest  aus  nach  den 
Vorschriften  des  vorstehenden  Alinea  ausgestellten  Tratten.    Im  Falle  einer  Abweichung 


Mönzwesen  —     499      —  Münzwes^en 

von  dieser  Regel  ist  das  Verhäitnili  hei  Anlaß  der  folgenden  Rückzahlung  wieder  lier- 
zustellen.  Immerhin  ist  die  italienische  Regierung  nicht  verpflichtet,  der  eidgenössischen 
Regierung  in  Gold  oder  schweizerischen  silbernen  FQnffrankenstücken  eine  im  Total 
^  Millionen  übersteigende  Summe  zurückzuzahlen,  und  es  darf  daa  Total  der  von  ihr 
<ler  eidgenössischen  Regierung  in  Baarschaft  oder  Tratten  zu  leistenden  Rückzahlungen 
für  die  Gesammtoperation  des  Rückzuges  und  des  Austausches  der  in  der  Schweiz 
zirkulir  enden  italienischen  silbernen  Fünf  frankenstücke  die  Summe  von  30  Millionen 
Franken  nicht  übersteigen. 

ZusatZ'Äkt,  Art.  1.  Die  belgische  Regierung  tritt  der  am  6.  November  1885  in 
Paris  zwischen  der  Schweiz,  Frankreich,  Griechenland  und  Italien  unterzeichneten  Kon- 
vention bei,  ebenso  der  derselben  beigefügten  Deklaration  und  Vereinbarung.  Die 
Regierungen  der  Schweiz,  von  Frankreich,  Griechenland  und  Italien  ihrerseits  nehmen 
Akt  von  der  Beitritterklärung  Belgiens  und  geben  derselben  ihre  Zustimmung. 

Art.  2.  Die  belgische  Nationalbank  wird  während  der  Dauer  der  Konvention  die 
silbernen  Fünffrankenstücke  der  Unionsstaaten  zu  den  nämlichen  Bedingungen  annehmen, 
wie  die  belgischen  silbernen  Fünffrankenstücke,  gleich  wie  dies  im  Art.  3  der  Münz- 
konvention für  die  französische  Bank  bestimmt  ist. 

Art.  3.  Das  Kontingent  von  Silberscheidemünzen  von  Zwei-  und  Einfrankenstücken 
Fünfzig-  und  Zwanzigcentimesstücken,  welches  Belgien  nach  den  Bestimmungen  der 
Art.  4  und  9  der  Münzkonvention  zu  prAgen  und  auszugeben  gestattet  ist,  wird  auf 
35'800,000  Franken  festgesetzt,  in  welcher  Summe  die  bis  auf  den  heutigen  Tag  von 
der  belgischen  Regierung  ausgegebenen  Quantitäten  begriffen  sind.  Ausnahmsweise  ist 
Belgien  ermächtigt,  bis  auf  fünf  MiUionen  Franken  dieser  Münzgattung  aus  einzuschmel- 
zenden silbernen  Fünffrankenstücken  auszuprägen. 

Art.  4.  In  theilweiser  Abweichung  von  den  Bestimmungen  der  Art.  3  und  4  der  der 
Konvention  beigefügten  Vereinbarung  werden  folgende  Vorschriften  aufgestellt :  Wenn  am 
15.  Januar  —  nämlich  an  dem  im  Art.  3,  AHnea  3,  der  genannten  Vereinbarung  bezeichneten 
Datum  —  die  französische  Regierung,  nach  vollzogener  Ausgleichung,  sich  noch  im 
Besitz  eines  Restes  belgischer  Fünffrankenstücke  befindet,  so  soll  derselbe  in  zwei  gleich 
große  Theile  geschieden  werden.  Die  belgische  Regierung  ist  alsdann  gehalten,  die 
Hälfte  dieses  Restes  nach  Maßgabe  des  Art.  4  der  Vereinbarung  zurückzubezahlen.  Sie 
verpflichtet  sich,  an  ihrem  Münzwesen  keinerlei  Veränderung  vorzunehmen,  welche  die 
Zurückleitung  dei  andern  Hälfte  auf  kommerziellem  Wege  und  vermittelst  Austausch 
hemmen  könnte.  Diese  Verpflichtung  dauert  fünf  Jahre,  vom  Zeitpunkte  der  Auflösung 
der  Union  an  gerechnet.  Belgien  kann  sich  dieser  Verpflichtung  entheben  durch  Ueber- 
nahme  der  andern,  die  darin  besteht,  die  zweite  Hälfte  nach  Maßgabe  des  Art.  4  der 
Vereinbarung  zurückzuzahlen.  Jedenfalls  behält  sich  die  belgische  Regierung  die  Befügniß 
vor,  in  ihrer  Münzgesetzgebung  diejenigen  Aenderungen  vorzunehmen,  welche  in  der 
französischen  Mpnzgesetzgehung  eingeführt  würden.  Die  belgische  Regierung  garantirt 
dafür,  daß  der  {Restbetrag  zweihundert  Millionen  Franken  nicht  übersteigen  wird.  Sollte 
sich  ein  Ueberschuß  erzeigen,  so  würde  derselbe  nach  Maßgabe  des  Art.  4  der  Verein- 
barung zunickbezahlt  werden.  Wenn  dagegen  die  belgische  Regierung  im  Zeitpunkt  der 
Auflösung  der  Union  im  Besitz  eines  Restes  französischer  silberner  FünfTran kenstücke 
sein  sollte,  so  behält  sich  die  französische  Regierung  die  Befügniß  vor,  gegenüber  Belgien 
die  Anwendung  der  in  diesem  Artikel  enthaltenen  Vorschrift  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Art.  5.  Die  Regierungen  Frankreichs  und  Italiens  behalten  sich  die  Befügniß  vor, 
zur  Zeit  der  Auflösung  der  Union  die  Anwendung  der  im  vorhergehenden  Artikel  ent- 
haltenen Vorschrift  für  ihre  gegenseitige  Abrechnung  in  Anspruch  zu  nehmen,  da  das 
Maximum  des  Saldo  zwischen  ihnen  ebenfalls  auf  200  Millionen  Franken  festgesetzt 
worden  ist. 

Art.  6.  Belgien  verpflichtet  sich,  der  Schweiz  successive  bei  Sicht,  in  schweize- 
sischen  silbernen  Fünffrankenstücken  oder  in  Goldstücken  von  10  Franken  und  darüber, 
welche  nach  den  Vorschriften  der  Münzkonvention  geprägt  sind,  und  zwar  von  Beginn 
des  auf  die  Auflösung  der  Konvention  folgenden  Jahres  an,  alle  Sendungen  belgischer, 
in  der  Schweiz  zurückgezogener  silberner  Fünffrankenstücke  zurückzuzahlen.  Keine  dieser 
Sendungen  soll  weniger  als  eine  Million  oder  mehr  als  zwei  Millionen  Franken  betragen ; 
einzig  die  Schlußzahlung  darf  weniger  als  eine  MiUion  Franken  ausmachen.  Indessen 
sollen  die  von  der  belgischen  Regierung  an  die  schweizerische  Regierung  gegen  die 
zurückzuziehenden  belgischen  silbernen  Fünffrankenstücke  in  Gold  oder  in  schweizerischen 
silbernen  Fünffrankenstücken  auszurichtenden  Rückzahlungen  die  Summe  von  sech« 
Millionen  Franken  nicht  übersteigen.    Wenn  der  zu  liquidirende  Saldo  die  Summe  voiv 


Münz  Wesen  —     500     —  Musikdosen 

sechs  Millionen  Franken  übersteigen  würde,  so  verpflichtet  sich  Belgien,  an  seiner  Münz- 
gesetzgebung keinerlei  Aenderung  vorzunehmen,  welcbe  die  Zurückleitung  des  benannten 
Saldo  auf  kommerziellem  oder  auf  dem  Wege  der  Auswechslungen  hemmen  könnte, 
und  zwar  während  einer  Dauer  von  fünf  JaLren,  von  der  AufKVsung  der  Union  an 
gerechnet,  oder  während  derjenigen  Periode,  welche  zu  gleichem  Zwecke  zwischen 
Frankreich  und  Belgien  vereinbart  worden  wäre. 

Art.  7.  Im  Falle  der  Auflösung  der  Union  sollen  die  Lieferungen  an  Baarschatl 
oder  Valoren,  welche  in  Vollziehung  der  der  Konvention  vom  6.  November  beigefügten 
Vereinbarung  zu  machen  sind,  für  Frankreich  in  Paris,  Lille,  Lyon  und  Marseille,  für 
Belgien  in  Brüssel  und  Antwerpen  bewerkstelligt  werden. 

Murgkorrektion.  Diese  im  Jahre  1886  begonnene  und  noch  in  Aasführung 
begriffene  Korrektion  betrifft  den  Lauf  der  Murg  von  Fischingen  bis  zur  Mündung 
in  die  Thur  bei  Rohr.  Länge  der  Eorrektionsstrecke  19  km.  Angenommen  ist 
ein  Doppelprotil,  bestehend  in  doppelten  Parallelen,  verbunden  mit  Traversen  in 
Abständen  von  60  m.  Die  das  innere  Proül  begrenzenden  Leitwerke  bestehen 
aus  einer  Sink  walze  ohne  Faschinenunterlage,  aber  mit  vorgeschlagenen  Pfählen. 
Breite  des  Mittelprofils  6 — 12  m,  des  ganzen  Profils  15 — 27  m,  bei  einem 
Gefälle,  welches  von  9,2  ®/oo  sich  successive  auf  4,2  ^/oo  vermindert.  Kosten- 
Voranschlag  für  diese  Korrektion  Fr.  1' 21 5,000.  Siehe  Bandesbeschloß  vom 
28.  Juni  1882  (A.  S.  n.  F.  VI,  pag.  218). 

Museatcloths.  Eine  Art  buntgewebter,  baumwollener  Mouchoirs  für  Afrika. 

Muschelsandstein.  Mittelharter  Baustein  aus  dem  Kanton  Aargau,  welcher 
bei  sehr  großer  Festigkeit  fast  unbegrenzte  Wetterbeständigkeit  besitzt. 

Museen  s.  Seite  271,  I.  Bd.,  d.  Lexikons.  Außer  den  daselbst  erwähnten 
M.  besteht  noch  das  Kunstgewerbemuseum  in  Genf  (im  Gebäude  der  ührmacher- 
scbule)  seit  November  1885.  Betreffend  die  Kunstmuseen  s.  im  Artikel  ^iKunst*^ 
Seite  196/201,  IL  Bd. 

Musikdosen.  Die  Fabrikation  von  Musikdosen  und  Spielwerken  gehört  zu 
den  wenigen  Industriezweigen,  die  ein  quasi  Monopol  der  Schweiz  bilden  oder 
wenigstens  daselbst  ihren  Hanptsitz  haben,  wie  die  Uhrenindustrie,  Maschinen- 
Stickerei,  Plattstichweberei,  Seidenbandweberei,  Holzschnitzerei  etc.  Sie  ist 
eigentlich  aus  der  Fabrikation  der  Repetir-  oder  Spieluhren  (montres  ä  c^rillon) 
hervorgegangen,  die  am  Anfang  des  laufenden  Jahrhunderts  beliebt  waren  und 
namentlich  in  G«nf  fabrizirt  wurden.  Musik  und  Uhrwerk  wurden  bei  denselben 
vom  gleichen  Motor  getrieben.  Später  wurden  ähnliche  Musikwerke  mit  eigener 
Triebfeder  und  Walze  in  Spazierstöcken,  Petschaften  etc.  angebracht.  Bald  folgten 
Werke  mit  mehreren  Melodien,  größerem  Gehäuse  und  mehreren  Walzen,  bis 
schließlich  die  eleganten  Spielwerke  und  Orchestrions  mit  30 — 40  Mnaikatüokon 
aller  Art  entstanden.  Zur  Zeit  werden  in  G^nf  in  der  Hauptsache  nur  noch 
Spiel  werke  größeren  Kalibers  gemacht;  die  gewöhnlichen  kleineren  Dosen  etc., 
wie  auch  alle  anderen  Arten  von  Spielwerken,  bis  zu  den  größten,  werden  jetzt 
in  Ste-Croix,  einem  Bergdorf  im  waadtländischen  Jura,  fabrizirt,  wo  fiüher  die 
Spitzenklöppelei  die  Hauptbeschäftigung  der  Bewohner  bildete,  in  den  Jahren 
1811 — 181  5  aber  von  Genf  aus  zuerst  die  Uhrenfabrikation,  dann  die  Fabrikation 
von  Musikdosen  eingeführt  wurde.  Ca.  2000  Personen  beschäftigen  sich  daselbst 
»owie  in  dem  benachbarten  Auberson  mit  diesem  Industriezweig,  wobei  eine 
äußerst  weitgehende  Arbeitstheilung  stattfindet.  Vorwiegend  ist  noch  die  Ver- 
fertigung der  einzelnen  Theile  in  der  Wohnung  des  Arbeiters,  wo  auch  Franen 
und  Kinder  mithelfen,  in  neuerer  Zeit  sind  aber  auch  fabrikähnliche  Ateliers 
entstanden.  Es  gibt  ungefähr  40  Fabrikanten.  Jährlich  werden  ca.  100,000  kleine 
Drehdosen  (Manivelles)  und  eben  so  viele  kleinere  Musikdosen  (Tabatieres)  fabrixirt. 


Musikdosen  —     501     —  Muskateller 

Von  größeren  Musikwerken  (Cartels)  werden  ca.  30,000  per  Jahr  gemacht.  Die 
gesammte  Jahresproduktion  mag  den  Werth  von  üher  3  Millionen  Franken  erreichen. 
Die  Fahrikate  werden  in  alle  Länder  exportirt.  Die  wichtigsten  Absatzgebiete 
sind  Deutschland,  Frankreich,  England  und  die  Vereinigten  Staaten,  welche  zu- 
4^ammen  ca.  ^b  der  Produktion  aufnehmen. 

Außer  in  Grenf  und  Ste-Croix  wird  die  Musikdosenfabrikation  auch  in 
Teufenthai  (Aargau),  von  einer  Firma  in  Chaux-de-Fonds,  von  zwei  Firmen  in 
Bern  und  einer  Firma  in  Luzem  betrieben. 

Eine  Menge  von  Rohmaterialien  und  Bestandtheilen  werden  ausschließlich 
vom  Auslande  bezogen,  wie  Metalle,  Guß,  Messingröhren,  Glas,  Beschläge, 
Zähnungen,  auch  Maschinen  etc. 

Der  hauptsächlichste  ausländische  Eonkurrentsort  fUr  gewöhnliche  Musikdoser 
ist  Ste-Suzanne  in  Frankreich. 

Ausfuhr  von  Musikdosen  und  Spielwerken  im  Jahre  1885:  274,855  Stk., 
1886:  212,868  Stk.  =  Fr.  3^015,000  (Fr.  1'064,000  Ver.  Staaten  von  Nord- 
amerika, Fr.  607,000  Deutschland,  Fr.  530,000  England,  Fr.  328,000  Frank- 
reich). —  Einfuhr  1885 :  3842  Stk.,  1886 :  2588  Stk.  =  Fr.  103,000. 

Masikinstrumente.  Die  Produktion  solcher  Instrumente  in  der  Schweiz 
wird,  vielleicht  zu  hoch,  auf  5 — 6  Millionen  Franken  geschätzt  (Klaviere  1  Million, 
Musikdosen  37^ — 4  Millionen,  Orgeln  und  Harmoniums  ^2  Million).  In  großem 
Maßstab  wird  nur  die  i[/at;ierfabrikation  (vergl.  Klaviere)  und  diejenige  von 
Musikdosen  (vergl.  d.)  betrieben,  —  jene  hauptsächlich  in  Zürich,  diese  meistens 
in  Ste-Croix  (Waadt)  und,  was  größere  Werke  betriflPk,  auch  in  Genf.  Auch  für 
Orgeln  und  Harmoniums  befinden  sich  ausgezeichnete  Werkstätten  in  der  Schweiz. 
(Haas  in  Basel,  Kuhn  in  Männedorf,  Goll  in  Luzem,  Klingler  in  Rorschach, 
Gallmann  in  Horgen,  Tschann  in  Genf  ete.)  Streichinstrumente  werden  in  be- 
scheidenem Maßstabe,  aber  von  anerkannter  Güte,  in  Bern,  Basel,  Zürich  ge- 
macht; ebenso  befinden  sich  verschiedenen  Orts  Werkstätten  für  Blech-  und  Hals- 
Blasinstrumente,  Der  größte  Theil  des  Bedarfs  an  Blas-  und  Streichinstrumenten, 
Zithern  etc.  wird  von  Deutschland  und  Oesterreich  eingeführt. 

Spezifisch  national  ist  das  Alphorn,  das  aber  bei  seiner  Primitivität  nur 
ganz  beschränkte  Verwendung  findet  (vergl.  d.). 

Gar  nicht  vertreten  ist  die  Fabrikation  von  sog.  Mundharmonikas,  wohl  abei 
werden  in  zahlreichen  kleineren  Werkstätten  Handharmonikas  gemacht. 

Hinsichtlich  der  Saiten,  Klaviaturen  und  zahlreichen  anderen  typischen 
Bestandtheilen  der  verschiedenen  musikalischen  Instrumente  ist  die  Schweiz  fast 
gänzlich  auf  den  Bezug  vom  Ausland  angewiesen. 

Besondere  Erwähnung  verdient  die  schweizerische  Glockengießerei  (vergl.  d.), 
deren  Produkte  seit  vielen  Jahrzehnten  im  In-  und  Auslande  Berühmtheit  haben. 

Die  eidg.  Berufsstatistik  gibt  die  Zahl  der  Musikinstrumentenmacher  auf 
1859  an,  wovon  204  Ausländer.  Auf  Waadt  entfallen  1173,  Genf  232,  Zürich 
182,  Aargau  75,  Bern  71,  St.  Gallen  35,  Luzem  26,  Neuenburg  11,  Baselstadt 
10,  Solothnm  10,  übrige  Kantone  zusammen  32. 

Miisiklehrer  und  Musiker.  Die  Zahl  derselben  betrug  im  Jahre  1880  (laut 
«idg.  Berufsstatistik)  1315,  wovon  395  weiblichen  Geschlechts. 

Muskateller.  1)  Muskateller,  gelber,  findet  sich  in  der  ganzen  Schweiz, 
doch  meistens  nur  an  Spalieren,  wo  die  Traube  etwas  spät  reift.  Im  Wallis 
kommt  diese  Sorte  unter  dem  Namen  Muscat  jaune  vor.  Dort  wird  sie  im 
offenen  Weinberge  gepflanzt  und  liefert  gute  weiße  Weine.  Im  Tessin  heißt  sie 
Moscato  bianco. 


Muskateller  —     502     —  Nationalbahn 

2i  Muskateller,  rother  und  schwarzer,  ^mA  gebchätzte,  aber  nicht  früh 
reitende  Tafeltraoben. 

3}  Mnscat  rouf^e,  im  Wallis,  eine  Varietät  des  gelben  Moskateller. 

4)  Muskai'GntedeL  Der  Stock  ist  ziemlich  schwach,  die  Tranben  locker. 
Beeren  weißgelb  nnd  vom  feinsten  Mnskatgesohmack.  Als  Tafeltranbe  ganz  aus- 
gezeichnet, eignet  sich  aber  anch  in  den  Weinberg,  wo  sie  allerdings  einen 
ge«icbtitzten  Standort  verlangt. 

Musseline  s.  Moosseline. 

Xusterlager.  So  viele  Anregungen  betreifend  Errichtung  von  Musterlagem, 
ähnlich  demjenigen  in  Stuttgart,  in  der  Schweiz  schon  gefallen  sind,  so  wenige 
haben  sich  bisher  verwirklicht.  In  eigenem  Namen  und  auf  eigenes  Risiko  er- 
öffnete Herr  Architekt  Ernst  in  Hottingen  bei  Zürich  im  September  1886  ein 
permanentes  Muster lager  von  schweizerischen  Bauartikeln. 

Master  und  Modelle  s.  Erfindungsschatz  und  Patentschutz. 

Musterkäserei  s.  Milchwirthschaft,  Seite  456. 

NSgeliapfel  (Palmapfel).  Wirthschaftsfrncht  zweiten  und  Tafelfmcht  dritten 
Ranges,  kommt  am  häufigsten  in  den  Kantonen  Thurgau,  St.  Gallen,  Zürich  und 
Schafi'hausen  vor.  Der  Baum  kommt  in  allen  Bodenarten  fort  und  gedeiht  noch 
in  der  Höhe  von  3200  Fuß  ü.  M.  (Pomologisches  Bilderwerk.) 

Nähmaschinen  werden  in  der  Schweiz  von  einigen  Fabrikanten  ganz  gut 
tabrizirt,  aber  in  viel  zu  kleinem  Maßstabe,  als  daß  der  deutschen  und  ameri- 
kanischen Konkurrenz  in  irgend  merklicher  Weise  dadurch  Abbruch  geschähe. 

Nagelsehmiede  und  Drahtstififabrikanten  gab  es  im  Jahre  1880  nach  der 
eidg.  Berufsstatistik  1020. 

Nanzoucs.  Feines,  halbdichtes  Baum wollge webe  nach  Art  von  Jacconat 
(s.  d.),  welches  hauptsächlich  zu  feinen  Plattstichstickereien  Verwendung  findet. 
Das  Gewebe  wird  in  bescheidenem  Umfange  schon  seit  dem  vorigen  Jahrhundert 
in  der  Ostschweiz  fabrizirt,  wurde  aber  stets  mit  Vorliebe  von  Frankreich  be- 
zogen. 

Napoleons  Butterhirne«  Tafelfrucht  ersten  und  Wirthschaftsfrncht  vierten 
Ranges,  ist  überall  da  heimisch,  wo  man  edles  Tafelobst  zieht.  Der  Baum  ist 
sehr  fruchtbar,  trägt  frühzeitig,  wird  aber  nicht  alt.  (Pomologisches  Bilderwerk.) 

Nationalhahn«  Unter  diesem  Namen  bestand  von  1875  bis  1880  ein 
Cisenbahnuntemehmen  mit  Verwaltungssitz  in  Winterthur.  Die  schweiserische 
Nationalbahn  umfaßte  die  Linien  Winterthur-Etzwylen -Singen,  Etzwylen-Konstanz, 
Emmishofen-Kreuzlingen,  Winterthur-Otelfingen-Baden-Lenzbnrg-Zofingenund  Suhr- 
Aarau.  Ihre  bauliche  Länge  (eigene  Bahn)  war  156,667  m  und  die  Betriebslänge 
rund   164  km. 

Die  Betriebseröffnung  hat  wie  folgt  stattgefunden:  Am  17.  Juli  1875:  Die 
Linien  Winterthar- Singen  (43,965  m),  Konstanz- Etzwylen  (29,584  m)  und 
Emmishofen  Krenzlingen  (693  m);  am  6.  September  1877:  die  Linien  Baden- 
Lenzburg-Zofingen  (39,336  m)  und  Suhr-Aarau  (2999  m);  am  15.  Oktober  1877 
die  Linie  Winterthur-Otelfingen-Baden  (40,346  m).  Am  16.  Juli  1879  ist  der 
südliche  Theil  des  Bahnhofes  Konstanz  infolge  Grenzverlegung  an  die  badische 
Staatsbahn  übergegangen,  wodurch  die  Linie  Etzwylen-Konstanz  (Grense)  um 
256  m  kürzer  wurde. 

Am  18.  Februar  1878  wurde  über  die  Nationalbahngesellschaft  durch  das 
Schweiz.  Bundesgericht  die  Zwangsliquidation  erkannt,  infolge  welcher  am  1.  Juni 


Nationalbahn  —     503     —  Neuenburg 

1880  die  Linien  Winterthur-Zofingen  und  Suhr-Aarau  und  am  1.  Oktober  gl.  J. 
die  Linien  Winterthur-Singen,  Etzwylen-Eonstanz  und  Emmishofen-Kreuzlingen 
in's  Eigenthum  und  in  Betrieb  der  Schweiz.  Nordostbahn  übergegangen  sind  (vide 
Nordostbahn). 

Nationalbergamotte,  deutsche.  Tafelfrucht  zweiten  und  Wirthschafts- 
^ucht  vierten  Banges  (Herbstbime) ,  ist  vereinzelt  in  vielen  Baumgärten  der 
Schweiz  auf  Zwerg-  sowohl  als  auf  Hochstamm  zu  finden.  Der  Baum  gedeiht 
in  schwerem,  gutem  Thonboden,  z.  6.  im  obem  Thurgau,  sowie  in  leichtem, 
humusreichem  Kalkboden  in  Grraubünden,  vortrefflich.  Der  Baum  blüht  ziemlich 
früh,  träg^  erst,  wann  er  ausgewachsen  ist,  dann  aber  alljährlich  und  oft  reichlich. 
Er  wird  nicht  alt.    (Fomologisches  Bilderwerk.) 

Neckware.  Uebliche  englische  Benennung  für  gestickte  Kragen,  Halstücher 
und  ähnliche  Spezialitäten  in  Plattstich  und  Kettenstich,  deren  Fabrikation  gegen 
Ende  der  70er  Jahre  in  der  Ostschweiz  aufgekommen  ist. 

Neuenbürg.  Schweizerischer  Kanton  seit  6.  April  1815.  Flächeninhalt 
807,8  km*.  Ortsanwesende  Bevölkerung  am  1.  Dez.  1880  103,732  Personen. 
6  Bezirke,  67  Gemeinden,  45  Civilstandskreise.  Bildet  einen  einzigen  National- 
rathswahlkreis  (48.)  mit  5  Mandaten.  Gehört  zum  1.  eidg.  Assisen  bezirk,  in 
militärischer  Beziehung  zum  IL  Divisionskreis. 

Nach  den  Größen  Verhältnissen  unter  den  wirthschaftliohen  Gruppen  nimmt 
Neuenburg  folgende  Eangstufen  unter  den  schweizerischen  Kantonen  ein:  Die  3. 
hinsichtlich  persönliche  Dienstleistungoii,  je  die  4.  hinsichtlich  Industrie  und 
Handel,  die  6.  hinsichtlich  Verwaltung,  Wissenschaft  und  Kunst,  die  8.  hin- 
sichtlich Verkehr,  die  21.  hinsichtlich  Urproduktion. 

An  den  Hauptberufsgruppen  sind  nämlich  als  Erwerbende  betheiligt: 

ö/o  all.  Beruf-  o/o  der 

PorHuneii  treibeuden        gl.  Kategorie 

•  den  Kantoni      der  Schweiz 

an  Urproduktion 9,236  20,4  1,6 

„  Industrie 27,465  60,6  5,0 

„   Handel 3,844  8,5  4,0 

„  Verkehr 1,623  3,6  3,4 

„   öffentl.  Verwaltung,  Wissenschaft  u.  Kunst  1,870  4,1  4,0 

„  persönlichen  Dienstleistungen   ....  1,261  2,8  7,0 

45,299         100,0 

Die  Gesammtbevölkerung  (Beruftreibende,  Angehörige,  Hausgesinde) 
ist  wie  folgt  an  den  Haupterwerbszweigen  betheiligt: 

^0  iler  **/o  der 

Personen  Bevölke-         gl.  Kategorie 

rang  der  Schweiz 

an  Urproduktion 20,760  20,0  1,8* 

,  Industrie 56,028  54,0  5,3 

„  Handel 8,819  8,5  4,3 

„  Verkehr 4,144  4,0  3,7 

„  öffentl.  Verwaltung,  Wissenschaft  u.  Kunst  4,857  4,7  4,2 

„  persönlichen  Dienstleistungen    .     .     .     .  2,127  2,0  7,1 

Ohne   oder   unbekannten  Berufs   nebst  An- 
gehörigen und  Hausgesinde  ....  6,997  6,8  4,5 

103,732         100,0 


Neuenburg 


—     504     — 


Neoenbarg 


Handel,  Industrie  und  Kleingewerbe. 

Folgende  Gruppirang  umfaßt  diejenigen  unter  diese  Rnbrik  zählenden  fiemfd- 
arten,  welchen  im  Jahre  1880  5  ^/oo  und  mehr  aller  erwerbsthätigen  Personen 
des  Kantons  oblagen  (laut  eidg.  Bemüsstatistik) : 

|,     .^  .  ^00  aller  <*,o»der nimlicben 

Bernf  th*tl      "  Erwerbsthntigen        B^rnfAkategdHe 

tnatige  ^^^  Kantou»  <l.  ganten  Seh  weis 

Uhren- und  Uhrenwerkzengfabrikation  16352  361,0  372 

Handel,  eigentlicher 2336  51,6  42 

Schneiderei 1682  37,1  48 

Gasthof-  und  Wirthschaftsgewerbe  1155  25,5  38 

Weißnäherei 922  20,3  34 

Wascherei  und  Glätterei     ....  867  19,1  59 

Schuhmacherei 792  17,5  27 

Maurerei  und  G^'pserei        ....  706  15,6  33 

Schreinerei  und  Glaserei     ....  650  14,3  31 

Zimmerei 491  10,8  27 

Bäckerei 385  8,5  33 

Metzgerei  und  Wuroterei    .      .  312  6,9  36 

Chocokdefabrikation  etc 306  6,8  113 

Maschinen-  und  Mühlenbau      .      .     .  282  6,2  29 

Bank-,  Agentur- u.  Versicherungswesen  261  5,8  44 

Strumpf  Wirkerei  und  -Strickerei  .     .  222  4,9  61 

Fabriken. 

Dem  Schweiz.  Fabrikgesetz  waren  £nde  Juni  1887  57  Etablissements  unter- 
stellt (1,6  ^/o  aller  unterstellten  Ftablissements  der  Schweiz),  mit  2423  Arbeitern 
(l,Y  7o)  und  1522  Pferdekräften;  5  Eteblissements  mit  157  Arbeitern  haben 
keine  Motoren. 

Die  am  stärksten  vertretenen  Industriezweige  sind : 

1)  Die  ührenindustrie       ....     mit  26  Etabl.,   1321   Arb.,   178  Pf. 

2)  Die  Baumaterialienindustrie    .     .       ^       7        r-  355       r       412     ^ 

3)  Das  Baugewerbe r       5        ^  113       „         46     ,. 

Die   Uhrenindustrie  umfaßt:  11  Uhrenfabriken  ohne  nähere  Bezeichnung 

mit  1082  Arb.,  123  Pf.  (1  Les  Brenets,  2  Chaux-de-Fonds,  1  Cortaillod,  1 
Couvet,  1  Fontainemelon,  1  Landeron,  4  Locle,  2  Neuenburg,  1  Travers); 
2  Uhrwerkzeug-  und  Uhrfournitürenfabriken  mit  28  Arb.,  7  Pf.  (Chez-le-Bart, 
Cortaillod);  2  Uhrbügel-  und  Couronnesfabriken  mit  42  Arb.,  12  Pf.;  3  Uhr- 
schal enfabriken  mit  84  Arb.,  22  Pf.  (2  für  Goldschalen  iu  Chanx-de-Fonds, 
1  Noiraigues);  i  Uhrenstein fabriken  mit  35  Arb.,  10  Pf.  (1  Couvet,  3  St-Sulpice); 

1  Echappementsfabrik  mit  50  Arb.,  4  Pf.  (Locle). 

Die  Baumaterialienindustrie  umfaßt :  3  Fabriken  für  Cement  und  h^drau- 
lisc)ien  Kalk  mit  144  Arb.,  310  Pf.  (2  Noiraigues,  1  St-Sulpioe);  3  Ziegel- 
und  Backsteinfabriken  mit  166  Arb.,  70  Pf.  (1  Couvet,  1  Fontaines,  1  Neuen- 
bürg); 1  Asphaltbergwerk  mit  45  Arb.,  32  Pf.  (Travers). 

Das  Baugewerbe  umfaßt:    1  Säge  mit  8  Arb.,    28  Pf.  (Chaux-de-Fonds); 

2  Baugeschäfle  mit  57  Arbeitern,  14  Pf.  (Neuenburg);  1  Schreinerei  mit  9 
Arb.,  4  Pf.  (Chaux-de-Fonds);  1  Möbelfabrik  mit  39  Arb.  (Cemier). 

Die  übrigen  dem  Gesetz  unterstellten  Fabriken  sind:  4  Bnchdruckereien 
(2  Neuenburg,  2  Chaux-de-Fonds);  2  Chocoladefabriken  mit  217  Arb.,  190  Pf. 
(1   Locle,   1  Serrieres);   1  Cigarrenfabrik  in  Cormondreche;   1  Fabrik  elektrischer 


Neuenbürg  —      505      —  Neuenimrjjf 

Kabel  in  Cortaillod ;  1  Werkstätte  für  Kleinmechanik  in  Neuenbürg ;  1  Maschinen- 
fabrik in  Couvet;  2  Mtthlen  in  Serrieres;  1 , Papierfabrik  in  Serrieres;  1  Papier- 
^tofffabrik  in  St-Snlpice;  1  Soheideanstalt  in  Locle;  1  Stahlwalzwerk  in  Les 
Brenets;  2  Strohhatfabriken  in  Boudry  und  Neuenburg;  1  Telegraphenwerkstätte 
in  Neuenburg. 

Industriegeschichtliches. 

{Mitgetheilt,  wie  bisher  alle  industriegeschichtlichen  Abschnitte  der  Kantone,  von  Herrn 
Alfred  Frey,  Sekretär  des  Schweiz.  Handels-  und  Industrievereins.) 

Die  zwischen  dem  Neuenburgersee  und  der  französischen  Grenze  gelegenen 
Uochthäler  des  Jura  und  das  am  See  sich  hinziehende  Gelände  selbst  haben  im 
Zeitraum  der  zwei  letzten  Jahrhunderte  einen  geradezu  staunenswerthen  indu- 
striellen Entwicklungsgang  durchgemacht.  Die  Geschichte  wird  es  nicht  müde, 
auf  das  seltene  Beispiel  mit  verdientem  Lobe  stets  wieder  hinzuweisen,  doch 
wirft  leider  die  Ungunst  der  jüngsten  Zeit  auch  auf  dieses  erfreuliche  Bild  ihren 
«törenden  Schatten. 

Bis  gegen  das  Ende  des  XVU.  Jahrhunderts  bauten  die  Bewohner  der 
mildem  Landstriche  vorzüglich  Wein  und  Getreide;  die  der  rauhern  Gegenden 
gaben  sich  beinahe  ausschließlich  mit  Viehzucht  ab.  Nebenbei  spannen  die  Weiber 
leinene  und  wollene  Gume,  aus  welchen  während  der  Winterszeit  Wirkwaaren 
und  Tücher  gefertigt  wurden.  Die  Männer  halfen  mit  und  schufen  sich  überdies 
-die  nöthigen  Geräthe,  wie  Sicheln,  Hacken,  Kübel  und  dergleichen. 

Refugianten  aus  Frankreich  brachten  auch  in  diese  Gegenden  lebhaftere 
Bethätigung;  sie  lehrten  die  Verarbeitung  der  Metalle  zu  den  verschiedensten 
Zwecken  und  verschafften  der  Spitzenklöppelei  Eingang.  Binnen  kurzer  Frist 
gelangte  letztere,  namentlich  im  Traversthale,  zur  Blüthe  und  verbreitete  sich 
von  da  aus  im  ganzen  Kanton  herum.  In  dem  Maße,  wie  sich  die  Klöppler 
in  ihren  Arbeiten  vervollkommneten,  erweiterten  sieh  auch  die  Absatzgebiete; 
4ie  anfänglich  etwas  groben  Spitzen  gingen  meist  nach  Lyon,  die  spätem  feinem 
Stücke  fanden  hauptsächlich  in  Frankreich,  Spanien,  Italien  und  in  andern 
-europäischen,  sowie  in  überseeischen  Ländern  Käufer.  Den  flandrischen  Spitzen 
vermochten  es  die  Neuenburger  freilich  nie  gleich  zu  thun,  doch  stellten  sie 
sich  eben  auch  bedeutend  billiger  im  Preise  und  erfuhren  mannigfache  Ver- 
wendung. Der  benöthigte  Zwirn  kam  zum  besten  Theil  aus  Flandern ;  es  wird 
nämlich  berichtet,  daß  das  von  einer  eigens  erbauten  Zwirnerei  in  Brevine 
gelieferte  Gram  beim  Waschen  sich  nicht  eben  so  gut  gehalten    habe  wie  jenes. 

Mit  dem  Beginn  des  zweiten  Dezenniums  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts 
gerieth  die  Klöppelei  in  allmäligen  Verfall.  Die  durch  hohe  Zölle  geschützte 
fremdländische  Konkurrenz,  der  rasche  Wechsel  der  Mode,  welchem  die  einiger- 
maßen vernachlässigte  Technik  nicht  mehr  genügend  Bechnung  zu  tragen  im 
Stande  war,  sowie  die  Ueberhandnahme  der  Uhrenindustrie  sollen  die  vor- 
nehmsten Ursachen  des  Rückgangs  gewesen  sein.  Es  fehlte  nicht  an  mehrmaligen 
Versuchen  zur  Wiederbelebung  des  Grewerbes,  auch  nicht  an  solchen  zur  Er- 
setzung desselben  durch  die  Handschuhfabrikaiion ;  allein  nennenswerthe  Erfolge 
wurden  nicht  mehr  erreicht  und  die  Spitzenklöppelei  fällt  zur  Zeit  kaum  noch 
in  Betracht.  Ebenso  erlag  die  Handsohuhmacherei  —  in  den  dreißiger  Jahren 
eingeführt  —  nach  kurzem  Kampfe  wieder  der  französischen  Uebermacht. 

Es  ist  die  Uhrenmachereif  welcher  schon  lange  die  Führung  unter  den 
Neuenburger  Industrien  zugefallen  ist  und  die  sie  voraussichtlich  noch  geraume 
Zeit  behaupten  wird.  Im  Jahre  1679  reparirte  Daniel  JeanRichard  in  La  Sagne 
•eine  Taschenuhr,  die  ein  Pferdehändler  jener  Gegend    ans  England    mitgebracht 


NriuTifiur;/  —      506      —  Xeuenbuiy 

hatte,  nn<l  im  Jahre  KiSl  »teilte  der  jnnge  Mechaniker  seihst  seine  Erstlingsnhr 
fertig.  Das  war  der  sichthare  Anfang  einer  Industrie,  die  wegen  der  VoUendong 
ihrer  Werke  und  einer  bald  aufs  Hinnreichste  gegliederten  Arbeitstheilnng  überall 
^ererbte  Bewunderung  geerntet  hat.  Indessen  ist  nicht  zu  übersehen,  daß  die 
Nnienburger  sich  damals  schon  recht  eigentlich  zu  Meistern  in  Metallarbeiten 
aller  Art  herangebildet  hatten  und  wesentlich  deßhalb  nachher  mit  so  großem 
Hifer  darauf  Bedacht  nahmen,  durch  fortgesetzte  Erfindung  geeigneter  Werkzeuge 
sich  die  Kunst  des  Uhrenmachens  zu  erleichtern.  Die  für  jeden  Arbeiter  vor- 
handene Möglichkeit,  sich  der  Erstellung  derjenigen  Bestandtheile  zuzuwenden, 
Hilf  die  ihn  Veranlagung  und  Geschicklichkeit  hinwiesen  und  die  eben  durch 
ununterbrochene  Uebung  bis  auf  das  höchste  Maß  gesteigerte  Meisterschaft,  sowie 
der  angeborne  Sinn  fUr  ein  musterhaftes  Sichindiehändearbeiten  verhalfen  den 
Neuenburger  Uhren  zu  dem  Weltrufe,  dessen  sie  genossen  haben. 

Ernt  als  der  vermehrte  Begehr  eine  überaus  und  zu  unvermittelt  starke 
Vergrrißerung  der  Produktion  erheischte,  und  Neuenburg  trotzdem  die  Konkurrenz 
nicht  wollte  aufkommen  lassen,  ging  man  dort  zeitweise  und  theil weise  von  der 
Erzeugung  der  Primaqualitäten  ab  und  büßte  damit  für  die  Folge  mehr  ein 
als  Vorübergehend  gewonnen  wurde.  Vollends  seit  der  Errichtung  eigentlicher 
Uhrenfabriken,  welche,  mit  Mitteln  überreich  ausgestattet,  die  Befriedigung  des 
Massenbedarfs  mit  billigen  und  dennoch  tüchtigen  Uhren  bezwecken,  hat  sich 
•lie  Sachlage  fl\r  die  Neuenburger  Industrie  noch  schwieriger  gestaltet.  Auch 
•  lie  Zoll  Verhältnisse  haben  hiezu  ein  Uebriges  beigetragen,  obwohl  sie  fiir  die 
/.um  Schmuggel  geeigneten  Erzeugnisse  bis  jetzt  nicht  gerade  von  ausschlag- 
gebender Bedeutung  gewesen  sind. 

Unter  der  Einwirkung  der  berührten  und  anderer  Umstände  hat  die 
>[euen burger  Uhrenmacherei  mit  Bezug  auf  ihre  Einträglichkeit  viel  eingebüßt, 
weiohalb  sie  ni(rht  grundlos  auf  Mittel  und  Wege  sinnt,  nach  dieser  Richtung  wieder 
vortheillmftere  Zustände  herbeizuführen.  Inwieweit  ihr  dies  gelingen  wird,  hängt 
nicht  zum  wenigsten  davon  ab,  ob  die  vielfach  ungesunden  Grundsätze  bei  der 
Fabrikation  \\\u\  im  Haudel  —  deren  Anwendung  namentlich  dem  israelitischen 
Element  zuzuHchreiben  ist  —  wieder  können  verlassen  werden.  Einstweilen  sind 
Löhne  \ind  Gewinn  gering  und  eine   Wendung  zum  Bessern  thut  Noth. 

JeanKichard  siedelte  im  Jahre  1705  von  La  Sagne  nach  Locle  über,  von 
wo  sich  die  Uhrenimlustrie  nach  La  Chaux-de-Fonds,  in's  Traversthal  und  in 
<lie  andern  Bergthäler  verpflanzte.  Ph'st  kurz  vor  der  zweiten  Hälfte  des  laufenden 
Jahrhunderts  wunle  sie  auch  in  der  Stadt  Neuenburg  selbst  und  am  See  heimisch, 
nie  Neuenburger  Uhrenmacher  verlegten  sich  anfänglich  —  wie  schon  ange- 
deutet —  vorzugsweise  auf  die  Herstellung  bester  Uhren;  mit  der  Zeit  aber 
ist  gerade  die  Vielfältigkeit  der  Fabrikation  bemerkenswerth  geworden.  Alle 
Arten  von  ganzen  Uhren,  von  Werken,  Schalen  und  der  hunderterlei  einzelnen 
Bestandtheile  gehen  Jahr  für  Jahr  in  solchen  Massen  aus  den  Fabriken  und 
Werkstätten  hervor,  daß  sich  ihr  Werth  nach  vielen  Millionen  bemißt.  Die 
Neuenburger  Chronometer  und  andern  Präzisionsuhren  sind  ihrer  Vortrefflich keit 
halber  el>enso  bekannt  wie  die  verschiedenen  Systeme  wohlfeiler  Fabrikate,  für 
welehe  die  Bewohner  jener  Jurathäler  ebenfalls  bahnbrechend  geworden  sind. 

Ueber  den  Werth  der  Produktion  liegen  etliche  neuere  Schätzungen  vor. 
Kine  solche  vom  Knde  der  dreißiger  Jahre  berechnet  den  Werth  der  Uhren 
ohne  «lie  Sehlaguhi*en  und  Werkzeuge  auf  etwa  sieben  Millionen  Franken  alter 
Währung  :  eine  S<*häty.ung  vom  Jahre  1878  veranschlagt  den  Produktenwerth 
Huf  rund  fünfzig  Millionen  Franken:    eine  letzte  vom  Jahre   1883    endlich  geht 


Neuenbur^j  —      507      —  Neuenbürg 

auf  mindestens   achtzig  Millionen   Franken,    welche   Summe   auch    den    heutigen 
Verhältnissen  noch  entsprechen  dürfte. 

In  alle  Länder  der  Erde  haben  die  Neuenburger  Uhren  ihren  Weg 
gefunden.  Die  wichtigsten  Abnehmer  waren  von  jeher  die  umliegenden  Staaten 
und  England,  ferner  Rußland,  Spanien,  der  Orient  und  später  Nordamerika. 

Mit  der  Uhrenindustrie  in  engem  Znsammenhange  stand  und  steht  noch 
die  Fabrikation  von  Uhrmacherwerkzeuf/en  und  von  allen  möglichen  Präzisions- 
instrumenten. Dazu  hat  sich  in  neuerer  Zeit  die  Erstellung  elektrischer  Apparate 
gesellt.  Jn  allen  diesen  Gebieten  wird  Gediegenes  geleistet. 

Schon  JeanRichard  selbst  erfand  eine  Anzahl  von  Werkzeugen,  doch  wurden 
deren  noch  mehrere  eine  Zeit  lang  zu  hohen  Preisen  aus  Fans  und  London 
bezogen.  Bald  genug  freilich  versahen  dann  die  Neuenburger  ihrerseits  diese 
und  alle  übrigen  uhrenmachenden  Städte  mit  ihren  neuerfundenen  oder  ver- 
besserten Erzeugnissen. 

Von  großer  Bedeutung  war  filr  Neuenburg  seit  dem  Anfang  des  XVII L 
bis  weit  in  die  erste  Hälfte  des  XIX.  Jahrhunderts  hinein  die  Indiennedruckerei. 
Ihre  Entstehung  geht  auf  das  Jahr  1715  zurück.  Damals  wurde  im  Val-de- 
Ruz  eine  Bleicherei  eingerichtet,  deren  Besitzer  bald  Nastl\cher  und  dann  ganze 
Stücke  zu  bedrucken  begannen.  Die  rege  Nachfrage  ermuthigte  zur  Gründung 
weiterer  Druckereien,  so  daß  man  ihrer  am  See  und  in  den  nordwestlich  des- 
selben  gelegenen  Ortschaften  schon  vor  1770  ein  Dutzend  zählte.  Die  hervor - 
tragendsten  befanden  sich  in  Cortaillod  und  Boudry.  Auch  die  VortrefFlichkeit 
dieser  Druckereiprodukte  war  allgemein  anerkannt,  weßhalb  sie  schon  früh  nicht 
nur  auf  den  Messen  in  Basel  und  Frankfurt,  sondern  auch  in  Frankreich  und 
Italien,  später  —  nach  Ueberhandnahme  der  fremdländischen  Konkurrenz  — 
auf  den  Märkten  aller  Erdtheile  Käufer  fanden.  Die  Eingangs  des  gegenwärtigen 
Jahrhunderts  von  Frankreich  getroffenen  Sperrmaßregeln,  dann  die  nach  und 
nach  auch  von  den  übrigen  besten  Abnehmern  aufgerichteten  Zollschranken, 
das  gewaltige  Anwachsen  der  ausländischen  Konkurrenz,  die  Entrichtung  höherer 
Löhne  von  Seiten  der  Uhrenindustrie  und  vielleicht  noch  andere,  weniger  ge- 
wichtige Faktoren  haben  die  Baumwolldrnckerei  in  die  Bedeutungslosigkeit 
zurückgedrängt,  in  welcher  sie  heutzutage  erscheint.  Zuerst  wurden  vorwiegend 
ostindische,  später  hauptsächlich  schweizerische  Gewebe  zum  Bleichen,  Bedrucken, 
Färben  und  Appretiren  verwendet. 

Unter  den  Erwerbszweigen,  die  sich  von  früher  her  erhalten  und  selbst 
weiter  entfaltet  haben,  sind  namentlich  die  Strumpfwirkereif  die  Absynth- 
fabrikation,  die  Äsphal({;ewinnunf/  und  auch  die  Papier fabrikat ton  zu  nennen, 
welch  letztere  —  in  Serrieres  ansässig  —  besonders  gutes  Handpapier  lieferte. 
Die  Wirkwaarenproduktion  wird  als  Hausindustrie  und  in  einem  mechanischen 
Etablissement  betrieben. 

In  die  neuere  Zeit  fedlen  Versuche  mit  der  Hand-  und  Mf^schinenstickerei, 
welche  Erfolge  versprechen.  Auch  die  Strohhutmacherei  hat  au  Umfang  ge- 
wonnen. Im  Allgemeinen  jedoch  halten  die  textilen  Industrien  keinen  Vergleich 
aus  mit  der  Metallverarbeitung,  denn  auch  die  Wollenspinnerei  und  Tuch- 
fabrikation  trat  nie  aus  einem  bescheidenen  Rahmen  heraus. 

Dagegen  sind  noch  etliche  Betriebe  zu  erwähnen,  deren  Produkte  sich  zum 
Theil  ebenfalls  eines  weitverbreiteten  Rufes  erfreuen*:  vorab  die  Chokolade- 
fabrikation,  die  Zementfabrikation,  die  einst  bedeutende  Gerberei,  die  Zigarren- 
^macherei  und  die  Möbel  Schreinerei. 


Neuenburg  —      508      —  Neuenburg 

Hält  man  sich  bei  alledem  gegenwärtig,  welche  Sorgfalt  von  jeher  auf  den 
Weinbau,  auf  die  Käserei  und  andere  landwirthschaftliche  Gewerbe  verwendet 
worden  ist,  so  fügt  sich  ein  für  das  theilweise  so  liebliche,  theils  so  unwirthliche 
Ländchen  recht  günstiges  Zeugniß  zusammen ,  welches  durch  eine  richtige 
Würdigung  des  emsigen  Handels  noch  erheblich  gewinnt.  Früher  wurde  fast 
ausschließlich  mit  Vieh,  Käse,  Wein  und  Holz  gehandelt,  seit  dem  Aufblühen 
der  Industrien  aber  ist  natürlich  auch  der  Handelsverkehr  weit  mannigfaltiger 
und  wichtiger  geworden.  Gute  Straßen  und  Schienenstränge,  mit  großen  Kosten 
erbaut,  durchziehen  das  Land    und  auch  der  See  wird   als  Handelsweg  benutzt. 

Urproduktion. 

Es  widmeten  sich  im  Jahre  1880  der  Landwirthschaft  8462  Personen,  der 
Forstwirthschaft  451,  dem  Bergbau  290,  der  Fischerei  32,  der  Jagd  1. 

Der  Bergbau 
ist,  von  der  Asphaltgewinnung  bei  Travers  abgesehen,  unbedeutend.     Betreffend 
Asphalt  8.  Seite  74  im  L  Band.    Andere  Bergbauprodukte  sind: 

Hydraulischer  Kalk   und  Cement  bei  Convers,    Noiraigue  und  St-Sulpice. 

Kalksteine  bei  Boinod,  Les  Brenets,  Chaux-du-Milieu,  Hanterive,  Les  Loges 
und  Neuenburg. 

Töpfer-  und  Ziegelthon  bei  Boudry,  Fontaines  und  Marin. 

Torf  bei  ßr^vine,  Le  Cachot,  Les  Cceudres,  Martel-dernier,  Les  Fonts, 
Fonts- Martel,  La  Sagne,  La  Yarconne. 

Landwirthschaft. 

Die  Haupt  getreidearten  sind  Weizen,  Gerste,  Hafer  und  Koggen.  Bline 
Froduktionsstatistik  besteht  noch  nicht,  da  die  Katastralvermessung  noch  nicht 
in  allen  Gemeinden  durchgeführt  werden  konnte. 

Andere  Acker  fruchte  als  Getreide  sind:  Futterpflanzen,  Kartoffeln,  etwas 
Gemüse,  Erbsen  und  Bohnen,  wenig  Flachs,  Raps  und  Mais. 

Die  verbreitetsten  Futterpflanzen  sind:   Klee,  Luzerne  und  Esparsette. 

Zahl  der  Obstbäume  unbekannt. 

Der  Weinbau  umfaßt  1242  ha.    Die  Weinproduktion  betrug: 

1884  8139  hl  Rothen  und  63,355  hl  Weißen  =  Fr.  4^678,555 

1885  6894    ,        ,  ,      70,490   ,         „         =     „    2^994,194 

1886  3527   „        „  ,      53,510  ,         ^         =     „    2^576,709 

Es  gibt  keine  Yiehversicherungsgesellschaften;  dagegen  53  Käserei-  und 
Sennereigesellschaften,  6  landwirthschaftliche  Vereine  (welche  Ausstellungen  ver- 
anstalten) und  3  Weinbauvereine.  Diese  trachten  die  Rebenkultnr  durch  Prämi- 
rungen  zu  fördern. 

Verkehr. 

Eisenbahnen. 

Bestand  Ende  1886:  4  Bahn  Unternehmungen  mit  123,689  m  Bahn  und 
32  Stationen.  Die  Bahnlänge  vertheilt  sich  auf  die  einzelnen  Unternehmungen 
und  nach  den  Konzessionen  wie  folgt: 

Jura-Bern-Lueern-Bahn :  Konzession  vom  18.  Mai  1870  für  die  Strecke 
von  Convers  bis  zur  neuenburgisch- bemischen  Grenze  bei  Convers  gegen  Renan 
1995  m. 

Jura  neuchatelois  (Eigenthum  des  Staates  Neuenburg) :  1 )  Konzession  vom 
23.  November  1853  für  die  Strecke  von  der  französisch-schweizerischen  Grenie 
bei  Col-des- Koches  bis  Convers  13,806  m.    2)  Konzession  vom  20.  Oktober  1855 


Neuenbürg  —     509      —  Ni<lwalden 

für  die  Strecke  von  Convers  bis  Neuenburg  24,264  m.  6esammtlänge  der  Sirecken 
des  Jura  neuchatelois  im  Kanton  Neuenbürg  38,070  m. 

Siiisse  Occidentale-Simplon :  Konzession  vom  29.  November  1853  für  die 
Strecken:  a.  von  der  bernisch-neuenburgischen  Grenze  bei  Neuenstadt  bis  zur 
Bchweizerischen  Grenze  bei  Verrieres  55,090  m;  b,  von  Auvernier  bis  zur  neuen- 
burgisoh-waadtländischen  Grenze  bei  Vaumarcus  15,498  m;  zusammen  70,588  m. 

Traversthalbahn  (Val-de-Travers) :  1)  Bundeskonzession  vom  21.  Juni  1881 
fdr  die  Linie  Travers-St-Sulpice  9890  m.  2)  Bundeskonzession  vom  13.  Dezember 
1884  für  die  Zweiglinie  Fleurier-Buttes  3146  m.  Länge  der  Traversthalbahn 
im  Kanton  Neuenburg  13,036  m 

Neuenburg-L 0 c  1  e  s.  «Bernische  Jurabahnen **  und  „Jura  neuchatelois". 
Neuenburg-Yerrieres  s.  „Suisse  occidentale** ;  Neuenburgische  Jura- 
bahn und  Neuenburgische  Staatsbahn  s.   „Jura  neuchatelois**. 

Neuenstadt-B  i  e  1  s.  Bemische  Jurabahnen. 

Nicaragua  ist  mit  der  Schweiz  vertraglich  verbunden  durch  den  Welt- 
]>08tverein8vertrag.  Beitritt  Nicaragua's  am  20.  Juni  1881.  (A.  S.  n.  F.  VI,  288.) 

Nickel  kommt  im  Kanton  Wallis  (Thal  d^Anniviers)  vor,  doch  sind  die 
Adern  ganz  unregelmäßig,  die  Abbauverhältnisse  daher  außerordentlich  schwierig. 
Einfuhr  im  Jahre  1886  für  Fr.  363,000,  wovon  für  Fr.  341,000  rein  oder 
legirt  (683  q  ä  Fr.  500),  das  meiste  aus  Deutschland  und  Frankreich;  Ausfuhr 
für  ca.  Fr.  29,000.  Einfuhr  von  Nickel-  und  Neusilberwaaren  im  nämlichen 
Jahre  für  Fr.  90,000  (103  q  a  Fr.  875),  das  meiste  aus  Deutschland;  Ausfuhr 
für  Fr.  5000. 

Nidaü-Biel-Bözingen  s.  Tramways  suisses. 

Nidwalden  bildet  mit  Obwalden  Jen  Kanton  Unterwaiden.  Bundesglied 
seit  1.  August  1291.  Ortsanwesende  Bevölkerung  am  1.  Dezember  1880  11,992 
Personen  =  0,42  ^/o  der  gesammten  Bevölkerung  der  Schweiz.  Flächeninhalt 
290,5  km^  =  0,7  ^/o  des  gesammten  Flächeninhaltes  der  Schweiz.  Nicht  in 
Bezirke  eingetheilt.  11  Gemeinden.  6  Civilstandskreise.  1  Nationalrathswahlkrei» 
(18.)  mit  1  Mandat.  Gehört  zum  3.  eidg.  Assisenbezirk,  in  militärischer  Be- 
ziehung zum  lY.  Divisionskreis. 

Nach  dem  Größenverhältniß  unter  den  wirthschaftlichen  Gruppen  der  Kantone 
nimmt  Nidwalden  folgende  Rangstufen  unter  den  Kantonen  ein :  Die  3.  hinsichtlich 
öffentliche  Verwaltung,  Wissenschaft  und  Kunst,  die  5.  hinsichtlich  Handel,  die 
9.  hinsichtlich  Urproduktion,  die  11.  hinsichtlich  persönliche  Dienstleistungen,  die 
17.  hinsichtlich  Industrie,  die  20.  hinsichtlich  Verkehr. 

An  den  Hauptberufsgruppen  sind  nämlich  als  Erwerbende  betheiligt: 

o/o  all.  Beruf-  «/o  der 

PerfMoen  treibendeD       gl.  Kategorie 

den  Kantons      der  Schweix 

an  Urproduktion 2420  48,9  0,4 

„  Industrie       1724  34,8  0,3 

.,   Handel 396  8,0  0,4 

Verkehr 103  2,1  0,2 

öifentl.  Verwaltung,  Wissenschaft  und  Kunst  250  5,0  0,5 

persönlichen  Dienstleistungen       ....  61  1,2  0,3 

4954         100,0 

4 1 ,3  ^/o  der  ganzen  Bevölkerung 

Die  Gesammtbevölkerung  (Beruftreibende,  Angehörige,  Hansgesinde) 
ist  wie  folgt  an  den  Haupterwerbsgruppen  betheiligt: 


Nidwaiden  —      510      —  Xidwalden 

•*o  der  *>o  der 

Personen  Berölko*         gl.  Kat«g^oiie 

rang  der  Schweix 

an  Urproduktion 5988  49,9  0,5 

„   Industrie 3307  27,6  0,2 

„   Handel 93iS  7,9  0,4 

„  Verkehr 245  2,0  0,2 

„  öffentl.  Verwaltung,  Wid8enschaft  und  Kunst  481  4,0  0,4 

„   perBÖnlichen  Dienstleistungen      ....  72  0,6  0,2 

Bernfslose  nebst  Angehörigen  etc 961  8,0  0,6 

11992         100,0 

Handel,  Industrie  und  Kleingewerbe. 

Folgende  Grappirung  umfaßt  diejenigen  unter  diese  Rubrik  zählenden  Berufe- 
-arten,  welchen  im  Jahre  1880  7«  V®  ^^^  mehr  aller  erwerbsthätigen  Personen 
^es  Kantons  oblagen  (laut  eidg.  Bernfsstatistik) : 

Prw  ri«  °®  ****'*  *•*  *^^'  niml. 

Beruf  .Kit-  ErwerbrtbÄtlgen        Kategorie 

mange  ^j^^  Kanton«         der  Schw^-ii 

Seidenspinnerei  und  -Weberei     .     .        357  7,2  0,6 

Handel,  eigentlicher 222  4,5  0,4 

Gasthof-  und  Wirthschaftsgewerbe  .        158  3,2  0,5 

Schreinerei  and  Glaserei  ....        130  2,6  0,6 

Schneiderei 129  2,6  0.4 

Schuhmacherei 103  2,1  0,4 

Leinen-  und  Halbleinfabrikation       .88  1,8  0,8 

Cementfabrikation 86  1,7  10,4 

Zimmerei 76  1,5  0.4 

Weißnäherei 70  1,4  0,3 

Strohflecht«rei    .......  67  1,3  0,5 

Maurerei  und  Gypserei     ....  55  1,1  0,3 

Glasfabrikation 49  1,0  11.2 

Wascherei  und  Glätterei  ....  45  0,9  0,3 

Bäckerei 3^  0,8  0,3 

Metzgerei 32  0,6  0,4 

Dach  deckerei 29  0,6  0,8 

Schmiede 25  0,5  0,3 

Fabriken. 
Es    bestehen  Ende  1887    in  Nidwaiden   4  Cementfabriken,    4  Ziegelhütten, 
-3  Gerbereien,  5  Bierbrauereien,  13  Sägemühlen,  4  Gretreidemühlen,  1  Teigwaaren- 
fabrik,    2  Tabakstampfen,  2  Gypsfabriken,   1   Glashütte,  1  Cartonfabrik,  2  Par- 
queterien,   1   Floretspinnerei,   1  Seidenzettelei  und  1  Liqueurfabrik. 

Dem  Schweiz.  Fabrikgesetz  waren  Ende  Juni  1887  7  Etablissements  mit 
195  Arbeitern  und  458  Pferdekräften  unterstellt,  nämlich:  2  Cementfiabriken  in 
Beckenried  und  Stansstad  (erstere  zugleich  Kalkfabrik),  1  Glashütte  in  Hergiswyl, 
1  Parqueterie  in  Buochs,  1  Floretspinnerei  in  Buochs,  1  Seidenzettlerei  in  Buoohs, 
1    Teigwaarenfabrik  in  Ennetbürgen. 

Industriegeschichtliches  über  Ob-  und  Nidwaiden. 
(Mi  Iget  heilt  von  Herrn  Jos.  Durrer,  Adjunkt  des  eidg.  statistischen  Bureau.) 

Die  Kleinheit  des  Gebietes  und  die  Spärlichkeit  der  Materialien  hat  es  als 
gut  erscheinen  lassen,  diese  Notizen  für  Nid-  und  für  Obwalden  in  einen  Artikel 
zusammenzufassen. 


Nidwaiden  511      NidwaUlen 

Unter  den  Aeußerungen  über  die  Erwerbsthätigkeit  der  Bevölkerung  Unter- 
waldens  in  früheren  Zeiten  wird  wohl  eine  der  geschichtlich  am  weitesten  zu- 
rückgreifenden diejenige  sein,  welche  uns  Schiller  in  den  Worten  übermittelt  hat, 
das  Volk  der  Urkantone  sei  „zu  Nichts  anstellig,  als  das  Vieh  zu  melken  und 
faul  herumzuschlendern  auf  den  Bergen'*.  Darnach  wären  denn  auch  die  Unter- 
waldner  im  Anfange  des  14.  Jahrhunderts  ausschließlich  ein  Hirtenvolk  gewesen. 
Neuere  Studien  (P.  Martin  Kiem  im  „Geschichtsfreund",  Band  21,  und  C.  Oder- 
matt in  den  ,,Beiträgen  zur  Geschichte  Nidwaldens**,  3.  Heft)  lassen  aber  diese 
Anschauung  als  eine  zu  einseitige  erscheinen  und  haben  dargethan,  daß  im  13. 
und  14.  Jahrhundert  ^)  in  Unterwaiden  auch  der  Ackerbau  eine  Ausdehnung 
und  Bedeutung  hatte,  welche  vielleicht  derjenigen  der  Vieh-  nnd  Milchwirthschaft 
gleichkam,  oder  dieselbe  sogar  überragte.  £s  geht  dieses  daraus  hervor,  daß  die 
in  den  damaligen  Urkunden  erwähnten  Abgaben  und  Naturalzinsen  an  Klöster 
und  andere  Grundherren  kaum  seltener  in  Erzeugnissen  des  Land-  und  Acker- 
baues (Weizen,  Dinkel,  Hafer,  Flachs,  Bohnen,  Nüsse)  als  in  solchen  der  Vieh- 
und  Milchwirthschaft  (Käse,  Zieger,  Castratos,  Ziegenfelle,  Eier)  bestehen  und 
daß  in  damaliger  Zeit  Aecker  an  Halden  und  Berghängen  in  einer  Höhe  er- 
wähnt werden,  wo  jetzt  schon  lange  nur  mehr  Naturwiesen  und  Alpweideu  be- 
stehen. —  Der  Umschwung  in  diesen  Verhältnissen  trat  im  15.  (wenn  nicht 
schon  Ende  des  14.)  Jahrhundert  ein  und  setzte  sich  auch  im  folgenden  derart 
fort,  daß  die  beiden  Regierungen  von  Ob-  und  Nidwaiden  in  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts  den  nunmehr  eingetretenen  Rückgang  des  Ackerbaues  als 
Uebelstand  zu  betrachten  anfingen  und  durch  obrigkeitliche  Verfügungen  auf- 
zuhalten versuchten.  Aber  kategorische  Gebote  zu  vermehrter  Pflege  des  Acker- 
baues, wie  aufmunternde  Unterstützungen  desselben,  welche  sich  in  den  beiden 
Staatsprotokollen  ungefähr  zwei  Jahrhunderte  lang  wiederholen  (siehe  Kiem  und 
Odermatt  a.  a.  0.),  erwiesen  sich  auf  die  Dauer  gleich  machtlos.  Der  Pflug  ver- 
schwand aus  Unterwaiden  so  gründlich,  daß  der  Schreiber  dieses  einen  solchen 
zum  ersten  Male  in  einer  theatralischen  Aufführung  der  Geschichte  Arnold  Ander- 
halden's  zu  sehen  bekam  (wahrscheinlich  mußte  das  Exemplar  zu  diesem  Zwecke 
importirt  werden). 

Es  wäre  schwierig,  ausreichend  zu  erklären,  welchen  Ursachen  dieser  Ueber- 
gang  des  Ackerbaues  zur  Viehzucht  und  Milchwirthschaft  zuzuschreiben  sei  und 
warum  derselbe  hier  2 — 3  Jahrhunderte  früher  als  in  andern  Gegenden  der 
Schweiz  eintrat.  Thatsache  ist,  daß  Unterwaiden  schon  in  der  ersten  Hälfte  des 
14.  Jahrhunderts  sich  um  einen  möglichst  vortheilhafteu  Absatz  seiner  Erzeugnisse 
nach  Italien  —  und  dahin  wohl  nichts  anderes  als  Vieh  und  Käse  —  interessii*te 
(siehe  z.  B.  Eidgen.  Abschiede,  1335)  und  für  denselben  energisch,  wenn 
nöthig  mit  dem  Schwerte  in  der  Hand,  eintrat;  sein  erster  Feldzug  über  den 
Gotthard  soll  durch  eine  solche  Frage  veranlaßt  worden  sein.  So  ist  es  möglich, 
daß  die  durch  £jrieg  nnd  Politik  eroberten  und  befestigten  Absatz  Verhältnisse, 
dabei  der  Mangel  einer  größeren  Konkurrenz,  Wesentliches  zu  diesem  Umschwünge 
beigetragen  haben.  —  Ein  anderer  Faktor  möchte  in  Folgendem  zu  finden  sein. 
In  den  früheren  Jahrhunderten  die  so  zahlreichen  eigenen,  später  die  fremden 
Kriegsdienste,  dann  wenigstens  vom  17.  Jahrhundert  an  sonstige  starke  Aus- 
wanderung (nach  dem  Elsaß,  in's  Wallis,  um  1760  auch  einmal  nach  Rußland, 
wovon  im  Gouvernement  Samara  eine  damals  entstandene  Kolonie  bis  heute  den 

^)  Nach  dem  -Liber  Heremi*'  hätte  das  Kloster  Einsiedeln  schon  im  Jahre  1018 
in  Buochs  eine  Mühle  erworben,  aber  im  Ganzen  sind  die  Quellen  ftlr  die  Zeit  vor  dem 
13.  Jahrhundert  doch  gar  zu  selten. 


NuiwaUlen  —      512      —  Nidwaiden 

Namen  nUnt^i'^^ld^^'*  erhalten  haben  soll;  dann  nach  Amerika,  in  die  Rhein- 
jL^egenden  Deutschlands)  entführten  dem  Lande  sozusagen  in  stetiger  Weise  eine 
holche  Menge  von  Arbeitskräften,  daß  dadurch  die  Bewirthschaftung  des  eigenen 
Bodens,  sowie  überhaupt  die  gewerbliche  Entwicklung  des  Landes  kaum  un- 
beeinflußt bleiben  konnten. 

Zu  immer  ausgedehnterer  Benützung  des  Thalgrundes  als  Weide  und  Wiese 
und  damit  zur  Einschränkung  des  Getreidebaues  muß  auch  das  folgende  Ver- 
hältniß  mitgewirkt  haben.  Gegenwärtig  gehören  mehr  als  ^/4  sämmtlicher  Alp- 
weiden Unter waldens  den  dortigen  Gemeinden  oder  Korporationen,  nicht  ganz 
74  sind  im  Eigenthume  von  Privaten.  Das  war  nicht  von  jeher  so.  Ein  ganz 
großer  Theil  dieser  Alpen  ist  nachweisbar  erst  seit  Ende  des  14.  Jahrhunderts 
in  den  Gemeindebesitz  übergegangen  und  es  ist  dieser  Uebergang  aus  Privat- 
händen mehr  oder  weniger  ein  bis  heute  fortdauernder.  Nun  galt  für  die  Be- 
nützung von  Gremeindealpen  seit  Jahrhunderten  die  Beschränkung,  daß  dieselben 
nur  mit  solchem  Vieh  befahren  werden  durften,  welches  in  derselben  Gemeinde 
„gewintert",  d.  h.  den  Winter  über  ausschließlich  mit  in  derselben  Gemeinde  ge- 
wachsenem Heu  gefuttert  worden  war.  Ist  nun  auch  die  Benützung  der  Gemeinde- 
alpen keine  unentgeltliche,  so  ist  sie  doch  eine  so  billige,  daß  deren  genannte 
Verkettung  mit  der  Winterfütter nng  im  Thale  ganz  nothwendig,  wie  eine  Prämie, 
Huf  die  Ausdehnung  des  Grasbaues  und  damit  auf  Einschränkung  der  Getreide- 
kultur wirken  mußte.  —  Dann  haben  überhaupt  und  nicht  bloß  in  der  angeführten 
Richtung,  wie  früher  so  auch  heute  noch,  die  Rechtsverhältnisse  an  dem  hier 
noch  sehr  ausgedehnten  Gemeineigenthum  so  viel  Beetimmendes  für  den  Betrieb 
der  unterwaldnerischen  Landwirthsohaft,  daß  ein  hinreichendes  Verständoiß  der 
letztem  ohne  Kenntniß  der  erstem  nicht  wohl  möglich  ist.  Indem  es  an  diesem 
Orte  nicht  erlaubt  ist,  ausführlicher  darauf  einzutreten,  sei  wenigstens  auf  fol- 
gende zwei  Schriften  verwiesen,  von  denen  die  erstere  vorwiegend  die  rechtlichen, 
die  zweite  die  wirthschaftlichen  Seiten  dieser  Verhältnisse  behandelt.  ,jDie  Rechts^ 
cerhältnisse  am  Gemeinland  in  Unierwalden^ y  von  A,  Heusler,  in  Band  10 
der  „Zeitschrift  für  Schweiz.  Recht**,  und  „D/c  Schweiz.  Allmend  in  ihrer  gt- 
schichtlichen   Entwicklung^ ,   von  A.  Miaskowski,   in   Band  2  von  Schmoller: 

„Staats-  und  sozial  wissenschaftliche  Forschungen^. 

*  * 

* 
Nach  diesen  Erörterungen  über  ihre  allmälige  Ausdehnung  in  unserm  Lande 

bieten  Viehzucht  und  Alpen wirthschaft  mit  ihrem  konservativen  Charakter  nur 
Beltene  Momente,  welche  besonders  zu  erwähnen  wären.  Doch  seien  ans  der  Gre- 
Kchichte  der  unterwaldnerischen  Bodenkultur  zwei  Erscheinungen  angeführt,  von 
denen  allerdings  die  eine  nur  noch  mit  ihrem  Anfange  in  das  vorige  Jahrhundert 
zurückreicht,  die  andere  zum  Theil  schon  in  unsere  Tage  hineinlangt :  die  Tiefer- 
legung des  Lungernsee's  und  die  „AUmendvertheilungen".  —  Der  Anblick  de» 
erstgenannten  Werkes  vermag  heutigen  Tages  nur  mehr  mäßigeres  Staunen  zu 
erregen;  zur  Zeit  seiner  Vollendung,  im  Jahre  1836,  dagegen  schrieb  ein  Fach- 
mann: „Die  Tieferlegung  des  Lungernsee's  ist  ohne  Zweifel  eines  der  größten 
und  interessantesten  Werke  seiner  Art,  das  vielleicht  nur  durch  den  prachtvollen 
Kanal  für  den  Abfluß  des  Lago  Fucino  bei  Rom  übertroffen  wird".  Ueber  das 
Technische  des  Werkes  sei  hier  bloß  angeführt,  daß  das  Wesentliche  desselben 
in  einem  420  m  langen,  ungefähr  2  m  hohen  und  wohl  1  72  m  breiten,  durch 
Kalkfelsen  getriebenen  Tunnel  besteht,  durch  welchen  die  Wasserfläche  des  See's 
ungefähr  um  40  m  tiefer  gelegt  wurde.  Die  Arbeit  war  im  September  1790 
begonnen  worden,    in  Folge   öfterer   und   längerer  Aussetzungen  aber  wurde  die 


Nid  Waiden  —      513     —  Nidwalden 

Mündang  des  Tunnels  in  den  See  erst  den  9.  Januar  1836  mittels  einer  Pulver- 
mine bewerkstelligt;  die  sämmtlichen  Kosten  des  Werkes,  einschließlich  der 
Frohnarbeiten,  werden  auf  ungefähr  Fr.  220,000  (heutiger  Währung)  berecliuet. 
—  An  diesem  Orte  ist  aber  das  namentlich  anzuführen,  daß  dieses  Werk  in 
seinem  von  Anfang  beabsichtigten  und  schließlich  auch  befriedigend  erreichten 
Zwecke  ein  ausschließlich  landwirthschaftliches  war.  Dem  fühlbaren  Mangel  an 
knitnrfähigem  Boden  und  speziell  dem  Mißverhältnisse  zwischen  hinreichend  vor- 
handener Sommemahrung  filr  das  Yieh  auf  den  Alpen  und  ungenügender  Winter- 
nahrung für  dasselbe  im  Thale  sollte  durch  Gewinnung  des  Seegi'undes  ab- 
geholfen werden.  Das  Resultat  in  dieser  Beziehung  war  die  Eroberung  eines 
Areals  von  90  Hektaren  pflanzbaren  Lande»  und  21  Hektaren  gerölliger  Halden, 
welches  dann  an  die  ungefähr  150  Lungerer,  welche  seit  1831  die  „ Seegesell- 
schaft **  bildeten,  vertheilt  wurde.  (Schriften:  Technisch  „2>*e  Tiefer legunt/  des 
Lun(fem-See*s,  Mit  mehreren  Plänen^.  [Anonym,  aber  von  einem  Faohmanne. 
Zürich,  1836.]  Geschichtlich  „Die;  Tieferleef^iiig  des  Lunf/ernsee^s^,  Von 
A.  Küchler,    Samen,  1886.) 

* 
Noch  vor  fünfzig  Jahren  (im  „Gemälde  der  Schweiz.  Der  Kanton  Unter- 
waiden **,  von  A.  Businger,  1836)  berechnete  man,  daß  in  Unterwaiden  jährlich 
über  1200  Kühe  (in  Obwalden  812,  in  Nidwalden  431)  in  gemeinsamer  Weide 
auf  der  AUmend,  d.  L  dem  im  Thale,  zunächst  den  Dörfern  gelegenen  Theile 
des  G^meiueigenthums,  gesommert  werden.  Gegenwärtig  ist  diese  Benützungsweise 
zum  großem  Theile  (in  einzelnen  Gemeinden  ganz)  verschwunden.  Die  Allmend 
ist  unter  die  Genossen  „vertheilt"  worden.  Währenddem  diese  Vertheilung  bei- 
spielsweise in  Stans  für  den  einzelnen  Genossen  die  Zuweisung  eines  Grundstückes 
von  nahezu  einer  halben  Hektare  zur  Folge  hatte,  ist  das  Betreffniß  in  andern 
Gemeinden  bedeutend  unter  solchem  Maßo  zurückgeblieben.  Schon  durch  derartige 
Zerstückelung  des  Bodens,  dann  auch  durch  ausdrückliche  Vorschriften,  ist  die 
weitere  Benützung  desselben  als  Weideland  ausgeschlossen  und  das  letztere  der 
Acker-  und  Gartenkultur  oder  dem  Grasbaue  gewidmet  worden.  Neben  der  land- 
wirthschaftlichen  Bedeutung  dieses  Wechsels  ist  aber  auch  der  eigenthümliche 
rechtliche  Charakter  desselben  zu  erwähnen.  Die  genannte  Vertheilung  bedeutet 
keineswegs  einen  Uebergang  des  Gem eineigen th ums  in  Privateigenthum ;  den  Ge- 
nossen ist  bloß  die  landwirthschaftliche  Benützung  der  Grundstücke  zugestanden 
worden,  allerdings  eine  lebenslängliche  und  selbst  vom  Vater  auf  den  Sohn  ver- 
erbliche, aber  das  Eigenthumsrecht  der  Gemeinden  und  Korporationen  ist  dabei 
vorbehalten  und  könnte  durch  Beschluß  derselben  jederzeit  in  beliebiger  (über- 
haupt gesetzlicher)  Weise  geltend  gemacht  werden.  Selbstverständlich  ist  durch 
dieses  Verhältniß  für  die  Nutznießer  auch  die  Belastung  des  ihnen  zugetheilten 
Landes  mit  Hypotheken,  ebenso  diejenige  mit  Gebäuden,  ausgeschlossen;  die 
Allmend  wird  auch  den  Nachkommen  als  freier  Grund  und  Boden  erhalten  werden. 

Ueber  die  neben  der  Landwirthschaft  vorhandene  Erwerbsthätigkeit  der 
Unterwaldner  in  früheren  Zeiten  sind  die  Notizen  so  seltene  und  zerstreute,  daß 
sie  sich  nicht  wohl  zu  abgerundeten  und  erschöpfenden  Darstellungen  vereinigen 
lassen.  Was  die  der  Befriedigung  der  gewöhnlichen  Landesbedürfnisse  obliegenden 
Handwerke  betrifft,  so  finden  sich  wohl  seit  ungefähr  der  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts Zünfte  erwähnt  (im  BathsprotokoU  von  Obwalden  zum  ersten  Male  1566). 
Indessen  hat  man  sich  hierunter  für  unser  Land  nur  ein  schwaches  Abbild  der 
gleichnamigen   städtischen  Korporationen  vorzustellen.    In  Obwalden  waren,    wie 

Fnrrer,  Volkiwirthachafta-Lexikon  der  Schweiz.  ^J^» 


NMJwal'Jfrn  —     514     —  3^iw^iea 


6»  ftcheint  vom  Anfiui^  mo,  «äinmtliche  Handwerke  in  eine  einsge  Zunft 
eiai|^«  in  Nidwaiden  bestanden  deren  mehrere:  eine  Pdicht  zum  Eintritte  in 
die>y;  Ziln!te  wird  ab^r  beiden  Ort«  kanm  je  bestanden  haben  und  von  n^— K^ft^i 
Zwe':;k«m  nnd  Erfolgen  kann  wahracheinlich  aach  nicht  gesprochen  werden.  Man 
findet  wohl  dann  and  wann  Aeaßemngen  dieser  Zönfte  erwähnt,  wekhe  auf  die 
gewerbliche  Tbätigkeit  ihrer  Angehörigen  Bezug  haben  (wie  Anastellong  Ton 
Lehrbriefen  and  AehnHche»),  aber  lieber  and  mit  mehr  Eifer  aeheiaen  die  Znnft- 
genojHien  ihre  Za«ammengehdrigkeit  in  trinkender  Geselligkeit  gepflegt  zn  haben. 
(„Die  Ton  den  Handwerk^lenten  aufgerichtete  Brnderschaft  ist  gutgeheißen,  doch 
sollen  tat  an  Jahrzeiten  sich  nicht  Tolkanfen,  auch  Niemanden  in  die  Bruder- 
gchaft  zwingen.*  Bath^beachlaß  von  Obwalden  vom  24.  Juni  1596.)  Dire  Fort- 
dauer biA  heute  haben  ««ich  diese  Zönfte  wohl  nur  dadurch  erhalten,  daß  de  sich 
bald  nach  ihrem  Entstehen  auch  zu  kirchlichen  Bruderschaften  konstituirten. 

Weit  ober  die  Stufe  eines  bloß  der  Nützlichkeit  dienenden  Handwerks 
*<;heint  «ch  seit  Jahrhonderten  die  Schreinerei  erhoben  zu  haben.  Eine  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhundertä  stammende,  bb  zur  Stunde  wohl  erhaltene 
2^merTertäferang  mit  Plafond  und  Buäet  in  der  Bosenburg  in  Stans  (neaestans 
in  das  Eigenthum  des  Bundes  übergegangen)  wird  von  Sachverständigen  ab  eine 
der  känstleri^h  werth vollsten  Arbeiten  dieser  Art  erklart,  welche  äch  in  der 
Schweiz  erhalten  haben.  Aus  derselben  Zeit  and  aus  der  Nachbarschaft,  dem 
Winkelriedhause  in  Stans,  stammten  zwei  reich  eingelegte  Thären,  welche  an 
der  Landesausstellung  in  Zürich  ausgestellt  waren.  Noch  älter  (von  1503}  ist 
der  k  anstreiche,  aus  Holzmosaik  and  Schnitz  werk  zusammengesetzte  Plafond  der 
Fried hofkapelle  in  Samen  und  derjenige  in  der  Müslikapelle  am  Eingange  in*s 
Melchthal,  jünger  dagegen  die  durch  ihre  Mannigfaltigkeit  anziehende  Intarsien- 
arbeit  des  JPlafoids  der  Flüelikapelle  ob  Sachsein.  Zwar  ist  kein  Anhaltsimnkt 
vorhanden,  daß  diese  angeführten  Werke  durch  einheimische  Künstler  verfertigt 
worden  seien;  aus  heimischen  Werkstätten  aber  stammen  offenbar  jene  , Büffet *", 
Wandkästen  und  ähnlichen  Möbel,  mit  ihren  Jahrzahlen  aus  dem  17.,  18.  und 
dem  Anfange  des  19.  Jahrhunderts,  mit  eingelegten  Figuren,  denen  wir  jetzt 
noch  so  häufig  in  einfachen  Privathänsem  begegnen  und  auf  deren  Kunstwerth 
in  neuerer  2^it  zuerst  wieder  durch  spürende  Kunstjuden  auftnerksam  gemacht 
wurde.  —  P^iner  ähnlichen  künstlerischen  Ausbildung  scheint  sich  keines  der 
übrigen  Handwerke  jemals  erfreut  zu  haben. 

Als  ältente  Werkstätte  eigentlicher  Großindustrie  in  Unterwaiden  ist  das 
Kisenbergwerk  im  Melchthal  anzuführen.  Die  erste  noch  erhaltene  Erwähnung 
desselben  datirt  von  1439,  eine  folgende  von  1453;  doch  scheint  das  Werk, 
wenn  nicht  schon  früher,  so  doch  bald  darauf  eingegangen  zu  sein.  Hoch  oben 
auf  der  Melchseealp,  an  der  sog.  Erzegg,  wurde  das  Erz  gebrochen,  durch  Ochsen 
bis  zur  „Frntt**  befXirdert  und  von  dort  weg,  wie  es  scheint  auf  offener  Holz- 
bahn, eine  Stunde  weit  über  den  steilen  Abhang  in  das  Thal  hinnntergeleitet. 
Bei  der  Keselenalp  befand  sich  das  sog.  Erzhaas,  wahrscheinlich  die  Schmelze, 
und  eine  Stunde  weiter  vom  im  Thale,  unter  der  Ortschaft  Melchthal,  die 
Schmiede.  1551  wird  vor  der  Landsgemeinde  von  Obwalden  erklärt,  „daß  bj 
den  hundert  Jaren  ein  ysenschmitten  im  Melchthal  gewesen,  als  nochmalen  wohl 
kundbar  nyge.  Darnach  durch  mittel  des  dodt«  vnd  absterben  fille  des  volks  die 
isen  Schmitten  sich  geendet.*"  Es  wurden  nunmehr  von  der  Landsgemeinde  neuer- 
dings ^die  gaben  gott^^s  vnd  die  bergwerkh  vnd  ärtze,  so  in  allem  dem  gebirg 
dcM  Melchthal  vnd  Melchsee  liegt**   an  eine  Gesellschaft  der  angesehensten  Bürger 


Nidwaiden  —      515     —  Nidwaiden 

des  Landes  als  Erblehen  ertbeilt;  von  den  verschiedenen  Bedingungen  sei  hier 
bloß  angeführt,  daß  den  Unternehmern  verboten  war,  mehr  als  20  landesfremde 
Arbeiter  anzustellen.  Aber  nach  ungefähr  15  Jahren  war  das  Unternehmen  schon 
wieder  eingestellt.  Die  dritte  Eröffnung  des  Eisenwerkes  fand  nach  einem  Lands- 
gemeindebeschluß von  1620  statt.  Unter  wechselnden  Besitzern  (alle  Landes- 
einwohner) dauerte  der  Betrieb  dieses  Mal  bis  1689.  Auch  ein  Versuch  der 
Regierung,  das  Unternehmen  unter  obrigkeitlicher  Verwaltung  weiter  zu  führen, 
hatte  nur  dessen  Todeskampf  verlängert;  Knappen  und  Schmiede  blieben  seit 
jener  Zeit  aus  dem  Melchthale  verschwunden.  („Chronik  von  Kerns**  v.  A.  Küchler, 
1885.) 

An  biegsamerem  Stoffe  als  im  Melchthale  arbeitete  die  unterwaldnerische 
Industrie  in  Rotzloch  am  Vierwald stättersee.  Hier  bestand  eine  Papierfabrik,  und 
zwar  wenigstens  seit  dem  Anfang  des  17.  Jahrhunderts;  schon  ein  Regierungs- 
mandat von  1602  schreibt  vor,  daß  dort  Papier  mit  den  Landesschlüsseln  ver- 
fertigt werde.  Ueber  die  Ausdehnung  und  sonstigen  Geschicke  dieser  Fabrik  in 
früheren  Zeiten  ist  uns  nichts  bekannt,  ihre  größte  Entwicklung  scheint  dieselbe 
seit  den  30er  Jahren  des  laufenden  Jahrhunderts  gewonnen  zu  haben;  um  1860 
wurde  angegeben,  daß  sie  100  Pferdekräfte  in  Maschinen  und  daneben  bei 
130  Arbeiter  beschäftige  und  eine  der  bedeutendsten  Papierfabriken  der  Schweiz 
sei.  Seit  ungefähr  einem  Jahrzehn  ist  sie  als  solche  eingegangen  und  in  den 
Gebäuden  eine  Cementfabrik  eingerichtet  worden.  —  Eine  kleine  Papierfabrik 
mit  Handbetrieb  bestand  bis  in  die  neuere  Zeit  auch  am  jenseitigen  Seeufer,  in 
Hergiswil.  Aber  bedeutender  als  diese  war  die  am  gleichen  Orte  im  Jahre  1818 
als  Filiale  von  Flüeli  im  Entlebuch  gegründete  Glasfabrik,  bis  heute  fortbestehend 
und  in  halbjährlichem  Betriebe  je  bei  50  Arbeiter  beschäftigend.  —  Bloß  bei 
einem  Jahrzehn  bestand  eine  1829  in  Kerns  erbaute  Baumwollenspinnerei.  Da- 
gegen erfreute  sich  wenigstens  einige  Zeit  lang  besserer  Geschäfte  die  später  und 
als  Ableger  von  Gersau  entstandene  Seidenspinnerei  und  Käromlerei  in  Buochs, 
bis  auch  diese  nach  1870  das  Loos  ihrer  Mutterfabrik  theilten. 

Industrielle  Unternehmungen,  welche  erst  in  neuester  Zeit  entstanden  sind 
und  gegenwärtig  fortbestehen,  bleiben  in  diesen  geschichtlichen  Notizen  absichtlich 
unberücksichtigt,  dagegen  mögen  noch  jene  verschiedenen  Zweige  von  Haus- 
industrie genannt  werden,  welche  man  je  zeitweise  erwähnt  findet.  Wann  das 
Baumwollenspinnen  als  häusliche  Beschäftigung  eingeführt  wurde  und  welche 
Ausdehnung  dasselbe  jemals  hatte,  ist  uns  nicht  bekannt;  erwähnt  wird  es  1799 
in  Lungern,  wo  die  Schulkinder  durch  diese  Beschäftigung  an  fleißigem  Schul- 
besuche verhindert  wurden.  —  »Um  den  dortigen  Thalleuten  ein  vortheilhaftes 
Nebengewerbe  zu  verschaffen,"  richtete  der  von  1769  — 1798  regierende  Abt 
Leodegar  von  Engelberg  „in  dem  Kloster  eine  Werkstatt  zum  Seidenspinnen, 
Waschen  und  Krempeln  ein,  womit  jetzt  (1796)  viele  Leute  beschäftigt  werden, 
die  sich  sonst  nur  kümmerlich  nähren  können;  er  errichtete  auch  eine  Wollen- 
weberei, um  alle  im  Lande  gewonnene  Wolle  zu  den  nöthigen  Zeugen  für  die 
Einwohner  verfertigen  zu  lassen*"  (Norrman).  Diese  mehr  fabrikmäßige  Schulung 
(deren  Dauer  wir  nicht  kennen)  mag  die  Bewohner  von  Engelberg  befähigt  haben, 
sich  später  mehr  und  geschickter  als  andere  im  häuslichen  Seidenweben  zu  be- 
schäftigen; letztere  Industrie  ist  in  Engelberg  auch  jetzt  noch  eine  sehr  ver- 
breitete und  zählte  in  neuester  Zeit  bei  160  Webstühle,  alle  andern  Gemeinden 
Obwaldens  deren  bei  300 ;  in  Nidwaiden  scheint  diese  Industrie  nie  die  gleiche 
Verbreitung  gewonnen  zu  haben.  —  Schneller  Zu-  und  Abnahme  war  jeweilen 
die  Beschäftigung  mit  Stroh-  und  Roßhaararbeiten  unterworfen.  Die  EinrichtisÄ^ 


Nidwalden  —      516     — 

einer  Flechtscbule  wird  in  Ken»  1828  erwälint;  eine  bedeutende  Aosdehnong 
gewann  diese  Indostrie  einmal  in  den  50er  Jahren,  aber  noch  größere  und  tof- 
tiieilhaftere  nm  1865.  In  einzelnen  Gegenden  soll  damals  het  in  der  Hüfte  der 
EUlnser  «gehütelf  worden  sein  (Verfertigang  von  StrohhOten  för  Wohlen).  Der 
Tagesverdienst  erreichte  auch  fdr  jange,  kaam  der  Schule  entwachsene  Personen 
bis  Fr.  1.  20  nnd  1.  40,  nnd  man  berechnete  während  der  besten  Zeit  in  einer 
einzigen  Gremeinde  den  Gresammtverdienst  per  Woche  auf  etwa  Fr.  1200.  So 
vortheilhafte  Verhältnisse  daaerten  allerding«  nicht  lange  nnd  in  wenigen  Jahren 
war  das  Httteln  wieder  fast  ganz  verschwunden.  —  In  den  50er  Jahren  fanden 
auch  einmal  Bestrebangen  statt,  die  ostscbweizerische  Stickerei  einznflihren,  doch 
scheint  dieselbe  in  nnserm  Lande  niemals  größere  Bedeatnng  erlangt  za  haben. 
—  Eine  nm  1865  in  Sachsein  errichtete  und  mehrere  Jahre  im  Gange  erhaltene 
Schale  für  die  Holzschnitzerei  fiel  gerade  in  die  Zeit,  in  der  diese  kunstgewerb- 
liche Handtim ng  auch  in  ihrer  nahen  Heimat  schwerer  Knsis  entgegenging;  es 
wurde  darum  dem  gemeinnützigen  Unternehmen  nicht  möglich,  im  Lande  dauernde 
Erfolge  zu  erzielen. 

Urproduktion. 

Der  Landwirtbschaft  widmeten  sieh  im  Jahre  1880  2343  Personen,  der 
ForKtwirthschaft  51,  dem  Bergbau   15,  der  Fischerei  8,  der  Jagd  3. 

Bergbau. 

Nach  der  Rohproduktenkarte  von  Weber  und  Brosi  (Verlag  von  J.  Wurster 
&  Cie.  in  Zürich,  1883)  werden  in  Nidwalden  folgende  Bergbauprodnkte  gt- 
Wonnen : 

Gjfps  bei  Rotzloch. 

Hydraulischer  Kalk  und  Cemeni  bei  Hergiswyl  und  Rotzloch,  ehemals 
auch  bei  Beckenried  und  Büren. 

Kalksteine  bei  Stansstad. 

löpf'er-  und  Ziegelthon  bei  Hergiswyl,  ehemals  auch  bei  Beckenried. 

Torf  bei  Bürgen. 

Tu f stein  bei  Büren. 

Landwirthschaft. 
(Mit(retheilt  von  Herrn  Landanimann  D  u  r  r  e  r  in  Staus.) 

Nidwalden  besitzt  231  Alpen.  Von  diesen  sind  83  Eigenthnm  der 
Bürger-  oder  Korporationsgemeinden,  78  gehören  den  sog.  Gemeinalpen  nnd  70 
den  Privaten. 

In  der  letzten  Zeit  wird  von  Behörden  die  Verbasserung  der  Alpen  an- 
gestrebt und  ihre  Bemühungen  finden  günstigen  Boden,  da  besonders  die  Privat- 
alpbesitzer sich  befleißen,  ihre  Alpen  in  bessern  Stand  zu  bringen. 

Sämmtliche  Alpen  ertragen  ca.  7000  Kuhschweren  und  der  Preis  des 
Alpzinses  \^t  Kuhschwere  bei  einer  Alpzeit  von  durchschnittlich  ftlnf  Monaten 
erreichte  Fr.  45  —  55. 

Auf  den  Alpen  werden  nur  Spalen-Sbrinskäse  gemacht,  ca.  20 — 25,000 
Stücke  oder  Laibe  im  GcKammtgcwichte  von  4 — 5000  q  und  im  Werthe  von 
ca.  Fr.   f)00,000.  Sie  werden  exportirt. 

Der  Magerkäse,  haui)tsächlirh  im  Winter  l'abrizirt,  wird  zum  Theil  auch 
exportirt,  jedoch  großentheiles  im   Lande  selbst  konsumirt. 

Der  Zieger,  als  alpwirthschaftliches  Nebenprodukt  betrachtet,  hat  keinen 
P^xport,  sondern  wird   im   Lande  selbst  verbraucht. 

Entsprechend  dem   Ertrage  des  Käses  ist  auch   der   Viehexport.  Nidwalden 
besitzt  einen  mittleren  Viehschlag,  der  als  gutes  Milchvieh  sehr  gesohitzt 


Nidwaiden  —     517      —  Nidwaiden 

wird.  Das  Jungvieh  findet  großentheils  nach  Italien  und  Frankreich  Ahsatz, 
aber  auch  in  mehreren  Schweizerkantonen  wie  Luzem,  Aargaxi  und  St.  Gallen 
ist  dasselbe  beliebt  und  wird  daher  gesucht.  Aeltere  Milchkühe  gehen  vorzugs- 
weise nach  Spanien  und  Sttdfrankreich.  Unsere  Alpen  eignen  sich  besonders  für 
Aufzucht  von  Jangvieh,  weßhalb  die  Landesbehörden  für  Hebung  der  Viehzucht 
jährlich  bedeutende  Opfer  bringen.  (Vergl.  auch  den  Artikel  „Viehstand  der 
Schweiz".) 

Die  Liegenschaften,  d.  h.  Bauerngüter  im  Thale,  sind  geschlossene 
Grundstücke.  Wenn  dieselben  auch  nicht  groß  sind  (in  der  Regel  mag  die 
Durchschnittsgröße  bloß  5 — 10  Jucharten  betragen),  so  gelten  dieselben  doch 
wegen  ihrer  £rtragsfähigkeit  große  Verkaufiapreise.  Der  infolge  der  hohen  Güter- 
preise in  Aufschwung  gekommene  Wiesenbau  hat  den  Eornbau,  welcher  übrigens 
nie  bedeutend  war,  verdrängt,  so  daß  sehr  wenig  Korn  mehr  gepflanzt  wird 
und  das  Gepflanzte  bei  weitem  nicht  für  den  Hausbrauch  reicht.  Ebenso  ist 
auch  die  Kartoflelproduktion  gering  und  für  die  Bedürfnisse  der  Einwohner 
Nidwaldens  ungenügend. 

Nidwaiden  mit  einer  Gesammtbodenfläche  von  29,050  ha  hat  6925  ha 
gleich  24  ^/o  Wal  d.  Der  Holzexport  ist  sehr  bedeutend,  was  um  so  unbe- 
denklicher ist,  weil  bei  nur  et  welcher  Pflege  kein  Holzmangel  für  Nidwaiden 
in  Aussicht  steht. 

Die  Jagd  ist  unbedeutend.  Dagegen  gewährt  die  Fischerei  nicht 
unbedeutende  Erträgnisse.  Die  Fischzucht  selbst  wird  gefördert.  Wir  besitzen 
drei  Fischbrutanstalten,  welche  jährliche  Aussetzungen  in  die  für  die  Fischzucht 
besonders  geeigneten  Bäche  machen.  Beispielsweise  wurden  in  den  letzten  Jahren 
über  200,000  junge  Fische  ausgesetzt. 

Sehr  bedeutend  wird  die  Obstbaumzucht  betrieben  und  es  verdient 
alle  Anerkennung,  daß  von  Seite  der  Standesbehörden  diesem  wichtigen  Zweige 
unserer  Landwirthschaft  viel  Aufmerksamkeit  und  Unterstützung  gewährt  wird. 
Laut  einer  im  Jahre  1886  aufgenommenen  Obstbaumzählung  besitzt  Nidwaiden 
41,515  Birnbäume,  17,078  Aepfelbäume,  11,937  Kirschbäume,  15,882  Nuß- 
bäume, 14,533  Pflaumen-  und  Zwetschgenbäume  und  295  Pfirsich-  und  Apri- 
kosenbäume und  8347  Eebstöcke.  Dazu  kommen  noch  674  Feigenbänme.  Nicht 
gerechnet  sind  dabei  die  mehrere  tausend  Bäume  in  angelegten  Baumschulen, 
deren  es  mehrere  gegenwärtig  in  Nidwaiden  gibt. 

Von  diesem  Obstertrage  werden  die  Birnen  gedörrt,  namentlich  aber  ge- 
mostet und  als  Getränk  im  Lande  verwendet.  Von  Kirschen  und  Zwetschgen 
wird  ebenfalls  etwas  gedörrt,  das  Meiste  aber  gebrannt.  Das  meiste  Obst 
und  seine  daraus  gewonnenen  Erzeugnisse  wird  im  Lande  konsumirt  mit  Aus- 
nahme der  Nüsse,  welche  einen  beliebten  und  theuer  bezahlten  Ausfuhrartikel 
bilden. 

Der  in  letzter  Zeit  in's  Leben  gerufene  Bauernverein  wirkt  mit 
Eifer  und  Geschick  für  Hebung  der  Land-  und  Alpwirthschaft  sowie  der  Vieh- 
zucht. Er  ordnet  alljährlich  mehrere  Wandervorträge  an,  welche  anregend  und 
belehrend  auf  die  landwirthschaftliche  Bevölkerung  wirken 

Nidwaiden  hat  auch  der  Erhaltung  und  Kultur  des  Bodens  seine 
Aufmerksamkeit  geschenkt.  Die  durch  den  Zahn  der  Zeit  in  Verwitterung 
kommenden  Berge  und  die  bei  schweren  Gewittern  gefährlichen  Wildbäche  sollten 
nämlich  mit  Hülfe  des  Art.  24  der  Bundesverfassung  und  durch  das  Bundesgesetz 
vom  22.  Juni  1877  betrefl^end  die  Wasserpolizei  im  Hochgebirge  sicher  gestellt 
werden.  Die  Gemeinde  Stans  hat  in  den  letzten  zwanzig  Jahren    forstliche    und 


Ni<lwaUlen  —     518     —  Xiederlande 

andere  YerbauDngen  zam  Schatze  des  Fleckens  vorgenommen  und  im  Verein 
mit  Stanestad  und  Oberdorf  große  Dammbauten  längs  der  Aa  zum  Schatze  den 
Stanserthales  ausgeführt,  deren  Erstellung,  wenn  man  alles  rechnet,  die  Summe 
von  Fr.   100,000  erforderte. 

In  Beckenried  werden  gegenwärtig  Bäche  verbaut  mit  einem  Kosten- 
aufwände  von  Fr.  250,000  und  HergiswA-l  verwendet  für  Verbauung  seines 
,,Steinibaches"  Fr.  105,000,  woran  die  Eidgenossenschaft  50  ^o  ^^^  ^^  Staat 
Nidwaiden  20  K  beiträgt. 

Auch  die  Gremeinde  Buochs  macht  Verbauungen  zum  Schutze  des  Dorfes 
und  der  Güter.  Die  daherigen  Opfer  beziffern  sich  auf  Fr.  50,000. 

Nidwaldens  Behörden  wollen  weder  durch  den  äußern  Feind,  noch  durch 
die  Schrecknisse  der  Natur  vom  Schweizerboden  etwas  verloren  gehen 
lassen. 

Verkehr. 

Straßen. 

Der  Halbkanton  hat  Straßen  erster  und  zweiter  Klasse.  Länge  der  erstem 
34  km.  Baukosten  für  28,3  km  Fr.  675,800.  Die  übrigen  5,7  km,  auf  die 
Straße  von  der  Kantonsgrenze  Luzern  bis  zur  Kantonsgrenze  Obwalden  entfallend, 
wurden  von  Obwalden  erstellt;  Nidwalden  bestreitet  aber  die  Unterhaltungskosten. 

Länge  der  Straßen  zweiter  Klasse  38,7  km.     Baukosten  Fr.  290,600. 

Keine  Eisenbahnen. 
Niederglatt-Wettingen  s.  Nordostbahn. 

NiederlagSY erkehr.  Die  Niederlagshäuser  haben  den  Zweck,  den  Zwischen- 
handel zu  erleichtem,  indem  sie  unverzollte  Waaren  aufnehmen,  welche  innerhalb 
Jahresfrist  entweder  zur  Einfuhr,  zur  Durchfuhr  oder  in  ein  anderes  Niederlags- 
haus abgefertigt  werden  müssen.  Mit  Bewilligung  des  eidg.  ZoUdepartementes, 
welche  jedoch  nur  ganz  ausnahmsweise  ertheilt  wird,  können  auch  verzollte  Güter 
in  die  Niederlagshäuser  aufgenommen  werden.  Ausgeschlossen  sind  die  anderen 
Gegenständen  gefährlichen,  die  explodirbaren,  der  Selbstentzündung  fähigen,  der 
Fäulniß  oder  Gehrung  ausgesetzten  Waaren.  Die  Niederlagsgebühr  beträgt  per 
Monat  und  per  100  kg  10,  M  oder  30  ßp.,  je  nach  der  Waarengattung.  Hiezu 
kommt  eine  einmalige  Einschreibgebühr  von  15  Ep.  und  eine  einmalige  Waag- 
gebühr von  6 — 10  Rp.  per  100  kg. 

Die  Zollverwaltung  ist  für  die  den  Niederlagshäusern  anvertrauten  Güter 
verantwortlich,  soweit  ein  Verschulden  von  Beamten  in  Betracht  kommt. 

Die  Bestimmungen  über  den  Niederlagsverkehr  linden  sich  im  Zollgesetz 
von  1851  (A.  S.  II,  541)  und  in  der  bundesräthlichen  Vollziehungsverordnong 
vom   18.  Weinmonat  1881   (A.  S.  n.  F.  5,  Seite  608). 

Eidg.  Niederlagshäuser  bestehen  zur  Zeit  (Mitte  1887)  in  Aarao,  Basel, 
Buchs  (Rheiuthal),  Chiasso,  Genf- Bahnhof  und  Genf-Freihafen,  Lausanne,  Locarno, 
Lugano,  Luzern  (nur  für  Weine),  Morges,  Rolle  (^nur  für  Weine),  Romanshom, 
Rorschach,  St.  Gallen,  St.  Margrethen,  Schaffhausen,  Vevey  und  Zürich,  insge- 
sammt   19. 

Die  eidg.  Niederlage  im  Genfer  sog.  Freihafen  und  diejenige  in  Laasanne 
stehen  unter  den  Bestimmungen  spezieller  Reglemente  und  unterscheiden  sich  von 
den  übrigen  Niederlagshäusern  dadurch,  daß  in  letzteren  das  ^ru^/ogewicht  der 
Waaren,  in  ersteren  für  gewisse  Waaren  das  .Ve//ogewicht  nebst  Tarazaschligen 
als  Grundlage  bei  der  Verzollung  dient. 

Niederlande  s.  Holland. 


Xiederlassungsverträge  —      519     —  Nordostbahn 

NiederlassungSTerträge  bestehen  mit  Belgien,  Dänemark,  Deutschland, 
Frankreich,  Großbritannien,  Hawaii,  Japan,  Italien,  Lichtenstein,  den  Nieder- 
landen, den  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika,  mit  Oesterreich-Ungarn,  Ruß- 
land, Salvador,  Spanien. 

NoUa-Yerbauung.  Die  Nolla,  ein  zeitweise  geföhrlicher  Bergfluß,  fließt 
bei  Thusis  in  den  Hinterrhein.  Sie  machte  zum  Theil  die  Korrektur  des  Hinter- 
rheins nothwendig  und  es  knüpfte  der  Bund,  als  er  die  Subvention  filr  die 
Korrektur  des  Hinterrheins  bewilligte,  die  Bedingung  daran,  daß  auch  die  Nolla 
unschädlich  gemacht  werde.  Es  werden  daher  an  derselben  Verbauungsarbeiten 
vorgenommen,  die  mehrere  Jahre  in  Anspruch  nehmen.  Der  Bund  trägt  50  ^/o 
der  Kosten  bis  zum  Maximum  von  Fr.  100,000  (Bundesbeschluß  vom  7.  De- 
zember 1883,  A.  S.  n.  F.,  Bd.  VII,  pag.  306). 

Nonnen.  Ihre  Zahl  betrug  im  Jahre  1880  1372.  Vertheilung  auf  die 
Kantone:  224  St.  Gallen,  222  Freiburg,  127  Zug,  120  Luzern,  119  Schwyz, 
116  Appenzell  I.-Rh.,  88  Solothum,  81  Nidwaiden,  78  üri,  70  Graubünden, 
62  Wallis,  33  Tessin,  26  Aargau,  4  Obwalden,  je  1  Appenzell  A.-Rh.  und  Bern. 

Nordbahn.  Unter  diesem  Namen  bestand  von  1847  bis  1853  eine  be- 
sondere Gesellschaft  für  die  Linie  Zürich-Baden  (bauliche  J^änge  23,333  m,  Be- 
triebslänge 23,120  m  oder  rund  24  km),  welche  am  9.  August  1847  eröffiiet 
wurde.  Am  1.  Juli  1853  ging  diese  Linie  infolge  Fusion  in's*  Eigenthum  der 
Schweiz.  Nordostbahn  über  (vide  Nordostbahn). 

Nordostbahn.  (Vgl.  auch  „ Moratoriumslinien *".)  Die  Schweiz.  Nordostbahn 
ist  das  unternehmen  einer  Aktiengesellschaft,  deren  Verwaltungssitz  in  Zürich  ist. 
Die  allgemeine  Geschäftsführung  und  die  Betriebsleitung  wird  durch  eine  „Direk- 
tion'* besorgt.  Das  Netz  der  Nordostbahn  umfaßt  die  in  der  nachfolgenden  Dar- 
stellung der  BetriebserÖtfnungen  genannten  Linien.     Die 

Betriebseröffnung  hat  wie  folgt  stattgefunden :  Zürich  Baden  (23,333  m 
bauliche  Länge)  am  1.  Juli  1853  von  der  Nordbahn  erworben  (von  dieser  am 
9.  August  1847  eröffnet);  Komanshorn-Winterthur  (57,492  m)  den  16.  Mai  % 
1855,  Winterthur-Oerlikon  (20,399  m)  den  27.  Dezember  1855,  Oerlikon-Zürich  ' 
(4566  m)  den  26.  Juni  1856,  Baden-Brugg  (9034  m)  den  29.  September  1856, 
Winterthur- Schaff  hausen  (29,858  m)  den  16.  April  1857,  Brugg-Aarau  (17,843  m) 
den  .15.  Mai  1858,  Turgi- Waldshut  (Grenze  Mitte  ßhein,  15,509  m)  den 
18.  August  1859,  Rorschaoh-Roraanshom  (14,389  m)  den  15.  Oktober  1869, 
Komanshom-Konstanz  (18,706  m)  den  1.  Juli  1871,  Zürich-Ziegel brücke-Näf eis 
(59,536  m)  den  20.  September  1875  mit  gleichzeitigem  Beginn  der  Mitbenutzung 
der  Strecke  Nafels-Glarus  (Eigenthum  der  Vereinigten  Schweizerbahnen),  Winter- 
thur-Koblenz  (47,233  m)  den  1.  August  1876,  Oerlikon-Bülach  (16,270  m)  und 
Oberglatt-Dielsdorf  (4126  m)  den  1.  Januar  1877,  Niederglatt  -  Wettingen 
(18,293  m;  den  1.  Oktober  1877.  Gleichzeitig  Verkürzung  der  Linie  Zürich- 
Baden  um  593  m  infolge  Verlegung  der  Bahn  bei  Wettingen.  Glarus-Linththal 
(15,752  m)  den  1.  Juni  1879.  Am  16.  Juli  1879  Verkürzung  der  Linie 
Komanshom-Konstanz  um  245  m  infolge  Grenzverlegung  in  Konstanz. 

Am  1.  Juni  1880  hat  die  Nordostbahn  die  bis  dahin  einen  Bestandtheil 
der  Nationalbahn  bildenden  Linien  Winterthur-Zofingeu  (79,682  m)  und  Suhr- 
Aarau  (2999  m)  erworben  und  gleichzeitig  das  mit  den  Linien  Winterthur- 
Effretikon  und  Otelfingen -Wettingen  parallel  laufende  Geleise  der  Nationalbahn 
abgebrochen  (13,002  m).  Am  1.  Oktober  1880  Uebernahme  der  Ostsektion  der 
Nationalbahn,  bestehend  aus  den  Linien  Winterthur-Singen  ("43,965  m),  Etzwylen- 
Konstanz  (29,328  m)  und  Emmishofen-Kreuzlingen  (693  m). 


Nonlostbahn  —     520     —  Nordostbahn 

Am  1.  April  1881  hat  die  Nordostbahn  die  Linie  Zofingen-Sahr  (16,193  m) 
und  die  ideelle  Hälfte  der  Strecke  Suhr-Aarau  (1748  m)  an  die  Schweiz.  Central- 
bahn  abgetreten.  Am  1.  Jani  1881  Eröffnung  des  VerbindangsstUokes  Oerlikon- 
Seebach  (465  m).  Im  Jahre  1882  bat  sich  die  Bahnlänge  der  Nordostbahn  in- 
folge von  Geleiseverlegnngen  etc.  im  Ganzen  um  240  m  verkürzt,  im  Jahre 
1883  aus  demselben  Grunde  um  fernere  63  m. 

Am  31.  Juli  1885  hat  die  Nordostbahn  die  Linie  Sulgen-Goßau  (22,670  m) 
und  am  31.  Dezember  1885  schließlich  die  Linie  EfPretikon-Hinweil  (22«157  m) 
käuflich  erworben. 

Das  ganze  im  Eigen th um  der  Nordost bahngesellschaft  befindliche  Bahnnetz 
hatte  Ende  1885  eine  Ausdehnung  von  542,214  m.  Die  Betriebslänge  der  durch 
die  Nordostbahn  für  eigene  Rechnung  betriebenen  Linien  betrug,  ebenfSalls  Ende 
1885,  rund  564  km  (genau  563,054  m).    Die  nächsten 

Ruckkaufstermine  für  den  Bund  sind  auf  Grund  der  Konzessionen 
folgende:  1.  Mai  1895  für  die  Linien  Oerlikon-Bülach  und  Oberglatt-Dielsdorf 
(20,071  m);  26.  Februar  1903  für  die  Linien  Winterthur-schweizerische  Grenze 
bei  Rielasingen  und  Etzwylen-Eonstanz  mit  Emmishofen-Kreuzlingeu  (zusammen 
67,670  m);  9.  September  1903  für  die  Linie  Sulgen-Goßau  (22,670  m); 
22.  Dezember  1903  für  die  Linie  Winterthur-Koblenz  (47,233  m);  23.  Dezember 
1903  für  die  Linie  Niederglatt- Wettingen  (18,293  m);  20.  Juli  1904  für  die 
Linie  ZUrich-Richtersweil  (zürcherische  Grenze)  (26,928  m);  30.  Dezember  1904 
für  die  Linie  EfFretikon-Hinweil  (22,157  m);  1.  Februar  1905  für  die  Strecke 
Richtersweil-  (zürcher.  Grenze)  Näfels  (32,608  m)  und  1.  Mai  1903  für  sämmt- 
liche  übrigen  in  der  Schweiz  gelegenen  Linien  (278,272  m).  Der  Rückkaufs- 
termin für  die  auf  badischem  Gebiet  gelegene  Strecke  Rielasingen-  (Grenze)  Singen 
(6312  m)  ist  uns  unbekannt. 

Bauliche  Verhältnisse:  Bauliche  Länge  mit  einem  Hauptgeleise 
423,905  m,  mit  zwei  Hauptgeleisen  118,309  m.  Auf  1000  m  Bahn  entfallen 
durchschnittlich  1525  ra  Geleise.  Von  der  ganzen  Bahn  liegen  338,893  m  auf 
Dämmen,  195,123  m  in  Einschnitten  3370  m  in  Tunneln  (größter  Tunnel 
1790  m)  und  4828  m  auf  Brücken  (größte  Brücke  327,5  m  lang).  Von  der 
Betriebslänge  liegen  186,106  m  in  der  horizontalen,  376,948  m  in  Steigungen 
oder  Gefällen  bis  zu  20^00,  375,089  m  in  der  Geraden  und  187,965  m  in 
Kurven  bis  zu  172  m  Minimalradius.  Mittlere  Steigung  der  ganzen  Bahn  4,73  ^/oo; 
mittlerer  Krümmungshalbmesser  für  die  ganze  Bahn   1579  m. 

Stationen  Ende  1885:  1357*2  eigene  und  12*72  in  Mitbenutzung.  Die 
wichtigsten  sind:  Zürich,  Aarau,  Winterthur,  Romanshorn,  Schaffhausen,  Ror- 
schach,  Konstanz,  Singen,  Brngg,  Turgi,  Baden,  Waldshut,  Koblenz,  Bülach, 
Ziegel  brücke,  Glanis. 

Rollmaterial:  Ende  1885  hat  die  Nordostbahn  für  den  Betrieb  des 
eigenen  Netzes  und  der  Bötzbergbahn  (zusammen  622  km)  besessen  :  138  Loko- 
motiven von  durchschnittlich  254  Pferdekräften  und  einem  mittleren  Leergewicht 
von  30,6  Tonnen,  470  Personenwagen  mit  20,210  Sitzplätzen  und  2432  Güter- 
wagen mit  26768,5  Tonnen  Tragkraft. 

Betriebspersonal  im  Jahre  1885:  3764  Personen  für  den  Betrieb  von 
689   Bahnkilometer  oder  5,46  per  km. 

Verkehr s(ni an titäten :  1884  1885 

Tägliche  Züge  über  die  ganze  Bahn      .     .      .       n  12,93  13,35 

Mittlere  Zahl  der  Wagenachsen  per  Zug    .             ^  26,61  25,1  s 

Reisende  per  Jahr 5^497,024  5^696,776 


Nordostbahü                                        —      521      ^-*  Normalbahnen 

Gepäck,  Thiere  und  Güter  per  Jahr     .     .     .  t        1^530,828          1*545,383 

Personenkilometer  im  Gknzen n   108^899,084     114^394,569 

Tonnenkilometer    (Gepäck,  Thiere,    Güter)    im 

Ganzen 79784,585       80^432,847 

Fersonenkilometer  per  Bahnkilometer     ...  «           201,292             211,450 

Tonnenkilometer  per  Bahnkilometer       .     .     .  „           147,476             148,674 
Betriebseinnahmen : 

Ertrag  des  Personentransportes Fr.      4^898,604  5^125,485 

Ertrag  des  Gepäck-,  Thier-  und  Gütertransportes  ^        7'983,337          7'773,b37 

Verschiedene  Einnahmen ^        1'030,409          1^322,610 

Gesammteinnahmen ,      13^912,350        14*221,132 

Einnahmen  per  Bahnkilometer ,             25,716               26,287 

Einnahmen  per  Nntzkilometer „               5.  28                 5.  22 

Einnahmen  per  Achskilometer Cts.  20,63                 20,74 

Betriebsausgaben : 

Reine  Betriehskosten Fr.    5'852,681     6*188,596 

Verschiedene  Ausgahen „         962,301      1'260,002 

Gesammtausgaben ^      6*814,982     7*448,598 

Aasgaben  per  Bahnkilometer 12,597           13,768 

Nutzkilometer „             2.59             2.73 

Achskilometer Cts.           10,11              10,86 

r          in  Prozenten  der  Einnahmen  .     .  ^/o            48,99             52,38 

Mittlerer  Zinsfuß  der  Anleihen       ....  ,                4,39               4,38 

Dividende  für  Prioritätsaktien .             (6,00)»)            6,00 

„            „     die  sämmtlichen  Aktien     .     .  ^             (1,25)^)            1,25 

Biiam  auf  Ende  1885:  ^*^«;'«"                P^ssbien 

Bankonto 14 11 70,204              — 

EmissionsverluHte  auf  den  Aktieu  ....  696,467              — 

Zu  amortisirende  Verwendungen    ....  24*494,471               — 

Betheiligung  an  Gemeinschaftsbahnen       .      .  27^612,322               — 

Verwendungen  auf  Nebengeschäfte            .     .  2*295,849              — 

Verfügbare  Mittel 19*855,964              — 

Aktien  (Fr.  1 1  *000,000  Prioritäten)  .     .     .  —                 53*000,000 

Consolidirte  Anleihen —               147*850,000 

Schwebende  Schulden —                   4*432,027 

Spezialfonds —                   7*255,945 

Aktivsaldo  der  Gewinn-  und  Verlustrechnung  —                   3'587,305 

Total  216*125,277     216*125,277 

Baukonto  Ende  1885 :  ''"  ?5"^«"       ^^^  Bahnkm. 

*  r.  r  r. 

Bahnanlagen  und  feste  Einrichtungen.     .  116*955,331      215,700 

Rollmaterial 22*217,187        35,719 

Mobiliar  und  Geräthschuften       ....  1*997,686          3,684 

Total  141*170,204     255,103 

Normalbahnen.     In    der    schweizerischen  Eisenbahnstatistik    werden    die 

Eisenbahnen  eingetheilt    in  die  vier  Kategorien;  A.  Normalbahnen,    B.  Spezial- 
bahnen,   C.  Drahtseilbahnen  und  D.  Tramways. 

»J  Im  Jahre  1886  bezahlt  Fr.  660,000. 


r>ie  in  <ier  .*^.hweiz  jp^lefeimn  yonnalhahnen  hacten  Ende  1«85  emen  Um- 
fviif^  von  '2  lln^hll  m  hanlicher  T^n«*^  tiiul  2'7*)5.034  m  oder  nuid  2766  km 
F>trmbfllüniii^f^.  Za  den  Normal  bahnen  werden  folgende  üntemehmnngen  Kerediiiet: 
f>ntral>rfihn  inkl.  Etaler  Verbindnng»balin},  Aarganüche  Sadbaho,  Wohien-Brem- 
garten,  Kmmenthalbahn.,  Gonhardbahn,  Jara-Bem-Laxem-Bahn  inkl.  Jura  nea- 
ehAteloiA,  Bern  -  Lnzem  -  Bahn,  B^deiibahn.  NordrjHftbalin.  Zorich  -  Zog  •  Luent, 
B<;tssKergbahn  ,  HeetbalKahn  ,  Snuite  ^Jncidentale .  Balle  -  Rom ont ,  TSfiduklbahn, 
Traver»-Ht.  Hnlpice.  Vereinig  Sehweizerbahnen,  ToggenbargerbaluL,  Wald-Rftti, 
Rappernweil 'Ffäf fikon,  Wädenaweil-Eini^iedeln.  r^wie  die  Strecken  aoälandii-cher 
KiRenbahnnntemebmnngen,  welche  anf  Schweizergebiet  gelegen  sind,  nämlich: 
Hn  Theil  der  Grh,  Badiücben  Suatabahnen  >fin  den  Kantonen  Ba^ektadt  und 
HehafT hangen j,  ein  Theil  der  K.  K.  OeAterr.  Staat«bahnen  im  Kanton  St.  Gallen) 
nnd  die  der  Pari«-Lyon-llediterranee  gehörende  Strecke  GenM^  Plmine;  die 
KlAa(^(>>thnng.  Bahnen  nnd  die  italienischen  EiÄcnbahnen  kommen  hier  nar  mit 
Be9!ng  atif  die  BetriehAJänge  in  Betracht.  Nähere  Mittheilnngen  über  die  oben 
genannten   Bahnen  tinden  »ich   nnter  den  enU^prechenden  Schlagwörtern. 

Notenbanken«  Zn  den  aof  Seite  5^i4  I.  Band)  erwähnten  Emiasionsbanken 
hat.  »ich,  an  Stelle  ^tr  Solothnmiflchen  Bank,  am  1.  Jannar  1886  die  Solothnmer 
Kant/inalbank  mit  «-inem  einbezahlten  Kapital  von  Fr.  5*000,000  und  einer  vom 
Bnridefirath  t>ewiliigten  EmiMiion  von  Fr.  H'OW,000  ge«ellt.  Dadurch  ergibt 
Hieh   pro    IHHO  filr  die   FlmiiMionübanken  folgender  Status: 

KrniHrtionnbanken  553.  Kinbezahltes  Kapital  Fr.  12r774,000.  Notenemission 
Fr.  i;57  HH0,^HlO.  Notenzirkulation  Fr.  127'064,(X>0  =  92,1%  der  Emission. 
Genetzlir.he  }5aarHchaft  Vr.  f>ü'723,(X»<)  =  :>'2,:}^o  der  Zirkulationssumme. 

(Mitral pHtraMse  (MiiitärHtraße).  F>baut  in  den  Jahren  1863/64,  fühi-t  diese 
Htraüe  von  Ariderinatt,  von  der  Gotthardhtraße  abzweigend,  über  die  Oberalp 
(VuüiDhi-  2052  m  Ü.M.),  dem  Oheralpsee  (20.31  m  ü.  M.)  entlang  in  das  Vorder- 
rhcinthul,  dem  Rheine  folgend  über  Sednin  nach  Dirssentit«,  wo  sie  sich  mit  der 
Jiijkiii«ni«rMtra(i<;  v<T(;iriigt..  Die  Länge  l)eträgt  31,7  km,  die  Fahrbahnbreite 
1,H  rn.  \U'r  iJiind  Hubvmtionirte  den  Bau  diener  Straße,  deren  Erstellungskosten 
Hul'  eil.  Fr.  r.:jH,<K)0  kamen,  mit  Fr.  :550,000.  Bundesbeschluß  vom  26.  Juli 
\H{\\    (A.  S.  IM.  VII,   piig.  70). 

iM»nr<^  HtniHH«  IIb  er  Julier  und  Maloja.  Die  Straße  führt  von  Chur 
naeh  Tir.frnknHt('n  und  über  den  Julier  (Paßhöhe  2287  m  ü.  M.)  nach  Silvaplana 
im  Obrrengadin,  Irrncir  Ul)er  den  Maloja  (Paßhöhe  1811  m  ü.  M.)  nach  Castasegna 
nn  der  ÜaliriiiNehen  (Ininzr.  Ihre  Länge  beträgt  103  km,  die  Fahrbahnbreite 
h  m.  Die  KrH^'Hun^Hkostcn  betragen  Fr.  1'384,000.  Die  Julierstraße  wurde 
IH20  begonnen  und  lH2r)  vollendet.  Die  Straße  über  den  Maloja,  resp.  die 
StrfM'ke  Silvnplurui-i/UHaeciji  wurde  in  den  Jahren  1827  und  1828  ausgeführt. 
\\\H  Knde  «leM  Jahres  1H40  gelangten  auch  die  übrigen  Straßenstrecken  (Chur- 
Htnllii  und  ('aMiieeia-italieniHdie  Grenze)  zur  Vollendung.  (Vgl.  „Bavier,  Straßen 
iler  SrhwtMX»,   Verlag  von  Grell   Füßli   v-t  Co.) 

ilborglutt-DiüUdorf  s.   Nordostbahn. 

ilboritulioiiischo  Itahnon  a.  Alta  Italia. 

iHiNttmii.  (Mitgetheilt  von  Herrn  Heinzelmann,  Obstbaulehrer  am 
Seminar  Mariulu^rg  in  UorNtdinch.)  Nach  den  neuesten  Zählungen  und  Schätzungen 
boHitxt  flie  Sehw(MX  ea.  11  Millionen  Obstbäume.  Bei  einem  jährlichen  Durchschnitts- 
iTting  von  Fr.  2  pi*r  Baum  ergibt  sich  ein  Gesammtnutzen  von  28  Millionen 
FrankiM»  oder  ein  Kapital  ^erth  des  Obstbaumbestandes  von  700  Millionen  Franken. 
^H.   aueh   den   Sehluß  des   Artikels.) 


Obstbau  —      523      —  Obstbau 

Der  Obstbau  zerfällt  in  den  Wirthschafts-  und  in  den  feinen  Obstbau. 
Ersterer  bestebt  im  Anbau  von  Most-,  Kocb-  und  Dörrobst,  letzterer  im  Anbau 
von  Tafelobst.  Der  Wirtbscbafts-Obstbau  beschäftigt  sich  mit  den  hochstämmigen-, 
letzterer  mit  den  Zwergobcbäumen.  Erstere  finden  wir  hier  zu  Lande  auf  Wiesen, 
Feldern  und  Gärten,  seltener  an  Landstraßen,  Wegen,  Eisenbahndämmen, 
Böschungen  etc.,  letztere  finden  sich  hauptsächlich  in  Gärten,  an  Grebäuden, 
Mauern  und  Zäunen.  Für  die  Schweiz  ist  besonders  der  wirthschaftliche  Obstbau 
von  großer  Bedeutung,  weil  es  sich  um  Massenproduktion  von  Most-,  Dörr-  und 
Eochobst  und  um  intensive  Aasnützung  des  Kulturlandes  handelt.  Von  Obstarten 
werden  hauptsächlich  angebaut :  Birnen,  Aepfel,  Kirschen,  Pflaumen,  Zwetschgen, 
Nässe,  Aprikosen,  Pfirsiche.  Bei  der  Anpflanzung  von  Obstbäumen  muß  man 
hauptsächlich  darauf  Rücksicht  nehmen,  daß  jede  Baumart  den  richtigen  Standort 
und  Boden  erhält. 

Der  Apfelbaum  ist  in  Bezug  auf  den  Boden  sehr  genügsam.  Er  geht 
mit  seinen  Wurzeln  mehr  in  die  Breite,  eignet  sich  daher  auch  noch  für  flach- 
grundiges  Terrain.  Kiesiger,  hitziger  Boden  sagt  ihm  aber  so  wenig  zu  als  Nässe 
im  Untergrund,  in  beiden  Bodenarten  ist  er  sehr  dem  Krebs  unterworfen.  Bei 
richtiger  Sortenauswahl  gedeiht  er  auch  in  hohen  Lagen  noch  gut. 

Der  Birnbaum  verlangt,  weil  seine  Wurzeln  mehr  in  die  Tiefe  gehen, 
eine  große  Bodentiefe  und  einen  lockeren  Untergrund,  wenn  derselbe  auch  nicht 
gerade  reich  an  Nährstoffen  ist.  Die  Wirthschaftssorten  kommen  in  ziemlich 
feuchtem  Boden  noch  fort,  Kalkboden  sagt  ihnen  besonders  gut  zu.  Die  Tafel- 
sorten verlangen  warme  geschützte  Lagen  und  guten  Boden.  Bei  richtiger  Aus- 
wahl des  Standortes  und  der  Sorten  kommen  die  Birnen  bis  zu  einer  Höhe  von 
1000  m  über  Meereshöhe  noch  fort. 

Von  dem  Kirschbaum  läßt  sich  sagen,  daß  er  in  allerlei  Boden  fort- 
kommt oder  besser  gesagt,  in  neuerer  Zeit  in  allen  Bodenarten  kränkelt.  Am 
besten  sagt  ihm  trockener  Boden  zu,  Nässe  kann  er  nicht  ertragen.  Gut  gedeiht 
er  au  sonnigen,  trockenen  Abhängen.  Sauerkirschen  sind  in  Bezug  auf  den  Boden 
weniger  anspruchsvoll ;  sie  gedeihen  am  besten  in  den  Hausgärten  mit  kräftigem 
Boden.  Der  Kirschbaum  findet  sich  noch  in  einer  Höhe  von  1100  bis  1200  m 
über  Meer. 

Die  Zwetschgen-  und  Pflaumenbäume  verlangen  fruchtbaren  Boden 
und  können  sehr  viel  Feuchtigkeit  ertragen.  Die  Zwetschgen  tragen  die  größten 
und  saftigsten  Früchte  an  Wasserläufen;  die  Edel  pflaumen  in  Gärten. 

Der  Nußbaum  verlangt  einen  freien  sonnigen  Stand  und  warmen  Boden. 
Er  leidet  oft  von  Frühjahrsfrösten.  Paßt,  weil  er  viel  Schatten  wirft,  nicht  auf 
Felder  und  Wiesen. 

Pfirsiche  und  Aprikosen  gedeihen  in  der  Scweiz  am  besten  an  süd- 
licher oder  ostlicher  Lage  eines  Spaliers.  Doch  können  dieselben  in  den  Wein- 
gegenden auch  als  Hochstämme,  in  geschützten  Gärten  und  namentlich  in  sonnigen 
Weinbergen  angebaut  werden.  Zu  diesem  Zwecke  sind  besonders  die  Pfirsich- 
sämlinge geeignet. 

Die  Eßkastanie  verlangt  einen  geschätzten  Standort  und  guten,  warmen 
Boden. 

Die  Quitte,  weichein  neuerer  Zeit  immer  mehr  angepflanzt  wird,  verlangt 
einen  nahrhaften,  mäßig  feuchten  Boden.  Man  pflanzt  sie  als  Hochstämme  und 
Halbhochstämme  am  besten  in  den  Garten. 

Die  Zwergbaumzucht  (Spalierzuchl).  Zwergbäume  werden  solche  Bäume 
genannt,    die  einen  kurzen  Stamm  von  30 — 40  cm  Höhe  haben,    von    dem    aus 


Obstbau  —     524      —  Obstbau 

sich  die  Aeste  in  einer  bestimmten  Form  ausbreiten.  Die  Zwergbaumzuoht  ist 
schon  alt;  sie  hat  sich  von  Frankreich  aus  auch  bei  uns  eingebürgert,  erfreut 
sich  aber  erst  seit  neuerer  2jeit  einer  allgemeinen  Verbreitung.  Gegenüber  den 
Hochstämmen  gewähren  die  Zwergbäume  folgende  Vortheile :  1)  Sie  tragen  größere, 
bessere  und  schönere  Früchte,  als  die  Hochstämme;  2)  sie  beanspruchen  wenig 
Kaum,  so  daß  es  auch  demjenigen  möglich  wird,  Obst  zu  pflanzen,  der  nur  ein 
kleines  Grärtchen  hat  oder  nur  über  eine  Wandfläche  verfügt;  3)  sie  tragen 
schon  3^-4  Jahre  nach  der  Anpflanzung  und  liefern  dann  eine  lange  Reihe  von 
Jahren  fast  ununterbrochen  reichliche  Ernten,  und  da  die  Früchte  gut  bezahlt 
werden,  liefern  die  Bäume  einen  verhältnißmäßig  hohen  £rtrag ;  4)  da  die  Bäume 
nieder  sind,  kann  man  sie  leicht  überwachen,  alle  Arbeiten  leicht  ausführen,  sie 
vor  Frost,    Wind  und  Ungeziefer  und  andern  nachtheiligen  Einflüssen   schütz^i. 

Seit  einer  Reihe  von  Jahren  ist  man  allseitig  bemüht,  die  Zwergbaumzucht 
zu  fördern.  Die  Erfahrung  hat  gezeigt,  daß  in  der  Schweiz  Klima  und  Boden 
sich  für  diese  Kultur  größtentheils  ganz  vorzüglich  eignen.  Die  Obstausstellongen 
in  Luzern,  Zürich,  Weinfelden  und  andere  haben  zur  Evidenz  bewiesen,  daß 
man  in  der  Schweiz  ebenso  schöne  Spaliere  und  ebenso  schöne  Früchte  ziehen 
kann,  wie  anderswo.  Soll  jedoch  die  Zwergbaumzucht  befriedigende  Resultate 
liefern,  so  verlangt  dieselbe  auch  die  genaueste  Kenntniß  der  dabei  vorkommen- 
den Verrichtungen  und  die  aufmerksamste  Pflege  der  Bäume.  Die  fehlerhafte 
Behandlung  der  Bäume  und  die  falsche  Wahl  der  Unterlagen  und  Sorten  ist  die 
Ursache  der  vielfach  anzutreffenden  unbändigen  Holztriebe  und  daherigen  Un- 
fruchtbarkeit der  Gartenobstbänme. 

Man  theilt  die  Zwergbaumformen  ein  in  freistehende  und  solche,  welche 
an  •Gestellen  (Trillagen,  Spalieren)  gezogen  werden.  Zu  erstem  zählt  man  die 
Pyramiden  und  Spindeln,  zu  letzteren  Palmetten  (Spaliere),  wagrechte,  senkrechte 
und  schräge  Cordons,  belgische  Cordons  (sogenannte  Obsthecken)  und  die  Kessel. 

Alle  Obstsorten  mit  Ausnahme  der  Pfirsiche  und  Aprikosen  können  im  Freien 
angepflanzt,  Pfirsiche  und  Aprikosen  können  nur  in  mildem  Lagern,  an  süd- 
lichen, südöstlichen  oder  südwestlichen  Wänden,  wo  sie  die  nöthige  Wärme  und 
den  nöthigen  Schutz  vor  der  Ungunst  der  Witterung  finden,  mit  Vortheil  ge- 
zogen werden. 

Die  Pyramide.  Sie  eignet  sich  vorzugsweise  für  Birnen  und  Aepfel;  es 
können  jedoch  auch  Kirschen  und  feine  Zwetschgen  in  dieser  Form  erzogen 
werden.  Ihren  besten  Standort  findet  sie  auf  den  Gartenrabatten  oder  in  den  Ecken 
der  Gemüseländereien ;  man  pflanzt  sie  ca.  1  m  vom  Weg  entfernt.  Die  Pflanzen- 
weite auf  den  Rabatten  beträgt  ca.  3  m. 

Die  Spindel.  Sie  eignet  sich  besonders  für  kleine  Hausgärten,  weil  sie 
wenig  Raum  einnimmt  und  somit  mehr  Bäume  und  mehr  Sorten  auf  einem  kleinen 
Raum  kultivirt  werden  können.  Ihre  Erziehung  ist  eine  viel  leichtere  als  die  der 
ihr  nahe  verwandten  Pyramide.  Birnen  und  Aepfel  können  mit  Vortheil  als 
Spindeln  gezogen  werden.  Namentlich  der  Birnbaum  eignet  sich  für  diese  Form. 
Die  l*flanzweite  beträgt   1  —  IV2  m. 

Die  Palmetten.  Ueber  den  vielen  Palmettenformen  verdient  die  Palmette 
mit  schrägen  Aesten  und  die  Verrierpalmette  den  Vorzug.  Letztere  ist  besonders 
empfehlenswerth,  weil  man  mit  ihr  im  Stande  ist,  die  Wandflächen  vollständig 
auszunützen.  Auch  ist  das  Gleichgewicht  am  leichtesten  zu  erhalten,  weil  die 
untersten  Aeste  die  längsten  und  somit  auch  die  stärksten  sind. 

Die  Palmetten  oder  Spaliere  eignen  sich  für  Kern-  und  Steinobstbänme. 
Die  Pflanzenweite  beträgt  für  die  gewöhnliche  Palmette  3-4  m,  bei  der  Verrier- 


Obstbau  —      525      —  Obstbau 

palmette  richtet  sich  die  Entfernung  der  Bäume  nach  der  Anzahl  der  Etagen ; 
80  beansprucht  z.  B.  eine  Verrierpalmette  mit  zwei  Etagen  einen  Raum  von 
1,20  m,   für  jede  weitere  Etage  beträgt  die  Entfernung  60  cm  mehr. 

Wagrechte  Cordoyis.  Ihre  Form  eignet  sich  gut  für  tragbare,  nicht  zu 
stark  triebige  Aepfel-  und  Bimsorten;  ferner  zur  Einfassung  von  Rabatten  und 
Wegen  in  den  Grärteu.  Man  pflanzt  sie  2^1% — 3  m  auseiander. 

Senkt ecJite  Cordons,  Diese  eignen  sich  besonders  gut  für  Birnen  auf 
Quitten  veredelt,  wenn  es  sich  darum  handelt,  eine  hohe  Wand  in  kürzester 
Zeit  zu  bedecken.  Man  pflanzt  nur  Sorten  von  ziemlich  gleichem  Wüchse  und 
gibt  dem  Bäumchen  einen  Abstand  von  50  cm. 

Doppelte  senkrechte  Cordons  (Ü-Form).  Diese  kleine  Form  eignet  sich  für 
schwachtriebige  Birnen-,  Aepfel-  und  Pflrsichsorten  und  zur  Bekleidung  hoher 
Wände.  Die  Pflanzweite  beträgt  60  cm. 

Schräge  Cordons  (Cordon  oblique).  Zur  schnellen  Bekleidung  hoher  Wände 
und  Spaliere  ist  diese  Form  gut  geeignet.  Man  kann  alle  Obstsorten  in  dieser 
Form  erziehen.  Die  Pflanzweite  beträgt  für  Kernobst  50  cm,  für  Pfirsiche  1  m. 

Zweiarmige  schräge  Cordons.  (Belgische  Obsthecken).  Dieselben  eignen 
sich  zur  Umfriedigung  von  Gemüsegärten  und  zur  Bekleidung  niederer  Wände. 
Es  eignen  sich  nur  mäßig  wachsende,  tragbare  Birn-  und  Apfelsoii;en  für  diese 
Form.  Die  Pflanzweite  beträgt  50  cm. 

Der  Kesselhaum.  Die  Kesselform  eignet  sich  am  besten  für  den  Apfelbaum ; 
es  können  jedoch  auch  Birnen,  Pflaumen,  Kirschen,  Stachel-  und  Johannisbeeren, 
in  dieser  Form  erzogen  werden. 

Beerenobstzucht.  Die  Kultur  des  Beerenobstes  verdient  von  Seite  der 
Landwirthe  und  Gartenbesitzer  die  größte  Beachtung,  weil  die  Früchte  sich  auf 
mannigfache  Art  und  Weise  verwerthen  lassen,  weil  das  Beerenobst  jedes  Jahr 
bedeutende  und  sichere  Erträge  liefert  und  somit  die  Kultur  desselben  eine  nicht 
zu  unterschätzende  Einnahmequelle  bietet.  Zudem  macht  das  Beerenobst  in  Bezug 
auf  Boden,  Klima  und  Lage  keine  großen  Ansprüche.  Hier  zu  Lande  kommen 
hauptsächlich  in  Betracht  die  Himbeeren,  Stachel-  und  Johannisbeeren,  die  Brom- 
beeren und  die  Erdbeeren;  namentlich  sind  es  die  Johannisbeeren,  welche  in 
neuester  Zeit  massenhaft  zum  Zwecke  der  Weinbereitung  angepflanzt  werden. 

Die  Himbeere.  Dieselbe  gedeiht  am  besten  in  einem  mäßig  feuchten  Boden 
und  in  einer  halbschattigen  Lage  ;  sie  kommt  auch  in  ganz  schattiger  Lage  noch 
gut  fort.  Man  pflanzt  im  Herbst  oder  Frühling  kräftige  Setzlinge  in  3 — 4  Fuß 
von  einander  entfernten  Reihen,  die  Pflanzen  in  der  Reihe  1  Ya  Fuß  voneinander. 
Vor  dem  Einpflanzen  muß  die  Erde  gut  gelockert  werden.  Man  erzieht  sie  ent- 
weder am  Draht  oder  am   Pfahl.  Drahterziehung  ist  die  billigste  und  beste. 

Die  Stachel'  und  Johannisheersträudter  gedeihen  in  jedem  Boden,  ver- 
langen aber  viel  Dünger.  Man  pflanzt  dieselben  entweder  als  Hecken,  auf  Ra- 
batten oder  zusammen  auf  Beete  1  m  weit  von  einander  im  Verband.  Die  beste 
Pflanzzeit  ist  der  Herbst.  Man  pflanzt  kräftige  zweijährige  Stöcke,  schneidet  sie 
an  der  Wurzel  und  an  den  Zweigen  etwas  zurück.  Die  erträglichste  Form  ist 
die  Buschform,  auf  den  Rabatten  in  Gärten  erzieht  man  sie  mit  Vorliebe  als 
kleine  Hochstämme.  Um  große  Früchte  zn  erziehen,  müssen  die  Stöcke  von  Zeit 
zu  Zeit  verjüngt  werden.  Die  besten  Sorten  Johannisbeeren  sind  die  rothe  und 
gelbe  holländische  und  die  rothe  Kirschjohannisbeere.  Von  Stachelbeeren  empfehlen 
sich  folgende  großfrüchtige  Sorten:  Ringer,  größte,  gelbe;  Stockwell,  grüne; 
London,  lange,  rothe;  Antogonist,  lange,  weiße. 


Obstbau  —      526      —  Obstbau 

Auch  die  Brombeere  wird  in  der  Scweiz  in  neuerer  Zeit  mehr  angebaut. 
Sie  eignet  sich  gut  zur  Bekleidung  von  Mauern  und  Wänden,  zur  Umfriedigung 
von  Grundstücken  und  zu  Anpflanzungen  im  freien  Lande,  ähnlich  den  Himbeeren. 
Ihre  Behandlung  ist  dieselbe  wie  bei  den  Himbeeren. 

Die  Erdbeere  verlangt  eine  sonnige  Lage  und  starke  Düngung.  Die  beste 
Anpflanzungszeit  ist  der  Monat  August.  Man  pflanzt  sie  entweder  als  Einfassung 
den  Rabatten  entlang  oder  auf  besondere  Beete.  Die  Pflanzweite  beträgt  30 — 40 cm. 
Die  großfrüchtigen  Sorten  (Ananas)  vermehrt  man  durch  Auslaufe,  die  Mouats- 
erdbeeren  durch  Theilung,  seltener  durch  Samen.  Gute  Sorten  sind ;  Margueritte, 
Helvetia,  Juranda,  Duc  de  Malakoff,  Mai-Königin,  White  pine  apple  (weiß), 
König  Albert. 

Obstsorten. 

Man  theilt  die  Obstarten  ein  in  Kernobst,  Steinobst,  Schalenobst  and 
Beerenübst. 

Zum  Kernobst  zählen:    Aepfel,    Birnen,   Quitten,    Mispeln  und  Speierlinge. 

Zum  Steinobst:  Aprikosen,  Pfirsiche,  Pflaumen,  Zwetschgen,  Kirschen  und 
AVeichseln. 

Zum  Schalenobst :  Mandeln,  Wallnüsse,  Haselnüsse  und  die  ächten  Kastanien 
(Maronen). 

Zum  Beerenobst:  Johaunis-,  Stachel-,  Erd-,  Him-,  Brom-,  Heidel-  und 
Preiselbeeren. 

Nach  der  Art  der  Verwendung  theilt  mau  das  Obst  ein  in  Tafelobst  (Eß- 
obst)^  und  Wirthschaßsobst ;  letzteres  zerfällt  wieder  in  Koch-,  Dörr-,  Most- 
und  Konservenobst.  Unter  Tafelfrüchten  versteht  man  solche,  welche  durch  ihr 
feines  Fleisch  und  ihren  guten  Geschmack  zum  Rohgenuß  sich  eignen.  AU 
Wirthschaftsobst  bezeichnet  man  dasjenige,  welches  seines  groben  Fleisches  und 
minder  guten  Geschmackes  wegen  weniger  gut  zum  Essen  als  zum  Kochen  und 
Dörren  sich  eignet.  Mostobst  ist  solches,  welches  rauh,  herb  und  hart  ist  und  daher 
weder  zum  Rohgenuß  noch  zum  Kochen  taugt.  Je  nach  der  Vorzüglichkeit  der 
einzelnen  Sorten  für  diesen  oder  jenen  Gebrauch  macht  man  innert  den  Klassen 
wieder  Abstufungen  und  sagt  z.  B.  Tafelsorte  ersten,  zweiten  und  dritten  Ranges 
oder  Mostsorte  ersten  oder  zweiten  Ranges  etc. 

Nach  der  Reifezeit  theilt  man  das  Obst  ein  in;  Sommer-,  Herbst-  und 
Winterobst.  Als  Sommerfrüchte  bezeichnet  man  solche,  welche  bis  Mitte  September 
völlig  reif  sind  und  vom  Baum  weg  genießbar  sind.  Die  Sommerfrüchte  sind 
nach  eingetretener  Reife  bald  vorüber,  sie  werden  bald  mehlig  und  geschmacklos. 
Zu  den  Herbstfrüchten  zählt  man  diejenigen  Sorten,  welche  von  Ende  September 
bis  Ende  Nobember  genießbar  werden.  Direkt  vom  Baume  sind  in  der  Regel  die 
Herbstfrüchte  nicht  genießbar,  erst  durch  das  Lagern  erreichen  sie  ihre  volle 
Güte.  Als  Winterfrüchte  werden  solche  bezeichnet,  welche  vom  Monat  Dezember 
an  ihre  Lagerreife  erlangen.  Man  läßt  die  Winterfrüchte  bis  zum  Eintritt  des 
Frostes  an  den  Bäumen  hängen  (bei  früher  Abnahme  werden  die  Früchte  welk). 
Die  Lagerreife  tritt  je  nach  der  Sorte  verschieden  ein.  Bei  guter  Aufbewahrung 
halten  sich  manche  Birnsorten  bis  April  und  Mai  und  manche  bessern  Apfel- 
sorten bis  in  den  Sommer, 

Die  Auswahl  der  Obstsorten  spielt  bei  der  Obstkultur  eine  ganz  bedeutende 
Rolle,  denn  es  hängt  die  Rentahilität  derselben  hauptsächlich  davon  ab,  daß  man 
hier  das  Richtige  trifft. 

Die  Zahl  der  in  der  Schweiz  angebauten  Obstsorten  ist  eine  sehr  große, 
ja    leider  viel    zu   große.    Die    hervorragendsten   Sorten    werden   in   zu   kleinem 


Obstbau  —      527      —  Obstbau 

Maßstabe  angepflansst,  um  zu  einem  größeren  Renomm6  zu  kommen.  Es  sollte 
daher  das  Bestreben  aller  Vereine,  welche  als  Devise  die  Förderung  des  Obst- 
baues auf  ihre  Fahne  geschrieben  haben,  in  erster  Linie  darauf  gerichtet  sein ; 
die  Zahl  der  anzubauenden  Sorten  möglichst  zu  beschränken.  Denn  nur  bei  dem 
Anbau  weniger  aber  erprobter  Sorten  findet  man  seine  Rechnung.  Bäume  von 
gleicher  Sorte  reifen  zu  gleicher  Zeit,  können  gleichmäßig  bewacht,  geerntet  und 
verwendet  werden. 

Wie  schon  gesagt,  besitzt  die  Schweiz  eine  große  Zahl  von  Obstsorten. 

Der  landwirthschaftliche  Verein  der  Schweiz  hat  mit  Hilfe  der  Pomologen 
des  Landes  ein  Werk  geschaffen,  ^)  welches  die  in  der  Schweiz  vorzugsweise 
gepfianzten  und  theil weise  werth vollen  Obstsorten  beschreibt  und  sie  in  natur- 
getreuen Abbildungen  darstellt.  Da  das  Lexikon  von  den  in  diesem  Obstbilder- 
werk beschriebenen  Sorten  theils  schon  Notiz  genommen,  theils  noch  nehmen 
wird,  haben  wir  von  der  Aufzählung  dieser  Sorten  Umgang  genommen.  ^)  Wir 
führen  nachstehend  diejenigen  Sorten  auf,  welche  in  der  Schrift,  betitelt:  „Be- 
schreibung schweizerischer  Obstsorten",  ")  in  der  Monatsschrift  für  Obst  und 
Weinbau,  Organ  der  schweizerischen  Obst-  und  Weinbauvereine,  sowie  in  andern 
schweizerischen  Schriften  über  Obstbau  enthalten  sind. 

Da  aber  von  Jahr  zu  Jahr  zum  Theil  werthvoUe  Sorten  gefunden  und  auch 
von  den  Nachbarländern  eingeführt  werden,  so  sind  selbstverständlich  viele  Sorten 
noch  nicht  beschrieben  und  daher  auch  in  weiteren  Kreisen  noch  nicht  bekannt. 
Diese  sogenannten  Lokalsorten  sind  nicht  selten  vorzügliche  Wirthschaftssorten, 
so  daß  es  sich  wohl  der  Mühe  lohnt,  dieselben  aufzusuchen  und  weiter  bekannt 
zu  machen.     £s  sind: 

Aepfel: 

Ahuser.  Ein  im  Kt.  Schwyz  verbreiteter  guter  Koch-  und  Dörrapfel.  Der 
Baum  ist  sehr  tragbar. 

Albisser  (Welscher  Grünach).  Im  Kt.  Zürich  heimisch.  Chroße,  hochgebaute 
Wirthschaftsfrucht  ersten  Ranges.  Reifezeit  Oktober.  Der  Baum  wächst  langsam, 
ist  aber  «ehr  fruchtbar. 

AWiäitserapfel  (Luzern).  Eine  kleine  vorzügliche  Wirthschaftsfrucht,  welche 
im  November  reift.  Der  Baum  wächst  kräftig  und  ist  sehr  tragbar. 

Astrakan,  rother  und  weißer.  Zwei  gute  Sommertafeläpfel,  welche  häufig 
in  den  Gärten  als  Zwergbäume  angepflanzt  sind. 

August  Ramhur  (Kt.  Zürich).  Großer  und  schöner  Frühapfel,  guter  Eß- 
und  Kochapfel.  Baum  wüchsig  und  tragbar. 

Bernhardzeller- Holzapfel  (Kt.  St.  Gtillen).  Kleiner  plattrunder  Winter- 
apfel, gut  zum  Kochen,  Dörren  und  Mosten.  Reifezeit  November,  hält  bis  iu  den 
Sonuner.  Baum  mittelgroß,  reichtragend. 

Bernhauser-Apjel  (Rothapfel),  (Kt.  Thurgau).  Gute  mittelgroße  Wirth- 
schaftsfrucht. Reifezeit  November.    Baum  mittelgroß,  ziemlich  tragbar. 

Bemhardsapfel  (Kt.  Unter walden).  Frucht  groß  und  schön.  Gut  für  die 
Tafel  und  die  Wirthschaft.  Reifezeit  November. 

Brodbecks '  Liebling  (Kt.  Baselland).  Mittelgroßer  Tafelapfel.  Reifezeit 
Oktober.  Baum  kräftig,  wohlgebaut,  tragbar. 

*)  , Schweizerische  Obstsorten",  audi  «pomologisches  Bilderwerk*  j^enannt,  Verlag 
der  lithographischen  Aostalt  von  J.  Tribelhorn  in  St.  Gallen. 

^  Eine  Rekapitulation  derselben  findet  sich  am  Schlüsse  dieses  Abschnittes. 

*)  Beschreibung  schweizerischer  Obstsorten,  bearbeitet  von  der  Kommission  für 
Obstbescheibung  Frauenfeld.  Druck  und  Verlag  von  J.  Huber. 


Obstbau  —      528      —  Obstbau 

Bläiiler  (Blauapfel).  Unter  diesem  Namen  kommen  fast  in  jeder  Gregend 
Sorten  vor.  Sie  zählen  durchgebends  zu  den  Mostsorten. 

Callvill  vmi  Yverdon  (Kt.  Waadt).  Großer  schöngefärbter  Tafelapfel. 
Reifezeit  Janaar  bis  März.  Baam  starkwtlchsig  nnd  sehr  tragbar. 

Casperap/el  (Kt.  Appenzell).  Ein  kleiner,  rothgestreifter,  reinettenartiger 
E£-  und  Wirthsühaftsapfel.  Reifezeit  November.  Der  Baum  ist  starkwttchsig  und 
sehr  fruchtbar. 

Cardinal,  rother.  Eine  im  St.  Gallischen  Rheinthal  verbreitete  große  Apfel- 
Horte,  welche  sich  gut  zum  Kochen  eignet.  Reifezeit  Oktober.  Der  Baum  wird 
groß  und  ist  tragbar. 

Cellini,  Mittelgroßer,  schöner  Tafelapfel,  welcher  im  September  reift.  Der 
Baum  ist  sehr  tragbar.  Diese  neuere  Sorte  wird  vielfach  in  den  Gärten  angepflanzt. 

Eierapjel  (Kt.  Appenzell).  Ein  kleiner  eirunder  Mostapfel,  welcher  im 
September  reift.  Der  Baum  ist  gesund  und  trägt  reichlich. 

Frenndapjel  (Kt.  St.  Gallen).  Ein  im  St.  Gallischen  Rheinthal  vielver- 
breiteter, sehr  guter  Streifling. 

Frequin,  rother.  Vorzüglicher,  süßer  Mostapfel.  Baum  sehr  starkwüchsig. 
Gut  zur  Zwischenveredlung. 

Fraurothacher,  neuer  (Kt.  St.  Gallen).  Eine  dem  alten  Fraurothacher  sehr 
ähnliche  Sorte,  ohne  jedoch  dessen  Gute  zu  erreichen.  Der  Baum  wird  etwas 
größer  als  der  der  alten  Sorte. 

Oöttif/hofet'  (Kt.  Thurgau).  Eine  sehr  alte,  haltbare  Wirthschaftssorte.  Der 
Baum  wird  mittelgroß  und  ist  sehr  tragbar. 

Gruniker  (Granacher),  (Kt.  Zürich).  Frucht  klein,  Schale  gelbgrün  und 
etwas  gestreift.  Guter  Dörr-  und  Mostapfel,  welcher  im  Dezember  reift,  sich  aber 
sehr  lange  hält.    Der  Baum  wird  ziemlich  groß  und  ist  sehr  ergiebig. 

Haldenapfel  von  Zug  (Kt.  Zug).  Dieser  schöne  und  gute  Wirthschaftsapfel 
reift  im  Oktober  und  hält  bis  zum  Frühjahr.  Der  Baum  wird  mittelgroß,  trägt 
bald  und  sehr  reichlich. 

Hordapfel  (Kt.  St.  Gallen).  Frucht  klein.  Sehr  gut  zum  Mosten.  Baam 
kräftig  und  sehr  reich  tragend. 

Hed  in  (/er- Apfel  (Kt.  Zürich).  Schöner  Koch-  und  Mostapfel.  Reifezeit  Oktober. 
Baum  mittelgroß  und  tragbar. 

Hermanns  Goldreinette  (Obwalden).  Frucht  mittelgroß.  Gut  für  Tafel-  und 
Wirthschaft.  Reifezeit  November.  Baum  mittelgroß,  sehr  fruchtbar. 

Honifjapjel  (Kt.  Graubünden),  (Romanisch  Meila-Mel).  Kleiner  rothgestreifter 
Apfel  mit  honigsüßem  Fleisch,  welcher  im  Oktober  reift  und  sehr  lange  hält. 
Der  Baum  ist  sehr  fruchtbar. 

Kappeier- Apfel  (Kt.  Luzern).  Ein  kleiner  Streifling,  der  sich  gut  zum  Mosten 
eignet.  Reifezeit  November.  Baum  klein,  sehr  fruchtbar. 

Kaiser  Alexander,  Sehr  großer,  schöner  und  guter  Oktoberapfel.  Baam 
mittelgroß,  sehr  tragbar. 

Kernaeher  (Kt.  Zürich).  Diese  gute  Wirthschaftssorte  ist  von  mittlerer 
Größe.  Sie  reift  im  Oktober  und  hült  bis  zum  Frühjahr.  Der  Baum  wird  groß 
und  ist  ziemlich  tragbar. 

Klinf/ler  (Kt.  Zürich).  Frucht  klein.  Schale  hellgelb,  Sonnenseite  roth  gestreift. 
Reifezeit  Oktober  bis  März.  Gute  Most-  und  Dörrfrucht.  Baum  groß  und  tragbar. 

Kleiner  Zärvhe)'  Nathapfel  (Quittenapfel),  (Kt.  Zürich).  Man  nimmt  an, 
es  sei  diese  Sorte  identisch  mit  dem  Baarapfel.  Frucht  mittelgroß,  Schale  gelb. 
Reifezeit  November.  Baum  mittelgroß  und  tragbar. 


Obstbau  —     529      —  Obstbau 

Kuyelapfel  (Kt.  ZUi-icb).  £iD  großer  Apfel,  der  sich  gut  zum  Mosten  uud 
Kochen  eignet.  Baum  wüchsig. 

Kupferschmid,  saurer.  Ein  dem  Franrothacher  ähnlicher  kleiner  Mostapfel. 
Der  Baum  wird  groß  und  ist  ziemlich  tragbar. 

Langstieier  (Kt  Schaffhausen).  Mittelgroße  Wirthschaftsfrucht,  welche  im 
November  reift.   Der  Baum  wächst  kräftig,  ist  sehr  anspruchslos  und  sehr  tragbar. 

Margaler  (Kt.  Zürich).  Guter  Tafelapfel,  welcher  sich  bis  in  den  Sommer  hält. 

Mailänder  (Rossiker).  Eine  in  den  Kantonen  Bern,  Aargau  und  Zürich 
stark  verbreitete  große  Wirthschaftssorte.  Der  Baum  wächst  rasch,  wird  groß 
und  ist  auch  ziemlich  tragbar. 

Mötteliapjel  (Kt.  St.  Grallen).  Ein  kleiner  Mostapfel,  welcher  im  Dezember 
reift.  Der  Baum  wächst  schnell  und  ist  tragbar. 

Pflasterapfel  (Kt.  Zürich).  Mittelgroße  vorzügliche  Wirthschaftsfrucht.  Baum 
stark  wüchsig  und  sehr  tragbar. 

Räbenapfel  oder  Rübenapfel .  (Kt.  Appenzell).  Frucht  mittelgroß,  gut  zum 
Kochen..  Reifezeit  Oktober. 

Rofhenhattser-HolzapfeL  Im  Kt.  Thurgau  einer  der  gesuchtesten  Mostäpfel. 
Der  Baum  wächst  langsam,  bildet  eine  schöne  Krone  und  trägt  alljährlich. 

Rother  und  weißer  Heidenapfel  (Obwalden).  Beide  Sorten,  nur  durch  die 
Farbe  verschieden,  sind  vorzügliche  Wirthschaftsfrüchte.  Die  Bäume  sind  spät- 
blühend und  daher  regelmäßig  tragbar. 

Rother  Holzapfel  (Kt.  Appenzell).  Frucht  klein,  Schale  dunkelroth.  Reifezeit 
Oktober.  Vorzüglich  zur  Mostbereitung.  Der  Baum  bleibt  klein,  er  ist  sehr  fruchtbar. 

Rothapfel  (Kt.  Appenzell).  Diese  für  die  Tafel  und  Wirthscbaf  t  gute  Ge- 
birgsfrucht  ist  von  mittlerer  Größe  und  gelber  Farbe.  Der  Baum  wächst  kräftig 
und  trägt  fast  alljährlich. 

RotJier  und  weißer  Sprüngler  (Kt.  Appenzell).  Zwei  nur  durch  ihre  Farbe 
von  einander  verschiedene  Gebirgssorten  von  mittlerer  Größe.  Beide  Sorten  eignen 
sich  zum  Essen  und  Kochen. 

Röslerapfel  (Kt.  Appenzell).  Diese  für  hohe  Lagen  geeignete  Wirthschafts- 
sorte ist  mittelgroß.  Sie  reift  im  November  und  hält  bis  in  den  Sommer.  Der 
Baum  ist  mittelgroß  und  sehr  fruchtbar. 

Rodler  Mai'gretfienapfeL  Kleiner,  sehr  früher  Tafelapfel.  Baum  gut  wachsend 
und  sehr  fruchtbar. 

Saurer  Usterapfel  (Kt.  Zürich).  Diese  Tafel-  und  Wirthschaftsfrucht  ist 
mittelgroß  und  hellgelb  gefärbt.  Sie  reift  im  Oktober.  Der  Baum  ist  dauerhaft 
und  sehr  tragbar. 

Salomonsapfel  (Kt.  Thurgau).  Dieser  dem  Franrothacher  ähnliche  vor- 
zügliche Wirthschaftsapfel  reift  im  Dezember  und  hält  bis  in's  Frühjahr.  Der 
Baum  wird  nur  mittelgroß  und  ist  überaus  fruchtbar. 

Seegäßler,  Diese  in  den  Kantonen  Zürich,  Thurgau  und  St.  Gallen  ziemlich 
stark  verbreitete  Sorte  ist  klein  bis  mittelgroß,  vorzüglich  geeignet  zur  Most- 
bereitung. Reifezeit  November.  Baum  mittelgroß  und  sehr  tragbar. 

Saueracher  (Kt.  Zürich).  Guter  Most-,  Koch-  und  Dörrapfel  mit  gelbgrüner, 
auf  der  Sonnenseite  etwas  gerötbeter  Schale.  Reifezeit  Dezember,  hält  bis  in  den 
Sommer.  Der  Baum  wird  groß  und  ist  tragbar. 

Södliapfel  (Kt.  Zug).  Frucht  mittelgroß.  Gut  zunf  Dörren  und  Mosten. 
Reifezeit  Januar.  Baum  mittelgroß,  gedeiht  in  jeder  Lage  und  ist  sehr  fruchtbar. 

Süßer  Majenapfel  (Jura).  Kleine  Wirthschaftsfrucht.  Reifezeit  November. 
Baum  langsam  wachsend  und  tragbar. 

Fwrrer,  VoIkawirthaohafU-Lexikon  der  Sohweis.  ^^ 


Obstbau  — .      530      —  Obstbau 

Schqfnase.  Guter  Wirtbschafts-  und  Marktapfel.  Reifezeit  Dezember.  Der 
Baum  wird  groß  und  trägt  ziemlich  reichlich. 

Schneller apfel  (Kt.  St.  Gallen).  Ein  mittelgroßer  Streifling,  welcher  eich 
vorzüglich  für  den  Rohgenuß  und  für  die  Wirthschaft  eignet.  Der  Baum  wird 
groß  und  ist  sehr  fruchtbar. 

Torhelapjel  (Kt.  Appenzell).  Kleiner  beliebter  Mostapfel.  Der  Baum  wird 
sehr  groß  und  ist  fruchtbar. 

Verenacher,  später  saurer  (Kt.  Luzern).  Eine  beliebte  Wirthschaftssorte, 
welche  aber  einen  geschützten  Standort  verlangt.  Der  Baum  bleibt  klein ;  er  ist 
sehr  fruchtbar. 

Virginischer  TtosenapfeL  Ein  in  unsern  Gärten  vielfach  angepflanzter 
Sommertafelapfel.  Der  Baum  wächst  kräftig  und  ist  fruchtbar. 

Weina2JfeL  Unter  diesem  Namen  kommen  verschiedene,  einander  jedoch 
nicht  ähnliche  Sorten  vor.    Sie  zählen,    wie  ihr  Name  sagt,    zu   den  Mostäpfeln. 

Wildimg  von  Oherhußnnng  (Kt.  Thurgau).  Frucht  klein.  Reifezeit  Ende 
September.  Guter  Mostapfel.  Baum  wüchsig  und  sehr  tragbar. 

Wildling  von  Märstetteti  (Kt.  Thurgau).  Dieser  gute  Dörrapfel  ist  von 
mittlerer  Größe.   Er  hält  bis  März.  Der  Baum  ist  sehr  fruchtbar. 

Wildling  von  Rputhe,  Ein  im  Appenzellerland  verbreiteter  schöner  Kochapfel. 

Wildling  von  Oberefitfelden  (Kt.  Aargau).  Mittelgroße  gestreifte  Wirth- 
schaftefrucht.  Reifezeit  Winter.    Baum  starkwüchsig  und  fruchtbar. 

Zeienap/el  (Kt.  Appenzell).  Ein  vorzüglicher  Markt-  und  Wirthschaftsapfel, 
der  eine  weitere  Verbreitung  verdient.  Frucht  groß,  Schale  grüngelb.  Reifezeit 
Dezember. 

Zürcher  Transparent  (Kt.  Zürich).  Frucht  mittelgroß^  Schale  weiß  und 
durchsichtig.  Beliebt  wegen  seiner  Schönheit.  Reifezeit  September.  Baum  mittel- 
groß, ziemlich  tragbar. 

Birnen : 

Aeschener- Hohhirne  (Kt.  Zürich).  Eine  uralte,  vorzügliche  Mostbirne.  Reife- 
zeit Oktober.     Der  Baum  wird  mittelgroß  und  ist  sehr  tragbar. 

Affelirangerbirne  oder  Letteubirne.  Nach  Boßhard  identisch  mit  der  Schäfler- 
birne.  Diese  kleine,  beliebte  Dörrfrucht  ist  im  Kt.  Thurgau  heimisch.  Sie  reift 
Mitte  September.     Der  Baum  wird  groß  und  trägt  alljährlich. 

Appenzeller- Lang sterh.  (Kt.  Ai)penzell).  Die  Frucht  hat  viele  Aehnlichkeit 
mit  der  alten  Langstielerin.  Der  Baum  ist  jedoch  gesünder  \md  tragbarer  als 
der  der  alten  Sorte. 

Bartel'Roths-Mosthirne  (Kte.  Zug  und  Schwyz).  Mittelgroße  Scheidmost- 
birne.    Reifezeit  Ende  Oktober.     Baum  rasch  wachHcnd,  ziemlich  tragbar. 

Bocks 'Mosthirne  (Kt.  Thurgau).  Frucht  klein,  unansehnlich.  Reifezeit  Ende 
September.   Sehr  gute  Mostbirne.   Der  Baum  ist  stark  wüchsig  und  sehr  tragbar. 

Brmmenbirne  (Kt.  St.  Gallen).  Eine  gute  Dörr-  und  Kochfrucht.  Der  Baum 
ist  jedoch  nicht  ergiebig. 

Büschelihirne  (Kt.  Beni).  Eine  kleine  Wirthschaftsbirne,  welche  im  Oktober 
zur  Reife  gelangt.  Der  Baum,  welcher  eine  schöne  Krone  bildet,  wird  sehr  groß 
und  alt.     Er  ist  sehr  fruchtbar. 

Bründler  (Kt.  Thurgau).  Eine  kleine  Sommermostbirne.  Der  Baum  wird 
groß  und  ist  sehr  früchtbar. 

Bünduer 'Prinzessinbirne  (Kt.  Graubünden).  Frucht  mittelgroß,  gut  zum 
Essen  und  Kochen.     Der  Baum  wächst  kräftig  und  ist  ziemlich  tragbar. 

Bießcnhojer- Holzbirne  (Kt.  Thurgau).    Diese  im  obern  Thurgau  sehr  ge- 


Obstbau  —      531     —  Obstbau 

schätzte,  kleine  Hiostbirne  liefert  Bäume  von  enormer  Größe.  Dieselben  werden 
100 — 150  Jahre  alt  und  sind  sehr  tragbar. 

Dombirne  (Kt.  Thurgau).  Neuere,  sehr  empfehlenswerthe  Koch-  und  Dörr- 
bime.    Reifezeit  September.    Baum  tragbar. 

Frauenbirne  (Kt.  Appenzell  und  Rbeinthal).  Diese  gute  Most-  und  Dörr- 
birne ist  eine  Gebirgsfrucht.  Sie  reift  Ende  Oktober  und  hält  bis  Dezember. 
Der  Baum  wird  groß  und  ist  ziemlich  tragbar. 

Gelbbirne  (Kt.  Bern).    Gute  Koch-  und  Dörrbime.    Reifezeit  Oktober. 

Ooldhime  von  Quarten  (Kt.  St.  Gallen).  Frucht  groß  und  sehr  schön. 
Reifezeit  Oktober.    Vorzügliche  Koch-  und  Dörrbirne.    Baum  sehr  tragbar. 

OoldbäMer  (Rothlängler).  Diese  gute  Koch-  und  Dörrbime  ist  wegen  ihrer 
Schönheit  und  Größe  schon  weit  verbreitet.  Der  Baum  ist  sehr  fruchtbar.  Reife- 
zeit Oktober  bis  November. 

Outersbirne  (Kt.  Appenzell  und  Rbeinthal).  Kleine,  vorzügliche  Mostbirne. 
Reifezeit  Anfangs  Oktober.    Baum  sehr  groß  und  sehr  tragbar. 

0er zier  (Kt.  Thurgau).     Eine  kleine,  vorzügliche  Mostbirne. 

Häleyger  (Kt.  Appenzell).  Eine  Gebirgsfrucht  ersten  Ranges  Kleine,  sehr 
gute  Mostbirne.  Der  Baum  wird  sehr  groß,  bildet  eine  schöne  pyramidale  Krone 
und  ist  sehr  fruchtbar. 

Heulampenhirne  (Muottathaler-Bime).  Eine  gute  Markt-  und  Wirthschafts- 
sorte  von  ziemlicher  Größe.  Reifezeit  Oktober.  Der  Baum  wird  groß  und  ist 
sehr  tragbar. 

Holzbirne  x^on  Eppishaiisen  (Kt.  Thurgau).  Eine  uralte,  kleine,  gute  Most- 
birne. Der  Baum  erreicht  eine  bedeutende  Größe,  wird  sehr  alt  und  ist  sehr 
tragbar. 

Holzbirne,  rothe  (Kt.  Appenzell).  Frucht  mittelgroß,  länglich,  auf  der 
Sonnseite  geröthet.  Gut  zum  Kochen,  Mosten  und  Dörreu.  Reifezeit  Anfangs 
Oktober.     Baum  mittelgroß  und  sehr  fruchtbar. 

Heubirne,  schweizerische.  Diese  kleine  Frühbirne  ist  im  ganzen  Lande  ver- 
breitet. Reifezeit  Ende  Juli.  Gute  Marktsorte.  Baum  gut  wachsend,  ziemlich  tragbar. 

Kattenkopf,  kleiner  (Kt.  Graubünden).  Vorzügliche  Mostbirne  Reifezeit 
Mitte  Oktober.    Baum  groß  und  tragbar. 

KalchbVüüer  (Kt.  Zürich).  Empfehlenswerthe  Mostbirne.  Reifezeit  Mitte 
Oktober.    Baum  groß  und  sehr  tragbar. 

Kemptenbirne  (Kt.  Zürich).  Mittelgroße  Eß-  und  Marktfrucht.  Reifezeit 
Mitte  Oktober.     Baum  mittelgroß,  ziemlich  fruchtbar. 

Knollbirne  (Kte.  Thurgau  und  Schaffhausen).  Mittelgroße,  vorzügliche  Most- 
bime.    Reifezeit  Oktober. 

LudiS' Holzbirne  (Ostschweiz).  Mittelgroße  Mostbirne.  Reifezeit  Ende  Sep- 
tember.    Baum  mäßig  wachsend,  sehr  fruchtbar. 

Legibirne  (Kt.  Zürich).  Mittelgroße,  gute  Dörrbirne.  Reifezeit  Ende  Sep- 
tember.    Der  Baum  ist  wuchsig  und  ziemlich  tragbar. 

Melonenhirne  oder  Mailänderbirne  (Kt.  Bern).  Frucht  groß  und  länglich. 
Schale  grüngelb,  etwas  geröthet.  Reifezeit  Ende  September.  Gut  zum  Kochen. 
Baum  groß  und  tragbar. 

RäggiliS' Birne  (Kt.  Bern).  Kochbime.  Reifezeit  Winter;  hält  bis  in's 
Frühjahr.    Baum  langsam  wachsend,  sehr  fruchtbar. 

Riedter-Holzbirne,    Eine  uralte  thurgauische,  kleine  Mostsorte. 

Rothk ellers- Mostbirne  (Kt.  Thurgau).  Diese  alte  Mostsorte  ist  klein,  rundlich 
und  dunkelroth.  Reifezeit  Oktober.  Der  Baum  wird  groß  und  ist  ziemlich  ergiebig. 


Obstbau  —      532     —  Obstbau 

Reinholzbirne  (Kte.  Zug  und  Luzern).  Frucht  mittelgroß.  Reifezeit  Oktober. 
Gute  Scheidmostbirne.    Der  Baum  wird  groß  und  ist  tragbar. 

Stadelbirne  (Kte.  Appenzell  und  St.  Gallen).  Frucht  klein  und  randlich, 
berostet.  Gute  Mostsorte.  Eeifezeit  Ende  Oktober.  Baum  ziemlich  groß  und  tragbar. 

Speckbirne  (Kte.  Appenzell  und  St.  Gallen).  Große  Dörr-  und  Mostbime. 
Beifezeit  Ende  September.    Baum  stark  wüchsig  und  fruchtbar. 

Sträzlerbirne  (Kt.  St.  Grallen).    Gute  Mostbirne.     Reifezeit  Oktober. 

Schiebler,  Im  Kt.  Appenzell  und  im  st.  gallischen  Rheinthal  kommen  dreierlei 
Schiebler  vor,  nämlich  Ruch-,  Glatt-  und  Frtihschiebler.  Sämmtliche  drei  Sorten 
sind  beliebt  zur  Mostbereitung.  Die  erstere  Sorte  verdient  jedoch  den  Vorzug. 
Der  Baum  wächst  rasch,  bildet  eine  schöne  Krone  und  ist  sehr  tragbar. 

Schützenbirne  (Gebirgsfrucht).  Klein  bis  mittelgroß,  je  nach  dem  Standort. 
Reifezeit  Oktober  bis  November.  Gute  Koch-  und  Dörrbirne.  Der  Baum  bildet 
eine  schöne,  mittelgroße  Krone  und  ist  sehr  tragbar. 

Sutersbirne  (Kte.  St.  Grallen  und  Thurgau).  Alte,  vielverbreitete  Herbst-, 
Koch-  und  Dürrbirne.     Baum  mittelgroß  und  tragbar. 

Strickbirne.  Diese  weitverbreitete  Sorte  wird  ihrer  großen  Fruchtbarkeit 
wegen  neuerdings  wieder  mehr  angebaut.  Die  Frucht  wird  mittelgroß,  länglich 
und  goldgelb.  Reifezeit  Mitte  September.  Gute  Frtlhmostsorte,  eignet  sich  auch 
zum  Dörren.  Der  Baum  wird  ziemlich  groß  und  ist  alljährlich  mit  Früchten 
beladen. 

Theilerbirne^  saure  (Kt.  Zürich).  Gute  Mostbirne.  Reifezeit  Ende  September. 
Großer,   sehr  tragbarer  Baum. 

Wettinger- Holzbirne  (Kt.  Aargau).  Frucht  mittelgroß  und  rundlich.  Sehr 
gute  Mostßorte.  Reifezeit  Oktober.  Der  Banm  wird  sehr  groß  und  schön  und 
ist  sehr  fruchtbar. 

Welsche  Bimolte  (Kt.  Graubünden).  Gute  Koch-  und  Dörrbirne.  Reifezeit 
Oktober. 

Weißbirne.  Man  kennt  eine  „Große"  und  eine  „Unter waldner- Weißbirne". 
Beide  sind  geschätzte  Sorten  zur  Mobtbereitung. 

Weißkellers- Mostbime  (Kt.  Thurgau).  Die  Beschreibung  der  Rothkellers- 
bime  paßt  auch  für  Weißkellers  Motbirne. 

Wintetbirue  (Ostschweiz).  Frucht  klein,  länglich,  schmutzigroth.  Reifezeit 
Oktober.     Gute  Scheidmostbirne.     Baum  mittelgroß  und  tragbar. 

Miistersortiment  von  Aepfeln  und  Birnen, 
Zusammengestellt   von    der   Schweiz,    pomologischen    Kommission    bei    Anlaß    der 

Schweiz.  Landesausstellung  in  Zürich  (1883). 

Tafeläpfel:  Oberrieder-Glanzreinette,  Hans  Uli,  Champagner-Reinette,  Gold- 
parmäne, Danziger- Kantapfel,  rothe  Baumanns-Reinette,  Kasseler-Reinette,  Pariser- 
Rambour-Reinette,  Breitacher,  Wintercitrone,  Fürstenapfel,  Grafensteiner,  Cellini, 
Reinette  von  Damason,  graue  portugiesische  Reinette,  Kaiser  Alexander,  Frau- 
rothacher,  Ananas-Reinette,  königlicher  Kurzstiel,  Nonpareille,  Wildmauser,  2^ien- 
apfel,  Küttiger-Dachaj)fel,  Jägerapfel,  englischer  Kantapfel,  weiße  Reinette  von 
Brngg. 

Wir th Schaftsäpfel :  Waldhöfler,  Spätlauber,  Nägeliapfel,  Salamonsapfel, 
Schafnase,  Spitzwissiker,  Hediger,  Maienapfel  oder  Räuchliapfel,  Kugelapfel,  üster, 
Blauapfel,  gelber  und  rother  Stettiner,  Sauergrauech,  Rheinischer  Bohnapfel. 

Tafelbirnen :  Souvenir  du  Cougres,  William,  deutsche  Nationalbergamotte, 
gute  Louise  von  Avranches,  Amanlis-Butterbirne,  Soldat  laboureur,  graue  Herbst- 


Obstbau 


—     533     — 


Obstbau 


Butterbirne,  weiße  HerbBt-Butterbirne,  Herzogin  von  Angouleme,  Hardys-Butter- 
bime,  bolzfarbige  Butterbirne,  Napoleons-Butterbirne,  General  Tottieben,  Espöranoe- 
Herrenbime,  ClairgeauB-Butterbime,  Hofrathsbirne,  Diels-Butterbirne,  Eegentin, 
St.  Germain,  Bergamotte  Esp^rance,  Doyenne  d^hiver,  Colmar  d'Aremberg,  Wildling 
von  Motte,  Crassanne,  Liegels-Winter-Butterbirne. 

Dörr-  und  Kochbirnen:  Pastorenbime,  Chaumontel,  englische  Sommer- 
Butterbirne,  Schweizer-Bratbime,  Dorubirne,  Längler,  Legebirne,  frtlhe  Stuttgarter- 
Weinbime,  Langstielerin,  Bärikerbirne. 

Mostbirnen :  G^lbmöstler,  Grümnöstler,  Marxenbirne,  Schweizer- Wasserbime, 
Theilersbime,  Winterbirne,  saure  Theilersbirne,  Champagner- Bratbirne,  Wettinger- 
Holzbime,  Eeinholzbirne,  Rothbartier,  späte  Weinbime,  Weißbime,  EnoUbirne, 
Rebenbirne,  KalchbUhler. 

Mustersarten  von  Aepfeln  und  Birnen,  *) 
Bezeichnet  am  ersten  interkantonalen  Baumwärterkurs,  Strickhof,   1886. 

(Erklftrnng  der  Zahlen:  1  =  mittelmässig,  2  =  gut,  3  =  tebr  gut.) 

L    Tafeläpfel, 
a.  Sommeräpfel. 


Name  der  Frucht                    Qualität 

Haltbar- 
keit der 
Frucht 

Tragbar- 
keit 

Wuchs  in 
der  Baum- 
schule 

Wuchs 

im 
Freien 

Summa 

1.  Englischer  Kantapfel     . 

2.  Virginischer  Rosenapfel 

3.  Rother  Astrachan     . 

2 
3 
3 

3 
2 
2 

1 

3 
2 

3 
3 
1 

9 
11 

8 

h,  He)'bstäpfeL 

1.  Grafensteiner 

3 

2 

2 

3 

3 

13 

2.  Danziger- Kantapfel    .     .     . 

3.  Cellini 

3 
3 

3 
1 

3 
3 

2 
2 

3 
2 

14 
11 

4.  Kaiser  Alexander     . 

2 

1 

3 

3 

3 

12 

5.  Transparent 

2 

c.  Wi 

1 
nteräp/el. 

3 

1 

3 

10 

1.  Oberrieder-Glanzreinette 

3 

3 

3 

2 

3 

14 

2.  Hans  Uli -Apfel   .... 

3 

3 

3 

2 

2 

13 

3.  Winter- Goldparmäne 

4.  Baumanns-Reinette    . 

3 
3 

2 
3 

3 
3 

3 
3 

2 

2 

13 
14 

5.  Kasseler-Reinette 

3 

3 

3 

2 

3 

14 

6.  Goldreinette    von  Blenheim 

3 

3 

3 

2 

2 

13 

7.  Champagner-Reinette 

8.  Winter-Citronenapfel      .     . 

3 
3 

3 
3 

3 
2 

2 
3 

1 
3 

12 
14 

9.  Boikenapfel 

10.  Reinette  von  Damason  . 

3 
3 

3 
3 

3 
3 

3 
2 

2 
2 

14 
13 

11.  Wellington 

1 2.  Graue  portngiesischeReinette 

13.  Königlicher  Kurzstiel    .     . 

14.  Breitacher 

2 
3 
3 
3 

3 
3 
3 
3 

2 
2 
2 
2 

3 
3 
1 
1 

3 
3 
2 
2 

13 
14 
11 
11 

15.  Osnabröcker-Reinette 

3 

3 

2 

2 

2 

12 

16.  Winter-Taffetapfel    .     .     . 

17.  Zeienapfel 

3 
3 

3 
3 

2 
2 

2 
3 

3 
3 

13 

14 

*)  Der  Monatsschrift  für  Obst-  und  Weinbau,  Verlag  von  J.  Huber  in  Frauenfeld, 
entnommen. 


U.  MoBt-  nnd  Dörräpfel. 


.  Ueterapfel 3 

.  SchafosM 3 

.  Spätlanber           ....  3 

.  Nägeli-Apfel 3 

.  Sauergrauecli 3 

.  Bohnapfel 2 

.  Waldhöfler 3 

.  äaIamoDsa.pfel      ....  2 

.  Hedinger              ....  3 

.  Thurgauer-Weinapfel     .     .  3 

.  Kotbenbauser-Huliapfel.     .  3 

.  WeiDrothacher     ....  3 

.  Sadli-Apfel 3 

.  SpifKwiHBÜer 3 

.  Gninilter  (großer)    .      .     .  '2 

.  Kugelapfel 2 

.  Seegäßler 2 

.  Belle  fiUe  de  Normandie   .  2 

.  Saarer  Uaieiiapfel     ...  3 

.  AhoBer  (Sohwyz)      ...  3 


III.  Koch-  nod  Dörrb 


1.  Engl.  Sommer-Butterbirne 

2.  Scbweizer-Bratbime 

3.  Welsche  Bimolte      . 

4.  Wildling  von  Sargane 
6.  Holländische  Feigeobime 

6.  Büschelibirne.      .     . 

7.  Grelbbirne  von  Bern 

8.  Healampe  .... 

9.  Große  Goldbime  v.  Quarten 

10.  Affeltrangler  .     . 

11.  Dombime .     . 

12.  Poire  deCurÄ  (Faatorenbirne) 


.  (relbmSstler  .      . 

.  Theilersbirne  .  .  . 
.  Marxenbime  .  .  . 
.  Kleiner  Eatzenkopf . 
.  Grünuiij-tler  .  . 
.  Mockenhohbirne .  , 
.  Champagner- Brat bime  , 
.  Wettinger-HolEbirne 
.  Kalchbtihler 
.  Sobweizer-WasBerbirne  . 


Obstbau  —     535      —  Obstbau 

Außer  den  scbon  aufgezählten  Sorten  finden  sieb  noch  häufig  in  den  Gärten 
als  Zwergbäume  angepflanzt : 

a.  Tafelhimen,  Alexandrine  Douiliard,  Butterbirne  Bacheliers,  Giffards- 
Butterbime,  Hartenponts-Winterbutterbirne,  hochfeine  Butterbirne,  Six's-Butter- 
bime,  Sterkemanns  Butterbirne,  Clapps  Liebling,  Juii-Dechantsbirne,  Vereins- 
deohantsbirne,  Forellenbime,  Stuttgarter  •  Geishirtle,  Jaminette,  Josephine  von 
Mecheln,  Madame  Bonnefods,  Madame  Favre,  Neue  Poitau,  Olivier  des  Serres, 
Philippsbime,  Triumph  von  Jodoigne,  Williams-Herzogin,  Winter-Meuris,  Zephirin 
Grregoire,  Himmelfahrtsbirne,  Hofrathsbirne. 

6.  TafeläpfeL  Alantapfel,  Alfriston,  Calvill  Saint  Sauveur,  Calvill  rother, 
Charlamowsky,  Langtons -Sondergleichen,  Margare thenapfel,  Ribstons  -  Pepping, 
Harberts-Reinette,  Ober dieks- Reinette,  Moringer  Rosenapfel,  gelber  Richard,  Früh- 
apfel von  Rouens,  Fraas-Sommercalvill,  Königsfieiner,  gelber  Bellefleur. 

Pflaumen: 

Aprikose npßautne.  Ist  eine  große  und  schöne  Augustpflaume. 

Eierpflaume,  rothe  und  gelbe.  Reifezeit  Anfangs  September.  Baum  tragbar. 

Herrenpflaunw,  Mittelgroße  Frucht.  Reifezeit  Mitte  August.  Baum  sehr 
tragbar. 

JeffersonS'Pflaume.  Frucht  gelbgriln,  groß,  fruchtbar.  Reifezeit  Anfangs 
September. 

Kirkes- Pflaume.  Frucht  groß  und  dunkelblau.  Reift  Ende  August.  Baum  tragbar. 

Mirabelle  von  Nancy.  Frucht  gelb,  wohlschmeckend.   Reifezeit  September. 

Reineclaude  von  OuUin.  Frucht  gelb,  groß.  Baum  tragbar.  Reifezeit  August. 

Reineclaude,  große,  grüne.  Reifezeit  Ende  August,  sehr  empfehlenswerth. 

Kirschpflaume  {Mirabolan).  Frucht  mittelgroß,  dunkelbraunroth.  Baum 
kräftig  wachsend,  tragbar.  Tafelfrucht  zweiten  Ranges,  dient  haupsächlich  als 
Unterlage  für  Pfirsiche,  Aprikosen  und  bessere  Pflaumen. 

Washingtonspflaume.  Frucht  groß,  gelb.  Reifezeit  Anfang  September.  Gute 
Tafel-  und  Marktfrucht.    Baum  starkwüchsig,  sehr  fruchtbar. 

Hajerpflaume  oder  Krieche.  Frucht  sehr  klein,  ungenießbar.  Nur  zum 
Brennen  tauglich. 

Zahlreich  verbreitet  finden  sich  aus  Samen  oder  Ausläufern  stammende  blaue, 
rothe  und  gelbe  minderwerthige  Pflaumen-  und  Zwetschgensorten,  welche  man 
mit  bessern  Sorten  umpfropfen  sollte.  Zum  Anbau  im  Großen  eignen  sich:  die 
Augustzwetschge,  die  italienische  Zwetschge,  die  grüne  Reineclaude,  die  Mira- 
belle, die  Washingtons-  und  die  Kirkspflaume. 

Zwetschgen: 

August-Zwetschge  (Zucker zwetschge) .  Sehr  große,  schöne,  zum  Rohgenuß 
und  Kochen  sich  vortrefflich  eignende  Sorte. 

Basler-Zwetschge.    Mittelgroße  Frucht.    Reifezeit  August.    Sehr  fruchtbar. 

Hausei vetschge,  gewöhnliche.  Frucht  klein,  gut  zum  Dörren.  Reifezeit 
September.   Baum  tragbar. 

Italienische  Zwetschge  (Fellenbergzwetschge).  Frucht  sehr  groß,  empfehlens- 
werth. Reifezeit  Mitte  September.  Baum  mittelgroß,  tragbar. 

Oelbe  Zwetschge.  Frucht  klein.  Reifezeit  Mitte  August.  Baum  sehr  tragbar. 

Kirschen: 

Carflifischkirsche  (Kt.  Graubünden).  Mittelgroße,  schwarze  Kirsche.  Reife- 
zeit JulL  Baum  sehr  tragbar. 


Obstbau  —     536     —  Obstbau 

Baslerkirsche  (Baselland).  Frühreifende,  empfehlenswerthe  Sorte. 

Ehnaterkirsche.  Lokalsorte  des  Toggenburgs. 

Helena-Kirsche  (Kt.  Schwyz).  Frucht  roth,  groß,  sehr  früh  tragbar,  gute 
Tafel-  und  Marktsorte. 

Herzkirsche,  frühe.  Reifezeit  Ende  Mai  und  Anfangs  Juni.  Mittelgroß, 
dunkelbraun. 

Herzkirsche  Eltons.  Reift  Anfangs  Juli,  ist  groß  und  bunt.  Baum  tragbar. 

Knorpelkirsdie  Napoleon.    Reift  im  Juli,  große  und  schöne  Frucht. 

Knorpelkirsdie  Hedelfinger.  Reift  im  Juli,  ist  sehr  groß  und  sohwarzroth. 
Baum  sehr  tragbar. 

Knorpelkirsche  Zuger,  schwarze.  Reift  im  Juli.  Baum  sehr  tragbar. 

Königin  Hortefisia.  Reift  Anfangs  Juli.  Wird  sehr  groß  und  schön.  Ziem- 
lich tragbar. 

Lowerzer-Kirsdie  (Kt.  Schwyz).  Frucht  schwarz.  Baum  schön  wachsend, 
tragbar,  sehr  gut  zum  Brennen.   Der  Kirschkrankheit  nur  wenig  unterworfen. 

Küßnachter-Kirsche  (Kt.  Schwyz).  Die  Frucht  ist  groß  und  süß,  eignet 
sich  sowohl  zur  Marktfrucht  als  auch  zur  Destillation  ganz  vorzüglich.  Die  Sorte 
hat,  weil  sie  spät  treibt,  von  den  Frühlingsfrösten  wenig  zu  leiden.  Der  Baum 
ist  kräftig  und  tragbar. 

Weichsein: 

Amorelle,  königliche  (Royal).  Reifezeit  Juni.  Frucht  groß  und  schön.  Baum 
tragbar. 

Seh atienmor eile  (Lange  Lothkirsche).  Reifezeit  Juli;  tragbar.  Frucht  groß 
und  schön. 

Weich  sei 'Ostheimer.  Reifezeit  Juli.  Sehr  tragbar,  rothbraun,  sehr  em- 
pfehlenswerth. 

Aprikosen  (Marillen): 

Ananas,  Reifezeit  Anfangs  August.  Große  Frucht.  Baum  tragbar. 

Ambrosia.  Reifezeit  Juli.  Wird  sehr  groß. 

Oroße  Frühaprikose.  Reift  Mitte  Juli.  Baum  sehr  fruchtbar. 

Pßrsichapriiwse  (de  Nancy).  Reift  Mitte  August.  Große  und  gute  Frucht. 
Baum  tragbar. 

Königliche  (JßogalJ,  Reift  Anfangs  August.   Wird  groß  und  gut. 

Viard.  Reift  im  August;  ist  mittelgroß  und  wohlschmeckend.  Baum  sehr 
tragbar. 

Ungarische  Besta.  Reifezeit  Anfangs  Juli.  Wird  mittelgroß  bis  groß.  Gut 
zum  Einmachen,  sehr  süß. 

Breda.  Reift  Mitte  Juli.  Wird  mittelgroß  und  ist  würzig. 

Pfirsiche: 

Amsdcn.  Reifezeit  Juli.  Wird  groß  und  schön.  Ist  eine  der  allerfrühesten  Sorten. 
Baron  Dfifonr.  Reifezeit  August.  Sehr  groß  und  tragbar. 
Botirdine.  Reift  Ende  September.  Groß. 

Earlg  Beatrice,  Reift  Anfangs  August.  Sehr  tragbar.   Empfehlenswerth. 
Magdalena,  rothe  (Madeleine  rouge).  Reift  Ende  August.  Sehr  tragbar. 
Malteser 'Pfirsich.  (Peche  de  Malte).  Reift  Anfangs  September.  Sehr  tragbar. 
Früher  von  Haie  (Precoce  de  Haie)    Reift  Anfangs  August.  Sehr  tragbar. 
Mi gnan- Pfirsich   (Große  Mignonne  ordinaire).    Reift  im  September.    Groß 
und  schön,  sehr  tragbar,  taugt  für  Hochstamm. 


Obstbau  —     537     —  Obstbau 

Albertsohen  (Pfirsiche  mit  glatter  Haut): 

Ananas,  Keift  im  September.  Mittelgroß. 

Gallopin.  Reift  Anfangs  September.  Eine  der  größten  und  schönsten  Früchte 
dieser  Gattung. 

Victoria,    Reift  Ende  September.    Frucht  groß  und  schön. 

Wallnüsse  : 

Johannisnuß,  Frucht  mittelgroß.  Baum  spättreibend,  fruchtbar. 
Welsche    Wallnuß.  Frucht  sehr  groß.  Baum  ziemlich  tragbar. 
Angiistnuß.  Frucht  mittelgroß,  frühreifend,  tragbar. 

Zwergnuß,  Frucht  mittelgroß,  frühreifend.  Baum  zwergartig,  eine  schöne 
Pyramide  bildend,  zur  Anpflanzung  in  Gärten  geeignet. 

Quitten: 

Portugiesische,  Frucht  sehr  groß,  Baum  tragbar. 
Bimquitte.  Frucht  groß.  Baum  tragbar. 
Apjelqiiitte,  Frucht  mittelgroß,  schwachwüchsig. 

Stachelbeeren  (Großfrüchtige) : 

Antagonisten  weiß;  Australia,  gelb;  Leveller,  gelb;  London,  roth;  Ringer, 
tiefgelb;  Stockwell,  grün;  Telegraph,  dunkelgrün;  Abraham  Lincoln,  roth;  Diana, 
grün;  Globe  Jellow,  gelb. 

Johannisbeeren: 

i2o(/}e;  Holländische;  Fox;  NeueRothe;  Kirschjohannisbeere.  Weiße:  Kirsch- 
johannisbeere; Macrocarpa;  Holländische.  Sciuvarze:  Blac  Naples;  Mutabilis. 

Himbeeren : 

1)  Einraaltragende :  a,  Rothe:  Fastolff,  Hörnet,  Paragon.  6.  Gelbe:  Ant- 
werpener, Malteser. 

2)  Zweimaltragende:  a,  Rothe:  Surpasse  Fastolff;  Merveille.  h.  Gelbe:  Sur- 
passe Merveille;  Surprise  d'automne. 

Brombeeren : 
Lawton ;  Kittatin y ;  Armenische  ;  Philadelphia  Minners  Trailing. 

Verzeichniß  der  im  pomologischen  Bilderwerk  illustrirten  und  beschriebenen 

100  Obstsorten, 

1)  A  e  p  f  e  1 :  Aarganer  Herrenapfel,  Ananas-Reinette,  Api,  kleiner  (Kampänerli), 
Baumann's  Reinette,  Bohnapfel,  großer,  Bovarde  (Pomme  Bovarde),  Breitacher, 
Carmeliter  Reinette,  Champagner  Reinette,  Christ's  gelbe  Reinette,  Danziger  Kant- 
apfel, Edelborsdorfer,  Etlin's  Reinette,  Fraurothacher,  Gäsdonker  Reinette,  Ge- 
strickte Reinette,  Glanz-Reinette,  Goldzeugapfel,  Graven  stein  er,  Hans-Ülrichsapfel, 
HomußeSher,  Jakobsapfel,  gelber  (Gelb- Jakober),  Jägerapfel,  Kasseler  Reinette, 
große,  Königl.  rother  Kurzstiel,  Küttiker  Dachapfel,  Luikenapfel,  Maienapfel, 
saurer,  Nägeli-  oder  Palmapfel,  Oster-Calville,  rother,  Pariser  Rambour- Reinette, 
Pfaffenapfel,  süßer.  Portugiesische  Reinette,  graue,  Rümlicher  Chrüslicher,  Sauer- 
graueoh,  Sauerkläusler,  Schdfnase,  Schinzenapfel,  gestreifter,  Schuhmacherapfel, 
Sommer-G^würzapfel,  Sonntagsapfel,  Spätlauber,  Spitzwissiker,  Stettiner,  rother, 
Usterapfel,  Van  Mons  Reinette,  Wagnerapfel,  Waldhöfler  Holzapfel,  Winter- 
Goldparmäne,  Winter-Calville,  weißer. 

2)  Birnen  :  Arenberg's  Colmar,  Bergbirne,  Champagner  Bratbirne,  Clairgeau's 
Butterbirne,  Deutsche  Nationalbergamotte,  DieFs  Butterbirne,  Esperen's  Bergamotte, 


J 


Obstbau  —      538      —  Obstbau 

Französischer  Eatzenkopf,  Gelbe  Mostbirne  (GelmoBtler),  St-Germain  Gunters- 
hauser,  Hardenpont's  Winterbutterbirne,  Herbstgütler,  Herbstbirne,  lange  grüne 
(Schweizerhose),  Herbstbutterbirne,  weiße,  Herbstbutterbirne,  graue,  Herzogin 
AngoulSme,  LiegePs  Winterbutterbirne,  Längler,  Langstieier  (Kriesibime),  Mag- 
dalene,  grüne,  Martin,  trockener,  Marxenbirne,  Mockenholzbirne,  Napoleon's 
Butterbirne,  Poire  de  Rance  (Hardenponts,  späte),  Pastorenbirne,  Regentin,  Rousselet 
von  Rheims,  Schmalzbirne,  römische,  Schwarzrädler,  Schwärzibirne,  Schweizer- 
bratbirne,  Sommer- Apothekerbirne,  Sommer-Eier birne,  Sparbirne,  Spitzbirne,  Stutt- 
garter Gaishirtel,  Sülibirne,  Theilersbirne,  Wasserbirne,  Weinbirne,  frühe,  Wein- 
bime,  späte,  William's  Christbirne,  Wildling  von  Motte,  Wildling  von  Sargans^ 
Winter- Dechantsbirne,  Zuger  Röthelerbirne,  Zuckerbirne,  Zweiäugler. 

Staatliche  Maßnahmen  zur  Förderung  des  Obstbaues. 

Dieselben  bestehen  seitens  der  Kantone  beinahe  ausschließlich  in  der  An- 
ordnung und  Subventionirung  von  Kursen  und  Vorträgen  über  Obstbau, 
sowie  in  der  Subventionirung  von  Obstbau-Ausstellungen  und  anderer 
von  Vereinen  angestrebten  Unternehmungen. 

Ueber  die  Leistungen  des  Bundes  für  die  Förderung  des  Obstbaues  vergl. 
Tabelle  I,  Ziffer  5,  ad  Seite  320  ra  IL  Bd.  dieses  Lexikons. 

Unterricht  über  Obstbau  wird  auch  an  den  theoretisch -praktischen  Acker- 
bauschulen, an  den  landwirthschaftlichen  Winterschulen  und  an  der  landwirth- 
schaftlichen  Abtheilung  des  eidgenössischen  Polytechnikums  ertheilt.  Mit  der 
letztern  Anstalt  ist  seit  dem  Jahre  1887  ein  Versuchsfeld  für  Obstbaumzucht  und 
für  Rebbau  verbunden. 

Die    Frage    der   Gründung    einer    Versuchsstation    für    Obst-    und 

Weinbau  in  Verbindung  mit  einer  Obst-  und  Weinbauschule  bildet  seit 

längerer  Zeit    den  Gegenstand    eingehender   Berathungen.     Eine   im  April   1888 

in    Zürich    abgehaltene    Konferenz    von  Abgeordneten   der    Kantone    Aargau,  St. 

Gallen,  Schaff  hausen,  Thurgau  und  Zürich  erklärte  sich  mit  der  Errichtung  einer 

solchen  Anstalt  prinzipiell   einverstanden    und    stellte    das    fdr    dieselbe    geltende 

Programm  fest.      Es  lautet : 

A.  Versuchsstation  für  Obst-  und  Weinbau,  Art  1.  Zweck:  Ununterbrochene 
sorgfältige  Beobachtungen  und  Versuche  betreffend  den  Obst-  und  Weinbau  und  die 
Verwerthung  der  Erträgnisse  dieser  Zweige  der  Landwirthschaft.  Bekämpfung  der  dem 
Obstbaume  und  dem  Weinstocke  schädlichen  Einflüsse.  Nutzbarmachung  der  Erfahrungen 
in  den  Uuterrichtskursen  der  Obst-  und  Weinbauschule,  durch  Wandervorträge,  durch 
Veröffentlichungen,  durch  Auskunftsertheilung. 

Art.  2.  Einrichtung:  Grundstücke  und  Gebäulichkeiten  nach  Maßgabe  des  erfor- 
derlichen Bedürfnisses.  1)  Versuchsfelder  für  Obstbau  (Obstgärten),  a.  Anpflanzung  und 
Behandlung  der  verschiedenen  Arten  von  Obstbäumen  und  Beerensträuchern  und  Berück- 
sichtigung neuer  Obstsorten,  b.  Versuche  mit  Düngmitteln  und  Art  und  Weise  der  An- 
wendung derselben,  c.  Bekämpfung  der  Krankheiten  und  Feinde  des  Obstbaumes. 
d.  Baumschule.  2)  Versuchsfelder  für  Weinbau  (Rebanlagen),  a.  Anpflanzung  und  Be- 
handlung einheimischer  und  fremder  Rebsorten,  b.  Versuche  mit  Düngmitteln  und  Art 
und  Weise  der  Anwendung  derselben,  c.  Bekämpfung  der  Rebkrankbeiten  und  Reb- 
feinde, d.  Versuche  gegen  Frostschaden  und  andere  Witterungseinflüsse.  «.  Rebschule. 
3)  Kelter-  und  Kellerwirthschafl.  a.  Most-  und  Weinbereitung,  b.  Versuche  betreffend 
Gährung,  Weinbildung  und  Schulung  der  Weine,  c.  Krankheiten  des  Mostes  und 
Weines,  sowie  Mittel  gegen  dieselben,  d.  Veredlung,  e.  Verwerthung  der  Rückstände. 
f.  Kelter-  und  Kellerwirthschafl.  4)  Dörren  und  Konserviren  von  Obst  und  Trauben. 
5)  Physiologisches  I^ahoratorium.  Studium  über  Lebenserscheinungen  des  Obstbaumes 
und  des  Weinstockes.  6)  Chemisches  Laboratorium,  a.  Studium  über  die  Gährung, 
namentlich  mit  Bezug  auf  den  Einfluß  der  Temperatur,  der  Luftzufuhr,  des  Zucker- 
gehaltes, der  Weinsäure,  des  Gerb-  und  Farbstoffes,  sowie  der  Extraktivstoffe,  b.  Most- 
und  Weinanalysen.   7)  Witterungst)eobachtungen.   8)  Verkehr  mit  anderen  in-  und  aus- 


Obstbau  —     539     —  Obstbau 

ländischen  Versuchsanstalten.  9)  Bibliothek,  Sammlungen,  Zeitschriften,  a.  Anschaffung 
von  Zeitschriften  und  Fachwerken,  b.  Sammlung  von  Präparaten,  c.  Wissenschaftliche 
Arbeiten ;  Mittheilungen  und  Veröffentlichungen  über  Versuche  und  Verlauf  von  Kursen ; 
Sprechsaal. 

B,  Obst'  und  WetnbatMchüle.  Art.  1.  Zweck:  An  der  Obst-  und  Weinbauschule 
wird  Unterricht  ertheilt  in  allen  Zweigen  des  Obstbaues  und  des  Weinbaues  ffir  an- 
gehende Ijandwirthe,  Berufsleute,  Wanderlehrer  und  solche,  die  sich  für  den  einen  oder 
andern  Zweig  auszubilden  wünschen. 

Art.  2.  Unterricht :  Kurse  von  kürzerer  oder  längerer  Dauer  in  den  verschiedenen 
Jahreszeiten,  theoretischer  Unterricht  in  Verbindung,  soweit  immer  thunlich,  mit  prak- 
tischen Arbeiten  in  allen  Zweigen  des  Obstbaues  (Baumzucht,  Baumpflege,  Obstkunde, 
Obstverwerthung),  sowie  des  Weinbaues  (Aufzucht  und  Pflege  der  Reben,  Most-  und 
W^einbereitung,  Kellerwirthschatt).  1)  Aufnahmsbedingungen  :  Zurückgelegtes  17.  Alters- 
jahr, Ausweise  über  genügende  Erfolge  beim  Besuche  der  gesetzlichen  Volksschulen  und 
über  mindestens  einjährige  praktische  Bethätigung  in  der  Landwirthschafl.  2)  Bei  der 
Klasseneintheilung  wird  auf  gleichartige  theoretische  und  praktische  Vorbereitung  mög- 
lichst Rücksicht  genommen,  indem  Kurse  für  Anfiinger  und  solche  für  Vorgerücktere 
im  einen  oder  andern  oder  in  beiden  Zweigen  gemeinsam  veranstaltet  werden.  3)  Die 
Kurstheilnehmer  sollen  nicht  nur  die  für  Erreichung  des  Lehrzieles  erforderlichen  Kennt- 
nisse und  hinreichende  Handfertigkeit  sich  erwerben,  sondern  sie  sollen  auch  befähigt 
werden,  ihrerseits  Anleitung  zu  beruflicher  Ausbildung  zu  geben. 

C.  Getneinaame  Bestimmungen.  Art.  1.  Eine  Aufsichtskommission,  in  welche 
die  am  Unternehmen  betheiligten  Kantone  je  einen,  und  jeder  Kanton,  der  mehr  als 
100,000  Einwohner  zählt,  einen  weiteren  Vertreter  abordnet,  übernimmt  die  Verwaltung 
und  Aufsicht  der  Anstalt.  Diese  interkantonale  Kommission  wird  in  ihrer  Aufgabe  von 
einem  engern  Komite  unterstützt.  Ein  Reglement  bestimmt  die  anzuwendenden  Grund- 
sätze und  besondern  Verliältnisse.  Die  Oberaufsicht  steht  dem  schweizerischen  Land- 
wirthschaftsdepartement  zu. 

Art.  2.  Programm  und  Unterrichtspläne,  Voranschlag  und  Rechnung,  Jahresbericht 
und  Veröffentlichungen  über  besondere  Gegenstände  sind  dem  schweizerischen  Land- 
wirthschaflsdepartement,  den  Kantonen,  welche  die  Anstalt  unterstützen,  und  weiter 
betheiligten  Kreisen  zuzustellen. 

Art.  3.  Die  erforderlichen  Räumlichkeiten  und  Versuchsfelder  sollen  vom  Schul- 
ort beziehungsweise  Kanton,  in  welchem  die  Anstalt  ihren  Sitz  hat,  zur  Verfügung  ge- 
stellt werden.  Ferner  hat  je  nach  Umständen  der  betreffende  Kanton  eventuell  Schul- 
ort einen  gewissen  Voraus  an  die  ersten  Einrichtungskosten  der  Anstalt  und  an  die 
jährlichen  Betriebsausgaben  zu  leisten.  Das  nach  Abzug  eines  all  fälligen  Bundesbei* 
träges  noch  zu  deckende  Defizit  an  die  gesammten  Anlagekosten  und  die  Betriebsmittel 
der  Anstalt,  sowie  die  jährlichen  Ausgaben  derselben  werden  unter  Abrechnung  der 
vom  Bunde  für  Lehrkräfte  und  Lehrmittel  rück  vergüteten  Beträge  nach  einem  zu  er- 
mittelnden Vertheilungsplan  pro  rata  (im  Verhältniß  zum  Rebareal  und  der  Zahl  der 
Obstbäume)  auf  die  vertragenden  Kantone  verlegt. 

Ein-  und  Ausfuhr  von  Obst. 

a.  Frisches  Obst.  Ein-  und  Ausfuhr  vor  1885  sind  unbekannt,  denn  die 
schweizerische  Waarenverkehrsstatistik  verschmolz  frisches  Obst  mit  frischen  Feld- 
und  Gartengewächsen  in  eine  Position.  Erst  im  Jahre  1885  hat  eine  Trennung 
der  Position  stattgefunden,  immerhin  nur  so,  daß  das  Obst  noch  mit  frischen 
genießbaren  Beeren  (Weinbeeren  ausgeschlossen)  zusammengewürfelt  ist.  In  dieser 
Kombination  weist  die  Statistik  pro    1885 — 87  folgenden  Verkehr  auf: 

Einfuhr  : 

Ausfuhr : 

Die  auffallende  Thatsache,  daß  trotz  größerer  Mengenausfuhr  seitens  der 
Schweiz  der  Werth  der  Ausfahr  viel  geringer  ist  als  der  Werth  der  Einfuhr, 
erklärt  sich  dadurch,  daß  hauptsächlich  theures  Tafelobst  ein-  und  billiges  Mo8t> 


1885 

1886 

18H7 

Menge 

q 

62,445 

q         53,783 

q         60,671 

Werth 

Fr. 

2*497,800 

Fr.  4^034,000 

Fr.  4^550,325 

Menge 

q 

77,467 

q      258,623 

q         70,688 

Werth 

Fr. 

646,682 

Fr.  2'9 18,460 

Fr.    r046,828 

Obstbau 


—     540     — 


Obwalden 


ob«t  auftgeht.    Haapttheil  der  fanfiihr   aoB  Oeeterreieh,    Haapttheil   der  Ausfdlir 
nach  S&ddeatschlaDd. 

b.  Gedörrtes  Obst,  Aas  äbnlicbem  Grande  wie  beim  frischen  Obst  kann 
aach  hier  die  Ein-  and  Aasfahr  vor  1885  nicht  mitgetheilt  werden.  Seither 
(1885/7)  betrog  dieselbe  jährlich  darchschnittlich :  Einfuhr  31,747  q  im  Werthe 
von  1*833,000  Fr.,  großtentheils  aas  Oesterreich-Ungam ;  Ausfuhr  1991  q  im 
Werthe  von  108/XK)  Fr. 

Zahl  der  Obstbäame  in  verschiedenen  Kantonen. 


Apfel- 
biame 

bäam« 

n.  Zwetocben- 
bÄQine 

Kincb- 

KOM- 

binme 

Gajten- 
obatbÄuii« 

ZQrich  (1886|    .    . 

.    727,880 

564,574 

164,213 

106,353 

24,958 

8,232 

Obwalden  (1885)  .     . 

24.770 

34,715 

63,267 

14,619 

14,745 

6,598 

Mdwalden  (1886) . 

17,078 

41,515 

14,533 

11,937 

15,882 

295 

GlariLs  (1886)    .     . 

24.277 

15,220 

5,837 

7,814 

3,565 

13,786 

ScbafiTbausen  (1886)  . 

76,840 

35,520 

86,926 

36,213 

6,800 

8,145 

St.  Gallen     .     .     .     . 

551,000 

443,000 

12L000 

72,000 

38,000 

82,000 

Thur^u  (1884).    . 

488,089 

318,267 

118,728 

28,763 

14,992 

30,093 

In  folgenden  Kantonen  hat,  soweit  dem  eidg.  Landwirthschaflsdepartement  bekannt, 
nur  eine  Zählung  der  Apfelbäume  stattgefunden,  und  es  haben :  Aargau  531,594,  Basel- 
land 100,640,  Baselstadt  17,242,  Freiburg  152,970,  Luzern  372,876,  Schwvz  17,363,  Solo- 
thurn  257,942.  Waadt  (1886)  461,448,  Wallis  57,659,  Zug  95,334. 

Bt^treffeiid  den  Obstbau  s.  ferner  das  Kapitel   „Landwirthschaft*,  besonders 

Seite  295/y6  im  IL  Bd. 

Obstwein  (Most)  .*  Weil  einige  Grenzkantone,  besonders  Thnrgau,  viel  Most- 
obst an  das  Ausland  abgeben,  genügt  die  Obstweinproduktion  nicht  für  den 
Konsum  der  Bevölkerung,  sondern  es  werden  jährlich  netto  700 — 800  q  Most 
eingeführt  (Ausfuhr  nur  ca.  60  q). 

Obwalden  bildet  mit  Nidwaiden  den  Kanton  Unterwaiden.  Bnndesglied 
neit  1.  August  1291.  Ortsanwesende  Bevölkemng  am  1.  Dezember  1880 
15,356  Personen  -^  0,54  /o  der  gesamroten  schweizerischen  Bevölkerung. 
Flächeninhalt  474,8  km^  =  1,15  ®/o  des  gesammten  Flächeninhaltes  der  Schweiz. 
Nicht  in  Bezirke  eingetheilt.  7  Gremeinden.  7  Zivilstandskreise.  1  Nationalraths- 
Wahlkreis  (17.)  mit  einem  Mandat.  Gehört  zum  3.  eidg.  Assisenbezirk,  in  mili- 
tärischer Beziehung  zum  4.  Divisionskreis. 

Nach  dem  Größenverhältniß  unter  den  Hanptberufsgruppen  der  Kantone 
nimmt  Obwalden  folgende  Rangstufen  unter  den  Kantonen  ein :  Die  4.  hinsichtlich 
Urproduktion,  die  11.  hinsichtlich  öffentliche  Verwaltung,  Wissenschaft  und  Kunst, 
je  die  19.  hinsichtlich  Industrie,  Verkehr  und  persönliche  Dienstleistungen,  die 
24.   hinsichtlich  Handel. 

Die  Zahl  der  erwerbenden  Personen  betrug  im  Jahre  1880,  laut  eidg. 
BerufsRtatistik 


•/o  der 
gl.  Kategorie 
der  SchweiB 

0,7 

0,3 

0,3 

0,5 

0,2 

G857         100,0 
44,7  ^0  der  ganzen  Bevölkerung 
des  Kantons  oder  0,5  ®/o  aller  Erwerbsthätigen  der  Schweiz. 


Personen 

bei  d.  Urproduktion 4033 

r     ,    Industrie 2092 

.     „    Handel 294 

r    Verkehr 154 

r     r  öffentl.Verwaltg.,  Wissenschaft u  .Kunst  237 

r     r  persönlichen  Dienstleistungen     ...  47 


«/o  *U.  Beruf- 

treibendeD 

des  KantoDs 

58,8 
30,5 

4,3 

2,2 

3,5 

0,7 


Obwalden  —     641      —  Obwalden 

Die  Gesammtbevölkeruüg  (Erwerbende,  Angebörige,  Haasgesinde)  ist 
wie  folgt  an  den  Hauptberufsarten  betbeiligt: 

•/o  der  0,0  der 

Personen  Bevölke»         gl.  Kategorie 

rung  der  Schweiz 

an  Urproduktion 9043  58,9  0,8 

Industrie 3713  24,2  0,3 

Handel 659  4,2  0,3 

Verkebr 316  2,1  0,3 

öffentl.  Verwaltung,  Wissensi^haft  u.  Kunst  544  3,5  0,5 

persönlicben  Dienstleistungen      ....  74  0,5  0,2 

Beruflose  nebst  Angehörigen  etc 1007  6,6  0,6 

Totalbevölkerang  15356  100,0 

Handel,  Industrie,  Kleingewerbe. 

Folgende  Gruppirung  umfaßt  diejenigen  unter  diese  Rubrik  zählenden  Berufs- 
arten, welchen  im  Jahre  1880  Y2  ®/o  und  mehr  aller  erwerbsthätigen  Personen 
des  Kantons  oblagen  (laut  eidg.  Berufsstatistik) : 

„         .   ^  ®/ö  aller  °/o  der  nämlichen 

Erwerbnzweig  ttT^i  e*         Erwerbsthätigen     BerufBkHtegorie 

mal  g  ^^^  Kantons       d.  ganzen  Schweix 

Seidenindustrie 399  5,8  0,6 

Leinen-  und  Halbleinenindustrie       .     .  215  3,1  1,9 

Schneiderei 196  2,8  0,6 

Scbnbmacberei 159  2,3  0,5 

Gasthof-  und  Wirthschaftsgewerbe  .     .  154  2,2  0,5 

Handel,  eigentlicher 132  1,9  0,2 

Schreinerei  und  Glaserei 130  1,9  0,6 

Stroh-  und  Roßhaarflecbterei      ...  115  1,7  0,9 

Parqueterie 110  1,6  16,4 

Weißnäberei 96  1,4  0,4 

Wascberei  und  Glätterei 94  1,3  0,6 

Maurerei  und  Gypserei 62  0,9  0,3 

Zimmerei 59  0,8  0,3 

Bäckerei 37  0,5  0,3 

Küferei 36  0,5  0,7 

Dacbdeckerei 33  0,5  0,9 

Fabriken. 

Dem  Schweiz,  Fabrikgesetz  waren  Ende  Juni  1887  drei  Etablissements  mit 
82  Arbeitern  und  98  Pferdekräften  unterstellt.  Sämmtliche  Etablissements  sind 
Parqueterien ,  eine  liegt  in  Sarnen,  zwei  in  Alpnacb.  Eine  der  letzteren  ist  mit 
Säge  verbunden. 

Industriegeschichtliches  s.  Nidwaiden. 

Urproduktion. 

(Bericht  des  Herrn  Dr.  Ming  in  Sarnen.) 

Im  Jahre  1880  widmeten  sieb  der  Landwirthschaft  3977  Personen  (58  ®/o 
aller  Erwerbsthätigen),  der  Forstwirthschaft  52,  der  Fischerei  3,  der  Jagd  1, 
dem  Bergbau  Niemand. 

Obwalden  ist  vorwiegend  auf  Alpwirthschaft  und  Viehzucht  ange- 
wiesen. Die  Alpen,  205  an  der  Zahl,  ertragen  ca.  8000  „ Kuhschweren ",  von 
denen  aber  die  schlechtem  nie  vollständig  besetzt  werden.     149  Alpen   gehören 


Obwalden  —      542     —  Obwalden 

<len  Bürger-  und  Korporatious  Gemeinden;  56  sind  Eigenthum  von  Privaten.  Bis 
vor  wenigen  Jahren  wurde  für  Verbesserung  der  Alpen  nur  Unwesentliches  ge- 
leistet; immerhin  waren  die  Privatalpen  in  viel  besserem  Zustande  als  die  Kor- 
pora tions-  und  Gemeindealpen.  In  den  letzten  Jahren  hat  ihre  Pflege  bedeutenden 
Aufschwung  genommen.  Nach  der  Alpwirthschaft  richtet  sich  in  Obwalden  die 
ganze  übrige  Landwirthschaft.  Der  geschlossene  Grundbesitz  der  Bauern  ist  klein ; 
Grundstücke  von  20  Jucharten  bilden  eine  Seltenheit,  die  Durchschnittsgröße  mag 
5 — 6  Jucharten  betragen.  Nebst  den  Alpen  bilden  auch  die  Allmenden  der  Bürger- 
gemeinden gleichsam  eine  Zubehörde  der  Sondergüter.  Sie  werden,  soweit  die 
besseren  Strecken  den  Bürgern  nicht  als  Pflanzland  sur  Sonderung  ausgetheilt 
sind,  abgeweidet  und  ihr  Streueertrag  dient  als  „Auffuhr"  der  Sondergüter.  Der 
Alpzins  schwankt  zwischen  unbedeutenden  Vergütungen  und  Fr.  40 — 50  Alpsins 
per  Kuhschwere  bei  einer  Alpzeit  von  durchschnittlich  5  Monaten.  Da  nur  das 
Vieh,  welches  mit  innert  den  Marken  der  Gemeinde  gewachsenem  Heu  „ ge- 
wintert **  wurde,  Atzungsrecht  auf  den  Bürgeralpen  besitzt,  so  richten  sich  die 
Boden-  und  Futterpreise  im  Thale  sehr  nach  dem  Verhältnisse  zwischen  der  Aus- 
dehnung der  Thalgüter  und  der  Alpen  in  der  nämlichen  Gremeinde  und  das  Augen- 
merk der  meisten  Landwirthe  richtet  sich  vorzüglich  auf  Erzeugung  von  Dürr- 
futter. Man  findet  deßhalb  durchschnittlich  nur  in  dem  Maße  Stallfütterung,  als 
«ie  zur  Gewinnung  der  für  den  täglichen  Konsum  noth wendigen  Milch  erforder- 
lich ist.  Auf  den  Alpen  wird  durchgehends  Shrinzkäse  fabrizirt,  wovon  jährlich 
€a.  30,000  Laibe  im  Gesammtgewichte  von  .0000 — 6000  q  und  einem  Werthe 
von  ca.  Fr.  700,000  exportirt  werden.  Unbedeutend  sind  die  Einnahmen  für 
Milchzucker.  Butter  wird  nur  während  dem  Winter  exportirt.  Der  zu  dieser 
Zeit  bereitete  Magerkäse  deckt  einen  Theil  des  Landesbedarfes,  wofür  noch  ein 
großes  Quantum  importirt  wird.  Auch  der  als  alpwirthschaftliches  Nebenprodukt 
gewonnene  Zier/er  wird  im  Lande  konsuniirt.  Dem  Ertrage  des  Käseexport^s 
rlürfte  derjenige  des   Viehexportes  nicht  nachstehen. 

Da  die  Alpen  zur  Jungviehzncht  sich  vorzüglich  eignen  und  die  Kantons- 
und Gemeindebehörden,  in  letzter  Zeit  auch  durch  Bundeszuschüase  unterstützt, 
sich  Mühe  und  Opfer  kosten  ließen,  die  Viehzucht  zu  heben,  so  besitzt  Ob- 
walden einen  sehr  schönen  Schlag  mittelschwercn  Braunviehes.  Das  exportirte 
Jungvieh  geht  vorzüglich  nach  Italien.  In  beträchtlicher  Zahl  werden  auch 
ganz  schöne  Stücke  von  Luzerner-,  Aargauer-,  Zürcher-  und  rheindeutschen  Land- 
wirthen  angekauft.  Aeltere  Milchkühe  gehen  nach  Frankreich  und  Italien.  —  Die 
Sckweineeucht  ist  erheblich.  Es  werden  viel  junge  Schweine  nach  den  Kantonen 
Luzern,  Zürich  und  Aargau  verkauft.  —  Die  l^erdeeucht  war  in  Obwalden  von 
jeher  nicht  unbeträchtlich.  —  Die  Sf'hafzucht  ist  eher  zurückgegangen.  —  Die 
Zahl  der  Zier/en  hat  zugenommen.  Es  sind  aber  nicht  sowohl  die  Armen  als 
vielmehr  die  Bauern  des  Mittelstandes,  denen  diese  Vermehrung  zu  Gute  kommt. 
—  Die  Bienenzucht  beginnt  sich  zu  entwickeln.  Ein  von  der  Landesgemeinde 
im  Jahre  1886  erlassenes  Gesetz  sucht  diesen  Zweig  zu  heben  und  zu  schützen 
(Mehe  auch  das  Kapitel    „Viehstand  der  Schweiz**). 

Obwalden  besaß  im  Mittelalter  bedeutenden  Korn  bau.  Wohl  in  Folge  des 
mit  Erwerbung  der  italienischen  Vogteien  sich  vermehrenden  Käseexportes  nach 
Italien  gewann  von  da  an  der  Wiesenbau  mehr  die  Oberhand,  so  daß  die 
jetzige  Kornproduktion  bei  weitem  nicht  einmal  dem  Bedarfe  an  Kochmehl  ent- 
spricht. Es  wird  vorwiegend  Spelzkorn,  wenig  Weizen  und  Gerste,  fast  kein 
Hafer,  in  der  Thalsohle  aber  etwas  Mais  gebaut. 

Auch  die  K  a  r  t  o  f  f  e  1  p  r  o  d  u  k  t  i  o  n  ist  unzureichend.  Die  zu  weit  getriebene 


Ob  Waiden  —      543     —  Obwalden 

Parzellirung  des  Privatgrand besitzes  und  des  zum  Anbau  vertheilten  Gemeinde- 
landes, wodurcb  die  Anwendung  des  Pfluges  sebr  besobränkt  wird,  läßt  den 
Ackerbau  wenig  rentabel  erscheinen .  In  Folge  dessen  bleibt  viel  zum  Bepflanzen 
geeignetes  Gemeindeland  gänzlich  ertraglos.  In  Folge  des  geringen  Ackerbaues 
hat  die  Kunstwiese  sich  noch  keine  Geltung  verschafft;  man  begegnet  bloß  hie 
und  da  einer  Kleegrassaat.  Die  früher  als  Futterpflanze  ziemlich  beliebte  Espar- 
sette ist  beinahe  verschwunden.  In  einigen  Gemeinden  wird  eine  ansehnliche 
Menge   Wildheu  gesammelt. 

Sehr  bedeutend  sind  die  Einnahmen  aus  der  Forstwirthschaft,  obwohl 
sich  gemäß  Zählung  von  1880  nur  118  Personen  mit  derselben  berufsgemäß  be- 
schäftigen. Nebst  den  Summen,  für  welche  man  zu  Parquet  und  anderen  Bau- 
artikeln, Möbeln,  Küferwaaren  u.  dgl.  Holz  im  Lande  verarbeitet,  werden  jährlich 
große  Parthien  Nutz-  und  Brennholz  exportirt.  Wenn  trotz  diesen  Nutzungen 
die  Forstwirthschaft  sich  noch  nicht  vollständig  popularisirt  hat,  so  liegt  wohl 
der  Grund  darin,  daß  der  Holzvorrath  das  Landesbedürfniß  noch  bedeutend  über- 
wiegt und  die  wenigsten  Gemeinden  für  die  nächste  Zukunft  einen  wirklichen 
Holzmangel  zu  befürchten  haben.  Das  Gesammtwaldareal  des  Kantons  beträgt 
12' 195  ha,  wovon  906  ha  Privaten,  das  übrige  den  Bürgergemeinden  und  nur 
ganz  wenig  dem  Staate  zugehört. 

Die  Erträge  der  Jagd  und  der  Fischerei  sind  unbedeutend.  Obwohl  die 
Gewässer  der  Fischzucht  günstig  wären,  wurde  bis  jetzt  noch  wenig  hiefür  ge- 
than.  —  Sehr  bedeutend  idt  die  Obstbaumzucht.  Gemäß  Zählung  von  1885 
besitzt  der  Kanton  an  Uochsläramen  über  10  Jahre  :  Birnen  22,940,  Aepfel  14,765, 
Kirschen  10,554,  Nüsse  13,075  und  37,745  ältere  Zwetschgenbäume.  An  Nach- 
wuchs: Kernobst  unter  10  Jahren  21,780  Stämme  und  29,587  Steinobstbäume. 
Dazu  kommen  4277  jüngere  und  ältere  Zwerg  Kernobststämm eben.  Der  Birnen- 
ertrag wurde  im  Jahre  1882  (Mitteljahr)  auf  14,000  Säcke  oder  einen  Geldwerth 
von  ca.  Fr.  70,000  berechnet.  Es  wird  viel  grünes  und  gedörrtes  Obt,  beson- 
ders Nüsse,  exportirt.  Der  größte  Theil  des  Obstes  wird  im  Lande  verbraucht, 
gemostet,  gebrannt  und  gedörrt. 

Da  Obwalden  keinen  Weinbau  besitzt,  ist  der  Getränke-Import  ein  sehr 
bedeutender  —  nicht  zum  geringen  Theil  wegen  des  Fremdenverkehres 

Der  „Obwaldner  Bauernverein"  zählt  annähernd  400  Mitglieder.  Er 
hat  in  den  letzten  Jahren  durch  Wandervorträge  über  Milchwirthschaft,  Alpen- 
wirthschaft,  Düngerwesen,  Viehpflege,  Gemüsebau,  landwirthschaftliches  Kredit- 
wesen, sowie  durch  Spezialkurse  über  Viehzucht,  Milchwirthschaft,  Obst-  und 
Gemüsebau  Wesentliches  zur  Hebung  der  Landwirthschaft  beigetragen.  Er  hat 
auch  eine  Genossenschaft  zum  Bezüge  von  Dünger  und  Futtermitteln  gebildet. 

In  5  Gemeinden  bestehen  11  indviehversicherungsge Seilschaften 
auf  Gegenseitigkeit.  Die  jährlichen  Einzahlungen  betragen  ca.  1%  des  Werthes. 
Eine  kantonale  Seuchenkasse  ist  in  Entstehung  begriffen. 

Im  Jahre  1885  beschloß  die  Landesgemeinde  die  Gründung  einer  Kantonalbank, 
welche  vorzüglich  die  Unterstützung  der  Gültenamortisation  und  des  land- 
wirthschaftlichen  Meliorations-  und  Genossenschaftswesens  zum  Ziele  hat. 

Für  Straßenbau  und  Korrektion  von  Wildbächen  wurde  mit  Beihülfe 
von  Bundessubventionen  in  den  letzten  20  Jahren  viel  verwendet. 

Verkehr. 

Straßen. 
Die  Kantonsstraßen    sind    eingetheilt  in  Straßen  I.  und  II.  Klasse.     Länge 


Obwalden  —     544     —  Oekonomische  Gesellschaft 

der  erstem  33,5  km,  Breite  6,3  m,  Baukosten  Fr.  438,100.  Länge  der  Straßen 
II.  Klasse  78,9  km.  Breite  3,6—4,8  m,  Baukosten  ca.  Fr.  419,500.  Länge 
und  Kosten  der  Yicinalstraßen  unbekannt. 

Eisenbahnen. 

Obwalden  ist  durch  die  BrUnigbahn  mit  dem  Berner  Oberland  verbanden. 
Eröffnet  wurde  sie  am  14.  Juni  1888.  Die  bauliche  Länge  beträgt  zwischen 
Alpnachstad  (Obw.)  und  Brienz  44,709  m,  die  Betriebslänge  rund  45  km.  Spur- 
weite 1  m  (Schmalspur).  Theilweise  Zahnradbetrieb.  Die  Strecke  Alpnachstad- 
Luzern,  zur  Zeit  (Herbst  1888)  im  Bau  begriffen,  wird  eine  Länge  von  ca.  13,300  m 
haben.  Maximalsteignng  der  Ba)in  120  ^/oo.  Die  Bahn  wurde  im  Sommer  1888 
sehr  gut  frequentirt. 

Octroi  s.  Ohmgeld. 

Oeffentliche  Beamte  und  Angestellte.  Zahl  derselben  im  Jahre  1880 
laut  eidg.  Berufestatistik  6317  =  4,8  ®/o  aller  erwerbsthätigen  Personen. 

Oekonomische  Gesellschaft  des  Kantons  Bern.  (Mitgetheilt  von  Herrn 
Häni,  Mitglied  des  Schweiz.  Nationalrathes.)  Diese  älteste,  noch  lebende  landwirth- 
schaftliche  Gesellschaft  Europas  verdankt  ihren  Ursprung  einer  Anzahl  edelmüthiger 
Männer,  welche  um  die  Mitte  und  in  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts 
auf  den  Gebieten  der  Wissenschaft,  des  Staatswesens  und  der  Yolkswirthschaft 
in  hervorragender  Weise  thätig  waren.  Den  Anstoß  zur  Vereinigung  dieser  vor- 
züglichen Kräfte  gab  zunächst  Joh.  Rudolf  Tschiffeli,  ein  Kechtsgelehrter  und 
begeibterter  Landwirth,  indem  er  1758  im  Wochenblatt  der  Stadt  Bern  einen 
Aufruf  erließ,  in  welchem  er  alle  Patrioten  und  Freunde  der  Landwirthschaft 
aufforderte,  durch  Subskription  eine  Summe  Geldes  zusammenzubringen,  um  daraus 
die  beste  Lösung  einer  zu  stellenden  landwirthschaftlichen  Preisfrage  zu  belohnen. 
Rasch  war  eine  größere  Zahl  von  Unterschriften  beisammen  und  aus  ca.  sechzig 
Unterzeichneten  wählte  Tschifreli  sechs  Mitglieder  aus,  welche  am  3.  Februar  1759 
als  engere  Kommission  ihre  erste  Sitzung  hielten  und  damit  die  Thätigkeit  der 
Oekonomischen  Gesellschaft  erötfneten.  Neben  dem  Stifter  Tschiffeli  wirkten  in 
dieser  Kommission  Samuel  Engel,  berühmter  Geograph  und  Landwirth,  Gabriel 
Herbart,  Mitglied  der  Regierung  und  Direktor  des  Salzamtes,  Niki,  von  Dießbach, 
Rathsmitglied,  Sigm.  Fried.  König,  Franz  Ludw.  von  Tavel  und  Niki.  Em.  Tscharner, 
den  Pestalozzi  in  „Lienhard  und  Gertrud"  unter  dem  Namen  „Arner"  als  Vorbild 
eines  edeln  Staatsmannes  verewigte.  Mit  Beiziehung  noch  weiterer  vorzüglicher 
Kräfte  begann  nun  diese  Kommission  ohne  Verzug  ihre  Arbeit.  Die  Gesellschaft 
wurde  organisirt  und  bestand  aus  einem  engern  Ausschuß,  einem  weitem  Aus- 
schuß und  der  großen,  allgemeinen  Gesellschaft.  Sämmtliche  Mitglieder  mußten 
sich  über  einen  gewissen  Bildungsgrad  ausweisen  und  hatten  bedeutende  finanzielle 
Opfer  zu  leisten.  Preisfragen  über  land-  und  volkswirthschaftliche  Gegenstände 
wurden  ausgeschrieben  und  Prämien  ausgerichtet  für  hervorragende  Leistungen, 
wie  z.  B.  für  ausgeführte  Meliorationen,  für  Flachs-  und  Seidenbau,  für  Leistungen 
auf  dem  Gebiete  der  Gerberei,  des  Geräthe-  und  Maschinenbaues,  der  Literatur  etc. 
Lehrreiche  Abhandlungen,  welche  zum  Theil  ihrer  Gediegenheit  wegen  einen 
bleibenden  Werth  besitzen,  wurden  in  beiden  Landessprachen  gedruckt  und  ver- 
breitet. Zuerst  unter  dem  Titel  „Der  Schweiz.  Gesellschaft  in  Bern  Sammlung 
von  landw.  Dingen**,  später  als  „Abhandlungen  und  Beobachtungen**  erschienen 
über  25  größere  Bände,  die  Zengniß  ablegen  von  der  Arbeitskraft  und  Begeisterung, 
welche  die  Glieder  der  jungen  Gesellschaft  beseelten.  Aber  auch  an  denjenigen 
Gliedern,  welche  die  Lehren  in  die  Praxis  übertrugen,  fehlte  es  nicht,  denn  eine 


Oekonomische  Gesellschaft  —     545      —  Oekonomische  Gesellschaft 

aasehDÜche  Zahl  hochgestellter  Männern  in  verschiedenen  Landestheilen  beschäftigte 
sich  mit  Eifer  nnd  Liebe  in  der  auf  einmal  zur  Mode  gewordenen  Landwirthschaft. 

Es  konnte  nicht  fehlen:  durch  eine  solche  intensive  Thätigkeit  vieler  vor- 
züglicher Kräfte  mußte  die  neue,  einzig  dastehende  Gesellschaft  Aufsehen  erregen. 
Ihr  Ansehen  und  Euf  verbreiteten  sich  rasch  nicht  nur  über  die  Schweiz, 
sondern  über  ganz  Europa.  Berühmte  Staatsmänner  und  große  Gelehrte  rechneten 
es  sich  zur  Ehre  an,  einer  solchen  hochangesehenen  Gesellschaft  anzugehören. 
Wir  finden  anter  den  damaligen  Mitgliedern  und  Mitlei tem  unter  andern  aus 
dem  Inlande:  die  Gebrüder  Bertrand,  Albrecht  Stapfer,  der  die  erste  Preisfrage 
vorzüglich  löste,  Sigmund  Grüner,  den  Arzt  Zimmermann  aus  Brugg,  Joh.  Er. 
Herrenschwand  von  Greng  bei  Murten,  Hans  Kaspar  Hirzel  von  Zürich,  den 
großen  Albrecht  Haller,  den  Eathsschreiber  Isaak  Iseli  und  den  Mathematiker 
Bemoulli  von  Basel,  Prof.  Fellenberg,  den  Vater  des  Gründers  von  Hofwyl, 
Nicol.  de  Saussure,  Kathsherr  Micheli  Ducret  aus  Genf  u.  s.  w.,  und  aus  dem 
Auslande:  Linne,  von  Upsala,  Mirabeau,  Elie  de  Beaumont,  Voltaire,  den  Mark- 
grafen von  Baden,  den  Herzog  von  Württemberg,  den  Grafen  von  Zinzendorf,  den 
Minister  Münchhausen,  den  Grafen  von  Dohna,  Arthur  Young,  den  berühmten 
Italiener  Filanghieri,  den  großen  Naturforscher  Graf  von  Buffaro  u.  a.  m. 

Diese  Zeit  der  höchsten  Blüthe  der  Oekonomischen  Gesellschaft  dauerte  aber 
nicht  lange.  Schon  Ende  der  70er  Jahre  wurden  Stimmen  laut,  welche  über 
Abnahme  der  Thätigkeit  und  Erlahmung  des  Eifers  sich  beklagten.  Die  Heraus- 
gabe gemeinnütziger  Werke  wurde  zwar  noch  bis  1798  fortgesetzt,  aber  sowohl 
der  Verlust  der  mit  Feuereifer  beseelten  Stifter,  die  durch  Tod  abgingen,  wie 
die  allgemeinen  ungünstigen  und  stürmischen  Zeitverhältnisse  bewirkten,  daß  eine 
Zeit  der  Ruhe  und  des  Stillstandes  eintrat,  Avährend  welcher  nur  vereinzelte 
Leistungen  vom  Leben  der  Gesellschaft  Zeugniß  ablegten.  Wegen  Mangel  an 
sog.  ^land verständigen"  Mitgliedern  beschäftigte  man  sich  mehr  mit  Kunst  und 
Industrie  und  die  Landwirthschaft  trat  mehr  in  den  Hintergrund.  Von  1804  bis 
1807  wurde  eine  Knust-  und  Industrieausstellung  in  Bern  angeordnet,  und  man 
betheiligte  sich  auch  an  der  trigonometrischen  Vermessung  des  Kantons  durch 
Prof.  Tralles.  Von  1814  bis  1822  schweigt  die  Geschichte  und  es  scheint, 
die  einzige  Thätigkeit  der  Oekonomischen  Gesellschaft  habe  darin  bestanden,  das 
Archiv  und  die  Fonds  der  Gesellschaft  zu  hüten  und  zu  verwalten,  was  durch 
Sigmund  Wagner  und  Notar  Bitzius  auch  gewissenhaft  geschehen  ist. 

Eine  Periode  neuer  Thätigkeit  und  Anstrengung  beginnt  mit  dem  Jahre  1822, 
und  man  kann  sagen,  von  diesem  Zeitpunkte  an  macht  sich  das  Bestreben  immer 
mehr  geltend,  die  Landwirthschaft  als  Hauptarbeitsfeld  zu  betrachten  und  die 
Kräfte  auf  dieses  Gebiet  zu  konzentriren.  In  der  Umgebung  von  Bern  wurden 
mehrere  —  wohl  die  ersten  —  Ptlugproben  abgehalten;  unter  der  Leitung  des 
Försters  Kasthofer  führte  man  im  Oberlande  die  tibetanische  Ziege  ein  und  im 
Jahre  1825  wurde  eine  schweizerische  Hagclversicherungsgesellschaft  in's  Leben 
gerufen,  die  einige  Jahre  später  wieder  einging.  Große  Opfer  brachte  man  für 
die  Einführung  der  Parniesankäsefabrikation  und  der  Seidenzucht;  man  bemühte 
sich  auch  um  die  Auffindung  von  Steinkohlen  und  um  die  Verwerthung  der 
Dachschiefer  im  Oberamt  Frutigen.  Besonders  erwähnt  zu  werden  verdient  die 
Gründung  der  schweizerischen  Gesellschaft  zu  gegenseitiger  Versicherung  des 
Mobiliarvermögens  gegen  Brandschaden,  den  25.  Februar  182G,  die  als  große 
Wohlthat  begrüßt  wurde,  rasch  sich  ausdehnte  und  heute  zu  unsern  wichtigsten 
und  wohlthätigsten  Instituten  gehört.  Daß  man  sich  zu  dieser  Zeit  mit  Verständniß 
und  Fachkenntniß  der  Landwirthschaft  annahm,   mögen  die  im  Jahre  18*21  aus- 

Fnrrer,  VülkBWirth»chafts-L«'xikoii  der  Schweiz.  ^^ 


( )ekonomische  Gesellschaft  —     546      —  Oekonomische  Gesellschaft 

geschriebenen  zwei  Preisfragen  beweisen.  Sie  lauteten:  1)  „In  welchem  Yerhältniß 
stehen  die  Ausdehnung  und  der  Ertrag  des  Waldes  gegen  diejenigen  des  andern 
Landes  in  den  verschiedenen  Theilen  des  Kantons  und  inwiefern  ist  die  Menge 
von  Waldungen,  ihre  Benutzung  und  Kultur  gegen  anderes  Land  zu  begünstigen 
oder  nicht;  nach  welchen  Grundsätzen  rUcksichtlich  der  Staats-,  Gemeinde-  und 
l*artikular Waldungen?**  2)  „Wie  könnte  die  Fütterung  der  Ziegen,  statt  der  an 
einigen  Orten  so  schädlichen  Weide  in  Waldungen,  Privatgütern  und  Alpen,  auf 
eine  der  Kultur  weniger  nachtheilige  Weise,  sei  es  im  Freien  oder  in  Ställen, 
geschehen?"  —  Aber  auch  diese  Periode  eifrigen  Schaffens  dauerte  nicht  lange, 
der  Eifer  erkaltete  nur  zu  bald  und  viele  Aufgaben  blieben  ungelöst.  Die  Stürme 
der  Julirevolution  1830  brachten  wieder  einen  Stillstand,  der  bis  zum  Jahre 
1838  dauerte. 

Vom  letztem  Jahre  an  datirt  für  die  Oekonomische  Gesellschaft  eine  neue 
Epoche.  Von  sämmtliclien  Mitgliedern  des  Großen  Käthes  von  Bern  wurde  eine 
schriftliehe  Aufforderuug  au  dieselbe  gerichtet  und  in  diesem  Gesuch  eine  Statuten- 
revision gewünscht.  Die  vt^ränderten  politischen  Yerhältnisse  verlangten  auch  eine 
Neugestaltung  der  Ookonomischen  Gesellschaft  und  diese  Neukonstituiruiig  fand 
wirklich  auch  nach  einiger  Weigerung  statt.  Aus  einer  gelehrten  und  geschlossenen 
Gesellschaft  wurde  eine  freie  und  volksthüniliche  geschaffen,  die  ihr  Hauptaugen- 
merk auf  div  praktische  Landwirt hschaft  richtete  und  ihre  Basis  im  Volke  suchte. 
Noch  mehr  konzentrirte  man  die  Thätigkeit  auf  rein  landwirthschaftliche  Gegen- 
stände, suchte  daher  Anknüpfungspunkte  mit  der  Bauernsame  und  kultivirte  vor- 
herrschend das  Feld  der  Praxis.  Entfernt  liegende  Arbeitsgebiete,  wie  Kunst, 
Lidustrie,  Gewerbswesen  etc.,  überließ  man  andern  Vereinen.  Besonderes  Gewicht 
legte  man  auf  Verbesserung  der  Ackergeräthe  und  es  wurden  zu  dem  Zwecke 
größere  Pthigproben  abgehalten,  so  in  Kirohberg  (1846),  Münsingen  (1847), 
Kr»niz  (l^<48)  und  Seedorf  (184'.)).  Auch  <ler  neuen  Drainirmethode  wendete  man 
große  Allfnlerk^*amkeit  zu,  ließ  einen  eigenen  Drainirmeister  heranbilden  und 
maelite  auf  der  Hiitti  ilie  ersten  Drainanlagen  in  der  Schweiz.  Nicht  minder 
wur<le  das  Ausstelluugswest»u  kultivirt  nu«l  die  großen  Ausstellungen  in  den 
Jahren  1847,  18ö3  und  18.')7  in  Bern  haben  viel  zur  Förderung  der  gesammten 
Landwirthschaft  beigetragiMi.  Einen  groß'^n  Erfolg  erzielte  die  Oekonomische  Ge- 
sellschaft durch  die  Gründung  der  landwirthsehaftliehen  Schule  auf  der  Bütti, 
deren  Eröffnung  IS^U)  mit  der  hundertjährigen  Bestamlesfeier  der  Gesellschaft 
verbunden   wurde. 

Trotz  der  neuen  Organisation  und  der  regen  Thätigkeit  fand  die  Gesellschaft 
tluoh  nur  sehr  langsame  Verbreitung  und  der  eij:entliehe  Bauernstand  hielt  sich 
ihr  gegenüber  längen*  Zeit  ziemlich  passiv.  Im  Jahre  184(J,  als  ein  eigenes 
Vereinsorgan  gi'irrUndrt  wurzle,  zählte  der  Verein  bloß  48  Mitglieder  und  auch  in 
dt*n  folgenden  Jahren  nahm  die  Mitgliedevzahl  nicht  in  der  Weise  zu,  wie  es  von 
i-iner  Gesellschaft,  dir  ihre  Schwerkraft  ins  Volk  verlegte,  erwartet  werden  konnte. 
lUihor  s«^hen  wir  vom  Jahre  18<il  an  das  Bestreben  sieh  geltend  machen,  im 
ganz^'u  K;tnton  herum  Zwrigvrreine  zu  gründen  und  durch  Hauptversammlungen 
in  drn  ver>ehie«leni-n  Landesire«::enden  eine  v<dksthümlichere  Wirksamkeit  zu  ent- 
falten.  l)a«lureh  irewann  die  Arbeit  der  (7est'll>chaft  auch  immer  mehr  eine 
j>raktisehere  Kichtung.  Wir  seilen  demiremäß  aueh  diejenigen  Gebiete  vurzüglieh 
bearbeit»*t,  di«'  in  Wirklichkeit  zt'itgemäß  waren  und  den  besten  Erfolg  versprachen, 
si»  di«'  Vii'hzueht  und  Milehwirthschaft,  den  ()h>tbau  und  die  Mostbereitung,  Ver- 
h  '>M'rung  Lnidwirthschaülieher  Geräthe  und  Maschinen,  ilen  Pflanzenbau  und  das 
DiiniTtTwesen    ete. 


OekoDomische  Gesellschaft  —      547      —  Oesterreich 

Da  auch  alle  diese  lobenswerthen  Bemühungen  nicht  ausreichten,  so  recht 
in  alle  Schichten  des  Volkes  einzudringen  und  einen  durchschlagenden  Erfolg  zu 
erzielen,  so  wurden  diejenigen  Stimmen  immer  zahlreicher  und  lauter,  welche 
eine  neue  Statutenrevision  verlangten.  Man  wünschte  eine  den  neuen  Zeitverhält- 
nissen angepaßte  Vereinsorganisation  auf  demokratischer  Grundlage.  Nach  längerer 
und  mühsamer  Arbeit  wurde  diese  Reorganisation  im  Jahre  1880  auch  vollzogen 
und  damit  der  gegenwärtig  größte  Kantonal  verband  landwirthschaftlicher  Vereine 
in  der  Schweiz  geschaffen,  dessen  Organe  über  alle  Theile  des  Kantons  sich  aus- 
breiten. Die  Oekonomiöche  Gesellschaft  zählt  gegenwärtig  mit  ihren  25  Zweig- 
vereinen über  2500  Mitglieder  und  ihr  Organ,  die  „Bernischen  Blätter  für  Land- 
wirthschaft"*,  wird  in  einer  Auflage  von  1600  Exemplaren  gedruckt.  Durch  diese 
Neugestaltung  des  Vereinsverbandes  ist  es  jedem  Bürger  möglich  gemacht,  als 
Glied  demselben  sich  anzuschließen,  und  dem  Grundsatze:  „die  Lokalvereine  vor 
allen  sind  die  Träger  des  landwirthschdftlichen  Fortschrittes",  treu,  sucht  man  durch 
die  kleinen  und  kleinsten  Vereine  bis  in  die  entlegensten  Orte  zu  wirken  und  dabei 
namentlich  auch  dem  zahlreichen  Kleinbauernstand  gebührend  Rechnung  zu  tragen. 

Oele  theilen  sich  in  fette  und  ätherische.  Fette  Oele,  namentlich  Olivenöl, 
Rüböl,  Leinöl  und  viele  andere  werden  in  der  Schweiz  nicht  aus  den  Natur- 
produkten hergestellt,  sondern  in  sehr  großen  Mengen  importirt;  zum  Theil  werden 
sie  durch  Rafftnirung  veredelt  und  als  Speiseöl,  zur  Beleuchtung,  zum  Schmieren 
u.  dgl.  verwendet;  zum  Theil  dienen  sie  als  Ausgangsmaterialien  für  andere 
Industrien,  nämlich  für  die  Fabrikation  von  Seifen,  Firnissen,  Lacken,  Schmier- 
fetten u.  dgl.   mehr. 

OelmttUerci  und  Oel presserei.  Mit  diesem  Erwerbszweig  befaßten 
sich  im  Jahre  1«80  188  Personen:  Bern  96,  Waadt  16,  Solothurn  12,  Zürich 
12,  Freiburg  10.  Birkhiinser's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  enthält  die  Adressen 
von   106    Oelfabrikanten.     1   Oelraftinerie    in  Außersihl  unter  dem    Fabrikgesetz. 

Oelpflauzeii  werden  in  der  Schweiz  wegen  der  Einfühlung  des  Petroleums, 
des  Leuchtgases  etc.,  seit  15 — 20  Jahren  fast  gar  nicht  mehr  angebaut. 

Oerlikon-Bülach  s.  Nordostbahn. 

Oosterreich-Üngarn.  Dieser  Staat  hat  für  die  schweizerische  Volks- 
wirthschaft  nicht  diejenige  Bedeutung,  die  derselbe  vermöge  seiner  Nahe,  seines 
großen  territorialen  Umfanges  und  seiner  Bevölkerungszahl  haben  könnte.  Zwar 
nimmt  er  in  der  Schweiz.  Waaren Verkehrsstatistik  hinsichtlich  Höhe  des  Waaren- 
umsatzes  den  fünften  Rang  ein  (nach  Deutschland,  Frankreich,  Italien  und  Groß- 
britannien), allein  in  Wirklichkeit  kommen  ihm  die  Vereinigten  Staaten  zuvor, 
denn  ein  großer  Theil  der  Güter,  welche  in  der  Statistik  auf  das  Konto  von 
Oesterreich-Üngarn  gesetzt  sind,  haben  eine  andere  Bestimmung  oder  Herkunft 
(insbesondere  die  unteren  Donauländer  und  die  Balkanstaaten). 

Die  schweizerische  Waarenverkehrsstatistik  vom  Jahre  1887  verzeichnet  in 
der  Rubrik  „Spezialhandel**  einen  Waarenumsatz  mit  Oesterreich-Ungarn  im 
Werthbetrage  von  Fr.  126\')57,;5o5  (Einfuhr  Fr.  88'388,798  ,  Ausfuhr 
Fr.  8' 168,507),  oder  8,3ü  ^/o  des  gesammten  auswärtigen  Spezialhandels  der 
Schweiz  (10,56  ^/u  der  Einfuhr,  5,69  ^/o  der  Ausfuhr).  Im  Jahre  1885  betrugen 
die  entsprechenden  Summen:  Fr.  103'362,00O  Totalumsatz,  Fr.  65^606,000 
Einfuhr,  Fr.  37'756,000  Ausfuhr;  im  Jahre  1886:  127^605,000  Totalumsatz, 
Fr.  91^775,000  Einfuhr,  Fr.  35^830,000  Ausfuhr.  Ueber  die  früheren  Jahre 
sind  Werthangaben    unmöglich. 

Die  wichtigsten  Posten  der  Schweiz.  Ausfuhr  nach  Oesterreich-Ungarn 
waren  in  den  Jahren   1887   und    1886: 


1667  1886  1667 

Ulireii  nnd  Dhrentbeile 9'447,938  9061,191  11,0 

Baumwollgewebo 3'536,00O  3'918,94'?        7,3 

BaamwDllgarne 3'104,600  3'169,663  16.3 

Seidengewebe  (Ganzeeide) 2'016,515  2'394,060        3,2 

Mawchinen  und  -Theile 2*835,763  2'289,521  14,* 

RohecideiiKwirii 1'985,362  2'051,971        6,7 

Käse 2'085,471  1'672,146        5,0 

Kammgarne 1'912,785  1'161,245  24,3 

Floretwidenzwirn 1'229,618  874,672        4,0 

Baumwollene  Stickereien 829,804  799,616        1,0 

Chocolade 278.063  420,664  15,3 

Seiden-'  atid  HalbseidcDMnder     ....  598,568  371,908        1,6 

Seidenbeuteltiicii             485,125  ?  11,7 

Steinkohlentheerfarben 378,526  352,280        5,4 

Rindvieh  (Nutzvieh) 526,036  319,211        7,7 

Güia-n..SiiberBelimiBdwaaren,Bijouterie,ächt  239,828  284,097        5,8 

HSute  und  Felle,  nngegerbt 352.943  281,955        5,7 

ElMtische  Gewebe 182,535  263,831        8,2 

Str„hy,-lK-<-litr 205,588  202,577        7,1 

Hulbseid^iigewtbc 127,457  94,000        1,0 

Mercerie 148,753  123,044  18,4 

Die  wichtigateo  Posten  der  aobweizeriacben  Einfuhr  aus  Oesteireich-Ungani 
waren : 

Weizen 25*236,939  31'478,236  41,5 

Rindvieh  (Schlachtvieh) 8*273,000  11'015,500  37,4 

Weiu  in  FäsBem ö'455,415  6'224,415  23,5 

Malz 5'241,780  4'558,947  94,0 

Mehl 4,276,450  4,017,000  48,1 

Eindvieh  (Nutzvieh) 3"080,000  3"7.i2,700  28,4 

Stampftucker 3748,710  2'926,920  53,0 

Hafer 3.867,622  2'448,032  62,3 

Eier 2,682,360  2'3y  1,360  59,4 

Gerste 1'755,292  1'492,155  53,4 

Weingeist,  Alkohol,  Branntwein  in  Fässern  ri85,185  1'433,664  19,7 

Obst,  genießbare  Beeren,  friHch    .      .      .  2'517,375  r482,525  55,0 

Obet,  gedörrt  oder  getrocknet      .      .  1,525,425  1'280,435  72,0 

Mftis 489.024  912,679  11,1 

Bretter,  weich  hölzerne 789,022  757,991  40,5 

Schweine l'269.32ü  734,930  20,5 

Mercerie 4 14,800  524,640       4,7 

Schafe  und  Ziegen 542,160  519,930  26,0 

Weingeist,  Sprit  etc.,  denatiirirt .      .      .  509,35(j  173,000  50,0 

Butter 5H5.125  490,920  33,5 

GraH-  nnd  Klee»aat 408,;i30  337,500  26,0 

Felle,  ungegerbte 23«.9.')0  312,000  21,0 

Schuhwaaren,  feine,  lederne    ....  459.900  310,800  10,6 

Hand=.chahe,  lederne      ......  156,000  168,000  13,3 


Oesterreich                                         —     549     —  Oesterreich 

Oesterreich-Üngarn  ist  Schatzzollstaat  and  ihm  ist  es  wesentlich  zazaschreiben, 

daß  das  gegenwärtige  Jahrzehnt  so  reich  an  Zollerhöhangen  in  Europa  ist.     Es 

gestaltete   seine  2^11e,   soweit   es   die   im  schweizerisch-österreichischen  Verkehr 

wichtigeren   schweizerischen  Aasfahrartikel  betrifiPt,   in  den  Jahren  1878,  1882 

und  1887  folgendermaßen:  ^^3        ^332  ^^^ 

kg.  fl.                 fl.  fl 

Für  Käse ») 100  9               10  20 

,     Ghocolade 35              50  60 

,     Baumwollgame 

a.  einfach  roh ,  6—12        6—16  6—16 

ft.  doublirt  roh «  6-12        6—16  8—18 

c.  gebleicht  oder  gefärbt ,  10—16      10--24  12—24 

d.  für  den  Detailverkauf  hergerichtet  .    .       ,  20             30  35 
,     Baumwollgewebe 

a.  gemeine  glatte ,  32—60     32—60  34-70 

b.  ,        gemusterte ,  40—70     40—70  45—80 

c.  ,        dichte ,  50—80     50—80  55—90 

d.  feine  (aus  Garn  Nr.  50— 100)     .     .     .       ,  60-90    70—100  80-120 

e.  feinste  (aus  Garn  über  Nr.  100) ..     .       ,  150            160  160 

gestickte  Webewaaren ,  150            200  300 

Seidenwaaren,  gestickt  oder  mit  Metallfäden  .     .       ^  300            400  500 

Seidengewebe  (GanzseideJ,  glatte  *) „  300            400  500 

,     Halbs.  Sammet  und  Sammetbänder ,  150            200  400 

„     andere  Halbseidewaaren ^  200            200  250 

,     Kammgame ,  8               8  12 

,     Maschinen „  2—8        3-20  3—30 

,     Taschenuhren  ') 

mit  goldenen  oder  vergoldeten  Gehäusen      ,  200  p.  StL     1  1 

j,    silbernen  oder  versilberten         ^              ,  200     „    0.50  0.50 

„    anderen  Gehäusen 200     ,     0.30  0.50 

Taschenuhrgehäuse  *) 

goldene  oder  vergoldete ,  200     ,     0.70  0.70 

silberne  oder  versilberte 200     ,     0.20  0.20 

Bijouterie ,  200           300  300 

,     Strohbänder  (bandartige  Strohgeflechte)  .     .    .    .       ^  2             15  15 


» 


1« 


Verträge. 

Die  mit  Oesterreich- Ungarn  seit  1848  abgeschlossenen  und  noch  in  Kraft 
befindlichen  Verträge  sind: 

Armenrechisvertrag  vom  8.  Januar  1884  (A.  S.  n.  F.  7,  491). 

Auslieferumfsverirag  vom  17.  Juli  1855  (A.  S.  5,   188). 

Vertrag  vom  16.  März  1880  betreffend  die  Beurkundung  von  Gehurts- 
und Sterbefällen  auf  dem  Bodensee  (A.  S.  n.  F.  5,  25). 

Verträge  betreffend  die  Anschlüsse  von  Eisenhahnen :  a.  der  Bodenseegürtel- 
bahn, 5.  August  1865  (A.  S.  8,  664),  b.  Lindau-St.  Margrethen  und  Feldkirch- 
Buchs,  27.  August  1870  (A.  S.   10,  380),  c.   Vorarlbergbahn. 

Genferkonvention,  welcher  Oesterreich  Ungarn  am  21.  Juli  1866  beigetreten 
ist  (A.  S.  8,  819). 

Gremregulirungsverträge  vom  14.  Juli  1868  (A.  S.  9,  570)  und  vom 
13./14.  September   1859  (A.  S.  n.  F.  6,   508/9). 

Handelsvertrag  vom   14.  Juli  1868  (A.  S.  9,   576). 

Metervertrag  vom  20.  Mai  1875  (A.  S.  n.  F.  2,  Seite  3). 

1)  Bis  Ende  1887  galt  fQr  den  Kftse  der  österreichisch  -  italienitche  VertragszoU  von  fl.  4.  40. 

2)  Durch  den  österreichisch-italieniBchen  Handelsvertrag  zu  200  fl.  gebunden. 

3)  Das  durchschnittliche  Gewicht  einer  Taschenuhr  wird  su  100  Gramm  angenommen,  somit  wurde 
1882/7  der  Zoll  per  100  kg.  auf  300—1000  fl.  erhöht. 

4)  Das  durchschnittliche  Gewicht   eines  Gehäuses    wird   zu  42  Gramm    angenommen,   somit  wurde 
1882/7  der  ZoU  per  100  kg.  auf  476—1667  fl.  erhöht. 


Oesterreich  —     550     —  Ofenfabrikation 

Vertrag  vom  26.  Mai  1857  betreffend  die  Erledigang  des  Neuenburf/er- 
konflikies  (A.  S.  5,  546). 

Niederlassunf/s vertraf/  vom  7.  Dezember  1875  (A.  S.  n.  F.  2,  147). 

Fhylloteraoerlrofj  vom  3.  November  1881  (A.  S.  n.  F.   6,  228). 

Postverträge :  a.  Allgemeiner  Weltpostvertrag  vom  1.  Juni  1878  (A.  S. 
n.  F.  3,  673);  6.  Geldanweisungsvertrag  vom  1.  Juni  1878  (A.  S.  n.  F.  3, 
728);  c.  Fabrpoötverkebr-Uebereinknnft  vom  2.  Februar  1879  (A.  S.  n.  F.  4, 
17);  d.  üebereinkunft  vom  4.  Juni  1878  betreffend  deklarirte  Werthbriefe 
(A.  S.  n.  F.  3,  711);  e.  Üebereinkunft  vom  3  November  1880  betreffend  Post- 
stücke ohne  Werthangabe  (A.S.n.  F.   5,881). 

Vertrag  vom   19.  September  1871    betreffend    die  Rheinkorrektion  (A.  S. 

10,  548). 

Vertrag  vom  22.  September  1867  betreffend  die  Bodenseeschifffakrt 
(A.  S.  9,  240). 

Erklärung  vom  16.  April  1856  betreffend  das  europäische  Seere'M 
(A.  S.   6,  348). 

Vertrag  vom  29.  November/11.  Dezember  1868  betreffend  die  Nichtan- 
wendung von  Sprenfftjefichossen  im  Kriege  (A.  S.  9,   597). 

Ttlef/rapheriverträf/e  vom   10./22.  Juli  1875   (A.  S.  n.  F.  2,  296),    vom 

11.  Juli   1875  (A.  S.  n.  F.   1,  850),  vom  22.  Juli   1879  (A.  S.  n.  F.  4,  377) 
und  vom   17.  September  1885  (A.  8.  n.  F.  8,  492). 

Viehseuchenkonvention  vom  31.  März   1883  (A.  S.  n.  F.  8,   142). 

Vertrag  vom  31.  August  1857  betreffend  den  Was  s  er  ab  flu /S  des  Boden- 
see's  (A.  S.  6,  25). 

Üebereinkunft  vom  2.  August  1872  betreffend  den  ZoUdienst  in  Buchs 
und  St.  Margrethen  (A.  S.   10,  1055). 

Fabrik-  und  Handelsmarkenkonvention  vom  22.  Juni  1885  (A.  S.  n.  F. 
9,   29). 

Vertrag  vom  23.  Juni  1886  betreffend  die  an  der  Grenze  domizilirten 
Medizinal  per  so  neu  (A.  S.  n.  F.   9,  219). 

Oesterreichisehe  Staatsbahnen,  Die  im  Jahre  1872  eröffneten  Bahn- 
strecken ßuohs-schweiz.  Grenze  (1066  m)  und  St.  Margrethen-schweiz.  Grenze 
(1298  m),  welche  einen  Bestandtheil  der  Vorarlberger  Bahn  (s.  diese)  ausmachten, 
sind  am  1.  Januar  1886  den  K.  K.  Oesterr.  Staat>»bahnen  einverleibt  worden. 
Der  Betrieb  der  Vorarlbergerbahn  wurde  bereits  am  1.  Juli  1882  durch  die 
K.  K.  Oesterr.  Staatsbahnverwaltuiig  übernommen,  jedoch  bis  Ende  1885  noch 
für  Rechnung  der  alten  Bahngesellschaft  besorgt. 

Ofenberg-Strasse,  zum  graubündneri>ichen  Straßennetz  gehörend,  verbindet 
das  Engadin  mit  dem  Münsterthal  und  Tyrol;  führt  von  Zernetz  (Unterengadin), 
von  der  Unterengadinerstrtiße  abzweigend,  über  den  Ofenberg  (Paßhöhe  2148  m 
ü.  M.)  nach  St.  Maria  und  Münster  bis  an  die  Tyrolergrenze.  Die  Straße  wurde 
in  den  Jahren  1871  und  1872  erbaut.  Ihre  Länge  beträgt  40,8  km  und  die 
Fahrbahnbreite  3,6 — 4,2  m.  An  den  Kostenaufwand  von  Fr.  402,300  leistete 
der  Bund  einen  Beitrag  von  Fr.  181,100.  Bundesbeschluß  vom  26.  Juli  1861 
(A.  S.  Bd.  VII,  pag.   70). 

Ofenfabrikation  und  andere  Heizeinrichtungsfabrikation.  Diesen  Erwerbs- 
zweigen widmeten  sich  im  Jahre  1880  539  Personen,  wovon  in  Genf  88,  Waadt 
82,  Baselstadt  71,  Zürich  67,  Tessin  65,  Neuenburg  38,  Luzern  21.  —  Dem 
Schweiz.  Fabrikgesetz  waren  Ende  Juni  1887  4  Kachelofenfabriken  mit  102  Ar- 
beitern unterstellt  (1  Aarau,  1  Nidau,   1   Riesbach,   1   Wiedikon). 


Ofensteine  —     551      —  Ohmgeld 

Ofensteine.  Solche  finden  sich :  im  Kt.  GraubUnden  bei  Disentis,  Perdatsoh, 
Pontresina,  Sedrun  und  Surrhein;  im  Kt.  Uri  bei  Andermatt,  Bristen,  Hospen- 
thal und  Zum  Dorf;  im  Kt.  Wallis  bei  Bonatchesse,  Mühlebach,  Oberwald,  Ried, 
Roßwald,  Stalden,   Ulrichen,  Val  d'Anniviers,  Val  d'Herens  und  Visp. 

Ohmgeld  und  Octroi.  (Mitgetheilt  von  Herrn  Cuttat,  Sekretär  der 
eidg.  Alkoholverwaltung.)  Unter  dem  allgemeinen  Namen  Ohmgeld  begreifen 
wir  hier,  obschon  dieser  Ausdruck  in  den  Kantonen  Aargau  und  Baselstadt  eine 
abweichende  Bedeutung  hat,  die  Konsumsteuer  oder  vielmehr  den  Eingangszoll, 
welchen  die  Mehrzahl  der  Kantone  bis  zum  1.  September  1887  aut  der  Einfuhr 
von  geistigen  Getränken  erhob.  Das  Ociroi  ist  eine  Verbrauchssteuer,  die  von 
einzelnen  Städten  nicht  bloß  auf  Getränken,  sondern  auch  auf  anderen  Konsura- 
gegenständen,  und  zwar  ebenfalls  beim  Eintritt  in  das  Weichbild  der  Stadt, 
bezogen  wird. 

Der  Ursprung  des  Ohmgeldes,  früher  „Umgelf*  geheißen,  reicht  bis  in's 
Mittelalter  zurück.  In  Bern  z.  B.  wurde  es  seit  Gründung  der  Stadt  bezogen 
und  das  Recht  zu  diesem  Bezüge  durch  die  Handfeste  des  Kaisers  Friedrich  von 
Hohenstaufen  ertheilt.  Im  15.  und  16.  Jahrhundert  waren  eine  Menge  kleiner 
Städte,  wie  Zofingen,  Büren,  Nidau,  Aarberg,  Burgdorf,  Yverdou,  Moudon,  Morges, 
Nyon  etc.,  ohrageldberechtigt.  Zur  Zeit  der  Helvetik  aufgehoben,  kam  die  Steuer 
bald  wieder  zu  Ehren,  und  im  Jahre  1809  wurde  die  Ohmgeldgerechtsame  der 
Stadt  Bern  von  der  Berner  Regierung  um  Fr.  470,000  erworben. 

Im  Jahre  1830  machten  sich  im  Schöße  der  Tagsutzung  Tendenzen  zur 
Aufhebung  des  Ohmgeldes  geltend;  aber  diese  Tendenzen  konnten  nicht  einmal 
1848  durchdringen,  wo  die  neue  Bundesverfassung  dasselbe  wieder  sanktiouirte, 
dabei  allerdings  untersagend,  es  zu  erhöhen  oder  neu  einzuführen. 

Die  Verfassungsrevision  von  1H72  hob  endlich  das  Ohmgeld  prinzipiell  auf, 
und  nach  der  ablehnenden  Volksabstimmung  von  1872  wurde  die  Aufhebung 
durch  die  neue  Bundesverfassung  von  1874  bestätigt;  immerhin  wurde  der  Fort- 
bezug der  Steuer  bis  Ende  1890  zugestanden,  um  den  Kantonen  Zeit  zu  lassen, 
sich  nach  neuen  Finanzquellen  umzusehen. 

Die  am  25.  Oktober  1885  vom  Volke  angenommene  Revision  der  Bundes- 
verfassung zum  Zwecke  der  Einführung  des  Alkoholmonopols  beschleunigte  den 
Wegfall  des  Ohmgeldes,  welches  nach  dem  neuen  Artikel  32  bis  ')  der  Verfassung 

\)  Art.  32Ws'  hat  fol^'enden  Wortlaut: 

Art.  32  bU.  Der  Bund  ist  befugt,  im  Wej^e  der  Gesetzjj'ebunjr  Vorschriften  über 
die  Fabrikation  und  den  Verkauf  gebrannter  Wasser  zu  erlassen.  Bei  dieser  Gesetz- 
gebung sollen  diejenigen  Erzeugnisse,  welche  entweder  ausgeführt  werden  oder  eine  den 
Genuß  aufschließende  Zubereitung  erfahren  haben,  keiner  Besteuerung  unterworfen 
werden.  Das  Brennen  von  Wein,  01)st  und  deren  Abfällen,  von  Enzianwurzeln,  Wach- 
holderbeercn  und  ähnlichen  Stoffen  fällt  betreffend  die  Fabrikation  und  Besteuerung 
nicht  unter  die  Bundesgeselzgebung.  (Dieser  letzte  Satz  bezieht  sich  laut  Bundesbeschluß 
vom  20.  Dez.  1887  nur  auf  Stoffe  inländischer  Herkunft. 

Nach  dem  We^^fall  der  in  Art.  32  der  Bundesverfassung  erwähnten  Eingangs- 
gebühren  auf  geistigen  Getränken  kann  der  Handel  mit  solchen,  welche  nicht  gebrannt 
sind,  von  den  Kantonen  keinen  besondern  Steuern  unterworfen  werden,  noch  andern 
Beschränkungen  als  denjenigen,  welche  zum  Schutze  vor  gefälschten  oder  gesundheits- 
schädlichen Getränken  nothwendig  sind.  Jedoch  bleiben  hiebei  in  Betreff  des  Betriebes 
von  Wirthschaften  und  des  Kleinverkaufs  von  Quantitäten  unter  zwei  Liter  die  den 
Kantonen  nach  Art.  31  zustehenden  Kompetenzen  vorbehalten. 

Die  aus  der  Besteuerung  des  Verkaufs  gebrannter  Wasser  erzielten  Heineinnahmen 
verbleiben  den  Kantonen,  in  welchen  sie  zum  Bezüge  gelangen. 

Die  Reineinnahmen  des  Bundes  aus  der  inländischen  Fabrikation  und  aus  dem 
entsprechenden    Zollzuschlag    auf   eingeführte    gebrannte    W'asser    werden    unter    die 


Ohmgeld  —      552     —  Ohmgeld 

mit  dem  Inkrafttreten  des  erwähnten  Gesetzes  dahinfallen  sollte.  Das  Alkohol- 
gesetz wurde  am  15.  Mai  1887  vom  Volke  angenommen  und  am  27.  Mai  prinzipiell 
in  Kraft  erklärt.  Ein  Bundesbeschluß  vom  15.  Jali  dekretirte  daraofhin  den 
Wegfall  von  Ohmgeld  und  Octroi  auf  1.  September  1887. 

Die  Kantone  Aargau,  Baselland,  Bern,  Freihurg,  Glarus,  Graubünden, 
Lueern,  Nidwaiden,  Obwalden,  Solothurn,  Uri  und  Zug  erhoben  das  Ohmgeld 
sowohl  auf  einheimischen,  wie  auf  fremden  Getränken,  die  Kantone  BaseUtadt^ 
lessin,  Waadt  und  Wallis  bloß  auf  fremden  Getränken;  die  übrigen  Kantone 
bezogen  kein  Ohmgeld. 

Das  Octroi  bestand  nur  in  den  Städten  Genf  und  Carouge, 
Wir   geben    nachstehend   eine  üebersicht   der  in  diesen  Kantonen  und  Ge- 
meinden bezogenen  Ohmgeld-  und  OctroigebUhren  : 

I.  Kantone,  welche  das  Ohmgeld  auf  fremden  und  auf  ein- 
heimischen Getränken  bezogen. 

1)  Aargau.  Wein,  Obstwein  und  Bier  Schweiz.  Ursprungs,  in  Fässern  oder 
andern  Gefäßen,  1  Rp.  per  Liter.  —  Wein,  auHländischer,  in  Fässern  oder  andern 
Gefäßen,  4  Rp.  —  Obstwein,  ausländischer,  in  Fässern  oder  andern  Gefäßen, 
2  Rp.  —  Bier,  ausländisches,  in  Fässern  oder  andern  Gefäßen,  2  Rp.  —  Ge- 
brannte Wasser  Schweiz.  Ursprungs  5  Rp.  —  Gebrannte  Wasser  fremden  Ur- 
sprungs 10  Rp. 

Trauben,  Trusen  und  Trester  waren  nach  folgendem  Maßstab  zu  versteuern: 
Trauben  1  Hektoliter  ■--=  80  Liter  Wein  (20  %  Abzug).  —  Trusen  1  hl  =  8  1 
Branntwein  (92  ®/o  Abzog).  —  Trester  1  hl  =  5  1  Branntwein  (95  ^/o  Abzug). 

2)  Basel l and.    Wein  und  Obstwein  Schweiz.  Ursprungs  waren  steuerfrei. 

—  Wein  nicht  Schweiz.  Ursprungs,  in  Fässern,  Fr.  1  per  hl.  —  Wein  nicht 
Schweiz.  Ursprungs,    in  Flaschen,   15  Rp.  per  Flasche.   —   Idem  20  Rp.  per  1. 

—  Branntwein,  Schweiz.,  7  Rp.  —  Branntwein,  ausländischer,  10  Rp.  —  Wein- 
geist 20  Rp.  —  Extrait  d' Absinthe,  Rhum,  in  Fässern,  20  Rp.  —  Idem  und 
Liqueurs,  in  Flaschen,  40  Rp.  —  Bier,  Schweiz.,  50  Rp.  per  hl.  —  Bier,  aus- 
läncÜKches,   70  Rp. 

3)  Bern.  /.  Vo7i  Getränken  Schweiz.  Herkunft:  Wein  in  einfachen  und 
Düppelfässern  (Gebinden  über  1   1)  4,5  Rp.  per  1.  —  Wein  in  Flaschen  9  Rp, 

—  Obstwein  1  Rp.  —  Bier  in  Flaschen  und  in  Fässern  2  Rp.  —  Liqueurs  und 
Branntwein  in  Flaschen,  auch  versüßte  und  versetzte  Liqueurs  in  großem  Ge- 
schirren, 20  Rp.  —  Weingeist  und  alle  andern  gebrannten  geistigen  Getränke, 
welche  auf  der  Probe  gemessen  werden  können,  bis  auf  32  Grad  des  TrallesVchen 
Alkohülm.  per  1  12  Rp.,  auf  je  2  oder  3  weitere  Grade  je  1  Rp.  mehr,  bis 
99/100  Grad  39  Rp. 

//.  Von  Getränken  nicht  Schweiz.  Herkunft :  Wein  in  jeder  Art  von  Ge- 
fiißen,  die  größer  sind  als  1  1,  5,3  Rp.  per  1.  —  Wein  in  Flaschen  40  Rp.  — 
Obstwein  2  Kp.  —  Bier  2,5  Rp.  —  Liqueurs  und  Branntwein  in  Flaschen,  auch 
versüßte  und  versetzte  Liqueurs  in  größern  Geschirren,  40  Rp.  —  Weingeist 
und  alle  andern  gebrannten  geistigen  Getränke,  die  auf  der  Probe  gemessen  werden 
können,  gleich  so  leben  Schweiz.  Herkunft  mit   10  ^/o  Zuschlag. 

4)  Freiburg.  Freiburger  Weine  und  alle  im  Kanton  fabrizirten  Getränke 
Fr.  1.  20  per  500  1.   —   Bier  Schweiz.  Ursprungs  2  Rp.  per  1.  —  Bier  fremden 

säiiuntliclion  Kantone  nach  Verhältnis  der  durch  die  jeweilige  letzte  eidg.  Volkszählung 
eriiiit leiten  faktischen  Hevnlkerung  vertheilt.  Von  den  daherigen  Einnahmen  haben  die 
Kantone  wenigstens  10  "  o  zur  Hekämpfung  des  Alkoholismus  in  seinen  Ursachen  und 
Wirkungen  zu  verwenden. 


Ohmgeld  —      553     -^  Ohmgeld 

Ursprungs  8  Rp.  —  Wein  und  Obstwein  Schweiz.  Ursprungs  4,8  Rp.  —  Idem 
fremden  Ursprungs  8  Rp.  —  Branntwein,  unter  20  G-rad,  Schweiz.  Ursprungs 
9,«  Rp.  —  Idem  fremden  Ursprungs  13,8  Rp.  —  Extrait  d^ Absinthe,  Weingeist 
und  zusammengesetzte  Liqueurs  Schweiz.  Ursprungs  19,s  Rp.  —  Idem  und  feine 
Weine  fremden  Ursprungs  23,s  Rp. 

5)  Glarus.  Wein  Schweiz.  Ursprungs,  in  Fässern,  Fr.  1.  45  per  hl.  — 
Wein  fremden  Ursprungs,  in  Fässern,  Fr.  2.  90  (auch  sog.  Luzuswein  in  Fässern, 
französischen,  österreichischen,  italienischen  und  deutschen  Ursprungs).  —  Luxus- 
weine und  geistige  Getränke  aller  Art,  andere  als  obige,  in  Fässern  oder  Flaschen, 
20  Rp.  per  0,75  1.  —  Obstwein  20  Rp,  per  hl.  —  Branntwein  und  Weingeist, 
ob  eingeführt  oder  im  Kanton  fabrizirt,  zahlt,  wenn  er  fiir  den  innern  Konsum 
bestimmt  ist,  15  Rp.  per  1. 

6)  GraubUnden.  Bier,  Schweiz.,  Fr.  1.  20  per  100  Kilogramm.  —  Bier, 
ausländisches,  Fr.  1.  70.  —  Branntwein,  Schweiz.,  Fr.  4.  30.  —  Branntwein, 
ausländischer,  Fr.  5.  —  Liqueurs  Schweiz.  Ursprungs,  in  Fässern,  Fr.  8.  90.  — 
Idem,  in  Flaschen,  Fr.  14.  —  Liqueurs  fremden  Ursprungs,  in  Fässern,  Fr.  9.  60. 

—  Idem,  in  Flaschen,  Fr.  14.  80.  —  Wein,  gemeiner,  fremden  Ursprungs, 
Fr.  2.  40.  —  Wein,  feiner,  fremden  Ursprungs,  in  Fässern,  Fr.  9.  60.  —  Idem, 
in  Flaschen,  Fr.  14.  80.  —  Weingeist  Schweiz.  Ursprungs  Fr.  9.  80.  —  Wein- 
geist fremden  Ursprungs  Fr.  13.  50.  —  Weintrauben,  ausländische,  zur  Wein- 
bereitung eingeführt,  bezahlen  die  Steuer  wie  für  Wein,  wobei  140  kg  Trauben 
=  100  kg  Wein  berechnet  werden. 

7)  Luzern.  1.  Getränke  schtveiz,  Umprungs :  Wein  9,3  Rp.  per  1.  — 
Geistige  Getränke  und  gebrannte  Wasser  14  Rp.  —  Weingeist  28  Rp.  —  Wein 
und  andere  geistige  Getränke  in  Flaschen  21  Rp.  per  Flasche.  —  Idem  28  Rp. 
per  1.   —  Bier   1,3   Rp.  —  Obstwein  2  Rp. 

II,  Getränke  fremden  Ursprunifs:  Wein,  gewöhnlicher,  10,6  Rp.  per  1. — 
Lnxuswein  und  gebrannte  Wasser  20  Rp.  —  Weingeist  33,8  Rp.  —  Wein  und 
andere  geistige  Getränke  in  Flaschen  30  Rp.  per  Flasche.  —  Idem  40  Rp.  per  1. 

—  Bier,  gewöhnliches,  2  Rp.  —  Bier  in  Flaschen  4  Rp.  per  Flasche.  —  Idem 
5   Rp.  per  1.    —   Bier  in  Doppelfäösern  5  Rp. 

8)  Nidwaiden.  Weingeist  10  Rp.  per  l.  — Branntwein  6  Rp.  —  Wein 
Schweiz.  Ursprungs  2  Rp.  —  Wein,  ausländischer,  4  Rp.  —  Idem,  feiner,  25  Rp. 

—  Bier  2  Rp.   —   Most  2  Rp. 

9)  Obwalden.  Wein  Schweiz.  Urprungs  2*/6  Rp.  per  1.  —  Wein  nicht 
Schweiz.  Ursprungs  3*7*5  ^V-  —  Luxusweine  und  gebrannte  Wasser,  die  in 
Kisten  oder  Körben  verpackt  sind,  46  Rp.  per  5  kg  brutto.  —  Most  oder  Bier 
**/i5  Rp.  per  1.  —  Gebrannte  Wasser  Schweiz.  Ursprungs«:  von  18  Grad  Cartier 
oder  darunter  4^/i5  Rp.  Für  höhere  Gradhaltigkeit  steigt  dieser  Ansatz  allmälig 
bis:  38  Grad  10 '*/»•'>  ^P«  —  Gebrannte  Wasser  nicht  Schweiz.  Ursprungs:  von 
18  Grad  Cartier  oder  darunter  Ö'/s  Rp.  Für  höhere  Gradhaltigkeit  steigt  dieser 
Ansatz  allmälig  bis:  38  Grad   16  Rp. 

10)  Solothurn.  Weine  Schweiz.  Ursprungs  b^j^  Rp.  per  1.  —  Wein  und 
Most  nicht  Schweiz.  Ursprungs  6^/3  Rp.  —  Bier  und  Obstwein  (Most)  Schweiz. 
Ursprungs  V»  ^P-  —  ^^®^  fremden  Ursprungs  2^8  Rp.  —  Branntwein  und 
Liqueurs  in  Flaschen,  auch  alle  Liqueurs  in  großem  Geschirren,  Schweiz.  Ur- 
sprungs 13  Rp.  —  Idem  fremden  Ursprungs  20  Rp.  —  Branntwein  und  Wein- 
geist, welcher  auf  der  Probe  nach  Tralles  gemesseu  werden  kann:  bis  auf  35 
Prozent  10  Rp.  per  1.  Für  höhere  Gradhaltigkeit  steigt  dieser  Ansatz  allmälig 
bis:  95/96  Prozent  27  Rp. 


Ohmgeld  —      554     —  Ohmgeld 

11)  üri.  Weingeist  scbweiz.  Ursprungs  15  Rp.  per  1.  —  AVeingeist  fremden 
Ursprungs  20  Kp.  —  Wein  oder  Branntwein  schweiz.  Ursprungs  5  ßp.  —  Idem 
fremden   Ursprungs  6  Ep.   —  Bier  oder  Most  2  Rp. 

12)  Zug.  Wein,  ausländischer,  in  Fässern,  373  Rp.  per  1.  —  Idem,  in 
Schlegelflaschen,  15  Rp.  per  Stück.  —  Wein,  schweiz.,  lYs  Rp.  per  1.  —  Bier 
173  Rp.  —  Obstwein  ^/s  Rp.  —  Auf  Weingeist  und  Branntwein  wird  keine 
Steuer  erhoben. 

IL  Kantone,  welche  das  Ohmgeld  nur  auf  fremden  Getränken 

bezogen. 

13)  Baselstadt.  Wein,  ausländischer,  in  Fässern,  65  Rp.  per  hl.  —  Idem, 
in  Flaschen,  10  %  vom  Werth  der  Faktur.  —  Bier,  ausländisches,  65  Rp.  — 
Gebrannte  Wasser    und  Liqueurs,    ausländische,    10  ^/o  vom  Werth  der  Faktur. 

14)  T  es  sin.    Weingeist  Fr.  5.  70  per   100  kg.   —  Branntwein  Fr.  4.  50. 

—  Bier,  Obstwein  und  Meth  Fr.  4.  80.  —  Wein  aller  Art  und  Wermuth  in 
Fässern  Fr.  2.  60.  —  Liqueurs:  Arrac,  Absinthe,  (.oguac,  Kirschwasser  etc.  in 
Fässern  oder  Flaschen  Fr.  16,  —   Wein  aller  Art  in  Flawchen  Fr.  1<). 

15)  Waadt.   Bier  in  Fässern  Fr.  2  per  100  kg.  —  Wein  in  Fässern  Fr.  3. 

—  Werrauth  in  Fässern  Fr.  6.  —  Bier  in  Flaschen  Fr.  6.  —  Wein  und  Wer- 
muth in  Flaschen  Fr.  9.  —  Branntwein  und  Kirschwasser  Fr.  9.  —  Liqueur- 
weine  in  Fässern  oder  Flaschen  Fr.  12.  —  Weingeist  Fr.  12.  —  Liqueurs  in 
Fässern  oder  Flaschen  Fr.  12.    —   Rhum   Fr.  12. 

16)  Wallis.  Wein  und  Bier  in  Fässern  Fr.  4.  40  per  100  kg.  —  Brannt- 
wein, Liqueurs,  Wein  in  Flaschen  und  andere  geistige  Getränke  Fr.  20.  — 
Weingeist  Fr.  12. 

m.   Octroi-Städte. 

17)  Stadt  Genf.  Wein  aus  dem  Kanton  Genf,  aus  den  andern  Schweizer 
Kantonen  und  ab  genferischen  Liegenschaften  in  den  Zonen  von  Savoyen  und  der 
Landschaft  Gex  Fr.  2.  33  |)er  hl.  —  Weine,  ausländische,  Fr.  3.  26.  —  Liquenr- 
weine  Fr.  8.  13.  —  Wein  und  Essig  in  Flaschen  12  Rp.  per  Flasche.  —  Idem 
6  Rp.  per  7^  Flasche.  —  Essig  and  verdorbener  Wein  Fr.  2.  33  per  hl.  — 
Weindruse  (vom  l.').  September  bis  31.  März)  Fr.  2.  33.  —  Weindruse  (vom 
1.  April  bis  15.  September)  Fr.  1.  —  Bier  Fr.  3.  70.  —  Bier  in  Krügen  oder 
in  Flaschen  5  Rp.  per  Krug  oder  Flasche.  —  Obstwein  Fr.  2  per  hl.  —  Brannt- 
wein und   Weingeist  in  Fässern  Fr.   20  für  jeden  hl  darin  enthaltenen  Alkohol. 

—  Liqueurs  aller  Art  in  Fässern  Fr.  14.  83  per  hl.  —  Branntwein  und  Liqueurs 
aller  Art  in   Flaschen  von    1 72  l  und  weniger  20  Rp.   per  Flasche. 

BemerkuHf/en.  Yon  der  Weinernte  an  bis  zum  15.  November  wurde  die 
Gebühr  für  den  neuen,  mit  der  Hefe  eingeführten  Wein  im  Verhältniß  von  106 
zu  100  berechnet.  Mit  Alkohol  angemachte  Firnisse  mit  mehr  als  45  ®/o  Alkohol- 
gehalt bezahlten   wie  Alkohol. 

18)  Stadt  Carouge.  Weine  schweiz.  Ursprungs  2  Rp.  per  1.  —  Weine 
fremden  Ursprungs  3  Rp.  —  Bier  3  Rp.  —  Obstwein  1  Rp.  —  Branntwein 
6   Rp.    —   Liqueurs  in  Flaschen    15  Rp.   per  Flasche. 

Wir  lassen  nun  hienach  eine  Uebersicht  des  Reinertrages  des  Ohmgeldes 
und  Octrois  während  der  37jährigen  Periode  1850—1886  folgen;  es  war  un- 
möglich, weiter  zurückzugreifen,  weil  früher  viele  Kantone  keine  detaillirten 
Verwaltungsberichte  oder  Staatsrechnungen  publizirten  und  überdies  die  Ver- 
schiedenheit der  Geldwährungen  sehr  mühsame  und  unsichere  Umrechnungen 
erfordern   würde 


Ohmgeld 


—     555      — 


Ohmgeld 


Zu  dieser  Uebersicht  bemerken  wir  zur  Erläuterung  Folgendes :  1)  Für  den 
Kanton  Uri  war  der  Reinertrag  der  Jahre  1850 — 1852  nicht  erhältlich,  so  daß 
die  bezüglichen  Angaben  nur  34  Jahre  umfassen.  2)  Für  den  Kanton  Tessin 
und  die  Städte  Genf  und  Carouge,  welche  auch  Eingangsgebühren  auf  anderen 
Konsumgegenständen  hatten,  sind  nur  diejenigen  auf  Getränken  in  Kechniing 
gebracht. 

Reinertrag  von   Ohmgeld  und  Octroi  in  den  37  Jahren  1850 — 1886. 


Total 

Durchschnitt- 
lich per  Jahr 

1 

Total 

DurchHchnitt- 
lich  per  Jahr 

Aargau 

4^81,097 

113,003 

Obwalden    . 

492,441 

13,309 

Baselland   . 

1'362,622 

3G,828 

Solothurn    . 

7'582,429 

204,931 

Baselstadt  . 

.      r472,394 

39,524 

Tessin    .      .      . 

4'012,816 

108,454 

Bern     . 

.   39^044,814 

1'055,265 

Uri  ...      . 

r334,419 

39,248 

Freiburg    . 

9'03 1,414 

244,092 

Waadt  .      . 

6'509,528 

175,933 

Grlarus  . 

1 '097,088 

29,651 

Wallis   .      .      . 

689,493 

18,635 

Grraubündeii     . 

.     3'630,481 

98,121 

Zug  .... 

397,1)26 

10,747 

Luzern 

9\')2(i,37Ü 

257,470 

Stadt  Genf       . 

15'791,877 

426,807 

Xidwaldeu 

338,5(>7 

9,150 

„      Carouge . 

1^074,051 

29,028 

Bis  Ende  1890  werden  den  Ohnigeldkantonen  und  Octroigemeindeu  gemäß 
Art.  32^''^  der  Bundes veifa.ssung  und  Art.  6  der  Uebergangsbestimmungen  zu  der- 
selben *)  die  dahingefallenen  Eingangsgebühren  auf  Wein  und  anderen  geistigen 
Getränken  nach  dem  Durchschnitt  der  fünf  Jahre  1880/84  aus  den  Einnahmen 
der  Alkoholverwaitung  ersetzt,  wobei  für  das  Jahr  1887  der  Ertrag  der  acht 
ersten  Monate,  während  welchen  das  Ohmgeld  noch  bestand,  in  Abzug  ge- 
bracht wird. 

Ergibt  das  Alkoholmonopol  eine  größere  Netto-Einnahme,  als  zur  Ent- 
schädigung der  Alkoholkantone  nöthig  ist,  so  wird  der  Rest  auf  alle  Kantone 
nach  ihrer  Volkszahl  vertheilt.  Pro  1888  ist  keine  Mehreinnahme  zu  erwarten, 
dagegen  ist  pro  1889  eine  solche  im  Betrage  von  rund  Fr.  630,000  budgetirt, 
bei  einer  muthmaßlichen  Totaleinnahme  von  Fr.  4^210,000. 

Nach  der  dato  (September  1888)  noch  nicht  definitiv  abgeschlossenen  Ab- 
rechnung mit  den  Ohmgeldkantonen  und  Octroigemeinden  beziffern  sich  die  Ver- 
gütungen wie  folgt : 


')  Der  Wortlaut  dieses  Art.  6  ist : 

Art.  6  der  Uebergangsbe.stimiuungen  zur  Bundesverfassung.  Wenn  vor  Ende  des 
Jahres  1890  ein  Bundesgesetz  im  Sinne  des  Art.  32  bis  einjj'efnhrt  wird  (ist  durch  das 
Alkoholgesetz  von  1887  geschehen.  —  Die  Red.),  so  fallen  schon  mit  dessen  Inkraft- 
treten die  von  den  Kantonen  und  Gemeinden  nach  Art.  32  bezogenen  Eingangsgebuhren 
auf  geistigen  Getränken  dahin. 

Wenn  in  diesem  Falle  die  auf  die  einzelnen  Kantone  und  Gemeinden  berechneten 
Antheile  an  der  zur  Vertheilung  kommenden  Summe  nicht  hinreichen  würden,  um  die 
dahingefallenen  Gebühren  auf  geistigen  Getränken  nach  dem  durchschnittlichen  jahrlichen 
Nettoertrage  in  den  Jahren  1880  bis  und  mit  1884  zu  ersetzen,  so  wird  den  betroffenen 
Kantonen  und  Gemeinden  bis  Ende  des  Jahres  1890  der  daherige  Ausfall  aus  derjenigen 
Summe  gedeckt,  welche  den  übrigen  Kantonen  nach  der  Volkszahl  zukommen  würde, 
und  erst  der  Rest  auf  die  letztern  nach  ihrer  Volkszahl  vertheilt. 

Außerdem  ist  auf  dem  Wege  der  Bundesgesetzgebung  zu  bewirken,  daß  denjenigen 
Kantonen  oder  Gemeinden,  für  welche  das  Inkrafttreten  dieses  Beschlusses  eine  fiskalische 
Einbuße  zur  Folge  haben  kann,  diese  Einbuße  nicht  auf  einmal  in  ihrem  vollen  Um- 
fange, sondern  nur  allmählig  bis  zum  Jahre  1895  erwachse.  Die  hiezu  erforderlichen 
Enlschädigungs-summen  sind  vorweg  aus  den  in  Art.  3^  bis,  Alinea  4,  bezeichneten 
Reinneinnahmen  zu  entnehmen. 


Ohm( 

jeld 

—     556     — 

■ 

Orbe-Sflmpfe 

Jihrl.  bis  1890,  gemlu 

Ertrag  pro 
Janaar  bis  August  1887 

Kanton  und  G«melnde 

Dnrchschnittcertrag 
Ton  1880/84 

Ersats  pro  1887 

1)  Kanton  Aargan    . 

Fr. 

186,400.  85 

56,685,  64 

129,715.  21 

2) 

»» 

Baselätadt 

r 

47,373.  40 

33,028.  74 

14,344.  66 

3) 

»1 

Baselland 

Tl 

51,454.  52 

18,420.  91 

33,033.  61 

4) 

n 

Bern »)      . 

n 

1'074,191.  83 

568,770.  — 

505,421.  83 

ö) 

»1 

Freiburg  . 

f» 

356,151.  75 

200,625.  11 

155,526.  64 

6) 

V 

Glams  ^)  . 

n 

45,897.  50 

13,900.  — 

31,997.  50 

7) 

n 

Graubilnden*' 

f        K 

155,382.  99 

124,433.  33 

30,949.  66 

«) 

f 

Luzorn     .     . 

f» 

375,521.  54 

157,156.  93 

218,364.  61 

9) 

»♦ 

Nidwaiden 

n 

13,678.  11 

4,995.  14 

8,682.  97 

10) 

n 

Obwalden 

Tl 

19,359.  50 

18,591.  30 

768.  20 

11) 

V 

Solothurn 

n 

240,270.  43 

<^1,976.  37 

148,294.  06 

12) 

» 

Tessin*)  .     . 

r» 

161,109.  67 

35,377.  60 

125,732.  07 

13) 

t» 

üri«^).      .     . 

Tl 

62,321.  02 

25,942.  55 

36,378.  47 

14) 

t« 

Waadt      .      , 

»♦ 

326,381.  40 

120,038.  04 

206,343.  36 

15) 

1» 

Wallis  «)  .     . 

« 

36,781.  76 

17,930.  — 

18,851.  76 

16) 

n 

Zug     .      . 

Tl 

17,710. 

11,210.  16 

6,499.  84 

17) 

Stadt 

Carouge ') 

n 

23,994.  61 

8,063.  34 

15,931.  27 

1«) 

ff 

Genf»)     . 

•         »» 

387,627.  36 

218,588.  15 

169,039.  21 

Total     Fr.  3'581,608.  23       1*725,733.  31       1,855,874.  92 

S.  aucb  das  Kapitel   „Staatsmonopole",  Abschnitt  Alkohol. 

Olivenöl.  Der  Verbrauch  beträgt  jährlich  ca.  8000  q.  Mehr  als  die  Hälfte 
kommt  aus  Italien,  ca.   7»  aus  Frankreich. 

Olten-Aarau,  Olten-Basel,  Olten-Bern,  Olten-Biel,  Ölten *Lazem,  siehe 
„Centralbahn'*. 

Optiker  und  Kleinmechaniker.  Zahl  derselben  im  Jahre  1880  302, 
wovon  51  Bern,  49  Neuenburg,  49  Zürich,  29  Genf,  29  Waadt,  28  Aargau, 
25  Baselstadt. 

Orbe-Sümpfe.  Sanimng  derselben.  Dieses  Unternehmen  bezweckt,  die 
Orbe  Ebene,  welche  sich  vom  Neuenburgersee  bis  zum  Mauremont  erstreckt,  zu 
entwässern,  sowie  dieselbe  vor  weiteren  Ueberschwemmungen  zu  schützen.   Hiezu 

Beinerkunj^en:  ^)  Bern  ist  mit  der  Abrechnung  für  die  Einfuhr  einverstanden, 
verlangt  aber  nocli  Ersatz  seiner  pro  1880/84  im  Durchschnitt  jährlich  Fr.  90,270  be- 
tragenden Fabrikations^'ehühren  lür  Sprit  und  Branntwein.  *)  Glarus  ist  mit  seinem 
Ohmgeldpächler  für  den  Ertrag  pro  1887  im  Prozeß,  der  noch  schwebend  ist.  ')  Grau- 
bünden  verlangt  Ersatz  seiner  durchschnittlich  jährlich  Fr.  14,0()2  betragenden  Steuer 
auf  im  Kanton  gebrautem  Bier  und  für  das  Jahr  1887  die  Anwendung  eines  andern 
Abrechnungsverfahrens,  wonach  ihm  pro  1887  ein  Ersatz  von  Fr.  63,210  zukäme. 
*)  Tessin:  dessen  Abrechnung  ist  noch  provisorisch.  ^)  Uri  verlangt  Einstellung  seiner 
Fr.  lOOi  jährlich  betragenden  Fahrikationsgehühren  in  die  Abrechnung.  *)  W€Uli8  :  die 
Abrechnung  ist  noch  hängig  und  sind  obige  Angaben  nicht  defmitiv.  ^  Carouge  ver- 
langt Aufnahme  seiner  jährlich  im  Durchschnitt  Fr.  1670  betragenden  Fabrikations- 
gebühren auf  Bier  und  Essig.  ")  Genf  beanstandet  mit  Graubünden  das  Abrechnungs- 
verfahren für  den  Ersatz  pro  1887  und  verlaugt  Berücksichtigung  seiner  Steuer  auf  dem 
im  Octroi-Kayon  fabrizirten  Bier.  Diese  Steuer  betrug  im  Durchschnitt  der  Jahre  lÄO/84 
brutto  Fr.  4927,  nach  Abzug  der  Bezugskosten  netto  Fr.  3948.  (An  Octroi-Gebühren 
bezog  Genf  im  Durchschnitt  der  Jahre  1880  84  jährlich:  Auf  Getränken  Fr.  487,174, 
auf  Eßwaaren  (comestibles)  Fr.  149,002,  auf  Viehfutter  Fr.  64,898,  auf  Brennmaterialien 
Fr.  15,500,  dazu  Fr.  581  sogenannte  Abfertigungsgebühren,  macht  insgesammt  pro  Jalu 
durchschnittlich  Fr.  665,230.  Hie  von  ging  nun  freilich  wieder  eine  schöne  Summe  als 
Bezugskosten  verloren,  so  daß  z.  B.  die  Netto-Einnahme  auf  Getränke  sich  auf  die  oben 
in  Rechnung  gestellte  Summe  von  Fr.  386,619  reduzirte.) 


Orbe-Sümpfe  —     557     —  Ost-West-Baha 

ist  die  Korrektion  des  Flusses,  sowie  die  Anlegang  von  Entsumpfungs-Kanälen 
nCthig.  Die  Ausführung  dieser  Werke  hängt  ab  von  der  Juragewässer-Korrektion, 
durch  welche  der  Wasserspiegel  des  Neuenburgersees  gesenkt  worden  ist.  Durch 
diese  Senkung  wurde  auch  die  Senkung  der  Grewässer  in  der  Orbe- Ebene  ermöglicht. 
Das  hauptsächlichste  dieser  Grewässer  ist  die  Orbe  selbst.  Sie  erreicht  bei  der 
Stadt  gleichen  Namens  die  Ebene  und  wird  durch  eine  gänzliche  Verlegung  des 
alten  Laufes  in  eine  neue  Richtung  korrigirt.  Die  Tieferlegung  der  Orbe  bringt 
eine  Senkung  des  Grundwassers  der  ganzen  Ebene  mit  sich  und  bildet  daher 
die  erste  Bedingung  für  die  Entsumpfung  der  letztem.  Außer  diesem  Wasserlauf 
umfaßt  das  unternehmen  ein  ganzes  System  von  Gewässern.  Im  obersten  Theile 
tritt  von  der  rechten  Thalseite  bei  Chavomay  der  Talent  in  die  Ebene  ein,  ein 
Wildbach,  dessen  Hochwasser  bedeutende  Ueberschwemmungen  verursachten.  Durch 
die  Korrektion  desselben  wird  nicht  nur  den  üeberschwemmungen  gesteuert,  son- 
dern durch  die  Tieferlegung  seines  Bettes  wird  auch  dem  Nozon,  der  bei  Omy 
von  der  linken  Seite  in  die  Ebene  tritt  und  dessen  Mündung  in  den  Talent 
weiter  abwärts  verlegt  wird,  ein  größeres  Gefäll  gegeben,  wodurch  die  Ent- 
wässerung des  vom  Nozon  durohflossenen  Theiles  der  Ebene  bewerkstelligt  wird. 
Zwei  Entsumpfungskanäle,  der  Canal  occidental  auf  der  linken  und  der  Canal 
oriental  auf  der  rechten  Seite,  gleichlaufend  mit  dem  neuen  Bett  der  Orbe, 
fließen  direkt  in  den  See,  wobei  letzterer  die  Fortsetzung  des  schon  früher  aus- 
geführten Canal  d'Entreroches  bildet.  Der  Canal  occidental  nimmt  den  Mujon 
auf,  dessen  Korrektion  ebenfalls  Entsumpfungszwecken  dient.  Fernere  Korrek- 
tionen sind  diejenige  des  Bei/  und  diejenige  der  Brinnaz.  Beide,  auf  der  linken 
Seite  der  Orbe  gelegen,  fließen  direkt  in  den  See  ;  ebenso  der  Wildbach  Buron^ 
der  bei  Gressy,  etwa^  oberhalb  Yverdon,  auf  der  rechten  Seite  in  die  Ebene 
eintritt  und  wie  die  Brinnaz  den  dortigen  Theil  der  Ebene  mit  üeberschwem- 
mungen bedroht. 

An  die  Kosten  dieser  Korrektions-  und  Entsumpfungsarbeiten  (welche  sich 
bereits  in  Ausführung  befinden)  erhält  der  Kanton  Waadt  einen  Bundesbeitrag  in 
der  Höhe  von  3378  ^jo  der  wirklichen  Kosten,  bezw.  ein  Maximum  von  334,000 
Franken  (Dritttheil  der  Voranschlagssumme  von  Fr.  1 '000,000)  mit  der  Bestimmung^ 
daß  die  Ausführung  obgenannter  Arbeiten  innert  zehn  Jahren,  vom  Datum  des 
Beschlusses  an  gerechnet,  stattzufinden  habe.  Bundesbeschluß  vom  19.  Juni  1885. 
(A.  S.  n.  F.  Bd.  VIII,  pag.   132.) 

Organzin.  Gezwirnte  Seide,  die  in  den  Seidengeweben  die  Kette  bildet. 
Wird  in  der  Schweiz  viel  weniger  fabrizirt  als  die  Einschlagseide  ^Trame); 
kommt  hauptsächlich  aus  Italien. 

Orgelbau.    Zur  Zeit  (1888)  liegen  demselben  ca.  2  Dntzend  Geschäfte  ob. 

Ortlieber,  gelber.  Die  unter  diesem  Namen  bekannte  Traube  kommt 
in  der  Schweiz  nur  vereinzelt  vor.  Der  Rebstock  ist  kräftig,  genügsam  und 
gedeiht  in  allen  Bodenarten.  Er  trägt  sehr  reich,  ist  unempfindlich  in  der 
Blüthe,  die  Trauben  reifen  ziemlich  früh,  faulen  aber  außerordentlich  leicht.  Kr. 

Ostbahn,  franz.,  s.  Basel-St.  Ludwig. 

Osterbutterbirne  s.  Winter-Dechantsbime. 

Oster-Calvill,  rother  Apfel,  Wirthschaftsfrucht  zweiten-  und  Tafelfrucht 
dritten  Ranges,  hat  durch  inländische  Baumschulen  vielfache  Verbreitung  gefunden. 

Ost- West-Bahn,  unter  diesem  Namen  bestand  früher  eine  Eisenbahn- 
gesellschaft mit  Sitz  in  Bern.  Dieselbe  war  Inhaberin  der  Konzessionen  für 
den  Bau  und  Betrieb  der  Linien  Neuenstadt-Biel-Bern-Langnau-Luzern- Kantons- 
grenze   in    der  Richtung    nach  Zürich.     Von    diesen  Linien    hat  die  Gesellschaft 


Ost -West-Bahn  —     558     —  Papierindustrie 

jedoch  nur  die  Strecke  von  der  neuenburgischen  Grenze  bei  Neuenstadt  bis 
Biel  (15,390  m)  gebaut.  Dieselbe  wurde  am  3.  Dezember  1860  eröffnet  und 
durch  die  schweizerische  Centralbahn  pachtweise  betrieben.  Am  1.  Juni  1861 
ist  die  Linie  Neuenstadt-Biel  infolge  Auflösung  der  Ost- West-Bahngesellschaft 
in  das  Eigenthum  des  Kantons  Bern  übergegangen  (vide  Bernische  Staatsbahn). 

Otelfingen-Effretikon  s.  Nordostbahn. 

Ouest-Siiisse.  Die  unter  diesem  Namen  bestandenen  Eisenbahnen  umfaßten 
die  Linien :  a.  von  der  neuenburgischen  Grenze  bei  Vaumarcus  über  Yverdon 
nach  Lausanne,  b.  von  Lausanne  bis  zur  genferischen  Grenze  bei  Versoix,  mit 
Ausnahme  der  genferischen  Enclave  bei  Celigny  und  c.  von  Lausanne  bis  zum 
Anschluß  an  die  Walliserbahn  bei  St-  Maarice.  Die  bauliche  Länge  betrug 
147,809  m,  die  Betriebslänge  dagegen  148,510  m  oder  rund  149  km.  Die 
Betriebseröffnung  hat  wie  folgt  stattgefunden:  Am  7.  Mai  1855  die  Strecke 
Yverdon- Bussigny  (31,566  m);  am  1.  Juli  1855  die  Strecke  Bussigny-Renens- 
Morges  (10,598  m);  am  5.  Mai  1856  Renens-Lausanne  (4701  m)  und  die 
Verbindungslinie  Morges- Bussigny  (962  m);  am  10.  Juni  1857  Villeneuve-Bex 
(18,63v/  m);  am  14.  April  1858  Morges-Coppet  (excl.  Enclave  bei  Celigny; 
(32,866  m);  am  1.  August  1858  Coppet-Grenze  bei  Versoix  (2752  m) ;  am 
7.  November  1859  Yverdon-Grenze  bei  Vaumarcus  (14,623  m);  am  1.  November 
lö60  Bex-St.  Maurice  (2334  m)  und  am  2.  April  1861  Lausanne- Villeneuve 
(2<S,774  m).  Am  1.  Januar  1865  vereinigten  sich  die  Bahngesellschaften  Ouest 
Suisse,  Franco-Suisse  und  Lausanne-Fribourg-Berne  und  Geneve-Versoix  (Frei- 
burgische Staatsbahn)  zum  gemeinschaftlichen  Betriebe  unter  dem  Namen  „Suisse 
occidentale".  Am  1.  Januar  1872  wurde  die  Fusion  auch  auf  das  Eigenthum 
der  drei  Gesellschaften  ausgedehnt  (vide  Suisse  ocoidentale). 

Palezieux-Fräschels  s.  Suisse  Occidentale-Simplun. 

Papierindustrie,  Das  eidg.  Fabrikreglsler  verzeichnet  im  September  1888 
43  Etablissomente  für  die  Herstellung  von  Papier,  Cartou  und  Papierstoff,  nämlich: 

Kuntou  J'apier  Carton  Papierstoff         Total  Eiabl. 

Aargau 2  1  —  3 

Appenzell   A.  Kh.   .      .  1  *)  —  —  1 

Baselland      ....           ',-  7^  —  1 

Baselstadt     ....  2 '/j  V2  —  3 

Bern '2  2  (j  10 

Freiburg       ....  —  3  —  3 

Genf 1  -  —  1 

Glarus 1  1  —  2 

Graubünden        .           .           '/-  —                     *-  1 

Luzern 1  —  1  2 

Neuenburg    ....  1  —  —  1 

St.  Gallen     ....  —  2  —  2 

Solothurn      ....  1  —  2  3 

Tessin —  1  -  1 

Thurgau V'a  '/-  —  1 

Waadt 1  1  —  2 

Wallis V2  V2  —  1 

Zürich     .      .      .      .      •  2  —  1  3 

Zug 1  1  —  2 

IH\U  U  10  V2  43 

*l  Bunlpapior. 


Papierindustrie  —      559      —  Papierindustrie 

In  diesen  43  Etablissementen  werden  ungefähr  2000  Arbeiter  beschäftigt. 
Die  Papier-  und  Cartonfabrikation  wird  dem  Werthe  nach  auf  ca.  10  Millionen 
Franken  geschätzt.  Dieselbe  wäre,  ohne  die  Schutzzollpolitik  und  gewaltige  Kon- 
kurrenz des  Auslandes,  weit  bedeutender.  Die  zwei  letzteren  Faktoren  nöthigen 
in  neuerer  Zeit  schweizerische  Etablissemente,  ihren  Betrieb  zu  reduziren  oder 
einzustellen. 

Von  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  an  waren  Papiermühlen  in  der  Schweiz 
zu  treffen.  Das  Bemer  und  Freiburger  Wappen  findet  sich  von  1519  an  sogar 
auf  Archivpapieren  in  Straßburg  und  Mainz.  Im  16.  Jahrhundert  bezogen  einige 
Buchdrucker,  welche  in  Genf  und  Lyon  gleichzeitig  Geschäfte  hatten,  ihren  Papier- 
bedarf theilweise  aus  Genf.  Ein  Theil  der  Kupferstiche  von  Van  Dyck  (1630  bis 
1650)  sind  auf  Basler  Papier  gedruckt.  Fr  ei  bürg  hatte  im  15.  Jahrhundert 
Papiermühlen  in  Belfaux  (1440 — 1444),  an  der  Gläne  im  Gebiet  des  Klosters 
Hauterive  (1445 — 1515),  und  in  Marly,  welch'  letztere  heute  noch  prosperirt, 
nachdem  dieselbe  unzählige  Male  den  Besitzer  gewechselt  hat,  1837  an  die 
Familie  Landerset  übergegangen  und  1876  von  derselben  in  eine  Maschinen- 
papierfabrik umgewandelt  worden  war.  Bern  besaß  zwei  Papiermühlen ;  Worb- 
laufen  und  Thal.  Letztere  wurde  im  13.  Jahrhundert  wahrscheinlich  von  einem 
Lombarden,  Antonio  di  Novara,  gegründet  und  im  Jahre  1466  an  Job.  Jacki 
und  dessen  Sohn  Antonio  verkauft.  Diese  Jacki  hatten  große  Privilegien  für 
den  Einkauf  der  Lumpen  und  den  Papierverkauf,  waren  zugleich  Besitzer  des 
Geschäfts  in  Worblaufen  und  verkauften  letzteres  anno  1470  an  die  Herrschaft 
Bern  für  150  Gulden.  Um  1747  finden  sich  beide  Mühlen  im  Besitze  des 
Banquiers  David  Grüner  in  Bern,  in  dessen  Familie  dieselben  verblieben,  bis  die 
Aktiengesellschaft  „Papierfabrik  Worblaufen**  im  Jahre  1860  ein  Etablissement 
nach  modernen  Anforderungen  erstellte,  das  zeitweise  ca.  200  Arbeitern  zu  be- 
schäftigen vermochte.  Ferner  befanden  sich  Mühleu  in  St.  Sulpice  und  Serrieres 
(Neuenburg),  letztere  nachweislich  seit  dem  Anfang  des  17.  Jahrhunderts; 
in  Gösgen  (1558)  und  Mümliswyl  ( Solo t hur n).  In  Basel  wurde  die  älteste 
Mühle  anno  1440  beim  Riehenthor  von  Hans  Halbysen  etablirt.  Demselben 
folgten  eine  Reihe  anderer   „Bappirimacher'*. 

Eine  Urkunde  von  1576  erwähnt  deren  8.  Im  Jahre  1770  veranstalteten 
in  Basel  50  l^apierer  eine  Jubiläumsfeier  und  gründeten  eine  Unterstützungskasse. 
1725  zählte  Basel   6  Papiermühlen,    1826    19   ßütteu,    1857   noch  deren    11. 

Im  Kt.  Zug  arbeitete  die  Mühle  in  Baar  (heute  (yartonfabrik  von  Ph.  Meyen- 
berg),  eine  zweite  entstand  1658  in  Cham;  in  dieser  wurden  zum  ersten  Mal  in 
der  Schweiz  die  alten  Stampfwerke  durch  den  „Holländer**  ersetzt;  sie  existirt 
heute  noch  als  modern  eingeiichtete  Papierfabrik. 

Die  Papiermühle  Rotzloch  im  Kt.  Unterwaiden,  anno  1 600  von  Nicolas 
Rieser,  früher  Ammann  in  Bellinzona  gegründet,  hat  bis  vor  Kurzem  fortbestanden. 
Die  Luzerner  Mühlen  in  Horw  (seit  1685)  und  Kriens  (seit  1781)  existirten 
bis  um  1870;  in  letzterer  wurden  seiner  Zeit  die  vorzüglich  festen,  rostgelben 
sog.   Bankpackj)apiere  fabrizirt. 

In  Zürich  erwarb  1470  Heinrich  Walchweiler  von  Zug  die  Mahl-  und 
Sägemühle  von  Otto  im  Werd  und  erbaute  daselbst  auf  der  später  „  Papierer werd** 
genannten  Limmatinsel  am  untern  Mühlesteg  eine  Papiermühle.  Dieselbe  gelaugte 
später  an  den  Rath  der  Stadt  Zürich  und  wurde  von  diesem  renovirt,  um  1535 
dem  Papiermacher  Eustachius  Froschauer  und  dessen  Bruder  Christoph,  dem 
berühmten  Buchdrucker  der  Reformiitionszeit,  als  obrigkeitliches  Handlelien  über- 
geben.    Der    letzte    Besitzer,    Johann    Vügeli    z.    Finken,    loste    das    Erblehens- 


Papierindustrie  —     560     —  Papierindustrie 

verhältniß  zum  Fiskus  im  Jahre  1837  durch  Auskanf,  nachdem  er  schon  1832 
eine  Papiermaschine  aufgestellt  hatte.  Heute  bildet  das  Etiiblissement  einen 
integrirenden  Bestandtheil  der   sehr  bedeutenden  Papierfabrik  an  der  Sihl. 

Papiermühleu  befanden  sich  ehedem  auch  in  Schaffhausen,  Goldach  (1582 
von  Leonhard  Straub,  dem  ersten  Buchdrucker  St.  Gallens  gegründet),  Ober- 
krätzeren (1604  durch  den  Abt  Bernhard  IL  erbaut),  Lübel  (Appenzell,  1669) 
und  Herisau,  Cannobbio  (Tessin)  und  Vouvry  (Wallis,  seit  1639  bekannt). 

Die  alte  mühevolle  Papiermacherei  erlitt  von  1799  an  successive  eine  voll- 
ständige Umwandlung  auf  Grund  der  Maschine  für  die  Herstellung  endlosen 
Papiers,  die  in  ihren  Grundzügen  im  genannten  Jahre  von  Louis  Robert,  einem 
Arbeiter  in  der  Papierfabrik  von  Fran^ois  Didot  zu  Essonnes  bei  Paris,  erfunden 
wurde. 

In  der  Schweiz  fanden  die  neuen  Papiermaschinen  in  den  dreißiger  Jahren 
Eingang;  die  damals  noch  junge  Firma  Escher  Wyß  &  Cie.  in  Zürich  war  eine 
der  ersten  Maschinenfabriken,  die  sich  mit  voller  Energie  auf  den  Bau  von  ver- 
besserten Papiermaschinen  verlegten;  sie  erwarb  sich  damit  in  wenig  Jahren 
europäischen  Ruf,  wie  später  auch  Tb.  Bell  &  Cie  in  Kriens  bei  Luzern. 

Roh-  und  Hülfttstoffe  zur  Papierfabrikation  sind  u.  A. :  Hadern,  weiße  (zu 
60  ^/o  aus  Leinen,  zu  40  ^/o  aus  Baumwolle),  Zwilch  (Sack lumpen),  farbige  Baum- 
wolle, Bast,  Halbwolle  (Schranz),  Papierspähne,  Fichtenstoff,  Aspenstoff,  Strohstoff, 
Cellulose. 

Einfuhr  und  Ausfuhr  von  Erzeugnissen  der  Papierindustrie 
(ohne  Holzstoff).  Einfuhr  im  Jahresdurchschnitt  1851/59  brutto  3412  q, 
1860/69  brutto  6770  q,  1870/79  brutto  19,453  q,  1880/84  brutto  15,041  q, 
1885  netto  35,138  q,  1886  netto  39,339  q  im  geschätzten  Werthe  von 
Fr.  4^357,000;  hievon  entfallen  ca.  60 7o  auf  Deutschland,  ca.  21%  auf 
Oesterreich,  ca.  11  ^o  auf  Frankreich  oder  22  ^o  (des  Werthes)  auf  Buchbinder- 
und Cartonnagearbeiten,  ll^li^JQ  auf  Buntpapier,  Papiertapeten  etc.,  Ib^l^^JQ 
auf  Drnck-  und  Schreibpapier,  ^^l^^ja  auf  Pappendeckel,  9^0  auf  Papierwäsche, 
^^l^^jo  auf  Pack-  und  Löschpapier,  l^li^ja  auf  Etiq netten  etc.,  4^0  auf  ein- 
farbiges Seidenpapier,  S^/i^/o  auf  Porzellan-  und  Kreidepapier  etc.,  2^0  auf 
Glas-,  Rost-  und  Schmirgelpapier.  Einfuhr  im  Jahre  18b7  :  39,653  q  im  geschätzten 
Werthe  von  Fr.  4^552,380. 

Ausfuhr  im  Jahresdurchschnitt  1851/59  brutto  410  q,  1860/69  brutto 
5024  q,  1870/79  brutto  14,723  q,  1880/84  brutto  13,461  q,  1885  netto 
24,086  q,  1887  netto  27,893  q  im  deklarirten  Werthe  von  Fr.  2^171,876. 
Ca.  30  ^/ü  der  1887er  Ausfuhr  bestand  in  Pack-  und  Löschpapier,  ca.  62% 
in  Druck-  und  Schreibpapier;  das  Meiste  ging  nach  Frankreich,  Italien,  Deutsch- 
land und  Belgien.  —  Bis  1857  blieb  die  schweizerische  Papierausfuhr  unter 
500  q  jährlich,  dann  stieg  sie  zunächst  auf  1000  und  bis  zum  Jahre  1865  auf 
2888  q;  in  den  folgenden  4  Jahren  machte  sie  Sprünge  auf  5900,  8900, 
10,807  und   11,9U0  q,  und  gelangte  von  da  an  auf  die  oben  angegebene  Höhe. 

Als  kleinere  Zweige  der  Papierindustrie  sind  hier  noch  zu  erwähnen : 

Die  Papier  Säcke  fabri  hat  fon^  die  von  ca.  2  Dzd.  Firmen  als  Spezialität  be- 
trieben wird  und  sehr  viele  Hände  in  Privathäusern  und  Anstalten  beschäftigt; 
ferner  die  PapiertüHsotfabrikation  mit  ca.  7^  Dzd.  Firmen ;  die  Papierwäschc- 
t'ibrikaiion,  soweit  bekannt  von  3  Firmen  in  Zürich  und  Baselstadt  betrieben; 
die  Papieriaternenfabrtkati'on  als  Spezialität  einer  Firma  in  Außersihl  und  endlich 
—  last  uüt  least  —  die  Geseßiüflsbüc/ier-  und  die  Briefcoiioertfabrikation,  jede 
Branche  durch  hehr  uamliai'te  Firmen  betrieben.     S.  auch    -Buchbinderei**. 


Paraguay  —      561      —  Patentbureaux 

Paraguay  steht  seit  April  1881  mit  der  Schweiz  im  Yertragsverhältniß 
durch  den  Weltpostvereinsvertrag.  Den  Waarenverkehr  betreffend  siehe  Argen- 
tinien auf  Seite  830  im  I.   Band. 

Parfumerie.  Die  Fabrikation  von  Parflimerien  hat  in  neuerer  Zeit  auch 
in  der  Schweiz  Boden  gefaßt  und  es  sogar  zu  einem  Export  gebracht,  der  dem 
Import  (früher  viel  stärker)  ungefähr  gleich  kommt.  1887  Export  Fr.  138,000, 
Import  Fr.  126,000.  Buchmann  &  Cie.  in  Winterthur,  Fabrik  parfiimirter  Seifen, 
unter  dem  Fabrikgesetz. 

Paris-Lyon-Mediterranee.  Am  I.Januar  1862  hat  die  Gesellschaft  der 
französischen  Mittelmeer  bahn  die  bis  dahin  der  Gesellschaft  Lyon- Gene  ve  ge- 
hörende Strecke  von  der  Schweiz.  Grenze  bei  la  Plaine  bis  Genf  (16,250  m) 
dorch  Fusion  mit  der  alten  Gesellschaft  erworben  (vide  Lyon-Geneve). 

Pariser  Tambour-Reinette.  Fast  in  allen  obstbauti-eibenden  Gegenden 
der  Schweiz  heimischer  Tafel-  und  Mostapfel  1.  Ranges. 

Parquetbodenwichse.  Nach  Birkhäuser  8  Fabr.  (5  Zürich,  je  1  Baselstadt, 
Genf,  Thurgau). 

Parquetfabrikation.  Diesem  Geschäftszweig  lagen  im  Jalire  1880  (laut 
eidg.  Berufsstatistik)  672  Personen  ob,  wovon  150  im  Kt.  Bern,  110  in  Ob- 
walden,  73  im  Kt.  Solothurn,  71  im  Kt.  St.  Gallen,  57  in  der  Waadt,  37  im 
Kt.  Zürich,  30  im  Kt.  Uri  u.  s.  w.  Die  erste  Schweiz.  Parquetfabrik  wurde 
im  Jahre  1852  von  Alt-Nationalrath  Seiler  in  Verbindung  mit  den  HH.  Weyer- 
mann  und  Stehler  in  der  jetzigen  alten  Brauerei  in  Interlaken  gegründet,  später 
nach  ünterseen  verlegt  und  1859  einer  Aktiengesellschaft  mit  einem  Gründuugs- 
kapital  von  Fr.  700,000  abgetreten.  Später  entstanden  der  Keihe  nach  Kon- 
knrrenzfabriken  in  Tour-de-Trerae  bei  Bulle,  in  Grenchen,  Aigle,  Goldbach  bei 
Burgdorf,  Carouge,  Luzern,  Biberist,  Kerns,  Komont.  Noch  später  folgten  auch 
Geschäfte  in  Basel,  Zürich,  Neuenburg,  Lausaune,  Rolle,  Winterthur,  Bern, 
St.  Gallen,  Unter walden,  Uri  etc.,  zum  Theil  jedoch  in  ganz  unbedeutenden 
Dimensionen,  von  Ziniraerleuten,  Schreinern  etc.  betrieben.  Viele  davon  sind  wieder 
eingegangen,  doch  gibt  es,  nach  Birkhäuser's  Adreßbuch  (Basel,  1885),  immer 
noch  etwa  70  Geschäfte  dieser  Art.  Das  Adreßbuch  von  Hans  Schwarz  (Zürich, 
1888)  verzeichnet  ihrer  49,  wovon  10  Kt.  Bern,  6  Ob  walden,  6  Genf,  5  Kt. 
St.  Gallen,  4  Kt.  Zürich  etc.     19  Etabl.   unter  dem  Fabrikgesetz. 

Die  heutige  Parquetproduktion  wird  auf  300,000  m^  im  Werthe  von  zwei 
Millionen  Franken  geschätzt,  wovon  ungefähr  20  ^/o  exportirt  werden,  und  zwar 
hauptsächlich  nach  Frankreich  und  Italien.  Die  Industne  hatte  ihre  Blüthezeit, 
was  den  Erwerb  anbetrifft,  in  den  60er  und  70er  Jahren.  Mit  der  Parqueterie 
steht  in  der  Schweiz  auch  die  Chaletfabrikation  (s.  diese)  und  die  Bauschreinerei 
in  Verbindung. 

•  Die  Schweiz.  Waaren Verkehrsstatistik  verzeichnet  für  rohe  Parqueterie  eine 
Einfuhr  von  363  q  brutto  im  Jahresdurchschnitt  1877/79,  von  22  q  brutto 
im  Jahresdurchschnitt  1880/84;  eine  Ausfuhr  von  1253  q  brutto  im  Jahres- 
durchschnitt 1875/79,  von  3030  q  brutto  im  Jahresdurchschnitt  1880/84.  Seit 
1885  bildet  die  Parqueterie  keine  eigene  Position  mehr  in  der  Waaren  Verkehrsstatistik. 

Pastorenbirne.  Tafelobst  2.  und  Wirthschaftsobst  4.  Ranges,  seit  Jahren 
in  allen  Baumschulen. 

Patentbureaux.  Mit  der  Vermittlung  von  Erfindungspatenten  befassen  sich, 
nach  Wissen  des  Lexikons,  die  Firmen  E.  Blum  &  C'  in  Zürich,  Bourry-Sequin 
in  Zürich,  Imer  -  Schneider  in  Genf,  Fr.  Marti  in  Winterthur,  Kühne  in  Basel 
(Herausgeber  des  Schweiz.  Patentblattes). 

Furrer,  Volkawirthschafta-Lexlkon  der  Schweiz.  3(i 


Patentschulz  —      562     —  Patentschutz 

Patentschutz«  (Mitgetbeilt  von  Herrn  Dr.  Kaufmann,  eidg,  Gewerbe- 
sekretär.) Im  Artikel  ^  Erfindungs-,  Muster-  und  Modellschatz "  ist  die  Geschichte 
des  Erfindungsschutzes  in  der  Schweiz  bis  zum  26.  Mai  1885  dargestellt  worden, 
und    es  dürfte  hier  der  Ort  sein,   ihre  bedeutungsvolle  Fortsetzung  zn  skizziren. 

In  einer  Botschaft  an  die  Bundesversammlung,  vom  1.  Juni  1886,  betreffend 
Förderung  von  Landwirthschaft,  Industrie  und  Gewerbe,  sowie  betr.  den  Schutz 
des  gewerblichen  Eigenthums,  formulirte  und  begründete  der  Bundesrath,  an- 
knüpfend an  die  Motion  Grosjean  vom  10.  Dezember  1883,  den  Antrag: 

«Die  Bundesverfassung  vom  29.  Mai  1874  erhält  folgenden  Zusatz: 
«Art.  64  ^''».  Dem  Bunde  steht  die  Gesetzgebung  zu  über  den  Schutz  der  Er- 
findungen auf  dem  Gebiete  der  Industrie,  der  Landwirthschaft  und  der  Gewerbe, 
sowie  über  den  Schutz  der  Muster  und  Modelle.* 
Diesen   Antrag   empfahl    der    Bundesrath   nochmals   nachdrücklich   in    einer 

Botschaft  vom  5.  November  1886,  betreffend  die  Ratifikation  von  Zusätzen  zur 

internationalen  Konvention  über  den  Schutz  des  gewerblichen  Eigenthums  (siehe 

„  Gewerbliches  Eigen th um  "  ). 

Der  Nationalrath   beschloß  am  18.  Juni  1886  mit  76  gegen  45  Stimmen 

Eintreten  auf  die  Vorlage  und  am  24.  Juni  mit  88  gegen  16  Stimmen  folgende, 

einem    die  Opposition  der  chemischen  Industrie  beseitigenden  Yermittlungsantrag 

von  BUhler-Honefff/er  entspringende  Fassung  derselben : 

„In  Art.  64  der  Bundesverfassung  vom  29.  Mai  1874  wird  nach  den  Worten : 
ȟber  das  Urheberrecht  an  Werken  der  Literatur  und  Kunst*  ein  Zusatz  ein- 
geschaltet folgenden  Inhaltes:  Dem  Bunde  steht  die  Gesetzgebung  tu  über  den 
Schutz  neuer  Muster  und  Modelle,  sowie  solcher  Erfindungen,  welche  durch 
Modelle  dargestellt  und  gewerblich  verwerthbar  »tnd.* 
Das  Traktandum   ging  hierauf  an  den  Ständerath.    Noch  einmal  trafen  die 

Gegensätze  vor  der  herannahenden  Entscheidung  des  vierzigjährigen  Kampfes  ') 
in  seiner  Kommission  auf  einander.  In  ihrer  Sitzung  vom  18./20.  Oktober  1887 
trennte  sie  sich  in  zwei  gleich  starke  Fraktionen  (je  drei  Mitglieder),  von  welchen 
die  eine  für,  die  andere  gegen  Eintreten  auf  die  Vorlage  stimmte.  Die  beidseitigen 
Anschauungen  sind  in  den  gedruckten  Berichten  der  Fraktionsberichterstatter 
(A,  Gavurd,  April  1887,  und  Rieter,  18.  April  1887)  niedergelegt.  Der  Stände- 
rath schloß  sich  jedoch  am  28.  April  1887  dem  oben  erwähnten  Nationalraths- 
beschluß  an  und  es  wurde  somit  der  „Bundesbeschluß  betreifend  Ergänzung  des 
Art.  64  der  Bundesverfassung  vom  28.  Mai  1874**   perfekt. 

Diese  Vorgänge  waren  begleitet  von  einer  ziemlich  bewegten  Agitation  der 
an  der  Einführung  des  Erfindungsschutzes  interessirten  Kreise,  welche  sich  zu 
Gunsten  des  Erfindungsschutzes  namentlich  in  einer  Reihe  von  Petitionen  an  die 
Käthe,  worunter  solche  mit  Tausenden  von  Unterschriften,  kundgab.  Die  haupt- 
sächlichsten dieser  Eingaben  gingen  aus  vom  Schweiz.  Erfindungs-  und  Muster- 
schutzverein, Schweiz.  Gewerbeverein,  der  Gesellschaft  ehemaliger  Polytechniker, 
dem  Schweiz,  landwirthschaftlichen  Verein,  dem  Schweiz.  Ingenieur-  und  Architekten- 
verein, den  Grütlivereinen,  den  zahlreichen  Vereinigungen  der  ührenindustrie,  des 
Gewerbes  etc.  etc. 

Der  genannte  Bundesbeschluß  vom  28.  April  1887  wurde  am  10.  Juli  1887 
der  Abstimmung  des  Volkes  und  der  Stände  unterbreitet  (siehe  Botschaft  des 
Bundesrathes  vom  16.  August  1887),  welche  das  Resultat  hatte,  daß  sich  für 
Annahme  der  Vorlage  die  Mehrheit  des  Volkes  (203,506  gegen  57,862  Stimmen) 


*)  Die  Angabe  auf  Seite  572,  I.  Band,  betreffend  den  ersten  Anstoß  zur  Einführung 
des  Erfindungsschutzes,  wolle  man  nach  der  Ausführung  auf  Seite  343,44  («Literarisches 
und  künstlerisüches  Eigenthum*),  II  Band,  berichtigen. 


Pateotschutz  —     563     —  Patentschutz 

iu  allen  Kantonen  und  Halbkantonen,  außer  in  Uri  und  Appenzell  I.-Kh.,  aus- 
sprach. Mit  Bundesbeschluß  vom  20.  Dezember  1887  wurde  daher  die  erwähute 
thoil weise  Abänderung  der  Bundesverfassung  als  angenommen  erklärt  und  damit 
die  endliche  Einführung  des  Erfiudungs-,  Muster-  und  Modelischutzes  in  der 
Schweiz  proklamirt. 

Daraufhin  ist  vom  eidg.  Uandelsdepartement  der  Entwurf  zu  einem  j^Bundes- 
f/eseie  betreffend  die  Erfindunf/spatente^y  unter  Beiziehung  einer  Expertenkommis- 
sion, ausgearbeitet  und  vom  Bundesrathe  den  eidg.  Käthen  mit  Botschaft  vom 
20.  Januar  1888  unterbreitet  worden.  Das  aus  den  Berathungen  der  Räthe 
hervorgegangene,  vom  Volk  nicht  beanstandete  Gesetz,  d.  d.  29.  Juni  1888,  lautet: 

I.  Allgemeine  Bestimmungen.  Art.  1.  Die  schweizerische  Eidgenossenschaft  ge- 
währt, in  der  Form  von  Erfindungspatenten,  den  Urhebern  neuer  Erfindungen,  welche 
gewerblich  verwerthbar  und  durch  Modelle  dargestellt  sind,  oder  deren  Rechtsnachfol- 
gern die  in  vorliegendem  Gesetze  bezeichneten  Rechte. 

Art.  2.  Erfindungen  gelten  nicht  als  neu,  wenn  sie,  zur  Zeit  der  Anmeldung,  in 
der  Schweiz  schon  derart  bekannt  geworden  sind,  daß  die  Ausführung  durch  Sachver- 
ständige möglich  ist. 

Art.  3.  Ohne  die  Erlaubniß  des  Patentinhabers  darf  Niemand  den  Gegenstand 
der  Erfindung  darstellen  oder  damit  Handel  treiben.  —  Bildet  ein  Werkzeug,  eine 
MiCschine  oder  eine  sonstige  Betriebsvorrichtung  den  Gegenstand  der  Erfindung,  so 
ist  der  Gebrauch  dieses  Gegenstandes  zu  einem  gewerblichen  Zwecke  ebenfalls  nur 
mit  Erlaubniß  des  Patentinhabers  gestattet.  Letztere  gilt  als  ertheilt,  wenn  der  paten- 
tirte  Gegenstand  ohne  irgend  welche  einschränkende  Bedingung  in  den  Handel  ge- 
bracht wird. 

Art.  4.  Die  Bestimmungen  des  vorhergehenden  Artikels  sind  nicht  auf  solche  Per- 
sonen anwendbar,  welche  zur  Zeit  der  Patentanmeldung  die  Erfindung  bereits  benutzt 
oder  die  zu  ihrer  Benutzung  nöthigen  Veranstaltungen  getrofien  haben. 

Art.  5.    Das  Patent  ist  durch  Erbfolge  übertragbar.   Auch  kann  es  den  Gegenstand 
einer  gänzlichen  oder  theilweisen  Abtretung,  beziehungsweise  Verpfandung,  bilden,  oder 
denjenigen  einer  Licenz,  die  einen  Dritten  zur  Benutzung  der  Erfindung  ermächtigt. 
Uebertragungen  von  Patenten  und  Licenzertheilungen  sind  Dritten  gegenüber  nur  wirk- 
sam, wenn  sie  nach  Art.  19  dieses  Gesetzes  einregistrirt  sind. 

Art.  6.  Die  Dauer  der  Patente  ist  fünfzehn  Jahre,  vom  Tage  der  Anmeldung  an. 
—  Für  jedes  Patent  ist  eine  Hinterlegungsgebühr  von  Fr.  20  und  eine  in  folgender 
Weise  zunehmende  Jahresgebühr  zu  entrichten:  Für  das  erste  Jahr  Fr.  20,  für  das 
zweite  Jahr  Fr.  30,  für  das  dritte  Jahr  Fr.  40  u.  s.  w.  bis  zum  15.  Jahre,  für  welches 
die  Gebühi  Fr.  160  beträgt.  —  Diese  Gebühr  ist  zum  Voraus,  am  ersten  Tage  des  be- 
treffenden Patentjahres,  zu  entrichten.  Der  Patentinhaber  kann  dieselbe  auch  für  meh- 
rere Jahre  vorausbezahlen.  Wenn  er  vor  Ablauf  der  Zeit,  für  welche  er  bezahlt  hat, 
auf  das  Patent  verzichtet,  so  werden  ihm  die  dannzumal  noch  nicht  verfallenen  Jahres- 
gebühren zurückvergütet. 

Art.  7.  Der  Inhaber  eines  Patentes,  welcher  an  der  durch  dasselbe  geschützten 
Erfindung  eine  Verbesserung  anbringt,  kann  durch  Bezahlung  einer  einmaligen  Gebühr 
von  Fr.  20  ein  Zusatzpatent  erhalten,  das  mit  dem  Hauptpatent  sein  Ende  erreicht. 

Art.  8.  Einem  in  der  Schweiz  niedergelassenen  Patentbewerber,  welcher  nach- 
weisbar unvermögend  ist,  kann  für  die  drei  ersten  Jahresgebühren  Stundung  bis  zum 
Beginn  des  vierten  Jahres  gewährt  werden.  Wenn  er  alsdann  seine  Erfindung  fallen 
läßt,  so  werden  ihm  die  verfallenen  Gebühren  erlassen. 

Art.  9.  Das  ertheilte Patent  erlischt:  1)  wenn  dor  Inhaber  in  schriftlicher  Eingabe 
an  das  eidgenössische  Amt  für  gewerbliches  Eigenthum  auf  dasselbe  verzichtet ;  2)  wenn 
die  Jahresgebübren  nicht  spätestens  innerhalb  drei  Monaten  nach  der  Fälligkeit  (Art.  6) 
bezahlt  werden.  —  Das  eidgenössische  Amt  für  gewerbliches  Eigenthum  wird,  immer- 
hin ohne  Verbindlichkeit  für  dasselbe,  den  Inhaber  unverzüglich  vom  Verfall  der  Jahres- 
gebühr verständigen ;  3)  wenn  die  Erfindung  nach  Ablauf  des  dritten  Jalires,  vom  Datum 
der  Anmeldung  an  gerechnet,  nicht  zur  Anwendung  gekommen  ist ;  4)  wenn  der  paten- 
tirte  Gegenstand  vom  Ausland  in  die  Schweiz  eingeführt  wird,  und  der  Inhaber  des 
Patentes  gleichzeitig  schweizerische  Licenzbegehren,  welche  auf  billiger  Grundlage  be- 
ruhen, abgelehnt  hat.  —  Die  Klage  auf  Hinfölligkeit  des  Patentes  in  den  Fällen  von 
Ziffer  3   und  4  kann  von  Jedermann,  welcher  hiefür  ein   rechtliches  Interesse  nach- 


PatenUchutz  —      504      —  Patentschutz 

weist,  bei  dem  für  die  Nachjihinungsklage  zustündij^en  Gerichte  (Art.  30)  angehoben 
werden. 

Art.  10.  Ein  erth<;ilte3  Patent  ist  al<  niciitig  zu  erklären:  1)  wenn  die  Erfindung 
nicht  neu  oder  gowerbhch  nicht  verwerthbar  ist ;  2)  wenn  der  Patentinhaber  weder 
Krheher  der  Eründung  noch  dossen  Kechtsnacht'olger  ist,  wobei  jedoch  bis  zum  Beweise 
des  Gej^'entheils  der  Patentnehmer  als  Urheber  der  betretTendeii  Ertindung  gilt;  3)  wenn 
der  Titel  der  Ertinduug,  unter  welchem  das  Patent  nachgesucht  worden  ist,  einen  an- 
dern als  den  wirklichen  Ge^renstand  der  Ertindung  angibt  und  dem  Patentbewerber 
dabei  die  Absicht,  Andere  zu  tauschen,  zur  Last  fällt;  4)  wenn  die  mit  dem  Gesuche 
eingereichte  Darlegung  der  Erfindung  (Beschreibung  und  Zeichnungen)  nicht  jrenügt, 
um  Sachverständigen  die  Ausführung  der  Ertindung  möglich  zu  machen,  oder  mit  dem 
Modell  (Art.  14,  Ziffer  .*{)  nicht  übereinstimmt.  —  Die  Nichtigkeitsklage  steht  Jeder- 
mann zu,  der  dafür  ein  retrhtliches  Interesse  nachweist,  und  ist  bei  dem  zuständigen 
Gerichte  anzuheben. 

Art.  11.  Wer  nicht  in  der  Schweiz  wohnt,  kann  den  Anspruch  auf  die  Ertheilung 
eines  Patentes  und  die  Rechte  aus  dem  letztern  nur  geltend  machen,  wenn  er  in  der 
Schweiz  einen  Vertret«'r  bestellt  hat.  Der  Letztere  ist  zur  Vertretung  in  den  nach  Maß- 
gabe dieses  Gesetzes  stattfindenden  Verfahren,  sowie  in  den  das  Patent  betreffenden 
Keclitsstreitigkeiten  befugt.  —  Für  die  in  solchen  Hechtsstreitigkeiten  gegen  den  Palent- 
inhaber anzustellenden  Klagen  ist  das  Gericht  zuständig,  in  dessen  Bezirk  der  Vertreter 
seinen  Wuhnsitz  bat,  in  Ermangelung  oine<  solchen  das  Gericht,  in  dessen  Bezirk  das 
eidgenössische  Amt  seinen  Sitz  hat. 

Art.  12.  Der  Inhaber  eines  Patentes  für  eine  Erfindung,  welche  ohne  Benutzung 
einer  früher  patentirten  Ertindung  nicht  verwerlhet  werden  kann,  ist  berechtigt,  vom 
Inhaber  der  letztem  die  Ertheilung  einer  Licenz  zu  verlangen,  wenn  seit  der  Einreichung 
des  Gesuchs  für  das  frühere  Patent  drei  Jahre  verflossen  sind  «nd  die  neue  Erfindung 
von  erheblicher  gewerblicher  Bedeutung  ist.  —  Wenn  die  Licenz  bewilligt  ist.  so  ist 
der  Inhaber  des  früheren  Patentes  berechtigt,  auch  seinerseits  vom  nachfolgenden  Er- 
linder eine  Licenz  zu  verlangen,  welche  ihn  zur  Benutzung  der  neuen  ErtindunK  er- 
mäclitit^t :  unter  der  Voraussetzung  jedoch,  dali  diese  letztere  ihrerseits  mit  der  frühern 
Erfindung  in  einem  thatsächlichen  Zusammenhange  stehe.  -  In  Streitfallen  entscheidet 
das  Bundesgericht  und  setzt  die  zu  leistenden  Entscliädigungeu  und  Sicherheit  fest. 

Art.  IH.  Wenn  das  öffentliche  Interesse  es  erheischt,  kann  die  Bundesversamm- 
lung auf  Verlan^ren  des  Bundesratlie<  oder  einer  Kantonsregierung  die  Expropriation 
eines  Patenies  auf  Kosten  des  Bundes  oder  eines  Kantons  aussprechen.  —  Der  Bundes- 
beschluLi  wird  bestimmen,  ob  die  Erfindung:  das  ausschlieLiliche  Eigenlhum  des  Bundes 
oder  ob  sie  Gemeingut  wird.  —  Den  Betrag  der  ileni  Patentinhaber  zu  leisten  den 
Entschädigung  bestimmt  das  Bumiesgoricht. 

IL  Anmildumj  und  Krihrilung  der  Patente.  Art.  lt.  Wer  für  eine  Erfindung 
ein  Patent  erwerben  will,  hat  hiefür  beim  eidgenössischen  Amte  für  gewerbliches  Eigen- 
thum  ein  Gesuch  nach  MaL^abe  eines  sachbezüjrlichen  Fornmlai-s  einzureichen.  — 
Dieses  (Jesuch  darf  sich  nur  auf  einen  Hauptg(?genstand  mit  den  zu  demselben  gehöri- 
gen Details  beziehen.  Dasselbe  hat  den  Titel  der  Erfindung,  welcher  das  Wesen  des 
erfundenen  Gegenstandes  klar  und  besthnmt  bezeichnen  soll,  anzuK'eben. 

Dem  Gesuche  ^<ind  beizufü>:en:  1)  eine  Beschreibung  der  Eiiindun^.  welche  in 
einer  besonderen  Abtheilung  der  Schrift  die  wesenthclien  Merkmale  der  Ertindung  ge- 
drängt autTühren  mulö:  2i  die  zum  VerständniL»  der  Beschreibung  erforderlichen  2kjich- 
nun;-'en:  3»  der  Beweis,  dalö  ein  .Modell  des  erfundenen  Gegenstandes,  oder  der  Gegen- 
stand selbst,  vorhanden  i^t:  als  M()dell  gilt  die  Ausführung  der  Ertindung  oder  eine 
andere  körperliche  Darstellung'  derselben,  welche  deren  Wesen  klar  erkennen  läüt;  4)  die 
Summe  von  Kr.  40,  als  Ilinlerlegungs^rebühr  und  als  erste  Jahresgebühr  des  Patentes 
(Artikel  r»':  ."»i  ein   Verzeichnis  der  ein;:creichlen  Aktenstücke  und  Gegenstände. 

Das  Ge.«-ucli  und  »lie  schriftlichen  Beilagen  müssen  in  einer  der  drei  Landessprachen 
abgefaßt  sein.  —  Im  Falle  der  Versagun^'  de-  Patentes  wird  dem  Hinterlegenden  die 
JahreNj.'ebühr  von  Fr.  !2<>  mit  >ämmtlichen  j:euiaclilen  Eingaben  zurückerstattet. 

Art.  !.'>.  Der  Bundesrath  kann  für  einzelne  Klassen  V(»n  Erfindungen  die  Hinter- 
lejruntr  von  .Modellen    fttrdern.  l'eber  die  Ausfiibruni:  dieses    und   lies  vorstehenden 

Artikels  hat  der  Bundesrath  eine  Verordnunj:  zu  erlassen,  un«!  es  soll  derselbe  «labei  ins- 
be>oridere  über  da-  KrtorderniU  der  Zitier  3  im  Art.  14   nähere  Bestimmungen  tretTen. 

Art.  D».  Einem  Patentbewerber  i»^l  ;iHj:en  Krfüllun'j  der  in  den  Ziflern  l,  ä,  4 
und  T)  ile-  Artikel-  1 1  iiufjieslillten  Kotjui-ite  ein  j»rnns(>rtSfftfs]*nttnt  zu  erlheilen. — 
Die-e-    jiiovisoriM-lie  Patent    sichert    dem    Inhaber    desselben   während  der  Dauer  von 


Patentschutz  —     565      —  Patentschutz 

zwei  Jahren,  vom  Datum  des  Gesuches  an  gerechnet,  einzig  das  Recht  auf  ein  defini- 
tives Patent,  ohne  Rucksicht  darauf,  ob  die  Erlindung  inzwischen  in  die  Oeffenthchkeit 
gedrungen  sei.  Ein  Klajjrrecht  wegen  Nachahmung  oder  Betiutzung  der  Erlindung  steht 
jedoch  dem  Inhaber  nicht  zu.  —  Der  Inhaber  eines  provisorischen  Patentes  hat  vor 
Ablauf  dieser  zwei  Jahre  durch  Leistung  des  in  Ziffer  3  des  Art.  15  geforderten  Aus- 
weises ein  definitives  Patent  auszuwirken,  widrigenfalls  jenes  Patent  dahinfälit.  —  Das 
definitive  Patent  ist  nicht  rückwirkend.  Die  Dauer  desselben  whd  vom  Datum  des  pro- 
visorischen Patentes  bereclmet. 

Art.  17.  Jedes  Gesuch,  in  welchem  die  durch  die  Artikel  14,  15  und  16  vorge- 
scfiriebenen  Bedingungen  nicht  erfüllt  sind,  Lst  vom  eidgenössischen  Amte  für  gewerb- 
liches Eigenthum  zurückzuweisen;  gegen  eine  solche  Verfügung  kann  innerhalb  der 
Nothfrist  von  vier  Wochen  an  die  vorgesetzte  Verwaltungsbeliördc  rekurrirt  werden.  — 
Wenn  das  eidgenössische  Amt  vermöge  eines  der  in  Art.  10  aufgeführten  Gründe  die 
Erfindung  nicht  für  patentirbar  hält,  so  soll  es  den  Gesuchsteller  vorgängig  und  in 
konfidentieller  Weise  darauf  aufmerksam  machen,  ihm  überlassend,  ob  er  seine  Anmel- 
dung aufrechthalten,  abändern  oder  zurückzielien  will. 

Art.  18.  Die  Patente  (provisorische  und  definitive),  deren  Anmeldung  in  gehöriger 
W^ise  stattgefunden  hat,  werden  unverzüglich  ausgefei  tigt,  und  zwar  auf  Verantwort- 
lichkeit der  Gesüchsteller  und  ohne  Gewährleistung  des  Vorhandenseins,  der  Neuheit, 
oder  des  Werthes  der  Erfindung.  —  Das  eidgenössische  Amt  übermittelt  dem  Gesuch- 
steller ein  Attest,  welches  die  Erfüllung  der  vorgeschriebenen  Bedingungen  beurkundet 
und  webhem  die  Doppel  der  in  Art.  14  erwähnten  Beschreibung  und  Zeichnungen  bei- 
zufügen sind.     Dieses  Attest  bildet  das  (provisorische  oder  definitive)  Erfindungspatent. 

Art.  19.  Das  eidgenössische  Amt  für  gewerbliches  Eigenthum  führt  ein  Register, 
welches  folgende  Angaben  enthalten  soll:  den  Gegenstand  der  erlheilten  Patente,  Namen 
und  Wohnort  der  Patentinhaber  und  ihrer  Bevollmächtigten,  das  Datum  des  Gesuches 
und  der  Leistung  des  Ausweises  über  die  Existenz  des  Modelies,  sowie  alle  Aenderungen, 
welche  sich  auf  die  Existenz,  den  Besitz  und  den  Genuß  des  Patentes  beziehen.  — 
Rechtskräftige  Urtheile  über  Verfall,  Nichtigkeit,  Expropriation  und  Licenzertheilung 
sind  auf  Begehreu  der  obsiegenden  Partei  einzutragen. 

Art.  20.  Jeder  Inhaber  eines  definitiven  Patentes  hat  die  nach  demselben  herge- 
stellten Gegenstände  an  einer  sichtbaren  Stelle  mit  dem  eidgenössischen  Kreuz,  sowie 
mit  der  Nummer  des  Patentes  zu  versehen.  —  Wenn  dies  vermöge  der  Beschaffen- 
heit der  Gegenstände  nicht  thunlicii  ist.  so  ist  die  Bezeichnung  auf  deren  Verpackung 
anzubringen.  —  Der  Patentinhaber  verliert  sein  Klagrecht  wegen  Nachahmung,  wenn 
er  die  hier  vorgeschriebene  Bezeichnung  seiner  Erzeugnisse  unterlassen  hat. 

Art.  21.  Der  Inhaber  eines  definitiven  Patentes  kann  verlangen,  daß  die  in  Art.  4 
erwähnten  Personen  die  betreffenden  Gegenstände  ebenfalls  mit  dem  eidgenössischen 
Kreuz,  sowie  mit  der  Nummer  des  Patentes  versehen. 

Art.  22.  Jedermann  kann  auf  dem  eidgenössischen  Amte  mündliche  oder  schrifl- 
liche  Auskunft  über  den  Inhalt  des  Patentregisters  erhalten.  —  Der  Bundesratli  ist  er- 
mächtigt, für  diese  Mittheilungen  einen  mäßigen  Gebührentarif  aufzustellen. 

Art.  23.  Die  Titel  der  (provisorischen  und  definitiven)  Patente  mit  deren  Num- 
mern, sowie  dem  Namen  und  W^ohnort  der  l*atentinhaber  und  ihrer  Bevollmächtigten 
werden  sofort  nach  Ertheilung  der  Patente  vom  eidgenössischen  Amte  veröfientlicht.  - 
Das  Amt  veröffentlicht  in  gleicher  Weise  die  Erlöschung  der  Patente  und  jede  im  Be- 
sitze derselben  eingetretene  Aenderung.  —  Außerdem  veröffentlicht  das  eidgen.  Amt 
die  Beschreibungen  und  die  den  Patentgesuchen  beigefügten  Zeichnungen  und  gibt  sie 
zu  einem  mäßigen  Preise  ab.  Diese  Publikation  wird  an  folgende  Stellen  gratis  ver- 
sandt :  an  die  Departemente  des  Bundesrathes,  an  das  Bundesgericht,  an  die  kantonalen 
Regierungen  -  speziell  für  die  Gerichte,  welche  berufen  sind,  in  Klagesachen  wegen 
Nachahmung  zu  urtheilen  —  an  die  höhern  öffentlichen  Unterrichtsanstalten  und  an 
die  Gewerbemuseen  der  Schweiz.  Ferner  wird  man  obige  Publikation  mit  den  ähn- 
lichen Veröffentlichungen  anderer  Länder  austauschen.  -  Um  dem  Erfinder  die  Er- 
werbung von  Patenten  im  Auslande  zu  ermöglichen,  kann  auf  dessen  Gesuch  hin  die 
Veröffentlichung  der  Beschreibung  der  Erfindung  um  6  Monate  verschoben  werden.  In 
diesem  Falle  kann  der  Patentinhaber  gegen  Nachahmer  erst  nach  erfolgter  Veröffent- 
lichung Klage  anheben. 

///.  Von  der  Nachahmung.  Art.  24.  Gemäß  den  nachstehenden  Bestimmungen 
kann  auf  dem  Wege  des  Civil-  oder  Strafprozesses  belangt  werden:  1)  wer  patentirte 
Gegenstände  nachahmt  oder  sie  unerlaubter  Weise  benutzt;  2)  wer  die  nachgeahmten 
Gegenstände  verkauft,  feilhält,  in  Verkehr  bringt  oder   auf  schweizerisches  Gebiet  ein- 


frihrt. :  %•  w«r  t^i  <ii*w^n  HAniilnnj^.ti  wiA-^ntlich  mif^-wirlLr»  Oii*r  derea  AifesfOhrao^ 
l'y^lnHtitrt  fidftr  *^rt«ÄhtATt  uAf. ;  !■  w<r  -icn  wri^rt.  iie  H'iritaaft  toq  in  5eixL«iii  Besitze 
t^H^fin<ilt^ii^n  n;k<^h;r«ä^imtAn  (w*^^:x^^3kn.<i^ii  Anzainsben. 

Art.  25,  W>T  fr  in*  der  im  Tor*tfthenilen  Artikel  erwihntca  Handlun^rra  Torsätz- 
lir.h  \t^*t\\i,  wird  zum  .^had«o^r«Atz  venirth^tlt  ami  Hb^rdies  mit  einer  GeMboLe  im 
H*rtra(rft  ?on  Fr.  ^i  -  ä^J^j';.  '■Kler  mit  •'JefAniniiii  in  der  fmaer  von  Z  Tigen  bis  za  einem 
Jahr,  '^^r  mit  OUihuUe  nnd  Gefän/niL;  innertialt>  der  anjre^beoen  Begrenzung  bestrafL 
Ofrirefi  Hrit|[f;<ili;re  kennen  di**se  ^.r-*fen  bl*  aaf  daiä  I>oppeIte  erhöht  werden.  — 
h\(>L  fsiUr\Jt.^\'/(i  O^/ertretang  wird  oioht  bei^traft.  Die  Civilentäehädi^ng  bleibt  in- 
de^*Ti  in  den  in  Art.  i^l  erwähnten  Fällen  vorbebuiten. 

Art.  m.  Die  Civilkla;re  ^teht  Jedermann  zu.  welf^her  ein  rechtliches  Intere^*?« 
dar;kn  nachweirt.  -  liie  Ber-trafiinjr  eriVjljrt  nur  auf  Antra?  des  Verletzten,  nach  «ler 
HtrAfprnzedfiTflnnnit  de^jenijren  Kanton^,  in  welchem  die  KU;f»r  an^e9tren;?t  wini.  Diese 
kann  entwe*ler  ;iim  Domizil  de«  An;reschnldijrten.  oder  an  dem  Orte,  wo  das  Vergehen 
befr^n/en  worden  i?**.  erhoben  werden.  In  keinem  Falle  dürfen  für  das  gleiche  Ver- 
jf*!hen  mehrere  «trafrerhtlirhe  Verfolpun^ren  eintreten.  Wenn  seit  der  letzten  Ueber- 
tretunif  mehr  al-i  zwei  Jahre  verfl^ri--en  :»ind,  *^>  tritt  Verjährung  der  Klage  ein. 

Art.  ^  Die  Gerichte  halien  auf  Grund  erfolgter  Ciril-  oder  Strafklage  die  als 
nAthij(  er>i/:hteteri  vorsorglichen  Verfrtgnngen  zu  treffen.  Namentlich  kOnnen  sie  nach 
Vorweisung  de-»  pAtent^  eine  ^renaue  Beschreibung  der  angeblich  nachgeahmten  Gegen- 
stände, */»wie  der  au.^-^rhliei«lich  zur  Nachahmung  dienenden  Werkzeuge  und  Geräthe, 
und  n/ythi/eri falls  auch  die  B-^chlagnahme  erwähnter  Gegen«tän«le,  Werkzeuge  und  Ge- 
räthe  vorn'rhmen  langen.  Wenn  (irund  vorhanden  ist,  eine  Beschlagnahme  vorzu- 
nehmen, ^o  kann  da.'^  Gericht  d^m  Klfiger  eine  Kaution  auferlegen,  welche  er  vor  der 
BeH<-h)a^nahme  zu  hinterlegen  hat. 

Art.  ^.  f>a.-4  Gericht  kann  auf  Hechnung  und  bis  zum  Belaufe  der  dem  ver- 
letzten Theile  zuge<tprochenen  Knti^rhädigungen  und  <ler  Buüen  die  Konfiskation  der  mit 
He^chlag  belegten  Gegenstände  verfügen.  —  Es  s<jll,  selbst  im  Falle  einer  Freisprechung, 
wenn  n^thig,  die  Vernir-htung  der  au.-»s«:hliei>lich  zur  Nachahmung  bestimmten  W>rk- 
zeijg^r  und  Geriithe  anordnen.  -  Es  kann  auf  Kosten  der  Verurtheilten  die  Veröffent- 
lirhurifT  des  FlrkeriritniioeM  in  einer  oiler  mehreren  Zeitungen  anordnen. 

Art.  ^\).  Wer  recliLswidrigerweise  seine  Geschäflspapiere,  Anzeigen  oder  Erzeug- 
niHMe  mit  einer  Bezeichnung  versieht,  welche  zum  Glauben  verleiten  soll,  daß  ein  Pa- 
tent henteht,  wird  von  Amtes  wegen  oder  auf  Klage  hin  mit  einer  Geldbut»e  von  30 
hin  TAH)  Franken,  orler  mit  (ref;ingni(«  in  der  Dauer  von  3  Tagen  bis  zu  3  Monaten, 
oder  mit  (ieldhuüe  und  GetTingnit*  innerthalh  der  angegebenen  Begrenzung  bestraft.  — 
Geg*ri  hO/rk fallige  kann  diese  Strafe  bis  auf  das  Doppelte  erhöht  werden. 

Art.  'Mk  l)ie  Kanlone  haben  zur  Etehandlung  der  civilrechtlichen  Streitigkeiten 
we^'eri  \aeli;ihmung  f>atentirter  Gegenstfinde  eine  GericIiLsstelle  zu  }>ezeichnen,  welche 
den  Pro/^rti  als  einzige  kantonale  Instanz  entscheidet.  —  Die  Berufung  an  das  Bundes- 
gerifht  int  rdine  BdekHicIit  auf  den  Werthl>etrag  der  Streitsache  zulässig. 

Art.  31.  Der  Ertrag  der  Bußen  tlieUt  in  die  Kantonskasse.  Bei  Ausfallung  einer 
(JeldHtnite  hat  der  Hirhter  für  den  Fall  der  Niehteinbringlichkeit  derselben  eine  ent- 
Mprerhende  (teldstrafe  foMtzusirtzen. 

/  V.  VrrHchu'deneH  und  SrhlunHhestimmutufen.  Art.  32.  Die  Angehörigen  der 
liMiider,  welrhe  mit  der  Schweiz  eine  heziigliche  Konvention  abgeschlossen  haben,  kön- 
nen innerhalb  einer  Frist  wnn  7  Monaten  vom  Datum  des  Patentgesuches  in  einem  der 
genannten  Länder,  und  unter  Vorbehalt  der  Rechte  Dritter,  ihr  Gesuch  in  der  Schweiz 
hinterlegen,  ohne  daü  durch  inzwischen  eingetretene  Thatsachen,  wie  durch  ein  anderes 
PjitentgesiK'h  oder  ein«;  VeröfTentlichung,  die  Gilltigkeit  ihres  Patentgesuches  beeinträch- 
tigt werden  könnte.  Das  ^deiche  Hecht  wird  denjenigen  Scliweizerbürgem  gewährt, 
welche  in  erster  Linie  ein  Patentgesuch  in  einem  der  oben  bezeichneten  Länder  ein- 
gereicht haben. 

Art.  33.  Jedem  Erfinder  eines  patentirbaren,  in  einer  nationalen  oder  interna- 
tionalen Ausstellung  in  der  Schweiz  au.sgestcllten  Erzeugnisses  wird,  nach  Erfüllung  der 
vom  HundcHratli  zu  bestimmenden  Formalitaten,  ein  Schulz  von  sechs  Monaten,  vom 
Tage  der  Zulassimg  des  Erzeugnisses  zur  Ausstellung,  gewährt.  Während  der  Dauer 
dieHM"  letzteren  sollen  etwaige  Patentgesuche  seitens  Dritter  oder  Veröffentlichungen  den 
Erfinder  nicht  verhindern,  innerhalb  der  genannten  Frist,  das  zur  Erlangung  des  de- 
tiven  Schutzes  erforderliche  Patentgesueh  rechtsgültig  zu  stellen.  —  Wenn  eine  inter- 
nale AusMtellung  in  einem  I^inde  stattfindet,  das  mit  der  Schweiz  eine  bezOglichc 
•iition  abgeschlossen  hat,  so  wird  der  zeitweilige  Schutz,  welcher  durch  das  fremde 


Patentschhutz  —     567      —  Peru 

Land  den  an  der  betreffenden  Ausstellung  befindlichen  patentirbaren  Erzeugnissen  ge- 
währt worden  ist,  auf  die  Schweiz  ausgedehnt.  Dieser  Schutz  darf  eine  Dauer  von  sechs 
Monaten,  vom  Tage  der  Zulassung  des  Erzeugnisses  zur  Ausstellung,  nicht  Obersteigen 
und  hat  die  nämlichen  Wirkungen,  wie  die  in  vorstehendem  Absätze  beschriebenen. 

Art.  34.  Die  Ueberschüsse  der  Einnahmen  des  eidgenössischen  Amtes  für  gewerb- 
liches Eigenthum  sind  in  erster  Linie  zur  Anlage  von  Fachbibliotheken  in  den  in- 
dustriellen Centren  der  Schweiz  und  zur  wirksamen  Verbreitung  der  Publikationen  des 
genannten  Amtes  und  in  zweiter  Linie  dazu  zu  verwenden,  die  in  Art.  17,  Absatz  2 
dieses  Gesetzes  vorgesehenen  Nachforschungen  zu  fördern. 

Art.  35.  Der  Bundesrath  ist  beauftragt,  die  zur  Ausführung  dieses  Gesetzes  er- 
forderlichen Keglemente  und  Verordnungen  zu  erlassen. 

Art.  36.  Durch  vorüegendes  Gesetz  werden  die  in  den  Kantonen  geltenden  Be- 
stimmungen über  den  Schutz  der  Erfindungen  aufgehoben.  —  Erfindungen,  die  in  dem 
Zeitpunkt,  in  welchem  dieses  Gesetz  in  Kraft  tritt,  vermöge  der  kantonalen  Gesetze  noch 
Schutz  genießen,  verbleiben  gleichwohl  in  den  betreffenden  Kantonen  bis  zum  Ablaut 
der  gesetzlichen  Schutzdauer  geschützt. 

Auch  über  den  Schutz  der  Muster  und  Modelle  besteht  bereits  (Mitte  1888) 

ein  Gesetzesentwurf. 

Patronen  eidg.  Ordonnanz  werden  nur  in  der  eidg.  Munitionsfabrik  in 
Thun  hergestellt  ^Bundesregal).  Nicht  ordonnanzmäßige,  wie  Patronen  für  Kadetten- 
gewehre und  für  Schießmasken,  dürfen  von  der  Privatindustrie  fabrizirt  werden. 
Fabrik  in  Dübendorf,  Kt.  Zürich. 

Pedometer  (Schrittzähler),  für  Militär  und  Touristen  sehr  zweckmäßig,  iHt 
in  den  70er  und  80er  Jahren  nach  und  nach  ein  ansehnlicher  Artikel  der  west- 
schweiz.  Uhrenindustrie  geworden.  Ausfuhr  im  Jahre  1887  2022  Stk.  ä  Fr.  9.  70. 

Pekin.   Wichtiger  Artikel  der  Züricher  Seidenindustrie. 

Peluche.  Auf  die  Fabrikation  dieses  Artikels  haben  sich  erst  in  den  letzten 
Jahren  einige  Schweiz.  Fabriken  eingerichtet.  Als  „Pelucheschneidereien'*  sind 
in  Basel  3  Geschäfte  und  als  „Peluchekonfektion**  ist  in  Bischofszell  1  Greschäft 
dem  Fabrikgesetz  unterstellt. 

Pelzwaaren«  Der  Konsum  von  Pelzwerk  wird  auf  3  Millionen  Fr.  ge- 
schätzt, wovon  mehr  als  7*  importirte,  fertige  Waare,  hauptsächlich  aus  Deutschland 
und  Frankreich.  Ej^portirt  werden  für  Fr.  100,000—200,000,  hauptsächlich  nach 
Frankreich,  Italien  und  Deutschland.  Birkhäuser  (Basel,  1885)  gibt  die  Adressen 
von  ca.  160  Kürschnern  und  Pelzwaarenhandlungen. 

Percale.  Feines  dichtes  Baum wollge webe,  wovon  die  Glamer  Druckerei  jährl. 
ca.  5000  Stk.  ä  80  m  kon.snmirt;  zur  Hälfte  inländ.,  zur  Hälfte  engl.  Fabrikat. 

Persien.  Verträge  mit  diesem  Lande:  Die  Genfer  Konvention,  welcher  Persien 
am  5.  Dezember  1884  beigetreten  ist;  der  Handelsvertrag  vom  23.  Juli  1873 
(A.  S.  n.  F.  I,  195);  der  Weltpostvertrag  vom  1.  Juni  1878  (A.  S.  n.  F.  III, 
673);  der  Vertrag  vom  3.  November  1880  betrefiFend  die  Poststücke  ohne  Werth- 
angabe (A.  S.  n.  F.  V,  881);  der  Vertrag  vom  29.  November/11.  Dezember 
1868  betreffend  die  Nichtanwendung  von  Sprenggeschoasen  im  Kriege  (A.  S.  IX, 
597);  der  Telegraphenvertrag  vom  10./22.  Juli  1875  (A.  S.  n.  F.  II,  295). 
Der  Waarenverkehr  mit  Persien  ist  unbekannt. 

Persiennes.  Mit  großen,  reichen  Mustern  bedruckte  Baumwollstoffe,  deren 
Fabrikation  in  Genf  und  Neuenburg  von  französischen  Flüchtlingsfamilien  schon 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  betrieben  wurde  und  sich  später,  wie  der  Zeugdruck 
überhaupt,  auch  in  anderen  Kantonen,   namentlich  in  Zürich,  ausbreitete. 

Pern  ist  mit  der  Schweiz  vertraglich  verbunden  durch  die  Genfer  Konvention, 
den  Metervertrag  vom  20.  Mai  1875  (A.  S.  n.  F.  II,  3)  und  den  Weltpost- 
vertrag vom  1.  Juni  1878  (A.  S.  n.  F.  III,  673).  Betreffend  den  Waaren- 
verkehr mit  Peru  siehe  Seite  837  im  I.  Band. 


Petroleum  —     568     —  Pfkndleihgewcrbe 

Petroleum«  Die  Einfuhr  von  P.  ist  von  ca.  140,000  q  in  den  70er 
Jahren  auf  ca.  »f)0,000  q  ini  Werthe  von  ca.  Fr.  7'000,000  gestiegen  (1^<87). 

Petroleumherde«  Fabrik  laut  Handelsregister:  \V.  Haber,  Zürich. 

Pfaffen apfel.  Wirthschattj^obist  2.  Hangen,  hauptii.  im  Soloth.  Gäa  heimisch. 

Pfandleihg;ewerbe.  (^litgetheilt  von  Herrn  Dr.  Hans  Balmer  in  Bern.) 
DüH  gewerbriniäL'ige  Leihen  auf  Werthuach^-n,  Schmuck,  Waffen  u.  8.  w.  ist  ohne 
Zweifel  auch  in  der  Schweiz  ko  weit  zuriickzu verfolgen,  wie  das  Darleihen  auf 
Grundbesitz.  So  ünden  wir,  um  nur  einen  Punkt  zu  berühren,  in  der  berniächen 
Gr'Kcbichte  die  lang  dauernden  Verhandlungen,  welche  im  Jahre  1294  ihren  Ab- 
Hchluß  fanden.  Die  angeklagten  Juden  hatten  alle  hinterlegten  Briefe  (Titel)  and 
PHinder  herauKzugeben  und  dazu  noch,  weil  nie  mit  dem  Wucher  großen  Gewinn 
getrieben  (wenn  .sie  ihrer  dick  genossen  haben),  1500  Mark  Silber  zu  bezahlen. 
Aehnliclic  Btuspiele  wären  viele  anzuführen.  Ueberall  int,  sofern  in  früheren  Zeiten 
von  gew(jrbMmäßigem  Geldleihen  (auf  Grund-  oder  Faustpfand)  die  Hede  ist,  auch 
der  Wucher  verbunden,  und  umgekehrt  befaßten  sich  die  Wucherer  gewerbsmäßig 
häufig  auch  mit  dem  Geldleihen  gegen  hohe  Zinse  auf  hinterlegte  bewegliche 
Gegenstände.  Die  Zeit  und  den  Ort  der  Errichtung  der  ersten  Pfandleihgeschäfte 
in  der  Schweiz  hat  das  Lexikon  nicht  in  Erfahrung  gebracht.  Immerhin  scheint 
der  ^ewrrl)sniäßig  geregelte  Betrieb  des  Pfandleihgewerbes  ein  Erzeugniß  der 
Nenztjit  zu  sein.  So  schreibt  in  der  Schweiz.  Zeitschrift  für  Gemeinnützigkeit 
(Jahr;C**ng  IHül,  Seite  236)  Pfarrer  Sptfri  in  Altstetten  in  einem  Aufsatz  über 
die   Pfand-   und  Leihhäuser: 

^rn.s(tn'  Freunde  in  Hrusel  (welche  1863  das  Thema  angeregt)  scheinen  nun  an- 
zunehmen, daß  in  unserem  Vaterlande  bu^her  wenig  oder  keine  Leih-  und  Pfandhäuser 
vorhanden  gewissen  s<*i('ii,  und  formell  haben  sie  gewiß  recht,  denn  es  sind  auch  uns 
nur  zwei  .solche  Institute,  licide  in  St.  Gallen,  bekannt:  die  dortige  Kreditanstalt,  die 
zugUiich  Sj)arkassr  ist,  um!  eine  ähnliche  Anstalt  im  Toggenburg." 

Das  Pfand k-ihgeschäft  der  Kreditanstalt  führte  den  Namen  „Kleine  Mobiliar- 
leihkaHse".  dieselbe  führte  sich  am  13.  April  1854  mit  einer  Ankündigung  beim 
Publikum  ein,   welche  den  Charakter  der  Institution  folgendermaßen  skizzirte*): 

I)it5M(*  Worte  bekunden  die  ehrbare  Absicht  und  den  guten  Willen,  dem 
Bedrängten  in  der  Nothlage  dienstbar  zu  sein,  ohne  zu  der  Armuth  aach  die 
Demilthigung  zu  fügen.  Die  Anstalt  hatte  also  offenbar  gemeinnützigen  Charakter. 
Sie   bestand   bis    1H75. 

Nach  Hirkhäuscr's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  bestehen  nun  in  der  Schweiz 
mindestens  7<>  private  Pfandleibgeschäfte.  (28  Kt.  Genf,  15  St.  Grallen,  7  Baselstadt, 
5  Bern,  4  Zürich,  3  Sehatfhausen,  3  Thurgau,  2  Solothurn,  je  1  Graubünden, 
Ntiuenburg,  Waadt,  Zug.)  Neben  diesen  Privatgewerbeu  wirken  einige  Anstalten 
gtjmeinnützigen  (-harakters,  wie  die  Mobiliarleihkasse  der  zürcherischen  Kantonal- 
bank, di(^  (  aisse  publique  de  prets  sur  gages  in  Genf  (seit  1872  unter  staatlicher 
Kontrole  stehend),  die  Basler  Pfandleihanstalt  (seit  1885,  auf  Aktien  gegründet 
von  der  üesellsehaft  des  Guten  und  Gemeinnützigen),  die  städtische  Mobiliarleih- 
kasso  in  St.  (iiiUen,  seit  1884,  entstanden  durch  Vermittlung  der  Gemeinnützigen 
(leselUehaft   der  Stadt   St.  Gallen. 

M  IWriehl  von  Dr.  W.  SchmidUn  an  der  Jahresversammlung  der  Schweiz,  gemein- 
nützigen ({esellsiliafl  in  l^ascl  (1864).  (Vergl.  Schweiz.  Zeitschrift  für  Gemeinnützigkeit, 
1865.  Seite  60.) 

p Keine  Bankanstalt,  keine  Bettelunslalt,  kein  Zufluchtsort  für  den  Leichtsinn  und 
die  Schieehtigkeit,  sondern  ein  ehrbares  Haus,  ilesseu  Thürschwelle  von  Jedermann  ohne 
Scheu  soll  betreten  werden  dürfen,  nicht  bloß  bei  der  Abenddämmerung,  sondern  am 
llen,  heitern  Tajre." 


Pfandleihgewerbe  —     569     —  Pfandleihgewerbe 

Gesetzliche  Regelung  des  Pfaudleihgewerbes.  Gesetze  und  Ver- 
ordnungen bestehen  in  den  nachfolgenden  Kantonen : 

Schaffhausen.  (Verordnung,  die  Pfaiidleih-  und  Rückkaufsanstalten  betretfend, 
vom  23.  August  1879.)  Die  Anstalten  stehen  unter  der  Aufsicht  der  Polizei- 
direktion.  Zur  Etablirung  derselben  bedarf  es  der  Genehmigung  des  Regieruiigs- 
rathes.  Die  Aastalten  haben  eine  ihrem  Umfange  entsprechende  Konzessiousgebühr 
zu  entrichten. 

Zürich.  (Gesetz  betreffend  die  Gewerbe  der  Pfandleiher,  Feilträger  und 
Gelddarleiher,  vom  21.  Mai  1882,  sowie  Reglement  vom  15.  Februar  1883 
betreffend  die  Mobiliarleihkasse  der  Kantoualbank.)  Die  Bewilligung  wird  von 
der  Direktion  der  Polizei  auf  das  Gutachten  des  Gemeinderathes  und  des  Statt- 
halteramtes hin  ertheilt.  Der  Pfandleiher  darf  an  Zinsen  nicht  mehr  als  1  ®/o 
pro  Monat  beziehen.  Das  Darlehen  darf  nicht  vor  sechs  Monaten  zurückgefordert 
werden.  Eine  Einschreibegebühr  bis  auf  20  Rp.  darf  bezogen  werden.  Eine  Ver- 
steigerung nicht  zurückerhobener  Pfänder  darf  erst  vier  Wochen  nach  Ablauf  der 
Verpfändungsfrist  stattfinden  und  ein  Ueberschnß  des  Erlöses  ist  dem  Pfand- 
eigenthlimer  auszuliefern,  bezw.  für  ihn  auf  der  Kantonalbank  zu  hinterlegen. 
Verjährt  der  Anspruch,  so  fällt  der  hinterlegte  Betrag  zur  Hälfte  in  das  Armengut 
der  Gemeinde,  zur  Hälfte  in  den  Kantonalaimenfond. 

Basel.  (Gesetz  über  das  Hausirwe^en,  die  Wanderlager,  den  zeitweiligen 
Gewerbsbetrieb,  die  öffentlichen  Aufführungen  und  Schaustellungen,  das  Trödel - 
und  Pfundleihgewerbe.  13.  November  1882.)  Zur  Betreibung  des  Gewerbes  ist 
die  polizeiliche  Bewilligung  nothwendig.  Dieselbe  ist  nur  Niedergelassenen  und 
gut  beleumdeten  Personen  zu  ertheilen.  Die  Gebühr  ist  per  Jahr  Fr.  5.  Die 
Pfandverträge  müssen  mindestens  auf  sechs  Monate  lauten.  Der  Zins  darf  für 
Darlehen  unter  Fr.  50  nicht  über  2  ^/o  und  bei  Darlehen  über  Fr.  50  nicht 
mehr  als  1  ^/o  per  Monat  betragen.  Für  Ausstellung  des  Pfandscheines  dürfen 
20  Rp.  berechnet  werden.  Die  Erneuerung  ist  wie  ein  neues  Geschäft  zu  betrachten. 
Ein  Mehrerlös  bei  Vergantung  der  nicht  eingelösten  Pfänder  ist  dem  Pfandschuldner 
auszubezahlen.  Pfandleihern,  welche  wiederholt  wegen  Gesetzesübertretung  bestraft 
worden  sind,  ist  der  Batrieb  des  Gewerbes  zu  untersagen. 

Neuenburr/.  (Loi  sur  les  preteurs  sur  gage  et  les  fripiers,  du  15  fevrier 
1883.)  Verboten  wird,  Ausrüstungsgegenstände  der  Soldaten,  der  Landjäger, 
Sicherheitswächter  in  Versatz  zu  nehmen.  Diejenigen,  welche  gewerbsmäßig  das 
Pfandieihgeschäft  betreiben  wollen,  haben  dies  zuvor  auf  der  Präfektur  anzuzeigen, 
welche  dem  Polizeidepartement  Mittheilung  maclit.  Verboten  ist,  Pfänder,  wie 
ührenschalen  ohne  das  Werk  oder  Werke  ohne  die  Schalen,  wie  auch  unvollendete 
Bijouteriegegenstände  oder  der  IJhreumacherei,  anzunehmen,  es  sei  denn,  der 
Fabrikant  selbst  hinterlege  dieselben  oder  der  Ueberbringer  sei  von  dem  Fabri- 
kanten schriftlich  autorisirt.  Desgleichen  ist  es  nicht  gestattet,  Pfänder  von  Aus- 
läufern, Lehrlingen  und  Dienstboten  anzunehmen,  wenn  sie  nicht  einen  schriftlichen 
Aasweis  von  den  Meisterleuten  vorweisen  können,  daß  sie  hiezu  Befehl  gegeben. 
Die  Strafen  für  Widerhandlungen  .steigen  von  Fr.  5 — 500  und  von  vier  Tagen 
G^fängniß  zu  sechs  Monaten. 

Si.  Gallen,  (Gesetz  betreffend  Mobiliarleihgeschäfte.  Erlassen  am  21.  Mai 
1881.  In  Kraft  getreten  am  l.  Juli  1884.  In  Wirksamkeit  getreten  am  7.  No- 
vember 1884.)  Wer  ein  Mobiliarleihgeschäft  betreiben  will,  bedarf  eines  Patentes, 
das  der  Regierungsrath  ausstellt.  Die  Gesuche  prüft  der  Gemeinderath  und  sein 
Gntachten  geht  an  den  Bezirksamtmann  und  zur  Regierung.  Der  Geschäftsinhaber 
ist  verpflichtet,  die  Namen  der  Schuldner  geheim  zu  halten.   Der  Geschäftsverkehr 


Pfandleihgewerbe  —     570     —  Pfandleihgewerbe 

mit  Minderjährigen  und  die  Belehnung  von  Militäreffekten  ist  untersagt.  Zins  für 
Darlehen  bis  Fr.  50  nicht  über  iVs  7o,  von  über  Fr.  50  nicht  über  1  7©  per 
Monat.  Das  Darlehen  darf  nicht  vor  Ablauf  von  drei  Monaten  zurückgefordert 
werden.  FUr  jedes  Darlehen,  wie  auch  Erneuerung,  Einschreibegebtihr  bis  20  Kp. 
Die  Dauer  eines  Patentes  beträgt  fHnf  Jahre.  Dasselbe  kostet  Fr.  20 — 50. 
Eine  Erneuerung  Fr.  5 — 10.  Eine  Kaution  ist  zu  leisten,  deren  Höhe  der 
Regierungsrath  bestimmt  nnd  die  beim  Gemeindeammann  hinterlegt  wird.  Bußen, 
insofern  nicht  Verbrechen  vorliegt,  verhängt  der  Gemeinderath  gegen  Fehlbare  im 
Betrage  von  Fr.  5 — 150,  in  schwereren  Fällen  das  Bezirksgericht  bis  auf  Fr.  500. 

Thurgau.  (Gesetz  betreffend  die  Pfand leihanstalten,  angenommen  vom  thur- 
gaui^chen  Volke  am  24.  Januar  1886.)  Der  Pfandleiher  bedarf  eines  Patentes, 
das  vom  Polizeidepartement  ausgestellt  wird.  Jährliche  Taxe  Fr.  30 — 100.  Das 
Gtjsuch  wird  wie  bei  St.  Gallen  an  den  Gemeinderath  gestellt.  Der  Pfandleiher 
darf  an  Zinsen  nicht  mehr  als  1  ^/o  per  Monat  beziehen.  Das  Darleihen  darf 
nicht  vor  Ablauf  von  sechs  Monaten  zurückgefordert  werden.  Mehrerlös  im  Falle 
der  Vergantung  des  Gegeuhtandes  fällt  an  den  Verpfänder,  im  Falle  der  Ver- 
jährung in  den  kantonalen  Httlfsarmenfond.  Straf bestimmnngen  Fr.  20 — 200, 
event.  4—40  Tage  Gefängniß. 

Bern,  (Gesetz  betreffend  den  Gewerbebetrieb  der  Gelddarleiher,  Darlehens- 
vermittler, Pfandleiher  und  Trödler,  sowie  betreffend  den  Wucher,  26.  Februar 
1888.)  Wer  das  Gewerbe  eines  Pfandleihers  betreiben  will,  bedarf  einer  staat- 
lichen Bewilligung,  welche  die  Polizeidirektion  ertheilt.  Der  Bewerber  muß 
bürgerlich  ehrenfähig  und  gut  beleumdet  sein.  Das  Geschäftslokal  muß  leicht 
zugänglich  sein.  Der  Pfandleiher  hat  eine  Geschäftkordnung  der  Polizeidirektion 
zur  Genehmigung  zu  unterbreiten  und  eine  Kaution  von  Fr.  2000  zu  leisten. 
Der  Regierungsrath  bestimmt  den  Höchstbetrag  des  Zinsfußes,  per  Monat  berechnet. 
Das  Darlehen  darf  nicht  vor  sechs  Monaten  zurückverlangt  werden.  Die  Strafen 
im  Falle  der  Gesetzesübertretung  betragen  Fr.  50—1000.  Bei  Abänderung  der 
Bestimmungen  in  den  amtlichen  Formularen  Fr.  50 — 500;  ebenso  bei  Austtbong 
des  Gewerbes  ohne  staatliche  Bewilligung  oder  vor  Genehmigung  der  Geschäfts- 
ordnung oder  Sicherheitsbestellung. 

Lueern  besitzt  keine  gesetzlichen  Bestimmungen,  das  Pfandleihgewerbe  be- 
treffend, dagegen  wurden  die  Statuten  der  dortigen  Anstalt  von  dem  Regiernngs- 
rathe  genehmigt.  Im  Kanton  Waadt  sind  die  Pfandleihanstalten  keinerlei  besondern 
Gesetzesbestimmungen  unterworfen.  Ebenso  bestehen  keine  derartigen  Gesetzes- 
bestimmungen im  Kanton  Solofhurn.  Im  Kanton  Freiburg  finden  einzelne  Be- 
stimmungen des  Civilgesetzbuches,  soweit  sie  nicht  durch  das  schweizerische 
Obligationenrecht  Abänderungen  erfahren,  sowie  einige  andere  Gesetzesbestimmungen 
auf  das  Pfandwesen  Anwendung,  ein  eigenes  Gesetz  besteht  nicht. 

Oenf,    Gesetz    vom    22.  Juni    1872    und    Reglement    vom    28.  Mai    1886 

betreffend  die  Caisse  publique  de  prets  sur  gages.  Diese  arbeitet  unter  folgenden 

Bedingungen : 

Die  Darleihen  werden  auf  bewetj^liche  Gegenstände  oder  Waaren  gemacht,  doch 
kann  die  Anstalt  diejenigen  Gegenstände  zurückweisen,  welche  bei  der  Aufbewahrung 
verderben  oder  die  einen  zu  großen  Raum  beanspruclien.  Das  kleinste  Darleihen  ist  auf 
Fr.  i2,  die  Dauer  auf  ein  Jahr  festgesetzt.  Es  wird  kein  Darleihen  an  Personen  verabfolgt, 
die  weniger  als  18  Jahre  alt  oder  die  im  Zustand  der  Trunkenheit  sind.  Nicht  ange- 
nommen wird  Handwerkszeug  des  Borgers,  ebenso  w^erden  nicht  angenommen  Barren 
edler  Metalle,  Gold-  und  Silbergegenstände  im  Zustand  der  Bearbeitung  und  neue  Waaren, 
von  denen  der  Borger  nicht  den  rechtmäßigen  Besitz  nachweisen  kann.  Es  wird  geliehen : 
*ß  des  Schatzungswerthes  von  Gold-  und  Silhergegenständen,  V*  auf  edle  Gesteine,  V* 
auf  andere  Gegenstände. 


Pfandleihgewerbe  —     571     —  Pferdehaar 

Diese  gedrängte  Uebersicht  der  bestehenden  Gesetzesbestimmnngen,  das  Pfand- 
leihwesen betreffend,  zeigt  die  großen  Unterschiede,  welche  hierin  hervortreten. 
Der  Zins,  welchen  die  Darleiher  fordern  dürfen,  steigt  bis  auf  2  ^/o  per  Monat 
(fllr  Darleihen  bis  auf  Fr.  50,  Kanton  Basel),  in  andern  Kantonen  (so  in  Zürich^ 
Thurgau)  darf  er  1  ^/o  per  Monat  nicht  übersteigen,  wieder  in  andern  (wie  in  Bern) 
wird  der  Zins  durch  regierungsräthliche  Verordnung  bestimmt.  Bern  ertheilt  an 
geeignete  Bewerber  eine  staatliche  Bewilligung  zur  berufsmäßigen  Betreibung  des 
Geschäftes  und  fordert  eine  Kaution  von  Fr.  2000,  Basel  eine  jährliche  Gebühr 
von  Fr.  5  nach  ertheilter  polizeilicher  Bewilligung,  St.  Gallen  ertheilt  ein  Patent 
auf  die  Dauer  von  5  Jahren  (Gebühr  Fr.  20 — 50)  und  gegen  eine  vom  Regierungs- 
rathe  festzustellende  Kaution.  Thurgau  ertheilt  ebenfalls  Patente.  Taxe  Fr.  30  -  100. 
Die  Gesetzesbestimmungen  von  Neuenburg  und  Genf  sind  besonders  detaillirt  in 
der  Aufführung  derjenigen  Gegenstände,  welche  nicht  als  Pfänder  angenommen 
werden  dürfen,  und  der  Vorschriften,  welche  bei  Annahme  von  Pfändern  aus  der 
Hand  von  Dienstboten,  Lehrlingen  u.  s.  w.  zu  beobachten  sind. 

Geschäftliche  Resultate.  Eine  Statistik  über  die  Zahl  Derer,  welche 
zum  Pfandleihhaus  ihre  Zuflucht  nehmen.  Über  die  versetzten  Gegenstände,  die 
geliehenen  und  verlorenen  Summen  wird  leider  nicht  geführt  und  so  entbehren 
wir  eines  Streiflichtes,  das  mehr  als  manches  andere  die  sozialen  Verhältnisse  in 
ihrer  wahren  Gestalt  erkennen  lassen  würde.  Was  die  Geschäftsberichte  der 
öffentlichen  Anstalten  verzeichnen,  ist  selbstverständlich  nur  ein  Bruchtheil  des 
ganzen  Umsatzes,  und  da  dieser  Bruchtheil  hier  kleiner,  dort  größer  ist,  fehlt 
auch  jede  Grundlage  zu  einer  Vergleichung.  Die  Caisse  publique  de  preis  de 
G^eneve  lieh  im  Jahre  1886  auf  27,034  Pfander  Fr.  519,672,  die  Basler  Pfand- 
leihanstalt im  Geschäftsjahre  1886/87  auf  7078  Pfänder  Fr.  168,746,  die 
Mobiliarleihkasse  der  Zürcher  Kantonalbank  im  Jahre  1886  auf  14,225  Posten 
Fr.  271,763,  die  st.  gallische  Mobiliarleihkasse  im  Jahre  1887  auf  11,381 
Posten  Fr.  137,352. 

Pferdebahnen  s.  Tramways. 

Pferdehaar,  Pferdehaarspinnerei.  (Nach  Mittheilungen  von  Herrn 
Isler,  Pf erdehaarsp inner  in  Pfäffikon,  Kt.  Zürich.)  Der  weitaus  größte  Theil 
der  rohen  Pferdehaare,  welche  in  der  Schweiz  zur  Verarbeitung  gelangen,  kommt 
aus  Südamerika  (La  Plata-Staaten,  Montevideo,  Buenos- Ay res),  aus  Rußland  und 
Sibirien.  Für  die  südamerikanischen  Haare  ist  Antwerpen  der  Hauptstapelplatz, 
fdr  die  russischen  und  sibirischen  Haare  Leipzig.  Die  sibirischen  Haare  sind  lang 
(Schweifhaare)  und  eignen  sich  deßhalb  zur  Roßhaarflechterei.  Amerika  liefert 
kürzere,  aber  weit  reinlichere  Haare. 

Inländische  Pferdehaare  sind  unter  dem  Namen  „Sammelroßhaare"  bekannt; 
ihre  Produktion  ibt  aber  von  geringer  Bedeutung. 

Schon  gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  wurden  Pferdehaare  gesponnen 
zu  Betten  und  Polstern ;  einen  größeren  Aufschwung  brachte  diesem  Gewerbe  in 
der  Schweiz  en^t  die  starke  Ueberhandnahme  der  Gasthöfe  in  den  50er  Jahren. 

Das  gute  Pferdehaar  wird  meistens  ohne  jede  Beimischung  gesponnen ;  ge- 
ringere Sorten  dagegen  werden  mit  Schweinshaaren  oder  Pflanzen  haaren  (mexi- 
kanische Fiber)  gemischt.  Aus  der  letzteren  Mischung  entsteht  aber  eine  so 
geringe  Waare,  daß  sie  nur  für  Polster,  nicht  auch  für  Betten  Verwendung 
finden  kann. 

Es  bestehen  in  der  Schweiz  ca.  1  Dutzend  Spinnereien  und  Knüpfereien, 
wovon  7  dem  Fabrikgesetz  unterstellt  sind.  Sie  befinden  sich  in  folgenden  Kan- 
tonen und  Ortschaften  :  Ki,  Bern :  Wangen  a.  A. ;  Kt.  Schaffhausen :  Thayngen ; 


Pferdehaar  —      572      —  Pferdezucht 

Kt.   Thurgau:    Emmishofen    und    Gottlieben;    Kt,  Zürich:  Pfäffikon,  Marthalen 
und  Wädensweil. 

Pferdehaarflechterei.  Die  Fabrikation  von  Pferdebaargeflechten  und  -Litzen, 
vermischt  mit  Hanf,  Baumwolle,  Seide  etc.,  wurde  im  Jahre  1841  eingeführt 
und  verbreitete  sich,  große  Proportionen  annehmend,  über  die  Kantone  Aargaa, 
Luzern  und  Zürich.  Um  l^GO  beschäftigten  sich  ca.  20  Fabrikanten  fast  aus- 
schließlich mit  den  betretfenden  Artikeln,  unter  Verwendung  von  ca.  2500  fran- 
zösischen Litzen-  (Lacet-)  stuhlen.  Die  Produktion  betrug  jährlich  ca.  750,000 
Stück  im  Werthe  von  372 — '^  Millionen  Fr.  Ungefähr  2500  Arbeiter  waren  an 
den  Stühlen,  fast  eben  so  viele  mit  dem  Knüpfen  beschäftigt.  1867  existirten 
circa  4550  Stühle  (Aargau  3200,  Luzern  750,  Zürich  600),  wovon  aber  ein 
Dritttheil  stillstanden,  da  inzwischen  der  Begehr  bereits  zurückgegangen  war, 
wohl  nicht  zum  geringen  Theil  deßhalb,  weil  mit  der  Zeit  das  Pferdehaar  immer 
mehr  durch  alle  möglichen  Surrogate  (andere  Thierhaare,  Eisengarn,  Gräsere  tc.) 
ersetzt  wurde,  die  man  durch  Färben  und  ßeitzen  dem  Pferdehaar  ähnlich 
machte.  Seit  1870  hat  sich  die  Pferdehaarflechterei  reduzirt  und  es  bethätigen 
sich  damit  nur  noch  ca.  1  Dzd.  Geschäfte,  zur  großen  Mehrzahl  im  Aargau. 
7  Erabl.  sind  dem  Fabrikgesetz  unterstellt  und  zwar  3  in  Fahrwangen,  je  1  in 
Lupfig,  Meisterschwanden,  Mellingen  und  Wohlen. 

Einfuhr  und  Ausfuhr  von  Pferdehaaren.  Ein  fahr  im  Jahresdurchschnitt 
1855/64:  brutto  734  q,  1865/74:  brutto  1908  q,  1875/84:  brutto  2193  q, 
1885/87  (Pferde-  und  Bü f Feihaar e)  :  netto  2423  q.  —  Ausfuhr  im  Jahres- 
durchschuitt   1877/84:  brutto  512  q,   1885/87:   netto  487  q. 

Einfuhr  und  Ausfuhr  von  Pferdehaar(jeioeben  und  anderen  Artikeln  aus 
Pferdehaaren.  Einfuhr  im  Jahresdurchschnitt  1875/84:  brutto  9  q,  1885/87: 
netto  3  q.    —   Ausfuhr  im  Jahresdurchschnitt   1885/87:   netto  4  q. 

Pferdehändler.    Zahl  derselben  mindestens  300. 

PfordckrUfte.  Die  mechanische  Betriebskraft  der  dem  Fabrikgesetz  unter- 
stellten Ktublissemente  repräsentirt  150,000  Pferdekräfte;  74 — 7*  ^*^®'' Summe 
darf  wohl  für  die  Betriebskraft  der  Kleinindustrie  in  Anschlag  gebracht  werden, 
so  daß  sich  für  die  gesammte  Industrie  der  Schweiz  ein  Total  von  vielleicht 
200,000  Pf.  ergibt.   Der  Löwenantheil  entfällt  auf  die  Textilindustrie. 

Pferdezucht.  (Mitgetheilt  von  Herrn  Oberst  Wehrli  in  Zürich.)  Die  in 
der  Schweiz  gezüchteten  Pferde  gehören  mit  wenigen  Ausnahmen  dem  Schwyaer 
oder  Einsiedler,  dem  Erlenbacher  und  dem  Freiberger  Schlage  an.  Sehr  wahr- 
scheinlich haben  zu  ihrer  Veredlung  orientalische  Pferde,  welche  aus  den  Kreuz- 
zügen in  die  Schweiz  gebracht  worden  sind,  wesentlich  beigetragen,  wie  das 
auch  in  Frankreich,  z.  B.  beim  Percheron  und  Ardenner  Pferd,   der  Fall  sein  solL 

Das  Svhwyzer  oder  Einsiedler  Pferd  ist  in  der  Regel  hellbraun  mit  keinen 
oder  nur  kleinen  Abzeichen;  es  hat  elegante  Formen  und  einen  schönen,  gut  auf- 
gesetzten Hals  und  Kopf,  hie  und  da  ist  es  aber  im  Rücken  etwas  zu  lang  und 
eher  hoch-  als  kurzbeinig.  Es  hat  ein  gutes  Temperament  und  die  bessern  eignen 
sich  zum  Reit-  und  Kutschendienst.  Seine  Heimat  ist  zunächst  das  Stift  Einsie- 
deln, von  da  hat  sich  dessen  Zucht  in  den  Urkantonen,  in  Luzern,  Zug  und 
8t.  Gallen  verbreitet.  Eine  bedeutende  Verbesserung  und  Veredlung  haben  drei 
spanische,  im  Anfang  diese.s  Jahrhunderts  von  den  Herren  Marschall  und  Oberst 
von  Reding  in  das  Land   Schwyz  gebrachte  Zuchthengste  bewirkt. 

Die  meisten  Erlenhacher  Pferde  sind  rabenschwarz,  wenige  dunkelbraun, 
Abzeichen  sind  selten.  Sie  haben  einen  schönen  trocknen  Kopf  mit  ausdrucks- 
vollen Augen  und  oft  einen  schwanenartig  gebogenen  Hals.   Da  manche  derselben 


Pferdezucht  —      573     —  Pferdezucht 

etwas  tiberbaut  sind,  so  findet  man  darunter  mehr  Kutschen-  als  Reitpferde. 
Das  Erlenbacher  Pferd  soll  der  Sage  nach  von  andalusischen  Hengsten  ab- 
stammen, welche  beim  Zug  einer  spanischen  Armee  nach  den  Niederlanden  zu- 
rückgelassen worden  seien.  Es  wird  im  Simmen-  und  Saanenthal  gezilchtet,  ist 
aber  au«jh  theils  rein,  theils  mit  Freibergern  vermischt,  in  anderen  deutschspre- 
ohenden  Gegenden  des  Kantons  Bern,  in  Freiburg,  Solothiirn,  Waadt  und  Basel- 
land verbreitet. 

Die  Freiberger  Pferde,  in  der  Mehrzahl  hellbraun,  sind  von  gedrungenem, 
kräftigem  Körperbau,  ausdauernd,  genügsam  und  gutmUtbig.  Sie  eignen  sich  ganx 
besonders  zum  Post-  und  Artilleriedienst,  sowie  für  die  Landwirthschaft,  seltener 
zu  Reitpferden,  weil  sie  in  der  Regel  einen  kurzen  Hals  und  niedern  Widerrist 
haben.  Der  Freiberger  Schlag,  dem  beliebten  Ardenner  sehr  ähnlich  und  wie 
dieser  orientalischen  Ursprungs  —  das  Kloster  Bellelay  soll  einst  arabische  und 
spanische  Hengste  gehalten  haben  —  wird  in  den  Freibergen  (dem  nordwest- 
lichen Theil  des  Kantons  Bern),  aber  auch  in  Solothurn,  Freiburg,  Waadt  und 
Neuen  bürg  gezogen. 

Im  Kanton  Wallis  existirt  der  früher  sehr  beliebte  Charrat-Pferdeschlacf, 
dessen  Stammvater  ein  im  Jahre  1799  zurückgebliebener  österreichischer  Hengst 
sein  soll,  nur  nur  noch  in  wenigen  Exemplaren.  In  neuerer  Zeit  sind  mit  Hengsten 
aus  dem  eidgenössischen  Fohleuhof  manche  gute  Pferde  erzeugt  worden.  Mittelst 
des  Eselhengstes  und  der  Pferdestute  wird  das  wegen  seines  sicheren  Ganges, 
seiner  Genügsamkeit  und  Ausdauer  zum  Säumen  sehr  geeignete  Maulthier  ge- 
züchtet. 

Bis  zum  Jahre  1804,  wo  zum  ersten  Male  durch  den  sächsischen  Major 
Tennecker  ein  Transport  deutscher  Pferde  in  Zürich  importirt  worden  ist,  be- 
gnügte man  sich  im  Aligemeinen  für  jede  Dienstleistung  mit  dem  im  Inlande 
gezogenen  Pferde. 

Seit  aber  die  schweizerische  Pferdezucht  durch  das  Zusammenwirken  ver- 
schiedener Umstände,  wie  z.  B.  das  Aufblühen  der  Rindviehzucht  und  die  Jahr- 
zehnte hindurch  unterlassene  Blutauffrischung  quantitativ  und  qualitativ  abge- 
nommen hat  und  der  Verkehr  durch  die  Eisenbahnen  in  früher  ungeahntem  Maße 
erleichtert  worden  ist,  werden  für  den  Reitdienst  orientalische,  Araber,  Berber 
und  Ungarn,  auch  ostpreußische  Pferde,  für  den  Dienst  a  deux  mains  nament- 
lich ostfriesische,  Hanoveraner,  Holsteiner  und  Meklenburger,  in  der  Westschweiz 
auch  französische,  besonders  Percherons,  und  in  der  Ostschweiz  oft  bayerische 
und  österreichische  Pferde  verwendet.  Schwere  Zugpferde  werden  aus  Belgien 
und  Frankreich,  aber  auch  besonders  in  der  Ostschweiz  aus  Oesterreich  —  dem 
Pinzgau  und  Steiermark  —  bezogen.  England  liefert  der  Schweiz  Voll-  und 
Halbblutpferde,  theils  zur  Verbesserung  der  inländischen  Schläge,  theils  auch  zum 
Gebrauch  als  Reit-  und  ^^'agenpfcrde. 

Nachdem  eine  vom  Schweiz,  landwirthschaftlichen  Verein  im  Jahre  1865  in 
Aarau  angeordnete  allgemeine  Pferdeausstellung  den  nahenden  Verfall  der  Schweiz. 
Pferdezucht  und  namentlich  die  beginnende  Ausartung  der  früher  wegen  ihrer 
guten  Dienstk'Lstungen  so  beliebten  Einsiedler,  Erlenbacher  und  Freiberger  Schläge 
dem  pferdefreundlichen  Publikum  zum  Bewußtsein  gebracht  hatte,  wurde  als 
erstes  Mittel  zur  Abwendung  der  drohenden  Gefahr  die  Importation  von  eng- 
lischen Halbbluthengsten  und  -Stuten  in  der  Absicht  beschlossen,  durch  Kreuzung 
der  inländischen  Stuten  mit  englischen  Hengsten  eine  Verbesserung  unserer  Schläge 
allmälig  zu  bewirken  und  aus  den  englischen  Hengsten  und  Stuten  einen  neuen 
Schlag  zu  bilden.    Die  Ausführung  dieses  Beschlusses  fällt  in  die  Jahre  18GS/72. 


Pferdezucht  —     574     —  Pferdezucht 

Die  Wahmehmang ,  daß  die  besten  Produkte  dieser  Zucht  iu's  Augland 
wanderten,  hatte  im  Jahre  1874  die  Gründung  des  üengstfohlenhofes  in  Thuu 
zur  Folge,  welcher  im  Jahre  1880  bei  der  damaligen  Aussicht,  in  der  Normandie 
3 '  /«jährige  Zuchthengste  von  englischem  Halbblut  iu  besserer  Qualität  und  wohl- 
feiler als  die  im  Lande  geborenen,  zu  erwerben,  aufgelöst  worden  ist.  Aus  dem- 
selben sind  immerhin  20,  in  der  Mehrzahl  gute  Beschäler  hervorgegangen.  Von 
1877  bis  Herbst  1887  sind  aus  der  Normandie   124  und    aus   Norddeutschland 

5  Zuchthengste  mit  Bundessubvention  von  20 — 40  ^fo  der  Ankaufs-  und  Trans- 
portkosten importirt  worden. 

Die  Bandessubventionen  für  Hebung  der  Pferdezucht  richten  sich  nach  fol- 
gender Verordnung  d.  d.  23.  März  1887: 

Der  schweizerische  Bundesrath,  in  Vollziehung  des  Art.  6  des  Bundesbeschlusses 
betreffend  die  Förderung  der  Landwirtlischaft  durch  den  Bund,  vom  27.  Juni  1884 
(s.  S.  3:20  A;  im  iL  Bd.),  auf  den  Antrag  seines  Landwirthschaftsdepartements,  beschließt: 

/.  Ankauf  von  Zuchtliengsten.  Artikel  1.  Der  Bund  übernimmt  den  Ankauf  von 
Zuchthengsten  nach  Maßgabe  der  seitens  der  Kautone  bei  ihm  eingegangenen  Anmel- 
dungen. —  Es  sind  vorzugsweise  Hengste  der  anglo-normannisohen  Race  zu  wählen.  — 
Sollte  der  Ankauf  von  Hengsten  anderer  Racen  verlangt  werden,  so  entscheidet  über 
die  Zulässigkeit  dieser  Begeliren  der  Bundesrath. 

Art.  2.  Mit  dem  Ankauf  betraut  das  eidgenössische  Landwirthschaftsdepartement 
jeweilen  die  erforderlichen  Experten.    E^  gibt  denselben  die  nöthigen  Instruktionen. 

Art.  3.  Allfallig  in  der  Schweiz  aufgezogene  oder  importirte  und  zum  Ankauf 
oder  zur  „Anerkennung*  angemeldete  Hengste,  sofern  dieselben  nachweisbar  in  Abstam- 
mung und  Qualität  resp.  Haee  den  importirten  nicht  nachstehen,  müssen  durch  die 
gleichen  Experten  (Art.  2  und  4)  erworben,  beziehungsweise  „anerkannt'  und  gef'chätzt 
werden. 

Art.  4.  Die  angekauften  Hengste  sind  jeweilen  am  Orte  der  Abgabe  an  die 
Kantone  einer  Schätzung  zu  unterwerfen,  in  dem  Sinne,  daß  die  Aukaufssumme  inkl. 
Kosten  auf  die  einzelnen  Thiere  nach  Maßgabe  ihres  Werthes  zur  Zeit  der  Abgabe 
verlegt  wird.  Zu  diesem  Zwecke  ist  die  .\nkaufskommission  durch  weitere  vom  schwei- 
zerischen Landwirthschaftsdepartement  zu  ernennende  Experten  zu  verstärken. 

Art.  5.  Die  Vertheilung  der  Pferde  geschieht  auf  dem  Wege  der  freien  Verstän- 
digung zwischen  den  Kantonen,  und  wenn  eine  solche  nicht  erzielt  wird,  durch  Ent- 
scheid der  verstärkten  Expertenkommission,  eventuell  auf  Wunsch  der  Betheiligten  durch 
dus  Loos.  Jeder  Kanton,  welcher  sich  zur  Uebemahme  eines  Hengstes  angemeldet  hat, 
ist  gehalten,  sich  diesem  Entscheide  zu  unterziehen. 

Art.  6.  An  die  nach  Art.  4  festgestellte  Schatzungssumme  leistet  der  Bund  einen 
Beitrag  von  40  "o.  —  Ein  weiterer  Beitrag  von  10  "/o  ^^  obige  Sunmie  wird  nach 
seclisj ähriger  befriedigender  ZuchtleLstung  verabfolgt,  wenn  die  betreffenden  Thiere  in 
gutem  Zustande  den  eidgenössischen  Experten  vorgeführt  werden.  —  Unter  den  gleichen 
Bedingungen  wird  ein  fernerer  Beitrag  von  20  "o  nach  zehnjähriger  befriedigender 
Zuchtleistung  ausbezahlt.  —  Für  die  vor  Inkrafttreten  dieser  Verordnung  im  Jahre  1883 
und  seither  importirten,  beziehungsweise  in  das  eidgenössische  Verzeichniß  aufgenom- 
menen Zuchthengste  kann  die  gleiche  Vergünstigung  nachgesucht  werden.  Solche  Ge- 
suche sind  durch  Vermittlung  der  Kantonsregierungen  an  das  schweizerische  Landwirth* 
Schaftsdepartement  zu  richten.  Dasselbe  wird  die  betreffenden  Hengste  und  deren  Lei- 
stungen durch  Experten  prüfen  und,  falls  diese  Prüfung  ein  günstiges  Ergebniß  liefert, 
die  Zuchthengste  einschätzen  lassen.  10  "  <>  des  geschätzten  Werthes  werden  nach  sechs- 
jähriger und  weitere  20 ''o  nach  zehnjähriger  befriedigender  Zuchtleistung  ausbezahlt 

Art.  7.  Die  Kantone,  welche  an  diesen  Pferdeankäufen  betheiligt  sind,  überneh- 
men die  Verpflichtung,  dafür  zu  sorgen:  a.  daß  die  importirten  Zuchthengste  wenigstens 

6  Jahre  lang  zur  Züchtung  im  Lande  verwendet  werden ;  &.  daß  die  eingeführten  Thiere 
von  den  Uebernehmern  derselben  in  Nahrung  und  'Pflege  gut  gehalten  und  weder  in 
Arbeit  noch  Zucht  überanstrengt  werden;  c.  daß  in  dem  Falle,  wo  ein  mit  Bundes- 
subvention erworbenes  Pferd  innerhalb  der  sechs  Jahre  durch  die  Schuld  des  Ueber- 
nehmers  umsteht  oder  zur  Zucht  untauglich  wird,  dem  Bund  die  geleistete  Subvention 
unter  Zugrundelegung  einer  sechsjährigen  Gebrauchsfahigkeit  im  Verhältniß  zu  der  seit 
der  Uehergabe  verflossenen  Zeit  zurückbezahlt  wird ;  d.  daß  von  den  betreffenden 
Hengsthaltern  nach  einem  vom  Bunde  aufzustellenden  Formular  Stammregister  geführt 


Pferdezucht  —      576      —  Pferdezucht 

werden,  aus  denen  die  Verwandung  der  Thiere  ersichtlich  ist  und  an  deren  Hand  die 
erzielten  Resultate  mit  Sicherheit  verfolgt  werden  können. 

II.  Pi'ämirung  von  Stutfohlen  und  Zuchtstuten.  Art.  8.  Es  dürfen  nur  Stut- 
fohlen prämirt  werden,  welche  nachweisbar  mit  Bundessubvention  importirte  oder  vom 
Bunde  als  gleichwerthig  mit  denselben  anerkannte  Hengste  zu  Vätern  haben  und  sich 
durch  korrekte  Körperformeu,  Stellungen  und  Gangarten  auszeichnen. 

Art.  9.  Die  Auswahl  der  zu  prämirenden  Stutfohlen  geschieht  an  den  Orten 
und  an  den  Tagen,  welche  vom  schweizerischen  Landwirthschaflsdepartement  auf  An- 
trag der  Kantonsregierungen  festgesetzt  werden.  —  Der  von  demselben  Departement 
fQr  den  einzelnen  Sammelplatz  zu  bezeichnende  Experte  wird  die  Auswahl  nach  An- 
hörung der  von  den  Kantonsregierungen  ihm  allfällig  beigegebenen  Sachverständigen 
vornehmen. 

Art.  10.  Von  jedem  ausgewählten  Fohlen  soll  ein  genaues  Signalement  angefer- 
tigt werden,  welches  auch  die  Abkunft  des  Fohlens  von  väterlicher  und  mütterlicher 
Seite  und  den  Betrag  der  zuerkannten  Prämie  enthalten  soll.  Formulare  zur  Eintragung 
dieser  Angaben  werden  den  Experten  durch  das  schweizerische  Landwirthschafls- 
departement eingehändigt.  Das  letztere  übermittelt  den  Kantonsregierungen  zu  Händen 
der  Eigenthümer  der  prämirten  Fohlen  entsprechend  den  Angaben  der  eidgenössischen 
Experten  ausgefertigte  Gutscheine.  —  Die  prämirten  Fohlen  sind  am  linken  Hinter- 
schenkel mit  dem  eidgenössischen  Brand  zu  zeichnen. 

Art,  11.  Die  Höhe  der  Prämie  beträgt:  a.  für  Fohlen  im  Alter  von  1—2  Jahren 
Fr.  30,  b.  für  Fohlen  im  Alter  von  2—3  Jahren  Fr.  50,  c.  für  Stuten  im  Alter  von 
3—5  Jahren  Fr.  200.  —  Ein  Fohlen  kann  in  jeder  diaser  drei  Kategorien  nur  einmal 
prämirt  werden.  —  Die  Prämiensumme,  welche  für  ein  und  dasselbe  Thier  zuerkannt 
werden  kann,  beträgt  sonach  Fr.  280.  —  Die  Auszahlung  der  Prämien  sub  a  und  h 
erfolgt  nach  Ablauf  eines  Jahres  vom  Tage  der  Prämirung  an  gerechnet,  auf  den  amt- 
lich beglaubigten  Ausweis  hin,  daß  die  betreffenden  Fohlen  innert  dieser  Zeit  der  in- 
ländischen Zucht  nicht  entzogen  worden  sind.  —  Die  Auszahlung  der  Prämien  sub  c 
erfolgt  auf  den  amtlich  beglaubigten  Ausweis  hin,  daß  die  betreffende  Stute  als  drei- 
bis  fönQährig  von  einem  mit  Bundessubvention  importirten  oder  demselben  als  gleich- 
werthig anerkannten  Hengste  bedeckt  worden  sei  und  innert  12  Monaten  nach  dem 
Tage  der  Beschälung  ein  lebendes  Fohlen  geboren  habe.  —  Dieser  Ausweis  soll  ent- 
halten: den  Namen  des  Hengstes,  dessen  Geburtsjahr,  das  genaue  Signalement  der 
Stute,  Name  und  Wohnort  ihres  Besitzers,  das  Datum  der  Beschälung  und  der  vom 
Viehinspektor  bescheinigten  Geburt  des  Fohlens,  sowie  das  genaue  Signalement  des  letztern. 

Art.  12.  Die  Ausweise  sind  von  den  Kantonsregierungen  dem  schweizerischen 
Landwirthschaftsdepartement  einzusenden,  welches,  wenn  es  dieselben  richtig  findet, 
den  Betrag  der  Prämien  dem  Kanton,  in  welchem  der  Eigenthümer  der  betreffenden 
Stute  oder  des  Stutfohlens  seinen  Wohnsitz  hat,  zur  Auszahlung  an  diesen  zukom- 
men läßt. 

III  Beiträge  für  Pferdeausstellungen.  Art.  13.  Pferdeausstellungen  und  Lei- 
stungs-  oder  Dressurproben,  von  Kantonen  oder  Vereinen  angeordnet  können  in  Jahren, 
während  welchen  keine  allgemeinen  schweizerischen  Ausstellungen  stattfinden,  unter 
folgenden  Bedingungen  Bundesbeiträge  erhalten:  a.  Die  bezüglichen  Begehren  müssen 
je  weilen  vor  dem  15.  August  des  der  Ausstellung  vorangehenden  Jahres  beim  schwei- 
zerischen Landwirthschaftsdepartement  gestellt  werden  und  Angaben  über  Ziel  und  Um- 
fang der  beabsichtigten  Ausstellung  oder  der  Leistungsprobe  enthalten :  h,  das  betref- 
fende Programm  ist  rechtzeitig  dem  schweizerischen  Landwirthschaftsdepartement  zur 
Genehmigung  einzureichen;  c.  es  dürfen  aus  dem  Bundesbeitrage  nur  Pferde  prämirt 
werden,  welche  von  Hengsten  abstammen,  die  mit  Bundesunterstützung  erworben  oder 
vom  Bunde  anerkannt  worden  sind.  —  Ausgenommen  von  letzterer  Bestimmung  sind 
nur  Zuchtstuten,  welche  entweder  trächtig  oder  von  einem  Fohlen  begleitet  aus  dem 
Ausland  eingeführt  worden  sind. 

IV.  Beiträge  für  Fohlenweiden.  Art  14.  Die  Höhe  der  Bundesbeitrage  für 
Fohlenweiden,  auf  welchen  mindestens  10  Fohlen  gesommert  werden,  richtet  sich  innert 
dem  verfügbaren  Kredit :  a.  nach  der  Qualität  der  Weide :  h.  nach  dem  Grad  der  Für- 
sorge, welche  den  Fohlen  auf  der  Weide  zu  Theil  wird  (Stallung,  Wasser,  Beigabe  von 
Heu  und  Hafer  etc.) ;  c.  nach  der  Zahl  der  mehr  als  einjährigen  Fohlen,  welche  zweck- 
mäßig gesommert  werden  können. 

Weiden,  auf  welchen  gleichzeitig  Rindvieh,  namentlich  Kühe,  gesommert  werden, 
sind  zu  bevorzugen.  —  Der  Beitrag  darf  in  der  Regel  nicht  mehr  als  Fr.  20  pro  Fohlen, 
berechnet  nach  der  Zahl  der  über  ein  Jahr  alten  Thiere,  betragen. 


Pferdezucht  —      576      —  Physikalische  Apparate 

Art.  15.  Die  Kantone  sind  gehalten,  dem  schweizerischen  Landwirthschaftsdeparte- 
ment  von  den  in  Erfüllung  der  ni»ernommenen  Verpilichtungen  getrogenen  Maßnahnnen 
Kenntnis  zu  geben  und  ihm  alljährlich  Ober  die  Entwicklung  der  Pferdezucht  und  die 
erzielten  liesultate  Bericht  zu  erstatten. 

Art.  16.  Der  Bundesrathsbeschluß,  betreffend  die  Hebung  der  schweizerischen 
Pferdezucht,  vom  27.  Februar  1883  (A.  ö.  n.  F.  VII,  pag.  37),  das  Reglement,  betreffend 
die  PrJlmirung  von  Slutfolden  durch  den  Bund,  vom  27.  Februar  l'^SS  (A.  S.  n.  F.  VII, 
pag.  41),  sowie  die  hierauf  bezüglichen  Abiinderungsbeschlüsse,  vom  6.  Februar  1885 
(A.  S.  n.  F.  VIII,  pag.  35  und  30)  sind  aufgehoben. 

Die  Kantone  ihrerseits,  besonders  Bern,  Waadt,  Freiburg,  St.  Gallen  und 
Lnzern  unterstützen  die  Pferdezucht  in  ihren.  Gebieten  durch  jährliche  Prämirung 
der  Zuchthengste  und  Zuchtstuten  und  durch  Beiträge  an  die  Ankaufs-  und 
Trausportkosten  der  erstem,  sowie  durch  Aufmunterung  und  Belehrungder  Züchter. 

Der  Bund  und  die  Kantone  linden  rege  Unterstützung  von  Seite  verschie- 
dener Pferdezuchtvereine,  von  denen  der  hervorragendste  derjenige  der  romani- 
schen Schweiz  „La  societ6  pour  Tamelioration  de  la  race  chevaline  dans  la  Suiase 
romande'*  ist.  Derselbe,  im  Jahre  1872  gegründet,  ordnet  alljährlich  auf  seine 
Kosten  eine  Ausstellung  von  Zuchtstuten  und  Fohlen  und  ein  Rennen  in  Yver- 
don  an. 

An  der  laudwirthschaftlichen  Ausstellung  in  Neuenburg  im  Jahre  1887  sind 
bedeutende  Fortschritte  in  der  (Qualität  der  Fohlen  beider  Geschlechter,  nicht  nur 
im  Vergleich  mit  der  Pferdeausstellung  in  Aarau  im  Jahre  1865,  sondern  auch 
mit  denjenigen  in  Luzern  im  Jahre  1H81  und  in  Zürich  im  Jahre  1883  konstatirt 
worden.  Es  ist  nicht  daran  zu  zweifeln,  dalo  hei  ununterbrochener  Fortsetzung 
der  gegenwärtig  vom  Bunde,  den  Kautonen  und  den  Vereinen  der  Pferdezucht 
gewährten  Unterstützung  das  Zuchtziel,  gute  Pferde  a  deux  mains  in  viel  größe- 
rer Anzahl,  als  bisher,   zu  erzeugen,   erreicht  werden  wird. 

Vergl.  auch  den  Artikel  „Landwirthschaft",  besonders  den  Geschichtlichen 
Theil  und  Seite  317/18. 

Pfirsiche  s.  Obstbau. 

Pflaumen  s.  Obstbau. 

Pharmazeutisch-chemische  Präparate,  d.  h.  Chemikalien,  welche  für 
den  Gebrauch  und  Verkauf  in  den  Apotheken  dienen,  werden  in  der  Schweiz 
von  einigen  Firmen,  namentlich  Siegfried  in  Zofingen  (unter  dem  Fabrikgesetz), 
Hausmann  in  St.  Gallen,  Sanier  in  Genf  (speziell  komprimirte  Medikamente), 
Wander  in  Bern  etc.  fabrikmäßig  dargestellt,  größtentheils  jedoch  aus  dem  Aus- 
lände eingeführt. 

Philippinen.  Die  Schweiz  exportirt  dahin  ziemlich  bedeutende  Posten 
Baumwollgewebe,  dann  auch  Seiden waaren,  Strohhüte,  Rothgarne,  Wollwaaren, 
Käse  und   Papier. 

Pliospliate  und  Phosphorite  sind  stark  phosphorsäurehaltige  Düngmittel 
aus  dem  Thier-  und  Mineralreich.  Mindestens  90  ®/o  der  in  der  Schweiz  verwendeten 
künstlichen  Düngmittel  sind  Ph.,  wie  Guano,   Knochenmehl,  Thomasschlacke  etc. 

Photographie.  Die  Schweiz.  Photographie  zählt  vermöge  ihrer  Leistungen 
mit  Recht  zu  den  Kunstgewerben.  Ks  bestehen  über  200  Geschäfte  mit  ca.  600 
Arbeitern.  Die  eidg.  Berufsstatistik  vom  1.  Dezember  18^0  gibt  die  Zahl 
der  Photographen  und  Retoucheurs  auf  lV?t\)  an.  Geschiiftsumsatz  ca.  3  Millionen 
Fr.  Ca.  20  Etablis.sements  gehören  zu  den  größern  ihrer  Art,  indem  sie  je  6 
bis  10  Arbeiter  beschäftigen.  Im  Jahre  IHIJO  wurden  erst  ca.  4»)  Photographen  gezählt. 

Phylloxera  s.   Reblaus. 

Physikailische  Apparate«  Die  Fabrikation  solcher  Apparate  ist  in  der 
Schweiz   bedeutend. 


Pianofabrikation  —     577     —  Plattstich  Weberei 

Pianofabrikation  s.  Klaviere. 

Pilleufabrikatiou«  Eich.  Brandt  in  Schaffhaasen  unter  dem  Fabrikgesetz. 
30  Arbeiter. 

Fino-Belliuzona  s.  Gotthardbahn. 

Plauimeter.  Wurde  vom  Thurganer  J.  Oppikofer  erfunden,  unabhängig  von 
der  gleichartigen,  fast  gleichzeitigen  Erfindung  des  Toskaners  Gonella  (1825). 

Plattstichstickerei  s.  Stickerei. 

Plattstichweberei«   (Unrichtige  Schreibweise:  Blattstich.)    Die  Plattstich- 
weberei ist  ein  Industriezweig,    welcher  vor   etwa  50  Jahren  in  Appenzell  und 
St.  Gallen  gegründet  wurde  und  im  Wesentlichen  stets  ein  Monopol  der  Schweiz 
geblieben  ist.  Bedauerlicherweise  ist  derselbe  heute  nur  noch  ein  Schatten  dessen, 
was  er  in  den  30er,  40er  und  50er  Jahren  war.    Um   1820  brachte  J.  C.  Alt- 
herr von  Teufen,  der  sich  mit  Blattmachen  und  Webstuhl  einrichten  beschäftigte, 
nach  längerem  Pröbeln  eine  Verbindung  der  Weberei  und  Stickerei  an  ein  und 
demselben  Instrumente  zu  Stande,  indem  er  um  Webstuhl  die  sogenannte  Platt- 
stichplatte anbrachte.    An  dieser  befindet  sich  eine  Reihe  von  Stickspuhlen,    die 
durch  einen  einfachen  Mechanismus  gleichzeitig  hin-  und  hergeführt  werden  und, 
mit   dem  Eintrag   des  eigentlichen  Gewebes  abwechselnd,    auf  dieses  die  kleinen 
Muster  einflechten,  die  sonst  mit  der  Nadel  eingestickt  wurden.  Der  erste  Stuhl, 
den  Altherr  im  Jahre   1823  für  den  Fabrikanten  Tobias  Oertli   „im  Bächli**  in 
Teufen  anfertigte,    zählte  47  Spuhlen;   jetzt  geht  die  Zahl  der  letztern  auf  den 
auch   sonst   in    mannigfacher  Beziehung  wesentlich  verbesserten  Plattstichstühlen 
bis  weit  über  100.    Die  ersten  Stühle  beschränkten  sich  darauf,  die  einfachsten 
Stickmuster,    die  sogenannten  Nullen,    mit  grober  Stickbaumwolle  nachzubilden; 
nachher  bemächtigte  sich  der  neue  Industriezweig  in  Verbindung  mit  der  Jacquard- 
methode   der  verschiedensten  Artikel    und  trat  selbst  mit  der  feinen  Maschinen- 
btickerei,    namentlich   durch  gelungene  billige  Nachahmung  der  Einsätze  (Entre- 
deux  und  Bandes)    bis  zu  einem  gewissen  Grade  in  Konkurrenz.    Der  genannte 
erste  Fabrikant,  dem  Altherr  seinen  Plattstichstuhl  übergab,  wußte  in  Folge  der 
feindseligen  Haltung  der  Stickfabrikanten,  die  den  Erfinder  sogar  beschuldigten, 
er  habe  mit  seiner  Erfindung  den  an  der  Landsgemeinde  geschworenen  Eid,   „des 
Landes  Nutzen    zu    fördern",    gebrochen,    mit   dem  Instrumente  nicht  viel  anzu- 
fangen. Die  Ausnützung  der  neuen  Erfindung  erfolgte  erst  durch  die  Verbindung 
des    st.    gallischen    Handelshauses    Vinnaesa  &  Cie.    mit   J.  C.  Altherr,    welcher 
dadurch  die  Mittel  erhielt,  seine  Stühle  in  größerem  Maßstab  arbeiten  zu  lassen. 
Als  dann  einmal  der  günstige  Erfolg  vor  Augen  lag,  verbreiteten  sich  die  Platt- 
stichstühle in  kürzester  Zeit  über  Appenzell  I.-Rh.  und  bildeten  eine  wahre  Zu- 
flucht der  Mousselineweber,  deren  Verdienst  durch  die  englische  Maschinenkonkurrenz 
auf  ein  Minimum  zusammengeschrumpft  war.    Die  Löhne,  die  geschickten  Platt- 
stichwebern damals  bezahlt  wurden,  überstiegen  alles  was  man  seit  der  blühendsten 
Zeit    der  Mousselineweberei    gehört  hatte.  —  Der  gute  Fortgang  des  neuen  In- 
dustriezweiges   dauerte,    wie   bereits   bemerkt,    bis   gegen  Ende  der  öOer  Jahre, 
wo  er  durch  die  große  amerikanische  Krisis  von  1857  zu  stocken  begann.   Seit- 
her  hat    die  Plattstichweberei   auch   zum  Theil   unter    dem  Einfluß  der  billigen 
Maschinenstickereien  und  der  Nottinghamer  Gewebe,  zum  Theil  in  Folge  gänzlicher 
Stabilität    der   Fabrikation,    resp.    der    Gewebe,    in    Muster,    mechanischen    Ein- 
richtungen etc.,    beständig   an  Boden  verloren.     Ein  neuer  Aufschwung,  den  sie 
um  1880,  hauptsächlich  unter  dem  Einfluß  uordamerikanischer  Nachfrage  nahm, 
dauerte  nicht  lange  und  wurde  noch  wesentlich  durch  sofortige  Ueberproduktion 
erstickt.     Im    Jahre    1880    waren    nach    den    Ermittlungen    des    kaufmännischen 

Furrer,  VolkawirthHclmfts-Lexikuu  der  Schweiz.  ^\ 


Plattstichweberei  —     578     —  Polytechnikum 

Direktoriums  in  St.  Gallen  noch  4204  PlattstichsttQile  im  Grang.  In  der  Blüthe> 
seit  mag  deren  Zahl  wohl  das  Dreifache  betragen  haben. 

Die  Plattstich  Weberei,  die  ihrem  Erfinder,  J.  C.  Altherr,  wenig  mehr  ein- 
gebracht hat  als  das  Bewußtsein,  den  Landsgemeindeeid,  ^des  Landes  Nutzen  zu 
fördern '^f  den  frtlheren  Anfeindungen  zum  Trotz,  wie  wenige  seiner  Landsleute 
Yor  und  nach  ihm,  gehalten  zu  haben,  wurde  seiner  Zeit  auch  in  Sachsen  in 
beträchtlichem  Umfange  heimisch,  vermochte  sich  aber  dort  eben  so  wenig  als 
in  ihrer  Heimat  vor  allmäligem  Rückgang  zu  bewahren.  In  England  ist  in  den 
letzten  Jahren  eine  Plattstichwebmaschine  konstruirt  worden,  die  aber  noch  sehr 
unvollkommen  arbeitet.  SoUte  sich  dieselbe  schließlich  dennoch  bewähren,  so 
würde  dadurch  die  appenzellische  Plattstichweberei  wahrscheinlich  gänzlich  unter- 
drückt. (Vergl.  Dr.  Hermann  Wartmann:  „Industrie  und  Handel  des  Kantons 
St.  Gallen  auf  Ende  1866  •*.) 

Piazirungsbureaux.  Birkhäuser's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  verzeichnet 
162  Plazirungs-  und  Vermittlungsbureaux. 

Pluviometer.  Selbstregistrirender  Regen-  und  Schneemesser,  von  Dr.  Jul. 
Maurer  (auf  der  Schweiz,  meteorologischen  5Sentralanatalt)  erfunden. 

Polizei.  Nach  der  eidg.  Berufsstatistik  von  1880  standen  damals  3060 
Personen  im  Dienste  der  Polizei,  das  ist  1  auf  je  930  Einwohner. 

Polytechnikum,  eidgenössisches.  (Mitgetheilt  von  Herrn  Dr.  Hans 
Balmer  in  Bern.) 

I.  Die  Gründung  des  Polytechnikums. 

a,  Vorgeschichte.  Die  Neuordonug  der  Dinge,  welche  die  helvetische 
Kepublik  brachte,  gab  dem  Bürger  nicht  allein  seine  ßechte,  sondern  sie  legte  ihm 
auch  Pflichten  auf.  Sollte  jeder  Einzelne  befähigt  werden,  diesen  Pflichten  genügen 
zu  können,  so  mußte  die  gesammte  Volkserziehung  zum  Tbeil  auf  einen  andern 
Boden  gestellt,  zum  Theil  auch  erst  angebahnt  werden.  Die  Schwierigkeit  dieser 
Arbeit  ließ  vor  Allem  aus  den  Minister  der  Künste  und  Wissenschaften,  Philipp 
Albert  Stapfer,  nicht  mnthlos  werden.  Es  reifte  vielmehr  zum  ersten  Male  der 
Gedanke,  über  den  höhern  Bildungsstätten  des  Landes,  gleichsam  als  Schlußstein 
des  ganzen  Gebäudes,  eine  Zentralbchule  für  Künste  und  Wissenschaften  zu  schafien. 
Die  „Botschaft  des  Vollziehungsdirektoriums  an  die  Gesetzgeber"  '),  vom  18.  No- 
vember 1798  (mitunterzeichnet  von  Labarpe  und  Mousson,  wohl  unter  Mitwirkung 
von  Stapfer  verfaßt  oder  von  ihm  selbst  redigirt),  sagt:  „Allein  neben  diesem 
allgemeinen  bürgerlichen  Unterricht  (es  wird  vorher  von  der  Volksschule  ge- 
sprochen) ist  eine  gelehrte  Bildung  zur  Erhaltung  und  Vervollkommnung  der 
gesellschaftlichen  Verhältnisse  nothwendig.  Der  Staat  kann  es  nicht  aufs  Gerathe- 
wohl  und  auf  die  Privatindustrie  seiner  Bürger  ankommen  lassen,  ob  sich  geschulte 
Baumeister  und  Ingenieure,  einsichtsvolle  und  sorgfältige  Aerzte,  gewissenhafte 
und  aufgeklärte  Sittenlehrer,  helldenkcnde  Gesetzgeber,  fähige  Regenten,  sach- 
kundige Richter  und  in  außerordentlichen  Umständen  erfindungsreiche  Künstler 
oder  sinnvolle  Gelehrte  vorfinden  werden,  die  dem  jedesmaligen  Bedürfniß  auf 
eine  befriedigende  Art  abhelfen  oder  den  Staat  aus  der  Verlegenheit  durch  neue 
Inventionen  und  passende  Vorkehrungen  ziehen." 

Diese  Schule  wurde  aufgefaßt  als  ein  allumfassendes  Institut,  worin  alle 
nützlichen  Wissenschaften  und  Künste  in  möglichster  Ausdehnung  und  Vollständig- 
keit gelehrt  und  durch  die  vereinten  Nationalkräfte  mit  den  reichsten  Hülfsmitteln 


»s- 


V)  Anhang'  zu  dem  ^Entwurf  der  Instruktionen  für  die  neuerrichteten  Erziehungs 
räüio*.    Luzern.  17i*'.*. 


Polytechnikum  —      579      —  Polytechnikum 

aasgestattet  würde.  Yon  hier  sollten  nach  den  Jahren  der  Belehrung  und  der  viel- 
fachen Pflege  frenndschaftlicher  Beziehungen  die  herangereiften  Männer  Grundsätze 
und  Entschlüsse  nach  Hause  tragen,  welche  bald  in  den  entlegensten  Theil  des 
Vaterlandes  Einheit  der  Absichten  und  Gesinnungen  verbreiten  mußten.  Die  Nation 
wird  bei  Wahlen  öffentlicher  Beamten  nicht  mehr  verlegen  sein.  —  „Dieses 
Institut  wird  der  Brennpunkt  der  intellektuellen  Kräfte  unserer  Nation  und  der 
Stapelort  der  Kultur  der  drey  gebildeten  Völker  seyn,  deren  Mittelpunkt  Helvetien 
ausmacht.  Es  ist  vielleicht  bestimmt,  deutschen  Tiefsinn  mit  fränkischer  Gewandt- 
heit und  italienischem  Geschmack  zu  vermählen.**  Das  Institut,  welches  in  der 
Botschaft  vorgesehen  war,  wird  sowohl  Zentralschule,  als  auch  polytechnische 
oder  encyklopädische  Schule  genannt.  Die  helvetische  Regierung  war  an  Mitteln 
zu  arm,  ihre  Aufgabe  war  zu  groß,  sie  stand  alF  den  eingelebten  Vorurtheilen 
zu  fremd  gegenüber  und  es  wurden  ihr  theilweise  auch  absichtlich  zu  viele  Hinder- 
nisse in  den  Weg  gelegt,  als  daß  sie  in  der  kurzen  Zeit  ihrer  Herrschaft  die 
Begründung  des  großartig  gedachten,  völkerverbindenden  Institutes  hätte  an  die 
Hand  nehmen  können. 

Die  Mediationszeit  gestattete  dies  ebenfalls  nicht  und  in  der  Eestauration 
wäre  wahrscheinlich  auch  ein  schon  begründetes  derartiges  Institut,  vermuthlich 
aus  Mangel  an  Mitteln,  als  auch  durch  Angriffe  von  Innen  wie  von  Außen,  zu 
einer  kantonalen  Anstalt  zurückgesunken.  So  wenig  Baum  zu  der  Zeit  der  mög- 
lichsten Wiederherstellung  früherer  Zustände  für  den  Gedanken  einer  eidgenössischen 
wissenschaftlichen  Anstalt  auch  vorhanden  zu  sein  schien  —  erstarb  derselbe  doch 
nie  mehr  vollständig.  Kaum  war  der  Sturm  der  Dreißigerjahre  vorübergebraust, 
so  trat  die  Gründung  einer  eidgenössischen  Zentralschule  wiederum  mit  Macht 
hervor.  Die  Anhänger  mehrten  «ich  so  rasch,  daß  sich  die  Tagsatzung  mit  der 
Frage  zu  befassen  beginnen  mußte.  Der  Bundes  vertrag  gestattete  allerdings  nicht 
die  Gründung  einer  eidgenössischen  Lehranstalt.  Eine  Lösung  konnte  nur  durch 
interkantonale  Vereinbarung  erzielt  werden.  Im  Jahre  1832  wurde  eine  Kom- 
mission (bestehend  aus  Monnard,  Heß,  Tavel,  Heußler  und  Rossi)  beauftragt,  die 
Frage  zu  prüfen  und  ein  Gutachten  auszuarbeiten.  Die  Kommission  fand,  es  sei 
eine  größere,  mit  den  ausländischen  i-ivalisirende  Hochschule  zum  Bedürfniß  ge- 
worden. Die  Begründung  sollte  auf  dem  Wege  des  Konkordates  erzielt  werden. 
Die  Folge  war  einzig  und  allein  der  Ausbau  der  bestehenden  kantonalen  Anstalten. 
Erst  die  Verfassung  vom  Jahre  1848  bot  zu  einer  schweizerischen  Lehranstalt 
den  gesicherteren  Boden,  indem  Art.  22,  lautend:  „Der  Bund  iit  befugt,  eine 
Universiläi  und  eine  polytechnische  Schule  zu  errichten^,  aufgenommen  wurde 
und  in  der  Folge  zu  stetem  Drängen  Anlaß  bot. 

b,  Ausführung  des  Art.  22  der  Bundesverfassung  von  1848.  Am 
25.  November  1848  wurde  der  Bundesrath  vom  Nationalrath  eingeladen,  Gut- 
achten und  Antrag  über  Ausfährung  des  Art.  22  vor  die  Käthe  zu  bringen.  Das 
Departement  des  Innern  sammelte  zu  diesem  Zwecke  auf  die  hohem  Schulen  des 
Auslandes  bezügliche  Gesetze,  Reglemente  etc.  und  stellte  an  die  verschiedenen 
Kantone  eine  Reihe  einschlägiger  Fragen.  Auf  Grundlage  der  eingelangten  Ant- 
worten wurde  vom  Departement  des  Innern  dem  Bundesrath  ein  Bericht  unter- 
breitet und  am  7.  Mai  1850  eine  Kommission  *)  ernannt,  welche  ^über  die 
Universität   und  die  polytechnische  Schule  ihr  Gutachten  abzugeben  und,    sofern 

*)  Die  Kommission  bestand  aus  den  Herren:  He^erungspräsident  Alfred  Escher , 
General  Dufour,  Nationalrath  Casimir  Pft/ffer,  Prof.  Peter  Merian,  Erziehungsdirektor 
Aug.  Moschard,  Prof.  Rauchenstein,  Erziehungsrath  Rud.  Blanchet,  Prof.  Alex.  Schutizef, 
Pfarrer  Federer,  Pfarrer  Troxier  und  (als  Vorsitzender)  Bundesrath  Franscini. 


Polytechnikum  —     5Ö0      —  Polytechnikum 

sie  für  diese  Anstalten  sich  auszusprechen  geneigt  sein  sollte,  einschlagende  Ge- 
setzetjentwUrfe  auszuarbeiten"  hatte.  Schon  bei  der  ersten  Versammlung  (26.  Mai 
1851)  wurden  die  allgemeinen  Funkte  rasch  erledigt  und  hierauf  die  £in£el- 
behandlung  und  die  Ausarbeitung  der  Spezial berichte  und  der  Gesetzesentwürfe 
an  einzelne  Mitglieder  tiberwiesen.  Nach  einer  nochmaligen  Versammlung  wurden 
die  Ergebnisse  der  Verhandlungen  am  1.  Juli  dem  Bundesrathe  vorgelegt.  Die 
GesetzesentwUrfe  betreffend  eidgenössische  Universität  und  eidgenössisches  Poly- 
technikum wurden  sowohl  von  der  Majorität  wie  von  der  Minorität  (Merian, 
Dufour  und  Moschard)  angenommen,  dagegen  glaubte  die  Mehrheit,  wenn  auch 
beide  Anstalten  zeitgemäß  seien,  so  hätte  dennoch  die  Universität  dem  Poly- 
technikum voranzugehen.  Im  Gegensatz  hiezu  erklärte  sich  die  Minderheit  für 
die  Errichtung  eines  Polytechnikums  vor  der  Begründung  einer  eidgenössischen 
Hochschule;  dies  besonders  aus  dem  Grunde,  weil  die  gleichzeitige  Errichtung 
beider  nicht  wohl  möglich  sein  dürfte  und  weil  eine  eidgenössische  Hochschule 
den  bestehenden  kantonalen  den  Untergang  bereiten  mußte. 

Der  Gesetzesentwurf  betreffend  eine  eidgenössische  polytechnische  Schule 
besagt  in  seinen  ersten  Paragraphen :  i j  Es  wird  eine  eidgenössische  polytechnische 
Schule  errichtet.  2)  Die  Aufgabe  der  polytechnischen  Schule  besteht  darin, 
Techniker  erstens  filr  den  Straßen-,  Eisenbahn-,  Wasser-  und  Brückenbau,  zweitens 
für  industrielle  Mechanik,  drittens  für  die  industrielle  Chemie  —  unter  steter 
Berücksichtigung  der  besondern  Bedürfnisse  der  Schweiz  —  theoretisch  und,  soweit 
thunlich,  praktisch  auszubilden.  Die  polytechnische  Schule  kann  auch  zur  theil- 
weisen  Ausbildung  von  Lehrern  für  technische  Lehranstalten  benutzt  werden. 
3)  An  der  polytechnischen  Schule  beginnt  der  Unterricht  mit  der  Stufe,  bis  auf 
welche  die  Schüler  der  meisten  kantonalen  und  städtischen  Industrie-  und  Gewerbe- 
schulen gefordert  werden.  4)  Die  i)oly technische  Schule  zerfallt  nach  den  drei 
Hauptberufsarten,  für  welche  sie  ausbilden  soll,  in  drei  Abtheilungen,  nämlich: 
1)  in  eine  erste  Abtheilung  für  die  Ausbildung  von  Civilingenieuren,  2)  in  eine 
zweite  Abtheilung  für  die  Ausbildung  von  industriellen  Mechanikern,  3)  in  eine 
dritte  Abtheilung  fiir  industrielle  Chemiker.  —  Es  kann  übrigens  der  Unterricht 
an  zwei  oder  allen  drei  Abtheilungen  soweit  gemeinsam  ertheilt  werden,  als  da- 
durch dem  speziellen  Zwecke  jeder  einzelnen  Abtheilung  kein  Eintrag  gethan 
wird.  —  Für  das  Polytechnikum  waren  10  Professoren  in  Aussicht  genommen 
(für  die  eidgenössische  Universität  83).  Die  Professoren  des  Polytechnikums  sollten 
mit  dem  Kektor  eine  Lehrerversammlung  bilden,  über  welcher  ein  eidgenössischer 
Schulrath,  bestehend  aus  Präsident  und*  zwei  Mitgliedern,  stehen  sollte.  Die 
Jahresausgabe  für  das  Polytechnikum  Avurde  auf  Fr.  80,000  veranschlagt.  Diese 
Hüllten  zum  Theil  von  der  Kidgenosseuschaft,  zum  Theil  aus  den  Erträgnissen  des 
Schulfonds  gedeckt  werden. 

Die  Berichte,  Vorschläge  und  Entwürfe  wurden  vom  Bundesrath  entgegen- 
g«'nommen  und  von  demselben  mit  seiuer  Botschaft  vom  5.  August  1851  (Em- 
pfehlung der  eidgenössischen  Universität)  den  Käthen  übermittelt.  Die  national- 
räthliche  Kommis.sion  (Hungerbühler,  Dr.  A.  Escher,  Castoldi,  Blanchenay,  Stämpfli, 
Trog,  Steiger,  Piuda,  Dr.  Kern)  beantragte,  in  Anbetracht  der  größern  Wichtigkeit 
anderer  VerhandluiigHgegenstände,  doch  in  voller  Würdigung  der  Wünschbarkeit 
einer  eidgenössischen  Hochschule,  Vertagung.'  Diesem  Antrag  stimmte  der  Ratb 
bei.  Fast  zwei  Jahre  später  (4.  August  1H53)  wurden  von  Herrn  Dr.  Kern  als 
Brnohterstatter  der  Majorität  der  Konnnission  Bericht  und  Anträge  zu  den  G^- 
sftzestjnt würfen  hrtreffend  polytechnische  Seiiule  und  eidgenössische  Universität 
Vorgelegt.      Die   Minorität,    welche    nur    über   eine  eidgenössische  Universität  be- 


Polytechnikum  —     581     —  Polytechnikum 

richtete,  langte  mit  ihren  Anträgen  erst  im  Januar  1854  ein.  Nach  einer  heftigen 
Dehatte  fdr  und  gegen  die  Eintretensfrage  wurde  dieselbe  am  19.  Januar  mit 
64  gegen  43  Stimmen  bejaht  und  endlich  am  29.  Januar  beschlossen,  Universität 
und  Polytechnikum  in  Zürich  zu  vereinigen. 

Nun  gelangte  die  Frage  vor  den  Ständerath.  (Kommission  des  Ständerathes : 
Fazy,  Rud.  Merian,  Fomerod,  Blumer,  Riltimann,  Reding  und  Kappeier.)  Es 
wurde  dem  national räthlichen  Beschlüsse  nicht  zugestimmt,  dagegen  besclilossen : 
Grundsätzlich  für  eine  in  Zürich  zu  errichtende  polytechnische  Schule  einzutreten. 
Die  Kommission  wurde  beauftragt,  der  Versammlung  einen  Gesetzesentwurf  mit 
Kostenberechnung  zu  hinterbringen.  Schon  am  3.  März  konnte  Kappeier  als 
Berichterstatter  dieselben  dem  Rathe  vorlegen.  Nachdem  ein  erneuter  Antrag  auf 
Nichteintreten  abgewiesen  nnd  ein  Antrag  von  Sailer,  das  Polytechnikum  sei  zu 
begründen,  wenn  die  jährlichen  Beiträge  des  Bundes  zu  einem  Fond  von  vier 
Millionen  Franken  angewachsen  seien,  ebenfalls  zurückgewiesen  worden  war, 
gelangte  das  Gesetz  am  4.  Februar  zur  Abstimmung  und  Annahme  (mit  27  gegen 
1 2  Stimmen).  Der  Nationalrath  stimmte  diesem  Beschluß  auf  Antrag  von  Dr.  Kern 
schließlich  mit  63  gegen  25  Stimmen  bei.  Der  Berichterstatter  des  Nationalrathes 
bemerkte  in  seiner  Rede:  „Es  ist  dies  (das  Polytechnikum)  eine  Anstalt,  durch 
deren  Errichtung,  wenn  sie  auch  nicht  dasjenige  leisten  kann,  was  eine  eidge- 
nösbische  Hochschule  in  Verbindung  mit  einem  Polytechnikum  hätte  leisten  können 
und  auch  geleistet  hätte,  doch  ein  großer,  sehr  bedeutender  Schritt  zur  Ausführung 
des  Art.  22  der  Bundesverfassung  geschieht". 

Das  Gesetz,  welches  nach  der  Annahme  durch  beide  Riithe  dem  Bundesrathe 
zur  Vollziehung  übergeben  wurde,  lautet: 

Bundesf/efietz  betreffend  die  Errichtung  einer  eidg.  polytechnischen  Schule. 

(Vom  7.  Hornung  1854.) 

/.  Allgemeine  Bestimmungin.  Art.  1.  Es  wird  eine  eidg.  polytechnische  Schule 
in  Zürich  errichtet. 

Art.  2.  Die  Aufgabe  der  polytechnischen  Schule  besteht  darin:  1)  Techniker  für 
den  Hochbau,  2)  Techniker  für  den  Straßen-,  Eisenbahn-,  Wasser-  und  Brückenbau, 
3)  Techniker  für  die  industrielle  Mechanik,  4)  Techniker  für  die  industrielle  (Chemie, 
5)  Fachmänner  für  die  Forstwirthschaft,  unter  steter  Berücksichtigung  der  besondern 
Bedürfnisse  der  Schweiz,  theoretisch  und,  soweit  thunlich,  praktisch  auszubilden.  —  Es 
sollen  mit  der  polytechnischen  Schule  philosophische  und  staatswirtlischaftliche  Lehr- 
fächer verbunden  werden,  soweit  sie  als  Hülfswissenschalten  für  höhere  technische 
Ausbildung  Anwendung  finden,  wie  namentlich  die  neuern  Sprachen,  Mathematik,  Natur- 
wissenschaften, politische  und  Kunstgeschichte,  schweizerisches  Staatsrecht  und  National- 
ökonomie. —  Die  polytechnische  Schule  kann  auch  zur  Ausbildung  von  Lehrern  für 
technische  Lehranstalten  benutzt  werden. 

Art.  3.  An  der  polytechnischen  Schule  beginnt  der  Unterricht  mit  der  Stufe,  bis 
auf  welche  die  Schüler  der  meisten  kantonalen  und  städtischen  Indastrie-  und  Gewerbe- 
schulen gefördert  werden. 

Art.  4.  An  der  Anstalt  besteht  Lehrfreiheit.  —  Der  Unterricht  wird  nach  freier 
Wahl  der  angestellten  Lehrer  in  der  deutschen,  französischen  oder  italienischen  Sprache 
ertheilt. 

Art.  5.  Die  jährlichen  Gesammtausgaben  der  Anstalt  für  die  Eidgenossenscliaft 
dürfen  die  Summe  von  Fr.  150,000  nicht  übersteigen. 

Art.  6.  Für  die  Anstalt  wird  ein  Fond  errichtet.  In  denselben  fällt  jedes  Jahr, 
von  der  Eröffnung  der  Anstalt  an  gerechnet,  falls  auf  dem  Voranschlage  der  Einnahmen 
und  Ausgaben  für  dieselbe  ein  Vorschlag  gemacht  worden  ist,  eine  diesem  Vorschlage 
entsprechende  Summe  aus  der  Bundeskasse.  —  Die  Bundesversammlung  kann  jcweilen 
nach  dem  Stande  der  Jahresrechnung  besondere  Zuschüsse  zu  dem  Fund  beschließen. 
—  Schenkungen  und  Vermachtnisse,  welche  der  Anstalt  gemacht  werden,  sind  dem 
Fonde  einzuverleiben.  Wenn  dieselben  mit  spezieller  Zweckbestimmung  gemacht  und 
angenommen  werden,  so  sind  sie  abgesondert  von  dem  Fonde  zu  verwalten. 


Polytechnikum  —      582     —  Polytechaikum 

II,  Von  €hn  Studirmden,  Art.  7.  Das  Reglement  wird  die  Bedingungen,  welche 
erfQllt  werden  müssen,  um  in  die  polytechnische  Schule  aufgenommen  werden  zu  können, 
sowie  die  obligatorischen  Unterrichtsfächer  an  derselben  festsetzen.  Der  Besuch  der 
Vorlesungen  über  die  andern  wissenschaftlichen  Fächer  steht  gegen  Bezahlung  der  durch 
das  Reglement  zu  bestimmenden  Gebühren  Jedem  frei,  der  ein  genügendes  Sittenzeugniß 
vorweist. 

Art.  8.    Alle  Zuhörer  von  Vorlesungen  stehen  unter  der  Polizei  der  Anstalt 

Art.  9.  Den  vorgerückten  Studirenden  der  polytechnischen  Schule  soll  behufs  ihrer 
praktischen  Ausbildung  bestmögüch  Gelegenheit  gegeben  werden,  je  nach  ihrem  Bildungp- 
zwecke  wichtige  Bauwerke,  Werkstätten  oder  industrielle  EtabUssemente,  die  für  die 
Berufsarten,  auf  welche  die  polytechnische  Schule  vorbereitet,  von  Bedeutung  sind, 
gründlich  kennen  zu  lernen. 

Art.  10.  Zur  Weckung  und  Beförderung  des  wissenschaftlichen  Lebens  der  Studi- 
renden, sowie  zur  Aufmunterung  ihres  Fleißes  werden  periodisch  Preise  für  die  Lösung 
passender  Aufgaben  ausgesetzt. 

Art.  11.  Es  soll  an  der  Anstalt  Gelegenheit  gegeben  werden,  die  nöthigen  Prüfungen 
in  den  verscliiedenen  Fächern  bestehen  zu  können. 

Art.  12.  Unbemittelten  tüchtigen  Studirenden  wird  die  Entrichtung  der  Honorare 
für  die  Vorlesungen  der  besoldeten  Professoren,  sowie  die  Bezahlung  von  Gebühren 
erlassen. 

IIL  Von  der  Lehrerschaft.  Art.  13.  Die  Professoren  beziehen  in  der  Regel  eine 
fixe  Besoldung.  Es  kann  jedoch  der  Titel  eines  Professors  auch  ohne  gleichzeitige  Aus- 
setzung eines  Gehaltes  verliehen  werden. 

Art.  14.  Die  Erlaubniß,  über  einzelne  Zweige  der  Wissenschaft  Vorlesungen  zu 
halten,  kann  auch  Denjenigen  ertheilt  werden,  die  durch  schriftliche  Arbeiten  oder 
Vortrage  Ober  die  betreffenden  Materien  oder  durch  eine  besondere  Prüfung  hinlänghche 
Beweise  ihrer  Befähigung  gegeben  haben.  Diese  Glieder  der  Lehrerschaft  haben  den 
Titel  „Privatdozenten ".  -  Die  Privatdozenten  beziehen  keine  fixe  Besoldung ;  es  können 
aber  denjenigen  unter  ihnen,  welche  durch  ihre  Vorträge  eine  bestehende  Lücke  aus- 
zufüllen oder  auch,  abgesehen  davon,  sich  durch  ausgezeichnete  Leistungen  eine  an- 
sehnliche Wirksamkeit  an  der  Anstalt  zu  begründen  vermögen,  Gratifikationen  verab- 
reicht werden. 

Art.  15.  Die  Professoren  werden  in  der  Regel  auf  eine  Amtsdauer  von  10  Jahren 
ernennt.  -  -  Ausnahmsweise  kann  eine  Berufung  auf  Lebenszeit  stattfinden. 

Art.  16.  Die  Benutzung  der  Sammlungen,  Bibliotheken  und  Laboratorien  soUsämmt- 
lichen  Lehrern  möglichst  freigestellt  werden.  Das  Reglement  wird  hierüber  die  nähern 
Bestimmungen  aufstellen. 

Art.  17.  Es  bleibt  dem  Reglemente  vorbehalten,  die  nöthigen  Bestimmungen  be- 
treffend die  Organisation  der  Lehrerschaft  behufs  Verständigung  über  die  anzukündigenden 
Vorlesungen,  Veranstaltung  der  Prüfungen,  Handhabung  der  Disziplin  unter  den  Studi- 
renden u.  s.  w.  aufzustellen. 

IV.  Von  dem  Bundesrathe,  als  Oberhehörde  der  eidg,  polytechnischen  Schule, 
wid  dem  Schulrathe,  Art.  18.  Der  Bundesrath  steht  der  Anstalt  als  oberste  leitende 
und  vollziehende  Behörde  vor. 

Art.  19.  Unter  dem  Bundesrathe  steht  zur  unmittelbaren  Leitung  und  Ueberwachung 
der  Anstalt  ein  Schulrath. 

Art.  20.  Der  Schulrath  besteht  aus  einem  Präsidenten  und  vier  Mitgliedern.  Für 
die  letztem  werden  überdies  drei  Ersatzmänner  aufgestellt.  —  Der  Schulrath  wird  sammt 
den  Ersatzmännern  vom  Bundesrathe  aus  allen  Schweizerbürgern,  die  bei  den  Wahlen 
in  den  Nationalrath  stimmberechtigt  sind,  gewählt.  Unter  den  Mitgliedern  dürfen  nicht 
zwei  oder  mehr  Bürger  desselben  Kantons  sich  befinden. 

Art.  21.  Die  Amtsdauer  eines  Mitgliedes  des  Schulratlies  und  eines  Ersatzmannes 
beträgt  fünf  Jahre. 

Art.  22.  Blutsverwandte  oder  Verschwägerte,  in  auf-  und  absteigender  Linie  un- 
bedingt und  in  der  Seitenlinie  bis  und  mit  dem  Grade  von  Geschwisterkindern,  sowie 
Ehemänner  von  Schwestern  können  nicht  gleichzeitig  Mitglieder  des  Schulrathes  sein. 
Ein  solches  Verwandtschaflsverhältniß  darf  auch  nicht  zwischen  einem  Mitgliede  des 
Bundesrathes  und  einem  Mitgliede  des  Schulrathes  bestehen. 

Art.  23.  Der  Schulrath  kann  nur  gültig  verhandeln,  wenn  wenigstens  drei  Mit- 
glieder anwesend  sind. 

Art.  24.  Der  Schulrath  hält  seine  Sitzungen  in  der  Regel  in  Zürich,  woselbst  aach 
der  Präsident  seinen  bleibenden  Wohnsitz  zu  nehmen  hat. 


Polytechnikum  —     583     —  Polytechnikum 

Art  25.  Der  Präsident  des  Schulrathes  bezieht  einen  Jahresgehalt  von  Fr.  4500. 
Die  Mitglieder  des  Schulrathes  werden  durch  Taggelder  und  Ersatz  der  Reisekosten 
entschädigt 

Art.  26.  Der  Sekretär  des  Schulrathes,  welcher  als  solcher  auch  Sekretär  des 
Präsidenten  dieser  Behörde  ist,  wird  jeweilen  unmittelbar  nach  der  Gresammtemeuerung 
des  letztem  auf  eine  Amtsdauer  von  fünf  Jahren  gewählt.  Er  hat  seinen  Wohnsitz  in 
Zürich  aufzuschlagen.  Er  bezieht  eine  Besoldung,  die  nach  Beschaffenheit  der  Umstände 
bis  auf  Fr.  3000  betragen  kann  und  je  im  einzelnen  Falle  von  dem  Schulrathe  fest- 
gesetzt wird. 

Art  27.  Der  Bundesrath  wird  betreffend  die  Besorgung  der  Kasse  der  Anstalt, 
sowie  in  Beziehung  auf  die  Verwaltung  der  Fonds  die  nöthigen  Anordnungen 
treffen. 

Art.  28.  Der  Bundesrath  wird  jeweilen,  bevor  er  über  wichtige,  die  Anstalt  be- 
treffende Gegenstände  Beschlüsse  faßt,  ein  Gutachten  des  Schulrathes ;  der  letztere,  bevor 
er  wichtigere,  bleibende  Anordnungen  über  den  Gang  des  Unterrichtes  und  die  DiszipUn 
an  der  Anstalt  trifft,  ein  Gutachten  der  Lehrerschaft,  bezw.  einer  Abtbeilung  derselben 
einholen. 

Art.  29.  Der  Bundesrath  erläßt  auf  den  Vorschlag  des  Schulrathes  die  Reglemente 
wichtigem  Inhaltes,  welche  zur  Vollziehung  der  die  Anstalt  betreffenden  Bundesgesetze 
und  Beschlüsse  der  Bundesversammlung  erforderlich  sind. 

Art.  30.  Die  Ernennung  der  Professoren,  die  Bestimmung  des  ihnen  auszusetzenden 
Gehaltes  und  die  Entscheidung  über  die  der  Lehrerschaft  zu  verabreichenden  Gratifika- 
tionen stehen,  auf  Bericht  und  Antrag  des  Schulrathes,  dem  Bundesrathe  zu.  —  Es  kann 
Niemand,  über  welchen  der  Schulrath  nicht  sein  Gutachten  abgegeben  hat,  vom  Bundes- 
rathe zum  Professor  ernannt  werden. 

Art  31.  Der  Bundesrath  erledigt,  auf  den  Antrag  des  Schulrathes,  Entlassungs- 
begehren der  Professoren. 

Art.  32.  Falls  ein  auf  Lebenszeit  gewählter  Professor  ohne  seine  Schuld,  also  z.  B. 
wegen  Alter,  Sjrankheit  u.  s.  w.  andauernd  außer  Stand  ist  seinen  Verrichtungen  gehörig 
obzuliegen,  so  kann  er  auf  sein  Gesuch  hin,  oder  auch  ohne  dieses,  von  dem  Bundes- 
rathe, auf  den  Antrag  des  Schulrathes,  in  den  Ruhestand  versetzt  werden.  Dabei  ist 
einem  besoldeten  Professor  ein  Theil  seiner  Besoldung  als  Ruhegehalt  auszusetzen. 

Art.  33.  Wenn  ein  Professor  sich  in  Erfüllung  seiner  Amtspflichten  oder  in  seinem 
Verhalten  überhaupt  in  dem  Grade  fehlbar  gemacht  hat,  daß  sein  weiteres  Wirken  an 
der  Anstalt  mit  dem  Wohle  der  letztern  unvereinbar  erscheint,  so  kann  er  von  dem 
Bundesrathe,  auf  den  motivirten  Antrag  des  Schulrathes,  von  seiner  Stelle  entfernt 
werden.  —  Zu  einem  derartigen  Antrage  des  Schulrathes  ist  die  absolute  Mehrheit  seiner 
sänimtlichen  Mitglieder  erforderhch,  und  der  Bundesrath  hat  den  Art.  38  des  Gesetzes 
über  die  Verantwortlichkeit  der  eidg.  Behörden  und  Beamten,  vom  9.  Ghristmonat  1850 
(Neue  ofßz.  Samml.  II,  157),  in  Anwendung  zu  bnngen. 

Art.  34.  Das  Reglement  wird  bestimmen,  bis  auf  welchen  Betrag  der  Bundesrath, 
und  ebenso  der  Schulrath,  über  die  für  die  Zwecke  der  Anstalt  ausgesetzten  Kredite  zu 
verfügen  haben. 

Art.  35.  Der  Vorschlag  zu  dem  Jahresbudget  für  die  Anstalt  wird  der  Bundes- 
versammlung als  ein  Theil  des  Entwurfes  zu  dem  Gesammtvoranschlage  der  Einnahmen 
und  Ausgaben  des  Bundes  von  dem  Bundesrathe,  auf  den  Antrag  des  Schulrathes, 
vorgelegt. 

Art.  36.  Der  Bundesrath  entscheidet,  so  viel  an  ihm  liegt,  über  die  Abnahme  der 
sämmtlichen  die  Anstalt  beschlagenden  Jahresrechnungen,  auf  den  Antrag  des  Schul- 
rathes. 

Art  37.  Der  Bundesratli  entscheidet,  auf  den  Antrag  des  Schulrathes,  über  die 
Annahme  von  Schenkungen  oder  Vermächtnissen,  welche  der  Anstalt  mit  spezieller 
Zweckbestimmung  gemacht  werden. 

Art.  38.  Der  Schulrath  erstattet  alljährlich  einen  Bericht  über  den  Gang  der  An- 
stalt an  den  Bundesrath. 

Art.  39.  Der  Präsident  des  Schulrathes  besorgt,  während  der  Schulrath  nicht  ver- 
sammelt ist,  die  laufenden  Geschäfte.  —  Das  Reglement  wird  seine  diesfällige  Kompetenz 
näher  bestinmien. 

F.  Von  dem  Sitze  der  eidg,  polytechnischen  Schule,  Art.  40.  Dem  Kanton,  bezw. 
der  Stadt  Zürich,  hegt  ob : 

1)  die  ihnen  gehörenden  wissenschaftlichen  Sammlungen  der  eidg.  Anstalt  zu  freier 
Benutzung  unentgeltlich  zur  Verfügung  zu  stellen; 


Polytechnikum  —     584     —  Polytechnikum 

2)  so  viel  an  ihnen  liegt,  darauf  hinzuwirken,  daß  auch  die  im  Eigenthume  von 
Korporationen  befindlichen  wissenschaftlichen  Sammlungen  von  der  eidg.  Anstalt 
ungehindert  benutzt  werden  können; 

3)  einen  botanischen  Garten,  der  von  dem  Bundesrathe  als  genügend  anerkannt 
worden  ist,  der  eidg.  Anstalt  unentgeltlich  anzuweisen; 

4)  die  ihnen  zugehörigen  Waldungen  behufs  forstwirthschaftlich-praktischer  Studien 
unentgeltlich  benutzen  zu  lassen  und,  so  viel  an  ihnen  liegt,  darauf  hinzuwirken» 
daß  auch  die  im  Eigenthum  von  Korporationen  befindlichen  Waldungen  zu  gleichem 
Zwecke  der  Anstalt  geöffnet  werden; 

5)  im  Einverständnisse  mit  dem  Bundesrathe  die  erforderlichen  Grebäulichkeiten  un- 
entgeltlich zur  Verfügung  zu  stellen,  gehörig  einzurichten  und  zu  unterhalten: 
a.  für  den  Schulrath,  h.  für  die  Versammlung  der  Lehrerschaft  und  ihrer  Ab- 
theilungen, c.  fdr  die  Begehung  der  Feierlichkeiten  der  Anstalt,  d,  für  die  Ab- 
haltung der  Vorlesungen,  e,  für  die  verschiedenen  Arbeiten  der  Studirenden  an 
der  Anstalt,  f.  für  chemische  und  physikalische  Laboratorien,  g,  für  die  Bibliothek, ' 
h.  für  die  sämmtlichcn  Sammlungen  und  Apparate,  f.  falls  es  für  nothwendig 
gehalten  wird,  für  Werkstätten  zu  praktischen  Uebungen  der  Studirenden  der 
polytechnischen  Schule,  k.  für  die  Bedienung  der  Anstalt; 

6)  dafür  zu  sorgen,  daß  die  für  körperliche  Uebungen  erforderlichen  Lokalitäten 
der  Anstalt  ohne  Entschädigung  offen  stehen; 

7)  dem  Bunde  einen  jährlichen  Beitrag  von  Fr.  16,000  an  die  Au.sgaben  der  Anstalt 
zu  leisten. 

Art.  41.  Die  Beamten,  Lehrer  und  Angestellten  der  Anstalt  sind  in  Beziehung  auf 
ihr  Verhältniß  zu  den  Gesetzen  und  Behörden  des  Kantons,  in  welchem  die  Anstalt 
ihren  Sitz  hat,  nach  den  gleichen  Grundsätzen  zu  behandeln,  wie  die  übrigen  eidg. 
Behörden  und  Beamten. 

Art.  42.  Die  Studirenden  haben  keinen  privilegirten  Gerichtsstand.  —  Die  be- 
sonderen, für  die  Studirenden  zu  erlassenden  Disziplinarvorschriften  gehen  von  den 
Behörden  der  Anstalt  aus,  und  ihre  Uebertretung  wird  auch  ausschließlich  von  diesen 
Behörden  bestraft. 

Am  13.  Februar  1854  wurde  dieses  Gresetz  den  Kantonsregierungen  bekannt 

gegeben.  Die  am  17.  März  zur  Ausarbeitung  des  Reglementes  ernannte  Kom- 
mission*) hatte  ihre  Arbeit  am  21.  Juni  beendigt  und  legte  Reglement,  Normal- 
budget und  Normalkreditbegehren  für  die  Anschaffungen,  unter  Begleit  von  ein- 
gehenden Berichten,  dem  Bundesrathe  vor. 

Der  „Budgetentwurf  für  den  Normalzustand  der  polytechnischen  Schule*, 
vom  21.  Juni  1854,  setzte  die  Ausgaben  auf  Fr.  173,700  an  Diese  vertheilen 
sich  wie  folgt:  Besoldung  von  32  Professoren  Fr.  103,000;  Besoldung  von  9 
Hülfs-  und  2  Zeichnungslehrern  Fr.  12,000;  für  die  verschiedenen  Sammlungen 
und  wissenschaftlichen  Anstalten  zusammen  Fr.  34,000 ;  für  Preise  und  Auslagen  bei 
Ausarbeitung  von  Preisarbeiten  Fr.  1200;  Beamtungen  und  Verwaltung  Fr.  20,500; 
Unvorhergesehenes  Fr.  3000;  zusammen  Fr.  173,700.  Hieran  ans  der  Bundes- 
kasse zu  decken  Fr.  150,000,  vom  Sitz  der  Anstalt  Fr.  1H,000,  ein  Dritttheil 
des  Schulgeldes  etc.  Fr.  7700,  zusammen  Fr.  173,700.  Die  Kommission  bemerkte 
zu  diesem  Entwürfe,  daß  sie  trotz  aller  auf  diesen  Gegenstand  verwendeten  Sorg- 
falt nicht  in  der  Lage  gewesen  sei,  alle  kleinern  Ausgaben  mit  einiger  Sicherheit 
aufzuführen,    weßhalb  solche  in  größern  Posten  zusammengefaßt  wurden. 

Es  wurden  folgende  sechs  Abtheilungen  vorgesehen :  I.  Die  Bauschule,  II.  die 
Ingenieurschule,  III.  die  mechanisch-technische  Schule,  IV.  die  chemisch-technische 
Schule,  V.  die  Forstschule,  VI.  die  philosophisch-staatswirthschaftliche  Abtheilung. 
Für  jede  dieser  Fachschulen  wurde  ein  Professor,  nur  für  Abtheilung  IV  wurden 
zwei  mit  einem  Gehalt  von  durchschnittlich  Fr.  4000  vorgesehen.  Vier  Professoren 


M  Diese  Kommission  bestand  aus  den  Herren :  St.  Franscini,  Präsident,  Dr.  P.  Bolley» 
Prof  Dolabar,  Dr.  A.  Escher.  Direktor  Hujjrendubel,  Dr.  J.  K.  Kern,  Nationalrath  L.  Wenger, 
Nationairath  Tourte,  Prof.  Doschwanden,  Berichterstatter  (der  letztere  an  Stelle  des  ab- 
ehnenden  Oberst  Stehlin  ernannt). 


Polytechnikum  —      585     —  Polytechnikum 

sollten   gleichzeitig  an  andern  zürcherisclien  Instituten  lehren,    während  fdr  ein- 
undzwaniig  Professoren  die  Besoldung  Fr.  3200  im  Mittel  betragen  sollte. 

Mit  Rücksicht  darauf,  daß  nur  ein  Theil  der  für  den  Unterricht  nothwendigen 
Sammlungen  and  Anstalten  sich  in  einer  für  den  Anbeginn  nahezu  hinreichenden 
Reichhaltigkeit  vorfand,  stellte  die  Kommission  ebenfalls  am  21.  Juni  ein  Nach- 
tragskreditbegehren. Da  der  jährliche  Normalkredit  von  Fr.  166,000  noch  nicht 
in  Anspruch  genommen  werden  konnte,  so  wurde  die  für  die  ersten  Einrichtungen 
noth wendige  Summe  auf  Fr.  140,000  festgesetzt.  Da  einzelne  der  zu  beschaffenden 
Einrichtungen  nicht  sofort  erstellt  werden  konnten,  so  trug  die  Kommission  darauf 
an:  „Der  Nachtragskredit  von  Fr.  140,000  fiir  das  Jahr  1854  möge  in  dem 
Sinne  bewilligt  werden,  daß  derjenige  Theil  dieser  Summe,  der  während  des 
Jahres  1854  nicht  verwendet  werden  kann,  außer  dem  Kredit  von  Fr.  150,000 
für  die  laufenden  Ausgaben  auf  das  Budget  der  Schule  für  das  Jahr  1855  ge- 
nommen werde"  *).  Der  Bundesrath  genehmigte  in  seiner  Sitzung  vom  31.  Juli 
1854  die  von  der  Kommission  eingebrachten  Vorschläge.  Einzig  das  Schulgeld 
wurde  von  Fr.  80  auf  Fr.  50  hinabgesetzt  (im  Jahre  1863  indessen  auf  Fr.  100 
erhöht). 

c.  Die  Eröffnung  der  eidg.  polytechnischen  Schule  war  auf 
den  Herbst  1855  angeordnet  worden.  Unmittelbar  nach  der  ordentlichen  Eröffnung 
hatten  die  Vorlesungen  zu  beginnen.  Dem  Beginn  des  ersten  Schuljahres  hatte 
ein  Vorkurs  voranzugehen,  der  im  Frühjahr  1855  eröffnet  wurde.  Zu  diesem 
Vorkurs  hatten  sich  eingefunden  50  eigentliche  Schüler  und  19  Zuhörer.  Am 
1.  Mai  1855  wurde  mit  dem  Unterricht  begonnen  und  am  8.  Oktober  der  Vorkurs 
geschlossen.  Die  Wahlen  in  den  Schulrath  ')  wurden  am  2.  August  getroffen. 
Wir  geben  in  den  Anmerkungen  zu  den  einzelnen  Mitgliedern  des  ersten  schwei- 
zerischen Schulrathes  die  Veränderungen,  welche  derselbe  bis  1880  erfahren  hal*^): 
Priisident :  Nationalrath  Dr.  Kern  von  Frauenfeld  ^) ;  Vizepräsident :  Nationalrath 
Dr.  A.  Escher  von  Zürich;  MiUßieder:  Nationalrath  A.  Tourte  von  Genf*), 
Prof.  B.  Studer  von  Bern*),  Dr.  med.  Robert  Steiger  von  Luzern*);  Suppleanten: 
Ständerath  J.  J.  Blumer  von  Glarus  ^),  Ständerath  A.  Hurabert  von  Chaux-de- 
Fonds  •*),  Prof.  P.  Merian  von  Basel  *). 

Die  feierliche  Eröffnung  des  Polytechnikums  '®)  fand  am  15.  Oktober  1855 
statt.  Zu  dieser  Feier  hatte  der  Bundesrath  die  Mitglieder  Frey-Herosee  und 
Franscini  abgeordnet.  Im  Namen  des  schweizerischen  Bundesrathes  übergab  Frey- 
Herosee  dem  Schulrathe  die  Stiftungsurkunde  der  schweizerischen  polytechnischen 

*)  Die  Bundesversammlung  bewilligte  einen  Kredit  von  Fr.  144,000.  Amtliche 
Gesetzessammlung  Nr.  IV,  Seite  243. 

*)  Im  Jahre  1881  wurde  das  Grund ungsgesetz  der  Anstalt  in  einzelnen  Punkten 
abgeändert.  Die  Zahl  der  Schulrathe  wurde  auf  sieben  Mitglieder  erhöht,  die  Ersatz- 
männer jedoch  weggelassen  und  das  technische  Element  verstärkt.  —  Die  Veränderungen 
in  dem  neuen  Schulrath  werden  wir  später  mittheilen. 

■)  1857  folgte  Ständerath  Karl  Kappeier  von  Frauenfehl. 

*)  1863  Prof.  Pictet  Delarive,  Genf,  1869  Prof.  Desor,  Neuenburg. 

^)  1869  Regierungsrath  Weber,  Bern,  1878  Nationalrath  Bavier,  Chur,  1879  National- 
rath  Ldetler,  Solothurn,  dann  Regierungsrath  Fr.  v.  Tschudi,  St.  Gallen. 

*)  1854  Seminardirektor  Keller,  Wettingen  (bisher  Suppleant). 

^)  Erst  A.  Keller,  Seminardirektor,  sodann,  als  Keller  Mitglied  wurde,  (Ihorherr 
Ghiringhelli,  Bellinzona,  1879  Regierungsrath  Rohr,  Bern. 

*)  1869  Prof.  L.  Dufour,  Lausanne,  1879  Ehe  Wartmann,  Genf. 

*)  Nationalrath  A.  v.  Planta,  1880  Überingenieur  J.  Meyer,  Lausanne. 

*")  Wir  folgen  hierin  der  vorzüglichen  Arbeit  von  Prof.  Dr.  Rudolf  Wolf:  Das 
schweizerische  Polytechnikum,  historische  Skizze  zur  Feier  des  ffin  fundzwanzigjährigen 
Jubiläums  im  Juli  1880. 


Polytechnikum  —     566     —  Polytechnikum 

Schule  zur  weiteren  Vollziehung.  „Der  EröffnuDgefeier  des  Polytechnikums  folgte 
unmittelbar  der  Beginn  der  Vorlesungen  und  Uebungen,  sowohl  der  größtentheils 
für  die  Schüler  obligatorischen  an  den  fünf  Fachschulen,  als  der  freien  Vorlesungen 
an  der  sog.  sechsten  Abtheilung,  bei  welch'  letzteren  auch  einige  Privatdozenten 
mitwirkten.  Immerhin  muß  in  Beziehung  auf  die  Fachschulen  bemerkt  werden, 
daß  für  das  erste  Schuljahr  nur  die  chemische  Abtheilung  mit  ihren  zwei  Jahres- 
kursen vollständig  erötfnet  werden  konnte,  während  bei  der  Bau-  und  Ingenieur- 
schule je  der  für  sie  vorgesehene  dritte  Jahreskurs,  bei  der  mechanischen  Schule 
sogar  der  zweite  und  dritte  und  bei  der  Forstschule  ihr  zweiter  Jahreskurs  noch 
wegfiel,  weil  die  Vorkenntnisse  kaum  vorhanden  sein  durften." 

II.  Die  Bauten  des  Polytechnikums. 

Das  schweizerische  Polytechnikum  ist  auch  in  seinen  zur  Verfügung  stehenden 
Bauten  aus  sehr  bescheidenen  Verhältnissen  herausgewachseu.  In  den  Jahren 
1855/56  und  1856/57  betrug  die  Zahl  der  Schüler  und  Zuhörer  231  resp.  286. 
Die  Räumlichkeiten,  welche  der  Schule  vorübergehend  augewiesen  worden  waren, 
lagen  in  beiden  Stadttheilen  zerstreut  in  fünf  verschiedenen  Grebäuden.  Diese 
Gebäude  dienten  zum  Theil  auch  noch  andern  Zwecken  und  waren  weit  von 
einander  entfernt.  Eine  einheitliche  Leitung,  Ausnutzung  der  Zeit  und  Anlage 
und  Benutzung  der  Sammlungen  waren  nothwendig  in  hohem  Maße  erschwert. 
Es  zeigte  sich  bald,  daß  die  Uebelstände  nur  durch  einen  geräumigen,  zweck- 
en tsprecheuden  Neubau  beseitigt  werden  konnten.  Nach  einigen  Vorarbeiten  wurde 
das  Programm  von  Abgeordneten  des  Schulrathes  und  der  Kantonsregierung  ent- 
würfen; später  setzte  der  Bundesrath  noch  eine  eigene  Kommission  ein,  welche 
die  Frage  genau  und  an  Ort  und  Stelle  zu  prüfen  hatte.  Diese  Kommission  war 
in  den  Hauptpunkten  in  Uebereinstimmung  mit  dem  Schulrathe.  Eine  Verständigung 
wurde  noch  im  Jahre  1857  erzielt  und  die  Direktion  der  Bauten  des  Kantons 
Zürich  eröffnete  am  30.  November  eine  Preisbewerbung  mit  Plänen  zu  dem  Bau 
des  eidgenössischen  Polytechnikums.  Unter  den  eingelangten  neunzehn  Plänen 
wurde  keiner  mit  dem  ersten  Preis  bedacht,  dagegen  diejenigen  von  W.  Kubli 
und  Tritschler  (St.  Grallen)  und  Jeuch  (Baden)  mit  dem  zweiten  Preis  und  der- 
jenige von  Ferd.  Stadler  (Zürich)  mit  dem  dritten  Preis  ausgezeichnet.  Die  drei 
gekrönten  Pläne  wurden  nun  nebst  den  eingelangten  Gutachten  der  Fachschul- 
vorsteher den  Herren  Prof.  Semper  und  Bauinspektor  Wolf  übergeben  und  den 
Beiden  die  Aufgabe  gestellt,  endgültige  Pläne  zu  erstellen,  die  Kostenberechnung 
durchzuführen  und  endlich  die  Erstellung  des  Baues  zu  überwachen.  Bis  Mitte 
Oktober  1858  war  der  erste  Theil  der  Aufgabe  gelöst.  Der  Regierungsrath 
bemerkte  zu  den  Plänen:  „^icht  nur  veitiient  die  allgemeine  Anordnung  des 
Projektes,  die  Benutzung  des  Terrains,  die  Anlage  des  Grundrisses  und  die  innere 
Ausführung  alle  Anerkennung,  sondern  es  gilt  dies  auch  in  vorzüglichem  Maße 
von  der  äußern  Gestaltung,  welche  der  Bau  erhalten  soll,  indem,  in  richtiger 
Erkenntniß  der  Aufgabe,  jeder  Luxus  vermieden  und  nur  durch  Anwendung 
schöner  Formen  und  Verhältnisse  eine  Wirkung  erreicht  wurde,  die  dem  Bau- 
werke das  Zeugniß  eines  wahrhaft  schönen  bleibend  »icbert.^  Sowohl  der  Bauplan, 
als  der  Kredit  von  Fr.  r700,000  wurden  vom  Großen  ßath  im  Dezember  1858 
genehmigt.  Im  Februar  de»  folgenden  Jahres  wurde  die  Genehmigung  auch  vom 
Bundesrath  ertheilt,  mit  der  Bemerkung :  Ea  habe  Zürich  durch  des^^en  Annahme 
bewiesen,  daß  es  der  gegen  die  neue  Anstalt  und  die  Eidgenossenschaft  über- 
nommenen Verpflichtung  in  großartiger  Weise  nachzukommen  gedenke.  Im  August 
1859  begannen  die  ersten  Bauarbeiten,  am  6.  November  186P  wurde  im  n5r<I* 


Polytechnikum  —     587      —  Polytechnikum 

liehen  Flügel  die  erste  Vorlesung  gehalten  und  auf  Ostern  1861  dieser  ganze 
Bau  bezogen.  Die  Experten  des  Bundesrathes  (Merian  und  Eiggeubaoh)  erklärten 
den  Bau  als  in  allen  Theilen  wohlgelungen. 

Im  November  1865  wurde  durch  die  Bundesräthe  Schenk  und  Dubs,  unter 
Begleitung  der  technischen  Experten  Merian,  Architekt  in  Basel,  und  Bychuer 
in  Neuenbürg,  die  EoUaudation  vorgenommen.  Die  Experten  erklärten:  „Daß 
der  Bau  nicht  nur  dem  vereinbarten  und  iti  der  Folge  bedeutend  erweiterten 
Programme  und  den  genehmigten  Plänen  entsprechend  ausgeführt,  das  Gebäude 
seinem  Zwecke  entsprechend  und  gehörig  eingerichtet,  sondern  daß  überdies  auch 
die  äußere  Ausstattung  des  Gebäudes  mit  einer  Liehe  und  einem  Kunstsinn  aus- 
geführt sei,  welche  für  künftige  öffentliche  Bauten  in  unserem  Vaterlande  als 
nachzuahmendes  Beispiel  aufgestellt  werden  dürfe.  *^  Der  Bundesrath  sprach  dem 
Kanton  Zürich  seine  volle  Anerkennung  für  die  ausgezeichnete  Erfüllung  seiner 
übernonunenen  Baupflicht  aus.  Für  den  Hauptbau  beliefen  sich  die  Kosten  auf 
Fr.  I'836,d72  statt  der  vorgesehenen  Fr.  1^347,336  und  die  Gesammtkosten  auf 
Fr.  2'260,016  statt  auf  Fr.  1'700,000.  Durch  einen  Beitrag  des  Bundes  an 
die  Kosten  der  Erstellung  der  Aula  und  durch  den  Mehrerlös  aus  den  durch  den 
Bau  frei  gewordenen  Gebäulichkeiten  stellten  sich  die  Mehrkosten  auf  ungefähr 
Fr.  180,000,  was  ca.  8  ^/o  der  Bausumme  ausmacht. 

Für  die  ersten  astronomischen  Uebungen  wurde  die  kleine  Feer'sche  Stern- 
warte benutzt.  Diese  konnte  bei  der  wachsenden  Schülerzahl  um  so  weniger 
genügen,  als  die  Astronomie  für  die  Ingenieurschüler  zum  obligatorischen  Fach 
erklärt  wurde.  Schon  im  März  1857  wurde  vom  schweizerischen  Schulrath  Prof. 
Jßudolf  Wolf  eingeladen,  „ein  Gutachten  sammt  Kostenberechnung  betreffend  Er- 
stellung und  Einrichtung  eioer  Sternwarte  für  den  Fall,  daß  bloß  das  dringendste 
Bedürfniß  für  den  Unterricht  an  der  Anstalt  befriedigt  werden  wollte,  und  hin- 
wieder für  den  Fall,  daß  dem  Fache  der  Astronomie  eine  weitergehende  Beachtung 
eingeräumt  würde,  beförderlich  vorzulegen**. 

Nachdem  ein  Legat  von  Fr.  25,000  „an  den  Bau  einer  Sternwarte"  ver- 
macht worden,  konnte  eher  an  die  Erstellung  eines  über  das  nächstliegende 
Bedüifniß  der  Schule  hinausgehenden  Baues  gedacht  werden.  Ende  Mai  wurde 
ein  Vertragsentwurf  vereinbart,  laut  welchem  der  Stand  Zürich  den  Bauplatz  zu 
hcBchaffen  und  den  Beobachtungskreis  frei  zu  halten  sich  verpffichtete,  der  Bund 
aber  den  Bau  übernahm.  Die  Kostenberechnung  stellte  sich  auf  Fr.  90,000.  Die 
eidgenössischen  Räthe  bewilligten  die  nöthigen  Gelder.  Die  Bauzeit  dauerte  vom 
März  1862  bis  Ende  Juni  1863.  Die  Vorlesungen  begannen  daselbst  im  April 
1864.  Bau  sammt  Ausrüstung  kamen  auf  die  Summe  von  Fr.  250,000  zu  stehen. 

Im  Jahre  1869  wurde  die  Erweiterung  der  fünften  Abtheilung  beschlossen, 
durch  Einfügung  einer  „höhern  landwirthschaftlichen,  besondere  üebungssäle  und 
Laboratorien  für  Botanik,  Agrikulturchemie  etc.  erfordernden  Schule".  Hiezu 
wurde  ebenfalls  ein  Neubau  nothweudig.  Nach  verschiedenen  Verhandlungen, 
welche  besonders  die  Platzfrage  und  den  Bauplan  betrafen,  wurde  der  Bau  im 
Jahre  1872  begonnen  und  gelangte  im  Herbst  lb74  zur  Vollendung.  Die  Bau- 
kosten beliefen  sich  auf  Fr.  348,130.  Der  Bund  verausgabte  für  die  innere 
Einrichtung  und  Ausrüstung  Fr.  132,000.  Der  eidgenössische  Bauinspektor  v.  Salis 
fand  das  Gebäude  „in  völliger  Uebereinstimmung  mit  dem  Bauprogramme  erstellt 
und  im  Einzelnen  sehr  hübsch  ausgeführt"*.  —  Zu  dieser  Erweiterung  hatte 
besonders  die  Petition  des  schweizerischen  landwirthschaftlichen  Vereius,  vom 
5.  Dezember  1864,  erneuten  Anstoß  gegeben.  Dieselbe  besagte:  „Es  möchte  die 
forstliche  Abtheilung  des  Polytechnikums  zu  einer  land-  und  furstwirthschaftlichen 


Polytechnikum  —     588     —  Polytechnikum 

erweitert  werden,  und  zwar  dadurch,  daß  die  landwirthschaftlichen  Fächer  in 
den  Lehrplan  desselben  eingereiht,  zwei  Frofesporen  für  die  Landwirthschaft  nebst 
einem  Assistenten  angestellt  und  mit  der  so  reorganisirten  Schule  eine  agrikultur- 
chemische Versuchsstation  in  Verbindung  gebracht  werde.**  Ueber  die  Ausführung 
dieser  begründeten  Forderung  werden  wir  später  berichten. 

Im  Jahre  1879  wurde  das  Gebäude  für  die  FestigkeitsprUfungsmaschine  für 
Baumaterialien  etc.  fertig  erstellt.  Damit  waren  aber  die  „baulichen  Fragen* 
noch  lange  nicht  zum  Abschluß  gekommen.  In  den  folgenden  Jahren  reiften 
Verwicklungen  zwischen  dem  Kanton  Zürich  und  dem  Bunde,  die  schädigend  auf 
den  Gang  der  Schule  einwirkten.  Besonders  das  chemische  Laboratorium  und  die 
physikalischen  Arbeitsräume  erwiesen  sich  als  viel  zu  eng.  Nicht  allein  der 
mangelnde  Raum,  sondern  auch  die  Unmöglichkeit,  diese  Laboratorien  den  An- 
forderungen der  Gegenwart  entsprechend  einzurichten,  wirkten  lähmend,  und  die 
Versuche,  den  jeweiligen  schroffsten  Uebelständen  in  etwas  abzuhelfen,  verschlangen 
bedeutende  Suuiuien.  Selbst  bei  einer  Abnahme  der  Gesammtfrequenz  war  eine 
solche  in  diesen  Arbeitsräuraen  nicht  zu  bemerken.  So  fanden  sich  noch  im  Jahre 
1882  141  chemische  Laboranten  in  Räumen,  die  nur  auf  72  berechnet  waren. 
Auch  die  als  physikalisches  Laboratorium  bezeichneten  Räume  im  Souterrain 
waren  überfüllt  und  boten  nicht  allen  sich  Anmeldenden  Zutritt. 

Sobald  Aussicht  vorhanden  war,  daß  ein  Vergleich  zu  Stande  kommen  werde, 
beschäftigte  sich  der  Schulrath,  im  Ein  verstand  n  iß  mit  dem  schweizerischen  Depar- 
tement des  Innern,  mit  der  Baufrage  für  Chemie  und  Physik.  Es  wurden  vorerst 
Pläne  und  Kostenvoranschläge  für  das  Chemiegebäude  aufgestellt,  damit  dem 
Bundesrathe  sofort  nach  getroffenem  Vergleich  solche  unterbreitet  werden  konnten. 
Hierin  wirkten  mit  dem  Schulrath  die  Fachmänner  der  Chemie  und  die  Architekten 
Bluntschli  und  Lasius.  Berichte  wurden  dem  Bundesrathe  unterbreitet  über  diese 
Vorarbeiten  am  24.  .Juni  und  31.  Juli  1883.  So  war  der  Bundesrath  in  der 
Lage,  in  seiner  Botschaft  vom  30.  November  1883  den  Räthen  „Plan  und  Kosten- 
berechnung des  Neubaues  für  Chemie  in  geprüfter  und  wohlerwogener  Ausfühning 
vorzulegen  und  den  K)'edit  für  den  Rohbau  dieses  Gebäudes  zu  verlangen.  In 
diesem  Plan  haben  dann  auch  die  für  die  Landwirthschaft  so  höchst  nützlichen 
Institute  der  Düngeranalyne  und  SamcTikontrole,  sowie  die  eidgenössische  Probir- 
anstalt  für  Gold  und  Silber  in  vortheilhafter  Art  untergebracht  werden  können.** 
Der  Beschlußantrag  des  Bundesrathes  wurde  im  Dezember  1883  genehmigt.  Die 
Führung  und  Leitung  des  Baues  wurde  den  Professoren  Bluntschli  und  Lasius 
übertragen. 

Das  physikalische  Institut  erhielt  in  demselben  Jahre  etwas  erweiterte  Arbeits- 
räume im  Hauptgebäude,  die  aber  immer  nur  als  provisorisch  ausreichend  betrachtet 
werden  konnten. 

Im  Jahre  1883  wurde  deßhalb  der  Schulrath  beauftragt,  vorläufig  ein 
Lokalitätenprogramm  für  ein  besonderes  Gebäude  für  Physik  vorzulegen.  Dieses 
Auftrages  erledigte  sich  der  Schulrath  gleichzeitig  mit  seinem  Berichte  bezüglich 
der  Baute  für  Chemie  (24.  Juni  1883). 

Im  Jahre  1886  wurden  von  den  eidgenössischen  Räthen  die  nothwendigen 
Mittel  für  den  Bau  eines  dem  Chemiegebäude  würdig  zur  Seite  stehenden  Physik- 
gebäudes bewilligt. 

Der  Neubau  für  Chemie  war  fertig  geworden.  Die  Aufgabe  lautete  im  Wesent- 
lichen: „Eine  allen  unnützen  Luxus  streng  vermeidende,  aber  die  Brauchbarkeit 
des  Gebäudes  zu  seinen  Sj)ezialzwecken  im  allerbesten  Sinne  des  Wortes  sichernde 
Ausführung   zu    erstreben".     Dieser  Aufgabe   wurden   die  Leiter    des  Baues   im 


Polytechnikum  —      589      —  Polytechnikum 

vollsten  Maße  gerecht.  Es  ist  ein  nur  für  seinen  Zweck  geplanter  Bau,  der  in 
jedem  seiner  Theile  nur  dem  Hauptzwecke  dient.  Die  Schule  konnte  zu  Beginn 
des  Schuljahres  1886/87  (Oktober  1886)  in  den  Neubau  übersiedeln,  „Auch  die 
landwirthschaftlichen  Annexe  (DUngeraualyse  und  Samenkontrole)  sind  ebenfalls 
daselbst  einlogirt.*" 

Nach  der  Erstellung  der  Gebäude  für  Physik  und  Chemie  werden  die  Bauten 
des  eidgenössischen  Polytechnikums  für  eine  größere  Reihe  von  Jahren  sämmtlichen 
Anforderungen  zu  genügen  vermögen.  Dies  sowohl  in  Hinsicht  auf  die  Zahl  der 
Studirendoi  und  Laboranten,  als  in  Berücksichtigung  der  verschiedenen  Lehr- 
anstalten und  der  Anforderungen,  welche  die  Gegenwart  in  wissenschaftlicher 
Beziehung  an  ein  Institut,  wie  das  eidgenössische  Polytechnikum,  stellen  muß,  — 
welche  erfüllt  sein  müssen,  sollen  die  Lehrkräfte  zur  Geltung  gelangen,  die  Ar- 
beiten der  Studirenden  gefördert  werden  und  die  Anstalt  würdig  im  Kreise  der 
übrigen  dastehen. 

III.  Sammlungen  und  wissenschaftliche  Anstalten. 

Die  Stetsfort  anwachsenden,  sehr  bedeutenden  Sammlungen  des  eidgenössischen 
Polytechnikums  zerfallen  in  30  XJnterabtheilungen,  deren  jele  unter  der  Leitung 
eines  Professors  steht.  Die  Mehrung  dieser  Sammlungen  erfolgt  sowohl  durch 
Aufkauf  entsprechender  Gegenstände,  wozu  die  Mittel  durch  bestimmte  Jahres- 
kredite fließen,  als  durch  Schenkungen.  Sowohl  die  naturhistorischen  Sammlungen, 
als  diejenigen  der  mechanischen  Schule,  die  Kupfersticbsammlung  u.  a.  haben  auf 
diesem  Wege  wichtige  Vermehrung  erhalten.  Zu  wichtigen  Erwerbungen  werden 
auch  Nachtragskredite  bewilligt.  Für  die  verschiedenen  Sammlungen  sind  Jahres- 
kredite ausgesetzt,  die  im  Durchschnitt  zwischen  Fr.  3U0  — 1000,  im  Minimum 
Fr.  50  und  im  Maximum  Fr.  3000  betragen.  Die  30  Unterabtheilungen,  welche 
neben  der  reichhaltigen,  1880  22,000,  1886  28,485  Bände  umfassenden  Biblio- 
thek bestehen,  faßt  Prof.  Wolf  in  folgende  12  Nummern  zusammen.  (Siehe  auch 
„Bericht  über  die  Organisation  und  das  Wirken  der  polytechnischen  Schule", 
von  Schulrathspräsident  Kappeier.) 

1)  Sammlungen  für  die  Bauschule.  Spezialsammlungen  von  Baumaterialien, 
Modellen  in  Gips,  Holz,  Stein  und  Eisen,  antiken  Vasen  (im  Jahre  1871 
durch  außerordentlichen  Kredit  von  Fr.  3000  und  Fr.  1500  Beitrag  von 
Zürcher  Kunstfreunden  erworben),  Vorlagen  für  architektonisches,  sowie  für 
Figuren-  und  Landschaftszeichnen. 

2)  Sammlungen  der  mechanischen  Schule.  Hierunter  begreifen  sich  drei  ge- 
sonderte Abtheilungen:  a.  Eine  ausgedehnte  Sammlung  von  Wandtafeln 
zum  Unterricht  in  Maschinenlehre  und  Maschinenbau;  b.  eine  Sammlung 
von  Maschinenmodellen  und  theil weise  großen  und  kostbaren  Versuchs- 
apparaten; c.  eine  Sammlung  von  Vorlagen,  Waaren  und  Werkzeugen  für 
den  mechanisch-technischen  Unterricht. 

3)  Sammlungen  der  chemischen  Schule.  „Dieselben  bestehen  theils  aus  den 
für  die  beiden  von  einander  ganz  unabhängigen  Laboratorien  nöthigen 
Utensilien  und  Materialien,  theils  aus  den  für  die  Vorträge  an  der  tech- 
nischen Abtheiluug  (namentlich  für  die  Vorlesungen  über  Glas-  und  Thon- 
waaren,  über  Metallurgie,  über  Heizung  und  Beleuchtung,  über  Nahrungs- 
gewerbe, über  chemische  Produkte,  über  Färberei  und  Druckerei  etc.) 
angelegten  Sammlungen  von  Wandtafeln,  Modellen,  Rohmaterialien,  Droguen, 
Produkten,  Mustern  etc." 

Nebst  dem  Jahreskredit  werden  zu  ihrer  Aeufuung  auch  die  Gebühren 
der  Praktikanten  verwendet. 


Polytechnikum  —     590     —  Polytechnikum 

4)  Sammlungen  der  forst-  und  landwirthschaftlichen  Abtheilung.  Dieselben 
sind  ebenfalls  getrennt :  a.  Sammlung  der  Forstschule)  bestehend  in  Greräthen 
und  Instrumenten  für  die  Forstkultur  und  die  Bodenentwässerung,  in  den 
für  sie  wichtigsten  Mineralien  und  Bodenproben,  nützlichen  und  schädlichen 
Thieren,  ferner  in  Früchten  und  Samen,  sowie  in  Quer-  und  Längsschnitten 
in-  und  ausländischer  Holzarten ;  b.  der  landwirthschaftlichen  Schule : 
Maschinen  und  Geräthe,  sowie  Apparate,  Modelle  und  Pläne,  die  sich  auf 
die  Bodenkultur  und  die  Bearbeitung  der  Erzeugnisse  beziehen;  femer 
Herbarien,  Sammlungen  nützlicher  und  schädlicher  Thiere. 

5)  Die  physikalische  Sammlung.  Neben  den  Instrumenten  und  Apparaten 
für  die  Yorlesungs versuche  besitzt  dieselbe  bereits  werthvolle  Hülfsmittel 
zu  wissenschaftlichen  Untersuchungen  und  praktischen  physikalischen  Ar- 
beiten. 

6)  Die  astronomische  Sammlung  enthält  außer  den  für  die  Uebungen 
nothwendigen  Instrumenten  und  den  zu  den  Vorträgen  dienlichen  Dar- 
stellungen „den  Anfang  einer  für  die  Geschichte  der  Instrumente,  ja  für 
die  Geschichte  der  Astronomie  überhaupt  ganz  interessanten  historischen 
Sammlung«. 

7)  Die  zoologische  Sammlung.  Dieselbe  wurde  von  der  zürcherischen  natur- 
forschenden Gesellschaft  gegründet  und  ging  dann  zur  Benutzung  an  das 
Polytechnikum  über.  Sie  wurde  besonders  vermehrt  durch  die  Schenkungen 
der  £scher-Zollikof er 'sehen  und  der  Bremi'schen  Sammlung. 

8)  Die  mineralogisch-geologische  Sammlung.  Das  Eigenthnmsrecht  ist  hier  eben 
so  getheilt  wie  bei  der  vorhin  erwähnten  Sammlung.  Durch  Ankauf  der 
viele  seltene  Exemplare  enthaltenden  Sammlung  von  Oberst  Lardy  wurde 
dieselbe  1859  wesentlich  bereichert.  Dies  geschah  in  gleichem  Maße 
durch  die  von  Dr.  David  Wiese  seiner  Vaterstadt  tibergebene  Samm- 
lung von  Schweizer  Mineralien.  Die  geologische  Sammlung  dagegen 
erlangte  ihre  Bedeutung  durch  die  Schenkungen  von  Escher  v.  d.  L.  und 
Heer.  Daselbst  befindet  sich  auch  das  Gemälde  Holzhalb's:  „Oeningen  zur 
Tertiärzeit* . 

9)  Die  botanische  Sammlung  besteht  aus  zwei  Abtheilungen,  einem  allgemeinen 
und  einem  speziell  helvetischen  Herbarium.  Femer  enthält  sie,  zur  Ver- 
gleichung  mit  den  Alpenpflanzen,  ein  Herbarium  arcticum  und  das  historisch 
wichtige  Geßner'sche  Herbarium. 

10)  Die  archäologische  Sammlung  enthält  Gypsabgüsse  nach  Antiken  und 
Kenaissance-Skulpturen. 

11)  Die  Kupferstichsammlung  wurde  sozusagen  erst  im  Jahre  1870  gegründet. 
Damals  wurde  die  Sammlung  des  Malers  Kudolf  Bühlmann  (20,000  Blätter) 
für  Fr.  40,000  angekauft.  Seither  wurde  die  Sammlung  durch  Kauf  und 
Schenkung  um  mehrere  tausend  Blätter  bereichert. 

Wissenschaftliche  Anstalten  und  Annex- Anstalten  :  1)  Das  physikalische 
Institut;  2)  chemisch-analytiKche  und  technische  Laboratorien;  3)  das  agrikultur- 
chemische Laboratorium;  4)  die  Sternwarte. 

Unter  den  Annex- Anstalten  sind  zu  nennen :  a.  Die  Anstalt  zur  Prüfung 
der  Festigkeit  von  Baumaterialien ;  b.  die  Samenkontrolstation ;  c,  die  landwirth- 
schaftlich-chem ische  Untersuchungsstation. 

Da  wir  später  die  Frequenz  der  gesammten  Schule  von  ihrer  Eröffnung  an 
mittheilen  w^erden,  so  soll  hier  nur  der  Besuch  der  Laboratorien  vom  Jahre  1880 
bis  1886  dargestellt  werden. 


ytechnib 

:um 

—     591     - 

- 

Polytechnikum 

Jahr 

Physikalisches 
Institut : 

Winter   Sommer  Ztisammen 

Chemisches 
Tiahoratorium : 

analytisches     techniBches 

Agrikultur-chemisches 
liahoratorium : 

Winter  Sommer  Znsammen 

1880 

18 

22 

40 

154 

70 

4 

17 

21 

1881 

22 

22 

44 

140 

81 

5 

16 

21 

1882 

22 

22 

44 

151 

86 

4 

15 

19 

1883 

37 

31 

68 

152 

122 

4 

14 

1« 

1884 

35 

36 

71 

186 

113 

7 

16 

23 

1885 

29 

22 

51 

157 

117 

6 

15 

21 

1886 

47 

39 

86 

163 

124 

7 

13 

20 

Besonders  die  Zunahme  im  chemisch-technischen  Institnt  zeigt,  wie  noth- 
wendig  die  Erstellung  des  Chemiegebändes  war;  gleichzeitig  weist  die  Besucher- 
zahl des  physikalischen  Institutes  darauf  hin,  daß  mit  jeder  Erweiterung  des  zur 
Verfügung  stehenden  Eaumes  auch  die  Zahl  der  Praktikanten  in  diesem  Fache 
wuchs. 

Ueber  einen  Theil  der  Thätigkeit  der  Annex- Anstalten  mögen  uns  folgende 
Zahlen  einigen  Aufschluß  geben: 


Jahr 

• 

Samenkontrole : 

Firmen        Samenmnster 

Landwirthschaftlich-chemische 
Station : 

Firmen    Ein«euduhgeu  (Jntersnchungen 

Festigkeits- 
messung : 

Proben 

1879 

31 

1056 

13            180 

- 

1880 

36 

1343 

16            254 

525 

1881 

46 

1465 

23            604 

2090 

829 

1882 

53 

1745 

24            690 

2800 

6124 

1883 

53 

1809 

27            642 

2762 

6426 

1884 

55 

1883 

27            803 

4419 

7959 

1885 

55 

1877 

34            900 

5005 

7370 

1886 

56 

2247 

34          1140 

6250 

11663  ») 

Diese  Zusammenstellung  zeigt  schon,  welche  große  Bedeutung  in  diesen  nach 
und  nach  entstandenen  Annex- Anstalten  des  eidgenössischen  Polytechnikums  liegt 
und  in  wie  hohem  Maße  diese  Bedeutung  auch  überall  anerkannt  wurde.  Die 
Wichtigkeit  der  Samenkontrolstation  ist  auch  für  den  Nichtlandwirth  leicht  be- 
greiflich. Wenn  wir  bedenken,  daß  früher  vielfach  nicht  keimfähiger  Same, 
verunreinigter  und  selbst  theilweise  gefälschter  Same  zum  Verkaufe  gelangte, 
wobei  der  Betrug  erst  längere  Zeit  nach  der  Aussaat,  nach  Verlust  von  Zeit, 
Ajrbeit  und  Geld  entdeckt  wurde,  nun  aber  die  Samenhändler  zumeist  nur  kon- 
trolirten  Samen  zum  Verkaufe  anbieten  können,  so  ist  der  hohe  Werth  für  die 
schweizerische  Land  wir  thschaffc  in  die  Augen  springend.  *) 

Geben  wir  noch  durch  zwei  Einzeldarstellungen  eine  detaillirtere  Uebersicht 
der  Arbeiten  in  der  landwirthschaftlich-chemischen  Versuchsstation  und  der  Station 
für  Festigkeitsprüfungen. 

Landwirthschaftlich-chemische  Versuchsstation  : 


')  Von  1882  bis  1886  wurden  39,542  Untersuchungen  ausgeführt  und  es  hat  sich 
in  diesem  kurzen  Zeiträume  die  Arbeit  nahezu  verdoppelt. 

')  Die  landwirthsc-haftlichen  Vereine  senden  zumeist  Kollektivmuster  von  einer 
großen  Zahl  ihrer  Mitglieder  ein.  Im  Jahre  1886  betheiligten  sich  unter  263  Auftrag- 
gebern 53  landwirthschattliche  Vereine,  und  die  Gesammtzahl  der  Einsendungen  betrug 
2247.  Von  655  Nachuntersuchungen  hatten  90  ein  Ergebniß,  das  mit  der  geleisteten 
Garantie  nicht  stimmte,  in  welchen  Fällen  von  den  Verkäufern  Ersatz  zu  leisten  ist. 
(Vergl.  Jahresbericht  1886.) 


Polytechnikum 


—     592     — 


Polytechnikum 


A-»  ^««  1?;«^««^» ^«  Zalil  der  Einsendungen : 

Art  der  Emsendungen :  ^^^       ^^      jg»gg 

Düngmittel 544       673     1027 

Futtermittel 127        244          64 

W^eine  und  Diverses     .     .  132        106          49 


Ausgefülirte  Bestimmungen 
1884       1885       1886 


2930 
1489 


4056 
518 
431 


5575 

590 

85 


Der  Hauptzuwachs  zeigt  sich  in  den  zur  Untersuchung  eingesandten  Düng- 
mitteln. „Dieser  Umstand  findete  seine  Erklärung  in  dem  jetzt  mehr  in  Aufnahme 
gekommenen  genossenschaftlichen  Ankauf  der  Düngmittel  nach  Gehaltprozenten, 
wobei  jede  Wagenladung  zur  Untersuchung  gelangen  muß.**  (Jahresbericht  über 
das  eidgenössische  Polytechnikum  1886.)  Mehr  als  ^/e  aller  Untersuchungen  ent- 
fallen auf  die  kostenfreien  Nachuntersuchungen.  Die  steigende  Anzahl  der  letzteren 
zeigt  am  deutlichsten,  daß  diese  Anstalt  des  Polytechnikums  unmittelbar  die 
Interessen  der  Landwirthschaft  wahrt.   Es  entfielen  in  den  letzten  drei  Jahren  auf 


1884 

1885 

1886 

457 

652 

926 

3184 

ca.  4000 

ca.   5186 

Einsendungen 

Kostenfreie  Nachuntersuchungen  . 

Die  Betriebsthätigkeit  der  Anstalt  zur  Prüfung  der  Festigkeit  von  Bau- 
materialien stellen  wir  nach  den  frühern  allgemeinen  Angaben  nur  für  die  Jahre 
1885  und   1886  nach  Art  und  Zahl  der  untersuchten  Objekte  dar: 


Vertheilung  der  Versuche 

Zahl  der 

Versuche 

1885 

Auftrag- 
geber 
1885 

Zahl  der 

Versuche 

1886 

Auftrag 
geber 
1886 

Künstliche   und   natürliche  Bausteine 

460 

86      ] 

Bindemittel 

5849 

10783 

Bauhölzer 

Metalle 

25 

915 

^     49 

716 

58 

Seile  und  Treibriemen 

81 

29 

Chemische  Analysen       ..... 

40 

49 

Summa 

7370 

11663 

Hier  sind  es  demnach  insbesondere  die  Bindemittel^  welche  die  gewaltige 
Zunahme  der  Einzelversuche  bedingten.  (1883  entfielen  von  6426  Versuchen 
3718  auf  hydraulische  Bindemittel,  1886  aber  92  ®/o.)  Für  die  polytechnische 
Schule  selbst  erwuchs  eine  bedeutende  Quelle  praktischer  und  theoretischer  Be- 
lehrung (vorzüglich  für  die  Bauschule)  aus  der  Anstalt  für  Festigkeitsprüfungen. 
Es  können  jeweilen  Samstag  Nachmittags  von  2 — 6  Uhr  die  Schüler  der  obern 
Abtheilungen  unter  Leitung  des  Vorstandes  die  „technisch  wichtigsten  Eigen- 
schaften der  moderneu  Baumaterialien  aus  eigener  Anschauung  kennen  lernen*. 
Den  Werth,  welcher  aus  dieser  Anstalt  für  das  Baugewerbe  der  Schweiz  erwuchs, 
brauchen  wir  nicht  insbesondere  noch  weiter  auszuführen ;  es  ist  die  Bedeutung 
derselben  schon  hinreichend  illustrirt  durch  die  wachsende  Zahl  von  Aufträgen, 
welche  derselben  übertragen  wurden.  —  Was  wir  in  Bezug  auf  die  technische 
Ausbildung  der  Schüler  durch  die  in  der  letztgenannten  Anstalt  gebotene  Ge- 
legenheit gesagt  haben,  gilt  natürlich  in  gleicher  Weise  auch  für  die  Samen- 
kontrolstation  und  die  landwirthschaftlich-chemische  Versuchsanstalt. 

IV.   Frequenz  und  Leistungen  seit  der  Eröffnung, 

Die  Bewegungen  in  der  Frequenz  der  polytechnischen  Schule  erhellen  über- 
sichtlich aus  folgender  Zusammenstellung: 


Polytecimiknm 

— 

593 

— 

1 

Polytechnikum 

Jahr 

Bau- 
schnle 

iii- 

genienr- 
schnle 

Mcch.« 
techn. 
Schule 

Cheni- 

techn. 

Schule 

Forft- 
achule 

Land- 

wirthflch. 

Schule 

Fach- 

lehrer- 

abthlg. 

Vor- 
kurs 

Total 

tier 

.Schäler 

Schweiur 

Aus- 
lander 

1855/56 

9 

20 

16 

13 

4 

— 

9 

* 

71 

68 

3 

1856/57 

9 

27 

22 

17 

7 



16 

98 

91 

7 

1857/58 

8 

36 

27 

7 

6 

14 

98 

86 

12 

1858/59 

10 

31 

25 

13 

10 

20 

— 

109 

94 

15 

1859/60 

19 

49 

51 

14 

11 

— 

21 

?() 

195 

137 

58 

1860/61 

27 

90 

89 

29 

14 

— 

32 

336 

193 

143 

1861/62 

26 

126 

117 

47 

19 

— 

32 

67 

434 

230 

204 

1862/63 

35 

140 

147 

51 

22 

45 

^ 

510 

265 

245 

1863/64 

34 

138 

188 

61 

20 

— 

47 

72 

560 

266 

294 

1864/65 

51 

118 

125 

56 

21 



30 

78  «479 

244 

235 

1865/66 

41 

138 

155 

70 

21 

— 

29 

94 

548 

235 

313 

1866/67 

52 

146 

159 

59 

24 

30 

81 

551 

243 

308 

1867/68 

42 

159 

168 

62 

27 

— 

43 

88 

589 

250 

339 

1868/69 

41 

150 

169 

72 

16 

42 

98 

o8S 

248 

340 

1869/70 

37 

193 

161 

86 

14 



37 

104 

632 

233 

399 

1870/71 

25 

230 

141 

76 

17 

— 

36 

123 

648 

232 

416 

1871/72 

22 

262 

135 

91 

18 

7 

33 

121 

689 

242 

447 

1872/73 

22 

260 

124 

94 

17 

9 

20 

129 

675 

270 

405 

1873/74 

25 

287 

138 

88 

14 

14 

26 

84 

676 

277 

399 

1874/75 

28 

300 

150 

69 

22 

16 

34 

92 

711 

322 

389 

1875/76 

35 

296 

161 

64 

24 

19 

35 

91 

725 

330 

395 

1876/77 

38 

253 

157 

80 

39 

16 

^8 

79 

710 

361 

349 

1877/78 

38 

198 

145 

84 

53 

17 

51 

54 

640 

331 

309 

1878/79 

31 

161 

134 

69 

54 

12 

60 

43 

564 

300 

264 

1879/80 

26 

135 

126 

81 

48 

16 

64 

45 

541 

297 

244 

1880/81 

25 

115 

107 

86 

43 

14 

61 

37 

488 

261 

227 

1881/82 

27 

113 

89 

89 

35 

16 

60 

— 

429 

240 

189 

1882/83 

31 

101 

88 

92 

33 

12 

51 

408 

232 

176 

1883/84 

30 

92 

88 

119 

19 

19 

46 

— 

413 

224 

189 

1884/85 

24 

90 

97 

122 

19 

18 

42 

412 

220 

192 

1885/86 

21 

87 

119 

119 

17 

17 

34 

— 

414 

198 

216 

1886/87 

25 

152 

133 

19 

26 

104 

37 

— 

496 

211 

285 

1887/88 

22 

172 

161 

16 

28 

133 

48 

— 

580 

226 

354 

Total  der  Schüler  16017    7657    8360 

7o     47,8     52,2 

Außer  diesen  Schülern  freqaentirten  das  Polytechnikum  jährlich  160 — 390 
Zuhörer. 

Diplomirt  wurden  seit  Beginn  der  Schule  his  1887/88  1435  Schüler  =  9  7o, 
nämlich : 

Schweizer  Ausländer  Schwei«er    -Vusländer 

74  23        Förster      ....        165  8 

.     .        183        239        Landwirthe     ...  18  11 


Förster 

Landwirthe 

Fachlehrer 


Architekten  . 

Ingenieure 

Maschineningenieure        171        149         Fachlehrer      ...        159  12 

Chemiker      ...       139         84 

Nehen   den    Diplomen   und  Promotionen  dienen  jährliche  Preisaufgaben  zur 
besondem  Belebung  des  Fleißes.   Es  wurden  deren  während  1855/88  60  ertheilt. 


Flirrer,  Vollwwirthschafts-Lexikon  der  Schweiz. 


^'^ 


Polytechnikum  —     594      —  Polytechnikum 

V.  Gesetzgeberisches. 

Das  Gründuiigsgesetz  vom  7.  Februar  1854  ist  bereits  im  Kapitel  über  die 
Gründung  des  Polytechnikums  erwähnt  und  seinem  Wortlaute  nach  wiedergegeben 
(p.  581).  Es  ist  im  Verlaufe  der  Zeit  in  einzelnen  Punkten  abgeändert  worden 
und  eine  Reihe  von  gesetzgeberischen  Akten  der  Bundesversammlung  qualifiziren 
sich  als  Ergänzungen. 

Abänderungen  haben  insbesondere  erfahren : 

Artikel  5  (p.  581),  indem  der  daselbst  auf  Fr.  150,000  normirte  Jahres- 
beitrag der  Eidgenossenschaft  successive  auf  Fr.  192,000,  250,000,  285,000, 
300,000,  332,000,  447,000  (auf  dem  Budgetwege  sogar  bis  auf  mehr  als 
Fr.  500,000)  erhöht  wurde. 

Artikel  20  (p.  582),  indem  1881  der  Schulrath  um  zwei  Mitglieder  ver- 
stärkt wurde. 

Artikel  25  und  26  (p.  583);  das  Jahresgehalt  des  Schulrathspräsidenten 
stieg  1859  auf  Fr.  6000,  1873  auf  Fr.  8000;  die  Besoldung  des  Sekretärs 
wurde  nur  um  Fr.  500  erhöht. 

Im  Uebrigen  gibt  die  folgende  chronologische  Aufzählung  summarische  Aus- 
kunft über  die  bis  Ende  1888  stattgehabten  gesetzgeberischen  und  behördlichen 
Akte.  Unter  den  34  Nummern  begegnen  wir  11  Mal  dem  Budget  oder  Jahres- 
kredit (Ziff.  1,  7,  12,  14,  16,  18,  20,  23,  24,  33,  34)  7  Mal  den  Verträgen 
zwischen  Bund  und  Stadt  oder  Kauton  Zürich  (Z.  8,  9,  10,  15,  17,  28,  29), 
4  Mal  dem  Forstwesen  (Z.  13,  14,  30,  31),  4  Mal  der  Landwirthschaft  (Z.  14, 
19,  20,  32),  4  Mal  dem  Schulreglement  (Z.  4,  13,  19,  21),  2  Mal  der 
Festigkeiisprilfungsanstalt  (Z.  23,  34),  2  Mal  den  Militärwissenschaften  (Z.  21, 
22),  2  Mal  dem  Chemiegebäude  (Z.  28,  29),  2  Mal  den  Prüfungen  (Z.  22,  25)- 
2  Mal  dem  Vorkurs  (Z.  7,  26),  je  1  Mal  der  Anstellung  französischer  Lehr, 
kräfte  (Z.  33),  der  Aufnahme  von  Schülern  und  Zuhörern  (Z.  27),  den  Be- 
soldungen des  Lehrpersonals  (Z.  11,  18),  dem  Physikgebäude  (Z.  31),  dem 
Rechnungswesen  der  Anstalt  (Z.  5),  der  Sternwarte  (Z.  10),  dem  Schulrath  (Z.  26), 
der  meteorologischen  Zentralanstalt  (Z.  31),  der  Yersicherungsstiftung  der  Lehrer- 
schaft (Z.  11). 

1)  Bundesbeschluß  betreffend  dm  Budget  für  die  im  Jahre  1855  in  Zürich 
zu  eröffnende  polytechnische  Schule.  (17.  Juli  1854.  Amtl.  Samml.  IV.  Bd., 
p.  241.)  Nach  Einsicht  eines  Berichtes  des  Bundesrathes,  vom  12.  Heumonat 
1854,  wird  für  die  in  Zürich  zu  eröffnende  polytechnische  Schule  für  Rechnung 
desselben  Jahres  dem  Bundesrathe  ein  Gesammtkrcdit  von  Fr.  127,000  aus  der 
Bundeskasse  bewilligt. 

2)  Bundesbeschluß  betreffend  die  erste  Einrichtung  der  eidg.  polytech- 
nischen Schule  in  Zürich.  (19.  Juli  1854.  Ges.-Samml.  IV.  Bd.,  p.  243.)  Für 
die  erste  Einrichtung  des  eidg.  Polytechnikums  wird  von  der  Bundesversammlung 
die  Summe  von  Fr.  144,000  bewilligt.  Dies  in  dem  Sinne,  daß  ein  nicht  ver- 
ausgabter Betrag  auf  Rechnung  von   1855  übertragen  werden  müßte. 

3)  Bundesrathsbeschluß  betreffend  die  Eröffnung  der  eidg.  polytechnischen 
Schule.  r31.  Juli  1854.  Ges.-Samml.  1854,  IV.  Bd.,  p.  274.)  üie  Eröffnung 
hat  im  Herbste  1855  stattzufinden.  Der  ordentlichen  Eröffnung  geht  ein  halb- 
jähriger Vorbereituugskurs  voran. 

4)  Beglemeni  für  die  eidg.  polytechnische  Schule.  (21.  Juli  1854. 
Ges.-Samml.  IV.  Bd.,  p.  275.) 

5)  Uegulatiü  für  das  Rechnungswesen  des  eidg.  Polytechnikums.  (8.  Ja- 
nuar 1857.  Amtl.  Ges.-Samml.  V.  Bd.,  p.  531.)  Der  Schulrath  hat  die  jährliche, 


Polytechnikum  —     595      —  Polytechnikum 

von  der  Eidgenossemjohaft  budgetirte  Summe  je  nach  den  Bedürfnissen  der  Anstalt 
aus  der  Bundeskasse  zu  beziehen.  Die  Jahresrechnung  ist  mit  einer  Nachweisung 
zu  begleiten,  woraus  das  Inventar  nebst  Zuwachs  und  Abgang  und  der  Etat  am 
Jahresschlüsse  ersichtlich  ist.  Die  Direktoren  der  einzelnen  Sammlungen  haben 
Spezialrechnungen  über  die  Verwendung  der  ihnen  überwiesenen  Kredite  bis 
31.  Dezember  einzureichen.  Kasse  und  Buchführung  stehen  unter  der  direkten 
Aufsicht  des  Schulrathes.  Wenn  am  Ende  des  Jahres  ein  Ueberschuß  der  budge- 
tirten  Summe  verbleibt,  so  ist  derselbe  in  einen  unter  eidgenössischer  Verwaltung 
stehenden  Schultbnd  zu  überweisen. 

6)  Am  30.  März  1858  erließ  der  Schweiz.  Schulrath  ein  Regulativ  über 
Ertheilung  von  Stipendien  an  dürftige  Schüler  des  eidg,  Folytechnikums,  Ver- 
mächtnisse werden  zu  Stipendien  von  nicht  unter  Fr.  200  und  nicht  über  Fr.  700 
vergeben ;  Reisestipendien  können  diesen  Betrag  überschreiten.  Wit  dem  Stipendium 
fallen  Schulgelder,  Honorare  und  Entschädigungen  dahin.  Die  Aspiranten  müssen 
eine  Jahresprüfung  mit  Auszeichnung  bestanden  haben.  Die  Sti))endiaten  stehen 
in  Bezug  auf  Fleiß,  Fortschritt  und  Betragen  unter  besonderer  Aufsicht  der  Vor- 
stände der  betreffenden  Abtheilung  und  des  Direktors.  Mit  den  Reisestipeudien 
ist  die  Verpflichtung  verbunden,  daß  der  Stipendiat  eine  wissenschaftliche  Arbeit 
dcjm  Schulrathe  einzureichen  hat.     (Amtl.  Samml.  VI.  Bd.,  p.  33/3G.) 

7)  Das  Nachtragsgesetz  beireffend  die  eidg.  polytechnische  Schule,  vom 
29.  Januar  1859  (Amtl.  Samml.  VI.  Bd.,  p.  152)  enthält  vornehmlich  die  folgenden 
Bestimmungen:  Zur  Vorbereitung  solcher  Schüler,  deren  mangelhafte  Vorkennt- 
nisse den  Besuch  einer  der  Abtheilungen  unmöglich  machen,  oder  die  mit  Sprach- 
schwierigkeiten kämpfen,  wird  ein  einjähriger  Vorbereitungskurs  eröffnet.  Der 
jährliche  Bundesbeitrag  an  das  Polytechnikum  wird  auf  Fr.  192,000  festgesetzt. 
Dadurch  ist  Art.  5  des  Gesetzes  vom  7.  Februar  1854,  welcher  besagt,  daß  die 
Ausgaben  für  die  Eidgenossenschaft  Fr.  150,000  nicht  übersteigen  dürfen,  auf- 
gehoben. Ebenso  wird  die  Besoldung  des  Schulrathspräsidenteu  von  Fr.  4500 
(Art.  25  des  Gesetzes  vom  7.  Februar  1854)  auf  Fr.  6000  erhöht  und  die  Ent- 
schädigung der  Mitglieder  gleichgestellt  derjenigen  der  Kommissionsmitglieder  der 
Bundesversammlung. 

8)  Durch  Vertrag  zwischen  dem  Stadtrath  der  Stadt  Zürich  und  dem  eidg. 
Schulrath  (genehmigt  vom  Stadtrath  am  22.  Mai,  vom  Bundesrath  am  8.  Juni 
1860;  A.  S.  VI.  Bd.,  p.  493  u.  ff.)  wird  die  Frage  des  Eigenthums,  der  Be- 
nutzung, des  Unterhalts  und  der  Aeuffnung  der  städtischen  naturhistorischen 
Sammlungen  und  der  Stadtbibliothek  entschieden.  Eine  Sammlung  von  wirbellosen 
Thieren,  eine  solche  von  Mineralien,  ferner  eine  geologische  und  Petrefakten- 
sammlung  und  der  biologische  Theil  der  Bremi'schen  entomologischen  Sammlung 
werden  inventarisirt,  bleiben  Eigenthum  der  Stadt  Zürich,  stehen  aber  zur  freien, 
unentgeltlichen  Benutzung  des  Polytechnikums  offen.  Für  Konservirung  und 
Mehrung  leistet  Zürich  jährlich  Fr.  1000  an  die  eidg.  Schulkasse.  Was  neu  zu 
den  Sammlungen  gefügt  wird,  ist  Eigenthum  von  Kanton,  Stadt  und  Eidgenossen- 
schaft im  Verhältuiß  der  geleisteten  Beiträge  (abzüglich  der  Unterhaltungskosten). 
Die  Stadtbibliothek  in  der  Wa-sserkirche  steht  der  eidg.  polytechnischen  Schule 
zu  freier  Benutzung  unentgeltlich  zur  Verfügung.   Dauer  des  Vertrages  10  Jahre. 

9)  Ein  weiterer  Vertrag  betreffend  die  Sammlungen  im  Universitätsgebäude 
und  botanischen  Garten  Zürichs  wird  zwischen  Zürich  und  dem  Schweiz.  Schul- 
rathe am  14.  Oktober  1860  abgeschlossen.  (Genehmigt  von  der  Regierung  am 
2,  Juni,  vom  Bundesrathe  am  18.  Juni  18(;)U.  Amtl.  Samml.  VI.  Bd.,  p.  519  u.  ff.) 
Direktion  und   Unterhaltung  des  botanischen  Gartens  bleiben  Sache  des  Kantons 


Polytechnikum  —     596     —  Polytechnikum 

Zürich.  Die  Eidgenosseuechaft  bezahlt  aus  der  Schulkasse  des  Polytechnikums 
jährlich  Fr.  4200,  wovon  mindestens  Fr.  1200  für  Besorgung  und  Aeuffnung 
der  botanischen  Sammlungen  zu  verwenden  sind.  Die  hieraus  entstehende  Yer* 
mehrung  der  Sammlungen  bleibt  Eigenthum  des  Polytechnikums.  Der  Rest  der 
Summe  ist  gleichfalls  direkt  auf  den  botanischen  Grarten  zu  verwenden.  Die  im 
zürcherischen  Universitätsgebäude  untergebrachten,  dem  Kanton  Zürich  gehörenden 
Sammlungen  (geologisches  Museum,  Petrefakten-  und  geognostische  Sammlung) 
werden  inventarisirt  und  mit  Eigenthumszeichen  versehen.  Dasselbe  geschieht 
seitens  des  eidg.  Polytechnikums  mit  den  aus  eidg.  Mitteln  gemachten  An- 
schaffungen. Der  Kanton  Zürich  leistet  an  die  Kosten  der  Erhaltung,  Besorgung 
und  Aeuffnungen  der  erwähnten  Sammlungen,  inbegriffen  die  bisherigen  Leistungen 
des  Kantons  an  die  im  Universitätsgebäude  aufgestellten  städtischen  Sammlungen, 
jährlich  eine  Summe  von  Fr.  2500  an  die  eidg.  Schulkasse.  Die  letztere  schießt 
die  weiteren  zur  Erhaltung  und  Aeuffnung  nöthigen  Beiträge  nach  freiem  Er- 
messen zu  und  dirigirt  die  Verwendung.  Was  vom  Zeitpunkt  des  Inkrafttretens 
des  Vertrages  an  neu  den  Sammlungen  zukommt  (Aeffnung),  wird  gemeinsame« 
Eigenthum. 

10)  Ueber  den  Vertrof/  mit  der  Stadt  Zürich  betreffend  die  Errichtung 
einer  neuen  Sternwarte  (25.  Mai  1861 ;  Amtl.  Samml.  VII.  Bd.,  p.  38)  ver- 
weisen wir  auf  das  betreffend  diese  wissenschaftliche  Anstalt  im  IL  Abschnitt 
(p.  587)  Gesagte. 

11)  Am  13.  Juni  1862  kam  zwischen  der  Schweiz.  Rentenanstalt  (private 
Lebensversicherungsgesellschaft)  einerseits  und  der  Lehrerschaft  des  Polytechnikums 
sowie  dem  eidg.  Schulrathe  anderseits  ein  Vertrag  über  eine  Versicherungs^ 
Stiftung  zu  Gunsten  der  Lehrerschaft  zu  Stande  (Amtl.  Samml.  VII.  Bd.,  p.  397). 
Nach  diesem  Vertrag  tritt  die  gesanimte  gegenwärtige  und  zukünftige,  definitif 
auf  mindestens  zehnjährige  Amtsdauer  gewählte  Lehrerschaft  des  Polytechnikums 
für  jedes  einzelne  Mitglied  in  die  Versicherungsstiftung  ein.  Der  Schulrath  kann 
hieven  Ausnahmen  bewilligen,  aber  nicht  so  viele,  daß  die  Gesamratzahl  der 
Versicherten  unter  ^U  der  bezeichneten  Lehrerschaft  sinkt.  Jedes  Mitglied  hat 
jährlich  von  seinem  fixen  Gehalte  in  der  Regel  3  ^/o  als  Versicherungsprämie 
zu  entrichten  und  der  Schulrath  legt  für  dasselbe  ebenfalls  mindestens  3  ®/o  ein. 
Die  Gesammtprämie  für  den  Einzelnen  darf  jedenfalls  nicht  unter  4  ®/o  seiner 
Besoldung  sinken.  Die  Rentenanstalt  hinwiederum  fertigt  für  jedes  Mitglied  eine 
Versicherungspolice  aus,  welche  nach  Verhältniß  der  Prämie  und  des  individuellen 
Eintrittsalters  des  Versicherten  bemessen  wird.  Die  Police  sichert  jedem  Mitgliede 
nach  seiner  freien  Wahl  beim  Eintritte  entweder  eine  Kapitalsumme  aufs  Ab- 
leben oder  eine  frühestens  mit  dem  60.  Altersjahre  beginnende  Altersrente  zu. 
Ferner  sind  Bestimmungen  getroffen  für  den  Fall  des  Austrittes  aus  dem  Lehr- 
körper u.  a.  m.  Dieser  Vertrag,  vom  Bundesrathe  genehmigt  am  9.  Januar  1863, 
ist  noch  heute  (April   1889)  in  Kraft. 

12)  Durch  das  Nachtragsgesetz  vom  22.  Dezember  1863  betreffend  die 
eidg.  polytechnische  Schule  (Amtl.  Samml.  VIII.  Bd.,  p.  23)  wird  der  jährliche 
Beitrag  der  Eidgenossenschaft  für  die  polytechnische  Schule  auf  Fr.  250,000 
erhölit.     Diese  Bestimmung  trat  mit   1.  Januar  1864  in  Kraft. 

1 3)  Der  Schulrath  legte  dem  Bundesrathe  einen  Entwurf  zu  einem  revidirten 
liet/lemfnt  vor.  Dieses  am  2S.  Februar  1866  vom  Bundesrathe  in  Kraft  erklärte 
revidirte  Reglement  (Amtl.  Samml.  VlII.  Bd.,  p.  766  u.  ff)  stellt  folgende  acht 
Abtheilungen  des  Polytechnikums  auf:  I.  Hochbauschule;  IL  Ingenieurschule; 
III.  Mechanisch-technische  Schule ;  IV.  Chemisch-technische  Schule;  V.Forstschule; 


Polytechnikum  —      597      —  Polytechnikum 

VI.    FachlehrerahtheiluDg ;    YII.    Philosophische   und    staatswirthschaftliche   Ab- 
theiluDg;  YIU.  Mathematischer  Yorbereitungskurs. 

Es  wird  festgestellt,  daß  nur  dann  die  nach  einem  besondern  Regulativ  im 
Einzelnen  zu  bestehende  Vorprüfung  dem  Eintretenden  erlassen  werden  könne, 
wenn  die  Ausweise  über  seinen  bisherigen  Bildungsgang  volle  Gewähr  geben,  daß 
er  die  erforderlichen  Vorkenntnisse  besitze.  Das  Schulgeld  wird  auf  Fr.  100  per 
Jahr  (einschließlich  der  Beiträge  an  die  Krankenkasse)  angesetzt.  Die  Bauschule 
ertheilt  Diplome  eines  Architekten  (statt  eines  Baumeisters),  die  Ingenieurschule 
nur  noch  diejenigen  eines  Ingenieurs  (statt  solche  eines  Straßen-,  Brücken  , 
Wasserbau-  und  eines  topographischen  Ingenieurs).  An  der 'mechanisch-technischen 
Schule  werden  nicht  mehr  Diplome  eines  Mechanikers,  sondern  solche  eines 
Maschineningenieurs  ertheilt.  Es  ertheilt  auch  die  Abtheilung  für  Bildung  von 
Fachlehrern  in  mathematischer  oder  naturwissenschaftlicher  Eichtung  Diplome. 
Entsprechend  den  gesteigerten  Anforderungen,  ibt  die  Zahl  der  vorgesehenen  Lehrer 
vermehrt  und  in  Aussicht  genommen,  bei  einem  Bedürfniß  in  Bezug  auf  die 
schweizerischen  Nationalsprachen  Abhülfe  zu  schaffen. 

14)  Die  Erweiterung  der  Forstschule  des  eidg.  Polytechnikums  zu  einer 
land-  und  forstwirthschaftlichen  Schule  erfolgte  durch  das  Bundesgesets  vom 
23,  Dezember  1869,  (Amtl.  Samml.  X.  Bd.,  p.  10.)  Die  höhere  landwirthsi;haft 
liehe  Schule  bildet  mit  der  Forstschule  die  fünfte  Abtheilung  als  land-  und  forst- 
wirthschaftliche  Schule.  Mit  dem  Zeitpunkt  der  Eröffnung  wird  der  ordentliche 
Jahreskredit  um  Fr.  35,000  erhöht,  also  auf  Fr.  285,000  festgesetzt.  Dem  Kanton 
Zürich  wurde  die  Aufgabe  zugewiesen,  der  landwirthschaftlichen  Schule  die  er- 
forderlichen Eäumlichkeiten  und  mindestens  72  Juchart  Landes  in  der  Nähe  des 
Polytechnikums  zur  Verfügung  zu  stellen,  femer  in  der  Nähe  des  Strickhofs  ein 
Areal  von  mindestens  4  Jucharten  als  Versuchsfeld  anzuweisen  und  endlich  die 
Betriebsgüter  und  Sammlungen  im  Strickhof  sowie  die  Institute  der  Thierarznei- 
schule  unentgeltlich  benutzen  zu  lassen.  Der  zürcherische  Eantonsrath  verpflichtete 
sich  darch  Beschluß  vom  28.  Februar  1870  zur  Uebemahme  dieser  Leistungen. 
Deßhalb  wurde 

15)  Durch  Bundesratksbeschluß  vom  1,  Juli  1870  das  eidg.  Departement 
des  Innern  beauftragt,  die  vorbereitenden  Maßregeln  zur  Vollziehung  des  vor- 
genannten Gesetzes  zu  treffen.  Die  Folge  war  eine  formelle  Uebereinkunft, 
d.  d.  28.  Juni  1871,  betreffend  die  obgenannten  Räumlichkeiten  (Amtl.  Samml. 
X.  Bd.,  p.  635)  und  ein  Vertrag,  abgeschlossen  am  25.  Mai  1872,  betreffend 
das  obgenannte  Versuchsfeld  (Amtl   Samml.  X.  Bd.,  p.  807). 

16)  Durch  Bunde.^bcschluß  vom  10.  Juli  1871  wird  von  der  Bundes- 
versammlung der  jährliche  Beitrag  der  Eidgenossenschaft  für  die  polytechnische 
Schule  auf  Fr.  300,000  festgesetzt.  Dieser  Beschluß  trat  mit  1.  Januar  1872 
in  Kraft.    (Amtl.  Ges.-Samml.  X.  Bd.,  p.  4:^9.) 

17)  Mit  der  Finanzdirektion  von  Zürich  wird  unterm  30.  Oktober  1869  eine 
Uebereinkunft  betreffend  Verpflegung  erkrankter  Studirender  des  Polytechnikums 
abgeschlossen  (Bundesblatt   1869,  III.  Bd.,  p.  123). 

18)  Eine  weitere  Erhöhunr/  des  Jahreskredites  für  das  Polytechnikum 
wurde  am  26.  Juli  1873  beschlossen.  (Amtl.  Samml.  XI.  Bd.,  p  254.)  Die 
Erhöhung  betrug  Fr.  32,000  und  wurde  in  dem  Sinne  gewährt,  daß  aus  der- 
«elben  insbesondere  bisherige  Gehalte  und  Besoldungen  erhöht  werden  sollten. 
Dem  Bundesrathe  wurde  gleichzeitig  ein  außerordentlicher  jährlicher  Kredit  von 
Fr.  15,000  zu  dem  Zwecke  eröffnet,  „um  in  Fällen,  wo  es  sich  um  Erhaltung 
ausgezeichneter    Lehrkräfte    der  Schule   handelt,    nöthigenfalls   eine   angemessene 


Polytechnikum  —      598      —  Polytechnikum 

Erhöhung  der  ordentlichen  Besoldung  eintreten  zu  lassen".  Das  Jahresgehalt  des 
Schulrathspräsidenten  wurde  auf  Fr.  8000,  dasjenige  des  Sekretärs  auf  Fr.  3500 
fixirt.    Der  Beschluß  trat  mit  dem  1.  Januar  1873  in  Kraft. 

19)  Durch  Beschluß  vom  11.  JuH  137 3  ivird  das  Reglement  vom  28,  Fe- 
bruar 1866  neuerdings  revidirt.  (Reglement  für  die  eidg.  polytechnische  Schule. 
Ges.-Samml.  XL  Bd.,  p.  301  u.  ff.)  Die  Zahl  der  Abtheilungen  bleibt  die  näm- 
liche (8).  Nach  dem  oben  sub  14  erwähnten  Gesetz  wird  die  Abtheilung  5  zu 
einer  land-  und  forstwirthschaftlichen  Schule  erweitert  und  bedarf  für  die  land- 
wirthschaftliche  Abtheilung  eines  besondern  Planes.  Dementsprechend  werden  an 
der  landwirthschaftlichen  Schule  nach  absolvirten  mindestens  zweijährigen  Studien 
und  bestandenem  Examen  Diplome  eines  Landwirthes  ertheilt.  Die  Hauptparthien 
des  Reglementes  werden  am  Schlüsse  dieses  Abschnittes  wörtlich  mitgetheilt. 

20)  Der  Bundesbeschhiß  vom  17.  März  1877  betreffend  Errichtumf  einer 
Stelle  für  landwirthschaftliche  Untersuchungen  an  der  eidf/.  polytechnischen 
Schule  (Ges.-Samml.  n.  F.  III.  Bd.,  p.  62)  bestimmte  (Art.  1) ;  Es  wird  an  der 
eidg.  polytechnischen  Schule,  in  der  land-  und  forstwirthschaftlichen  Abtheilung, 
eine  Stelle  für  landwirthschaftliche  Untersuchungen  errichtet  zur  Kontrole  der 
landwirthschaftlichen  Stoffe  und  Produkte  (Erdarten,  Düngerarten,  Futtermittel, 
Sämereien  u.  s.  w.).  Diese  Station  wird  die  von  Behörden  oder  P]inzelnen  ver- 
langten Analysen  liefern  und  diejenigen  Ergebnisse  veröffentlichen,  welche  ein 
allgemeines  Interesse  für  die  Landwirthschaft  bieten.  Für  1877  wurde  ein  Kredit 
von  Fr.  6000  hiefür  bewilligt. 

21)  Am  3.  Brachmonat  1854  hatte  die  Schweiz.  Militärgesellschaft  eine 
Petition  eingereicht,  dahin  gehend,  es  möchte  an  der  eidg.  polytechnischen  Schule 
ein  Lehrstuhl  für  Militärwissenschaften  errichtet  werden.  Dieses  Gesuch  wurde 
der  eidg.  polytechnischen  Kommission  überwiesen  zur  Berichterstattung  und  Antrag- 
stellung. Die  Kommission  gelangte  zu  einem  negativen  Ergebniß ;  sie  beantragte 
(am  21.  Juli  1854):  „Der  hohe  Bundesrath  möge  einstweilen  der  Zuschrift  der 
Schweiz.  Militärgesellschaft  keine  Folge  geben".  Die  Militär-Organisation  vom 
13.  Wintermonat  1874  (Art.  94)  dagegen  förderte  Vorlesungen  über  militär- 
wissenschaftliche Fächer  am  eidg.  Polytechnikum.  In  Vollziehung  des  Art.  94 
der  Militär-Organisation  und  in  Ergänzung  des  Reglementes  von  1873  (s.  oben 
Nr.  19)  wurde  durch 

Bundesrathsbeschluß  vom  26,  Weinmonat  1877  festgestellt,  daß  über  fol- 
gende Fächer  Vorlesungen  am  Polytechnikum  zu  halten  seien;  Kriegsgeschichte, 
Strategie,  Taktik,  Heeresorganisation  und  Heeresverwaltung,  Waffen  lehre  und 
Schießtheorie,  Fortifikation.  Für  die  militärischen  Wissenschaften  werden  ein  bis 
zwei  Lehrer  angestellt.  Militärdepartement  und  Schulrath  haben  sich  über  die 
Vorschläge  zur  Wahl  dieser  Lehrer  zu  verständigen.  Das  Ausgaben bedürfniß  für 
die  Militärabtheilung  wird  im  Budget  den  Militärdepartements  ausgesetzt.  Im  Jahre 
1879  (4.  Herbstmonat   1879;  Amtl.  Samml.  n.  F.  IV.  Bd.,  p.  340)  wurde 

22)  das  Reffulativ  fiXr  die  Prüfungen  an  der  militnr-wissenschaftlichen 
Abtheilunf/  des  eidg.  Polt/technikum^  aufgestellt.  Die  Prüfungskommission  be  teht 
aas  dem  Vorstand  der  Abtheilung,  einem  Abgeordneten  des  Militärdeparteraent« 
und  einem  Abgeordneten  des  eidg.  Departements  des  Innern.  Die  Lehrer  der 
Abtheilung  nehmen  mit  berathender  Stimme  au  den  Konferenzen  Theil.  Wird  bei 
der  Prüfung  von  einem  schon  brevetirten  Offizier  die  Note  „gut**  oder  „sehr 
gut"  erworben,  so  ist  zur  Empfehlung  beim  Avancement  dem  Waffeuchef  des 
Offiziers  und  der  Wahlbehörde  durch  das  Militärdepartement  Kenntniß  zu  geben. 


Polytechnikum  —     599     —  Polytechnikum 

23)  Der  Bundesbeschluß  betreffend  den  ref/elmäßif/en  Betrieb  der  eidr/, 
Anstalt  zur  Prüfung  der  Festigkeit  von  Baumaterialien^  am  3.  Christmonat  1880 
gefaßt,  statuirt,  daß  der  Bund  zur  Deckung  der  Betriebskosten,  je  nach  Maßgabe 
des  Bedürfnisses,  einen  Jahresbeitrag  bis  auf  Fr.  7000  leiste.  (Ges.-Samml.  n.  F. 
5.  Bd.,  p.  263.) 

24)  Im  Juni  1881  erfolgte  wiederum  ein  Bundesbeschluß  betreffend 
Erhöhung  des  Jahreskredites.  (Gres.-Samml.  5.  Bd.,  p.  428.)  In  diesem  Be- 
schlüsse, der  am  I.Oktober  1881  in  Kraft  trat,  wurde  der  jährliche  ordentliche 
Beitrag  der  Eidgenossenschaft  filr  die  polytechnische  Schule  auf  Fr.  447,000 
festgesetzt. 

25)  Ein  eigenes  Regulatio  für  die  Diplomprüfungen,  mit  speziellen  Be- 
stimmungen für  die  einzelnen  Fachschulen,  wurde  unterm  23.  März  /  26.  April 
1881  vom  Schweiz.  Schulrathe  erlassen  und  vom  Bundesrathe  am  5.  Mai  1881 
genehmigt.     (Ges.-Samml.  n.  F.  5.  Bd.,  p.  497  u.  ff.) 

26)  Das  Bundesgesetz  vom  23,  Juni  1881  (Ges.-Samml.  n.  F.  5.  Bd.,  p.  560) 
erhöhte  die  Zahl  der  Mitglieder  des  Schulrathes  und  hob  den  Vorbereitungsskurs 
am  Polytechnikum  auf.  „Der  Schulrath  besteht  aus  einem  Präsidenten  und  sechs 
Mitgliedern.  Er  wird  vom  Bundcbrathe  aus  allen  Schweizerburgern  unter  ange- 
messener Berücksichtigung  der  technischen  Berufsrichtung  gewählt.  Er  kann 
nur  gültig  verhandeln,  wenn  außer  dem  Präsidenten  oder  dessen  Stellvertreter 
wenigstens  drei  Mitglieder  anwesend  sind." 

27)  Am  24.  November  1881  folgte  ein  Begulutiv  für  die  Aufnahme  von 
Schülern  und  Zuhörern  am  eidg.  Polytechnikum.  Zum  Eintritt  in  die  ersten 
Jahreskurse  aller  Fachschulen  berechtigen  (ohne  Aufnahmsprüfung)  die  Reife- 
zeugnisse derjenigen  schweizeriFchen  Mittelschulen,  welche  zu  diesem  Zwecke  mit 
dem  Schweiz.  Schulrathe  Verträge  abgeschlossen  haben,  sowie  die  durch  den 
Präsidenten  in  Verbindung  mit  dem  Direktor  als  gleichwerthig  anerkannten  Zeug- 
nisse auswärtiger  Schulen.  Aspiranten,  welche  keine  anerkannten  Reifezeugnisse 
vorweisen  können,  haben  zu  Beginn  des  Schuljahres  ein  Examen  zu  bestehen. 
In  diesem  Regulativ  werden  sowohl  bezüglich  der  allgemeinen  Bildung,  als  der 
Fachkenntnisse  spezielle  Bestimmungen  aufgestellt.  (Amtl.  Samml.  n.  F.  5.  Bd., 
p.  853.) 

28)  Durch  Bundesbeschlu ß  betreffend  die  Rtgulirung  der  Baupflicht  des 
Kautons  Zürich  gegenüber  der  eidg.  polytechnischen  Schule,  vom  7.  Juli  1883, 
wurde  der  am  1.  März  1883  zwischen  den  Vertretern  des  Bundesrathes  und  den 
Abgeordneten  der  Zürcher  Regierung  abgeschlossene  Vertrag  genehmigt.  (Anitl. 
Samml.  n.  F.  7.  Bd.,  p.  253/54.")  Nach  diesem  Vertrage  verzichtet  der  Bund 
auf  die  im  Kollaudationsakte  vorbehaltenen  und  noch  nicht  ausgeführten  vier 
baulichen  Ergänzungen.  Das  bestehende  Nebengebäude  für  Chemie  wird  an  den 
Kanton  Zürich  zurücktradirt.  Diese  Zurückgabe  findet  erst  htatt  nach  Erstellung 
des  neuen  Cheraiegebäudes.  Der  Baugrund  wird  (9600  m'^  haltend)  vom  Kanton 
Zürich  unentgeltlich  abgetreten.  Die  Pflicht  der  Unterhaltung  des  Hauptgebäudes 
und  des  Gebäudes  für  Laudwirthschaft  verbleibt  dem  Kanton  Zürich.  Sollten  für 
die  gemeinsamen  naturwissenschaftlichen  und  künstlerischen  Sammlungen  neue 
Gebäude  nothwendig  werden,  so  tritt  auch  hiefiir  Zürich  den  Baugrund  unent- 
geltlich ab.  Für  die  ferneren  Baubedürfnisse  tibernimmt  der  Bund  die  Sorge  im 
Umfange  der  Gesetze  vom  7.  Februar  1854  und  23.  Dezember  1869.  Für  diese 
Entlastung  hat  der  Kanton  Zürich  die  Summe  von  Fr.  450,000  an  den  Bund 
zu  bezahlen.  Sollte  die  polytechnische  Schule  jemals  aufgehoben  werden,  so  bleibt 
der  Bund  Besitzer  der  von  ihm  erstellten  Bauten,    suforn  er  den  dannzumaligen 


Polytechnikum  —      600     —  Polytechnikum 

Preiswerth    des  Baugrundes   und   von    der  Loskaufssumme  Fr.  200,000   an  den 
Kanton  Zürich  zurückerstattet. 

29)  Diesem  Vertrage  folgte  der  Bundesbeschluß  betreffend  den  Bau  eines 
Chemief/ebäudes  fiir  das  eidg,  Polytechnikum  in  Zürich  (17.  Dezember  1883). 
Für  den  Bau  desselben  wird  eine  Summe  von  Fr.  1*337,000  bewilligt  (Amtl. 
Samml.  n.  F.   7.  Bd.,  p.  320.) 

30)  Der  Bundesbeschluß  vom  27,  Märe  1885  wird  nach  Weisung  der 
Bundesversammlung  am  4.  April  1885  öffentlich  bekannt  gemacht  und  am  14.  Juli 
dessen  Yollziehbarkeit  vom  1.  Januar  1886  au  erklärt.  Nach  demselben  wird  eine 
Zentralanstalt  für  das  forstliche  Versuchswesen  (vorläufig  eine  forstlich-meteoro- 
logische Anstalt)  zu  dem  Zwecke  errichtet,  durch  wissenschaftliche  Versuche, 
Untersuchungen  und  Beobachtungen  der  Forstwirthschaft  in  ihrem  vollen  Umfange 
eine  sichere  Grundlage  zu  verschaffen  und  zur  Lösung  wichtiger  forstlich-meteoro- 
logischer Fragen  beizutragen.     (Amtl.  Samml.  n.  F.  VIII.  Bd.,  p.  154.) 

31)  Am  30.  Juni  1886  erfolgte  der  Bundesbeschluß  betreffend  die  Er- 
Stellung  eines  Gebäudes  für  Physik  und  für  die  forstliche  Versuchsstation  der 
polytechnischen  Schule^  nebst  Lokalitäten  für  die  meteorologische  Zentralstation. 
Für  den  Ankauf  des  Baute rrains  und  die  Erstellung  der  Baute  wird  die  Summe 
von  Fr.  r050,000  bewilligt.  (Amt.  Samml.  n.  F.  IX.  Bd.,  p.  64.)  In  dem  zu 
erstellenden  Gebäude  für  Physik  (wofür  erst  nur  noch  die  unzureichenden  Räum- 
lichkeiten im  Souterrain  des  Hauptgebäudes  nothdürftig  hergerichtet  waren)  wurde 
gleichzeitig  beschlossen,  die  forstwirthschaftliche  Versuchsstation  und  die  meteoro- 
logische Zentralstation  unterzubringen. 

32)  Jm  Juni  desselben  Jahres  wird,  nach  Einsicht  der  bundesräthliohen  Bot- 
schaft vom  5.  Juni  1886,  noch  ein  Beschluß  gefaßt,  den  wir  hier  anzuführen 
haben.  (Amtl.  Samml.  n.  F.  IX.  Bd.,  p.  272.)  Es  betrifft  derselbe  die  Et^eiterung 
der  landwirthschaftlichen  Abtheiluny  am  eidg.  Polytechnikum,  Diese  Erweiterung 
erfolgte  in  dem  Sinne,  daß  zur  Bildung  von  Kulturtechnikern  und  Landwirthschafts 
lehrern  am  Polytechnikum  eigene  Spezialkurse  eingerichtet  wurden.  „Zu  diesem 
Zwecke,  sowie  zum  Betriebe  eines  Versuchsfeldes  für  Obstbaumzucht  und  Rebbau 
in  Verbindung  mit  der  landwirthschaftlichen  Abtheilung,  wird  das  jeweilige  ordent- 
liche Jahresbudget  der  polytechnischen  Schule  um  den  Betrag  von  Fr.  17,000 
jährlich  erhöht." 

33)  Behufs  größerer  Berücksichtigung  der  framösischen  Sprache  am  Poly- 
technikum wurde  am  25.  Juni  1886  der  Bundesbeschluß  gefaßt,  daß  bis  zur 
gesetzlichen  Neuordnung  des  Schulbudgets  und  zum  Zwecke  der  Anstellung  fran- 
zösischer Lehrkräfte  jährlich  ein  Extrakredit  von  Fr.  20,000  auszusetzen  sei. 
(Amtl.  Samml.  n.  F.  10.  Bd.,  p.  98.) 

34)  Durch  Bundesbeschluß  vom  23.  Dezember  1887  wurde  der  oben  sub 
Ziffer  24  erwähnte  Bundesbeschluß  betreffend  den  regelmäßigen  Betrieb  der 
eidg.  Anstalt  zur  Prüfung  der  Festigkeit  von  Baumaterialien  in  dem  Sinne 
abgeändert,  daß  der  Bund  „je  nach  Maßgabe  des  Bedüi'fnisses'*  einen  alljährlich 
auf  dem  Budgetwege  festzusetzenden  Beitrag  gewähre. 

Auszug  aus  dem  Schulreglement. 

I.  Allgemeine  Bestimmungen.  Art.  1 .  Die  eidg.  polytechnische  .Schule 
zerfallt  in  folgende  Abtheilungen :  1)  Eine  Hochbauschule.  2)  Eine  Ingenieurschule.  3) 
Eine  mechanisch-lechnische  Schule.  4)  Eine  chemisch-technische  Schule.  5)  Eine  land- 
und  forstwirthschaflliclie  Schule.  G)  Eine  Abtheilung  für  Bildung  von  Fachlehrern  in 
mathematischer  und  naturwissenschaftlicher  Richtung.  7)  Eine  allgemeine  philosophische 
und  staatswirtlipchaftliclie  Abtheilung  (Freifächer). 


Polyteclimkum  —      601      —  Polytechnikum 

Art.  2.  Der  gesammte  Unterricht  an  der  Anstalt  zerfällt:  1)  in  obligatorische 
Lehrfächer;  2)  in  Freifächer, 

Art.  3.  Der  Unterricht  wird  nach  freier  Wahl  der  Lehrer  in  der  deutschen, 
ft'anzösischen  oder  italienischen  Sprache  ertheilt. 

Art.  4.  Der  Unterricht  in  sämmtlichen  Abtheilun^ren  der  polytechnischen  Schule 
soll  mit  steter  Berücksichtigung  der  besonderen  Bedürfnisse  der  Schweiz  ertheilt 
werden. 

Art.  5.  1)  Der  Unterricht  an  der  Hochbauschule  ist  mindestens  dreijährig, 
und  begreift  in  sich  die  folgenden  Lehrgegenstände :  Diirerential-  und  Integralrechnung ; 
Darstellende  Geometrie;  Steinschnitt  und  Perspektive;  Mechanik;  Technische  Physik; 
Petrographie ;  Chemische  Technologie  der  Baumaterialien ;  Ornamentenzeichnen ;  Figuren- 
zeichnen ;  Landschaftzeichnen ;  Architektonisches  Zeichnen ;  Modelliren ;  Vergleichende 
Baukunde  und  Baugeschichte ;  Kompositionslehre  mit  Uebungen ;  Baukonstruktionslehre 
mit  Uebungen ;  Straßen-  und  Wasserbau ;  Kunstgeschichte ;  Rechts-  und  Verwaltungslehre. 

2)  Der  Unterricht  an  der  Ingenieurschule  ist  mindestens  dreijährig,  und 
erstreckt  sich  auf  die  nachfolgenden  Fächer:  DifTerential-  und  Integralrechnung;  Geo- 
metrie der  Lage;  Darstellende  Geometrie;  Steinschnitt  und  Perspektive;  Graphische 
Statik;  Technische  Mechanik  und  Maschinenlehre;  Technische  Physik;  Petrographie; 
Chemische  Technologie  der  Baumaterialien ;  Geologie;  Topographie;  Geodäsie;  Astronomie 
mit  Uebungen  auf  der  Slernwarle;  Planzeichnen;  Feldmessen;  Baukonstruktionen; 
Erdbau,  Straßen-,  Eisenbahn-,  Tunnel-,  Wasser-  und  Brückenbau  mit  Konstruktions- 
Obungen ;  Rechts-  und  Verwaltungslehre. 

3)  Der  Unterricht  an  der  mechanisch-technischen  Schule  ist  mindestens 
dreijährig,  und  umfaßt  folgende  Fächer:  Differential-  und  Integralrechnung  mit  An- 
wendungen; Analytische  Geometrie;  Darstellende  Geometrie;  Steinschnitt;  Technische 
Physik;  Technische  Mechanik;  Analytische  Mechanik;  Theoretische  Maschinenlehre; 
Maschinenbaukunde  mit  Konstruktionsübungen;  Zivilbau  mit  Uebungen;  Metallurgie; 
Chemische  Technologie  der  Baumaterialien;  Mechanische  Technologie;  Bau  eiserner 
Bnlcken  und  Eisenbahnbau. 

4)  Der  Unterricht  an  der  eh  emisch- technisch en  Abtheilung  ist  für  die 
technische  Richtung  mindestens  zweijährig,  und  umfaßt  die  folgenden  Fächer :  Unorganische 
Chemie;  Organische  Chemie:  Analytische  Chemie;  Analytisches  Praktikum;  Chemische 
Technologie;  Technisch-chemische  Uebungen;  Mechanische  Technologie;  Beschreibende 
Maschinenlehre;  Krystallographie ;  Mineralogie;  Geologie;  Allgemeine,  ökonomische  und 
technische  Botanik :  Zoologie ;  Technisches  Zeichnen. 

Der  Unterricht  für  die  pharmazeutische  Richtung  erstreckt  sich  auf 
mindestens  drei  Semester,  und  begreift  nachfolgende  Fächer  in  sich:  Unorganisclie 
Experimenlalchemie :  Organische  Chemie  ;  Analytische  (^ihemie ;  Analytisches  Praktikum ; 
Fabrikation  chemischer  Produkte ;  Metallurgie ;  Technisch-chemische  Uebungen ;  Pharma- 
zeutische Chemie ;  Experimentalphysik ;  Mineralogie ;  Geologie ;  Allgemeine,  spezielle 
und  pharmazeutische  Botanik;  Zoologie;  Pharmakognosie. 

5)  Der  Unterricht  an  der  land-  und  fors  t  wirthschaftlichen  Schule  ist 
mindestens  zweijährig,  und  umfaßt  folgende  Fächer:  a.  Land  wir  thsc  haftliche 
A  b  t  h  e  i  1  u  n  g.  Mathematik  ;  Praktische  Geometrie  mit  Uebungen ;  Experimentalphysik  ; 
Unorganische  Experimentalchemie ;  Organij^ciie  Chemie;  Agrikulturchemie ;  Uebungen 
im  chemischen  Laboratorium :  Landwirthschaftlich-chemiM-he  Technologie ;  Zoologie ; 
Anatomie  und  Physiologie  der  Haus-Säugethiere ;  Allgemeine  Botanik;  Spezielle  Botanik, 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  land-  und  forstwirth.schafllich  wichtigen  Gewächse; 
Pflanzenphysiologie  mit  Experimenten:  Mikroskoj)ische  Uebungen  und  pflanzenphysio- 
logische Versuche ;  Petrographie  und  Geologie  :  Allgemeine  Volkswirthschaflslehre, 
Finanz  Wissenschaft :  Rechts-  und  Verwaltungslehre ;  Landwirthschaftliches  Recht  und 
Kulturgesetzgebung ;  Geschichte  und  Literatur  der  Landwirthschatt ;  Betriebslehre, 
Güterabschätzung,  Ertragsanschläge,  Buchhaltung;  Allgemeiner  Acker- und  Pflanzenbau; 
Ent-  und  Bewässerung;  Garten-,  Obst-  und  Weinbau:  Spezieller  Pflanzenbau  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  Wiesen  und  Weiden ;  Allgemeine  Thierproduktionslehre ; 
Rindvieh-,  Pferde-,  Schaf- und  Schweinezucht :  Gesundheitspflege  der  Hausthiere:  Krank- 
heiten der  Hausthiere,  besonders  Seuchen,  Geburtshülfe,  Hufl>esclilag;  Landwirthschaft- 
liche  Gerätlie-  und  Maschinenkunde:  Agronomische  Uebungen. 

b,  Forstschule.  Mathematik;  Praktische  Geometrie  mit  Uebungen:  Feldmeß- 
übungen; Planzeichnen:  Theodolithverfahren  mit  Uebungen;  Straßen-  und  Wasserbau; 
Experimentalphysik:  Unorganische  Experimentalchemie;  Organische  (Chemie  ;  Agrikultur- 
chemie ;     Uebungen    im    chemi^-chen    Laboratorium ;    Zoologie ;    Allgemeine    Botanik  ; 


Polytechnikum  —      602      —  Polytechnikum 

Spezielle  Botanik  mit  hesonderer  Berficksichtigunj?  der  land-  und  forstwirthsohaftlich 
wichtigen  Gewächse ;  Pllanzenphysiologie  mit  Experimenten  ;  Botanisch-mikroskopische 
Uebungen:  Petrographie ;  Allgemeine  Geologie:  Rechts-  und  Verwaltungslehre;  Allgemeine 
Volkswirthschaftslehre,  Finanzwissenschatt ;  Forstliche  Klimalehre  und  Bodenkunde; 
Grundzuge  der  Forstwissenschaft ;  Forstschutz  mit  angewandter  Zoologie ;  Waldbau ; 
Taxationslehre;  Forslbenutzung ;  Betriebslehre  und  Waldwerthberechnung;  Staatsforsl- 
w  irthschaflslehre  und  Statistik ;  Geschäftskunde ;  Exkui-sionen  mit  L'ebungen. 

6)  Die  Abtheilung  für  Bildung  der  Fachlehrer  hat  einen  mindestens  zweijährigen 
Kurs  für  solche,  die  sich  der  naturwissenschaftlichen  und  einen  mindestens  dreijährigen 
für  solche,  die  sich  der  mathematischen  Richtung  widmen.  Für  die  erstere  Richtung 
sind  wesentlich  die  naturwissenschaftlichen  Fächer  der  chemisch-technischen  Abtheilung 
vorgezeichnet.  Für  die  zweite  Richtung  sind  während  der  ersten  zwei  Jahre  wesent- 
lich die  matliematischen  Fächer  der  Ingenieur-  und  meclianisch-technischen  Abtheilung 
als  Richtschnur  zu  nehmen.  Daran  schließen  sich  die  höheren  Partien  der  Mathematik, 
Physik  und  Astronomie.  Während  der  letzten  2—3  Semester  finden  seminaristische 
Uebungen  statt. 

7)  Au  der  allgemeinen  philosophischen  und  staatswi  rth schaftliche n 
Abiheilung  werden  zur  Förderung  der  allgemeinen  Bildung  der  Schüler  und  Zuhörer 
und  vom  rein  wissenschaftlichen  Standpunkte  aus  Vorlesungen  über  die  nachfolgenden 
Fächer  gehalten :  Die  mathematischen  und  Naturwissenschaften,  so  weit  es  sich  nicht 
um  Disziplinen  handelt,  die  ihrem  Wesen  nach  vorherrschend  in  das  Gebiet  einer 
Fachschule  fallen;  Deutsche  Literatur;  Französische  Literatur;  Italienische  Literatur; 
Englische  Literatur:  Allgemeine  Geschichte:  Schweizergeschichte;  Allgemeine  Kunst- 
geschichte und  Archäologie;  Staatsrecht;  Handelsrecht;  Verwaltungsrecht;  National- 
ökonomie; Statistik. 

Art.  G.  Die  Vermehrung  oder  Verminderung  der  Fächer  in  den  einzelnen  Ab- 
theilungen bleibt  spezieller  Schlußnahme  der  Behörden  vorbehalten.  So  können  auch 
weitere  obligatorische  Fächer  den  Zuhörern  zur  freien  Benutzung  geölTnet  werden,  so 
weit  es  ohne  Gefährdung  der  Disziplin  und  ohne  Umgehung  der  Aufnahmsbedingungen 
an  (he  Schule  geschehen  kann.  Ebenso  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  auch  Freifacher, 
ohne  den  Charakter  als  solche  zu  verlieren,  für  einzelne  Abtheilungen  obligatorisch 
erklärt  werden,  sofern  sich  dies  in  der  Folge  als  durch  die  Interessen  dieser  Abtheilung 
geboten  herausstellen  würde. 

Art.  7.  Die  Fächer  der  sechs  ersten  Abtheilungen  werden  theils  in  einjährigen, 
tlifils  in  halbjährigen,  die  Freitacher  an  der  siebenten  Abtheilung  in  der  Regel  in 
halbjährigen  Kursen   vorgetragen. 

Art.  S.  Joweilen  vor  Ikginn  der  Kurse  erscheint  ein  Prograuim,  welches  ohne 
Ausnahme  alle  an  der  Anstalt  abzuhaltenden  Kurse  und  Uebungen  enthalten  muß. 
Das  Abhalten  von  Vorlesungen  oder  Uebung^kursen  an  der  Anstalt,  welche  im  Pro- 
gramm nicht  aufgeführt  sind,  ist  untersagt. 

Art.  9.  Das  Schuljahr  der  Anstalt  beginnt  jeweilen  im  Oktober,  das  Sommer- 
seniester  im  April. 

Art.  10.  Ferien  sind  im  Herbst  acht  Wochen  und  im  Frühling  drei  Wochen  vor 
dem  Anlange  der  Kurse  und  zu  Weihnachten  eine  Woche. 

Art.  II.  Als  Hültsmittel  für  den  Unterricht  dienen:  l)  Eine  Bibliothek.  2)  Samm- 
lungen von  Vorlagewerken,  sowie  von  Figuren  und  architektonischen  Ornamenten  aus 
Gyps  für  die  vei-schiedenen  Zweige  des  Zeichnungsunterrichtes.  3)  Eine  Sammlung  von 
Baumaterialien  un<l  von  Bjiukoustruktionsmodellen.  4)  Eine  Maschinenmodellsammlung. 
5)  Eine  Sammlung  geometrischer  Meßinstrumente.  0^  Eine  Sammlung  von  Werkzeugen 
und  von  Waaren  für  «len  mechanisch-technologischen  Unterricht.  7)  Eine  Sammlung 
vr»n  Modollen  und  von  Waaren  für  den  chemisch-technologischen  und  pharmazeutischen 
Unterricht.  S)  Fj'ne  Sammlung  wichtiger  Gegenstän<le,  Modelle  und  Werkzeuge,  von 
Maschinen  und  Geräthen,  Sämereien  für  den  land-  und  forstwirthscha filichen  Unterricht. 
\))  Eine  zoologische,  botanische,  mineralogische,  geologische  und  paläonlologische  Samm- 
lung, mit  den  nöthigen  Spezialitäten  der  beiden  ersten  für  Land-  und  Forstwirthschaft. 
10)  Eine  entomologische  Sammlung.  11)  VAne  archäologische  Sammlung  und  eine 
Sammlung  antiker  Va<en.  12)  Eine  Kupfersfichsammlung.  L3)  Eine  Werkstätto  zum 
Modelliren  in  Ihon  \uu\  Gyps.  li)  Eine  Werkstälte  für  Arbeiten  in  Holz.  15)  Eine 
Werkstätte  für  Arbeiten  in  Metall.  16)  Ein  chemisches  Lal)r)ratorium  für  analytische 
Arbeiten.  17)  Ein  chemisches  Laboratorium  für  technische  und  pharmazeutische  Ar- 
beiten. Is)  Ein  chemisches  Laboratorium  für  land-  und  Ibrstwirthschaftliche  Arbeilen. 
J9)    Ein    pilanzenphysiologisches    Laboratorium.     "20)    Ein    physikalisches   Kabinet    mit 


Polytechnikum  —     603     —  Polytechnikum 

physikaHschem  Laboratorium.  21)  Eine  Sternwarte.  22)  Ein  botanischer  Garten. 
23)  Ein  botanischer  Garten  speziell  für  Laml-  unrl  Forstwirthschaft.  2i)  Die  vom 
Kanton  und  von  <ler  Stadt  Zürich  der  Schule  zum  Zwecke  des  Unterrichts  nach  Maß- 
gabe der  hierüber  abgeschlossenen  Verträge  zur  Verfügung  zu  stellenden  Waldungen, 
Versuchsfeld,  Sammlungen  und  Bibliotheken. 

II.  Von  den  Studirenden.  a.  Aufnahme,  Verpflichtungen  und  Berechtigungpu. 
Art.  12.  Die  Studirenden  der  polytechnischen  Schule  sind  entweder  Schüler  oder  Zu- 
hörer. Das  regelmäßige  Verhältniß  ist  das  des  Schülers,  welcher  sich  eine  vollständige 
Berufsbildung  in  einer  der  sechs  ersten  Abtheilungen  der  Schule  verschaflen  will.  Das 
ausnahmsweise  Verhältniß  ist  dasjenige  des  Zuhörers,  dem  einzelne  Vorlesungen  an 
der  Anstalt  zu  hören  gestattet  wird. 

Art.  13.  Die  Anmeldungen  zur  Aufnahme  als  Schüler  werden  nur  im  Anfange 
jedes  Jahreskurses  angenommen.  Ausnahmen  finden  nur  aus  ganz  besondern  Gründen  statt. 

Art.  14.  Jeder  Bewerber  um  Aufnahme  als  Schüler  an  das  eidgenössische  Poly- 
technikum hat  vor  Beginn  der  Aufnahmsprüfungen  der  Direktion  folgende  Anmeldungs- 
sehriften  einzu.senden :  1)  Eine  schriftliche  Anmeldung,  welche  enthalten  soll:  Name 
und  Heimat>«ort  des  Aspiranten,  die  Bezeichnung  der  Abtheilung  und  des  Jahreskui-ses, 
in  welche  er  eintreten  will,  die  unterschritl liehe  Bewilligung  von  Eltern  oder  Vormund, 
sowie  die  genaue  Adresse  derselben.  2)  Einen  Altersausweis,  in  dem  in  der  Regel  das 
zurückgelegte  18.  Altersjahr  als  Bedingung  zur  Zulas.«?ung  in  den  ersten  Jahreskurs 
gefordert  wird.  3)  Möglichst  vollständige  Zeugnisse  über  seine  Vorstudien,  sofern  der 
Aspirant  nicht  im  Besitze  eines  Maturitä^zeugnisscs  einer  der  schweizerischen  Mittel- 
schulen, welche  zu  diesem  Zwecke  mit  <lem  schweizerischen  Schulrathe  Verträge  ab- 
geschlossen haben,  oder  eines  als  gleichwerthig  anerkannten  Maluritätszeugnisses  aus- 
wärtiger Schulen  ist,  welches  in  ihren  respektiven  Ländern  zur  Zulassung  an  technische 
Hochschulen  berechtigt.  4)  Ein  befrie<ligendes  Sittenzeugniß,  insofern  dasselbe  nicht 
in  den  Studienzeugnissen  enthalten  ist.  o)  Einen  Heimatschein  (acte  d'origine)  oder 
einen  mit  demselben  gleichbedeutenden  Ausweis  über  Heimatszuständigkeit.  Ein 
besonderes  Regulativ  ordnet  das  Aufnahmsverfahren  und  die  diesfälligen  Prüfungen. 

Art.  15.  Die  im  Rahmen  einer  Abiheilung  aufgeführten  Vorlesungen,  Repetitorien 
und  Uebungskurse  sind  für  die  Schüler  der  betrelTenden  Abtheilung  in  der  Regel 
obligatorisch.  Dispensationen  von  einzelnen  Fächern  oder  Austausch  gegen  Fäclier 
anderer  Abtheilungen  in  den  gleichen  Jahreskursen  sind  mit  Beginn  der  respektiven 
Kurse  beim  Vorstand  der  betretenden  Fachschule  nachzusuchen  und  sollen,  sofern  die 
Begehren  in  dem  Bildungszwecke  der  Schüler  begründet  sind  und  der  Kenntnißausweis 
geleistet  ist,  ohne  Anstand  gewährt  wenlen.  An  rlen  Fachschulen  ist  vom  dritten 
Jahre  an  die  Auswahl  des  Unterrichtsstolfes  innerhalb  des  Rahmens  ihrer  Jahreskui*se 
für  die  Schüler  frei.  Die  gewählten  Kurse  erhalten  für  sie  obligatorischen  Charakter. 
Die  Schüler  der  F  a  c  h  1  e  h  r  e  r  a  b  t  h  e  i  l  u  n  g  werden  je  im  Anfange  eines  Semesters 
mit  Rücksicht  auf  die  gewählte  Studienrichtung  individuelle  Studienpläne  mit  tlem 
Vorstande  vereinbaren.  Der  Vorstand  hat  das  Kecht  absoluter  Verweigerung  nur  hin- 
sichtlich Fächern  höherer  .lahreskurse,  für  deren  Verständniß  der  nothweudigo  Kenntniß- 
ausweis noch  fehlt.  Betreffend  den  Besuch  der  la  nd  wir't  h  scha  ftl  ichen  Ah- 
theilung  können  Landwirthe  von  reiferem  Alter,  welche,  ohne  an  die  Jahn-sfolge 
gebunden  zu  sein,  eine  individuelle  Studienrichtung  an  clieser  Abtheilung  verfolgen 
wollen,  von  strikter  Einhaltung  der  Jahresfolge  dispensirt  und  es  kann  denselben  eine 
individuelle  Auswahl  der  Vorlesungen  gestattet  werden.  Der  l^'bertritt  aus  einer  Fach- 
schule in  eine  andere  kann  niemals  im  Laufe  eines  Semesters,  sondern  nur  im  Anfange 
der  Monate  Oktober  und  April  und  auch  daim  nur  gestattet  werden,  wenn  für  diesen 
Wechsel  der  Berufsrichtung  die  elterliche  Bewilligung  vorliegt  und  der  bisherige  Studien- 
gang und  die  Zeugni.sse  des  Gesuchstellers  den  Uebertritt  als  zulässig  erscheinen  lassen. 
Jeder  Schüler  hat  in  jedem  Semester  min«lestens  eine  Vorlesung  aus  der  Freifächer- 
Abtheilung  anzuhören. 

Art.  16.  Der  als  Schüler  Aufgenommene  hat  jährlich  100  Franken  als  Schulgeld 
für  den  Unterricht,  sowie  den  zur  Zeit  auf  5  Franken  festge.^etzten  Beitrag  in  die 
Krankenkasse  und  5  Franken  Beitrajj  für  die  Benutzung  der  Bibliothek  und  des  Lese- 
zimmers zu  entrichten.  Die  Honorirung  für  sämmtliche  obligatorische  und  Freifächer 
ist  in  obiger  Summe  inbegriffen.  Nur  für  nicht  obligatorische  Vorträge  von  Titular- 
professoren  und  von  Privatdozenten  ist  ein  besonderes  Honorar  von  durchschnittlich 
5  Franken  für  die  Wochenstunde  pro  Seme.^^ter  zu  entrichten.  ^Nußerdem  ist  für  die 
Benutzung  der  Laboratorien  und  der  Werkstätten  eine  im  Programm  zu  erwähnende 
Taxe  zu  bezahlen. 


Polytechnikum  —      604      —  Polytechnikum 

Art.  17.  Die  Aufnahme  der  Zuhtfrer  findet  im  Anfanjye  jedes  Semesters  statt 
Ausnahmen  werden  nur  aus  ganz  besonderen  Gründen  bewilhgt. 

Art.  18.  Der  Besuch  der  Fächer  der  siebenten  Abtheilung  ist  gegen  Ent- 
richtung der  Taxen  ohne  weitere  Einschränkungen  Jedem  gestattet,  der  das  zum  Eintritt 
als  Schüler  verlangte  Alter  besitzt  und  ein  genügendes  Sittenzeugniß  vorweisen  kann. 
Nur  dringende  Rücksichten  der  Disziplin  können  hievon  eine  Ausnahme  rechtfertigen. 
So  soll  z.  B.  Schülern,  über  welche  Ausweisung  verfügt,  oder  welchen  dieselbe  schon 
angedroht  ist,  nicht  gestattet  werden,  als  Zuhörer  sich  wieder  in  einzelne  Kurse  einzu- 
drängen. 

Art.  19.  Zuhörer,  die  Kurse  der  ersten  sechs  Abtheilungen  zu  besuchen  wünschen, 
haben  eine  A u  f  n a h m  sp r  ü  f  u  n g  zu  bestehen.  Ihre  diesfalligen  Gesuche  sind  während 
der  jeweilen  im  Programm  angegebenen  Schüleranmeldungsfrist  schriftlich  beim  Direktor 
einzureichen.  Von  dieser  Prüfung  werden  dispensirt:  a.  Wer  den  Besitz  der  nöthigen 
Vorkenntnisse  befriedigend  nachweisen  kann ;  b.  Männer  von  reiferm  Alter,  die  sich  in 
ihrem  Berufe  in  einzelnen  Richtungen  theoretisch  noch  weiter  ausbilden  wollen.  Wer 
auf  Grund  ungenügender  Aufnahmsprüfung  als  Schüler  in  eine  der  Fachschulen  nicht 
aufgenommen  worden  ist,  kann  in  der  Regel  auch  für  obligatorische  Fächer  derselben 
Abtheilung  nicht  als  Zuhörer  zugelassen  werden. 

Art.  20.  Zuhörer,  welche  in  Kurse  der  sechs  ersten  Abtheilungen  zugelassen 
worden  sind,  haben  mit  Bezug  auf  Repetitorien,  Examinatorien  und  schriftliche  Arbeiten 
alle  Verpflichtungen  der  Schüler  im  gleichen  Kurse  zu  erfüllen;  ausgenommen  von 
diesen  Verpflichtungen  sind:  a.  Bewerber,  die  anderwärts  höhere  technische  Studien 
vollständig  absolvirt  haben  und  hierüber  befriedigende  Zeugnisse  vorlegen;  b.  Männer 
von  reiferm  Alter,  die  sich  in  ihrem  Berufe  in  einzelnen  Richtungen  theoretisch  noch 
weiter  ausbilden  wollen. 

Art.  21.  Das  Honorar,  welches  die  Zuhörer  zu  leisten  haben,  beträgt  halbjährlich 
für  die  wöchentliche  Stunde  5  Franken.  In  Hinsicht  auf  die  Benutzung  der  Bibliothek, 
der  Werkstätten  und  Laboratorien  werden  sie  den  Schülern  gleich  gehalten. 

Art.  22.  Schulgeld,  Honorare  und  Taxen  werden  zum  Voraus  und  vor  dem 
Empfang  der  Legitimationskarte  bei  der  Schulkasse  bezahlt. 

Art.  23.  Unbemittelten  tüchtigen  Studirenden  kann  auf  ihr  Gesuch  die  Ent- 
richtung des  Schulgeldes,  der  Honorare  für  <lie  Vorlesungen,  sowie  die  Bezahlung  der 
übrigen  Taxen  ganz  oder  theilweise  erlassen  werden.  Die  Dürftigkeit  ist  durch  ein 
Zeugniß  von  kompetenter  Beliörde  zu  konstatiren. 

Art.  24.  Bei  der  In.<?kriplion  haben  Schüler  wie  Zuhörer  ihre  Wohnung  in  Zürich 
anzugeben  und  im  Lauf  ihres  Aufenthaltes  jede  Veränderung  derselben  innerhalb  der 
nächsten  drei  Tage  auf  der  Kanzlei  anzuzeigen. 

Art.  25.     Den  Studirenden  ist,  so  weit  thunlicli,  zu  gestatten,  in  den  Zeichnungs 
Sälen,   Laboratorien   und  Werkstätten   der  Schule   auch   neben  den  eigentlichen  Unter- 
richtsstunden zu  arbeiten. 

Art.  26.  Das  Hospitiren  ist  höchstens  auf  die  Dauer  von  acht  Tagen  gestattet. 
In  den  obligatorischen  Fächern  darf  es  nur  mit  Erlaubniß  des  betrefl*enden  Lehrers 
geschehen. 

Art.  27.  Schüler,  welche  durch  Krankheit  oder  durch  andere  Umstände  an  der 
Tlieilnahme  am  Unterricht  länger  als  einen  Tag  verhindert  werden,  haben  hievon  dem 
Vorstände  der  Abtheilung  Anzeige  zu  machen. 

c.  Die  Preise.  Art.  35.  Zur  Weckung  und  Beförderung  des  wissenscliaflhchen 
Lebens  der  Schüler,  sowie  zur  Aufmunterung  ihres  Fleißes  werden  jährlich,  das  eine 
Mal  von  drei,  das  andere  Mal  von  vier  der  Abtheilungen  (1—7)  der  polytechnischen 
Schule  je  eine  Preisaufgabe  gestellt. 

Art.  36.  Für  jede  Preisaufgabe  wird  ein  Haupt-  und  ein  Nahepreis  ausgesetzt 
und  dafür  ein  entsprechender  Kredit  angewiesen :  überdies  wird  zur  Entschädigung  für 
Au.*fgat)en,  welche  die  Lösung  der  Aufgaben  wegen  damit  verbundener  Versuche  oder 
anderer  praktischer  Arbeiten  nothwendig  erfordert,  jährlich  ein  Kredit  ausgesetzt. 
Solche  Entschädigungen  werden  jedoch  nur  Denjenigen  geleistet,  welche  Preise  erhallen. 

Art.  37.  Jeder,  der  zur  Zeit  der  Bekanntmachung  der  Preisaufgahen  oder  zu  der 
für  die  Ablieferung  der  Arbeiten  vorgeschriebenen  Zeil  Studirender  an  der  polytechni- 
schen Schule  ist,  hat  das  Hecht,  sich  um  die  Preise  derjenigen  Abtheilungen  zu  be- 
werben, an  denen  er  Unterricht  erhielt. 

Art.  38.  Zur  Lösung  der  Aufgaben  wird  jeweilen  ein  Zeitraum  von  anderthalb 
Jahren  festgesetzt. 

Art.  39.     Die    Preisvertheilung   findet    zwei    Jahre    nach   Stellung   der   Aufgaben 


Polytechnikum  —     605     —  Polytechnikum. 

gleichzeitig  mit  der  Bekanntmachung  der  Promotionen  und  Diplome  auf  feierliche  Weise 
statt.    Die  Namen  der  mit  Preisen  Gekrönten  werden  im  Bundesblatt  veröffentlicht. 

d.  Die  Diplome,  Art.  40.  Alle  Fachschulen  ertheilen  Diplome.  Die  Bauschule: 
Diplome  eines  Architekten.  Die  Ingenieurschule:  Diplome  eines  Ingenieurs.  Die 
mechanisch-technische  Schule:  Diplome  eines  Maschineningenieurs.  Die  chemisch- 
technische  Schule:  Diplome  eines  technischen  Chemikers  oder  eines  Pharmazeuten. 
Die  landwirthschaftliche  Schule:  Diplome  eines  Landwirthes.  Die  Forstschule:  Di- 
plome eines  Forstwirthes.  Die  Äbtheilung  für  Bildung  von  Fachlehrern:  Diplome  für 
Fachlehrer  in  mathematischer  oder  naturwissenschaftlicher  Richtung. 

Art.  41.  Die  Bewerbung  um  ein  Diplom  setzt  in  der  Regel  voraus,  daß  der  Be- 
werber den  an  der  betreffenden  Abtheilung  der  polytechnischen  Schule  ertheilten 
theoretischen  Unterricht  vollständig  und  mit  Erfolg  besucht  habe.  Zur  Erlangung  eines 
Diploms  ist  durch  eine  Prüfung  der  Nachweis  vollständiger  Kenntniß  des  nach  dem 
ünterrichtsplan  der  betreffenden  Fachschule  gegebenen  wissenschaftlichen  Stoffes  in  den 
theoretischen  und  angewandten  Fächern  zu  leisten;  ferner  ist  von  dem  Bewerber  dar- 
zuthun,  daß  er  die  an  der  Schule  gelehrten  praktischen  Arbeilen  mit  Sicherheit  und 
Fertigkeit  auszuführen  im  Stande  sei.  Diplome  können  nur  an  solche  Studirende 
ertheilt  werden,  die  eine  durchweg  tüchtige  Fachbildung  erreicht  haben  und  deren 
Kenntnisse  unbestritten  über  die  Linie  der  mittlem  Leistungen  stehen.  Das  Diplom 
soll  eine  verdiente  Auszeichnung  sein. 

Art.  42.  Ein  besonderes  Regulativ  wird  die  nähern  Bestimmungen  betreffend  die 
Anordnung  der  Diplomprüfungen  festsetzen. 

Art.  43.  Der  Bewerber  um  ein  Diplom  hat  bei  seiner  Anmeldung  als  Beitrag 
für  die  der  Anstalt  erwachsenden  Kosten  50  Franken  zu  bezahlen. 

VL  Schulrath. 

Die  gesetzlichen  Bestimmungen  betreffend  den  eidg.  Schulrath  finden  sich 
im  Grlindungsgesetz  des  Pol}i;echnikum8  (p.  582/83).  Einige  Bestimmungen  sind 
im  Laufe  der  Zeit  modifizirt  worden,  wie  es  im  Abschnitt  „Gesetzgeberisches" 
(p.  594)  mitgetheilt  worden  ist.  Ausfuhrlicher  als  das  Gesetz  handelt  das 
lieglement  vom  Schulrath.  Dasselbe  findet  sich  in  Band  XI  der  eidg.  Gesetzes • 
Sammlung,  alte  Folge,  and  (einige  Bestimmungen  betreuend)  im  Bundesblatt  I, 
1881  (14.  Februar  1881). 

Der  personelle  Bestand  des  Schulrathes  seit  1855  ergibt  sich  aus  der 
dieser  Abhandlung  beiliegenden  Tabelle.  Dieselbe  ist  auf  Grund  des  eidg.  Staats- 
kalenders  und  direkter  Mittheilungen  angefertigt  worden.  Es  geht  aus  ihr  unver- 
kennbar hervor,  daß  der  Bundesrath,  obwohl  vollkommen  frei  in  der  Wahl  der 
Schulräthe,  sowohl  die  am  Polytechnikum  kultivirten  Wissenschaften  als  auch  die 
verschiedenen  Landestheile  der  Schweiz  gleichmäßig  zu  berücksichtigen  sucht. 

yil.  Lehrpersonal. 

Die  stetige  Entwicklung  des  Polytechnikums  als  Lehranstalt  bedingte  auch 
eine  successive  Vermehrung  des  Lehrkörpers.    Innerhalb  dem  Dritteljahrhundert, 
das  die  Anstalt  nun  zurückgelegt  (1855/S8\  hat  sich  der  Lehrkörper  fast  ver- 
dreifacht.    Es  wirken  jetzt  (Anfangs  1889)  am  Polytechnikum   113   Lehrkräfte, 
nämlich   49  besoldete  Professoren, 
6  Honorarprofessoren, 
8  Hülfslehrer, 
17  Assistenten, 
42  Privatdozenten. 
Die  Hülfslehrer  sind  der  Bauschule,  der  Ingenieurschule  und  der  mechanisch- 
technischen Schule  zugetheilt;  die  Assistenten  den  Laboratorien,  Sammlungen  und 
der  Sternwarte. 

Wer  das  schön  gelegene  imposante  Polytechnikumgebäude  je  gesehen  hat, 
begreift,    daß   der  Lehrer,    der    dort   seinen  Einzug  gehalten,    gerne  der  inneren 


Polytechnikum  —     606     —  Polytechnikum 

Stimme  folgt,  die  ihm  sagt:  „Hier  ist's  gut  sein,  hier  laßt  uns  bleiben**.  In  der 
That  folgt  Mancher  keinem  anderen  Rufe,  als  dem,  gegenüber  welchem  es  keine 
Ablehnung  gibt.  Fünfzehn-,  zwanzig-  und  mehrjährige  Amtsdauer  ist  keine  Selten- 
heit, vielmehr  Ret  fei  unter  den  Lehrern  des  Polytechnikums,  Der  Leser  kann 
sich  hievon  an  der  Hand  der  Tabelle,  welche  den  Schulrath  und  die  Professoren 
verzeichnet,  überzeugen.  Er  wird  dort  ca.  einem  Dutzend  Professoren  begegnen,  die 
sozusagen  mit  dem  Polytechnikum  verwachsen  sind,  d  h.  seit  30 — 33  Jahren  an 
demselben  wirken.  Mehrere  andere  Professoren  blicken  auf  20 — 29  Jahre  er- 
sprießlicher Lehrthätigkeit  zurück.  Ausc/eschieden  sind  u.  A.  :  Stocker  nach 
34jähriger  Wirksamkeit,  Kopp  (Forstschule)  nach  29  J.,  Scherry  Geschichts- 
lehrer, nach  27  J.,  Culmann  von  der  Ingenieurschule  nach  26  J.,  //cer,  Ortlli 
und  Miquel  von  der  Fachlehrerabtheilung  nach  26  J.,  RUitimann,  Staatsrechts- 
lehrer,  nach  25  J.,  Moussonj  Lehrer  der  Physik,  nach  24  J.,  Rambert  und 
Arduini  von  der  Freifächerabtheilung  nach  21  J.,  Keller  nach  20  J. 

Allein  nicht  nur  unter  den  Profestsoren  lebt  diese  Anhänglichkeit  an  das 
Schweiz.  Polytechnikum.  Viele  Pn'vatdozenten  thun  es  ihnen  gleich,  namentlich 
wenn  sie  gleichzeitig  eine  Assistentenstelle  zu  verwalten  haben.  Seit  1857  ist 
Dr.  Karl  Mai/er  von  St.  Gallen  Konservator  der  palfiontologischen  Sammlung 
und  seit  1867  Privatdozent  für  Paläontologie.  Ulrich  Stutz  von  Pfäffikon  dozirt 
seit  1860  Geologie  und  hat  somit  punkto  Geduld  seinen  ehemaligen  Kollegen 
Ihi(/  von  Bubikon,  der  29  Jahre  lang  Mathematik  vortrug,  zum  mindesten  erreicht. 

Klassiiizirt  man  die  ca.  110  Professoren,  welche  im  Laufe  de^  ersten  Drittel- 
jahrhunderts  der  Existenz  des  Polytechnikums  an  diesem  gewirkt  haben  oder  noch 
wirken,  nach  ihrer  Nationalität,  so  entfallen  auf  die  Schweiz  49  °/  ,  auf  Deutsch- 
land 40  7o,  auf  Frankreich  6  7o,  auf  Italien  3  "/o,  auf  Oestcrreich  2  ^/o,  auf 
das  Ausland  insgesammt  51  ^/o.  Bei  diesem  Verhältniß  ist  zu  berücksichtigen, 
daß  mehrere  aus  dem  Ausland  berufene  Professoren  sich  in  der  Schweiz  natura- 
lisiren  ließen  (so  Semper,  Culmann,  Zeuner,  Tetmajer,  Fritz)  und  somit  als 
Schweizer  gezählt  sind. 

Nach  Art.  49  des  Schulreglementes  (A.  S.  10,  p.  321)  sind  die  Lehrer 
entweder  ^angestellte"  Lehrer  oder  Privatdozenten;  die  ersteren  entweder  Pro- 
fessoren oder  llülfslehrer.  Die  Stellung  der  ersteren  entspricht  derjenigen  der 
„ordentlichen"  Professoren  an  den  Universitäten.  Titularprofessuren  sind  gemäß 
Art.  13  des  Gründuug>gesetzes  (s.  \).  582}  ebenfalls  zulässig.  Endlich  zählen  zum 
Lehrkörper  auch  die  Assistenten. 

Jeder  Professor  ist  verpflichtet,  die  Stelle  eines  Direktors  dos  Polytechnikums 
oder  eines  Abtheilungsvorstaudes  anzunehmen.  Die  Wahl  geschieht  durch  den 
Schulrath.    Amtsdauer  2  Jahre  mit  Wiederwählbarkeit. 

YJIl.  Finanzielles. 

Eine  Anstalt  von  der  Bedeutung  des  Polytechnikums  bedarf  natürlich  Eur 
Unterhaltung  bedeutender  ökonomischer  Hülfsmittel.  Wir  verfolgen  hier  nur  die 
ordentlichen  jährlichen  Einnahmen  und  Ausgaben.  Neben  denselben  warden,  wie 
schon  im  Kapitel  über  die  Bauten  bemerkt  ist,  von  Zeit  zu  Zeit  außerordentliche 
Kredite  zu  ersten  Einrichtungen,  zur  Anlage  von  Sammlungen,  zum  Ausbau  der 
verschiedenen  wissenschaftlichen  Anstalten  vom  Bunde  ausgesetzt.  Als  ordentliche 
Einnahmeposten  sind  zu   nennen  : 

1)  Der  Jahresbeitrag  der  Eidgenossenschaft.  2)  Ein  jährlicher  Beitrag  des 
Kantons  Zürich  von  Fr.  16,000.  3)  Ein  Beitrag  von  Kanton  und  Stadt  Ztlrich  an 
die  naturhistorischen  Sammlungen;  anfänglich  Fr.  3500,  1888  Fr.  4100.    4)  Die 


Polytechnikum 


—      607      — 


Polytechnikum 


Einnahmen  an  Schulgeldern,  Taxen  für  Benutzung  der  Lahoratorien  u.  8.  vv.  Die 
daherige  Einnahme  zeigt  bedeutende  Schwankungen  mit  der  Zahl  der  Schiller 
und  wird  durch  die  so  wohlthtätigen  Schulgelderlasse  gegenüber  armem  Studiren- 
den  herabgemindert. 

Die  hauptsächlichsten  Ausgabeposten  sind : 

1)  Die  Lehrerbesolduugen.  2)  Unterhalt  und  Mehrung  der  Sammlungen. 
3)  Die  Beamtung  und  Verwaltung  (Besoldung  des  Präsidenten  und  des  Sekretärs 
des  Schulrathes,  der  Mitglieder  desselben,  des  Direktors  etc.). 

Wir  geben  in  der  folgenden  Tabelle  eine  Uebersicht  der  Haupteinnahmen 
und  ebenso  der  wichtigsten  Ausgabeposten  vom  Jahre  1854  an  bis  und  mit 
1888.  Posten  wie:  Beitrag  des  Kantons  Zürich  (der  Stadt  und  des  Kantons) 
Unvorhergesehenes,  lassen  wir  zur  Vereinfachung  weg. 


Talir 

Schulg«ldor 

Subvention  der 

Total  der 

Lehrer- 

Samiuluugeu 

Total  der 

•IHIIl 

u.  Gebühreu 

Biiiideskaseie 

Einnahmen 

beüolduugen 

u.  Auütalti'U 

Ausgaben 

54  u.  5£ 

• 

>          

115,643 

127,643 

42,893 

84,924 

145,660 

1856 

15,569 

183,320 

214,893 

111,634 

67,943 

207,491 

1857 

16,143 

179,791 

211,976 

115,674 

57,027 

202,443 

1858 

17,981 

154,985 

188,998 

113,899 

39,767 

185,233 

1859 

19,046 

167,784 

202,864 

126,510 

37,941 

202,8(i4 

1860 

19,227 

175,720 

210,989 

132,010 

40,363 

210,989 

1861 

29,047 

245,331 

293,968 

148,599 

48,46^; 

293,261 

1862 

35,391 

290,693 

346,113 

160,418 

50,342 

346,113 

lö63 

40,489 

340,275 

410,822 

162,059 

50,926 

410,822 

1864 

44,958 

429,890 

514,424 

189,969 

60,980 

514,424 

1865 

51.491 

318,960 

393,398 

192,088 

61,906 

377,342 

1866 

59,076 

281,322 

362,808 

198,463 

66,090 

350,484 

1867 

71,486 

256,535 

351,129 

200,200 

54,431 

339,381 

1868 

71,997 

250,000 

345,420 

207,616 

56,657 

341,992 

1869 

74,676 

250,000 

347,511 

207,610 

55,498 

340.182 

1870 

79,300 

267,69iS 

370,134 

209,437 

75,297 

363,(M)7 

1871 

83,022 

295,000 

401,516 

224,761 

91,844 

401,144 

1872 

93,617 

300,000 

418,050 

244,660 

84,620 

412,753 

1873 

92,760 

492,000 

608,487 

268,172 

78,221 

584,032 

1874 

88,609 

317,000 

459,648 

279,914 

72,171 

444,226 

1875 

88,191 

347,000 

460,983 

289,710 

69,831 

455,983 

1876 

94,855 

347,000 

466,077 

274,707 

84,821 

455,106 

1877 

94,383 

353,000 

472,088 

275,568 

87,613 

458,.%9 

1878 

87,508 

367,800 

480,499 

277,866 

81.532 

477,683 

1879 

75,937 

348,000 

450,263 

278,501 

80,308 

448,745 

1880 

76,154 

363,504 

464,435 

285,010 

83,H44 

465,835 

1881 

72,297 

387,181 

483,557 

305,334 

81,959 

484,543 

1882 

69,502 

4r)3,000 

562,807 

331,146 

100,855 

530,976 

1883 

70,497 

484,150 

588,317 

342,294 

128,570 

568,028 

1884 

76,405 

462,000 

582,959 

346,321 

113,316 

560,368 

1886 

74,880 

462,000 

576,787 

354,414 

112,652 

560,78:1 

1886 

78,381 

462,000 

587,339 

353,905 

108,128 

667,257 

1887 

84,990 

509,000 

630,501 

35.^219 

118,501 

609,273 

1888 

102,095 

542,000 

675,769 

3jsO,702 

126,383 

643.677 

Dies   sind    in   gedrängter  Uebersicht    die    hauptsächlichsten    Einnahme-    und 


Polytechnikum  —     608     —  Port 

Ausgabeposten.  Zur  Unterstützung  dient  der  Zins  des  Re-servefonds  und  zu 
sondern  Zwecken  das  Erträgniß  verscniedener  Stiftungen. 

Der  Reservefond  betrug  Ende  1871  Fr.  205,050.  Ende  1876  erreicht« 
die  Summe  von  Fr.  343,034  und  stieg  bis  Ende   1888  auf  Fr.  587,118. 

Mit  dem  Reservefond  führen  wir  hier  auch  die  verschiedenen  Stiftung 
an,  welche  dem  Polytechnikum  neben  zahlreichen  Schenkungen  zur  Aeuü^ung 
Sammlungen  zuflössen.  Bei  jedem  einzelnen  Legat  fügen  wir  seinen  Bestanc 
den  Jahren  1871,   1876  und   1888  bei. 

1)  Schenkung  des  Herrn  Job.  Schoch,  Kaufmann  aus  Fischenthal 
(10.  Oktober  1862).  Die  Schenkung  ist  bestimmt,  durch  das 
Zinserträgniß  dem  Polytechnikum  ausgezeichnete  Lehrkräfte 
durch  Zulage  von  mindestens  Fr.  1000  zu  deren  Besoldung  zu 
erhalten.  Bestand  1871 :  Fr.  68,395,  1876  :  Fr.  42,744,  1888     Fr.     88, 

2)  Legat  Chätelain.  Der  Ertrag  wird  zu  Stipendien  armer  und 
tüchtiger  Studirender  verwendet.    Bestand  1871:  Fr.  61,236, 

1876:  Fr.  78,327,   1888 102, 

3)  Schenkung  von  Dr.  Geßner  für  militär-wissenschaftliche  Vor- 
träge.   Bestand  1871:  Fr.  2000,   1876:  Fr.  2500,   1888       .       „         3, 

4)  üeberschttß   der  Subskription   für    die  Monument«    von  Bolley 

und  Kopp.    Bestand   1871:  Fr.  460,   1876:  Fr.   2000,   1888       .         3, 

5)  Escher- Legat  zur  Unterstützung  armer  Studirender  auf  geolo- 
gischen   Exkursionen.     Bestand    1871  :    Fr.   10,000,    187()  : 

Fr.  12,000,   1888 18, 

6)  Zeller-Stiftung.    Bestand  1876:  Fr.  3000,   1888 5, 

7)  Culmann-Stiftung.    Bestand  1888 „       10, 

Der   Totalbetrag   des   Reservefonds    und    der  Legate    belief  sich   1888 
Fr.  811,831,  im  Jahre  1871  erst  auf  Fr.  347,143. 

P>  hat  sich  demnach  dieses  Kapital  mehr  als  verdoppelt.  Damit  ist  z 
gleichzeitig  die  Befähigung  gewachsen,  den  Bestimmungen  der  verschiede 
Stiftungen  in  immer  umfassenderer  Weise  gerecht  zu  werden. 

Die   wenigen   gebotenen  Zahlen   bedürfen    keines  weitern  Kommentars, 
zeugen   von  der  Opferwilligkeit  Einzelner  wie  des  ganzen  Volkes  und  bewei 
daß  die  Bedeutung  des  Polytechnikums  in  weitesten  Kreisen  anerkannt  und  ric 
gewürdigt  wird. 

Porrentruy-Dello.  Für  die  am  23.  September  1872  eröffnete,  11,75! 
lange  Strecke  Porren truy -Delle  bestand  bis  im  Jahre  1877  eine  besondere  Akt 
gesellschaft.  Der  Betrieb  der  Linie  wurde  jedoch  durch  die  Organe  der  fn 
Mittelmeerbahn  für  Rechnung  der  Eigenthümerin  besorgt.  Am  13.  August  II 
ist  die  Linie  in's  Eigenthum  der  Bernischen  Jurabahnen   übergegangen  (v.  die 

Portefeuillewaarenfabrikation.  Zwei  Firmen:  Zürich  und  Oerlikou. 

Portugal.     Der   direkte   Waarenverkehr   zwischen    der   Schweiz 
Portugal  ist  nicht    bedeutend.     Die  Schweiz.  Statistik  verzeichnet  in  den  Jal 
1885— H8  einen  Totalumsatz  von  jährlich  750,000  bis  1^550,000  Fr.,  zerfall 
in  eine  Ausfuhr  von  65^^,000 — 1'502,000  Fr.  p.  a.,    und    in   eine  Einfuhr 
50,000—91,000  Fr.  p.  a.  (Vergl.  den  Artikel  „Waarenverkehr-).  Hauptausfi 
artikel    sind    Uhren   und    ührentheile ,    Bijouterie,    bedruckte   Baumwollgew 
Maschinenstickereien.  Die   Einfuhr  aus  P.  beschränkt  sich  fast  ausschließlich 
Cacaobohnen  und  Wein. 

Seit  1848  sind  zwischen  der  Schweiz  und  Portugal  folgende,  Juni  1) 
noch  in  Kraft  bestehende  Verträge  abgeschlosHcn  worden:  AuH/ieferungsveri 


Landolt 


MiTchud 


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1855 
1856 
1857 
1858 
1859 
1860 
1861 
1862 
1863 
1864 
1865 
1866 
1867 
1868 
1869 
1870 
1871 
1872 
1873 
1874 
1875 
1876 
1877 
1878 
1879 

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puu   yn|0|siipo>^  jijj  i|.)joj?fuiUji  snv  nojjY!}^ 

FviTtr,  Volkflwlrthschafta-Tiexikon  der  Schweiz. 


v-rJ 


1  Sta)in 

odn 

nbergion 

offeldwi 

Dedlwij 

Rheiirer 
Orely  1 

Versfcha 
186;V6  lii. 


^^ 


Adwirthschaftliche  Abtheilung^ 


an  stalten 


Jahr 


Uki 


Schulze 


Kohler 


n 

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n 


1» 

1« 

n 


Fritz     Zwicky 


tcr  von  Darmstadt  für  Betriebslehre  und 
iktion.  Novacki  von  Halle  für  Pflanzen- 
I  und  Ackerbau.  Schulze  von  Göttingen 
rthschaftliche  Chemie.  Fritz  von  Zürich 
laftl.  Maschinen  und  Geräthe  (seit  1859 
iT  mechanisch-technischen  Abtheilung). 
>llis  für  Kulturtechnik.  Für  die  Hfilfs- 
len  jeweilen  von  Jahr  zu  Jahr  be- 


Stehler    Grete 


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1» 


Tcinajer 


9 


BOhler 


1855 
1856 
1857 
1858 
1859 
1860 
1861 
1862 
1863 
1864 
1865 
1866 
1867 
1868 
1869 
1870 
1871 
1872 
1873 
1874 
1875 
1876 
1877 
1878 
1879 
1880 
1881 
1882 
1883 
1884 
1885 
1886 
1887 
1888 
1889 
1890 


Stehler  von  Seedorf  bei 
Aarberg,  Chef  der  Samenkon- 
trolstalion,  welche  als  Privat- 
anstalt von  1876  bis  1.  Januar 
1878  bestanden  hatte.  Grete 
aus  Hannover,  Chef  der  land- 
wirthschafll.-chemischen  Unter- 
suchungsstation seit  Beginn,  d.  i. 


fvr  ■»iijy» Wf  wr  ui^ 


Portugal  —     609      —  Post 

vom  30.  Okt.  1873,  vide  A.  S.  n.  F.  1,  161.  Handelsvertrag  vom  6.  Dez.  1873, 
vide  A.  8.  n.  F.  II,  328.  Konsular vertrag  vom  27.  Aug.  188.3,  vide  A.  S.  n.  F.  10, 
443.  Internationaler  Metervertrag  vom  20.  Mai  1875,  vide  A.  S.  n.  F.  II,  3. 
Internationaler  Phylloxeravertrag  vom  3.  Nov.  1881,  vide  A.  S.  n.  F.  VI,  228. 
Internationale  Postverträge ^  als:  a,  Weltpostvertrag  vom  1.  Juni  1878; 
6.  Uebereinkunft  vom  1.  Juni  1878  betreffend  den  Austausch  von  Briefen  mit 
deklarirtem  Werth;  c.  Uebereinkunft  vom  4.  Juni  1878  betreffend  den  Austausch 
von  Geldanweisungen;  d,  Vertrag  vom  3.  Nov.  1880  betreffend  die  Auswechslung 
von  Poststücken  ohne  Werthangabe;  e.  üebereinkommen  vom  21.  März  1885 
betreffend  Zusätze  zum  Weltpostvertrag  von  1878,  Werthbriefe,  Geldanweisungen, 
Poststücke  bis  5  kg,  Einzugsmandate,  Identitätsbücher.  Vide  A.  S.  n.  F.  III, 
673,  711,  728,  V  881,  IX  134,  160,  166,  173,  191,  203.  Internationaler 
Telegraphenvertrag  vom  22.  Juli  1875,  vide  A.  S.  n.  F.  II,  296.  Internationaler 
Vertrag  vom  11.  Dez.  1868  betreffend  Nichtanwendung  von  Sprenggeschossen 
im  Kriege,  vide  A.  S.  IX,  597.  Internationale  Uebereinkunft  vom  22.  Aug.  1864 
behufs  Verbesserung  des  Looses  der  im  Kriege  Verwundeten^  vide  A.  S.  VIII, 
520  und  889. 

Portug^ieser,  blauer.  Diese  Rebsorte,  welche  in  Niederösterreich  die  be- 
kannten rothen  Vöslauerweine  liefert,  findet  sich  da  und  dort  in  der  Schweiz 
vereinzelt  oder  in  kleinen  Beständen.  Der  Stock  ist  kräftig,  leidet  aber  leicht 
von  der  Winterkälte  und  vom  schwarzen  Brenner.  Die  Trauben  sind  früh  reifend 
und  geben  bei  uns  einen  süßen,  jedoch  etwas  leichten  Wein.    Gute  Tafeltraube. 

Porzellan.  Jährlicher  Verbrauch  4200—4400  q  im  Werthe  von  400,000 
biß  500,000  Fr.  Nach  Birkhäuser  ca.  900  Porzellan-  und  GeschiiThändler,  sowie 
ca.  2  Dzd.  Porzellanmaler,  die  meisten  in  Genf. 

Posamentwaaren  werden  in  der  Schweiz  meistens  handwerksmäßig  und 
in  ungenügenden  Mengen  verfertigt,  weßhalb  eine  bedeutende  Einfuhr  davon 
stattfindet.  —  Die  eidg.  Bernfsstatistik  von  1880  gibt  die  Zahl  der  Posamenter 
auf  376  an,  wovon  94  Zürich,  87  Aargau,  64  Bern,  32  Solothurn.  Birkhäuser's 
Adreßbuch  von  1885  verzeichnet  78  Posamenteriegeschäfte.  Dem  eidg.  Fabrik- 
gesetz sind  Ende  1888  2  Etabl.,  Huber  &  Bryner  in  Zürich  und  Jakob  Bach- 
ofen in  Horgen,  unterstellt. 

Post«  Bei  den  Mitteln  aller  Art,  über  welche  die  schweizerische  Bundes- 
verwaltung verfügt,  ist  vorauszusehen,  daß  eines  Tages  ein  des  Gegenstandes 
würdiges  Spezialwerk  an  die  Stelle  der  fragmentarischen  literarischen  Bearbei- 
tungen treten  wird,  welche  dem  schweizerischen  Postwesen  bis  heute  zu  Theil 
geworden  sind.  Ein  gutes  Spezialwerk  hätte  nicht  bloß  fachgeschichtlichen,  sondern 
hohen  kulturgeschichtlichen  Werlh,  denn  die  Post  ist  ein  wahrer  Barometer  der 
Kultur. 

Während  es  leicht  ist,  seit  1848  die  Entwicklung  des  Postwesens  zu  ver- 
folgen, indem  es  seit  jenem  Zeitpunkt  eidgenössisches  Regal  ist  und  regelmäßig 
amtliche  Berichte  darüber  erstattet  werden,  auch  die  gesetzlichen  Erlasse,  die 
administrativen  Verordnungen  leicht  zugänglich  sind,  hält  es  um  so  schwerer, 
sich  in  den  früheren  Postverhältnissen  znrecht  zu  finden,  denn  vor  1848  war 
(eine  kurze  Periode  ausgenommen)  die  Post  ein  mehr  oder  weniger  undisziplinirtes 
Gewerbe. 

Zwei  sehr  werthvoUe,  auf  zeitraubenden  Nachforschungen  beruhende  Dar- 
stellungen früherer  Postverhältnisse  sind  gegen  Ende  der  70er  Jahre  im  Druck 
erschienen.  Die  eine,  betitelt  „Das  schweizerische  Postwesen",  stammt  aus  der 
Feder   des   damaligen   Ingenieurs   und   Nationalraths   (späterem   Bundesrath   und 

Flirrer,  Volkswirthschafts-Tiexikon  der  Schweiz.  ^f^ 


Post  —      610     —  Post 

Gesandten)  Bavier  und  bildet  einen  Anhang  za  dem  größeren  Werke  dedselben 
Verfassers  über  „Die  Straßen  der  Schweiz**  (Verlag  von  Orell  Ftlßli  &  Co.  in 
Zürich  1878).  Herr  Bavier  greift  in  seinen  Nachforschungen  zurück  bis  auf  den 
Ursprung  des  Postwesens  im  Allgemeinen  und  des  schweizerischen  Postwesens  im 
Speziellen.  Er  führt  seine  Aufzeichnungen  über  das  letztere  fort  bis  zur  Zeit 
der  Helvetik,  erwähnt  ganz  kurz  der  helvetischen  Centralisationstendenz  im  Post- 
wesen und  wird  wieder  einläßlicher  für  die  folgende  70jährige  Periode. 

In  die  über  die  Helvetik  offen  gelassene  Lücke  greift  nun  glücklich  Herr 
Postsekretär  (jetzt  eidg.  Kursinspektor)  Stäger  ein  mit  seiner  1879  hei  K.  J.  Wyß 
in  Bern  erschienenen  Brochure  ,tJ)eLa  schweizeri'^che  Postwesen  zur  Zeit  der  Helvetik, 
nach  offiziellen  Quellen  bearbeitet*.  Der  nämliche  Postbeamte  hat  werthvoUe 
Notizen  über  die  Postverhältnisse  der  Mediations-  und  Restaurationsperiode  gesammelt. 

Auf  Grund  des  hievor  erwähnten  Materials  und  gefl.  Mittheilungen  seitens 
der  Oberpostdirektion  bezüglich  der  neueren  Postverhältnisse  ist  das  Lexikon  im 
Stande,  eine  für  den  gewöhnlichen  Bedarf  genügende  Skizze  des  schweizerischen 
Post  Wesens  zu  entwerfen. 

L  Die  Post  vor  der  Helvetik. 

Nach  Bavier  hießen  die  in  der  Schweiz  anfönglich  im  Postdienst  thätigen 
Organe  ,, Stadtboten**  oder  „Stadtläufer**,  „Landboten"  oder  „Landläofer",  je 
nachdem  sie  ihre  Dienste  in  den  Städten  oder  auf  dem  Lande  verrichteten.  In 
bedeutenden  Orten  gab  es  ihrer  mehrere,  welche,  soweit  sie  nicht  für  den  Boten- 
dienst verwendet  wurden,  den  Aemtern  als  Diener  beigegeben  waren.  Sie  hatten 
sich  aber  stets  reisefertig  zu  halten,  um  jeden  Auftrag  der  Obrigkeit  sofort  voll- 
ziehen zu  können.  Ihre  Aufgabe  bestand  zunächst  und  wesentlich  darin,  obrig- 
keitliche Schreiben  zu  vertragen.  Sie  erhielten  dafür  eine  fixe  Besoldung  und 
mußten  einen  Amtseid  leisten.  Neben  diesen  amtlichen  Funktionen  war  ihnen 
aber  auch  gestattet.  Privaten  ähnliche  Dienste  zu  leisten ;  doch  durfte  dies  stets 
nur  nach  eingeholter  spezieller  Bewilligung  der  Obrigkeit  (des  Bürgermeisters, 
Landammanns  u.  s.  w.)  und  ausschließlich  auf  Unkosten  des  den  Dienst  ver- 
langenden Privaten  geschehen.  Bei  größerer  Entwicklung  des  Handels  konnte 
diese  Einrichtung  nicht  mehr  genügen,  und  da  in  älterer  Zeit  von  Inanspruch- 
nahme eines  Postregales  von  Seiten  der  Obrigkeiten  noch  keine  Bede  war,  so 
wurde  die  Sorge  für  Beförderung  von  Handelsbriefen  und  Valoren  den  Kaufleuten 
selbst  überlassen. 

Schon  im  15.  Jahrhundert  wurde  über  Lindau,  Ravensburg  und  Ulm  ein 
Botenritt  nach  Nürnberg  von  Eanfleuten  in  St.  Gallen  organisirt,  welchem 
sich  auch  Kauf  leute  aus  andern  Theilen  der  Schweiz  anschlössen.  Die  Betheiligten 
trugen  die  Unkosten  mit  bestimmten,  auf  sie  verlegten,  jährlichen  Beiträgen, 
wählten  die  Boten,  nahmen  sie  in  Pflicht,  ließen  Bürgschaft  für  gehörige  Aus- 
führung ihrer  Aufträge  leisten  und  wirkten  ihnen  in  unruhigen  Zeiten  die  Er- 
laubniß  der  Obrigkeit  aus,  den  Mantel  mit  der  Stadtfarbe  und  dem  Wappenschild 
zu  tragen  Dieser  Botendienst  war  sehr  einträglich  und  trotz  der  Gefahren,  mit 
denen  er  zeitweise  umgeben  war,  und  der  Verantwortlichkeit,  welche  stets  auf 
den  Boten  lastete,  sehr  gesucht.  Nachdem  im  Jahre  1595  die  Freiherrn  von 
Thum  und  Taxis  von  Kaiser  Rudolf  II.  mit  dem  Regal  des  Postwesens  im  Reiche 
belehnt  worden  waren,  wurde  die  Fortführung  des  Nürnberger  Ordinaris,  wie 
man  den  Botenritt  nannte,  häufig  angefochten. 

Im  Jahre  1(181  wurden  die  daherigen  Streitigkeiten  vor  eine  kaiserliche 
Kommission  zur  Untersuchung  und  Beilegung  gewiesen   und  sodann  vom  Kaiser 


Post  —     611     —  Post 

noch  im  gleioheo  Jahre  die  Fortsetzung  des  Botenrittes,  jedoch  in  hedeatend 
beschränkterem  Umfange,  gestattet.  Da  diese  BewiUigang  aber  mißbraucht  worden 
zu  sein  scheint,  wurde  auch  dieser  beschränktere  Botenritt  definitiv  untersagt, 
lu  Folge  dessen  wurden  am  2.  April  1685  die  vier  Nürnberger  Boten  für  immer 
entlassen. 

Ein  ähnlicher  Botenritt  fand  von  St.  Gallen  über  Zürich,  Aarberg,  Murten 
•und  Genf  nach  Lyon  statt  und  wurde  das  Lyoner  Ordinari  genannt.  Im  16.  Jahr- 
hundert waren  während  einiger  Zeit  auch  Handelshäuser  von  Nürnberg  und  Augs- 
bürg  bei  demselben  betheiligt.  Als  im  Jahre  1585  die  Schaffhauser  Kauf- 
leute einen  Botenritt  nach  Frankreich  und  Deutschland  einrichteten,  schlössen  sich 
-die  deutschen  Kauf leute  demselben  an,  die  St.  Graller  betrieben  aber  das  Lyoner 
Ordinari  gleichwohl  fort. 

1630  wurde  auch  von  Zürich  aus  ein  Botenritt  nach  Genf  organisirt, 
welcher  dem  st.  gallischen  Unternehmen  Konkurrenz  machte  und  deßhalb  (1649) 
zu  einer  Verständigung  zwang,  in  Folge  derer  die  St.  Galler  und  Zürcher  Boten 
nach  Genf  altemirten  Mit  der  Zeit  errichteten  und  unterhielten  die  Zürcher 
Transitbureaux  im  Thnrgau,  Aargau,  in  Zug,  Luzern,  Schwyz,  Uri,  Glarus, 
OraubUnden  und  in  den  italienischen  Landvogteien.  Dies  geschah,  nach  S  tag  er, 
ohne  Entschädigung  an  die  betreffenden  Kantone.  1669  führte  (nach  Bavier)  die 
iranzösische  Regierung  einen  Postkurs  zwischen  Lyon  und  Genf  ein,  sc  daß  die 
4schw.  Boten  nur  noch  bis  Genf  gelangen  konnten.  Eine  gewaltige  Störung  in  diese 
Einrichtung  brachte  die  von  der  Regierung  von  Bern  im  Jahre  1675  erfolgte 
erblehensweise  Verleihung  des  Postwesens  im  ganzen  Umfang  der  Bepublik  an 
•die  Familie  Fischer  von  Reichenbach  in  Bern.  Von  nun  an  sollten  die  Post- 
sachen auf  dem  Gebiete  der  letztern  ausschließlich  der  Fischer'schen  Post  über- 
leben werden.  In  einem  Vergleiche  von  1677  wurde  indessen  den  Zürchern  und 
St.  Grallern  gestattet,  ihre  Kurse  noch  bis  Bern  fortzusetzen.  Sie  hatten  aber  die 
obrigkeitlichen  Briefe  gratis  zu  befördern  und  die  Unkosten  selbst  zu  tragen. 
Durch  weiteren  Vergleich  von  1680  wurde  diese  Berechtigung  dann  noch  mehr 
beschränkt.  Jene  hatten  die  Postsachen  schon  in  Aarau  dem  bernischen  Postamte 
•abzugeben  und  dort  die  aus  dem  Westen  kommenden  Briefe  und  Pakete  für 
Zürich  und  St.  Gallen  in  Empfang  zu  nehmen.  Gleichzeitig  mußten  sie  auf  den 
bis  dahin  noch  betriebenen  Botenritt  über  Brugg  durch  das  Frickthal  verzichten, 
indem  sich  die  bernische  Postverwaltung  nun  auch  dieses  Kurses  bemächtigte. 

Nach  Stäger  hatte  die  bemische  Familie  Fischer  von  Reichenbach  das 
Recht  der  Postdienstbesorgung  auch  in  den  Kantonen  Freiburg,  Solothurn, 
Luzern,  Wallis,  für  vereinzelte  Kurse  auch  in  den  Urkantonen,  Zug 
«nd  Glarus  erworben.  Bern  verlangte  Fr.  75,000  a.  W.,  Freiburg  Fr.  500, 
Solothurn  Fr.  1000  Pachtzins  per  Jahr,  und  beide  Kantone  außerdem  kostenfreie 
Beförderung  ihrer  amtlicheu  Schreiben.  Die  übrigen  Kantone  beanspruchten  keine 
Geldentschädigung,  doch  mußte  Wallis  gegenüber  das  Aequivalent  geleistet  werden, 
daß  die  aus  dem  Kanton  stammenden  oder  dahin  bestimmten  Briefe  unentgeltlich 
zu  befördern  waren.  Fischers  verstanden  sich  hiezu,  weil  sie  nicht  bloß  via 
Ootthard  (nach  Bavier  von  1693  an  und  von  Luzern  aus),  sondern  auch  via 
Simplon  (nach  Stäger  mindestens  seit  1768)  mit  Mailand  Postkurse  unterhielten 
und  somit  Wallis  für  sie  als  Transitlinie  Bedeutung  hatte. 

Das  neuenburgische  Postwesen  gehörte,  wie  Bavier  berichtet,  eben- 
falls zu  der  Fischer'schen  Unternehmung. 

Was  für  die  Republik  Bern  die  Postmatadoren  Fischer  waren,  das  war  für 
Schaff  hausen  in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  der  Bürger  Klingen- 


Post  —     612     —  Post 

fuß.  Er  besorgte  erst  für  die  Basler  Kauf lente  einen  Botenritt  von  Sehaffhansen 
nach  St.  Gallen  und  organisirte  sodann  auf  eigene  Kosten  eine  Fuhrstation,  von 
welcher  alle  Durchreisenden  nach  Basel,  Solothurn,  Bern,  Luzem,  Lausanne, 
Genf  weiter  befördert  wurden,  verwandelte  dieselbe  nach  einigen  Jahren  in  ei» 
förmliches  Postfuhrwesen  und  erhielt  endlich  letzteres  von  der  Thum-  und 
Taxischen  Postverwaltung  als  Erblehen.  An  der  Organisirung  eines  Postkurses 
über  Zürich  und  Bern  nach  Genf  wurde  er  durch  die  zürcherischen  und  st.  gal- 
lischen Inhaber  des  Lyoner  Ordinaris  gehindert,  stand  aber  im  Einverständniß' 
mit  dem  bernischen  Postinhaber  Fischer,  als  dieser  nachher  einen  zweimaligen 
Postkurs  von  Genf  über  Bern,  Aarau,  Lenzburg  und  Baden  nach  Schaff  bansen 
einrichtete.  Im  Interesse  jenes  Postkurses  suchte  Klingenfuß  auch  den  Transport 
der  Briefe  aus  dem  Reich  nach  der  Schweiz  über  Schaffhausen  zu  leiten,  und 
bemühte  sich  daher,  durch  das  Mittel  der  Thum-  und  Taxischen  Zürcher  Post- 
verwaltung  das  st.  gallische  Nürnberger  Ordiuari  zu  untergraben,  was,  wie  bereits 
angeführt  worden,  schließlich  gelang.  Unmittelbar  vor  der  Helvetik  scheint,  nach 
Stäger,  das  schaff  hausische  Postwesen  im  Besitz  von  drei  Familien  gewesen 
zu  sein,  die  dem  Fiskus  keine  Entschädigung  leisteten. 

In  Baselstadt  war  es,  wie  in  Zürich  und  St.  Gallen,  die  Kaufmannschaft^ 
welche  den  Postdienst  betrieb  und  daraus  großen  pekuniären  Gewinn  erzielte,  so- 
daß  sie  der  Stadt  und  gemeinnützigen  Vereinen  Schenkungen  machen  konnte. 

In  Thurgau  und  Glarus  vermittelten  bis  Ende  des  18.  Jahrhundert* 
Fußboten  (in  seltenen  Fällen  reitende  Boten)  den  Briefverkehr.  Ebenso  bestanden 
im  Tessin  und  in  Graubtinden  keine  ordentlichen  Posten. 

Ein  recht  alterthümliches  idyllisches  Bild  von  der  Post  verschafft  uns  Meyer 

von  Knonau    durch    eine  Aufzählung   der  Postkurse,    die  1698    und    1798  von 

Zürich  ausgingen: 

Im  Jalire  1Ö98  ging  am  Montag  1)  der  Basler  Fußbote  mit  den  Briefen  nach  dem 
Rhein;  2)  «1er  St.  Galler  Fußbote  nach  St.  Gallen ;  3)  der  Schaffhauser  Bote;  4)  der 
Berner  Bote  mit  den  französischen  Briefen ;  5)  der  Luzerner  Bote.  Am  Dienstag  1)  der 
Schaffhauser  Bote;  2)  der  Luzerner  Bote.  Am  Mittwoch  1)  der  Berner  Bote  (der  einzige 
fahrende  Bote) ;  2)  der  SchafTliauser  Bote.  Am  Donnerstag  der  Berner  Bote.  Am  Freitag 

1)  der  Bergamo-Bote  mit  Briefen  nach  Italien;  2)  der  St.  Galler  Bote;  3)  der  Luzerner 
Bote.  Samstags  1)  dir  Schaff hauser  Bote;  2)  der  Ghurer  Bote  mit  Briefen  nach  Italien; 
3)  der  St.  Galler  Bote  mit  dem  ^Ordinäri**  nach  St.  Gallen  und  dem  Reich. 

1798:  Sonntag  1)  Messagerie  (ein  Packwagen  mit  blechernem  Deckel)  nach  Basel ; 

2)  Post  (zweirädrige  Cabriole)  nach  St.  Gallen.  Montag  1)  Diligence  (in  Ketten  statt  in 
Federn  hängend)  nach  Konstanz  und  dem  Reich ;  2)  Messagerie  (wie  oben)  nach  St.  Gallen 
und  Lindau;  3)  Reiter  nach  Schaffhausen  mit  Briefen  und  schweren  Sachen,  so  viel 
als  sein  Pferd  tragen  konnte;  4)  Messagerie  nach  Bern  und  Genf;  5)  Glarner  Bote. 
Mittwoch  1)  Briefpost  (zweirädrige  Cabriole)  nach  Aarau;  2)  Fußbote  nach  Schaff  hausen; 

3)  Fußbote  nach  Lugano.  Donnerstag  1)  Post  (zweirädrige)  nach  St.  Gallen;  2)  Reiter 
nach  Schaff  hausen.  Freitag  1)  Waldshuter  Bote  mit  Personen  und  schweren  Sachen; 
2)  Glarner  Bote.  Samstag  1)  Briefpost  (zweirädrige)  nach  Aarau;  2)  Fußbote  nach 
Schaffhausen ;  3)  Geldsack  nach  Basel  durch  die  Iselinische  Fuhre ;  4)  Ghurer  Bote ; 
5)  Fußhote  nach  Lugano. 

Außer  den  gewöhnlichen  Verwalturgen  bethatigten  sich  in  den  Kantonen 
Bei'n,  Basel,  Zürich  und  St.  Gallen  noch  mehrere  hundert  Privatboten.  Stäger^ 
der  diese  Thatsache  relevirt,  folgert  daraus,  daß  die  regelmäßigen  Postverwaltungen 
nicht  allen  Verkehrsbedürfnissen  Rechnung  getragen  haben.  Vermuthlich  kamen 
dabei  die  Kleingewerbetreibenden  und  die  Bauern  zu  kurz.  Noch  schärfer  stellt 
Stäger  die  Un Vollkommenheit  des  damaligen  Systems  in's  Licht,  indem  er  schreibt: 

«Ein  Brief  von  Ciliur  nach  Zürich  mußte  oft  über  St.  Gallen  wandern.  Baden, 
obwohl  an  der  Route  von  Zürich  nach  Bern,  mußte  seine  Briefe  in  Brugg  abholen 
und  halte  kein  Distributionsl>ureau.   Das  Greyerzerthal  im  Freiburgischen,  eine  handel- 


Post  —     613     —  Post 

treibende  Gegend,  hatte  keine  Posten.   Im  Allgemeinen  waren  die  Gegenden,  die  abseits 
von  den  gro^n  Heerstraßen  liegen,  postalisch  sehr  schlecht  oder  gar  nicht  bedient/ 
Ferner : 

,Auch  über  die  Unzulänglichkeit  des  Beisendentransportea  wurde  viel  geklagt. 
Ein  Reisender  steigt  z.  B.  in  Coppet  (Waadt)  in  den  Wagen;  sein  Reiseziel  ist  Zürich. 
In  Bern  angekommen,  theilt  man  ihm  mit,  daß  kein  Wagen  für  Zürich  da  sei,  wohl 
aber  einer  für  Basel.  Er  wartet  in  Bern  zwei  Tage  auf  den  Abgang  des  nächsten  Wagens 
nach  Zürich,  in  der  Hofifnung,  seinen  Platz  zu  finden.  Der  Wagen  ist  jedoch  schon 
besetzt  und  er  kann  demnach  wieder  nicht  abreisen.  Dergleichen  Fälle  soll  es  damals 
viele  gegeben  haben.* 

Und  in  Bezag  auf  die  Posttaxen: 

«Ein  Brief  von  Appenzell  nach  Lausanne,  der  durch  St.  Gallen,  Thurgau,  Zürich, 
Aarau,  Bern  und  Freiburg  transitirte,  wurde  mit  6  Transittaxen  und  7  Auslagebeträgen 
belastet.  In  Freiburg  kostete  der  Brief  von  Zürich  9  Kreuzer,  in  Zürich-Stadt  der  Brief 
von  Freiburg  4  Kreuzer,  auf  dem  Lande  8  Kreuzer.  Ein  Brief  von  Frankreich  via  Pon- 
tarlier  nach  einem  Theile  der  Westschweiz  machte  den  Umweg  über  Neuchätel-Bern, 
•damit  die  Pächter  den  Vorwand  hatten,  eine  höhere  Taxe  anzuwenden.* 

II.    Die  Post  während  der  Helvetik  (1798—1803). 

Wie  vorhin  beschrieben,  sah  es  im  schweizerischen  Postwesen  aus,  als  der 
Einheitsstaat  begann.  Nun  hätte  vielleicht  die  mit  poUtischen  Dingen  so  sehr 
beschäftigte  Centralregierung  nicht  so  schnell  an  die  prosaische  Post  gedacht, 
wenn  sie  nicht  vom  Vertreter  Frankreichs  alsobald  auf  die  in  seinen  Augen 
•ordnungswidrige  Thatsache  aufmerksam  gemacht  worden  wäre,  daß  die  fahrenden 
Postknechte  trotz  der  proklamirten  Einheit  die  kantonalen  Farben  trugen.  Solchem 
Greuel  mußte  im  Interesse  des  Weltfriedens  ein  Ende  gemacht  werden.  Das 
einfachste  Mittel  war  ohne  Zweifel,  das  fernere  Tragen  von  kantonalen  Farben 
kurzer  Hand  zu  untersagen;  daß  aber  das  helvetische  Ministerium  sich  nicht 
hierauf  beschränkte,  sondern  ein  Reglement  über  die  Dienstkleidung  der  Post- 
knechte (zu  Wagen  und  zu  Fuß)  ausarbeiten  ließ  und  als  Tbeil  dieser  Dienst- 
kleidung die  helvetische  dreifarbige  Kokarde  am  Hut  vorschrieb,  beweist  wohl, 
^aß  es  selbst  sehr  rasch  die  hohe  wirthschaftliche  und  politische  Bedeutung 
einer  centralisirten  Post  erfaßte  und  die  Gelegenheit,  sich  in  den  Besitz  dieses 
Instrumentes  zu  setzen,  energisch  auszunützen  gewillt  war.  Bereits  am  30.  Juni 
1798  erschien  ein  Erlaß  des  Direktoriums,  welcher  die  Inbetriebsetzung  neuer 
Posten,  Messagerien  oder  Landkutschen  im  ganzen  Umfang  der  Eepublik  unter- 
-sagte  beziehungsweise  von  der  Genehmigung  des  Direktoriums  abhängig  machte. 
Und  am  3.  September  1798  wurde  folgender  Beschluß  gefaßt: 

,Die  Gesetzgebenden  Räthe,  in  Erwägung,  daß  das  Postwesen  in  allen  polizirten 
Staaten  ein  natürliches  und  nothwendiges  Slaatsregale  seie,  verordnen:  1)  Das  Post- 
wesen soll  ein  Staatsregale  der  helvetischen  einen  und  untheilbaren  Republik  sein. 
2)  Das  Gesetz  soll  das  Nähere  über  die  Organisation  des  Postwesens  bestimmen.* 

Nun  handelte   es  sich    zunächst  darum,    zu    entscheiden,    ob    das  Postwesen 

vom .  Staate  verpachtet  oder  in  Regie  betrieben  werden  solle.  Der  Entscheid 
fiel  zu  Gunsten  des  letzteren  Systems  aus.  Es  verflossen  aber  15  Monate,  bevor 
•das  bezügliche  Gesetz  entstand.  Es  lautete,  mitsammt  den  dazu  gehörigen  Er- 
wägungen, wie  folgt : 

Die  gesetzgebenden  Räthe,  in  Erwägung,  daß  die  mannigfaltigen  in  die 
Postverwaltung  eingeschlichenen  Mißbräuche  sobald  als  möglich  aufhören  müssen 
und  es  nur  dann  möglich  ist,  diesen  Mißbräuchen  abzuhelfen,  wenn  man  die 
genaueste  Kenntniß  der  außerordentlich  großen  Details  dieser  Verwaltung  besitzt 
und  diese  ungehindert  und  nach  Gutfinden  leiten  und  verbessern  kann;  in  Er- 
wägung, daß  es  bei  der  durch  die  neue  Ordnung  der  Dinge  auch  in  vielen 
Punkten  nothweudig  gewordenen  neuen  Einrichtung  der  Posten  von  der  höchsten 


Post  —      614     —  Post 

Wichtigkeit  ist,  daß  dieser  interessante  Zweig  der  Staateeinktlnfte  nnd  der  öffent- 
lichen Wohlfahrt,  entfernt  von  allem  Privateigennutze,  mit  der  größten  Un- 
parteilichkeit und  nur  mit  Rücksicht  auf  das  allgemeine  Interesse  verwaltet 
werde ;  in  Erwägung,  daß  es  für  die  Republik  vortheilhaft  ist,  daß  die  Regierung^ 
sich  die  genaueste  Kenntniß  von  dem  Ertrage  der  Posten  erwerhe,  ehe  daa 
System  der  Pacht  angenommen  wird,  wenn  man  es  auch  je  in  Zukunft  annehmen 
wollte;  in  Erwägung,  daß  bei  einer  weisen  und  zweckmäßigen  Bestellung  dieser 
Verwaltung  gar  nicht  wahrscheinlich  ist,  daß  die  Nation  auch  nur  die  Summen 
dabei  aufopfere,  welche  bisher  die  Pächter  als  reinen  Gewinn  hinwegnahmen 
nnd  die  doch,  auch  wenn  sie  schon  die  Nation  aufopfern  sollte,  unter  Hunderte 
von  Staatsbürgern  bei  einer  Verwaltung  vertheilt  würden,  da  diese  Summen 
hingegen  bei  einem  Pachte  einigen  Wenigen  zufließen  könnten  und  bis  dahin 
immer  nur  einer  Familie  zugeflossen  sind;  in  Erwägung  endlich,  daß  es  den 
Grnndsätzen  der  Konstitution  angemessen  ist,  daß  die  so  unverhältnißmäßige 
und  ungleiche  Taxe  in  eine  verhältnißmäßigere  und  gleiche  verwandelt  wer<Ie 
—  nachdem  sie  die  Urgenz  erklärt,  verordnen  (6./15.   November  1798): 

1)  Die  Posten  sollen  in  Zukunft  von  der  Regierung  durch  eine  dazu  niedergesetzte 
Verwaltung  besorgt  werden ;  2)  die  Posttaxen  sollen  in  ganz  Helvetien  auf  einem 
gleichen  und  bloß  nach  Verhältniß  der  Entfernung  und  des  weiteren  Laufes  der  Briefe, 
Gepäckc,  Groups  und  dgl.,  bestimmten  Fuß  festgesetzt  werden;  3)  das  Vollziehungs- 
direktorium  einzuladen,  den  gesetzgebenden  Käthen  zu  seiner  Zeit  die  Tabelle  der 
Posttaxen  zur  Sanktion  vorzulegen. 

In  der  Folge  wurde  nun  ein  Organisationsgesetz  geschaffen  und  eine  Central- 
verwaltung  ernannt,  welcher  fünf  Kreisverwaltungen  untergeordnet  werden  sollten 
mit  Sitz  in  Basel,  Zürich,  St.  Gallen,  Schaffhausen  und  Bern. 

Diene  Organisation  ließ  sich  aber  wegen  dem  kurzen  Bestand  der  Helvetik 
nur  theilweise  durchführen.  In  Schaffhausen  und  Bern  verblieb  die  Post  in  den 
Händen  der  bisherigen  Privatunternehmer,  an  letzterem  Orte  gegen  Entrichtung 
einer  Pachtsunime  von  Fr.  76,500  a.  W.  (d.  i.  die  Gesammtsumme  dessen,  was 
ehedem  an  die  Kantone  Bern,  Solothurn  und  Freiburg  hatte  bezahlt  werden 
müssen)  und  gegen  die  Verleihung  gewisser  Rechte  an  die  Helvetik  bezüglich 
Ernennung  und  Absetzung  von  Postan  gestellten.  Die  Schaff  hauser  hingegen 
pochten,  wie  es  scheint,  stark  auf  ihre  bisherigen  Privilegien  und  ließen  sich 
nichts  abmarkten.  In  Basel,  Zürich  nnd  St.  Gallen  wurden  Postbeamte  ein- 
gesetzt, in  jenen  beiden  Städten  mit  fixen  Besoldungen,  während  der  Postver- 
walter in  St.  Gallen  eine   „Gratifikation"  von  der  Kaufmannschaft  bezog. 

Vier  Jahre  nur  stand  die  Post  unter  der  Einwirkung  der  helvetischen 
Centrnlisationsbestrebungen  und  doch  hat  sie  dem  Staate  die  Summe  von  netto- 
Fr.   641,783  a.  W.,  d.  i.  jährlich  durchschnittlich  Fr.  160,000,  eingebracht. 

Eine  Hauptaufgabe  der  helvetischen  Centralpostverwaltung  war  selbstver- 
ständlich die  Ausarbeitung  eines  einheitlichen  Tarife s.  Sie  lehnte  sich  hiehei 
zumeist  an  die  Taxen,  welche  im  Fischerschen  Postkreis  bestanden.  An  diese 
Taxen  war  sich  schon  fast  die  halbe  Republik  gewöhnt  und  es  war  also  kein 
großer  Widerstand  zu  gewärtigen,  wenn  man  sie  verallgemeinerte,  üehrigens 
wurden  sie  theilweise  reduzirt,  so  daß  die  Postkommission  im  gesetzgebenden 
Rath  sagen  konnte,  die  helvetischen  Taxen  seien  weit  niedriger  als  diejenigen 
Frankreichs  und  anderer  Länder. 

Für  den  Brief-,  Valoren-  und  Paketverkehr  wurden  8  Distanzenzonen  k  6, 
18,   30,    42,    54,    69,  84  und  über  84  Stunden  normirt.    Das  Minimalgewicht 
eines    Briefes    war  ^/s  Unzen  =  11,7  Gramm.     Ein   solcher   „einflBLcher*    Brief 
kostete    nun  je   nach   der  Entfernung   seines   Bestimmungsortes    in    der  Schweift 


Post  —     615     —  Post 

Va,  1,  IV«,  2,  27«,  3,  3 Vi,  4  Batzen;  war  der  Brief  mehr  als  Vs  und 
weniger  als  V»  Unzen  schwer,  so  kostete  er  1—6  Batzen;  bei  V»  Unzen  1 — 8 
Batzen,  und  so  fort  fUr  jede  Y»  Unze  mehr,  so  daß  z.  B.  ein  50  Gramm  schwerer 
Brief,  der  heute  mit  10  Rappen  frankirt  wird,  damals  3  —  26  Batzen,  das 
ist  45 — 390  Rappen  nach  heutigem  Gelde  (den  damaligen  Mehrwerth  des  Geldes 
nicht  in  Betracht  gezogen),  kostet«. 

Viel  billiger  als  die  Briefporti  waren  die  Taxen  für  den  Reisendentransport, 
Sie  betrugen  4 — 6  Batzen  pro  Wegstunde,    somit   ungeföhr   so  viel  wie    heute. 

Für  Tagbläiter,  Zeitschriften,  periodische  Schriften  und  hrochirte  Bücher 
betrug  das  Porto  im  Maximum  und  ohne  Unterschied  der  Entfernung  3  Rappen 
für  die  halbe  Druckseite  und  5  Rappen  für  die  ganze  Druckseite.  Die  Post- 
verwaltung war  berechtigt,  besondere  Taxbegünstigungen  eintreten  zu  lassen  und 
die  Regierung  machte  hievon  gerne  Gebranch,  um  den  nach  ihrer  Ansicht  nütz- 
lichen Preßorganen  eine  angemessene  Verbreitung  zu  ermöglichen. 

Die  Post  von   1803  —  1848. 

lieber  diese  Periode  geben  wiederum  Stäger  (dem  wir  während  der  Helvetik 
ausschließlich  gefolgt  sind)  und  Bavier  einige  Auskunft.  Von  der  Helvetik 
ging  die  Oberhoheit  im  Postwesen  zunächst  an  den  Landammann  der  Schweiz 
über.  Dieser  ließ  die  helvetische  Central postdirektion  im  Amte,  bis  die  Tag- 
satzung über  das  fernere  Schicksal  der  Post  entschieden  haben  würde.  Mittler- 
weile gab  sich  jene  redlich  Mühe,  für  die  Beibehaltung  der  Centralisation 
Stimmung  zu  machen,  allein  ihre  Stimme  verhallte  im  SouveränetHtstaumel  der 
Kantone.     Am  2.  August   1803  beschloß  die  Tagsatzung  Folgendes: 

1)  Die  schweizerische  Tagsatzung  erklärt  das  Postwesen  als  Regal  und  Eigenthum 
der  Kantone  in  ihrem  ganzen  Umfang. 

2)  Mit  Ende  August  soll  die  Centraladministralion  aufgelöst  sein ;  dagegen  werden 
die  von  den  Kantonen  aufzustellenden  Postverwaltungen  die  Besorgung  dieses  Gegen- 
standes übernehmen,  weßwegen  auch  den  betreffenden  Kantonen  die  Originaltraktate 
wieder  zurückgegeben,  das  übrige  Archiv  der  Gentralpostverwaltung  aber  dem  gemein- 
schaftlichen Archiv  einverleibt  werden  soll,  und  da  die  r4entraladministration  ihre 
Rechnungen  mit  dem  4.  Juli  abschloß,  so  soll  für  den  Ertrag  von  dieser  Zeit  an  den 
betreffenden  Kantonen  Rechnung  gehaJten  werden. 

3)  Um  den  Uebergang  von  der  Central-  zur  Kantonalverwaltung  zu  erleichtern 
und  Unordnungen  zu  verhüten,  wird  den  Kantonen  Bern,  Basel,  Zürich,  Schaffhausen 
und  St.  Gallen  die  Verwaltung  des  Postwesens,  sowohl  der  Briefpost  als  der  Messagerie 
und  allem  dem,  was  hierauf  Bezug  hat,  in  ihren  Arrondissements  einstweilen  überlassen, 
jedoch  so,  daß  jeder  integrirende  Kanton  dieser  Arrondissements  sich  sowohl  in  Hinsicht 
auf  die  Benutzung  als  Verwaltung  des  Postwesens  von  denen  mitintegrirenden  Kantonen 
zu  trennen  und  dies  Recht  selber  auszuüben  befugt  ist,  insofern  sie  sich  nicht  gütlich 
mit  einander  vereinigen  können,  mit  dem  ausdrücklichen  Vorbehalt  aber,  daß  durch 
diese  Trennung  weder  an  den  Postrouten  noch  Taxen  irgend  etwas  zum  Nachtheil  der 
anderen  Kantonen  geändert  werde. 

4)  Die  Postarrondissements  sind  daher  befugt,  die  mit  den  angrenzenden  fremden 
Staaten  sowohl  als  mit  den  einheimischen  Kantonen  bestehenden  Traktate  und  Vor- 
kommnisse fortdauern  zu  lassen  oder  nöthigenfalls  wieder  zu  erneuem,  jedoch  daß  sie 
keinem  Kanton  nachtheilig  seien,  zu  welchem  Ende  sie  der  Tagsatzung  vorgelegt  werden. 
Auch  mögen  sie  ihr  seit  der  Revolution  hin  und  wieder  abgeändertes  Interesse  nach 
Grundsätzen  der  Billigkeit  und  vormals  bestandenem  Verhältniß  freundschaftlich  aus- 
einander setzen. 

5)  Zur  Erzielung  eines  wo  nicht  überall,  so  doch  annähernden  gleichförmigen 
Posttarifs  für  die  ganze  Schweiz  sollen  von  den  neu  aufzustellenden  Postverwaltungen 
gutachtliche  Vorschläge  der  nächstkünfligen  Tagsatzung  eingereicht  werden. 

6)  Obrigkeitliche,  offizielle  Briefe  sollen  durchaus  frei  sein;  von  Posten  und 
Messagerien  sollen  keine  Weggelder  noch  Zölle  bezogen  werden. 

7)  Die  Kantone  garantiren  sich  wechselseitig  die  Sicherheit  des  Postgeheimnisses 
und  werden  die  Postbeamten  darüber  in  Püicht  und  Eid  nehmen. 


Post  —     616     —  Post 

8)  Sie  leisten  dea  Kurrieren  und  Messagerien  allen  Schutz  und  verpflichten  sich 
wechselseitig  gegen  einander,  unter  keinem  Vorwand  den  Postenlauf  weder  hemmen 
noch  verspäten  zu  lassen. 

9)  Alle  Posten-Bureaux  sind  für  den  Werth  des  ihnen  Anvertrauten  verantwortlich 
unter  Gewährleistung  des  betreffenden  Kantons,  jedoch  unter  Vorbehalt  der  Uebermaeht 
und  Gottes  Gewalt. 

10)  Bei  Beschwerden  über  die  Post  soll  in  jedem  Kanton  den  Fremden  wie  den 
Einheimischen  auf  Vorlegung  der  Thatsachen  unentgeltlich  und  summarisch  Recht 
gehalten  werden. 

Man  sieht:  So  wenig  lang  die  Centralisation  gedauert  hatte,  so  tiefe  Wurzeln 
hatte  sie  dennoch  geschlagen,  um  die  Gesetzgeber  der  neuen  Epoche  zu  ver- 
mögen, die  Post  mit  allerlei  Schutz-  und  Sicherheitsmaßregeln  zu  umgeben. 
Man  gewinnt  den  Eindruck,  daß  die  Verfasser  obigen  Dekretes  eher  mit  Be- 
dauern denn  mit  Freudigkeit  die  Axt  an  den  jungen  vielversprechenden  Baum 
gelegt,  den  die  Helvetik  gepflanzt  hatte. 

Die  Kantone  nützten  nun  ihre  neue  Macht  in  Postsachen  auf  verschiedene 
Weise  aus. 

In  Zürich  verzichtete  die  Vorsteherschaft  der  Kaufleute  auf  ihr  früheres 
Eigenthumsrecht ;  die  Post  wurde  vom  Staat  übernommen  und  die  Oberaufsicht 
einer  Postkommission  übertragen. 

lu  Bern  verblieb  die  Post  der  Familie  Fischer  bis  zum  Jahre  1832.  In 
diesem  Jahr  zog  sie  der  Staat  an  sich,  indem  er  für  sämmtlicbes  Material, 
51   Pferde  und  alle  bestehenden  Postkontrakte  Fr.   120,000  a.   W.  zahlte. 

St.  Gallen  überließ  die  Poitver waltung  zunächst  wieder  dem  Kauf- 
männischen Direktorium,  das  sich  schon  von  1675  —  1799  darin  geübt  hatte, 
und  richtete  erst  1836  eine  eigene  Verwaltung   ein. 

Aargau  und  Waadt  thaten  dies  schon  1804. 

Thurgau  machte  sich  die  Sache  leichter,  indem  es  Zürich  als  Pächter 
annahm,  der  jährlich  fl.   1500  zahlte  und   in  Frauenfeld  ein  Postamt  unterhielt. 

Zug,  Obwalden  und  theil weise  üri  folgten  dem  Beispiel  Thurgaus, 
vermuthlich  ohne  Entschädigung  von  Seiten  Zürichs. 

Luzern  schuf  eine  eigene  Postverwaltung  und  nahm  sich  noch  eines 
Theiles  von  Uri  an 

Glarus  verpachtete  sein  Regal  bis  1832  dem  Meistbietenden  und  Irüste 
dafür  fl.   1200  —  1600.     Später  betrieb  es  die  Po.st  in  Regie. 

In  Schaffhausen  blieb   es  zunächst  wie  vor  und  während  der  Helvetik. 

Graubünden  richtete  namentlich  im  Interesse  des  Reisenden  Verkehrs  den 
Postdienst  auf  Rechnung  des  Staates  ein. 

Die  baselstädtische  kantonale  Postverwaltung  besorgte  auch  die  Ge- 
schäfte von  Baselland. 

Schwyz  und  ein  Theil  von  Appenzell  A -Rh.  (Herisau,  Speicher  und 
Trogen)  lehnten  sich  an  St.  GuUen  an.  In  den  übrigen  Theilen  beider  Appenzell 
bcborgten   Private  das  Botenwesen. 

T  es  sin  verpachtete  seine  Post  um  ein  kleines  Jahrgeld  bald  an  Luzern, 
bald  an  Zürich,  und  scheint  erst  gegen  Ende  der  Periode  eine  eigene  Verwaltung 
(in  Lugano)  gehabt  zu  haben. 

Im  Neuenburgisch  en  behauptete  sich  bis  1806  die  Fischer' sehe  Post- 
verwaltnng;  dann  übertrug  der  Franzose  Berthier  das  Postwesen  an  vier  Neuen- 
burger,  die  es  bis  zum  Sturze  Napoleon's  beibehielten. 

Graubünden  behalf  sich  anfänglich  damit,  daß  es  „Postreiter**  anstellte, 
die  ihre    bestimmten  Touren    machen   mußten.     Diesen  Postreitern    konnten    sich 


Post  —     617     —  Post 

die  Reisenden  zu  Pferde  anschließen  und  es  bildeten  sich  auf  diese  Weise  förm- 
liche Gebirgskaravanen.  Man  sieht  sie  nicht  mehr,  seit  breite  Bergstraßen  an- 
gelegt sind,  auf  welchen  bequeme  Postwagen  kursiren.  1847  bestanden  schon 
folgende  Kurse :  1  Engadinerkurs,  1  Oberländerkurs,  1  Zürcherkurs,  1  St.  Galler- 
kurs (diese  beiden  Tag-  und  Nachtkurse),  1  SplUgnerpost,  1  Bernhardinerpost, 
1  Engadin-Bergellerpost.     1847  passirten   14,540  Reisende  diese  Routen. 

Was  nun  die  Posttaxen  betrifft,  so  waren  die  Verhältrisse  wenig  besser 
als  vor  1799.  Das  Porto  eines  „einfachen"  Briefes  innerhalb  der  Schweiz  und 
nach  leicht  erreichbaren  Ortschaften  variirte  von  5  —  60  Rappen  und  war  oft 
nicht  eiumal  das  Gleiche  für  den  Hinweg  wie  für  den  RUckweg.  So  bezahlte 
man  von  Appenzell  nach  Sitten  50  Rappen,  umgekehrt  60  Rappen,  von  Appen- 
sell  nach  Yevey  30  Rappen,  in  umgekehrter  Richtung  45  Rappen.  Für  abseits 
gelegene  Ortschaften  gab  es  willkürliche  Zuschlagstaxen. 

Für  die  Briefe  galten  in  der  Regel  drei  Gewichtsstufen:  ^/s  Unzen  (11,7 
Gramm)  =  einfacher  Brief,  %  Unzen  =  doppelter  Brief,  ^/s  Unzea  =  drei- 
facher Brief. 

Die  Taxen  für  Pakete  und  Valoren  unterlagen  komplizirten  Berechnungen. 
In  der  Regel  wurde  ein  solcher  Gegenstand  mit  so  viel  Taxen  beschwert,  als 
er  Kantone  respektive  einheitliche  Postgebiete  zu  durchlaufen  hatte.  So  erklärt 
es  sich  leicht,  daß  ein  Paket  von  25  kg  Gewicht  und  Fr.  100  Werth  von 
Genf  nach  St.  Gallen  Fr.    10.    15,  von  Bern  nach  Aarau  Fr.    1.   70  kostete. 

Trotz  diesen  ungünstigen  Verhältnissen  nahm  der  Postverkehr  bedeutend  zu 
und  ergab  nach  jeder  Richtung  stetig  wachsende  Resultate.    So  erzielte 

Zürich  1832  eine  Brutto  -  Einnahme  von  Fr.  201,701  a.  W.,  1837: 
Fr.  373,096,  1842:  Fr.  429,664,  1844  eineu  Reingewinn  von  Fr.  124,496. 
1831  gingen  Posten  nach  allen  Richtungen.  1832  wurden  12,000  Postreisende 
befördert,   1837:  43,897,   1842:   61,017. 

St.  Gallen  machte  folgende  Brutto-Einnahmen :  1822:  fl.  40,241,  1827: 
fl.   58,027,   1832:  fl.   65,881,    1837:  fl.   120,916. 

Aargau  erzielte  folgende  Reingewinne:  1805:  Fr.  22,224,  1815: 
Fr.  26,617,  1825:  Fr.  33,540,  1835:  Fr.  45,001,  1845:  Fr.  96,043.  Es 
bestanden  dort  1845  22  Lokalpostämter,  58  Postablagen  und  63  Postbotenkurse. 

So  waren  es  also  ziemlich  günstige  Auspizien,  unter  denen  die  letzte  Periode 
zersplitterten  Postwesens  ihrem  Ende  nahte.  Als  dieses  kam  (1848),  hatten  14 
kantonale  Postverwaltungen  (Aargau,  Baselstadt,  Bern,  Frei  bürg,  Genf,  Glarus, 
Graubünden,  Luzern,  Neuenburg,  St.  Gallen,  Solothurn,  Tessin,  Waadt,  und  Zürich) 
ihre  Befugnisse  an  den  Bund  abzutreten. 

Die  Post   seit  1848. 

Nach  den  Freischaarenzügen  und  Sonderbundswirren  sehnte  man  sich  nach 
dauernder  Einigkeit  und  friedlichem  Zusammenwirken.  Man  verwandelte  den 
Staatenbund  in  einen  Bundesstaat,  der  große  gemeinsame  Aufgaben  lösen  sollte. 
Zu  diesem  Zwecke  mußte  man  ihn  mit  Finanzen,  resp.  laufenden  Einnahmequellen 
ausrüsten  und  die  besten  Mittel  hiezu  waren  die  Zölle  und  die  Post.  Man  erklärte 
sie  somit  als  Bundessache  und  zwar  die  Post  mit  folgenden  Worten  (Art.  33  der 

Bundesverfassung) : 

^Das  Postwesen  im  j-ranzen  Umfange  der  Eidjjfcnossenschaft  wird  vom  Bunde  über- 
nommen unter  folgen<ien  Vorschriften : 

1)  Die  gegenwärtig  bestehenden  Postverbindungen  dürfen  im  Ganzen,  ohne  Zu- 
stimmung der  betreffenden  Kantone,  nicht  vermindert  werden.  2)  Die  Tarife  werden 
im  ganzen  Gebiet  der  Eidgenossenschaft   nach  den  gleichen,  möglichst  billigen  Grund- 


Post  —      618     —  Post 

Sätzen  bestimmt.  3)  Die  Unverletzbarkeit  des  Postgeheimnisses  ist  gewährleistet  4)  FQr 
Abtretung  der  Postregale  leistet  der  Bund  Entschädigungen,  und  zwar  nach  folgenden 
Bestimmungen:  a.  Die  Kantone  erhalten  jährlich  die  Durchschnittssumme  des  reinen 
Ertrags,  den  sie  in  den  drei  Jahren  1844,  1845  und  1846  vom  Postwesen  auf  ihrem 
Kantonalgebiet  bezogen  haben.  Wenn  jedoch  der  reine  Ertrag,  welchen  der  Bund  vom 
Postwesen  bezieht,  nicht  hinreicht,  so  wird  dem  Kanton  das  Mangelnde  nach  Verhältniß 
der  festgesetzten  Durchschnittssumme  in  Abzug  gebracht;  b.  wenn  ein  Kanton  vom 
Postwesen  unmittelbar  no<:h  gar  nichts,  oder  in  Folge  eines  mit  einem  anderen  Kanton 
abgeschlr>ssenen  Pachtvertrages  betleutend  weniger  bezogen  hat  als  die  Ausübung  des 
Postregals  auf  seinem  Gebiete  demjenigen  Kanton,  der  dasselbe  gepachtet  hatte,  er- 
weislichermaßen rein  ertragen  hat,  so  sollen  solche  Verhältnisse  bei  Ausmittlung  der 
Entschädigungssumme  billige  Berficksichligung  linden;  c,  wo  die  Ausübung  des  Post- 
regals an  Privatpersimen  abgetreten  worden  ist,  fibemimmt  Jer  Bund  die  diesföllige 
Entschädigung;  d.  der  Bund  ist  berechtigt  und  veriiflichtet,  das  zum  Postwesen  gehörige 
Material,  soweit  dasselbe  zum  Gebrauche  tauglich  und  erforderlich  ist,  gegen  eine  den 
Eigenthfimern  abzureichende  billige  Entschädigung  zu  übernehmen;  die  eidgenössische 
Verwaltung  Ist  berechtigt,  die  gegenwartig  für  das  Postwesen  bestimmten  Gebäuliclikeiten 
gegen  Ent<cha«ligung  entweder  als  Eigenthum  oder  aber  nur  miethwelse  zur  Benützung 
zu  übernehmen." 

Nachfolgende  P^ntschädigungen  wurden,  nach  Maßgabe  eines  sachbeziiglicben 
Bundesbeachlnsses  vom  24.  Jnli  1852,  festgesetzt  und  betragen,  nachdem  die  vom 
Bund  bewilligte  Summe  flir  die  Kantone  üri,  Baselland,  Schalf hausen,  Gran- 
blinden  und  Neuenbürg  durch  das  Bundesgericht  etwas  abgeändert  worden  war: 


rr.      cu. 

für  Zürich :>32,138.  46 

,     Bern 249,25:2.  48 

,     Luzern      ....      58,958.  16 


Fr.       Ct8. 

Uebertrag  752,806.  62 

füi  Schafitiausen     .     .  3,181.  82 

,  Appenzell  A.-Rh.   .  14,285.  71 

,     Uri 29,778.  10  j    ,  .Appenzell  l.-Rh.    .  342.  86 

,     Schwvz     ....         2,857.  14   '     „  St.  Gallen     .     .     .  89,084.  76 

,     Untefwalden  o.;W.           342.  86   .     „  Graubünden      .     .  32,594.  19 

,     Unterwaiden  n./W.           228.  57   j     ,  Aargau     ....  146,694.  43 

,     Glarus 10,329.  83        ,  Thurj^u  ....  25,454.  55 

,     Zug 3,285.  71    i     „   Tessin 14,908.  96 

„     Freiburg  ....       20,320.  52   '     „  Waadt      ....  207,812.  91 

„     Solothurn      .     .     .       10,490.  93   \    ,    Wallis 26,488.  07 

„     Baselstadt     .     .     .     119,065.  25   i     ,  Neuenburg    .     .     .  74,676.  33 

,     Baselland     .     .     .       16,758.  Ol    '    ,  Genf    ....     .  97,281.  71 

Uebertrag    752,806.  G2   |  Total  1*486,560.  92 

Die  Bundesverfassung  von  1874  (Art.  36)  erklärte  wiederum  das  Postweseit 
im  ganzen  Gebiete  der  Eidgenossenschaft  als  Bundessache.  Sie  bestimmte  ferner, 
daß  der  Ertrag  der  Postverwaltnng  in  die  eidg.  Kasse  falle,  daß  die  Tarife  im 
ganzen  Gebiete  der  Eidgenossenschaft  nach  den  gleichen,  möglichst  billigen  Grund- 
sätzen normirt  werden  sollen  und  die  ünverletzlichkeit  des  Postgeheimnisses  ge- 
währleistet sei. 

Der  Postdienst  erstreckt  sich  auf: 

a.  Den  Personen-  und  Gepäcktransport  durch  die  regelmäßigen  Postknrse, 
sowie  durch  Extraposten  auf  den  Routen  Simplon  (Brieg-Domo-d'Ossola),  Furka 
(Brieg-Gletsch-Andermatt-Göschenen),  Oberalp  (Göschenen- Andermatt  -  Disentis),. 
Bündner  Oberland  (Disentis-Ilanz  Chur,  via  Films  oder  Versam),  Splügen  (Chur- 
Chiavenna),  Bernhardin  (Chur-Bellinzona,  via  Splngen-St.  Bernhardin),  Schyn 
(Thusis-Tiefenkasten- Alveneu),  Julier  (Cbur-Samaden,  via  Tiefenkasten-Silvaplana), 
Maloja  (Samaden-Cliiaveuna),  Bernina  (Samaden-Tirano),  Albula  (Chur-Samaden» 
via  Bergiin- Ponte),  Unter enyadin  (Samaden-Schuls-Nauders),  Präitigau  (Land- 
quart-Davos),   Flüela  (Davos  SUs-SchuLs),  Landwasser  (Chur- Wiesen- Daves); 

6.  Die  Beförderung  1)  von  Briefpust gegenständen,  d.  i.  von  gewöhnlichen 
und  rekommandirten  Briefen,  Postkarten,  Drucksachen,  Waarenmustem,  G^sch&fts 


Post  —     619     —  Post 

papieren,  kleinen  verschlossenen  oder  nnverschlossenen  Paketen,  abonnirten  Zei- 
tungen; 2)  von  Fahrpoetstücken,  d.  i.  von  Paketen  mit  und  ohne  Werthdekla- 
ration  (die  Briefe  mit  angegebenem  Werth  werden  im  Innern  der  Schweiz  als 
Fahrpostgegenstände,  im  Verkehr  mit  dem  Auslände  als  Briefpoetgegenstände 
behandelt) ; 

c.  Die  Bestellung  von  gerichtlichen  Akten  aller  Art,  als  Vorladungen,  Noti> 
fikationen,  Betreibnngsvorkehren  etc. ; 

d.  Abonnemente  auf  Zeitungen; 

e.  Den  £inzug  von  Geldern,  sei  es  durch  Nachnahme  auf  Brief-  und  Fahrpost* 
gegenständen,  oder  durch  Einzugsmandate  ; 

f.  Die  Auszahlung  von  Geldbeträgen  durch  Postanweisungen. 

Dem  Postregal  nicht  zuwider  ist  das  Versenden  und  Vertragen  von  Briefen^ 
Paketen  und  Geldern  aus  bloßer  Gefälligkeit,  sowie  die  Beförderung  von  Gewicht- 
stücken über  5  kg  und  von  solchen  Sendungen  unter  5  kg,  welche  der  Be- 
schaffenheit ihres  Inhaltes  wegen  der  Post  nicht  übergeben  werden  dürfen  (ex- 
plodirbar,  der  Fäulniß  ausgesetzt  etc  ). 

Der  BegriflP  des  Postgeheimnisses  ist  auf  folgende  Weise  definirt  (Post- 
regalgesetz vom  4.  Juni  1849,  Art.  10); 

„Das  Postgeheimniß  schließt  die  Pflicht  in  sich,  keine  der  Post  anvertrauten  Gegen- 
stände zu  öffnen,  ihrem  Inhalt  auf  keine  Weise  nachzuforschen,  über  den  Verkehr  der 
einzelnen  Personen  unter  sich  keine  Mittheilungen  an  Dritte  zu  machen  und  Niemandem 
Gelegenheit  zu  geben,  das  Postgeheimniß  zu  verletzen". 

Ausnahmen  hie  von  sind  zulässig  auf  Grund  des  Art.  3,  Ziff.  3  der  Transport- 
ordnung vom  7.  Okt.  1884,  indem  es  dort  heißt: 

,Auf  schriftliche  Requisition  der  zuständigen  Behörden  können  Gegenstände,  welche 
der  Post  zur  Beförderung  anvertraut  wurden,  mit  Beschlag  belegt  werden.  Ebenfalls 
kann  die  Post  auf  schriftliches  Verlangen  einer  hiezu  berechtigten  Gerichts-  oder  Polizei- 
behörde derselben  Ober  den  Postverkehr  zwischen  bestimmten  Personen  Auskunft  ertheilen**. 

Folgendes  ist  die  gegenwärtige  (1889)  Organisation  der  Postverwaltung : 
Oberste  vollziehende  und  leitende  Behörde  ist  laut  Bundesgesetz  vom  25.  Mai 
1849  der  Bundesiath.  Dieser  hat  die  unmittelbare  Oberaufsicht  und  Oberleitung 
seinem  Postdepartement  übertragen  (der  Geschäftsgang  ist  durch  Verordnung 
vom  26.  November  1878  geregelt).  Nächstes  Verwaltungsorgan  ist  die  Oberpost- 
direktion  mit  Sitz  in  Bern.  Ihr  unterstellt  sind  11  Ereispostdirektionen,  ent- 
sprechend den  11  Postkreisen,  in  welche  das  schweizerische  Gebiet  eingetheilt 
ist,  als: 

J.  Posikreis  Genf,  bestehend  aus  dem  Kanton  Genf  und  dem  waadtländischen 
Bezirke  Nyon. 

IL  Postkreis  Lausanne,  bestehend  aus  den  Kantonen  Freiburg,  Waadt,. 
mit  Ausnahme  des  Bezirkes  Nyon,  und  Wallis. 

HL  Postkreis  Bern,  bestehend  aus  dem  Kanton  Bern,  mit  Ausschluß  der 
den  Postkreisen  IV  und  V  zugeschiedenen  Gebietstheile. 

IV.  Postkreis  Neuenbürg,  bestehend  aus  dem  Kanton  Neuenburg  und  dem 
auf  dem  linken  Ufer  des  Bielersee^s  nnd  der  Zihl  gelegenen  Theile  des  Kantons 
Bern,  mit  Ausnahme  des  Amtsbezirkes  Laufen. 

F.  Postkreis  Basel,  bestehend  aus  dem  Kanton  Solothurn,  mit  Ausnahme 
der  dem  VI.  Postkreise  zugetheilten  Gemeinden  ^  aus  den  Kantonen  Baselstadt 
nnd  Baselland,  und  aus  den  auf  dem  linken  Ufer  der  Aare  liegenden  Gemeinden 
der  bemischen  Amtsbezirke  Wangen  und  Aarwangen,  nebst  dem  Amtsbezirke  Laufen. 

VL  Postkreis  Aaran^  bestehend  aus  dem  Kanton  Aargau  und  den  auf  dem 
rechten  Ufer   der  Aare   liegenden  Gemeinden   des   solothurnischen   Amtes  Ölten. 


Post  —     620     —  Post 

VII.  Postkreis  Lusern,  bestehend  aus  den  Kantonen  Luzern,  Uri,  ünter- 
walden  ob  and  nid  dem  Wald,  und  den  schwjzerisohen  Bezirken  Sohwyz,  Grersaa 
and  Küßnacht. 

VIII.  Postkreis  Zürich,  bestehend  aus  den  Kantonen  Zürich,  Zug,  Schaff- 
hausen, Thurgau. 

IK.  Postkreis  St.  Gallen,  bestehend  aus  dem  Kanton  St.  Grallen,  mit 
Ausnahme  des  Bezirkes  Sargans;  aus  den  schwyzerischen  Bezirken  Einsiedeln, 
March  und  Höfe;  ferner  aus  den  Kantonen  Glarus  und  Appenzell  beider  Rhoden. 

X.  Postkreis  Chur,  bestehend  aus  dem  Kanton  Grraubünden  (mit  Ausschluß 
des  Hochgerichtes  Misox  und  Calanca)  und  aus  dem  st.  gallischen  Bezirke  Sargans. 

XJ.  Postkreis  Bellenz,  bestehend  aus  dem  £lantoii  Tessin  und  dem  grau- 
btindnerischen  Hochgerichte  Misox  und  Calanca. 

PosttHxen« 

Die  internen  Posttaxen  wurden  successive  geregelt  darch: 

1)  Posttaxengesetz  vom  4.  Juni  1849  (A.  S.  I,   110). 

2)  YoUziehungsverordnung  betr.  die  Zeitungstaxen,  vom  13.  Juni  1849 
<A.  S.  I,   118). 

3)  Verordnung  über  die  Nachnahmen  bei  Postsendungen,  vom  14.  Aug.  1849 
(A.  S.  I,   160). 

4)  Bundesrathsbeschluß  über  den  nämlichen  Gegenstand,  vom  17.  Sept.  1849 
<A.  S.  I,   164). 

5)  Bundesrathsbeschluß  betr.  den  Taxenbezug  von  Postreisenden  auf  Alpen- 
pässen, vom  28.  April   1851   (A.  S.  U,  291). 

6)  Posttaxengesetz  vom  25.  Aug.   1851   (A.  S.  II,  373). 

7)  Vollziehungsverordnung  betr.  die  Zeitungstaxen,  vom  3.  Nov.  1851 
(A.  S.  II,  577). 

8)  Abänderung  des  Art.  33  des  Posttaxengesetzes  vom  25.  Aug.  1851, 
vom  6.  Aug.   1852  (A.  S.  lU,  227). 

9)  Verordnung  über  die  Portofreiheit,  vom   10.  Nov.  1651  (A.  S.  1,  591). 

10)  Verordnung  betr.  die  Posttaxen  auf  Alpenpässen  und  Lukalkursen,  vom 
12.  Nov.   1851  (A.  S.  II,  588). 

11)  Modifikation  dieser  Verordnung,  vom   17.  Juli  1854  (A.  S.  IV,  257). 

12)  Extrapostreglement  vom  1.  Mai  1852  (A.  S.  III,  480  und  5,  435). 

13)  Bundesbeschluß  betr.  Portofreiheit  für  die  Akten  des  Civilstands,  vom 
14.  Dez.  1854  (A.  S.  5,  49). 

14)  Bundesrathsbeschluß  betr.  die  Posttaxen  für  Alpenpässe,  vom  16.  Okt. 
1857  (A.  S.  5,  670). 

15)  Bundesrathsbeschluß  betr.  die  Portofreiheit  für  die  Korrespondenz  der 
Eisenbahn- Verwaltungen,  vom  15.  Nov.  1858  (A.  S.  VI,  80). 

16)  Beschluß  betr.  Abänderung  der  Fahrpodttarlfe,  vom  22.  Dez.  1859 
(A.  S.  VI,  365). 

17)  Verordnung  betr.  Nachnahmen  bei  Postsendungen,  vom  27.  April  1860 
(A.  S.  VI,  474). 

18)  Posttaxengesetz  vom  6.  Febr.   1862  (A.  S.  VII,   139). 

19)  Weisung  vom  19.  April  1862  betr.  Einführung  von  Bückscheinen 
(Postamtsblatt  Nr.  34  von  1862). 

20)  Verordnung  betr.  postamtliche  G-eldanweisuugen,  vom  24.  April  1862 
(A.  S.  VII,   279). 

21)  Verordnung  betr.  Portofreiheit,  vom  13.  Juni  1862  (A.  S.  VII,  285). 


Post  —     621     —  Post 

22)  Gesetz  betr.  die  Posttaxen  von  Drncksachen  and  abonnirten  Zeitangen, 
vom  25.  Jnli  1862  (A.  S.  VII,  321). 

23)  Verordnung  über    die  AusfUbrung  des  Posttaxengesetzes  vom  6.  Febr. 
1862,  vom  13.  Juni  1862  (A.  S.  VII,  361). 

24)  Verordnung   betr.    die   internen    postamtlichen   Geldanweisungen,   vom 
6.  Dez.  1865  (A.  S.  VIII,  654). 

25)  Verordnung  betr.  die  Taxe  der  internen  Geldanweisungen,  vom  10.  April 
1867  (A.  S.  IX,  45). 

26)  Bundesrathsbeschluß   vom  22.  Nov.  1867   betr.    die  Expreßbestellung 
von  Briefen  (A.  S.  IX,  200). 

27)  Bundesrathsbescbliiß   vom  17.  Aug.  1868    betr.    Expreßbestellung   von 
Postsendungen  (A.  S.  IX,  432). 

28)  Verordnung  über  den  näml.  Gegenstand,  vom  12.  Okt.  1868  (A.  S.  IX,  490). 

29)  Bundesges.  betr.  dieTaxenvouFahrpostst.,  v.27.  Julil869(A.S.IX,880). 

30)  Bundesrathsbeschluß  betr.  den  neuen  Fahrposttarif,  vom  28.  Jan.  1870 
(A.  S.  X,  81). 

31)  Bundesbeschluß  betr.  Einführung  der  Po&t(Korre8pondenz)-Earten,  vom 
23.  Juli   1870  (A.  S.   10,  255). 

32)  Verordnung   betr.  Einführung  von   Korrespondenzkarten   für  portofreie 
Korrespondenzen,  vom  26.  Dez.  1870  (A.  S.  10,  361). 

33)  Bundesgesetz  betr.  interne  Brief posts.,  vom  13.  Juli  1871  (A.  S.  10,  451). 

34)  Extrapostreglement  vom  26.  April  1872  (A.  S.  10,  776). 

35)  Bundesbeschluß   betr.    Erhöhung   der   Gewichte   der    Drucksachen   und 
Waarenmuster,  vom  10.  Juli  1872  (A.  S.   10,  896). 

36)  Extrapostreglement  vom  3.  Febr.  1873  (A.  S.  XI,   145). 

37)  Extrapostreglement  vom   1.  März  1875  (A.  S.  n.  F.  I,  387). 

38)  Posttaxengesetz  vom  23.  März  1876  (A.  S.  n.  F.  II,  339). 

39)  Rev.    Transportordnung  f.  d.    Schweiz.    Posten,    vom    10.  Aug.    1876 
(A.  S.  n.  F.  II,  401). 

40)  Abänderung   der  Transport  Ordnung   in  Bezug   auf  Abonnementsbillete, 
vom  3.  Jan.   1877  (A.  S.  n.  F.  III,  1). 

41)  Abänderung  der  Transportordnung  betr.  den  nämlichen  Gegenstand,  vom 
25.  Mai   1877  (A.  S.  n.  F.  III,  95). 

42)  Bundesgesetz  betr.  die  Transporttaxe  für  Zeitungen,  vom  11.  Febr.  1878 
(A.  S.  n.  F.  m,  417). 

43)  Verordnung   betr.    Zuschlagstaxe   für   Fahrpoststücke    über    Alpenpässe 
vom  26.  März  1878  (A.  S.  n.  F.  IH,  391). 

44)  Abänderung  der  Transport  Ordnung  (Personentaxen)  vom  6.  Sept.  1879 
(A.  S.  n.  F.  IV,  344). 

45)  Abänderung  der  Transportordnung  (Anwendung  der  Sperrguttaxe;  Ge- 
bühr für  i^achnahmescheine)  vom   14.  Juni  1880  (A.  S.  n.  F.  5,  92). 

46)  Abänderung  der  Transportordnung  (Aufhebung  der  Sperrguttaxe ;  Nach- 
nahmeprovision;  Geldanweisungstaxe)  vom  8.  Mai  1883  (A.  S.  n.  F.  VII,  107), 

47)  Poflttaxengesetz  vom  26.  Juni  1884  (A.  S.  n.  F.  VII,  584). 

48)  Transportordnung  vom  7.  Okt.  1884  (A.  S.  n.  F.  VII,  619,   716). 
Aus  der  vorstehenden  langen  Aufzählung  von  Gesetzen,  Verordnungen  und 

Beschlüssen  geht  hervor,  daß  die  Taxen  unsere  Postbehörden  vielfach  beschäftigt 
haben.  In  der  That  haben  seit  1848  so  viele  Aenderungen  der  Taxen  stattge- 
funden, daß  das  Lexikon  es  sich  versagen  muß,  sie  alle  zu  erwähnen.  Es  wird 
sich  deßhalb  auf  die  Hauptsachen  beschränken. 


Post 


—     622     — 


Poet 


Brief^sttaxen. 

Das  erste  eidg.  Posttaxengesetz,  datirt  Tom  8.  Jani  1849,  setzte 
folgende  Porti  für  die  Briefpostgegenstfinde  (Briefe,  Schriftenpakete,  Drucksachen, 
Waarenmoster)  fest: 

Iinxweit«aBri«r-     Im  dritten  Brief-    Im  riertea  Brief- 


Briefe 


Im  erat««  Bvief- 

kreifftEDtfemaag    kreis;  Entfernuag    kreit<Eotfemung    kreit(  Entfemoi^ 
bia  10  StuDden)      ftber  10— U  Sl)    über   35 — 10  St)    über  40  Standen) 


bis  » 
Über 


Loth  einschließlich 

5  Rappen 

10 

Rappen 

15  Rappen 

20  Rappen 

»1-1     Loth 

7*«     , 

15 

» 

22V^     , 

30 

1-lV«    - 

10 

20 

• 

30 

40 

\*-2        . 

Wt     , 

25 

r 

37»/f    . 

50 

2    4 

15 

30 

^ 

45 

60 

4-8 

20 

40 

m 

60 

80 

8-16      . 

25 

50 

T 

75 

100 

16  bis  1  Pfund 

30        , 

60 

W 

90 

1» 

Das  Gesetz  räumte  dem  Bundesrath  die  Befngniß  ein,  an  Orten  mit  be- 
deutendem Briefwechsel  eine  «Ortspost "  einzurichten,  fdr  welche  folgende  Brief- 
taxen aufgestellt  wurden:  bis  auf  2  Loth  einschließlich  2^/t  Rappen,  von  2 — 4 
Loth  5  Rappen,  von  4 --8  Loth  10  Rappen.  Diese  ermäßigten  Taxen  fanden 
indessen  nur  auf  frankirte  Briefe  Anwendung. 

Schriflenpakete  ohne  Werthangabe  kosteten,  insofern  sie  anfier  einem  all- 
fälligen  Begleitschreiben  keine  Briefe  enthielten,  bis  zu  1  Pfund  Gewicht:  10 
Bappen  im  ersten  Briefkreis,  20  Rappen  im  zweiten  Briefkreis,  30  Rappen  im 
dritten  Briefkreis,  40  Rappen  im  vierten  Briefkreis. 

Ftkr  einr/eschriebene  (rekommandirte)  Briefe  und  Schriftenpakete  wurden 
obige  Taxen  verdoppelt. 


Drucksachen  bezahlten: 


bis  auf  2  Loth  einschließlich 
übtfr  2—4  Loth 

-48, 

.      8  Loth  bis  1  Pfund 


Im  ersten 
briefkreis 

2^  i  Rappen 
5 

7»« 
10 


Im  Kweiten 
Briefkreis 

5  Rappen 
10        . 
15 
20 


Im  dritten 
Briefkreis 

7V<  Rappen 


15 

22*1 
30 


Im  Tieften 
BrieHLrels 

10  Rappen 

20 

30 

40 


Waartnmuster  wurden  hinsichtlich  der  Taxen  wie  Schriftenpakete  behandelt, 
mit  der  Ausnahme,  daß  der  Bundesrath  Befugniß  hatte,  an  Orten,  die  einen 
lebhaften  Verkehr  mit  Waarenmustern  aufwiesen,  die  Taxe  für  derartige  Sendungen, 
bis  zum  Gewicht  von  IG -Loth  und  für  den  ersten  Briefkreis  von  10  auf  5  Rappen 
zu  ermäßigen. 

Das  Posttaxengesetz  von  1^49  blieb  nur  etwas  über  2  Jahre  in  Kraft. 
Schon  im  August  1S51  gab  es  nur  noch  3  Briefkreise  und  die  bloß  7*  l^th 
schweren  Briefe  kosteten :  5  Rp.  im  ersten  Briefkreis  (bis  2  Stunden  Entfernung), 
10  Rp.  im  zweiten  Briefkreis  (^2  —  10  Stunden  Entfernung),  15  Rp.  im  dritten 
Briefkreis,  d.  i.  auf  mehr  als  10  Stunden  Entfernung.  Für  schwerere  Briefe 
wurden  für  je   ^Jz  Loth  5  Rp.  zugeschlagen. 

1 1  Jahre  später  ( 1862 )  reduzirte  man  die  Zahl  der  Briefkreise  auf  2.  Der 
erste,  2  Stunden  Entfernung  iu  gerader  Richtung  umfassend,  hieß  nun  «Orts- 
rayon*"  und  die  Taxe  innerhalb  desselben  war  5  Rp.  für  Briefe  mit  nicht  mehr 
als  10  Gramm  Gewicht.  Ueber  den  Ortsrayon  hinaus  kosteten  die  höchstens 
10  Gramm  schweren  Briefe,  wenn  frankirt  10  Rp.,  wenn  unfrankirt  15  Rp. 
Bei  11 — 250  Gramm  Gewicht  betrug  die  Taxe  das  Zweifache.  Schwerere  Briefe 
kamen  als  Pakete  zur  Fahri)Ost. 

Das  Posttaxengesetz  von  1S76  schuf  den  seither  üblichen  „Lokalrayon* 
(10  km;  und  erhölite  das  Minimalgewicht  der  Briefe  auf  15  Gramm  bei  gleichen 


Post  —     623     —  Post 

Taxen  wie  oben  für  frankirte  Briefe.  Ünfrankirte  Briefe  mußten  doppelt  taxirt 
werden,  ebenso  die  ungenügend  frankirten,  docb  kamen  hier  die  verwendeten 
Wertbzeioben  in  Abzug.    Rekommandationsgebübr  fix  20  Cts. 

Seit  dem  letzten  Posttaxengesetz  (26.  Juni  1884)  gelten  nun  folgende 
Taxen. 

Briefe:  a.  im  Lokalrayon  (10  km)  bis  15  Gramm  5  Cts.;  über  15  bis 
250  Gramm  10  Cts.; 

b.  größere  Entfernungen:  bis  250  Gramm  10  Cts.  im  Frankofalle,  ün- 
frankirt  kosten  Briefe  bis  15  Gramm  im  Lokalrayon  10  Cts.,  auf  größere  Ent- 
fernungen ohne  Unterschied  des  Gewichts  20  Cts. 

Postkarten  (im  Juli  1870  eingeführt):  einfache  5  Cts.,  solche  mit  bezahlter 
Antwort  10  Cts. 

Drucksachen:  bis  50  Gramm  2  Cts.,  über  50  bis  250  Gramm  5  Cts., 
über  250  bis  500  Gramm  10  Cts.  Schwerere  Sendungen  werden  der  Fahr- 
post  zugewiesen. 

Waarenmuster :  bis  250  Gramm  5  Cts.,  über  250  bis  500  Gramm  10  Cts. 
Schwerere  Sendungen  werden  als  Fahrpoststücke  betrachtet. 

Die  Bekomm andationsgebühr  ist  auf  10  Cts  ermäßigt. 

Pakete  und  Gelder. 

Das  erste  Posttaxengesetz  (8.  Juni  1849)  bestimmte:  Für  Pakete 
und  Geldsendungen  wird  für  je  5  Wegstunden  und  von  jedem  Pfund  des  Ge- 
wichts, bei  Geldsendungen  und  andern  Werthstücken  für  je  Fr.  50  des  Werthes 
eine  Transportgebühr  von  1  Ct.  berechnet.  Zu  dieser  Transporttaxe  tritt  noch 
eine  feste  Einschreibgebühr  welche  beträgt,  für  Bendungen  im  ersten  Briefkreis 
5  Rappen,  im  zweiten  Bri^ikreis  10  Bappen,  im  dritten  Briefkreis  15  Rappen, 
im  vierten  Brief  kreis  20  Rappen. 

Werthsendungen  werden  in  der  Regel  nach  dem  Werth,  wenn  sich  aber 
nach  dem  Gewicht  eine  höhere  Taxe  ergibt,  nach  dem  Gewicht  taxirt. 

Die  Minimalta,xe  für  ein  Paket  beträgt:  im  ersten  Briefkreis  10  Rappen, 
im  zweiten  Briefkreis  20  Rappen,  im  dritten  Briefkreis  30  Rappen,  im  vierten 
Brief  kreis  40  Rappen.  Pakete  und  Geldsendungen  können  für  die  doppelte  Taxe 
rekommandirt  werden. 

Revisionen  obigen  Gesetzes  und  Neuordnungen  der  Taxen,  in  Verbindung 
mit  neuen  Zoneneintheilungen  fanden  statt  in  den  Jahren  1851,  1859,  1869, 
1«76,  1878  und  1884;  ferner  wurden  Extra-Taxen  aufgestellt  für  die  Fahrpost 
über  die  Alpenpässe.  Die  jetzt  (1889)  geltenden  Fahrposttaxen  sind  (gemäß 
Gesetz  vom  26.  Juni  1884): 

a.  Gewichtstaxen 

1)  Für  alle  Sendungen  bis  20  kg  Gewicht  oh)ie  Rücksicht  auf  die  Ent- 
fernung 

frank  irt  nnfrankirt 

bis  '/s  kg                               Fr.  0. 15  Fr.  0. 30 

über     '/a  kg  bis     2 '/»  kg      ,0.25  ,     0.  40 

r      2V2    -     .       5         ,        ,     0.40  ,     0.60 

«6         „     „     10         ,        ,0.70  ,     1.— 

,10        ,     „     15         ,        „1.—  ,1.50 

,15         „     ,    20         ,        „1.50  ,     2.— 

2)  Bei  Sendungen  mit  mehr  als  20  kg  Gewicht  beträgt  die  Frankotaxe  für 
je  5  kg  oder  einen  Bruchtheil  von  5  kg: 


Post  —     624     —  Po^t 

bis  anf  eine  Entfernung  von  100  km  30  Bp. 

,      ,       «  ,  ,     200     „  60     , 

...  .  .     300     .  90     , 

,      .       .  .  über  3CK)     ,  120     , 

Bei  unfrankirten  Sendungen  erfolgt  ein  Portozu^cblag  von  50  Rp.  per  Stück. 

b.  Wertbtaxen ; 

Für  Sendungen  mit  nicbt  mehr  ala  1000  Fr.  Werth  3  Rp.  per  100  Fr. 
Für  Sendungen  mit  mehr  alu  1000  Fr.  Werthdeklaration  30  Rp.  für  das  erste 
Tausend  und  je  6  Rp.  für  jedes  weitere  Tausend. 

Reisetaxen. 

Von  1849 — 1876  betrug  das  Postfahrgeld  per  Wegstunde:  1)  auf  den 
Alpenpässen :  Fr.  1  für  einen  Platz  im  Innern  oder  auf  den  Anßensitzeut 
Fr.  1.  15  für  einen  Platz  im  Coupe;  2)  auf  den  übrif/en  Siraßen:  65  Rp.» 
im  Innern  oder  Außensitz,  80  Rp.  im  Coupe. 

Von  1877  — 1884  waren  per  Kilometer  auf  Alpenstraßen  30  Rp.  für  Coupe, 
25  Rp.  für  Platz  im  Innern,  auf  den  übrigen  Straßen  20  und  15  Rp.  zu  be- 
zahlen. 

Auch  seit  1884  gelten  die  nämlichen  Taxen,  nur  findet  diejenige  von  30  Rp. 
nicht  mehr  bloß  auf  Fahrten  über  Alpenstraßen  Anwendung,  sondern  auch  bei 
allen  anderen  Kursen,  deren  Betrieb  besondere  Schwierigkeiten  bietet  oder  be- 
deutende Kosten  verursacht. 

Retour-  und  Abonnementsbillete  kamen  im  Jahre  1867  in  Gebranch.  An- 
fänglich hatten  erstere  eine  Gültigkeitsdauer  von  24  Stunden,  dann  (1874 — 1877) 
Gültigkeit  für  3  Tage,  hierauf  (1877  —  1884)  für  2  Tage  und  endlich,  seit 
1884,  wieder  für  3  Tage,  bezw.  72  Stunden.  Diese  Billete  genossen  stets  einen 
Rabatt  von  10  ^/o.  Die  Abonnementsbillete  galten  bis  1874  für  30  Tage  und 
lauteten  auf  20  Fahrten  zwischen  2  bestimmten  Punkten.  Seit  1874  ist  die 
Gültigkeitsdauer  3  Monate,  und  seit  1877  können  solche  BiUets  schon  für  zehn 
Fahrten  gelöst  werden.    Preisrabatt  stets  20  ^/o. 

Geldanweisungstaxen. 

Das  Posttaxeuf/esetg  vom  25.  Aug.  1851  ermächtigte  den  Bundesrath,  den 
Geldanweisungsdienst  einzuführen  und  die  bezüglichen  Taxen  festzusetzen.  Dem- 
gemäß verordnete  der  Bundesrath  unterm  24.  April  1862,  daß  die  TaXe  einer 
Anweisung  derjenigen  einer  Werthsendnng  im  entsprechenden  Betrage  gleich  sei 
und  der  Absender  überdies  5  Rappen  ftir  das  Anweisungsformular  (Couvert)  zu 
bezahlen  habe. 

Durch  neue  Verordnung  vom  10.  April  1867  (A.  S.  IX,  45)  stellte  der 
Bundesrath  für  die  Geldanweisungen  folgende  Taxen  fest: 

Für  Beträge  bis  Fr.  100  =  20  Rp.,  für  Beträge  über  Fr.  100  bis  200 
=  30  Rp.,  für  Beträge  über  Fr.  200  bis  300  =  40  Rp.,  u.  s.  f.,  für  je 
weitere  Fr.   100   10  Ct.  mehr. 

Die  rev.  Transporiordnunf/  vom  10.  Aug.  1876  brachte  höhere  Ansätze,  näm- 
lich für  Beträge  bis  Fr.  100^=  30  Rp.,  für  Beträge  über  Fr.  100  bis  20  0 
=1  40  Rp.,  für  Beträge  über  Fr.  200  bis  300  ==  50  Rp.,  u.  s.  f.,  ftir  je 
weitere  Fr.   100   10.  Ct.  mehr. 

Durch  Bundes  rathsb  es  Muß  vom  8.  Mai  1883  wurde  für  Anweisungs- 
beträge bis  Fr.   20    die  Taxe    auf  20  Rp.  ermäßigt    und  durch   das  Posttazen- 


für  die  ganze  Schweiz. 


Post  —     625     —  Post 

geseie  vom  2G.  Juni  1884  kamen  die  Ansätze  der  Verordnung  vom  10.  April 
1867  wieder  zur  Geltung. 

Zeitungstaxen, 

Das  Posiiaxenyeseie  vom  8.  Juni  1849  normirte  die  Porti  wie  folgt: 
Y2  Rp.  per  Exemplar  bis  zum  Gewicht  von  1  Loth 
1      „       „  „  über  1  Loth 

Für  Besorgung  der  Abonnemente  auf  inländische  Blätter  bezog  die  Post 
eine  Gebühr  von   1  Balzen,  auf  ausländische  Blätter  eine  solche  von  2  Batzen. 

Durch  Vollzug sverordnung  zu  obigem  Gesetz  (A.  S.  I,  118)  wurde  be- 
stimmt, daß  Beilagen  zu  Zeitungen  oder  Extrablätter  wie  Druckschriften  zu  be- 
handeln seien,  sobald  sie  das  Gewicht  von  2  Loth  überschreiten. 

Das  Positaxengeseis  vom  25.  Aug.  1851  fixirte  das  Porto  fUr  ein  2jeitungs- 
exemplar  bis  zum  Gewichte  von  2  Loth  und  ohne  Unterschied  der  Entfernung 
auf  */*  Rp.  Jedes  weitere  Loth  kostete  wiederum  ®/4  Rp.  Für  Besorgung  der 
Abonnemente  bezog  die  Post  eine  Gebühr  von  20  Rp.  für  inländische  und  von 
50  Rp.  für  ausländische  Blätter. 

Das  Posttaxengesetz  vom  6.  Febr.   1862  brachte  folgende  Aenderung: 

Transporttaxe :  für  je  30  Gramm  oder  Brnchtheil  dieses  Gewichtes  V*  Rp» 
Diese  Portoreduktion  galt  nur  für  solche  Zeitungen  oder  periodische  Druck- 
schriften, welche  hei  der  Post  abonnirt  wurden  —  eine  Beschränkung,  die  erst 
durch  Bundesgesetz   vom  25.  Juli  1862   (A.  S.  VII,  321)   aufgehoben  wurde. 

Das  Posttaxengesetz  vom  23.  März  1876  erhöhte  das  Gewicht  auf  50  Gramm 
und  beließ  das  Porto  auf  Y*  Rp» 

Durch  Bundesgesetz  vom  11.  Febr.  1878  wurde  das  Porto  von  */4  Rp. 
auf  1  Rp.  per  50  Gramm  erhöht,  durch  Posttaxengesetz  vom  26.  Juni  1884 
dagegen  die  Post- Abonnementsgebühr  für  inländische  Zeitungen  von  20  auf  10  Rp. 
ermäßigt. 

Nachnahmen. 

Die  Einführung  der  Nachnahmen  wurde  durch  bnndesräthliche  Verordnung 
vom  14.  Aug.  1849  (A.  S.  I,  160)  bewirkt.  Außer  der  gewöhnlichen  Trans- 
porttaxe unterlagen  die  Nachnahmengegenstände  einer  Provision  von  10  Rp. 
für  je  Fr.   10.   —  oder  Bruchtheil  des  Nachnahmebetrages. 

Schon  am  17.  Sept.  gl.  J.  (A.  S.  I,  164)  beschloß  der  Bundesrath,  die 
Minimalprovision  auf  5  Rp.  herabzusetzen  ,  allein  durch  Verordnung  vom 
27.  April  1860  (A.  S.  VI,  474)  wurde  sie  wieder  auf  10  Rp.  erhöht. 

Eine  weitere  Erhöhung  der  Minimalpro vision,  und  zwar  auf  30  Rp.,  fand 
statt  für  Fahrpostseudxmgeny  gemäß  Verordnung  vom  10.  Aug.  1876.  Am 
8.  Mai  1883  erfolgte  aber  wieder  Ermäßigung  auf  10  Rp. 

Gebühren, 

Außer  den  „Porti"  und  „ Taxen**  erhebt  die  Postverwaltung  auch  ver- 
schiedene  „Gebühren"*,  nämlich: 

1)  Die  Bestellgebühr  für  die  Zustellung  von  Fahrpoststücken  im  Ge- 
wichte von  mehr  als  5  kg  Gewicht  oder  mehr  als  1000  Fr.  Werth.  Sie  wurde 
eingeführt  durch  das  Postt^xengesetz  vom  6.  Februar  1862  und  geändert  durch 
die  Transport  Ordnung  von  1876. 

2)  Die  Expreßgebühr,  welche  für  rekommandirte  Briefe  seit  dem 
Bundearathsbeschluß  vom  22.  November  1867  und  für  Fahrpoststücke,  Geld- 
anweisungen und  Nachnahmen  seit  dem  Bundesrathsbeschluß  vom  17.  August  1868 

Fnrrer,  Volkswirthschafts-Lexlkon  der  Schweii.  \^ 


Poj?t  —      626     —  Post 

in  Anwendung  kommt.    Die  gegenwärtigen  Grebtihren  (Mitte  1889)  bernheu  aaf 
der  Transportordnung  von   1^584. 

3)  Die  Lagergebühr,  in  Kraft  seit  1869,  nen  normirt  dnrch  die  TraoB- 
port Ordnungen  von  1876  und  1884.  Sie  wird  erhoben  von  Gewicht-  und  Werth- 
gegentitänden,  welche  mehr  alt)  24  Stunden  lagern  und  sofern  der  Adressat  zur 
Abholung  verpflichtet  ist. 

4)  Die  Eückscheingebühr.  Die  Transportordnnng  von  1869  brachte 
die  Einrichtung  der  Rückscheine  für  rekommandirte  Briefe  und  für  Fahrpoststücke ; 
das  Posttaxengesetz  von  1876  dehnte  die  Einrichtung  auf  die  Geldanweisungen  aus. 

5)  Die  Fachgebühr.  Schon  durch  das  Posttaxengesetz  vom  25.  Aug.  1851 
wurde  es  Jedermann  möglich  gemacht,  sich  auf  der  Post  ein  sog.  „Fach**  zu 
halten,  um  die  Korrespondenzen  nach  Belieben  abholen  zu  können.  Die  Gebühr 
betrug  damals  6 — 18  Fr.  jährlich  für  Denjenigen,  der  sich  zugleich  die  Porti 
aufschreiben  ließ  und  4  — 10  Fr.  jährlich  für  Denjenigen,  der  baar  bezahlte. 
1862  fand  Erhöhung  der  Gebühr  statt  auf  6—24  Fr.,  resp.  8—12  Fr.;  seit 
der  Transport  Ordnung  von  1876  gibt  es  „gewöhnliche  Fächer"  ä  1  Fr.  per 
Monat  und  „ Schloßfächer "  a  Fr.  1.  50  per  Monat.  Hiezu  gesellten  sich  1888 
noch   „Fahrpostfächer*   k   7^ — 1  Fr.  per  Monat. 

6)  Die  Laufzeddelgebtihr  oder  Gebühr  für  Reklamationen  (20  Cts.)  ist 
die  niedrgste,  aber  die  älteste  von  allen,  denn  sie  datirt  von  1849. 

Portofreiheit. 

Im  internen  Verkehr  ist  Portofreiheit  gestattet:  1)  den  Mitgliedern  der 
Bundesversammlung  und  deren  Kommissionen  während  der  Dauer  der  Sitzungen, 
wenn  sie  sich  am  Sitzungsorte  befinden;  2)  den  Behörden  und  Beamtungen  der 
Eidgenossenschaft,  der  Kantone,  der  Bezirke  und  der  Kreise  für  die  ein-  und 
ausgehende  Korrespondenz,  jedoch  nur  in  Amtssachen ;  3)  den  Gemeindebehörden, 
Pfarrämtern,  Kirchenvorständen,  Civilstandsbeamten,  den  Kontrolämtem  für  den 
Handel  mit  Gold-  und  Silberabfällen  für  die  unter  sich  und  mit  den  Oberbehörden 
in  Amtssachen  zu  wechselnde  Korrespondenz;  4)  dem  im  eidgenössischen  Dienst 
stehenden  Militär;  5)  für  die  Korrespondenz  an  Arme  und  für  Arme,  sofern 
dieselbe  von  kompetenter  Behörde  als  Armensache  bezeichnet  ist. 

Diese  Portofreiheit  dehnt  sich  auf  alle  Postgegenstände  aus,  die  mit  der 
Briefpost  versendet  werden,  nicht  rekommandirt  sind  und  das  Grewicht  von  2  kg 
nicht  übersteigen.  Ein  höheres  Gewichtsmaximum  ist  für  Sendungen  der  Tele- 
graphenverwaltung und  der  Bundeskanzlei  vorgesehen. 

Portofrei  sind  auch  die  Geldsendungen,  die  an  eidgenössische  Behörden  gehen 
oder  von  denselben  versendet  werden,  sowie  Geldsendungen  an  Militärs  im  eidg. 
Dienst,  an  Arme  und  für  Arme,  wenn  von  kompetenter  Behörde  als  Armensache 
bezeichnet. 

Der  Bnndesrath  ist  außerdem  eimächtigt,  für  besondere  Zwecke  wohlthätiger 
oder  gemeinnütziger  Art  zeitweise  Portofreiheit  zu  gewähren. 

Im  Verkehr  mit  dem  Auüande  werden  nur  auf  den  Postdienst  bezügliche, 
von  Postverwaltungen  ausgehende  und  für  solche  bestimmte  Korrespondenzen 
portofrei  befordert. 

Vertpfige. 

Auf  keinem  Verwaltungsgebiete  wie  auf  demjenigen  der  Post  hat  eine  so 
große  Produktion  von  internationalen  Verträgen  stattgefunden.  Es  muß  indeß 
dem  in  der  Einleitung  erwähnten  Spezialwerk  überlassen  bleiben,  sich  tiefer  in 
die  Materie  einzulassen,  namentlich  in  Bezug  auf  die  Zeit  vor  1848.    Die  seit- 


Post  —     627      —  Post 

herige  Periode  kann  füglich  eingetheilt  werden  in  eine  Periode  der  internationalen 
Einzelverträge  (Vertragsabschlüsse  von  Land  za  Land)  und  in  eine  solche  der 
Weltpostverträge.  Letztere  Periode  nahm  ihren  Anfang  im  Jahre  1874  und  fiel 
somit  für  die  Schweiz  in  die  Zeit  des  großen  Fortschrittes,  den  ihr  die  revidirte 
Bundesverfassung  brachte. 

Der  erste  Weltpostvertrag,  d.  d.  Bern,  9.  Okt.  1874,  schuf  aus  22  Staaten,  unter 
welchen  auch  die  Schweiz,  ein  einziges  Postgebiet  („ Postverein ")  für  den  gegen- 
seitigen Austausch  von  Briefen,  Korrespondenzkarten,  Büchern,  Zeitungen,  Druck- 
sachen, Waarenproben  und  Greschäftspapieren.  Die  Porti  in  diesem  Vereinsverkehr 
wurden  einheitlich  gestaltet,  so  daß  die  frühere  Mannigfaltigkeit  und  Verschieden- 
heit der  Taxen  im  internationalen  Postaustausch  dahinfiel.  Die  Brieftaxe  wurde 
für  das  ganze  Vereinsgebiet  grundsätzlich  auf  25  Cts.  per  25  g  festgesetzt,  mit 
der  Bestimmung  jedoch,  daß  die  Vereinsländer  berechtigt  seien,  für  die  See- 
beforderung,  wenn  sie  innerhalb  des  Vereinslandes  300  Seemeilen  übersteige,  einen 
Zuschlag  bis  auf  die  Hälfte  der  einfachen  Brief frankatur  eintreten  zu  lassen.  (Die 
Schweiz  bezog  in  der  That  bis  1.  Juni  1883  für  derartige  Briefe  40  Cts.  per 
einfachen  Portosatz;  seitdem  ist  der  Zuschlag  fallen  gelassen  worden.)  Damit  war 
der  Grund  zu  einem  ungeheuren  Wachsthum  des  Vereins  gelegt  und  er  umfaßt 
daher  auch  jetzt,  anstatt  wie  anfänglich  nur  22  Staaten,  die  gesammte  zivilisirte 
und  halbzivilisirte  Welt.  Dementsprechend  ist  auch  der  Kreis  der  Vertragsmaterien 
erweitert  worden.  Es  wurden  im  Verlaufe  der  Zeit,  theils  für  alle,  theils  nur  für 
einen  Theil  der  Vereinsstaaten  verbindlich,  in  die  einheitliche  Begulirung  einbe- 
zogen der  Austausch  von  Werthbriefen,  von  Geldanweisungen,  von  Poststücken  bis 
b  kg,  von  Waarenmusterpaketen,  die  Besorgung  von  Einzugsmandaten,  die  Identitäts- 
nachweise (A.  S.  u.  F.  lU,  V,  VI,  IX). 

Eine  besondere  Stellung  erhielt  die  Schweiz  in  diesem  Postconcert  dadurch, 
daß  ihr  die  Ueber wachung  des  auf  ihrem  Gebiete  etablirten  internationalen  Post- 
bureau (die  gemeinsamen  Angelegenheiten  des  Weltpostvereins  vermittelndes 
Organ)  zufiel. 

Entwicklung  des  Schweiz.  Postyerkelirs  seit  1848. 

Folgende  Tabelle  zeigt,  wie  sich  das  sohweizerische  Postwesen  unter  der 
Leitung  des  Bundes  entwickelt  hat. 


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—     628     — 


Post 


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212 

482 

3,357 

916,911 

979,640 

973,079 

656,972 
750,488 
890,988 
1 10,846 
031,803 
166,422 
727,441 
•977.332 

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Post 


—     630     — 


Post 


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auf  koLi 

Schweiz 

.     .      13,4 

Großbritannien 

.     .      184 

Niederlande 

.     .      26,1 

Deutschland 

.      27,7 

Belgien  .... 

.     .      35,1 

Dänemark    . 

.     .      ol,2 

Italien    .... 

.     .      57,5 

Vers.   Briefe 

und     Korr.- 

Karten  per 

Einwohner 


Um  das  Bild  von  der  Bedeutnng  der  schweizerischen  Post  zu  vervollständigenf 
ist  es  nöthig,  zu  zeigen,  wie  sich  letztere  in  einigen  wesentlichen  Punkten  zu 
der  gleichen  Institution  anderer  Länder  verhält.  Zu  diesem  Vergleich  ziehen  wir 
nur  europäische  Länder  und  zwar  die  wirthschaftlich  entwickeltsten  herbei.  Die 
Daten  beziehen  sich  auf  das  Jahr  1887  und  stützen  ^ich  theils  auf  die  Statistik  des 
interaationalen  Postbureaus,  theils  auf  die  Statistik  der  Schweiz.  Postverwaltung. 

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28,3 
45,8 
18,1 
21,4 
16,1 
19,2 
6,6 
13,3 
15,1 


Oesterreich  (ohne Ungarn)      67,7 
Frankr.  m.  Algier  u.  Tunis    151,7 


Einnahmen 
p.  Einw. 

Ansgaben 
p.  Einw. 

Reingewinn 
p.  Einw. 

Fr. 

Fr. 

Fr. 

7.    19 

6.  67 

0.   52 

5.  85 

4.   — 

1.  85 

2.  82 

2.  18 

0.  64 

5.  70 

4.  90 

0.  80 

2.  60 

1.  65 

0   95 

3.  20 

3.  20 

1.  47 

1.  24 

0.  23 

3. 

2.  50 

0.  50 

4.  22 

3.  28 

0.  94 

Haftpflicht  der  Postverwaltung. 

Gemäß  Postregal  vom  2.  Juni  1849  haftet  die  Postverwaltung  für  den 
Verlust  und  die  Beschädigung  der  ihr  mit  Werthangabe  anvertrauten  Gegenstände, 
ebenso  für  die  ihren  Eeisenden  zustoßenden  Postunfälle,  ferner  bis  zum  Betrage 
von  50  Fr.  für  den  Verlust  eines  rekommandirten  Briefes,  theilweise  für  den 
Abgang  von  Reisendengepäck  und  von  Sendungen  ohne  Werthangabe,  ganz  oder 
theilweise  für  Nachnahmen  und  Einzugsmandate.  Für  die  Verspätung  von  ein- 
geschriebenen Postgegenständen  und  gerichtlichen  Akt«n  bestehen  ebenfalls  Ent- 
schädigungöbestimmungen.  Für  das  Postpersonal  besteht  seit  1.  Jan.  1877  eine 
Unfallkasse,  gemäß  Unfallverordnung  vom  29.  Sept.  1876  (ersetzt  durch  Ver» 
Ordnung  vom  30.  Dez.  1881;  vide  A.  S;  n.  F.  5,  p.  920  und  IX,  27)  und  in 
Erwartung  eines  diese  Materie  ordnenden  Bundeshaftpflichtgesetzes. 

Die  auf  Grund  der  bisherigen  Haftpflichten  der  Postverwaliung  von  letzterer 
ausbezahlten  Entschädigungen  sind,  soweit  die  Verwaltung  darUber  Statistik  ge- 
führt hat,  in  folgender  Tabelle  verzeichnet: 

An  oder  {Wr  Heisende     .„   ^,^.   ^.  ri/^„-#..^-»^..-i    Für  Verluste,   BeschAdi- 

in  FO.K.  T».|t,.nK  o.     ^„»„^''J.r  "'voriSn^n     «^"^  ,?•  y^T"""«  ^'" 
kOrperl.    \orletzung.  '*  «ugcj»  Postsendtmgtn 

Fr.  Fr.  Fr.  Fr. 


Jahr 


Total 


1871 
187^ 
1873 
187i 
1875 
1876 
1877 
1878 
1879 
1880 
1881 
1882 
1883 
1884 
1885 
1880 
1K87 
1888 


20,015.  — 

1,277.  25 

1,971.  70 

14,550.  25 

0,751.  35 

8,937.  06 

2,02().  — 

9,152.  00 

3,510.  — 

4,191.  — 

9,912.  10 

5,797.  15 

9,003.  .50 

018.  05 

497.  70 

3.088.  90 

220.  50 

2,482.  80 


5000.— 


1,300.  — 

n22.  — 

1,328.  43 

1,104.  — 

870.  - 

4,480.  30 

4,090.  70 

2,449.  59 

5,239.  20 

0,992.  90 

7,970.  00 

10,290.  20 


21,521.  75 

8,521.44 

17,113.  03 

08,505.  13 

20,877.  75 

15,105.  13 

13,12.5.05 

25,897.  90 

23,035.  02 

17,935.  53 

15,228.  58 

1,791.  98 

11,942.35 

4,811.  74 

2,775.  55 

12,420.  90 

6,535.  30 

10.991.  22 


Fr. 

41,536.  75 
9,798.  69 
19,085.  33 
83,121.38 
27,629.  10 
24,042.  19 
16,451.  05 
35,872.  50 
27,879.  45 
23,230.  53 
20,016.  68 
12,075.  43 
25,696.  55 
7,879.  98 
8,512.  45 
22,502.  70 
14,726.  4o 
28,770.  22 


Postsparkassen  —     631      —  Eh-eßbefefabriken 

Postsparkassen«  Die  Anregung  zur  EinfUbrung  der  P.  in  der  Schweiz  ist 
von  Herrn  Nationalrath  Morel  (Neuenburg)  ausgegangen,  indem  derselbe  im  De- 
zember 1880  im  Nationalrathe  folgende  Motion  stellte : 

„Der  Bundesrath  ist  eingeladen,  Bericht  zu  erstatten  über  den  Nutzen,  welcher 
dem  Schweizervolke  aus  der  Einrichtung  einer  Bundessparkasse,  welcbe  sanimt- 
liche  Postbureaux  zu  Filialen  hätte,  oder  aas  der  Einhlhrung  irgend  eines  andern 
Systems,  welches  die  Postbureaux  dem  Publikum  zum  Zwecke  von  Sparkassen- 
Einlagen  zugänglich  machte,  erwachsen  würde**. 
Die  Motion  wurde  am  11.  Juni  1881  erheblich  erklärt  und  der  Bundesrath 

beauftragte  in  der  Folge  den  Motionsateller,  sowie  den  Sekretär  des  eidg.  Finanz- 
departementes, Herni  Schneider,  die  Postjsparkasseneinrichtungen  Belgiens  (seit 
1865  bestehend)  zu  studiren  und  darüber  einen  Bericht  zu  verfassen.  Zu  dem  m 
Zwecke  verfügten  sich  die  genannten  Herren  im  September  1886  nach  Brüssel. 
Ihren  Bericht  erstatteten  sie  am  16.  Febr.  1887.  Das  eidg.  Finanzdepartement 
will  seinen  Antrag  in  Sachen  erst  vor  die  eidg.  Räthe  bringen,  nachdem  das  zur 
2ieit  (Mitte  1889)  im  Entwürfe  liegende  neue  Banknotengesetz  zur  Reife  gediehen 
sein  wird.  Außer  in  Belgien  besteht  die  Institntion  der  Postsparkassen  auch  in 
England  seit  1861/62,  in  Italien  seit  1875/7(),  in  Holland  seit  1880,  in  Frank- 
reich seit  1881,  in  Oesterreich,  Japan  und  in  einigen  englischen  Kolonien.  (Vgl. 
die  Schrift  Morels   „Die  Postsparkassen".  Bern,  Dalp'sche  Buchhandlung,   1882.) 

Postzolldienst.  Nur  36  Postbureaux  sind  mit  der  Verzollung  von  Post- 
gegenständen betraut,  nämlich:  Im  1.  ZolUftbiet  Aarau,  Basel,  Luzern  und 
Pruntrut,  Im  2.  Zollfftbiei  Dießenhofen,  Kreuzungen,  Romanshorn,  SchafFhansen, 
Winterthur  und  Zürich.  Im  3.  Zollf/ebiet  Au,  Buchs,  Campocologno,  Castasegna, 
Chur,  Martinsbruck,  Puschlav,  Rorschach,  Rheineck,  Samaden,  Samnaun,  St.  Gallen, 
St.  Margarethen,  St.  Moritz-Bad,  St.  Moritz- Dorf,  Schuls,  Splügen,  Vicosoprano. 
Im  4.  Zoll(febiet  Chiasso  und  Luino.  Im  5.  Zollf/ebiet  Chaux-de-Fonds,  Lausanne 
und  Neuchätel.    Im  6.  Zollf/ebiet  Bouveret,  Genf- Bahnhof  und  Genf-Stadt. 

Zollfrei  sind  die  Gegenstände,  für  welche  der  Zollbetrag  5  Cts.  nicht  über- 
steigen würde,  ferner  bei  der  Einfahr  alle  Poststücke  von  nicht  mehr  als  Ya  kg, 
bei  der  Ausfuhr  diejenigen  unter  25  kg  Gewicht.  Von  der  ersteren  Zollausnahme 
profitiren  namentlich  ühren,  Bijouterien  und  Uhrensteine.  Es  ist  vom  Schweiz, 
handelsstatistiöchen  Bureau  berechnet  worden,  daß  der  zollfreie  Post  verkehr  über 
Basel  allein  eine  Werthsumme  von  1' 500,000  Fr.  jährlich  involvire.  An  Be- 
deutung folgt  Genf,  über  welches  viele  Postsendungen  mit  Seide  zum  Färben  nach 
Lyon  gehen.  Insgesammt  wird  der  zollfreie  Postverkehr  auf  5  Millionen  Franken 
veranschlagt.  Die  Postzolleinnahmen  beliefen  sich  1885—88  jährlich  auf  805,000 
bis  985,000  Fr. 

Poult    de    soie  bildet  eine  Spezialität  der  zürch.  Seiden waarenfabrikation. 

Präzisionsinstrumente.  Die  Fabrikation  physikalischer  Präzisionsinstru- 
mente hat  in  der  Schweiz  in  den  letzten  Jahrzehnten  bedeutende  Ausdehnung 
erlangt.  Sie  vermag  nicht  bloß  den  inländischen  Bedarf  zu  decken,  sondern 
exportirt  noch  in  beträchtlichem  Maße.  Von  ca.  60  Firmen  sind  dem  Fabrikgesetz 
Ende  1888  3   Etabl.  (2  Schaifhausen,   1   Genf)  unterstellt. 

Pratteln-Sehweizerhalle  s.  Centralbahn. 

Preise  der  Lebensmittel.  Eine  dem  Lexikon  zugesagte  Arbeit  ist  nicht 
eingetrotFen.  Eine  ausführliche  Bearbeitung  der  Materie  steht  auf  dem  Arbeits- 
programm des  eidg.  statistischen  Bureau. 

Presse  s.  Zeitungen  und  Zeitschriften. 

Presshefefabriken.  Dem  eidg.  Fabrikgesetz  sind  (Juni  1889)  3  Etabl. 
unterstellt:  Außersihl,  Angenstein  und  Laufen  (Kt.  Bern). 


Printaniferes  —     632      —  Pulver 

Printanieres.  Aas  gefärbtem  Garn  dreischäftig  (croisirt)  in  mannigfaltigen 
Farben  gewobene  Baumwollgewebe,  die  arsprünglicb  vermutblich  eine  Nacb- 
abmung  bedruckter  Artikel  waren.  Die  Fabrikation  derselben  kam  im  Anfang 
dieses  Jahrhunderts  im  Toggenburg  (St.  Grallen)  auf  und  entwickelte  sich  später, 
nach  Einführung  des  Jacquardstahles,  der  eine  mannigfaltigere  Musterung  ge- 
stattete, zu  großem  Umfang  für  den  Export  nach  der  Levante,  als  billige  Imi- 
tation der  halbseidenen  Gewebe  der  Orientalen. 

Pruntrutergeschirr.  Dasselbe  wird  in  Bonfol  (Berner  Jura)  gemacht,  wo 
sich  hiefür  seit  langer  Zeit  eine  ziemlich  ausgedehnte  Klein industrie  gebildet  bat. 
Trotz  äußeret  primitiver  Einrichtungen  (gemeinsame  Oefen,  die  in  bestimmtem 
Turnus  benutzt  werden  etc.)  und  trotz  nur  einmaligem  Brennen  ist  das  Pruntruter- 
geschirr  für  gewisse  Zwecke  ohne  jede  Konkurrenz.  Die  vorzügliche  Thonerde 
ermöglicht  die  Erstellung  eines  für  gewöhnliche  Kochzwecke  äußerst  feuerfesten 
Geschirrs. 

Pulver.  (Mitgeth.  vom  eidg.  Pulververwalter,  Herrn  Welti.)  1)  Gesetze 
und  Verordnungen.  Das  Bundesgesete  vom  23.30.  April  1849  erklärt 
Fabrikation,  Verkauf  und  Einfuhr  des  Pulvers  als  ausschließlichen  Recht  der 
Eidgenossenschaft,  regelt  den  Pulverhandel,  bezeichnet  die  Strafen  für  Zuwider- 
handlungen und  bestellt  zur  Leitung  des  Regales  einen  Palververwalter. 

Durch  bundesräthliche  VoUziehungsverordnung  vom  7.  Mai  1849  wurde  die 
Aufhiebt  über  das  Pulverregal  dem  eidgenössischen  Finanzdepartement  tiberwiesen. 
Zur  unmittelbaren  Leitung  der  Fabrikation  und  des  Verkaufs  waren  dem  Pulvcr- 
verwalter  Magaziuverwalter  beigegeben,  deren  Obliegenheiten  hauptsächlich  be- 
standen iu  der  Prüfung,  Magazinirung  und  dem  Verkaufe  des  Pulvers,  sowie  der 
daherigen  Rechnungsstellung.  Femer  wurden  die  Erfordernisse  zur  ßrlangnng 
der  Pulververkaufspatente  und  die  Provisionen  an  die  Verkäufer  festgesetzt. 

Die  bundesräthliche  Verordnung  vom  9.  Juli  1849  über  den  Verkauf  des 
Schießpulvers  schreibt  für  die  ganze  Schweiz  die  gleichen  Pulverpreise  vor.  Für 
die  Kantonsregierungen,  welche  das  Pulver  direkt  aus  den  eidgenössischen  Maga- 
zinen beziehen,  wird  ein  ermäßigter  Preis  bewilligt. 

Den  Pulverpreis  betretfen  ferner  die  bundesräthlichen  Verordnungen  vom 
9.  Dezember  1851,  23.  Juni  1856,  23.  Januar  1857,  29.  September  1865, 
19.  Oktober  1872  und  23.  August  1877.  Gegenwärtig  (1889)  beträgt  der  Ver- 
kaufspreis des  an  Private  abzugebenden  Pulvers  per  kg  offen  je  nach  der  Nr. 
Fr.  1.  60,  2.  60,  2.  80  (Sprengsatz  80  Cts.  per  kg). 

Durch  weitere  Verordnung  des  Bundesrathes  vom  5.  Juni  1850  wurden 
die  Besoldungen  der  Magazinverwalter  und  die  Provisionen  der  Pulver  Verkäufer 
neu  regulirt. 

Das  Bundesgeseiz  vom  30.  Juni  1850  über  die  Reorganisation  der  Pulver- 
verwaltung erweiterte  diese  durch  die  Anstellung  eines  Adjunkten  des  Pulver- 
verwalters, eines  dem  Militärdepartement  unterstellten  Pulverkontroleurs  und  eines 
weitern  Magazin-  respektive  Bezirksverwalters,  welchem  die  dem  Pulververwalter 
bis  dahin  direkt  unterstellten  Pulvermühlen  und  der  zugehörige  Pulververkauf 
übertragen  wurde.  Die  vordem  theilweise  auf  ProviBionen  angewiesenen  Magazin - 
Verwalter  erhielten  nun  als  Bezirksverwalter  fixe  Besoldungen. 

Die  bezügliche    Voll  Ziehung;^  Verordnung  des  Bundesrathes  vom   17.  Christ 
monat   1858  bestimmte  die  Obliegenheiten  und  Kompetenzen  sämmtlicher  Beamten 
und  Angestellten. 

Der  Bundesraihsbeschluß  vom  26.  Weinmonat  1862  über  die  Abänderung 
der  Organisation  der  Pulververwaltung  beseitigte  die  bisher  im  Akkord  betriebene 


Pulver  —      633      —  Pulver 

Palverfabrikation  durch  die  Einführung  des  Regiebetriebes  und  enthielt  die  dies- 
falls nöthig  werdenden  Organisationsvorschriften,  welche  ergänzt  wurden  durch 
die  Verordnung  vom  23.  Weinmonat  1863  betreffend  die  nähere  Einrichtung 
nnd  die  Geschäftsführung  der  Pulver  Verwaltung. 

Durch  das  Bundesgeseiz  vom  26.  Heumonat  1873  wurde  der  Begriff  des 
Palverregals  in  der  Weise  eingeschränkt ,  daß  Explosivstoffe ,  welche  zum 
Schießen  untauglich  sind,  nicht  unter  das  Regalgesetz  fallen. 

Die  Verordnung  vom  14.  Juli  1885  über  die  Einrichtung  und  Geschäfts- 
führung der  Pul  verver  waltung  ändert  die  Kompetenzen  und  Besoldungen  einzelner 
Beamten  und  Angestellten,  sowie  die  Löhnungen  der  Pulvermühle- Arbeiter. 

Durch  das  Bundesgesetz  vom  8.  Juli  1887  betreffend  die  Neuorganisation 
des  Bundesrathes  ist  das  Pulverregal  dem  Militärdepartement  unterstellt  worden. 

2)  Pulvermühlen.  Von  den  kantonalen  und  Privat-Pulvermühlen,  welche 
in  Folge  der  Einführung  des  Pulverregals  von  der  Eidgenossenschaft  übernommen 
oder  abgelöst  werden  mußten,  wurden  acht  beibehalten,  nämlich  diejenige  von 
Echandens  (später  nach  Aubonne  verlegt),  Langnau,  Thun,  Worblaufen,  Kriens, 
Altstetten  bei  Zürich,  Goßau  (St.  Gallen)  und  Chur.  Diese  Mühlen  waren 
sämmtlich  nach  dem  System  der  Stampfwerke  eingerichtet  und  hatten  eine  jähr- 
liche Leistungsfähigkeit  von  je  zirka  50,000  bis  60,000  kg  Pulver.  Um  ein 
möglichst  einheitliches  Fabrikationsverfahren  zu  erreichen,  wurde  auf  die  successive 
Reduktion  der  acht  Mühlen  auf  drei  Werke  Bedacht  genommen.  Im  Jahre  1861 
wurde  die  Mühle  zu  Altätetten,  die  überdies  wegen  ungenügender  Betriebskraft 
zur  Winterszeit  nicht  arbeiten  konnte,  aufgehoben ;  es  folgten  Langnau  und  Thun 
1864,  Goßau  1873,  Kriens  1885.  Die  drei  noch  bestehenden  Fabriken  zu 
Aubonne,  Worblaufen  und  Chur  wurden  inzwischen  nicht  nur  der  quantitativen 
Leistungsfähigkeit  entsprechend  erweitert,  sondern  auch  in  Betreff  der  Einrich- 
tungen von  Grund  aus  umgeändert.  Die  alte  Methode  der  Eohlenbereitung  in 
offenen  Kesseln  wurde  durch  die  Destillation  des  Holzes  in  geschlossenen  Cylindern 
ersetzt  und  an  die  Stelle  der  Stampf  werke  traten  zur  Bearbeitung  des  Pulver- 
satzes die  Meugetonneu  und  die  schweren  Läuferwerke. 

3)  Material.  Die  Materialien  zur  Pulverfabrikation  müssen  mit  Ausnahme 
des  Holzes  vom  Auslande  bezogen  werden.  Bis  1868  wurde  ein  verhältnißmäßig 
großer  Antheil  des  Salpeterbedarfes  von  inländischen  Produzenten  geliefert.  Es 
war  dies  Rohsalpeter,  der  in  den  eidgenössischen  Rafiinerien  zu  Bern,  Luzern 
und  Goßau  nebst  ostindischem  Rohsalpeter  rafiinirt  wurde.  Seit  der  Entdeckung 
der  Staßfurter  Kalisalze  wird  der  meiste  Kalisalpeter  durch  Zersetzung  des 
Salpetersäuren  Natrons  (Chilisalpeters)  durch  Chlorkalium  hergestellt  und  zwar 
zu  so  billigem  Preise,  daß  das  Rafüniren  des  natürlichen  Kalirohsalpeters,  weil 
kostspieliger,  aufgegeben  werden  mußte.  Ein  Versuch,  die  künstliche  Salpeter- 
fabrikation auch  in  unser n  Raffinerien  einzuführen ,  scheiterte  an  den  hohen 
Frachten  und  Eingang^zÖlIen  und  dem  Umstände,  daß  bei  der  Umsetzung  der 
genannten  Salze  außer  Kalisalpeter  in  großer  Menge  als  Nebenprodukt  auch 
Kochsalz  entsteht,  dessen  Verkauf  des  kantonalen  Salzregales  wegen  unthunlich 
war.  Die  letzte  Salpeterraffinerie  am  Saudrain  bei  Bern  wurde  1869  aufgehoben 
und  es  wird  der  Kalisalpeter  seither  in  raffinirtem  Zustande  vom  Auslande  bezogen. 

Zur  Bereitung  der  Pulverkohlen  wurde  früher  ausschließlich  Haselholz 
gebraucht.  Seit  einer  Reihe  von  Jahren  wird  statt  dieser  Holzart  da^  weichere 
Faulbaum-  und  Erlenholz  verwendet  und  zwar  in  geschälten  Stäben  von  höchstens 
4  cm  Dicke.  Die  Verwaltung  bezahlt  dafür  9  Fr.  für  100  kg  franko  auf  die 
dem  Lieferanten  nächstliegende  Eisenbahnstariou  geliefert. 


Pulver  —     634     —  Pulver 

Der  Schwefel  wird  in  reinem  Zustande  und  fein  gemahlen  aus  den  italieni- 
sehen  Raffinerien  bezogen.  Das  Pulverisiren  wurde  aufgegeben,  nachdem  durch 
wiederholte  elektrische  Entladungen  der  Mahltonnen  sich  ergeben  hatte,  daß  diene 
Operation  in  den   Pulvermühlen  nicht  ohne  Gefahr  ausgeführt  werden  kann. 

4)  Organisation  der  Fabrikation  und  des  Verkaufs  vgn 
Pulver.  Von  1849  bis  1862  wurde  die  Pulverfabrikation  von  patentirten  Pulver- 
müllern in  Akkord  betrieben.  Das  Material  lieferte  ihnen  die  Verwaltung,  mit 
Ausnahme  des  Kohlenholzes,  welches  sie  selbst  zu  beschatten  und  stets  in  einer 
für  zwei  Jahre  hinreichenden  Menge  vorräthig  zu  halten  hatten.  Das  erforderliche 
Arbciterpersonal  stellten  die  Pulvermüller  in  ihren  Kosten  an.  Als  Bezahlung 
erhielten  sie  für  50  kg  vom  Magazin  Verwalter  (von  1859  an  auch  vom  Pulver- 
kontroleur)  als  gut  deklarirtes  Pulver  10  Fr. ;  schlechtes  Fabrikat  hatten  sie 
auf  eigene  Kosten  umzuarbeiten,  wogegen  ihnen  sowohl  als  den  Arbeitern  fllr 
besonders  gute  Leistungen  Extravergütungen  ausgerichtet  wurden.  Dieses  Ver- 
hältniß  änderte  sich  mit  dem  Uebergange  zum  Regiebetrieb  im  Jahre  1863. 
An  die  Stelle  der  am  finanziellen  Erträgniß  persönlich  betheiligten  Pulvermüller 
traten  fix  besoldete  Contremaitres  und  ein  von  der  Verwaltung  bezahltes  Arbeiter- 
personal.  Die  Lieferung  des  sämmtlichen  Fabrikationsmaterials  Übernahm  die 
Verwaltung,  ebenso  den  Unterhalt  der  Gebäude  und  Apparate,  der  vorher  in 
gewissen  Fällen  den  Pulvermüllern  oblag.  Die  Leitung  und  Beaufsichtigung  der 
Pulverfabrikation  steht  seither  direkt  unter  den  Bezirksverwaltern,  deren  Obliegen- 
heiten bis  dahin  mehr  den  Pulverhandel  als  die  Fabrikation  betrafen.  Für  den 
Palververkauf  war  das  Gebiet  der  Kidgenossenschaft  anfangs  in  sechs  Bezirke 
eingetheilt  mit  je  wenigstens  einer  Pulvermühle  als  ungefähren  Mittelpunkt.  An 
der  Spitze  von  fünf  Bezirken  standen  Magazin  Verwalter,  denen  für  die  Lagerung 
und  Spedition  des  Pulvers  je  ein  Magazinwärter  beigegeben  war.  Der  zweite 
Bezirk  umfaßte  drei  Pulvermühlen  und  stand  unter  der  direkten  Leitung  de* 
Pulververwalters.  Anläßlich  der  lleorganisation  vom  Jahre  1858  erhielt  auch 
dieser  Bezirk  eine  eigene  Verwaltung  Mit  der  allmäligen  Konzentration  der 
Pulverfabrikiition  auf  drei  Mühlen  trat  eine  Reduktion  der  Bezirke  ein,  so  zwar, 
daß  die  Magazine  der  aufgehobenen  Mühlen  zu  Kriens,  Altstetten  und  Goßau 
bestehen  blieben  und  andern  Verwaltungen  zugetheilt  wurden.  Der  Pulverhandel 
des  III.  und  IV.  Bezirks  (ehemals  Luzern  und  Altstetten)  wird  zur  Zeit  unter 
Mitwirkung  eines  Magazin  Wärters  zu  Luzern  von  der  Zentralverwaltung  in  Bern, 
derjenige  des  ehemaligen  V.  Bezirks  von  der  Verwaltung  des  nunmehrigen 
IV.  Bezirks  in  Chur  besorgt.  Die  Verwaltungen  des  I.  und  II.  Bezirks  befinden 
sich  in   Aubonne  und   Worblaufen. 

5)  Resultate.  Die  Leistungen  des  Pulverregals  in  Bezug  auf  Fabrikation 
und  Absatz  der  Produkte,  sowie  die  Nettoerträgnipse  seit  1850  ergeben  sich 
aus  der  mitfolgenden  Zusammenstellung,  aus  welcher  ferner  ersichtlich  ist,  daß 
der  Bedarf  an  Pulver  zur  Zeit  der  großen  Eisenbahnbauten  so  bedeutend  war, 
daß  die  eigene  Produktion  demselben  nicht  zu  genügen  vermochte.  Seither  ist 
der  jährliche  Bedarf  auf  dem  normalen  Betrag  von  iJ 50,000  bis  400,000  kg 
stehen  geblieben. 

Einfuhr  Verkauf  N«tto-Ertr»g 

kjc  kff  Fr. 

—  14i,411  10,840 

—  153,2(>J  61,789 

—  143,095  85,773 
30,0(K)  197,093  98,646 
61,303  -219,837  86,338 
7r,,460  tJ93.4s5  135,915 


Jahr 

Fabrikatiou 

kyr 

1850 

151,396 

1851 

144,725 

1852 

160,141 

1853 

154,767 

1854 

172,900 

1855 

200.0.55 

Pulver  —     635     —  Pulver 


Jahr 

Fabrikation 

Einfuhr 

Verkauf 

NtttO'Ertrag 

V  wut 

kg 

kK 

kK 

Fr. 

1856 

332,273 

57,519 

376,539 

138,640 

1857 

345,052 

187,955 

439,162 

54,458 

1858 

353,910 

206,447 

562,420 

238,211 

1859 

323,208 

339,814 

495,632 

169,579 

1860 

319,787 

86,075 

393,010 

96,908 

1861 

428,476 

370,805 

124,027 

1862 

410,872 

158 

302,616 

111,900 

1863 

249,178 

— 

347,525 

105,985 

1864 

264,574 

— 

333,107 

127,700 

1865 

293,570 

— 

285,709 

43,426 

1866 

299,963 

— 

575.505 

92,666 

1867 

290,619 

263,881 

105,251 

1868 

292,570 

306.222 

100,550 

1869 

311,726 

289.590 

109,495 

1870 

246,164 

331,690 

115,592 

1871 

245,474 

— 

338,578 

101,915 

187-2 

314,054 

239,000 

434,710 

154,902 

1873 

322,463 

373,000 

583,521 

92,503 

1874 

363,002 

313,500 

866,558 

140,814 

1875 

546,303 

305,873 

701,646 

155,411 

1876 

538,293 

70,000 

615,059 

151,765 

1877 

437,447 

— 

404,296 

94,942 

1878 

291,338 

— 

358,876 

97,884 

1879 

340,258 

— 

365,ai.4 

78,790 

1880 

358,937 

— 

444,H84 

138,975 

1881 

393,039 

— 

410,725 

148,oi07 

1882 

429,448 

— 

310,360 

88,738 

1883 

440,135 

— 

324,850 

87,425 

1884 

428,118 

350,186 

88,002 

1885 

372,3 13  . 

— 

378,399 

125,439 

1886 

340,036 

363,167 

151,310 

1887 

415,436 

421,401 

134,891 

1888 

393,135 

— 

417,756 

165,905 

6)  Wiederverkänfer.  Diese  bedürfen  eines  Patentes.  Um  ein  Rolche» 
zu  erlangen,  muß  das  bezügliche  Begehren  an  die  zuständige  Kantonsregierung 
gerichtet  werden,  welche  es  nebst  Bemerkungen  über  die  Requisite  des  Petenten 
der  eidgenössischen  Behörde  übermittelt.  Die  Zahl  der  Wiederverkäufer  beträgt 
(Sept.  1888)  282,  d.  i.  im  Kt.  Aargau  14,  Appenzell  A.-Rh.  6,  Appenzell  L-Rh.  2, 
Baselland  5,  Baselstadt  2,  Bern  50,  Freiburg  6,  Genf  10,  Glarus  6,  Grau- 
bünden 26,  Luzern  10,  Neuenburg  10,  Nidwaiden  3,  Obwalden  2,  St.  Gallen  22, 
Schaffhausen  4,  Schwj^  (>,  Solothurn  6,  Tessin  20,  Thurgau  7,  Uri  2,  Waadt  27, 
Wallis  9,  Zürich  26,  Zug   1. 

7)  Zündkapseln  und  Patronenhülsen.  ■  Unter  Leitung  des  Pulver- 
verwalters stand  seit  1849  auch  die  eidg.  Zündkapseifa  brik.  Gegründet  1841 
zu  Deißwyl  bei  Bern,  wurde  die  Fabrik  im  Jahre  1054  in  einen  Neubau  nach 
Eönitz  verlegt.  Die  Betriebskraft  lieferte  der  Sulgenbach.  Ihre  quantitative 
Leistungsfähigkeit  war  längere  Zeit  ungenügend,  so  daß,  um  dem  Bedarfe  Genüge 
zu  leisten,  zu  wiederholten  Malen  Zündkapseln  vom  Auslande  bezogen  werden 
mußten.  Nach  entsprechender  Erweiterung  der  Einrichtungen  im  Jahre  1862 
war  die  Produktion  in  der  Folge  ausreichend.  Die  größte  Jahresproduktion  betrug 
10^500,000  Stück  Zündkapseln,  das  höchste  Erträgniß   10,416  Fr. 

Mit  der  Einführung  der  Hinterladungswatfen  im  »Tahre  1867  erreichte  die 
Zttndkapselfabrikation  ihr  Ende  und  es  trat  an  deren  Stelle  die  Anfertigung  der 
metallenen  Patronenhülsen.  Da  Erfahrungen  und  Spezialm  aschinen  zur  Herstellung 
solcher  Hülsen  vorerst  nicht  zu  Gebote  standen,  wurde  getrachtet,  die  vorhandenen 


Pidver  —      636     —  Räthe 

Apparate  zu  diesem  Zwecke  umzuändern.  Es  gelang  dies  mit  den  Prägmaschinen, 
während  die  Hülfsapparate,  theilweise  vom  Pei*sonal  der  Fabrik,  neu  angefertigt 
wurden.  Die  Hülsenfabrikation  stand  in  vollem  Betriebe,  als  deren  Leitung  im 
Jahre  1869  an  die  Verwaltung  des  eidgen.  Kriegsmaterials  überging.  Seither  ibt 
die  Fabrik  eingegangen  ;  die  Gebäulichkeiten  dienen  gegenwärtig  der  Telegraphen- 
Verwaltung  als  Materialdepot. 

Pumpwerkfabriken.  6  Firmen  (5  Genf.  1  Zürich)  im  Handelsregister. 

PutzfadeDwascherei.  ö  Firmen  in  den  Kantonen  Zürich,  Glarus,  Thnrgau. 

Putzmacherei«  Diesem  über  die  ganze  Schweiz  verbreiteten  Erwerbszweig 
lagen  im  Jahre  1880  3370  Personen  ob  =  0,26  ^/o  aller  Erwerbsthätigen  oder 
0,6  ^/o  der  Gruppe  Industrie.  Die  Blumenmacherei  mit  336  Personen  ist  hievor 
nicht  inbegriffen. 

Putzpulverfabrikt.     3  Firmen:  Rheinfelden,  Chaux-de-Fonds,  Frauenfeld. 

Pyrit  (zur  Schwefelsäurefabrikation  dienend)  kommt  vereinzelt  im  Wallis 
(Val  de  Terr6),  im  Jura  und  im  Tessin  vor,  ist  aber  zu  wenig  schwefelreich 
um  mit  dem  südspanischen  und  französischen  Pyrit  konkurriren  su  können. 
Schweizerischer  Bedarf  jährlich  3000—3500  t. 

Pyrotechnische  Präparate  (Feuerwerkerartikel)  werden  in  3  größeren 
Laboratorien  (Bauen  bei  Isleten,  Emmishofen,  Oberried  am  Brienzer  See)  und  in 
ca.  10  kleineren  Geschäften  hergestellt.  Einfuhr  und  Ausfuhr  gering.  Der  Ge- 
schäftszweig ist  hauptsächlich  von  den  Festlichkeiten  abhängig.  Jährliche  Pro- 
duktion-durchschnittlich Fr.  100,000—120,000. 

Quarzsand:  Fundorte  sind  Bellelay,  Fuet,  Montier  und  Souboz,  sämmtliche 
Ortschaften  im  Kt.  Bern. 

Quincaillerie  s.  Kurzwaaren. 

Räthe,  gesetzgebende  der  Eidgenosselischaft.  (Für  die  Zeit  vor 
1848  mitgetheilt  von  Herrn  Dr.  Strickler  in  Bern.)  Der  Natur  der  alten 
Eidgenossenschaft  gemäß  hatte  diese  keine  Räthe  in  unserem  Sinne,  sondern  nur 
Boteriy  Gesandte  der  „Orte'*  (Stände,  Kantone,  Bundesglieder  etc.) ;  ganz  ebenso 
war  es  ja  im  Alterthum  bei  ähnlichen  Staatskörpern  gewesen,  und  ganz  das 
Gleiche  finden  wir  im  Mittelalter  bei  den  mannigfaltigsten  Bünden  von  Städten 
oder  anderen  Ständen,  ja  selbst  bis  in  unsere  Zeit  hinein.  Man  kann  dabei  be- 
tonen, daß  es  die  Ohrufkeiten  waren,  die  solche  Boten  wählten  und  versandten ; 
daß  die  vornehmsten  oder  einflußreichsten,  gelegentlich  aber  auch  die  mit  einer 
schwebenden  Frage  am  besten  vertrauten  Mitglieder  der  Stadt-  oder  Landräthe 
verwendet  zu  werden  pflegten,  und  daß  hierin  einige  Abwechslung  sichtbar  ist, 
die  freilich  nicht  durchwegs  erklärt  werden  kann;  daß  die  Obrigkeit  dem  oder 
den  Boten  eine  Instruktion^  bisweilen  eine  mehr  oder  weniger  bedingte  Vollmacht 
mitgab,  zuerst  wohl  nur  mündlich,  aber  mehr  und  mehr  auch  schriftlich,  daß 
endlich  sie  den  Boten  bezalille  resp.  ihm  die  Kosten  vergütete,  was  sich  in 
jedem  „Ort-*  nach  einem  gewissen  Maßstab  richtete.  Die  Reise  war  ein  JRitt; 
in  einzelnen  Städten  erhielt  der  Bote  das  uöthige  Pferd  aus  einem  öffentlichen 
Marstall;  auch  die  etwa  erforderliche  Begleitschaft  wurde  aus  öffentlichen  Mitteln 
freigehalten.  In  älterer  Zeit  schickte  jeder  Ort  in  der  Regel  einen  Boten;  die 
Obrigkeit  des  Ortes,  wo  „der  Tag  geleistet *",  d.  h.  die  Zusammenkunft  gehalten 
wurde,  ließ  sich  aber  oft  stärker  vertreten. 

Die  Namen  der  bisher  ermittelten  Gesandten  verzeichnen  die  eidgenössischen 
^»Abschiede**.  Zur  Erklärung  der  folgenden  Daten  muß  bemerkt  werden,  daß  die 
2^hl  der  ^Tage''  in  älterer  Zeit,  besonders  vor  1415  und  noch  lange  nachher, 
nicht    tixirt    war;    man    trat    eben    zusammen,   wie    und    wo    es    die    Umstände 


I 


Räthe  —      637     —  Rüth& 

erforderten,  da  sich  nicht  alles  durch  Eorre8iK)ndenz  erledigen  ließ;  aach  ver- 
bandelten oft  nur  zwei,  drei  oder  vier  Orte  in  ihren  besonderen  Angelegenheiten 
miteinander.  Die  Sitzungen  dauerten  in  manchen  Fällen  kaum  einen  halben  Tag} 
in  schwierigen  Geschäften  aber,  besonders  wenn  Gresandte  von  auswärtigen  Mächten 
widersprechende  Anträge  stellten,  oder  wenn  ernste  Zerwürfnisse  vorlagen,  dehnte 
sich  die  Verhandlung  auf  mehrere  Tage  aus.  Seit  1415,  d.  h.  seit  der  ersten 
Errichtung  gemeiner  Vogteien  (Baden,  dann  Freiämter  etc.)  mehrten  sich  die  Geschäfte 
bedeutend,  da  die  Amtsführung  der  Vögte  geprüft  und  mancherlei  Streitsachen 
entschieden  werden  mußten;  es  wurde  daher  für  die  betheiligten  Orte  alljährlich 
eine  „ Jahrrechnung "  gehalten,  womit  dieselben  gerne  auch  andere  Dinge  ver- 
banden. Daß  sodann  Kriegszeiten  häufige  Berathungen  erforderten,  ist  selbstver- 
ständlich. So  finden  wir  in  der  Periode  von  1421  — 1477  (Bd.  II  der  Abschiede) 
einzelne  Jahre  mit  19 — 21  eidgen.  Tagen  besetzt,  das  Jahr  1477  zählt  deren 
sogar  60.  Als  Sitzungsorte  waren  bevorzugt  Baden,  Bern,  Zürich  und  besonders 
Luzern.  Was  die  Zahl  der  Boten  betrifft,  die  ein  bestimmter  Ort  in  der  genannten 
Periode  neben-  oder  nacheinander  verwendete,  so  ergibt  die  Zählung  für  Zürich  58 
Personen,  Bern  53,  Luzern  52,  üri  36,  Schwyz  42,  Glarus  44  u.  s.  w.  Von 
den  Genannten  erscheinen  die  Meisten  selten,  während  andere  10 — 30  oder  auch 
mehr  als  50  Mal  vorkommen.  Dies  gilt  auch  für  spätere  Zeitabschnitte  und  be- 
darf keiner  weitläufigen  Darstellung. 

Wie  das  politische  Leben  der  Schweiz  sich  später  noch  steigerte,  folglich 
auch  eine  große  Zahl  von  Männern  auf  eidg.  Tagen  beschäftigte,  mögen  folgende 
2iahlen  andeuten.  Für  die  Jahre  1500 — 1520  sind  im  Ganzen  845  Tagleistungen 
verzeichnet;  auf  das  Jahr  fallen  also  durchschnittlich  40.  In  den  12  Jahren  von 
1521  — 1532  sind  1395  Tage  konstatirt,  was  per  Jahr  116  ausmacht.  Die  4 
letzten  Jahre  dieses  Abschnittes  verzeigen  mit  780  Nummern  eine  förmliche 
Springflut,  und  zwar  fallen  auf  1529  allein  244  Tage,  so  daß  man  zu  behaupten 
versucht  ist,  es  sei  damals  kein  Kalendertag  ohne  irgend  eine  eidg.  Verhandlung 
verflossen,  da  eben  viele  mehr  als  einen  Tag  dauerten. 

Ein  Jahrhundert  überspringend,  in  dem  die  Geschäftsführung  der  Tagsatzung 
sich  formell  etwas  entwickelt,  die  innere  Harmonie  der  Stände  aber  sich  nicht 
gebessert  hatte,  gelangen  wir  zu  dem  Zeitraum  von  1649  — 1680,  der  im 
Gkmzen  732  Tage  aufweist,  von  denen  das  Jahr  1658  nicht  weniger  als  43  in 
Beschlag  nimmt,  während  1657  noch  36,  1655  35,  1056  31,  1674  34  ver- 
zeigt, und  die  kleinste  Zahl  —  10  —  auf  1669  fällt.  Von  diesen  zahlreichen 
Tagleistungen  sind  aber  nur  je  1 — 3  als  gemeineidgenössische  zu  betrachten, 
d.  h.  als  solche,  an  denen  alle  XIII  Orte  oder  diese  nebst  den  „Zugewandten** 
theilnahmen;  die  übrigen  fallen  unter  die  Kategorien  von  „ Jahrrechnungen *",. 
„ Konferenzen **  oder  „Parteitagen'*.  Die  Zahl  der  Gesandten,  die  da  auftreten,  mag 
einen  Fingerzeig  bilden  für  die  Bewegungen  in  einzelnen  Ständen.  Appenzell  (in 
Außer-  und  Inner  -  Boden  getheilt)  hatte  auf  vielen  Tagen  nichts  zu  thun 
und  erscheint  dementsprechend  mit  der  kleinsten  Zifier :  1 8 ;  es  folgt  Schalfhausen 
mit  25,  Luzern,  Glarus  und  Basel  mit  je  37,  Zürich  mit  39,  Freiburg  mit  43, 
Solothurn  mit  45,  Bern  mit  50,  Unterwaiden  mit  59,  üri  mit  60,  Zug  mit  65, 
Schwyz  mit  78  i?). 

Bis  zur  letzten  Periode  der  Xlll-örtigen  Eidgenossenschaft  (1778 — 1798) 
hatte  sich  die  Geschäftsordnung  für  die  Tagsatzung  völlig  festgesetzt.  Die  Regel 
bildete  für  jede  Gruppe  von  Ständen,  die  eine  oder  mehrere  gemeine  Vogteien 
besaßen,  ein  Jahrrechnungstag ;  daneben  gab  es  alljährlich  einen  gemeineidgenössischen 
Tag,    wo    auch    diejenigen   Stände   erschienen,    die   keine    „Mediatlande**    hatten» 


Räthe  —      638      —  Räthe 

Uebung  (aber  nicht  Vorschrift)  war  ferner,  daß  zu  diesem  Tag  jeder  der  XIII 
Orte  ewei  Boten  sandte,  die  freilich  nur  eine  Stimme  führen  konnten.  Aas  den 
Boten  waren  „Ehrengeeandte**  geworden,  und  wenn  zur  Vorberathuug  irgend 
•einer  häkligen  Frage  ein  Ausschuß  bestellt  wurde,  so  war  dies  eine  ^Ehren- 
kommission'^  u.  s.  w.  Die  Gesandten  entfalteten  mehr  oder  weniger  Pomp  und 
hatten,  besonders  in  Baden  und  Frauenfeld,  gute  Tage,  deren  Genüsse  sie  zu 
schätzen  wußten.  ') 

Diese  Herrlichkeit  nahm  im  Frühjahr  1798  ein  jähes  Ende.  Die  Tagsatznng 
verdrängte  jetzt  eine  vorwiegend  bäurische  Volksvertretung,  die  in  zwei  Kammern 
gelheilt  war  und  samthaft  den  „gesetzgebenden  Körper *"  (Corps  legislatif  etc.) 
bildete;  die  eine  hieß  Senat,  die  andere  Großer  Ruth;  für  jenen  hatte  jeder 
der  18  Kantone  der  „einen  und  untheilbaren  helvetischen  Republik**  4,  fUr  diesen 
8  Mitglieder  zu  wählen,  deren  Amtsdauer  auf  8,  resp.  6  Jahre  bestimmt  war, 
jedoch  mit  Partialerneuerung.  Die  erste  verfassungsmäßig  gültige  Sitzung  fand 
am  12.  April  in  Aarau  statt,  wo  die  neuen  Behörden  bis  zum  20.  Sept.  blieben. 
Am  4.  Oktober  vereinigten  sie  sich  in  Luzern;  Ende  Mai  1799  zogen  sie  nach 
Bern,  das  nun  die  längst  gesuchte  Ehre  genoß,  den  Mittelpunkt  der  umgemodelten 
Schweiz  zu  bilden.  Die  „Repräsentanten**  bezogen  ein  Jahrgehalt,  das  sie  an- 
fänglich auf  275  Louisd'or  bemessen  hatten,  bald  jedoch,  der  Finan/noth  wegen, 
herabsetzen  mußten  nnd  nur  in  spärlichen  Vorschüssen  genossen.  Im  Herbst  1799 
wurde  ein  Vierttheil  des  Senats  ausgeloost  und  durch  Neuwahlen  ersetzt.  Bald 
hernach  traten  tiefer  greifende  Aenderungen  ein,  die  man  kurz  als  Parteikämpfe 
und  Verfassungswirreu  bezeichnen  kann ;  sie  fanden  ihren  Abschluß  durch  das 
Einschreiten  Konsul  Bonaparte's,  der  sich  die  Rolle  des  Vermittlers  anmaßte  und 
in  der  „  Mediationsakte **  vom  19.  Febr.  1803  die  Eidgenossenschaft  als  Staaten- 
bund wieder  herstellte,  dabei  aber  die  Unterthanenverhältnisse  beseitigte  und  6 
neue  Kantone  schuf.  In  wenig  veränderter  Ordnung  wurden  seitdem  die  allge- 
meinen Angelegenheiten  durch  eine  Taysaieaiuß  besorgt,  der  allerdings  ein  „Land- 
ammann der  Schweiz**  vorstand.  Die  Verfassung  schrieb  die  Abordnung  je  eines 
Gesandten  vor,  dem  aber  1  oder  2  andere  beigegeben  werden  konnten ;  die  Ver- 
treter von  6  größeren  Kantonen  hatten  übrigens  Doppelstimmen.  Selbstverständlich 
wurden  alle  von  den  Kantonen  bezahlt;  indes  sollte  der  „ Direktorialkanton **  fUr 
die  Wohnung  der  Deputirten  sorgen.  Erst  1812  wurde  festgesetzt,  daß  die  Mit- 
glieder der  Kommission,  die  zur  Prüfung  der  Rechnung  des  Landammanns  berufen 
wurde,  die  Reisekosten  und  8  Fr.  (a.  W.)  Taggeld  erhalten  sollten.  Ein  Blick 
auf  den  Personalbestand  der  Gesandten  bestätigt  die  früher  gemachten  Wahr- 
nehmungen; einzelne  Rathsherren  schienen  unentbehrlich  oder  unzertrennlich  ver 
bunden  zu  sein.  Neben  11  ordentlichen  Tagsatzungen,  die  etliche  Wochen  zu 
dauern  pflegten,  mußten  4  außerordentliche  abgehalten  werden. 

Die  letzte  Periode  der  Tagsatzungsherrschaft,  die  von  1814 — 1848  reicht, 
brachte  auf  Grund  des  Fünfzehner- Vertrages  wenig  Neues.  Die  Stelle  des  Land- 
ammanns  war  indes  mit  Ende  1813  untergegangen;  dagegen  hat  die  Chronik 
der  nächstfolgenden  Jahre  eine  Erweiterung  des  Gebietes,  namentlich  den  Anschluß 
der  Kantone  Wallis,  Genf  und  Neuenburg  zu  verzeichnen.  Von  1815  — 1830 
fand  keine  außerordentliche  Zusammenkunft  statt;  von  da  an  folgten  7  solche, 
wogegen  die  ordentlichen  mehrmals  lange  dauerten.  Rechtlich  hatte  jeder  der 
22  Kantone  nur  1  Stimme,  die  Halbkantone  nur  halbe  Stimmen;  die  Regel  war 
indes,  daß  sich  ^lle  durch  je  zwei  Gesandte  vertreten  ließen;  wenige  fügten  einen 

*j  Von  den  Bestechungen,  die  das  alte  Regime  entehrten,  braucht  hier  nicht  weiter 
^'osprocheu  zu  werden. 


Räthe  —      639      —  Räthe 

dritten  bei.  Bemerkenswerth  i^t  vorzüglich,  daß  die  „Repräsentanten'*,  die  ungefähr 
die  Stellang  von  eidg.  Kommissären  einnahmen,  aus  der  Bundeskasse  entschädigt 
werden  sollten;  sie  waren  jedoch  eine  seltene  Erscheinung. 

Einzelne  Züge  dieser  Ordnung  haben  sich  in  dem  „Ständerath*"  erhalten; 
das  Prinzip  der  Einheit  und  der  Volksvertretung,  das  in  der  „Helvetik"  herrschte, 
ist  im   „Nationalrathe"  wieder  aufgelebt. 

Diese  beiden  Räthe  wnrden  durch  die  Bundesverfassung  von  1848  geschaffen. 
Als  Ganzes  bilden  sie  die  „ Bundesversammlung**,  welche  sich  erstmals  am  6.  Nov. 
1848  konstituirte.  (An  diesem  Tage  hörte  die  Kompetenz  der  Tagsatzung  auf.) 
Die  Verfassung  von  1848  überträgt  der  Bundesversammlung  die  Ausübung  der 
obersten  Gewalt;  die  Verfassung  von  1874  ebenso,  jedoch  unter  Vorbehalt  der 
Rechte  des  Volkes  und  der  Kantone.  Beide  Verfassungen  schreiben  für  den 
Nationalrath  je  ein  Mitglied  auf  20,000  Einwohner  vor,  für  den  Ständerath  je 
2  Abgeordnete  per  Kanton,  resp.    1   per  Halbkanton. 

Während  beim  Nationalrathe  alle  3  Jahre  Gesammterneuerung  stattfinden 
muß,  wobei  Wieder  Wählbarkeit  erlaubt,  ist  der  Ständerath  als  Ganzes  an  keine 
Wahlperiode  gebunden,  sondern  es  richtet  sich  die  Dauer  des  Mandates  eines 
jeden  Mitgliedes  nach  dem  Willen  des  Kantons,  welchen  es  repräsentirt.  Die 
13  Kantone  Aargau,  Appenzell  I.-Rh.,  Baselland,  Bern,  Genf,  Luzern,  Neuen- 
bürg, Nidwaiden,  St.  Gallen,  Tessin,  Uri,  Waadt  und  Wallis  wählen  ihre  Stände- 
rathsabgeordneten  auf  1  Jahr,  die  11  Kantone  Appenzell  A. -Rh.,  Baselstadt, 
Glarns,  Graubünden,  Obwalden,  Schaffhausen,  Schwyz,  Solothurn,  Thurgau,  Zürich 
und  Zug  auf  3  Jahre ,  Freiburg  auf  2  Jahre.  Der  in  einigen  Kantonen  für 
kantonale  Beamtungen  bestehende  AmUzwang  wird  nicht  auf  die  Ständeraths- 
wahlen  ausgedehnt. 

In  den  Kantonen  Aargau,  Appenzell  I.-Rh.,  Baselland,  Baselstadt,  Bern, 
Freiburg,  Genf,  Luzein,  Neuenburg,  St.  Gallen,  Schwyz,  Tessin,  Waadt  und 
Wallis  ist  es  der  gesetzgebende  Rath  (Kantonsrath,  Großer  Rath,  Landrath), 
welcher  die  Ständeräthe  wählt.  In  den  Kantonen  Appenzell  A.-Rh.,  Glarus, 
Graubünden,  Obwalden,  Nidwaiden,  Schaffhausen,  Solothurn,  Thurgau,  Uri,  Zürich 
und  Zug  trifft  das  Volk  selbst  die  Wahlen. 

Wählbar  in  den  Nationalrath  ist  jeder  stimmberechtigte  Bürger  weltlichen 
Standes  und  stimmberechtigt  ist  jeder  Schweizerbürger,  der  das  20.  Altersjahr 
zurückgelegt  hat  und  in  dem  von  ihm  bewohnten  Kanton  nicht  vom  Aktiv 
bürgerrecht  ausgeschlossen  ist.  Für  den  Ständerath  besteht  seitens  der  Bundes- 
verfassung die  Ausschließung  des  geistlichen  Standes  nicht,  nichtsdestoweniger 
hat  noch  kein  aktiver  Geistlicher  seinen   Einzug  in  den  Ständeratlissaal  gehalten. 

Zu  den  Aufgaben  und  Befugnissen  der  Bundesversammlung  gehören  haupt- 
sächlich (Art.  85,  B.-V.    1874):» 

1)  Der  Erlaß  von  Gesetzen  über  die  Organisation  und  die  Wahlart  der  Bun»les- 
behörden.  2j  Der  Erlaß  von  Gesetzen  und  die  Beschlußfassung  über  diejenigen  Gegen- 
stände, zu  deren  Regelung  der  Bund  nach  Maßgabe  der  Bundesverfassung  befugt  ist. 
3j  Besoldung  und  Entschädigung  der  Mitglieder  der  Bundesbehörden,  Errichtung  bleibender 
Beamtungen  und  Bestimmung  ihrer  Gehalte.  4)  Walil  des  Bundesrathes,  des  Bundes- 
gerichtes, des  Bundeskanzlers,  des  Generals  der  eidg.  Armee.  *    5)  Die  Ratifikation  von 

'  Ueber  diese  Materie  differiren  die  Verfassungen  von  1848  und  1874  nur  wenig. 
Die  erstere  geht  etwas  weiter  und  etwas  mehr  in's  Detail. 

'  Die  18i8er  Verfassung  reservirte  der  Bundesversammlung  auch  die  Wahl  des 
Generalstabschefs  und  eidgenössischer  Repräsentanten,  sowie  die  Anerkennung  aus- 
wärtiger Staaten  und  Regierungen.  Die  eidgtMiössischen  Repräsentanten  het rettend,  traf 
nichtsdestoweniger  der  Bundesrnih  die  Wahlen  fnr  die  Gesanjltschal'tsjjosten  im  Aus- 
lande.    Vgl.  diosbezflglich  Seite  76,  im  Artikel  „Interessenvertretung  der  Schweiz*. 


Räthe 


—     640     — 


Räthe 


Bündnissen  und  Vertrauen  mit  dem  Auslände,  sowie  von  Yertrapen  der  Kantone  unter 
sich,   sofern  Einsprache   seitens   eines   dritten  Kantons   oder  des  Bundesrathes  vorliegt. 

6)  Die  Anordnung  von  Maßregeln  für  «iie  äußere  Siclierlieit,  sowie  zur  Behauptung  der 
Neutrfiiität  und  Tnabhangigkeit   der  Schweiz;    Kriegserklärungen  und  Friedensschlüsse. 

7)  Garantie  der  Verfassungen  und  des  Gebietes  der  Kantone.  Intervention  in  Folge  der 
Garantie,  Maßregeln  für  die  innere  Sicherheit,  für  die  Handhabung  von  Ruhe  und 
Ordnung;  Amnestie  und  Begnadigimg.  8)  Maßregeln,  welche  die  Handhabung  der  Bundes- 
verfassung, die  Garantie  der  Kantonalverfassungen,  die  Erfüllung  der  bundesniftßigen 
Verpflichtungen  zum  Zwecke  haben.  9)  Verfügungen  über  das  Bundesheer.  10)  Auf- 
stellung des  jährlichen  F^iunahmen-  und  Ausgaben-Voranschiagas  des  Bundes,  Abnahme 
der  Staatsrechnung,  Beschlüsse  ül)er  Aufnahme  von  Anleihen.  11)  Oberaufsicht  über  die 
eidg.  Verwaltung  und  Hechtsj)llege.  12)  Erieiügung  von  Beschwerden  gegen  Entscheidungen 
des  Bundesrathes  über  Administrativst  reit  igkoiten.  13)  Erledigung  der  Kompetenz- 
streitigkeiten zwis<.*hen  Bundesbeliürden.  14)  Revision  der  Bundesverfassung. 

Nationalrath  und  Ständerath  tagen  gleichzeitig.  Verfassungsgemäß  rnttssen 
sie  sich  jährlich  wenigstens  ein  mal  versammeln.  Dies  ist  die  sog.  „ordentliche' 
Session. 

Außerordentliche  Sitzungen  oder  Sessionen  finden  statt  nach  Belieben  der 
beiden  Räthe  selbst,  dann  auch  in  Folge  von  Einberufungen  durch  den  Bundes- 
rath  und  wenn  ein  Viertheil  des  Nationalraths  oder  fdnf  Kantone  den  Zusammen- 
tritt der  Räthe  verlangen.  Von  184^<  — 1H89  hat  selten  nur  eine  Session  jährlich 
stattgefunden  (1852,  1855,  1858,  1861>,  es  waren  ihrer  in  der  Regel  2 — 3, 
mehrere  Male  auch  4,  im  Revisionsjahr  1874  sogar  5  Sessionen.  Die  Dauer  einer 
Session  beträgt  in  der  Regel  nicht  weniger  als  2  und  nicht  mehr  als  4  Wochen. 

Um  gültig  verhandeln  zu  können,  ist  die  Anwesenheit  der  absoluten  Mehr- 
heit der  Mitglieder  des  betreffenden  Rathes  erforderlich.  In  beiden  Käthen  ent- 
scheidet die  absolute  Mehrheit  der  Stimmenden.  Für  Bundesgesetze  und  Bundes- 
beschlüsse ist  die  Zustimmung  beider  Räthe  erforderlich.  Im  Gegensatz  zu  den 
Gesandten  der  ehemaligen  Tagsatzungen  stimmen  die  Mitglieder  des  Ständerathe» 
gleich  den  Nationalräthen  frei,  d.  i.  ohne  Instruktionen  der  Stände  (Kantone). 
Wenn  es  sich  um  Begnadigungsgesuche,  um  Kompetenzstreitigkeiten  zwischen 
Bundesbehörden,  um  die  Wahl  von  Bundesräthen,  Bundesrichtern  oder  des  Generals 
handelt,  ßnden  gemeinsame  Sitzungen  im  Nationalrathssaale  und  unter  der  Leitung 
des  Nationalrathspräsidenten  statt,  sonst  aber  verhandelt  jeder  Rath  abgesondert. 

Die  Natioiialräthe  erhalten  aus  der  Bundeskasse  Reise- Entschädigungen  und 
Taggelder  (1848—51  8  Fr.  a.  W.,  bis  April  1875  12  Fr.  n.  W.,  seither 
20  Fr.);  die  Ständeräthe  werden  von  den  Kantonen  entschädigt.  MUssen  «e 
außerhalb  der  Sessionen  an  Kummissionssitzungen  Theil  nehmen,  so  remnnerirt 
sie  der  Bund. 

In  Folge  Vermehrung  der  Bevölkerung  seit  1848  hat  sich  anch  die  Zahl 
der  Nationalräthe  vermehrt.  Indessen  partizipirten  an  dieser  Vermehrung  nicht 
alle  Kantone.   Es  hatten  bisher  und  haben   181:)0  Nationalräthe  zu  wählen: 


der  Kanton 

1S48,51 

1851  03 

18G3  72 

187281 

1881/90 

189C 

Aargau    . 

9 

10 

10 

10 

10 

10 

App.  A.-Rh. 

2 

2 

2 

o 

3 

3 

App.  I.-Rh. 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

Baselland 

2 

3 

3 

3 

3 

Baselstadt     . 

1 

1 

2 

2 

3 

4 

Bern  .... 

.      20 

23 

23 

25 

27 

27 

Freiburg 

^ 

0 

5 

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G 

6 

6 

Genf  .... 

3 

3 

4 

4 

5 

5 

Glarus     . 

1 

2 

2 

2 

2 

2 

1 


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H 


Seit  1851  Wahlkreis  4 


'    I.  Ziegler         Benz  Weidmann 


nv 


Kanton  Solothurn 


Brunner 


Pfluger 


J.  Trog 


zinger  XII  51 

unner  I  52 

Einger  XII 54 
unner  I  55 

Kaiser 

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Lack  VIT)* 


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BHi ,  X  74 

Weber  II 75 

II 
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Brosi 

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Von  Arx 


II 
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„  Brosi 

»    ,    .  .175 

t      „    V   75  Baumgartner  IIT5 

Dietler  BaUy 


"  VII  79  Hammer  XII  78 

O.  Wnnsinger  X  79    F.  Trog   I  79 


Tl 

n 


Hammer  XII  81 
Scliild  I  S!2 


(Jvsi 


Hammer  XII 84 

Heutsclii  II  80 

Vigior  V  80 

Hammer  XII  S7 
Bolh  II  SS 


I 


Jahr 


1848  (6.xi2i.xn) 


2 


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0 


8 


10 


11 


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13 


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l.XII 


4.  XII 


7.  XII 


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7.  XII 


3.  XII 


0.  XII 


V.XII 


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•i.  XII 


&.  XII 


l.XII 


...  XI 1 


Jahr 


SiS  («I. XI  2 l.XII) 

848/49  I 


849/50 
850/51 

851/52 
852/53 
853/54 
85^i  55 
S55/50 
856/57 
857/58 
858/59 
859/60 
860/61 
861/62 
862/63 
863/64 
804/65 
865/66 
SOG  67 
867/08 
868/69 
809/70 
S70  71 
871/72 
872/73 
873/74 
874/75 
875/ 76 
870/77 
877/78 
878/79 
879/80 
880/81 
881/82 

882  83 

883  84 
884/85 
885 -SO 
S80/S7 
SS7.88 
Sas  89 
889.  90 
890/^1 


30.  XI) 


3.  XII) 


fi.XU) 


2.  XII) 


7.  XU) 


2.  XII) 


XII) 


I.XIi) 


..XII) 


I.XII) 


4.  XII) 


30.  XI) 


l.XII) 


M 

Neuenburg 

Gl 

enf 

Jahr 
nnd  Session 

Jeanrenaud-B. 

Petitpierre,  G. 

Carteret 

Fazy 

1848  6.-21.  Nov. 

)f 

)f 

Tourte  XI  49 

Duchosai  IV  49 

1849 

II 

1» 

I» 

Gamperio  X  50 

1850 

11 

II 

II 

II 

1851  Jan./Nov. 

fi 

1» 

Fazy 

Ducbosal 

Dezember 

1» 

11 

II 

II 

1852  Juli'Aug. 

•1 

11 

1» 

Fontane! 

1853  Jan-zTebr. 

fi 

Ghallandes 

II 

II 

Juli/Aug. 

1» 

II 

it 

Girard 

1854  Jan./Tebr. 

Humben 

Verdan 

II 

It 

Juli 

I» 

II 

Piguet 

Lissignoi 

Dezember 

»» 

Lambelet,  A. 

1» 

II 

1855  Juli 

tt 

II 

Fazy 

Pictet,  F. 

1856  Jan.Tebr. 

Denzler 

Philippin 

•» 

II 

Juli  u.  Sept.  i 

»» 

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II 

Vogt,  K. 

Dezember 

ff 

1» 

II 

II 

1857  Januar 

Humbert 

»» 

II 

II 

Juni 

I» 

1» 

»» 

II 

Juli  Aug.      i 

tt 

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Vuy 

II 

Dezember 

tt 

if 

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II 

1858  Juli 

tt 

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1» 

1» 

1859  Januar         i 

11 

tt 

1? 

II 

Mai               ' 

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II 

Juli              ' 

tt 

tt 

Alm6ras 

II 

1860  Jan./Febr. 

tt 

tt 

1» 

II 

März  April  i 

Denzler 

tt 

II 

II 

Juli 

tt 

Uumbert 

u 

1» 

Dezember 

tt 

11 

II 

Vautier 

1861  Juli 

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f» 

II 

IT 

1862  Jan.  Febr. 

tt 

Lesquereuj^ 

II 

II 

Juli               ; 
1863  Januar          | 

fr 

II 

Dufour 

Friderich 

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Brandt 

I» 

II 

Juli              ( 

»» 

II 

1» 

Gamperio 

Dezember    , 

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Jaccottet,  H. 

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II 

1864  Juli 

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»» 

»• 

II 

September   ' 

tt 

II 

1« 

»1 

Dezember 

Borel 

Humbert 

1» 

1» 

1865  Juli 

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II 

1» 

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Okt.  ^ox.     1 

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1866  Februar        , 

tt 

Desor 

1» 

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Juli 

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II 

Turrettini 

Braillard 

Dezember 

1» 

Cornaz 

II 

II 

1867  Juli 

I» 

II 

I? 

II 

Dezember 

»» 

Desor 

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II 

1868  Juli 

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M 

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II 

Dezember 

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Grand-Jean,  J. 

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II 

1869  Juli 

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II 

Oktober 

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Gamperio 

Dezember 

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II 

1870  Jan.  Febr. 

»» 

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1» 

1» 

Juli 

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Zurlinden 

Vogt,  K. 

Dezember    ' 

»» 

Berthoud,  F. 

11 

II 

1871  Juli 

»» 

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II 

Fazy 

„  /72  Nov./Marz 

»»   __ 

Jeanrenaud,  M. 

II 

II 

1872  Mai 

V 


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—     641     — 


Rappersweil-Pfäfükon 


der  Kanton 

1848/51 

1851/63 

1863/72 

1872/81 

1881/90 

1890 

-   GraubUnden . 

4 

4 

5 

5 

5 

5 

Luzern     .      .      .      , 

6 

7 

7 

7 

7 

7 

Neuenburg   . 

3 

4 

4 

5 

5 

0 

Njdwalden    . 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

Obwalden     .     . 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

St.  Gallen     .     . 

.       8 

8 

9 

10 

10 

11 

SchafT  hausen 

2 

2 

2 

2 

2 

2 

Schwyz  .     .     .     . 

2 

2 

2 

2 

3 

3 

Solothurn     .     . 

3 

3 

3 

4 

4 

4 

Tessin 

6 

6 

6 

6 

7 

6 

Thurgau .     .     .      . 

4 

4 

5 

5 

5 

5 

Uri 

1 

1 

1 

1 

l 

1 

Waadt     .     .      . 

9 

10 

11 

11 

12 

12 

Wallis     .      .      . 

4 

4 

5 

5 

5 

Zürich     .     .      .     . 

.      12 

13 

13 

14 

16 

17 

Zng    ...      . 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

Total  111    120    128    135    145    147 

Zum  Zwecke  der  Nationalrathswahlen  ist  die  Eidgenossenschaft  seit  1850/51 

Wahlkreise  eingetheilt.  (Vor  1850/51  konnten  die  Kantone  nach  Belieben 

en   oder   mehrere  Wahlkreise  bilden.)    Die  bezüglichen  Bundesgesetze  datiren 

n    21.  Dezember  1850,   vom  23.  Juli   1863,    vom  20.  Juli  1872   und  vom 

Mai  1881.  Zur  Zeit  (Mitte  1889)  ist  ein  neues  Wahlkreisgesetz  bei  der 
nfdes Versammlung  anhängig.  Mit  Rücksicht  hierauf  hält  es  das  Lexikon  für 
;ezeigt,  das  Nähere  über  die  Materie  erst  unter  dem  Schlagwort  „Wahlkreise, 
^enössische'',  mitzutheilen.  Es  ist  übrigens  in  Bezug  auf  diese  Wahlkreise 
cits  einiges  aus  der  beiliegenden 

Tabelle  I  (Mitglieder  des  schweizerischen  Nationalrathes  seit  1848)  er- 
itlich,  nämlich  1)  wie  viele  Wahlkreise  jeder  Kanton  bildete;  2)  wie  sie 
nmerirt  waren  und  wie  sich  die  Zahl  der  Vertreter  per  Wahlkreis  gestaltete. 

Fernern  soll  aus  der  Tabelle  zu  ersehen  sein,  welche  Persönlichkeiten  neben- 
ander und  nacheinander  dem  Rathe  angehörten.  In  Bezug  auf  das  Präsidium 

Käthes  ist  Folgendes  zu  bemerken.  Länger  als  1  Jahr  kann  verfassungs- 
näß  Niemand  Präsident  sein.  Dieser  wird  in  der  Regel  der  herrschenden 
rtei  des  Rathes  entnommen,  wobei  ein  gewisser  Turnus  unter  den  Kantonen 
l  Landestheilen  beobachtet  wird.  Der  Minderheit  des  Rathes  wird  der  Präsi- 
itensitz  hin  und  wieder  aus  Billigkeits-  und  Opportunitätsrücksichten  überlassen, 
r  Vizepräsident  rückt  in  der  Regel  zum  Präsidenten  vor.  Die  Wahlen  des 
isidenten  und  Vizepräsidenten  finden  jeweilen  in  der  Junisession  statt  und, 
nn  Gesammternenerung  des  Rathes  stattgefunden  hat,  in  der  ersten  darauf- 
jenden  Session  (Dezember).    Im  Ständerathe  herrscht  dieselbe  Uebung. 

Räuschling,  großer  (Thuner,  weißer  Welscher,  Zürichrebe,  Kneller). 
3inrebe,  welche  den  Hauptsatz  am  Zürichsee,  im  zürcherischen  Limmatthale 
i  am  Thunersee  bildet,  findet  sich  auch  in  den  übrigen  Weingegenden  der 
rdostschweiz.  Der  Stock  ist  kräftig  und  gedeiht  vorzüglich  gern  in  schweren 
ienarten.  Die  Fruchtbarkeit  ist  groß,  der  mittlere  Ertrag  mag  sich  auf  circa 
— 65  Hektoliter  pro  Hektare  belaufen.  Die  Trauben  reifen  spät  und  geben 
en  etwas  säuerlichen  Wein.  Kr, 

,    Rappersweil-Pfäfflkon.    Die  Eisenbahn   von  Rappersweil    nach  Pfäffikon 

das  Unternehmen  einer  Aktiengesellschaft,  deren  Sitz  in  Rappersweil  ist.  Die 


Fu»-*5r,  Vnlkswirthachafts-Lexikon  der  Scbweiz. 


Vl 


Rappersweil-Pfaffikon  —      642      —  Rapperswiler  Seedainm 

Firma  lautet  eigentlich  ^Zilrichaee-Gotthardbahn'*,  weil  beabsichtigt  war,  die  Bahn 
von  Pfafldkon  über  Biberbruck  nach  Brunnen  behufs  Verbindung  des  obern  ZüKch- 
seegjländeä  mit  der  Gotthardbahn  zu  erstellen.  Da  die  Konzession  Pfäfükon-Brunnen 
aber  erloschen  ist,  so  ist  die  örtliche  Bezeichnung  „llappersweil-Pfäffikon"*  einzig 
zutreffend.  Der  Betrieb  wurde  am  2V.  August  1^78  eröffnet.  Derselbe  wird-  fü» 
Rechnung  des  Konzessionsinhabers  durch  die  Gesellschaft  der  Ver.  Schweizerbahnen 
besorgt.  Nächster 

Rückkaufstermin  für  den  Bund:   1.  Mai  1903. 

Bahnlänge  Ende  1886:  Baulänge  3510  m;  Betriebslänge  3978  m  oder 
rund  4  km. 

Bauliche  Verhältnisse:  Die  ganze  Bahn  ist  einspurig  angelegt. 
Von  der  Bahulänge  liegen  2171  m  auf  Dämmen,  1102  m  in  Einschnitten  und 
237  m  auf  Brücken,  von  denen  die  größte  141,3  m  mißt  und  mit  einer  Dreh- 
brücke zum  Durchlaß  von  Schiffen  versehen  ist.  Von  der  Betriebslänge  liegen 
1763  m  in  der  Horizontalen,  2215  m  in  Steigungen  bezw.  Gefällen  bis  zu  672^00, 
2970^  in  der  Geraden  und  1008  m  in  Kurven  bis  zu  260  m  Minimalradius. 
Mittlere  Steigung  der  ganzen  Bahn  1,25  ^/oo;  mittlerer  Krümmungtshalbmesser  fUr 
die  ganze  Bahn  1898  m.  Eigene  Stationen  hat  die  Bahn  nicht.  Mitbenutzte 
Stationen:  Rappersweil  und  Pfaffikon.  Das  Rollmaterial  und  das  Betrieb s- 
personal  wird  durch  die  Gesellschaft  der  Ver.  Schweizerbahnen  beigestellt. 

Betriebsergebnisse  im  Jahre  1 886 :  Mit  durchschnittlich  8,74  täglichen 
Zügen  k  7,05  Wagenachsen  wurden  während  des  ganzen  Jahres  befördert:  47,370 
Reisende  uni  5296  Tonnen  Güter,  welche  die  ganze  Bahn  befahren  haben. 

Betriebseinnahmen:  Für  Reisende  Fr.  16,040;  für  Güter  Fr.  7244; 
für  Verschiedenes  Fr.  50.  Gesammteinnahmen  Fr.  23,344  im  Ganzen  oder  Fr.  5833 
per  Bahnkilometer. 

Betriebsausgaben:  Reine  Betriebskosten  Fr.  24,398;  verschiedene  Aus-, 
gaben  Fr.  5763.  Gesammtausgaben  Fr.  30,161  im  Ganzen  oder  Fr.  7540  per 
Balinkilometer. 

RapporsM'eil-Sargans  und  Rappersweil-Zürich  s.  Ver.  Schweizer- 
bahuen. 

RapporsM'iler  Soedamm.  Er  verbindet  die  Stadt  Rapperswii  auf  dem 
rechten  Zürichsee-Ufer  niit  dem  Fischerdorfe  Hürden  auf  dem  linken  Zürichsee- 
L'fer  und  war  eine  der  schwierigsten  Eisenbahn-  und  Straßenbauteu  der  Schwei*. 
Der  Damm  befindet  sich  ca.  150  m  unterhalb  der  alten  hölzernen  Brücke,  welche 
in  den  Jahren  1818/20  mit  einem  Kostenaufwand  von  fl.  45,289  erbaut  wurde. 
Die  Arbeiten  am  Damme  begannen  am  1.  Februar  1876  und  wurden  beendigt 
im  Juli  1878.  Die  Totallänge  dieses  Bauwerkes  beträgt  1100  m,  wovon  auf  den 
Rapperswiler  iiwai  175,  die  Rapperswiler  Brücke  140,  die  mittlere  Dammstrecke 
43n,  die  Hurdener  Brücke  lOO  und  den  Hurdener  Damm  255  m  kommen.  Die 
Kronenbreite  beträgt  10,80  m,  wovon  3,65  m  auf  das  normalspurige  Bahngeleiite 
(an  der  obern  Seite),  4,80  m  auf  die  Fahrbahn  für  gewöhnliche  Fuhrwerke  und 
2,35  m  auf  die  Trottoirs  für  Fußgänger  (an  der  untern  Seite)  entfallen.  Die 
eisernen  Brücken  ruhen  auf  eisernen  Pfeilern,  diese  ihrerseits  auf  Pfahljochen,  die 
FunJationen  des  übrigen  Dammkörpers  ruhen  theils  ebenfalls  auf  Pfählen,  theils 
auf  Steinwürfen  und  theils  auf  versenkten  Betonkörpern.  Die  Drehbrücke  Eum 
Durchlassen  der  Dampfschiffe,  in  einer  Länge  von  40  m,  mit  einem  Gewicht  von 
gegen  4000  Zentner,  kann  von  einem  einzigen  Manne  bedient  werden.  Die  Total- 
kosten,  Vorarbeiten,  Expropriationen  etc.  inbegriffen,  beliefen  sich  auf  Fr.  1 '462,000, 
woran    der  Bund  sich  mit  einer  Summe  von  Fr.    100,000  betheiligte.    (Bundes- 


Rapperswiler  Seedaiiun  —     643     —  Reblaus 

beschluß  vom  2.  August  1873.    A.  S.  Bd.  XI,  pag.  290.)    Vgl.  auch   «Souvenir 
•der  'Eröffnung  des  Seedammet»^,  Rapperswil,  Buohdruckerei  F.  Steiner,  1878. 

Baps  wird  seit  15  bis  20  Jahren,  namentlich  wegen  der  Einbürgerung  von 
Petroleum,  Leuchtgas  etc.  statt  des  Pflanzenöls,  in  der  Schweiz  fast  gar  nicht 
anehi'  gepflanst« 

Rasiermesserfabrikation.  Winzig  klein  im  Vergleich  zu  England.  Drei 
Firmen  im  Kanton  Waadt. 

Reblaus.  Geschichtliche  Darstellung  ihres  Auftretens  und  ihrer  Verbreitung 
*iu  der  Schweiz,  sowie  der  zu  ihrer  Bekämpfung  getrotfenen  Maßnahmen.  Von 
J.  Dreifuß,  eidg.  Beamter. 

I,  Naturf/eschichtliches,  Die  Eeblaus  (Phylloxera  vastatrix  Planchen)  spielt, 
wenn  auch  eine  negative,  so  doch  nicht  zu  unterschätzende  Rolle  in  der  Volks- 
wirthschaft  der  Weinbau  treibenden  Staaten.  So  klein  sie  ist,  so  großes  Unheil 
richtet  sie  in  den  das  köstlichste  Produkt  der  Land  wirthschaft  liefernden  Kulturen 
an.  Es  kann  nicht  die  Aufgabe  eines  volkswirthschaftlichen  Lexikous  sein,  eine 
einläßliche  Beschreibung  der  Reblaus,  ihrer  Verwandlungen  und  ihrer  Lebensweise 
zu  geben.  Es  genügt  hier  anzuführen,  daß  die  Reblaus  ein  winzig  kleines  Insekt 
ist  von  ungefähr  1  mm  Körperlänge.  Dire  drei  Stechborsten  steckt  sie  in  die 
feinern  Wurzeln  der  Rebe,  den  Saft  der  letztern  saugend  und  dabei  einen  giftigen 
Speichel  in  das  Gewebe  der  Rebenwurzel  spritzend.  Hiedurch  schwillt  die  letztere 
an,  verkrümmt  sich,  um  hernach  abzusterben.  Die  so  entstehenden  krummen, 
knotenförmigen  Anschwellungen  der  feinern  Saugwurzelu  der  Rebe  nennt  man 
Nodositäten,  und  sie  sind  die  auffallendsten  Erscheinungen,  die  wir  an  der  an- 
gegriffenen Pflanze  zu  suchen  haben.  Sie  sind  es,  welche  die  Zirkulation  der 
Säfte  hindern  und  die  Rebe  nach  und  nach  zum  Absterben  biingen. 

Als  Insekt  besitzt  die  Reblaus  einen  Kopf  mit  einem  Paar  Fühler  und 
.  Freß Werkzeugen,  ein  Bruststück  mit  drei  Paar  Beinen  und  in  gewissen  Phasen 
ihrer  Verwandlungen  zwei  Paar  Flügeln,  einen  Hinterleib  mit  den  Verdauungs- 
und Fortpflanzungsijrganen  ohne  äußere  Anhängsel.  Diese  drei  Körperabtheilungen 
sind  aber  so  fest  mit  einander  verwachsen,  daß  das  ganze  Thier  ein  einfaches 
Oval  bildet,  etwa  wie  eine  Mandel  geformt  ist,  wobei  der  breitere  Theil  die 
Kopfspitze,  der  spitze  das  Hinterleibende  darstellt.  Die  Reblaus,  wie  sie  in  aus- 
gewachsenem Zustande  die  feineren  Fuserwurzeln  bewohnt,  ist  gelblich-grün,  von 
bloßem  Auge  noch  zur  Noth  als  feines  Pünktchen  zu  erkennen,  und  sitzt  gewöhn- 
lich auf  der  konkaven  Seite  einer  gekriimmten  Nodosität  fest,  ohne  sich  von  der 
Stelle  zu  bewegen.  Stirbt  sie  ab,  so  bleibt  sie  daselbst  haften  mit  ihren  ins 
Holz  getriebenen  Stechborsteu  und  wird  braun.  Das  so  festgesogene  Thier 
legt  nun  im  Verlaufe  seines  Saugens  50  —  60  Eier,  ohne  sich  von  der  Stelle 
zu  bewegen;  es  ist  ein  flügelloses  Weibchen,  das  ohne  vorherige  Begattung  ent- 
wicklungsfähige Eier  produzirt.  In  acht  Tagen  kriechen  aus  diesen  Eiern  schlankere, 
schwefelgelbe  junge  Larven,  die  mit  einigen  seitlichen  Punktaugen  und  längeren 
Beinen  versehen  sind,  am  Wurzelwerke  herumkrabbeln,  hie  und  da  saugen,  aber 
keine  Geschwülste  oder  Nodositäten  erzeugen ;  ^)  in  weiteren  fünf  bis  acht  Tagen 
häuten  sich  diese  Jungen,  werden  etwas  größer  und  dies  wiederholt  sich  in  den 
folgenden  acht  bis  zehn  Tagen  noch  zweimal,  bis  sie  endlich  die  definitive  Form, 
Größe  und  Farbe  des  Mutterthieres  angenommen  haben  und  mit  Saugen  und 
Eierlegen  ganz  die  Stammmutter  nachahmen. 


*)  Meist  setzen  sich  die  jungen  Rebläuse  an  die  vom  Multerlbier  erzeugte  Nodosität 
an  und  verbreiten  sich  erst  alhtiälig  über  das  andere  Wurzchverk. 


Reblaus  —      644     —  Reblausr 

Während    die  Mehrzahl  der  Insekten  ihre  geeammte  EBtwicklnng  in  einem 
Sommer   durchmacht,    erzeugen    die    parthenogenethischen  Rebläuse  fünf  bis  acht 
Generationen  in  der  wärmeren  Jahrettzeit,  vermehren  sich  sho  viel  stärker,  zumal 
sie  als  winzige,  unterirdische  Thiere  sozusagen  gar  keine  Feinde  haben,  die  ihnen 
mit  £rfolg   nachstellen    würden.  ')     Im  Herbst   gehen    die   jungem  Rebläuse  aa 
tiefere  Wurzelfasem  oder  setzen  sich  kolonienweise  unter  der  absterbenden  Wurzel- 
rinde an,  ohne  zu  saugen,  und  fallen  in  eine  Art  Erstarrung  oder  Winterschlaf. 
Ob   die   altem  Thiere   absterben   oder   auch    überwintern  und  dann  im  nächsten 
Jahr   wieder  mit  Eierlegen  fortfahren  können,    darüber  sind  die  Gelehrten  noch' 
nicht  einig.    Die  überwinternden  Larven  verfärben  sich  bräunlieh.    Im  nächsten 
Frühling   beim  Eintreten    wärmerer  Witterung   beginnen    dieselben   den  gleichen 
Lebenscyklus  wiederum.    So  verbreitet  sich  die  Krankheit  unterirdisch  langem,, 
aber  sicher,  von  Stock  zu  Stock,  bis  das  ganze  Weingelände  inüzirt  ist.  In  warmen 
Lagen   oder  lockerem  oder  zerklüftetem  Boden  mag  diese  Verbreitung  und  Ver- 
mehrung  rascher    vor   sich   gehen,    als   in   kälteren  Lagen    mit  zähem  thonigem 
Boden.   Neben  dieser  langsamen  unterirdischen  Ausbreitung,  die  wie  ein  Oeltropfeu 
auf  Löschpapier   immer   weiter  um  sich  frißt  (daher  im  Französischen   „tache**),. 
kommt   aber   eine  noch  raschere  oberirdische  Verbreitungsart  vor.     Es  sprechen 
nämlich  mehrere  neuerdings  beobachtete  Thatsachen  dafür,  daß  jüngere  Wurzel- 
läuse, deren  Beweglichkeit  eine  größere  ist,  wohl  meist  während  der  Nacht,  arv 
die  Oberfläche  gelangen  und  dort  umherkriechen,  wodurch  die  Infektion  von  Stock 
zu  Stock  viel  rascher  vermittelt  wird,  als  wenn  sie  dem  unterirdischen  Wurzel- 
werk folgen  müßten. 

Aber  nicht  alle  Phylloxeren  nehmen  diesen  Entwicklungsgang.  Unter  uns- 
noch  ganz  unbekannten  Verhältnissen  werden  einige  der  im  August  geborenen 
Rebläuse  in  der  zweiten  Häutung  schon  schlanker  und  zeigen  in  der  dritten 
deutliche  schuppenförmige  Flügelchen,  die  dem  Leibe  fest  anliegen.  Man  nennt, 
sie  Nymphen.  Sie  kommen  an  die  Oberfläche  und  häuten  sich  nochmals.  Daa 
Produkt  ist  ein  geflügeltes  Thier,  das  zwei  große  Netzaugen,  drei  auf  der  Stirne 
stehende  Punktaugen  besitzt  und  vier  sehr  zarte  Flügel,  die  dem  Rücken  flach 
aufliegen,  trägt.  An  warmen  Tagen  erbeben  sich  diese  geflügelten  Rebläuse  in  ' 
die  Luft,  werden  von  leichten  Winden  überall  hin  zerstreut  und  ein  Theil  der- 
selben wird  eben  wieder  irgendwo  auf  Reben  niederfallen.  Sie  sind  die  Kolonisten, 
welche  die  Infektion  von  Weinberg  zu  Weinberg  verbreiten,  und  werden  in  ihrer 
Wirkung  um  so  gefährlicher  sein,  je  ausgedehnter  und  zusammenhängender  die 
Rebgelände  einer  Gegend  sind.  *) 

Der  Grund  dieser  abweichenden  Verwandlung  wird  von  einigen  Gelehrten 
in  einer  Verminderung  des  Nahrungsmaterials  gesucht,  so  daß  ein  Herd  um  so 
mehr  geflügelte  Emissäre  liefern  würde,  je  älter  er  ist.  Wie  weit  durch  Winde 
solche  Thiere  lebend  transportirt  werden  können,  ist  nicht  festgestellt.  Früher 
glaubte  man,  daß  sie  Tagereisen  weit  entführt  würden,  heute  neigt  man  sich 
allgemein  der  Ansicht  zu,  daß  sie  nur  auf  kurze  Strecken  (höchstens  etwa  einen 
Kilometer  weit)  Verbreitung  finden.    Ihre  Flügel  sind  viel  zu  schwach,  als  daß^ 

M  Zwar  scheint  diese  Vermehrung  nicht  progressiv  stattzufinden;  denn  während 
ein  Mutterthier  im  Frühling  ca.  60  Eier  produzirt,  legt  die  zweite  Greneration  nur  etwa 
40—50,  die  dritte  ca.  30  und  so  jede  spätere  etwas  weniger.  Indessen  genügt  das 
immerhin  zur  Erzeugung  einer  Nachkommenschaft  von  vielen  Millionen  in  einem  Sommer. 

*)  Neuerdings  wird  behauptet,  es  gebe  zwei  geflügelte  Formen  der  Reblaus,  eine 
langgeflügcite,  die  langst  bekannte  Kolonistin,  und  eine  kurzflüglige,  die  nicht  fliegt, 
höchstens  vom  Wind  erjrrifTen  wird,  aber  um  so  lebhatler  an  der  Bodenoberfläche 
herumläuft,  um  von  Stock  zu  Stock  zu  gelangen. 


Reblaus  —      645     —  Heblaus 

sie  selbstständig  die  Richtung  des  Fluges  bestimmen  könnten,  und  die  Thiere  zu  zart, 
^m  einem  heftigeren  Winde  lebensfähig  zu  widerstehen.  Fallen  sie  aber  wieder  auf 
Heben  nieder,  so  legen  sie  bald  einige  (2 — 4)  Eier  (eiförmige  Puppen)  von  ungleicher 
Größe.  Ars  den  kleinen  schlüpfen  in  kurzer  Zeit  ungeflügelte  Männchen,  aus  den 
größeren  ungeflügelte  Weibchen  aus.  Diese  ächten  Geschlechtsthiere  unterscheiden 
sich  auch  äußerlich  von  den  übrigen  Rebläusen  durch  den  gänzlichen  Mangel  von 
Mund  Werkzeugen.  Sie  leben  nur  sehr  kurze  Zeit,  paaren  sich,  und  das  Weibchen 
Jegt  nur  ein  einziges  großes  £i,  das  fast  seinen  ganzen  Leib  ausfüllt,  in  eine 
Rindenritze  des  Rebstockes.  Dieses  Ei  ist  zum  üeberwintern  bestimmt  (Winterei), 
4ind  im  nächsten  Frühling  kriecht  daraus  wieder  eine  Reblaus  hervor,  die  am 
Stamm  herunterläuft,  in  den  Boden  ans  Wurzel  werk  kriecht  und  die  Stamm- 
jnutter  einer  neuen  Kolonie  wird.  *) 

In  Amerika  erscheint  die  Phylloxera  noch  in  andern  Formen,  die  uns  für 
liiesige  Verhältnisse  indeß  wepiger  interessiren. 

Durch  das  Saugen  der  Reblaus  an  zarten  Wurzeln  schwillt  die  Wurzelfaser 
knotig  an  und  biegt  sich  um,  bildet  eine  Nodosität.  Der  untere  Theil  der  Wurzel 
stirbt  ab,  und  zudem  scheint  die  Rebe  gleichsam  vergiftet  zu  werden,  denn  im 
Yerhältniß  der  wenigen  Nodositäten  leidet  sie  sehr  stark.  Sie  treibt  meist  schon 
im  zweiten  Jahre  kürzere  Triebe,  das  Laub  wird  kleiner,  bleibt  aber  grün,  nur 
welkt  es  früher  im  Herbst.  Im  dritten  Jahre  mehren  sich  diese  Erscheinungen 
4iuffallender,  im  vierten  Jahre  stirbt  die  Rebe  meist  ganz  ab. 

Die  Wirkung  auf  den  Weinberg  erzeugt  nun  oft  ein  ganz  eigenthümliches 
•Bild.  Im  Zentrum  eines  Infektionsherdes  stehen  einige  ganz  abgestorbene  Stöcke,  es 
■sind  das  die  zuerst  befallenen.  Um  diese  herum  betindet  sich  eine  Zahl  von  in  der  Ent- 
wicklung stark  zurückgebliebenen  Reben  mit  ganz  kurzen  Schößen  und  sehr  kleinen 
Blättern ;  in  weiterem  Kreis  solche,  die  wenig  im  Wachsthum  zurückgeblieben 
-sind  und  noch  ordentliche  Trauben  angesetzt  haben,  und  im  äußersten  Kreis  ganz 
^sund  aussehende,  die  aber  doch  an  den  Wurzeln  schon  Nodositäten  tragen. 
Von  weitem  gesehen  sind  diese  beckenförmigen  Vertiefungen  im  Weinberg  kenntlich ; 
sie  haben  von  den  Franzosen  den  Namen  Cuvettes  bekommen.  Man  würde  sich 
aber  sehr  täuschen,  wenn  man  die  Cuvette  als  etwas  Charakteristisches  ansehen 
wollte.  Nicht  nur  kann  durch  eine  andere  schleichende  Ursache  dieselbe  Er- 
Jkrankungsform  im  Rebberg  entstehen,  z.  B.  durch  den  Wurzelpilz  der  Rebe, 
sondern  die  regelmäßige  Beckenform  wird  öfters  durchbrochen  durch  lokale  Um- 
fitände,  wie  sie  besonders  bei  uns  vorliegen,  wo  reine,  runde  Becken  geradezu 
«ine  große  Seltenheit  bilden.  Es  scheint  besonders  da  die  typische  Beckeuform 
vorzuherrschen,  wo  die  Infektion  vom  Einfall  einiger  geflügelter  Kolonisten 
herrührt,  während  in  den  neuen  Herden  die  Infektion  ottenbar  darauf 
zurückzuführen  ist,  daß  hie  und  da  einzelne  von  anderswoher  bezogene  Reben 
aum  Ersatz  alter  oder  zufällig  absterbender  Stöcke  eingesetzt  wurden.  Auch 
«cheint,  so  viel  man  bis  heute  sagen  kann,  in  unserm  schweren  und  lettigen 
Boden  die  Horizontalverbreitung  der  Phylloxera  etwas  langsamer  vor  sich  zu 
^ehen,  als  im  Westen,  und  die  gutbewurzelten,  tiefgründigen  Reben  scheinen 
länger  zu  widerstehen,  als  im  zerklüfteten,  trockenen  Steinboden. 

Es  sind  indeß  noch  große  Lücken  in  der  Kenntniß  des  individuellen  Ver- 
laufes   der  Krankheit    vorhanden,    die   eben   in  jeder  Lage  und  in  jeder  Gegend 

*)  Nach  den  neuesten  Untersuchungen  von  Donnadieu  soll  die  sog.  gallikole  Form 
-der  Reblaus,  welche  nur  die  Blätter,  nicht  die  Wurzeln,  bewohnt,  gar  nicht  in  den  Ent- 
wiJklungscyklus  der  Phylloxera  vastatrix  gehören,  sondern  eine  eigene  und  weit  un- 
•schädlichere  Art  sein,  die  als  Phylloxera  pemphigoides  bezeichnet  A\ird. 


Reblaus  —     646     —  Reblau» 

qtwas  Abweichendes  zeigen  wird.  Besonders  in  kaltem  Lagen  und  in  zähem 
Boden  ist  die  Horizontalausbreitnng  der  Krankheit  und  das  Absterben  der  tief- 
wnrzelnden  Reben  viel  langsamer,  so  daß  erst  im  fünften  oder  sechsten  Jahre 
oder  noch  später  die  Reben  der  Infektion  erliegen.  Auch  die  chemische  Beschatfen- 
heit  des  Bodens  hat  nach  den  interessanten  Beobachtungen  von  Dejardin  einerr 
wesentlichen  Einfluß  auf  die  Resistenzföhigkeit  der  Reben.  Er  hat  dargethan, 
daß  in  magnesiumhaltigem  Terrain  die  Rebe  am  längsten  der  Invasion  widersteht, 
also  in  Dolomiten,  Graniten,  Gneißen,  während  sie  auf  reinem  Kalkstein  anv 
raschesten  abstirbt.  Daß  die  physikalische  Beschaffenheit  ein  Einderniß  für  das 
Prosperiren  der  Reblaus  sein  kann,  wußte  man  schon  lang;  in  sandigem  Terrain 
gedeiht  der  Parasit  sehr  wenig,  und  hält  der  Boden  50 — 60  **/o  Sand,  so  sind 
selbst  unsere  europäischen  Reben  gegen  die  Angriffe  der  Phylloxera  geschlitzt, 
vorausgesetzt  natürlich,  daß  sie  genügende  Düngung  erhalten.  (Nach  einer  Publi- 
kation des  Herrn  Dr.  G.  Schoch,  eidg.  Phylloxera -Experten,  in  Zürich.) 

//.  Auftreten  und  Ausdehnung  der  Beblaus  in  der  Schweiz.  Das  erste 
Auftreten  der  Reblaus  in  der  Schweiz  erfolgte  im  Jahre  1874  zu  Pregny  im 
Kanton  Genf.  Eine  am  23.  November  jenes  Jahres  in  den  Reben -Treibhäusern 
des  Herrn  von  Rothschild  zu  Pregny  vorgenommene  Untersuchung  führte  zur 
Entdeckung  des  Insektes  auf  den  Rebstöcken  daselbst,  deren  Setzlinge  in  den 
Jahren  1868  und  1869  in  Töpfen  aus  England  eingeführt  worden  waren.. 
In  den  kaum  300  m  von  jenen  Treibhäusern  entfernten  Weinbergen  war  difr 
Reblaus  schon  in  den  Monaten  September  und  Oktober  vorher  au  drei  Punkten 
koustatirt  worden.  Die  Regierung  des  Kantons  Genf  hatte  sich  schon  in  den 
Jahren  1872  und  1873  vom  Großen  Rathe  die  nöthigen  Vollmachten  ge'ben 
lassen,  zur  Verhinderung  der  Einschleppung  und  Verbreitung  der  Reblaus  alle 
geeignet  scheinenden  Maßnahmen  zu  ergreifen.  Im  Jahre  1874  kam  sie  in  den 
Fall,  von  diesen  Vollmachten  Gebrauch  zu  machen,  indem  sie  die  Eigenthütoer* 
der  intizirten  Rebparzellen  expropriirte  und  die  Zerstörung  der  angegriffenen 
Weinberge  verfügte.  Der  Gesammtumfang  des  im  Herbst  1874  und  im  Winter 
1875  zerstörten  Rebgebietes  betrug  70,919  Are.  Selbstverständlich  wurden, 
auch  die  Rebstöcke  im  Treibhaus  des  Herrn  von  Rothschild  zerstört.  Die  Stellen, 
auf  welchen  die  Reben  ausgerissen  worden  waren,  wurden  mit  frischem  Gaskalk 
überdeckt,  um  allfällig  im  Boden  zurückgebliebene  Wurzeln  zu  verhindern,  im 
Frühjahr  neue  Triebe  anzusetzen. 

Im  Jahre  1875  vorgenommene  Untersuchungen  im  Kanton  Genf  führten 
zur  Entdeckung  einer  ganzen  Reihe  infizirter  Stellen.  Auch  jetzt  wurde  die  voll- 
ständige Zerstörung  aller  angegriffenen  Reben,  sowie  aller  derjenigen  gesund 
gebliebenen  angeordnet,  welche  sich  in  einem  Umkreis  von  100  m  um  die  äußei'sten 
Angriffspunkte  herum  befanden.  Der  Flächenraum  des  auf  diese  Weise  zerstörten 
Weinberges  betrug  285  Are  und  die  Zahl  der  Stöcke,  welche  in  verschiedenen 
Theilen  der  Gemeinde  zu  zerstören  waren,  ca.  5000.  Bei  dieser  Zerstörung  wurde 
folgendermaßen  verfahren ;  Alle  phylloxerirten  Weinstöcke  wurden  über  der  Erde 
abgeschnitten  und  das  Rebholz  verbrannt,  nachdem  jeder  Stock  mit  einer  Lösung 
von  20  cm^  KaliumHulfocarbonat  in  10  1  Wasser  begossen  worden  war.  Dann 
wurde  der  Boden  festgestampft  und  mit  einer  Schicht  Gaskalks  bedeckt.  Die  neuen 
Triebe  der  im  Jahre  1874  zerstörten  Reben  wurden  mit  einer  Mischung  ^on 
375  cm^  Schwefelsäure  und  500  cm^  Wasser  begossen  und  der  Boden  neuerdings 
mit  einer  Schicht  Gaskalks  und  fettem,  mit  Calcium-Polysulfid  besprengtem  Kalk 
bedeckt. 

Im  Jahre  1870  führten  die  in  einem  Umkreis  von  1500  m  vorgenommenen 


Reblaus  —     647     —  Reblaus 

UntersuchuDgen  der  Weinberge  in  der  Nähe  der  in  den  vorangegangenen  Jahren 
konstatirten  Herde  zu  keiner  Entdeckung  neuer  Angriffspunkte. 

Dagegen  zeigte  pich  das  Insekt  im  Jahre  1877  wieder,  und  zwar  in  Cham- 
b6sy,  unterhalb  Pregny  in  einem  offenen  Weinberg.  Der  Herd  war  von  «ehr 
^rioger  Ausdehnung;  nur  auf  ungefähr  150  Weinstöcken  fanden  sich  Insekten, 
aber  in  ziemlich  großer  Anzahl,  vor.  Bereits  gestatteten  die  gemachten  Erfahrungen, 
die  anfänglich  auf  100  m  angesetzte  Sicherheitszone  auf  20  m  zu  reduziren. 
Diese  Zone  betrug  mit  dem  phylloxerirten  Theil  des  Weinbergs  ca.  15  Are. 
Diese  ganze  Fläche  wurde  mit  wasserfreier  schwefliger  Säure  ilbergossen.  In  den 
Boden  wurden  ca.  3600  40  cm  tiefe  Löcher  gegraben  und  in  jedes  Loch  des- 
jenigen Theils,  auf  welchem  die  Phylloxera  konstatirt  worden,  ungeföhr  60  und 
in  die  Löcher  der  Sicherheitszone  etwa  24  g  schweflige  Säure  gegossen.  Alle 
auf  diesem  Räume  stehenden  Rehpflanzen  wurden  abgeschnitten  und  verbrannt 
und    der  Boden  sofort  10  cm  hoch  mit  einer  dichten  Schicht  Gaskalks  bedeckt. 

Im  Januar  1878  wurden  die  Rebstöcke  vermittelst  Umgrabens  bis  auf  die 
letzten  Wurzeln  auf  einer  Fläche  von  ca.  54  Aren  ausgerissen.  Diese  54  Are 
umfaßten  jene  15  Are,  auf  welchen  im  August  1875  die  Reben  abgeschnitten 
worden  waren,  nachdem  man  sie  zuvor  mit  schwefliger  Säure  behandelt  hntte, 
und  die  39  Are,  auf  denen  eine  einfache  Injektion  mit  dieser  Substanz  ans;e- 
wendet  worden  war.  Die  Rebstöcke  wurden  sammt  den  Wurzeln  verbrannt  und 
der  Graben  mit  drei  Schichten  von  Caiciumoxysnifld  bedeckt. 

In  den  Jahren  1878  und  1879  blieb  der  Kanton  Genf  von  der  Reblaus 
verschont. 

•  Im  Jahre  1880  wurde  ein  neuer  Herd  zu  Grand- Saconn ex  entdeckt;  22,8941 
Are  wurden  mit  Schwefelkohlenstoff  behandelt  und  im  Winter  1881  zerstört. 
Im  Jahre  1881  wurden  6,2943  Are  zu  Pregny  und  im  Jahre  1882  1  Hektar 
.  38,8270  Are  in  den  Gemeinden  Genthod,  Pregny  und  Grand-Saconnex  behandelt. 
Im  Jahre  1883  zeigte  sich  die  Reblaus  in  denselben  Gemeinden  wieder;  die  Zahl 
der  in  denselben  krank  befundenen  Rebstöcke  betrug  467,  in  der  Sicherheitäzone 
befanden  sich  2322.  Auch  im  Jahre  1884  verbreitete  sich  die  Reblaus  nicht  über 
die  genannten  vier  Gemeinden,  die  Zahl  der  phylloxerirten  Reben  betrug  699,  in  der 
Sicherheitszone  betfanden  sich  30,651,  welche  zusammen  eine  Fläche  von  13,382  m'^ 
eingenommen  hatten.  Im  Jahre  1885  wurden  mehrere  neue  Herde  entdeckt,  und 
zwar  in  den  Gemeinden  Vernier,  Contignon  und  Bernex;  die  Zahl  der  in  diesen 
sowie  in  den  bereits  früher  verseuchten  Gemeinden  zerstörten  Reben  belief  sich 
in  diesem  Jahre  auf  60,000.  Im  Jahre  1886  wurde  die  Reblaus  im  Kanton 
Genf  wieder  konstatirt,  und  zwar  in  Verhältnissen,  welche  die  Lage  des  genfe- 
rischen  Rebgeländes  als  sehr  bedenklich  erscheinen  lassen  müssen.  Zwar  betrug 
die  Zahl  der  zerstörten  Rebstöcke  kaum  etwas  mehr  als  die  Hälfte  der  im  Jahre 
1885  zerstörten,  aber  es  bildeten  dieselben  eine  weitaus  größere  Summe  von 
Punkten  und  Herden  und  befanden  sich  zum  Theil  in  Gemeinden,  in  welchen 
bislang  die  Reblaus  nicht  konstatirt  worden  war.  Ende  1886  waren  nämlich 
im  Kanton  Genf  nicht  weniger  als  zwölf  Gemeinden  verseucht;  nämlich  von 
früher  die  Gemeinden  Petit-  und  Grand-Saconnex,  Pregny,  Vernier,  Contignon 
und  Bernex,  und  nun  zum  ersten  Mal  die  Gemeinden  Chancy,  Dardagny,  Russin, 
Satigny,  Onex  und  ThGnex.  In  diesen  zwölf  Gemeinden  wurden  30,502  Rebstöcke 
au  2186  Punkten  zerstört,  gegen  60,000  Rebstöcke  im  Jahre  1885.  Die  be- 
handelte Fläche  hat  eine  Ausdehnung  von  16,049  m*  und  gehörte  56  Eigenthümern. 
Iifi  Jahre  1887  wurden  in  den  Gemeinden  Pregny,  Petit -Saconnex,  Vernier, 
Satigny,  Dardagny,  Russin,  Chancy,  Cartigny,  Bernex,  Contignon,  Onex,  Thonex, 


Reblaus  —      648     —  Reblaus 

Choalex  und  Cologny  2947  Rebstöcke  infizirt  befunden;  die  behandelte  Fläche 
hat  eine  Ausdehnung  von  18,740  m'  und  enthielt  36,011  Stöcke.  Im  Jahre  f888 
wurde  die  Reblaus  in  folgenden,  bis  dahin  verschont  gebliebenen  Gremeinden  konstatirt : 
Avusy,  Aire-la-Ville.  Laconnex,  C^ligny,  Collonges-Bellerive,  Plan-les-Ouates, 
Bardonnex,  Chenes-Bougeries  und  Bellevue,  dagegen  wurden  keine  Infektityne» 
mehr  vorgefunden  in  den  Gremeinden  Petit-Saconnex,  Cologny  und  Thonex.  Im 
Ganzen  sind  sonach  im  Kanton  Grenf  1 9  Gemeinden  infizirt.  In  den  bereits  heim- 
gesuchten Gremeinden  wurden  um  die  alten  Angriffspunkte  herum  79^)  neue  Punkte^ 
entdeckt,  die  638  ^)  kranke  Stöcke  enthielten;  neue  Angriffe  zählte  man  19  mit 
12,631  kranken  Stöcken.  Zerstört  wurden  im  Ganzen  48,336  Rebstöcke.  Die 
behandelte  Fläche  hat  eine  Ausdehnung  von  27,361,26  m^. 

Hier  folgt  eine  Uebersicht  der  Verheerungen,  welche  die  Reblaus  im  Kanton 
Genf  seit  ihrem  ersten  Auftreten  angerichtet  hat,  wobei  wir  noch  bemerken,  daß 
das  Rebareai  des  Kantons  Genf  1902,29  Hektaren  beträgt. 
Im  Jahre   1874   | 

1875   l   3,734143    Hektare 


1876  j 


Im  Jahre 

1882 

1,388270 

Hektare 

r     f» 

1883 

0,126870 

1» 

n     r 

1884 

1,301000 

p 

r            f 

1885 

3,471800 

r 

«     1* 

1886 

1,604900 

p 

r     p 

1887 

1,874000 

p 

p            »• 

1888 
Total 

2,736156 

P 

16,7163961 

lektare*) 

„  1877  0,270000 

.  1878      — 

p  1879      — 

,  1880  0,146314 

„  1881  0,062943 

Im  Kanton  Neuenburg  wurde  das  Vorhandensein  der  Reblaus  erstmals  am 
20.  Juli  1877  konstatirt  und  zwar  zu  Colombier  und  am  22.  Juli  desselben  Jalires 
zu  Trois-Rods.  Eine  daraufhin  angeordnete  Untersuchung  sämmtl icher  Reben  des 
Kantons  führte  zu  der  Annahme,  daß  der  Ausgangspunkt  der  Infektion  in  den  wäh- 
rend  der  Jahre  1868  und  1869  angepflanzten  amerikanischen  Setzlingen  zu  suchen* 
sei.  Eine  spezielle  Untersuchung  der  Mutterstöcke  in  den  Anlagen  eines  Gärtners 
zu  Neuenburg,  wo  das  Insekt  vorgefunden  wurde,  bestätigte  die  Annahme  der 
Einschleppung  der  Krankheit  durch  den  Handel.  Die  amerikanischen,  im  Jahre  , 
1876  importirten  Reben  waren  aus  der  Rebschule  zu  Annaberg  bei  Bonn  bezogen 
worden,  wo  die  meisten  Setzlinge  einige  Jahre  später  als  phylloxerirt  erkannt 
and  auf  Anordnung  des  preußischen  Ministeriums  für  Landwirthschaft  zerstört 
worden  waren.  Die  angegriffenen  Stöcke,  sowie  die  gesunden,  in  einem  Umkreis 
von  100  m  um  den  Herd  befindlichen,  wurden  ungefähr  10  cm  unterhalb  der  Erd- 
oberfläche abgeschnitten,  in  Haufen  gesammelt,  mit  Petroleum  begossen  und  dann 
verbrannt.  In  den  Boden  wurden  vermittelst  eines  Pfahles  Löcher  von  40 — 50  cm 
Tiefe  gebohrt  und  in  dieselben  mit  Wasser  stark  verdünntes  Caliumsulfocarbonat 
gegossen.  Der  Boden  wurde  sodann  festgestampft,  geebnet  und  mit  einer  5  cm 
hohen  Schicht  Gaskalks  bedeckt.  Die  der  Behandlung  unterworfene  Fläche  betrug 
6,52  Hektare.  Im  Augast  desselben  Jahres  wurde  die  Reblaus  auch  zu  Coroelles 
entdeckt  und  daselbst  eine  Fläche  von  30,22  Aren  behandelt. 

Im  Jahre   1878    wurde   in    einem   zwischen  dem  Bahnhof  von  Boudry  und 
dem  Dort'e  Trois-Rods  gelegenen  Weinberge  ein  vollständig  neuer  Herd  entdeckt. 


M  Amtlicher  Bericht  SO,  richlijre  Addition  79.  ' 

-)  Aintliclior  Bericht  648,  richtiyre  Addition  638. 

")  Der  amtliche  Genfer  Bericht  pro  1888  gibt  nur  15,610396  ha  an;  der  Unter- 
schied rnlirt  daher,  daß  die  amtlichen  Genfer  Berichte  pro  1886  und  1887  nicht  richtijre 
A«l«litionen  enthalten.  Die  für  jedes  Jahr  ^^emachten  Angaben  stimmen  ganz  genau  mit 
den  ohi^ron  Zahlen. 


Reblaus  —     649      —  Reblaus 

Da  sich  die  Wirkung  der  im  vorbergeheDden  Jahre  auf  das  Insekt  angewendeten 
Vergiftung  durch  Sulfocarbonat  nicht  in  dem  Maße  kräftig  erzeigt  hatte,  wie 
man  es  gewünscht  hatte,  wurde  diesmal  als  vergiftende  Substanz  Neolin  und 
flüssige  schweflige  Säure  angewendet.  Auf  den  kurze  Zeit  nach  der  Behandlung 
untersuchten  Pflanzen  konnte  kein  lebendes  Insekt  aufgefunden  werden,  aber  die 
Wirkung  auf  das  Wachsthuni  der  Pflanzen  war  vernichtend  Die  eine  Hälfte  des 
Weinberges,  auf  welcher  jeder  Stock  mit  einer  Dosis  von  300  g  Neolin,  gesättigt 
mit  30  g  flüssiger  schwefliger  Säure,  behandelt  worden,  wies  im  Frühjahr  1879 
auf  800  Stöcke  nur  einen  lebenden  auf;  in  der  andern  Hälfte,  wo  dieselbe  Dosis 
auf  je  einem  Quadratmeter  angewendet  worden,  kam  auf  120  untersuchte  Stöcke  je 
eiu  lebender.  Der  Umfang  der  im  Jahre  1878  im  Kanton  Neuen  bürg  behandelten 
Flächen  beläuft  sich  auf  4560  m*.  Im  Jahre  1879  wurden  0,1050  Hektare, 
im  Jahre  1880  0,6913  Hektare  und  im  Jahre  1881  8,018  Hektare  behandelt 
und  zerstört.  Die  Gemeinden,  in  denen  sich  Keblausherde  befanden,  waren: 
Boudry,  Trois-Rods,  Neuchätel,  Corcelle«,  Champreveyres,  la  Favarge,  Haute- Rive, 
BGle,  Colombier:  Seither  wurde  als  Vergiftungssubstanz  ausnahmslos  Schwefel- 
kohlenstoff angewendet. 

Im  Jahre  1881  verbreitete  sich  die  Krankheit  nicht  über  die  bereits  inflziiten 
Gemeinden  hinaus,  die  Zahl  der  inflzirten  Rebstöcke  belief  sich  auf  4639.  Im 
Jahre  1882  wurde  die  Reblaus  in  den  Gemeinden  Serrieres,  Neuenburg,  la  Coudre, 
Haute-Rive,  St-Blaise,  Trois-Rods,  Boudry,  Colombier  und  Auvernier  koustatirt. 
Die  Zahl  der  infizirt  befundenen  St(>cke  belief  sich  auf  3537 ;  das  Umgraben 
fand  auf  einer  Fläche  von  13  119  m*  statt.  Im  Jahre  1883  trat  die  Reblaus 
wieder  auf,  ohne  indessen  ihre  Verwüstungen  über  andere  Gemeinden,  als  die 
bereits  betroffenen,  auszudehnen.  In  Boudry  fanden  sich  300,  in  Bole  8,  in 
Colombier  406  Stöcke.  Die  Sicherheitszone  umfaßte  5500  Stöcke;  die  ganze  zu 
behandelnde,  umgegrabene  Fläche  maß  2288  m^.  In  Serrieres  waren  96,  in 
Neuenburg  13,  in  Auvernier  4,  in  la  Favarge  98,  in  Champreveyres  121  und 
in  St-Blaise  86  Stöcke  infizirt.  Die  Zahl  der  im  Kreise  la  Coudre,  Haute-Rive 
und  St-Blaise  behandelten  Stöcke  (die  der  Sicherheitszone  inbegriffen)  belief  sich 
auf  5850,  die  umgegrabene  Fläche  maß  3228  m^ 

Im  Jahre  1884  traf  man  die  Reblaus  zu  la  Coudre  an  112,  in  Haute-Rive 
an  68,  in  St-Blaise  an  35,  in  Neuenbürg  und  Auvernier  an  1108  und  in 
Colombier,  Boudry  und  BGle  an  371  Stöcken.  Die  behandelte  Fläche  umfaßte 
11,647  m«. 

Im  Jahre  1885  trat  die  Reblaus  auch  in  Ortschaften  auf,  in  denen  sie  bis 
anbin  nicht  konstatirt  worden  war  oder  in  denen  die  Krankheit  als  erloschen 
betrachtet  werden  konnte.  In  den  Jahren  1886  und  1887  dagegen  dehnte  sich 
die  Krankheit  nicht  weiter  aus.  Die  Zahl  der  kranken  Stöcke  belief  sich  im  Jahre 
1885  auf  5202,  im  Jahre  1886  auf  4214  und  im  Jahre  1887  auf  6983  >); 
dieselben  vertheilen  sich  auf  die  nachfolgenden  Gemeinden  wie  folgt: 

Im  Jahre  1885    Im  Jahre  1886    Im  Jahre  1887 
Boudry  .      .      .        2685  921  1861      infizirt  befundene  Stöcke. 


BGle  . 
Colombier 
Auvernier 
Corcelles 


66  65  168 

168  1424  2093 

9  234  50 

273  139  104 


')  Der  amtliche  Bericht  gibt  zwar  7045  an,  aber  die  richtige  Addition  der  einzelnen 
Posten  ergibt  nur  6983. 


Reblaus 


—     650     — 


Reblaus 


Im  Jahre  1885   Im  Jahre  1886    bn  Jahre  1887 


Peseux  .     . 

754 

Neuchätel    . 

365 

Serrieres 

487 

la  Coudre    . 

69 

Favarge 

66 

Haute-Rive 

58 

Cham  pr^vey  res 

28 

St-Blaise     . 

174 

Total 

l        5202 

220 

282 

553 

69 

53 

54 

123 

77 


555     infizirt  befanilene  Stöcke,. 

5^2        n  1,  « 

1010 

144    „ 

20    .      .      . 
50 
346 


n 


4214  6983     intizirt  befundene  Stöcke. 

Im  Jahre  1888  wurde  die  Reblaus  außer  in  den  bereits  verseuchten  Ge- 
meinden auch  in  Cortaillod  entdeckt.  Das  Resultat  der  Untersuchungen  dieses 
Jahres  ist  folgendes: 


Neuenbürg 
La  Coudre 
Hauterive 
St.  Blaise 
Boudry    . 
Colombier 


AugritTs- 
pnnkte 

56 

7 

1 

19 

126 

93 


Kranke 
Stöcke 

293 

67 

11 

78 

1,071 

571 


Vn)  gegrabene 
Fläche  m* 

3,177 

309 

36 

592 

3,137 

1,737 


Büle    . 
Cortaillod 
Corcelles  . 
Peseux 
Auvernier 


Angriffs« 
pnnkte 

20 
6 
62 
15 
33 


Kranke 
Stöcke 

232 

548 

565 

63 

376 


Umgegrabene 
Fl&cbe  m' 

578 
1,453 
3,234 

625 
1,206 


Zusammenfassend  notiren  wir. 


438       3855        16,024 
daß  von  dem  1247,94*  Hektaren  betragenden 


Rebareai  des  Kantons  Neuenburg  in  Folge  der  Reblauskrankheit  behandelt  wurden : 


Im  Jahre  1877 

n         ,       1878 

n        n       1879 

n       1880 

.  n  1881 

1882 
1883 


» 


65,154  m* 

4,640  „ 

7:ö1  „ 

5,979  „ 

8,017  . 

13,048  , 

7,183  , 


Im  Jahre  1884 
n  1885 
„  1886 
n  1887 
»       1888 


11,647 
19,153 
12,948 
17,174 
16,024 


m* 


Total   181,698  m^ 

Zürich.  In  diesem  Kanton,  dessen  Rebland  5551,92  Hektare  mißt  und 
einen  Schatznngswerth  von  Fr.  48'400,686  hat,  wurde  die  Reblaus  im  Jahre 
1886  in  sieben  Gemeinden  konstatirt,  und  zwar  war  die  Zahl  und  Bedeutung 
der  Herde  so  groß,  wie  sie  in  keinem  Jahre  in  den  Kantonen  Neuenburg  und 
Genf  war.  Es  ist  mit  Sicherheit  anzunehmen,  daß  das  Alter  einiger  Herde  sehr 
hoch  ist,  und  der  Umstand,  daß  die  Reblaus  nicht  früher  in  denselben  vorgefunden 
wurde,  nur  dadurch  erklärlich,  daß  das  schlechte  Aussehen  der  Reben  anderen 
Ursachen  (Fröste,  Wurzelpilz,  häufige  naßkalte  Witterung  und  für  gewisse  Reben- 
sorten ungünstige  Lage  und  Bodenbeschaffenheit)  zugeschrieben  wurde. 

Die  Ausdehnung,  welche  die  Reblauskrankheit  im  Kanton  Zürich  im  Jahre 
1886  erlangt  hat,  ist  aus  folgenden  Tabellen  ersichtlich: 

Gemclmlcu 

Höngg 

Oberstraß 

Dielsdorf 


Oberweningen 21 

Regensberg 147 

Schöfflisdorf  und  Steinmaur  . 
Winkel 

Total     331 


ifektions- 

Iiifizirte 

Tm  Ganzen  wurden  dee» 

herde 

Stöcke 

inßsirt  und  anegethan 

11 

658 

5,935 

59 

4,240 

23,339 

69 

2,062 

13,998 

21 

295 

3,907 

147 

13,574 

37,043 

14 

332 

4,704 

10 

1,369 

4,761 

22,530 


93,687 


Reblaus 


—     651     — 


Reblaus 


Verb 

rancbter 

Ausgehe 

bene  Erde 

Terbraiiobtes  Petroleum 

_        .    ,                          ^CIlweIeiKOIllen8TotI  M 
Gemeinden                              ^^  Genien 

Flächen- 

inhnlt 

Knbik- 

inhult 

im  Gsnsen 

kg 

Fr. 

iUIlHIV 

m» 

kg                    Fr. 

Höngg     .     .     .       2,850 

1,225.  50 

3,966 

5,240 

1,278           281.2^ 

Oberstraß      .     .       9,600 

4,128. 

15,069 

9,538 

2,130        468.  75 

Dielsdorf       .     .        6,300 

2,709. 

10,019 

7,657 

3,479         765.  65 

Oberweningen    .        1,800 

774.— 

2,681 

2,310 

1,207         265.65 

Regensberg  .      .      23,700 

10,191.— 

28,904 

18,494 

6,390       1406.  25 

Schöffiisdorf  und 

Steinmaur      .        1,400 

602. 

2,541 

2,282 

994         218.  75 

Winkel    .     .     .       1,475 

634.  25 

3,144 

2,830 

745,5      164.  OS 

Total     47,125 

20,263.  75 

66,324 

48,351 

16,223,5    3570.  35 

Ueber   die  Verbreitung,    welche   die 

Reblauskrankheit 

im  Jahre  1887    im 

Kanton  Zürich  erlangt  hat, 

gibt  folgende 

'  Tabelle  Auskunft 

• 
• 

Inflzirte  Gemeinden 

Infiziito  Stücke 

Stöcke  «l«r 
Sicherheitezone 

Im  Ganxen  wurden  Stocke 
desinflzirt  und  ausKcthan 

Höngg 

24 

544 

806 

Oberstraß    .     . 

81 

1551 

2774 

Dielsdorf     . 

338 

4720 

8043 

Oberweningen  . 

202 

3126 

4487 

Regensberg 

503 

7726 

12131 

Schöfflisdorf      . 

10 

154 

297 

Steinmaur    . 

40 

658 

999 

Winkel  .      .     . 

85 

889 

1772 

Boppelsen    . 

172 

3134 

4056 

Buchs 

42 

662 

760 

Oberglatt     . 

652 

499 

1237 

Total       2149  23663  37362 

In  den  drei  zuletzt  aufgeführten  Gemeinden  ist  die  Reblaus  erst  im  Jahre 
1887  konstatirt  worden,  es  läßt  aber  namentlich  der  Umfang  der  Krankheit  in 
Oberglatt  mit  Sicherheit  darauf  schließen,  daß  die  aufgefundenen  Herde  altern 
Datums  sind.  Die  bedeutende  Differenz  zwischen  der  Rubrik  4  und  der  Summe 
der  Rubriken  2  und  3  erklärt  sich  dadurch :  a,  daß  1886  außerhalb  der  Sicherheits- 
zone sich  befindende  Reben  durch  die  Schwefelkohlenstoff-Einspritzungen  zu  Grunde 
gingen;  6.  daß  8732  gesunde  Reben,  welche  nach  der  Zerstörung  der  Infektions- 
herde als  vereinzelte  Gruppen  stehen  blieben,  aus  praktischen  Gründen  ebenfalls 
vernichtet  wurden,  und  c  daß  932  Reben  in  Folge  der  Vertilgungsarbeiten  des 
Jahres  1886  im  Frühjahre  1887  nicht  mehr  ausgetrieben  haben.  Das  Rebareal 
des  Kantons  Zürich  ist  im  Jahre   1887  um  27,567  m^  zurückgegangen. 

Im  Jahre  1888  ist  die  Reblaus  in  den  Gemeinden  Boppelsen  und  Buchs 
nicht  mehr  konstatirt  worden;  dagegen  wurde  ein  Infektionsherd  in  der  bisher 
verschonten  Gemeinde  Kloten  (Bezirk  Bülach)  entdeckt.  Die  Zahl  der  Herde  in 
den  verseuchten  10  Gemeinden  beträgt  268,  davon  104  in  Regensberg  und  6^ 
in  Dielsdorf.  Krank  befunden  wurden  927,  zerstört  23,793  Stöcke.  In  'die 
eigentliche  Sicherheitszone  waren  nur  8786  Stöcke  gefallen,  dagegen  starben  außerhalb 
derselben  ab  2191  und  11,889  wurden  anläßlich  der  Umgrabung  der  infizirten 
Flächen  aus  praktischen  Gründen  zerstört.  In  der  Gemeinde  Kloten  betrug  di& 
Zahl  der  Herde  10,  die  der  infizirten  Stöcke  314;  in  die  Sicherheitszone  fielen 


^)  Ein  Gebinde  von  100  kg  Schwefelkohlenstoff  kostete  netto  Fr.  43. 


Reblaus  —     652     —  Reblaus 

2332,  zerstört  wurden  da  7781  Stöcke.  Die  im  Jahre  1888  gerodete  Fläche 
hat  eine  Ausdehnung  von  14,209  m^.  Verbraucht  wurden  6372  kg  Schwefel- 
kohlenstoff und  22,017  kg  Petroleum. 

Das  Rebareal  des  Kantons  Zürich  ist  zurückgegangen 

im  Jahre  1886  um  66,324  m* 
.        .       1887     „    27,567    „ 
.       1888     ,     14,209     , 

Total   108,100  m^ 
Im  Kanton  Waadt   wurde    die  Reblaus  Anfangs  Juli  1886   in  drei   Reb- 
bergeu  der  Gemeinden  Founex  und  Myes,  Bezirk  Nyon,  vorgefunden.    Folgendes 
ist   das  Resultat   der  Untersuchungen   in  den  Rebbergen  der  beiden  Gemeinden: 

Gemeinde              Fläche  des  Herdes           Sicherheitszone 
Founex      ....            187  ra^                      1217  m^ 
Myes 25    „ 225    „ 

Total  212  m^  1442  m^ 

Behandelt  wurde  sonach  eine  Fläche  von  1654  m^  auf  der  sich  387  phyl- 
loxerirte  und  2287  gesunde,  im  Ganzen  2674  Reben  befunden  haben. 

Im  Jahre  1887  haben  die  Untersuchungen  zu  Myes  keine  neuen  Erkrankungen 
konstatirt;  dagegen  wurde  in  Vieh  (Nyon)  ein  ziemlich  bedeutender  Herd  ent- 
deckt. Derselbe  umfaßte  auf  neun  verschiedenen  Punkten  504  kranke  Stöcke; 
in  die  dazu  gehörige  Sicherheitszone  fielen  3885  Stöcke.  In  der  Nähe  des  alten 
Herdes  zu  Founex  wurden  noch  1 8  kranke  Stöcke  gefunden ;  die  hiedurch  nöthige 
Sicherheitszone  umfaßte  553  Stöcke.  In  beiden  Gemeinden  fielen  sonach  im  Ganzen 
4438  Stöcke  der  Reblaus  zum  Opfer.  Die  zu  desinfizirende  Fläche  beträgt  2239  m^ 

Im  Jahre  1888  wurde  die  Reblaus  konstatirt:  in  Myes  an  2  Punkten  auf 
26  Rebstöcken,  in  Essertines  sur  Rolle  an  4  Punkten  auf  58  Stöcken  und  in 
Founex  an  4  Punkten  auf  44  Stöcken:  Total  an  10  Punkten  auf  128  Reben. 
Eine  in  dem  zur  genferischen  Gemeinde  Celigny  gehörenden  Weiler  La  Coudre 
entdeckte  Infektion  machte  eine  Sicherheitszone  nöthig,  die  auf  das  Gebiet  der 
waadtländischen  Gemeinde  Chavannes-de-ßogis  hinübergreift.  In  Myes  mußten 
1062,  in  Chavannes-de-Bogis  195,  in  Essertines  1731  und  in  Founex  2517  Reben 
ausgethan  werden.  Die  Fläche,  auf  welcher  diese  5505  Reben  gestanden  und 
welche  demgemäß  behandelt  werden  mußte,  hatte  ein.e  Ausdehnung  von  1703  m*. 

Das  waadtländische  Rebgelände  erlitt  im  Jahre  1886  eine  Abnahme  von 
1654,  im  Jahre  1887  von  2239  und  im  Jahre  1888  von  1703  m^  in  den  drei 
Jahren  seit  dem  Auftreten  der  Reblaus  sonach  eine  Abnahme  von  5596  m^. 

Seit  1874  sind  sonach  vom  schweizerischen  Rebareal  von  der  Reblaus  infizirt 
und  zur  Verhütung  einer  größeren  Ausbreitung  der  Reblauskrankheit  im  Ganzen 
ca.  46  Hektare  zerstört  worden,  nämlich  im  Kanton  Genf  16,7163,96  m^,  Neuen- 
burg 18,1699,80  m'S  Zürich   10,8100,00  m^  Waadt  5596  m^ 

IIL  Maßnahmen  der  Behörden  eur  Verhinderung  der  Einschleppuuf/  der 
ItcblaiiH  und  zur  Bekämpfanf/  derselben.  Die  Bundesbehörde  befaßte  sich  schon  im 
Jahre  1872  mit  der  Reblausfrage,  indem  sie  auf  die  Anregung  des  Staatsrathes  des 
Kantons  Waadt  und  der  landwirthschaft liehen  Gesellschaft  des  Kantons  Genf  zwei 
Delegirte  mit  dem  Auftrage  nach  Frankreich  abordnete,  eine  Darstellung  des 
Wesens  und  der  Verbreitung  der  daselbst  herrschenden  Rebenkraukheit  zu  liefern, 
über  den  Grad  der  Gefahr,  die  von  daher  dem  schweizerischen  Rebgelände  drohe, 
Aufschluß  zu  ertheilen  und  hinsichtlich  der  zur  Abwehr  und  zur  Bekämpfung 
derselben     geeigneten     Maßregeln    sich    gutachtend    zu     äußern.      Bald    darauf 


Reblaus  —     653     —  Reblaus 

(9,  Februar  1872)  verbot  der  Bundesrath  die  Einfuhr  von  Wurzelreben  und  Rebholz. 
aus  Frankreich  und  beschränkte  die  Einfuhr  von  Obstbäumen  aus  diesem  Lande 
(22,  Dezember  1873).  Im  Jahre  1874  wurden  die  Herren  Demoie  und  Schneieier 
an  den  Weinbaukongreß  in  Montpellier  abgeordnet,  nachdem  schon  vorher  (11.  August 
1874)  eine  eidgenössische  Zentral kommission  eingesetzt  worden  war,  welcher  die 
Aufgabe  zugewiesen  worden,  die  Natur  und  den  Gang  der  Rebenkrankheit  an 
Ort  und  Stelle  zu  studiren,  Ortsbesichtigungen  in  der  Schweiz  vorzunehmen,  das 
Volk  zu  belehren,  Gutachten  abzugeben,  Reglemente,  Programme  und  Gesetzes- 
vorschläge auszuarbeiten. 

Nachdem  sodann  im  Jahre  1874  im  Kanton  Genf  die  Reblaus  aufgetreten 
war  und  die  Maßnahmen  zum  Zwecke  der  Ausrottung  derselben  diesem  Kanton 
eine  Auslage  von  mehr  denn  Fr.  100,000  verursacht  hatten,  glaubte  die  Bundes- 
versammlung eine  Untersuchung  darüber  veranlassen  zu  sollen,  ob  nicht  die 
Kantone,  welche  zur  Bekämpfung  der  Reblaus  größere  Opfer  zu  bringen  in  den 
Fall  kommen,  vom  Bunde  unterstützt  werden  sollten,  und  lud  den  Bundesrath 
ein,  diese  Frage  zu  prüfen. 

Unterm  7.  Dezember  1876  legte  dieser  der  Bundesversammlung  einen 
Gesetzesentwurf  über  die  gegen  das  Eindringen  und  die  Ausbreitung  der  Reblaus 
in  der  Schweiz  zu  ergreifenden  Maßregeln  vor,  welcher  Entwurf  sowohl  von  den 
Vorbeugungsmaßregeln  handelte,  als  auch  das  Verfahren  vorschrieb,  welches  beim 
Auftreten  der  Reblaus  angewendet  werden  sollte,  und  die  Grundsätze  feststellte, 
nach  welchen  die  Eigenthümer  der  von  der  Krankheit  heimgesuchten  Reben  ent- 
schädigt werden  sollten.  Ehe  indessen  die  gesetzgebenden  Räthe  sich  über  den 
Entwurf  hatten  einigen  können,  hatte  der  Bundesrath  (am  14.  März  1877)  den 
Weinbau  treibenden  Staaten  Europas  die  Veranstaltung  eines  internationalen 
Kongresses  zur  Berathung  von  Maßnahmen  vorgeschlagen,  welche  gemeinsam 
gegen  die  Ausbreitung  und  für  die  Zerstörung  der  Reblaus  getroffen  werden 
könnten.  Infolge  dessen  erachtete  es  die  Bundesversammlung  für  angezeigt,  die 
Berathung  des  bundesräthlichen  Gesetzesentwurfes  vom  7.  Dezember  1876  zu 
verschieben.     Sie  zog  jedoch  in  Betracht, 

,daß,  wenn  die  Reblaus  neuerdings  in  der  Schweiz  sich  zeigen  würde,  es  zu 
bedauern  wäre,  wenn,  weil  ein  Bundesgesetz  noch  nicht  besteht,  die  Seuche  aus 
Mangel  an  vorsorgenden  Maßregeln  weiter  um  sich  greifen  könnte;  ferner,  daß 
es  im  öffentlichen  Interesse  liege,  die  Kantone  einzuladen,  keine  Vorkehrungen 
zu  versäumen,  welche  eine  erfolgreiche  Bekämpfung  des  Uebels  versprechen,  und 
ihnen  hiefür  die  materielle  Unterstützung  des  Bundes  zu  sichern,* 
und  beschloß  deßhalb  am  15.  Juni  1877: 

„Den  Kantonen,  welche  sich  genöthigt  sahen  oder  künftig  genöthigt  sehen 
werden,  Vorsichtsmaßregeln  gegen  die  Reblaus  zu  ergreifen,  bevor  ein  sachbezOg- 
liches  Bundesgesetz  erlassen  ist,  sollen  —  rückwirkend  —  die  eidgenössischen 
Entschädigungen  zu  gut  kommen,  welche  im  gedachten  Gesetze  vorgesehen  werden 
können;  unter  der  Bedingung,  daß  sie  bei  den  betrelTenden  Vorkehrungen  sich 
an  die  Weisungen  der  Bundesbehörde  halten.  Diese  Entschädigungen  dürfen  nicht 
weniger  als  ein  Drittel  der  von  den  Kantonen  gemachten  Auslagen  betragen." 

Die  internationale  Konferenz  fand  vom  6. — 18.  August  1877  in  Lausanne 
statt.  Beschickt  hatten  dieselbe  Deutschland,  Oesterreich- Ungarn,  Spanien,  Frank- 
reich, Italien,  Portugal  und  die  Schweiz.  Die  Konklusionen,  zu  welchen  dieser 
Kongreß  gelangte,  wurden  allen  europäischen  Staaten  mit  der  Einladung  zum 
Abschlüsse  eines  internationalen  Vertrages  auf  Grundlage  jener  Konklusionen  mit- 
getheilt.  Infolge  dessen  fand  vom  9. — 17.  September  1878  eine  internationale 
Konferenz  in  Bern  statt,  au  welcher  Vertreter  der  bereits  genannten  Staaten 
theilnahmen.  Das  Ergebniß  der  Berathungen  derselben  war  der  am  17.  September 


Reblaus  —     654     —  Reblaus 

1878  zu  Staude  gekommene  internationale  Vertrag  betreffend  die  gegea 
die  Phylloxera  vastatrix  zu  treffenden  Maßregeln.  Die  Bundes  Versammlung  er- 
theilte  demselben  mit  Schlußnahme  vom  17.  Dezember  1878  die  Genehmigung. 
Nachdem  derselbe  sodann  auch  von  den  Regierungen  von  Deutschland,  Frankreich, 
Portugal  und  Oester reich- Ungarn  ratifiziit  worden  war,  trat  er  für  diese  Staaten 
«m  15.  Januar  1880  in  Kraft.  In  der  Folge  traten  demselben  noch  bei:  Luxem- 
burg und  Belgien.  Italien  und  Spanien,  deren  Vertreter  den  Vertrag  mitunter- 
zeichnet hatten,  ratifizirten  jedoch  denselben  nicht,  in  dem  Glauben,  durch  eine 
strengere  autonome  Gesetzgebung  sich  besser  gegen  den  Rebenfeind  schützen  zu 
können. 

Wir  müssen  indessen  hier  zu  den  von  dem  Vertrage  unabhängigen  Schluß- 
nahmen der  Bundesversammlung  und  des  Bandesrathes  zurückkehren.  Unterm 
21.  Februar  1878  beschloß  die  Bundesversammlung: 

1)  Der  Bundesrath  ist  eingeladen,  den  Gesetzesentwurf  vom  7.  Dezember  1876  einer 
erneuerten  Prüfung  zu  unterbreiten  und  Bericht  zu  erstatten. 

2)  Der  Bundesrath  ist  inzwischen  ermächtigt,  im  Einverständniß  mit  den  Kantonen 
bei  den  Verhütungs-  und  Heilversuchen  gegen  das  drohende  Uebel  sich  angemessen 
zu  betbeiligen.  Insbesondere  ist  er  ermächtigt,  eine  angemessene  Ueberwachung 
und  Untersuchung  der  Weinberge,  sowie  die  erforderlichen  Schutzmaßregeln  gegen 
die  weitere  Verbreitung  der  Reblaus  anzuordnen,  die  Einfuhr,  ZirkuhUion  und 
Ausfuhr  von  Pflanzen,  Stoffen  und  Produkten,  welche  Träger  der  Reblaus  sein 
können,  zu  verbieten  und  die  Uebertretungen  dieses  Verbotes  mit  entsprechenden 
Bußen  zu  belegen.  Zu  diesem  Behufe  ist  er  ermächtigt,  von  sich  aus  die  nötbigen 
Auslagen  bis  zum  Betrage  von  Fr.  50,000  (fünfzigtausend)  aufzuwenden. 

3)  Der  Bundesrath  ist  eingeladen,  der  Bundesversammlung  über  die  Festsetzung  der 
zugesicherten  Entschädigungen  nach  Maßgabe  des  Bundesbeschlusses  vom  15.  Brach- 
monat 1877  Bericht  und  Antrag  vorzulegen. 

In  Ausführung  dieses  Beschlusses,  sowie  desjenigen  vom  15.  Juni  1877, 
«rließ  sodann  der  Bundesrath  unterm  18.  April  1878  ein  Vollziehungs- 
reglement, welches  einerseits  die  Kantone  anhielt,  eine  genaue  Ueberwachung 
ihrer  Weinberge  zu  organisiren,  andrerseits  allgemeine  Normen  betreffend  die 
Einfuhr  von  gefährlichen  und  verdächtigen  Erzengnissen  au&tellte  und  die  Be- 
strafung von  Uebertretungen  der  Einfuhrverbote  regelte.  Dieses  Vollziehungs- 
reglemeut  wurde  nach  Inkrafttreten  der  Reblauskonvention  durch  dasjenige  vom 
6.  Februar  1880  ersetzt,  welches  mit  den  Bestimmungen  des  Vertrage«  in  Ueber- 
einst!mmung  gebracht  wurde. 

Die  Vollziehung  dieses  Vertrages  begegnete  bald  großen  Schwierigkeiten. 
Es  war  namentlich  die  Bestimmung  in  Art.  3,  AI.  3,  daß  die  Wurzeln  der  zur 
Versendung  gelangenden  Obstbäume,  Gresträuche  und  verschiedenen  Erzeugnisse 
der  Baumschulen,  Grärten  und  Treibhäuser  vollständig  von  Erde  gereinigt  sein 
müssen,  welche  zu  lebhaften  Beschwerden  der  Handelsgärtner  in  sämmtlichen 
Vertragsstaaten  und  anderswo,  namentlich  der  belgischen,  die  bekanntlich  mit 
Garten  bauprudukten,  insbesondere  Zierpflanzen,  einen  lebhaften  Exporthandel  be- 
treiben, Anlaß  gab.  Es  wurde  mit  Hecht  geltend  gemacht,  daß  für  die  immer- 
grünen Pflanzen  jene  Vorschrift  einem  absoluten  Verbote,  sie  von  einem  Ort  zum 
andern  zu  bringen,  d.  h.  der  gänzlichen  Unterdrückung  des  Handels  mit  den- 
selben,  gleichkomme. 

Da  auch  noch  andere  Punkte  der  Konvention  vom  Jahre  1878  revisions- 
bedürftig schienen,  lud  der  schweizerische  Bundesrath,  welcher  nach  Art.  7,  AI.  3, 
der  Konvention  die  Vermittlung  zwischen  den  kontrahirenden  Staaten  übernommeD 
hatte,  die  Regierungen  der  dem  Vertrage  beigetretenen  Staaten  zu  einer  Konferenz 
nach  Bern  ein.    Dieselbe  fand  vom  3.  Oktober  bis  3.  November  1881  statt.    Das 


Rehlaus  —      655      —  Rel)Iaus 

Resultat  der  Berathungen  derselben  ist  nachfolgende  am  3.  November  1881  von 
-den  Vertretern  der  Schweiz,  Deutschlands,  Frankreichs,  Oesterreich -Ungarns  und 
Portugals  unterzeichnete 

Internationale  Phylloxera-Uebereinkunft: 

Art.  1.  Die  vertragschließenden  Staaten  treten  von  der  internationalen  Ueberein- 
kuntl  vom  17.  September  1878  zurück,  um  eine  neue  abzuschließen,  und  vei-ptlichten 
sicli,  ihre  innere  Gesetzgebung,  falls  sie  es  nicht  schon  gethan  haben,  dahin  zu  ver- 
vollständigen, daß  dadurch  eine  gemeinschaftliche  und  wirksame  Bekämpfung  der  Ein- 
schleppung und  Verbreitung  der  Reblaus  gesichert  wird.  —  Diese  Gesetzgebung  soll  sich 
insbesondere  auf  folgende  Punkte  beziehen:  1)  die  Beaufsichtigung  Jer  Weinberge, 
Pflanzschulen  aller  Art,  der  Gärten  und  Treibhäuser,  die  zur  Auffindung  der  Reblaus 
erforderlichen  Untersuchungen  und  Ermittlungen  und  endlich  die  behufs  möglichster 
Ausrottung  derselben  zu  entwickelnde  Thätigkeit :  2)  die  Abgrenzung  der  von  der  Krank- 
heit befallenen  Flächen  und  des  Umfanges  der  durch  die  Nachbarsi'hafl  von  Infektions- 
herden verdächtig  gewordenen  Bezirke,  und  zwar  je  im  Verhältniß  zum  Auftreten  und 
zur  Verbreitung  des  Uebels  im  Innern  der  Staaten:  3j  die  Regelung  des  Transportes 
und  der  Verpackung  der  Rebensetzlinge,  der  Theile  und  Produkte  der  Rebe,  sowie  der 
Setzlinge,  Gesträuche  und  aller  andern  Erzeujprnisse  des  Gartenbaues,  um  zu  verhindern, 
daß  die  Krankheit  ihren  Herd  im  Innern  des  Landes  überschreite  oder  in  andere  Staaten 
Eingang  finde;  4)  die  Verfugungen  betrelTend  die  Uebertretungen  der  angeordneten 
Maßregeln. 

Art.  2.  Zmn  ungehinderten  internal ionalen  Verkehr  werden  zugelassen:  Wein, 
Trauben,  Trester,  Traubenkerne,  abgeschnittene  Blumen,  Geninseprodukte,  Samenkörner 
und  Früchte  aller  Art.  —  Tatoltrauben  dürfen  nur  in  fest  verpackten,  aber  dennoch 
leicht  zu  untersuchenden  Kisten,  Schachteln  oder  Körben  zur  Versendung  gelangen.  — 
Weiulesetrauben  dürfen  nur  gekeltert  und  in  wohkerschlossenen  Gebinden  zirkuliren. 
—  Weintrester  dürfen  nur  in  Kisten  oder  wohlverscldosseneu  Fässern  zirkuliren.  — 
Jeder  Staat  hat  das  Recht,  in  den  Grenzdistrikten  beschränkende  Maßnahmen  gegenüber 
den  Gemüsen  zu  erlassen,  die  als  Zwischenkulturen  in  phylloxerirten  Weinbergen  gezogen 
worden  sind. 

Art.  3.  Setzlinge,  Gesträuche  und  alle  andern  Vegetubilien  außer  der  Rebe,  die 
aus  Pflanzschulen,  Gärten  oder  Treibhausern  konmien,  werden  zum  internationalen 
Verkehr  zugelassen,  können  jetloch  in  einen  Staat  nur  über  die  von  demselben  zu  be- 
zeichnenden Zollbureaux  eingeführt  werden.  —  Die  j?enannten  Gegenstände  sollen  fest 
verpackt  sein,  jedoch  immerhin  nur  so,  daß  die  noth wendigen  Untersuchungen  leicht 
möglich  sind.  Sie  müssen  von  einer  Deklaration  des  Versenders  und  einer  Bescheinigung 
der  kompetenten  Behörde  des  Landes,  aus  welchem  sie  kommen,  begleitet  sein,  welche 
Bescheinigung  besagen  soll:  a.  daß  sie  aus  einem  Grundstück  (einer  Anpflanzung,  einer 
Einfriedigung)  kommen,  welches  von  jedem  Rebstock  wenigstens  20  Meter  entfernt  oder 
von  den  Wurzeln  desselben  durch  ein  von  der  kompetenten  Behörde  für  genügend 
erachtetes  Hinderniß  getrennt  ist;  b.  daß  dieses  Grundstück  selbst  keinen  Rebslock  ent- 
hält; c.  daß  auf  demselben  keine  Rebstöcke  abgelagert  sind;  d.  daß,  wenn  mit  der 
Reblaus  behaftete  Reben  in  demselben  sich  befunden  haben,  die  Ausrodung  der  Wurzeln, 
wiederholte  Behandlung  mit  Gilt  und  während  drei  Jahren  Untersuchungen  stattgefunden 
haben,  die  die  vollständige  Vernichtung  des  Insekts  und  der  Wurzeln  sichern. 

Art.  4.  Hinsichtlich  der  Zulassung  von  Weinlesetrauben,  Weinlreslern,  Kompost, 
Düngererde,  schon  gebrauchten  Schutzpfahlen  und  Rebstecken  in  die  Grenzgebiete 
werden  sich  die  Nachbarstaaten  ins  Einvernehmen  setzen,  mit  dem  Vorbehalte  jedoch, 
daß  die  genannten  Gegenstände  nicht  aus  einer  von  der  Reblaus  heimgesuchten  Gejrend 
kommen. 

Art.  5.  Ausgerissene  Reben  und  trockenes  Rebholz  sind  von  dem  internationalen 
Verkehr  ausgeschlossen.  —  Indessen  können  sich  die  aneinander  grenzenden  Staaten 
hinsichthch  der  Zulassung  dieser  Gegenstände  in  den  Grenzgebieten  ins  Einvernehmen 
setzen,  unter  dem  Vorbehalte,  daß  dieselben  nicht  aus  einer  von  der  Reblaus  heim- 
gesuchten Gegend  kommen. 

Art.  6.  Rebensetzlinge,  Rebenschößlinge  mit  oder  ohne  Wurzeln  und  Rebholz 
dürfen  in  einen  Staat  nur  mit  dessen  förmlicher  Einwilligung  und  unter  Kontrole  der 
Regierung,  und  nachdem  sie  desinfizirt  worden  sind,  eingeführt  werden.  Die  Einfuhr 
darf  nur  über  die  besonders  bezeichneten  Zollbureaux  stattfinden.  -  Die  genannten 
Gegenstände  dürfen  nur  in  hölzernen,   vollständig  mit  Schrauben  verschlossenen,   aber 


Reblaus  —     656     —  Reblaus 

dennoch  leicht  zu  untersuchenden  Kisten  zirkuliren.    Das  Packzeug  muß  ebenfalls  des- 
inlizirt  worden  sein. 

Art.  7.  Die  zum  internationalen  Verkehr  zugelassenen  Sendungen,  welcher  Art  sie 
immer  sein  mögen,  dürfen  weder  Rebenabgänge,  noch  Rebenblätter  enthalten. 

Art.  8.  Die  Gegenstände,  welche  bei  einer  Zollstätte  angehalten  worden  sind,  weil 
sie  den  Vorschriften  in  den  Art.  %  3,  6  oder  7  nicht  genügen,  müssen  an  den  Versandtort 
auf  Kosten  dessen,  den  es  angeht,  zurückgewiesen  oder  nach  der  Wahl  ihres  Eigenthümers, 
wenn  derselbe  gegenwärtig  ist,  durch  Feuer  vernichtet  werden.  —  Die  Gegenstände» 
an  denen  die  zugezogenen  Sachverständigen  die  Reblaus  oder  verdächtige  Anzeichen 
gefunden  haben,  sollen  sofort  und  an  Ort  und  Stelle  sammt  ihrer  Verpackung  durch 
Feuer  vernichtet  werden.  In  einem  solchen  Falle  soll  ein  Protokoll  aufgenommen  und 
der  Regierung  des  Herkunftlandes  übermittelt  werden. 

Art.  9.  Die  vertragschließenden  Staaten  verpflichten  sich,  behufs  der  Förderung 
des  Zusammenwirkens  sich  regelmäßig  und  mit  der  Erlaubniß,  davon  für  die  von  ihnen 
zu  machenden  und  wechselseitig  auszutauschenden  Veröffentlichungen  Grebrauch  zu 
machen,  mitzutheilen :  1)  die  von  jedem  derselben  hinsichtlich  des  Gegenstandes  erlassenen 
Gesetze  und  Verordnungen;  2)  die  in  Vollziehung  dieser  Gesetze  und  Verordnungen, 
sowie  der  gegenwärtigen  Uebereinkunfl  getroffenen  Maßregeln;  3)  die  Art  und  Weise, 
wie  sowohl  im  Innern  als  an  den  Grenzen  die  Dienststeilen  zur  Bekämpfung  der  Reb- 
laus organisirt  sind,  sowie  die  Berichte  über  den  Verlauf  der  Reblauskrankheil ;  4)  jede 
Entdeckung  eines  neuen  Reblausherdes  auf  einem  bisher  für  verschont  gehaltenen  Gebiete, 
mit  Angabe  der  Ausdehnung  und  wenn  möglich  der  Ursachen  der  Ansteckung  (diese 
Mittheilung  soll  stets  ohne  Verzug  gemacht  werden);  5)  eine  Karte  mit  Maßstab,  die 
jedes  Jahr  zur  Bezeichnung  der  Abgrenzung  der  infizirten  Flächen  und  der  durch  die 
Nachbarschaft  von  Infektionsherden  verdächtig  gewordenen  Bezirke  erstellt  werden  soll ; 
6)  auf  dem  Laufenden  gehaltene  Listen  der  Anlagen,  Pflanzschulen  und  Gärten,  welche 
in  passender  Jahreszeit  regelmäßigen  Untersuchungen  unterworfen  und  amtlich  als  den 
Vorschriften  der  gegenwärtigen  Uebereinkunft  entsprechend  erklärt  werden;  7)  jede  neue 
Ermittlung  einer  Ans-teckung  in  Anlagen,  Rebschulen  und  Gärten  aller  Art,  unter  mög- 
lichst vollständiger  Angabe  der  in  den  letzten  Jahren  vorgekommenen  Versendungen 
(diese  Mittheilung  soll  stets  ohne  Verzug  gemacht  werden) ;  8)  die  Ergebnisse  der  wissen- 
schaftlichen Forschungen  und  praktischen  Erfahrungen  und  Verfahren  in  Bezug  auf  die 
Phylloxenifrage ;  9)  alle  sonstigen  Schriftstücke,  welche  für  den  Weinbau  von  Interesse  sind. 

Art.  10.  Die  durch  gegenwärtige  Uebereinkunft  verbundenen  Staaten  werden  die 
nicht  kontrahirenden  Länder  nicht  günstiger  behandeln  als  die  kontrahirenden  Staaten. 

Art.  11.  Wenn  es  für  nöthig  erachtet  wird,  werden  die  vertragschließenden  Staaten 
sich  an  einer  internationalen  Versammlung  vertreten  lassen,  welche  die  Aufgabe  hat, 
die  aus  der  Vollziehung  der  Uebereinkunft  sich  ergebenden  Fragen  zu  prüfen  und  die 
durch  die  Erfahrung  und  die  Fortschritte  der  Wissenschaft  gebotenen  Abänderungen 
vorzuschlagen.    -  Besagte  internationale  Versammlung  wird  ihre  Sitzungen  in  Bern  halten. 

Art.  12.  Die  Auswechslung  der  Ratitikationen  soll  binnen  sechs  Monaten  nach  dem 
Datum  der  Unterzeichnung  der  gegenwärtigen  Uebereinkunft  oder,  wenn  es  möglich  ist, 
noch  früher  in  Bern  stattfinden.  Die  Uebereinkunft  wird  15  Tage  nach  der  Auswechslung 
der  Ratifikationen  in  Kraft  treten. 

Art.  13.  Jeder  Staat  kann  jederzeit  dei  gegenwärtigen  Uebereinkunft  beitreten 
oder  von  ihr  zurücktreten  mittelst  einer  Erklärung  zu  Händen  des  hohen  schweizerischen 
Bundesrathes,  welcher  die  Vermittlung  zwischen  den  vertragschließenden  Staaten  hin- 
sichtlich der  vorstehenden  Art.  11  und  12  übernimmt.  —  Zur  Urkunde  dessen  haben 
die  betreffenden  Bevollmächtigten  diese  Uebereinkunft  unterzeichnet  und  derselben  ihr 
Wappensiegel  beigedrückt. 

(Unterschriften.) 

Schlußprotokofh 

Die  Unterfertigten,  zur  Unterzeichnung  der  internationalen  Phylloxera- Uebereinkunft 
Versammelten  erklären  sich  einverstanden  über  den  Sinn  und  die  Geltung  der  folgenden 
erklärenden  und  ergänzenden  Anmerkungen: 

Zu  Art.  1,  Ziff.  1.  Unter  dem  Ausdruck  „serres"  ist  jede  Einrichtung  zu  verstehen, 
welche  zur  Vermehrung  und  Erhaltung  von  Pflanzen  dient  (Treibbeete,  Treibhäuser, 
Orangerien  etc.). 

Zu  Art.  1,  Ziff.  2.  Jeder  Staat  bestimmt  die  Ausdehnung  der  durch  die  Nachbar* 
Schaft  von  Infektionsherden  verdächtig  gewordenen  Bezirke,  nach  den  besonderen  Ver- 
hältnissen eines  jeden  Falles. 


Reblaus  —      657      —  Reblaus 

Zu  Art.  1.  Ziff.  3.  Die  Konferenz  macht  die  Regierungen  auf  die  Postsendungen 
aufmerksam. 

Zu  Art.  2,  Abs.  1.  Die  vertragschließenden  Staaten,  in  Berücksichtigung  der  eigen- 
thümlichen  Lage  der  Schweiz,  gestehen  diesem  Staate  das  Recht  zu,  die  Einfuhr  von 
Tafeltrauben  nach  den  weinbautreibenden  Gegenden  zu  verbieten,  nicht  aber  deren 
Durchfuhr  zu  unte^^agen. 

Zu  Art.  2,  Abs.  3.  Die  Gebinde  müssen  einen  Gebalt  von  wenigstens  fünf  Hekto- 
liter haben.  Dieselben  müssen  so  gereinigt  sein,  daß  sie  keine  Erd-  oder  Rebbestand- 
theile  an  sich  haben. 

Zu  Art.  3,  Abs.  3.  Die  Deklaration  des  Versenders,  welche  die  mit  der  Rebe  nicht 
verwandten  Pflanzen  zu  begleiten  hat,  muß  1)  bescheinigen,  daß  die  gesammte  Sendung 
aus  seinen  Anlagen  kommt;  2)  den  Ort  des  definitiven  Empfangs  und  die  Adresse  des 
Empfängers  angeben;  3)  die  Versicherung  enthalten,  daß  sich  in  der  Sendung  keine 
Reben  befinden;  4)  angeben,  ob  die  Sendung  Pflanzen  mit  Erde  an  den  Wurzeln  ent- 
hält; 5)  mit  der  Unterschrift  des  Versenders  versehen  sein. 

Zu  Art.  3,  Abs.  2,  a  und  d.  Die  Bescheinigung  der  kompetenten  Behörde  muß 
stets  auf  der  Erklärung  eines  amtlichen  Sachverständigen  beruhen. 

Zu  Art.  6,  Abs.  1.  Die  vertragschließenden  Staaten  werden  in  den  Grenzdistrikten 
m  Bezug  auf  fremde  Reben  oder  solche  verdächtigen  Ursprungs,  soweit  es  möglich  ist, 
zu  Gunsten  ihrer  Nachbarstaaten  beschränkende  Maßnahmen  trefifen. 

Zu  Art.  6,  Abs.  2.  Die  Wahl  eines  Desinfektionsverfahrens,  das  von  der  Wissen- 
schaft als  wirksam  anerkannt  ist,  ist  jedem  Staate  überlassen. 

Zu  Art.  8,  Abs.  1.  Was  die  mit  der  Rebe  nicht  verwandten  Pflänzchen,  die  Topf- 
pflanzen, die  Tafeltrauben  ohne  Blätter  und  Rebholz  anbetrifft,  so  wird  jeder  Staat 
seinen  Zollbureaux  besondere  Instruktionen  für  den  Fall  ertheilen,  daß  jene  Gegenstände 
von  Reisenden  als  Handgepäck  eingeführt  werden. 

Zu  Art.  9,  Zif!'.  5.  Ein  oder  mehrere  infizirte  isolirte  Rebstöcke  außerhalb  einer 
mit  Pflanzen  Handel  treibenden  Anlage  und  außerhalb  einer  W^einbau  treibenden  Gegend 
sollen  nicht  zur  Folge  haben,  daß  ein  ganzer  Verwaltungsbezirk  mit  dem  Banne  belegt 
werde,  wenn  amtlich  konstatirt  wird,  daß  die  im  Art.  3,  Abs.  2,  litt,  d^  vorgeschriebenen 
ZerstOrungsarbeiten  genau  vorgenommen  worden  sind.  —  Jeder  Staat  soll  in  diesem 
Falle  die  Ausdehnung  der  verdächtigen  Zone  um  diesen  Punkt  bestimmen,  und  die 
Dauer  des  auferlegten  Bannes  soll  nicht  weniger  als  drei  Jahre  betragen.  —  Ein  auf 
diese  Weise  mit  dem  Banne  belegter  Ort  soll  wo  möglich  auf  der  Karte  durch  einen 
Punkt  und  seinen  Namen  bezeichnet  werden ;  jedenfalls  soll  die  Bedeutung  des  Angriffs- 
punktes oder  die  Ausdehnung  des  unter  Sequester  gestellten  Grundstückes  genau  an- 
gegeben werden. 

(Unterschriften.) 

Für  diese  Staaten  trat  die  Konvention  15  Tage  nach  der  am  29.  April  1882 
erfolgten  Auswechslong  der  Ratifikationen,  d.  i.  den  14.  Mai  1882,  in  Kraft. 
In  der  Folge  traten  der  Konvention  noch  bei:  1)  Belgien  am  8.  Juni  1882, 
2)  Luxemburg  am  11.  August  1882,  3)  Serbien  am  10.  Oktober  1884,  4)  die 
Niederlande  am  8.  Dezember  1883,  und  schließlich  nach  langem  Sträuben  Italien, 
Ende  Dezember  1887 ;  die  dieser  Konvention  beigetretenen  Staaten  repräsentiren 
sonach  den  weitaus  größten  Theil  des  europäischen  Weingebietes. 

Wie  man  sich  durch  den  Text  llberzeugen  kann,  regelt  die  Konvention  fast 
ausschließlich  den  internationalen  Verkehr  in  landwirthschaftlichen  Produkten  und 
beim  Weinbau  zur  Verwendung  gelangenden  Geräthschaften. 

Im  Interesse  des  Grenz  Verkehrs  ist  dann  noch,  in  Ausführung  der  Konvention, 
vom  Bundesrath,  in  Uebereinstimmung  mit  der  kaiserlich  deutschen  Regierung, 
unterm  25.  September  1884  folgende  Schlußnahme  getroffen  worden: 

Art.  1.  Setzlinge,  Gesträuche  und  alle  andern  Vegetabilien  außer  der  Rebe  dürfen 
aus  einem  nicht  mehr  als  15  Kilometer  von  der  deutsch-schweizerischen  Grenze  ent- 
fernten Orte  Elsaß-Lothringens  nach  einem  nicht  mehr  als  15  Kilometer  von  jener 
Grenze  entfernten  Orte  der  Schweiz  eingeführt  werden,  ohne  von  den  im  Art.  3  der 
internationalen  Phylloxerakonvention  vorgeschriebenen  Bescheinigungen  begleitet  zu  sein, 
vorausgesetzt,  daß  die  betrefl'ende  Sendung  aus  einer  von  der  Heblaus  nicht  heim- 
gesuchten Gegend  herrührt.  —  Dieselbe  Erleichterung  wird  der  Ausfuhr  der  genannten 

Furrer,  Volkttwirthschafts-Lexikon  der  Schweiz.  42 


Reblaus  —      658      —  Reblaus 

Gegenstände  aus  der  Schweiz  nach  Elsaß-Lothringen  gewährt,  falls  dieselben  aus  einem 
nicht  mehr  ab?  15  Kilomeier  von  der  schweizerisch-deutschen  Grenze  entfernten  Orte 
herkommen  und  nach  einem  nicht  mehr  als  15  Kilometer  von  derselben  Grenze  ent- 
fernten Orte  Elsaß-Lothringens  bestimmt  sind. 

Art.  2.  Weinlesetrauben,  Trester,  Kompost,  Düngererde,  schon  gebrauchte  Schutz- 
ptähle  und  Rebstecken,  welche  aus  einem  nicht  mehr  als  15  Kilometer  von  der  deutsch- 
schweizerischen  Grenze  entfernten  Orte  des  Großherzogthums  Baden  oder  Elsaß-Lothringens 
herrühren  und  nach  einem  nicht  mehr  als  15  Kilometer  von  derselben  Grenze  entfernten 
Orte  der  Schw^eiz  bestimmt  sind,  unterliegen,  vorausgesetzt,  daß  sie  aus  einer  von  der 
Reblaus  nicht  heimgesuchten  Gegend  kommen,  bei  ihrer  Einfuhr  den  Bestimmungen  im 
Art.  2,  Abs.  3  und  4,  der  internationalen  Phylloxerakonvention  nicht.  —  Dieselbe  Er- 
leichterung wird  der  Ausfuhr  der  genannten  Gegenstände  aus  der  Schweiz  nach  dem 
Großherzogthum  Baden  und  Elsaß-Lothringen  gewährt,  falls  dieselben  aus  einem  nicht 
mehr  als  15  Kilometer  von  der  schweizerisch -deutschen  Grenze  entfernten  Orte  der 
Schweiz  herrühren  und  nach  einem  nicht  mehr  als  15  Kilometer  von  derselben  Grenze 
entfernten  Orte  des  Großherzogthums  Baden  oder  Elsaß-Lothringens  bestimmt  sind. 

Art.  3.  Die  Grenzzollbehörden  sind,  wenn  im  einzelnen  Falle  über  die  Herkunft 
einer  Sendung  Zweifel  waltet,  befugt,  den  durch  die  kompetente  Behörde  zu  leistenden 
Nachweis  zu  verlangen,  daß  die  betreffende  Sendung  aus  einem  nicht  von  der  Reblaus 
infizirten  oder  der  Infektion  verdächtigen  Orte  herrührt. 

Art.  4.  Das  eidg.  Landwirlhschafts-  und  das  Zolldepartement  sind  mit  der  Voll- 
ziehung des  gegenwärtigen  Beschlusses  beauftragt,  ein  jedes,  soweit  es  seinen  Geschäfts- 
kreis betrifft. 

In  gleicher  Weise,  wie  in  Art.  1  dieses  Beschlusses  der  Verkehr  in  mit 
der  Rebe  nicht  verwandten  Pflanzen  zwischen  der  Schweiz  und  Elsaß-Lothringen, 
wurde  mit  Schlußnahme  vom  20.  Oktober  1885  der  Verkehr  in  denselben  Pflanzen 
mit  dem  Großherzogthum  Baden  geregelt. 

Eine  besondere  Regelung  erheischte  auch  der  Verkehr  mit  der  zollfreien 
Zone  der  Landschaft  Gt*x  und  IlochsavoyenSj  weil  die  französische  Zolllinie  in 
der  Nähe  der  südwestlichen  Grenze  der  Schweiz  nicht  mit  der  französischen 
Landesgrenze  zusammenfallt  und  die  dazwischen  liegenden  Gegenden  einer  den 
landwirthschaftlichen  Verkehr  kontrolirenden  Behörde  entbehren.  Um  diese  Gegend 
gegen  das  Eindringen  der  Reblaus  von  «ler  Schweizer  Seite  her  zu  schützen, 
verpflichtete  sich  die  Schweiz,  über  die  Zollstätten  an  der  genferischen,  waadt- 
läudischen  und  Walliser  Grenze  kein  als  gefährlich  erachtetes  Produkt  nach  der 
freien  Zone  exportiren  zu  lassen  und  verdächtige  Produkte  dem  nämlichen  Ver- 
fahren für  die  Ausfuhr  zu  unterstellen,  welches  die  Konvention  für  die  Einfuhr 
vorschreibt,  und  die  Zahl  der  für  die  Ausfuhr  zu  bezeichnenden  Bureaux  zu 
beschränken.  (Schlußnahmen  des  schweizerischen  ßundesrathes  vom  8.  und  26.  Fe- 
bruar 1884  und  vom  21.  April  1885.)  Die  französische  Regierung  ihrerseits 
schrieb  für  den  Fall  des  Auftretens  der  Reblaus  in  den  freien  Zonen  diejenigen 
Maßnahmen  vor,  welche  laut  französischem  Gesetz  vom  21.  März  1883  im  Falle 
des  Auftretens  der  Reblaus  in  Algier  ergriffen  werden  müssen  und  weit  energischer 
sind,  als  die  im  Mutterlande  zur  Anwendung  gelangenden. 

Nach  Besprechung  der  die  internationalen  Beziehungen  regelnden  Schluß- 
nahmen kehren  wir  zu  den  die  innern  Verhältnisse  berührenden  Maßnahmen  zurück. 

Mehrere  Bestimmungen  des  Vollziehungsreglements  vom  6.  Februar  1880 
standen  mit  der  inzwischen  in  Kraft  getretenen  Phylloxera-Üebereinkunft  vom 
3.  November  1881  im  Widerspruch.  In  der  Zwischenzeit  hatte  die  Bundes- 
versammlung anläßlich  der  Berathung  des  Bundesbeschlusses  betreffend  die  För- 
derung der  Land  wir  thschaft  durch  den  Bund,  vom  27.  Juni  1884,  auch  der 
Frage  der  F^ntschädigung  der  von  der  Reblaus  heimgesuchten  Kantone  wieder 
ihre  Aufmerksamkeit  zugewendet,  indem  sie  auf  den  Antrag  des  Bundesratbes  in 
den  Beschluß  folgenden  Artikol  (10)  aufnahm: 


Heblaus  —     659      —  Reblaus 

«Der  Bundesrath  ist  ermächtigt,  eine  gehörige  Ueberwachung  der  Weinberge, 
sowie  die  erforderlichen  Schutzmaßregeln  gegen  die  Verbreitung  der  Reblaus  und 
anderer  Schädlinge  anzuordnen,  die  Einfuhr,  Zirkulation  und  Ausfuhr  von  Pflanzen, 
Stoffen  und  Produkten,  welche  Träger  der  Reblaus  öder  eines  andern  dieLand- 
wirthschaft  bedrohenden  Schädlings  sein  können,  zu  verbieten  und  Strafbestim- 
mungen aufzustellen,  welche  für  Uebertretungen  dieses  Verbotes  Bußen  bis  zum 
Betrage  von  Fr.  1000  vorsehen.  —  Der  Bund  kann  denjenigen  Kantonen,  welche 
zur  Bekämpfung  von  Schädlingen  und  Krankheiten  der  landwirthschaftlichen 
Kulturen  Maßregeln  ergreifen,  Unterstützungen  bis  zum  Betrage  von  40  7»  <ier 
von  ihnen  gemachten  Ausgaben  zukommen  lassen.  —  Die  zur  Ausrichtung  dieser 
Entschädigungen  erforderlichen  Summen  sollen  alljährlich  auf  dem  Budgetwege 
verlangt  werden.  —  Der  Bundesrath  wird  die  Bedingungen  feststellen,  unter  denen 
Entschädigungen  beansprucht  werden  können.** 

Um  das  Reglement  vom  6.  Februar  1880  mit  der  Konvention  und  diesem 
Artikel  in  Uebereinstimmung  zu  bringen,  unterzog  der  Bundesrath  dasselbe  einer 
Revision.     Das  neue,  revidirte 

Reglement 

datirt  vom  29.  Januar  1886  und  lautet  folgendermaßen: 

I.  Allgemeine  Bestimmungen.  Art.  1.  Zum  Zwecke  geeigneter  Vorkehrungen  gegen 
•die  Reblaus  wird  dem  eidg.  Landwirthschafts-Departement  eine  Expertenkommission 
beigegeben. 

Art.  2.  Die  Kantone  sind  beauftragt,  die  Ueberwachung  ihrer  Weinberge,  Gärten, 
Baumschulen  und  Treibhäuser  zu  organisiren,  sowie  für  die  zur  Auffindung  der  Reblaus 
•erforderlichen  Untersuchungen  und  Ermittlungen,  gemäß  den  Anleitungen  des  eidg. 
Landwii'thschafts-Departements,  zu  sorgen.  —  Sie  sollen  insbesondere  darüber  wachen, 
daß  in  den  Weinbergen  oder  deren  Nähe  keine  Anpflanzung  von  Setzlingen  irgend 
welcher  Art,  welche  für  gefährlich  oder  verdächtig  gehalten  werden,  stattfinde,  ohne 
daß  diese  Setzlinge  vorher  von  Experten  untersucht  worden  sind.  —  Die  Erziehung  oder 
Vermehrung  amerikanischer  Reben  vermittelst  Samen,  Pfropfung  oder  Setzlingen  darf 
nur  mit  Einwilligung  des  eidg.  Landwirthschafls-Departements  stattfinden. 

Art.  3.  Die  Kantone  haben  anzuordnen,  daß  in  jeder  Weinbau  treibenden  Gemeinde 
«ine  Kommission  von  Sachverständigen  bezeichnet  werde,  welche  die  Rebenpflanzungen, 
•Gärten,  Baumschulen  und  Treibhäuser  ihrer  Gemeinde  regelmäßig  zu  besichtigen  haben, 
insbesondere  während  der  Zeit  von  Anfang  Juni  bis  15.  August. 

Art.  4.  Beim  Auftreten  der  Reblaus  wird  der  Bundesrath,  im  Einverständniß  mit 
•den  betroffenen  Kantonen  und  nach  Anleitung  der  eidgenössischen  und  kantonalen 
Experten,  die  zur  Bekämpfung  des  Uebels  erforderlichen  Maßnahmen  anordnen. 

Art.  5.  Die  Kantone  haben  gegen  Ende  jedes  Jahres  dem  Bundesrathe  über  die 
Ton  Behörden,  Lokalkommissionen  und  Experten  während  des  Jahres  zum  Schutze  der 
Reben  gegen  die  Reblaus  entfaltete  Thätigkeit,  sowie  über  sämmtliche  damit  zusammen- 
hängende Vorkommnisse  einen  Bericht  zu  erstatten.  —  Diesem  Bericht  soll  ein  Ver- 
zeichniß  derjenigen  Anlagen,  Pflanzschulen  und  Gärten  beigefügt  werden,  welche  in 
passender  Jahreszeit  regelmäßigen  Untersuchungen  unterworfen  und  amtlich  als  den 
Vorschriften  der  internationalen  Phylloxerakonvention  entsprechend  erklärt  worden  sind. 

Art.  6.  Den  Kantonen,  welche  sich  genöthigt  sehen,  zur  Unterdrückung  der  Reb- 
lauskrankheit Maßnahmen  zu  ergreifen,  wird  eine  Entschädigung  bis  auf  den  Betrag  von 
40  %  derjenigen  Ausgaben  gewährt,  welche  den  öffentlichen  Organen  durch  die  Unter- 
suchungen in  unmittelbarer  Nähe  der  Reblausherde,  die  Vertilgungsarbeiten  und  die 
Anschafl'ung  von  Vertilgungsmitteln  erwachsen  sind.  —  Die  Auszahlung  der  Entschädi- 
gungen erfolgt  nur,  wenn  die  betroffenen  Kantone  sich  bei  ihren  Vorkehrungen  zur 
Unterdrückung  der  Reblauskrankheit  an  die  Weisungen  der  Bundesbehörde  gehalten, 
und  nachdem  sie  eine  spezifizirte  und  mit  Belegen  versehene  Rechnung  ihrer  sach- 
bezüglichen Aaslagen  eingereicht  haben. 

Art.  7.  Nach  Anhörung  der  Regierungen  der  von  der  Reblaus  heimgesucliten 
Kantone  wird  der  Bundesrath  den  Umfang  der  angesteckten  Bodenflächen  und  die  Aus- 
dehnung des  wegen  der  Nähe  von  Ansteckungsherden  als  verdächtig  erscheinenden 
Gebietes  bestimmen. 

Art.  8.  Die  Ueberwachung  der  Vollziehung  derjenigen  Vorschriften  des  gegen- 
wärtigen Reglements,  welche  sich  auf  den  Post-  und  Eisenbahnverkehr  beziehen,  ist 
:Sache   des  Bundes.    Die  Kantone  haben  für  die  Ueberwachung  der  übrigen  Transport- 


Reblaus  —      660     —  Reblau» 

Unternehmungen  und  -Mittel,  einschließlich  der  Dampi'boofe,  zu  sorgen,  soweit  es  sich 
hiebei  nicht  um  Postsendungen  handelt. 

II.  Vorschriften,  die  Einfuhr  betreffend.  Art.  9.  Es  ist  untersagt :  Rebenpflänz- 
linge, Schnittlinge,  Rebholz,  Rebblfitter  und  Rebenabgänge,  nicht  gekelterte  Weinlese- 
trauben, gebrauchte  Schutzpfähle  und  Rebstecken,  Kompost  und  Düngererde  in  die 
Schweiz  einzuführen.  —  Vorbehalten  bleiben  die  in  Gemäßheit  von  Art.  4  der  inter- 
nationalen Phylloxerakonvenlion  in  Bezug  auf  die  Einfuhr  von  Weinlesetrauben,  Wein- 
trestern,  Kompost  und  Düngererde,  schon  gebrauchten  Schutzpfählen  und  Rebstecken 
in  die  Grenzbezirke  zu  treffenden  Vereinbarungen.  —  Auch  kann  das  eidg.  Landwirth- 
schafts-Departement,  wenn  ihm  die  Gefahrlosigkeit  davon  nachgewiesen  wird,  ausnahms- 
weise Bewilligungen  ertheilen,  welche  von  dem  in  Alinea  1  dieses  Artikels  enthaltenen 
Verbote  theilweise  abgehen. 

Art.  10.  Tafeltrauben  und  Weinlese tra üben,  Trester,  Obstbäume,  Setzlinge  und 
Gesträuche  welche  aus  Staaten  kommen,  die  der  internationalen  Phylloxerakonvention 
nicht  beigetreten  sind  ^),  dürfen  nur  mit  Bewilligung  des  eidg.  Landwirthschafls-Departe- 
ments  eingeführt  werden. 

Art.  11.  Tafeltrauben  dürfen  nur  dann  an  den  Grenzen  der  Schweiz  angenommen 
werden,  wenn  sie  nicht  mit  Blättern  oder  Rebholz  versehen  sind,  und  in  wohlverschlossenen,, 
aber  dennoch  leicht  zu  untersuchenden  Schachteln,  Kisten  oder  Körben  verpackt  sind. 
Das  Gewicht  einer  gefüllten  Kiste,  Schachtel  oder  eines  gefüllten  Korbes  darf  10  Kilos 
nicht  übersteigen.  —  Weinlesetrauben  dürfen  nur  gekeltert  und  in  gutverschlossenen 
Fässern  von  wenigstens  5  Hektoliter  Gehalt  eingeführt  werden;  die  Fässer  müssen  so 
gereinigt  sein,  daß  sie  keine  Erd-  oder  Rebbestandtheilc  an  sich  tragen.  Die  Anbringung 
von  Transportspunden  ist  gestattet.  — -  Trester  dürfen  nur  in  wohl  verschlossenen  Kisten 
oder  Fässern  eingeführt  werden. 

Art.  12.  Tafeltrauben  ohne  Blätter  und  ohne  Rebholz,  gekelterte  Weinlesetrauben 
und  Trester,  die  aus  Staaten  kommen,  die  der  internationalen  Phylloxerakonvention 
beigetreten  sind,  der  Wein,  getrocknete  Trauben  und  Traubenkerne,  abgeschnittene 
Blumen,  Gemüseprodukte,  Samenkörner  aller  Art  und  Früchte,  woher  sie  auch  kommen 
mögen,  dürfen  frei  in  die  Schweiz  eingeführt  werden. 

Art.  13.  Setzlinge,  Gesträuche,  Obstbäume  und  alle  anderen  Vegetabilien  außer 
der  Rebe,  die  aus  Pflanzschulen,  Gärten  oder  Treibhäusern  kommen,  dürfen  nur  über 
folgende  Zollstätten  eingeführt  werden:  a.  aus  Frankreich:  über  die  Zollstatten  von 
Pruntrut,  Verri^res,  Vallorbes  und  Genf  (Bahnhof) ;  b.  aus  Deutschland :  über  die  Zoll- 
stätten von  Basel  (Central-  und  badischer  Bahnhof),  Waldshut,  Schaffhausen,  Erzingen, 
Thayngen,  Singen,  Konstanz,  Romanshorn  und  Roischach ;  c.  aus  Oesterreich :  über  die 
Zollstätten  von  St.  Margarethen  und  Buclis.  —  Das  eidg.  Landwirthschafts-Departement 
ist  ermächtigt,  falls  das  Bedürfniß  dafür  sich  geltend  macht,  noch  andere  ZoUbureaux 
für  die  Einfuhr  der  oben  genannten  Gegenstände  zu  öffnen.  ^ 

Art.  14.  Diese  Gegenstände  müssen  fest,  jedoch  nur  so,  daß  die  nothwendigen 
Untersuchungen  leicht  möglich  sind,  verpackt  und  von  einer  Deklaration  des  Versenders 
und  einer  Bescheinigung  der  Orlsbehörde  begleitet  sein.  —  Die  Erklärung  des  Absenders 
muß  1)  bescheinigen,  daß  der  Inhalt  der  Sendung  vollständig  aus  seiner  Gartenanlage 
kommt;  2)  den  letzten  Bestimmungsort  und  die  Adresse  des  Empfilngers  angeben; 
3)  die  Versicherung  enthalten,  daß  die  Sendung  keine  Reben  enthält;  4)  angeben,  ob 
die  Sendung  Pflanzen  mit  Erde  an  den  Wurzeln  enthält;  5)  mit  der  Unterschrift 
des  Absenders  versehen  sein.  —  Die  Bescheinigung  der  Ortsbehörde  muß  auf  der  Er- 
klärung eines  Sachverständigen  beruhen  und  besagen :  a.  daß  die  Gegenstände  aus  einem 
Grundstück  (einer  otTenen  oder  umfriedigten  Anpflanzung)  kommen,  welches  von  jedem 
Rebstock  wenigstens  20  Meter  entfernt  oder  von  den  Wurzeln  desselben  durch  ein  von 
der  kompetenten  Behörde  für  genügend  erachtetes  Hinderniß  getrennt  ist :  b.  daß  dieses 
Grundstück  selbst  keinen  Rebstock  enthält ;  c.  daß  auf  demselben  keine  Rebstöcke  ab- 
gelagert sind ;  d.  daß,  wenn  mit  der  Reblaus  behaftete  Reben  sich  in  demselben  befunden 


\)  Folgende  Staaten  sind  bis  heute  der  internationalen  Phylloxerakonvention  bei- 
getreten :  Belgien,  Deutschland.  Frankreich,  Italien,  Luxemburg,  die  Niederlande,  Oester- 
reich-Untrarn,  Portugal,  die  Schweiz  und  Serbien. 

^  Seit  Erlaß  dieses  Reglements  sind  noch  folgende  Zollstätten  für  den  Pflanzen- 
verkehr geöffnet  worden:  Locle.  Kreuzungen,  Emmishofen,  Tägerweilen,  Martinsbruck, 
und  nach  dem  Beitritt  Italiens  zur  Reblauskonvention :  Luino  (Bahnhof),  Ghiasso  (Bahn- 
hof  und  Straße),  Stabio,  Ponte  Tresa,  Lugano,  Locarno,  Splögen,  Castasegna,  Campoco^ 
logno  und  Gondo. 


Heblaus  —      661      —  Reblaus 

haben,  die  Ausrodung  der  Wurzeln,  wiederholte  Behandlung  mit  Gift  und  während  drei 
Jahren  Untersuchungen  stattgefunden  haben,  die  eine  vollständige  Vernichtung  des  Insekts 
und  der  Wurzeln  verbürgen. 

Art.  15.  Das  eidg.  Landwirthschafts-Departement  ist  ermächtigt:  1)  in  Betreff  der 
mit  der  Rebe  nicht  verwandten  Pflanzen,  Blumen  in  Töpfen,  Tafeltrauben  ohne  Blätter 
und  RebhoLz,  welche  von  Reisenden  als  Handgepäck  oder  als  Passagiergut  (eingeschriebenes 
Gepäck)  eingeführt  werden,  Ausnahmen  von  den  Bestimmungen  der  Art.  11,  13  und  14 
zu  gestatten ;  2)  die  Einfuhr  von  Tafeltrauben  nach  den  Weinbau  treibenden  Gegenden 
der  Schweiz  zu  verbieten,  nicht  aber  deren  Durchfuhr  zu  untersagen;  3)  hinsichtlich 
der  Einfuhr  von  Erzeugnissen  des  Gemüsebaues,  welche  zwischen  infizirten  Rebpflanzungen 
gewachsen  sind,  beschränkende  Maßnahmen  zu  treffen. 

III.  Vorschriften,  die  Ausfuhr  betreffend.  Art.  16.  Nach  den  der  internationalen 
Phylloxerakonvention  beigetretenen  Staaten  dürfen  o.  Tafeltrauben  nur  in  fest  verpackten, 
aber  dennoch  leicht  zu  untersuchenden  Schachteln,  Kisten  oder  Körben,  b.  Weinlese- 
trauben nur  gekeltert  und  in  wohlverschlossenen  Gebinden  von  mindestens  5  Hektohter 
Gehalt,  c.  Weintrester  nur  in  wohlverschlossenen  Kisten  oder  Fässern  ausgeführt  werden. 
—  Die  Ausfuhr  von  ausgerissenen  Reben,  trockenem  Rebiiolz,  Rebenpflänzlingen  und 
Schnittlingen  nach  den  genannten  Staaten  ist  verboten,  falls  der  betreffende  Staat  die 
Einfuhr  derselben  nicht  ausdrücklich  bewilligt  hat.  —  Vorbehalten  bleiben  die  in  Ge- 
mäßheit von  Art.  i  der  internationalen  Phylloxerakonvention  in  Bezug  auf  die  Ausfuhr 
von  Weinlesetrauben,  Weintrestern,  Kompost  und  Düngererde,  schon  gebrauchten  Schutz- 
ptUlilen  und  Rebstecken  in  die  Grenzbezirke  zu  treffenden  Vereinbarungen. 

Art.  17.  Die  Ausfuhr  von  Setzlingen,  Gesträuchen  und  allen  anderen  Vegetabilien 
außer  der  Rebe,  die  aus  Pflanzschulen,  Gärten  oder  Treibhäusern  kommen,  nach  einem 
der  internationalen  Phylloxerakonvention  beigetretenen  Staate  ist  nur  über  die  von  dem 
betreffenden  Staate  hiefür  bezeichneten  Zollstätten  gestattet.  —  Die  Sendungen  müssen 
von  einer  Bescheinigung  der  kompetenten  Behörde  und  einer  Erklärung  des  Absenders 
versehen  sein,  wie  solche  in  Art.  14  für  die  Einfuhr  vorgeschrieben  sind. 

IV.  Vorschrift,  den  Transit  betreffend.  Art.  18.  Setzlinge,  Gesträuche  und  alle 
anderen  Vegetabilien,  die  nicht  zur  Kategorie  der  Rebe  gehören,  werden  zum  Transit 
durch  die  Schweiz  an  den  ZoUbureaux  angenommen,  ohne  daß  die  bezüglichen  Sendungen 
von  den  in  Art.  14  geforderten  Bescheinigungen  begleitet  sind,  vorausgesetzt,  daß  die 
Durchfuhr  in  Kollis  erfolge,  welche  fest  und  derart  verpackt  sind,  daß  sie  bei  ihrem 
Eintritt  in  die  Schweiz  von  der  Zollbehörde  verbleit  werden  können.  —  Hinsichtlich 
der  übrigen  in  diesem  Reglemente  namhaft  gemachten  Gegenstände  gelten  für  den 
Transit  dieselben  Vorschriften,  die  für  die  Einfuhr  aufgestellt  sind. 

V.  Vorschriften  betreffend  die  Zirkulation  im  Innern.  Art.  19.  Die  Ausfuhr  von 
Rebenpflänzlingen,  Rebholz,  Rebstöcken,  Hebblättern  und  Rebenabgängen,  nicht  ge- 
kelterten Weinlesetrauben  und  Trestern,  von  schon  gebrauchten  Schutzpfählen  und 
Rebstecken,  Kompost  und  Düngererde  aus  den  angesteckten  Zonen  der  Schweiz  ohne 
Einwilligung  des  eidg.  Landwirthschalts-Departements  ist  verboten. 

Art.  20.  Der  inländische  Verkehr  in  den  in  den  Art.  12  und  13  aufgezählten 
Gegenständen  darf  von  den  Kantonen  weder  verl>oten  noch  beschränkenden  Maßnahmen 
unterworfen  werden.  —  Indessen  ist  das  eidg.  Landwirthschafts-Departement  ermächtigt, 
von  den  ihm  durch  Art.  15  in  Bezug  auf  die  Einfuhr  eingeräumten  Ermächtigungen 
auch  hinsichtlich  des  Verkehrs  im  Innern  Gebrauch  zu  machen. 

Art.  21.  Rebenpflänzlinge,  l^ebenschnitllinge,  Wurzelstöcke  und  Rebhölzer,  welche 
im  Innern  der  Schweiz  zirkuliren,  müssen  mit  einem  Ursprungszeugnisse  versehen  und 
in  vollständig,  und  zwar  mit  Schrauben,  verschlossenen  und  trotzdem  leicht  zu  unter- 
suchenden und  wieder  zu  verschließenden  hölzernen  Kisten  verpackt  sein.  —  Schon 
gebrauchte  Schulzpfahle  und  Rebstecken,  Kompost  und  Düngererde,  welche  aus  einem 
Kanton  in  den  andern  ausgeführt  werden,  müssen  ebenfalls  von  einem  Ursprungszeugniß 
begleitet  sein. 

Art.  22.  Keine  Sendung  von  Gegenständen,  deren  Zirkulation  im  Innern  gestattet 
ist,  darf  Weinblätter  enthalten. 

VI.  Verfahren  bei  Uebertretungen  und  Strafbestimmungefi.  Art.  23.  W^enn  bei 
einer  Zollstätte  Gegenstände  anlangen,  deren  Einfuhr  in  die  Schweiz  unbedingt  verboten 
ist  (Art.  9),  so  sollen  dieselben  sofort  und  an  Ort  und  Stelle  sammt  ihrer  Verpackung 
durch  Feuer  zerstört  werden.  —  Die  Gegenstände,  welche  bei  einer  ZoUstatle  angehalten 
worden  sind,  weil  sie  den  Voi-schriften  in  den  Art.  11,  13  und  14  nicht  genügen,  sollen 
an  den  Versandtort  auf  Kosten  dessen,  den  es  angeht,  zurückgewiesen  oder  nach  der 
Wahl  ihres  Eigenthümers,   wenn  er  anwesend  ist,  durcli  Feuer  vernichtet  werden.    Die 


Reblaus  —     662     —  Reblaus 

Zerstörung  durch  Feuer  muß  unbediugt  erfolgen,  wenn  die  zugezogenen  Sachverständigen- 
die  Reblaus  oder  verdächtige  Anzeichen  gefunden  haben.  —  In  einem  solchen  Falle  ist 
ein  Protokoll  aufzunehmen  und  behufs  Mittheilung  an  die  Regierung  des  Ursprungs* 
landes  dem  Bundesrathe  zuzustellen. 

Art.  24.  Die  im  Innern  der  Schweiz  deßhalb  mit  Beschlag  belegten  Gegenstände, 
weil  sie  mit  der  gegenwärtigen  Verordnung  im  Widerspruch  stehen,  sollen  konfiszirt 
werden,  lieber  die  konfiszirten  Gegenstände  hat  der  Kanton  zu  verfügen,  in  welchem 
die  Konfiskation  erfolgt  ist;  falls  es  sich  aber  um  Rebenpflänzlinge,  Rebenschößlinge». 
Rebholz.  Rebblätter  und  Rebenabgänge  handelt,  die  aus  den  angesteckten  Zonen  (Art  7 
und  19)  kommen,  so  sollen  sie  sofort  und  an  Ort  und  Stelle  sammt  ihrer  Verpackung 
durch  Verbrennung  zerstört  werden.  Verbrannt  müssen  auch  solche  andere  Gegenstände 
werden,  auf  denen  das  Vorhandensein  der  Reblaus  konstatirt  wird.  —  Die  Beförderungs- 
mittel, durch  welche  diese  Gegenstände  transportirt  wurden,  sind  nach  einem  vom  eidg. 
Landwirthschafts-Departement  vorzuschreibenden  Verfahren  zu  desinfiziren.  —  Die  kan- 
tonale Polizei  soll  jedesmal,  wenn  sie  es  für  nöthig  erachtet,  die  in  gegenwärtigem 
Reglemente  namhaft  gemachten  Gegenstände  durch  amtliche  Experten  untersuchen  lassen, 
welche  für  den  Fall,  daß  sie  das  Vorhandensein  der  Reblaus  konstatiren  sollten,  darüber 
ein  Protokoll  aufzunehmen  haben.  Dieses  Protokoll  soll  wem  Rechtens  übermittelt 
werden,  damit  die  Uebertreter  zur  Verantwortung  gezogen  werden  können. 

Art.  25.  Die  Transportunternehmungen  sind  gehalten,  die  Beförderung  von  Gegen- 
ständen, die  den  von  gegenwärtigem  Reglemente  vorgeschriebenen  Bedingungen  nicht 
entsprechen,  zu  verweigern.  Wenn  sich  diese  Gegenstände  bereits  im  Verkehr  befinden, 
so  haben  jene  Unternehmungen  die  Zuwiderhandlungen  der  zuständigen  Polizeibehörde 
anzuzeigen.  —  Die  Desinfektion  der  Beförderungsmittel,  durch  welche  Gegenstände,  auf 
denen  das  Vorhandensein  der  Reblaus  konstatirt  worden  ist,  transportirt  wurden  (Art.  22,. 
AI.  2),  hat  durch  die  Transportanstalt  und  unter  Aufsicht  der  kantonalen  Behörde  zu 
geschehen,  gegen  eine  Gebühr,  welche  vom  Bundesrathe  genehmigt  sein  muß  und  voa 
der  kantonalen  Polizei  zu  entrichten  ist. 

Art.  26.  Das  Zoll-Departement  sowie  das  Post-  und  Eisenbahn-Departement  werden 
in  Verbindung  mit  dem  Landwirthschafts-Departement  die  Instruktionen  für  die  mit  der 
Vollzieiiung  des  gegenwärtigen  Reglements  beauftragten  eidgenössischen  Beamten  auf- 
stellen. 

Art.  27.  Zuwiderhandlungen  gegen  die  Vorschriften  dieses  Reglements,  soweit  sie 
in  den  Bereich  schweizerischer  Gerichtsbarkeit  fallen,  sollen  mit  einer  Buße  von  Fr.  50- 
bis  Fr.  bOO  belegt  werden.  —  Wer  einen  der  in  diesem  Reglemente  aufgefOhrten  Gegen- 
stände vermittelst  eines  falschen  Ursprungszeugnisses  oder  Frachtbriefes  oder  durch  Ver- 
heimlichung des  Inhalts  einer  Sendung,  oder  auf  irgend  eine  andere  betrügerische  W^eise 
eingeführt  oder  in  Verkehr  gebracht  hat,  soll  mit  Gelangniß  von  acht  Tagen  bis  sechs 
Monaten  bestraft  und  mit  einer  Buße  von  Fr.  100  bis  Fr.  1000  belegt  werden,  unbe- 
schadet der  Strafen,  welche  ihn  wegen  Urkundenfälschung  in  Gemäßheit  der  kantonalen 
Strafgeselzgebuug  treffen  können.  --  Ein  Drittel  der  Buße  föllt  dem  Beamten  oder 
Angestellten  zu,  der  die  Zuwiderhandlung  zur  Anzeige  bringt,  die  zwei  übrigen  Drittel 
dem  Kanton.  —  Für  nicht  bezahlte  Bußen  gelten  die  Bestimmungen  des  Bundesgesetzes 
vom  liO.  Juni  1849,  betreffend  das  Verfahren  bei  Uebertretungen  fiskalischer  und  polizei- 
licher Bundesgesetze. 

Art.  28.  Das  Landwirthschafts-,  Zoll-,  Post-  und  Eisenbahn-Departement  sind  mit 
der  Vollziehung  des  gegenwärtigen  Reglements  beauftragt,  ein  jedes,  soweit  es  seinen 
Geschäftskreis  betrifft. 

Art.  29.  Das  Reglement  vom  6.  Februar  1880,  der  Bundesrathsbeschluß  vom 
18.  Augus^t  1880,  sowie  die  Bestimmungen  der  kantonalen  Gesetze  und  Verordnungen, 
welche  mit  gegenwärtigem  Reglemente  in  Widerspruch  stehen,  sind  aufgehoben. 

Nach  Art.  3  der  internationalen  Phylloxerakonvention  vom  3.  November 
IB^l  werden  Setzlinge,  Gesträuche  und  alle  anderen  Vegetabilien  außer  der 
Rebe,  die  aus  Pflanzschulen,  Gärten  oder  Treibhäusern  kommen,  nur  dann  zum 
internationalen  Verkehr  zugelassen,  wenn  sie  von  einer  Bescheinigung  der 
kompetenten  Behörde  des  Ursprungslandes  begleitet  sind,  zufolge  welcher  Be- 
scheinigung in  den  internationalen  Verkehr  gebrachte  Sendungen  von  Vegetabilien 
gedachter  Art  aus  einem  Grundstück  kommen  müssen,  welches  von  jedem  Rebstock 
wenigstens  20  m  entfernt  oder  von  den  Wurzeln  desselben  durch  ein  von  der 
Jiompetenten  Behörde  für  genügend  erachtetes  Hinderniß  getrennt  sein  muß.    Das. 


Reblaus  —     663     —  Reblaus 

Grondsttick  selbst  darf  keinen  Rebstock  entbalten  und  es  dürfen  auf  demselben 
keine  Rebstöcke  abgelagert  sein.  Wenn  mit  der  Reblaus  bebaftete  Reben  in  dem 
Grandstticke  sich  befunden  haben,  muß  die  Bescheinigung  des  Fernern  besagen, 
daß  die  Ausrodung  der  Wurzeln,  wiederholte  Behandlung  mit  Gift  und  während 
drei  Jahren  Untersuchungen  stattgefunden  haben,  welche  die  vollständige  Ver- 
nichtung des  Insektes  und  der  Wurzeln  sichern. 

Die  Yertragsstaaten  sind  nun  im  Jahre  1889  übereingekommen,  daß  PHanzen- 
Sendungen,  welche  aus  Anlagen  kommen,  die  einerseits  regelmäßigen  Untersuchungen 
unterworfen  und  amtlich  als  den  Vorschriften  der  Uebereinkunft  entsprechend 
erklärt  werden,  andrerseits  in  den  Listen  figuriren,  welche  nach  Art.  9,  Ziff.  6, 
der  Uebereinkunft  die  Vertragsstaaten  sich  gegenseitig  mitzutheilen  sich  verpflichtet 
haben,  im  internationalen  Verkehr  auch  dann  zugelassen  werden  sollen,  wenn  sie 
von  der  in  Rede  stehenden  Bescheinigung  nicht  begleitet  sind.  Dem  neuen 
Uebereinkommen  liegt  die  Erwägung  zu  Grunde,  daß  die  Aufnahme  einer  gärtne- 
rischen Anlage  in  jene  amtlichen  Verzeichnisse  den  Besitzer  solcher  Anlagen  von 
der  mit  erheblichen  Kosten  und  Umständen  verknüpften  Beibringung  behördlicher 
Unverdächtigkeitszeugnisse  für  die  einzelnen  zur  Ausfuhr  bestimmten  Pflanzen- 
sendungen befreien  solle,  weil  sonst  die  —  mindestens  gleiche  Gewähr  bietende 
—  Herstellung  und  Veröft'entlichung  der  Verzeichnisse  Werth  und  Bedeutung 
überhaupt  nicht  haben  würde.  Dem  Art.  3  der  internationalen  Phylloxera- 
konvention  wurde  dementsprechend  als  drittes  Alinea  folgender  Zusatz  beigefügt : 

,In  dem  Verkehr  zwischen  den  Vertraj^sstaaten  bedarf  es  der  in  Absatz  2 
vorgesehenen  Bescheinigung  der  zuständigen  Behörde  des  Ursprungslandes  hin- 
sichtUch  derjenigen  Pflanzensendungen  nicht,  die  aus  einer  Anlage  stammen, 
welche  in  die  nach  Art.  9,  ZifF.  6,  der  Konvention  veröffentlichten  Verzeichnisse 
aufgenommen  ist.** 

Die  bezügliche,  von  den  Vertretern  der  Vertragsstaaten  unterzeichnete  Er- 
klärung datirt  vom  15.  April  1889;  von  der  Schweiz.  Bundesversammlung  wurde 
dieselbe  den  13./20.  Juni  1889  ratifizirt. 

IV,  Vorkehren  betreffend  die  Untersuchung  von  Rebenpflanzumjen  auf 
das  Vorhandensein  der  Reblaus  und  Art  und  Weise  der  Bekämpfung  derselben. 
Da  der  Erfolg  im  Kampfe  gegen  die  Reblaus  hauptsächlich  davon  abhängt,  daß 
dieser  Rebenfeind  entdeckt  wird,  bevor  es  ihm  gelungen  ist,  eine  gewisse  Aus- 
breitung zu  erlangen,  da  ferner  das  Vorhandensein  der  Krankheit  an  den  ober- 
irdischen Theilen  der  Rebe  erst  ersichtlich  wird,  nachdem  das  Insekt  bereits  einige 
Zeit  an  den  Würzelchen  sein  Unwesen  getrieben,  ist  es  von  höchstem  Werthe, 
daß  die  sämmtlichen  Rebenpflanzungen  alljährlich  zu  wiederholten  Malen  genau 
untersucht  werden,  und  es  hat  die  Bundesbehörde  die  Kantone  durch  verschiedene 
BLreisschreiben  dringlich  eingeladen,  in  allen  Weinbau  treibenden  Gemeinden  eine 
strenge  Ueberwachung  aller  Weinberge  zu  organisireu.  Die  Kantone  ihrerseits 
haben  nicht  verfehlt,  überall  Lokaliuspektionen  aufzustellen,  denen  die  Aufgabe 
zugewiesen  ist,  den  Gesundheitszustand  der  Reben  alljährlich  einige  Male  zu 
untersuchen,  insbesonders  während  der  Monate  Juni  bis  September,  die  Neu- 
pflanzungen und  die  Herkunft  von  Dünger,  Rebpfählen  und  Rebstöcken  zu  über- 
wachen und  beim  Vorhandensein  verdächtiger  Anzeichen  an  Reben  ihrer  Ober- 
behörde sofort  Anzeige  zu  machen.  Eine  besondere  Aufmerksamkeit  wurden  die 
Behörden  ersucht,  dem  Vorkommen  von  amerikanischen  Reben  zu  schenken,  denn 
es  ist  heute  eine  unbestrittene  Thatsache,  daß,  sowie  die  Reblaus  selbst  ameri- 
kanischen Ursprungs  ist,  auch  das  erste  Auftreten  derselben  in  der  Schweiz  auf 
die  Einfuhr  amerikanischer  Reben,  wenn  auch  nicht  direkt  aus  Amerika  bezogener. 


Reblaas  —      664     —  Reblaus 

zur Uokzuf Uhren  ist.  Dank  der  rastlosen  Thätigkeit  der  Bundesbehörde  auf  diesem 
Grebiete,  der  mannigfachen  Ermahnungen  der  kantonalen  Behörden,  insbesondere 
aber  dem  geradezu  patriotischen,  opferbringenden  Vorgehen  der  Kantone  Grenf 
und  Neuenburg,  kann  der  Kampf  gegen  die  Reblaus  in  sämmtlichen  Weinbau 
treibenden  Gegenden  der  Schweiz  als  wohlorganisirt  betrachtet  werden. 

Was  nun  die  Maßnahmen  anbetrifft,  welche  beim  Auftreten  der  Reblaus 
ergriffen  worden  sind,  so  lag  es  in  der  Natur  der  Sache,  daß  dieselben  viel- 
fachem Wechsel  unterworfen  waren.  Es  handelte  sich  um  eine  Materie,  deren 
Wesen  und  Natur  bei  Beginn  der  Krankheit  in  der  Schweiz  noch  sehr  unge- 
nügend und  auch  heute  noch  nicht  in  einer  abgeschlossenen  Weise  erforscht  sind. 
Es  schien  daher  den  Behörden  angezeigt,  diese  Maßnahmen  Schritt  für  Schritt 
den  alljährlich  gemachten  Erfahrungen  anzupassen.  Es  würde  zu  weit  führen, 
alle  die  Phasen  aufzuzählen,  welche  die  Bekämpfung  der  Reblaus  in  der  Schweiz 
durchgemacht  hat.  Wir  müssen  uns  darauf  beschränken,  das  jetzige  Verfahren 
anzugeben.  Ein  Kreisschreiben  des  Schweiz.  Land wirthschafts- Departements  vom 
7.  Juli  1881  an  die  Regierungen  der  Weinbau  treibenden  Kantone  gibt  denselben 
für  dieses  Verfahren  folgende  Instruktionen : 

,Im  Falle  das  Auftreten  der  Reblaus  konstatirt  wird,  muß  sofort  zur  Anwendung 
von  Insektengiften  geschritten  werden.  Bisanhin  sind  verschiedene  Mittel  angewendet 
worden.  Heute  ist  man  im  Stande,  die  Wirksamkeit  die^scr  Gifte  mit  nahezu  vollständiger 
Sicherheit  zu  heurtheilen.  Es  haben  hiczu  namentlich  auch  die  Erfahrungen  in  den 
Kantonen  Neuenburg  und  Genf  beigetragen.  Im  Hinblick  hierauf  glauben  wir  Ihnen  für 
den  Fall  des  Auftretens  des  Schädlings  empfehlen  zu  düifen,  den  Schwefelkohlenstoff 
in  Anwendung  bringen  zu  lassen,  und  zwar  in  der  Weise,  daß  unter  geeigneter  Ver- 
theilung  in  je  mehrere  Löcher  auf  den  einzelnen  Stock  mindestens  300  Gramm  oder 
auf  den  Quadratmeter  350  Gramm  entfallen.  Die  Apphkation  erfordert  indessen  eine 
Trennung  in  zwei  Operationen  mit  je  der  Hälfte  des  genannten  Quantums,  von  welchen 
die  erste  sofort  nach  der  Entdeckung  der  Krankheit  und  die  zweite  nach  Verfluß  eines 
Zeitraumes  von  etwa  zehn  Tagen  zu  erfolgen  hat.  Für  die  zweite  Desinfektion  empfiehlt 
es  sich,  wenn  irgend  möglich  den  Zustand  der  Witterung  wahrzunehmen,  da  die  Wirkung 
des  Schwefelkohlenstoffes  durch  Feuchtigkeit  begünstigt  wird,  und  es  daher,  um  dieselbe 
auszunutzen,  rathsam  werden  kann,  die  Wiederholung  des  Verfahrens  um  einige  Tage 
früher  eintreten  zu  lassen  oder  hinauszusrhieben. 

Dieser  eigentlichen  Sommer-Maßregel  sollte  man  im  Winter  das  Ausreißen  der 
behandelten  Reben  mittelst  eines  gleichmäßig  tiefen  Umgrabens  des  Rebberges  folgen 
lassen,  bei  welcher  Prozedur  alle,  selbst  die  kleinsten  Wurzelstücke  möglichst  sorgfältig 
zu  sammeln  und  durch  Feuer  zu  zerstören  sind.  Je  vollständiger  dies  geschieht,  desto 
mehr  ist  Aussicht  vorhanden,  daß  später  keine  Triebe  nachwachsen,  die  allfällig  verschont 
gebliebenen  Rebläusen  zur  Nahrung  dienen  können,  um  so  sicherer  kann  das  betroffene 
Land  schon  nach  vier  Jahren  wieder  der  Neubepflanzung  mit  Reben  übergeben  werden. 
Wird  aus  irgend  einem  Grunde  diese  Radikalmaßregel  nicht  beliebt,  so  bleibt  nichb« 
anderes  übrig,  als  das  intizirte  Rebstück  im  Frühjahr  von  neuem  mit  Schwefelkohlenstoff 
—  etwa  der  Hälfte  der  ursprünglich  angewendeten  Dosis  -  zu  behandeln  und  dieses 
Verfahren  so  oft  zu  wiederholen,  bis  neue  Triebe  nicht  mehr  wahrgenommen  werden 
und  die  Stöcke  als  völlig  abgestorben  zu  betrachten  sind,  von  welchem  durch  besondere 
Expertise  genau  festzustellenden  Zeitpunkte  an  die  Berechnung  der  Frist  zu  datiren  ist, 
nach  deren  Ablauf  die  Wiederanptlanzung  von  Reben  gestattet  werden  kann. 

Ist  der  Herd  der  Krankheit  genau  bestimmt,  so  sollen  die  äußersten  Punkte  durch 
besondere  Kennzeichen  markirt  und  die  Zerstörung^arbeiten  in  einem  weiteren  Umkreise 
von  drei  bis  fünf  Meter  um  sämmtliche  Angriffspunkte  ebenfalls  ausgeführt  werden.  Es 
ist  in  den  ersten  Jahren  des  Auftretens  der  Krankheit  diese  Sicherheitszone  auf  hundert 
Meter  von  den  äußersten  angegriffenen  Punkten  angesetzt  worden.  Heute,  wo  die  Unter- 
suchungen mit  bedeutend  größerer  Sicherheit  vorgenommen  werden  können,  erscheint 
jene  Reduktion  ungefährlirh.'* 

Diese  Instruktionen  sind  nun  nicht  absolut  verbindlicher  Art,  indem  unter 
Umständen  in  verschiedenen  Punkten,  so  namentlich  hinsichtlich  der  Ausdehnung 
der  Sicherheitszone    und    des  Umgrabens    der    infizirten   Fläche,    hie  und  da  von 


Reblaus  —     665     —  Reblaus 

-denselben  abgewichen  wurde ;  ohne  Einwilligung  der  Bundesbehörde  aber  dürfen 
die  Kantone  davon  nicht  abweichen,  wenn  sie  nicht  der  eidg^össisohen  Subven- 
tionen verlustig  gehen  wollen. 

So  wurde  schon  mit  Sohlußnahme  vom  16.  September  1882  dem  Kanton 
Oenf  die  Erlaubniß  ertheilt,  vom  Umgraben  der  behandelten  Flächen  Umgang 
zu  nehmen ;  seither  wird  in  diesem  Kanton  nicht  mehr  rigolt.  Zufolge  einem 
Berichte  des  Staatsrathes  von  Genf  wurden  die  unterirdischen  Eeste  der  in  einem 
Jahre  untersuchten  Stöcke  im  folgenden  Jahre  mehrmals  untersucht,  und  die 
Untersuchung  hat  außer  der  vollständigen  Abwesenheit  von  Insekten  eine  rasche 
2iersetzung  des  Wurzelholzes  dargethan,  so  daß  nach  Verlauf  von  drei  Jahren 
kein  solches  mehr  im  Boden  verbleibt. 

Im  Kanton  Waadt  wird  folgendermaßen  verfahren:  Die  infizirte  Stelle 
wird  reichlich  mit  Petroleum  Übergossen  und  die  Rebstecken  der  infizirten  Reben 
auf  der  Stelle  verbrannt.  Vermittelst  des  Injektionspfahls  werden  um  jeden  infi- 
zirten Stock  200  g  und  um  jeden  in  der  Sicherheitszone  befindlichen  Stock  150  g 
Schwefelkohlenstoff  injizirt.  Nach  Verlauf  von  acht  Tagen  wird  die  Injektion 
mit  denselben  Dosen  wiederholt.    Die  Sicherheitszone  beträgt  im  Minimum  5  m. 

Das  in  den  Kantonen  Neuenburg  und  Zürich  geübte  radikalere  Verfahren 
unterscheidet  sich  hinsichtlich  seines  Zweckes  nicht  erheblich  von  dem  in  den 
Kantonen  G^nf  und  Waadt  eingeführten;  es  sind  beide  nur  Modalitäten  der 
Exstinktivmetbode,  welche  ihrerseits  sich  allerdings  wesentlich  von  dem  in  Frank- 
reich geübten  Kulturverfahren  unterscheidet.  Mit  diesem  wird  nnr  beabsichtigt, 
die  Rebläuse  zu  vernichten,  dagegen  die  Rebe  am  Leben  zu  erbalten,  während 
die  erstere,  bei  uns  und  auch  in  Deutschland  angewendete  Methode  sowohl  die 
Rebläuse,  als  auch  die  infizirten  Reben  zu  vernichten  bestimmt  ist.  Es  mag  noch 
beigefügt  werden,  daß  Frankreich  das  Exstinktivverfahren  übrigens  auch  in  Algier 
und  in  den  zollfreien  Zonen  von  Hochsavoyen  und  der  Landschaft  Gex  einge- 
führt hat. 

F.  Kosten  der  Kantone  G-enf^  Neuenburg,  Zürich  und  Waadt  für  die 
Bekämpfung  der  Btblaus,    Subventionen  des  Bundes  an  diese  Kantone: 


Jahr 

i  Q7vl   1 

Genf 

Neuenburg 

Zürich 

Waadt 

1875 

►  Fr. 

107,174.  40 

1876 

. 

1877 
1878  ] 

f» 

1,200.  80 

Fr. 

166,991.  83 

— 

1879 

t» 

288.  20 

n 

9,214.  96 

• 

1880 

« 

18,863.  — 

n 

19,509.  62 

— 

1881 

« 

10,581.  60 

r 

27,528.  95 

1882 

fi 

30,943.  90 

»» 

40,087.  57 

1883 

fi 

17,955.  85 

r 

45,541.  12 

— 

— 

1884 

fi 

35,305.  50 

n 

47,714.  70 

— 

— 

1885 

p 

53,789.  75 

f 

66,811.  79 

1886 

fi 

45,227.  20 

n 

40,943.  70 

Fr. 

122,980. 

15 

Fr.     6,827. 

20 

1887 

» 

48,905.  60 

T 

43,104.  60 

« 

71,082. 

64 

.    11,814. 

41 

1888 

if 

58,547.  75 

« 

44,376.  02 

n 

59,434. 

61 

„    20,230. 

35 

Fr.  428,782.  55      Fr.  551,824.  86      Fr.  253,497.  40     Fr.  38,871.  96 

In   diesen  Auslagen    sind    die  den   Eigen tbümern  der  zerstörten  Reben  aus- 
bezahlten Entschädigungen    inbegriffen.     Beispielsweise    führen    wir   an,    daß  im 


Reblaus  —     666     —  Reblai» 

Kanton  Zürich  den  Rebgrandbesitzern  als  Entschädigung  bezahlt  wurden:  Im 
Jahre  1886:  Fr.  23,720.79,  1887:  Fr.  9301.  19  *),  1888:  Fr.  8658.  09;  im 
Kanton  Neuenburg  1885 :  Fr.  6605. 40,  1886  :  Fr.  3684.  35,  1887  :  Fr.  4069. 25, 
1888:  Fr.  4507.  55;  im  Kanton  Genf  von  1874  bis  1885  inkl.:  Fr.  65,169, 
1886:  Fr.  6040,  1887:  Fr.  6920.  50,  1888:  Fr.  1278.  60;  im  Kanton  Waadt 
1886:  Fr.  679.  40,   1887:  Fr.  1075.  46,   1888:  Fr.  11,194.  65. 

Wir  haben  oben  bereits  ausgeführt,  daß  die  Bundesversammlung  schon  im 
Jahre  1877  es  als  Pflicht  des  Bundes  betrachtet  hat,  denjenigen  Kantonen,  welche 
sich  genöthigt  sehen,  Maßnahmen  zur  Unterdrückung  der  Reblauskrankheit  zu 
treffen,  Unterstützungen  zu  theil  werden  zu  lassen,  und  die  bezügliche  Schlaß- 
nähme  rückwirkend  erklärt  hatte.  In  Ausführung  dieser  Schlußnahme,  sowie 
derjenigen  vom  21.  Februar  1878  und  27.  Juni  1884  (s.  o.)  hat  der  Bundesrath 
den  von  der  Reblaus  heimgesuchten  Kantonen  bis  heute  folgende  Subventionen 
gewährt : 


Jabr 

Genf 

Neuenburg 

ZQrich 

Waadt 

Total 

UCLUl 

Fr. 

Fr. 

Fr. 

Fr. 

Fr. 

1880 

2,234.  08  (pro  18711) 

— 

2,234. 08 

1881 

3,916.  98  (pro  1880) 

5,830.  04  (pro  1880) 

9,747. 02 

1882 

2,470.  57  (pro  1881) 

8,634.  05 

11,104.62 

1883 

36,124.  90  (pro  1874-78) 

55,744.  24  (pro  1877/78) 

— 

91,869. 14 

1883 

7,583.--  (pro  1882) 

12,593.  60  (pro  1882) 

— 

20,176. 60 

1884 

5,120.  —  (pro  1883) 

10,339. 04 

— 

— 

15,459.04 

1885 

10,974.  70  (pro  1884) 

17,543.  — 

— 

28,517.  70 

1886 

15,572.  68  (pro  1885) 

18,(X)1.  70 

33,574. 38 

1887 

14,561.38  (pro  1886) 

14,173.80 

35,981. 30 

1,463. 84 

66.180.  32 

1888 

15,711.  68  (pro  1887; 

16,226.  74 

25,120. 48 

3,623.  72 

60,682. 62 

112,035.89  161,320.29  61,101.78     5,087.56     339,545.52 

Es  ist  hiebei  Folgendes  zu  beachten :  1)  daß  die  Bundessubventionen  für  die 
Jahre  1874 — 1883  inkl.  3373  V  "^^  ^^^  ^*  ^">  i°  Gemäßheit  des  Bundes- 
beschlusses vom  27.  Juni  1884,  40  ^/o  der  Auslagen  der  Kantone  repräsentiren ; 
2)  daß  bei  Berechnung  der  Bundessubvention  nur  diejenigen  Auslagen  der  Elantone 
in  Berücksichtigung  gezogen  wurden,  welche  denselben  durch  die  Untersuchungen 
in  unmittelbarer  Nähe  der  Reblausherde,  durch  die  Anschaffung  von  Desinfektions- 
mitteln und  Apparaten,  durch  die  Desinfektion  und  die  Umgrabung  der  infizirten 
Flächen  erwachsen  sind,  daß  jedoch  dabei  die  Kosten  der  allgemeinen  Ueber- 
wachung  ihrer  Eebpflanzungen,  welche  von  allen  Weinbau  treibenden  Kantonen 
gleichmäßig  geübt  werden  muß,  sowie  die  Entschädigung  der  betroffenen  Reben- 
eigenthümer  außer  Betracht  fielen.  Nur  bei  der  Entschädigung  für  die  Jahre 
1874 — 1878  sind  alle  Auslagen  der  Kantone  Genf  und  Neuenburg  berücksichtigt 
worden.  In  Gemäßheit  einer  Schlußnahme  der  Bundesversammlung  vom  23.  De- 
zember 1886  wurden  bei  Berechnung  der  den  Kantonen  pro  1887  auszurichtenden 
Buudessubventionen  auch  die  Beträge  berücksichtigt,  welche  in  Folge  der  Zer- 
stöning  von  hängenden   Ernten  an  die  Rebbesitzer  bezahlt  worden  sind. 

Es  wäre  aber  ein  Irrthum,  zu  glauben,  daß  der  Theil  der  Ausgaben  der 
genannten  Kantone,  welcher  nach  Abzug  der  Bundessubvention  verbleibt,  gans 
von  dem  kantonalen  Fiskus  getragen  worden  sei.  Es  muß  vielmehr  hier  des 
überaus  interessanten  und  unseres  Wissens  in  keinem  anderen  der  von  der  Reb- 
laus heimgesuchten  Staaten  vorkommenden  Institutes  der  obligatorischen  gegen- 
seitigen     Versicherung     aller     Rebenbesitzer     gegen     Reblaus. 


*)   Im  Bericht   pro    1888   wird  die  Kntschädigungssumme   pro   1887  mit  Fr.  9491 
auf^'ct'ührt. 


Reblaus  —     667      —  Reblaus 

schaden  Erwähnung  gethan  werden.  Solche  Institute  bestehen  heute  in  den 
Kantonen  Genf,  Neuenburg,  Wallis,  Waadt  und  Zürich.  Auch  der  Große  Rath 
des  Kantons  Aargau  hat  unterm  12.  November  1886  ein  für  die  Rebeobesitzer 
des  Kantons  eine  gleicherweise  einzurichtende  Versicherung  schatfendes  Gesetz, 
erlassen.  In  der  Volksabstimmung  vom  12.  Juni  1887  ist  dasselbe  jedoch  ver- 
worfen worden.  Ein  gleiches  Schicksal  hatte  ein  vom  Großen  Rathe  des  Kantons 
Thurgau  den  5,  März  1888  erlassenes  Gesetz  betrefifend  Versicherung  gegen 
Reblausschaden.  Ein  Dritttheil  der  Auslagen  der  Kantone  zur  Bekämpfung  der 
Reblaus  wurde  dem  durch  jene  Versicherungen  geschaffenen  Fond  entnommen 
und  nur  der  Rest  (ca.  ein  Dritttheil)  wurde  vom  kantonalen  Fiskus  getragen. 
Das  erste  diesbezügliche  Gesetz  warde  im  Kanton  Genf  erlassen,  und  wir  glauben,, 
hier  die  Hauptbestimmungen  dieses  vom  21.  Januar  1880  datirenden,  sowie  des 
jüngsten  dieser  Gesetze,  desjenigen  des  Kantons  Zürich  vom  12.  Juni  1881,  revidirt 
den  24.  November  1884.  reproduziren  zu  sollen. 

A.  Genfe|risches  Gesetz. 

Art.  1.  Es  wird  für  den  Zeitraum  von  10  Jahren  eine  obligatorische  Genossenschaft 
unter  sammtlichen  Eigenlhumern  der  im  Kanton  gelegenen  Weinberge  gebildet.  Diese 
Genossenschaft  hat  zum  Zweck,  für  Deckung  der  Kosten  zu  sorgen,  welche  aus  der 
Bekämpfung  der  Phylloxera  entstehen,  unter  Vorbehalt  der  in  Art.  10  vorgesehenen 
Bestimmungen. 

Art.  5.  Sobald  die  Anwesenheit  der  Phylloxera  festgestellt  ist,  bezeichnet  der 
Staatsrath  auf  den  Vorbericht  der  kantonalen  Expertenkommission  und  der  Vertreter 
des  Bundesrathes  für  diese  Angelegenheit  die  zum  Schutze  der  Weinberge  auszuführenden 
Arbeiten  und  erklärt  die  Sequestration  sowie  die  temporäre  Be^^itzergreifung  der  W'ein- 
berge  und  Weinbergabschnitte,   in   welchen  diese  Arbeilen  ausgeführt  werden  müssen. 

Art.  G.  Die  Eigenthümer  der  Weinberge,  in  denen  Nachsuchungen  anbefohlen  sind 
oder  die  Ausführung  von  Arbeiten,  als  Aufgraben,  Behandlung  mit  Gift,  Ausreißen  und 
anderes,  haben  auf  die  erste  Aufforderung  des  Staatsrathes  vorübergehend  deren  Nutz- 
nießung aufzugeben. 

Art.  7.  In  den  in  Art.  6  vorgesehenen  Fällen  empfangen  die  Eigenthümer  eine 
Entschädigung,  die  durch  drei  Sachverständige  festgesetzt  wird,  welche  ernannt  werden : 
Einer  vom  Staatsrath,  einer  von  dem  oder  den  zu  entschädigenden  Eigenlhümern, 
einer  von  der  Kommission  der  Genossenschuft.  Keiner  der  Sachverständigen  darf  unter 
den  Personen  gewählt  werden,  welche  in  der  Gemeinde,  in  der  die  Immobilien  liegen, 
für  welche  die  Entschädigung  festgesetzt  werden  soll,  wohnen  oder  daselbst  Eigen- 
thümer sind. 

Art.  8.  Wenn  die  als  nothwendig  erkannten  Maßnahmen  die  Zerstörung  von  Wein- 
bergen in  einer  gewissen  Ausdehnung  herbeiführen  oder  dem  Eigenthümer  irgend  einen 
Schaden  verursachen,  so  haben  die  Sachverständigen  bei  Feststellung  der  Entschädigung 
in  Betracht  zu  ziehen :  n.  den  Werth  der  hängenden  Weinlese ;  b.  den  mittleren  Ertrags- 
werth  dieser  Weinberge  und  ihrer  Klasse ;  e.  die  Ausdehnung  der  von  der  Phylloxera 
heimgesuchten  Stellen  und  die  Größe  des  Uebels;  d.  den  Werlli  der  Rebhöizer  und  der 
Rebstecken,  die  auf  dem  Platze  selbst  vernichtet  werden.  Beim  Verbot  jeden  Anbaues 
wird  eine  jährliche  Entschädigung  geleistet,  die  der  mittleren  Paclitsumme  entspricht, 
welche  während  der  Dauer  des  Verbotes  bezogen  werden  könnte:  doch  darf  diese  Ent- 
schädigung zwei  Franken  pro  Are  nicht  überschreiten. 

Art.  9.  Im  Falle,  daß  Zwistigkeiten  über  die  Höhe  der  angebotenen  Entschädigung 
entstehen,  wird  die  Frage  den  kompetenten  Gerichten  überwiesen;  der  Rekurs  des 
Eigenthümers  hat  jedoch  keine  aufschiebende  W^irkung. 

Art.  10.  1)  Die  Ausgaben  für  die  vom  Staatsrath  gemäß  Art.  5  des  gegenwärtigen 
Gesetzes  augeordneten  Arbeiten  und  Operationen,  sowie  die  laut  Art.  7  und  8  zu  zahlenden 
Entschädigungen  werden  gedeckt:  a.  durch  einen  Bezug  vom  verfügbaren  Ertrage  der 
jährlichen  Einzahlungen  der  Eigenthümer,  welcher  ein  Dritttheil  des  Betrages  dieser 
Kosten  nicht  übersteigen  darf;  b.  durch  Betheiligung  des  Bundes  gemäß  den  Bestim- 
mungen des  Bundeshesthlusses  vom  15.  Juni  1877 ;  c.  durch  einen  Beitrag  des  Kantons. 
—  2j  Sollten  in  Folge  einer  plötzlichen  Invasion  und  Ausdehnung  der  Phylloxera  die 
Ausgaben  für  die  in  einem  Jahre  auszuführenden  Entschädigungen  und  Arbeiten  die  in 


Reblaus  —      668      —  Reblaus 

der  Kasse  der  Genossenschaft  verfügbare  Summe  um  drei  Viertel  übersteigen,  so  hat 
der  Große  Rath  über  die  dann  zu  ergreifenden  Maßregeln  zu  entscheiden. 

Art.  11.  Vom  I.Januar  1880  ab  hat  jeder  Weinbergbesitzer  einen  wie  folgt  fest- 
gesetzten jährlichen  Beitrag  zu  entrichten:  Die  I.  Klasse,  Werth  80  Fr.  der  Are  und 
darunter,  zahlt  5  Cts.  pro  Are.  Die  II.  Klasse,  Werth  81— 140  Fr.  der  Are,  zahlt  10  Cts. 
pro  Are.  Die  III.  Klasse,  Werth  141  Fr.  der  Are  und  darüber,  zahlt  15  Cts.  pro  Are.  — 
Die  Kosten  der  Ueberwachung  der  Weinberge  sollen  in  erster  Linie  aus  dem  Ertrag  der 
Einzahlungen  gedeckt  werden.  Der  Bezug  der  Einzahlung  für  das  Jahr  1880  findet  im 
Jahre  1881  statt. 

Art.  12.  In  Ermangelung  eines  Beschlusses  des  Großen  Rathes,  die  weitere  Dauer 
der  Genossenschaft  betre£fend,  wird  die  Summe,  welche  am  Schlüsse  des  Verwaltungs- 
jahres 1889  aus  den  Beitragen  der  Mitglieder  zur  Verfugung  steht,  den  Eigen thümern 
der  Weinberge  im  Verhältniß  zur  Gesammtheit  der  von  ihnen  entrichteten  Beiträge 
zurückgezahlt. 

Art.  13.  Die  Vorschriften  des  Gesetzes  über  den  Bezug  der  direkten  Steuern  sind 
auf  den  Bezug  der  in  Art.  10  und  11  vorgesehenen  Beiträge  anwendbar.  —  Die  Listen 
für  den  Bezug  der  Beiträge  werden  für  jede  Gemeinde  gemäß  den  Erklärungen  der 
Weinbergbesitzer  festgestellt.  Diese  Erklärungen  müssen  die  Ausdehnung  und  die  Klasse 
jeder  mit  Reben  bepflanzten  Bodenparzelle  angeben.  Sie  sind  der  Kontrole  der  Ver- 
waltungskommission der  Genossenschaft  unterbreitet.  --  Vor  der  Einziehung  der  Beiträge 
wird  die  Liste  jeder  Gemeinde  in  der  Mairie  aufgelegt,  wo  sie  von  den  betreffenden 
Eigenthümern  während  eines  Zeitraumes  von  20  Tagen  eingesehen  werden  kann. 

Art.  14.  Die  Eigenthümer,  welche  nicht  die  in  Art.  13  vorgesehene  Erklärung  oder 
eine  unrichtige  Erklärung  abgegeben  haben,  werden  von  Amtswegen  und  auf  ihre  Kosten 
auf  Grund  eines  Berichts  des  vom  Departement  des  Innern  hiezu  bezeichneten  Sach- 
verständigen taxirt. 

Art.  15.  Die  Gelder  der  Genossenschaft  werden  in  die  Staatskasse  abgeliefert.  Sie 
sind  Gegenstand  eines  znstragenden  Spezialkontos.  Die  jährlichen  Rechnungen  der  Ge- 
nossenschaft werden  durch  den  Staatsrath  gleichzeitig  mit  dem  allgemeinen  Bericht  über 
die  Rechnungen  des  Kantons  veröffentlicht. 

Art.  lö.  Die  Eigenthümer,  welche  ausländische  Weinfechser  sowie  verbotene  Gegen- 
stände eingeführt  und  die  durch  die  eidgenössischen  und  kantonalen  Gesetze  und  Ver- 
ordnungen vorgeschriebenen  Maßregeln  zur  Bekämpfung  der  Phylloxera  nicht  befolgt 
haben,  können  der  Gesammtheit  oder  eines  Theils  der  Entschädigung,  zu  der  sie  be- 
rechtigt wären,  verlustig  gehen,  unbescliadet  der  in  obgenanuten  Gesetzen  und  Ver- 
ordnungen angedrohten  Bußen  und  anderen  Strafen. 

Art.  17.  Jeder  Weinbergbesitzer  und  jeder  Rebmann,  welclier  der  Behörde  die 
Anzeielien  von  der  vermuthlichen  Anwesenheit  der  Phylloxera  nicht  meldet,  sobald  er 
Kennlniß  von  derselben  hat,  soll  mit  einer  Buße  von  20—200  Fr.  belegt  werden.  — • 
Der  Weinbergbesitzer,  welcher  die  Anwesenheit  der  Phylloxera  kennt  und  die  kompetente 
Behörde  nicht  davon  in  Kenntniß  setzt,  soll  mit  derselben  Strafe  belegt  werden  und 
kann  außerdem  jedes  Anrecht  auf  eine  Entschädigung  verlieren,  unbeschadet  der  Civil- 
ansprüche,  die  gegen  ihn  erhoben  werden  können. 

Art.  18.  Die  in  Art.  16  und  17  vorgesehenen  Bußen  fallen  in  die  Kasse  der  Ge- 
nossenschaft. 

B.  Zürcherisches  Gesetz  (vom   12.  Juni  1881). 

§  8.  Ist  das  Vorhandensein  der  Reblaus  an  irgend  einem  Orte  des  Kantons  oder 
in  unmittelbarer  Nähe  desselben  festgestellt,  so  ordnet  der  Regierungsrath,  auf  Antrag 
der  Direktion  des  Innern,  bezw.  nach  Anhörung  der  kantonalen  Rebkommission  und 
ullfalli^'er  Beauftragter  des  Bundesrathes,  sofort  die  Abschließung  derjenigen  Grundstücke 
an,  in  welchen  weitere  Nachforschungen  anzustellen  oder  Arbeiten  auszuführen  sind. 
Es  nberninimt  alsdann  die  lokale  Rebkommission  unter  der  Oberaufsicht  eines  Mitgliedes 
der  kantonalen  Kommission  die  gesammte  Verfügung  über  das  Grundstück  in  dem  Sinne, 
daß  weder  der  Eigenthümer  noch  ein  dritter  Berechtigter  ohne  Erlaubniß  der  Kommission 
irgend  welche  Besilzeshandlungen  in  demselben  ausüben  darf. 

§  9.  Der  Regierungsrath  ist  befugt,  nöthigen falls  die  gänzliche  Beseitigung  aller  auf 
dem  al)geschlos-enen  Grundstucke  vorhandenen  Pflanzen  anzuordnen  und  die  Wieder- 
bepfliinzung  desselben  mit  Reben  für  längere  Zeit  zu  untersagen. 

§  10.  Der  Regierungsrath  hat  dafür  zu  sorgen,  daß  die  für  Wiederanpllanzuog 
gfrodetor  Grundstücke  erforderlichen  Reben  in  einer  ausreichenden  Zahl  von  Rebschuleo 
jederzeit  vorhanden  seien. 


Reblaus  —      669      —  Rehlaus 

§  11.  Sowohl  die  Kosten  der  in  Ausführung  dieses  Gesetzes  vorgenommenen  Ar- 
beiten, als  auch  die  gemäß  §§24  u.  iT.  zu  leistenden  Entschädigungen  werden  folgender- 
maßen getragen:  a.  Ein  Drittel  ist  aus  dem  von  den  Rebenhesitzem  zu  gründenden 
Rebfond  zu  bestreiten  (§§  17  u.  ff.);  b.  mindestens  ein  Drittel  ist  aus  dem  laut  Beschluß 
der  Bundesversammlung  vom  15.  Juni  1877  zu  er^vartenden  Beitrage  des  Bundes  zu 
bezahlen ;  c.  der  Rest  wird  durch  einen  Beitrag  aus  der  Staatskasse  gedeckt. 

§  12.  In  jeder  Weinbau  treibenden  Gemeinde  hat  der  Gemeindcrath  einen  Kataster 
anzulegen,  in  welchen  die  Grundfläche  sowie  der  Verkehrswerth  der  mit  Reben  be- 
pflanzten Grundstücke  jedes  einzelnen  Eigenthümers  unter  dessen  Namen  einzutragen 
sind ;  Veränderungen  in  den  Eigenthums Verhältnissen  sind  fortwährend  nachzutragen.  — 
Je  nach  Ablauf  von  vier  Jahren  ist  eine  gänzliche  Revision  der  Verzeichnisse  vorzunehmen. 

§  13.  Sowohl  die  erste  Anlage  des  Katasters,  als  auch  die  späteren  Revisionen 
desselben,  erfolgen  auf  Grundlage  von  Selbsttaxationen  der  Eigenthümer,  welche  hin- 
sichtlich der  Maß-  und  Werthangaben  durch  den  Gemcinderath  geprüft  und  nöthi^enfalls 
ergänzt  und  berichtigt  werden.  Unterläßt  ein  Grundeigenthümer  die  Einreichung  einer 
Selbsttaxation  binnen  angesetzter  Frist,  so  hat  der  Gemeinderath  die  Taxation  von  sich 
aus  vorzunehmen. 

§  14.  Von  dem  in  dieser  Weise  erstellten  Kataster  ist  je  weilen  ein  Doppel  der 
Direktion  des  Innern  zuzustellen.  Ergeben  sich  Mißverhältnisse  in  den  Schätzungen  der 
einzelnen  Gemeinden,  so  hat  die  Direktion  durch  Vermittlung  der  kantonalen  Reb- 
kommission auf  die  Ausgleichung  derselben  hinzuwirken. 

§  15.  Hierauf  hat  der  Gemeinderath  den  Kataster  den  Betheiligten  zur  Einsicht 
aufzulegen  und  in  der  diesfälligen  Bekanntmachung  anzuzeigen,  mit  welchem  Tage  die 
Frist  zur  Erhebung  alltalliger  Beschwerden  zu  laufen  beginne. 

§  16.  Rekurse  gegen  Beschlüsse  des  Gemeinderathes  werden  ei'stinstanzlich  durch 
den  Bezirksrath,  zweitinstanzlich  durch  den  Rcgierungsrath  entschieden.  Die  Rekursfrist 
beträgt  in  beiden  Fällen  14  Tage.  —  Wird  ein  Rekurs  als  unbegrün<let  abgewiesen,  so 
hat  der  Rekurrent  die  Kosten  des  Verfahrens  sowie  einer  allfiilligen  neuen  Taxation 
zu  tragen. 

Der  Titel  III  des  Gesetzes,  umfassend  die  §§17  bis  23,  datirt  vom 
24.  November  1884  und  enthält  einige  wesentliche  Abänderungen  gegenüber 
dem  Titel  III  des  Gesetzes  vom  12.  Juni  1881.  Diese  Abänderungen  wurden 
in  Folge  einer  Volksinitiative  für  Aufhebung  de«  Gesetzes  vorgenommen. 

§  17.  Der  in  §  11  bezeichnete  Rebfond  wird  gebildet:  a.  aus  den  im  Jahre  1883 
von  den  Rebenbesitzern  zusammengelegten  Beiträgen ;  b.  aus  weiteren  Beiträgen,  soweit 
solche  nach  Maßgabe  dieses  Ciresetzes  eingefordert  werden  können. 

§  18.  Die  Einforderung  solcher  weiterer  Jahresbeiträge  darf  nur  erfolgen,  wenn 
Schädigungen  durch  die  Reblaus  eintreten  und  der  Fond  zur  Bestreitung  der  daherigen 
Ausgaben  voraussichtlich  nicht  ausreicht.  —  Die  Beschlußfassung  hierüber  steht  auf 
Antrag  des  Regierungsrathcs  dem  Kantonsrathe  zu. 

§  19.  Bei  Erhebung  eines  Beitrages  hat  jeder  im  Kataster  aufgeführte  Eigenthümer 
von  Reben  einen  Franken  vom  Tausend  des  eingetragenen  Werthes  zu  bezahlen.  Bruch- 
zahlen unter  einem  Rappen  werden  hiebei  für  voll  berechnet.  —  Reicht  alsdann  der 
Rebfond  zur  Bestreitung  des  auf  ihn  entfallenden  Antheiles  an  den  Ausgaben  (§  11, 
litt,  a)  nicht  aus,  so  hat  der  Kantonsrath  zu  beschließen,  auf  welche  Weise  der  Ausfall 
zu  decken  sei. 

§  20.  Der  Bezug  der  Beiträge  erfolgt  im  Monat  November  durch  den  Gemeinde- 
rath, welcher  dieselben,  nach  Abzug  von  1  7»»  spätestens  bis  zum  15.  Dezember  franko 
an  die  Staatskasse  abzuliefern  hat. 

§  21.  Dem  Rebfontl  steht  für  die  ausstehenden  Beitrage  ein  stillschweigendes 
Pfandrecht  an  dem  betreffenden  Grundstücke  im  Sinne  des  §  777  des  privatrechtlichen 
Gesetzbuches  zu.  Diesem  Pfandrechte  geht  jedoch  dasjenige  zu  Gunsten  des  Staates  und 
der  Gemeinden  für  ihre  Auslagen  bei  der  Korrektion  und  dem  Unterhalt  der  öffentlichen 
Gewässer  vor  (§  29  des  Gesetzes  vom  10.  Dezember  1876).  —  Das  Pfandrecht  erlischt, 
sofern  dasselbe  nicht  bis  zum  nächstfolgenden  1.  Mai  von  der  Verfallzeit  an  aufprotokollirt 
wird.  Auf  diese  Aufprotokollirungen  linden  die  Bestimmungen  der  §§  793  und  801  des 
privatrechtlichen  Gesetzbuches  keine  Anwendung,  und  es  darf  für  dieselbe  auch  keine 
Staatsgebühr  berechnet  werden. 

§  22.  In  der  Wintersitzung  des  Jahres  1893  hat  der  Kantonsrath  darüber  Beschluß 
zu  fassen,  ob  der  Rebfond  zu  liquidiren  oder  beizubehalten  sei.  Der  diesfalli^e  Beschluß 
ist   der  Volksabstimmung  zu  unterwerfen.   —   Im  Falle  der  Liquidation  des  Rebfondes 


Reblaus  —     670     —  Reblaus 

ist  der  vorhandene  Aktivsaldo  nach  dem  Verhältniß  der  sämraüichen  für  ein  Gruudstflck 
bezahlten  Beiträge  unter  diejenigen  Personen  zu  vertheilen,  welche  am  Tage  der  Be- 
schlußfassung notarialische  Eigenthümer  der  betreffenden  Grundstücke  sind. 

§  23.  Die  Staatskasseverwaltung  besorgt  die  Verwaltung  des  Rebfondes,  ohne  daß 
dafür  besondere  Kosten  zu  verrechnen  sind.  —  Die  Rechnungsstellung  erfolgt  alljährlich 
mit  der  Staatsrechnung  unter  dem  Titel  „Separatfonds  zu  besonderen  Zwecken*. 

§  24.  Wenn  Reben  zerstört  werden,  so  ist  der  Werth  der  in  Aussieht  gestandenen 
Ernte  vollständig  zu  ersetzen.  —  Wird  überdies  die  Wiederbepflanzung  des  Grundstückes 
mit  Relien  für  einstweilen  untersagt,  so  sind  für  das  zwei  e  und  die  lolgenden  Jahre 
bis  nach  Ablauf  von  drei  Jahren  nach  ertheilter  Bewilligung  zur  Wiederanpflanzung 
jährlich  6  '7o  des  Katastcrwerthes  als  Entschädigung  zu  bezahlen.  Hievon  ist  jedoch, 
wenn  das  Grundstück  während  der  Zeit  des  Verbotes  der  Wiederbepflanzung  anderweitig 
benutzt  wird,  der  diesfallige  Reinertrag  in  Abzug  zu  bringen.  —  Von  dem  Zeitpunkte 
an,  wo  die  Wiederanpflanzung  von  Reben  gestattet  wird,  ist  die  Entschädigung  nur 
noch  nach  Verhältniß  desjenigen  Theiles  der  Grundfläche  zu  vergüten,  auf  welchem  die 
Wiederanpflanzung  wirklich  ausgeführt  worden  ist.  —  Diese  Entschädigungen  sind  je 
im  Anfang  des  Monats  November  auszurichten. 

§  25.  Die  für  die  Wiederanpflauzung  erforderlichen  Kosten,  mit  Einschluß  der 
Auslagen  für  neue  Reben  und  Rebstickel,  sind  dem  Eigenthümer  vollständig  zu  ersetzen. 
Diese  Entschädigung  wird  nach  Ablauf  von  zwei  Jahren  vom  Zeitpunkt  der  ertheilten 
Bewilligung  an  ausbezahlt.  Unterbleibt  die  Wiederbepflanzung,  so  ist  der  Betrag  gleich- 
wohl auszurichten,  soll  aber,  wenn  das  Grundstück  verpfändet  ist,  der  Notariatskanzlei 
zugestellt  werden,  welche  denselben  den  grundversicherten  Gläubigern  nach  der  Rang- 
onlnung  ihrer  Pfandrechte  auszuhändigen  hat. 

§  26.  Für  andei*weitigen  Schaden  an  Grundstücken,  welcher  durch  Ausführung 
dieses  Gesetzes  zugefügt  wird,  ist  ebenfalls  Ersatz  zu  leisten. 

§  27.  Die  Ent<5cbädigungen  werden  durch  eine  Schätzungskommission  von  drei 
Mitgliedern  festgestellt.  Eines  der  Mitglieder  wird  vom  Obergericht,  eines  vom  Regierungs- 
rath  und  eines  von  dem  zu  entschädigenden  Eigenthümer  gewählt.  —  Das  vom  Ober- 
gericht gewählte  Mitglied  fülirt  den  Vorsitz.  —  Der  Entscheid  dieser  Kommission  ist 
einem  Schiedssprucli  gleich  zu  achten. 

8  28.  Unterlassung  der  in  «^  7  vorgeschriebenen  Anzeige  wird  mit  Polizeibuße  von 
20  — UKX)  Franken  bestraft.  Vorbehalten  bleit)en  überdem  die  Straf bestimmungen  des 
eidgenössischen  Vollziehungsreglements  betreflend  Vorkehrungen  gegen  die  Reblaus,  vom 
18.  April  1878. 

S  29.  Wer  den  Bestimmungen  dieses  Gesetzes  absichtlich  oder  fahrlässigerweise 
zuwiderhandelt,  insbesondere  wer  die  Anzeige  von  dem  ihm  bekannten  Vorhandensein 
der  Reblaus  unterlaßt,  kann  zum  Ersatz  des  durch  seine  Handlung  verursachten  Schadens 
vorurt heilt  werden  und  ist  nicht  berechtigt,  für  denjenigen  Schaden,  welchen  er  selbst 
durch  eigenes  VerschuMen  erlitten  hat,  Ersatz  zu  verlangen. 

Wir  können  diese  Abhandlung  nicht  schließen,  ohne  mit  Genugthuung  auf 
<len  Erfolg  hinzuweisen,  welchen  die  in  der  Schweiz  zur  Anwendung  gekommenen 
Maßnahmen  zur  Bekämpfung  der  Reblaus  gehabt  haben.  Schon  seit  15  Jahren 
herrscht  die  Reblaus  im  Kanton  Genf,  seit  12  Jahren  im  Kanton  Neuenburg 
und  seit  3  Jahren  in  den  Kantonen  Zürich  und  Waadt,  und  im  Ganzen  waren, 
wie  wir  oben  gezeigt  haben,  Ende  1887  nicht  mehr  als  46  Hektare  dee 
schweizerischen  Kebgeländes  verwüstet.  Es  ist  aber  zu  beachten,  daß  von  diesen 
40  Hektaren  der  weitaus  größere  Theil,  zwei  Dritttheile,  wenn  nicht  darüber, 
in  die  sog.  Sicherheitszone  fällt,  also  Reben  enthielt,  die  nicht  von  der  Reblaus 
infizirt  waren,  sondern  zur  großem  Sicherheit  für  das  Übrige  Rebgeläude  zerstört 
wurden.  Es  folgt  daraus,  daß  von  der  Reblaus  selbst  nur  ein  ganz  minimer 
Brnchtheil  jenes  Geländes  zerstört  worden  ist.  Eines  so  glänzenden  Erfolges  kann 
bich  keiner  der  von  dem  Insekt  heimgesuchten  Staaten  rühmen,  indem  sogar 
Länder,  in  welchem  dasselbe  später  als  in  der  Schweiz  aufgetreten  ist,  schon 
weit  größere  Verheerungen  aufzuweisen  haben.  Um  in  dieser  Hinsicht  nur  ein 
Beispiel  anzuführen,  erwähnen  wir,  daß  schon  Ende  1884  in  Italien,  wo  die 
Keblaus  5  Jahre  später  als  in  der  Schweiz  konstatirt  worden  ist,  642,55  Hektaren 


Reblaus  —     671     —  Reißzeuge 

von  der  Eeblaus  verwüstet  wareo,  die  Sicherheitszonen  nicht  einmal  inbegriffen. 
Diese  Anerkennung  hat  das  schweizerische  System  der  Bekämpfung  der  Reblaus 
im  Auslande  vielleicht  noch  in  höherem  Grade  gefunden,  als  bei  uns  selbst. 
Allerdings  berechtigt  auch  dieser  Erfolg  nicht  zu  der  Hoffnung,  daß  wir  in 
naheliegender  Zeit  von  diesem  schlimmsten  aller  Rebenfeinde  werden  befreit  werden, 
vielmehr  weisen  alle  Anzeichen  darauf  hin,  daß  derselbe  nach  und  nach  sich 
immer  mehr  Terrain  erobern  wird.  Die  zunächst  liegende  Aufgabe  einer  Be- 
kämpfung kann  sonach  nur  dahin  gehen,  die  Ausbreitung  der  Krankheit  mit  allen 
Kräften  zu  verhindern.  Eine  vollständige  Vertilgung  der  Reblaus  wird  wohl  noch 
lange  ein  unerreichtes  Ziel  bleiben,  weil  eben  bei  der  verschwindend  kleinen 
Ausdehnung  ihres  Körpers  eine  Kontrole  darüber,  ob  von  dem  Insecticid  alle 
Individuen  erreicht  worden  sind,  einfach  unmöglich  ist,  und  damit  fällt  jede 
Kritik  gegen  das  Grundsätzliche  des  bisherigen  Verfahrens  dahin. 

Wir  dürfen  auch  nicht  unerwähnt  lassen,  daß  bereits  von  verschiedenen 
Seiten  die  Anregung  gemacht  wurde,  es  solle  jetzt  schon  für  Ersatz  der  dem 
Tode  geweihten  Reben  gesorgt  werden,  und  zwar  durch  Einführung  von  Samen- 
rebschulen solcher  Sorten,  welche  sich  als  stark  genug  erwiesen  haben,  der  Reblaus 
Widerstand  zu  leisten  (amerikanische  Reben).  Da  indessen  die  Frage  dieser  Ein- 
führung noch  kontrovers  ist,  so  nehmen  wir  davon  Umgang,  dieselbe  hier  zu 
besprechen. 

Bechtsagenten.  Birkhäoser's  Adreßbuch  (Basel,  1885)  verzeichnet  418 
Rechts  und  Geschäftsagenturen,  wovon  202  im  Handelsregister  eingetragen.  Luzern 
weist  die  größte  Zahl  auf:  102,  dann  Zürich  42,  Genf  35,  Waadt  33,  Neuen- 
burg 32,  Freiburg  28,  Solothurn  22,  St.  Gallen  21,  Bern  18,  Aargau  17  u.  s.  w. 

Rechtspflege  s.  Verwaltung  und  Rechtspflege. 

Reformtarif*  Unter  Reformtarif  versteht  man  dasjenige  Eisenbahntarif- 
system, bei  welchem  die  Taxen  theils  nach  dem  Raum,  theils  nach  dem  Werth 
der  Waaren  berechnet  sind.  Dieses  System  ist  seit  Mitte  der  1870er  Jahre 
bei  den  deutschen  Bahnen,  seit  1882  bei  der  schweizerischen  Nordostbahn  und 
seit  1883  bei  den  übrigen  Schweizerbahnen  („Suisse  occidentale**  erst  seit  März 
1886)  in  Kraft.  Das  bei  den  schweizerischen  Bahnen  vorher  bestandene  Tarif- 
system  (von  1803  an  für  die  centralschweizerischen,  von  1872  an  für  die  ost- 
schweizerischen Linien)  beruhte  im  Wesentlichen  auf  der  Taxation  der  Transport- 
güter nach  ihrem  Werth,  auf  der  reinen  Werthklassifikation ;  ebenso  in  Deutschland, 
wo  aber  auf  einigen  Bahnen  auch  das  reine  Raumtarifsystem  Übergangs  weise  ein- 
geführt worden  war. 

Reiseartikel •  Der  Umsatz  in  dieser  Geschäftsbranche  ist  bedeutend.  Soweit 
bekannt  etwas  über  30  Fabrikationslirmen  und  ca.  70  Handlungen.  Unter  dem 
Fabrikgesetz  J.  H.  Landis  &  Co.  in  Oerlikon  mit  ca.  50  Arbeitern. 

Reisszeuge,  Die  Reißzeugfabrikation  hat  ihren  Haupt^itz  in  Aarau,  wo 
dieselbe  1801  durch  Louis  Esser  aus  Straßburg  eingeführt  wurde.  Die  Aarauer 
Reißzeuge  haben  sich  durch  ihre  Vorzüglichkeit  den  Weg  in  alle  Länder  gebahnt. 
Etwas  über  200  Arbeiter  sind  in  diesem  Geschäftszweig  engagirt.  Dem  Fabrik- 
gesetz sind  1889  unterstellt  die  Aarauer  Firmen  Kern  &  Co.,  Fr.  Gysi,  F.  Hommel- 
Esser.  Jährliche  Produktion  nach  fachmännischer  Schätzung  ca.  Fr.  300,000. 
Starke  ausländische  Konkurrenz,  namentlich  in  Nürnberg,  wo  billige  Reißzeuge 
massenhaft  fabrizirt  und  sogar  unter  dem  aufgedruckten  Titel  „Aarau"  in  die 
Schweiz  verkauft  werden.  In  Bayern  sind  ferner  Zirkelfabriken  in  München  und 
Pfronten.  Dann  ist  Paris  ein  Platz,  wo  das  Gros  der  Compassiers  sich  befindet; 
die   größten  Pariser  Firmen   haben  ihre  Fabriken  in  Lothringen.     Für  England    . 


Reißzeuge  —     672     —  Rheinkorrektioa 

liefert'  Birmingham  die  Reißzeuge ;  Wien  hat  ebenfalls  seine  Reißzeugfabrikanten 
und  Mailand  fournirt  Italien.  Kurz,  die  Zirkelfabrikation  ist  sehr  verbreitet  und 
unter  dem  Titel  Schweizer  Zirkel  werden  Unmassen  verkauft.  Die  ganz  enormen 
Eiugangszölle,  mit  welchen  ein  Staat  nach  dem  andern  die  schweizerischen  Fabrikate 
belastet  hat,  erschweren  ihren  Absatz  sehr. 

Beliefdruck  für  Blinde  wird  von  der  Imprimerie  du  Yal-de-Ruz  in  Cernier 
betrieben. 

Belief kartenfabrikation.    Jos.  Bürgi  in  Allschwyl,  Baselland. 

Rentiers  und  Pensionirte  gab  es  im  Jahre  1880  (laut  eidg.  Berufsstatistik) 
26,694,  wovon  5604  Waadt,  3761  Bern,  3046  Genf,  1717  Zürich,  1630  Neuen- 
burg, 1613  Baselstadt,  1300  Aargau,  1026  Luzern,  1025  St.  Gallen,  861  Frei- 
bürg,  841  Graubünden,  624  Thurgau,  542  Wallis,  494  Tessin,  439  Solothurn, 
392  Schaff  hausen,  317  Glarus,  293  Schwyz,  218  Appenzell  A.-Rh.,  195  Basel- 
land,  191  Zug,  144  Uri,  126  Obwalden,  125  Nidwaiden,  70  Appenzell  I.-Rh. 
—   16,6  ®/o  der  Rentiers  und  Pensionirten  sind  Ausländer. 

Das  Yerhältniß  der  Rentiers  und  Pensionirten  zu  den  Erwerbsthätigen  ist 
wie  1  :  49,  und  zwar  im  Et.  Genf  wie  1  :  15,  Baselstadt  1:18,  Waadt  1  :  19, 
Neuenburg  1  :  28,  Nidwaldeu  1  :  40,  Schaffhausen  1  :  42,  Graubtlnden  1  :  53, 
Obwalden  1  :  54,  Glarus  1  :  55,  Zug  1  :  58,  Bern  1  :  59,  Luzern  1  :  60,  Frei- 
burg 1:61,  Aargau  1  :  71,  Thurgau  1  :  74,  Schwyz  1:81,  Solothurn  1  :  82, 
Uri  1 :85,  Wallis  1  :  85,  Zürich  1 :  95,  St.  Gallen  1 :  101,  Appenzell  L-Rh.  1 :  105, 
Appenzell  A.Rh.   1  :  124,  Tessin  1  :  137,  Baselland   1  :  145. 

Reparaturverkehr  s.  Veredlungsverkehr. 

Retourverkehr.  Schweizerische  Retourwaaren  aus  dem  Auslande  dürfen 
zollfrei  wieder  eingeführt  werden,  wenn  der  schweizerische  Ursprung  der  Waare 
und  deren  Ausfuhr  amtlich  beglaubigt  ist.  Ebenso  ist  die  Rücksendung  ans- 
ländischer  Waaren  zollfrei.  Die  Wiedereinfuhr  schweizerischer  Waaren  ist  weit 
bedeutender  als  die  Wiederausfuhr  ausländischer  Waaren.  Soweit  der  Retonr- 
verkehr  zolldienstlich  koutrolirt  werden  kann,  betrug  derselbe  dem  Werthe  nach : 

1880  1887  1888 

vom  Auslande  ....     Fr.  4^455,344     6^127,718     4*163,298 

^0  der  Ausfuhr     .     .  0,7 

nach  dem  Auslande    .     .       „        901,043 

7ü  der  Einfuhr      .     .  0,1 

Schweiz.  Retourartikel  sind  haupts.  die  Uhren  und  die  Seidenw.  Auch  jene 
Taschenuhren,  welche  zur  „Einfuhr**  deklarirt  und  verzollt  werden,  sind  meistens 
Retour-  und  Reparatur  waare,  aber  man  verzollt  sie  lieber  (k  durchschnittlich 
3  (Jts.  per  Stück),  als  daß  man  den  Zeitverlust  des  Retourverfahrens  riskirt.  — 
Der  Retourverkehr  ist  hauptsächlich  von  den  Solvenzverhältnissen  der  Waaren- 
bezüger  abhängig.  Von  überseeischen  Gebieten  kommt  wenig  zurück,  denn  man 
zieht  vor,  dort  die  zur  Disp.  gest.  Waaren  zu  Schleuderpreisen  loszuschlagen. 

Reusskorrektion*  Sie  bestand  in  einer  Kanalisirung  der  Reuß  von  ober- 
halb Attinghausen  bis  zum  Vierwaldstättersee.  Durchgeführt  vom  Et.  Uri  in  den 
Jahren  1849 — 1864  unter  der  Oberleitung  von  Ingenieur  (zugleich  Landammann) 
Müller.    Bundesbeitrag  Fr.  15,000. 

Reze  ist  der  Name  einer  weißen  Walliser  Traube,  welche  vorzüglichen 
Wein  gibt.  Kr, 

Rheinkorrektion.  (Mitgetheilt  von  Herrn  J.  Wey,  Ingenieur  der  Rhein- 
korrektion.) Wenn  man  in  der  Schweiz  von  der  Rheinkorrektion  spricht,  so 
wird  darunter  zunächst  diejenige  im  Kanton  St.  Gallen  beziehungsw.  längs  dessen 


0,9 

0,6 

r266,948 

1^247.840 

0,1 

0,1 

Rheinkorrektion  —     673     —  Rheinkorrektion 

östlicher  Grenze  verstanden,  und  zwar  soweit  sie  vom  Staate  ausgeflihrt  wird. 
Sie  erstreckt  sich  von  der  st.  gallisch-htindnerischen  Grenze,  600  m  unterbalh  der 
Tardis-,  auch  untere  Zoll-£rücke  genannt,  bis  zur  Bheinbrücke  bei  St.  Murgrethen, 
der  österreichischen  Yorarlberger-,  nun  Staatsbahn.  Diese  Längenausdehnung  be- 
trägt 63,5  km.  Die  Korrektion  wurde  im  Jahre   1862  begonnen. 

Lange  vorher,  nämlich  schon  in  den  Dreißigerjahren,  wurde  am  Rhein  im 
Kanton  Graubünden,  namentlich  im  Domletschg,  mehr  oder  weniger  planmäßig 
gebaut.  Zeitweise  wurden  an  diesen  Regulirungsbauten  Zerstörungen  angerichtet, 
erstere  aber  wieder  aufgenommen  und  fortgesetzt,  so  daß  heute  zwischen  Thusis 
und  Tardisbrllcke  bezw.  der  st.  gallischen  Grenze  von  einer  Gesammtlänge  von 
annähernd  40  km,  wovon  jedoch  ein  Theil  keiner  Regulirung  bedarf,  mehr  als 
ein  Drittel  verbaut  ist. 

Die  totale  Durchführung  der  Rheinkorrektion  im  Kanton  Graubünden  ist 
ans  dem  Grunde  weniger  dringend  als  längs  der  st.  gallischen  Landesgreuze, 
weil  dorten  der  Fluß  mehr  in  das  Terrain  versenkt  ist  als  auf  letzterer  Strecke, 
mithin  Debordirungen,  verbunden  mit  großen  Ueberschwemmungen  und  Ver- 
heerungen, weniger  zu  befürchten  sind  als  im  Gebiet  unterhalb  TardisbrUcke. 

Es  ist  selbstverdtändlich,  daß  die  st.  gallische  Rheinkorrektion  sich  nur  auf 
das  linke  Ufer  beschränkt.  Rechtsseitig  sind  Anstößer:  der  Kanton  GraubUnden 
auf  9,8  km,  das  Fürsten thum  Liechtenstein  auf  27,4  km  und  das  Land  Vor- 
arlberg auf  26,3  km.  Letztere  Länge  bezieht  sich  ebenfalls  nur  auf  die  Strecke 
bis  zur  St.  Margrethen- Eisenbahnbrücke.  Die  unterhalb  gelegene  Partie,  bis  zur 
Ausmündung  des  Rheins  in  den  Bodensee,  in  einer  Länge  von  12  km,  kommt 
hier  aus  dem  Grunde  nicht  in  Betracht,  weil  der  Fluß  von  der  mehrerwähnten 
Rheinbrücke  in  St.  Margrethen  in  gerader  Linie  (via  Brugg-Fussach)  in  den 
Bodensee  hinaus  geleitet  werden  soll.  Die  Unterhandlungen  diesbezüglich,  sowie 
wegen  dem  Abschneiden  der  Krümmung  bei  Diepoldsan,  sind  mit  Oesterreich  seit 
Jahrzehnten  anhängig  ^).  Durch  die  Ausführung  dieser  beiden  Durchstiche  würde 
der  Rheinlauf  um  10,25  km  abgekürzt  und  dadurch  in  hohem  Grade  auf  die 
Vertiefung  des  Flußbettes  hingewirkt. 

Auf  der  untern  Strecke,  von  St.  Margrethen  bis  zum  Bodensee,  wird  in 
Erwartung  der  Ausführung  des  erwähnten  Durchstiches  Brugg-Fussach  vorder- 
hand von  einer  regelrechten  Korrektion  Umgang  genommen.  Um  indeß  Ueber- 
schwemmungen, wie  sie  am  28.  September  1885  und  11.  September  1888  vor- 
gekommen, vorzubeugen,  werden  einstweilen  die  Ufer  durch  Ergänzung  und 
Ausbau  der  vorhandenen  Dämme  und  andere  Schutzwerke  bestmöglichst  gesichert. 

Zur  Korrektion  selbst  übergehend,  muß  hier  darauf  hingewiesen  werden, 
daß  der  Umstand,  daß  auf  der  zu  verbauenden  Strecke  von  63,5  km  vier  Staaten 
an  den  Fluß  anstoßen,  von  denen  quasi  jeder  sein  eigenes  Schutzbausystem  hatte, 
und  davon,  sowie  von  den  vorher  eingehaltenen  Linien  und  Richtungen  nicht 
oder  möglichst  wenig  abweichen  wollte,  eine  Ert«chwemiß  für  eine  regelmäßige 
Korrektion  war. 

Um  von  derselben  ein  anschauliches  Bild  zu  geben,  erscheint  es  am  zweck- 
mäßigsten, wenn  die  Entstehung  der  gegenwärtigen  Flußregulirung  geschichtlich 
verfolgt  wird. 


*)  Im  September  1871  kam  endlich  ein  Präliminarvertrag  zu  Stande.  Nach  dem- 
selben sollten  die  beiden  Durchstiche  {gemeinsam  und  gleichzeitig  ausgeführt  werden : 
der  Diepoldsauer  Durchstich,  weil  auf  scliweizerischem  Gebiet,  von  der  Schweiz;  der 
andere,  weil  auf  österreichischem  Boden,  von  Oesterreich.  Ein  definitiver  Vertrag  liegt 
nun  zur  Stunde  (Mitte  1889)  zur  Unterzeichnung  in  Wien  und  in  Bern  l)ereit. 

Farrer,  VolRnwIrthuchafts-LexikoD  der  Schweiz.  43 


Rheinkorrektion  —      674     —  Rheinkorrektion 

Ed  sind  betreffend  die  Flaßstrecke  von  der  Bucbs-Haager-Grrenze  bis  zum 
liodensee  Pläne  aus  den  Jahren  1769/70  vorbanden.  Diese  sind  also  bald  120 
Jahre  alt  und  geben  ein  deutliches  und  interessantes  Bild  von  dem  damaligen 
Flußlauf  und  dessen  Verbauung. 

Hienach  bestanden  zu  jener  Zeit  gar  keine  fortlaufenden  und  zusammen- 
hängenden Wuhre,  sondern  nur  sogenannte  Wuhrköpfe  oder  Sporen.  Dieselben 
wurden  stets  dort  angebracht,  wo  der  Rhein  das  Terrain  am  meisten  bedrohte 
und  manchmal  auch,  wo  sie  den  Nachbarn  den  möglichst  großen  Schaden  zu 
verursachen  im  Stande  waren.  Während  die  Wuhrköpfe  oder  Sporen  angelegt 
wurden,  um  die  Ufer  vor  Kolkungen  zu  schützen,  waren  mehr  landeinwärts 
Dämme  aus  Erde,  Lett  etc.  erstellt,  deren  Zweck  war,  das  hinterliegende  Land 
bei  Hochwassern  vor  Ueberschwemmungen  zu  bewahren.  Diese  Dämme  hatten 
damals  und  bis  vor  drei  bis  vier  Jahrzehnten  eine  Höhe  von  wenigen  Fuß  und 
waren  meistens  so  schmal,  daß  auf  deren  Krone  nur  Fußgänger  zirkuliren  konnten. 
Zu  jener  Zeit  war  eben  das  Rheinbett  zirka  2  bis  3  m  tiefer    als  es  heute  ist. 

Die  ganze  Verbauung,  wie  sie  soeben  geschildert  wurde,  war  auch  sehr 
unregelmäßig.  Während  nämlich  auf  der  obern  Strecke,  von  der  Buchs-Haager- 
Grenze  bis  Büchel  zwischen  den  links-  und  rechtsseitigen  Wnhrköpfen  (Sporen) 
eine  Entfernung  von  200 — 300  m  und  zwischen  den  Hinterdämmen  eine  solche 
von  500  — 1000  m  war,  hatten  zwischen  Büchel  und  Bodensee  die  Sporen  nur 
Abstände  von  100 — 200  m  und  die  Dämme  solche  von  300 — 500  m. 

Bei  solchen  Sohlenbreiten  —  die  jetzige  beträgt,  wie  wir  sehen  werden, 
nur  120  —150  m  —  konnte  der  Rhein  nur  selten  das  ganze  Bett  okkupiren, 
es  entstanden  Kiesbäuke,  zwischen  denen  er  hin-  und  herschlängelte,  manigfaltige 
Serpentinen  bildend. 

In  Folge  dieser  uuregelmäßigen  Anlage,  sowie  wegen  der  im  BUndnerlande 
vorgenommenen  Entwaldung  und  daheriger  vermehrter  Gaschiebszufuhr  erhöhte 
sich  das  Rheinbett  allmälig  und  gestalteten  sich  die  Verhältnisse  stets  unhaltbarer. 

Von  dem  eben  skizzirten  Wuhrsyst^m  kam  man  successive  (in  den  Dreißiger- 
jahren) ab  und  baute  an  Stelle  der  isolirten  Wuhrköpfe  einzelne  zusammen- 
hängende Wuhrstrecken.  Solche  weisen  wenigstens  die  in  den  Fünfzigerjahren 
aufgestellten  Rhein-Karten  auf. 

Nach  denselben  sind  die  Wulirlinien  beidseits  des  Flusses  nicht  parallel  und 
auch  nicht  in  derselben  Richtung  fortlaufend,  sondern  nach  unten  konvergent 
und  bilden  eine  Reihe  einzelner  Trichter. 

Dort,  wo  Seitangewässer  in  den  Rhein  sich  ergossen,  wurden  sie  von  den 
Wuhren  eingefaßt,  also  in  die  Trichter  hereingezogen.  An  den  Stellen,  wo  sich 
die  Wuhre  links-  und  rechtsseit^  am  nächsten  rückten,  betrug  die  Sohlenbreite 
etwa  120  m,    während   sie  wiederum    bis  auf  mehr   als  300  m  sich   ausdehnte. 

Aehnlich  wie  früher  hinter  den  Wuhrköpfen,  befanden  sich  nun,  jedoch  in 
verschiedenen  Distanzen,  hinter  den  zusammenhängenden  Wuhren  Binnendämme. 
Die  Bodenstreifen  zwischen  diesen  und  den  erste ren  waren  gewöhnlich  mit  Erlen 
oder  andern  geeigneten  Holzgattungen  bewachsen. 

Nachdem  in  den  Jahren  1817  und  1H34  große  verheerende  üeberschwem« 
mungen  stattgefunden,  bei  denen  das  ganze  Thal  unter  Wasser  gewesen  sein  soll, 
und  ähnliche  Ereignisse,  wenn  auch  in  geringerem  Maßstabe,  sich  wiederholten, 
so  daß  anno  1848  im  Werdenberg  allein  mehr  als  30  Wuhrbrüche  erfolgten, 
lag  es  nicht  mehr  im  Vermögen  und  in  der  Macht  der  rheinthalischen  Gemeinden, 
dem  Wildwasser  Widerstand  zu  leisten.  Einzig  in  der  Periode  von  1838  bis 
1855  betrugen  die  Wuhrauslagen  der  Gemeinden  Ragaz  bis  Altenrhein  Über  swei 


Rheinkorrektion  —      675     —  Rheinkorrektion 

Millionen  Franken  und  die  Beiträge  von  Kanton  und  Eidgen OHsenschaft  170,000 
Pranken.  In  Rücksicht  hierauf,  sowie  auf  vielseitige  Petitionen  der  rheinthalischen 
Bevölkerang  beschloß  der  Große  Rath  des  Kantons  St.  Grallen  im  Dezember  1H61, 
•daß  der  Staat  die  Rheinkorrektion  zwischen  der  Bündner  Grenze  und  dem  Mon- 
stein  ob  St.  Margrethen  zu  übernehmen  habe  und  dieselbe  gemäß  dem  Plan  von 
Oberingenieur  Hartmann  auszuführen  sei. 

Nach  dessen  Aufstellung  erreichte  ein  Hochwasser  bei  einer  Plußbettbreite 
von  120  m  in  Geraden  eine  Höhe  von  3,30  m  bis  3,60  m  über  Niederwasser 
und  in  konkaven  Kurven  eine  solche  von  4,80  m  bis  5,10  m.  Die  Verbauung 
be^jtand  nun  darin,  daß  in  einem  Abstände  von  120  m  parallele  Wuhre  (Leit- 
werke) erstellt  wurden.  Dieselben  hatte  man  zum  Theil  aus  Faschinen,  zam  Theil 
•aus  Kies  gebaut  und  mit  Steinen  verkleidet.  Ihre  Höhe  war  so  bemessen,  daß 
die  Hochwasser  dieselben  in  der  Regel  überfluthen  mußten.  Nur  an  solchen 
Stellen,  wo  wegen  den  Terrain  Verhältnissen  oder  nahe  liegenden  Ortschaften 
Hinterdämme  nicht  angelegt  werden  konnten,  waren  insubmersible  Wuhre  in 
Aussicht  genommen.  Die  Kosten  waren  zu  S^/i  Millionen  Franken  veranschlagt 
und  sollten  wie  folgt  repartirt  werden :  Eidgenossenschaft  2^800,000  Fr.,  Kanton 
St.  Gallen  2^000,000  Fr.,  wuhrpflichtige  Gemeinden,  Korporationen  etc.  1'400,000 
Franken,  Perimeter  ( mit  Einschluß  der  wuhrpflichtigen  Gemeinden)  2'300,000  Fr., 
total  8^500,000  Fr. 

Der  Perimeter  umfaßt  12,246  ha  =  rund  34,000  Jucharten  und  ist  nach 
der  Höhenlage  in  drei  Klassen  eingetheilt,  deren  Beitragi^verhältniß  sich  wie 
1  ;  3  :   6  verhält. 

Die  erste  Baucampagne  fiel  in  die  Jahre  1862/63.  Wie  die  Schutzbauten 
schon  weit  vorgerückt  waren,  traten  anno  1868  und  1871  große  und  ver- 
heerende Ueberschwemmungen  ein.  Durch  dieselben  wurde  ein  Theil  der  Bauten 
wieder  zerstört;  überdies  stellte  sich  heraus,  daß  die  Hochwasser  wesentlich  zu 
niedrig  angenommen  waren  und  man  statt  der  supponirten  Höhen  von  3,30  m 
bis  3,60  m  solche  von  ca.  6  m  annehmen  mußte. 

Nach  langen  Untersuchungen  und  Erörterungen  ging  man  insoferne  definitiv 
vom  Bausysteme  ab,  als  auf  der  Strecke  von  Tardisbrücke  bis  Oberriet  die  Wuhre 
-durchgehends  insubmersibel  angelegt  wurden,  wo  dies  nicht  schon  geschehen  war. 
Von  dort  abwärts  behielt  man  das  Doppelliiiiensystem  bei,  d.  h.  es  wurden 
überfluthbare  Leitwerke  mit  hinterliegenden  Binnen-  (Hochwasser-)  Dämmen  er- 
stellt und  dazwischen  Traversen  angelegt,  um  die  Hauptströmung  des  Flusses 
von  dem  Vorland,  das  20  bis  250,  im  Mittel  über  100  m  breit  ist,  abzuhalten 
und  in  das  eigentliche  Flußbett  hinaus  zu  dirigiren. 

Da  in  Folge  dieser  Abänderungen  in  der  obern  Abtheilnng  die  Wuhre,  nun 
Hochwuhre  genannt,  und  in  der  untern  die  Binnendämme  annähernd  um  die 
Hälfte  zu  niedrig  bemessen  und  auch  entsprechend  zu  schmal  waren,  was  ein 
kubisches  Manco  von  über  200  ^/o  ergibt,  so  ist  selbstverständlich,  daß  auch 
der  Kosten  Voranschlag  nichts  ausreichte.  Es  wurden  daher  zwei  Nachtragsvor- 
lagen aufgestellt,  die  erste  anno  1874/75  und  die  letzte  anno  1883.  Hienach 
beziffern  sich  die  Totalkosten  auf  Fr.  14'400,000  und  werden  dieselben  nicht 
^anz,  jedoch  annähernd  gleich  repartirt  wie  beim  ersten  Devis  von  8^/2  Millionen. 
Hievon  sind  bis  Ende  1888  rund  Fr.  12^500,000  verbaut  worden.  Bis  wann 
•die  Korrektion  ganz  vollendet  sein  wird,  kann  mit  Sicherheit  nicht  gesagt  werden, 
es  hängt  dies  einerseits  vom  Baufortschritt  am  rechten  Ufer,  anderseits  von  dem  Ans- 
ang der  gegenwärtig  mit  Oesterreich  gepflogenen  Unterhandlungen  bezüglich 
Erstellung  der  Durchstiche  ab.    Sollten  letztere    bald   zur  Ausführung   gelangen 


Rheinkorrektion  —      676      —  Rheinkorrektion 

und  dadurch  die  Vertiefung  von  2 — 3  m  des  Flußbettes  eintreten,  so  wären 
dann  die  gegenwärtigen  Bauten  nicht  nur  hinreichend,  sondern  viel  zu  hoch  und 
zu  stark  dimensionirt.  Bei  diesem  Anlasse  muß  nämlich  darauf  hingewiesen 
werden,  daß  das  Kheinbett,  wie  aus  dem  bisher  Gesagten  hervorgeht,  nicht  in 
den  Boden  eingeschnitten  ist,  wie  dies  bei  andern  Flüssen  in  der  fiegel  zutrifft^ 
sondern  dessen  Sohle  liegt  auf  der  größten  Ausdehnung  ungefähr  so  hoch  wie 
das  hinterliegende  Land  und  muß  die  große  Wassermasse  durch  die  den  Fluß, 
flankirenden  Dämme  gehalten  werden. 

Was  die  Quantität  des  abfließenden  Wassers  anbelangt,  so  beträgt  dieselbe 
nach  vorgenommenen  Messungen  und  angestellten  Berechnungen  bei 

Tardiabrücke         Eheineck 
für  Niederwasser  20  m^  60  m^ 

fUr  Hochwasser         ca.  3000  m"  3800  m'  pro  Sekunde. 

Das  absolute  Gefall  des  Rheins  beträgt  zwischen  der  bündnerisch-st.  gallischen 
Grenze  und  der  St.  Margrether  Eisen babnbrücke  110,50  m,  das  relative  im  Mittel 
1,74  ^/oo,  maximal  3®/oo  und  minimal  0,8  ^/oo. 

Zwischen  Tardisbrücke  und  Bodensee  existirt  ein  totales  Gefälle  von  115,70  m» 
das  mittlere  relative  beträgt  1,54  ®/oo;  oberhalb  dem  Bodensee,  wo  es  am  kleinsten 
ist,  hat  es  noch  ca.  0,5  ®/oo. 

Vermöge  der  eigenthüm liehen  Verhältnisse  des  Rheins,  welche  darin  be^ 
stehen,  daß,  wie  gezeigt  wurde,  die  Flußsohle  ungefähr  so  hoch  liegt,  wie  da* 
anstoßende  Terrain,  muü  noch  auf  zwei  Faktoren  aufmerksam  gemacht  werden^ 
die  mit  der  ganzen  Korrektion  in  engem  Zusammenhang  stehen.  Fs  betrifft  dies 
die  Kolmatirung  oder  Vorlandung  und  die  Binnengewässerkorrektion. 

In  Folge  dessen,  daß  bei  der  Regulirung  des  Rheins  das  ehemalige  Fluß- 
bett wesentlich  reduzirt  wurde,  sind  zwischen  den  neuen,  im  früheren  Rheinbett 
stehenden  und  den  alten,  hinterliegenden  Wuhren  resp.  Dämmen  tiefe  Schachen 
entstanden.  Es  war  daher  angezeigt,  dieselben  durch  Vorlandung  auszufüllen,  zu 
erhöhen.  Dies  bringt  einestheils  den  Vortheil,  daß  die  relative  Höhe  der  Wuhre 
und  Dämme  über  dem  angrenzenden  Hinterland  reduzirt,  anderseits  daß  der  ohne- 
dies sterile  Boden,  der  ca.  540  ha  =  1500  Jucharten  mißt,  für  die  Kultur  ge- 
wonnen wird. 

In  Anbetracht  daß  der  Rhein  zur  Zeit  seiner  Anschwellungen  viel,  bis  zu 
50  ^/oo,  fruchtbaren  Schlamm  führt,  lag  der  Gedanke  nahe,  denselben  zur  Vor 
landung,  Kolmatirung  des  hinterliegenden  Bodens  zu  verwenden.  Es  geschah 
dies,  indem  die  Hochwuhre  an  mehreren  Stellen  durchbrochen  und  Schleusen 
erstellt  wurden,  die  mit  eisernen  Schiebern  abgesperrt  werden  können.  Wie 
der  Rhein  nennenswerthe  Quantitäten  —  z.  B.  2 — 3  ^/oo  —  Schlamm  führt» 
werden  die  Schleusen  geöffnet,  das  Wasser  eingelassen  und  durch  das  Hinter- 
land hinab  und  an  geeigneter  Stelle,  z.  B.  wo  ein  Binnenwasser  ausmündet« 
wieder  in  den  hein  geleitet.  Unterwegs  wird  das  Kolmationswasser  durch  kleine 
Querdämme  gestaut,  damit  es  den  Schlamm  deponiren  muß. 

Nach  den  für  einige  Jahre  angestellten  Berechnungen  und  Messungen  beträgt 
die  jährlich  durch  das  Rheinbett  abfließende  Wassermenge  7 — 10  Milliarden  und  der 
niitgeflihrte  Schlamm  7 — 30  Millionen  Kubikmeter,  somit  der  mittlere  Schlamm- 
gehalt ca.    1 — 4  ^/oo.  Selbstverständlich  wechseln  diese  Zahlen  von  Jahr  zu  Jahr. 

Von  großer  Bedeutung  für  die  Rheinkorrektion  und  das  gesammte  Rheinthal 
sind  die  Binnengewässer.  Früher,  als  das  Flußbett  noch  '2  —  3  m  tiefer  war^ 
hat  sich  quasi  jeder  einzelne  Bach  direkt  und  fast  auf  kürzestem  Weg  in  den 
Rhein  ergossen.   Wie  sich  dessen  Sohle  allmälig  erhöhte,  mußten  deren  Mündungea 


Rheinkorrektion  —     677     —  Rhonekorrektion 

weiter  thalabwärts  verlegt  werden.  Bevor  dies  geschehen  konnte,  staute  der 
Rhein  bei  seinen  höhern  Ständen  darch  die  Binnengewässer  hinauf,  manchmal 
viele  Kilometer  weit,  und  um  förmliche  Einbrüche  zu  vermeiden,  mußten  auf 
der  untern  Seite  dieser  Bäche,  an  den  Rheindamm  anlehnend,  ebenfalls  Schutz- 
dämme erstellt  werden,  die  sich  soweit  hinauf  erstreckten,  als  der  Rückstau 
stattfand.  Ungeachtet  dieser  Schutzmaßregeln  bildeten  die  Ausmündungen  der 
Binnengewässer  in  den  Rhein  die  gefährlichsten  Punkte  und  sind  dorten  faktisch 
auch  mehrmals  und  verheerende  Einbrüche  erfolgt.  Die  Sicherstellung  des  Landes 
«rheischte  daher  Schluß  der  gefährlichen  Mündungsstellen  resp.  Reduktion  und 
Verlegung  derselben  an  solche  Punkte,  wo  keine  Gefährde  waltet,  z.  B.  wo  der 
Fluß  von  höher  liegendem  Terrain,  Hügeln  etc.  flankirt  ist.  Bis  jetzt  sind  mit 
Ausnahme  des  Wildbaches  Tamina  bei  Ragaz  die  sämmtlichen  Wasser  vom  Bezirk 
Sargans  in  dem  Saarkanal  zusammengefaßt  und  bei  Trübbach,  mit  dem  Wildbach 
gleichen  Namens  in  den  Rhein  geleitet. 

Im  Bezirk  Werdenberg  wurden  in  den  Jahren  1883/84  die  letzten  gefähr- 
lichen Ausmündungen  geschlossen,  sämmtliche  Bäche  in  einen  Kanal  geleitet  und 
letzterer  in  einer  Länge  von  22  km  durch  das  ganze  Gelände  hinab  und  bei  Rüthi 
in  den  Rhein  gefühlt.  Die  Kosten  für  diese  letztere  Korrektion  betragen  rund 
eine  Million  Franken  (s.  den  Artikel  „Binnengewässerkorrektion  im  Bezirk  W.**). 

Heute  (1888)  steht  die  Erstellung  des  Kanals  von  Rüthi  bis  St.  Margrethen 
noch  aus.  Derselbe  würde  seinen  Ursprung  oberhalb  der  Ausmündung  des  Werden- 
bergerkanals,  jedoch  mehr  bergsei ts  und  ebenfalls  eine  Länge  von  ca.  25  km 
erhalten.  Die  Kosten  werden  sich  analog  dem  Werdenbergerkanal  auf  ca.  ly« 
Million  Franken  beziffern. 

Der  Vollständigkeit  wegen  muß  noch  angeführt  werden,  daß  die  beiden 
Durchstiche,  von  welchen  weiter  oben  die  Rede  war,  laut  den  Yoranschlägen  auch 
ca.  20  Millionen  kosten  würden. 

Es  wäre  interessant  zu  erfahren,  welche  Auslagen  der  Rhein  zwischen 
Tardisbrücke  und  Bodensee  z.  B.  seit  Anfang  dieses  Jahrhunderts  verursacht  hat. 
Leider  fehlen  hierüber  die  nöthigen  Aufschreibungen.  Nachdem  aber  für  die 
Rheinbauten  im  Kanton  St.  Gallen  seit  1838  wenigstens  15  Millionen  verausgabt 
wurden  und  angenommen  werden  darf,  die  gegenüberliegenden  Anstößer,  nämlich 
Graubünden,  Liechtenstein  und  Vorarlberg,  haben  zum  mindesten  ebensoviel  ge- 
opfert, so  kann  füglich  behauptet  werden,  daß  die  Totalkosten  sich  auf  über 
30  Millionen  Franken  beziffern.  Ja  es  ist  vielmehr  sehr  wahrscheinlich,  daß  die 
Gesammtsumme  diesen  Betrag  wesentlich  übersteigt. 

Der  Bund  votirte  drei  Mal  Subventionen  für  die  Rheinkorrektion,  nämlich : 

a,  St.  gallisches  Gebiet: 

am  24.  Juli    1862  Fr.  2'800,000  =  ca.  Vs  de«  Voranschlages  von  Fr.  8'öOO,000 
r    16.  Aug.  1876     ^       870,000  =      ,        ,  .  ,       „    2'500,000 

,    23.  Dez.  1886     ,    r360,000  r:r:r  40^0    ,  .  .       „    3^400,000 

b,  Bündnerisches  Gebiet  : 

,    24.  Juli    1 862  Fr.     350,000=     »/a      .  .  .       „    1*050,000 

„    16.     ^      1878     „       100,000  —      ^        .  .  ,       .       300,000 

Fr.  5480,000  Fr.  15'750,0ü0 

Vgl.  auch  den  Artikel   „Hinterrheinkorrektion**. 

Rhonekorrektion*  Vor  der  Rhonekorrektion  war  die  Ebene  von  Wallis 
sozusagen  jedes  Jahr  von  Ueberschwemmungen  heimgesucht,  deren  Gewässer  sich 


Rhonekorrektion  —      678     —  Rhonekorrekliott 

oft  von  einem  Berge  zum  andern  ausdehnten.  Unter  diesen  Eataetrophen  mögea 
die  folgenden  hervorgehoben  werden  : 

1)  Die  IJeberschwemmung  der  Ebene  von  Monthey  im  Jahre  1855,  die  sich 
so  weit  ausdehnte,  daß  man  von  Illarsaz  nach  Youvry  mit  dem  Schiffe  fahren 
konnte. 

2)  Diejenige  von  1857  in  der  Ebene  von  Martinach  welche  die  Postwagen 
und  andere  Fuhrwerke  zwang,  während  mehreren  Tagen  durch  die  alte  Straße 
längs  dem  Berge  von  Ridda  nach  Martinach  zu  fahren. 

3)  Jene  von  1860,  die  verhängnißvollste  von  allen,  indem  sie  das  Thal- 
becken von  Brig  nach  Leuk  und  von  Sider  nach  Ridda  überflnthete,  so  daß  die 
Gewässer  auf  der  Landstraße  bei  Raron   1  72  m  über  die  Wuhren  stiegen. 

Diese  und  andere  Ueberschwemmungen  konnten  stattfinden,  obwohl  seit  einer 
Reihe  von  Jahren  wichtige  Arbeiten  auf  dem  Ufergebiete  des  Flusses  ausgefülu-t 
worden  waren:  so  in  Vouvry,  Collombey,  Monthey,  Massongex,  St.  Moritz, 
Martinach  (Dranse),  Sitten,  St.  Leonhard,  Sider,  Raron,  Yisp  und  Brig.  Aber 
diese  Arbeiten,  wenn  auch  fest  und  auf  gewisse  Strecken  in  großem  Maßstabe 
durchgeführt,  waren  im  Allgemeinen  zu  vereinzelt  und  boten  Unterbrechungea 
dar,  die  beständig  von  Ueberschwemmungen  bedroht  waren.  Und  doch  waren 
dieselben  sehr  kostspielig  und  verursachten  den  Gemeinden  bedeutende  und  schwere 
Leistungen.  Es  genüge,  beispielsweise  zu  erwähnen,  daß  vor  1860  die  durch  die 
Wuhrarbeiten  bedingten  Gemeindeabgaben  in  Collombey  auf  18 — 25  *^/oo  stiegen» 
in  Saillon  auf  10,  in  St.  Leonhard  auf  15,  in  Gradetsch  auf  10,  in  Raron  auf  24, 
in  Niedergestein  auf  48,  in  Lalden  auf  35  u.  s.  w.  Die  gewöhnlichen  Dämmungs> 
ausgaben  beliefen  sich  jährlich  für  Gemeinden  und  Staat  auf  die  durchschnittliche 
Summe  von  Fr.  25u,000. 

Die  durch  die  Ueberschwemmung  von  1860  an  Boden  und  Verkehrsstraßen 
angerichteten  Verheerungen,  die  Schwierigkeiten,  neuen  Verwüstungen  vorzubeugen, 
sowie  die  für  sichere  Schutzarbeiten  vorauszusehenden  Ausgaben  veranlaßten  die 
Regierung  von  Wallis,  kraft  Art.  21  der  Bundesverfassung  für  die  Eindämmung 
der  Rhone  und  ihrer  Zuflüsse  eine  Bundesunter^tützung  zu  verlangen.  Eine  ähnliche 
Unterstützung  war  früher  den  Kantonen  St.  Gallen  und  Graubünden  für  die  Rhein - 
korrektion  bewilligt  worden. 

Das  Begehren  der  Regierung  von  Wallis  wurde  dem  Bundesrathe  am  4.  De- 
zember 1860  eingereicht.  Demselben  waren  Pläne  und  Kostenentwürfe  mit  einem 
besondern  Berichte  beigelegt,  um  einen  möglichst  genauen  Begriff  von  der 
Wichtigkeit  des  Projektes  zu  geben.  In  Erwägung  der  mit  dieser  Frage  ver- 
bundenen hochwichtigen  Interessen  verordnete  der  Bundesrath,  durch  Beschluß 
vom  11.  Jan.  1861,  eine  Prüfung  an  Ort  und  Stelle  vorzunehmen  und  beauf- 
tragte damit  die  HH.  Hartmann,  Oberingenieur  in  St.  Gallen,  und  Blotnitzky» 
Ingenieur  in  Genf.  In  einem  ersten  Berichte  schätzten  diese  Sachkundigen  die 
Kosten  der  beantragten  Arbeiten  auf  Fr.  6'01 0,000,  in  einem  zweiten  Bericht 
aber  auf  die  Summe  von  Fr.  7'906,000. 

Nun  wurde  die  Angelegenheit  vor  die  Bundesversammlung  gebracht  und  diese 
bewilligte,  auf  Antrag  des  Bundesrathes,  eine  Subvention  von  Fr.  2'640,000^ 
gleich  einem  Drittheil  des  Kosten  Voranschlages. 

Gleichzeitig  wurde  eine  Frist  von  12  Jahren  zur  Ausführung  der  Korrektion 
bestimmt  und  der  Beginn  der  Arbeiten  auf  das  Jahr  1863  festgesetzt.  Ernstlich 
wurden  diese  aber  erst  2  Jahre  später  unternommen,  von  wo  an  sie  konsequent 
fortgesetzt  werden  konnten,  bis  neue  Ueberschwemmungen  einen  Theil  des  Voll- 
brachten zerstörten,  so  am  26./27.  September  1866  und  im  Juli/ August  I868. 


Rhonekorrektion  —     679     —  Rigibahn 

Der  Schaden  der  letzteren  Ueberschwemmungen  wurae  auf  Fr.  520,000  ermittelt. 
Das  einmal  begonnene  Werk  mußte  indeß  trotz  Ueberschwemmungen,  Ungewittern 
und  anderen  störenden  ZwischenföUen  fortgesetzt  und  zu  Ende  geführt  w^erden, 
und  es  bewilligte  denn  auch  der  Bund  neue  Subventionen,  als :  Fr.  300,000 
am  22.  Dez.  1870,  Fr.  338,900  am  16.  Aug.  1878,  Fr.  466,600  am 
13.  Dez.  1884,  Fr.  290,000  am  18.  Juni  1886.  Es  macht  dies  ein  Total  von 
Fr.  4'035,500,  welche  der  Rund  speziell  für  die  Korrektion  des  Rhoneflusses 
votirte  (Fr.  590,000  für  die  Strecke  auf  waadtländischem,  Fr.  3^445,500  für 
den  Lauf  auf  wallis'schem  Gebiet)  --r=:  Ya  der  devisirten  Gesammtkosten  (Fr. 
12^106,000).  Weitere  Fr.  350,000  verabfolgte  der  Rund  für  die  Erstellung 
von  Entsumpfungskanälen  in  der  von  der  Rhone  durchschnittenen  Ebene. 
Ohne  ^solche  EntsumpfungskanSle  wäre  die  Rhonekorrektion  nur  ein  halbes  Werk 
geblieben,  denn  die  von  früher  her  vom  Wasser  durchtränkten  Landstriche  hätten 
sich  nicht  von  selbst  entwässert  und  urbar  gemacht.  Das  bei  der  Rhone  an- 
gewandte Korrektionssystem  ist  das  System  der  rechtwinkelig  an  die 
Längsdämme  angesetzten,  nach  unten  sich  neigenden  Sporen  (Buhnen),  deren 
Spitze  sich  im  Flußbette  verliert,  so  zwar,  daß  die  Wasser,  welches  immer  ihr 
Volumen  sein  mag,  stets  gegen  die  Axe  des  Thalweges  zurückgeführt  werden, 
wohin  gewöhnlich  die  größte  Strömung  und  die  stärkste  Wassermasse  sich  drängt. 
Hiedurch  bilden  sich  natürlicherweise  zwischen  den  Sporen  Anschwemmungen, 
welche  die  Längenwehren  verstärken,  indem  nie  dem  Bette  eine  konkave,  nämlich 
die  Kegelschnitt  form  geben  und  so  das  FortspUhlen  des  Geschiebes  nach  den 
erwünschten  Bedingungen  fördern.  Daher  findet  man  selbst  beim  niedrigsten 
Wasserstande  zwischen  den  Sporenköpfen  weder  Sandbänke  noch  Geschiebe.  Mag 
der  Wasserstand  noch  so  niedrig  sein,  so  dehnt  das  Wasser  sich  dennoch  in 
regelmäßiger  Fläche  hin  und  fließt  fort,  ohne  irgend  welche  Windung  im  Bette 
zu  zeichnen.  Der  vom  Baudepartement  des  Kts.  Wallis  1877  herausgegebene 
Bericht  Über  die  Ebonekorrektion,  welchem  obige  Mittheilungen  entnommen  sind, 
oitirt  für  die  Trefflichkeit  des  Korrekt ionssystems  die  Aussagen  mehrerer  Au- 
toritäten. 

Riemenfabrikation.  Ca.  30  Geschäfte  in  9  Kantonen.  Riemenfett- 
fabrikation 2  Firmen,  Schaff  hausen  und  Eorgen*. 

Riesling,  weißer,  ist  diejenige  Traubensorte,  aus  welcher  die  berühmten 
Rheinweine  erzeugt  werden.  Bei  uns  findet  sie  sich  in  den  meisten  Gegenden 
nur  sporadisch.  Einzig  im  Wallis  wird  sie  an  einigen  Orten  unter  dem  Namen 
Plant  du  Rhin  und  Jobannisberg  im  Großen  kultivirt.  Sie  gibt  einen  süßen, 
feurigen  Wein,  der  jedoch  an  Blume  den  Rheinweinen  nachsteht.  Kr, 

Rigibahn  (Rigi-Yitznau).  Die  Rigibahn  ist  eine  normalspunge  Zahnradbahn 
nnd  das  Unternehmen  einer  Aktiengesellschaft,  deren  Sitz  in  Luzern  ist.  Die 
Betriebsdirektion  befindet  sich  jedoch  in  Vitznau.  Der  Bahnbetrieb  wurde  wie 
folgt  eröffnet:  Am  2'6,  Mai  1872  die  Strecke  Vitznau- Staffelhöhe  und  am  27.  Juni 
1873  die  Strecke  Statfelhöhe-Rigikulm.  Letztere  Strecke  ist  Eigenthum  der  Arth- 
Rigibahngesellschaft  und  von  dieser  an  die  Rigibahngesellschaft  verpachtet. 

Bahnläuge:  Bauliche  Länge  der  eigenen  Bahn  (Vitznau-Staffelhöhe)  51 55 m  ; 
Betriebslänge  (Vitznau-Rigikulm)  6858  m  oder  rund  7  km.  Nächster 

Rückkaufstermin  für  den  Bund:  23.  Mai  1901. 

Bauliche  Verhältnisse:  Bauliche  Länge  mit  einem  Hauptgeleise 
3275  m,  mit  zwei  Hauptgeleisen  1880  m.  Auf  1000  m  Bahnlänge  entfallen 
durchschnittlich  1479  m  Geleise.  Von  der  ganzen  eigenen  Bahn  liegen  1848  m 
auf  Dämmen,  3136  m  in  Einschnitten,  67  m  im  Tunnel  und  104  m  auf  Brücken. 


Rigibahn  —     680     —  Rigi-Scheidegg-Bahn 

Die  ganze  betriebene  Bahn  von  Yitznan  bis  Rigikulm  hat  eine  darchsohniitliche 
Steigung  von  191,03  ^/oo  und  Maximabteigungen  von  250  ^/oo;  der  mittlere 
Krümmungshalbmesser  für  die  ganze  Bahn  beträgt  428  m  und  der  MinimalradioB 
120  m.  Die  Rigibahn  zählt  7  Stationen,  wovon  die  wichtigsten  sind:  Vitznau, 
Kaltbad  und  Rigikulm.  Auf  der  gepachteten  Strecke  Staifelhöhe-Rigiknlm  liegen 
2  Stationen.  Das  Rollmaterial  besteht  aus  10  Zahnradlokomotiven  von  durch- 
schnittlich 150  Fferdekräften,  12  Personenwagen  mit  636  Sitzplätzen  und  5  Güter- 
wagen. Betriebspersonal:  71  Mann.  Beförderte  Reisende  im  Jahre 
1887:98,337,  1886:102,021,  1885:98,911.  Beförderte  Güter  im  Jahre 
1887:   1635  t,  1886:   1249  t,   1885:  1286  t. 

Reinertrag  (wie  er  bei  einem  allfälligen  Rückkauf  durch  den  Bond  in 
Betracht  fällt)  im  Jahre  1887  :  Fr.  155,910,  1886  :  Fr.  152,631,  1885  : 
Fr.  141,612.  Verhältniß  des  Reinertrages  zum  Anlagekapital  1887:  6,98  7o, 
1886:  6,82  ^o,  1885:  6,31  ^o. 

Kapitalbestand  1887:  Fr.  2*232,000,  wovon  Fr.  1*250,000  Aktien, 
Fr.  979,000  konsolidirte  Anleihen. 

Zinse  und  Dividenden  1887:  Fr.  150,440  =  6,74^0  des  KapitaU, 
1886:  Fr.  150,087  =:  6,73  7o,   1885:  Fr.  144,775  =  6,45  7o. 

Baukonto  per  Ende  1887:  Kosten  der  Bahnanlagen  und  festen  Ein- 
richtungen Fr.  1*770,410  =  Fr.  343,436  per  Bahnkil:  des  Rollmaterials 
Fr.  446,500  =  Fr.  63,786  per  Bahnkil.;  des  Mobiliars  und  der  Geräthschaften 
Fr.  18,387  =  Fr.  3567  per  Bahnkil.  Totalkosten  Fr.  2*235,297  =  Fr.  410,789 
per  Bahnkil. 

Rigikulm-Arth  s.  Arth-Rigibahn. 

Rigi-Scheidegg-Bahn.  Die  schmalspurige  (Im)  Adhäsionsbahn  von  Rigi- 
Kaltbad  nach  Rigi-Scheidegg  wurde  wie  folgt  eröffnet:  Am  14.  Juli  1874  die 
Strecke  von  Kaltbad  bis  Unterstetten  (3450  m);  am  1.  Juni  1875  die  Strecke 
von  Unterstetten  bis  Scheidegg  (3297  m).  Die  Bahn  gehörte  zu  dieser  Zeit  der 
Aktiengesellschaft  „Regina  montium**.  Am  1.  Januar  1876  ging  die  Bahn  an 
eine  neue  AktiengeseÜHchaft  über.  Am  1.  Januar  1879  fand  abermals  ein  Besitz- 
wechsel statt,  indem  an  Stelle  der  zweiten  eine  dritte  Aktiengesellschaft  getreten 
ist,  welche  die  Bahn  seither  besitzt.  Der  Baukonto  der  ersten  Gesellschaft  (Regina 
montium)  bezifferte  sich  auf  Fr.  1*560,863,  derjenige  der  zweiten  Gesellschaft 
auf  Fr.  353,225.  Die  gegenwärtige  Gesellschaft  bezahlte  für  die  Bahn  Fr.  62,500. 
Der  Sitz  der  gegenwärtigen  Gesellschaft  befindet  sich  in  Luzem,  die  Betriebs- 
direktion dagegen  in  Vitznau  (mit  der  Rigibahn  vereinigt).     Nächster 

Rückkaufstermin  für  den  Bund:  23.  Mai  1901. 

Bahnlänge  Ende  1886:  Bauliche  Länge  6747  m,  Betriebslänge  66 19  m 
oder  rund  7  km. 

Bauliche  Verhältnisse:  Von  der  baulichen  Länge  entfallen  2692  m  auf 
Dämme,  3920  m  auf  Einschnitte,  70  m  auf  einen  Tunnel  und  65  m  auf  Brücken. 
168  m  der  Bahn  sind  zweigeleisig.  Von  der  Betriebslänge  sind  379  m  horizontal, 
6240  m  liegen  in  Steigungen,  3057  m  sind  gerade  und  3562  m  bilden  Kurven. 
MaximaUteigung  50  ^/oo,  mittlere  Steigung  der  ganzen  Bahn  31,86  Voo.  Minimal- 
radius 105  m,  mittlerer  Krümmungshalbmesser  der  ganzen  Bahn  232  m.  Die 
Bahn  zählt  4  Stationen.  Das  Betriebsmaterial  besteht  aus  2  Lokomotiven 
von  je  130  Pferdekräften,  3  Personenwagen  mit  165  Sitzplätzen  und  3  Güter- 
wagen. Betriebs  personal:  21  Mann.  Beförderte  Reisende  im  Jahre 
1887:  14,800,  18H6:  13,253,  1885:  14,609.  Beförderte  Güter  im  Jahre 
1887:  432  t,   1886:  315  t,    1885:  322  t. 


Rigi-Scheidegg-Bahn  —     681     —  Rorschach -Heiden 

Reinertrag  (wie.  er  bei  einem  allfälligen  Rückkauf  dorch  den  Bund  in 
Betracht  fällt)  im  Jahre  1887:  Fr.  3009,  1886:  Fr.  85,  1885:  Fr.  2012. 

Yerhältniß  des  Reinertrages  zum  Anlagekapital  1887  :  3,78  7o,  1886  : 
0,11  >,  1885:   2,53  ^o. 

Kapitalbestand  1887:  Fr.  79,500,  wovon  Fr.  74,500  Aktien. 

Zinse  und  Dividenden  1887:  Fr.  2980  =  3,75  7o  des  Kapitals, 
1886:  Fr.  2980  =  4  «/o,   1885:  Fr.  3725  =  4,69  7o. 

Baukonto  per  Ende  1887:  Kosten  der  Bahnanlagen  und  festen  Ein- 
richtungen Fr.  44,500  =  Fr.  6596  per  Bahnkil. ;  des  Rollmaterials  Fr.  20,300 
—  Fr.  2900  per  Bahnkil. ;  des  Mobiliars  und  der  Geräthsohaften  Fr.  700  =  Fr.  104 
per  Bahnkil.  Totalkosten  Fr.  65,500  =  Fr.  9600  per  Bahnkil.  (Die  Kosten 
erscheinen  hier  nur  deßhalb  so  gering,  weil  die  Bahn  von  der  jetzigen  G-esell- 
schaft  sehr  billig  ersteigert  wurde.) 

Rindviehzucht  s.  Viehzucht. 

Roggen  8.  Getreidebau. 

Roggenstroh  bildet  im  Aargau  den  Hauptrohstoff  für  die  Fabrikation 
farbiger  und  melirter  Strohgeflechte ;  für  weiße  Artikel  ist  dasselbe  nicht  geeignet. 

Rohproduktion  s.  Bergbau,  Landwirthschaft,  Forstwirthschaft,  Fischerei, 
Jagd.  Eine  «Karte  der  Fundorte  von  Rohprodukten  in  der  Schweiz"  ist  für  die 
Schweiz  Landesausstellung  in  Zürich  (1883)  auf  Veranlassung  des  Schweiz.  Handels- 
und Landwirthschaftsdepartements  von  den  Herren  Ingenieur  Julius  Weber  und 
Alt- Oberförster  Brosi  bearbeitet  worden  (Verlag  von  J.  Wurster  &  Co.  in  Zürich). 
Dieser  Karte  hat  das  Lexikon  seine  Angaben  über  die  Fundorte  von  Gesteins- 
arten entnommen. 

RolIIadenfabrilcation.  Nach  Schwarz  7  Geschäfte  in  5  Kantonen.  Unter 
dem  Fabrikgesetz  steht  das  Etablissement  von  Fritz  Ganger  in  Unterstraß. 

Romanshorn-Winterthur  s.  Nordostbahn. 

Romont-BuIIe  s.  Bulle-Romont-Bahn. 

Rorsehaeh-Chur  und  Rorschach-Winterthur  s.  Ver.  Schweizer- 
bahnen; Rorschach-Konstanz  s.  Nordostbahn. 

Rorschach-Uetden,  Die  Rorschach-Heiden-Bergbahn  ist  eine  normalspurige 
Zahnradbahn.  Dieselbe  gehört  einer  Aktiengesellschaft,  deren  Sitz  in  Basel  ist. 
Die  Bahnverwaltung  befiudet  sich  jedoch  in  Heiden.  Der  Bahnbetrieb  wurde  am 
6.  September  1875  eröffnet. 

Bahn  länge:  Bauliche  Länge  der  eigenen  Bahn  5726  m,  Betriebslänge 
7108  m  oder  rund  7  km,  wovon  1  km  Adhäsionsbahn  Eigenthum  der  Ver. 
Schweizerbahnen  ist  und  von  der  Rorschach -Heiden-Bahn  mitbenutzt  wird.  Nächster 

Rückkau fstermin  für  den  Bund:   1.  Mai  1903. 

Bauliche  Verhältnisse:  Bauliche  Länge  mit  einem  Hauptgeleise 
6649  m,  mit  zwei  Hauptgeleisen  77  m.  Auf  1000  m  Bahn  entfallen  1155  m 
Geleise.  Von  der  eigenen  Bahn  liegen  2337  m  auf  Dämmen,  3372  m  in  Ein 
schnitten  und  17  m  auf  Brücken.  Von  der  Betriebslänge  liegen  1048  m  in  der 
Horizontalen,  6060  m  in  Steigungen,  4764  m  in  der  Geraden  und  2344  m  in 
Kurven.  Maximalsteigung  90  ®/oo;  mittlere  Steigung  der  ganzen  Bahn  53,95  ®/oo; 
Minimalradius  120m;  mittlerer  Krümmungshalbmesser  der  ganzen  Bahn  695  m. 
Die  Bahn  zählt  5  Stationen,  wovon  die  wichtigsten  sind :  Rorschach  (mitbenutzt) 
und  Heiden. 

Rollmaterial  Ende  1887:  3  Zahnradlokomotiven  von  je  155  Pferde- 
kräften und  16  Tonnen  Leergewicht  per  Maschine;  9  zweiachsige  Personenwagen 
mit  zusammen  434  Sitzplätzen,  8  Güterwagen  mit  zusammen  52,5  Tonnen  Tragkraft. 


Rorschach-Heiden  —     682     —  Rückzölle 

Betriebspersonal  im  Jahre  1887:  15  Hann  im  Ganzen  oder  2  per 
Babnkil. 

.    Beförderte  Reisende  im  Jahre  1887:  42,155,   1886:  44,910,   1885 
47,837. 

Beförderte  Güter  im  Jahre  1887:   13,601  t,   1886:   14,692  t,  1885 
13,973. 

Reinertrag   im  Jahre  1887:    Fr.  19,527,    1886:   Fr.  26,430,    1885 
Fr.  22,813. 

Verhältniß   des   Reinertrages   zum    Anlagekapital    1887  :    0,79  ^/o,    1886 
1,20  7o,   1885:    1,04  7o. 

Kapital  bestand  1887:  Fr.  2'440,000,  wovon  Fr.  r400,000  Aktien 
und  Fr.  1*040,000  Anleihen.  Das  Aktienkapital  besteht  aus  Stammaktien  a 
Fr.  500  =  Fr.  900,000  und  aus  Aktien  IL  Ranges  a  Fr.  500  =  Fr.  500,000. 
Das  Anleihenskapital  besteht  aus  einem  4  ®/o  Anleihen  von  Fr.  500,000  und 
aus  einem  Anleihen  II.  Ranges  von  Fr.  540,000.  Das  letztere  hat  nur  dann  ein 
Anrecht  auf  Verzinsung  (bis  zu  3,7  ^o),  wenn  der  Ertrag  hiezu  vorhanden  ist. 

Zinse  und  Dividenden  1887:  Fr.  20,000  =  0,82^0  des  Kapital», 
1886:  Fr.  40,000  =   1,82  7o,  1885:  Fr.  40,000  =  1,82  7o. 

Baukonto  per  Ende  1887:  Kosten  der  Bahnanlagen  und  festen  Ein- 
richtungen Fr.  1'982,512  =  Fr.  346,230  per  Babnkil.;  des  Rollmaterials 
Fr.  209,200  =  Fr.  29,886  per  Babnkil. ;  des  Mobiliars  und  der  Geräthschaften 
Fr.  8288  =  Fr.  1448  per  Bahnkil.  Total  der  Baukosten  Fr.  2'200,000 
=  Fr.  377,564  per  Bahnkil. 

Rosshaarwaaren.  Birkhäuser's  Adreßbuch  verzeichnet  22  Roßhaarwaaren- 
fabrikationsgeschäfte  (6  Aargau,  6  Luzern,  5  Zürich,  3  Thurgau,  1  Bern,  1  Schaff- 
hausen).    S.  auch   „Pferdehaar". 

Rother,  großer  (Gros  rouge  du  Pays)  ist  der  Name  einer  blauen  Savoyer 
Traube  „Mondeuse**.  Eine  äußerst  fruchtbare,  jedoch  sehr  spät  reifende  Sorte  mit 
großen,  blaurothen  Trauben,  kommt  in  den  Kantonen  Wallis,  Waadt  und  Genf  vor. 

Rothgipfler,  weißer,  ist  eine  niederösterreichische  Traubensorte,  welche 
vereinzelt  auch  in  der  Schweiz  angebaut  wird.  Der  Rebstock  ist  stark,  gedeiht 
in  allen  Lagen  und  Bodenarten,  ist  Überaus  fruchtbar  und  in  der  Blüthe  un- 
empündlich.  Die  Trauben  reifen  indessen  sehr  spät  und  es  ist  diese  Sorte  daher 
nur  für  die  frühesten,  besten  Lagen  zu  empfehlen.  Kr, 

Rotliklee.  Die  Schweiz  verdankt  die  Einführung  des  Kleebaues  dem  Be- 
gründer (1759)  und  Präsidenten  der  weithinbekannten  ökonomischen  Gesellschaft 
des  Kantons  Bern,  Johann  Rudolf  Tschiffeli.  Der  Rothkleebau  war  zwar  in  der 
Schweiz  sporadisch  schon  früher  vorhanden,  wozu  der  Same  von  den  spanischen 
Provinzen  in  den  Niederlanden  herstammte  (deßhalb  holländischer  oder  spanischer 
Klee),  eine  größere  Ausdehnung  erlangte  derselbe  aber  erst  durch  die  Bemühungen 
der  erwähnten  Gesellschaft  und  ihrer  Zweigvereine.  Später  war  es  auch  Emanuel 
V.  Fellenberg,  welcher  den  Kleebau  forderte. 

Roth  kreuz«  Aarau  s.  Aargauische  Südbahn. 

Rouge  de  Fully  ist  der  Name  eines  Walliser  Weines. 

Rückkauf  der  Eisenbahnen  s.  Staatsbahnen. 

Rückzölle.  Hierunter  versteht  man  die  für  Exportfabrikate  gewährte 
Rückvergütung  des  Zolles,  den  die  betreffende  Exportindustrie  für  die  aus  dem 
Auslände  bezogenen  und  zur  Herstellung  jener  Fabrikate  verwendeten  Rohstoffe 
zu  entrichten  hatte. 


Rückzölle  —      683     —  Rückzölle 

Die  Frage,  ob  BUokzölle  aaoh  in  der  Schweiz  einzuführen  seien,  hat  die 
schweizerische  Bundesversammlnng  wiederholt  beschäftigt. 

In  der  bundesräthlichen  Botschaft  betreffend  Aufstellung  eines  neuen  Zoll- 
tarifs, vom  16.  Juni  1877,  finden  dieselben  zum  ersten  Male  Erwähnung.  Im 
Prinzip  erklärte  sich  der  Bnndesrath  als  Gegner  dieses  Systems,  weil  Hir  die 
wenigsten  Industrien  praktisch  durchführbar.  In  Anbetracht  jedoch  der  damals 
beantragten  Erhöhung  des  Spritzolles  von  Fr.  7  auf  Fr.  20  war  in  den  neuen 
Tarifentwurf  die  Bestimmung  aufgenommen,  daß  für  Sprit,  der  zur  Herstellung 
von  andern  geistigen  Getränken  verwendet  worden,  bei  der  Ausfuhr  der  letztern 
die  Hälfte  des  bezahlten  Eingangszolles  zurückzuvergUten  sei. 

Die  Aufnahme  dieser  Bestimmung  in  das  Tarifgesetz  wurde  jedoch  abgelehnt, 
nachdem  die  ständeräthliche  Kommission  ihr  Gutachten  dahin  abgegeben,  daß  bei 
Anlaß  der  Revision  des  Zollgesetzes  die  Frage  der  Rückvergütungen  im  Allge- 
meinen und  nicht  bloß  hinsichtlich  des  Sprits  in's  Auge  gefaßt  und  erledigt 
werden  sollte.  Die  Kommission  des  Nation alrathes  hatte  in  dieser  Richtung  keine 
bestimmt  lautenden  Anträge  gestellt;  sie  beschränkte  sich  bloß  darauf,  die  Auf- 
merksamkeit der  Verwaltung  auf  die  Rückzölle  zu  lenken.  In  der  Kommission 
selbst  war  indessen  auch  die  Ansicht  vertreten,  daß  das  Fallenlassen  des  Ausfuhr- 
zolles bei  einzelnen  Fabrikaten  genügen  sollte. 

Vor  Abschluß  der  Tarifberathungen  stellt«  sich  die  Frage  der  Herstellung 
des  Gleichgewichtes  in  den  Bundesfinanzen  in  den  Vordergrund.  Es  folgte  die 
Vorlage  des  Bundesrathes  vom  3.  Juni  1879  betreffend  Erhöhung  des  EingangH- 
zoUes  auf  eiuzelnen  Waarengattungen  und  der  Bundesbeschluß  vom  20.  Juni 
gleichen  Jahres,  durch  welchen  die  Eingangsgebühren  für  Tabak  und  Tabak- 
fabrikate sowie  für  Branntwein  und  Sprit  erhöht  wurden.  Bei  diesem  Anlaß 
wurde  von  der  Bundesversammlung  das  Postulat  angenommen,  es  sei  der  Bundes- 
rath  eingeladen,  zu  untersuchen,  ob  und  in  welchem  Verhältnisse  Rückzölle  auf 
denjenigen  schweizerischen  Fabrikaten  gewährt  werden  können,  welche  durch  die 
erhöhten  Eingangsgebühren  auf  Tabak  und  Sprit  berührt  werden. 

In  seiner  Botschaft  vom  27.  November  1879  beantragte  hierauf  der  Bundes- 
rath  die  Einführung  eines  Rückzolles  zu  Gunsten  des  Exports  von  Cigarren;  die 
Vorlage  wurde  jedoch  an  den  Bundesrath  zurückgewiesen  in  dem  Sinne,  daß  die 
Behandlung  dieses  Gegenstandes  anläßlich  der  Zolltarifrevision  (zweite  Berathung) 
wieder  aufzunehmen  sei 

Aliein  am  5.  März  1881  wurde  der  Bundesrath  vom  Ständerathe  neuerdings 
eingeladen,  beförderlichst  Anträge  im  Sinne  der  Gewährung  von  Rückzöllen  für 
die  schweizerische  Industrie  im  Allgemeinen  und  für  Tabakfabrikate  insbesondere 
vorzulegen.  , 

Der  Bundesrath  entsprach  dieser  Einladung  mit  seiner  Botschaft  vom  24.  Mai 
gleichen  Jahres  nuter  Vorlage  eines  Beschlußentwuffes,  in  welchem  ein  Rückzoll 
sowohl  für  Cigarren  als  auch  für  Rauchtabak  vorgesehen  war.  Der  Ständerath 
stimmte  dem  Entwürfe  mit  unwesentlichen  Aenderungen  bei;  der  Nationalrath 
hingegen  beschloß,  mit  Rücksicht  auf  die  vielen  Komplikationen,  die  das  Gesetz 
für  die  Verwaltung  zur  Folge  haben  würde,  sowie  von  der  Ansicht  ausgehend, 
daß  die  Frage  am  besten  bei  Anlaß  der  Berathung  des  2k)lltarifs  gelöst  werde, 
auf  den  Vorschlag  zur  Zeit  nicht  einzutreten,  welchem  Beschlüsse  der  Ständerath 
nachträglich  ebenfalls  beitrat. 

Die  Rückzollfrage  kam  demgemäß  bei  der  zweiten  Berathung  der  Tarif- 
revision zur  nochmaligen  Behandlung.  Diesmal  hatte  der  Bundesrath  seinen  Stand- 
punkt geändert.   In  der  Botschaft  vom  3.  November  1882  bezeichnete  er  geradezu 


RückzöUe  —     684     —  RückzöUe 

4ie  Vermeidung  des  Systems  der  Rückzölle  als  einen  der  Haaptzielpnnkte  der 
Tarifrevision.  In  der  Begründung  wurde  darauf  hingewiesen,  daß  eine  solche 
Maßnahme  einen  komplizirten  Yerwaltungsapparat  erfordern  wUrde,  gegen  den  sich 
andererseits  eine  begreifliche  Abneigung  kundgegeben  hätte.  Die  nationalräthliche 
Kommission  erklärte  sich  auch  diesmal  grundsätzlich  gegen  das  System,  fUr  welches 
fiie  keinen  volkswirthschaftlichen  Grrund  finden  konnte 

Dagegen  sagt  die  ständeräthliche  Kommission  in  ihrem  Berichte  vom  19.  Juni 
1883: 

„Die  Ruckzölle  wurden  grundsätzlich  abgelehnt  und  die  Eventualität, 
darauf  zurückzukommen,  nur  für  den  Fall  in^s  Auge  gefaßt,  als  die  end- 
gültige Feststellung  der  Einfuhrzölle  auf  einzelnen  Waarengattungen,  welche 
als  Halbfabrikate  für  Exportartikel  dienen  und  vom  Auslande  bezogen 
werden  miJIssen,  konstatiren  würde,  daß  die  Konkurrenzverhältnisse  eine 
solche  Maßregel  im  Interesse  unseres  Ausfuhrhandels  gebieterisch  fordern." 

Die  Geneigtheit,  auf  die  Rückzollfrage  je  nach  Grestaltnng  der  Verhältnisse 
zurückzukommen,  findet  sich  hierin  in  unzweideutiger  Weise  ausgesprochen, 
während  der  Bundesrath  in  seiner  Botschaft  vom  3.  November  1882  den  Stand- 
punkt vertreten  hatte,  daß  diesen  Verhältnissen  eher  durch  Ermäßigung  der 
bezüglichen  Eingangszölle  Rechnung  getragen  werden  könnte  und  sollte. 

Rückzölle  waren  damals  beansprucht  zu  Gunsten  der  Tabak-,  Maschinen- 
und  Schuh waarenindustrie,  der  Absinthe-  und  der  Chokoladefabrikation.  In  der 
Folge  langten  alsdann  gleiche  Begehren  ein  von  einer  Anzahl  Liqueurfabrikanten 
der  romanischen  Schweiz,  sowie  von  Seite  der  Milchsiederei  Cham. 

Für  einmal  hatte  nun  die  Bundesversammlung  entschieden.  Allein  schon 
am  8.  Mai  1885,  also  kurz  nach  Inkrafttreten  des  Zolltarifgesetzes  vom  26.  Juni 
1884,  wendete  sich  die  Genfer  Handelskammer  mit  dem  Ansuchen  an  den  Bundes- 
rath,  es  möchte  diese  Frage  mit  Bezug  auf  den  Export  von  Tabakfabrikaten 
neuerdings  in  Erdauerung  gezogen  werden.  In  einer  spätem  Petition  der  schwei- 
zerischen Tabak-  und  Cigarrenfabrikanten,  d.  d.  12.  Oktober  1885,  wurde  dann 
das  Postulat  der  Genfer  Handelskammer  unter  dem  Vorbehalte  fallen  gelassen, 
daß  an  Stelle  des  Rückzolles  eine  Zollerhöhung  auf  importirten  Tabakfabrikaten, 
sowie  eine  Zollermäßigung  für  den  Rohtabak  zu  treten  habe. 

Daß  nämlich  bei  Einführung  des  Rückzolles  die  Ausübung  einer  Kontrole 
mit  großen  Schwierigkeiten  verbunden  wäre,  haben  die  Petenten  selbst  unum- 
wunden zugegeben. 

Die  Rückzollfrage  erhielt  endlich  ganz  bestimmte  Fassung  durch  Annahme 
des  oben  erwähnten,  sowie  eines  weitern  Postulats,  lautend: 

„Der  Bundesrath   wird  eingeladen,    Bericht  und  Antrag  vorzulegen  für 
Erleichterung  der  Ausfuhr  von  Tabakfabrikaten**, 
das  gleichzeitig  mit  dem  eratern  aufgestellt  worden  war. 

In  Folge  dieser  beiden  Postulate  erließ  der  Bundesrath  unterm  20.  November 
1888  eine  Botschaft,  in  welcher  die  verschiedenen  bei  Einführung  von  Rückzöllen 
in  Betracht  kommenden  Industrien  einer  nähern  Besprechung  unterzogen  werden. 
Die  Schlußanträge  des  Bundesrathes  an  die  Bundesversammlung  lauten : 

1)  Es  sei  für  cxportirte,  mit  Zuckerzusatz  kondensirte  Milch  vorläufi^f  auf  die  Dauer 
von  drei  Jahren  eine  Köckzollvcrgrrilunjr  für  den  Zucker  zu  leisten,  und  zwar  im 
Verhnitniß  von  Fr.  5  auf  100  kg  Zucker  l)erechnet ; 

iJ)  es  sei  die  Behandlung  der  Rückzollfrage  mit  Bezug  auf  die  Tabakfabrikate  zu 
verschieben ; 

3)  auf  «lie  RnckzoUvergiitung  an  andere  Industrien  sei  zur  Zeil  nicht  einzutreten. 


Rückzölle  —     685     —  Rumänien 

unterm  27.  März  1889  beschloß  der  Nationalrath  die  Annahme  des  bandes- 
räthlichen  Beschlußentwurfes  mit  einigen  wenigen  Modifikationen.  Der  Ständerath 
dagegen  beschloß  am  3.  April  1889,  zur  Zeit  nicht  einzutreten  und  den  Bundes- 
rath  einzuladen,  in  der  nächstfolgenden  Session  Bericht  und  Antrag  auch  Über 
die  Frage  einzubringen,  ob  es  nicht  vorzuziehen  sei,  den  Export  von  kondensirter 
Milch,  statt  durch  einen  RUokzoll,  durch  Herabsetzung  des  Zolles  auf  der  bei 
der  Milchsiederei  zur  Verwendung  kommenden  Zuckerart  zu  begünstigen.  Dieser 
Einladung  kam  der  Bundesrath  nach,  indem  er  den  eidgenössischen  Räthen  einen 
vom  24.  Mai  1889  datirten  Bericht  unterbreitete,  der  dahin  schließt,  daß  die 
durch  das  ständeräthliche  Postulat  gestellte  Frage  zu  verneinen  sei. 

In  der  Junisession  1889  wurde  endlich  der  vom  Bundesrathe  modifizirte 
Beschlußentwurf  angenommen,  und  zwar  vom  Nationalrathe  unterm  7.,  vom 
^Ständerathe  unterm  27.  Juni.    Der  Beschluß  lautet: 

Art.  1.  Für  die  in  schweizerischen  Fabriken  mit  Zuckerzusatz  kondensirte  und  in 
ein  fremdes  Zollgebiet  ausgeführte  Milch  ist  auf  100  kg  netto  Zucker  eine  Riickzoll- 
vergutung  von  Fr.  5  zu  leisten.  Anspruch  auf  diese  Vergütung  haben  jedoch  nur  solche 
Fabriken,  welche  ausschließlich  Milch  schweizerischer  Produktion  verwenden,  und  nur 
insoweit,  als  sich  solche  über  direkte  Einfuhr  des  entsprechenden  Quantums  Zucker 
durch  Vorlage  bezüglicher,  seit  1.  Januar  1889  ausgefertigter  Verzollungsbelege  aasweisen 
können.  Sie  beschränkt  sich  überdies  auf  solche  Zuckerstoffe,  die  unter  Nr.  244 — 246 
des  Tarifs  aufgeführt  sind  (Roh-,  Krystall-,  Malz-,  Trauben-,  Stampf-  (Pil6-)  Zucker,  ferner 
raffinirter  Zucker  in  Hüten,  Platten,  Blöcken,  Abfallen,  geschnitten  oder  fein  gepulvert). 

Art.  2.  Alle  Handlungen,  welche  die  Erlangung  einer  unrechtmäßigen  Zollrück- 
vergütung bezwecken,  werden  als  Zollübertretungen  behandelt  und  nach  Analogie  von 
Art.  51  des  Zollgesetzes  bestraft.  Im  Wiederholungsfalle  wird  dem  Schuldigen  die  Be- 
rechtigung zum  Bezug  des  Rückzolles  für  die  Zukunft  entzogen. 

Art.  3.  Die  Gültigkeit  dieses  Beschlusses  wird,  vorbehaltlich  der  Bestimmungen 
eines  neuen  Zolltarifgesetzes,  auf  die  Dauer  von  drei  Jahren  festgesetzt. 

Art.  4.    (Referendumsklausel.) 

(NB.  Wir  hielten  eine  ausführlichere  Darstelhmg  der  geschichtlichen  Daten  über 
das  Kapitel  der  Rückzölle  deßhalb  für  geboten,  weil  letztere  bei  der  weitern  Entwicklung 
des  Schweiz.  Zollwesens  aller  Voraussicht  nach  eine  nicht  unbedeutende  Rolle  spielen 
werden.) 

RulEnder,  eine  Weinrebe,  welche  in  der  deutschen  Schweiz  meistens  mit 
den  schwarzen  Burgundern  gemengt  vorkommt.  Der  Stock  ist  von  mittlerer 
Stärke,  in  der  Fruchtbarkeit  dem  Burgunder  gleich.  Die  Trauben  reifen  ziemlich 
früh  und  liefern  einen  vorzüglichen  Wein.  Kr, 

Rumänien.  Rumänien  versieht  die  Schweiz  mit  großen  Quantitäten  Getreides  ; 
mit  weit  größeren  als  in  der  oftiziellen  Statistik  angeschrieben.  (Immerhin  gehen 
Ungarn  und  Rußland  voran.)  Umgekehrt  ist  Rumänien  ein  guter  Abnehmer 
schweizerischer  Fabrikate,  besonders  bedruckter  Baumwollgewebe.  Seit  einigen 
Jahren  führen  Oesterreich- Ungarn  und  Rumänien  einen  wirthschaftspolitischen 
Kampf,  der  Seitens  des  letzteren  Staates  den  Zweck  hat,  innerhalb  seiner  Grenzen 
Gewerbe  und  Industrie  zu  fördern.  Rumänien  schuf  deßhalb  1885/86  einen 
Schutzzolltarif  par  excellence. 

Die  Rückwirkung  jenes  Kampfes  bedrohte  auch  die  Schweiz,  als  es  noch 
rechtzeitig  möglich  wurde,  mit  Rumänien  einen  Handelsvertrag  abzuschließen 
(7.  Juni  1886  [A.  S.  n.  F.  9,  119];  schweizerische  Unterhändler:  Minister  Aepli 
in  Wien  und  Generalkonsul  Staub  in  Bukarest),  der  nur  die  unbedeutenderen 
Ausfuhrartikel  der  Schweiz  dem  rumänischen  Protektionstarif  unterstellte  und  so 
die  Fortdauer  der  wichtigeren  schweizerLsch-rumänischen  Handelsbeziehungen  er- 
möglichte. Ja  dieselben  haben  sich,  was  den  Gesammt verkehr  anbetrifft,  wesentlich 
vermehrt,    denn    von    3'4.33,'I45  Fr.  Schweiz.  Ausfuhr   nach    den    Donauländern 


Rumänien  —     686     —  Salmiakgeist 

(unter  welchen  Rumänien  die  erste  Stelle  einnimmt)  im  Jahre  1885  und 
ü'777,964  Fr.  im  Jahre  I8ö6  hat  sich  dieselbe  gehoben  auf  5'146,809  Fr.  im 
Jahre  1887  un.i  auf  .V536,932  Fr.  im  Jahre   1888, 

Yortibergehend  profitirte  der  schweizerische  Fiskus  aus  dem  österreichisch- 
rumänischen Zollkrieg  dadurch,  daß  Oesterreich  einen  Theil  seines  nach  Rumänien 
bestimmten  Exportes  durch  die  Schweiz  gehen  ließ  und  hier  den  entsprechenden 
Zoll  entrichtete 

Zwischen  der  Schweiz  und  Rumänien  bestehen  folgende  Verträge:  1)  Die 
sog.  Genfcrkonveniionf  welcher  Rumänien  im  November  1874  beigetreten  ist; 
2)  der  Handelsvertrag  vom  7.  Juni  1886,  vide  A.  S.  n.  F.  IX,  119);  3)  der 
Konsularvertrag  vom  14.  Febr.  1880,  vide  A.  S.  n.  F.  5,  282);  4)  der  inier- 
nationale  Meter  vertrag,  Beitritt  Rumäniens  1882 ;  5)  der  Weltpostoertrag  von 
1878,  sowie  die  internationalen  Postverträge  betreffend  Werthbriefe,  Geldan- 
weisungen, Poststücke  bis  5  kg,  Einzugsmandate,  Identitätsbücher,  vide  A.  S. 
n.  F.  Iir,  V,  IX  und  X. 

Russland.  Rußland  ist  im  Verhältniß  zu  seiner  territorialen  Größe  und 
seiner  Bevölkerungszahl  ein  sehr  kleiner  Kunde  der  Schweiz.  Es  erklärt  sich 
dies  aus  den  abnormen  Zoll  Verhältnissen  Rußlands  und  den  übrigen  Schwierig- 
keiten aller  Art,  von  welchen  der  Einfuhrgütertransport,  sowie  die  Greltend- 
machung  von  Guthaben  umgeben  ist.  Bewegt  sich  demnach  die  schweizerische 
Ausfuhr  nach  R.  in  recht  bescheidenen  Grenzen  (1885 — 1888  jährlich  nur 
8 — 11  Millionen  Franken),  so  hat  umgekehrt  die  Einfuhr  freies  Spiel.  Sie  ist 
in  der  Schweiz.  Waarenverkehrsstatistik  seit  1885  mit  16 — 25  Millionen  Franken 
jährlich  beziffert,  allein  diese  Zahlen  sind  unter  der  Wirklichkeit,  weil  ein  Theil 
der  Einfuhr  aus  R.  als  deutsche  Waare  deklarirt  wird.  Wir  beziehen  aus  Rußland 
hauptsächlitjh  Getreide  und  Petroleum,  und  geben  an  dasselbe  ab  Uhren,  Textil- 
WJiaren,  Käse,  Steinkohlentheer färben,  Maschinen  etc. 

Zwischen  der  Schweiz  und  Rußland  sind  seit  1848  folgende,  Mitte  1889 
noch  zu  Kraft  bestehende  Verträge  abgeschlossen  worden:  1)  Erklärung  betr. 
die  gegenseitigen  Abzugsrechte,  d.  d.  15.  Juli  1864  (A.  S.  9,  p  189).  2)  Aus- 
lieferungsvertrag vom  5./17.  Nov.  1873  (A.  S.  11,  p.  409).  3)  Die  sog. 
Genfer  Konvention  betr.  Verbesserung  des  Looses  der  ira  Kriege  Verwundeten, 
d.  d.  10.  Aug.  1864,  Beitritt  Rußland«  1867.  4)  Handels-  und  Niederlassungs- 
vcrtrag  vom  14. /26.  Dez.  1872  (A.  S.  11,  p.  376).  5)  Internationaler  Meter- 
vertraf/  vom  20.  Mai  1875  (A.  S.  n.  F.  2,  p.  3).  6)  IniernsitionBlQ  Postverträge : 
a.  Weltpostvertrag  von  1878,  nebst  Zusätzen  von  1885;  b.  Uebereinkommen 
betr.  den  Austausch  von  Briefen  mit  deklarirtem  Werth  (A.  S.  n.  F.  3  u,  9). 
7)  Internationaler  Telegraphen  vertrag  vom  10./22.  Juli  1875  (A.  S.  n.  F.  2, 
p.  296).  8)  Erklärung  betr.  das  europäische  Seerecht  in  Kriegszeiten  (A.  S.  6, 
p.  348).  9)  Erklärung  betr.  die  Nichtanwendung  von  Sprenggeschossen  im  Kriege. 
10)  Neticnburger  Vertrag  vom  26.  Mai  1857  (A.  S.  5,  p.  547). 

Sämerei  ist  in  allen  Kantonen,  verhältuißmäßig  am  stärksten  im  Kt.  Frei- 
burg, verbreitet.  Von  3188  Arbeitern  im  Jahre  1880  (2,4  ^oo  aller  Erwerbs- 
thätigen)  waren  Ende  1888  623,  somit  ca.  7^»  ^°  ^^  Etablissementen  und 
16  Kantonen  unter  dem  Fabrikgesetz. 

Säinischgerberoien  bestehen  in  der  Schweiz  nicht  mehr,  nachdem  ein  in 
Schaffhausen  bestandenes  Etablissement  außer  Betrieb  gesetzt  worden  ist. 

Salmiakgoist,  Die  schweizerischen  Farbenfabriken  konsumiren  jährlich  ca. 
70,500  kg  S. 


Salpetersaures  Natrium  —      687      —  Salz 

Salpetersaures  Natrium.  Die  schweizerischen  Farbeufabriken  konsumiren 
jährlich  ca.  53,000  kg  s.  N. 

Salvador.  Zwischen  S.  und  der  Schweiz  bestehen  folgende  Verträge :  Ans- 
lieftrungsveHrarf  vom  30.  Okt.  1883  (A.  S.  n.  F.  VII).  Internationale  Genfer 
Konvention  betr.  die  Verwundeten  im  Kriege;  Beitritt  S.  im  Dezember  1874. 
Handels-  und  Niederlassungs vertrag  vom  30.  Okt.  1883  (A.  S.  n.  F.  VII,  p.  744). 
Internationaler  Weltpostvertrag  von  1878  und  die  internationalen  Postverträge 
betr.  die  Werthbriefe,  die  Geldanweisungen,  die  Poststücke  bis  5  kg  Gewicht, 
die  Einzugsmandate  und  die  Identitätsbiicher.  Der  internationalen  üebereinkunft 
betr.  den  Schutz  des  gewerblichen  FAgenthums  gehörte  S.  nur  bis  17.  Aug.  1887 
an.  In  der  Waarenverkehrsstatistik  ist  S.  keine  spezielle  Rubrik  eingeräumt.  Es 
ist  inbegriffen  im  Titel  ^Centralamerika". 

Salvagnin  du  Jura  ist  im  Wallis  die  Bezeichnung  für  den  unter  dem 
deutschen  Namen  „rother  Traminer"  bekannten  Weinstock.  Salvagnin  noir  für 
„schwarzer  Burgunder**.  Kr. 

Salz.  Der  Salzverkauf  an  das  Publikum  ist  in  sämmtlichen  Kantonen 
Staatsregal;  die  bergmännische  Gewinnung  jedoch  ist  Privatsache.  Die  erste 
Entdeckung  schweizerischen  Salzes  wurde  1544  bei  Bex  im  Kt.  Waadt  gemacht. 
Durch  wen  ursprünglich  die  Ausbeutung  des  Fundes  stattfand,  ist  dem  Lexikon 
nicht  bekannt  geworden ;  auch  an  Ort  und  Stelle  selbst  war  diesbezüglich  nichts 
in  Erfahrung  zu  bringen.  Von  1630 — 1684  soll  es  eine  augsburgische  Familie 
Namens  Zobel  gewesen  sein,  welche  ihr  Glück  bei  diesem  Salzgeschäft  suchte 
und  fand.  1684  kaufte  der  Staat  Bern  die  Salzquellen.  Er  ließ  im  Innern  der 
Erde  Tiefgänge  bauen,  in  der  Hoffnung,  in  der  Tiefe  salzhaltigeres  Wasser  zu 
gewinnen,  als  an  der  Oberfläche.  In  der  That  erzeigte  sich  eine  Differenz  von 
7  ®  (11  anstatt  4).  Wie  nichts  unerschöpflich  und  unveränderlich  ist,  so  auch 
diese  Salzquellen.  Im  Verlauf  der  folgenden  150  Jahre  schwächten  sich  dieselben 
oder  verloren  sich  ganz  im  Innern  der  Erde,  so  daß,  bald  nachdem  der  Kt. 
Waadt  EigenthUmer  und  Ausbeuter  der  Quellen  geworden  war,  neue  Nach- 
forschungen und  Studien  gemacht  werden  mußten.  Der  Erfolg  lohnte  die  That! 
Bürger  Charpentier  fand  (1823)  einen  Theil  der  Salzfelsengruppe  (1 72  —  2  Stunden 
von  Bex),  in  welche  heute  Galerien  in  einer  Länge  von  35  km  gehauen  sind. 

Als  Charpentier  seine  Entdeckung  gemacht  hatte,  schlug  er  vor,  Stücke  des 
Salzfelsens  abzulösen  und  in  Süßwasser  zu  bringen,  das  den  Salzgehalt  aus  jenen 
ausziehen  würde.  So  geschah  es,  und  die  Salzproduktion  war  größer,  zugleich 
auch  konstanter,  als  diejenige  vermittelst  der  Quellen.  Diese  wurden  nun,  bis 
an  eine,  welche  heute  noch  benützt  wird,  aufgegeben. 

Das  neue,  aber  kostspielige  Verfahren  (die  Räume  für  das  Süßwasser  mußten 
im  Innern  von  Felsen  durch  Sprengungen  geschaffen  werden)  that  seine  Dienste, 
bis  die  Eisenbahnen  eine  allgemeine  Reduktion  der  Salzpreise  uud  zugleich  eine 
Vertheaerung  des  Holzes,  auf  welches  Bex  noch  ausschließlich  angewiesen  war, 
herbeiführte.  Der  Staat  arbeitete  nun  unter  Detiziten,  die  sich  bis  auf  Fr.  75,000 
per  Jahr  steigerten.  Eine  Aenderung  erwies  sich  deßhalb  als  gebieterische  Noth- 
wendigkeit  und  —  die  Noth  machte  auch  diesmal  wieder  erfinderisch.  Es  bildete 
sich  eine  Aktiengesellschaft,  welche  dem  Staat  (1866)  den  Betrieb  abnahm  uud 
das  Salzgewinnungsverfahren  vereinfachte. 

üeber  das  jetzige  (Mitte  1889)  Verfahren  schrieb  die  Salinendirektion  dem 
Lexikon  Folgendes :  „  üne  vaste  salle  est  creus^e  au  fond  d'un  massif  de  roc 
sale.  On  y  fait  ensuite  venir  de  l'eau  douce  qui  prend  peu  ä  peu  le  sei  du 
massif.    D'autre    part   en    entasse   dans  un  reservoir  du  roc  sale  cass6  en  petits 


Salz  —      688     —  Salz 

morceaux.  On  amene  ensuite  Teau  du  masßif  sal^  dans  ce  röservoir  ou  eile  acheve 
de  se  salurer,  puls  on  Texp^die  par  une  canalisation  jusqu'ä  la  saline  de  Bävienx 
oü  86  fait  Tevaporation  et  la  r^colte  du  sei  purifie." 

Die  zweite  erfolgreiche  Salzentdeckung  begab  sich  in  Schweizerhalle 
(Baselland)  anno  1836  durch  den  hessischen  Oberbergrath  v.  Glenck.  Viele  Mtthen 
gingen  diesem  Funde  voraus,  denn  derselbe  Unternehmer  hatte  jahrelang  in  ver- 
schiedenen Kantonen  nach  Steinsalz  und  Salzquellen  bohren  lassen,  so  bei  Sitten 
im  Kt.  Wallis,  bei  Eglisau  im  Kt.  Zürich,  bei  Schieitheim  und  Beggingen  im 
Et.  Schaffhausen,  bei  Biel  und  bei  Cornol  im  Kt.  Bern.  Auch  seine  erste  Bohrung 
auf  basel  landschaftlichem  Gebiet,  bei  der  Mühle  in  Oberdorf,  war  erfolglos.  Da 
wies  ihm  endlich  ein  Schweizer,  der  Basler  Professor  und  Naturforscher  Peter 
Merlan^  die  Stelle,  welche  den  lange  gesuchten  Schatz  beherbergte.  Am  30.  Mai 
1836  lag  derselbe  zu  Tage  bei  einer  Tiefe  von  nur  128,7  m. 

Ein  Jahr  später,  d.  i.  am  7.  Juni  1837,  wurde  das  Salzwerk  von  Schweizer- 
halle feierlich  eingeweiht  und  offiziell  eröffnet  —  „offiziell**,  weil  der  Landraths- 
präsident  von  Baselland  selbst,  vor  versammeltem  Volke  und  nach  einer  passenden 
Ansprache,  den  ersten  brennenden  Span  unter  den  Feuerherd  legte,  der  seitdem 
nie  mehr  erkaltet  ist. 

Das  Eigenthumsrecht  an  der  Saline  war  schon  1834,  als  es  sich  um  die 
staatliche  Erlaubniß  zu  den  Bohrungen  handelte,  für  den  Fall  des  Bohrerfolgea 
dem  Herrn  Glenck  „für  «ich  und  seine  Erben"  zugesichert  worden,  unter  dem 
Vorbehalt  der  Erfüllung  gewisser  Bedingungen,  wie :  gewissenhafte  Respektirung 
des  staatlichen.  Salzmonopoles ;  Entrichtung  des  Zehntens  vom  reinen  Salzertrag 
der  Saline  nach  Ablauf  von  10  Frei  jähren  an  den  Staat  Baselland ;  Kaufsvorrecht 
für  den  Staat,  wenn  die  Saline  je  verkauft  werden  sollte,  etc.  etc. 

70  Jahre  lang,  von  Juni  1837  an  gerechnet,  wird  die  Regierung  von 
Baselland  keine  weitere  Konzession  zur  Anlegung  von  Salinen  gewähren,  noch 
eine  eigene  Saline  anlegen  lassen. 

Das  von  der  ganzen  Schweiz  freudig  begrüßte  Ereigniß  der  Salineneröffuung 
in  Schweizerhalle  ließ  den  Salzbohrer  noch  nicht  zur  Ruhe  kommen.  In  den 
40er  Jahren  stieß  derselbe  auf  verschiedene  Salzlager  im  Aarr/au,  wo  nach- 
einander die  drei  Salinen  Kaiseraugst  (1844),  Rheinfelden  (1845)  und 
Ryburg  (1848)  entstanden.    Kaiseraugst  war  von   1848 — 1865  außer  Betiieb. 

Ueber  den  geschichtlichen  Hergang  verdankt  das  Lexikon  dem  Herrn 
Kantonsstatistiker   Xa'f  folgende  Mittheilungen : 

^Im  Jahre  1774  entdeckte  der  k.  k.  Sanitätsrath  Dr.  Rodecker  einen  Salzbrunnen 
zu  Blitz  bei  Sulz  (im  damals  noch  österreichischen  Frickthal).  Stadtarzt  Marin  zu  Laufen- 
])urg  untersuchte  den  Gehalt  der  Quelle  und  sandte  ein  Muster  des  gewonnenen  Salzes 
nebst  Bericht  durch  den  Übervogt  Scholl  an  die  Regierung  in  Freiburg.  Diese  verlangte 
vom  landstüdtischen  Gonseß  eine  Vernehmlassung,  was  zur  Ausbeutung  unternommen 
werden  wolle.  8  Jahre  später  (1782)  war  vom  Gonseß  noch  kein  Gutachten  abgegeben : 
dem  Oberamt  wurde  befohlen,  6  Maaß  des  Wassers  der  Akademie  in  Freiburg  zu  über- 
schicken. Dtibci  blieb  es.  Erst  1830  ließ  die  aargauische  Regierung  einen  Stollen  in 
den  Berg  treiben  und  die  Quelle  prüfen.  Sie  erwies  sich  bei  3—12  "/o  als  zu  wenig 
salzhaltig. 

„Wahrscheinlich  ermuntert  durch  die  Salzentdeckung  bei  Schweizerhalle,  verlangten 
1843  Kym  ufid  Müliafte  vom  aargauischen  Großen  Rathe  eine  Konzession,  das  im 
Bezirk  Rlieinlelden  entdeckte  und  noch  zu  entdeckende  Salz  auszubeuten.  Die  ersten 
Bohrversuche  wurden  zu  Kaiseraugst  gemacht. 

^ISii  erhielt  eine  zweite  Gesellschaft  (L'Orsa  und  Mithafte)  eine  gleichlautende 
Bewill  ijrung. 

„1846  wurde  Kym  lO  Co.  gestattet,  die  Saline  bei  Kaiseraugst,  deren  Sole  nicht 
ergiebig  genug  war,   zu  verlassen  un<l  eine  neue  bei  Ryburg,  AbOO'  von  derjenigen 


Salz  —     689     —  Salz 

der  Gompagnie  L*Orsa  entfernt,  zu  errichten.   1857  wurde  für  beide  Gesellschaften  die 
Konzession  bis  1880  verlängert. 

,1863  verlangte  Johann  Lüteehchwab  die  Konzession  zu  einer  dritten  Saline, 
deijenigen  in  Kaiseraugst.* 

Seit  diesen  Vorgängen  im  Aargau  hat  sich  keine  neue  Salzquelle  mehr 
erschlossen,  obwohl  die  Nachforschungen  darnach  nicht  ganz  geruht  haben.  Solche 
fanden  statt  in  den  60er  Jahren  bei  Naglar  (Solothum)  und  in  neuerer  Zeit 
(Mitte  1889  noch  nicht  abgeschlossen)  bei  Bettingen,  Baselstadt. 

Von  früheren  Bohrstellen  sind  -^  nach  den  Berichten  kantonaler  Salz- 
verwaltungen —  noch  zu  erwähnen:  Siblingen  im  Kt.  SchafiPhausen  (1845), 
ohne  Erfolg;  Qranges  (50er  Jahre)  und  Bezirk  Harens  (zur  Zeit  der  Bischöfe 
von  Riedmatten)  im  Kt.  Wallis,  dort  wie  hier  ohne  Erfolg. 

Die  aargauischen  Salz  werke  sind  seit  1874  im  Besitze  einer  Aktiengesell- 
schaft, welche  vom  Staate  Aargau  bis  zum  Jahre  1907  konzessionirt  ist.  Sie 
steht  mit  den  Besitzern  der  Saline  Schweizerhalle  in  einem  Yereinsverhältniß, 
das  die  Ausschließung  verderblicher  Konkurrenz  und  gemeinsame  Bewerbung  um 
die  kantonalen  Salzlieferungsverträge  zum  Zwecke  hat.  Auf  Grund  dieser  Ab- 
machung liefert  jede  Saline  denjenigen  Theil,  der  ihrem  vor  der  Abmachung 
behaupteten  Absatzgebiet  entspricht.  Auch  dem  Ausland  gegenüber  wappneten 
sich  die  vereinigten  Bheinsalinen,  indem  sie  mit  auswärtigen  Salzwerken  Verträge 
abschlössen  in  dem  Sinne,  daß  diese  kein  Salz  nach  der  Schweiz  und  jene  kein 
Salz  nach  dem  Ausland  liefern  sollen.  Vorbehalten  blieb  nur  die  Bedienung  der 
Grenzgebiete.  Diese  Verträge  gehen  zwischen  1888  und  1892  zu  Ende.  In 
Folge  dessen  hat  denn  auch  bereits  Baselstadt  mit  dem  Salzwerk  Heilbronn  einen 
günstigen  Salzlieferungsvertrag  abschließen  können  und  haben  daraufhin  die  Rhein- 
salinen ihi'e  Preise  erheblich  reduzirt. 

Die  Gewinnung  des  Salzes  geht  in  Schweizerhalle  und  im  Frickthale  sehr 
einfach  vor  sich.  Durch  die  in  den  Boden  getriebenen  Bohrlöcher  wird  das  salzige 
Wasser  heraufgepumpt.  Hierauf  wird  es  in  großen  Bassins  verdampft,  wobei  das 
Salz  zurückbleibt. 

Die  Kantone  machen  ihre  Salzbezüge  wie  folgt: 

Aargau:  Aus  den  aargauischen  Salinen,  unentgeltlich.  Die  Konzessionäre 
haben  außerdem  seit  1886  jährlich  noch  eine  Abgabe  von  Fr.  45,000  in  Baar 
zu  leisten. 

Baselland:  Von  Schweizerhalle,  in  Form  des  Zehntens  (10  ®/o)  vom  Rein- 
ertrag des  Salzwerkes.  Wenn  dieser  Zehnten  den  Salzbedarf  des  Kantons  über- 
steigt, haben  die  Konzessionäre  den  Rest  in  Baar  zu  entrichten  (1888  Fr.  18,036). 

Baselstadt:  Von  Heilbronn;  Koch-,  Vieh-,  Tafel-,  Stein-  und  Meersalz. 

Bern :  Theils  aus  den  Rheinsalinen,  theils  aus  Frankreich ;  Koch-,  Düng-, 
Gewerbe-,  Tafel-  und  Meersalz. 

Genf:  Aus  Frankreich  und  aus  dem  Aargau ;   Koch-,  Tafel-  und  Gewerbesalz. 

Neuenburg :  Von  Salins  (Frankreich);  nur  Kochsalz. 

Tessin:  Das  raffinirte  Salz  von  den  Rheinsalinen,  das  unraffinirte  von  der 
italienischen  Regierung.  Bis  1873  bestand  in  Muralto-Locarno  eine  staatliche 
Salzraffinerie. 

Waadt:  Den  größten  Theil  aus  Bex,  einen  kleinen  Theil  aus  Frankreich; 
Koch-  und  Meersalz. 

Wallis :  Aus  Südfrankreich  das  Meersalz  (V^),  a^s  dem  Aargau  das  feine 
Salz  (Vs). 

Farrer,  Volkswirthschafts-Lexikon  der  Schweiz.  44 


Salz 


690     — 


Salz 


Zürich :  Aus  den  Rheiosalinen  das  Koch-,  Tafel-  and  Abgangsais ;  vom 
Salz  werk  Stetten- Hohen  zollern  das  Steinsalz. 

Sämmtliche  übrigen  Kantone:  Aus  den  Rheinsalinen. 

Der  Verkaufspreis  des  Kochsalzes  ist  in  den  deutsch -seh  weizerischen 
Salinen  Fr.  5—57«  per  100  kg;  letztes  Jahr  (1888)  Fr.  1  mehr. 

Folgende  Statistik,  auf  das  Jahr  1888  bezogen,  zeigt  summarisch  die  finan- 
zielle Seite  des  kantonalen  Salzmonopols : 


Verbrauch 

Verkaufspreia  de« 
Kochtalse«  per  q 

Beingewinn  aas 

dem  Salsmonopol 

Kanton 

Kochsalx 

anderes  *) 

Total 

p.Kopf  d.BeTkg. 

q 

q 

Fr. 

Fr. 

Fr, 

Aargau     . 

29,986 

10. 

245,105 

1.26 

App.  A.-Rh.  . 

5,450 

21 

11.50 

23,846 

—.44 

App.  I.-Rh. 

1,100 

16.  — 

4,969 

.38 

Baselland  . 

.       4,474 

4,699 

20.  — 

135,216 

2.  17 

Baselstadt 

.     12,996 

17,136 

20.  -- 

108,484 

1.46 

Bern    .     . 

.     84,908 

5,916 

20. 

1^024,601 

1.90 

Freiburg  .     . 

21,524 

606 

20.— 

253,727 

2.12 

Genf    . 

3,821 

9,181 

20. 

84,112 

—.80 

Grlarus 

3,656 

168 

20. 

40,470 

1.  19 

Graubünden 

.     12,950 

22.  20 

167,000 

1.73 

Luzern 

.     24,702 

1,059 

16.— 

215,907 

1.59 

Neuenburg 

.     11,587 

20. 

142,147 

1.30 

Nidwaldeu 

2,062 

12.— 

9,357 

—.75 

Obwalden 

2,377 

— 

18.— 

26,321 

1.75 

St.  Gallen 

.     26,573 

3,545 

12. 

103,804 

—.45 

Scn  äff  hausen 

4,927 

4 

10.— 

15,223 

.40 

Schwyz     . 

6,131 

839 

18. 

68,074 

1.35 

Solothum 

16,175 

402 

14. 

108,975 

1.27 

Tessin 

7,860 

3,961 

20.  — 

190,000 

1.50 

Thurgau    .     , 

16,043 

2 

12. 

57,990 

.55 

Uri      .     .      . 

3,014 

20.— 

34,988 

2.02 

Waadt       .      . 

.     30,921 

195 

20.  — 

365,400 

1.45 

Wallis       .      . 

12,981 

24. 

188,269 

1.85 

Zürich       .      . 

40,920 

16,935 

10.— 

126,000 

0.37 

Zug      .     .      . 

3,520 

106 

14.  — 

20,717 

—  .90 

390,658  64,775 


3^760,702 


Da  in  mehreren  Kantonen  das  Kochsalz  auch  zur  YiehfÜtterung  dient,  läßt 
sich  der  zur  menschlichen  Nahrung  verwendete  Theil  nicht  bestimmen. 

Nach  Angaben,  welche  im  Jahre  1882  die  kantonalen  Salzverwaltungen 
dem  Centralbureau  des  Salinenvereins  gemacht  haben,  werden  für  industrielle 
Zwecke  11,6  ^/o,  zur  Düngung  2,4  ®/o,  zur  menschlichen  und  thierischen  Nahrung 
86  "/o  des  gesammten  Salz  Verbrauches  verwendet. 

Die  Einfuhr  und  Ausfuhr  von  Salz  aller  Art  gestaltete  sich  seit  1850 
folgendermaßen : 


Einfuhr 

Ausfuhr 

1851/59 

durchschnittlich  per  Jahr 

157,433   q 

4,610  q 

1860/69 

T»                          n           n 

107,292    „ 

9,822   „ 

1870/79 

«                                         «                T» 

134,531    „ 

40,413    , 

1880/84 

«                          «           « 

119,683   „ 

18,849    „ 

1885/88 

n                           n           1» 

94,899   r, 

6,993   , 

Salz  —     691     —  Salz 

Zieht  man  vom  schweizerischen  Salzverbrauch  pro  1888  (455,433  q)  die 
auf  das  nämliche  Jahr  entfallende  Salzeinfuhr  (85,945  q)  ab  uod  addirt  man 
zum  Resultat  die  Ausfuhr  (6673  q),  so  ergibt  sich  der  ungefähre  Absatz,  den 
die  fünf  schweizerischen  Salinen  gehabt  haben,  nämlich  376,161  q.  Wir  sagen, 
der  , ungefähre**  Absatz,  denn  weil  Sahverbrauch  nicht  identisch  ist  mit  Salz- 
bezug,  so  läßt  sich  das  Absatzquantum  der  Salinen  nicht  genauer  berechnen. 
Nach   eigenen,    in  Druckschriften   niedergelegten  Angaben  der  Eheinsalinen 

betrug  ihr  Absatz   im  Jahre  1871 332,600   q 

«        .       1876 280,600  „ 

.        „      1877 259,350   , 

die  Produktion  aller  5  Salinen  i.  d.  Jahi-en  1880/83  je     418,755   . 

wovon  Bex  nur 5,3  ®/o 

„       Schweizerhalle 37,5    „ 

„       aargauische  Salinen 57,2^ 

Seitdem  ist  Baselstadt  mit  ca.  30,000  q  abgefallen,  so  daß  die  schweize- 
rische Salzproduktion  zunächst  kaum  400,000  q  erreichen  oder  überschreiten  wird. 

Anläßlich  der  Aargauer  Verfassungsrevision  von  1885  wurde  u.  A.  die 
Frage  aufgeworfen,  ob  die  Salinen  zu  verstaatlichen  seien.  Man  entschied 
sich  indeß  nur  für  eine  höhere  Besteuerung  der  Salinengesellschaft.  Während  sie 
vorher  nur  den  Salzbedarf  des  Kantons  unentgeltlich  zu  bestreiten  hatte  (ja 
anfänglich  und  bis  1872  nur  bis  zum  zehnten  Theil  der  Produktion),  wurde  ihr 
jetzt    auch  (von   1886  an)  eine  jährliche  Baarabgabe  von  Fr.  45,000  auferlegt. 

Keine  Verstaatlichung,  aber  doch  die  Unterstellung  der  Salzwerke  und  ihres 
Betriebes  unter  die  Oberaufsicht  des  Bundes  erstrebte  vor  bald  20  Jahren 
der  damalige  zürcherische  Kegierungsrath  Gottlieb  Ziegler.  Als  Mitglied  des 
National rathes  stellte  er  in  dieser  Kammer,  anläßlich  der  Berathungen  über  die 
Verfassungsrevision,  am  21.  November  1871  den  Antrag,  einen  Artikel  39  "* 
folgenden  Inhalts  in  die  Verfassung  aufzunehmen: 

„Der  Bund    wird    im  Wege   der  Gesetzgebung  allgemeine  Vorschriften 
für  den  Bergbau  aufstellen". 

Die  Begründung  dieses  Antrages,  soweit  dieselbe  im  Verhandlungsprotokoll 
des  Nationalrathes  wiedergegeben  ist,  lehrt,  daß  es  Herrn  Ziegler  hauptsächlich 
darum  zu  thun  war,  zu  verhüten,  daß  die  Salzgewinnungsgesellächaften  die  Kantone 
in  ihre  Gewalt  bekommen,  mit  andern  Worten,  daß  sie  den  letztern  nach  Belieben 
die  Salzpreise  diktiren  können. 

Die  Zeit,  da  ähnliche  Besorgnisse  mit  Recht  oder  Unrecht  von  neuem  auf- 
tauchen, mag  wiederkehren,  und  es  dürfte  alsdann  zur  willkommenen  Belehrung 
dienen,  was  wir  hienach  aus  den  Voten  Ziegler' s  und  seiner  Opponenten  wieder- 
geben. 

, Verschiedene  Kantone*,  sagrle  Herr  Ziegler  u.  A.,  , haben  sich  zunächst  aus  patrio- 
tischen Rucksichten  für  ihren  Salzbedarf  an  die  einheimischen  Salinen  gewendet  und 
zu  deren  Gunsten  auf  den  bisherigen  Bezug  des  Salzes  aus  dem  Ausland  verzichtet. 

„Die  Rheinsalinen  haben  aber,  nachdem  sie  meljr  und  mehr  zur  Kraft  gelangt, 
sich  koalisirt  und  mit  den  benachbarten  auswärtigen  Salzverwaltungen,  namentlich  mit 
der  französischen  Ostgesellschaft,  mit  Baden,  Württemberg  und  Bayern  Verträge  ab- 
geschlossen, um  der  Schweiz  diese  Bezugsquellen  zu  verschließen  und  die  Kantone  zu 
zwingen,  ihr  Salz  ausschließlich  von  den  inländischen  Salinen  zu  beziehen.  Nachdem 
es  den  Rheinsalinen  auf  diese  Weise  gelungen,  sich  ein  Monopol  zu  schaffen,  haben  sie 
ihre  bisherige  Haltung  gegenüber  den  einheimischen  Abnehmern  total  geändert:  sie 
haben  mit  dem  Preise  aufgeschlagen  und  die  bisherigen  Konventionalstrafen  für  nicht 
gehörige  Lieferung  einfach   wegdekretirt.    Hiedurch   ist  den  schweizerischen  Kantonen 


Salz  —     692     —  Salz 

eine  eben  so  demüthigende  als  nachtheilige  Stellung  bereitet  worden.  Der  materielle 
Schaden,  auf  die  ganze  Schweiz  berechnet,  darf  auf  wenigstens  V'  Million  Franken 
jährlich  veranschlagt  werden,  sofern  man  erwägt,  daß  die  lothringischen  Salinen  den 
Zentner  rafßnirten  Salzes  zu  Fr.  1,  Baden  zu  Fr.  1.  26  verkauften,  während  letzteres 
sowohl  als  Württemberg  den  Zentner  an  die  Schweiz  zu  Fr.  1.  15  zu  liefern  im  Stande 
wären,  wenn  die  Rheinsalinen  es  nicht  verstanden  hätten,  eine  solch'  unbequeme 
Konkurrenz  zu  beseitigen  und  damit  die  Kantone  in  erheblichem  Maße  zu  schädigen. 
Neue  mit  dem  Auslande  angeknüpfte  Verbindungen  sind  durch  das  Dazwischentreten 
der  diesseitigen  Salinenverwaltungen  wieder  zu  nichte  gegangen  und  es  ist  daraus 
einem  einzelnen  Kanton  allein  ein  jährlicher  Schaden  von  Fr.  40—50,000  zugefügt  worden. 
Ein  solcher  Zustand  erscheint  eben  so  unerträglich  als  unwürdig.  Im  Gefolge  desselben 
steht  der  Salzpreis  um  etwa  Fr.  1  per  Zentner  höher,  als  wenn  auf  dem  Boden  der 
Konkurrenz  gearbeitet  werden  könnte.  Läßt  man  unter  Beseitigung  des  jetzigen  Quasi- 
monopols eine  wirkliche  Konkurrenz  eintreten,  so  werden  gleichwohl  die  Salinen,  welche 
17 — 60  7o  verdienen,  ferner  bestehen,  wenn  sie  sich  gehörig  einrichten." 

Den  aargauischen  und  basellandschaftlichen  Mitgliedern  des  National rathes 
kam  diese  Kritik  ihrer  Salinen  angelegen.  Sie  wußten,  daß  ihre  Kantone  aus 
den  Salinen  einen  schönen  Nutzen  zogen  (in  Form  des  Zehntens)  und  daß  dieser 
dahinfallen  könnte,  wenn  dem  Ziegler'schen  Antrage  Folge  gegeben  würde.  Sie 
suchten  daher  darzuthun,  einerseits,  daß  der  Salzring  der  Schweiz  nicht  schade, 
und  anderseits,  daß  die  von  Herrn  Ziegler  geforderte  Konkurrenz  immer  noch 
vorhanden  sei. 

Einer  der  Redner  machte  bei  diesem  Anlasse  folgende  Mittheilungen  über 
die  Salzpreise:  Bis  1867  bezahlte  der  Aargau  für  das  Salz  des  eigenen  Bodens 
per  Zentner  Fr.  2.  90  mit  Fracht  und  Fr.  2.  41V2  ohne  Fracht.  Die  andern 
Kantone  bezahlten  Fr.  2.  90 V2  resp.  Fr.  2.  41.  Seit  1870  stelle  sich  der  Preis 
für  den  Aargau  auf  Fr.  2.  70  mit  Fracht  und  auf  Fr.  2.  22  ohne  Fracht,  für 
zehn  der  übrigen  Kantone  durchschnittlich  auf  Fr.  2.  76  mit  Fracht  und  für 
den  Kanton  Zürich  auf  Fr.  2.  09  ohne  Fracht. 

Mit  diesen  Preisen  war  ohne  Zweifel  das  Kochsalz  gemeint,  das  nach  Mit- 
theilungen der  Kantone  im  Jahre   1888  Fr.  o.  80 — 6.  00  per  Sack  von  100  kg- 
kostete  =  Fr.  2.  90 — 3.  00  per  Zentner,  wie  1867.     Mit  dem  jetzigen  Preise 
(1889)  von  Fr.  5.  — ,  fast  oder  ganz  franko  Fracht,  ist  ungefähr  das  Verhältniß 
von  1870/71  wieder  hergestellt. 

Der  Ziegler'sche  Antrag  wurde  für  einmal  in  folgender  erweiterter  Fassung 
mit  56  gegen  47  Stimmen  angenommen  ; 

„Der  Bund  wird  im  Wege  der  Gesetzgebung  allgemeine  Vorschriften  für  den 
Bergbau  aufstellen,  unter  Beobachtung  der  im  Artikel  30  gegenüber  der  Handels- 
und Gewerbefreiheit  gemachten  Vorbehalte  bezuglich  des  Ertrages*, 

aber  schon  am  folgenden  Tage  reute  es  wieder  Mehrere,  Ja  gesagt  zu  haben> 
und  mit  der  Motivirung,  daß  man  die  Abstimmung  mehr  als  Erheblichkeits- 
erklärung  aufgefaßt  habe,  kündigte  man  Wiedererwägung  des  Gegenstandes  an. 
Diese  erfolgte  wirklich  am  15.  Januar  1872  und  führte  zur  definitiven  Ab- 
lehnung. Herr  Ziegler  selbst  beharrte  nicht  mehr  auf  einer  Regulirung  der 
Bergwerksfrage  durch  den  Bund,  weil  ihm  die  Abgeordneten  von  Aargau  und 
Baselland  erklärt  hatten,  daß  ob  jener  in  ihren  Kantonen  die  Bundesrevision 
sicher  scheitern  würde.  Der  mit  Herrn  Ziegler  befreundete  Geologe  Desor  aus 
Neuenburg  deckte  den  Rückzug.  Er  hielt  Heerschau  über  sämmtliche  Zweige 
des  sog.  Bergbaues,  und  da,  abgesehen  von  der  Salzgewinnung,  von  Bergbau  in 
der  Schweiz  wirklich  kaum  gesprochen  werden  kann,  war  es  ihm  leicht,  zu  der 
Schlußfolgerung  zu  gelangen,  „daß  der  Mineralreichthum  in  der  Schweiz  nicht 
bedeutend  genug  sei,  um  Gegenstand  der  Bundesgesetzgebung  zu  werden**. 


Salz  —     693      —  Sak 

Die  BefÜrcbtangen  wegen  zu  hoher  Salzpreise  wurden  bei  einem  großen 
Theile  der  Volksvertreter  zerstreut  durch  die  Thatsache,  daß  einen  Mouat  vorher 
(im  Dezember  1871)  zwischen  dem  Kanton  Aargau  und  den  aargauischen  Salinen 
ein  Vertrag  abgeschlossen  worden  war,  durch  welchen  letztere  sich  verpflichtet 
hatten,  bei  künftigen  Vertragsabschlüssen  weder  von  den  Kantonen,  noch  von 
andern  schweizerischen  Abnehmern  mehr  als  Fr.  1.  75  für  den  Zentner  Kooh- 
oder  Viehsalz,  unverpackt  im  Salinenmagazin  genommen,  zu  fordern.  Auch  war 
den  Salinen  aufgetragen,  sich  in  die  Lage  zu  setzen,  jederzeit  den  Salzbedarf 
der  Schweiz  vollständig  decken  zu  können. 

Dieser  Vertrag  war  lediglich  die  Folge  des  Vorgehens  des  Herrn  Ziegler  in 
der  Bundesversammlung,  und  somit  hatte  dieser  indirekt  doch  einen  Theil  dessen 
erreicht,  was  er  angestrebt  hatte.  Gleichwohl  gab  er  sich  nicht  zufrieden.  Herr 
Ziegler  wollte  durchaus  seinen  Heimatkanton  von  den  schweizerischen  Salinen 
unabhängig  machen  und  ihm  gleichzeitig  zu  billigem  Salz  verhelfen.  Ein  Komplex 
Land  im  aargauischen  Salzrevier  (das  172  Stunde  in  der  Länge  und  1  Stunde 
in  der  Breite  einnimmt)  war  schon  vor  einiger  Zeit  angekauft,  um  darauf  eine 
Saline  für  den  Kanton  Zürich  zu  errichten.  Da  indessen  die  Regierung  von  Aargau 
die  Konzession  verweigerte  und  der  Appell  an  die  Bundesversammlung,  wie  wir 
oben  gesehen,  resultatlos  war,  richtete  Herr  Ziegler  sein  Augenmerk  auf  das 
Ausland.  Er  veranlaßte  die  Gründung  einer  neuen  Saline  in  Miserey,  Frank- 
reich, und  bewog  diese,  dem  Kanton  Zürich  das  nötbige  Salz  zum  Selbstkosten- 
preis zu  liefern  unter  der  Bedingung,  daß  der  Kanton  Zürich  sich  in  einem 
gewissen  Maße  finanziell  an  dem  Unternehmen  betheilige.  Dies  geschah  und 
Zürich  erhielt  sein  Salz  von  1874  an  nicht  mehr  aus  den  Rheinsalinen,  sondern 
von  Miserey.  Wie  bei  jedem  üebergang  die  Gewohnheit  eine  gewisse  Rolle  spielt, 
so  auch  bei  diesem  neuen  Salz,  das  noch  nicht  auf  Vollkommenheit  Anspruch 
machen  konnte  und  somit  nicht  durchweg  befriedigte.  Außerdem  bediente  sich 
Miserey  eines  geringen  Verpackungsmaterials,  so  daß  auf  dem  Transport  durch 
Berührung  mit  andern  Waaren  Verunreinigungen  des  Salzes  vorkamen.  Die 
Reklamationen  Zürichs  hatten  zur  Folge,  daß  Miserey  die  Rheinsalinen  1878 
bewog,  wiederum  die  Salzlieferungen  an  den  Kanton  Zürich  zu  übernehmen, 
jedoch  zu  den  nämlichen  Preisen,  um  welche  Miserey  zu  liefern  verpflichtet  war. 
Die  Rheinsalinen  gingen  auf  diese  Bedingungen  für  die  Dauer  von  10  Jahren 
ein  und  es  ist  wahrscheinlich,  daß  sie  Miserey  gegenüber  selbst  eine  gewisse 
Vergütung  zu  leisten  tibernahmen.  Der  Kanton  Zürich  seinerseits  hatte  keinen 
Grund,  sich  gegen  jenes  Arrangement  aufzulehnen;  er  acceptirte  es  unter  dem 
Vorbehalte,  daß  Miserey  sich  keineswegs  seinen  Verpflichtungen  gegenüber  Zürich 
als  entbunden  erachte,  sondern  jederzeit  wieder  auf  Verlangen  dieselben  zu  er- 
füllen habe.    Miserey  war  mit  dieser  Auffassung  einverstanden. 

Nach  Ablauf  jener  10  Jahre  (1888)  wurde  das  Verhältniß  unter  Zustimmung 
aller  drei  Kontrahenten  für  weitere  10  Jahre  erneuert  und  dabei  der  Preis  per 
Sack  (^102  kg)  von  Fr.  5.  10  franko  Magazine  Zürich  und  Winterthur  auf 
Fr.  4.  45  franko  nicht  nur  nach  denselben  Magazinen,  sondern  auch  nach  den 
übrigen  18  in  Eisenbahnstationen  eingerichteten  Niederlagen,  herabgesetzt,  was 
dem  Kanton  eine  weitere  Erspar niß  von  Fr.  28 — 30,000  jährlich  einbrachte. 
Nach  Ablauf  des  Vertrages  tritt  Miserey  wieder  in  die  ursprüngliche  Obligation 
ein ;  es  haftet  subsidiär  auch  für  richtige  Lieferung  durch  die  Rheinsalinen. 

So  besitzt  der  Kanton  Zürich,  Dank  der  einsichtigen  und  energischen  Für- 
sorge eines  seiner  frühern  Regierungspräsidenten,  vortreffliche  Salzverhältnisse,  und 
gleichzeitig    ist  dem  Volke  eine  sehr  bedeutende  jährliche  Ersparniß  erwachsen. 


Salz  -.      694     —  Samen 

Das  Obligatiooenkapital  von  Fr.  200,000,  mit  welchem  sich  der  zürcherische 
Fiskus  an  der  Gründung  von  Miserey  betheiligte,  ist  stets  zu  5  ^/o  verzinst  und 
anno  1885  zurlickbezahlt  worden.  Diese  Rückzahlung  blieb  vertragsgemäß  ohue 
Einfluß  auf  die  Verpflichtung  der  Saline  Miserey,  dem  Kanton  Zürich  um  die 
Fabrikationskosten  im  engern  Sinne,  plns  52  Ep.  per  100  kg  für  Verzinsung, 
Administration,  Reparatur  und  Amortisation,  das  Salz  zu  liefern,  welche  Ver- 
pflichtung, so  lange  Zürich  daran  festhält  und  davon  Grebrauoh  macht,  eine  fort- 
dauernde ist. 

Samen,  Samenkon trolstation.  In  größerm  Maßstabe  wird  die  Samen- 
zucht nur  von  einigen  Handelsgärtnern  betrieben.  Viele  Landwirthe  ziehen  für 
ihren  Eigenbedarf  die  nöthigsten  Gremüse-  und  Grarsaaten.  Das  üebrige  kommt 
aus  dem  Auslande  (1888  für  Fr.  1733,800  gegen  Fr.  111,395  Ausfuhr). 

Seit  1876  besteht  eine  Samen kon trolstation.  Von  Dr.  Stehler  als  Privat- 
institut gegründet,  wurde  dieselbe  am  1.  Januar  1878  Annexanstalt  des  eidg. 
Polytechnikums  und  kam  dadurch  unter  die  Obhut  des  Bundes  (Bundesbeschluß 
vom  17.  März  1877  betr.  die  Errichtung  einer  Centralstelle  für  landwirthschaft- 
liche  Untersuchungen  und  Reglement  vom  20.  September  1877).  Zweck  der 
Station  ist,  durch  Untersuchung  von  Samenmustem  sowohl  den  Verkäufer,  als 
den  Käufer  über  den  Werth  seiner  Waare  zu  unterrichten.  Zur  Untersuchung 
sind  mindestens  erforderlich:  von  Gräsern  40  g,  von  Klee-  und  ähnlichen  Samen 
100  g,  von  Getreide,  Mais,  Esparsette  u  dgl.  250  g.  Die  eingesandten  Proben 
werden  innerhalb  2  Tagen  bezüglich  Reinheit  etc.  vorläuflg  begutachtet ;  das 
endgültige  Gutachten  folgt  nach  beendigter  Keimung,  bei  Hanf  nach  6  Tagen, 
bei  Rothklee,  Lucerne,  Getreide  u.  dgl.  nach  10,  bei  Esparsette,  den  feinen 
Kleearten,  den  Raygräsern,  Timothe,  Wiesenschwingel  n.  dgl.  nach  12,  bei  den 
feinen  Grassamen,  den  meinten  Nadelhölzern  nach  20  Tagen.  Mit  der  Station 
stehen  viele  Samenhandlungen  im  Vertragsverhältuiß.  Diese  Handlungen  („Kontrol- 
firmen**)  sind  verpflichtet,  dem  Land-  und  Forst wirth  für  bestimmte  Prozente  der 
Reinheit  und  Keimfähigkeit  und  bei  Kleesamen  für  Reinheit  von  Kleeseide  (Cuscuta) 
Garantie  zu  leisten.  Unter  „Reinheit"  ver^iteht  man  den  Prozentsatz  der  in  einer 
Waare  enthaltenen  reinen  Samen  nach  dem  Gewicht,  unter  „Keimfähigkeit**  den 
Prozentsatz  dieser  reinen  Samen,  welche  keimen  (nach  der  Zahl).  Läßt  der  Käufer 
ein  vorschriftsgemäß  gezogenes  Muster  nachuntersuchen  und  ergibt  sich,  daß  der 
Prozentsatz  der  reinen  und  keimfähigen  Samen  mehr  als  5  ®/o  hinter  der  Garantie 
zurückbleibt,  so  hat  der  Lieferant  diese  Ueberschreitung  der  Latitude  haar  zu 
vergüten,  wenn  der  Käufer  es  nicht  vorzieht,  die  Waare  zurückzugeben.  Eine 
garantirt  kleeseid efreie  Waare  kann  vom  Käufer  unter  Anspruch  von  5  ^/o  Ent- 
schädigung ebenfalls  zurückgegeben  werden,  wenn  sich  dieselbe  bei  der  Nach- 
untersuchung als  kleeseidehaltig  herausstellt.  Die  vom  Käufer  zur  Nachunter- 
suchung bestimmten  Muster  sind  innerhalb  8  Tagen  nach  Empfang  der  Waare 
vor  unparteiischen  Zeugen  zu  entnehmen  und  mit  dem  mitgebrachten  Siegel  eines 
Zeugen  sofort  zu  versiegeln.  Reklamationen  sind  innerhalb  8  Tagen  nach  Empfang 
des  von  der  Station  ausgestellten  definitiven  Gutachtens  zu  erheben.  Die  meisten 
Kontroifirmen  gestatten  dem  Käufer  bei  Abnahme  von  20,  25  bis  100  kg  einer 
Samensorte  eine  unentgeltliche  Nachuntersuchung  bei  der  Samenkontrolstation. 

Die  Zahl  der  untersuchten  Proben  betrug  1876/77  406,  1880/81  1465, 
1883/84  1883,  1887/88  3150.  Nach  der  Zahl  der  jährlichen  Untersuchungen 
ist  die  Schweiz.   Samenkontrolstation  die  größte  derartige  Anstalt. 

Die  Samenkontrolstation  besitzt  Versuchsfelder  bei  Zürich,  auf  der  Pfahlbaute 


Samen  —     695     —  St.  Gallen 

in  Bobenhausen  am  Pfäffikersee  and  auf  der  FUrstenalp  (1782  m  ü.  M.)  ob 
Trimmis,  Et.  (^raabündeo. 

Sammetweberei.  Die  S.  wurde  in  den  40er  und  50or  Jahren  im  Kanton 
Zürich  einigermaßen  betrieben,  scheint  dann  aber  schon  Anfangs  der  60er  Jahre 
gänzlich  erloschen  zu  sein.  Niemand  verstand  mehr  die  Fabrikation  von  Sammet, 
ab  dieselbe  Anfangs  der  80er  Jahre  von  der  Firma  J.  Schwarzenbach-Landis  in 
Thal  weil  angesichts  der  Stagnation  der  zürcherischen  Seidenweberei  und  der 
günstigen  Konjunktur  für  Sammet  versuchsweise  wieder  eingeführt  wurde.  Die 
zürcherische  Seiden  webschule  war  andern  Fabrikanten  behülflich,  den  neuen 
Artikel  ebenfalls  an  die  Hand  zu  nehmen.  Sie  ließ  zn  diesem  Zwecke  einen 
geschickten  Arbeiter  aus  Crefeld  kommen;  auch  schaffte  sie  für  sich  selbst  vier 
Handwebstühle  und  einen  mechanischen  Webstuhl  an,  der  vier  Stücke  Sammet 
zugleich  wob.  An  der  Landesausstellung  in  Zürich  (1883)  fignrirten  bereits 
Sammetstoffe  und  Peluche,  welche  in  zürcherischen  Bauernstuben  gewoben  worden 
waren. 

St.  Bernhards-Strasse.  Im  Jahre  1853  wurde  zwischen  den  Begierungen 
der  Kte.  Wallis  und  Waadt  einerseits  und  dem  damaligen  Königreich  Sardinien 
anderseits  ein  Vertrag  abgeschlossen,  welchem  zufolge  eine  Fahrstraße  gebaut 
werden  sollte  von  Martigny  Über  den  großen  St.  Bernhard  nach  Aosta.  Die 
Kosten  der  schweizerischen  Strecke  waren  auf  Fr.  943,700  veranschlagt,  wovon 
Fr.  200,000  für  die  angefangene  Strecke  Martigny-St.  Pierre  (an  welche  von 
Wallis  bereits  Fr.  400,000  verausgabt  worden),  Fr.  250,000  für  die  Strecke 
von  St.  Pierre  bis  zur  Einmündung  in  den  Tunnel  im  Col  de  Menouve  und  der 
Best  für  den  Tunnel  selbst.  Der  Bund  verpflichtete  sich  zu  einem  Beitrag  von 
Fr.  300,000,  laut  Bundesbeschluß  vom  21.  Juli  1854  (A.  S.  Bd.  IV,  p.  265). 
Der  Bau  kam  aber  nicht  zur  Ausführung  und  wurde  im  Jahre  1860  definitiv 
aufgegeben,  da  die  Bedeutung  einer  Straße  über  den  St.  Bernhard  durch  die 
veränderte  Situation  in  Italien  eine  wesentlich  andere  geworden.  Das  vollendete 
Straßenstück  von  Martigny  bis  zur  Cantine  von  Proz,  in  den  Jahren  1830  bis 
1855  gebaut,  43  km  lang  und  4,2 — 6  m  breit,  hatte  einen  Kostenaufwand  von 
Fr.  850,000  erfordert. 

Sanct  Gallen,  Kanton.  Areal  2019  km^  =  4,9  7o  des  gesammten  Flächen- 
inhaltes der  Schweiz. 

Bevölkerung: 
1837  :     158,853  Einwohner  =  7,25  ®/o  der  gesammten  Bevölkerung  der  Schweiz. 
1850:     169,625  „  =7,09   «      .  „  n  n  . 

1860:     180,411  ,  =7,18   ,      „  ,  n  n  n 

1870:     191,015  ,  =7,16   „      ,  .  «  «  „ 

1880:     210,491  „  =7,40  «      «  «  .  .  n 

1888:     229,367  „  =7,82   ,      ,  „  n  n  . 

Erwerbsthätige  Personen  (für  die  Zeit  vor  1860  sind  dem  Lexikon 
keine  amtlichen  Erhebungen  bekannt,  diejenigen  von  1888  sind  im  Moment  der 
Drucklegung  dieses  Artikels  noch  nicht  abgeschlossen): 

1860 :       86,379  =  47,9  7o  d.  Kantonsbev.  od.  8,0  7o  all.  Erwerbsth.  d.  Schweiz. 
1870:       90,836  =  47,5   „    ,  „  ,    7.7   „     ,  ,  ,        , 

1880:     104,215  =  49,5   ,     „  ,  ,    8,0   ,     ,  „  ,        . 

1888 :  0 

*)  Der  Raum  mag  später,  wann  die  Resultate  bekannt  sind,  von  den  Besitzern 
des  Lexikons  handschriftlich  ausgefüllt  werden. 


St.  Gallen 


—     696     — 


St.  Gallen 


Von  den  erwerbstbätigen  Personen  entfallen  auf  die  Haupterwerbsgrappen : 

jj  Verwaltung,         PanOnL 

.^i^  u«j  Industrie  Handel  Verkehr       Wiaieniohaften        Dienst- 

produktion ^^  KünMUi       leistungen 

1860:  absolut  34933  41890  4484  1510  2592      970 

7o  40,4  48,5  5,2     1,7  3,0      1,1 

1870:  absolut  34632  45237  5467  1732  2748  1020 

7o  38,2  49,8     6,0     1,9  3,0      1,1 

1880:  absolut  31405  58507  7506  2762  2765  1270 

7o  30,1  56,1      7,2      2,7  2,7      1,2 

1888 : 0 

Obige  Zahlen  beweisen:  1)  daß  im  Et.  St.  Gallen  die  Erwerbstbätigkeit 
vollauf  Schritt  hielt  mit  der  Erwerbstbätigkeit  in  der  übrigen  Schweiz;  2)  daß 
Industrie,  Handel  und  Verkehr  in  erstaunlicher  Progression  gewachsen  sind  im 
Zeitraum  1870/80;  3)  daß  die  Urproduktion  mit  der  Zeit  einige  Tausend  Hände 
entbehren  konnte  —  leicht  erklärlich  dadurch,  daß  einerseits  der  Boden  nicht 
vermehrbar  ist  und  anderseits  die  vervollkommneten  Arbeitswerkzeuge  ihren  Dienst 
im  st.  gallischen  Acker  eben  so  gut  gethan  haben  werden  wie  anderwärts.  Die 
nämliche  Erscheinung  tritt  übrigens  in  allen  großindustriellen  Kantonen  zu  Tage. 

Noch  allgemeiner  als  im  Kt.  St.  Gallen  ist  die  Betheiligung  an  der  Industrie 
nur  in  sechs  Kantonen.  Es  widmeten  sich  nämlich  derselben  am  1.  Dez.  1880 
von  je  1000  erwerbsthätigen  Personen:  In  Appenzell  A.-Bh.  721,  im  Kt.  Glarus 
682,  in  Baselstadt  631,  im  Kt.  Neuenbürg  606,  in  Appenzell  I.-Rh.  598,  in 
Baselland  569,  im  Kt.  St.  Gallen  561. 

Handel,  Industrie  und  Kleingewerbe. 

Folgende  Gruppirung  umfaßt  diejenigen  unter  diese  Bubrik  zählenden  Berufs- 
arten, welchen  zur  Zeit  der  eidg.  Volkszählung  von  1880  Y2  ®/o  und  mehr  aller 
erwerbsthätigen  Personen  des  Kantons  oblagen. 

-,         .  »/o  aUer  «/o  der  Dämlichen 

Erwerb«r-welg  *'r^JJ""""  Erwerbsthätigen     Berufskategorie 

iiiaiige  j^^  Kantona       d.  gan«en  Schwei« 

Stickerei 20696  19,9  56,4 

Baumwollindustrie,  ohne  Stickerei    .  10103  9,7  24,0 

Handel,  eigentlicher 4670  4,5  8,4 

Weißnäherei 3429  3,3  12,6 

Gasthaus-  und  Wirthschaftsge werbe .  2252  2,2  7,4 

Schuhmacherei 1912  1,8  6,4 

Schreinerei  und  Glaserei    ....  1892  1,8  9,1 

Schneiderei 1716  1,6  4,9 

Seidenindustrie 1688  1,6  2,7 

Zimmermannsgewerbe 1636  1,6  9,1 

Bäckerei 1165  1,1  10,0 

Maurerei  und  Gypserei      ....  1138  1,1  5,3 

Wascherei  und  Glätterei   ....  989  1,0  6,8 

Metzgerei .      .     .     .  850  0,8  9,7 

Maschinen-  und  Mühlenbau     .      .     .  839  0,8  8,5 

Bleicherei  und  Appretur    ....  672  0,6  32,0 

Mullerei 617  0,6  8,0 

Schmiedehand  werk 539  0,5  5,5 

^)  Der  Raum  mag  später,  wann  die  Resultate  bekannt  sind,  von  den  Besitzern 
des  Lexikons  handschritllich  ausgefüllt  werden. 


St.  Gallen 


697      — 


St.  Gallen 


17379  Arb. 

10546  , 

3666  , 

1719  , 

271  , 

16  . 

737  , 

177  , 

257  , 


714  Etabl.     5300  Pf. 


Fabriken. 

In  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  1889  waren  dem  sohweiz.  Fabrikgesetz  ca. 
21,000  Arbeiter  in  859  Etablissementen  unterstellt.  Mechafüsche  Betriebskraft 
der  letztern  =  ca.  8000  Pferdekräfte,  wovon  ca.  ^jz  Wasser,  öa.  '/*  Dampf, 
30  Gas.  (Die  vielen  ?  in  diesem  Abschnitte  erklären  sich  dadurch,'  daß  das 
eidg.  Fabrikregister  zur  Zeit,  als  dasselbe  für  diesen  Artikel  benützt  wurde,  eine 
gewisse  Anzahl  unvollständiger  Angaben  enthielt.  Die  Aufnahtne  des  Fäbriketats 
hatte  erst  kürzlich  vorher  stattgefunden.) 

Die  am  stärksten  vertretenen  Industriezweige  sind: 

1)  Die  Baumwollindustrie  und  ihre 

Hülfsindustrien 

wovon  Stickerei 

Weberei 

Spinnerei 

Zwirnerei . 

Zettlerei  imd  Schlichterei     .    .    . 
Bleicherei,  Appretur,  Sengerei .     . 

Färberei 

Druckerei 

2)  Die  Metallindustrie 1238 

3)  Die  Seidenindustrie 534 

Die  übrigen  Industrien  weisen  auf.    ...      1725 

Die  Stickerei  vertheilt  sich  auf  folgende  81  Gemeinden: 

Arb.        Etabl.        Pf.  Arb 


619 

26 

12 

21 

1 

26 

6 

2 

22 

6 

117 


Straubenzell 

Degersheim 

Goßau 

Gaiserwald 

Flawyl     . 

Mogeisberg 

Altstätten 

Tablat      . 

St.  Gallen 

Witten  bach 

Buchs 

Kirchberg 

Rbeineck 

Oberriet   . 

Rorschach 

Quarten   . 

Bütschwyl 

Kappel     . 

Oberhelfenschwyi 

Henau 

Waldkirch 

Diepoldsau 

Oberuzwyl 

Jonschwyl 

Au 

Balgach   . 

Kebstein  . 


587 
506 
501 
480 
426 
403 
400 
379 
307 
290 
275 
268 
259 
243 
234 
211 
207 
179 
175 
169 
166 
161 
152 
152 
135 
133 
131 


14 
22 
24 
17 
26 
27 
29 
21 
17 

1 

6 
25 
11 
14 

3 

8 
10 

9 
10 
12 
13 
12 

6 
10 

9 
12 
10 


24 


16 

12 

19 

? 


8 

? 
4 


29 
7 

16 


6 

8 

13 


Sennwald 

Ebnat 

Sevelen    . 

Grabs 

Wartau    . 

Krummenau 

Marbach  . 

St.  Margrethen 

Mosnang  . 

Hemberg 

Berneck  . 

Thal  .     . 

Wyl   .     . 

Zuzwyl 

Wallenstadt 

Brunnadern 

Widnau   . 

Rüthy      . 

Wattwyl 

Peterzeil . 

Niederbüren 

Häggenschwil 

Garns  . 

Eichberg 

Goldach  . 

Benken     . 

Bronschhofen 


127 
122 
113 
111 
108 
101 
95 
90 
87 
86 
86 
82 
79 
79 
78 
78 
77 
70 
70 
65 
61 
59 
58 
57 
56 
56 
50 


ca.  300 

1347 

2736 

284 

6 

489 

108 

65 

416 

83 

1968 


Etabl. 

10 
9 
4 
9 
7 

10 
8* 
6 
8 

10 
7 
5 
7 

10 
1 
5 
9 
3 
5 
5 
6 
3 
8 
5 

1 
4 


1 


pt 


8 

12 
5 

8 


4 

IV« 


st  Gallen 

.     698     — 

St.  Gallen 

Arb. 

EUbl. 

Pf. 

Arb. 

Etabl.        Pf. 

Lütisburg 
Mörschwyl    . 
Niederhelfenschis 
Vilters     .     .     . 

.     .       50 
.     .       50 
vj\        49 
.     ,       48 

5 
5 
7 
4 

V« 

Wild  haue      .     •     . 
Steinach  .     .     .     , 
JBsctietiinicii  . 
Mnolen     .     .     .     . 

28 
fl 
26 
24 

4 

2        10 

2 

4 

Neßlau    .     .     . 

.     .       47 

3 

Alt-St.  Johann  .     , 

21 

Jona  .     .     .     , 
Andwyl  . 
Oberbtiren     .     . 

.       46 
.       44 
.       43 

1 
3 
6 

Goldingen 

Gommiswald 

Ernetswil 

20 
16 
14 

üntereggen  . 
Ealtbrnnn     .     . 
Stein  .      .     .     . 
Lichtensteig  .     . 
Ganters  wyl   . 

.     .       42 
41 

.       39 
.     .       37 
.     .       31 

.       28 

5 
4 
3 
1 
3 
2 

Schännis  .     .     .     , 
Rapperswil    . 
Maseltrangen 
Sargans    .     .     .     . 
Mels   .... 

13 

10 

.       10 

6 

6 

2 

Eggersried    . 

lO.Siiß 

filQ   9997 

In  Bezag  auf  die  mechanischen  Betriebskräfte  (227  Pf.,  wovon  130  Wasser , 
95  Dampf,  2  Gas)  ist  zu  bemerken,  daß  solclie  nur  bei  den  Schifflimaschinen- 
stickereien  und  bei  den  Kettenstichstickereien  angegeben  sind.  Als  Schifflimaschinen- 
Stickereien  sind  nur  42  Etabl.  mit  800 — 900  Arb.  und  199  Pf.  bezeichnet,  als 
Eettenstichstickereien  nur  5  Etabl.  mit  224  Arb.  und  28  Pf.,  nämlich : 

Schifflitnaschinensiickereien : 


1  Rorschach  . 

4  Diepoldsau 

3  St.  Gallen  .      .     . 

1  Straubenzell     . 

5  Altstätten   . 

2  St.  Margrethen 
1  Rebstein 

1  Oberhelfenschwyl  . 

2  Krummenau     . 

1  Henau    .      .      .      . 

2  Quarten 

1  Goßau   .     .      .      . 

2  Mörschwyl 
1 


mit  189  Arb. 

n  94      „ 

.  76  „ 

n  50  , 

n  50  , 

r,  42  , 

.  34  „ 

«  31  „ 

n  27  , 

n  24  „ 

r,  23  , 

«  22  , 

.  22  , 

•  20  . 


1  An       .... 

1  Marbach  .     .     . 

1  Steinach    .     .     . 

2  Balgach  .  .  . 
1  Rheineck  . 

1  Niederhelfensch  wyl 

1  Brunnadem    . 

2  Sennwald  .  . 
2  Gams  .... 
1  Bern  eck    . 

1  Tablat       .     .      . 

1  Grabs  .... 


mit 


18  Arb 

18      « 

17      . 

17?   , 

12?   „ 

10      . 

9      . 

9?  „ 

8?  , 

6       n 

?      . 
?      . 


42 


828? 


mit 


Elawyl „ 

Kettenstichstickereien : 
1   Straubenzell     .      .      .    mit  151  Arb. 
1   Tablat ^       34      ^ 

Die  Baumwollweberei  umfaßt: 
17  Buntwebereien mit  2900  Arb.,   1063  Pf.,   in  17  Gemeinden, 


1  Rheineck 

2  Oberriet 


29  Arb. 
10      , 


2   Plattstichwebereien 

1   Tüllweberei  .      .     .      .      . 

6  andere  Baum  Wollwebereien 

Buntwebereien : 


1  Wallenstadt 

1  BütKchwyl 

1  Wartau 

1  Henau  . 

1  Lichtensteig 


383  Arb.  130  Pf. 

318   „  150  „ 

263   „  80  ^ 

257   ,  50  „ 

236   «  130  « 


51 

12 

703 

1 
1 
1 
1 
1 


2 
? 
282 


Rorschach, 
5  Gemeinden. 


Altstätten  . 
Wattwil  . 
Oberuzwyl 
Ebnat  .  . 
Kappel 


208  Arb. 
205   „ 
176   „ 
154  , 
151   . 


90  Pf. 
75  , 
40  , 
50  . 
60  . 


St.  Gallen 


—     699     — 


St.  Grallen 


1  Wyl     . 

1  Peterzeil 

1  Eircliberg 

1  Erinaa . 


132  Arb. 
121      . 

^     ,. 

74     . 


35  Pf. 
80    , 
25    „ 
1J2    . 


1 
1 
1 


Gkmterswyl 

Erammenaa 

Degersheim 


17 


67  Arb.  20  Pf. 

38      „  10    , 

26      ,  6    , 

5900  Arb.  1063  Pf. 


Platistichwebereien : 
1   Fla  wyl,  ohne  Motor,  39  Arb  ;   1  mit  Spohlerei  in  Degersheim,   12  Arb. 

Uebrige  Baumwollwebereien : 
1   Mels      ...     253  Arb.       90  Pf. 


2  Eischenbach 

1  Flawyl       . 

Baum  wo 

1  Flums  .     . 

1  Mels 

1  Uznach 

1  Quarten 

1  Bütschwyl 

1  Bapperswyl 

Banm  wo 

4  St.  Gallen  . 

1  Lichtensteig 

2  Altstätten  . 
1  Flawyl  . 
1  Brunnadern 
1  Goldach 

1  Thal      .     . 

1  Steinach     . 

1  Quarten 


234 

118 


115 
45 


Uspinnereien: 

406  Arb.  600  Pf. 

241   ,  430  „ 

226   „  250  „ 

181   „  300  „ 

153   ,  290  „ 

136   „  237  . 

Izwirnereien: 
66? Arb.   82  Pf. 


1 

1 


Mogelsberg 
Henaa 


77  Arb.       32  Pf. 

21        .  —       n 

—       

703  Arb.     282  Pf. 


1  Jona  . 

2  Tablat 


1 
1 
1 


Henau 
Brunnadem 
Eirchberg  ' 


134  Arb. 

134     , 

83     « 

->0     . 

5      . 


250  Pf. 

260    , 

104    „ 

10    . 

5    . 


42 
30 
16 
14 
12 
12 
11 
11 


50 
19 
10 
27 
10 
8 
10 
13 


12 

1 
1 
1 
1 
1 
1 
1 
1 

21 


1719  Arb.  2736  Pf. 


Wittenbach 
Rebstein  . 
Lütisburg 
Neßlau     . 
Straubenzell 
Ebnat 
Buchs 
Diepoldsan 


10  Arb. 

10  . 

8  n 

7  r, 

6  . 

6  „ 

5  . 

5  « 


14  Pf. 

7  . 

7  n 

5  , 

7  n 

5  . 

10  „ 

?  - 


271? Arb.    284  Pf. 


Hülfs Industrien  der  Baumwollindustrie: 

Bleichereien  bestehen  in  folgenden  Gemeinden:  Peterzeil  1  mit  52  A.,  Strauben- 
zell 1  mit  25  A.,  Wattwyl  2  mit  30  A.,  St.  Gallen  1  mit  16  A.,  Flawyl 
2  mit  9  A.,  Tablat  1  mit  8  A.,  Altstätten  1  mit  2  A.  Femer  in  Verbindung 
mit  2  Sengereien  in  Straubenzell  und  einer  solchen  in  Flawyl. 

Eines    der  Etablissemente  in  Wattwyl  ist  Bobinenbleicherei;    das  andere 
ist  mit  Appretur  verbunden. 

Sengereien:  2  in  Gde.  Straubenzell  mit  79  A.,  1  in  Gde.  Flawyl  mit  39  A., 
1  in  Gde.  St.  Gallen  mit  9  A.,  1  in  Gde.  Tablat  mit  8  A.  Die  2  Sengereien 
in  Straubenzell  sind  gleichzeitig  Bleichereien  und   1  zudem  noch  Appretur. 

Appreturen  außer  den  sub  Bleichereien  und  Sengereien  genannten :  3  St.  Gallen 
mit  182  A.,  4  Straubenzell  mit  158  A.,  1  Bütschwyl  mit  36  A.,  1  Henau 
mit  36  A.,   1  Flawyl  mit  21  A.,   1  Rorschach  mit  21  A.,   1  Wattwyl  mit  6  A. 

Färbereien:  1  Oberulzwyl  mit  37  A.,  1  Uznach  mit  33  A.,  1  Wattwyl  mit 
32  A.,  1  Kappel  mit  30  A.,  1  Ebnat  mit  17  A.,  1  Henau  mit  16  A., 
1  Bütschwyl  mit  12  A. 

Druckereien :   1   Groldach  mit  233  A.,   1  Goßau  mit  24  A. 

1  Baumwolleettlerei  und  -Schlichterei  in  Bütschwyl  mit  16  A. 

Metallindustrie: 

2  Gießereien  und  Maschinenfabriken  in  Gde.  Henau  mit  497  A.,  1  idem  Tablat 
(St.  Georgen)    mit    138    A.,    1    idem   Eapperswil   mit   38    A.,    1    Eisenbahn- 


St.  Gallen  —     700     —  St.  Gallen 

•  reparaturwerkstatt  in  Rorschaoh  mit  155  A.,  1  Gießerei  und  mechanische 
Werkstatt  in  Rorschach  mit  134  A.,  1  idem  Wattwyl  mit  10. A.  Weitere 
mechanische  Werkstätten:  2  Straubenzell  mit  96  A«,  2  Fluma  mit  34  A.« 
je  i  Tahlat,  Wyl,  Rorschach,  Goldach,  St.  Gallen,  Fläwyl.  2  Maschinen- 
fabriken in  Rorschach  mit  31  A.,  1  Metall waarenfabrik  in  Rappers wil  mit 
21  A.,  1  elektrische  Werkstätte  in  Schännis  mit  15  A.,  1  Zinkomamenten- 
fabrik  in  St.  Gallen  mit  20  A. 
Seidenindustrie: 

Webereien:  1  üznach  mit  227  A.,  1  Ealtbrann  mit  89  A.,  1  Benteltnch- 
Weberei  in  Thal  mit  95  A.,  zusammen  3  Etabl.  mit  411  A:  und  65  Pf. 

Zwirnerei:  1   Thal  mit  49  A.,   12  Pf 

Windereien:  2  Diepoldsau  mit  74  A.,  6  Pf. 
Üebrige  Industrien: 

Ziegeleien:  1  Balgach  mit  54  A.,  2  Oberriet  mit  41  A.,  1  Tablat  mit  40  A., 
1  Diepoldsau  mit  16  A.,  1  Schännis  mit  12  A.,  1  Widnau  mit  6  A.,  1  Watt- 
wyl mit  5  A.,  zusammen  8  Etabl.  mit  174  A.,   130  Pf. 

Lithographien:  4  St.  GuUen  mit  143  A.,  5  Pf.         , 

Buchdruckereien:   5  St.  Gallen   mit  117  A.,    19  Pf.,    1  Rorschach   mit  9  A., 

1  Buchs  mit  12  A,  zusammen  7  Etabl.  mit  138  A.,  21  Pf. 

Mühlen:  3  Goßau  mit  27  A.,  3  Goldach  mit  25  A.,  2  St.  Gallen  mit  16  A., 

2  Tübach  mit  15  A.,    3  Thal  mit  12  A.,    1   Ebnat  mit  7  A.,   1  Grabs  mit 

7  A.,  1  Mogeisberg  mit  6  A.,  5  Peterzeil  mit  5  A.,  1  Steinach  mit  4  A., 
1  Oberhelfenschwyl  mit  4  A.,  1  Flawyl  mit  3  A.,  zusammen  24  Mühlen  mit 
131  A.  und  924  Pf.,  wovon  619  Wasser,  305  Dampf. 

Bierbrauereien:  2  St.  Gallen  mit  45  A.,   2  Tablat  mit  26  A.,   1  Wyl  mit  8  A., 

1  Rorschach  mit  7  A.,  1  Buchs  mit  7  A.,  zusammen  7  Etabl.  mit  93  A., 
66  Pf. 

Schuhfabrik:  1   Oberutzwyl  mit  82  A.,  4  Pf. 
Marmorgeschäfte:  1   Goldach  mit  64  A.,   1  Rheineck  mit  15  A. 
Schreinereien:  1  Tablat  mit  30  A.,   1  Ragaz  mit  17  A.,  1  Rorschach  mit  12  A., 

2  Buchs  mit  9  A.,  1  Eschenbach  mit  8  A.,  zusammen  6  Etabl.  mit  76  A. 
und  79  Pf.,  wovon  62  Dampf,   13  Wasser,  4  Gas. 

Gas  fabrik  und  Wasserwerk :  1   St.  Gallen  mit  51   A.  und  5  Pf. 

Teig w aar enfabriken :    1  Gde.  Ebnat   mit    24  A.,    1  Rorschach   mit    14  A.,    2 

St.  Gallen  mit  13  A.,  zusammen  4  Etabl.  mit  51  Arb. 
Konftklion  ohne  nähere  Bezeichnung:   1   Geschäft  in  St.  Gallen  mit  49  A. 
Chocoladefabrik :  1  Tablat  mit  42   A.,  60  Pf. 
Carionnage :  1  Eichberg  mit  13  A.,   1  Rapperswil  mit  12  A.,   1  Rorschach  mit 

8  A.,   1   St.  Gallen  mit  6  A.,  zusammen  4  Geschäfte  mit  39  A.  und  42  Pf. 
Goldleisten-  und  Uahmenfabrik :  1   Wyl  mit  39  A. 

Süffereien:  2  Quarten  mit  17  A.,  1  St.  Gallen  mit  12  A.,  ferner  je  1  in  den 
Gemeinden  Ebnat,  Flums,  Goßau,  Mogeisberg,  Oberhelfenschwyl,  Peterzell,  zu- 
sammen 9  Etabl.  mit  38  A.  und  170  Pf.,    wovon  131  Wasser,   39  Dampf. 

Damenmäntelfabrik :   1   St.  Gallen  mit  35  A. 

Lederfabrik:   1   Wallenstadt  mit  27  A. 

Wirkwaarengeschäft :  1   Gde.  Tablat  mit  27  A. 

Konservenfabrik :  1   Rorschach  mit  27   A. 

Schieferverarbeihmg :  1  Pfäffers  mit  13  A.,  60  Pf.,  1  Scliiefertafelfabrik  mit 
14  A.,  35  Pf.,  in  Ragaz. 

Bottinenschäfiefabriken :  2  Lichtensteig  mit  25  A. 


St.  Gallen  —     701     —  St.  GalleÄ 

Parqueierie:  1  Gde.  Tablat  mit  25  A.,  26  Pf. 

Tabakfabriken:  2  Borschach  mit  18  A.,  1  6-oldach  mit  6  A. 

Kachelofenfabrik :  1  St.  Gallen  mit  21  A. 

Mühlenbaugeschäfle :  1  Rorschach  mit  12  A.,  1  Goldach  mit  7  A. 

Tapetenfabrik:  1  Goßan  mit  11  A.,  1  St.  Gallen  mit  8  A. 

Bonneterie:  1  Tablat  mit  18  A. 

Waschereien:  1  St.  Gallen  mit  11  A.,  1  Tablat  mit  7  A. 

Gerbereien:  1  Wattwyl  mit  9  A.,  1  Weißgerberei  in  Oberuzwyl  mit  9  A. 

Hutfabrik:  1  Rapperswil  mit  18  A. 

Baugeschäft:  1  Flawyl  mit  17  A. 

Lacklederfabrik:  1  St.  Gallen  mit  17  A. 

Schirm-  und  Stockfabrik:  1  St.  Gallen  mit  16  A. 

Corsetienfabrik :  1  St  Gallen  mit  15  A. 

Cichorienfabrik :  1  An  mit  14  A. 

Stärkefabrik:  1  Mels  mit  11  A.,   50  Pf. 

Milchkondensirung :  1  Goßau  mit  11  A.,   16  Pf. 

Seifen-  und  Kereenfabrik :  1  Straubenzell  mit  8  A. 

Hafnerei:  1  Altstätten  mit  8  A. 

Weberschiffchenfabrik:  1   Flums  mit  7  A. 

Zündhölßchenfabrik :  1   Tablat  mit  7  A. 

Holespalterei :  1   Straubenzell  mit  6  A. 

Schlosserei:  1  Bronschhofen  mit  3  A. 

Wollspinnerei:  1   Grabs  mit  2  A. 

Industriegeschichtliches. 
(Mitgetheilt  von  Herrn  Dr.  H.  Wartmann,  Actuar  des  Kaufm.  Direktoriums.) 

Die  st.  gallische  Industrie  hat  ihren  Ausgangspunkt  in  der  Webergasse  der 
Stadt  St.  Gallen.  Hier,  in  der  nächsten  Nähe  der  großen  Elosteranlage,  saßen 
die  Weber  bei  einander,  welche  mit  fleißigen  Händen  den  Bedarf  des  ausgedehnten 
Hanshaltes  an  einheimischem  Linnenzeag,  der  festen   „Leinwaf,  anfertigten. 

Je  mehr  sich  der  klösterliche  Haushalt  zur  fürstlichen  Hofhaltung  erweiterte, 
nm  so  rascher  hob  sich  auch  die  Zahl  und  die  Bedeutung  unserer  Leineweber, 
die  hier  keine  vornehmeren  Woll weher  neben  sich  hatten.  Im  13.  Jahrhundert 
treffen  wir  auf  die  ersten  städtischen  Einrichtungen  für  das  Leinwandgewerbe; 
im  14.  klagen  die  klösterlichen  Chronikschreiber  über  den  bürgerlichen  lieber- 
muth,  den  das  frische  Aufblühen  dieses  Gewerbes  erzeuge;  im  15.  mehren  sich 
die  Privilegien,  weiche  dem  st.  gallischen  Kaufmann  für  den  Besuch  auswärtiger 
Märkte  gegeben  werden;  das  16.  Jahrhundert  berichtet  mit  Stolz  über  den  weit 
ausgebreiteten  Handel:  in's  Reich,  nach  Polen  und  Ungarn,  nach  Frankreich^ 
Spanien  und  Italien ;  über  die  fremden  Sprachen,  die  man  in  St.  Gallen  finde, 
wie  nicht  bald  an  einem  andern  Ort;  über  die  öffentlichen  Bleichen,  für  welche 
der  ebene  Ghmnd  im  Thale  nicht  mehr  genüge,  so  daß  man  auch  die  ansteigenden 
Höhen  für  sie  in  Anspruch  nehmen  müsse;  über  die  Tausende  von  Händen  auf 
dem  Lande  im  weiten  Umkreise  um  die  Stadt,  welche  für  die  großen  Handels- 
häuser spinnen  und  weben. 

In  der  Zeit  von  1250 — 1350  hat  sich  also  die  ursprüngliche  klösterliche 
Hansweberei  zum  kräftigen  städtischen  Handwerk  und  dieses  sich  zur  wirklichen 
Landesindustrie  entfaltet. 

Das  Hauptprodukt  dieser  Industrie  waren  die  dicken  Leinwandtücher,  welche 
in  „dem  welschen  Gewerbe**,  d.  h.  bei  der  Ausfuhr  nach  den  Ländern  wälscher 


St.  GaUen  —      702     —  St.  GaUen 

Zunge,  unter  dem  Namen  ^Tela  di  Costanza"  gingen,  ein  Name,  der  deutlich 
genug  darauf  hinweist,  wo  zuerst  in  unserer  Gegend  der  Hauptsitz  der  Leinwand- 
weberei war  und  von  wo  aus  diese  Tücher  zuerst  ihren  Weg  Über  das  Gebirge 
fanden.  Neben  der  schweren  „Leinwat**  wurden  aber  auch  feine,  leichte  Leinen- 
gewebe, die  sog.  „  Stauchen  **,  angefertigt,  diese  hauptsächlich  auf  den  Höhen  des 
unmittelbar  benachbarten,  aus  dem  Leibe  der  Abtei  St.  Gullen  geschnittenen 
Appenzeller  Landes,  wo  die  ausschließliche  Beschäftigung  mit  Viehzucht  die  Hand 
leichter  und  beweglicher  erhielt,  als  der  Ackerbau  in  dem  tiefer  liegenden  ost- 
«chweizerischen  Hiigellande.  Als  dritter  Artikel  von  Bedeutung  wäre  noch  die 
gefärbte  Leinwand  („  Farblein wat**)  zu  erwähnen,  wohl  meist  für  Futterstoffe 
oder  dann  für  Taschentücher  („Fatzanetlin**). 

Der  Hauptsitz  der  Bleicherei  und  Färberei  war  in  St.  Grallen.  Gesponnen 
und  gewoben  wurde  für  den  St.  Galler  Markt  bis  weit  in  das  Rheinthal  hinauf, 
bis  weit  in  den  Thurgau  hinunter  und'  bis  weit  in  das  Thurthal  oder  die  Land- 
schaft Toggenburg  hinein.  Hier  bildete  das  Städtchen  Lichtensteig  einen  kleinern 
gewerblichen  Mittelpunkt.  In  dem  sog.  ^  Fürstenlande **,  d.  h  dem  unmittelbar 
abtischen  Gebiete,  kamen  Wil  und  Rorschach  als  solche  in  Betracht;  doch  ver- 
mochten sie  trotz  aller  künstlichen  Unterstützung  durch  ihren  Herrn  und  trotz 
ihrer  bevorzugten  natürlichen  Lage  der  rührigen  Bürgerschaft  im  rauhen  und  engen 
Steinachthaie  niemals  den  Yorsprung  abzugewinnen,  ja  ihr  nur  nahe  zq  kommen. 

Leinwand tücher  leichterer  und  geringerer  Sorte  ließ  sich  der  st.  gallische 
Kaufmann  zur  Wiederausfuhr  vom  Auslande  liefern:  von  Schlesien,  Böhmen  und 
Schwaben. 

Es  ist  begreiflich,  daß  hiebei  sein  Interesse  zuweilen  nicht  gar  sanft  mit 
demjenigen  des  einheimischen  Webers  zusammenstieß.  Allein  dieser  befand  sich 
bei  dem  obrigkeitlich  streng  geordneten  Marktverkehr  im  Allgemeinen  noch  gut 
genug  und  war  in  der  Regel  auch  zu  einsichtig,  um  in  einer  Beschränkung  der 
freien  Bewegung  des  Handels  sein  Heil  zu  erblicken.  Und  kamen  der  Weber- 
iijchaft  in  knappen  Zeiten  hin  und  wieder  solche  Gelüste,  so  ließ  sich  das  städtisc^he 
Regiment,  obschon  es  ausschließlich  und  direkt  aus  der  Wahl  der  Handwerker- 
zünfte hervorging,  gleichwohl  von  der  nicht  offiziellen  Vertretung  der  Kauf- 
mannschaft, dem  sog.  Kaufmännischen  Direktorium,  besser  berathen. 

Gänzlich  außerhalb  des  städtischen  Zunftwesens,  nach  dessen  Satzungen  sich 
die  Leinwandproduktion  und  der  Leinwandverkauf  richten  mußten,  nahm  um  das 
Jahr  1720  die  B  an  mw  oll  web  er  ei  in  St.  Gallen  ihren  Anfang,  und  zwar  mit  der 
Fabrikation  von  Barclient,  halb  Leinen,  halb  Baumwolle.  Peter  Bion,  ein  fran- 
zösischer HugenottenflUchtling  aus  Metz,  begann  mit  dieser  neuen  , freien  Kunst" 
und  hatte  Alles  in  seiner  Hand :  den  Einkauf  der  rohen  Baumwolle,  das  Aus- 
geben des  Rohstoffes  zum  Yerspiunen  und  des  Garnes  zum  Verweben,  die  Ver- 
sendung des  Fabrikates  in  aller  Herren  Länder.  Die  außerordentlich  günstige 
Aufnahme,  welche  der  halbleinene  Barchent  fand,  führte  in  kurzer  Zeit  zur  An- 
fertigung ganzbaumwollener  Tücher.  Schon  in  den  40er  Jahren  hatte  diese  eine 
solche  Ausdehnung  gewonnen,  daß  die  eifersüchtige  Weberzunft  beim  Rath  Klage 
darüber  erhob,  und  im  folgenden  Jahrzehnt  veranlaßte  die  eben  so  rasch  um  sich 
greifende  Mousselineweberei  einen  neuen  Ansturm,  der  wohl  in  beschränkenden 
Rathsbeschlüssen  einen  gewissen  Erfolg  aufwies;  allein  die  frische  Lebenskraft 
der  neuen  Industrie  schritt  über  die  papiernen  Satzungen  hinweg.  —  Eben  damals 
machte  das  Haus  Gonzenbach  seine  ersten  glücklichen  Versuche  mit  dem  Besticken 
von  Mousseliue,  angeblich  nach  türkischen  Mustern,  und  auch  diese  Stickereien 
wurden  alsbald  ein  überall  gesuchter  Handelsartikel. 


Sl.  Gallen  —     703     —  St.  Gallen 

Baum  Wolltücher  („Baaelstücke'*),  meist  für  den  Druck  bestimmt,  Moosseline 
nnd  Stickereien  erlangten  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts 
eine  Bedeutung,  die  weit  über  diejenige  der  langsam  absterbenden  Leinwand- 
weberei hinausging,  und  vereinigten  eine  Summe  von  Interessen  auf  sich,  gegen 
welche  keine  Weberzunft  mehr  aufkommen  konnte.  Tansende  von  Händen 
arbeiteten  in  ihrem  Dienste.  Gesponnen  wurde  sozusagen  tiberall  für  st.  gallische 
und  appenzellische  Händler  und  Fabrikanten,  bis  in  die  Alphütten  des  Glarner 
Landes  und  bis  weit  hinaus  in 's  Schwabenland.  Gewoben  wurden  die  „Bauel- 
stücke** oder  -Tücher  meist  im  Toggenburg,  das  nun  seinen  ausgeprägten  indu- 
striellen Charakter  annahm;  die  Mousseline  als  leichtes  Gewebe,  und  wohl  auch 
die  „gemüggelte**  oder  ^geblümelte**  Leinwand,  d.  h.  ein  Leinengewebe  mit 
baumwollenen  Mücken  oder  Blümchen,  vornehmlich  im  Appenzeller  Land;  die 
Stickerei  für  die  gewöhnliche  Handels waare  hatte  von  Anfang  an,  durch  die 
Vermittlung  von  sog.  Ferggern,  ihr  Hauptquartier  im  Vorarlberg  aufgeschlagen ; 
nur  die  feinen  und  kostbaren  Seiden-  und  Goldstickereien  wurden  in  St.  Grallen 
und  Umgebung  unter  der  unmittelbaren  Anleitung  und  (Teberwachung  des  Auftrag- 
gebers angefertigt. 

Unter  solchen  Verhältnissen  ging  die  st.  gallische  Textilindustrie  den  Revo- 
lutionsstürmen entgegen,  welche  gegen  das  Ende  des  Jahrhunderts  vom  westlichen 
Himmel  heraufzogen.  In  ihrem  Hauptquartier  herrschte  eine  gewisse  materielle 
Ueppigkeit,  und  ringsum  auf  dem  Lande,  soweit  sich  ein  reichlicher  Hausverdienst 
verzweigte,  erschreckte  wachsende  Genußsucht  und  Leichtlebigkeit  ernstere  Ge- 
müther und  tieferblickende  Beobachter. 

Freilich  machten  zuerst  die  Assignatenwirthschaft  in  Frankreich,  dann  der 
Einfall  der  Franzosen  in  die  Schweiz  und  die  Kämpfe  ft'emder  Heere  auf  ihrem 
Boden,  endlich  die  Gewaltherrschaft  Napoleon*s  mit  ihrem  Kontinental-  und  Ab- 
sperrungssystem jener  Herrlichkeit  ein  gründliches  Ende.  Aber  was  noch  eine 
bleibendere  und  durchgreifendere  Umwälzung  in  den  Verhältnissen  unserer  In- 
dustrie und  unseres  Handels  hervorbrachte  als  staatliche  Umwälzungen  und  Völker- 
kriege, war  der  Uebergang  von  der  Handarbeit  zur  Maschineninduslriey  der  sich 
eben  in  diesen  Jahrzehnten,  vorläufig  auf  dem  Gebiete  der  Spinnerei,  anbahnte, 
und  waren  die  Schutz-  und  Prohibitivzölle,  welche  die  einen  Festlandstaaten  als 
unmittelbares  Erbe  der  napoleonischen  Zeit,  andere  sonst  früher  oder  später,  in 
mehr  oder  weniger  scharf  ausgeprägter  Form  aufnahmen.  Diese  Hemmungen 
zwangen  den  st.  gallischen  Handel,  sich  mit  aller  Macht  auf  den  überseeischen 
Markt  zu  werfen ;  die  gewaltig  heranwachsenden  Vereinigten  Staaten  wurden 
sein  Hauptabsatzgebiet.  Jener  Uebergang  zur  Maschinenindustrie  führte  schon  in 
den  Tagen  der  acblimmsten  Bedrängniß  (1803 — 1817)  zur  Errichtung  einer  Reihe 
von  mechanischen  Spinnereien  auf  st.  gallischem  Boden,  und  zwar  sowohl  in  dem 
an  den  Kanton  Zürich  angrenzenden  Gebiet,  als  im  toggenburgischen  Tharthal 
und  vor  den  Thoren  der  Hauptstadt.  Der  Abgang  der  überall  verbreiteten  Hand- 
und  Hausspinnerei  leistete  der  weitern  Verbreitung  der  Haiidweberei  und  der 
allgemeinen  Aufnahme  der  Stickerei  auch  auf  schweizerischem  Boden  Vorschub. 
Das  Hauptquartier  der  schweizerischen  Stickerei  wurde  der  Kanton  Appenzell, 
der  Feinstickerei  insbesondere  Appenzell  L-Rh. ;  das  Hauptquartier  der  st.  gal- 
lischen Baum  Wollweberei  in  weißen  und  bunten  Tüchern  wurden  immer  mehr 
die  toggenburgibchen  Bezirke  von  Wildhaus  bis  an  die  Thurgauer  Grenze;  die 
last  ausschließlich  weißen  Produkte  der  Feinweberei  in  undichten  und  halbdichten 
Artikeln    lieferte    vorzugsweise    Appenzell  A.-Kh.    auf   den    st.  gallischen  Markt. 


St.  Gallen  —     704     —  St  GaUen 

Die  Leinwandweberei  schrampfte  Jabr  fdr  Jabr  ncbtlicb  zusammen  und  ging 
Bcbließlicb  als  Aosfabrindustrie  gänzlicb  ein  (ca.   1840). 

Die  Stickerei  tbeilte  sieb  in  Kettenstieb-  oder  Grob-  und  in  Plattsticb- 
oder  Feinstickerei.  Die  erstere  war  zumeist  Vorbangstickerei  und  gewann  eine 
wacbsende  Bedeutung  und  Ausdebnung.  Zu  den  Arbeitskräften  des  österreicbiscben 
Vorarlbergs  zog  sie  aucb  diejenigen  der  deutscbeu  Landscbaften  nördlicb  des 
Bodensees,  von  den  Allgäuer  Alpen  bis  in  den  Scbwarzwald  binunter,  in  ibre 
Dienste.  Die  innerrbodiscbe  Feinstickerei  verscbaffte  durcb  ibre  Moucboirs  von 
wirklieb  künstleriscbem  Gepräge  der  Zeicbnung  und  Ausfäbrung  in  der  Verbindung 
verscbiedener  Stiebarten  den  st.  galliscb-appenzelliscben  Stickereien  ibren  Weitrubm. 

Die  Handweberei  sab  sieb  alsbald  genötbigt,  mit  der  vordringenden  mecba- 
niscben  Weberei  zu  reebnen  und  scbrittweise  selbst  auf  sie  überzugeben  oder 
ibr  gewisse  Artikel  zu  überlassen.  Sie  wäblte  zunäcbst  das  letztere.  Das 
Toggenburg  gab  die  weißen  Tücber  preis  und  warf  sieb  ganz  auf  die  Bunt- 
weberei, deren  mecbaniscber  Wecbselstubl  nocb  lange  nicbt  in  Siebt  war.  Italien, 
die  Sklavenstaaten  Nordamerikas,  das  spaniscbe  Mittel-  und  Südamerika  und 
Brasilien,  dann  die  Levante  bescbäftigten  unsere  Handweber  des  Tburtbals  voll- 
auf, besonders  seit  der  Einfübrung  des  Jacquardstuhles  (ca.  1835).  Als  aber  in 
den  50er  und  60er  Jabren  aucb  die  Buntweberei  sieb  vor  die  Wabl  gestellt  sab, 
entweder  zum  mecbaniscben  Betrieb  überzugeben  oder  aber  auf  den  Wettbewerb 
in  ihren  wichtigsten  Artikeln  binnen  Kurzem  zu  verzichten,  da  waren  die  Fabri- 
kationsbäuser  des  Toggenburgs  gezwungen,  in  großen  Fabrikgebäuden  Wechsel* 
Stühle  zu  Hunderten  an  Wasser  oder  Dampf  zu  stellen  und  die  Hausweberei  da- 
neben nur  nocb  ergänzend  und  immer  mehr  zurücktretend  für  die  komplizirteren 
Gewebe  beizubehalten.  Der  Hauptübergang  von  der  Hand-  zur  mecbaniscben 
Weberei  erfolgte  in  den  Jahren  1861 — 1866.  Mit  ihm  vollendete  sich  die 
Emanzipation  der  toggenburgiscben  Buntweberei  von  den  Märkten  St.  Gallen  und 
Winterthur.  Sie  bedurfte  der  Vermittlung  des  exportirenden  Kaufmanns  nicht 
mehr.  In  dem  toggenburgiscben  Großindustriellen  vereinigten  sich  Fabrikant  und 
Exporteur.  Von  seiner  Fabrik  aus  ging  deren  Erzeugniß  in  alle  Welt  binaus. 
Die  größten  Massen  nahmen  nun '  Hinterindien  und  Ostasien  auf,  neben  welcben 
später  nur  noch  Japan  für  eine  kurze  Zeit  und  die  West-  und  Ostküste  Afrikas 
eine  gewisse  Bedeutung  erlangt  haben 

Gleichzeitig  wie  für  die  Buntweberei,  erwies  sich  aucb  für  die  Mousseiine- 
Weberei  der  Uebergang  zum  mechanischen  Betrieb  als  unbedingte  Notbwendigkeit. 
Da  dieser  Industriezweig  aber  auf  st.  gallischem  Boden  nie  große  Verbreitung 
erlangt  hatte,  entstanden  auf  ihm  auch  nur  vereinzelte  mechanische  Weißwebereien 
für  halbdicbte  und  undichte  Gewebe. 

Eine  Ausnahmestellung  in  unserer  mecbaniscben  Weberei  bat  seit  ihrer 
Gründung  im  Jahre  1866  die  halb  für  farbige,  halb  für  leichte  weiße  Artikel 
eingerichtete  Jacquardweberei  Azmos  behauptet. 

Die  appenzellische  Mousselineweberei  von  Hand  übersiedelte  nur  zum  ge- 
ringsten Theil  in  geschlossene  Fabrikräume;  sie  hatte  einen  Ersatz  in  der 
Plattsiirhweberei  gefunden,  die  in  den  40er  Jahren  rasch  in  allen  Gemeinden 
Eingang  fand. 

Inzwischen  waren  die  schon  seit  längerer  Zeit  im  Stillen  gepflegten  Keime 
einer  neuen  st.  gallischen  Industrie,  die  in  Kürze  alle  andern  überflügeln  sollte^ 
lebens-  und  entwicklunersfähig  geworden.  Der  mechanische  Stickstuhl  für  Platt- 
stich war  durch  die  unablässigen  Bemühungen  der  Firma  J.  B.  Rittmeyer  &  Co. 
in  St.  Gallen  so  weit  vervollkommnet  worden,  daß  seine  Produkte  auf  den  großen 


St.  Gallen  —      705     —  •  St.  Gallen 

Markt  gebracht  werden  konnten.  Schon  in  den  50er  Jahren  entstand  hie  und 
da  in  unserm  Lande  eine  „  Stickfabrik -".  Ein  wirklich  fieberhafter  Aufschwung 
ergriff  aber  die  junge  Industrie,  *als  nach  dem  Abechlusse  des  nordamerikanischen 
Bürgerkrieges  die  Vereinigten  Staaten  die  gehtickten  Streifen  (Bandes  und  Entre- 
deux)  der  mechanischen  Weißstickerei  in  einer  bisher  ganz  unerhörten  Massen- 
haftigkeit  zu  verwenden  begannen  und  Bestellungen  einsandten,  zu  deren  Be- 
wältigung Fabrik  auf  Fabrik  neu  errichtet  und  ausgerüstet  werden  mußte.  Das 
ganze  Land  überdeckte  sich  im  Laufe  eines  Jahrzehnts  mit  solchen  Etablissements 
kleinern  und  größern  Umfangs ;  daneben  verbreiteten  sich  auch  die  Einzelmaschinen 
immer  zahlreicher,  so  daß  die  MaschinensUckerei  schließlich  wenigstens  eben  so 
sehr  den  Charakter  einer  Hausindustrie,  als  einer  Fabrikindustrie  angenommen  bat. 

So  ungeahnte  Ausdehnung  indeß  der  Absatz  ihrer  Produkte  über  die  ganze 
Erde  gefunden  hat,  wo  nur  deren  Bewohner  in  abendländischen  Formen  leben, 
80  bewunderungswürdig  sich  ihre  Leistungsfähigkeit  vervollkommnet  und  —  be- 
sonders auch  unter  Beihülfe  der  seit  etwa  1880  in  größerem  Maßstabe  zur  Ver- 
wendung kommenden  Schifflimaschi ne  —  vermannigfaltigt  hat,  führte  die  ganz 
maßlose  Vermehrung  der  Maschinen,  gefördert  durch  den  Niedergang  anderer 
Industriezweige  in  unserm  Kanton  und  in  den  Nachbarkantonen,  doch  allmälig 
im  höchsten  Grade  bedenkliche  Zustände  herbei,  die  mit  einer  großen  Krise  für 
unser  Land  und  Volk  abzuschließen  drohten.  Daß  es  bis  heute  trotz  mannigfacher 
Bedrängniß  nicht  dazu  gekommen  ist,  verdankt  die  Maschinenstickerei  wesent- 
lich dem  großen  Stickerverband,  der  sich  unter  dem  Druck  der  Verhältnisse 
im  Jahre  1884  gebildet  und  in  bisher  unbekannter  Weise  Eiiizelsticker,  Fabri- 
kanten, Kauf  leute  und  Fergger  zu  gemeinsamer  Wahrung  und  Ausgleichung  ihrer 
Interessen  zusammengeführt  hat.  Dieser  Staat  im  Staate  umfaßt  bis  an  wenige 
alle  22,000  Maschinen,  welche  heute  in  der  Ostschweiz  und  im  Vorarlberg 
arbeiten,  und  seinen  Gesetzen  unterziehen  sich  sozusagen  alle  Diejenigen,  welche 
den  Vertrieb  ihrer  Erzeugnisse  besorgen.  Sein  Gedeihen  und  seine  segensreiche 
Wirksamkeit  wird  in  erster  Linie  davon  abhängen,  ob  er  stets,  wie  bisher,  mit 
feinem  und  >«icherm  Urtheil  zu  unterscheiden  weiß,  was  sich  überhaupt  in  dem 
so  komplizirten  und  empfindlichen  Organismus  von  Industrie  und  Handel  regle- 
mentiren  läßt  und  was  nicht;  in  zweiter  Linie  davon,  daß  jeweilen  die  richtige 
Form  der  Reglementirung  gefunden  werde. 

Es  soll  hier  nicht  unerwähnt  bleiben,  daß  auch  für  den  Kettenstich  in 
neuerer  Zeit  mehrnadlige  Stickmaschinen  verschiedener  Konstruktion  erfunden 
worden,  aber  fast  überall  nur  versuchsweise  zur  Anwendung  gekommen  sind. 
Um  so  größere  Bedeutung  erlangte  die  einnadlige  Kettenstichmaschine  für  die 
Grobstickerei,  freilich  nicht  mit  veredelnder  Wirkung.  Sehr  empfindlichen  Ab- 
bruch hat  dieser  Industrie  in  den  letzten  Jahrzehnten  die  englische  Vorhang- 
weberei gethan. 

Die  feine  Handstickerei  in  Plattstich  wird  durch  die  vervollkommnete 
Maschinenstickerei  immer  mehr  verdrängt  und  scheint  ihrem  baldigen  gänzlichen 
Ende  entgegen  zu  gehen. 

Neben  der  aus  dem  „  Lein watge werbe"  erwachsenen  Baumwollin dustrie 
fand  auch  die  Seidenweberei  in  einzelnen  Kantonstheilen  Eingang.  Das  Weben 
seidener  Stoffe  und  noch  weit  mehr  das  Spinnen  von  Floretseide  soll  schon  im 
17.  Jahrhundert  durch  einzelne  italienische  Familien  in  Rappers wil  und  Umgebung 
eingeführt,  dann  aber  wieder  gänzlich  in  Abgang  gekommen,  bezw.  von  hier  an 
den  Vierwaldstättersee  verpflanzt  worden  sein.  Erst  in  den  40er  Jahren  unseres 
Jahrhunderts   griff  die   aufblühende  zürcherische  Seidenindustrie  auch  in  die  be- 

Farrer,  Volkswirthscharta-Lexikon  der  Schweiz.  4^ 


St.  Gallen  —     706     —  St.  Gallen 

nachbarten  st.  gallischen  Gebiete  hinüber  und  veranlaßte  —  zameist  im  Seebezirk 
und  Gasterland  —  die  Aufstellang  von  ein  paar  hundert  Webstühlen.  Bei  besonders 
lebhaftem  Geschäftsgang  suchte  sie  vermehrte  Arbeitskräfte  bis  in's  Sarganserland, 
das  Thurthal  und  das  Werdenbergische.  In  den  70er  Jahren  hat  die  Firma 
E.  Schubiger  in  Uznach  zwei  mechanische  Seidenwebereien  in  Betrieb  gesetzt. 

Ganz  am  andern  Ende  des  Kantons,  in  dem  lieblich  gelegenen  Dorfe  Thal 
bei  Bheineck,  wurde  im  Jahre  1830  durch  Pierre  Dufour,  gebürtig  von  Lyon, 
aber  damals  im  Dienste  einer  Zürcher  Firma  stehend,  die  Fabrikation  von  Seiden- 
gaze für  die  Müllerei  oder  die  sog.  Beuteltuchweberei  eingeführt.  Sie  verbreitete 
sich  auch  über  die  benachbarten  Höhen  des  appen zellischen  Yorderlandes  und 
brachte  ihren  Arbeitern  schönen  Verdienst.  Zum  mechanischen  Betriebe  im  Großen 
ist  dieser  Industriezweig  seiner  Natur  nach  nicht  geeignet. 

Die  Wollweberei  hat  es  im  Kanton  St.  Gallen  nie  zu  industrieller  Be- 
deutung gebracht.  Für  den  Hausbedarf  wurde  im  obem  Bheinthal  —  Sax, 
Werdenberg  —  und  etwa  im  obem  Thurthal  von  jeher  in  bescheidenem  Umfang 
Wolle  gesponnen  und  gewoben.  Der  Bezirk  Werdenberg  hat  sogar  ein  paar 
kleine  Fabriketablissements  für  Landtuch  aufzuweisen,  doch  mit  einer  ganz  ge- 
ringen Anzahl  von  Arbeitern. 

Daß  die  Hülfsindustrien  der  Textilindustrie  —  Bleicherei,  Färberei,  Ap- 
pretur, Zwirnerei  —  sich  nach  Bedarf  an  die  Hauptindustrien  der  Spinnerei, 
VVeberei  und  Stickerei  ansetzten  und  sich  mit  ihnen  entwickelten,  versteht  sich 
wohl  ohne  Weiteres  von  selbst.  Die  Obsorge  für  die  Bleichen  und  Walken,  deren 
die  Leinwandindustrie  bedurfte,  lag  bei  der  Obrigkeit  bis  in  das  erste  Jahrzehnt 
unseres  Jahrhunderts  hinein. 

Auch  die  Eisenindustrie  unseres  Kantons  ist  zum  größten  Theil  als  Htilfs- 
industrie  der  Textilindustrie  zu  betrachten.  Freilich  nicht  diejenige,  die  sich 
im  Sarganserlande  schon  im  Mittelalter,  wenn  nicht  noch  weit  früher,  an  die 
Gewinnung  der  dortigen  Eisenerze  angesetzt  hat:  nicht  der  Schmelzofen  in  Plöns 
und  nicht  die  Schmitten  in  Flums,  die  den  Grafen  und  Landvögten  recht  hübsche 
Einkünfte  brachten,  heute  jedoch  völlig  der  Vergangenheit  angehören.  Aber  die 
verschiedenen  Gießereien  und  mechanischen  Werkstätten,  welche  in  neuerer  Zeit 
in  der  Nähe  der  industriellen  2ientren  entstanden  sind.  Diese  fanden  ihre  Haupt- 
beschäftigung von  Anfang  an  in  der  Ausrüstung  unserer  Spinnerei,  Weberei  and 
Stickerei  mit  den  zum  Betriebe  erforderlichen  Maschinen,  von  dem  Dampfkessel 
und  der  Turbine  bis  zum  Spinn-,  Web-  und  Stiokstuhl.  Einzelne  richteten  sich 
daneben  oder  auch  vorzugsweise  für  die  Bedienung  der  Müllerei  ein  und  brachten 
es  darin  durch  die  Trefflichkeit  ihrer  Leistungen  zu  einem  recht  beträchtlichen 
Absatz  im  Ausland. 

Urproduktion. 

Es  widmeten  sich 

im  Jahre     1860  1870 

der  Landwirthschaft    .      .  34154  33585 

dem  Bergbau    ....  551  662 

der  Forstwirthschaft   .      .  150  338 

der  Jagd  und  Fischerei  .  78  43 

Forst-  und  Landwirthschaft, 
(Mitgetheilt  von  Herrn  Reallehrer  G.  Schmid  in  St.  Gallen.) 

Der  politisch  aus  den  heterogensten  Elementen  zusammengesetzte  Kanton 
bietet    auch   vom  Standpunkte  der  Landwirthschaft  aus  eine  äußerst  interessante 


1880 

1888 

30359 

Personen 

562 

n 

457 

n 

27 

« 

Sl.  Gallen  —     707     —  St.  Gallen 

Physiognomie:  Musterhaft  verwaltete  Staats-  und  KoTportLiionnwaldungen  nehen 
Privatwaldungen,  in  welchen  besonders  in  den  letzten  Jahren  die  Wohlthat  der 
genauesten  Koutrole  sichtbai-er  als  je  zu  Tage  trat;  vortreffliche  Alpwirihschaft, 
gute  Alpenstraßen,  Wege,  rationelle  Entwässerung  und  genaueste  Eigenthnms- 
bereinigungeu  in  den  Grenossenschaftsalpen  neben  offenbarer  Mißwirthschaft,  un- 
zweckmäßiger Sennerei,  vernachläbsigsten  Wegen  und  Mangel  an  der  nöthigsten 
Amelioration  des  Bodens;  die  ergiebigste  übsthaumpflege  in  geschützten  Lagen 
und  sehr  exponirten  Gegenden  mit  kalten  Nordwinden  neben  der  heutzutage 
kaum  begreiflichen  Vernachlässigung  einer  der  leichtesten  Einnahmsquellen  unserer 
Landwirthschaft.  Und  endlich  die  größte  Verschiedenheit  auch  in  der  Kultur  des 
übrigen  Bodens  und  die  daherigen  großen  Unterschiede  bezüglich  des  Ertrages 
aller  andern  so  wichtigen  Zweige  der  Landwirthschaft.  # 

Die  Forstwirthschaft  erfreut  sich  eines  kräftigen  Aufschwunges,  seit 
die  Staats-,  Gemeinde-  und  Korporationswaldungen  als  Schutzwald  bezeichnet 
sind.  Einen  günstigen  Einfluß  auf  die  Schutzwaldungen  übte  die  amtlich  an- 
geordnete Ablösung  von  Dienstbarheiten  aus,  z.  B.  der  Holzbezugsrechte,  der 
Streue-,  Laub-  und  Fahrrechte.  Verschärfte  Forstpolizei,  Vermehrung  der  Forst- 
gärten,  Entwässerungsarbeiten  und  Verkehrsverbesserungen  gehören  ebenfalls  zu 
den  ervvähnenswerthesten  Fortschritten. 

Das  gesammte  Waldareal  (mit  Weglassung  der  im  Kanton  gelegenen 
Waldungen  der  Stadtgemeinde  Bischofszell)  umfaßt  nach  den  neuesten  Ver- 
messungen und  Schätzungen:  Staatswald  768  ha,  Gemeinde-  und  Korporations- 
wald 24,077  ha '),  Privatschutzwald  12,321  ha,  andere  Privatwaldungen  1455  ha, 
Total  38,621  ha.  Der  Gesammtertrag  der  Staats-,  Gemeinde-,  Korporations-  und 
Privatschntzwaldungen  beträgt:  An  Hauptnutzung  Fr.  1*091,638,  an  Zwischen- 
nutzung Fr.  167,347,  an  Nebennutzung  Fr.  46,227,  Total  Fr.  1*305,212. 

Obstbau.  Seit  zwei  Dezennien  werden.  Dank  der  Initiative  der  landwirth- 
schaftlichen  Vereine  und  der  Unterstützung  von  Seite  des  Staates,  sehr  viele 
Obstbaukurse  abgehalten,  welche  diesen  landwirthschaftlichen  Betriebszweig  all- 
mälig  bedeutend  zu  heben  vermochten.  Im  Jahre  1886  wurde  eine  Obstbau- 
statistik aufgenommen.  Sie  lieferte  folgendes  Ergebniß:  Obstbäume  auf  Acker- 
uüd  Wiesland  1'225,794,  Gartenobstbäume  82,672,  Bestand  in  Baumschulen 
1' 102,061,  Gesammtzahl  der  im  Kanton  vorhandenen  Obstbäume  2*410,527. 
Die  Baumschulen  abgerechnet,  trifft  es  auf  die  Hektare  Kulturland  9,5,  auf  den 
Einwohner  6,1  Obstbäume. 

Von  den  1*225,794  Obstbäumen  auf  Acker-  und  Wiesland  sind  550,994 
oder  44,95  7o  Apfelbäume,  443,408  oder  36,18  7o  Birnbäume,  121,424  oder 
9,90- ^0  Zwetschgen-  und  Pflaumenbäume,  71,757  oder  5,86  ^o  Kirschbäume, 
38,211  oder  3,11  **/o  Nußbäume.  Nur  in  vier  Bezirken  sind  die  Birnbäume 
zahlreicher  als  die  Apfelbäume. 

Der  Obstertrag  belief  sich 

auf    89,372  q  Aepfel         ä  Fr.  13.  75  =  Fr.  1^173,159  od.  Fr.  2.  10  per  Baum, 

,      89,478  „   Birnen        ,     ,15.10=     ,    r420,810    „      ,   3.  20     „ 

1,508  ,   Kirschen     „     ,   30.  —  =    ,         45,240    „      „— .  63     , 

,        2,481  ,  Zw.  u.Pfl.„     „24.  —  =    „         59,524    «      „—.49     , 

739  ,   Nüsse  „     „   30.  —  =    ,         22,070    ,      ,— .  60     , 

auf  183,578  q  im  Ganzen  =  Fr.  2' 7 20,803  od.  Fr.  2.  22  per  Baum. 

Die  Statistik  scheidet  die  Bäume  in  zwei  Altersstufen,  d.  i.  unter  10  Jahren 

und  über  10  Jahren.  Nur  die  letztere  wird  als  ertragsfähig  bezeichnet.  Repartirt 

^)  Davon  914  ha  außer  dem  Kanton. 


St.  Gallen  —      708     —  St  Gallen 

man  nan  logischerweise  das  Ernteprodukt  auf  die  tragbaren  Bäamef  so  ergibt 
sich  per  Birnbaum  26,64  kg  =  Fr.  4.  23,  Apfelbaum  24,42  kg  =  Fr.  3.  20, 
Kirschbaum  2,90  kg  =^  Fr.  — .87,  Pflaumen-  und  Zwetschgenbaum  2,87  kg 
=  Fr.  — .  67,  Nußbaum  2,55  kg  =  Fr.  — .  76,  tragbarer  Baum  überhaupt 
Fr.  3.  13.  Zur  richtigen  Würdigung  dieser  Zahlen  muß  berücksichtigt  werden, 
daß  vielfach  gar  keine  Ertragsangaben  gemacht  wurden  und  daß  das  Jahr  1886 
ein  schwaches  Obstjahr  war.  Von  den  93  politischen  Gemeinden  des  Kantons 
X  bezeichneten  nämlich  48  den  Obetertrag  als  gering,  30  als  mittelmäßig,  12  als 
gut  und  3  als  sehr  gut. 

Wie  in  den  übrigen  Theilen  der  Schweiz,  ist  auch  im  Kanton  St.  Ghilien 
die  Zahl  der  kultivirten  Obstsorten  sehr  groß.  Es  hängt  dies  zum  Theil  zu- 
sammen mit  der  Mannigfaltigkeit  der  klimatischen  und  der  Bodenverhältnisse^ 
zum  Theil  mit  der  frühern  Unkenntniß  vom  wirthschaftlichen  Werth  der  ver- 
schiedenen Obstsorten.  Um  nun  in  dieser  Beziehuug  eine  Besserung  herbeizuführen, 
sind  anläßlich  der  Materialsammlung  zur  Obstbaustatistik  die  Landwirthe  über 
die  Eigenschaften  ihrer  Apfel-  und  Birnbäume  sowie  der  Früchte  befragt  worden. 
Die  Auskünfte  dienten  zur  Anfertigung  eines  Stammregisters  der  empfehlens- 
werthesten  Obstsorten  des  Kantons  St.  Gallen.  Es  wurde  der  Obstbaustatistik 
angefügt  und  umfaßt  40  Sorten  Aepfel,  sowie  41   Sorten  Birnen. 

Ein  wichtiger  Träger  des  Fortschrittes  in  der  Obstbaumzucht  mag  der  noch 
junge  kantonale  Baumwärterverein  werden,  der  durch  Vorträge,  journalistische 
Thätigkeit,  unentgeltliche  Abgabe  von  Reisern  etc.  die  Interessen  der  Banm- 
besitzer  zu  fördern  sucht. 

Das  kräftigste  Salz  aber  für  die  fortschrittlichen  Bestrebungen  auf  dem 
Gebiete  der  Landwirthschaft  überhaupt  bilden  die  landwirthschaftlichen 
Vereine,  deren  Zahl  sich  stets  mehrt  und  deren  Thätigkeit  sich  immer  inten- 
siver und  allseitiger  gestaltet.  Alimentirt  wird  diese  in  wohlthätigster  Weise 
durch  die  Initiative  der  kantonalen  landwirthschaflUchen  Gesellschaft,  die 
beispielsweise  im  ersten  Semester  des  Jahres  1889  nebet  57  Vorträgen  14  Kurse 
veranstaltete  über  Obst-  und  Gemüsebau,  über  Forst-,  Koch-,  Viehbehandlungs-> 
Näh-  und  Haushaltungskunde,  über  Rebbau-  imd  Bienenkurse.  Im  „Landwirth- 
schaftlichen Wochenblatt**  hält  sich  die  Gesellschaft  ein  sachkundiges  Preßorgan. 

Der  Staat  subventionirt  die  landwirthschaftlichen  Vereine  mit  Fr.  5000 
jährlich.  Weit  beträchtlicher  sind  seine  übrigen  finanziellen  Leistungen  für  die 
Land-  und  Forstwirthschaft.  Sie  bezifferten  sich  im  Jahre  1888  auf  Fr.  152,740, 
wovon  Fr.  44,286  für  die  Thierzucht  und  die  Milchwirthschaft,  Fr.  19,773  für 
die  Beforstung  von  Privatschutz Waldungen,  Fr.  17,900  für  Bodenverbesserungen 
und  Güterzusammenlegung,  Fr.  16,358  für  die  Verbesserung  und  den  Unterhalt 
der  Staatswaldungen,  Fr.  15,743  für  die  Besoldung  der  Bezirksförster,  Fr.  9000 
für  eine  kantonale  landwirthschaftliche  Ausstellung,  Fr.  500  als  Prämien  fUr 
Alpverbesserungen  u.  s.  w.  u.  8.  w. 

Behufs  durchgreifender  Verbesserung  der  Alpen  finden  Inspektionen  statt, 
und  zu  dem  nämlichen  Zwecke  wurde  jüngst  ein  kantonaler  Lehrkurs  abgehalten, 
an   welchem  27  Zöglinge  theilnahmen. 

Bergbau. 

Die  Zahl  der  hiebei  beschäftigten  Personen  (s.  oben)  steht  in  &ehr  geringem 
Verhältniß  zu  der  Zahl  der  Fundorte  von  Gesteinsarten  aller  Art.  Es  erklärt 
sich  dies  daraus,  daß  nur  wenige  der  letzteren  eine  permanente  Ausbeutung 
lohnen.  Konstantem  Betrieb  sind  wohl  nur  die  Schieferbrüche  bei  Pföfi^ers-Ragaz 
unterworfen.    Außer   diesen  Ortschaften    verzeichnet   die  Rohprodukten  karte   von 


St.  Gallen  —      709      —  St.  Gallen 

Weber  &  Brosi  (Verlag  von  J.  Wurster  &  Co.  in  ZfLrich)  folgende  Fandorte 
von  Gresteinsarten  etc.:  Für  Schleifsleine:  Baoried;  fUr  Mühlsteine:  Mels;  fdr 
hydraulische  Kalke  und  Cement:  Flnms,  Quinten,  Staad  bei  Wallenstadt;  für 
Töpfer-  und  Zlegelihon:  Bußkirch;  für  Kalksteine:  Büchel,  Buchs,  Hirschen- 
«prung,  Klein-Mels,  Montlingen,  Murg,  PfUifers,  Quarten,  Eagatz,  Sevelen,  Trüb- 
bach, Weesen;  für  Sandsteine:  Abtwil,  Bauried,  Bildhaus,  BoUigen,  Buchen, 
Dornach,  St.  Gallen,  St.  Josephen,  St.  Margarethen,  Monstein,  Oberdorf,  Peterzell, 
Schmerikon,  Staad,  Wattwil;  für  Tufstein:  Batzenheid,  Flawyl,  üelfenschwyl, 
Libingen  und  Mosnang;  grauitische  Gesteine:  eine  Kette  solcher  Steinlager  zieht 
sich  durch  den  ganzen  Kanton  von  Südwest  nach  Nordost ;  für  Eiseners :  Plöns 
bei  Mels;  für  Braunkohle:  Maseltrangen;  für  Schieferkohle:  Eschenbach,  Mör- 
schwil,  Uznach;  für  Torf:  Altstetten,  Bildhaus,  Diepoidsau,  Goßau,  Mörschwil, 
Niederwil,  Rüti. 

Verkehr. 

Durch  diesen  Zweig  der  Volkswirthschaft  fanden  Erwerb 

im  Jahre     1860  1870  1880  1888 

beim  Straßenwesen 171  362  622  Pers. 

n      Eisenbahnwesen 645  553  1181  „ 

„     Post-  und  Telegraphendienst   .     .        151  250  436  „ 

„     Speditions-,  Fuhr-  und  Botenwesen    1    _  .  ^  286  395  „ 

bei  der  Schifffahrt  und  Flößerei     .     .    J  281  128 ^^ 

1510        1732       2762  Pers. 

Eisenbahnen 
bestehen  im  Kanton  seit  1859.    Gegenwärtig  arbeiten  auf  seinem  Boden  8  Bahn- 
unternehmungen,  welche  über  220,437  m  Bahngeleise  und  49  Stationen  verfügen. 
Die  Bahnlänge   vertheilt   sich    auf  die  einzehien  Unternehmungen  und  nach  den 
Konzessionen  wie  folgt: 

Nordostbahn:  1)  Konzession  vom  12.  Okt.  1865  für  die  auf  st.  gallischem 
Gebiet  gelegenen  Theile  der  Linie  Rorschach-Komanshom;  3911  m;  2)  Konzession 
vom  30.  Nov.  1872  für  die  im  Kanron  St.  Gallen  gelegenen  Theile  der  Linie 
Bischofszell-Goßau,  10,762  m;  3)  Bundeskonzession  vom  23.  Sept.  1873  für  den 
4st.  gallischen  Theil  der  Linie  Zürich- Glarus  (bei  Ziegel  brücke),  628  m.  Länge 
der  Nordostbahnlinien  auf  st.  gallischem  Gebiet  15,301  m. 

Vereinif/te  Schweizerbahnen:  1)  Konzession  vom  14.  Juni  1852  für  den 
im  Kanton  St.  Gallen  gelegenen  Theil  der  Linie  Rorschach-Winterthur,  46,050  m; 
2)  Konzession  vom  15.  Jan.  1853  für  die  Linien  Rorschach-Kantonsgrenze  bei 
Bagatz  und  Sargans-Wallenstadt,  84,288  m;  3)  Konzession  vom  19.  Jan.  1853 
für  den  st.  gallischen  Theil  der  Linien  Wallenstadt-Bappersweil  und  Weesen- 
Glarus,  38,256  m;  4)  Konzession  vom  9.  Juni  1856  für  den  auf  st.  gallischem 
Gebiet  gelegenen  Theil  der  Linie  Rappers  weil- Uster,  3984  m.  Länge  der  Ver- 
einigten Schweizerbahnen  im  Kanton  St.  Gallen   172,578  m. 

Togg  en  bürg  erb  ahn :  Konzession  vom  18.  Juni  1866  für  den  st.  gallischen 
Theil  der  Linie"  Wyl-Ebnat,   23,807  m. 

Rappersweit-Pfäflikon :  Bundeskonzession  vom  25.  Juni  1874  für  die  Strecke 
von  Rappersweil  bis  zur  Kantonsgrenze  bei  Pfäffikou,  539  m. 

Appemellerbahn :  Bundeskonzessiou  vom  23.  Sept  1873  für  den  im  Kanton 
St.  Gallen  gelegenen  Theil  der  Linie  Winkeln- Herisau,  2014  m. 

Frauenftld'Wyl :  Bundeskonzession  vom  27.  Juni  1884  für  die  Theilstrecke 
von  Wyl  bis  zur  Kantonsgrenze  bei  Münchwylen,   1015  m. 


St.  Gallen-Chur 

96,a  km     Ge 

ibaut  1820/76 

1 

Goikiu-Jona 

50,4   , 

,       1834/64 

Wattwyl-Grams 

43,5   , 

„       1826/62 

Rappersweil-  W  eesen 

34,5   „ 

„       1835/74 

St.  Gallen- VVyl 

32,7   „ 

1780/1876 

W  allenstadt-Sargans 

14,7   , 

n       1834 

St.  Peterzeller-Straße 

14,1   . 

„       1841/65 

Wyl  Botsberg 

12,0  , 

„       1834/73 

St.  GttUen-Lömiswyl 

10,8   „ 

„       1837/66 

St.  Gallen  —     710     —  St.  Gotthard-Straße 

Rorschach-Heiden :  Bundeskonzession  vom  fi6.  Jannar  1874  für  den  auf 
St.  Guller  Gebiet  gelegenen  Theil  der  Linie,  2819  m. 

Oesierr.  Siaaisbahnen :   Eonzession   vom  1.  Dez.   1869  für  die  Strecken: 

a.  von  Buchs  bis  zar  Schweiz.  Grenze  (Mitte  Rbeinbrücke)  gegen  Scbaan,  1066  m  ; 

b,  von  St.  Margrethen  bis  zur  Landesgrenze  (Mitte  Rheinbrücke)  gegen  Lostenan^ 
1298  m;  zusammen  2364  m. 

Straßen. 
Die  Straßen  sind  entweder  „Staatsstraßen**,  5,4 — 6,6  m  breit,  oder  „ Ge- 
meindestraßen **  ,  3 — 4,2  m  breit.  Die  Gemeindestraßen  I.  Klasse  (Länge  450  km) 
dienen  zur  Verbindung  der  Gemeinden  mit  den  Staatsstraßen  und  zur  Verbindung' 
der  Gemeinden  unter  sich ;  diejenigen  II.  Klasse  (Länge  200  km)  dienen  dem 
Lokal  verkehr  im  Innern  der  Gemeinden. 

Das  gegenwärtige  Netz  von  Staatsstraßen^  21  Strecken  in  einer  Gesammt- 
länge  von  370  km  umfassend,  ist  seit  1780  angelegt  worden.  Es  erforderte  eiu 
Baukapital  von  ca.  Fr.  5^700,000.    Die  längsten  Strecken  sind: 

Baukosten  ca.  Fr.  1*700,000 
,  ,  605,000 
«  ,  650,000 
^  „  410,000 
„  „  490,000 
,  ,  220,000 
,  „  210,000 
,  .  145,000 
,     „       330,000 

Die  übrigen  12  Straßenstrecken  sind  weniger  als  10  km  lang.  lieber  130 
Brücken,  theils  eisern,  theils  steinern,  theils  hölzern,  ergänzen  das  Straßennetz. 
11  derselben  (10  über  den  Rhein,  1  über  die  Thur)  sind  je  120  m  lang.  Der 
Unterhalt  der  Staatsstraßen  und  Brücken  kostet  jährlich  ca.  Fr.  300,000.  (Vgl. 
Bavier,  „Die  Straßen  der  Schweiz%  p.  93/95;  Verlag  von  Orell  Füßli  &  Co. 
in  Zürich.)    Siehe  auch  den  Artikel   „Rapperswiler  Seedamm  •*. 

St.  gallisch-appenzellische  Bahn.  Unter  diesem  Namen  bestand  früher 
eine  Bahngesellschaft,  welche  die  Linie  Winteithur-Rorschach  baute  und  wie  folgt 
eröffnete:  Am  14.  Okt.  1855  die  Strecke  Winterthur-Wyl  (26,925  m) ;  am 
25.  Dez.  1855  die  Strecke  Wyl-Flawyl  (15,142  m);  am  15.  Febr.  1856  Flawyl- 
Winkeln  (9039  m);  am  25.  März  1856  Winkeln-St.  Gallen  (6092  m)  und  am 
25.  Okt.  1856  St.  Gallen-Rorschach  (16,544  m).  Am  1.  Mai  1857  ist  die 
st.  gallisch- appenzellische  Bahn  infolge  Fusion  in  das  Eigenthum  der  Vereinigten 
Schweizerbahnen  tibergegangen. 

St.  Gotthard-Strasse  (internationale  Alpenstraße),  führt  von  Flüelen  am 
obern  Ende  des  Vierwaldstättersee's  als  Fortsetzung  der  Axenstraße  über  Altorf^ 
dem  Reußflusse  entlang,  nach  Andermatt  (Einmündung  der  Oberalpstraße  aus 
dem  Vorderrheinthal),  über  Hospenthal  (Einmündung  der  Furkastraße  aus  dem 
Oberwallis),  den  St.  Gotthard  (Paßhöhe  2114  m  ü.  M.),  nach  Airolo,  Biasca  (hier 
die  Lukmanierstraße  aufnehmend),  nach  Bellinzona.  Ihre  Länge  beträgt  123,7  km,  die 
Fahrbahnbreite  6—7,5  m.  Kosten  Fr.  4^400,000.  Bauperioden;  1)  Das  47,8  km 
lange  Straßenstück  auf  Umer  Boden  wurde  in  den  Jahren  1819  —  1830  gebaut. 
Kosten  Fr.  1 '700,000.  2)  Die  auf  Tessiner  Gebiet  liegenden  Straßenstrecken  : 
a.  Urner  Grenze  bis  Airolo,  18  km,  Fr.  rOOO,000,  im  Jahre  1828;  6.  Airolo- 
Biasca,  37,7  km,  Fr.  1^100,000,  im  Jahrzehnt  1810/20;  c.  Biasca-Bellinzona, 
20,2  km.  Fr.  600,000,  im  Jahre  1810.  (Vgl.  Bavt'er:  „Straßen  der  Schweiz", 
Verlag  von  Orell  Füßli  &  Co.  in  Zürich.)    Bis  zur  Eröffnung  der  Gotthardbahn 


St.  Golthard-Straße  —     711     —  Schaff  hausen. 

im  Jahre  1881  herrschte  auf  der  Gotthardstraße  ein  sehr  großer  Personen-  nnd 
Waare  n  verkehr . 

St.  Laurent.  Dieser  mit  dem  schwarzen  Bargnnder  nah  verwandte,  ur- 
sprünglich ans  Frankreich  stammende  Weinstock  wird  seit  einigen  Jahrzehnten 
auch  in  der  Schweiz  da  und  dort  versuchsweise  gepflanzt.  Er  ist  sehr  fruchtbar, 
die  Trauben  sind  groß  und  großbeerig,  reifen  ziemlich  früh  (vor  dem  großen 
Burgunder)  und  liefern  einen  sehr  dunkeln  Rothwein  von  guter  Qualität.      Kr. 

Sandsteine.  (Vgl.  den  Artikel  „Bausteine*",  p.  182,  I.  Bd.)  Am  leichtesten 
zu  bearbeiten  und  bei  angemessener  Verwendung  dennoch  von  großer  Dauer- 
haftigkeit sind  die  weichen  Bemer  Sandsteine  von  Ostermundigen,  Stockem, 
Bolligen,  Oberburg.  Aehiiliches  Material  liefern  einige  Brüche  in  den  Kantonen 
Freiburg  und  Schaff  hausen.  Mittelharte  Sorten  besitzen  Luzern,  Zug,  die  Gegenden 
am  obern  Zürichsee  und  verschiedene  Brüche  im  Kanton  St.  Gallen.  Mittelhart 
sind  auch  die  aargauischen  Muschelsandsteine.  Ganz  harte  Sandsteine  finden  sich 
bei  Bühler,  im  Hengarten  bei  Herisau,  bei  Attalens  und  Vaulruz. 

Sarongs.  In  Hinterindien  gebräuchliche  bunte  Schärpen;  worden  von  den 
Buntwebern  des  Toggenburgs  in  den  40er  und  50er  Jahren  aus  farbigem  Baum- 
wollgarn zu  imitiren  begonnen.  Waren  dann  bald  ein  Hanptexportartikel  des 
Toggenburgs,  der  während  einem  Jahrzehnt  Tausende  von  Webern  beschäftigte 
und  auch  heute  noch  von  großer  Bedeutung  ist. 

Satin.  Seidenstofl^  von  ausgezeichnetem  Glanz.  Zuerst  in  Lyon  und  Crefeld 
fabrizirt,  kam  er  in  den  70er  Jahren  auch  in  Zürich  auf,  reduzirte  die  Taffet- 
weberei, nahm  1881  10,000  Handwebstühle  (^/s)  in  Anspruch  und  spiele  immer 
noch  die  Hauptrolle.  Zwei  Hauptgattungen  und  viele  Untergattungen.  „Satin  de 
Chine"   in  den  50er  und  60er  Jahren  sehr  gewinnbringend  gewesen. 

Schalfhausen,  Kanton.  Areal  294,2  km^  =  0,7  ^/o  des  gesammten 
Flächeninhaltes  der  Schweiz. 

Bevölkerung  :    1837  :     32,582  Einwohner  -=  1,5  «/o  aller  Einw.  der  Schweiz. 

1850  :     35,300  „  =  1,5    ,        , 

1860:     35,571  ,  =  1,4   „       , 

1870:     37,721  ,  =   1,4   ,       , 

1880 :     38,348  „  =  1,4   ,       , 

„  1888 :     37,876  „  =  1,3   ^       ^         „         „  „ 

Erwerbsthätige  Einwohner : 
1860:     13,786  =  38,8^0  der  Bev.  oder  1,3^0  all.  Erwerbsth.  d.  Schweiz. 
1870  :     15,010  =  39,6   „       ,        ,        ,      1,3   ,      „  ,  ,        „ 

1880:     16,351   =  42,6   „       ,        «        ,      1,2   ,      ,  ,  „        , 

1888  :  *) 

Die  Zahl  der  erwerbsthätigen  Personen  vertheilt  sich  folgendermaßen  auf 
die  Hauptberufsgruppen : 


1860: 
1870: 
1880: 

1888  :  ^) 

*)  Der  Raum  mag  später,   wann  die  Resultate  bekannt  sind,  von  den  Besitzern 
des  Lexikons  handschrifUicb  ausgefüllt  werden. 


Ur- 
produktion 

Indaatrie 

Handel 

Verkehr 

Verwaltung, 

Wissenschaften 

und  Kflnste 

Persönliche 

Dienst- 
leistungen 

absolut 

6954 

5389 

541 

187 

572 

143 

7o 

50,5 

39,1 

3,9 

1,4 

4,1 

1,0 

absolut 

7151 

5716 

969 

377 

645 

152 

7o 

47,7 

38,0 

6,5 

2,5 

4,3 

1,0 

absolut 

8003 

5945 

1129 

382 

639 

253 

7o 

49,0 

36,3 

7,0 

2,3 

3,9 

1,5 

Schaff  hausen  —      712     —  Schaff  hausen 

Aus  dieser  Aufstellung  müßte  man  den  Schluß  ziehen,  daß  von  1860  his 
1880  eine  kleine  Verschiebung  von  der  Urproduktion  und  der  Industrie  zum 
Handel  stattgefunden  hätte.  Daß  der  Handel  sich  proportional  mehr  entwickelt 
habe,  als  die  Urproduktion,  ist  mit  Rücksicht  auf  den  gesteigerten  Fremden- 
verkehr wohl  denkbar  und  sehr  wahrscheinlich,  denn  die  Vermehrung  des 
Fremdenverkehrs  rief  sowohl  einer  Vermehrung  des  Kleinhandels,  als  auch  des 
Gasthofgewerbes,  welches  ebenfalls  zum  Handel  klassifizirt  wird;  nicht  wahr- 
scheinlich aber  ist  die  proportionale  Verminderung  der  Industrie,  und  es  ist  eher 
anzunehmen,  daß  das  statistische  Bild  der  absoluten  Genauigkeit  entbehre,  indem 
im  Jahre  1860  1123  Personen,  im  Jahre  1870  958  Personen,  im  Jahre  1880 
nur  133  Personen  keine  Berufsangaben  machten. 

Handel,  Industrie  und  Kleingewerbe. 

Folgende  Gruppirung  umfaßt  diejenigen  unter  diese  Eubrik  zählenden  Berufs- 
arten, welchen  zur  Zeit  der  Volkszählung  vom  1.  Dez.  1880  5  ®/oo  und  mehr 
aller  beruflich  thätigen  Personen  des  Kantons  oblagen: 

■Q       .  <>'oo  aller  Bemf-    ^}w>  der  gleichen 

Berofeart  tmih^de  treibenden        Beraftkategorie 

des  Kantone      d.  ganz.  Schweiz 

Eigentlicher  Handel  (exkl.  Bank-,  Agentur-, 

Versicherungs-,  Hotel-,  Wirthschaftsgew.)  663  40,4  12 

Weißnäherei 380  23,2  14 

Schuhmacherei 361  22,0  12 

Hotel-  und  Wirthschaftegewerbe   ....  360  21,9  12 

Maschinen-  und  Mühlenbau 351  21,4  36 

Schneiderei 314  19,2  9 

Wollindustrie 308  18,8  9 

Maurerei  und  Gypserei 305  18,6  14 

Wagnerei  und  Waggonfabrikation      .           .  263  16,1  4 

Schreinerei  und  Glaserei 253  15,4  12 

Leinenindustrie 248  15,1  23 

Schmiedehandwerk 221  13,5  22 

Uhrenindustrie 182  11,1  4 

Zimmermannshandwerk 181  11,1  10 

Metzgerei 165  10,1  19 

Wascherei  und  Glätterei 159  9,7  11 

Bäckerei 157  9,6  13 

Hafnerei 154  9,4  53 

Küferei 136  8,3  25 

Baum  Wollindustrie 127  7,7  3 

Müllerei 116  7,1  15 

Eisengießerei 105  6,4  41 

Waffenfabrikation,  Büchsenmacherei   ...  92  5,6  104 

Schlosserei 92  5,6  17 

Strumpt'wirkerei  und  -Strickerei    ....  91  5,6  25 

Bank-,  Agentur-  und  Versicherungswesen    .  84  5,1  14 

Fabriken. 

Dem  Schweiz.  Fabrikgesetz  waren  im  ersten  Semester  1889  55  Etablisse- 
ments mit  2723  Arbeitern  und  über  1500  Pferdekräften  unterstellt.  Sie  ver- 
theilen  sich  auf  folgende  Ortschaften : 


Schaffhausen 

-     713 

Schaffhansen  . 

.     39 

Etabl. 

1760 

Arb. 

932 

Nenbausen 

5 

n 

655 

n 

438? 

Stein     .     .     . 

5 

w 

151 

» 

12? 

Scbleitheim 

2 

T» 

56 

1» 

35 

Thayngen  . 

2 

fl 

16 

n 

18 

Höfen   .     .     , 

1 

H 

75 

1» 

62 

Neunkirch .     , 

1 

n 

10 

VI 

4 

Schaffhausen 


Pf.    (W.    661     D.  269    Gas  2) 


( 
( 
( 
( 
( 
( 


435 

4 

35) 

8 

12 


3) 
8) 

10) 

50) 

4) 


55  Etabl.    2723  Arb.    1501?Pf.    (W.  1155     D.  344    Gas  2) 
Die  Fabriken  in  Schaff  hausen  sind: 


Arb. 

2  Kammgarnspinnereien  .  .524 
1  Gußstablfabrik  .     .     .     .194 

3  Maschinenfabriken  .  .  .172 
1  Maschinen-  u.  Waffenfabrik  34 
1  Uhrenfabrik 98 


78 


Baumwollspinnerei  . 

Thür-  u.  Fensterbeschläge- 
fabrik  60 

Kinderwagenfabrik .     .  55 

Möbelnagelfabrik     ...      50 

1  Baugeschäft 45 

1   Silberwaarenfabrik  ...     43 
1    Pillenfabrik  .     .     .     .     .     41 

1  Gießerei 38 

1   Strickmaschinenfabrik  . 

Spielkarten-  u.  Billetfabrik 

Verbandstofffabrik  . 

In  Neuhausen: 
Waggonfabrik    .... 
Waffenfabrik      .... 
Thonwaarenfabrik  . 

In  Stein : 
Schuhwaarenfabrik 
ührenschalenfabrik 
Stickerei 23 

In  Schleüheim: 
Hanf-  und  Flachsspinnerei 

In   Thayngen : 
Schläuchefabrik 

In   Höfen: 
Ziegelei 


Pf.  Arb. 

480      3  Buühdruckereien      .     .     .  25 

30      1  Instrumentenfabrik       .     .  24 

78       1  Maßstäbefabrik  ....  20 

6       1  Etuisfabrik 19 

6       1  Elastiquefabrik  ....  18 

65      2  Mühlen 17 

1  Mühlen  bau  werkstätte    .     .  14 

1  Schreinerei 12 


1 
1 

1 
1 

1 

1 
1 
1 


38 
37 

28 

362 
117 

82 

56 
52 


8 
4 
8 
12 
4 

3 

5 

4 

20 

100 
? 
35 


1   mechanische  Werkstätte    .  11 

1   Teigwaarenfabrik     ...  11 

1   Wollencarderie  .     .      .     .  11 

1  Zeicbnungswerkzeuggeschäft  10 

1    Wattenfabrik      ....  7 

1   Sesselfabrik 7 

1  Sägerei 7 

1  Blei  weiß-  u.  Farbenfabrik  7 

1  Bierbrauerei 5 

1   Wirkwaarenfabrik  .     .      .  79 

1  Aluminiumfabrik     ...  15 


1   Graveur-  und  Guillocheur- 

geschäft 13 

1   Teigwaarenfabrik    ...        7 


46     30  I   1  Leinen  Weberei 


10 


9      14 


1'- 


1   ftoßhaarfabrik    . 

In  Neunkirch : 
5     62   I    1   mechanische  Werkstätte 


I 


10 


Pf. 
2 
3 
2 
2 
3 

80 
6 
5 
1 
5 
7 
6 
8 
6 

36 

22 
5 

3 
300 


Industriegeschichtliches. 
(Mitgetheilt  von  Herrn  Dr.  Carl  Henking  in  Schaffhausen.) 

Die  ausgedehnte  und  durch  die  Mannigfaltigkeit  ihrer  Produkte  auegezeichnete 
Industrie,  durch  welche  Schaffhausen  an  die  Seite  der  gewerbsthätigsten  Plätze 
der  Schweiz  tritt,  hat  im  Wesentlichen  ihren  Ursprung  erst  in  den  60er  Jahren 
unseres  Jahrhunderts.  Noch  1853  konnte  der  Verfasser  zweier  beachtenswerther 
Schriftchen  über  die   „Auswanderung  im  Kanton  Schaff  hausen,  ihre  Ursachen  und 


Schaff  hausen  —     714     —  Schaff  hausen 

Gegenmittel"  and  „Armuth  und  Yolkswirthschaft  im  Kanton  Schaffhausen*'  das 
allerdings  etwas  zu  scharfe  Urtheil  aussprechen :  ^Eine  Quelle  materiellen  Wohl- 
hefindens  ist  dem  Schaff  hauser  Volke  verschlossen,  die  Quelle  Industrie  und 
Gewerhsthätigkeit** . 

Die  Landschaft  Schaffhansen  hatte  his  in  unser  Jahrhundert  hinein  und 
größtentheils  bis  auf  den  heutigen  Tag  als  fast  einzige  Ernährungsquelle  ihrer 
Bevölkerung  den  Ackerbau,  und  zwar  den  in  jüngster  2ieit  durch  die  fremde 
Einfuhr  sehr  geschädigten  und  deswegen  zurückgegangenen  Getreidebau,  und  den 
seit  vielen  Jahrhunderten  blühenden  Weinbau.  Die  Stadt  Schaffhausen  aber  trieb 
ausgedehnten  Handel.  Schon  vor  der  Gründung  des  Klosters  Allerheiligen  in 
der  Mitte  des  11.  Jahrhunderts  war  sie  ein  ansehnlicher  Flecken,  für  den  sein 
Besitzer,  Graf  Eberhard  von  Nellenburg,  1045  das  Münzrecht  erhielt.  Dem 
Umstand,  daß  der  Rhein  vom  Bodensee  her  bis  zu  diener  Stelle  schiffbar  ist, 
verdankte  die  Ortschaft  Entstehung  und  Namen,  dem  Kloster  ihr  schnelles  Auf- 
blühen. Doch  löste  sich  die  Stadt  ziemlich  rasch  von  der  Herrschaft  des  Klosters 
los  und  erwarb  sich  nach  verschiedenen  Wechselfällen  die  Stellung  einer  freien 
Reichsstadt.  Vor  Allem  der  Handel  mit  Wein  und  Getreide,  den  Hauptprodukte.n 
der  umliegenden  fruchtbaren  Landschaft,  und  mit  aus  Deutschland  auf  uralten 
Straßen,  die  hier  den  Rheiu  berührten,  eingeführtem  Getreide  und  Salz  bildete 
bis  in  unser  Jahrhundert  hinein  eine  wichtige  Ernährungsquelle  der  Bevölkerung; 
sowohl  rheinaufwärts  zum  Bodensee,  als  rheinabwärts  vom  Rheinfall  bis  Basel 
führten  die  gewandten  Schaflfhauser  Schiffer  ihre  schwer  beladenen  Fahrzeuge. 
In  ganz  ähnlichen  Verhältnissen  wie  Schaff  hausen  lebte  das  erst  im  Jahre  1803 
durch  die  Vermittlungsakte  dem  Kanton  Schaff  hausen  zugetheilte  Städtchen 
Stein  a.  Rh.,  das  ebenfalls  erst  in  jüngster  Zeit  mit  Rührigkeit  und  Umsicht 
begonnen  hat,  verschiedene  Industriezweige  bei  sich  einzubürgern. 

Das  älteste  Gewerbe,  welches  sich  am  Rhein  ansiedelte,  ist  die  Müllerei. 
Schon  zu  den  frühesten  Schenkungen  an  das  Kloster  gehören  zwei  Mühlen  zu 
Schaff  hausen  und  eine  zu  Neuhausen.  Schließlich  ist  das  Kloster  im  Besitz  von 
vier  Mühlen,  einer  Walch,  von  Schleifen,  einer  Papier-  und  einer  Pulvermühle, 
sowie  einer  Mühle  für  Wollweber.  Noch  im  14.  Jahrhundert  behauptete  das 
Kloster  das  Privilegium,  daß  die  Pfarrgenössigen  von  Schaffhausen  nur  in  des 
Klosters  Mühlen  mahlen  lassen  durften.  Schon  in  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts 
werden  „diu  fülli**  erwähnt.  Dämme  zur  Regelung  des  Rheinlaufes,  wohl  auch 
zur  Verwendung  eines  kleinen  Theils  der  bedeutenden  Wasserkraft  des  Rheins  zu 
gewerblichen  Zwecken.  Noch  heute  bezeichnet  man  mit  dem  Namen  ^.Füllenen** 
zwei  große,  in  sehr  alte  Zeit  zurückgehende  und  erst  durch  die  neuen  Wasser- 
werke in  ihrer  Verwendung  veränderte  Wehrdämme,  vom  rechten  Ufer  in  den 
Rhein  hinein  gezogen.  Sie  leiteten  einen  Theil  des  Rhein wassers  auf  die  Mühlen 
und  andere  industrielle  Unternehmungen. 

Nach  dem  Muster  von  Zürich  wurde  auch  in  Schaflfhausen  das  bürgerliche 
Gewerbe  zunftmäßig  organisirt.  Vor  Allem  die  Gerberei,  für  welche,  wie  für 
das  Miihlenge werbe,  im  Flußwasser  des  Rheins  eine  vorzügliche  Lebensbedingung 
geschaffen  war,  gelangte  frühzeitig  zu  einer  großen  Entwicklung,  während  die 
Weberei  in  Schaff  hausen  nie  eine  bedeutende  Rolle  spielte  und  voraussichtlich 
niemals  dem  eigenen  Bedarf  der  Stadt  und  ihres  Gebietes  zu  genügen  vermochte. 
Vom  Jahre  1387  ist  ein  in  verschiedener  Beziehung  erwähnenswerther  Vertrag 
erhalten,  abgeschlossen  zwischen  acht  Meistern  und  zwölf  Knechten  des  „Hand- 
werks der  Weber,  Leinens,  Wollens  und  Wollenschlagens**,  der  unter  anderm 
die  Unterstützung  erkrankter  Angehöriger  des  Gewerbes  regelte.  Auf  dem  Lande 


Schaff  haiisen  —      715     —  Schaff  hausen 

wurde  schon  frühzeitig  Leinwand  gewoben;  doch  zog  die  Stadt  vollständig 
das  Monopol  an  sich,  indem  es  den  Landlent«n  verboten  war,  „ihr  selbstmachendea 
Tuoh  und  Zwilchen  in  den  Dörfern  selber  zu  verkaufen". 

Im  Reformationszeitalter  blühten  auch  in  Schaffhausen  die  Gewerbe,  vor- 
nehmlich das  Kunstgewerbe.  Schaffhausen  hatte  eine  Reihe  hervorragender 
Künstler  hervorgebracht;  einige  seither  verschwundene  Kunstgewerbe  waren  hier 
heimisch.  Die  Glasmalerei  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  ist  durch  nicht 
weniger  als  50  Schaffhauser  vertreten,  von  denen  einige  zu  den  hervorragendsten 
Meistern  der  Kunst  gehörten.  Von  Anfang  de«  14.  Jahrhunderts  schon  bis  in 
unser  Jahrhundert  hinein  erhielt  sich,  in  Verbindung  mit  dem  Gewerbe  der 
Kupferschmiede,  die  Glockengießerei.  Schaffhauser  Glocken  finden  sich  viel- 
fach in  der  Schweiz  und  im  südlichen  Deutschland ;  bis  über  den  Gotthard  trieben 
die  Schaffhauser  Gießer  ihre  Geschäfte.  Hier  darf  wohl  auch  erwähnt  werden, 
daß  der  Schaffhauser  Habrechi  in  den  Jahren  1572 — 1574  die  berühmte  Uhr 
des  Straßburger  Münsters  verfertigte,  welche  bis  zum  Tode  des  letzten  Habrecht 
1732)  von  den  Nachkommen  des  Erbauers  in  Stand  gehalten  wurde. 

Was  verschiedenen  Schweizer  Städten  zu  einer  mächtigen  Förderung  dea 
Gewerbes,  zur  Einführung  neuer  Industriezweige  verhelfen  hat,  die  Einwanderung 
französischer  Hugenotten  zur  Zeit  Lndwig^s  XIV.,  hat  für  Sohaffhausen  einen 
kaum  merklichen  Einfluß  ausgeübt.  Es  ist  dies  um  so  auffallender,  als  Schaff- 
hausen sich  an  der  hochherzigen  Unterstützung,  welche  die  evangelischen  Städte 
der  Schweiz  den  verfolgten  Glaubensgenossen  zu  Theil  werden  ließen,  in  ganz 
hervorragender  Weise  betheiligte.  Der  Versuch  verschiedener  hieher  Einge- 
wanderter, sich  industriell  zu  bethätigen,  scheint  größten theils  an  der  abweisendea 
Engherzigkeit  und  dem  Brodneid  der  Schaffhauser  Gewerbetreibenden  gescheitert 
zu  sein.  Am  1.  Oktober  1686  wurde  laut  Rathsprotokoll  der  französische  Exulant 
Frert  mit  seinem  Gesuche  um  die  Nieder la«>8ung  und  die  Erlaubniß  zum  Zwirnen 
und  Färben  von  ^aden  vom  Rathe  „gänzlich  ab-  und  zur  Ruhe  gewiesen **.  Einem 
anderen,  offenbar  sehr  unternehmenden  Franzosen,  Aureillon,  der  nacheinander 
die  Fabrikation  von  Hüten,  wollenen  und  seidenen  Strumpfen  und  die  Färberei 
zu  betreiben  versuchte,  wurde  auf  die  Klagen  der  Kaufleute,  Hutmacher  und 
Färber  Schaffhausens  befohlen,  seine  Werkstatt  zu  schließen  und  die  Färberei 
einzustellen.  Ein  dritter,  Moyse  Bastier,  der  seit  einiger  Zeit  in  dem  Schaff- 
hausen gegenüberliegenden  Feuerthalen  die  Fabrikation  von  spanischem  Wachs 
und  Handschuhen  betrieb,  durfte  das  genannte  Gewerbe  auch  in  Neuhausen  ein- 
führen, aber  unter  sehr  einschränkenden  Bedingungen.  Glücklicher  scheint  ein 
vierter  gewesen  zu  sein,  den  wir  noch  1727  mit  einem  Schaffhauser  zur  Fabri- 
kation von  floretseidenen  Strümpfen  associrt  linden.  Ob  die  nicht  unbedeutende 
Schaffhauser  Strumpffabrikation,  die  im  vorigen  und  noch  zu  Anfang 
unseres  Jahrhunderts  vor  Allem  rothgefärbte  Waare  in's  Schwabeuland  ausführte, 
auf  die  Thätigkeit  von  Hugenotten  zurückzuführen  ist,  vermag  ich  nicht  nach- 
zuweisen. 

In  den  Anfang  unseres  Jahrhunderts  fällt  das  Aufkommen  zweier  industrieller 
Unternehmungen,  durch  welche  Schaffhausen  in  weitern  Kreisen  bekannt  wurde^ 
des  Eisenwerkes  Laufen  und  der  Fischer'schen  Gußstahl fabrikation. 
Nachdem  seit  dem  16.  Jahrhundert  am  Rheinfall  neben-  und  nacheinander  Eisen- 
Bchmieden,  Schleifen,  Kupferhämmer,  Nagel-  und  Pfannenschraieden,  Eisendraht- 
fabrikation, Farbholzschneiderei,  Tabakfabrikation  u.  a.,  aber  ohne  dauernden 
Erfolg,  versucht  worden  waren,  wurde  1705  eine  Eisenschmelzerei  ein- 
gerichtet,   die   ihr  Erz    aus    dem    benachbarten  Laufenberg   und  den  Waldungen 


Schaffhausen  —      716     —  Scbaffhausen 

von  Neunkirch  bezog.  Aber  gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  wurde  der 
Betrieb  des  Hochofens  wieder  vollständig  eingestellt;  das  Eisenwerk  war  in 
gänzlichen  Verfall  gerathen,  als  es  1809  in  den  Besitz  der  Gebrüder  Neher 
überging,  welche  1^10  den  Hochofen  wieder  in  Betrieb  setzten  und  mit  der 
Regierung  einen  Vertrag  Über  die  Erzlieferung  schlössen.  Das  Geschäft  kam  vor 
Allem  durch  seine  Gußwaaren  zu  industriellen  Zwecken  in  Aufschwung,  fugte 
ein  Walzwerk  bei  und  bemühte  sich  mit  Erfolg,  mit  ähnlichen  Werken  konkur- 
riren  zu  können.  Namentlich  war  sein  Holzkohleneisen  als  Schmiedeisen  weit 
herum  berühmt.  Es  beschäftigte  zu  Ende  der  30er  Jahre  gegen  200  Personen; 
der  vom  Staate  durch  einen  Administrator  betriebene  Bergbau  gab  60  Berg- 
leuten unter  einem  ^Grubenvogte**  lohnende  Arbeit.  Das  Erz  selbst  fand  sich 
in  Bohnerznestern  vor;  es  lieferte  bis  35  ®/o  Eisen;  jährlich  wurden  8—10,000 
Kübel  Erz  im  Werthe  von  20—30,000  Gulden  zu  Tage  gefördert.  Aber  die 
gesteigerten  Holz-  und  Eohlenpreise  und  die  Zähigkeit,  mit  welcher  der  Staat 
an  den  Preisen  des  Erzes  festhielt,  bewirkten,  daß  1850  der  Hochofen  für  immer 
außer  Betrieb  gesetzt  und  nur  noch  das  Eisen  des  ebenfalls  der  Familie  Neher 
gehörenden  Hochofens  in  Plöns  bei  Mels  verarbeitet  wurde.  Damit  war 
<lenn  auch  die  Gewinnung  von  Eisenerz  auf  Schaffhauser  Boden  vollständig  auf- 
gegeben worden.  Die  drückende  auswärtige  Konkurrenz  beeinträchtigte  später 
auch  die  Eisenindustrie  am  Laufen,  so  daß  gegenwärtig  die  Ersetzung  derselben 
durch  eine  andere  Metallindustrie  (Aluminium)  versucht  wird.  Dem  Streben, 
die  fast  unvergleichlich  starke  Wasserkraft  des  Rheinsturzes  ausgibig  für  den 
Gewerbefleiß  dienstbar  zu  machen,  steht  das  wohlberechtigte  Streben,  die  Schön- 
heit dieses  großartigen  Naturschauspiels  unentstellt  zu  erhalten,  feindselig  gegen- 
über. Ob  eine  glückliche  Lösung  zwischen  diesen  einander  widerstrebenden 
Tendenzen  gefunden  werden  kann,  bleibt  der  nächsten  Zukunft  vorbehalten. 

Da  vorstehend  der  Bergbau  berührt  wurde,  darf  hier  die  Gewinnung  und 
Verarbeitung  von  Gyps  nicht  unerwähnt  bleiben.  Noch  Ende  der  30er  Jahre 
wurde  in  Schieitheim,  Beggingen  und  ünterhallau  Gyps  gegraben  nnd  damit 
etwa  400  Arbeiter  beschäftigt.  Von  Schaffhausen  wurden  damals  gegen  20,000 
Fässer  gemahlener  Gyps  nach  Süddeutschland  ausgeführt,  während  die  Ausfuhr 
für  Südwestdeutschland  direkt  von  Sehleitheim  ausging.  Die  später  bedeutend 
verminderte  Gypsindustrie  hat  sich  in  jüngster  Zeit  wieder  neu  belebt,  aber  auf 
Sclileitheim,  das  den  besten  und  dichtesten  Gyps  besitzt,  beschränkt  und  vor- 
nehmlich auf  gemahlenen  Gyps  für  landwirthschaftliche  Zwecke  geworfen,  während 
Bau-   und  Stukkaturgyps  zurückgingen. 

Die  größte  Berühmtheit  erlangte  in  der  ersten  Hälfte  unseres  Jahrhunderts 
das  jetzt  noch  blühende  Fischer'sche  Eisenwerk  im  Mühlenthal  bei  Schaff- 
hausen. In  der  Familie  Fischer  hatte  sich  die  Beschäftigung  mit  Metallarbeit 
Jahrhunderte  laug  erblich  erhalten.  Der  Kupferschmied  Johann  Konrad  Fischer 
konstruirte  in  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  Feuerspritzen  mit  doppeltem 
Strahl,  die  wiederholt  die  höchste  Anerkennung  von  Behörden  erhielten  und  von 
denen  zwei  noch  heute  im  Kanton  Schaffhausen  benutzt  werden.  Zu  Anfang  dieses 
Jahrhunderts  erwarb  sich  Oberst  Fischer  das  Heimwesen  im  Mühlenthal,  welches 
früher  als  Tabakfabrik  verwendet  worden  war,  und  gab  sich  nun  seiner  Lieblings- 
beschäftigung hin,  Proben  guten  Stahls  herzustellen,  und  zwar  mit  solchem  Erfolg, 
daß  er  das  bisher  nur  von  den  Engländern  gekannte  Geheimniß  der  Herstellung 
von  Meteorstahl  selbstständig  erfand.  Da  dies  in  die  Zeit  der  Kontinentalsperre 
fiel  und  englischer  Stahl  deswegen  nicht  nach  dem  Kontinente  kommen  konnte, 
so  hätte  diese  Erfindung  in  großartiger  Weise  ausgebeutet  werden  können;  Fischer 


SchafThausen  —      717      —  Schaff  hausen 

aber  begnügte  sich  mit  der  Freude  über  das  Grelingen  nnd  der  ihm  gespendeten 
Ehre;  ohne  an  eine  materielle  Aasbentung  in  größerem  Maßstabe  za  denken. 
Daß  aber  seine  Erfindung  großes  Aufsehen  machte,  beweist  der  persönliche  Be- 
such Kaiser  Alexanders  I.  von  Rußland  im  Mühlenthal,  der  sich  von  dem  genialen 
Manne  in  seinem  Geschäfte  herumführen  ließ  und  ihn  mit  einem  prachtvollen 
Diamantringe  beschenkte. 

Fünf  Söhne  Fischer's  widmeten  sich  ebenfalls  der  Metallindustrie  und  wurden 
die  Begründer  noch  jetzt  blühender  Etablissements  in  Oesterreich,  zu  Hainfeld 
(Gußstahl   und  Feilen)   und  Traisen   (Weichguß)  bei  Wien,    femer  zu  Salzburg. 

Mit  dem  zunehmenden  Alter  des  Oberst  Fischer  war  das  Schaffhauser  Ge- 
schäft zurückgegangen;  der  einst  so  gesuchte  ^ Fischerstahl **  fand  keine  Abnehmer 
mehr.  In  dieser  schwierigen  Lage  übernahm  der  22jährige  Enkel  nach  dem  Tode 
des  Großvaters  das  Geschäft.  Der  1887  verstorbene  G^org  Fischer  brachte  es 
durch  eisernen  Fleiß  und  unermüdliche  Umsicht  allmälig  wieder  in  die  Höhe. 
Neben  Gußstahl  begann  er  die  Feilen fabrikation.  Von  15  Arbeitern  im 
Jahre  1863  stieg  es  bis  zum  Tode  Fischer's  auf  170.  Fischer  selbst  war  ihr 
Lehrmeister.  Da  die  ursprünglichen  Erzeugnisse,  Gußstahl  und  Feilen,  wegen  der 
deutschen  Konkurrenz  sich  immer  weniger  lohnten,  ging  das  Geschäft  schließlich 
auf  den  Weichguß  über.  Neben  Maschinenbestandtheilen,  Instrumenten  und  Hand- 
werkszeug aller  Art  werden  vor  Allem  Verbindungsstücke  für  Röhrenleitungen 
in  vorzüglicher  Qualität  geliefert.    Das  Geschäft  ist  noch  heute  in  voller  Blüthe. 

Unbedeutend  und  nur  für  die  Bedürfnisse  der  nächsten  Umgegend  arbeitend 
war  früher  die  Ziegel-  und  Kalkbrennerei,  bis  im  Jahre  1828  der  unter- 
nehmende Jakob  Ziegler-Pellis  von  Winterthur  die  städtische  Ziegel brennerei 
erwarb.  Aus  ihr  entwickelte  sich  die  rasch  zu  wohlverdientem  Rufe  gelangende 
Ziegler'sche  Thonwaarenfabrik  in  Schaft'hausen,  indem  bald  die  Fabrikation 
von  chemischen  Gefäßen  und  Kochgeschirr  eingeführt  wurde.  Neu  in  der  Schweiz 
war  vor  Allem  die  Herstellung  von  unter  Druck  gepreßten  und  inwendig  glasirten 
Röhren.  Die  rasche  Ausdehnung  des  Geschäftes  machte  die  Erwerbung  von  Wasser- 
kräften uothwendig,  die  durch  die  Anlegung  eines  Kanals  und  durch  die  Durch- 
stechung des  sog.  Rheinfelsens  auf  dem  linken  Rheinufer  in  so  reichlichem  Maße 
gewonnen  wurden,  daß  Ziegler  zu  deren  Verwendung  zeitweise  eine  mechanische 
Weberei,  eine  Oelmühle  mit  hydraulischen  Pressen,  eine  Fourniersäge,  eine 
Kundenmühle,  eine  Bleistiftfabrik  und  eine  Pulvermühle  einrichtete;  doch  gingen 
die  meisten  dieser  Unternehmungen  nicht  über  das  Versuchsstadium  hinaus.  Um 
so  erfreulicher  entwickelte  sich  die  Geschirr  fabrikation.  Das  Schaff  hauser 
Geschirr  erfreut  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  eines  wegen  seiner  Dauerhaftigkeit, 
Feuerfestigkeit  und  Billigkeit  wohlerworbenen  Rufes.  Auch  die  übrigen  Fabrikate: 
Röhren,  Falzziegel,  architektonische  Verzierungen,  Vasen,  Büsten,  Gruppen  in 
Terracotta  u.  s.  w.,  erwarben  sich  die  Anerkennung  weitester  Kreise  und  Aus- 
zeichnungen auf  zahlreichen  Welt-  und  Industrieausstellungen.  Gegenwärtig  sind 
einzelne  Zweige  aufgegeben,  dafür  ist  aber  in  sehr  ausgedehntem  Maße  und  mit 
rühmlichstem  Erfolge  die  Fabrikation  von  feinem  Tafelgeschirr  in  Stein- 
gut aufgenommen  worden.  Das  bedeutende  Geschäft  befindet  sich  noch  heute  ir> 
den  Händen  der  Enkel  des  Begründers. 

Von  den  übrigen  Ziegeleien  des  Kantons  hat  sich  eine  Ziegelhütte  zu  Höfen 
ebenfalls  zu  einer  ausgedehnten  Thonwaarenfabrik,  gegenwärtig  vor  Allem  in 
Thonröhren  und  Falzziegeln,   emporgeschwungen. 

Ueber  die  Ausdehnung  des  Gewerbes  zu  Ende  der  30er  Jahre  gibt  der 
12.  Band  der  Gemälde  der  Schweiz  (Der  Kanton  Schaff  hausen,  von  Im  Thurn) 


Schaffhausen  '  —     718     —  Schaff  hausen 

«in  Verzeichniß,  nach  welchem  im  Kanton  vorhanden  waren:  38  Getreidemühlen, 
14  Sägemühlen,  22  Hanfreiben,  3  SchleitmUhlen,  6  Lohmühlen  und  2  Walken, 
21  Oelmühlen,  8  Bierbrauereien.  Schon  damals  war  die  Weißgerberei  sehr 
heruntergekommen  und  auch  die  Rothgerberei  genügte  dem  Bedarf  nicht  mehr. 
Dagegen  blühte  die  Färberei.  Vom  Textilgewerbe  wird  eine  mechaniöche 
Baumwollspinnerei  mit  über  100  Arbeitern  und  eine  Eattundruckerei  mit  160 
Arbeitern,  beide  in  der  Stadt,  erwähnt.  Dagegen  vermochte  sich  die  Wollen- 
tuchfabrikation nur  vorübergehend  gegen  die  deutsche  Konkurrenz  zu  behaupten. 
Auf  dem  Lande  war  noch  die  jetzt  vollständig  eingegangene  Lein  wand  weberei 
als  Hausindustrie  heimisch ;  das  kleine  Dorf  Barzheim  hatte  beispielsweise  allein 
über  zwanzig  Leinwandweber.  Nennenswerth  war  auch  die  Seifen-  und  Kerzen- 
fabrikation. 

Im  Winter  1829/30  waren  zur  Gewinnung  neuer  Wasserkräfte  die  seit 
alter  Zeit  bestehenden  „Füllenen'',  Wehrdämme  im  Rhein,  bedeutend  verlängert 
worden.  In  den  40er  Jahren  erfolgten  die  ersten  Versuche  zur  Hebung  der 
Industrie  durch  gemeinsames  Vorgehen  der  Interessenten.  1844  bildete  sich  als 
Abtheilung  des  schweizerischen  Gewerbevereins  ein  Gewerbeverein  Schaff- 
hausen zur  „Entwicklung  und  Förderung  von  Handel  und  Gewerbe,  sowohl  auf 
dem  allgemein  schweizerischen,  als  dem  besondern  kantonalen  Gebiete,  Ausdehnung 
und  Vervollkommnung  der  bestehenden  und  Einführung  neuer  Industriezweige, 
welche  sich  für  den  Kanton  eignen".  An  Stelle  dieses  bald  wieder  eingehenden 
Vereins  entstand  1846  ein  „technischer  Verein**,  aus  welchem  sich  im  folgenden 
Jahre  ein  neuer,  lebensfähigerer  Gewerbeverein  entwickelte,  der  1848  eine  Ge- 
werbesonntagsschule einrichtete  und  die  in  der  Schweiz  lebhaft  behandelte  Frage 
über  Einführung  von  Schutzzöllen  mit  Eifer  aufnahm ;  an  der  damals  betriebenen 
Unterschrifteuhammlung  betheiligte  sich  Schaffhausen  mit  der  großen  Zahl  von 
2278   Unterschriften. 

Zu  den  Zwecken  des  Vereins  gehörte  auch  die  Abhaltung  von  Industrie- 
ausstellungen. Die  erste,  welche  sämmtliche  Handwerks-  und  Gewerbs- 
erzeugnisse des  Kantons  vor  Augen  fuhren  sollte,  fand  vom  5.  Augist  bis 
2.  September  1850  statt.  Sie  war,  wenn  auch  bescheiden,  von  Staat  und  Stadt 
Schaffhausen  unterbtützt  und  hatte  guten  Erfolg.  Von  den  ausgestellten  Gegen- 
ständen wurde  etwa  die  Hälfte  direkt  oder  in  die  mit  ier  Ausstellung  verbundene 
Verloosung  angekauft.  157  Aussteller,  darunter  133  aus  der  Stadt  Schaffhau^«en, 
hatten  etwa  1200  Erzeugnisse  von  67  Gewerbszweigen  ausgestellt.  Der  Katalog 
gibt  ein  deutliches  Bild  des  damaligen  Standes  der  Schaffhauser  Industrie.  Be- 
nierkensweith  ist,  daß  von  Löhningen  und  Schaffhausen  Seidencocons,  Rohseide 
und  schon  verarbeitete,  im  Lande  selbst  erzeugte  Seide  ausgestellt  waren.  Wie 
andei*swo,  hoffte  man  eine  Zeit  lang  auch  hier,  die  Seide nkultur  einführen 
zu  können,  aber,  wie  überall  nördlich  der  Alpen,  schließlich  mit  negativem  Erlolg. 
Auch  andere  damals  versuchte  Industriezweige  sind  bald  wieder  eingegangen 
oder  erst  später  unter  günstigeren  Voraussetzungen  erfolgreich  betrieben  worden. 
Immerhin  zeigt  es  sich,  daß  man  im  Stadium  eines  lebhaften  Versuchens  und 
Wagens  angekommen  war.  Von  neuen  Industriezweigen,  deren  Einführung  bei 
der  Prämirung  besonders  berücksichtigt  wurde,  werden  genannt ;  Stahlfabrikation, 
Drahtzieherei,  Drahtstiftfabrikation,  Möbelnägel-  und  Werkzeugfabrikation,  Musik- 
instrument^nfabrikation,  feinere  Mechanik,  Maschinen-,  Uhrgehäuse-,  Schmelztigel-, 
Thonwaarenfabrikatiou,  Porzellanmalerei,  Herstellung  technischer  und  chemischer 
Produkte,  mechanische  Zwirnerei,  Baumwollen-  und  Seidenweberei,  Baumwollen- 
wattelabrikation,  Wollenspinnerei,   Tricoterie,  Litzenfabrikation,  Schlauch  weher  ei. 


Schaff  hausen  —     719     —   •  Schaff  hausen 

künstliche  Blumenfabrikation,  Fourniersägerei,  Tabak-  und  Cigarrenfabrikation. 
Der  Berichterstatter  der  Ausstellung  konnte  mit  den  Worten  schließen,  daß  die 
Industrie  in  Schaffhausen  zwar  noch  darniederliege,  aber  im  Werden  und  rascher 
Entwicklung  begriffen  sei.  Größere  Etablissements,  welche  viele  Hände  beschäftigten 
und  fabrikmäßig  betrieben  wurden,  waren  vertreten  in  Eisengießerei,  Mec)^anik, 
Thonwaarenfabrikation,  in  der  Textilindustrie  und  der  Tabak-  und  Cigarren- 
fabrikation. Die  noch  zu  Ende  der  30er  Jahre  ansehnliche  Leinwandweberei  des 
Landes  ist  vollständig  verschwunden  und  nicht  durch  einen  einzigen  Aussteller 
vertreten.  Erst  später  siedelte  sich  dieses  Gewerbe,  nun  fabrikmäßig  betrieben, 
wieder  in  Schieitheim  an,  wo  heute  eine  mechanische  Leinenspinnerei  und 
-Weberei  auch  für  den  Export  erfolgreich  arbeitet. 

Aber  ein  Faktor  zur  Uebung  der  industriellen  Verhältnisse  war  bisher 
immer  nur  in  bescheidenem  Maßstabe  verwendet  worden:  die  vorzügliche  be- 
wegende Kraft,  die  der  Ehein  zu  leisten  vermochte,  die  in  andern  Schweizer 
Städten  wahrscheinlich  schon  längst  zur  Ausbeutung  gelangt  wäre.  Der  Mann, 
dessen  Bürgersinu  und  Thatkraft  Schaffhausen  die  wohlgelungene  Durchführung 
seiner  berühmten  Wasserwerke  zu  verdanken  hat,  war  Heinrich  Moser  auf 
Charlottenfels  bei  Schaffhansen,  dessen  Name  auch  in  der  Geschichte  der  Schweiz. 
Uhrenindustrie  genannt  zu  werden  verdient.  Aus  bescheidenen  Verhältnissen  empor- 
strebend, hatte  er  als  Jüngling  sich  nach  Locle  begeben  und  sich  dort  durch 
bewunderungswürdigen  Fleiß  in  seinem  Beruf,  der  XJhrenmacherei,  zur  höchsten 
Vervollkommnung  emporgearbeitet.  Später  gelang  es  ihm,  durch  eiserne  Ausdauer 
und  unermüdlichen  Kifer  in  Petersburg  ein  blühendes  Geschäft  zu  begründen  und 
schließlich  mit  bcinen  Uhren  den  gesammten  russischen  Markt  unbestritten  zu 
beherrschen.  Schon  damals  gedachte  er,  die  Uhrenmacherei  nach  seiner  Vaterstadt 
zu  ziehen  und  Schaffhausen  zum  Mittelpunkt  seiner  russischen  Unternehmungen 
zu  machen,  wie  er  es  dann  später  für  Locle  that;  aber  viele  Hindernisse  ver- 
eitelten zu  seinem  größten  Schmerze  diesen  Plan.  Seitdem  Moser,  zu  fürstlichem 
Reichthume  gelangt,  in  seine  Heimat  zurückgekehrt  war  (1848),  richtete  er  seine 
Thätigkeit  zur  Hebung  der  Schaffhauser  Industrie  vornehmlich  auf  zwei  Punkte : 
1)  Ausgiebigere  Benutzung  der  Wasserkräfte  des  Bheins;  2)  Heranziehung  tüchtiger 
einheimischer  und  auswärtiger  Industriellen,  um  diese  Kräfte  zum  eigenen  und 
allgemeinen  Nutzen  und  zum  Wohl  der  Vaterstadt  zu  verwerthen.  Schon  1850/51 
ließ  er  mit  großen  Kosten  einen  neuen  Kanal  am  Rheine  herstellen,  in  welchen 
er  die  erste,  noch  heute  thätige  Turbine  mit  80  Pferdekräften  setzte.  Schon 
dieses  Werk  ermöglichte  die  Einrichtung  einer  großen  Säge,  Wagnerei,  Schlosserei, 
mechanischen  Werkstätte,  einer  Drahtzug-  und  Stiftenfabrik,  einer  mechanischen 
Zwirnerei  und  Wattenfabrik  und  vor  Allem  der  bald  in  glänzender  Weise  sich 
ausdehnenden  mechanischen  Werkstätte  für  Herstellung  landwirthschaft- 
licher  Maschinen  der  Gebrüder  Eauschenbach,  die  zu  einem  der  ersten 
Etablissements  dieser  Art  in  Deutschland  und  der  Schweiz  sich  emporschwang. 
Auch  die  Uhrenschalenmacherei  wurde  durch  Moser  in  Schaffhausen  ein- 
geführt.   Sie  hat  sich  bis  heute  erhalten  und  auch  auf  Stein  a.  Eh.  übertragen. 

Auch  für  die  Hebung  des  Verkehrs  durch  bessere  Verbindungswege  war 
Moser  besorgt.  An  der  Einführung  der  Dampf  schiff  fahrt  auf  dem  Rhein 
und  dem  Zustandekommen  der  Rheinfallbahn  Schaff  hausen- Win  terthur  hat  er  einen 
hervorragenden  Antheil,  wenn  auch  der  letztere  Bau  in  seiner  Ausführung  nicht 
ganz  seinen  Wünschen  entsprach.  Auf  seine  Initiative  erfolgte  die  Gründung  der 
schweizerischen  Waggonfabrik  zu  Neuhausen,  welche  sich  später  zu  einem 
Aktieuunter nehmen    ausbaute    und    durch    die    Einführung    der    Gewehrfabri- 


Schaff  hausen  —     720     —  Schaff  hausen 

kation  bedeutend  erweiterte.  Als  „schweizerische  Industriegesellschaft  Neu- 
hausen **  erfreut  sie  sich  noch  heute  eines  wohlverdienten  Rufes.  Bei  allen  diesen 
Unternehmungen  erwarb  sich  Moser  das  Verdienst  der  durchgreifenden,  von  großen 
Geldmitteln  unterstützten  Energie  in  der  Ausführung. 

Im  Winter  1857/58  trat  ein  so  niedriger  Wasserstand  des  Rheins  ein,  daß 
ein  schon  früher  zeitweise  hervortretender  üebelstand  der  bisherigen  Waaeer- 
anlagen  sich  bis  zur  Unerträglichkeit  steigerte:  der  Betrieb  der  Etablissements 
mußte  wegen  mangelnder  Wasserzufuhr  eingestellt  werden.  Die  Besitzer  be- 
stürmten nun  den  Stadtratb,  geeignete  Maßnahmen  zu  treffen,  damit  den  bis- 
herigen Kanälen  mehr  Wasser  zufließe.  Sofort  kam  nun  der  Gedanke  anf,  nicht 
bloß  die  bisherigen  Anlagen  in  ihrem  Bestände  zu  sichern,  sondern  gleichzeitig 
durch  Neuanlage  neu  zu  verwendende  bewegende  Kraft  zu  erlangen.  Nach  ver- 
schiedenen Verzögerungen  gelang  es,  Moser  für  die  Angelegenheit  ganz  zu  ge- 
winnen, und  mit  der  ihm  eigenen,  durch  Hindernisse  nur  gesteigerten  Energie 
übernahm  er  die  Ausführung  des  großartigen  Werkes.  Durch  einen  gewaltigen 
Wehrdamm  quer  über  den  ganzen  Rhein  wurde  das  Wasser  gestaut  und  gleich* 
zeitig  der  am  linken  Ufer  errichteten  Turbinenanlage  zugeführt.  Moser  selbst 
gründete  die  Wasserwerkgesellschaft  als  Aktienunternehmen  und  ver- 
pflichtete sich  der  Stadt  SchafFhausen  gegenüber  vertraglich,  ein  Werk  herzu- 
stellen, welches  nicht  bloß  die  frühern  Geschäfte  mit  einer  beständigen  bewegenden 
Kraft  versehen,  sondern  500  neue  Pferdekräfte  zur  Verwerthung  liefern  sollte. 
Unter  den  größten  Schwierigkeiten,  bei  der  eingreifendsten  persönlichen  Thätigkeit 
Moser's,  wurde  dieses  Werk  in  den  Jahren  1863—1866  zu  Ende  geführt.  Im 
April  1866  konnte  es  als  vollendet  gelten;  im  folgenden  Jahre  wurde  die  erste 
Turbine  mit  etwa  200  Pferdekräften  eingestellt  and  in  Betrieb  gesetzt.  Die  Kraft 
wurde  vom  linken  Ufer  zum  rechten  hinüber  und  von  diesem  rheinaufwärts  durch 
Drahtseiltransmission  geleitet  und  dann  vermittelst  Kombination  von  Drahtseil- 
und  Wellentransmission  in  die  schon  vorhandenen  und  neu  entstehenden  indu- 
striellen Betriebe  vertheilt.  Außer  Moser,  dessen  Verdienste  nun  endlich  von 
Seite  seiner  Mitbürger  die  gebührende  Anerkennung  fanden,  war  das  Gelingen  des 
Werkes  vor  Allem  dem  Ingenieur  der  bekannten  M aschinen werkstätte  J.  J.  Rieter 
in  Winterthur,  D.  H.  Zieglerj  zu  verdanken,  dem  die  durchaus  gelungene  Anlage 
dieser  damals  großartigsten  Drahtseiltransmission  im  folgenden  Jahre  1867  die 
goldene  Medaille  der  Pariser  Weltausstellung  eintrug. 

Hand  in  Hand  mit  der  Erstellung  der  Wasserwerke  ging  die  Erbauung 
eines  Indutitriegebäudes  durch  Moser,  damit  die  nach  Schafl'bausen  zu  ziehende 
Industrie  passende  Räumlichkeiten  vorfinde.  Auch  für  gesunde  und  billige 
Arbeiterwohnungen  wurde  frühzeitig  gesorgt.  Bei  dieser  umsichtigen  Für- 
sorge, bei  der  vorzüglichen  und  zu  sehr  billigen  Preisen  gelieferten  bewegenden 
Kraft  und  bei  der  leichten  Verbindung  durch  die  schweizerische  Nordostbahn  und 
die  badische  Bahn  ging  die  Hoffnung  auf  rasche  Hebung  des  industriellen  Lebens 
vollständig  in  Erfüllung.  Nicht  bloß  hatten  die  frühern  Anlagen  ihre  Wasser- 
kräfte vermehrt  und  vom  jeweiligen  Wasserstande  des  Rheins  sich  unabhängig 
gemacht,  sondern  es  waren  auch  statt  der  versprochenen  500  neuen  Pferdekräfte 
etwa  750  gewonnen,  nachdem  allmälig  drei  Turbinen  eingesetzt  worden  waren. 
Schon  1876,  nach  bloß  zehnjährigem  Bestände,  konnte  die  Wasserwerkgesellschaft 
sagen,  daß  sie  alle  verfügbare  Kraft  vergeben  habe.  Bei  dem  glänzenden  Auf- 
schwung der  Industrie  in  diesem  Zeitraum  und  bei  dem  Umstände,  daß  die 
Gesellschaft  noch  über  geeignete  Bauplätze  zur  Herstellung  neuer  industrieller 
Anlagen  verfügte,  mußte  die  Frage,  ob  die  Gesellschaft  ihre  Aufgabe  als  erfüllt 


Schaff  hausen  —     721     —  Schaff  hausen 

betrachten  oder  auf  neue  Vermehrung  der  Wasserkräfte  bedacht  sein  solle,  in 
letzterem  Sinne  sich  lösen.  Gegenwärtig  (1888)  werden  die  Werke,  die  nach 
ihrer  Vollendung  an  Großartigkeit  der  Anlage  in  weitestem  Umkreise  einzigartig 
dastehen  werden,  in  der  Weise  erweitert,  daß  durch  Einsetzung  von  fünf  neuen 
Turbinen  zu  den  alten  noch  1500  frische  Pferdekräfte  zur  Verfügung  stehen 
sollen.  Rühmenswerth  darf  vor  Allem  hervorgehoben  werden,  daß  das  Aktieu- 
unternehmen  bis  zum  heutigen  Tage  seiner  Aufgabe,  billige  Kraft  zu  liefern, 
unwandelbar  nachgekommen  ist  und  niemals  daran  gedacht  hat,  seinen  Antheil- 
habern  einen  hohen  Gewinn  zu  verschaffen.  In  einzelnen  Jahren  verzichteten  die 
Aktionäre  auf  jeden  Gewinn;  in  den  übrigen  schwankt  die  Rendite  meistens 
zwischen  3  und  4  ^/o  und  hat  die  letzteiii  nie  überschritten. 

Sehen  wir  zu,  welchen  Industrien  diese  reichliche  Wasserkraft  zu  gute 
gekommen  ist.  Zunächst  konnte  einer  Reihe  von  Handwerkern  und  Kleingewerbe- 
treibenden, die  bisher  ausRchließlich  auf  Handarbeit  angewiesen  waren,  die  nQthige 
Kraft,  meistens  wenige  Pferde,  zur  Ausdehnung  des  Betriebes  geliefert  werden» 
so  Waffenschmieden,  Schlossern,  Kleinmechanikern,  Schreinern,  Glasern,  Drechslern, 
Schleifern,  Mühlenmachern,  Hafnern  u.  s.  w.  Von  größern  industriellen  Unter- 
nehmungen, die  entweder  ganz  neu  herangezogen  wurden  oder  eine  wesentliche 
Ausdehnung  ihres  Betriebes  erlangten,  ist  in  erster  Linie  die  kürzlich  in  eine 
Aktiengesellschaft  umgewandelte  SchöUer'sche  Kammgarnspinnerei  zu  nennen, 
ein  Etablissement,  welches,  im  Anfangsjahre  1867  mit  50  Pferdekräften  betrieben, 
schon  lö73  nicht  weniger  als  266  Pferde  verwendete  und  gegenwärtig  nicht 
bloß  annähernd  300  Kräfte  vom  Wasserwerk  bezieht,  sondern  gleichzeitig  Dampf- 
betrieb eingeführt  hat.  Nach  neuesten  Verträgen  soll  die  Wasserwerkgesellschaft 
nach  Beendigung  ihrer  Neuanlagen  der  Kammgarnspinnerei  eine  konstaute  Kraft 
von  600  Pferden  liefern.  Das  genannte  Etablissement  steht  in  Bezug  auf  Vor- 
trefflichkeit der  Einrichtungen  und  Leitung,  sowie  auf  vorzügliche  Qualität  seiner 
Produkte,  Kammgarn  in  den  feinsten  Gespinnstnummern,  unübertroffen  da. 

Dazu  kamen  eine  Kamm  Wollspinnerei  und  -Zwirnerei,  eine  WoUenspinnerei, 
eine  mechanische  Baumwollzwirnerei  und  -Bleicherei,  eine  durch  die  ausgezeichnete 
Qualität  ihrer  Produkte  bekannte  Tricotfabrik  mit  Bleicherei,  Appretur  und  Kon- 
fektion, eine  Wattenfabrik,  die  internationale  Verbandstofffabrik,  die  große  mecha- 
nische Bindfadenfabrik  auf  dem  linken  Rheinufer,  die  ebenfalls  200  Pferdekräfte 
durch  Wellentransmission  von  den  Turbinen  erhält,  eine  Riemenfabrik,  Silberwaaren- 
und  Uhrenschalenfabriken,  dann  eine  internationale  Uhrenfabrik,  welche  aus  einem 
mißglückten  Aktienunternehmen  später  in  Privathandel!  wieder  aufblühte,  eine 
sehr  ausgedehnte  Kinderwagenfabrik  und  eine  sich  immer  mehr  entfaltende  Etuis- 
und Cartonnagefabrikation.  Eigenartig  ist  auch  die  schon  zu  Anfang  unseres 
Jahrhunderts  in  Schaff  hausen  nachweisbare,  1828  nach  Dießenhofen  verlegte  und 
seit  1861  wieder  nach  Schaff  hausen  zurückgekehrte  Spielkartenfabrikation,  die 
nun,  auf  Maschinenbetrieb  übertragen  und  durch  Billetsfabrikation  erweitert,  im 
Müller'schen  Etablissement  in  höchster  Blütbe  steht. 

Weltruf  hat  durch  ihre  Planimeter  und  andern  Apparate  zur  mechanischen 
Integration,  zu  hydrometrischen  und  dynamometrischen  Messungen  und  andere 
Erfindungen  auf  dem  Gebiete  der  feinsten  Mechanik  die  Amsler'sche  mechanische 
Werkstätte  erlangt. 

Die  Drahtseiltransmission  brachte  auch  die  schon  lange  in  Schaffhausen  an- 
sässige Seilerei  zu  neuem  Aufschwünge  und  erweiterte  sie  durch  die  Verfertigung 
vorzüglicher  Drahtseile. 

Furrer,  Volkswirthschafra-Lexikon  der  Schweiz.  4^ 


1870 

1880 

7100 

7933 

38 

47 

9 

16 

4 

7 

Schaffhausen  —      722     —  Schaff  hausen 

Es  kann  nicht  die  Aufgabe  einer  Greschichte  der  Schaffhaaser  Industrie  sein, 
die  gesammte  industrielle  Thätigkeit,  wie  sie  heutigen  Tages  in  Schaffhausen  zu 
linden  ist,  zu  schildern ;  doch  war  es  unerläßlich,  wenigstens  das  Hauptsachlichste 
davon  zu  erwähnen,  um  damit  nachzuweisen,  wie  Schaffhausen  durch  seine  Wasser- 
werke plötzlich  von  einer  industriell  wenig  bedeutenden  Stadt  in  die  Reihe  der 
ersleu  schweizerischen  Industriestädte  eintrat. 

Gegenüber  diesem  gewaltigen  Aufschwung  der  Stadt  blieb  die  Landschaft  aus 
nahe  liegenden  Gründen  zurttck.  Neben  der  schon  erwähnten  Uhrgehänsefabrikation, 
ferner  einer  Schuhfabrik  und  mechanischen  Werkstätte  in  Stein,  einer  mechanischen 
Weberei  und  einer  Roßhaarfabrik  in  Thayngen,  einer  mechanischen  Werkstätte 
zur  Herstellung  von  Oamp-,  Luft-  und  Wasserheizungen,  Kocheinrichtungen, 
Feldküchen  etc.  in  Neunkirch,  einer  mechanischen  Werkstätte  in  Löhningen  für 
Pumpen,  Ventile  etc.,  sind  die  industriellen  Betriebe  im  ländlichen  Theile  des 
Kantons,  soweit  sie  nicht  früher  schon  berührt  wurden,  ohne  großen  Belang 
geblieben.     (Vgl.  auch  den  Abschnitt   „Fabriken**,  Seite  711.) 

Urproduktion. 

Es  widmeten  sich 

im  Jahre  1860            1870            1880            1888 

der  Landwirthschaft     .      .  6905          7100          7933                       Personen 

der  Forst wirthschaft     .      .  36 

dem  Bergbau     ....  2 

der  Jagd  und  Fischerei    .  11 

L  ai- n  d  w  i  r  t  h  s  c  h  a  f  t . 

Schaffhausen  ist  einer  der  ersten  agnkolen  Kantone  der  Schweiz.  £r  hat 
zunächst  nach  Appenzell  A.-Eh.,  Baselland  und  Aargau  den  Vorzug  vor  den 
übrigen  Kantonen  und  Halbkantoneu,  verhältnißmäßig  am  meisten  produktiven 
Boden  (95,5  ®/o  des  gesammten  Areals)  zu  besitzen;  ferner  wird  er  in  Bezug 
auf  die  verhältnißmäßige  Ausdehnung  des  Weinbergareals  nur  vom  Kanton  Genf 
übertrotfen  und  in  Bezug  auf  den  verhältnismäßigen  Waldreichihum  steht  er  an 
der  Spitze  aller  Kantone. 

Dieses  Verständniß  für  die  Ausnützung  jeder  Scholle  urbaren  Landes  war 
nicht  immer  vorhanden.  Vor  50  Jahren  erinnerte  man  sich  noch  wohl  der  Zeit, 
wo  hochgelegene  Aecker  nach  nur  1 — 2jähriger  Benützung  6 — 12  Jahre  lang 
brach  lagen,  weil  man  sie  nicht  zu  düngen  verstand.  „Jetzt  aber",  schreibt 
Eduard  Im  Thuin  1839  in  seinem  musterhaften  .Beitrag  zum  „Gemälde  der 
Schweiz**  (Verlag  von  Huber  &  Co.,  St.  Gallen  und  Bern),  „ist  dieses  alles 
anders.  Auf  dem  Banden  hat  man  die  grüne  Düngung  eingeführt  und  so  den 
Weg  gebahnt,  daß  einige  tausend  Jucharten,  welche  früher  nicht  mehr  ertrugen, 
als  in  den  Thälern  150  Jucharten,  einen  ihrer  Größe  angemessenen  Ertrag 
lieferten.  Ganz  unfruchtbare  Randenäcker  hat  man  mit  Wald  anfliegen  lassen, 
und  wenn  einmal  der  Futterbau  größere  Ausdehnung  erhalten  haben  wird,  dürfte 
der  bisher,  so  gering  geschätzte  Randen  noch  mehrere  tausend  Menschen  ernähren, 
ohne  daß  die  Bevölkerung  der  Thäler  abnähme.** 

Diese  Prophezeiung  hat  sich  vollständig  bewahrheitet,  und  zwar  ohne  daß 
im  Kanton  Schaffhausen  ein  so  auffallender  Uebergang  vom  Ackerbau  zum  Wiesen- 
bau stattgefunden  hätte,  wie  in  vielen  andern  Kantonen  der  Schweiz.  Wohl  hat 
von  1839 — li!<84  das  Ackerland  um  ca.  3700  ha  ab-  und  das  Wiesland  um 
ca.  2400  ha  zugenommen;  allein  trotzdem  verblieben  dem  Ackerbau  immer  noch 
33  ^/o  des  Kulturbodens,  d.  i.    13  ®/o  mehr  als  im  Nachbarkanton  Zürich. 


Scha£t  hausen 


—     723     — 


Schaffhausen 


Der  Schaff  haaser  Landwirth  legt  eben  großen  Werth  darauf,  in  Bezug  auf 
<ias  Getreide  nicht  vom  Ausland  abhängig  zu  sein  —  und  als  Bewohner  eines 
(jrenzkantons  thut  er  wohl  daran.  Eine  gewisse  Dosis  Gewohnheit  mag  allerdings 
auch  bei  der  Sache  mitwirken,  denn  die  Väter  der  jetzigen  Generation  zogen 
Getreide  niclit  bloß  für  den  Eigenbedarf,  sondern  auch  für  den  Export.  Der 
Kanton  Schaff  hausen  galt  als  Kornkammer. 

Nicht  weniger  große  Bedeutung  hatte  er  als  Weinprodueenty  welche  Be- 
<leutuiig  er  sich  übrigens  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten  hat,  nur  mit  dem 
Unterschied,  daß  die  Weinberge  das  ihnen  noch  in  den  30er  Jahren  beigelegte 
Attribut  „Fundament  des  schaff hauserischen  Nationalreichthums**  (um  dessentwillen 
«ie  in  sehr  hohem  Preise  standen)  heute  mit  der  gesammten  Bodenkultur  theilen 
müssen.  Zum  Beweise  hiefür  mag  die  seh  äff  hauser  ische  Agrarstatistik  von  1884 
«elbst  sprechen.     Sie  enthält  u  A.  folgende  Daten: 

5106  ha    Wiesen  . 


Geld  werth  des  Futter-Ertrages    von!  o^r^o 

„           der  Getreide-Ernte       „  4798 

„              „     Weinernte               „  1118 

„              „     Wurzelgewächse     „  1870 

,              „     Industriepflanzen    „  96 


Ackerland 

n 

Rebgelände 
Ackerland 


Rechnet  man  hiezu  den  Ertrag 


15096  ha      .     .     . 

11744    „     Wald     . 
,      1 54200  Stk.  Obstbäumen 
der  Gärten 


Fr.  2221,825 

„    1'924,071 

„    r646,060 

„    1^078,231 

86,009 


ca. 
ca. 


Fr.  6'956,196 

„       720,000 

,       300,000 

24,000 


fio  kommt  man  zu  einem  Bodenkultur- Ertrag  von  rund      .      .      .Fr.  8'000,000 

Gute  Jahre  mögen  höhere  Ergebnisse  aufweisen.  Daß  dies  wenigstens  in 
Bezug  auf  den  Wtinbau  der  Fall  ist,  ergibt  sich  aus  der  seit  vielen  Jahren 
geführten  Schaff  hauser  Weinbaust^tistik.  Sie  verzeichnet  pro  1887  ein  Erträgniß 
von  Fr.  2'815,000,  pro  1885  von  Fr.  2'570,800.  Die  schlimmen  Jahre  sind 
gezeichnet  durch  Summen  wie:  Fr.  512,800  (1861),  Fr.  543,000  (1860), 
Fr.  855,572  (1882)  u.  s.  w.  Das  jährüche  Mittel  der  27jährigen  Periode 
1858/85  belief  sich  auf  Fr.  1^568,387,  das  immerhin  nach  Abzug  von  4'/2  7o 
Zins  des  auf  Fr.  9'000,000  taxirten  Grundwerthes  der  Weinberge  und  nach 
weiterem  Abzug  von  Fr.  1 '000,000  Betriebskosten  ein  Netto- Erträgniß  von 
Fr.  163,387  (Fr.  146  per  Hektar)  oder   i,81  7o  des  Grundwerthes  übrig  ließ. 

Während  der  29jährigen  Periode  1858 — 1888  (zwei  Male  wurde  keine 
Statistik  aufgenommen)  variirte  der  jährliche 

Weinertrag  p.  ha  zwiscb.  lO'^hi    u.  106  hl        (1861  u.  1875).  29j.  Durchschn.  51  hl 
Geld  werth   ,     ,  ,      Fr.522.  —  „  Fr.2728.  -     ,      ,      .         ,  ,        Fr.l418.— 

Weinpreis    ,  hlR.      ,        ,     19.98,    ,      57.36  (1858 u.  1873).  .  ,  „  .      37.50 

,  ,  W.      .        .    10.66  .    ,      45.  .      ,      .         ,  .  ,      24.- 

,    15.32.    .      49.10     ....  .  .      30.- 


f,  r,  Om.   , 


Bedeutendste  Weinbaugemeinde  ist  ünterhallau  mit  192,4  ha  Rebgelände. 
Ihr  am  nächsten  stehen  die  Gemeinden  Oberhallau  und  Schaff  hausen  mit  je 
74,7  ha.  Den  höchst  taxirten  Rebboden  hat  dagegen  die  Gemeinde  .üdlingen: 
Fr.  139  per  Hektar  ;  ihr  folgen  Neuhausen  mit  Fr.  128,  Unterhallau  und  Buch- 
berg mit  je  Fr.  101,  die  übrigen  Gemeinden  mit  Fr.  30 — 99  per  Hektar. 

Der  oben  angegebene  Bodenkultur-Ertrag  von  Fr.  8'000,000  ist  selbst- 
verständlich nicht  zu  verwechseln  mit  Gesammt-Einkommen  oder  gar  Netto- 
Einkommen  der  Landwirthschaft.    Die  drei  Dinge  repräsentiren  sehr  verschiedene 


Schaffhausen 


—     724     — 


Schaffhausen 


Von  der  Gerste 
Vom  Hafer 
Vom  Roggen 


16,7  q  Kömer  h  Fr.  20.   —   und  31,9  q  Stroh  k  Fr.  3.  40 

17,7   „        ^        „     „     18.  55      „     30,7   ,  „       ,     .  3.  25 

1»     18,6  „  „       „     „  2.  95 

n       21,6     r»  n          »       n  3.  

60     ,     32,8   ,  ,       .     .  4.  30 


17.   15 
16.  65 


Größen,  welche  zu  ermitteln  ohne  Eenntniß  der  Betriebskosten,  des  Nutzens  aus 
der  Milch-  und  Fleischproduktion,  der  hypothekarischen  Lasten  etc.  nicht  mög» 
lieh  ist. 

Zu  der  sehr  nützlichen  schatfhanserischen  Agrarstatistik  von  1884  zurtlok- 
kehrend,  entuehmen  wir  derselben  ferner,  daß  unter  den  Getreide-Arten 
der  Weizen  die  erste  Stelle  einnimmt  (1542  ha),  Dinkel  die  zweite  (1278  ha)^ 
Gerste  die  dritte  (915  ha),  Hafer  die  vierte  (631  ha),  Boggen  die  fünfte  (365  ha). 

Die  Ernte  ergab  per  Hektar: 
Vom  Weizen 
Vom  Dinkel 

17,1 
16,5 

14,9     ,  r,  „       n       17. 

Die  Wurzelgewächse  sind  zu  ca.  Vs  Kartoffeln  (1666  ha),  dann  folgen 
WeißrUben  mit  54 1  ha,  Runkelrüben  mit  2 1 7  ha,  Mohrrüben  mit  6  ha,  Cichorien 
mit  0,26  ha.  Die  Kartoffelernte  ergab  per  Hektar  125  q  ä  Fr.  4.  11,  die 
Cichorienemte  per  Ar  42  kg  ä  32  Rp. 

Als  Futtersorten  verzeichnet  die  Statistik  Wiesenheu,  Klee,  Kleegras» 
Esparsette,  Luzerne,  wenig  Wicken,  Futterroggen  und  GrUnmais.  Das  grüne 
Wiesenfutter  wurde  nicht  in  Betracht  gezogen.  Die  Ernte  ergab  per  Hektar : 
an  Wiesenheu  54  q  k  Fr.  5.  20,  an  Futterkräutern  69  q  ä  Fr.  5.  20. 

Als  Industrie-  und  Handelspflanzen  werden  aufgeführt:  Hanf  mit 
53,7  ha,  Flachs  mit  14,2  ha,  l^ewat  mit  10,3  ha,  Hopfen  mit  5,9  ha,  Mohn  mit 
5,8  ha,  Haiidelsgarten pflanzen  mit  4,6  ha,  Tabak  mit  0,9  ha,   Weiden  mit  0,4  ha. 

Die  Ernte  ergab  per  Hektar:  vom  Hanf  584  kg  Samen  k  36  Rp.  und 
640  kg  Bast  ä  Fr.  1.  20;  vom  Flachs  522  kg  Samen  ä  50  Rp.  und  485  kg^ 
Bast  8  Fr.  1.  40;  vom  Hopfen  606  kg  k  Fr.  2.  80;  vom  Tabak  2145  kg  a 
72  Rp.;  vom  Mohn  2172  kg  a  43  Rp. 

Die  Größe  der  land wirthschaftlichen  Heimwesen  betreffend, 
enthält  die  Statistik  Angaben  aus  8  Gemeinden.  Es  erhellt  daraus  die  interessante 
Thatsache,  daß  von  2829  Heimwesen  54  ®/o  weniger  als  1*/*  ha  umfassen,  24  "/o. 
174  -272  ha,  167a  7u  272—5  ha,  5^0  5—10  ha  groß  sind.  Nur  24  Heim- 
wesen umfassen  10  —  20  ha,  8  Heimwesen  20 — 40  ha,  nur  2  Heimwesen  über  40  ha. 

Die  Statistik  sagt  es  nicht,  aber  es  ist  dennoch  in  Betracht  zu  ziehen,  daß- 
die  Waldungen  zu  87  ®/o  Staats-,  Genleinde-  oder  Genossenschaftsgtiter  sind  und 
daher  nur  zum  kleinsten  Theil.  wahrscheinlich  gar  nicht,  in  den  obigen  Größen- 
angaben der  Heimwesen  inbegriffen  sind.  Dies  vorausgesetzt,  ergibt  sich  fllr 
obige  8  Gremeinden  und  2829  Heimwesen  ein  durchschnittlicher  Heimwesenumfang^ 
von  1,4  ha  ohne  Wald.  Material  zur  Vergleichung  mit  anderen  Kantonen  ist 
leider  nicht  vorhanden. 

Eine  auffallende  Vermehrung  hat  im  Kanton  Schaffhausen  seit  50  Jahren 
der  Viehstand  erfahren.     Die  Statistik  gibt  darüber  Aufschluß: 


Die  Zählung  von 

1838 

1866 

1876 

1886 

ergab  an  Rindvieh   . 

.      .     Stk. 

4077 

8901 

9060 

10505 

Pferden 

« 

737 

1316 

1044 

878 

Ziegen 

>         •             n 

833 

3166 

4232 

4710 

Schafen     . 

•            n 

339 

176 

57 

35 

Schweinen 

•        •            »» 

178 

5096 

5948 

7746 

Esehi   . 

"stk7 

17 

2 

— 

6181 

18657 

20341 

23874 

Schafifhausen  —     725     —  Schaff  hausen 

Daß  der  Pferdebestand  vor  50  Jahren  fast  so  groß  war  wie  heute,  beruht 
darauf,  daß  damals  noch  keine  Eisenbahnasüge  zlrkulirten  und  viele  Reisende, 
welche  bei  Schaffhausen  in  die  Schweiz  trateti,  dort  Pferde  zur  Weiterreise 
mietheten. 

In  der  zweiten  Hälfte  der  SOer  Jahre  begann  die  staatliche  Förderung  der 
JRind Viehzucht  durch  Geldprämien  fdr  Zuchtstiere.  Die  ersten  hiefur  (vom  Staate 
und  von  der  landwirthschaftlichen  G-esellschaft  gemeinsam)  ausgesetzten  Beträge 
beliefen  sich  auf  330  GuMen;  heute  sind  es  jährlich  Fr.  7000,  die  allein  der 
Staat  für  die  Förderung  der  Landwirthschaft  ausrichtet.  Der  größte  Theil  wird 
flir  Viehprämirungen,  der  Rest  fdr  Wander  vortrage  und  Spezialkurse  verausgabt. 

Die  regierungsräthliche  Verordnung  (25.  Mai  1887),  in  welcher  die  staat- 
lichen Leistungen  umschrieben  sind,  könnte  wohl  in  manchem  Punkte  anderen 
Kantonen  als  Rathgeber  dienen.  Aus  diesem  Grunde  gelangt  sie  hier  theilweise 
zum  Abdruck: 

Art.  4.  Von  Seite  der  Gemeinderäthe  ist  für  die  Anschaffung  und  für  den  Unter- 
halt der  Zuchtstiere  in  den  Gemeinden  in  der  Art  zu  sorgen^  daß  sie  entweder: 
a.  die  erforderlichen  Zuchtstiere  selbst  ankaufen  und  auf  Kosten  der  Gemeinden  in 
eigenen  Stallungen  unterhalten  lassen,  oder  b.  mit  einem  Wucherstierpächter  auf  Grund- 
lage dieser  Verordnung  fflr  Anschaffung  und  Unterhalt  der  Stiere  einen  Pachtvertrag 
abschließen.  Die  Pachtverträge  mQssen  der  Landwirthschaftskommission  zur  Genehmigung 
eingesandt  werden.  In  beiden  Fällen  sind  die  Gemeinderäthe  lür  Haltung  der  erforder- 
lichen Zahl  Zuchtstiere,  sowie  für  die  richtige  Fütterung  und  Pflege  derselben  verant- 
wortlich. 

Art.  5.  Die  Gemeindei  äthe  haben  ferner  dafür  zu  sorgen,  daß  in  jeder  Gemeinde 
für  die  Beschälung  des  Viehes  geeignete,  geschlossene  Lokale  vorhanden  sind.  Es  ist 
bei  einer  Buße  von  Fr.  10  untersagt,  Vieh  in  andern  als  in  den  hiezu  bestimmten 
Lokalen  beschälen  zu  lassen. 

Art.  6.  Die  Gemeinderäthe  haben  alle  zw^ei  Jahre  eine  genaue  Zählung  der  vor- 
handenen Kühe  und  zuchtHlhigen  Rinder  vorzunehmen  und  der  Direktion,  der  Land- 
wirthschaft die  Resultate  der  Zählung  mitzutheilen.  Rinder,  welche  zur  Zeit  der  Zählung 
das  Alter  von  15  Monaten  erreicht  haben,  sind  als  zuchtföhig  aufzunehmen. 

Art.  7.  In  jeder  Gemeinde  soll  auf  höchstens  80  Stück  Kühe  und  zuchtfähige 
Rinder  je  ein  Zuchtstier  gehalten  werden.  Wenn  in  einer  Gemeinde  weniger  als  40  Stück 
Kfilie  oder  zuchtfähige  Rinder  sich  befinden,  so  kann  sich  dieselbe  bezüglich  der  Haltung 
eines  Zuchtstieres  mit  einer  Nachbargemeinde  vereinigen.  In  diesem  Falle  hat  der  be- 
treffende Gemeinderath  den  bezüglichen  Vertrag  der  Landwirthschaftskommission  zur 
Prüfung  und  Genehmigung  vorzulegen. 

Art.  8.  Die  Zuchtstiere  müssen  einer  der  beiden  schweizerischen  Hauptviehrassen 
(sciiweizcrische  Fleckvieh-  oder  schweizerische  Braunviehrasse)  angehören.  Mischlinge 
sind  ausgeschlossen.  Eine  Gemeinde,  die  zur  Haltung  mehrerer  Zuchtstiere  verpflichtet 
ist,  kann  beide  Rassen  halten. 

Art.  9.  Die  Zuchtstiere  sollen  in  Körperbau  und  Färbung  die  ausgesprochenen 
Merkmale  ihrer  Rasse  an  sich  tragen,  vollkommen  gesund  und  zuchtfähig  sein.  Zucht- 
j^tiere  unter  l'/«  und  über  5  Jahren  dürfen  nicht  zur  Zucht  verwendet  werden. 

Art.  10.  Zur  Erleichtenmg  der  Beschaffung  vorzügliclier  Zuchtstiere  wird  durch 
<lie  Landwirthschaftskommission  alljährlich  eine  Anzahl  solcher  angekauft.  Diese  An- 
käufe finden  in  der  Regel  im  Spätjahr  (September)  statt.  Die  Direktion  der  Landwirth- 
schaft erläßt  jeweils  im  Monat  Juli  im  Amtsblatte  eine  Einladung  an  sämmtliche  Ge- 
meinderäthe, ihren  Bedarf  an  Zuchtstieren,  nach  Rasse,  Alter  und  Schlag  (schwerer 
oder  mittlerer)  genau  bezeichnet,  der  Landwirthschaftskommission  mitzutheilen.  Die 
du  roll  die  Kommission  angekauften  Stiere  werden  unter  die  bestellenden  Gemeinden 
(resp.  Pächter)  versteigert.  Die  Gemeinden  (resp.  Pächter)  sind  verpflichtet,  die  bestellte 
Zahl  zu  übernehmen. 

Art.  IJ.  Die  Versteigerung  geschieht  unter  folgenden  Bedingungen:  1)  Die  Hälfte 
der  Ankaufs-Unkosten  wird  voriveg  auf  Rechnung  des  Staates  übernommen.  2)  Die 
andere  Hälfte  der  Kosten  nebst  dem  Ankaufspreise  muß  erlöst  werden.  Wird  ^iese 
Sunune  nicht  angeboten,  so  wird  der  Rest  prozentualisch  auf  die  Steigerungssunime 
geschlagen ;   wird   mehr   angeboten,   so   findet  ein   prozentualischer  Abzug  bis  auf  die 


Schaffhausen  —      726      —  Schaffhausen 

angebotene  Summe  statt.  Für  die  zwei  letzten  zur  Abgabe  kommenden  Stiere  mul^ 
wenigstens  der  Ankaufspreis  bezahlt  werden.  Die  Gemeinden  haften  für  die  Kaufsumme 
der  von  ihren  Pächtern  ersteigerten  Zuchtstiere. 

Art.  12.  Es  dürfen  nur  solche  Stiere  zur  öffentlichen  Zucht  verwendet  werden^ 
welche  von  der  Landwirthschaflskommission  untersucht  und  als  zulässig  befunden  worden 
sind.  Es  haben  daher  die  Gemeinderäthe  von  jeder  Neuanschaffung  eines  Zuchtstieres 
dem  Präsidenten  der  Landwirthschaflskommission  unverzüglich  Anzeige  zu  machen^ 
welcher  die  Untersuchung  durch  ein  Mitglied  der  Kommission  anordnet. 

Art.  13.  Für  die  Vornahme  einer  besonderen  Untersuchung  von  Zuchtstieren, 
welche  direkt  von  den  Gemeinden  oder  deren  Pächtern  angekauft  worden  sind,  und 
welche  nicht  bei  der  ordentlichen  Wucherstierschau  untersucht  werden  können,  hat  die 
betreffende  Gemeinde  bezw.  der  Pächter  eine  Gebuhr  von  Fr.  5  an  die  Kasse  der  Land- 
wirthschaflskommission zu  bezahlen. 

Art.  14.  Die  Gemeinderäthe  haben  dafür  zu  sorgen,  daß  die  Zuchtstiere  kräftig 
genährt,  gut  gepflegt  und  in  geräumigen,  reinlich  gehaltenen  Stallungen  untergebracht 
werden.  Die  Verwendung  derselben  zu  leichten  landwirthschaftlichen  Arbeiten  ist  im 
Interesse  der  guten  Entwicklung  und  der  Dauer  der  Zuchtfähigkeit  zu  empfehlen ;  jedoch 
darf  diese  Verwendung  nie  im  Uebermaße  geschehen. 

Art.  15.  Jeweils  in  der  zweiten  Hälfte  des  September  wird  die  Landwirthschafts- 
kommission  eine  Zuchtstierschau  vornehmen,  um  zu  untersuchen:  1)  ob  die  Zuchtstiere 
in  Bezug  auf  ihre  Eigenschaften  zur  Zucht  zulässig  seien ;  2)  ob  dieselben  richtig  genährt 
und  gepflegt  werden;  3)  ob  die  vorgeschriebene  Anzahl  Zuchtstiere  wirklich  gehalten 
werde.  Kann  ein  Zuchtstier  wegen  Krankheit  nicht  vorgeführt  werden,  so  ist  für  den- 
selben ein  thierärztliihes  Zeugniß  beizubringen. 

Art.  16.  Hofbesitzer,  die  ihre  eigenen  Zuchtstiere  halten,  sie  aber  nicht  nur 
speziell  für  ihren  eigenen  Viehstand,  sondern  auch  anderweitig  zur  Zucht  verwenden, 
haben  dieselben  ebenfalls  bei  der  Schau  vorzuführen,  und  es  finden  auch  für  diese 
sämmtliche  Bestimmungen  gegenwärtiger  Verordnung  Anwendung. 

Art.  18.  Um  sowohl  zur  angemessenen  Haltung  als  auch  zur  Anschaffung  von 
schönen,  zweckentsprechenden  männlichen  Zuchtthieren  zu  ermuntern,  kann  die  Kom- 
mission alljährlich  bei  der  Zuchtstierschau  Prämien  bis  auf  die  Höhe  von  Fr.  1800 
verabreichen. 

Art.  19.  Die  Beurtheilung  der  Zuchtstiere  geschieht  nach  einheitlichen  Grund- 
sätzen, welche  mit  Berücksichtigung  der  vom  Schweiz.  Departement  der  Landwirthschaft 
erlassenen  Vorschriften  durch  ein  l)esonderes  Reglement  festzustellen  sind.  Das  Verfahren 
der  Viehmessungen  und  des  Punktirens  soll  hiebei  Anwendung  linden. 

Art.  20.  Unter  17^  Jahre  alte  und  abgeschaufelte  Zuchtstiere  werden  nicht  prämht. 

Art.  21.  Die  Prämirung  geschieht  nach  drei  Klassen,  und  zwar  die  erste  Klasse 
mit  Fr.  100,  die  zweite  Klasse  mit  Fr.  60  und  die  dritte  Klasse  mit  Fr.  40.  Die  Prämien 
werden  den  Eigenthümern  der  Zuchtstiere  bei  der  Schau  selbst  oder  unmittelbar  nach 
derselben  in  Form  von  Gutscheinen  zugestellt.  Die  Gutscheine  können  nach  Verlauf 
von  10  Monaten,  vom  Tage  der  Prämirung  an  gerechnet,  zur  Einlösung  gelangen,  sofern 
der  amtliche  Nachweis  geleistet  wird,  daß  die  prämirlen  Thiere  innert  dieser  Frist  der 
Zucht  im  Kanton  nicht  entzogen  worden  sind.  Wer  innert  genannter  Frist  einen  prä- 
mirten  Zuchtstier  durch  Verkauf  oder  Abschlachten  der  Zucht  im  Kanton  entzieht,  ist 
nicht  nur  der  Prämie  verlustig,  sondern  hat  außerdem  noch  eine  Buße  im  Betrage  der 
halben  kantonalen  Prämie  zu  bezahlen.  Die  Landwirthschaflskommission  kann  nur  dann 
eine  Ausnahme  gestatten,  wenn  durch  tliierärzlliches  Zeugniß  nachgewiesen  wird,  daß 
der  betreffende  Zuchtstier  wegen  Krankheit  abgeschlachtet  werden  mußte. 

Art.  26.  Für  die  Prämirung  von  vorzüglichem  weiblichem  Zuchtmaterial 
wird  alle  zwei  Jahre  eine  Summe  von  Fr.  1000  festgesetzt,  und  zwar  werden  Prämien 
nach  zwei  Klassen  im  Betrage  von  Fr.  40  und  20  verabreicht. 

Art.  27.  Um  prämirt  werden  zu  können,  müssen  die  betreffenden  Thiere  einer 
der  beiden  schweizerischen  Hauptrassen  angehören;  Mischlinge  werden  nicht  berück- 
sichtigt, auch  wenn  ihre  übrigen  Eigenschalten  sie  hiezu  befähigen  würden.  Neben 
Rassenfeinheit  und  Foriiienschönheit  sollen  hauptsächlich  noch  Milchergiebigkeit,  W^uchs- 
und  Masttahigkeit  in  Betracht  gezogen  werden. 

Art.  28.  Prämirt  werden  nur  zuclitfahige,  unter  4  Jahre  alte  Kühe  und  solche 
Rinder,  die  nicht  unter  18  Monate  alt  shid. 

Art.  31.  Die  Prämien  werden  bei  der  Schau  selbst  oder  unmittelbar  nach  der- 
selben in  Form  von  (Tutscheinen  verabfolgt.  Diese  Gutscheine  können  nach  Verlauf  von 
10  Monaten,   vom  Tage   der  Prämirung  an   gerechnet,   zur  Einlösung  gelangen,   sofern 


Schaffhausen  —     727      —  Schaff  hausen 

der  amtliche  Nachweis  j^eleistet  wird,  daß  die  prämirten  Thiere  noch  im  Kanton  zur 
Zucht  verwendet  werden. 

Art.  32.  Die  vom  Bunde  zur  Pramirung  von  Zuchtfamilien  alle  zwei  Jahre  aus- 
gesetzten Prämirungsbeiträge  gelangen  jeweils  unter  den  vom  Schweiz.  Landwirthschafts- 
departement  aufgestellten  Bedingungen  zur  Verwendung. 

Art.  34.  Jede  Gemeinde,  in  der  wenigstens  10  Mutterschweine  gehalten  werden, 
ist  zur  Haltung  eines  eigenen  Zuchtebers  verpflichtet.  Gemeinden  mit  einer  kleineren 
Anzahl  ist  es  gestattet,  sich  behufs  Haltung  eines  Zuchtebers  mit  einer  Nachbargemeinde 
zu  verständigen.  Wenn  zwischen  zwei  Gemeinden  ein  solches  Verabkommniß  stattfindet, 
so  ist  eine  Kopie  des  bezüglichen  Vertrages  an  die  Direktion  der  Landwirthschaft  ein- 
zusenden. 

Art.  35.  Auf  je  40  Stück  der  in  einer  Gemeinde  gehaltenen  Mutterschweine  muß 
wenigstens  ein  Zuchteber  gehalten  werden. 

Art.  36.  Es  steht  den  Gemeinden  frei,  die  Zuchteber  selbst  auf  eigene  Refchnung 
zu  halten  oder  mit  einem  Pächter  betreffend  Anschaffung  und  Unterhalt  derselben  einen 
Vertrag  abzuschließen.  Die  Zuchteber  müssen  gut  und  angemessen  gefüttert  und  sauber 
und  trocken  im  Stalle  gehalten  werden. 

Art.  37.  Die  Wahl  der  Schweinerasse  ist  den  Gemeinden  freigestellt;  immerhin 
ist  es  aber  wünschenswerlh,  daß  da,  wo  mehrere  Zuchteber  gehalten  werden,  einer 
derselben  englischer  Rasse  sei. 

Art.  38.  Es  dürfen  nur  kräftige  Thiere  zur  Zucht  verwendet  werden.  Die  Zucht- 
eber sollen  wenigstens  V*  und  nicht  über  5  Jahre  alt  sein. 

Art.  39.  Jeweils  im  Monat  Mai  findet  durch  eine  Abordnung  der  Landwirthschafts- 
komniission  eine  Zuchteberschau  an  drei  verschiedenen  Orten  des  Kantons  statt. 

Art.  40.  Diejenigen  Gemeinden  resp.  Pächter,  deren  Zuchteber  bei  der  Schau 
tauglich  erklärt,  aber  nicht  prämirt  worden  sind,  erhalten  für  das  Vorführen  der  Thiere 
per  Kilometer  der  Entfernung  vom  Schanorte  ein  Weggeld  von  40  Rp.  per  Stück.  Für 
die  prämirten  Thiere  und  diejenigen  vom  Schauorte  fallt  das  Weggeld  weg. 

Art.  41.  Behufs  Aufmunterung  sowohl  zur  angemessenen  Haltung,  als  auch  zur 
Anschaffung  von  schönen,  zweckentsprechenden  Zuchtebern  werden  jährlich  Prämien  im 
Betrage  von  Fr.  400  verabreicht. 

Art.  43.  Die  Präminmg  geschieht  nach  zwei  Klassen,  und  zwar  mit  Prämien 
erster  Klasse  von  Fr.  30  und  Prämien  zweiter  Klasse  von  Fr.  20.  Zuchteber,  die  den 
Anlorderungen  nicht  entsprechen,  können  von  der  Landwirthschaftskommission  abge- 
schätzt werden, 

Art.  44.  Alle  zwei  Jahre  findet  eine  Schau  und  Pramirung  vorzüglicher  Mutter- 
schweine statt.  Zu  diesem  Zwecke  wird  die  Summe  von  ca.  Fr.  400  verwendet.  Die 
Pnämining  geschieht  nach  zwei  Klassen,  und  zwar  mit  Prämien  erster  Klasse  von  Fr.  15 
und  mit  Prämien  zweiter  Klasse  von  Fr.  10.  Die  Beurtheilung  und  Pramirung  findet 
nach  dein  Prämirungsreglemente  statt.    (Art.  19  der  Verordnung.) 

Art.  45.  Wer  innert  drei  Monaten  ein  Zuchtschwein  der  Zucht  im  Kanton  entzieht, 
hat  unter  Rückzahlung  der  Prämie  der  Landwirthschaftskommission  Anzeige  zu  machen, 
bei  Vermeidung  einer  von  der  Kommission  zu  bestimmenden  Buße. 

Art.  46.  Bei  Einführung  von  Exemplaren  vorzüglicher  fremder  Schweine  kann  die 
Landwirthschaftskommission  Beiträge  bewilligen. 

Art.  47.  Die  Landwirthschaftskommission  ist  die  vorberathende  Stelle  der  vom 
Kanton  Schaff  hausen  zur  Hebung  der  Pferdezucht  zu  treffenden  Maßnahmen.  Die- 
selbe begutachtet  im  Fernern  alle  vom  eidg.  Departement  der  Landwirthschaft  hinsichtlicli 
Hebung  der  Pferdezucht  erlassenen,  an  die  Kantone  gewiesenen  Fragen,  Voi-schrillen  etc. 

Art.  48.  Neben  Förderung  der  Viehzucht  sind  auch  die  anderen  Zweige  der 
Landwirthschaft  durch  die  Landwirthschaftskommission  im  Auge  zu  behalten  und 
durch  geeignete  Anordnungen  zu  fördern.  Es  kann  dies  z.  B.  geschehen:  beim  Obst-, 
Wein-  und  (Gartenbau  durch  von  Zeit  zu  Zeit  auf  Kosten  des  Kredites  für  Landwirth- 
schaft abzuhaltende  Spezialkurse  und  Wandervorträge;  durch  Beiträge  und  durch  An- 
leitung zu  Bodenverbesserung,  Güterzusammenlegung  und  durch  rationelle  Weganlagen ; 
durch  Anleitung  (eventuell  auch  durch  Leistung  von  Beiträgen)  zur  Bekämpfung  von 
Schädlingen  der  Landwirthschaft;  beim  Ackerbau  durch  Veranstaltung  von  Samen- 
märkten mit  Pramirung  des  besten  Saatgutes;  durch  Einführung  von  für  unsere  Gegend 
passenden  neuen  Handels-  und  Kulturgewächsen ;  beim  Futterbau  durch  Abhaltung  von 
Futterbau-  und  Fütterungskursen,  sowie  durch  Wandervorträge;  durch  erleichterte  Be- 
schaffung von  tüchtigen  gemeinverständlichen  Werken  über  alle  Zweige  der  Landwirth- 
schaft :  durch  Pramirung  von  ganzen  Musterwirthschaften  und  einzelner  Zweige  solcher  etc. 


Sohaffbausen  —     728     —  Scheufikorrektion 

Art.  49.  Die  Landwirthschaftskommission  setzt  sich  hinsichtlich  der  in  Art.  47  ge- 
nannten landwirthschaftlichen  Fragen  mit  den  Gemeinderäthen  bezw.  örtlichen  Flur- 
kommissionen  und  Rebkommissionen  in  Verbindung  und  vermittelt  den  Verkehr  zwischen 
denselben  und  dem  RegierungsraÜie. 

Viehveräicherungsgesellschaften  bestehen  in  22  Gremeinden«  14 
Gemeinden  sind  ohne  diese  nützliche  Institution.  Es  besteht  ferner  ein  kanto- 
naler land  wirthschaftlicher  Verein,  der  in  12  Gemeinden  Sektionen  bat. 

Bergbau. 

Es  gibt  viele  Fundorte  von  industriell  verwendbaren  Steinen  und  Erden, 
aber  nur  ganz  wenige  werden  ausgebeutet.  Es  sind,  nach  der  Bohproduktenkarte 
von  Weber  &  Brosi  (Verlag  von  J.  Wurster  &  Co.  in  Zttrich),  folgende  Ort- 
schaften: Für  Gyps:  Beggingen,  Schieitheim,  Unterballan.  Für  l^pfer-  und 
Zieg elthon :  Altdorf,  Bibern,  Blittenhard,  Lohn,  Nennkirch,  Opfertshofen,  Schaff- 
hausen. Für  Kalksteine:  Altdorf,  Beringen,  Hemmenthai,  Herblingen,  Löhningen, 
Neuhausen,  Osterüngen,  Sohaffbausen,  Schieitheim,  Siblingen,  Thayngen,  Unter- 
hallau.  Für  Sandsteine:  Beggingen  und  Unterballan.  Für  Eisenerz:  Außer 
Betrieb:  Osterfingen. 

Verkehr. 

Eisenbahnen. 

Es  arbeiten  auf  dem  Gebiete  des  Kantons  zwei  Bahnnntemehmungen  mit 
38,025  m  Bahn.  10  Stationen.  Die  Bahnlänge  vertheilt  sich  auf  die  einzelnen 
Unternehmungen  und  nach  den  Konzessionen  wie  folgt: 

Nordoslbahn :  1)  Konzession  vom  6.  Januar  1853  für  die  Strecke  von 
Sohaffbausen  bis  zur  Kantonsgrenze  bei  Dachsen,  3654  m;  2)  Konzession  vom 
11.  Januar  1872  für  die  auf  Schaffhauser  Gebiet  gelegenen  Theile  der  Linien 
Etzwylen -Singen  und  Etzwylen-Konstanz,   5403  m;  zusammen  9057  m. 

Badische  Slaatshahnen:  Konzession  (Staatsvertrag)  vom  11.  August  1852 
für  den  auf  Schaffhauser  Gebiet  gelegenen  Theil  der  Linie  Basel-Konstanz, 
28,968  m. 

Straßen 
8.  den   Artikel    „Straßen**. 

Schafhaltung  s.  p.  319  im  IL  Bd. 

Sc'happe  s.    „Floretseidenspinnerei**. 

Schatzmaiin,  liudolf,  f,  s.  p.  452/53  im  IL  Bd. 

Seheideanstalten.  3  Etablissemente  mit  42  Arbeitern  unter  dem  Fabrik- 
gesetz; ßiel.   Lüde,  Genf. 

Scheukenberger  (Weinstock).    Im  Aargau  Bezeichnung  für  den  Gutedel. 

Scheusskorrektion.  Umfaßt  die  ca.  4  km  lange  Strecke  von  Bözingen 
oberhalb  Biel  bis  ßieler  See.  Die  Korrektion  bezweckt,  den  zeitweilig  eintretenden 
Ueberbchwemmungen  und  Belästigungen  durch  das  Grundwasser,  hervorgerufen 
durch  die  ungünstigen  Abflußverhältnisse  der  Scheuß,  Abhülfe  zu  verschaffen. 
Die  vorgesehenen  Arbeiten  bestehen.  1)  In  der  Erhöhung  des  Proüls  mittelst 
beidseitig  anzulegenden  Dämmen  in  der  obern  Partie,  d.  i.  von  Bözingen  bis  zum 
Wehre  von  Mett;  2)  in  einer  für  die  größten  Hochwasser  genügenden  Erweiterung 
des  Wehres  bei  Mett  und  der  sog.  Theilschleuse ;  3)  in  der  Tieferlegung  der 
Sohle  des  bereits  im  Jahre  1825  und  später  ausgeführten  Hauptkanals,  d.  h.  von 
der  sog.  Th<dls(;hl  iise  bis  Bieler  See.  Der  Kosten  Voranschlag  für  die  Ausführung 
obgcnannter  Arbeiten  beträft  Fr.  274,000.  Der  Bund  leistet  laut  Beschluß  vom 
7.  Dezcml)er  IHM  einen   Beitrag  von   Fr.  109,600  (A.  S.  Bd.  10). 


Schiedsgerichte  _      729     —  Sc^dedsgericfate 

Schiedsg^rickte,  gewerbliche.  (Verfasser:  Herr  W.  Krebs,  Sekretär 
des  Schweiz.  Grewerbevereins.)  Gewerbliche  Sehiedsgerichie  oder  Gewerbegerichte 
haben  allgemeiD  den  Zweck,  Streitigkeiten  eu  enteoheiden,  welche  zwischen  d^i 
Gewerbetreibenden  unter  sich  oder  zwischen  Arbeitgebern  (Fabrikanten  und  Hand- 
werkern) und  Arbeitnehmern  (Angestellten.  Gehülfen,  Gesellen,  Handlangem, 
Lehrlingen)  aus  dem  Werk-,  Dienst-  oder  Lehrvertrag  entstehen. 

Nach  Zweck  und  Organisation  gibt  es  yerschiedene  Arten :  Prud^ hommes  (in 
Prankreich,  Belgien,  der  Bheinprovinz,  Elsaß,  den  Kantonen  6«nf,  Neuenburg 
und  Waadt) ;  sie  sind  nach  Berufsgruppen  eingetheilt  und  beruhen  auf  besondem 
Staatsgesetzen;  Arbeitgeber  und  Arbeitnehmer  sind  einander  vollständig  gleich 
gestellt  und  wählen  die  Bichter  aus  ihrer  Mitte;  ihre  Befugnisse  beschränken 
sich  auf  Schlichtung  und  Entscheidung  von  Streitigkeiten  aus  dem  Dienst-  oder 
Lehrvertrag;  charakteristisch  ist  ferner:  Ausschluß  der  Anwälte;  mündliches, 
summarisches  Verfahren ;  unentgeltliche  Rechtsprechung.  —  Gewerbegerichte  zahl- 
reicher deutscher  Städte,  auf  Ortsstatuten  beruhend,  für  alle  Gewerbegruppen 
gemeinsam  amtend,  durch  die  Arbeitgeber  und  Arbeitnehmer  getrennt  gewählt, 
Vorsitzender  ein  ordentlicher  Richter  oder  Stadtbeamter.  —  Innungsger ichie 
gemäß  der  deutschen  Gewerbeordnung ;  Konstituirung  durch  die  Innungsgenossen ; 
sie  entscheiden  Streitigkeiten  aus  dem  Lehrvertrag,  sowie  aus  dem  Arbeitsvertrag 
zwischen  J  nnung^gliedern  und  ihren  Arbeitern.  —  Schiedsgerichte  der  Btrafs- 
genossenschaften  gemäß  dem  deutschen  ünfallverHicherungsgesetz ;  Entscheide 
über  Haftpflicht  und  daraus  entstehende  Entschädigungen.  —  Schiedsgerichte  der 
Berufsgenossenschaften  in  Oesterreich  gemäß  dortiger  Gewerbeordnung;  ent- 
scheiden Streitigkeiten  aus  dem  Arbeits-  und  Lehrvertrag  endgültig.  —  Einigungs- 
ämter  in  England,  Amerika  und  vereinzelt  in  Frankreich  und  Deutschland ; 
beruhen  auf  freiwilliger  Verständigung  der  Arbeitgeber  und  Arbeitnehmer  des- 
selben Berufes  zur  Vereinbarung  eines  einheitlichen  Arbeitsverhältnisses  (Lohntarif, 
Arbeitszeit  etc.)  oder  zur  Schlichtung  von  Streitigkeiten  aus  demselben ;  in  Eng- 
land genießt  die  ürtheilavoUziehung  gesetzlichen  Schutz. 

Allen  diesen  so  verschiedenartigen  Organisationen  sind  folgende  Hauptzwecke 
eigenthümlich :  Fachmännische  Beurtheilung  in  jedem  Falle,  Raschheit  und  Billig- 
keit des  Verfahrens,  volksthümliche  Organisation. 

In  der  Schweiz  sind  die  g.  Seh.  verhältnißmäßig  noch  wenig  verbreitet. 
Zwar  besaßen  schon  im  Mittelalter  die  Zünfte  ihre  besondere  Gerichtsbarkeit;  so 
erließen  z.  B.  am  8.  Juni  1475  die  eidgenössischen  Gesandten  auf  der  Tagsatzung 
zu  Baden  auf  Anrufen  der  Meister  des  Schmiedehandwerks  eine  Verordnung  über 
das  \  erfahren  bei  vorkommenden  Streitigkeiten  zwischen  Meistern  und  Gesellen. 

Seit  40  Jahren  ist  unter  den  Gewerbetreibenden  und  Arbeitern  vieler  Kantone 
der  Ruf  nach  Einführung  von  g.  Seh.  wiederholt  gehört  worden.  Zur  Zeit  (Mitte 
1^89)  sind  sie  jedoch  nur  in  den  Kantonen  Genf  Neuenbürg^  Waadt  und 
BaneUtadt  gesetzlich  eingeführt.  , 

Genf  besaß  seit  1874  die  „Tribunaux  d^arbitrage  industriell^  bestehend 
aus  dem  Friedensrichter  als  Vorsitzenden  und  zwei  „Arbitres**  (Schiedsrichtern), 
deren  jede  Partie  einen  ernanute.  Sie  entschieden  unweiterzüglich  und  ohne  Be- 
Kchränkung  im  Streitbetrag  Streitigkeiten  zwischen  den  Arbeitgebern  und  den 
Arbeitern,  Angestellten,  Lehrlingen  aus  dem  Arbeitsverhältniß.  Diese  Institution 
bewährte  sich  nicht,  weil  die  Arbitres  sich  als  Anwälte  ihrer  Partei  betrachteten 
uud  weil  von  1881  an  auch  Advokaten  zugelassen  wurden.  Sie  wurden  deßhalb 
mit  den  I^ud'hornmes-Gcrichten  vertauscht. 


Schiedsgerichte  —     730     —  Schiedsgerichte 

Aul  eine  Petition  von  17  Arbeitervereinen  erh'eß  der  Große  Rath  ein  Vtr- 
fassuugsgesetz  (Loi  constitutionnelle),  welches  vom  Volke  am  29.  Oktober  1882 
angenommen  wurde.     Seine  G-rundbestimmungen  sind  folgende: 

Streitigkeiten  zwischen  Gewerbetreibenden,  Fabrikanten  oder  Kaufleuten  und  ihren 
Arbeitern,  Angestellten  oder  Lehrlingen  wegen  Arbeitsleistungen  und  Lehrverträgen 
werden  von  Prud'hommes-Gerichten  entschieden.  Die  Prud'hommes  werden  durch  Arbeit- 
geber, Gehülfen  und  Angestellte  in  getrennten  Versammlungen  und  nach  Gruppen  gleicher 
oder  verwandter  Berufsarten  gewählt.  Arbeitgeber  und  Arbeitnehmer  wählen  in  jeder 
Gruppe  eine  gleiche  Anzahl  Prud'hommes.  Wahlfähig  und  wählbar  sind  alle  ihre  poli- 
tischen Rechte  genießenden  schweizerischen  Meister,  Arbeiter  und  Angestellte.  Das  Gesetz 
ordnet  die  Wahlart,  die  Zahl  der  Gruppen  und  die  Organisation  der  Prud'hommes- 
Gerichte. 

Das  Aus  führ  UTif/sfjeseig  (Loi  organique)  trat  am  13.  November  1883  in 
Kraft.  Im  Allgemeinen  ist  es  dem  framöstschen  Gesetz  nachgebildet.  Als  wesent- 
liche Merkmale  der  Genfer  Prud'hommes  sind  hervorzuheben :  Dieselben  sind 
ständige  beeidigte  Richter;  Arbeitgeber  und  Arbeitnehmer  verkehren  auf  dem 
Fuße  vollständiger  Gleichberechtigung;  die  Vertretung  der  Parteien  kann  nur 
durch  Berufsgenossen  stattfinden ;  Advokaten  sind  ausgeschlossen.  Jede  Streitig- 
keit kommt  zuerst  vor  das  Sühnamt  (Bureau  de  conciliation) ;  mißlingt  hier  der 
Sühnversuch,  so  entscheidet  das  Gericht  (Tribunal  de  prud'hommes);  eine  Appel- 
lationskammer endlich  endscheidet  endgültig  alle  einen  Streitwerth  von  Fr.  500 
tibersteigenden  Falle.  Das  ganze  Gerichtsverfahren  ist  kostenfrei;  Richter  und 
Gerichtsscbreiber  werden  vom  Staate  besoldet  und  entpchädigt. 

Außer  den  richterlichen  Funktionen  haben  die  Prud'hommes  noch  die  Auf- 
gabe, durch  eine  Spezialkommission  die  Ausführung  der  Lehrverträge  und  den 
Berufsunterricht  der  Lehrlinge,  ferner  die  sani tarischen  Verhältnisse  der  Arbeit«- 
lokale  zu  überwachen.  Endlich  sollen  die  Prud'hommes  auf  Verlangen  der  Staats- 
behörden in  gemeinsamer  Versammlung  Fragen  begutachten,  welche  Industi'ie  und 
Handel  des  Kantons  Genf  berühren.  Die  Prud'hommes  bilden  demnach  zugleich 
eine  Art  Gewerhekammtr. 

Die  Prud'hommes  sind  nach  folgenden  B er tifsg nippen  organisirt: 

I  (Ulirenindustrie)  :  Uhrwerkarbeiter,  Schalenmacher,  Zifi'erblatt- und  Zeiger- 
macher, Feder-  und  Secretmacher  etc. 

II  (EdtlinetaUbtarbeUnnfi) :  Bijoutiers,  Juweliere,  Gold-  und  Silberarbeiter, 
Graveurs,  Guillocheurs,  Ciseleurs,  Dessinateurs  und  Decorateurs  für  Bijouterie  und 
Uhren ;  Sertisseurs ;  Emailleurs  und  Emailmaler ;  Diamantsclmeider,  ^'ergolder, 
Versilberer;   Vernickler;  Schleifer,   Gießer;  Futteralmacher. 

III  (Bau) :  Gypser,  Tapezierer,  Flachmaler ;  Maurer ;  Dachdecker,  Ziegler, 
Backsteinbrenner ;  Asphalter,  Cementer,  Mosaikarbeiter ;  Erdarbeiter,  Karrer, 
Pflasterer;  Steinbauer,  Marmorarbeiter,  Steinbildhauer;  Ofensetzer,  Hafner,  Kamin- 
feger; Dekorirer,  Bau  vergolder ;  Glaser,  Rahmen-  und  Spiegelfabrikation,  Glas- 
fabrikatiun  und  Glasspinner ;    Schild-  und  Kutschenmaler;    Töpfer;    Ziegelformer. 

IV  (Ilolzbcarbcitunff) :  Schreiner,  Ebenisten,  Tüfeler;  Holzschnitzler ;  Billard- 
fabrikation ;  Zimmerleute,  Säger ;  Partjueteurs  und  Mosaikarbeiter ;  Schiffbauer ; 
Küfer,  Böttcher,  Siebmacher;  Brunnengräbei*  (Fontainiers) ;  Korb-  und  Sessel- 
flechter;  Kort'er-  und  Kistenmacher,  Leistenschneider;  Mobeltapezierer,  Matratzen- 
macher; Holzgittermacher;  Stören  fabrikation ;  Drechsler;  Wagner  und  Stellmacher. 

V  (Metall bearbeitu Hfl)  :  Mechaniker,  Hammer-  und  Zeugschmiede;  Verfertiger 
von  Uhreumacherei-Ütensilien,  Feilen,  Meißeln,  Grabsticheln;  von  physikalischen 
Instrumenten,  Telegraphen-  und  Tele])honapparaten ;  von  Klavieren  und  Musik- 
dosen, Orgeln,   Musikinstrumenten  ;  Optiker,  Waagenmacher ;   Waffen-  und  Messer- 


Schiedsgerichte  —     TBl     —  Schiedsgerichte 

schmiede;  Schlosser;  Eisen-  und  Kupfergießer;  Medaillengießer;  MetaTldrelier ^ 
Huf- und  Grobschmiede;  Kupferschmiede;  Spengler,  Lampisten;  Bleigießer;  Gas- 
arbeiter ;  Fabrikation  von  Heizapparaten  und  Metallöfen ;  Eisengittermacher  \ 
Velocipedfabrikation . 

VI  (Bekleidungsgewerbe) :  Schneider ;  Hutmacher,  Blumen-  und  Federn- 
arbeiter; Weber;  Wagendeckenmacber  (Bachiers),  Seiler;  Färber;  Posamenter,. 
Broderie-  und  Spitzenfabrikation;  Kürschner;  Hemden-,  Kravatttn-  und  Corsets- 
fabrikation;  Schirmmacher,  Bandagisten  und  Orthopädisten ;  Bürstenbinder;  Schuh- 
macher; Rothgerber;  Weißgerber;  Holzschuhmacher;  Sattler,  Polsterer;  Leder- 
zurichter; Handschuhmacher;  Saffianarbeiter. 

VII  (Nahrangs-  und  Gtnußmitttly  Chemie):  Milch-  und  Fruchthändler; 
Bäcker,  Pastetenbäcker;  Zuckerbäcker;  Chocoladenfabrikation ;  Metzger,  Wurster, 
Kuttler;  Limonaden-  und  Liqueurfabrikation ;  Cafetiers,  Bierbrauer;  Restaurateurs^ 
Köche;  Müller;  Droguisten,  Apotheker,  Chemiker,  Farben  ,  Firniß-,  Wachs-  und 
Tintenfabrikatiön ;  Kerzen-  und  Seifenfabrikation;  Coiffeurs,  Parfumeurs. 

VIII  (VeroielfälUgufig,  Papierindustrie,  Bautecknik):  Buchdrucker;  Litho- 
graphen ;  Photographen ;  Cartonnagear heiter,  Buchbinder,  Papierhändler,  Buch- 
händler; Linirer;  Architekten,  Ingenieure,  Geometer,  Zeichner. 

IX  ( Verkehr y  Pflanzenbau)  :  Kutscher,  Fuhrleute,  Kondukteure,  Ange- 
stellte der  Eisenbahnen,  Tramways  und  Schifffahrt ;  Gärtner,  Blumen-  und 
Baumziichter. 

^  (Handel  U7id  Bureaudienst) :  ßanquiers.  Wechselagenten,  Geschäftsleute, 
Kaufleute,  Commis,  Bureau-  und  Magazinangestellte. 

Ueber  die  Wirksamkeit  der  Prud'hommes  entnehmen  wir  den  offiziellen 
Mittheilnngen  Folgendes: 

Frequenz:  1884  1885  1886  1887  1888 

Beim  Sülinamt  eingereichte  Klagen     .      .  658  737  787  890  753 

Dahingefallen  oder  zurückgezogen   ...  41  20  32  17  21 

Geschlichtet 366  437  477  549  522 

=  55,67o  59,3  7o  60,9  Vo  61,6  7o  69,3  7o 

An  das  Schiedsgericht  gewiesen     .     .      .  251  280  278  324  210 

Zurückgezogen 18  13  23  22  9 

In  Abwesenheit   der   Parteien    entschieden  38  44  40  54  50 

Nach  Anhörung     „            „                  ,,195  222  215  248  153 

Von  der  Appellationskammer          „  5  8  12  7  6 

Audienzen  des  Sühnamtes 279  333  325  366  350 

der  Schiedsgerichte    ....  123  141  144  157  132 

Appellationskammer      .     .  5  8  10  7  5 

Zahl  der  Expertisen 18  15  9  8  6 

,     verhörten  Zeugen 157  307  157  234  249 

Im  Jahre  1884  zählten  sämmtliche  Gruppen  11,020  Mitglieder,  worunter 
die  X.  (Handel)  2825,  die  VII.  (Nahrungs-  und  Genußmittel,  Wirthschaften) 
1321,  die  I.  (ührenmacheroi)  1277  etc.  Die  meisten  Streitfälle  in  den  drei 
ersten  Jahren  kamen  verhältnißmäßig  vor  in  Gruppe  III  (Baugewerbe),  nämlich 
55,6  auf  100  Mitgl.,  und  in  Gruppe  VII  mit  34,2  Streitfällen  auf  100  Mitgl. ; 
die  geringste  relative  Frequenz  weisen  auf  die  I.  Gruppe  mit  2,9  Streitfällen 
und  die   II.  Gruppe  (Edelmetalle)  mit  5,2  Streitfällen  auf  100  Mitgl. 

Die  Höhe  der  Streitwerthe  betrug  in  den  drei  ersten  Jahren  (1884 — 86) 
für  sämmtliche  Berufsgruppen  zusammen : 


n 


Schiedsgerichte  —     732     —  Schiedagerichte 


Unter  Fr,  50  .  .  1061   Fälle 

Fr.     51—100  .  •  436       , 

,    101—200  .  .       256      « 

,    201—500  .  .        156       , 


Fr.    501  —  1000  .     .       39   FäUe 
,    1001—5000  .     .       37       « 
Deber  Fr.  5000    .     .        10       . 


1995   Fälle 

Bei  53  ^/o  sämmtlicher  Streitsachen  handelte  es  sich  somit  um  einen 
Streitwerth  von  weniger  als  Fr.  50  und  bei  21,8  **/o  um  einen  solchen  von 
Fr  51 — 100.  Die  höchsten  Streitwerthe  wies  die  X.  Gruppe  (Handel)  auf, 
nämlich  solche  von  über  Fr.  20,000. 

Die  Art  der  Streitsachen  vertheilte  sich  in  den  drei  ersten  Jahren  in 
«ämmtlichen  Berufsgruppen  folgendermaßen :  Lohn-  und  Fntschädigungsforderungen 
1995,  plötzliche  Entlassung  113,  plötzlicher  Austritt  12,  Lehrvertragsbruch  55, 
Forderung  eines  Zeugnisses  5,  Vertragsbruch  2,  Total  2182. 

Die  Streitigkeiten  über  Lohn-  und  Entschädigungsforderungen  betrugen  somit 
91,3  7o  aller  Streitfälle. 

Als  erfreuliche  Thatsache  darf  auch  konstatirt  werden,  daß  mit  der  Zahl 
der  Streitfälle  die  Prozentziffer  der  vom  Sühnamt  erzielten  Vermittlungen  stetig 
gtjMtiegen  ist,  von  55,6  ^o  aaf  69,3  ^o,  gewiß  ein  sehr  günstiges  Resultat. 

In  Bezug  auf  rasche  Erledigung  der  Streitfälle  dürfte  das  Genfer  Schieds- 
gericht fast  einzig  dastehen :  Ein  Viertel  der  Klagen  wird  am  ersten  Tage,  die 
Hälfte  innerhalb  drei  Tagen  und  der  letzte  Viertel  innerhalb  zehn  Tagen  erledigt ; 
zu  der  letztern  Kategorie  gehören  die  Einsprachen  und  Appellationen.  Alle 
Sitzungen  finden  Abends  von  7  Uhr  an  statt.  Jedes  Mitglied  bezieht  ein  Sitzungs- 
ircld  von  Fr.  3,  der  Gerichtsschreiber  eine  fixe  Besoldung. 

Für  die  Kositn  der  Prud'hommes-Gerichte  hat  der  Kanton  Genf  Fr.  12,000 
in's  Jahresbudget  aufgenommen. 

Laut  den  in  verschiedenen  Kreisen  eingezogenen  Erkundigungen  ist  die  große 
Mehrzahl  der  Bevölkerung  glücklich^  eine  solche  Institution  zu  besitzen.  Auch 
die  frühern  Gegner  derselben  haben  im  Großen  Rathe  unumwunden  zugestanden, 
daß  die    UrtUeile  der  Prud'hommes  unpartt tisch  seien. 

Das  Genfer  Volk  will  nun  noch  einen  Schritt  weiter  gehen  und  ein  Gesetz 
erlassen,  wonach  die  Prud'hommes-Gerichte  auch  auf  die  Grundbesitzer,  Pächter, 
Landarbeiter,  Taglöbner  und  Dienstboten  ausgedehnt  werden.  Das  Kantonsgebiet 
würde  zu  diesem  Zweck  in  zwölf  Gerichtsbezirke  eingetheilt  und  damit  den  in 
den  Landgemeinden  wohnenden  Parteien  der  Weg  in  die  Stadt  erspart. 

Neuenburg.  Auch  dieser  Kaiiton  besaß  seit  1874  die  unter  Genf  erwähnten 
^Tribnnaux  d'arbiirage  industriell  und  machte  mit  ihnen  dieselben  Erfahrungen, 
weßhalb  dei*  Große  Rath  am  20.  November  1885  ein  Gesetz  betreffend  die  g.  Seh. 
annahm,  das  demjenigen  des  Kantons  Genf  im  Wesentlichen  entspricht.  Der  Haupt- 
unterschied   besteht  darin,  daß  das  neuenburgische  Gesetz  in  Art.  1   bestimmt : 

In  den  Ortschaften,  welche  beim  Staab?rath  ein  bezügliches  Gesuch  stellen,  können 
gewerbliclie  Schiedsgerichte  (Gonseils  de  prud'homnies)  eingeführt  werden.  Die  aus  dieser 
Einrichtung  entstehenden  Ausgaben  werden  zur  Hälfte  vom  Staate,  zur  Hälfte  von  der 
Gemeinde  (Municipalitd)  getragen.  Bevor  das  Gesuch  um  Aufstellung  gewerblicher  Schieds- 
gerichte von  den  Gemeindebehörden  gestellt  werden  kann,  haben  die  stimmberechtigten 
Einwohner  der  Ortschaft  sich  darüber  auszusprechen. 

Während  demnach  im  Kauton  Genf  die  g.  Seh.  fitr  alle  Gemeinden  obli- 
gatorisc/t,  sind  sie  im  Kanton  Neuenburg,  welcher  neben  rein  industriellen  auch 
rein  agrikolc  Gemeinden  hat,  fa/cuHutio,  je  nach  Bedürfniß.  Die  Zahl  und  Ein- 
theilung  der  Gruppen  bestimmt  der  Staatsrath.  Jedes  Schiedsgericht  besteht  aus 
IG — 30  beeidigten  Mitgliedern;  das  Präsidium  führen  abwechselnd  während  sechs 


Schiedsgerichte  —      7^3     —  Schiedsgerichte 

Monaten  ein  Arbeitgeber  und  ein  Arbeiter.  Jedes  Gericht  theilt  sich  in  ein  Ver- 
mitilunfjaamt  und  in  ein  Schiedsamt ;  ersteres  besteht  aus  zwei  Richtern,  letzteres 
aus  dem  Präsidenten  und  vier  Richtern.  Der  Gerichfsschreiber  wird  vom  Staats- 
rath  ernannt  und  fix  besoldet;  er  besorgt  die  Entgegennahme  der  Klagen,  die 
Einberufung  der  Sitzungen,  die  Protokolle  und  Ausfertigung  der  Urtheile.  Jeder 
Streitfall  muß  binnen  höchstens  zwei  Tagen  nach  Einreicbung  der  Klage  dem 
Vermittlungsamt,  dessen  Sitzungen  nicht  öffentlich  sind,  unterbreitet  werden. 
Einsprachen  gegen  die  Kompe^tenz  des  Schiedsgerichtes  haben  sofort  beim  Beginn 
der  Verhandlungen  zu  erfolgen;  über  dieselben  entscheiden  die  ordentlichen  Civil- 
gericbte.  Unbegründete  Kompetenzeinreden  können  mit  Fr.  100  gebüßt  werden» 
Vertretung  der  Parteien  ist  nur  durch  Familien-  oder  Berufsgenossen  und  nur  in 
anerkannten  Verhinderungsfällen  zulässig.  Nichtigkeitsbeschwerden  sind  nicht 
statthaft. 

Aebnlich  wie  im  Kanton  Genf,  haben  auch  die  Neuenburger  Prud^hommes 
adminisinUioe  Befugnisse :  Jeder  Schiedsgerichtshof  wählt  in  seinem  Schöße  eine 
Spezialkommission,  welche  beauftragt  wird,  die  Ausführung  der  Lehrverträge  und 
die  Berufsbildung  der  Lehrlinge  zu  überwachen;  femer  vereinigen  sich  auf  Ver- 
langen des  Staatsrathes  die  Schi'jdsgerichtshöfe  zu  einer  Generalversammlung,  um 
die  Fragen  zu  berathen,  welche  für  die  Industrie  und  den  Handel  des  Landen 
von  Interesse  sind. 

In  Ausführung  dieses  Gesetzes  hat  bis  jetzt  einzig  die  Gemeinde  Chaux-de^ 
Fonds j  und  zwar  am  21.  März  1887,  die  Einführung  der  Prud'hommes-Gerichte 
mit  1002  gtgQw  17  Stimmen  beschlossen.  Der  Staatsrath  hat  dieselben  folgender- 
maßen gruppirt :  L  Uhrenwerke ;  II.  Uhrenschalen  (in  beiden  Gruppen  zusammen 
sind  52  Spezialitäten  aufgeführt);  HI.  Baugewerbe,  Holz- und  Metallbearbeitung,. 
Gärtner,  Dienstmänner,  Fuhrleute ;  IV.  Bekleidung  und  Putz ;  V.  Nahrung»-  und 
Genußmittel,  Wirthschafts-  und  Magazinpersonal;  VI.  Handel,  Vervielfältigung^ 
Eisenbahnunternehmuugen,  Dienstpersonal,  Taglöhner. 

Die  Schiedsgerichte  von  Chaux-de- Fonds  begannen  ihre  Thätigkeit  am  iS.  Ok- 
tober 1886 ;  ihre  seitherige  Thätigkeit  gestaltete  sich  laut  offiziellen  Mittheilungen 
der  Gerichtskanzlei  wie  folgt : 

\^^^,     ,      1887  1888 

(vom  18.  Okt.  an) 

Beim  Vermittlungsamt  eingereichte  Klagen  .  72  381  477 

Dahingefallen  oder  zurückgezogen.     ...  11  79  90 

Geschlichtet 39  200  232 

=  54  7o  52,5  7u  48,6  7o 

Au  das  Schiedsgericht  gewiesen     ....  22  96  146 

Zurückgezogen 3  9  13 

Entschieden  nach  Anhörung  der  Parteien     'liq  ^^  ^^^ 

„            in  Abwesenheit     »          »            .     J  10  5 

Audienzen  des  Vermittlungsamtes  ....  ?  119  148 

„            ^     Schiedsamtes ?  43  63 

Wenn  das  Verhältniß  der  gütlich  vor  Vermittlungsamt  erledigten  Streitfälle 
zur  Zahl  der  eingereichten  Klagen  auch  nicht  ganz  so  günstig  ist,  wie  in  G^nf, 
so  darf  es  doch  als  ein  sehr  befriedigendes  bezeichnet  werden.  Im  Jahre  1888 
hatten  307  Streitfälle  =  64  "/o  einen  Streitwerth  von  unter  Fr.  50 ;  ein  einziger 
Streit werth  betrug  Fr.  2001—3000.  16  Fälle  betrafen  Lehrverträge,  5  Kontrakt- 
bruch. 

Die  Kosten   für  Staat    und  Gremeinde    betragen  jährlich  je  Fr.  2500.    Die 


Schiedsgerichte  —     734     —  Schiedsgerichte 

Institution  hat  sich  in  Chaux-de-Fonds  vollständig  eingelebt,  so  daß  man  sie  nicht 
mehr  entbehren  könnte.  Die  Urtheile  werden  auch  hier  als  unparteiisch  anerkannt. 

Waadt  Nachdem  schon  in  den  Jahren  1874  und  1884  bezügliche  Kund- 
gebungen erfolglos  geblieben,  beschloß  auf  eine  erneute  Petition  der  Arbeiter- 
vereine der  Große  Rath  des  Kantons  Waadt  im  Mä'rz  188B,  den  Staatsrath  mit 
Ausarbeitung  eines  Gesetzentwurfes  zur  Einführung  der  Conseils  de  prud'hommes 
zu  beauftragen  und  bis  zu  diesem  Zeitpunkt  alle  Streitigkeiten  zwischen  Arbeit- 
gebern, Arbeitern  und  Angestellten  vom  Friedensrichteramt  und  in  Fällen,  die 
über  dessen  Kompetenz  stehen  (Fr.  100),  von  einem  vom  Friedensrichter  zu 
ernennenden  Yermittleramt  endgültig  entscheiden  zu  lassen. 

Dem  erwähnten  Auftrag  leistete  der  Staatsrath  im  Herbst  1888  Folge. 
In  seinem  Bericht  hebt  er  vorerst  die  großen  Vortheile  hervor,  welche  die 
Prud'hommes-Gerichte  vor  dem  System  der  Friedensrichter  mit  Zuzug  von  ge- 
werblichen Beisitzern  {Arbitracits  indastnels)  in  sich  schließen;  letzteres  System 
hatte  sich,  wie  in  Genf  und  Neuen  bürg,  auch  im  Kanton  Waadt  nicht  bewährt. 
Der  Gesetzentwurf  acceptirte  im  Allgemeinen  die  Organisation  der  Genfer  und 
Neuenburger  Prud'hommes  unter  Beriickbichtigung  der  eigenen  Verhältnisse;  für 
den  agrikolen  Kanton  konnte  nur  die  fakultaUoe  Einführung,  wie  in  Neuenburg, 
einen  Zweck  haben;  immerhin  wurde  die  Möglichkeit  gegeben,  daß  benachbarte 
industrielle  Gemeinden  sich  zu  einem  Gericbtskreis  vereinigen  können ;  die  Kosten 
«lud  zur  Hälfte  vom  Staat,  zur  Hälfte  von  den  Gemeinden  zu  tragen.  Jedes 
Gericht  theilt  sich  in  ein  Yermittlungsamt,  ein  Scbiedsamt  und  eine  Appellations- 
kammer; letztere  besteht  au6  einem  Präsidenten  und  acht  Schiedsrichtern,  von 
welchen  keiner  in  gleicher  Sache  bereits  geurtheilt  haben  darf.  Die  Kompetenz 
der  Prud'hommes-Gerichte  reicht  bis  zu  einem  Streitwerth  von  Fr.  3000;  diese 
Summe  übersteigende  Streitfälle  können  nach  eidg.  Recht  vor  das  Bundesgericht, 
solche  von  über  Fr.  500  vor  die  Appellatiouskammer  des  Schiedsgerichtes  ge- 
zogen werden. 

Das  sind  so  ziemlich  die  wesentlichen  Merkmale,  welche  die  Organisation 
der  waadtläudischen  Prud'hommes  von  den  vorgenannten  unterscheiden. 

Im  November  1688  wurde  das  Gesetz  vom  Großen  Käthe  angenommen  und 
bereits  im  Januar  1889  trafen  die  Gemeinden  Lausanne,  Vivis,  Yverdon  und 
Ste-Croix  Anstalten  zur  Einführung  der  Institution.  Der  Stadtrath  von  Lausanne 
hat  Iblgende  G  Gruppen  vorgesehen :  I.  Bau-  und  Transportgewerbe ;  II.  Schreiner, 
Zimmerleute,  Drechsler;  III.  Mechaniker,  Gießer;  IV.  Schneider,  Schuhmacher, 
Hutmacher;  V.  Wirthe,  Zuckerbäcker,  Bäcker.  Metzger;  VI.  Handelsleute, 
Banquiers,   Typographen,  Lithographen. 

Baselstadt.  Auch  hier  machte  sich  schon  seit  Jahren  unter  der  gewerbe- 
treibenden Bevölkerung  der  Wunsch  nach  Einführung  gewerblicher  Schiedsgerichte 
geltend.  Im  Oktober  1887  veröffentlichte  das  kantonale  Justizdepartement  den 
„Entwurf  ein.s  Gesetzes  betreffend  Einführung  von  Einzelrichtem  und  g.  Seh.*. 
Das  Gesetz  wurde  vom  Großen  Rathe  nach  zweimaliger  Berathung  am  29.  April 
1889  angenommen.  Der  Ausschluß  der  Anwälte  wurde  in  zweiter  Berathung 
verworfen,  dagegen  die  Gebührenfreiheit  des  Verfahrens  bewilligt.  Im  Uebrigen 
entspricht  der  Entwurf  unter  möglii:hster  Anlehnung  an  die  ordentliche  Civil- 
rechtspflege  im  Allgemeinen  den  schon  erwähnten  Gesetzen  von  Genf,  Neuenburg 
und  Waadt,  Bemerkenswerth  ist,  daß  der  Präsident  des  Schiedsamtes  aus  der 
Zahl  der  Civilgerichtspräsidenten  entnommen  wird  und  dem  Civilgerichtsschreiber 
oder  dessen  Substituten  die  Protokollführung  obliegt.    Dienstboten  und  landwirth- 


Schiedsgerichte  —      735     —  Schiedsgerichte 

«tchaftliche  Gewerbe  sind  ausgeschlossen.  Das  Gesetz  wird  noch  im  Jahre  1889 
in  Kraft  treten  können. 

* 
Dies  die  praktischen  Resultate  der  kantonalen  Gesetsf/ebunr/  in  Bezug  auf 

g.  Seh.   Dieselbe  hat  im  Weitern  noch  folgende  Bestimmungen  geschaffen,  welche 

bis  heute  nur  theoretische  Bedeutung  haben: 

Bern.  Die  Staatsverfassung  von  1846  anerkennt  die  Berechtigung  von 
Handelsgerichten  (§  65)  und  gestiittet  der  Gesetzgebung,  in  der  Organisation 
des  Civilgerichtswesens  Veränderungen  zu  treffen,  wenn  solche  für  nöthig  erachtet 
werden  (§  62);  der  Einwand,  die  g.  Seh.  seien  verfassungswidrig,  erscheint 
demnach  unberechtigt.  Im  Fernern  bestimmt  das  Gewerbegesetz  von  1849  in 
§91:  rl^ie  Gewerbsleute  können  sich  zu  besondern  Gewerbe  vereinen  (Genossen- 
schaften), welche  bestimmte  Bezirke  umfassen,  konstituiren.  Dem  Vereinsvorstande 

solcher   vom    Staate    anerkannter  Gewerbevereine   liegt   ob: .3)  von  der 

richterlichen  Behörde  zugewiesene  Streitigkeiten  zwischen  Meister,  Gesellen  und 
Lehrlingen  womöglich  zu  schlichten  und  hierüber  Bericht  abzugeben." 

Auf  Grund  dieser  Bestimmungen  wurde  wiederholt  der  Einführung  von 
Handels-  und  Gewerbegerichten  gerufen,  so  z.  B.  im  Jahre  1867  durch  eine 
von  600  Unterschriften  unterstützte  Petition,  1883  durch  eine  solche  mit  6050 
Unterschriften.  Letztere  verlangte  fakultative  gemeindeweise  Einführung  und 
hatte  zur  Folge,  daß  der  Große  Rath  einstimmig  in  das  Gesetz  betreffend  „Ver- 
einfachung und  Abkürzung  des  Givilprozeß Verfahrens* ,  vom  3.  Juni  1883, 
folgenden  Titel  VII:   „Von  den  Grewerbegerichten",  aufnahm: 

§  386.  Zur  gütlichen  Erledigung  von  Streitigkeiten,  welche  zwwchen  Fabrikanten 
und  Handwerksmeistern  einer  Ortschaft  oder  eines  Bezirkes  einerseits  und  ihren  Ar- 
beitern, Gesellen,  Angestellten  oder  Lehrlingen  andererseits  aus  Lehr-,  Dienst-  oder 
Werkverträgen  auf  dem  Gebiete  des  Fabrikbetriebes  oder  des  Handwerks  entstehen, 
können  Gewerbegerichte  (Conseils  de  prud'hommes)  aufgestellt  werden.  Dieselben  haben 
auch,  falls  eine  gütliche  Erledigung  nicht  möglich  ist,  alle  Streitigkeiten,  deren  Werth 
nicht  Fr.  400  übersteigt,  endgültig  zu  entscheiden.  Die  Organisation  der  einzelnen  Orts- 
und Bezirks  verbände  und  der  Gewerbegerichte,  sowie  der  Wahlmodus  und  das  Verfahren 
sind  durch  ein  Dekret  des  Großen  Käthes  festzustellen.  Die  Verbeiständung  der  Parteien 
durch  Anwälte  vor  den  Gewerbegerichten  ist  untersagt. 

Trotz  verschiedener  Reklamationen  seitens  der  Arbeitgeber  und  Arbeiter  ist 
das  in  obiger  Bestimmung  vorgesehene  Dekret  noch  nicht  ausgearbeitet.  Die 
Juötizdircktion  hält  die  Prud'hommes-Gerichte  für  den  Kanton  Bern  nicht  ge- 
eignet, während  die  Arbeiter  der  Uhrenindustrie  im  Jura,  wie  auch  andere  be- 
theiligte Kreise,  sie  lebhaft  befürworten. 

Solothurn    hat   in    seine  Staatsverfassung   vom   23.  Oktober  1887  folgende 

Bestimmung  aufgenommen : 

„Zur  Beurtheüung  streitiger  Rechtsverhältnisse  zwischen  Arbeitgebern  und  Arbeitern 
.s(j11  eine  besondere  Gerichtsbehörde  (gewerbliches  Schiedsgericht)  aufgestellt  werden.  Ein 
Gesetz  bestimmt  ihre  Organisation  und  das  daherige  gerichtliche  Verfahren.** 

Die  Ausführung  dieser  Verfassungsbestimmung  scheint  nicht  mehr  lange  auf 
sich  warten  lassen  zu  wollen. 

Aargau.  Die  Kantonsverfassung  von  1885  bestimmt  in  Art.  60,  es  solle 
die  Rechtspflege  in  Handels-,  Gewerbe-  und  Flurverhältnissen  besonders  geordnet 
werden.  Die  kompetenten  Organe  haben  über  die  Einführung  g.  Seh.  Berathung 
gepflogen,  ohne  praktische  Resultate  zu  Tage  zu  fördern. 

Im  Kanton  Zürich  ist  die  Einführung  g.  Seh.  seit  Jahren  auf  der  Tages- 
ordnung. Die  Entwürfe  eines  kantonalen  Gewerbegesetzes  von  187ii/74,  sowie 
von   1881,    enthielten    diesbezügliche  Bestimmungen;    letztere    wurden   aber  vom 


Schiedsgerichte  —     736     —  Schiedsgerichte 

Eantonsratk  abgelehnt.  Ein  vom  kantonalen  Grewerbeverein  und  sodann  von  der 
kantonalen  Gewerbekommission  ansgearbeiteter  Entwurf  sah  Gewerbegerichie  vor^ 
welche  sowohl  Streitigkeiten  zwischen  Arbeitgebern  und  Arbeitnehmern  aus  dem 
IHensivertrag,  als  solche  zwischen  Lieferanten  und  ihren  Bestellern  ans  dem 
Werkvertrag  beurtheilen  sollten,  sofern  letztere  nicht  vor  das  Handelsgericht 
gehören  und  beide  Parteien  sich  nicht  für  den  Prozeßweg  entscheiden.  Diese 
Gewerbegerichte  würden  gebildet  aus  Oberrichtem,  Bezirksriohtem  und  G«  wer  be- 
richten); je  nach  der  Höhe  des  Streitwerthes  waren  drei  Instanzen  vorgesehen. 
Das  Obergericht  hat  in  seinem  im  Dezember  1887  erschienenen  Gutachten  diesen 
Entwurf  sowohl,  wie  die  von  der  Arbeiterpartei  gewünschte  Einführung  der 
Prnd'hommes- Gerichte  ablehnend  begutachtet,  dagegen  Vorschläge  empfohlen^ 
welche  auf  Wahl  ständiger  Experten  für  gewerblich- technische  Prozesse  durch 
die  Gewerbevereine  hinzielen.  Der  kantonale  Verband  der  Arbeiter-  und  Grütli- 
vereine,  mit  dem  abweisenden  obergerichtlichen  Gutachten  nicht  zufrieden,  hat 
im  April  1889  einen  InHiativ-Entwurf  filr  fakultative  Einführung  der  g.  Seh. 
eingereicht. 

Für  Zürich  und  Umgebung  hat  sich  im  Juli  1889  ein  freiwilliger  yj  Verband 
für  Grewerbescläedsgericlite  und  filr  ein  Einigung^amt^  konstituirt.  Mitglieder 
des  Verbandes  können  nur  Fach-  oder  Berufsvereinigungen  von  Unternehmern 
bezw.  Meistern  oder  Arbeitern  in  Zürich  und  AuRgemeinden  werden.  Es  sind 
demselben  folgende  sechs  Gewerkschaften  beigetreten :  Steinmetze,  Maurer,  Zimmer- 
leute, Maler,  Schreiner  und  Spengler,  somit  vorwiegend  Baugewerbe.  Dieselben 
verpflichten  sich  für  ihre  Mitglieder  zur  obligatorischen  Benutzung  der  Schieds- 
gerichte und  Anerkennung  ihrer  Entscheide  und  lllr  die  Vereine  als  solche  zur 
Anerkennung  des  Einigungsamtes.  Der  Vorstand  besteht  aus  je  zwei  Delegirten 
und  zwei  Stellvertretern  für  jedes  dem  Verband  angehörende  Gewerbe,  je  zur 
Hälfte  von  den  betreifenden  Meistern  und  Arbeitern  gewählt,  sowie  aus  einem 
Präsidenten  und  Vizepräsidenten,  welche  weder  Meister  noch  Arbeiter  sein  dürfen. 
Ein  rechtskundiger  bezahlter  Sekretär  amtet  als  Gerichtsschreiber.  Die  Recht- 
sprechung dieser  freiwilligen  Gerichte  und  die  Funktionen  der  Richter  sind  un- 
entgeltlich.   Die  Kosten  werden  durch  die  beigetretenen  Fach  vereine  getragen. 

Das  Einig utigsamt  besteht  aus  dem  Gesammt vorstand  des  Verbandes.  Während 
des  Schiedsverfahrens  haben  sich  beide  Parteien  jeglicher  feindseliger  Aeußerungen 
oder  Handlungen  zu  enthalten.  Zuwiderhandelnde  und  Solche,  welche  sich  dem 
Schiedssprüche  nicht  unterziehen,  können  aus  dem  Verband  ausgeschlossen  werden. 

GraubUnden.  Eine  vom  Großen  Rathe  eingesetzte  Spezialkommission  zur 
Begutachtuug  der  fakultativen  Einführung  g.  Seh.  hat  sich  für  Ablehnung  der 
bezüglichen  Anregung  der  Arbeiterschaft  ausgesprochen. 

Voraussichtlich  wird  die  Frage  in  nächster  Zeit  noch  in  verschiedenen  Kan 
tonen  (z.  B.  Freiburg  und  St.  Gallen)  zur  Besprechung  gelangen ;  die  praktischen 
Erfolge  in  den  Kantonen  Grenf  und  Neuenburg  machen  für  die  Weiterverbreitung 
beste  Propaganda. 

Auf  dem  Wege  freiwilliger  Verständigung  sind  von  mehreren  gewerblichen 
Berufsverbfinden  ständige  g.  Seh.  mit  Erfolg  organisirt  worden,  so  z.  B.  von 
einzelnen  Sektionen  des  Schweiz.  Typographenbund,  vom  Uhr  macherverband  der 
Westschweiz,  vom  Central  verband  der  ostschweiz.  Stickerei  Industrie  und  vom 
Schweiz.  Metzgermeisterverein;  andere  haben  bezügliche  Bestimmungen  in  ihre 
Statuten  aufgenommen,  eine  praktische  Ausführung  derselben  ist  uns  jedoch  nicht 
bekannt  geworden.  Beim  Fachgericht  für  Stickwaarenverkehr  (obligatorisches 
Schiedsgericht    des  Stickerei  Verbandes)    sind    vom  Oktober   1885  bis  März   188i^ 


Schiedsgerichte  —     737      —  Schiedsgerichte 

665  Streitfölle   anhängig   gemacht   und   davon   554  Streitigkeiten  durch  Haupt- 
urtheil  erledigt  worden;   in  121   Fällen  erfolgte  Klagerlickzug  infolge  uachträg 
licher  Anerkennung  oder  Vergleichs.    Der  Streitwerth  betrug  in   14  Fällen  mehr 
als  Fr.   1000,  in   14  Fällen  zwischen  Fr.  500—1000,  in  224  Fällen  zwischen 

Fr.  100—500,  in  413  Fällen  unter  Fr.  100. 

■ 

Schweizerische  Literatur :  Das  Friedensrichteramt  und  die  g.  Seh.  im  Schweiz. 
Recht.  Von  Euf/en  Hubert  Professor  in  Basel.  Basel,  Benno  Schwabe,  1886. 
—  Organisation  und  Wirksamkeit  der  g.  Seh.  Von  Werner  Krebs,  Sekretär 
des  Schweiz.  Gevverbevereins.  Heft  II  und  lU  der  „Gewerblichen  Zeitfragen **. 
Bern,  Kommissionsverlag  von  W.  Büchler,  1887.  —  Rathschlag  und  Gesetz- 
entwurf betr.  Einzelrichter,  Sühn  verfahren  und  g.  Seh.  Basel,  Oktober  1888.  — 
Gutachten  des  Obergerichts  des  Kantons  Zürich  an  den  Regier ungsrath  betr.  £in- 
führung  von  Gewerbegerichten.  Zürich,  1887.  —  Instructions  pour  les  concilia- 
taires,  secretaires  et  presidents  des  conseils  de  prud^hommes.  Geneve,  1887.  — 
Projet  de  loi  sur  les  conseils  de  prud'hommes,  pr^c^d^  de  Texpos^  des  motifs, 
pour  le  canton  de  Vaud.  Lausanne,   1888. 


Kurrer.  Volkswirthschafts-Lexikon  d«*r  Schweiz.  47 


Ergaiizuinreii  —      738      —  Er^fäiizungen 


Einige  Ergänzungen  znm  IL  Band. 


Die  Großzahl  der  Ergänzungen  wird  im  zweiten  Theile  des  III.  Bandes  als  , Supple- 
ment" enthalten  sein. 

Handelsgerichte  s.  , Rechtspflege*. 

HandelsTerträgre.  Im  Bestand  der  Handelsverträge,  wie  derselbe  auf  pag.  20  mit- 
getheilt  ist.  sind  bis  zum  Schluß  dieses  Bandes  (September  1889)  folgende  Aenderungeu 
eingetreten : 

Die  Verträge  mit  der  S  ü  d  a  f  r  i  k  a  n  i  s c  li  e  n  R  e  p  u  1»  1  i  k  iTransval)  und  Ecuador 
sind  perfekt  geworden.  Firsterer  ist  am  10.  Nov.  1887,  der  z^veite  am  21.  Okt.  1889  in 
Kraft  ^'etreten;  beide  für  die  Dauer  von  10  Jahren.  Es  sind  lediglich  Meistbegilnst ignngs- 
verträge  ohne  Tarif. 

Neu  ist  in  die  Reihe  der  Vertragsstaaten  Griechenland  eingetreten.  Eine  proTi- 
sorische  Handelsübereinkunft  wurde  mit  diesem  Lande  abgeschlossen  am  10.  Juni  1887. 
Sie  kann  jederzeit  gekündet  w^erden  un<i  «lauert  ein  Jtihr  Aber  die  KändiguDg  hinaus. 
Sie  garantirt  den  Kontrahenten  die  Gleichstellung  mit  der  meistbegünstigten  Nation. 
Kein  Tarif. 

Mit  Deutschland  ist  am  11.  Nov.  1888  eine  Zusatzkimventinn  zum  Vertrajre  vom 
23.  Mai  1881  abges«" blossen  w  orden.  Mit  O  e  s  t  e  r  r  e  i  c  h  -  U  n  g  a  r  n  wurde  am  23.  Nov. 
1888  ein  i^euer  VertrJig  vereinbart;  ebenso  mit  Italien  am  23.  Jan.  1889  und  mit 
Belgien  am  3.  Juli  1889.  Alle  diese  Verträtre,  mit  Ausnahme  des  letztgenannten,  ent- 
halten Konventionaltarife.  Ihr  Ablauf  ist  einheitlich  auf  den  1.  Febr.  1892  festgesetzt. 
Da  alsdann  auch  «lie  Verträge  mit  Frankreich  und  Spanien  zu  Ende  gehen,  so  wird 
die  Schweiz  im  Laufe  des  Jahres  1891  mit  sämmtlichen  Nachbarstaaten,  mit  Spanien, 
Belgien  und  Rumänien  über  neue  Verträge  zu  unterhandeln  haben. 

T'eber  den  Inhalt  olüger  Verträge  wird  sich  das  Lexikon  in  den  Supplementariikehx 
, Deutschland",  ^Frankreich**.  , Italien**,  ^Oesterreich-l.'ngarn'*  einläßlicher  verbreiten. 

Einzelexemplare  dieser  Vertrüge  können  kostenfrei  von  der  Schweiz.  Bundeskanzlei 
in  Bern  bezogen  werden. 

Ferner  erscheint  gegen  Ende  September  1889  eine  vom  Schweiz.  Handelssekretfir 
Dr.  A.  Eichmann  in  Bern  veranstaltete  ,Samndung  der  Schweiz.  Handelsverträge  und 
der  Konventionaltarife  aller  Länder**  (Selbstverlag  des  Verfassers). 

Industrie«  Auf  pag.  03  beliebe  man  in  Zeile  12  nach  dem  Worte  ^sind*  <lie  Worte 
einzuschalten:  „oder  erst  größere  Bedeutung:  erlangten". 

Industrlepflauzcn  s.  paj:.  "^94.  zweite  Hälfte,  und  pag.  320  7*.  5.  Zeile  oben. 

Käse  s.  auch  pag.  3\b "21. 

Kn)»itAl  s.  pag.  274  u.  i\\ 

KurtolTel  s.  auch  pag.  320 /«,  3.  Zeile  oheu. 

Klima  s.  pag.  249  u.  IT. 

Konsulutc«  Der  auf  pag.  130  u.  If.  dieses  Bande-s  mitgetheilte  Konsularbestaud  hat 
sich  bis  Mitte  September  1889  folgendermaßen  geän«lert  : 

a.  S  c  li  w  e  i  z  e  r  i  s  c  h  e  K  o  n  s  u  1  a  t  e  i  m  Ausland.  Es  siml  neu  errichtet  worden 
Konsulate  oder  Vizekonsulate :  lu  Kopenhagen  für  Dänemark:  in  Wien  für  Oesterreich. 
ausgenommen  den  Konsularbezirk  Triest;  in  T/'/Z/ä  für  Tran-^kaukasien :  in  Stockholm 
für  Schweden:  in  St,  Paul  für  den  nordamerikanischen  Staat  MinnesoUi;  in  Cordoha 
für  die  arjreiitinischen  Provinzen  (iordoba,  Santiago  del  F^stero  und  Tucuman ;  mMendoza 
für  die  argentinischen  Pnninzt?n  San  Luis.  Mendoza  und  San  Juan;  in  Concordia  für 
die  argentinisijie  Provinz  Entre  Rios:  in  Trniguen  für  die  chilenischen  Pro\inzen  Malleco 
und  tiautin;  lu  Pretoria  für  die  südafrikanische  Republik:  \n  Brit<hane  für  Queensland. 
Australien;  in  Nueva  Helvecia  für  Uruguay. 

h.  F r e m  tl  e  Konsulate  i n  d er  Sc h  w e i z.  Es  sind  neu  errichtet  worden  :  Ein 
Generalkonsulat  für  Griechenlandy  in  Zürich;  zwei  Vizekonsulate  für  die  Niederlande, 
in  Bern  und  (ienf;  ein  Honorarkonsulat  für  Serbien,  in  Zürich;  ein  Vizekonsulat  für 
Spanien,  in  Zürich;  ein  Konsulat  für  die  Republik  Columbia,  in  Genf;  drei  Kon.<ulate 
für  die  argentinische  Republik^  in  Bern.  Rellinzona  und  Neuenburg:  ein  Vizekousnlat 
für  die  Republik  Bolivia,  in  Nyon :  ein  Konsulat  für  «lie  Republik  Venezuela,  in  Bern. 

Das  frühere  argentinische  Vizekonsulat  in  San  Simone  bei  (Ihia^^so  be.steht  nicht. 
mehr. 

Kredit  s.  auch  pag.  274  u.  tl. 


Ergänzungen  —      739      —  Ergänzungen 

Knltarregionen  s.  pag.  ^57. 

Malerei  s.  pag.  18S. 

Mehl«  In  der  letzten  Zeile  ist  als  letzte  Zahl  zu  lesen  40.  56  anstatt  56. 

Milch wirthsehaft  s.  auch  pag.  314  (Schlußabsatz)  u.  ff. 

Miinzwesen.  Mitte  1889  befanden  sich  schweizerische  Münzen  im  Werthe  von 
Fr.  47'992,016  üa  Umlauf,  nämlich : 

Gold:  504,400  Zwanzigfrankenstücke  =  Fr.  10'088,000. 

Silber :  2'095,650  Fünffrankenstücke  =  Fr.  10'478.250 ;  5'000,000  Zweifrankenstücke 
=  Fr.  10*000,000 ;  9*000,000  Einfrankenstücke  =  Fr.  9*000,000 ;  6*000,000  Halbfranken- 
stücke =  Fr.  3*000,000. 

Nickel:  11*000.000  Zwanzigrappenstücke  =  Fr.  2*200.000;  17'000,000  Zehnrappen- 
stücke =  Fr.  1*700,000;  18*000,000  Fünfrappenstüoke  =  Fr.  900,000. 

Kupfer:  17*013,300  Zweirappenstücke  =  Fr.  340.066;  28*550,000  Einrappenstücke 
=  Fr.  285,500. 

Vgl.  hiezu  pag.  491,  Schlußsatz. 

Notenbanken.  Zahl  derselben  Ende  1888 :  34.  Einbezahltes  Kapital  Fr.  122*584,000. 
Vom  Bundesrathe  bewilligte  Notenemission  Fr.  153*100,000.  Betrag  der  wälirend  des 
Jahres  1888  im  Publikum  zu-kulirten  Noten  Fr.  116*771,000— 143793,000  =  Fr.  126*306,000 
im  Durchschnitt  oder  Fr.  44.  40  per  Kopf  der  Bevölkerung  (Frankreich  Fr.  71,  Belgien 
Fr.  65.  20).  Baardeckung  durchschnittlich  59  %  <'^r  Notenzirkulation,  und  zwar  zu  72  ^/o 
aus  Gold,  zu  28  **/o  aus  Silber. 

Obstbau  s.  auch  pag.  295,  zweite  Hälfte,  und  320  h,  4.  Zeile  oben.  Die  auf  pag.  540 
ad  St.  Gallen  angegebene  Zahl  der  Gartenobstbäume  (82,000)  ist  in  1*102,061  abzuändern. 

Oelsaaten  s.  pag.  294.  Absatz  „Industriepflanzeu*^. 

Pferdezucht  s.  auch  p.  317/18. 

Polytechnikum.  In  der  dem  Artikel  beigegebenen  Tabelle  Ist  der  Name  Köhler 
(landwirtlischaftliche  Abtheilung)  zu  streichen. 

Regenmengen  s.  pag.  252. 


•4-^ 


Erklärung  der  Abkürzungen. 


kg  -^  Kilogramm,  q  (quintal)  =  100  kg.  t  =  Tonne  (1000  kg).  I  =  Liter,  hl  = 
Hektoliter  (100  Liter),  m  =  Meter,  m*  =  Quadratmeter,  m*  =  Kubikmeter,  cm  = 
Centimeter.    mm  =  Millimeter,    km  =  Kilometer  (1000  Meter),   km'  ^^  Quadratkilometer. 

ha  =  Hektar  (100  Aren),    d.  d.  =  datirt    A.  S pag =  Amt  hebe  Sammlnng 

der  eidgenössischen  Gesetze  von  1848  bis  1874,   Band Seite  ....    A.  S.  n.  F 

pag =  Amtliche  Sammlung  neue  Folge  (d.  i.   von  1874  bis  auf  die  Gegenwart), 

Band  ....  Seite frz.  :=  französisch. 


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Verzeichniss  der  Mitarbeiter. 

Anderegg,  Alt-Professor  und  Generalsekretär  des  Schweiz,  landwirthschaftlichen  Vereins. 

Balmer,  Dr.,  Hans,  in  Bern. 

Billwiller,  Direktor  d6r  meteorologischen  Zentralanstalt  in  Zürich. 

Boos-Jegher,  Mitglied  des  Centralvorstandes  des  Schweiz.  Gewerbevereins. 

Bräm,  Beamter  auf  dem  eidg.  Ober-Bauinspektorat. 

BrUstlein,  Dr.,  Beamter  des  eidg.  Justizdeparteiiients. 

Buser,  Beamter  des  eidg.  Zolldepartements. 

Christ,  H.,  Dr.,  in  Basel. 

Cuttat,  Sekretär  des  eidg.  Alkoholamtes. 

Dreifuss,  Chef  des  eidg.  Auswanderungsbureau. 

Durrer,  Adjunkt  des  eidg.  statistischen  Bureau. 

Durrer,  Landummann  und  Nationalrath,  in  Stans. 

Elchmann,  Dr.,  eidg.  Handelssekretär. 

Farner,  administrativer  Inspektor  des  eidg.  Eisenbahndepartements. 

Frey,  Alfred,  Sekretär  des  Schweiz.  Handels-  und  Industrievereins. 

Frey,  Emil,  Sekretär  der  Kaufmännischen  Gesellschaft  Zürich. 

Geering,  Dr.,  Chef  der  schweizerischen  Handelsstatistik. 

Girtanner,  Adjunkt  des  administrativen  Inspektors  des  eidg.  Eisenbahndepartements. 

Grete,  Dr.,  Vorsteher  der  agrikulturchemischen  Untersuchungsstation. 

Habegger,  Beamter  des  eidg.  Landwirthscliaftsdepartements. 

Häni,  Natiorialrath,  Bern. 

Heinzelmann,  Obstbaulehrer  am  Seminar  Mariaberg  in  Rorschach. 

Henking,  Dr.,  Karl,  Schaffhausen. 

Hess,  Statistiker  des  eidg.  Eisenbahndepartements. 

Huber,  gew.  Direktor  der  zürcherischen  Seidenwebschule. 

Huber,  Dr.,  Statistiker  des  eidg.  Departements  des  Auswärtigen. 

Kaiser,  Dr.,  gew.  Nationalrath. 

Kaufmann,  Dr.,  Sekretär  des  eidg.  Industriedepartementes. 

Krsmer,  Prof.  Dr.,  am  eidg.  Polytechnikum. 

Kramer.  Lehrer,  Aktuar  des  Vereins  schweizerischer  Bienenf^eunde. 

Krauer,  Dozent  für  Weinbau  am  eidg.  Polytechnikum. 

Lambelet,  Sekretär  des  eidg.  statistischen  Bureau. 

Lang,  Beamter  des  eidg.  statistischen  Bureau. 

Lunge,  Prof.  Dr.,  am  Polytechnikum  Zürich. 

Marti,  Verwalter  auf  Rosegg,  Kt.  Solothurn. 

Mertens,  Landschaftsgärtner  in  Riesbach. 

Merz,  F.,  Laiidwirthschaftssekretär  in  Bellenz. 

MUhlemann,  (llief  des  bernischen  statistischen  Bureau. 

Mpiier.  Chef  der  Landwirtlisrliafl.«»al)theilung  des  eidg.  Landwirthschaftsdepartements. 

Näf,  Kantonsstatistiker  in  Aarau. 

Orelli,  Adjunkt  des  eidg.  Patentamtes. 

Platel,  eidg.  Münzdirektor. 

Rebstein,  Prof..  Hottingen. 

RIs,  Direktor  der  eidg.  Eichstätte. 

Rödiger,  Kulturtechniker  in  Bellach-Weyerhof  (Solothurn). 

Roth,  Alfred,  Präsident  der  Oekonomischen  Gesellschaft  des  Oberaargaus,  in  Wangen  (Bern). 

Rudin-Schmid,  Lehrer,  in  Basel. 

Salvisberg.  F.,  Alt-Kantonsbaunieister,  in  Bern. 

Sandoz,  Adjunkt  des  Inspektors  der  Emissionsbanken. 

t  Schatzmann.  gew.  Direktor  der  Mi  Ich  Versuchsstation  in  Lausanne. 

t  Scherer,  ^'ew.  Inspektor  der  Emissionsbanken. 

Scholienberger,  Dr.,  Justizdirektionssekretär,  Zürich. 

Schumacher,  Buchhalter  auf  dem  eidg.  Finanzdepartement. 

Stehler,  Dr.,   Vorsteher  der  eidg.  Samenkontrolstation. 

V.  Sury,  Beamter  auf  dem  eidfr.  01)erforstinspektorat. 

Strickier,  Dr.,  Redaktor  der  -^'id^^  AbsrhitMle",  Bern. 

Suter.  Sifkretür  der  eid^.  Uherzoildirektion. 

Tetmajer,  Prof.  Dr.,  Vorsteher  der  Festigkeitsprüfungsanstalt  am  Polytechnikum. 

V.  Tscharner.  Dr..  Prä<^ident  <les  kaiitonai-bernischen  Kunstvereins. 

Wartmann.  Dr.,  Aktuar  des  Kaufmänuisrlien  Direktoriums,  St.  Gallen. 

Weber.  Leo,  eidg.  Gcsetzgebungs-Sekretar. 

Wehrli.  Oberst,  Zeuirliausdirektor  in  Zürich. 

Weidmann,  Heainter  des  eidg.  Landwirthschaftsdepartements. 

Welti,  eid^r.  Puiververwalter. 

Vorstände  der  Aanfonalen  landwirthschaftlichen  Vereine,  Handelsregisterführer  etc.