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I /
der Schweiz.
(Urproduktion, Handel, Industrie, Verkehr etc.)
Herausgegeben und redigirt
von
unter Mitwirkung
von Fachkundigen in und ausser der Bundesverwaltung.
Alle Rechte gewaht^t.
IL Band :
Handelsexpeditionen — Sohiedsgeriohte
nebit einigen Ergänzungen.
Bern.
Verlag von Schmid, Francke & Co. (vorm. J. Dalp'sche Buchhandlung).
1889.
Druck Toa .Tent ä Reiiiert \a Bern.
Uandelsexpeditionen, Weil nicht vom Meere be«pUlt und nicht im
Besitze einer Handels- oder Kriegsflotte, wird e« der Schweiz selbstverötändlich
weniger leicht, Handelsexpeditionen nach überseeischen Gebieten durchzuführen,
als den Seemächten. Es sind denn auch wirklich wenige solche Unternehmungen
größeren Styls gewagt worden, d. h. es war, bis an eine einzige Ausnahme,
dem Unternehmungsgeiste des Handelsstandes überlassen, .fremde Gebiete auf-
zusuchen, zu erforschen und (im friedlichen Sinne) zu erobern. Daß es der
HandelsHtand an solchen Wagnissen nicht fehlen ließ, dafür sprechen die zahl-
reichen Niederlassungen schweizerischer Firmen in fast allen zivilisirten und halb-
zivilisirteu Gegenden und die beinahe über den gesammten Erdball verbreiteten
Spuren seiner Thätigkeit. Oder sollten die schweizerischen Handelshäuser in
liombay, ('alcutta, Sicgapore, Batayia, Manilla, Canton, Hongkong, Shanghai
u. d. E. entstanden sein, ohne daß vorher eine Rekognoszirung, eine Expedition
im Kleinen, stattgefunden hätte? Kaum! Es geschah aber im Stillen, gleichwie
der in der Defensive sich befindliche Kriegführende im Rücken seiner Linie ge-
räuschlos neue Aufnahms- und Gefechtspositionen schaii't. Einem solchen Rückzug
ist in der That die vor manchem Jahrzehnt begonnene Eröffnung überseeischer
Geschäfte nicht unähnlich, denn es war ein Abdrängen auf neue Handelsbahnen,
da ältere und näher liegende sich zu verschließen begannen.
Betrachtet man also dieses Eindringen des schweizerischen Handels in die
fernen Welttheile als Handelsexpeditionen en miniature, so sind dagegen zwei
größere Unternehmungen bekannt, die sich den von Zeit zu Zeit von Seemächten
ausgeführten würdig an die Seite stellen, d. i. die Handelsmission nach Japan
(1862/Ö4) und diejenige nach Ostafrika (1869/71).
Die erstere vollzog sich unter der Mitwirkung des Bundes und hatte zum
Zweck, zu einem Handelsvertrag mit Japan zu gelangen.
Der Hiindel der Schweiz mit Japan fand anfänglich durch die Vermittlung
holländischer Häuser statt. Kein Schweizer durfte sich in Japan aufhalten, noch
viel weniger daselbst ein Geschäft eröffnen ; die Holländer gaben sich für schwei-
zerische Waaren nicht viel Mühe und somit blieb der Absatz nach Japan stationär.
Man hielt aber in der Schweiz das Reich der aufgehenden Sonne für ein sehr
gutes Konsumtionsgebiet und trachtete darnach, gleiche Rechte wie die Vereinigten
Staaten von Nordamerika, Holland, England, Frankreich, Rußland, Portugal und
Preußen zu erlangen, welche im Jahrzehnt 1850/60 Verträge mit Japan ab-
geschlossen und dadurch ihrem Handel einige japanische Häfen geöffnet hatten,
neben dem Recht der Niederlassung für ihre Staatsangehörigen.
Die Initiative zur Erlangung der nämlichen Vortheile und Rechte für die
Schweiz ging von der Union horlogere in La Chaux-de- Fonds und
Loc le aus, indem sie, unterstützt vom Kautmännischen Direktorium in St. Gallen,
beschloß, eine Handelsexpeditiun nach Ostasien, China und Japan zu organisiren.
Der Bundesrath gewährte den Initianten seine Unterstützung, indem er dem Chef
der Expedition eine Zirkularempfehlung an die in jenen Ländern akkreditirten
diplomatischen Vertreter aller befreundeten Staaten ausstellte und das Zoll-
departement anwies, den Chef der Expedition, Herrn Dr. Paul Lindau aus
Preußen, als seinen Delegirten nach Japan anzuerkennen, der beauftragt sei,
Erkundigungen über die Handels- un<l Verkehrsverhültnisse Japans anzustellen
Furrt-r, HtlkiiwirthsrliAftit-Loxikon der Stliwi-i?,, {
166302
Handelsexpeditionen — 2 — Handelsexpeditioneii
und zu erforschen, ob die japanesische Regierung geneigt wäre, auch mit der
Schweiz in nähere Beziehungen zu treten.
Dr. Paul Lindau gelangte im September 1859 nach Japan und erhielt dort
den Bescheid, daß Japan einstweilen keine Handelsverträge mehr abschließe^
wenn dies aber später wieder geschehen sollte, werde die Schweiz in erster
Linie berücksichtigt.
In der That erhielt die Schweiz im Frühjahr 1861 den Bericht, Japan sei
nun zu Yertragsunterhandlungen bereit. Der Bundesrath wollte sich diese günstige
Stimraunt; nicht entgehen lassen, sondern arbeitete sofort eine Botschaft an die
gesetzgebenden Käthe aus, in welcher er die Bewilligung eines Kredites von
Fr. 100,000 empfahl, damit der Vertragsunterhändler gemäß einer in Japan
be8tehen<len Uebung reichlich mit Geschenken für die dortige Regierung versehen
werden könne. Der Kredit wurde bewilligt und als Vertragsunterhändler Herr
alt-Ständerathspräsident Aime Humbert in La Chaux-de-Fonds gewonnen. Es
wurden ihm der Titel und Rang eines außerordentlichen Gesandten verliehen.
Als er Ende 1862 seine Mission antrat, schlössen sich ihm an die Herren
C. Brenuwald, Kaufmann, aus Männedorf, als Legationssekretär, Stabsmajor
Bring olf von ünterneuhaus, Ingenieur Iwan Kaiser aus Zug, Mechaniker
Favre-Brand aus Locle und Kaufmann Eduard Bavier aus Chur, letztere
vier freiwillig. Viele mit Geschenken des Bundes, der Kantone und des Kaufmanns-
standes bepackte Kisten gehörten zur Reise-Ausriistung der Handelsexpedition. ^)
Im April 1863 traf diese in Japan ein und Ende Januar 1864 hatte sie ihre
Aufgabe gelöst. Seitdem hat sich der Handelsverkehr mit Japan in erfreulicher
Weise entwickelt. (Vgl. Bundesblatt 1861, II, pag. 315, und 1864, 11, 197.)
Die zweite Handelsexpedition hatte Ostafrika zum Ziel. Sie wurde
veranstaltet vom Kaufmännischen Direktorium in St. Gallen in Verbindung mit
sieben st. gallischen und einer appeuzellischen Geschäftsfirma. Es galt, die wich-
tigsten Plätze am Rothen Meere und an der Ostküste Afrikas mit den ost-
schweizerischen Fabrikaten bekannt zu maclien. Dem wissenschaftlich gebildeten
Herrn Richard Brenner von Merseburg und dem jungen Kaufmann Karl Fisch
von St. Gallen wurde ein vom Konsortium gemiethetes, im Hafen von Triest
ankerndes Schilf („Marietta**) zur Verfügung gestellt. Ihnen schloß sich ein in
Triest ansässiger Schweizer, Herr Heinrich Escher, an.
Am 31. Dezember 1869 stach die „Marietta** in See; von ihrer Waaren-
ladung war der st. gallisch-appenzellische Antheil (Herr Escher hatte ebenfalls
Güter eingeschifft) mit Fr. 70,000 versichert. Leider gestaltete sich die Reise
zu einer beinahe ununterbrochenen Kette von Verrechnungen und Mißgeschicken
Unfreiwillige Verspätungen, konträrer Wind, Schiffbruch bewirkten, daß die Reise
viel länger dauerte, als berechnet war, daß die Waaren unzeitig und zu billig
abgesetzt werden mußten, und daß das Konsortium Verluste erlitt. Die Reisenden
kamen mit heiler Haut davon. Sie hatten folgende Plätze besucht: Port Said,
Aden, Makalleh, Maskat, Buscheir, Kismayu (Schitt'bruch), Zanzibar.
Das Kaufmännische Direktorium in St. Gallen hatte für diese Expedition
Fr. 21,546 geopfert; die Einbuße der übrigen Theilnehmer ist unbekannt ge-
blieben, immerhin war dieselbe nicht groß genug, um letztere an einer Fort-
setzung des Unternehmens zu hindern: Sechs derselben gründeten im Jahre
*) Vor der üeberjrabe der Geschenke wurden diese in Yokohama öffentlich aus-
gestellt. Von Nah und Fern strömten die Jaiiancsen herbei, um die seltenen Gegenstände
m Augenschein zu nehmen.
Hiiniiel^expeditiunen — 3 — Handelskammern
1872 eine Ge8chiiftsnicderla$8ung in Zanzibar nnd Übertrugen deren Leitung den
beiden Führern der früheren Expedition, Brenner und Fiscb. (Vgl. „Die Kanf-
männiKche Korporation und das Kaufmännische Direktorium in St. Gallen in den
Jahren 18(>4— 1880-. Kälin'sche Buchdruckerei in St. Gallen, 1882.)
Seit der ErBchließung des Kongogebictes hat es auch in der Schweiz
nicht an Stimmen gefehlt, welche zu einer Betheiligung an der allgemeinen Jagd
dorthin, in Form einer Haudelsexpedition, riethen. Einstweilen iat aber keine
Hand an's Werk gelegt worden, wozu vielleicht, abgesehen von den in Ostafrika
gemachten Erfahrungen, die Erinnerung an die im 7. Jahrzehnt bestandene
„Sehweizerische Exportgesellschaft ** in Zürich beigetragen haben mag, die an
mehreren von ihr gegründeten, anfanglich viel versprechenden, übersiieischen
Etablissementen Enttäuschungen aller Art erlebte. (Die Geselltschuft war mit
5 Millionen Franken Aktien- und Obligationenkapital fundirt.)
Uandelsfirnien s. G^schäfbürmen.
Handelsmarken s. Fabrik- und Handelsmarken.
Handelskammern, Handelskommissionen, Handels- und
Industrievereine. Den Namen Handelskammer fähren in der Schweiz
1) die geschäftsleitende Kommission des Basier Handels- und In dnstiie vereine,
2 die geschäftsleitende Kommission der „Association commerciale et industrielle"
in Genfj 3) die der Kegieruug von Luzern beigesellte offizielle Kommission für
Handel und Gewerbe, 4) ein zwischen dem Vorort und der Delegirteuversammlung
des Schweizerischen Handels- und Industrie Vereins stehendes Organ des letztern,
genannt „Schweizerische Handelskammer" (s. unten).
fIandel.'ikommf<si'one>f (Handels und Gewcrbek., Handels- und Industriek.)
bestehen in einigen Kantonen (Appenzell A.-Rh., Glanis, Luzern, Schaffhausec,
Zürich) als begut^ichtende und vorberathende Kollegien der Regierung; sie haben
somit offiziellen oder offiziösen Charakter. Im Kt. Lmern führt die betreffende
Kommission den Namen „ Handelskammer'*, im Kt. Schaffhausen „Kaufmännisches
Direktorium**.
Ha}ideh- nnd Indttstrieüereitie mit vollständig privatem Charakter gibt es
in sehr erheblicher Zahl. Ihr Zweck ist stets in erster Linie die Besprechung
gemeinsamer Interessenfragen. Die in einem Kanton bestehenden Lokalvereine
bilden in der Regel einen kantonalen oder noch größeren Verband und die
Mehrzahl dieser Verbände bildet wiederum den Schweizerischen Handels-
und Industrie vorein.
Sektionen dieses schweizerischen Verbandes sind zur Zeit (Mitte 1886):
Die kantonalen amtlichen Ortjane: Kommission liir Handel und Gewerbe
des Kts. Apj>enzell A.-Rh.; Handelskommission des Kts. Glarus; Handelskammer
des Kts. Luzern; Kantonale Kommission für das Handelswesen in Zürich.
Die Fachverebie : Schweizerischer Spinner-, Zwirner- und Weber verein ;
Verein schweizerischer Woll- und Halbwoll-Industrieller; Verein schweizerischer
Maschinen- Industrieller; Verein schweizerischer Geschäftsreisender; Association des
fSabricants et marchands de bijonterie, joaillerie, orfevrerie de et a Geneve; Seiden-
Industrie-G^ellschaft des Kts. Zürich; Getreidebörse Zürich.
Der interkantonale Verein: Socicte intercantonale des Industries du Jura
(umfassend Vereine in Genf, Waadt, Neuenbui*g, Bemer Jura).
Die kantonalen und lokalen Vereine: Aargauischer Handels- und Industrie-
verein; Basler Handels- nnd Industrieverein; Bemischer Verein für Handel und
Industrie; Association commerciale et industrielle genevoise; Börsenverein Glarus;
Handelskammern — 4 — Handelskammern
Handels- und Industrieverein Solothnm; Tbarganischer Handels- nnd Gewerbe-
verein; Societ6 indasirielle et commerciale du canton de Vaud; Kaufmännisches
Direktorium St. Grallen ; Kaufmännische Gesellschaft Zürich ; Handels- und Industrie-
yerein Herisau; Kau&iännische Gresellschaft Winterthur.
Nicht in Verbindung mit dem Schweiz. Handels- und Industrieverein stehen
die mehr oder weniger bedeutenden Fachvereine der Seidenzwimer, der Leinen-
Industriellen, der Holz-Industriellen, der Kalk- und Cementfabrikanten, der Gerber,
Müller, Buchhändler, Buchdruckereibesitzer, der Basler Bandfabrikanten, der Ober-
länder Holzschnitzler, der Parqueteriefabrikanten u. s. w.
Die Wirksamkeit der aufgezählten Vereine macht sich nach Außen in sehr
verschiedener Weise bemerkbar. Während einige selten von sich hören lassen,
sind andere ungemein initiativ und weithin einflußreich. Dies gilt besonders von
jenen Vereinen, welche Über bedeutende Fonds und über besoldete Sekretariate
verfügen. Eines der Lieblingsziele einzelner dieser Vereine ist die Förderung der
industriellen Bildung, wofür sehr namhafte Opfer aus den Vereinskassen gebracht
werden.
Von allgemein schweizerischer Bedeutung ist vermöge seiner Gliederung
und Organisation der Schweizerische Handels- und Industrieverein. Durch die
Centralleitung, welche abwechselnd je 4 Jahre lang einer der Sektionen (Vorort)
obliegt, steht der Verein in ausgedehntem schriftlichen Verkehr mit den Bundes -
behörden und bringt hier über die verschiedensten Materien die Anschauungen,
Erfahrungen und Kenntnisse des Handelsstandes zum Ausdruck. Um diese frucht-
bringenden Wechselbeziehungen zu sichern, subventionirt der Bund den genannten
Verein mit einer Summe, welche der Centralleitung gestattet, ein tüchtiges
Sekretariat und ein gut ausgestattetes Bureau zu halten. Die Centralleitung war
1870/71 in Bern, 1872/73 in Zürich, 1874/75 in St. Gallen, 1876/77 in Basel,
1878/79 in Zürich, 1880/81 in Genf, 1882/90 in Zürich.
Die Anregung zur Gründung des Vereins ging im Mai 1869 von der
Handelskommission des Kantons Glarus aus. Der Vorschlag fand Anklang, und
am 15. November 1869 fand in Bern eine aus 13 Kantonen beschickte Delegirt^n-
versanunlung statt ; diese berieth die Statuten, nahm die Mitgliedschafts- Erklärungen
von 21 Handelsvereinigungen entgegen und wählte ein Komite (Ausschuß). Dieses
erste Komite bestand aus den Herren Alfred Ernst in Bern, Präsident, Adolf
Lasche in Bern, Sekretär, Heinrich Fehr in Burgdorf, Friedrich Born in
Herzogen buchsee, Nationalrath Jenny in Glarus, Oberst Siber-Gysi in Zürich,
Oberst v. Gonzenbach in St. Gallen, Nationalrath Feer^ Herzog f in Aarau, Burkhard-
Bischojf in Basel, Martin- Fr anel in Genf, Oberst Jules Grandjean in La Chaux-
de-Fonds.
Eine der ersten Aufgaben des jungen Verbandes war, die Mittel ausfindig
zu machen, um der durch den deutsch-französischen Krieg entstandenen G^ld-
krisis zu steuern.
Als komplizirter Apparat und mit unbesoldeten Kräften arbeitend, konnte
der Verein in den ersten Jahren seines Bestehens nicht alle auf ihn gesetzten
Hoffnungen verwirklichen ; es wollte sich namentlich kein inniger Kontakt mit
den Bundesbehörden herstellen, so daß man endlich zu dem Gedanken Zuflucht
nahm, eine ^Schweizerische Handelskammer ** mit dem Charakter eines offiziellen
Berathers des eidg. Handelsde|)artementes zu schaffen.
Diesem Gedanken gab Dr. Alfred Esther am 16. Dezember 1869 im
Nationalrath durch eine Motion Ausdruck ; sie wurde aber verworfen und die
Hundelskammern — 5 — Handeläkammern
gute Folge davon war, daß der Schweiz. Handels- und Industrie verein nun
beschloß (Juli 1878), das unbesoldete Sekretariat in ein besoldetes zu verwandeln
und eine geeignete Kraft beizuzieben. Das half! Der Verein könnt« von nun an
eine so ersprießliche Thätigkeit entwickeln und so rege Beziehungen zu den
Bundesbehörden unterhalten, daß letztere sich des ersteren bald nicht mehr ent-
rathen konnten und, als das Projekt einer offiziellen Schweizerischen Handels-
kammer wieder auftauchte (1880/82), dem Verein eine jährliche Subvention
zuzuwenden begannen, damit derselbe in den Stand gesetzt werde, alles das zu
leisten, was man von einer offiziellen Handelskammer erwartet hatte. Seitdem
bildet der Schweiz. Handels- und Industrie verein eine volkswirthschaftliche Macht
im Staate und seine Jahresberichte über Handel und Industrie der Schweiz sind
berühmt.
PräHidenten des Vereines waren die Herren: Alfred Ernst in Bern,
Leouhard Steiner in Zürich, £. Gonzenbach in St. Gallen, Eöchlin-Geigy in
Basel, Eonrad BUrkli in Ztlrich, Emest Pictet in Genf, C. Cramer-Frey in Zürich.
Sekretäre des Vereines waren die Herren; Adolf Lasche in Bern,
J. J. Binder in Zürich, Dr. H. Wartmann in St. Gallen, Dr. Alfred Geigy in
Basel, Dr. Arnold Eichmann in Zürich und Genf, Alfred Frey in Zürich.
Folgendes sind die neuesten (vom 11. November 1882 datirten) Statuten
des Vereins:
Zweck und Zusammensetzung des Vereins. § 1. Unter dem Namen „Schwei-
zerischer Handels- und Induslrieverein * (Union suisse du Commerce et de Tlndustrie)
bilden die Organe des schweizerischen Handels- und Industrie^Uindes einen Verband,
zum Zwecke, sowohl ihre gemeinschaftlichen Interessen zu erörtern und zu vertreten,
als auch, soweit möglich, mit dem zu sammelnden diesbezüglichen Material und mit
anden^'eitigen Informationen über Fragen des Handel, der Industrie und des Verkehrs-
wesens den Bundesbehörden begutachtend an die Hand zu gehen.
§ 2. Als Sektionen können dem Verbände auf Grund der gegenwärtigen Statuten
beitreten: alle freiwilligen Vereinigungen, deren Beruf die Förderung von industriellen
und kommerziellen Interessen ist, sowie kantonale Handelskammern, Handelskommis-
sioncn, Kantonsregierungen oder einzelne Departemente der letztern.
Die Selbständigkeit der einzelnen Sektionen und namentlich das Recht derselben,
mit den kantonalen und eidgenössischen Behörden direkt zu verkehren, soll, abgesehen
von den durch Anerkennung dieser Statuten übernommenen Verpflichtungen, durch den
Verband in keiner Weise beeinträchtigt werden.
Organisation des Vereins. § 3. Die Orgjine des Vereins sind : A. die Delegirten-
versammlung; B. die schweizerische Handelskammer (Chambre suisse du Commerce);
C der Vorort.
§ 4. Delegirtenver Sammlung. Alljährlich, und zwar in der Regel im Laufe des
Monats April, treten die Delegirten der Sektionen zur ordentlichen Generalversammlung
behufs Entgegennahme des Jahresberichtes und Abnahme der Jahresrechnung, sowie
zur Behandlung allßlliger weiterer Vorlagen zusnnmien.
Außerordentliche Delegirtenversammlungen finden nach Erforderniß, sei es auf
Veranlassung des Vorortes oder der Handelskammer, sei es auf das Verlangen von
mindestens drei Sektionen statt.
Die Delegirtenversammlung entscheidet über die Aufnahme neuer Sektionen ; doch
kann die letztere auch auf dem Zirkularwege erfolgen.
Es muß mindestens die Hälfte der Sektionen vertreten sein, damit bindende Be-
schlüsse gefaßt werden können.
Die Zahl der Delegirten jeder Sektion ist unbeschränkt. Jedoch hat bei Abstim-
mungen jede Sektion nur eine Stimme.
§ 5. Schweizerische Handelskammer. Als Vertretung der Gesammtinteressen von
Handel und Industrie wird unter dem Namen Schweizerische Handelskammer (Ciiambre
suisse du Commerce) ein zwischen der Delegirtenversammlung und dem Vororte stehendes
Organ bestellt.
Die Handelskammer besteht aus 15 Mitgliedern und den Delegirten des Bundes-
rathes, letztere mit berathender Stimme. Vier dieser Mitglieder werden durch den
Handelskammern — 6 — HandeLskainmein
Vorort und eilf durch die Delepirtenversaminlunjr auf die Dauer von 4 Jaiiren (rewählt.
Die Mitglieder der Handelskammer sind nach Ablauf ihrer Amtsdauer wieder wählbar.
Mit Ausnahme derjenigen des Vororts soll keine Sektion mehr als einen Vertreter
in der Handelskammer haben.
Die Handelskammer hat vom Standpunkte der allgemeinen schweizerischen Inte-
ressen aus mitzuwirken bei der Begutachtung sowohl der dem Vereiu von den Bundes-
behörden überwiesenen, als auch der aus dem Schooße des Vereins selbst angeregten
Fragen. Ferner liegt ihr die Berathung aller derjenigen AnlrSge, Berichte, Gutachten
und sonstigen Angelegenheiten des Vereins ob, welche ihr von der Delegirten Versamm-
lung zur Berichterstattung ilberwiesen werden.
Sie wählt auf Vorschlag dos Vorortes die ständigen Beamten des Bureau des
Schweizerischen Handels- und Industrievereins und bestimmt die Gehalte und Verpllich-
tungen derselben. Sie bezeichnet ferner alljährlich zwei Rechnungsrevisoren.
Abstimmungen und Beschlulofassungen der Handelskammer sind in der Hegel in
Sitzungen vorzunehmen, welche der Vorort nach BedurfniL) anberaumt, doch können
sie nöthigen Falles auch auf dem Zirkularwege stattlinden.
Zur Beschhißtahigkeit der Handelskammer be<larf es der Anwesenheit von min-
destens 8 Mitgliedern ; bei Stimmengleichlieit zählt die Stimme des Vorsitzenden doppelt.
§ 6. Vorort. Je auf die Dauer von 4 Jahren wird von der Delegirten versammhing
eines der zum Verl»ande gehörenden Organe als Vorort gewählt. Der abtretende Vorort
ist mit Ablauf der Amtsdauer wieder wählbar.
Der Vorort bildet die Präsidialbehörde des Verbandes. Kr bestellt von sich aus
das Präsidium, das auch in den Sitzungen der Handelskammer und den Versamndungen
der Delegirten den Vorsitz führt.
Dem Vororte liegt als leitender und ausfulirender Behörde insbesondere ub: die
Besorgung der linanzieilen und übrigen administrativen Angelegenheiten des Verbandes,
die Vermittlung der Beziehungen zwischen den Bundesbehörden und den Sektionen,
die Zusammenstellung und Bearbeitung der von den Sektionen eingehenden Infor-
mationen, die vorgängige Begutichtung anhängiger Fragen, jährliche Rechnungsablagen,
die Bericliterstattung über seine Thätigkeit und diejenige des Gesammtvereins, sowie
über Handel und Industrie der Schweiz.
In dringUchen Fällen kann der Vorort wie auch die Handelskammer in Fragen,
die ihrer Natur nach vor das Forum der Delegirtenversammlung zur Beschlußfassung
gehören, von sich aus im Namen des Vereins handeln, innnerhin unter Vorbehalt
nachtraglicher, möglichst beförderlicher Berichterstattung an die Organe des Vereins.
Zur Bewältigung der ihm zugewiesenen Aufgaben wird dem Vororte ein ständiges
Bureau zur Verfügung gestellt, des.sen Personalbestand sich nach den Bedürfnissen und
den zu Gebote stehenden linanzieilen Mitteln richtet.
Finanzen. ^ 7. Die ünanziellen Hülfsmittel des Vereins setzen sich zusammen
aus: 1) obligatorischen und freiwilligen Beiträgen der Sektionen; 2) Beiträgen des
Bundes ; 3) allfälligen sonstigen außerordentlichen p]innahmen.
Der obligatorische Jahresbeitrag jeder Sektion belauft sich auf Fr. 2()0 im Minimum
und Fr. 30() im Maximum.
Die Sektionen sind verptlichtel, auf erste Aufforderung des Vorortes mit Beginn
jedes Vereinsjahres den Miniinalbeitrag, und mit Abschluß der Jahresrechnung ein all-
fölliges Mehrbetretfniß bis auf den Maximalbetrag sofort einzuzahlen.
Sollte die Jahresrechnung einen Ueberschuß <ler aus den Minimalbeiträgen der
Sektionen, aus dem Bundesbeitrage und aus außerordentlichen Einküntten bestehenden
Jahreseinnahmen ergeben, so ist derselbe zu Gunsten der Einnahmen des nächsten
Jahres vorzutragen, wenn nicht die Delegirtenversammlung üi»er die Verwendung ander-
weitig bescldießt. Sollten aber die Maximalbeiträge von je Fr. 3(K) nicht genügen, um
die Ausgaben des Vereins zu decken, so soll der Vorort zunächst den Versuch machen,
die Knsteliung eines Detizits durrh freiwillige Nachschüsse der Sektionen zu vermeiden;
gelingt dies nicht, so sind außerordentliche Vorschüsse des V^norts vorab aus den Ein-
nahmen des nächsten Jahres zu vergüten.
Bei anfälliger x\uflösung des Verbandes sind etwaige Vermögensbe-stondtheile,
bestehend in Reserven aus Rechnungsüberschüssen, Bibliothek u. s. w. durch Beschluß
der Delegirlenversatninlung ähnlichen ölTentlichen schweizerischen Zwecken zuzuwenden,
wie sie der aufgelöste Verband verfolgt hat.
Efleklive Auslagen der Mitglieder der Handelskammer werden aus der Vereins-
kasse bestritten, währenci diejenigen der Abgeordneten an die Delegirtenversammlung
von den betretlendon Sektionen zu tragen sind.
Handelbikammern — 7 — HandeLspolitik
Verschiedene Bestimmungen. § 8. Dur Verein verpflichtet sich gegenüber der
hohen Bundesl»ehOrde, mit Rücksicht auf den zu leistenden fixen jährlichen Bundes-
beitrag, zur Begutaclitung der ihm von den verschiedenen Departementen des h. Bundes-
ralhes vorgelegten Fragen betreflend Handel, Industrie und Verkehr und die bezügliche
Gesetzgebung. Er veranstaltet auf Ansuchen des Bundesrathes Enqueten, welche in
den Bereich seiner Wirksamkeit fallen und verfallt jährlich einen Bericht über Handel
und Industrie der Schweiz.
Der Bundesrat!), ])ezw. da^ Handels- und LanriwirthschafLsdepartement soll jeweilen
eingeladen werden, sich an den Sitzungen der Handelskammer und der Delegirten durch
Abgeordnete mit berat hender Stinuiie vertreten zu lassen.
§ 9. Abgesehen von den finanziellen Verpllichtungen ist jod<? Sektion gegenüber
dem Vereine verbunden, innerhalb der anberaumten Zeit schriftliche Gutachten über
alle Fragen abzugeben, welche ihr vom Von)rt.e unterbreitet werden. In Fallen, wo
ihr dies, sei es aus materiellen, sei es aus sonstigen in der Natur tier Frage liegenden
Gründen, absolut nicht möglich ist, soll sie hievon zeitig dem Vororte Anzeige machen.
§ 10. Sämmtlichen Gutachten, welche den Rundesbehorden von der Delegirten-
ven^ummlung oder von der Handelskammer unterbreitet werden, ist die Ansicht der
Minoritfit, sofern diese es verlangt, beizufügen.
§ 11. Anträge auf Abänderung der Statuten, sowie andere zur BeschluljfjLssung
an die Delegirten vei-sammlung gelangende Vorlagen müssen dem Vororte einen Monat
vor dem Zusammentritte der Delegirten eingereicht werden.
§ 12. Der Austritt aus dem Verbände steht, die Erfüllung der betrelTenden finan-
ziellen Verbindlichkeiten für das laufende Uechnungsjahr vorausgesetzt, den Sektionen
zu je«ler Zeit frei.
§ 13. Die Auflösung des Schweizerischen Handels- und Industrievereins kann
von tler ordentlichen Dclegirtenversammlung beschlossen wenlen, wenn nach recht-
zeitiger Bekanntgebung dieses Traktandums mindestens -/s der Vereinsorgane vertreten
sind und sich eine Mehrheit von zwei Drittlheilen der vertretenen Sektionen dafür
ausspricht.
Ist eine erste Versammlung beseht ußunlahig. so kann eine zweite anziionlnende
Dclegirtenversammlung, ohne Rücksicht auf die Zahl der vertretenen Sektionen, die
x\uflösung beschließen.
Uandelspolitik. Die Schweiz befolgte bisher nach Außen eine freihiind-
lerische Handelspolitik. Sie war und ist vermöge ihres beschränkten territorialen
Umfanges auf diese Politik angewiesen ; denn, indem die Schweiz nur für einen
kleinen Theil ihrer eigenen industriellen Produktion aufnahmsfähig ist, muß für
den Haupttheil der Produktion im Ausland Unterkunft gesucht werden. Die»
bedingt, daß die Beschaffung der Roh- und Hülfsmaterialien für die industrielle
Produktion eine möglichht billige, namentlich von Zöllen möglichst wenig be-
schwerte sei.
Daraus folgt, daß die Schweiz bich SchutzzlUle nur erlauben darf für solche
Gegenstände, welche keiner weiteren Verarbeitung im Tnlande fähig sind und die
im Inlande in genügender Menge hergestellt werden können; dessenungeachtet
hat die Schweiz auch diese Gegenstände, von einigen wenigen Luxusartikeln
abgesehen, von ihrer freihänd krischen Politik bisher niclit ausgenommen, und sie
hat ohne Zweifel gut daran gethan, denn sie lieferte dem Ausland keinen Vor-
wand zu Repressalien. Nun aber das Ausland gleichwohl Schutzzollpolitik treibt
nnd durch seine Massenproduktion dem schweizerischen (lewerbe die Existenz
streitig macht, wird die Schweiz kaum auf die Dauer der Nothwendigkeit wider-
stehen können, eine genauere Unterscheidung derjenigen Objekte zu treH'en, welchen
gegenüber ein geringes oder höheres Zollmaß zuträglich ist.
Seit die Schweiz ein einheitliches Zollgebiet ist (184*.)), ist ihre Handels-
politik eine zielbewußtere und umsichtigere. Die Zahl der Handelsverträge wurde
bedeutend vermehrt, wie auch die Zahl der Konsulate im Auslande. Im Innern
hat sich ein enger Kontakt zwischen dem Staat und den wirthschaftlichen
Interessengruppen entwickelt und die staatliche Förderung der Volkswirthschaft
Handelspolitik — 8 — Handelsregister
ist eine ganz intensive geworden. Ein Gltick war es, daß die Interessen der
Finanzpolitik und der Handelspolitik zusammentrafen; denn, indem der Staat
verhältnißmäßig geringer Einnahmen bedurfte, war es ihm leicht, die Volks-
wirthschaft unwesentlich mit 2jöllen zu belasten.
Handelsregister« (Mitgetheilt von Herrn Leo Weber, eidg. Gresetz-
gebungs-Sekretär.j Seit dem 1. Januar 188'-^ werden in sämmtlichen schweize-
rischen Kantonen Handelsregister nach einheitlichen Bundesvorschrifsen geführt.
Der Art. 85'J des Bundesgesetzes über das Obligationenrecht hat die Führung
solcher Register den Kantonen zur Pflicht gemacht.
Durch Art. 893 des O.-R. war dem Bundesrathe der Auftrag ertheilt, über
Einrichtung, Führung und Kontrolirung der Handelsregister, über das bei den
Eintragungen in dieselben zu beobachtende Verfahren, die zu entrichtenden Taxen
und die Beschwerdeführung eine gleichzeitig mit dem Obligationenrecht, d. h. auf
1. Januar 1883, in Kraft tretende Verordnung zu erlassen.
Das eidg. Justiz- und Polizeidepartement hatte die Vorarbeiten zu dieser
Verordnung zu besorgen, mit Rücksicht darauf, daß die Materie in engem An-
schluß an die Bestimmungen des Obügationenrechtes steht und daher einen vor-
herrschend juridischen (privatrechtlichen) Charakter trägt. Die einfache Anlehnung
an bereits vorhandene Vorbilder (ausländische oder kantonale Einrichtungen)
erwies sich als unstatthaft. Unser Obligationenrecht hat bei Norrairung der auf
be^iondern Bedürfnissen des Handelsstandes beruhenden Rechtsinstitute die ent-
sprechenden Bestimmungen der deutschen und französischen Handelsrechts-Gesetz-
gebung zwar nicht außer Acht gelassen, aber, wie die bundesräthliche Botschaft
vom 27. November 1879 mit Recht bemerkt, es ist doch dabei seine eigenen
Wege gegangen und hat „alle diese Institute ihres ausschließlich für Handels-
leute berechneten Charakters entkleidet".
In das Handelsregister müssen sich eintragen lassen die Kollektiv- und
KommandiUjeselkchaflen, die Aktien- und Kommanditaktietigesellschaften, die
Genossenschaften und Vereine, welche juristische Persönlichkeit (das Recht,
auf ihren eigenen Namen Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen)
erlangen wollen, sowie alle diejenigen Personen, welche in kaufmännischer Art
ein Gewerbe betreiben.
Es kann aber, wer immer unter einer Firma ein Geschäft betreibt, sei dies
auch in nicht kaufmännischer Weise, diese Firma eintragen lassen. Ueberdem
kann sich jeder Handlungsfähige eintragen lassen, um dadurch im vollen Sinne
wechselfähig zu werden, indem er sich der prozessualischen Wechselstrenge unter-
wirft, d. h. auf nicht wechselmäßige Einreden verzichten und den schnellen
Rechtstrieb über sich ergehen lassen will.
Prokuristen sind zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, ver-
pflichten jedoch schon vor der Eintragung kaufmännische Prinzipale. Prokuristen
zur Betreibung anderer als kaufmännischer Gewerbe oder Geschäfte können nur
durch Eintragung in das Handelsregister bestellt werden.
Es wurde demnach vom Justizdepartement die Aufstellung eines selbst-
etändigen Entwurfes als durchaus nothwendig erkannt. Herr Advokat Ad, Fick,
Sohn, in Zürich, übernahm dessen Abfassung. Eine Expertenkommission, bestehend
ans den Herren Ad. Fick, vorgenannt, Charles Soldan, Kantonsrichter in Lau-
sanne, und Dr. Paul Speiser, Professor in Basel, in Verbindung mit den Herren
Leo Weber als Vertreter des eidg. Justizdepartementes und Dr. Ph. Willi als
Vertreter des Schweiz. Handels- und Landwirthschaftsdepartementes, wurde berufen,
einen ersten Entwurf zu Händen des Justiz- und Polizeidepartementes durch-
UandeUfregister — 9 — Handelsre^fister
zuberathen und festzustellen. Aus eigener luitiative hatte aueh Herr Dr. Paul
Speiser einen Entwurf ausgearbeitet. So lagen im Juli 1882 der Experten-
kommission zwei Entwürfe vor. Dieselben unterschieden sich in folgenden Punkten :
Nach dem Entwürfe Fick waren vier tabellarische Abtheilungen des Registers
vorgesehen, in welche die Eintragungen auf Grundlage von (11 rubrizirten)
Anmeldescheinen geschehen sollten. Speiser dagegen ließ das Handelsregister in
zwei Abtheilungen zerfallen: das eigentliche Handelsregister mit zwei EUchem,
dem Journal und dem Firmenbuch, und das Register der sog. Voll wechselfähigen.
Mehrfache Bemerkungen und Gutachten waren eingegang:en vom Vorort des
Schweizerischen Handels- und Industrievereins (Zürich), von der Kaufmännischen
Gesellbchatt in Zürich, von der Handelskammer in G^nf, sowie von der Soci^ti
industrielle et commerciale du canton de Vaud, von letzterer unter Einbegleitung
eines (skizzirten) Reglementsentwurfes.
Die vorgenannte fünfgliedrige Expertenkommission tagte vom 24. bis und
mit 26. Juli 1882 zu erster und am 14. August 1882 zu zweiter Berathung
in Bern. Zwischen der ersten und zweiten Berathung war den kaufmännischen
und industriellen Kreisen nochmals Gelegenheit zu sachbezüglichen Bemerkungen
gegeben worden. Auf Grundlage des Speiser'schen Entwurfes stellte die Kom-
mission den Text einer Bundesverordnung fest und es machte hierauf das eidg.
Jnstizdepartement am 22. August desselben Jahres seine Voilage an den Bundes-
rath. Der Buudesrath adoptirte das vorgeschlagene System und erließ am
2*.>. August 1882 die „Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt •*.
In Art. 3 derselben wurde die fernere Besorgung der auf das Handelsregister
und Handelsamtsblatt sich beziehenden Geschäfte dem Schweiz. Handels- und
Landwirthschaftsdepartement zugewiesen. Der Handelsstand hatte sich einstimmig
für das letztgenannte Departement als leitende und kontrolirende Behörde aus-
gesprochen. Ein Dualismus in der Departementalleitung konnte nicht als zweck-
mäßig erachtet werden. Für Fragen juristischer Natur, die sich bei der Führung
des Handelsregisters sehr häufig aufdrängen, ist dadurch selbstverständlich die
begutachtende Mitwirkung des Justizdepartementes nicht ausgeschlossen.
Das Handelsregister zerfällt nach der bundesräthlicheii Verordnung vom
29. August 1882 in zwei Abtheilungen : 1) das Hauptregister zur Aufnahme
der Eintragungen von Geschäftsfirmen (Einzelfirmen), Prokura - Ertheilungen,
Kollektiv- und Kommanditgesellschaften, von Aktiengesellschaften und Kommandit-
aktiengesellschaften, von Genossenschaften und Vereinen und 2) das Besondere
Register für diejenigen Personen, welche (der vollen Wechselfähigkeit wegen)
die Eintragung verlangen, ohne einer der oben genannten Kategorien anzu-
gehören.
Das Hauptregister besteht: a. aus ü^m Journal, in welchem in Form
eines Verbalprozesses und in chronologischer Reihenfolge alle (mündlich oder
sohriftlich) angemeldeten Eintragungen, einschließlich der Löschungen und Aende-
rungen, zu erfolgen haben, und b. aus dem in Tabellenform geführten Firmen-
buthy in welchem der Registerführer jeder Firma eine Blattseite zutheilt, um
darauf alle die Firma betreffenden Journaleinträge einzuschreiben. Zum Firmen-
buch gehört ein alphabetisches Nachschlafieverzeichniß.
Die sehr seltenen Prokura- Ertheilungen seitens nicht kaufmännischer Prinzipale
werden in einem eigenen Hefte mit alphabetischem Verzeichnisse eingetragen.
Ebenso wird das Verzeichniß der persönlich haftbaren Mitglieder einer Ge-
nossenschaft als besonderes Heft geführt, dieses jedoch des starken Raumanspruchs
und häufigen Wechsels wegen.
Handelsregister — 10 — HaIlciels^egi^4ter
Das Besondere Begister besteht aus einem chronologischen Buche und
aus einem alphabetischen Buche — in einfachster Form dem Journal und dem
Firmenbuch des Hauptregisters nachgebildet.
Die Eintragungen geschehen nicht von Amtswegen, sondern auf die
mündlich abgegebene oder beglaubigte schriftliche Erklärung der nach dem Ge-
setze hiezu berechtigten, bezw. verpflichteten Personen. Der Bundesrath hat es
wiederholt abgelehnt, den Registerbehörden bindende Instruktionen betreifend die
Eintragspflicht zu ertheiien. Das Obligationenrecht vermeidet mit voller Absicht
eine gesetzliche Detinition des Kaufmanns, wie sie das deutsche Handelsgesetzbuch
enthält. Keine Detinition könnte die Mannigfaltigkeit der einschlägigen Fälle
erschöpfen. An die Eigenschaft eines Eintragspflichtigen knüpfen sich einschneidende
civilrechtliche Folgen — man «lenke z. B. an die solidarische Haftbarkeit der
Kollektivgesellschafter fiir die Verbindlichkeiten der Gesellschaft — in Bezug
auf welche den Gerichten vorkommenden Falles das souveräne Entscheidungsrecht
trotz einer vorgängigen bundesräthlichen Weisung vorbehalten bleibt.
Die Registerführer haben jedoch von Anitswegen darauf zu achten, daß die
zu Eintragungen, Aenderungen und Löschungen Verpflichteten dieser Verpflichtung
nachkommen. (Nur in einigen wenigen Fällen geschieht nach der Verordnung
die Löschung von Amtswegen.) Bei Säumniß des Pflichtigen schreitet der
Registerführer vorerst zur Mahnung; hernach überweist er im Falle ungerecht-
fertigter Säumniß oder Weigerung die Sache an die kantonale Aufsichtsbehörde,
welche entscheidet und gegen Fehlbare mit (den Kantonen zufallenden) Ordnungs-
bußen im Betrage von Fr. 10 bis Fr. 500 so lange einschreitet, bis der Ein-
tragspflicht Genüge geleistet oder der Grund derselben weggefallen ist.
Gegen die Verfügungen der kantonalen Organe kann übrigens in allen Fällen
Beschwerde an die Bundesaufsichtsbehörde (Schweiz. Handels- und Land-
wirthschaftsdepartement zu Händen des Bundesrathes) stattflnden.
Die im Journal und im chronologischen Buche des Besonderen Registers
erfolgten Einträge werden nach ihrem ganzen Inhalte durch das Schtveizerische
Handelsamtsblatt veröffentlicht. Erst von dem Zeitpunkte an, in welchem sie
durch dieses Organ zur Kenntniß des Publikums gelangt sein können, werden
die Eintragungen in der Regel auch diesem — dritten Personen — gegenüber
wirksam.
In die streitigen Beziehungen zwischen Privaten in Betrefl" von
Eintragungen, Löschungen oder Aenderungen mischt sich die Registerbehörde in
keiner Weise; der Entscheid über dieselben fällt ausschließlich den Gerichten
an heim.
Die territoriale Organisation der Registerführung ist in den einzelnen
Kantonen verschieden. In den kleinern Kantonen konnte man sich füglich mit
einem einzigen Register, das am Hauptorte geführt wird, begnügen. So in den
Kantonen üri, Schwyz, Unterwaiden, Glarus, Zug, Baselstadt, Baselland, Appen-
zell L- und A.-Rh., Schafl'hausen, Genf. Aber auch die Kantone Zürich, Luzem^
Thurgau, Graubünden gaben mit Rücksicht auf die Vortheile der einheitlichen
Durchführung und der leichteren und strengeren Ueberwachung einem Zentral-
register im Hauptorte den Vorzug. Die Kantone Bern, Freiburg, Solothum,
St. Galleu, Tessin, Waadt, Wallis dagegen haben ihr Register bezirksweise ein-
gerichtet. Aargau führt ein nach Bezirken abgetheiltes Zentralregister ; deßgl eichen
that Neuenburg, bis die vor 1. Januar 1883 entstandenen Firmen eingetragen
waren, dann ließ es die Dezentralisation nach Bezirken eintreten. Seit der Zeit
bestehen in der ganzen Schweiz 113 Registerbureaux (30 Bern, 19 Waadt,
Handelsregister — 11 — Handelsregister
15 St. Gallen, 8 Solothurn, 8 Tessin, 7 Freiburg, 6 Neuenburg, 3 Wallis, je
1 in den 17 übrigen Kantonen und Halbkantonen).
Die Verordnung des Bundesratbes vom 29. August 1882 batte für die
Eintragungen, Löschungen und Aenderungen Gebühren festgesetzt, die schon
vor Inkrafttreten der Verordnung Gegenvorstellungen von Seite des Schweiz.
Handels- und Industrievereins, sowie Seitens einer von 15 Kantonsregierungen
beschickten Konferenz in Zürich hervorriefen. Neben dem Wunsche einer all-
gemeinen Ermäßigung wurde dem Begehren Ausdruck gegeben, daß die Abstufung
der Gebühren nach dem Gesellschaftskapital, namentlich bei Kollektiv- und
Kommanditgesellschaften, fallen gelassen werde. Der Bundesrath beschloß darauf-
hin am 7. Dezember 1882 eine Abänderung jener Verordnung. Danach sind die
nach dem Kapital abgestuften Gebühren für Kollektiv- und Kommanditgesellschaften
durch eine mäßige Taxe ersetzt. Die Abstufung nach dem Kapital, bezw. nach
dem Reserve- oder Garantiefonds, wurde dagegen für Aktiengesellschaften, Kom-
manditgesellschaften und Genossenschaften beibehalten.
Die zufolge der revidirten Verordnung (7. Dezember 1882) nun bestehenden
Gebuhren werden, seitdem die Kantone über die ihnen auffallenden Kosten ein
genaueres ürtheil sich haben bilden können, von der großen Mehrzahl derselben
nicht mehr als zu hoch erachtet. Sie betragen:
Für Inhaber von Einzelürmen
„ Kollektiv- und Kommanditgesellschaften ....
„ Aktiengesellschaften , Kommanditaktiengesellschaften
und Genossenschaften:
a. bei einem Gesellschaftskapital bis Fr. 100,000
b. r, . « n « r 000,000
c. „ „ „ über „ r 000,000
„ Vereine nach O.-R. 716 .
„ Bevollmächtigungen (Prokuristen, Direktoren, Liqui-
datoren)
Eine Löschung oder Aenderung, die mit einer neuen Eintragung verbunden
ist, geschieht gebührenfrei.
Für Zioei(/f/esch(ifle (Filialen) ist je die Hälfte der oben für Hauptnieder-
lassungen erwähnten Gebühren zu entrichten. Befindet sich die Hauptniederlassung
im Auslande, so ist für die erste zur Eintragung gelangende schweizerische
Zweigniederlassung die volle, für jede folgende die halbe Gebühr zu entrichten.
Institute mit kaufmännischem Betrieb, welche auf Rechnung öffentlicher
Gemeinwesen (Staat, Bezirk, Gemeinde) betrieben werden, entiichten die für
Aktiengesellschaften bestimmten Gebühren, wenn ihnen ein eigenes Betriebskapital
zugeschieden ist, oder wenn sie ein Aktienkapital besitzen; ist weder das Eine
noch das Andere der Fall, so entrichten sie die Gebühr für Einzelfirmen.
Für Einträge in das Besondere Befjister beträgt die Gebühr Fr. 3.
Streichungen in demselben geschehen unentgeltlich.
Ein Fünftel der hie vor erwähnten Gebühren ist von den Kantonen für die
Veröffentlichung der betreffenden Eintragungen durch das Handelsamtsblatt an
die Bundeskasse abzuliefern. Der Rest sowie die Ordnungsbußen fallen den
Kantonen zu. Die kantonalen Vorschriften über Stempelung sind vorbehalten.
Seit 1. Januar 1883 hat sich in einer Reihe von Fällen das Bedürfniß
beransgestellt, über einschlagende Bestimmungen des Obligationenrechts mit
Eintrug.
Fr.
L«>8churig.
Fr.
Aend«»-
rangoii.
Fr.
5
3
10
6
3
20
10
10
50
25
25
100
50
50
10
6
3
5
3
Handelsregister — 12 — Handelsschulen
spezieller Benehung auf das Hiandelsregister wegleitende Entscheidungen
der Bundesaufsichtsbebörde zu veranlassen. Diese Entscheide bilden einen prak-
tischen Kommentar zu den bezüglichen Gesetzesstellen und werden jeweilen im
Handelsamtsblatt zur Eenntniß des Publikums gebracht.
Die Einnahmen aus den RegistergebUhren (exM. derjenigen für AuszUge,
Bescheinigungen, Ordnungsbußen und Stempel) haben in der ganzen Schweiz
betragen: Im Jahre 1883 Fr. 246,925, im Jahre 1884 Fr. 28,238, im Jahre
1885 Fr. 28,337. Der Fütiflel des Bundes belief sich somit je auf Fr. 49,385,
5648, 5667.
Folgende Zahlen zeigen, in welchem Maße das Handelsregister benützt
worden ist:
EhUrä{jfe. issa i884 i885
Einzelfirmen 24669 1874 1661
Kollektiv- und Kommanditgesellschaften . . . 3872 512 480
Aktiengesellschaften und Genossenschaften . . . 1008 157 167
Vereine nach O.-R. 716 u. ff. 134 71 93
Bevollmächtigungen (Prokuristen, Direktoren etc.) 3142 619 601
Filialen 378 68 80
Besonderes Register oder Register B . . . . 2097 82 58
Löschungen.
Einzelfirmen 446 922 1128
Kollektiv- und Kommanditgesellschaften . . . 206 405 429
Aktiengesellschaften und Genossenschaften ... 29 18 38
Vereine — 1 2
Bevollmächtigungen 102 263 322
Fiüalen 10 33 37
Register B 45 40 17
Aenderungen.
Einzelfirmen 2 39 42
Kollektiv und Kommauditgesellschaften ... 45 88 87
Aktiengesellschaften und Genossenschaften ... 20 86 116
Vereine 1 12 13
Bevollmächtigungen 2 6 4
(S. auch den Artikel „ Geschäftsfirmen **.)
Handelsschulen. (Mitgetheilt von Herrn Huber, Beamter des eidg. Handels-
departements.) In der Schweiz bestehen keine eigentlichen und selbständig organi-
sirte Handelsschulen, sondern es können unsere bezüglichen Einrichtungen eher
als Vorbildungsanstalten bezeichnet werden.
An den meisten unserer Kantons schulen findet sich gewöhnlich auch eine
merkantile Abtheilung als Bifurkationszweig der Realabtheilungen mit 2 — 3
Jahreskursen bei einem durchschnittlichen Eintrittsalter von 15 Jahren.
Die fachtechnischen Lehrgegenstände in diesen Mittelschulen sind: Neuere
Sprachen (Französisch und Englisch, in den letzten Jahren auch Italienisch),
Handelsarithmetik, Komptabilität, Waarenkunde, Lehre von den Wertbpapieren etc.
Im üebrigen richtet sich der speziellere Aufbau des Lehrplans nach der Handels-
nnd Industrierichtung der betreffenden Landesgegend.
Die Kantonsschulen, bei deren Realabtheilungen eine Bifurkation in eine
technische und eine merkantile Sektion stattfindet, sind nach C. Grob's Schul-
statistik (1882):
Handelsschulen — 13 — Handelsstatistik
Schalort Kintritt8«Itor Jahr«-
j^jjj.^ Kurse
Zürich 15 2
Luzem 15 2
Freiburg (('ollege St-Miciifl) 14 3
Solothurn 14 3
Basel-Stadt .... 15
St. Gallen .... 15 3
SchLlort EintrItUalter Jahres-
Jahre Kurse
Chur 15 2
Frauenfeld .... 15 2
Lugano 11 4
LauHanne 15 2
Genf (Gymnasium und
College) .... 16 2
Ferner sind als staatlich subventionirte Anstalten aufzuführen :
Schulort ^"*?a^r*o*" J»hre«-K«r.e
Zürcherisches Technikum in Winterthur 15 4 *)
Handelsschule in Bern 14 2
Ober-Mädchenschule in Bern, Handelsklasse .... 15 1
Die nachfolgenden Privatlehranstalten haben Handelsföcher in ihren Lehr-
plan aufgenommen: Lehr- und Erziehungsanstalt Concordia in Hirslanden-Zürich,
Knabeninstitut Rytfel in Stäfa, Kollegium Mariahilf in Schwyz, Institut Wiget
in Rorschach, Handelsschule Zwickel in Wattwil.
Außerdem sind die kaufmännischen Vereine in den Städten und größern
Ortschaften durch Abhaltung von Kursen, bcHonders in den modernen Sprachen
und übrigen kaufmännischen Disziplinen, bemüht, ihre Mitglieder mit den für
die Handelspraxis nöthigen und nützlichen Kenntnissen auszurüsten. Die bezüg-
lichen Bestrebungen werden infolge dessen auch in einigen Kantonen durch
staatliche Subventionen zu fördern gesucht.
Handelsstatistik, £ine die ganze Schweiz umfassende Handelsstatistik
besteht erst seit 1848, in welchem Jahre das Zollwesen von den Kantonen auf
den Bund überging. Die erste Statistik wurde nicht gedruckt; die zweite trug
die üeberschrift: „Generaltableau der dem eidgenössischen GränzzoU unterworfenen,
im Jahre 1849 in die Schweizerische Eidgenossenschaft eingeführten Waaren ** .
In diesem 10 Seiten umfassenden Tableau sind die eingeführten Gegenstände
nach der Höhe des entrichteten Zolles (1 und 2 Batzen) klassifizirt und als
Fingangsrichtungen waren die 13 Grenzkantone angegeben.
Die nächste Statistik vom Jahre 1850 war in Folge der seit 1848 voll-
zogenen gesetzlichen Organisation des Zollwesens Inhalt- und umfangreicher. Sie
beschiänkte sich nicht mehr bloß auf die Finfuhr, sondern brachte auch die Aus-
fuhr und die Durchfuhr zur Darstellung. Ganz summarische Angaben waren
auch über den Freipaß-, den Geleitschein- und den Nieder] ags verkehr gemacht.
An Stelle der 13 Grenzkantone figurirten die durch das Zollgesetz von 1849
geschaffenen 5 schweizerischen Zollkreise als Yerkehrsrichtungen.
In der Statistik pro 1851 war die Zahl der Zollkreise auf 6 erhöht. Sie
hieß nun nicht mehr Generaltableau, sondern „ üeberHichtstabelle ** etc.
Die Statistik von 1852 wies den Unterschied auf, daß anstatt der Batzen-
währung die 1851 adoptirte Franken Währung zum Ausdruck kam und daß aus
den mit Differentialzöllen aus den sardinifchen Staaten und dem Pays de Gex
eingeführten Objekten eine besondere Waarenklasse gebildet war.
Im Jahre 1853 kam als Neuerung hinzu eine „ Uebersicht der Eichtungen
der Interimsabfertigungen mittelst Greleitscheinen auf langen Strecken " .
Dazu gesellte sich 1856 eine „ Uebersicht der bei jeder einzelnen Zollstätte
verzollten Waarenmengen " .
*) Semesterkurse.
■'♦.
Handelsstatistik — 14 — Handelsstatistik
Im Jahre 1857 wurden die Waaren nicht mehr nach der Höhe der Zölle,
Bondern nach (4ewicht, Stück und Werth klassifizirt; die hesondere Elategorie
der mit Differentialzöllen eingeführten Artikel fiel dahin.
Im Jahre 1869 wurde mit der Ausecheidung des zollfreien Grenzverkehrs
hegonnen.
Vom folgenden Jahre an wurden die Verkehrsrichtungen nicht mehr nach
den sechs Schweiz. Zollkreisen, sondern nach den 4 Landesgrenzen hezeichnet.
Im Jahre 1876 wurden die üehersichten betreffend die Kichtungen der
Interimsabfertigungen und betreffend die bei jeder Zollstätte verzollten Waaren-
mengen fallen gelassen, um einer „ Uebersicht des Durchfuhrverkehrs auf den
hauptsächlichsten Transitstrecken " Kaum zu gewähren ; auch wurde mit einer
neuen Klassifikation der Waaren, derjenigen nach Gattunf/j der Anfang gemacht.
Diese Klassifikation wurde im
Jahre 1877 noch rationeller durchgeführt. Wichtiger war jedoch die statistische
Aufnahme des Veredlungsverhehrs mit Angabe des Veredlungsgegenstandes, der
Veredlungsart und des schweizerischen Zollkreises, über dessen Grenzen dieser
Verkehr stattfand.
Schon im nächsten Jahre wurde die Angabe der Zollkreise ersetzt durch
die Namen der vier umliegenden Länder.
Die Statistik blieb nun unverändert bis Ende 1884. Im Jahre 1885 da-
gegen wurde mit ihr eine gründliche Veränderung vorgenommen. Die bloßen
Angaben des Verkehrs nach Quantität (nur bei ganz wenigen Artikeln nach dem
Werth) und nach Landesgrenzen hatten längst nicht mehr befriedigt und genügt;
denn man sah die übrigen Staaten ihre Statistik nach allen Kichtungen erweitern
und daraus praktischen Nutzen ziehen.
Die erste Anregung zu einer wesentlichen Umgestaltung der schweizerischen
Handelsstatistik ging um 1870 von der Schweizerischen statistischen Gesellschaft
aus. Der Schweizerische Handels- und Industrie verein griff die Anregung auf
und 1874 arbeitete der sachkundige Aktuar des Kaufmännischen Direktoriums
St. Gallen ein „Programm für eine schweizerische Industrie- und Handelsstatistik "
aus, welches großen Anklang fand.
Zwei Jahre später machte sich das Ständerathsmitglied Jenny aus Glarus
in der Bundesversammlung zum Fürsprecher des Handelsstandes, indem er fol-
gendes Postulat durchsetzte : „ Der Bundesrath ist eingeladen zu untersuchen und
Bericht zu erstatten, ob und wie bei der Zollbehandlung der schweizerischen
Ein- und Ausfuhr die Ausmittlung der betreffenden Werthe, sowie des Unrsprungs-
und des Bestimmungslandes der Waaren anzuordnen sei ** .
Der Bundesrath aber setzte in seiner Vernehmlassung über das Postulat so
viele Zweifel in die Möglichkeit der Ausführung, daß die Bundesversammlung
sich bewogen fand, den Gegenstand bis nach Feststellung eines neuen Zolltarifs
zu vertagen. Dieser neue Zolltarif jedoch, schon damals besprochen und ent-
worfen, rückte nicht vom Fleck und als der 1882 mit Frankreich abgeschlossene
Handelsvertrag die Unzufriedenheit eines Theiles des Gewerbe-, Industrie- und
Handelsstandes wach rief, brach sich der Ruf nach einer besseren Handelsstatistik
von Neuem Bahn. Der Bundesbehörde ging ans jenen Kreisen eine bezügliche
Petition zu, der Vorort des Schweiz. Handels- und Industrie Vereins arbeitete
treffliche Vorschläge und Gutachten aus, der Ständerath sekundirte die Initianten
durch ein neues Postulat des Inhalts, der Bundesrath möge baldmöglichst eine
Vorlage über Einrichtung und Durchführung einer Handelsstatistik machen, und
Handelest sitistik — 15 — HiindelsJstatlstik
80 kam .schließlich, nachdem mittlerweile auch der neue Zolltarif seinen Ab-
Bchluß gefunden hatte, am 10. Oktober 1884 und am 13. November 1885 folgende
Verordnung betreffend die Statistik des Waaren verkehre
der Schweiz mit dem Ausland zu Stande :
Art. 1. Sämmtliche Waaren, welche über die Grenzen der Schweiz. Eidgenossen-
schaft ein-, aus- oder durchgefülirt werden, sind den mit dem Zollbezug beauftragten,
oder alltmiig anderweitigen, diesfalls vom Zolldepartement zu bezeichnenden Stellen,
nach Maüg.ibe der nachstehenden Vorschrilten zu deklariren.
Art. 2. Die Deklarationen haben folgende Angaben zu enthalten : a. Gattung der
Waare: h, Menge (Gewicht oder Stfickzahl); c. Verpackungsart: d. Zeichen, Nummern,
Anz«ibl der Colli: r. Herkunfts- und Bestimmungsland; f. Werth: bei der Einfulu* für
die nach dem Werth verzollbaren, sowie für diejenigen Waaren, deren statistische An-
schreibung nach dem Werthe speziell vorgeschrieben ist; bei der Ausfuhr für alle
Waaren; g. Erklärung, ob die Waare zur Ein-, Aus- oder Durchfulir, zur Einlagerung
oder zur Freipaßabfertigung bestimmt sei; /*. Unterschrill des Deklaranten: i. Datum
ihrer Ausstellung.
Art. :{. Die Gattung der Waare ist bei der Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr nach
Numuier und Wortlaut des statistischen W'aarenverzeichnisses zu deklariren.
Art. i. Die Mengenangabe hat, außer dem für die Verzollung, bezw. für den Be-
^ug der statislisclien Gebühr, maßgebenden Bruttogcwiirhte, für die Statistik auch das
Netlogewiclit der Waaren in Kilogrammen zu liefern.
Die Angabe der Stückzahl ist erforderlich für die per Stück verzollbaren Gegen-
stände und für solche, deren Deklaration per Stück im statistischen W'aarenverzeiclmiß
speziell vorgeschrieben ist.
Art. 5. Als Land der Herkunft ist dasjeni^'e Land anzusehen, aus welchem die
gekaufte Waare zur Versendung gelangt; als Land der Bestimmung dasjenige, in welches
die Waare verkautl wird.
Art. 6. Der Werth «1er ausgehenden Waaren ist vom Versender jeweilen in der
Weise zu berechnen, dali zum Marktpreise am Versendungsorte die Traasportkosten bis
zur Ijandesjrrenze geschlagen werden. Die WVTthe sowohl der aus- als auch der ein-
gehenden Waaren werden alljälnlich durch eine besondere, vom Zolldepailement zu
ernennende Scliätzun^'skommission geprüft, bezw. festgestellt.
Ali. 7. Bei Zusammenpackung verschiedener Waarengattungen sollen die oben
erwälmten .Vngaben für jede Waarengattung l)esonders gegeben werden.
Art. 8. Für die nachstehend verzeichneten Gegenstände und Verkehrsarten wird
das Zolldepartenient ermächtigt, besondere erleichlernde Bestimmungen hinsichtlich der
Deklaration zu trelTen : «. Gegenstände, welche von einer Person eingebracht werden,
die höchstens 1 kg Waaren mit sieh führt, sofern der Zoll von der Gesammtheit dieser
Waaren den Betrag von 5 Rappen nicht übersteigt: b. Waaren bei der Einfuhr und
bei der Ausfuhr, deren W^erth Fr. 10 und deren Gewicht 5()0 gr nicht erreicht; c. Ueber-
siedlungsetTekten: (/. Heiraths- und ErbschafL«gut: e. EITekten und Verzehrungsgegenstände
von Reisenden : /'. Wahren und Schilfe, «lie nur zum Transport von Personen oder W^aaren
über die Grenze dienen : /;. der kleine Marktverkehr : /<. der Grenzverkelir: t. unverkauft
zurückkehrende Waaren scliweizerischer Herkunft: k. Kunstsachen für ülfeutliche Zwecke,
sowie Naturalien und gewerblich-technische (legenstände für öffentliche Sammlungen ;
l. Musterkarten und Muster in Abschnitten oder Proben, die nur zum Gebrauche als
solche geeignet sind: m. leere Fä.sser, Säcke u. dgl., nach Art. llü der Vollziehungs-
verordnung zum Zollgesetz ; n. Armenfuhren mit deren Gepäck; o. die Ein- und Durch-
fuhr im Postverkelir.
Art. 9. Die Deklaration erfolgt scliriftlich durch den Waarenführer nach einem
vom Zolldepartenient aufzustellenden Formular. Die Dekhirationsformulare mit Instruktion
zum Ausfüllen derselben sind bei den Zollstellen gegen Vergütung <les Kostenpreises zu
beziehen.
Art. 10. Die ötfentlichen Transportanstalten und diejenigen Personen, welche Güter
gewerbsmäßig zur Spedition übernehmen, dürfen nach dem Auslande gerichtete Sen-
dungen nur dann befördern, wenn ihnen die vorgeschriebenen Angaben für die Aus-
fiihrdeklaration eingehändigt worden sind.
Art. 11. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben der Deklarationen
ist gegenüber der Zollverwaltung der Deklarant verantwortlich (Art. 50 und IV. des
Zollgesetzes): ihm bleibt jedoch der Regreß gegen den Aussteller der Begleitpai)iere
Torbehalten, sofern letztere Anlaß zu unrichtiger Deklaration gegeben haben.
HaiKk'lsslatislik _ IG — Handeli^stat istit
Art. li. Die Zollstellon <ind zu einer Ilevit«ion der Waareii befupt (Art. 32 der
VolIzieUunpiverordnun^ zum Zoll^esetzi. Sie prüfen die Deklarationen und machen nach
erfoljrler Abfertitrunp die erforderlichen Eintrajruniren in die zur Aufnahme der statistischen
Antraben bestimmten Ansohreibebialter. welche je halbmonatlich von der zuständigen
Hauptzollslätte dem Bureau ITir Handeisstal istik in Bern direkt zuzusenden sind.
Art. ll\. Kur die Kontrolirun^' der die schweizerische Zollgrenze rtberschreitenden
Waaren ist die im Art. 4 des Bundes^'esetzes betreß'end einen neuen schweizerischen
Zi>lltarif vorjrt^schriebene statistische Gebühr zu entrichten. Dermalen beträ^rt dieselbe:
1 Bappen i>er q für die nach dem Gewichte. 1 Bappen per Fr. 50 Werth für die nach
dem \Vertlie, 1 Bappen per Stück für die nach der Stückzahl zu deklarirenden Waaren.
Diese Gebühr soll für je eine Abferti^'ung, bezw. Sendunj?, nicht wenitjrer als
5 Bappen betrafen. Für die Kntriclitunp der statistischen Gebühr haftet jeweilen der
Waa reu fü lirer. Von der Bezahlung' derselben sind aufgenommen: n. Waaren, für welche
ein Zoll entrichtet winl: h, Waaren, welche hu Greuzverkehr oder im kleinen Markt-
verkehr ein- tkier ausgehen »siehe oben Art. S, litt. «, b, c, f, g, /*, / und n): c. Fosi-
sendungen: d. die durch Verkehrsverbindungen bedingten Durchfuhren auf kurzen
Stri-cken. z. B. über Enclavt-n. etc.: t\ leere FässiT, Sacke u. dgl., nach Art. 119 der
Vv>llziehungs\erordnung zum Zollgeselz.
Art. 14. Die Eutriclitung iler statistischen Gebühr geschieht durch Aufkleben von
Pt^stwerthzeichen im erforderlichen Betrage auf der Deklaration. Die infolge dessen in
die Tostkasse falU-uden Betrag<> ^ind in der Jahresrechnung jeweilen den Kinnahmen
der Zidl Verwaltung gut zu si.*hreibeii.
Art. 15. IVr Verkehr mit Waaren. die der statistischen Gebühr unterworfen sind,
fallt im Telirigeu unter die nämlichen Bestimmungen, wie sie in der Vollziehungs-
veroninung zum Z<^Hges<^tz l>ezüglich der Kinhaltung der ZollstraLW.>n und Zollstuuden.
sinvie hinsichtlich der lV*k!arationsfrist für den Verkehr mit zollpflichtigen Waaren vor-
geschrieben >iiui.
Art. Ui. Die amtliche Statistik über den Waaren verkehr der Schweiz mit dem
Ausland wir*: aii! Grundlage der von den Zollslellen gemachten Aufzeichnungen (Axt. 12)
durcti d»is Zoil..lepar:ei:u:i: ausgearl»eitet und in nachstehenden l'ebersichten ve rotte ntlicht :
ti. ijuartar:ber*:ch:en der in den freien Verkehr eingeführten und aus dem freien
Verkehr aus^erriiir:?:: wichtigeren Waaren nach Mengen und wichtigeren Herkunfts-,
l»e2w. Bt^stimir.v.iiiTr'rin-i'.ra- Ffir die ausgeführten Waaren wird neben den Mengen noch
der de£l.irir:e Wrr::: Angegeben stnn.
b. Jai:res'.":;»^rs:vr":-!r'^ : 1 Tebei-sicht des Generalhandels und des Spezialhandels
mit dem gtsr.*^::::e- A'.:s'»i:id für Hin- uml Ausfuhr sämml lieber Waareuartikel nach
Maüig-abe «ies Wa.wrvr.Tvr;r:c::'^i>>es. unter Angabe der Mengen und Werthe. ohne Be-
rück sich:: ^-i:::^ ie> Fr^iiÄwveriehrs. *J» rebei-sichl des General- und Spezialhandels mit
iede:v. eiiut Liie-j. drr irii Vc-rieicimili genannten HeikuntV- und Bestimmungsländer in
Me::ge:: :;:: * Wvr±r:: irr -.viohtigeren Artikel. 'W Tebersicht der Durchfuhr der im
statis'.isol;-:: W.iAr-::Trr:r:ol:::-.w genannten Artikel nach Herkunft und Besthumung.
4 Tciervic: : .:-:s N>:-rrlv?ver£vhrs. ö» L'ebersichl des Vereiilung.>verkehrs.
Ar:. 17. Ims Z-. li i-e: Ar.erj-e:;! ist beaultragt. da> für die Statistik bestimmte
W.u:rx':> :ir. : LA::.:-?rvrr;-r ::;.:::-; ^.it'^ustellen und die zur Vollziehun;.' gegenwärtigrer
Ve^."'^■::;u::^ er:. riTrli. :.-::- A:.:r.:'j.-.:::j:e!'. und Dienstvorschriften zu erlas.-en.
P:eA.- V.r^ric'i::* ^urir rr^iuzz V- durch eine ln>truktio:i wm *JI. Oktober
1>>4, - iure"- ri- L.i:. :.rrrrz-:Uhü:!j ^s. p. SJ7 «S\ :i' durch ein stati^tiaches
I:-:. ^^iZTr l^^-' -"- i^" -i- >:d:is:ik nach den n:.uen Prinzipien angelegt
worir" i-i z'-z Fr: It ^l.^r ..■.. ii.-^rin F-j-rtsi hrin lutero>^:r:cn aii-i^efallerj, Sie
isl v.-i .:. 1 v --. rr ..■:-■-. 'C-s^'U-az a'.*- j :.t vom Jahre ISi;» iin.l gi^t an:
L^.f V.rie::"s. :■-"•• 7 i r M-lj: . .: i W rTii-r. iie B.stiür.v.-.i: :>- :;:: i "ie Uerkunft«-
jTr :•-"■- T-i--.- . 1 . "**.tI...i.- ::. : •' ::.t. *!':.. iii :t\ >. ; .i;:. m*T -iic^i^ Lexikons*,
un ^::r . . : ,i rr 1 -l: . - : - 1 : . > . t ; r : .■-.:-■.' ^ . r . ^' er . U .i : . .> v..- rk ; h r . G r'. :.z verkehr,
V--i - — • -- I '-•-—:' -: : '..:d:...:-._: ■ W.i. .:■•:«. Ke:.::rvrrk^hr.
Xi „ - 1-j:- '-" — ■: -1--- '- • -"" A::. r .i.-.Li^ ;".> S: .S> wir.; die M?hwei-
£,»7-,. j^- ^ ;.._:- .—'i -"'.€. 1"" c?:."-. ->..:. L> . .:'::i :.■■>:.■». g v: .;:rs > ^»'.nre^ eben-
: i.— -^ - . :l Lr . ' - - : -* -^ ' - * 7 _ .•--.:.. . . - ^ '. . w -. : k . . :. / Lu -t .nimung und
Handelsstatistik — 17 — Handelsfreiheit
Herkunft der Waaren nicht von allen Deklaranten angegeben wird. Ic Sezug
anf die Werthe herrscht, wie es übrigens in der Natnr der Sache liegt, ebenfalls
keine völlige Sicherheit.
Neben dieser eidgenössischen Statistik ist auch das von den United-States-
Konsulaten seit 1864 veröffentlichte Zahlenmaterial betreffend die Ausfuhr nach
den Ver. Staaten von Nordamerika handelsstatistisch verwerthet worden. Im
Fernem hat die private Thätigkeit viele schöne handelsstatistische Leistungen
vollbracht; sie traten namentlich zu Tage in Frans(dni^s Statistik der Schweiz,
in den Berichten Über die Industrie- Ausstellungen, in den Jahresberichten der
Handels- und Industrievereine der Schweiz.
Handels- und Gewerbefreiheit. Im Artikel „Gewerbe*', besonders im
Abschnitt Gesetzgebung (pag. 738/9), ist bereits gezeigt worden, daß es mit
der Handels- und Gewerbefreiheit in der Schweiz bis in das 5. Jahrzehnt dieses
Jahrhunderts nicht rosig bestellt war. Das Gewerbe lag im Banne der Zünfte
und die meisten kantonalen Gesetzgeber, die Eirchthurmspolitiker und Dorfmagnaten
verstanden es vortrefflich, allerlei Barrikaden gegen den freien Verkehr und die
freie individuelle Thätigkeit zu errichten. Es bedurfte der stürmischen Geistes-
wehen des Jahres 1848, um jene Schranken zu stürzen. Die Aufklärung ergriff
die Zügel und schrieb in die schweizerische Bundesverfassung den zwar aus
prosaischen Worten zusammengesetzten, aber für die damalige Zeit nichtsdesto-
weniger poesievollen Satz:
Art. 29. Für Lebensmittel, Vieh- und Kaufmanns waaren, Landes- und Gewerbs-
erzeugnisse jeder Art sind freier Kauf und Verkauf, freie Ein-, Aus- und Durch-
fuhr von einem Kanton in den andern gewährleistet. Vorbehalten sind etc.
Es üelen nun unzählige Schlagbäume, doch nicht genug, so daß es nöthig
war, bei der 1874er Revision der Bundesverfassung den in obigen Satz gelegten
Gedanken bestimmter zu formuliren. Dies geschah durch folgenden Artikel 31:
Die Freiheit des Handels und der Gewerbe ist im ganzen Umfange der Eid-
genossenschaft gewährleistet. Vorbehalten sind etc.
(Jm nun diesem Yerfassungsartikel Nachdruck zu verschaffen, verlangte die
Exekutivbehörde des Bundes alle auf die Ausübung von Handel und Gewerbe
bezüglichen kantonalen Gesetze zur Einsicht. Es wurden in der Folge (meist auf
Grund von Rekursen) eine Anzahl von kantonalen Vorschriften und Gebräuchen
unzulässig erklärt. Z. B. :
1) Das Verbot, die zu hohe Besteuerung oder die ungleiche Besteuerung des
Hausirgewerbes (grundsätzlich verboten, theils nur den Kantonsfremden
verboten war das Hausirgewerbe in den Kantonen Bern, Luzern, Zug,
Freiburg, Baselland, Schaffhausen, Waadt, Wallis). Einzelne Kantone
besteuerten das Hausirgewerbe so hoch, daß dadurch die Ausübung des
letztem faktisch unmöglich wurde. Ein Kanton (Genf) machte die Höhe
der Besteuerung von der Dauer abhängig, während welcher eine Person
im Kanton niedergelassen war.
2) Die Verweigerung von Wirthschaftspatenten wegen mangelnden Bedürf-
nisses (Bern, Luzern, Obwalden, Nidwaiden, Freiburg, Baselland, St. Gallen,
Aargau, Wallis).
3) Die amtliche Preistaxirung von Mehl und Brod (mehrere Kantone).
4) Verbote betreffend Vorkauf von Lebensmitteln (Neuenburg).
5) Verbot des Grabens nach Mineralien durch Nichtkantonsbürger (üri).
Furrer, Volkswirthdchftfts-Lexikun der Schweiz. g
Handelsfreiheit — 18 — Handelsfreiheit
6) Verbot der Errichtung von Apotheken wegen mangelnden Bedürfnisses
(Basel).
7) Zu hohe Besteuemng des Kutsohergewerbes (Wallis).
8) Amtliche Festsetzung von Minimal taxen für Kutscher (Nidwaiden).
9) Bestrafung des Holzverkanfs außer Kanton (Uri, Wallis).
10) Monopolisirung des Handels mit Spielkarten (Tessin).
11) Verweigerung des Rechtsschutzes für Forderungen, welche durch Verkaut
von Branntwein und anderen gebrannten Wassern entstanden (Obwalden).
Die jährliche Zahl der Rekurse wegen vermeintlicher oder wirklicher Be-
schränkung der Handels- und Gewerbefreiheit war seit 1875 folgende:
1875 59, davon Wirthschaftswesen 28, Hausirgewerbe 7
1876 40, , ,18, «4
1877 36, , ,20, , -
1878 38, , ,15, ,5
1879 51, ., , 11, , 12
1880 40, , , 11, , 13
1881 30, , , 7, ,8
1882 31, , , 14, ,5
1883 39, , , 22, ,6
1884 30, , , 15, ,4
1885 2], , , 12, , 4
415, , , 173, = 42 7o . 68=16 7o
Wie nun in keinem geordneten Staat die Freiheit des Handels und des
Gewerbes eine vollkommen unbeschränkte sein kann, sondern gewisse Zweige
dem Staat vorbehalten oder im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Wohlfahrt
an gewisse Bedingungen geknüpft sein müssen, so auch in der Schweiz. Daher
die folgenden Vorbehalte, die im Anschluß an die oben zitirten Bundes verfassungs-
artikel statuirt wurden :
1848. Vorbehalten sind:
a. In Beziehung auf Kauf und Verkauf das Salz- und Pulverregal, h. Polizeiliche
Verfugungen der Kantone über die Ausübung von Handel und Gewerbe und über die
Benutzung der Straßen, c. Verfügungen gegen schädlichen Vorkauf, d. Vorübergehende
sanitätspolizeiliche Maßregeln bei Seuchen, e. Die von der Tagsatzung bewilligten oder
anerkannten Gebühren, welche der Bund nicht aufgehoben hat. f. Die Konsumgebühren
auf Wein und anderen geistigen Getränken nach Vorschrift von Art. 32.
1874, ohne die kursiv gedruckten Worte:
a. Das Salz- und Pulverregal, die eidgenössischen Zölle, die EingangsgebQhren von
Wein und andern geistigen Getränken, sowie andere vom Bunde ausdrücklich anerkannte
Verbrauchssteuern, nach Maßgabe des Art. 32.
h. Die Fabrikation und der Verkauf gebrannter Wasser, nach Maßgabe des
Art. 32 bis. c. Das Wirthschaftswesen und der Kleinhandel mit geistigen Cretränken,
in dem Sinne, daß die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung die Ausübung des
Wirthschaftsgewerbes und des Kleinhandels mit geistigen Getränken den. durch das
öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen unterwerfen können.
d. Sanitätspolizeiliche Maßregeln gegen Epidemien und Viehseuchen.
e. Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben, über Besteuerung des
Gewerbebetriebes und über die Benutzung der Straßen. Diese Verfügungen dürfen den
Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen.
Die hie vor kursiv oder schräg gedruckten Stellen sind am 26. Juni 1885
": von der Bundesversammlung beschlossen worden. Durch Volksabstimmung vom
^ 25. Oktober 1885 wurde der Beschluß sanktionirt (230,250 Ja, 157,463 Nein).
Die Veranlassung zu diesem Beschluß, bezw. zu der Revision des Art. 31
der Bundesverfassung von 1874 lag nun nicht etwa in der Absicht, einen früheren
Handelsfreilieit — 19 — Handelsverträge
Fortschritt aufzuheben, sondern in dem Wunsche: 1) Dem in einigen Landes-
theilen zu stark verbreiteten Genuß alkoholischer Gretränke entgegenzuwirken,
2) den Ohmgeldkantonen einen Ersatz für das laut Bundesverfassung Ende 1890
aufzuhebende Ohmgeld zu verschaffen (s. den Artikel „Ohmgeld und Octroi**).
Abgesehen von den oben erwähnten Vorbehalten bestehen noch solche seitens
des Bundes für die Münzprägung, für den Betrieb der Posten, der Telegraphen
und des Telephons.
Die Bewilligung der Bundesbehörden ist erforderlich für den Bau von
Eisenbahnen, für die Ausübung des Yersicherungsgewerbes, für die Ausgabe von
Banknoten.
Den Kantonen steht das Recht zu, die Ausübung der wissenschaftlichen
Berufsarten von Be^higungsausweisen abhängig zu machen; es geschieht dies in
der großen Mehrzahl der Kantone.
Die Errichtung von Spielhöllen ist untersagt ; der Handel mit Lotterieloosen
(Kollektiren) darf verboten werden.
Von den polizeilichen Verfügungen, deren Erlaß den Kantonen -zusteht,
werden hauptsächlich betroffen: Das Wirthschaftswesen, das Hausirgewerbe, die
Jagd, die Fischerei, der Handel mit Heilmitteln, der Handel mit Lebensmitteln,
das Baugewerbe.
Handels- und Landwirthschaftsdepartement, eidg. Siehe zuerst p. 333
die«e8 Lexikons. — Nach dem Bundesbeschluß vom 21. August 1878 über die
Organisation und den Geschäftsgang des Bundesrathes liegt dem genannten De-
partemente die Vorberathung und Besorgung folgender Geschäfte ob:
1) Die Förderunjjf des Handels- und Gewerbewesens im Allgemeinen, wozu der
Verkelir mit den Handelskonsuln gehört, soweit sich derselbe auf Handel und Aus-
wanderung bezieht. 2) Die Vorarbeiten für Absch ließung von Handelsverträgen und die
Mitwirkung bei der Aufstellung des Zolltarifs. 3) Die Anstände über den internationalen
Verkehr. 4) Maß und Gewicht. 5) Ausstellungen im In- und Auslande (ausgenommen
Schul- und Kunstausstellungen). 6) Ausführung des Fabrikgesetzes. 7) Schutz des ge-
werblichen, literarischen und künstlerischen Eigenthums, auf Grund von Bundesgesetzen
oder internationalen Verträgen. 8) Das Versicherungswesen. 9) Die Förderung der Land-
wirthschaft im Allgemeinen und Beiträge an landwirthschafUiche Unternehmungen im
Besondern. 10) Die Viehseuchenpolizei. 11) Allgemeine Maßnahmen gegen die Schäden,
welche die laudwirthschaftliche Produktion bedrohen. 12) Die Forstpolizei im Hochgebirge.
13) Die Jagd und Fischerei, soweit die Aufsicht dem Bunde zukommt. 14) Die Aufsicht
über das Auswanderungswesen.
Behufs Bewältigung dieser Aufgaben ist das Departement in fünf Abtheilungen
gegliedert. Der Handelsabtheilung fallen die sub 1 — 7 erwähnten Verrichtungen
SU nebst den seither durch Gesetze neu entstandenen: Begistrirung von Fabrik-
nnd Handelsmarken, Gold- und Silberwaarenkontrole, Eontrolirung der kantonalen
Handelsregister und Herausgabe des Handelsamtsblattes. Für Kr. 8 besteht seit
Anfang 1886 das eidg. Versicherungsamt. Nr. 9 — 11 werden von der Land-
wirthschaftsabtheilung besorgt, Kr. 12 und 13 von der Forstabtheilung. Für
Nr. 14 funktionirt ein „Auswanderungsbureau**.
Handelsverbote s. Handels- und Gewerbefreiheit.
Handelsverträge* Das Folgende ist eine Uebersicht der zur Zeit (Mitte
1886) in Euraft bestehenden und der früheren Handelsverträge ^):
') Eine «Sammlung der Handels-, Niederlassungs- und Konsularverträge '^ nebst
umfassendem Materienregister ist von Dr. A. Eichmann, eidg. Handelssekretär, heraus-
gegeben worden. Verlag von Orell Füßli & Co. in Zürich, 1885.
HandelsYerträge
— 20 —
Handelsverträge
Stftaten
Elrloschene Verträge
Vrankreich . • . .
Deutschland :
Baden«)
W&rttemberg . . .
Zollverein . . . .
Deattcbes Reich . .
In Kraft stehende Verträge
Abgeechloseen In Kraft getret. Dauer Abgeschloeeen Erloechen
23. Febr. 1882 16. Hai 1882 16. Febr. 1892 i)dO. Juni 1884 16. Mai 1882
26. Juni 1812 15. M&rs 1827
30. Sept. 1825 31. Des. 1835
13. Mali 1869 1. Jali 1881
. 23. Hai 1881 1. Juli 1881 «)lJ.n.Kündg.
. 29. April 1861 1. Okt 1861 >) 1. Okt. 1889 25. Nov. 1^38 { ^*jj^*^**j*^gg^j
. 19. Ang. 1875 1. Okt. 1878 1. Okt. 1888 21. Sept. 1840 31. Des. 1841
Ter. Staaten von Amerika 25. Nov. 1850 8. Nov. 1855 1 J. n. Kfindg.
Türkei . .
Niederlande
ItaUen
Sardinien . .
Sisilien, Neapel
Königreich Italien
Groubritannlen .
Belgien ....
Japan ....
Hawaii-Inseln
Oesterreich-Ungarn
Liechtenstein
Spanien . .
Bnssland
Persien . .
Portugal '
Dinemark .
Niederlande
Baminien .
Serbien . •
Salvador
Transvaal .
Ecuador
8. Juni 1851 1. Mai 1869
24. Febr. 1860
22. M&rs 1883 1. Febr. 1884 «)1. Febr. 1892 22. Juli 1868 1. Ft^br. 1884
6. Sept. 1855 6. Mars 1856 1 J. n. Kiiudg.
18. Nov. 1879 18. Nov. 1879 ^)BiB s. Bücktr. 11. Des. 1862 18. Nov. Ib79
6. Febr. 1864 6. Febr. 1864 *)ad perpetaum
20. Joli 1864 26. Febr. 1869 1 J. n. Kündg.
I 14. Joli 1868 5. Febr. 1869 "rjl J. n. Kündg.
\
14. Hars 1883 18. Ang. 1883 30. Jani 1887 27. Ang. 1869 18. Aug. 1883
. 26. Des. 1872 30. Okt 1873 1 J. n. Kündg.
. 23. Juli 1873 27. Okt. 1874 1 J. n. Kündg.
. 6. Des. 1873 30. Joli 1876 1 J. n. Küudg.
. 10. Febr. 1875 10. Juli ltt75 1 J. n. Kündg.
. 19. Aug. 1875 1. Okt. 1878 1. Okt 1888
. 7. Juni 1886 1. Juli 1886 10. Juli 1891 30. Mars 1878 13. Jan. 1886
. 10. Joni 1880 10. Juni 1880 1 J. n. Kündg.
. 30. Okt. 1883 7. Febr. 1885 7. Febr. 1895
. •)6. Nov. 18H5
{Unterhandlungen über den Abschlus» eines ähnlichen Vertrages wie derjenige
mit Salvador sind im Gange.
Der Umfang, welcher für dieses Werk bereohnet ist, erlaubt nicht, den
Wortlaut der Verträge mitzutheilen. £inen Begriff über Form und Inhalt
derselben gibt der auf pag. 439/47 dieses Lexikons abgedruckte schweizerisch-
deutsche Handelsvertrag. Am ausführlichsten sind die Verträge mit den um-
liegenden Staaten, weil da Grenzverhältnisse, Yeredlungsverkehr, Markt- und
Hausirverkehr etc. in Betracht kommen, während es bei Verträgen mit entfernten
Staaten genügen kann, sich gegenseitig die Zusicherung zu geben, daß man
einander in Zoll- und oder Handelssachen (z. B. Patenttaxen) nicht ungünstiger
behandeln wolle, als man andere Staaten behandle. Indessen benützt man auch
die Handelsverträge mit entfernteren Staaten meistens, um gleichzeitig noch andere
Verhältnisse (freies Recht der Niederlassung, Recht der Ernennung von Konsuln,
Befreiung vom Militärdienst, Schutz des literarischen und künstlerischen Eigen-
thums u. s. w.) zu statuiren. Der volle Titel der Verträge lautet daher oft:
Freundschafts-, Handels-, Niederlassungs- (etc.) Vertrag.
Aus der vorhin erwähnten Zusicherung resultirt, daß, wenn von zwei
Vertragsstaaten einer einem dritten Staat eine Zollermäßigung etc. einräumt,
1) Dieser Handelsvertrag ist der erste, welchen die neue Eidgenossenschaft mit Frankreich abge-
schlossen hat. Im vorigen and in den früheren Jahrhunderten wurden hingegen sahireiche Verträge
theilweise kommensleller Natar swlschen der Schweis und Frankreich, wie auch swischen der Schweia und
den oberitalienischen Staaten, vereinbart. Die wichtigsten Quellen für das Studium dieser älteren Verträge
sind folgende : Les Privileges des Snisses. Paris, 1751 Par Vogel, grande-Juge des gardes suisses, ä Paris.
— Sammlung der vornehmsten Bündnunen, Verträgen, Vereinigungen etc., welche die Oron Frankrych mit
Lobt. Eydgnosuschaft und dero Zugewandten insgesamt und insbesonders aufgerichtet. Von Hölzer. Bern,
1782. — Darstellung der Handelsverhältnisse swischen der Schweis und Frankreich während lies Jahres
1840, sammt einem Bückblick auf die Verträge, Gesetze und Verordnungen über die Handelsbeziehungen
swischen der Schweiz und Frankreich vom XV. Jahrhundert bis sur Gegenwart. Von Dr. A. von Oonzenbach,
•idg. Staatsschreiber. Bern, 1842. — Ludwig XIV. und die schweiserischen Kaufleute. Von Paul Schweiser,
Privatdozent In Tübingen (Jahrbuch f&r schweizerische Geschichte, VI, 8. 139). Zürich, 1881.
*) Am 5./14. November 1826 wurde ein Handelsprovisorium vereinbart, das am 31. Dezember 1835,
d. h. mit dem Inslebontreten des Zollvereins, erlosch. — ') In Revision begriffen. — *) Kündung auf Ende
Besamber 1887 vorbehalten. — *) Blosse Heistbegünstlgungsdeklaration. — *) Der Vertrag wurde am
M. April 1867 erweitert; zur Zeit in Revision begriffen. — "f) Der Vertrag gilt auch für das Fürstebthum
Liechtenstein. — *) Von Transvaal noch nicht ratiflzirt.
Die Abkürzung 1 J. n. Kündg. will belesen 1 Jahr nach Anfkündung. In der Regel ist in den Vor-
trägen eine Vertragsdauer flxirt, mit dem Zusatz, der Vertrag bleibe, wenn derselbe von keiner Seite ein
Jahr vor Ablauf gekündet worden, ein Jahr bis nach erfolgter Aafkücdung in Kraft.
HandelsYertr&ge — 21 — Handstickerei
diese ohne weiteres gleichzeitig auch dem Yertragsstaat eingeräamt ist. Man
nennt dies die Gleichstellung mit der meisthegünstigten Nation oder kurzweg
Meisthegttnstigungsverhältniß.
Alle schweizerischen Handelsverträge, exkl. diejenigen mit Japan nnd der
Türkei, enthalten eine Meistbegünstigungsklausel. (Ln Verkehr mit Japan und
der Türkei besteht das Meisthegünstignngsyerhältniß faktisch ebenfalls.)
In den Verträgen mit Frankreich, Italien, Spanien ist nebst dem Meist-
begttnstignngsverhältniß u. A. auch das Abkommen getroffen, daß gewisse Zölle
während der Yertragsdauer nicht erhöht werden dürfen ; man nennt jene Verträge
deßhalb auch Tarifverträge und jene Zölle gebundene Zölle. Serbien und Ru-
mänien haben der Schweiz gegenüber auch eine Anzahl Zölle gebunden. (Siehe
auch „Einfuhrzölle«, Seite 482/517.)
Uandfertigkeitsunterricht s. Knabenarbeitsunterricht.
Handschuhe werden in der Schweiz relativ wenig fabrizirt.
In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts bestand in Bern eine Firma
J, H. Nä{/eli, welche eine für damals bedeutende Fabrikation von floretsei denen
Handschuhen und Strümpfen betrieb und ihre Produkte weithin exportirte.
Versuche zur Einführung der Fabrikation von jLederhandschuhen wurden zu
Anfang dieses Jahrhunderts in der Westschweiz gemacht, wo der Artikel auch
heute am meisten fabrizirt wird. In Zürich wurde sie vor ca. 30 Jahren durch
deutsche Arbeiter eingeführt, ohne jedoch größere Bedeutung gewonnen zu haben.
Im Jahre 1882 kannte man in der Schweiz im Ganzen 5 Fabrikanten von
Lederhandschuhen, die zusammen ca. 20 männliche Arbeiter, meist Ausländer,
und 80 Näherinnen nobst Hülfsarbeitem beschäftigten. Die Gresammtproduktion
dieser 5 Geschäfte betrug 6000 — 7000 Dutzend im Werthe von höchstens
Fr. 200,000, wogegen die Einfuhr sich ungefähr auf das Fünffache, d. h. auf
eine Million Franken, beläuft. Ausgeführt wird von eigenen Fabrikaten nichts.
Die Halbfabrikate werden größtentheils vom Auslande bezogen, ebenso ausschließ-
lich die Maschinen.
Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1880 beschäftigten sich zu dieser
Zeit in der Schweiz 31 männliche und 29 weibliche Personen mit der Hand-
schuhfabrikation (26 im Kanton Zürich, 15 Waadt, 5 Baselstadt, 5 Genf, 9 in
den übrigen Kantonen).
Von den Ende 1884 im Handelsregister eingetragenen Firmen haben
15 die Fabrikation von Handschuhen als ihren Geschäftszweig bezeichnet (8 im
Kanton Genf, 5 Zürich, 1 Baselstadt, 1 Waadt).
Handschuhe, lederne. Einfuhr von ledernen Handschuhen im Jahre 1885:
94 q ä Fr. 12,000 = Fr. 1^128,000. 42 q kamen aus Deutschland, 38 q aus
Frankreich. Von 1877 bis 1884 bewegte sich die Einfuhr zwischen 65 und 135 q.
Ausfuhr 1885: 5 q ä Fr. 3567 = Fr. 17,830 (2 q nach Deutschland,
3 q nach Frankreich). Von 1877 bis 1884 bewegte sich die Ausfuhr zwischen
1 und 6 q.
Handschuhleder (aus Zicklein- und Lammfellen) wird z. Th. in inländischen
Grerbereien (Lausanne, Zürich, Bern) bereitet, größerntheils aber vom Ausland
bezogen. Die Fabrikation von Lederhandschuhen ist übrigens nicht sehr bedeutend,
der Bedarf an geeignetem Leder also ebenfalls nicht groß.
Handstickerei« Unter Handstickerei versteht man heute gemeiniglich nur
noch die Feinstickerei in Plattstich auf Battiste, Mousseline, Jaconat etc. Was
sonst noch von Hand gestickt wird, sind die bessern Qualitäten Vorhänge mit
Kettenstich (Grobstickerei). Alle übrigen Zweige der Stickerei, sowohl in Ketten-
Handstickerei — 22 — Hardenpont's Winterbutterbirne
Btioli als in Plattstich, sind dem Bereich der Maschine verfallen. Aber auch die
wenigen Beste der frühem nmfangreichen feinen Handstickerei, auf den Kanton
Appenzell I.-Bh. beschränkt, sind noch in fortwährendem Bückgang begriffen.
Einestheils ist die Plattstich-Stickmaschine zu einer quantitativen und qualitativen
Leistungsfähigkeit gebracht worden, die der Handstickerei nur noch die alier-
feinsten Arbeiten läßt, anderntheils hat der Begehr nach feinen Stickereien, wie
nach feinen Geweben überhaupt, sehr nachgelassen; als Folge dieser beiden
Erscheinungen ist dann auch allmälig der Mangel an geeigneten Arbeitskräften
eingetreten. Die guten Stickerinnen sterben aus oder wandern in die Gebiete
der Maschinenstickerei aus, wo sie durch das Nachsticken (Nachbessern) der
Maschineustickereien leichtern Verdienst finden.
Was in feiner Handstickerei noch gearbeitet wird, geschieht vorwiegend im
Lohn für Pariser Geschäfte, nach von ihnen gelieferten Zeichnungen. Die Wieder-
erweckung eines selbstständigen und wirklich geschäftsmäßigen Betriebs erhofft
man von der kürzlich durch das Kaufmännische Direktorium in St. Gallen
organisirten Fachschule für Stickerei, (lieber den Ursprung der Handstickerei,
d. h. der Stickerei überhaupt, vergl. Stickerei.)
Handwerk s. Gewerbe.
Hanf- und Leinengarne. Einfuhr pro 1885: 4463 q a Fr. 275
(1867 q aus Belgien, 924 q aus Italien, 896 q aus Deutschland, 494 q aus
focßbritannien, 194 q aus Frankreich, 67 q aus Oesterreich).
Ausfuhr pro 1885: 1070 q ä Fr. 236 (400 q ä Fr. 219 nach Frank-
reich, 265 q ä Fr. 227 nach Deutschland, 229 q a Fr. 215 nach Oesterreich,
157 q ä Fr. 296 nach Italien).
Betreffend Hanf und Flachs s. Flachs.
Hanfsamen wird vom Elsaß und Breisgau, sowie aus Ungarn und Galizieu
eingeführt. In der Schweiz selbst wird wenig Hanf gebaut. (Vergl. Flachs.)
Hans Ulrichs-Apfel, auch Haus Ueri- Apfel, Hans-Uli, gelber Hans Müller,
Krönli-Apfel genannt (Herbstfrucht), ist als Tafelobst nicht ersten Ranges, da-
gegen als Wirthschaftsobst übertrifft ihn keine andere Sorte. Der Baum kommt,
BO viel bis jetzt bekannt ist, in den Kantonen Zürich, Zug, St. Gallen, jedoch
am häufigsten in ersterem vor. Der Stammbaum dieser Sorte stand in den 20er
Jahren in Oberrieden, Kanton Zürich, dessen Eigenthümer Hans Ulrich Staub
hieß. Von Oberrieden verbreitete sich der Baum zunächst an dem linken, hernach
in zahlreichen Exemplaren auch an dem rechten Zürichsee-Ufer, und von hier
aus wurde er direkt nach St. Fiden bei St. Gallen verpflanzt, wo derselbe sehr
gut gedeiht *und reichlich trägt. Alle zwei Jahre ist der Baum volltragend und
ist er nicht zu stark beladen, so kann man jedes Jahr Früchte erwarten. 80 — 110
Bester wurden schon öfters von ihm geemtet. („Schweizerische Obstsorten",
Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhom in St. Güllen.)
Hardenpont's Winterbutterbirne, auch Kronprinz Ferdinand von Oester-
reich, Schinkenbirn, Amalie von Brabant genannt, ist eine der besten Tafelfrüchte,
stammt von Mona in Belgien und findet sich auch in den Gilrten der Schweiz.
Zwergbäume dieser köstlichen Sorte werden in neuerer Zeit dureh die stets sich
mehrenden Baumschulen häufiger gezogen und verbreitet. Sie bedürfen einen
nahrhaften Boden und warmen Standort. Der Baum trägt bald und alljährlich
reichlich. Auf Wildling veredelt, bildet er schöne und baldtragende Pyramiden.
Für Zwergform eignet sich der Baum besser als für Hochstamm; er gedeiht
auch auf Quitte. („Schweizerische Obstsorten**, Verlag der Lithogr. Anstalt
J. Tribelhom in St. Gallen.)
Hartweizengriese — 23 — Haushaltungskurse
Hartweizengriese werden in den sohweizerieichen Teigwaarenfabriken in
bedeutenden Quantitäten verwendet, aber noch vorwiegend meiBteuH von Marseille
bezogen. Dieselben können in den schweizerischen Mühlen mindestens eben so gut
fabrizirt werden, wenn auch weniger lohnend, weil die bei dieser Fabrikation
sich ergebenden Mehle in der Schweiz nur zu sehr schlechten Preisen abzusetzen
sind, während die Marseiller Griesmiihlen sie im nördlichen Afrika und im Orient
vortheilhaft unterbringen.
Harze, gereinigte. J^tn/tiAr im Jahre 1885: 2191 q ä Fr. 150; davon
1920 q aus Deutschland, 150 q aus Frankreich, 85 q aus Belgien.
Ausfuhr 1885: 10 q ä Fr. 33. 80 nach Deutschland.
Harzöl wird auch in der Schweiz durch Destillation von Harz erzeugt;
es dient u. a. zur Bereitung von Wagenfett.
Hausgesinde s. pag. 228 d. Lexikons.
Haushaltungs- und Kochkurse, (Mitgetheilt von Herrn Fürsprech
Niederer in Trogen, Präsident der Spezialkommission der Schweiz, gemein-
nützigen Gesellschaft fttr Förderung der Haushaltungskunde.) Nachdem im König-
reich Württemberg schon im Jahre 1878 fünf Haushaltungsschulen errichtet und
nachdem in den Vereinigten Staaten von Nordamerika auf dem gleichen Gebiete
schon schöne Erfolge erzielt worden, hat man in neuerer Zeit auch in der Schweiz
der 60 wichtigen Koch- und Haushaltungskunde größere Aufmerksamkeit zuge-
wendet. Dem Kanton Luzern gebührt die Ehre, die Initiative ergriffen zu haben
ftUr eine bessere Ausbildung des weiblichen Geschlechtes für Küche und Haushalt.
Im September 1879 fand in Nebikon und im Mai 1880 in Malters ein Koch-
und Haushaltungskurs statt. Diese Kurse hatten einen so überraschend guten
Erfolg, daß sehr bald die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf den gleichen
Gegenstand hingelenkt wurde. In ihrer Jahresversammlung in Zug im September
1880 setzte die Schweiz, gemeinnützige Gesellschaft einen Kredit von 500 Fr.
aus zur Förderung von Kochschulen im Allgemeinen, sowie für den besondern
Zweck, tüchtige Lehrerinnen in diesem Fache heranzubilden. Die hierauf bestellte
Spezialkommission kam zu dem Schlüsse, es dürfte bei dem fühlbaren Mangel
an Lehrkräften am besten sein, wenn für einmal die Heranbildung einer tüchtigen
Lehrerin in^s Auge gefaßt würde. Eine bezügliche Ausschreibung hatte dann
aber auffallenderweise nur eine einzige Anmeldung zur Folge, und zwar diejenige
der Frau Wyder- Ineichen in Luzern, welche bereits zwei Kurse für Koch- und
Haushaltungskunde in Cham (Zug) und Malters (Luzern) geleitet und sich dabei
als eine sehr tüchtige Lehrerin in diesem Fache erwiesen hatte, so daß dieselbe
mit gutem Grewissen als Wanderlehrerin empfohlen werden konnte. In den Jahren
1881 — 1885 hat dann Frau Wyder in den Kantonen Zürich, Bern, Luzern,
Schaff hausen. Appenzell A.-Rh., St. Gallen, Graubünden, Aargau und Thurgau
mehr als 30 Kursen vorgestanden.
Mittlerweile waren auch im Kanton Bern Schritte gethan worden, um für
die dortigen Bedürfnisse eine Lehrerin t\ir Koch- und Haushaltungskunde heran-
zubilden. Ais solche wurde Frl. Marie Dhlmann in Hindelbank gewonnen und
es hat dieselbe, nachdem ihr die nöthige Vorbildung zu Theil geworden, im
Kanton Bern mehrere Kurse mit sehr anerkennenswerthem Erfolge geleitet. Die
Erfahrungen, welche man mit den schon erwähnten Kursen gemacht, führten in
immer weitem Kreisen zu der Ueberzeugung, daß diese Kurse allerdings ver-
hältnißmäßig sehr günstige Resultate aufzuweisen haben, daß aber, wenn das
vorgesteckte Ziel voll und ganz erreicht werden soll, nach dem Vorbilde von
Württemberg eigentliche Schulen für Haushaltungskunde eingerichtet werden
Haushaltungäkurse — 24 — Hausirverkehr
müssen, um solohe errichten zu können, bedarf es aber einer größern Zahl von
Lehrerinnen, welche theoretisch nnd praktisch die nöthige Befähigung haben, um
derartigen Schulen vorzustehen. Nachdem Frau Wyder bei Luzern eine ständige
Haushaltungsschule eingerichtet hat (seit März 1885) und nachdem Frl. Uhlmann
zur Leitung der im Mai 1886 in Worb (bei Bern) eröffneten Haushaltungsschule
berufen worden ist, stehen aber keine Lehrerinnen mehr zur Verfügung. Die
Eochschulkommission der Schweiz, gemeinnützigen Gesellschaft hat daher die
Sache an die Hand genommen. In erster Linie hat dieselbe sich an die Bundes-
behörden gewendet, um von ihnen einen entsprechenden Beitrag an die Kosten
für Heranbildung von Lehrerinnen zu erhalten. Die Bundesversammlung hat
dem gestellten Gesuche in verdanke nswerthester Weise entsprochen und einen
Beitrag von 5300 Fr. bewilligt, sofern von anderer Seite ein gleich großer
Betrag aufgebracht werde. Bisher (Oktober 1886) hat der Appell an die Kantons-
regierungen und an die gemeinnützigen und landwirthschaftiichen Kantonalvereine
zur Aufbringung der noch fehlenden Summe nicht den gewünschten Erfolg ge-
habt; doch ist alle Aussicht vorhanden, daß binnen Kurzem auch die Geldfrage
in befriedigender Weise gelöst werden kann. Was die Tendenz bei der Heran-
bildung von Lehrerinnen und bei der Errichtung von Haushaltungsschulen betrifft,
so wird vor Allem Werth darauf gelegt werden, den Bedürfnissen des ärmern
Theiles der Bevölkerung gorecht zu werden — von der Voraussetzung ausgehend,
daß die besser situirten Klassen sich eher selbst zu helfen im Stande sind. Nur
wenn von Anfang an an diesem Fundamentalgrundsatze festgehalten wird, werden
die Hanshaltungsschulen dem Schweizerlande zum Glück und zum Segen gereichen.
Hausirverkehr« So lange das Zunftwesen bestand, konnte der Hausir-
verkehr keine große Bedeutung erlangen. Auch nach Aufhebung der Zünfte
bestanden noch genug Schranken aller Art, um jene Erwerbsart nicht so rasch
aufkommen zu lassen. Der Wunsch, dieselbe darniederzuhalten, war ohne Zweifel
mitbestimmend, als in der Bundesverfassung von 1848 die freie Gewerbeausübung
nur den Kantonsbürgern und den NiedergelaHsenen gewährleistet wurde (Art. 41).
So konnte es auch kommen, daß noch bei Inkrafttreten der Bundesverfassung
von 1874 in den Kantonen Baselland, Bern, Freiburg, Luzern, Schaffhausen,
Waadt, Wallis und Zug das Hausiren grundsätzlich verboten war, und daß noch
im Jahre 1860 im Kanton Baselland ein kantonsfremder Maler gerichtlich bestraft
werden durfte, weil er ein Gartenhäuschen angestrichen hatte.
Da diese Hindernisse erst dahin fielen, als die Bundesverfassung von 1874
«Handels- und Gewerbefreiheit im ganzen Umfang der Eidgenossenschaft" pro-
klamirt hatte, so kann das Hausirgewerbe erst von da an den Aufschwung
genommen haben, den man heute so ziemlich allgemein als eine Landesplage
empfindet.
Unter den Begriff des Hausirverkehrs fallen namentlich:
I. Das Feilbieten von Waaren von Hans zu Haus.
IL Ausverkäufe, Liquidationen, nichtamtliche Versteigerungen von Waaren-
lagem außerhalb der Wohngemeinde und der Dauer von Märkten.
III. Das Aufsuchen von Bestellungen bei Privaten, d. i. bei Personen, welche
weder mit dem betreffenden Artikel Handel treiben, noch denselben in
ihrem Gewerbe verwenden.
IV. Die Ausübung eines Handwerks von Ort zu Ort.
V. Schaustellungen, öffentliche Aufführungen, Produktionen von umherziehenden
Künstlern (im Kanton Glarus verboten).
Hausirverkehr — 25 — Hausirverkehr
VI. Der Ankauf, das Sammeln und Tauschen von Gegenständen von Hans
zu Haus.
Ans polizeilichen fittcksichten werden zahlreiche
Bedingungen
an die Ausühung des Hausirgewerhes geknüpft, z. B. daß das Gewerbe nicht
sittenwidrig sei; daß keine Ausbeutung des Publikums stattfinde (z. B. durch
lotterieähnliche Spiele); daß keine körperlichen Gebrechen zur Schau gestellt
werden ; daß die Patentbewerber guten Leumund besitzen, nicht mit ansteckenden
nnd ekelhaften Krankheiten behaftet, mit Ausweisschriften versehen, eigenen
Rechtes oder vom Patron gehörig bevollmächtigt und mindestens 14 — 20 Jahre
alt seien (Glarus 14, Wallis 20).
Verboten ist das Mitfuhren schulpflichtiger Kinder, femer in den meisten
Kantonen das Hausiren zur Nachtzeit, sowie an Sonn- und anderen kirchlichen
Feiertagen; mehrere Kantone schützen auch die Wirthschaften gegen die Hausirer.
Allein reisende Ehefrauen müssen in mehreren Kantonen eine Bewilligung des
Ehemannes vorweisen können.
£xplodirbare Stoffe, Arzneimittel, Gifte, geistige Getränke sind in der Regel
vom Hausirverkebr ausfieschlosseHj Gold- und Silberwaaren in mehreren Kantonen.
Patent fr ei sind meistens die Produkte des Land-, Forst- und Gartenbaues,
sowie die nothwendigsten Nahrungsmittel (Milch, Brod, Eier, Fleisch).
Patentgebtihren.
Die Patentgebuhren hatten anfänglich den Zweck, das Hausirgewerbe un-
möglich zu machen ; sie wurden daher von mehreren Kantonen so hoch geschraubt,
daß die Bundesbehörden gegen dieselben Einspruch erheben, resp. Rekurse gegen
die Höhe gewisser Taxen begründet erklären mußten. In Folge dessen hat eine
etwas mäßigere Taxirung Platz gegriffen, insbesondere in der Weise, daß die
Waaren je nach ihrem Werth in mehrere Klassen eingetheilt wurden, nach denen
sich nun auch die Taxen richten. Es wird demgemäß wenig mit theuern Waaren,
dagegen stark mit Kurz- und Quincailleriewaaren hausirt, für welche die Gebühren
niedrig angesetzt sind. Als Beispiel für die Klassifikation der Waaren mag die
im Kanton Zürich gültige hier angeführt werden:
I. Klasse: 1 — 10 Franken per Monat an den Staat.
Geringe Holzwaaren (Kellen, Spundhahnen, Klüpperli, geringe Korhwaaren,
Schachteln), Stroh- und Seegrasteppiche, Kalender, Schiefeilafeln, Griffel, Tinte, Kreide,
Zündholz, Dochten, Wichse, Nägel, Putzpulver, Wagenschmiere, Harz und Pech, Kubier-
waaren, hölzerne Gabeln und Rechen, Watten, ungesohlte EndeÜnken, Holzschuhe,
Glamerthee, Käse, Ziger.
n. Klasse: 2 — 20 Franken per Monat an den Staat.
Greringere Mercerie- und Quincailleriewaaren: Nadeln, Haften, Faden, Bändel,
Litzen, Knöpfe, wollene und baumwollene Halstücher und Nastücher, Baumwollgame,
Strickwolle, geringere Handschuhe und Strumpf waaren, Hosenträger, Kamniartikel, Rauch-
atensilien, Schreibmaterialien, Kinderspiel waaren, Wachskerzen, Seife; geringere Leder-
waaren, Zinn- und Eisenwaaren, Löffel, Messer und Gabeln ; Spengler-, Seiler-, Drechsler-,
Sattler-, Bürsten- und geringere Töpferwaaren ; Sensen, Sicheln, Wetzsteine, Handwerkszeug,
feinere Korhwaaren, Drahtgeflecht (Siebe u. s. w.) ; Firniß, Gypsüguren, künstliche Blumen,
Gartenmöbel, Bücher und Drucksachen, geringere Bilder; Baum wolltuch waaren (rohe
und gefärbte). Sing- und Luxusvögel, Spezereien, Gewürze, Sämereien, ausländische
Früchte, Gonditorei- und Teigwaaren, Thee, Tabak, Cigarren.
III. Klasse: 5—50 Frauken per Monat an den Staat.
Feine Quincaillerie- und Merceriewaaren : Glas-, Kristall-, Porzellan-, Neusilberwaaren,
Muschelwaaren, Schmucksachen, Toilette- und Parfümerie- Artikel, Musikinstrumente,
Spielkarten, feinere Messerschmied waaren, Broderien, feine Handschuhe, Corsets, Schürzen,
Hüte; alle Kleiderstoffe mit Ausnahme von Seide, baumwollene und wollene Schirme,
Hausirverkehr — 26 — Hausirverkehr
Wanduhren, Barometer, Thermometer, Brillen, Kupfergeschirr, feinere Töpferwaaren^
Farbendruckbilder.
IV. Klasse: 10 — 100 Franken per Monat an den Staat.
Seidenstoffe, seidene Foulards, seidene Schirme, feinere Spitzen und Stickereien,
fertige Kleider und Bettstücke, feinere Wäsche und Schuhwaaren, Pelzwaaren, Damenhüte.
V. Klasse: 30—300 Franken per Monat an den Staat.
Juwelen, werthvollere optische und physikalische Instrumente, kostbare Oelgemälde,^
SalonspiegeL
Die beiden Halbkantone Appenzell nehmen nur von den Kantonsfremden
Grebühren. Baselland, BaselstaUt und Schaffhausen begünstigen nur ihre Hand-
werker, Bern, St. Gallen, lessin, Thurgau, Wallis und üri die einheimischen
Handelsreisenden, Solothurn sowohl die einheimischen als diejenigen jener Kantone^
welche die Aufnahme von Bestellungen patentft-ei geschehen lassen. Sowohl für
Einheimische als für kantonsfremde Schweizer und Gegenrecht haltende Ausländer
ist die Aufnahme von Bestellungen bei Privaten frei in Baselstadt, Freiburg,
Genf, Graubünden, Luzern, Neuenburg, Obwalden, Solothurn (s. oben), Waadt
und Zürich,
Außer an den Staat sind auch Gebühren an die Gemeinden zu entrichtea
in den Kantonen :
Aargau : bis zum doppelten Betrage der staatlichen Gebühr.
Baselland: bis zur Hälfte der staatlichen Gebühr.
Bern: wie der Staat, im Verhältniß zur Zeit.
Freiburg : wie der Staat, im Verhältniß zur Zeit.
Graubünden : wie der Staat, im Verhältniß zur Zeit.
Luzern: wie der Staat, für Ausverkäufe.
Solothurn: bis zur Hälfte der staatlichen Gebühr.
St, Gallen: wie der Staat, für Ausverkäufe und von wandernden G«-
Werbeleuten.
Thurgau: für Ausverkäufe, wie der Staat, im Verhältniß zur Zeit.
Uri: für Ausverkäufe die hallte Staatsgebühr.
Waadt: für Ausverkäufe bis 10 Fr. per Tag.
Wallis: V2— 10 Fr. per Tag.
Zürich : Per Tag höchstens den 30. Theil der staatlichen Monatsgebühr^
Zug: bis zu ^Ja der kantonalen Taxe.
Keine Gebühren beziehen die Gemeinden der Kantone Appenzell, Baselstadt,.
Genf (der Staat theilt seine Einnahmen mit den Gemeinden), Glarus, Nidwaiden,.
Neuenburg, Obwalden (exkl. Engelberg), Schaffhausen, Schwyz.
Die meisten Gemeinden, auch jene, wo Patentgebühren zu entrichten sind^
erheben eine Visumgebühr; im Kanton Waadt muß das Visum ä 20 Ct. sogar
jeden Tag eingeholt werden.
In mehreren Kantonen ist es den Gemeinden überlassen, Schau Vorstellungen^
Produktionen von herumziehenden Künstlern trotz dem bezahlten Staatspatent zu
untersagen.
Folgende Uebersicht zeigt, welcher Betrag von den vier wichtigsten Kate-
gorien des Hausirverkehrs in jedem Kanton an Staat und Gemeinde zusammen
per Monat zu entrichten ist (Jahr 1886):
Kanton Hauairerei Ausverkäufe
Fr. Fr.
Aargan ... 3—300 180—900
Appenzell A.-Rh. 3—30 260—1300
Bestellungen
bei Privaten
Fr.
Wandernde
Gewerbeleute
Fr.
3 300
15—30
3—30
8 20
Hausirverkehr
- 27 —
Hausirverkehr
Appenzell I.-
Bb.
5—50
200—320
40—80
26—130
Baselland .
9— 360»)
225—450
9 360 3 107«
Baselstadt .
8—100
i
i
2 300
2—100
Bern . .
2—100
80—400
80 — 400 2—40
Freibnrg .
20—133 ^)
40—200
4—40
Genf . . .
2—100
10 200
—
Grlaros .
4 15
260—910
4—15
4
Granbünden
2—170
52—1385
—
2—85
Lnzem
1 20
«
2—100
-')
2 9
Nenenborg
10—120
20—200
10—90
Nidwaiden
26—52
40—200
52
18
Obwalden .
12—80
12—400
8 16
SchaffhanBen
1—5
1 5
1—5
2
Schwyz
1—50 2)
?
1-50
1 5
Solotbum ■) .
. 1
V«— 90
IV
2-225 Ou.
. 1 72 90
*) 172-3
St. Gallen
1—10
200 400
10—40
2—10
Teasin *) . .
10 70
20—80
100
Thorgau . .
1—20
200 600
20 50
72 10
Uli . . .
10 40
150 300
10—40
10
Waadt . ,
5-100
60— 460
1 30
Wallis . . .
2—460
23 460
23—460 ?
Zürich . . .
1.
30—560
157
2-560
1—97«
Zug . . .
6
74-627^
325 812
25 125 272 6272
Zahl der
vom Staate ertheilten Patente und bezü|
gliche Ein-
nahmen
im
Jahre 1885.
,., Durchschn.
per Patent
„. Darchflchu.
».K»l« Einnahme
nahmen ^^^ p^^^^^
Kanton
Patente
I Kanton
1
Patente
Fr. Fr
■
I
Fr. Fr.
Aargau
. 4085
22287 5.
40
Obwalden .
. 292
1233 4. 20
App. A.-Rh.
. 1296
5605 4.
30
Schaffhausen
. 640
4659 7. 30
App. I.-Rh.
. 116
712 6.
10
Schwyz
. 364
11687 32.10
Baselland .
. 389
10340 26.
60
Solothum .
. 1491
6889 4. 60
Baselstadt .
. 1023
7066 6.
90
St. Gallen
. 4185
28607 6. 80
Bern . .
. 5865
51643 8.
80
Tessin .
. 542
5755 10. 60
Freiburg .
. 597
8537 14.
30
Thurgau
. 2096
19256 9. 20
Genf . . .
. 4927
? 1
}
Uri. . .
. 208
2690 13.—
Glarus . .
. 668
7447 11.
10
Waadt
. 2058
45791 22. 20
Granbünden
. 1743
9377 5.
40
Wallis . .
. 767
4904 6. 40
Lnzem
. 607
10343 17.
—
Zürich . .
. 2889
54445 18. 80
Neuenbürg
. 785
6440 8.
20
Zug . .
. 446
5181 11.60
Nidwaiden
,
608
1156 1.
90
Gesetze.
Kantonale. Die zur Zeit (Mitte 1886) in Kraft bestehenden Gesetze und
Verordnungen über den Hausirverkehr sind datirt wie folgt:
*) Die gleiche Taxe für 3 Monate. — «) Die gleiche Taxe für 6 Monate gültig. —
*) Die doppelte Taxe fOr Orte mit periodischen Märkten. — *) Jahr 1880; ob seitdem
eine Revision stattgefunden, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. — '') Nichts
von den einheimischen Reisenden und denjenigen solcher Kantone, welche Gegenrecht
halten.
Hausirverkehr — 28 — Hausirverkehr
Aargau 12. März und 21. Jnni 1879; Appengell A.-Rh, 11. März 1879;
Äppeneeh L-Rh, 13. April 1882; Baselland 2. April 1877, 15. Nov. 1880
und 30. Juni 1881; Baselsiadt 13. Nov. 1882 und 6. Febr. 1884; Bern
27. Nov. 1877, 26. Juni 1878 und 9. Mai 1885; Freiburg 13. Mai 1878,
I. Sept. 1882 und 20. Nov. 1883; Genf 18. Okt. 1884; Glarus 26. Nov.
1879; Graubünden 23. Jan. 1884; Lueern 29. Aug. 1877 und 28. Nov. 1877;
Nidwaiden 29. Jan. 1879; Neuenburg 24: Dez. 1878, 18. April 1885 und
19. Jan. 1886; Obwalden 28. April 1878; Schaff hausen 4. Dez. 1875 und
17. Jan. 1879; Schwitz 12. März 1851 und 4. Juli 1877 (eine neue Ver-
Ordnung ist entworfen); Solothurn 19. April 1879, 19. April 1881 und 20. Nov.
1884; SL Gallen 23. Nov. 1878 und 31. Aug. 1885; Tessin ?; Thurgau
II. April 1880; Uri 29. Mai 1883; Waadt 28. Mai 1878; Wallis 21. Mai
1879 und 19. Mai 1882; Zürich 13. Juni 1880 und 12. Juni 1881; Zug
20. Nov. 1879 und 26. Dez. 1879.
Bundesgesetzgebung. Der Bund bat bisher in Bezug auf den Hausir-
verkehr keine Gesetze erlassen. Dagegen hat er durch Eechtsprechung in Rekurs-
fällen in die kantonale Gesetzgebung eingreifen müssen (s. p. 18, II. Bd.) ; femer
hat er durch Handelsverträge die Geschäftsreisenden mehrerer Staaten (s. p. 35,
n. Bd.) von der Pflicht, Patenttaxen in der Schweiz zu bezahlen, ausgenommen
(sofern t<ie nur Bestellungen aufnehmen und nicht mit Waaren hausiren), endlich
sind, theils in Folge des letzteren Umstandes, theils ohne denselben, einige Bundes-
beschlUsse gefaßt worden, durch welche eine gewisse Einheit in den Kantonen
erzielt werden sollte. Was in dieser Beziehung geschehen ist, wurde im
Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung , d. d. 9. November
18d3j beireffend die Frage der Befreiung der schweizerischen Handels'
reisenden von Patentgebühren, sowie über die Frage der Formnlirung
allgemeiner Grundsätze zur Prüfung der kantonalen Hausirpatentgesetze
und zur Entscheidung darauf bezüglicher Rekursbeschwerden
dargestellt. Es heißt in diesem Bericht u. a. :
Am 20. Januar 1854 hatten die eidgenössischen Kammern den Bundesrath
eingeladen, die kantonalen Vorschriften über Erhebung von Patenttaxen gegenüber
Handelsreisenden auf ihre Uebereinstimmung mit Ai*t. 29 und Art. 48 der
Bundesverfassung von 1848 (Gleichbehandlung der Schweizerbürger mit den
Bürgei'n des eigenen Kantons) zu prüfen. Entgegen dem wiederholten Gutachten
des Bundesrathes (1857 und 1859), daß es verfassungsgemäß keinen rechtlichen
Anhaltspunkt dafür gebe, das Patentsystem für Aufnahme von Bestellungen, habe
nun dasselbe einen mehr fiskalischen oder einen vorherrschend polizeilichen
Charakter, den Kantonen zu untersagen, faßte die Bundesversammlung am 29. Juli
1859 den Beschluß, die Kantone seien anzuweisen,
von schweizerischen Handelsreisenden keine Patenttaxen oder anderweitig
Gebühren mehr zu beziehen, insofern diese Handelsreisenden nur Bestellungen,
sei es mit oder ohne Vorweisung von Mustern, aufnehmen und keine Waaren
mit sich führen.
Ausschlaggebend für diesen Bundesbeschluß war die Motivirung der Mehrheit
der nationalräth liehen Kommission (Bundesblatt 1859, II, 420), dahin gehend,
daß der Art. 29 (der Verfassung von 1848), allerdings unter Vorbehalt rein
polizeilicher Verfügungen, aber mit Ausschluß jeder Besteuerung, den freien Kauf
und Verkauf nur von einem Kanton in den andern und nicht im Innern der
Kantone garantire, daß aber eben die Handelsreisenden den interkantonalen Ver-
Hausirverkehr — 29 — Hausirverkebr
kehr vermittelD, was sich bei den EUiQBirern, die Waaren mit sich führen, ganz
anders verhalte.
Der Bandesbeschluß bildete fortan unanfechtbares Bundesrecht. Als im Jahre
1860 die Regierung von Thurgau, der sich diejenige von Zug anschloß, dagegen
sich auflehnte, daß auch das Aufnehmen von kleinern Bestellungen von Haus zu
Haus, im Gegensatz zur Aufsuchung von Bestellungen bei den Gewerbsgenossen,
unter den Begritf des freien Reisenden Verkehres falle, erklärten der Bnndesrath
und die Bundesversammlung (Bundesbeschluß vom 12. Dezember 1860) mit aller
Bestimmtheit, daß der Bundesbeschluß vom 29. Juli 1859 als das einzige
charakteristische Moment für den Hausirhandel das Mitsichführen von Waaren
aufgestellt habe, demzufolge auch solche Personen, welche von Haus zu Haus,
jedoch ohne Waaren mitzuftthren, Bestellungen erheben, als steuerfreie Handels-
reisende anzusehen seien.
Während nun der Grundsatz der Yerkehrsfreiheit in der speziellen Richtung
der Befreiung der Handelsreisenden von allen Steuern und Abgaben sich in dieser
Weise Bahn brach, konnten im Uebrigen die Beschränkungen des Verkehrs, der
Freiheit der Arbeit, des Handels und der Gewerbe ungehemmt fortbestehen.
Insbesondere blieben der Haasirhandel und das Hausirgewerbe der willkürlichen
Verfügung der Kantone unterstellt. Meist lief es dabei auf eine Begünstigung
der Kantonsbewohner gegenüber den andern Schweizerbürgern hinaus.
Der Bundesrath wollte schon anläßlich der Partialrevision der Bundes-
verfassung im Jahre 1865 diese Schranken beseitigen und einer der Revisions-
punkt«« die er in seiner Botschaft an die gesetzgebenden Räthe der Eidgenossen-
schaft vom 1. Juli 1865, betreffend die Revision der Bundesverfassung, aufstellte
und begründete, war
y^das Recht zur freien Gewer bsausübufif/ im ganzen Um fange der
Eidgenossenschaft^ .
Allein die Räthe traten darauf nicht ein. Uebereinstiromend findet sich in
den Kommissionalberichten derselben der Satz, daß es unbillig, ein Privilegium
zu Gunsten des nicht niedergelassenen und zu Ungunsten des niedergelassenen
Schweizerbürgers sein würde, wenn man die Gewerbsausübung, ohne Nieder-
lassung, über die Kantonsgrenzen hinaus unbedingt freigäbe, weil der nieder-
gelassene Gewerbtreibende alle Steuern und Abgaben zu bezahlen hätte, während
der andere davon vollständig befreit wäre.
So kam es, daß der Bundesrath in seiner Revisionsbotschaft vom 17. Juni
1870 noch immer von solchen Ungleichheiten und Abnormitäten, die wie eine
Ironie auf die Idee des Bundesstaates klingen, sprechen konnte, wonach z. B.
kantonsfremde Handwerker, Führer, Kutscher, in der Ausübung ihres Berufs ganz
gehindert oder doch sehr belästigt waren, der Erwerb von Liegenschaften allen
nicht Niedergelassenen untersagt war u. s. w. Der Bundesrath postulirte solchen
Zuständen gegenüber die Freiheit des Handels und Verkehrs, das Recht der
freien Berufs- und Gewerbsausübung, als ein dem Schweizerbürger im ganzen
umfange der Eidgenossenschaft zu gewährleistendes Grundrecht, und sprach sich
speziell mit Rücknicht auf die von den Kommissionen der Räthe 1865 erhobene
(eben erwähnte) Einwendung folgendermaßen aus :
«Der Bundesrath kann diesen Einwurf (die Besteuerungsfrage) nicht als stich-
haltig betrachten. Die Frage der Besteuerung der Gewerbetreibenden ist eine
sekundäre Frage, die jeder Kanton lösen mag, wie er für gut findet; es recht-
fertigt sich aber gewiß nicht, dem Schweizerbürger sein allernatürlichstes Hecht
zu verkünmiem, blos weil der Kantonalfiskus einige Schwierigkeiten hat, alle
Gewerbetreibenden zur Besteuerung heranzuziehen. Um übrigens alle Zweifel
Hausirverkehr — 30 — Hausirverkehr
zu beseitigen, daß es darauf abgesehen sei, das heeügliche Bestetierungsrecht
der Kantone zu beschränken, schlägt der Bundesraih vor, solches in dem
Verfassungsartikel selbst ausdrücklich vorzubehalten. Die Kaatone können sich
in weit den meisten Fällen leicht helfen durch Ausgabe von PÄtenten für den
mehr vorübergehenden Erwerb, wie solches schon jetzt geschieht. In andern
Fällen steht auch der Anwendung der regelmäßigen Besteueningsweise nichts
entgegen Die Vorbehalte, die dem Hauptgrundsatze beigefügt werden, sisd
außer dem schon genannten Besteueruugsrechte so ziemlich die bisherigen
Dagegen wünscht der Bundesrath, daß ausdrücklich gesagt werde, daß die Ver-
fügungen der Kantone über Ausübung von Handel und Gewerben und über
Besteuerung den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beein-
trächtigen dürfen, um nicht der irrigen Meinung Raum zu geben, daß es nun
in's Belieben der Kantone gelegt sei, in dieser Materie ganz willkürlich zu ver-
fügen und auf Umwegen die durch Aufstellung des Grundsatzes beseitigten Be-
schränkungen wieder neu einzuführen."
Diese Ausführungen des Bandesrathes sind in den Kevisionsberathnngen der
eidgenössischen Kammern von 1871/72 und 1873/74 nicht angegriffen, sondern
durchweg gutgeheißen worden, so daß sie gewissermaßen als das Programm für
die in dem nunmehrigen Art. 31 der Bundesverfassung von 1874 niedergelegten
Grundsätze und als die Wegleitung zu deren richtiger Interpretation betrachtet
werden konnten.
* *
Nachdem die neue Bundesverfassung mit dem 29. Mai 1874 in Kraft ge-
treten war, wurden vom Bundesrathe schon am 30. gleichen Monats sämmtliche
Kantonsregierungen ersucht, ihre auf Ausübung von Handel, Gewerbe und Be-
steuerung des Gewerbebetriebes bezüglichen Gesetze vorzulegen.
Es ergab sich aus der Untersuchung derselben, daß das Hausiren in den
Kantonen Bern, Lueern, Zuf/^ Freiburg^ Baselland, Schaffhausen, Waadt und
Wallis grundsätzlich verboten, in allen Übrigen Kantonen grundsätzlich, unter
der Bedingung einer Patentlösung, geiitattet und einzig in Appenzell I.Rh, ganz
freigegeben war.
Sämmtliche wegen Verbot des Hausirhandels oder Patentverweigerung beim
Bundesrathe erhobenen Rekursbeschwerden ^) wurden als begründet erklärt und
die Kantone durch ein Kreisschreiben vom 11. Dezember 1874 mit besonderm
Nachdruck darauf aufmerksam gemacht, daß der Art. 31 ^) der neuen Bundes-
verfassung nicht etwa blos eine redaktionelle, sondern eine materielle, grund-
sätzliche Verschiedenheit vom frühern Art. 29 in sich schließe, zufolge welcher
ein Verbot des Hausirhandels, als im Widerspruch mit dem Grundsatz der
*) Es mag hier daran erinnert werden, daß bis 31. Dezember 1878 das „Eisenbahn-
und Handelsdepartement", welchem gemäß Bundesgesetz vom 28. Juli 1873 die Sorge
für Handhabung des freien Verkehrs im Innern der Schweiz zufiel, sich mit diesen
Beschwerden zu befassen hatte. ZuColge Bundesbeschluß vom 21. August 1878 über die
Organisation und den Geschäftsgang des Bandesrathes liegt seit 1. Januar 1879 die
Prüfung von Beschwerden betreffend die Handels- und Gewerbefreiheit dem Justiz- und
Polizeidepartemente oh.
*) Lautend: Die Freiheit des Handels und der Gewerbe ist im ganzen Umfange
der Eidgenossenschaft gewährleistet.
Vorbehalten sind: a. Das Salz- und Pulverregal, die eidgenössischen Zölle, die
Eingangsgebühren von Wein und geistigen Getränken, sowie andere vom Bunde aus-
drücklich anerkannte Verbrauchssteuern, nach Maßgtibe von Art. 32. b. Sanitätspolizei-
liche Maßregeln gegen Epidemien und Vieliseuchen. c. Verfügungen über Ausübung von
Handel und Gewerben, über Besteuerung des Gewerbebetriebes und über die Benützimg
der Straßen.
Diese Verfügungen dürfen den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst
nicht beeinträchtigen.
Hausir verkehr — 31 — Hausirverkehr
Handels- und Gewerbefreiheit stehend, nicht mehr z.i Recht bestehen könne,
wenn anoh nicht zu verkennen sei, daß dieser Handel in verschiedenen Richtungen
besonderer Ueberwachung von Seite des . Staates bedürfe.
In Folge dessen waren die oben genannten Kantone im Falle, ihre saoh-
bezUgliche Gresetzgebung einer Revision zu unterwerfen und mit den Bestimmungen
der Bundesverfassung in Einklang zu setzen. Da über die Stellung der Kant<)ne
zum Bunde bei Erlaß diesbezüglicher Verordnungen verschiedene Ansichten
herrschten, eröffnete ihnen der Bundesrath durch Kreisschreiben vom 20. Januar
1875, daß er nichts dagegen einzuwenden habe, wenn die Kantone die in litt, c
des Art. 31 vorbehaltenen Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben,
über Besteuerung des (rewerbebetriebes und über die Benutzung der Straßen von
sich aus erlassen und in Vollziehung setzen. Nur behalte sich der Bundesrath
selbstverständlich vor, jederzeit, sei es bei Anlaß von einlaufenden Beschwerden
von Bürgern, sei es in Folge der Durchsicht der kantonalen Gesetze und Ver-
ordnnngen, die fernere Anwendung von Bestimmungen zu untersagen, welche er
als mit dem in Art. 31 der Bundesverfassung aufgestellten Grundsatze der
Handels- und G^werbefreiheit unvereinbar erachten würde.
Trotz dieser wiederholten Vorstellungen war der Bundesrath noch im Jahre
lb75 genöthigt, die Beschwerde eines Bürgers gegenüber einer Kantonsregierung
als begründet zu erklären, welch^ letztere das Gesuch um Ausstellung eines Hausir-
patentes aus dem Motive abgewiesen hatte, daß das kantonale G-esetz über Auf-
enthalt und Niederlassung für die Ausübung eines Berufes oder Grewerbes die
Niederlassung verlange, welche Bedingung vom Petenten nicht erfüllt worden
sei. Der Bundesrath legte in seinem Entscheid das Hauptgewicht darauf, daß es
einer völligen Aufhebung des Hausirhandels gleichkäme, wenn man den Hausirer
nöthigen wollte, in jedem Kanton, den er betrete, oder gar, was auch möglich
wäre, in jeder Gemeinde, innerhalb welcher er seinen Handel treiben will, die
Niederlassung zu erwerben. Vom schweizerischen Standpunkte aus erfülle der
Hausirer seine bürgerlichen Pflichten in genügender Weise, da er sie in dem-
jenigen Kanton erfülle, wo er ansässig ist. Die Frage, ob das Hausirgewerbe in
den Kantonen, wo es ausgeübt wird, besteuert werden dürfe, wurde vom Bundes-
rathe nicht verneint, wohl aber im einzelnen Falle die Größe der geforderten
fjteuer angefochten, sofern durch dieselbe der Grundsatz der Handels- und
Gewerbefreiheit beeinträchtigt erschien.
Im Jahre 1877 legte die Regierung von Lueern das neue Gesetz dieses
Kantons über den Markt- und Hausirverkehr vor. Dasselbe enthält die Bestimmung,
daß zur Aufnahme von Bestellungen bei Privaten (nicht Gewerbegenossen) auf
verkäufliche oder unverkäufliche Muster eine Patentgebühr von Fr. 5 — 200
Jährlich zu bezahlen seL
Der Bundesrath fand, daß diese Bestimmung nicht im Einklang mit den
Bundesbeschlüssen vom 29. Juli 1859 und 12. Dezember 1860 stehe. Es sei
auch nicht zu übersehen, daß dieselbe zu Anständen mit auswärtigen Staaten,
die mit der Schweiz Handelsverträge abgeschlossen haben, führen könnte.
Die im Berichte des Bundesrathes über seine Geschäftsführung im Jahre
1877 enthaltene Mittheilung seiner diesfälligen Vorstellung (vom 11. September
1877) gegenüber der Regierung von Luzern (Bundesblatt 1878, II, 79) ver-
anlaßte die nationalräthliche Geschäftsprüfungskommission, sich mit diesem Gegen-
stände einläßlich zu beschäftigen. Die Kommission wies namentlich darauf hin,
daß in Wirklichkeit unter der Scheinform von „ Bestellung auf Muster** gar oft
ein eigentlicher Waaren verschleiß praktizirt werde, indem der sogenannte „Muster-
Hausirverkehr — 32 — Hausirverkehr
reisende" aaf irgend einem Centralpunkte seine Waaren lagere, um sie von doi*t
aas sofort nach der Bestellungsaufnahme überall hin zu versenden, so daß er in
That und Wahrheit ein taxfreier £Uindler sei. Diese Betrachtung führte die
Kommission zur Aufstellung des Postulates:
«Der Bundesrath wird eingeladen, alle diese Verhältnisse einer nochmaligen
reiflichen Prüfung zu unterwerfen, beziehungsweise den getroffenen Entscheid in
Wiedererwägung zu ziehen.*
Gleichzeitig lenkte die nationalräthliche Geschäftsprüfungskommission, ver-
anlaßt durch eine Bemerkung im Berichte des Justiz- und Polizeidepartementes^
die Aufmerksamkeit der Bundesversammlung auf die Vorschriften der deutschen
Gewerbeordnung vom 7. März 1877, aus denen hervorgeht, daß das Deutsche
Beich die Ausländer im Hausirhandel den Bundesangehörigen nicht gleichstellt,
vielmehr den Hausirhandel von Ausländern, abgesehen von den allgemeinen
Polizei Vorschriften, von der Erwerbung eines Legitimationsscheines und dem Be-
dürfniß des eingelnen Bezirks abhängig macht. Vom Standpunkte des Gegen-
rechts und der Verträge aus hätten also unsere Grenznachbaren keinen Grand
zu Beschwerden, wenn' auch die Schweizerkantone den Hausirhandel gleich sehr
beschränken. Zum Hausirhandel gehöre aber offenbar auch das Aufsuchen
van Bestellungen von Haus zu Haus (bei Nicht-Gewerbegenossen) ; audemfalls
wäre es unmöglich, eine Umgehung der verfassungsgemäß zulässigen Gewerbe--
Steuer auf dem Hausirhandel zu kontroliren. Auch Deutschland behalte bezüglich
der Handelsreisenden die Gewerbesteuervorschriften der Landesgesetzgebungen vor ;
die im deutschen Handelsvertrag vorgesehene Freiheit von „Abgaben" bedeute
übrigens nicht Befreiung von der auf den Hausirhandel gelegten ordentlichen
Gewerbesteuer.
Die Bundesversammlung nahm am 28, Juni 1878 das oben erwähnte
Postulat der nationalräthlichen Kommission in etwas veränderter Redaktion
an. (Postulate-Samml. n. F., Nr. 159.)
Die Kantone Bern und Baselland hatten im Jahre 1877 neue G^etze über
den Marktverkehr und das Hausir wesen erlassen, welche, wie das luzemische,.
unter den Begriff des Hausirens auch das Aufeuchen von Bestellungen bei andern
Personen als solchen, die mit dem betreffenden Artikel Handel treiben oder ihn
in ihrem Gewerbe verwenden, faßten und mit Patentgebühren — im Kanton
Bern Fr. 1 — 200 monatlich, in Baselland Fr. 12 — 150 jährlich — belegten.
Als nun im Jahre 1878 gegen diese Bestimmungen mehrere Rekurse beim
Bundesrathe einliefen, beriefen sich die beiden Kantonsregierungen darauf, daß
die Bundesbeschlüsse von 1859 und 1860 unter der neuen Bundesverfassung
nicht mehr zu Recht beständen. Die Handelsfreiheit könne nicht mehr als Recht
des freien Verkehrs von Kanton zu Kanton, sondern müsse als individuelles Recht
der Berufsausübung im Innern jedes Kantons aufgefaßt werden. Die Besteuerung
des Gewerbebetriebs in den Kantonen sei eine von der Bundesverfassung in Art. 31
ausdrücklich zugelassene Auflage, welche Kantonseiuwohner und Angehörige
anderer Kantone gleichmäßig treffe. Die Forderung der Patentlösung, auch im
fiskalischen, nicht nur im polizeilichen Interesse, sei daher durchaus zulässig und
schon in der bundesräthlichen Revisionsbotschaft vom 17. Juni 1870 als solche
anerkannt worden.
Der Bundesrath ging angesichts des Postulates vom 28. Juni 1878 auf
diese Anschauungsweise ein Er erklärte durch Beschluß vom 8. Oktober 1878
die Rekurse gegen die Gesetze von Bern und Baselland als grundsätzlich nicht
begründet, indem der Art. 31 der Bundesverfassung die Gleichstellung der Auf-
Hausirverkehr — 33 — Hjuwirverkelir
nähme von Bestellungen bei Privaten mit dem Hausirhandel und die Besteuerung
jenes Geschäftsbetriebes durch Patenterhebung nicht untersage, vielmehr in un-
zweideutiger Weise gegenüber der Freiheit von Handel und Gewerbe Verfüfiunf/en
über Besteuerung vorbehalte, welche freilich dem GrundsoUze der Freiheit nicht
widersprechen dürfen. Von diesem Standpunkte aus lasse sich gegen das basel-
landschaftliche Gesetz gar nichts einwenden, gegenüber dem bernischen aber,
dessen Taxbestimmungen unter Umständen zu einer Verunmöglichung des frag-
lichen Gewerbebetriebes führen könnten, sei es angezeigt, den ausdrücklichen
Vorbehalt der Prüfung jedes konkreten Beschwerdefalles hinsichtlich der An-
wendung des Gesetzes zu machen.
Damit war — da eine Weiterziehung der Bekurse an die Bundesversammlung
nicht erfolgte — auch das lueernische Gresetz sanktionirt. Das Postulat vom
28. Juni 1878 wurde vom Bundesrathe als erledigt erklärt (s. Geschäftsbericht
pro 1878, Bundesblatt 187D, II, 451). Ebenso waren die Bundesbeschlüsse vom
29. Juli I8«ö9 und 12. Dezember 1860 thatsächlich, wenn auch nicht formell,
außer Kraft gesetzt, und die Handelsreisenden, welche, ohne Waaren mit sich
jfu f&^hren, bei Nichi-Gewerbef/enossen Bestellungen aufsuchen, als eigentliche
Hausirer denjenüfen, die Waaren durch Umhertragen oder Umherfnhren in
den Straßen oder Häusern oder in Ausverkäufen und Liquidationen von
Lagern außerhalb der Marktjseit feilbieten, gleichgestellt worden.
Nun beeilten sich die Kantone in den Jahren 1878, 1879 und 1880 um
die Wette, ihre Gresetzgebung über Markt- und Hausirverkehr nach der neuen
eidgenössischen Jurisprudenz einzurichten. Drei vom eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartement angefertigte und bis Ende März 1882 fortgeführte bezügliche
Tabellen bilden eine wahre Musterkarte von Taxbestimmungeu und Besteuerungs-
klassen, wobei als besonders beachtenswerth erscheint, daß viele Kantone die
Besteuerung nicht blos zu Gunsten der Staatskasse, sondern überdem in einer mehr
oder weniger starken Proportion auch zu Händen der Gemeinden eingeführt haben.
Die von den Bundesbehörden seit 1874, beziehungsweise seit 1878 ein-
geschlagene Praxis in Rekursfällen betreffend das Hausirwesen läßt sich in
folgende Sätze zusammenfassen:
Die Besteuerung des daherigen Gewerbebetriebes (einschließlich der Bestellungs-
aufnahme bei Nicht-6e werbegenossen) ist verfassungsgemäß zulässig, sofern sie
den Grundsatz der Handels- und Gewerbe freiheit selbst nicht beeinträchtigt. Eine
solche Beeinträchtigung liegt vor, wenn die Kantone fixe Ansätze aufstellen und
anwenden wollen, weiche ein billiges Ermessen im einzelnen Falle, eine an-
gemessene Würdigung des Hausirgewerbes nach der Natur und dem Umfange
des Geschäftes und nach der Zeit, während welcher es ausgeübt wird, nicht
gestatten. Wenn aber die kantonalen Gesetze und Verordnungen ein Minimum
und Maximum der Patenttaxen enthalten, innerhalb deren eine billige Abschätzung
eines einzelnen Gewerbes möglich ist, so unterliegen dieselben grundsätzlich vom
bundesrechtlicben Standpunkte aus keiner weitern Kritik, es wäre denn, daß im
konkreten Falle auf ein bestimmtes Gewerbe eine offenbar unbillige, unverhältniß-
mäßig hohe Taxe angewendet werden wollte.
* *
*
Rechtsverhältniß gegenüber den Handelsreisenden derjenigen Länder, mit
welchen die Schweiz Niederlassungs- oder Handelsverträge abf/eschlossen hat.
Als mit Frankreich über den Handelsvertrag vou 1864 unterhandelt wurde,
war in der Schweiz die Aufnahme von Bestellungen durch Geschäftsreisende des
eigenen Landes oder fremder Nationen keinen Taxen unterworfen. Die Bundes-
beachlüsae von 1h59 und 1860 hatten diese Schranke der freien Ausübung von
Handel und Gewerbe vorbehaltlos beseitigt.
rnrrer, Volktwirthichaftt-Lexikon der Schweiz. 3
Hausirverkehr — 34 — Hausirverkehr
Als Frankreich in jenen Unterhandlungen eine einheitliche Patentgebühr von
zwanzig Franken für die Handelsreisenden eines jeden der beiden Länder vor-
schlug, konnte daher der Bundesrath auf diesen Vorschlag nicht wohl eintreten.
£r fand es vielmehr angemessen, von vornherein auf die Abschaffung solcher
Taxen im Sinne der erwähnten Bundesbeschlüsse hinzuwirken. Frankreich, das
schon mit Preußen des Gleichen übereingekommen war, bot gerne die Hand
hiezu, und so wurde im französisch-schweizerischen Handelsvertrage von 1864
der Grundsatz bedingungsloser Abgabenfreiheit der Handelsreisenden aufgenommen.
Es war damit dem Ausländer in der Schweiz nur gleiches Recht wie dem In-
länder gewährt und damit der Yortheil der Taxfreiheit der schweizerischen
Geschäftsreisenden in Frankreich erreicht.
Die gleiche Bestimmung fand 1868 folgerichtig Eingang in den Handeb-
verträgen mit Italien und Oesterreich, sowie dem Wortlaute nach 1869 im
Vertrage mit dem deutschen Handels- und Zollverein, So war mit unsern vier
großen Nachbarstaaten ein völlig gebührenfreier Verkehr der Geschäftsreisenden
vertraglich ausbedungen, während sich die von 1869 bis 1878 mit Spanien,
Rußland, Dänemark, den Niederlanden und Persien abgeschlossenen Nieder-
lassungs- oder Handelsverträge, sowie die heute noch gültigen Verträge mit den
Vereinigten Staaten von Nordamerika (1850) und mit Großbritannien und
Irland (1855) auf die Stipulation der Meistbegünstigung in Beeug auf Handel
und Industrie, also auch hinsichtlich der Gebühren von Geschäftsreisenden,
beschränkten.
In den Verträgen mit Portugal (1873) und mit Rumänien (1878) dagegen
wurde blos das Recht zur Aufiiahme von Bestellungen gegenseitig garantirt; die
1880 vereinbarte provisorische Handelskonvention mit Serbien läßt dieses Ver-
hältniß ganz unberührt.
So lagen die Dinge, als im Jahre 1878 der Bundesrath durch Beschluß
vom 8. Oktober und die Bundesversammlung durch ihre stillschweigende Ge-
nehmigung dieses Beschlusses die von verschiedenen Kantonen in Anspruch
genommene Zulässigkeit der Erhebung von Patenttaxen gegenüber denjenigen
Handelsreisenden, welche auch bei ^/cÄ^-Ge werbetreibenden Bestellungen suchen,
anerkannte und dadurch den Bundesbeschluß von 1859 in dieser Beziehung
faktisch außer Kraft setzte.
Diese internfe Beschränkung der Steuerfreiheit von Geschäftsreisenden legte
es dem Bundesrath nahe, in der Folge auch beim Abschluß von Handelsverträgen
der veränderten Anschauungsweise Rechnung zu tragen und ihr wo möglich
Geltung zu verschaffen.
Die Verhandlungen über einen neuen Vertrag mit Deutschland gaben die
erste Gelegenheit hiezu. Das schweizerische Begehren mußte insofern in Deutsch-
land günstige Aufnahme finden, als es mit der daselbst angestrebten schärferen
TJeherwachung des Hansirgewerbes zusammentraf. Die deutsche Regierung erklärte
sich bereit, im Protokoll über die Auswechslung der Ratifikationsurkunden zum
Handelsvertrag, am 29. Juni 1881, den ausdrücklichen Vorbehalt aufzunehmen,
daß die aus dem frühern in den neuen Vertrag herühergenommene Bestimmung
über Taxbefreinng der Geschäftsreisenden so verstanden werden solle, wie sie
bisher schon interpretirt worden sei, nämlich so, daß die im betreffenden Artikel
Btipulirte Taxfreiheit der Geschäftsreisenden nur auf das Aufsuchen von Waaren-
beetellungen bei Gewerbetreibenden Anwendung finde.
In den bald darauf mit Frankreich angeknüpften Unterhandlungen über
einen neuen Handelsvertrag wurde hingegen den gleichen Bemühungen der
Haus^irverkehr — 35 — Hausirverkehr
schweizerischen Unterhändler eino andere Auffassung entgegengestellt, gegen
welche nm so weniger aufzukommen war, als das schweizerische Begehren an-
gesichts der 18 Jahre früher von der Schuftig selbst beantragten gänzlichen Tax-
freiheit im eigentlichen Sinne als ein rückschriUliches erscheinen mußte. Frank-
reich, das von einheimischen Waarenreisenden keine Gebühren bezieht, wollte im
Hinblick auf die bedeutenden Interessen von Weinhändlem und ähnlichen Gewerbs-
leuten, welche ihren Absatz direkt bei den Konsumenten zu betreiben pflegen,
keine Erklärung eingehen, welche den Geschäftsreisenden die Aufisuchung von
Bestellungen bei Nicht-Gewerbetreibenden in den Kantonen nur gegen Erlegung
von Pateutgebühren gestattet hätte. Die französischen Kommissäre schreckten
vor dieser Eventualität um so mehr zurück, als es sich nicht um eine einmalige,
einheitliche Taxe, wie in andern Staaten, sondern um Abgaben handelte, welche
— an und für sich nicht unbedeutend — von Kanton zu Kanton sich wieder-
holen und in ihrer Gesammtheit eine Summe repräsentiren, die in vielen Fällen
außer allem Verhältniß zu dem aus den Bestellungen resultirenden Grewinne steht.
Von schweizerischer Seite konnten diese Erwägungen nicht zurückgewiesen werden ;
zu einem Nachgeben in diesem Punkte bestimmte überdies die schuldige Rücksicht
auf die zahlreichen schweizerischen Geschäftaleute, welche Frankreich bereisen
und für welche die von diesem Lande gewährte Taxfreiheit nicht minder von
Bedeutung ist. Es ist daher die frühere bedingungslose Taxfreiheit, die übrigens
auch im Verkehr mit Oesterreir.h laut Handelsvertrag von 1868 in Geltung war
und noch ist, in den neuen Vertrag mit Frankreich unverändert übergegangen.
AVas Frankreich aus den genannten Gründen zugestanden worden, konnte
Spanien im neuesten Vertrag von 1883 und Italien im Handelsvertrag vom
22. März 1883 nicht verweigert werden.
(So kommt es, daß di^ Handelsreisenden aus Belgien, Dänemark, Frankreich,
Großbritannien und Irland, Hawaii, Italien, den Niederlanden inkl. Kolonien, Oestef
reich'üngam, Persien, Eumänien, Bußland, Salvador, Spanien und den Ver. Staaten
von Nordamerika keine Patenttaxen zu zahlen haben, wenn sie mit oder ohne Muster
Bestellungen [selbst von Haus zu Haus] aufnehmen, ohne Waaren mit sich zu führen,)
Einige der bundesräthlichen Rekursalentscheide seit 1874, bezw. 1878,
hatten zur Folge, daß die Regierung des Kantons Freiburtf das Begehren stellte,
die Bundesbehörden möchten für aUe Kantone verbindliche und bestimmte Vor-
schriften über die zulässige Höhe der Besteuerung des Hausirhandels erlassen,
worauf die Bundesversammlung, namentlich auch in Anbetracht eines fast gleich-
zeitig von Advokat Dr. Ityf in Zürich im Namen von 53 Handelsfirmen und
Gewerbetreibenden verschiedener Kantone eingegebenen Petitums, daß auf Grund-
lage von Art. 31 der Bundesverfassung durch ein Bundesgesetz die Grenzen für
Erhebung der Hausirpatenttaxen festgestellt werden möchten, am 23. Juni 1882
beschloß, durch den Bundesrath untersuchen und berichten zu lassen,
ob nicht leitende Grundsätze zu formuliren und der Genehmigung der Bundes-
versammlung zu unterstellen seien, nach welchen die kantonalen Hausirpatent
gesetze geprüft und die Beschwerden wegen zu hoher Belastung mit Hausirtaxen
im Sinne des Art. 31, Schlußlemma, der Bundesverfassung entschieden werden
sollen.
Diesem Beschluß der Bundesversammlung war eine vom Ständerath sub
12. Juni 1882 erheblich erklärte Motion Cornae vorausgegangen, des Inhalts:
Der Bundesrath wird eingeladen, der Bundesversammlung Bericht und Antrag
zu erbringen, ob die schweizerischen Handelsreisenden in der Schweiz von Be-
zahlung von Gebühren, denen die ausländischen Handelsreisenden laut Handels-
verträgen nicht unterworfen werden können, nicht ebenfalls zu befreien seien.
Hausirverkehr — 36 — Heizungseinrichlungen
Noch ehe der Bnndesrath diesen Aufträgen der Bondesvcrsammlang nach-
kommen konnte, petitionirte auch der Verein schweieerischer Geschäftsreisender
in dem Sinne, daß die Kantonsregiemngen veranlaßt werden möchten, ihre durch
die Handelsverträge mit Art. 31 der Bundesverfassung in Widerspruch gerat henen
Verordnungen Uher die Besteuerung des Gewerbehetriebes entsprechend zu revidiren
und, bis dies geschehen, die Wirksamkeit jener Verordnungen zu sistiren.
Der bundesräthliche Bericht erschien am 9. November 1883. Er konstatirte,
daß klare und bestimmte leitende Prinzipien, auf denen eine sichere, allseitig
gerechte Praxis sich aufbauen ließe, fehlen und daß angesichts der vertraglichen
Beziehungen zu auswärtigen Staaten die Belastung schweieerischer Handelsreisenden
mit Patenttaxen ein unlogisches Verhält niß sei. Der Bundesrath zögere daher
auch nicht, die Befreiung der schweizerischen Handelsreisenden von Patenttaxen
zu beantragen.
In der That kam in der Bundesversammlung ein Beschluß zu Stande
(11. Dezember 1883), welcher lautete:
Die Handelsreisenden» welche für Rechnung eines inländischen Handelshauses
die Schweiz bereisen, können, ohne dafür eine Patenttaxe entrichten zu müssen,
auf den einfachen Ausweis ihrer Identität hin, mit oder ohne Muster Bestellungen
aufnehmen, sofern sie keine Waaren mit sich führen.
.*
Der durch die Verwerfung von vier eidgenössischen Vorlagen denkwtirdige
11. Mai 1884 brachte auch den durch obigen Bundesbeschluß angestrebten Fort-
schritt zu Falle. 189,550 BUrger stimmten gegen die Sache, 174,195 für dieselbe.
Seitdem herrscht einstweilen in Bezug auf die Hausir- und Patenttaxen der alte
Zustand; doch ruht die Angelegenheit keineswegs: Zwischen Vertretern von 12
Kantonsregierungen (Aargau, Baselstadt, Baselland, Freibnrg, Genf, Glarus, Neuen-
burg, Solothurn, Schaifhausen, St. G-allen, Waadt und Zürich) hat im Juli 1885
in Neuenburg eine von der Zürcher Regierung angeregte Konferenz stattgefunden,
zum Zwecke, die Gleichstellung der schweizerischen Handelsreisenden mit den
ausländischen hinsichtlich der Patenttaxen herbeizuführen. Die Konferenz faßte
den Beschluß, an den Bundesrath das Gesuch zu stellen, den am 11. Mai 1884
vom Volke verworfenen Bundesbeschluß neuerdings vor die Bundesversammlung
zu bringen. Der Bundesrath hielt indessen dieses Vorgehen für inopportun, so
lange nicht gewisse statistische Ermittlungen in den Kantonen gemacht seien.
Diese statistischen Ermittlungen sind zur Zeit (Mitte 1886) im Gange.
Hawaii-Inseln. Mit diesen steht die Schweiz in vertraglicher Beziehung
durch den Handels- und Niederlassungs vertrag vom 20. Juli 1864 (A. S, VIII,
pag. 497, frz. 464), sowie durch den Weltpostvertrag, dem die Havaii-Iu»eln
am 30. August 1881 beigetreten sind (A. S. n. F. VI, pag. 291, frz. 281).
Hebammen. Als H. bezeichneten sich anläßlich der eidg. Volkszählung
vom 1. Dezember 1880 2519 Personen.
Hebers Apfel (Rümlicher Chrüslicher), auch RUmechrUslicher und saurer
Chrüslicher genannt, Wirthschaftsobst ersten Ranges, ist als Koohobst sehr beliebt
und gesucht, um so mehr, da der Apfel seine Frische über ein Jahr lang behält.
Der Apfel ist im Kanton Baselland sehr verbreitet und fand von da auch seinen
Weg in den aargauischen Bezirk Rheinfei den. („ Schweizerische Obstsorten",
Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhorn in St. Gallen.)
Heilquellen s. Kurorte.
Heizungs- und Ventilationseinrichtungen werden in der Schweiz von
mindestens 30 Fabrikanten hergestellt. AIh Heizungseinrichtungs-Geschäfte sind
Heizungseinrichtungen — 37 — Herbstbutterbirae
dem Fabrikgeseie die Firmen Weibel Briquet & Co. in Crenf und H. Chevallier
in Genf unterstellt.
Hektographenfabrikation, Mit diesem Greschäftszweig befassen sich laut
Handelsregister die Firmen KrebH-Gygax in Schatfhausen, N. Obrecht in Basel,
F. Wohlgrath in Neuen bürg.
Uelianthin« 1881 entdeckter Theerfarbstoff, zuerst von L, Mannet dt Cie,
in La Plaine bei Genf fabrikmäßig dargestellt.
Ueliogravur« Neues Verfahren, welches bezweckt, auf chemischem und
mechanischem Wege, also mit Umgehung des Kupferstechers, Naturaufnahmen,
Gemälde oder Handzeichnungen für den Kupferpressendruck (vertieft) zu repro-
duziren. £& werden hierin in der Schweiz tretfliche Arbeiten geliefert.
Ueliosin. 1881 entdeckter Theerfarbstoff, zuerst von L, Monnet <£: Cie,
in La Plaine bei Genf fabrikmäßig dargestellt.
Hemden s. Lingerie. Als Hemdenfabriken sind dem Fabrikf/esetz die
Firmen Emil Meyer in Aarburg und BuÜ' & Sturzenegger in Trogen unter-
stellt.
Uemdenflaneli (Flanell-Cotun) ist ein Gewebe, welches zu den Artikeln
der Buntweberei gehört. Zumeist gestreift, aber auch carrirt, ist dasselbe auf
der Rückseite gerauht (gekrazt), was der Waare ein weiches, wollähnliches
Ansehen gibt. Das Garn ist einheimisches Gespinnst.
Hemloek-Leder. Sohlenleder, welches in Amerika mit dem Saft der
Bohierlingstanne (Hemlock) gegerbt wird. Das Hemlock-Gerben erfordert nur drei
Monate, während in der Schweiz und anderswo zum Sohllederger ben ein Jahr
erforderlich ist. Die Einfuhr der billigen Hemlocks ist bedeutend, obschon das
solide Schweizer Sohlleder sich für die gebirgige Schweiz besser eignet als jenes.
Sie werden deßhalb fast nur in den schweizerischen Schuhfabriken verwendet,
wogegen die Handwerksschuster fast ausschließlich inländisches Sohlleder oder
französisches und deutsches, wozu die rohen Häute aus der Schweiz bezogen
werden, verarbeiten.
Uendschikon-Brugg s. Aargauische SUdbahn.
Uerbstbirne, lange grüne, auch Glas-, späte Glas-, Herbstsaft-, grüne
Melonen-, Schmalz-, Mund-, grline Herbst-, Herbstwasser , grüne lange, Mundnetz-,
lange GrUnbirn, lange grüne Winterbirn, Schmeckerin, MuUebusch, Mouille-bouche
u. 8. w. genannt, ist eine vortreffliche Tafelfrucht. Diese Birne kommt in allen
Obstbau treibenden Gegenden der Schweiz vor; der Baum verlangt guten, warmen
Boden un4 einen vor dem Winde geschützten Standort, woselbst er in hohen
Lagen (2000 Fuß ü. M.) noch gut fortkommt. Der Baum trägt sehr bald, fast
alljährlich reichlich und gibt auf Quitten sehr schöne Pyramiden. („ Schweize-
rische Obstsorten**, Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhorn in St. Gallen.)
Uerbstbutterbirne, graue, auch rothe Butterbirne, Ankenbime, Isembart
genannt, ist eine Tafelfruclit ersten und eine WirthschaiWrucht vierten Ranges,
welche auch in der Schweiz vorkommt. Unter günstigen Verhältnissen ist der
Baum sehr firuchtbar. („Schweizerische Obstsorten**, Verlag der Lithogr. Anstalt
J. Tribelhorn in St. Gallen.)
Uerbstbutterbirne, weiße, auch Butter-, Dechants-, weiße oder gelbe
Butter-, Franz-, Schmalz-, Spalier-, Citronen-, Kaiser-, Weiß-, Pfalzgrafen-,
Herbsteitronen-, G^bhardts-, Schwertbirne, Bergamotte, Herbstbergamotte, Gold-
bergamotte etc. genannt, ist eine Tafelfrucbt «ersten Ranges und auch in der
Schweiz verbreitet. Der äußerst fruchtbare Baum trägt auf nur einigermaßen
günstigem Standort alljährlich und reichlich. Er errei(7ht ein hohes Alter.
Herbstbutterbime — 38 — Hinterrhein-Korrektion
( ttSchweiaseriBche Obstsorten*', Verlag der Litbogr. Anstalt J. Tribelhorn in
St, Gallen.)
Uerbstgfitler, eine Wirtbscbaftsbime ersten Banges, ist im Kanton Tburgau
ttberall verbreitet und daselbst scbon seit mehreren Jahrhunderten bekannt, stammt,
wie yermuthet wird, aus dem Bezirk Arbon, wo sie am häufigäten vorkommt.
Der Baum liebt einen kalkhaltigen, tiefgründigen, mittelfeuchten, schweren Lehm-
boden, gedeiht in Thälern wie in Grebirgen bis auf eine Höhe von 2000 Fuß ü. M.
Der Baum trägt alljährlich und oft sehr reichlich und erreicht ein Alter von
180 — 190 Jahren. („Schweizerische Obstsorten", Verlag der Lithogr. Anstalt
J. Tribelhorn in St. Gallen.)
Uerdebücher s. Viehzucht.
Uermannsbirne s. St. Germain-Birne.
Herzogenbuehsee-Lyss s. Centralbahn.
Herzogin von Angouleme ist der Name einer Tafelbirne zweiten Ranges,
die in der Schweiz noch nicht sehr lange bekannt und meist nur in Gärten 2^
finden ist. Dieselbe verlangt einen geschützten Standort und guten Boden.
(m Schweizerische Obstsorten**, Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhorn in
St. Gallen.)
Heu, grünes Futter, Stroh, Häckerling und Spreu. Einfuhr
1853: 66,854 q, 1863: 35,765 q, 1873; 195,540 q, 1872/81 durchschnittlich
199,344 q, 1883: 198,643 q, 1884: 192,608 q; 1885: 41,042 q ä Fr. 7
= Fr. 287,294 (22,013 q aus Deutschland, 7885 q aus Oesterreich, 7269 q
aus Frankreich, 3875 q aus Italien.
Ausfuhr 1853: 18,132 q, 1863: 36,432 q, 1873: 29,045 q, 1883:
33,420 q, 1884: 42,642 q; 1885: 35,093 q a Fr. 7.02 = Fr. 246,452
(25,428 q a Fr. 7. 12 nach Deutschland, 8754 q a Fr. 6. 86 nach Italien,
791 q ä Fr. 5. 70 nach Frankreich, 120 q ä Fr. 7. 94 nach Oesterreich.
Heimisch (Hiinsch). Sehr robuste und fruchtbare weiße Traubentiorte, die
früher allgemein verbreitet war, der schlechten Qualität des Weines wegen indessen
an den meisten Orten ausgerottet wurde und sich jetzt nur noch vereinzelt in
den Weinbergen findet. Kr.
Uinterrhein- Korrektion im Domleschg (^Kanton Graubünden). Die-
selbe umfaßt die etwas mehr als 6 km lange Strecke von der Mündung des
Summapraderbaches oberhalb dem Dorfe Katzis bis etwas unterhalb der Rothen-
brunnerbrücke. Die diesbezüglichen Arbeiten bestehen in der nothwendig ge-
wordenen Rekonstruktion der schon bestehenden Korrektions werke, • nebst der
Vervollständigung derselben auf den Strecken, die noch nicht ganz ausgeführt
waren. Das Korrektionssystem basirt auf der Anlage von nicht überström baren,
beiderseits an das höhere Terrain zurücklaufenden Quer dämmen, welche aus Kies
erstellt und am Flusse mit einem in der Korrektionslinie liegenden Kopfe aus
starker Steinkonstruktion abgeschlossen sind; femer von Parallelwuhren, welche
für die höhern Wassei*stände überströmbar sind, so daß dadurch die Kolmatirung
der Becken zwischen den Querdämmen ermöglicht wird, ebenfalls aus Stein be-
stehend. Als Fundamentsicherung dienen Vorlagen aus großen Steinen. An den
bestellenden Korrektionswerken wurde schon seit Langem gearbeitet, um den
Verheerungen des üinterrheins Einhalt zu thun, der namentlich seit den Hoch-
wasserkatastrophen von 1817 und 1834 die ganze Thalsohle beherrschte und
den Fuß der beidseitigen Hänge und Hochufer unterspülte, den Grundbesitz der
Bewohner der anliegenden Ortschaften Thusis, Sils, Katzis, Fürstenau, Koteis,
Paspels, Healta, Tomils und Bothenbrunnen nicht nur in der Ebene, sondern auch
Hinterrhein-Eorrektioti — 39 — Hochofenschlaiken
in höheren Lagen mit sich fortriß, ja diese Ortschaften selbst zn gefährden drohte,
sowie die Splägen-Bernhardinerstraße, welche trotz ihrer erhöhten Lage bei Realta
nur mit großer Mühe unversehrt erhalten werden konnte. Die Korrektionsarbeiten
waren so weit gediehen, daß der Fluß sich innert den Eorrektionslinien befand,
soweit diese mehr oder weniger zusammenhängend bestanden, und die Ausbildung
des Flußbettes war so weit fortgeschritten, daß Fundamentsicherungen uoth wendig
wurden. Besagte Arbeiten erlitten durch die bekannte Hochwasserkatastrophe
vom Jahre 1868 nicht sehr schwere momentane Beschädigungen, aber desto ver-
derblicher wurde sie denselben durch ihre Nachwirkungen. Die Nolla, welche
bei Thusis in den Uinterrhein fließt, übt nämlich auf das Verhalten dieses Flusses
eine eigenthümliche Wirkung aus. Ununterbrochen iührt sie demselben Geschiebe
SU und zwar bei starken Ausbrüchen in solcher Menge, daß der Hinterrhein
sogar momentan aufgehalten und hoch aufgestaut wird. Dies war auch beim
vorgenannten Hochwasser der Fall und es blieben damals sehr große Geschiebs-
massen sowohl im Rheinbett zunächst unterhalb der Nollamündung, als in der
NoUaschlucht selbst liegen, die nach und nach abgeschwemmt wurden, aber den
Rhein im untern Theile des Thaies belästigten. Durch die bei diesem Hochwasser
bewirkten Veränderungen im NoUathale erfolgten diese stärkern Ausbrüche häufiger
und die Entleerungen großer Geschiebsmassen in den Rhein dauerten oft längere
Zeit ohne Unterbrechung fort; sie vermochten denselben bis auf 14 m zu stauen.
In der unterhalb der Korrektion liegenden Flußstrecke verringerte sich das Gefall
in Folge der fehlenden Einschränkungen und es erfolgten Geschiebsanhäufungen
und Stauungen, welche sich immer weiter flußaufwärts fortsetzten, so daß in
der Gegend von Realta nicht nur eine Erhöhung des Flußbettes, sondern auch
der ganzen Thaisohle, von 3 m stattfand und die vormals ausgeführten Korrektions-
werke zugedeckt wurden.
An die Kosten für den vollständigen Ausbau der Korrektion, wofür eine
Bauzeit von 12 Jahren vom Jahre 1883 an vorgesehen ist, wurde im April 1883
eine Bundessubvention im Maximalbetrage von Fr. 436,000 zugesichert (40 ^/o
der auf Fr. T 090,000 berechneten Kosten) unter dei Bedingung, daß der Kanton
Grraubünden sofort die erforderlichen Maßnahmen behufs Ausführung von Ver-
bauungsarbeiten an der Nolla zu treffen habe. Br.
Uobelmaschinen eigener Konstruktion fabrizirt u. A. die Werkzeug-
Maschinenfabrik in Oerlikon bei Zürich.
Uoehglanzmaschme s. Calander.
Hochöfen mit Gießerei haben die Gesellschaft der L. von RolFschen Eisen-
werke in Choindez (Jura) und die Soci6t6 des üsines de Vallorbes et des Rondez
in Las Rondez (Jura) in Betrieb. In diesen beiden Etablissementen waren zur
Zeit der Unterstellung unter das Fabrikgesetz 335 Arbeiter beschäftigt.
Uochofenschlacken. (Mitgetheilt von Herrn Professor Tetmajer.) Der
fianptsache nach sind Hochofenschlacken Kalk-Thonerde, Silikate, die als Neben-
produkte bei Reduktion des Eisens aus eisenhaltigen Erzen gewonnen werden.
Nach Beschaffenheit der Erze, des Zuschlags TFlußmittel), des Brennstoffs, der
Schmelztemperatur u. a. m varirt die chemische Zusammensetzung und mit ihr
die physikalisch-chemische Beschaffenheit der Schlacke. Man unterscheidet saure,
neutrale und basische Hochofenschlacken. Erstere enthalten auf ein Aequivalent
der Säure weniger, letztere mehr als ein Aequivalent Basen. Jede basische Hoch-
ofeni>chlacke besitzt eine bestimmte Kalkgrenze, innerhalb welcher nach erfolgter
Abkühlung die Schlacke den angenommenen festen Aggregat-Zustand dauernd
beibehält. Ueberschreitet der Kalkgehalt der Schlacke besagte Grenze, so erfolgt
Hochofenschlacken 40 HolläDdiseh Indien
nach kurzer oder längerer Lnftlagening, wahrscheinlich in Folge Moleknlar-
spannungen, ein Zerfallen des Materials in ein hell weißlich graues, oft grtSn-
liches, stets scharf kömiges Mehl.
Bis auf die neueste Zeit spielte die Hochofenschlacke lediglich nur die Bolle
eines werthlosen, meist lästigen Ballastes. Erst vor wenisjen Jahren ist es ge-
lungen, einzelne Varietäten der Hochofenschlacken ökonomisch zu verwerthen und
damit die Gewinnungskosten des Roheisens zu reduziren.
Die sauren, glasartigen Hochofenschlacken verwendet man zur Herstellung
gegossener Mauersteine für Hochhau und Pflasterzwecke. Zerkleinert dienen sie
als Chaussirungsmaterial. Wird die flüssige Schlacke in einen Strom kalten
Wassers abgeschreckt, so liefert sie den granulirten Schlackensand, ein zur Mörtel-
bereitung geschätztes Material. Durch Auftreiben der Schlacke in Wasserdampf
erzeugt man die sog. Schlackenwolle, welche als schlechter Wärmeleiter mannig-
fache Verwendung besitzt.
Der granulirte Sand thonreicher, basischer Hochofenschlacken besitzt die
Eigenschaft, mit Aetzkalk hydraulisch zu erhärten. Wird der granulirte Sand
solcher Schlacken mit Kalkbrei oder trocken gelöschtem Aetzkalk angemacht und
in Formen gestampft, so liefert er vorzügliche, für Luft- und Wasserbauten
gleich gut geeignete Mauersteine (Dachsteine, Belagsplatten, ordinäre Mauer-
steine etc.). Die granulirte und entwässerte Schlacke (der Schlackensand), staubfein
gemahlen, in bestimmten Verhältnirisen mit trocken gelöschtem Aetzkalk gemischt,
liefert ein hydraulisches Bindemittel, den sog. Schlackencement oder Schlacken-
Puzzolane, welches je nach Beschaffenheit der Schlacke schon nach siebentägiger
Erhärtnngsdauer eine ansehnliche Sandfestigkeit, Adhäsion, und Wasser-Ündurch-
lässigkeit besitzt und welches wegen seiner absoluten Zuverlässigkeit, Frost- und
Wetterbeständigkeit mit Recht in die Kategorie der vorzüglichsten Mörtelbildner
zählt.
In der Schweiz werden sowohl Schlackenwolle, Schlackensteine, Dach- und
Belagsplatten, als auch der vorerwähnte Schlackencement fabrikmäßig erzeugt.
Die bei Verhüttung der jurassischen Bohnerze in Choindez bei Delsberg gewonnene
Hochofenschlacke zeigt folgende Znsammensetzung:
SiOä AI2O3 FeO MnO CaO Mg 0 S O3 S H2 0
20,9770 22,1270 1,3370 Sp. 47,5070 0,4270 0,08 7o 0,Gl7o 0,2970
100 Gewichtstheile dieses Schlackenmehls mit 40,0 Gewichtstheilen staub-
förmigen Kalkhydrats gemischt und homisgenisirt lieferte einen Cement mit 28
bis 35 kg Zug- und 200 bis 250 kg normengemäßer Druckfestigkeit, nach
28tägiger Wasserlageruiig. Somit gibt dieses Material Mörtelfestigkeiten, die
man bisher nur bei ausgesuchten Portlandcementen beobachtet hatte. Dabei ist
die Mörtelausgiebigkeit um ca. 15 7« größer, der Preis des Materials um ca.
45 7" kleiner, als derjenige des Portlandcementes.
Bei normalem Ofengang liefert das v. Roirsche Eisenwerk Choindez pro
Tag ca. 2 bis 27« Wagenladungen, also beiläufig 25,000 kg fertigen Schlacken-
cement. Die Schlackensteinfabrikation wurde in Choindez im Herbste 1878, die
Cementfabrikatioii im Herbste 1880 eingerichtet. Bisher wurden ca. 6 Millionen
Mauer- und ca. 150,000 Stück Dachsteine erzeugt.
UollUiiderkäse (Limburger) wird in vielen kleineren Käsereien der Schweis
bereitet.
Holländisch Indien, Nach der schweizerischen Waarenverkehrsstatistik
pro 1885 exportirte die Schweiz in diesem Jahre im Spezialhandel nach Hol-
Holländisch Indien — 41 — Holland
ländisch Indien Waaren im Werthe von Fr. 4'797,957 (0,7 7o der Totalausfuhr
im Spezialhandel), und importirte fdr Fr. 226,047 (0,03 ^o).
Die wichtigsten Ausfuhrobjekie waren: Baumwollene Artikel Fr. 4^275,852
(Gewebe Fr. 3*690,939 [7 %], Game Fr. 474,815, Stickereien Fr. 102,098),
Seidengewebe und -Bänder Fr. 416,708, I^eder Fr. 22,610, Maschinen Fr. 14,146,
Steinkohlentheerfarben Fr. 12,100, Musikdosen und SpielwerUe Fr. 12,000,
Wollengewebe Fr. 7400, kondensirte Milch Fr. 6204, Leibwäsche Fr. 4200.
Die wichtigsten Ein fuhr Objekte waren: Rohe Baumwolle Fr. 160,200, roher
Kaffee Fr. 15,555, Farbhölzer, Farbrinden etc. Fr. 11,680, Catechu Fr. 9675,
Tabakblätter etc. Fr. 9130.
Betreffend Verträge s. „Indien**.
UoUund. Nach der schweizerischen Waarenverkehrsstatistik pro 1885
exportirte die Schweiz in diesem Jahre im Spezialhandel nach Holland Waaren
im Werthe von Fr. 5'879,955 (0,9 % der Gesammtausfahr im Spezialhandel)
und importirte für Fr. 9'286,012 (1,2 7o).
Die wichtigsten Objekte der Ausfuhr waren : Baumwollene Artikel Fr.
1^782,748 (Gewebe Fr. 980,698, Stickereien Fr. 510,034, Game Fr. 269,978),
Uhren und Uhrentheile Fr. 1'503,887 (inklusive Musikdosen und Spielwerke
Fr. 35,540), Seide und seidene Artikel Fr. 939,839 (Game Fr. 349,367,
Gewebe Fr 329,559, Floretseide Fr. 153,544, Bänder Fr. 105,384), konden-
sirte Milch Fr. 683,524, Maschinen und Maschinentheile Fr. 302,347, Wolle,
Kunstwolle, Wollabfälle Fr. 149,257, Käse Fr. 78,667, Chocolade etc. Fr. 50,522,
ötrohgeflechte Fr. 29,013, Konfektions- und Modewaaren Fr. 27,572, Holz waaren
Fr. 25,325, Seilerarbeiten Fr. 19,005, Gold- und Silberschmiedwaaren, Bijouterie
Fr. 16,540, Farbwaaren Fr. 16,463, Cigarren und Cigarretten Fr. 16,137,
Eisenwaaren Fr. 14,601, Chemikalien für den gewerblichen Gebrauch Fr. 11,664,
wollene Strumptwaaren Fr. 10,455.
Die wichtigsten Objekte der Einfuhr waren : Roher Kaffee Fr. 2*701,342,
unverarbeiteter Tabak Fr. 419,670, Leinöl Fr. 379,020, rohe Baumwolle
Fr. 326,550, Chemikalien für den gewerblichen Gebrauch Fr. 256,680 (Amlung,
Dextrin Fr. 61,968, Stearin Fr. 45,630, Anilin Fr. 38,150), Leder Fr. 194,905,
Weizen Yt. 178,206, Zion Fr. 157,780, Cigarren und Cigarretten Fr. 138,600,
Fische Fr. 133,742, Wollengewebe Fr. 128,800, Farbstoffe und Farbwaaren
Fr. 106,02(), Eisen und Eisenwaaren Fr. 97,719, Baumwollgarne Fr. 95,750,
Pferde Fr. 87,500, Petroleum etc. Fr. 77,638, Gewürze Fr. 60,375, Schweine-
schmalz Fr. 50,265, Kammgame Fr. 49,450, Maschinen und Maschinentheile
Fr. 47,065, lebende Pflanzen Fr. 37,600, Rauch-, Schnupf- und Kautabak
Fr. 36,300, Sämereien Fr. 30,910, Mais Fr. 26,215, Cacaobohnen Fr. 25,420,
Apotheker- und Drogueriewaaren Fr. 23,305, Leinen- und Hanfgewebe Fr. 22,800,
Wollenteppiche Fr. 22,800, Uhren und Uhrentheile Fr. 20,360, Blumenzwiebebi
Fr. 19,800, Flachs und Hanf Fr. 19,465, Holz und Holzwauren Fr. 16,175,
Kupfer Fr. 15,660, Liqueurs Fr. 14,300, Thee Fr. 11,500, Chocolade etc.
Fr. 11,000.
Verträge:
Zwischen der Schweiz und den Niederlanden bestehen Verträge in Kraft
betreffend :
Die Ai^lieferuHf/ von Verbrechern, d. d. 21. Dez. 1853 (A. S. IV, pag. 98,
frz. 108).
Militärdienstbefreiting der gegenseitigen Angehörigen, d. d. 4./30. Aug.
1862 (A. S. VU, pag. 342, frz. 337).
BoHand _ 42 — Holz
Verwundete im Kriege (Genfer Konvention), d. d< 22. Aug. 1864 (A. S.
Vm, pag. 520, frz. 480).
Sprenggeschosse (Nichtanwendung solcher im Kriege), d. d. 29. Nov./ll. Dez.
1868 (A. S. IX, pag. 597, frz. 543).
Handel und Niederlassung, d. d. 19. Aug. 1875 (A. S. n. F. III, pag. 52 2,
frz. 495).
Posl. 1) Weltpostvertrag vom 1. Jani 1878 (A. S. n. F. III, pag. 673,
frz. 636); 2) Geldanweisungsvertrag vom 15./18. Juli 1879 (A. S. n. F. IV,
pag. 276, frz. 242).
Fabrikmarkenschutz, d. d. 27. Mai 1881 (A. S. n. F. 5, pag. 398, frz. 367).
Schutz des gewerblichen EUfenthums , internationale Konvention, d. d.
20. März 1883 (A. S. n. F. VII, pag. 517, frz. 469).
Phylloxera, internationale Uehereinkunft, Beitritt der Niederlande sub
8. Dez. 1883 (A. S. n. F. VIII, pag. 341).
Holz und Holzwaaren. Im Artikel „Forstwirthschaft*" (S. 651) ist
der jährliche Holzertrag der schweizerischen Waldungen auf rund 2' 789,000
Kubikmeter veranschlagt worden. Nimmt man dazu den Holzertrag der Obst-,
Allee-, Park- und einzeln stehenden Waldbäume, der Weinberge, der Hecken
und des als Brennmaterial verwendbaren alten Bau- und Zaunholzes, welchen
Ertrag Herr Professor Landolt auf rund 200,000 Kubikmeter schätzt, so ergibt
sich ein jährlicher Gesammtholzertrag von rund 3 Millionen Kubikmeter. Diesem
Ertrag steht ein noch erheblich größerer Verbrauch gegenüber. Es ist wieder-
um Professor Landolt, welcher berechnet, daß allein in den 607,725 Haus-
haltungen, welche Ende 1880 in der Schweiz bestanden, jährlich 3^646,350
Kubikmeter Holz (6 Kubikmeter per Haushaltung) in Asche verwandelt werden.
Dazu kommt sodann noch der Holzverbrauch zur Feuerung in den Fabriken, in
den Werkstätten, in den öffentlichen Gebäuden, sowie der Holzbedarf in der
Holzwaaren-Industrie. Es besteht also ein großer Unterschied zwischen Ertrag
und Verbrauch, ja der Ausfall an Holzertrag wird nicht einmal durch die ein-
heimische Produktion von fossilen Brennstoffen (Torf, Kohlen, Anthracit) gedeckt,
80 daß noch Raum für eine bedeutende Holzeinfuhr übrig bleibt (s. unten).
In Folge der großen Verwendungsfähigkeit ist das Holz selbstverständlich
der Gegenstand eines regen Handels. Im Handelsregister waren Ende 1884
658 Holzhandlungen eingetragen, und Birkhäuser's Adreßbuch (Basel, 1885)
verzeichnet deren ca. 1900. Der auswärtige Handel arbeitet, wie sich aus
der unten folgenden Ein- uud Ausfuhrstatistik ergibt, hauptsächlich mit den vier
Nachbarstaaten.
Betreffend die in der Schweiz wachsenden Holzarten s. S. 653/655.
Einfuhr und Ausfuhr von Holz im Jahre 1885 (Spezialhandel).
a, Einfuhr
UU8 Deutschi. OeNterreich Frankroicli Italien Rest Total
Gemeines Bau- u. Nutzholz q 427,409 130,214 41,027 5,795 357 604,802
Fr. 2*601,629 918,575 207,848 35,664 2,520 3'826,236
Brennholz q 877,040 38,757 26,189 23.764 — 965,750
Fr. 2*192,600 96,892 05,472 59,410 — 2*414,375
Ebenistenholz . . . . q 1,024 84 1,041 21 2,201 4,431
Fr. 56,930 4,595 70,435 1,370 94,420 227,750
üebrige Holzarten . . . q 120,766 4,107 74,773 4,064 3,059 206,769
Fr. 573,543 25,010 970,043 09,337 119,936 1'763^69
Total q 1*426,239 173,162 143,030 33,644 5,677 1*781,752
, Fr. o 424,702 1*045,072 1*379,798 165,781 216,876 8*232,230
Holz
6.
43 -
Ausfuhr
■
Holzdestillation
nach
DeuUcbl. Oesterreich
PrAokrelch
Italien
ReRt Total
Gemeines Bau- u. Nutzholz
q
140,245
1,106
875,794
92,244
830 r 110,219
Fr.
728,881
7,087 -
4706,554
515,092
10,272 5'967,886
Brennholz
q
20,115
400
72,485
177,584
270,584
Fr.
31,345
539
124,943
369,908
526,735
Ebenistenholz . . . .
q
89
1
13
31
34 168
Fr.
5,830
67
2,306
698
2,180 11,081
Uehrige Holzarten . . .
q
6,940
1,082
2,497
36.646
13,701 60,866
Fr.
q
76,031
10,513
34,466
280,086
199,228 600,324
Total
167,389
2,589
950,789
306,505
14,565 r441,837
»
Fr.
842,087
18,206 4'868,269 ri65,784 201,680 7'106,026
Einfuhr und Ausf
uhr
von Holzwaaren
im Jah
re 1885
(Spezialhaiidel).
a.
Einfuhr
HUB
DeutHchl. Oesterrelch
Frniikreich
Italien
Keflt Total
MGbel und -Theile . .
q
3,095
673
1,679
617
135 6,199
Fr.
757,150
155,780
364,550
153,020
33,690 r464,190
Korbflechterwaaren . .
q
2,460
371
712
123
9 3,675
Fr.
350,940
45,670
108,260
15,240
4,500 524,610
Bfirstenbinderwaaren . .
q
812
9
102
22
9 954
Fr.
434,500
6,300
66,300
11,300
6,300 524,700
Andere Holzwaaren . .
q
11,140
1,168
2,954
1,032
302 16,596
Fr.
858,512
81,539
219,545
75,222
19,657 r 254 ,475
Total
q 17.507
. 2,221
5,447
1,794 455 27,424
1»
Fr. 2*401,102
289,289
Ausfuhr
758,655
254,782 64,147 3767,975
nach Deatschl. Ooiit«rr<<ich
Franli reich
Italien Rc'st Tutul
Möbel und -Theile . . .
q 723
206
1,139
1.255 333 3,656
Fr. 216,005
49,226
356,857
180,703 147,686 950,477
Korbflechterwaaren . .
q 67
8
28
11 1 115
Fr. 8,121
1,062
19,184
3,264 1,408 33,039
Bürstenblnderwaaren . .
q 27
6
14
45 50 142
Fr. 15,744
2.166
6,278
24,891 26,540 75,619
Andere Holzwaaren . .
q 2,929
361
9,276
3,790 643 16,999
Fr. 346,378
95,978
516,641
184,711 279,752 1*423,460
Total q 3,746 581 10,457 5,101 1,027 20,912
. Fr. 586,248 148,432 898,960 393,569 455,386 2*482,595
Betreifend Holzwaarenindustrie s. Holzschnitzierei, Holzstoff, Möbel,
Parqueteriefabrikati on, Sägerei .
Holzcement ist ein durch Kochen von Steinkohlentheer mit Theerpech
(bisweilen auch mit Holzthet^rpech) und Schwefel dargest^jlltes Produkt, welches
WUT Herstellung von flachen, feuersicheren Dächern vielfache Verwendung findet.
Dasselbe wurde früher ausschließlich aus Deutschland eingeführt, wird aber jetzt
auch im Inlande fabrizirt. Jfolzcementdächer haben sich seit dem Brande von
Layin hauptsächlich in Graubünden eingebürgert. Fabrikanten von Holzcement
und -Bedachungen sind nach dem Handelsregister Heinrich Brand li in Horgen,
Frölicher & Glutz in Solothnrn, A. Giesker in Zürich, G. Heß in Wald, Kt.
Zürich, Otto Lehmann-Huber in Zürich, J. Traber in Chur.
Holzdestillation. Es sollen 4 Geschäfte dieser Art in der Schweiz bestehen
(G. Heß in Wald, Kt. Zürich, Schneiter-Billeter in Feuerthalen, J. Ed. Dändliker
in Seegubel bei Kapperswyl, Marty & Co. in Ennenda, Kt. Glarus). Die Holz-
destillation bezweckt die Gewinnung von Holzessig und Holzkohle als Haupt-
prodnkte, nebst einer Reihe von Nebenprodukten, z. B. Holzesfiigsäure, Holzgeist,
Holzdestillation — 44 — Holzsohnitzlerei
holzessigsaurer Kalk, destillirter Holzesdg, Borsäare, Gerbsäure, holzessigsaares
Eisen, Eisenbeize. Die Schweizer Waare ist meist von guter Qualität und ent-
spricht allen Anforderungen der Färber und Drucker. Die Destillation des Holzes
geschieht in der Schweiz theils in liegenden Eetorten von Schmied- oder Guß-
eisen, theils in stehenden Kesseln, welche nach jeder Operation mittelst eines
Krahnes zur Abkühlung herausgehoben werden, während ein neuer vorher mit
Holz beschickter Kessel eingesetzt wird. Das verwendete Holz ist großentheils
Buchenholz aus dem Schwarz wald.
Holzessig wird an mehreren Orten in der Schweiz durch trockene Destillation
von Holz (namentlich Buchenholz) in eisernen Retorten erzeugt, wobei Holz-
kohlen und Holztheer als Nebenprodukte entstehen. Verwendet wird er wesentlich
zur Darstellung von reiner Holzessigsäure und einer Lösung von holzessigsaurem
Eisen, welche in der Seidenschwarzfärberei und im Kattundruck in großen Mengen
gebraucht wird. Der rohe Holzessig ist durch theerige Substanzen sehr stark
gefärbt und besitzt einen entsprechenden Geruch, kann aber durch Kaffinirung
in ganz reine Essisgäure (s. d.) umgewandelt werden, welche für alle Zwecke
brauchbar ist. Die Schweiz produzirt lange nicht ihren ganzen Bedarf an den
angeführten Artikeln; der Rest kommt namentlich aus Deutschland.
Dem Fabrikgesetz ist als Holzessiggeschäft das Etablissement der Firma
E. Wegmann in Uttweil (Thurgau) unterstellt.
Uolzessigsäure, rohe. Einfuhr im Jahre 1885: 6075 q k Fr. 12;
davon 4725 q aus Deutschland, 1350 q aus Frankreich.
Ausfuhr 1885: 69 q a Fr. 19. 70; davon 61 q nach Deutschland, Rest
nach Oester reich.
Holzessigsaurer Kalk wird aus roher Holzessigsäure dargestellt und zur
Herstellung von reiner Essigsäure verwendet. Er bildet zuweilen einen Gegen-
stand des Zwischenhandels und wird auch ziemlich stark in die Schweiz eingeführt.
Holzgeist wird in den größeren Holzessigfabriken als Nebenprodukt bei
der Darstellung der reinen Essigsäure gewonnen und in immer größerer Menge
bei der Fabrikation von Farbstoffen verwendet. Die Schweiz produzirt nur einen
kleinen Theil des hier verwendeten Holzgeistes. Der käufliche Holzgeist ist ein
mehr oder weniger verdünnter und verunreinigter Methylalkohol.
Holzimprägniruiig, Mehr oder weniger vollkommene Einrichtungen für
die Imprägnirung mit Zinkchlorid unter hohem Druck bestehen in Zürich, Dels-
berg und Burgdorf, fast ausschließlich für Eisenbahnzwecke. (Die Schwellen der
Gotthardbahn sind sämmtlich mit Zinkchlorid oder Quecksilbersublimat imprägnirt.)
Kleinere Einrichtungen für Knpfervitriol-Impräguirung nach Boucherie\ Verfahren
bestehen an mehreren Orten, u. a. im Sihlwald bei Zürich. Sie werden nicht
selten mit Vortheil an den Schlagorten in den Wäldern vorübergehend errichtet
und empfehlen sich besonders beim Buchenholz, da sich dieses am leichtesten in
frischem Zustand imprägniren läßt.
Holzkohlen. Einfuhr im Jahre 1885: 56,010 q a Fr. 9; davon 27,989 q
aus Deutschland, 23,841 q aus Frankreich, 3395 q aus Italien.
Ausfuhr 1885: 31,379 q a Fr. 7. 57; davon 30,918 q nach Italien.
Holzschnitzlerei. Mit diesem schönen Industriezweig befaßten sich im
Jahre 1880 laut eidg. Volkszählungsstatistik 1307 Personen, und zwar 1236
allein im Kanton Bern. Hauptsitze der Industrie sind die Bezirke Interlaken,
Brienz und Mey ringen. Der Werth der Jahresproduktion wird auf zwei bis drei
Millionen Franken geschätzt. Der Absatz bewerkstelligt sich zu etwa Y» im
Inlande (meist an Touristen), zn '^Iz im Auslande.
Holzschnitzlerei — 45 — Holzschnitzlerei
Ihren Ursprnni;^ hatte die Holzächnitzindastrie in der natürlichen Geschick-
lichkeit eines unternehmenden Mannes von Brienz, Christian Fischer, der Heil-
ktinstler, Instrumentenmacher, Musiker etc. war und im Jahre 1825 auch anfing,
ganz aus sich seihst kleine Gegenstände, wie Körbchen, Besteckringe, Teller,
Eierbecher u. dgl. mit Blattyerzierungen etc., zu schnitzen und dieselben an
durchreisende Fremde als Andenken zu verkaufen. Die guten Geschäfte, welche
er hiebei machte, führten ihm mehrere Lehrlinge aus Brienz in die Werkstätte.
Von diesen übertrafen bald etliche den in seinen Beschäftigungen unbeständigen
Meister. Das Gelingen der Fischer'schen Unternehmung ermuthigte auch Fene
in Lauterbrunnen und Peier Baumann in Grindelwald zur Schnitzlerei. Sie be-
gannen mit der Fabrikation der bekannten kleinen Schweizerhäuschen. Baumann
und seine drei Söhne ließen sich später in Meiringen nieder, wo Andreas durch
seine meisterhafte Nachahmung von Blumen und überhaupt durch den Versuch,
statt der bisherigen flachen Darstellung das erhabene, vollständig modellirte
Ornament auszuführen, ein neues Feld eröffnete, das bald nachher durch Hwjgler
mit Thiergruppen, Jagdstücken und Figuren, wie Gemsjäger etc., erweitert wurde.
Die Arbeiten dieser ersten Meister sollen nach kompetentem Urtheil jetzt noch
ihres Gleichen suchen; sie dienten lange Zeit den Schnitzlern als Vorbild. Die
Industrie verbreitete und vervollkommnete sich allmälig, namentlich auch hin-
sichtlich der künstlerischen Auffassung und Durchführung der größeren Arbeiten.
Die Berner Regierung sandte in den 30er Jahren den Bildhauer Christen nach
Brienz, damit er dort Unterricht im Zeichnen und Modelliren ertheile. Noch
kräftigere Förderung erhielt der neue schöne Industriezweig Ende der 40er Jahre,
als von auswärts kommende, technisch und kommerziell gebildete und erfahrene
Persönlichkeiten (u. A. ein Herr Wirth aus dem Elsaß) eingriffen. Die künst-
lerisch bedeutend vervollkommneten Produkte fanden steigende Anerkennung.
Mit den Eisenbahnen erweiterte sich auch der Fremdenstrom; zugleich begann
der Export, so daß schließlich mehrere tausend Personen von der Schnitzlerei zu
leben vermochten.
Die Abnahme des Fremdenverkehrs in den 70er Jahren und eine gewisse
Stagnation der Formen der Schnitzlereiprodukte bewirkten eine Krisis und be-
trächtliche Abnahme der Schnitzlerzahl, nach allgemeinem Urtheil zum Segen
des Industriezweiges, denn es waren vorwiegend die talentlosen Kräfte, die ab-
fielen ; es bildete sich überall die Ueberzeugung, daß ein ernsteres künstlerisches
Streben und Fortschreiten Platz greifen und mehr Neues zu Tage gefördei*t
werden müsse. Auch wurde im Jahre 1881 in Brienz das auf dem Prinzipe der
Kooperation beruhende „Oberländer Holzschnitzerei-Institut*" auf Aktien gegründet,
zur Ermöglichnng einer gleichmäßig fortdauernden Produktion der Arbeiter und
Künstler. Die Produkte werden in einer Verkaufshalle aufgestapelt und es können
dafür Vorschüsse erhoben werden. Eben dieses Institut wirkt seit einiger Zeit
auch für die Aufnahme der Kunstmöbelfabrikation und die Hebung der ange-
wandten Holzschnitzlerei überhaupt, die in vergangenen Jahrhunderten in der
Schweiz wie anderswo von geschickten Meistern gehandhabt wurde, wie heute
noch manches bewunderte Stück jener Zeit beweist. Aehnliche Bestrebungen zur
künstlerischen Hebung der Möbelschnitzlerei und Fabrikation feiner Möbel über-
haupt, für welche das Land so treffliches Eohmaterial in mannigfaltigster Auswahl
bietet, werden auch in andern Kautonen gemacht, wobei die Kunstgewerbemuseen
wesentliche Unterstützung gewähren. Als großes Hinderuiß wird aber hiebei der
Mangel eines schweizerischen Muster- und Model Ischutzgesetzes empfunden. (Vgl.
Bericht über die Industrieausstellung in Bern im Jahre 1S57; Bolley, Bericht
Holzschnitzlerei — 46 — Honig
über die Pariser AusstelluTig von 1867; Salvisbergy Die Holzschnitzerei des
Berner Oberlandes ; Baumgariner, Einleitung zum Katalog der Landesausstellung
in Zürich, 1883; Davinet, Bericht über Gruppe 10 dieser Ausstellung.)
Die Ausfuhr von Holzschnitzereien betrug im Jahre 1883: 1342 q, 1884:
1181 q, pro 1885 sind die H. in der Waaren Verkehrsstatistik nicht mehr be-
sonders aufgeführt.
Die Kinfuhr betrug im Jahre 1883: 272 q, 1884: 331 q.
Im Handelsregister waren Ende 1884 46 Holzschnitzereigeschäfte ein-
getragen, wovon 32 als Fabrikationsgeschäfte (21 Kt. Bern, 11 Kt. Luzem).
Dem Fabrikgesetz sind 2 Firmen unterstellt.
Holzstoff, Es bestehen ca. 10 inläudische Holzstofffabriken, welche weit
mehr produziren, als die inländischen Papierfabriken bedürfen. Es findet daher
ein bedeutender Export, namentlich nach Frankreich, statt. Die erste Holzschleif-
maschine in der Schweiz wurde im Jahre 1853 in der Nähe von Kriens, in
der jetzt eingegangenen Büttenpapierfabrik Horw, gebaut und in Isleten (Uri)
aufgestellt. Im gleichen Jahre wurde eine zweite für die Papierfabrik Worblaufen,
eine dritte für die Herren Turneisen in Basel, eine vierte für die Papierfabrik
Wülflingen gebaut. Die fünfte Maschine lieferte Papiermaschinenfabrikant Voelters
in Heidenheim im Jahre 1854 der Papierfabrik an der Sihl (Zürich). Diese
Maschinen, einfach und primitiv gebaut, waren noch quantitativ und qualitativ
von geringer Leistungsfähigkeit.
Die eigentliche Entwicklung der Holzstofffabnkation mit neuen, vervoll-
kommneten Maschinen fällt in die zweite Hälfte der 60er Jahre und in die ersten
70er Jahre.
Den hervoiTagendsten Antheil an der Vervollkommnung und Lieferung der
Schleifmaschinen und sonstigen Einrichtungen, auch für das Ausland, hat das
Haus Theodor Bell dt Co. in Kriens (Luzern), das bis jetzt über 100 Schleif-
maschinen geliefert hat. (Vergl. Wnhrmanji im Bericht über Gruppe 22 der
Landesausstellung in Zürich, 1883.J
Dem Fabrikgesetz sind (Ende 1885) 8 Etabl. mit 256 Arb. und 1500
Pferdekräften unterstellt.
Die Ausfuhr von Holzfaserstoff zur Papierfabrikation betrug im Jahre
1883: 55,548 q, 1884: 72,733 q, 1885: 112,538 q zum deklarirten Werthe
von Fr. 1'634,983; 80,742 q gingen nach Frankreich, 31,332 q nach Italien.
Die Einfuhr betrug pro 1883: 22,049 q, 1884: 19,710 q, 1885:
23,632 q zum Werthe von Fr. 376,181; 22,254 q kamen aus Deutschland.
Uolztheer wird bei der Holzessigfabrikation als Nebenprodukt gewonnen.
Verwendet wird er z. B. zur Darstellung von Pech und Holzcement, jedoch wird
er meist noch unter den Ketorten wieder verbrannt.
Holztypenfabrikation. Diesen Geschäftszweig betreiben laut Fabrikregister
die Firmen Koman Scherer in Luzern und A. Martin & Cie. in Ardon, Wallis.
Holz- und Blechinstrunieiitenfabrikation. Mit diesem Erwerbszweig
befaßten sich im Jahre 1880 159 Personen und zwar zumeist im Kanton Aargau,
ferner in den Kantonen Bern, Zürich, Waadt und Baselstadt.
Honduras. Mit diesem Staate ist die Schweiz in vertraglicher Beziehung
durch den Weltpostvereinsverirag, dem H. am 6. Januar 1879 beigetreten ist
(A. S. n. F. IV, pag. 12).
Honig s. Bienenzucht. Einfuhr im Jahre 1885: 1634 q ä Fr. 122. 50;
davon 701 q aus Deutschland, 242 q aus Frankreich, 225 q aus Oesterreich,
163 q aus Italien, 107 q ans Belgien, 98 q aus Großbritannien, 46 q aus Holland.
Honig — 47 — Honigpflanzen
Ausfuhr 1885: 243 q a Fr, 177. 50; davon 127 q nach Dentschland,
39 q nach Frankreich, 20 q nach Italien, 19 q nach Oesterreich, 18 q nach
Großbritannien, 15 q nach Belgien.
Honiggras, das wollene, eine Futterpflanze von bestrittenem landwirth*
achaftlichem Werth, .auch Honigschmale, Zuckerdchmale, Mehlhalm, Wollgras,
Darrgras, Frauengras, Pferdegras, ßoßgras etc. genannt, findet sich in cfer Schweiz
auf allen Bodenarten, auf Wiesen, Triften, an Dämmen und Waldrändern.
Im Jura steigt die Pflanze bis 1400 m, in den Glarner und Graubündner
Alpen bis ca. 1700 m.
Besonders üppig entwickelt sich dieses Gras in gereutetem Waldboden,
überhaupt auf humusreichen, lockeren Bodenarten, und wird deßhalb auf diesen
Standorten häufig zum gefürchteten Unkraut, da es durch Selbstbesamung über-
hand nimmt und im Ertrag in Qualität und Quantität anderen Futterpflanzen
nachsteht. Sein Anbau empfiehlt sich nur auf Torfboden, sowie auf mageren
Sandböden, wo bessere Futterpflanzen nicht mehr gedeihen; da ist es ein werth-
voller Lückenbüßer. („Die besten Futterpflanzen ** , von Dr. F. G. Stehler, Vorlag
von K. J. Wyß in Bern.)
Honigpflanzen. (Mitgetheilt von Herrn Lehrer Kr am er, Aktuar des
TereiuR schweizerischer Bienenfreunde.) Als Honigpflanzen qualifiziren sich zu-
nächst diejenigen Phanerogamen, die in erheblichem Maße Nektar absondern, der
von den Bienen gesammelt wird. Unter den weitern Begritt' „Bienennährpflanzen'*
fällt sodann noch eine beträchtliche Zahl nur „Pollen" liefernder Pflanzen.
Die Nektarquellen der meisten Honigpflanzen sind die Blüthen, bei einigen
sind es extrafloraie Nektarien am Blattstiel (Wicke), bei noch andern tritt unter
gewissen atmosphärischen Bedingungen nektarähnlicher Zellinhalt aus der Blatt-
flache (Honigthau), und endlich beherbergen gewisse Pflanzen thierische Schmarotzer,
die den Zellinhalt in einen den Bienen angenehmen »üßen Saft verarbeiten (Stein-
obst, Koniferen).
Die Zahl bedeutsamer Honigpflanzen ist eire verhältnißmäßig beschränkte,
weil 1) viele Blüthen den Bienen nicht sympathisch sind, 2) die Nektar-
absonderung vieler eine sehr minime ist, und 3) manch' qualitativ vorzügliche
Honigpflanze numerisch nicht konkurriren kann.
Die Bedeutung ein und derselben Honigpflanze wechselt je nach Standort ,
Bodenart und Witierunff. So honigt die Esparsette am reichlichsten in Kalk-
boden, der Buchweizen in leichtem Sandboden, der Bärenklau bei anhaltender
Hitze, der Kirschbaum bei feuchtwarmer Witterung etc.
Zu den hervorragendsten Honigpflanzen zählen die Cruziferen : Reps, Arabis,
Gardamine; die Compositen: Löwenzahn, Centaureen, Skabiosen; die Labiaten:
Salbei, Thymian ; die Papilionaeeen : Esparsette, Bastardklee, Akazien ; die
Bosaceen : Obstbäume, Himbeeren, Linden ; die Umbelliferen : Bärenklau.
Unter den Kulturpflaneen sind von meist nur lokaler Bedeutung: Reps,
Flachs, Buchweizen, Wicke, Esparsette, Bastard-, Weiß- und Inkarnatklee und
Luzerne.
Ein ausgiebiges Arbeitsfeld der Bienen sind die Wiesen : Nasse Wiesen im
März /April und Juli /August, trockene Wiesen im Mai /Juni.
Im besten Ruf als Bienenweide steht auch der Wald, ganz besonders der
lichte junge Laubwald mit seiner reichen Flora und der Weißtann\
Beaohtenswerth ist auch die Flora der Gärten und Anlagen. Es empfehlen
doh für den Bienengarten als Frühliwßs- und Sommerfior : Christblume, Winter-
ling, CrocoB, Arabis, £[aiserkrone, Vergißmeinnicht, Silene, Lobelien, Reseda,
Honi^flanzen — 48 — Hopfenklee
Polemonien, Vanille; als Zier^ tmd Beerensträucher: Cornelkirsche, Haseln,
Lonizeren, Blias, Deozien, Sclineebeeren, Himbeeren, Stachelbeeren. Unter den
Hochstämmen der Anlagen sind von Bienen umworben : Ulme, Aspe, Spitzahorn ,
Boßkastanie, Akazie, Linde.
Fast ausnahmslos gute Honigpflanzeu sind die allbekannten Arznei- und
Gewürzkränter : Thymian, Lawendel, Ysop, Pfeffermtlnze, Boretsch, Salbei,
Maloen, Zwiebeln.
Versuche im Anbau spezieller Honigpflanzen haben, weil meist zu kleinlich,
noch zu keinen namhaften Erfolgen geführt. Es empfieht sich selbstverständlich
die Berücksichtigung solcher, die noch anderweitige Verwerthung finden, ganz
besonders der Futterpflanzen.
Etwelche Verbesserung der Bienenweide ist auch dadurch zu erreichen, daß
sterile Halden mit anspruchslosen Honigpflanzen besetzt werden, die von selbst
sich fortpflanzen, als : Riesenhonigklee, Sedum, Natternkopf, Wiesensalbei, Boretsch.
Gänzlich bedeutungslos für die Biene sind unkrautfreie Weinberge, Getreide-»
Eartoflel- und Rtibenfelder.
Hopfen. Der Hopfen, welcher in allen Gauen der Schweiz als wilde Pflanze
vorkommt, wird trotz seines riesigen Verbrauchs in der Schweiz doch nirgends
in großer Ausdehnung angebaut. Wir finden kleinere Hopfenpflanzungen in
Herzogenbuchsee (Herr S. Fr. Moser, ca. 2Vs Jucharten, angelegt 1867), auf
der Ackerbauschule Bütti, im Strickhof bei Zürich, in Avenches, in Buchs, in
Dießenhofen etc.; wir sind aber trotzdem für den Hopfen stark vom Auslande
abhängig. Derselbe wird hauptsächlich aus Bayern und Böhmen bezogen. Der
durchschnittliche Mehrimport betrug von 1875 — 1884 jährlich 3861 q im Werth
von 1 */« — 2 Millionen Franken. Die schweizerischen Bierbrauereien verwendeten
im Jahre 1882 (laut den Ermittlungen des Schweiz. Bierbrauer Vereins) 4058 q,
wovon nur 45 q schweizerisches Produkt.
Nach einer von Herrn Sam. Friedr. Moser in Herzogenbuchsee während
einem Zeitraum von 16 Jahren genau geehrten Bechnung stellen sich Kosten
und Ertrag per Hektare per Jahr durchschnittlich auf: Ausgaben Fr. 1643^
Einnahmen Fr. 2612, Beingewinn Fr. 969.
Der Hopfenbau würde sich noch besser lohnen, wenn sog. Hopfenmärkte
Eingang fänden. Weil diese leichte Absatzgelegenheit fehlt, sind die wenigen
Hopfenpflanzer in der Schweiz gezwungen, ihre Produkte unter dem Handelspreise
abzugeben. Weitere Folgen sind, daß die Anpflanzungen klein bleiben und daß
gut eingerichtete Trockenhäuser, durch welche das Produkt im Werth gesteigert
werden könnte, fehlen.
Herr Moser in Langenthai hat während einer Beihe von Jahren seinen
Hopfen nach Chili verkauft, später nach Frankreich.
In Bezug auf die Qualität kommt der Kchweizerische Hopfen den besten
ausländischen Gewächsen gleich; er gedeiht am besten in sandigem Lehmboden
und in vor Winden geschützter Lage. And.
Einfuhr im Jahre 1885: 4077 q zum Werthe von Fr. 2^038,500. 3465 q
zu Fr. 1'732,500 kamen aus Deutschland, 601 q zu Fr. 300,500 aus Oesterreich-
Ungarn.
Ausfuhr im Jahre 1885: 127 q zum Werthe von Fr. 40,372.
Uopfenklee, eine nährstoffreiche Futterpflanze, auch Hopfenluzerne, großer
Hopfenklee, Wolfsschneckenklee, Wolfsklee, gelber Klee, Gelbklee, gelber Wiesen-
klee, Steinklee, Hirsenklee, Minette genannt, gedeiht besonders auf kalkhaltigen
frischen Aeckem, Wiesen, Weiden, in lichten Waldungen und steigt bis in die
Hopfenklee
— 49 —
Hotelwesen
alpine Region (im Oberengadin in Pontresina und Celerina 1850 m, im Berner
Oberland am Männlichen 1800 m). Der H. kann auf allen Böden, die einige
Feuchtigkeit und einigen Ealkgehalt besitzen und nicht zu arm sind, gebaut
werden, mit Ausnahme von ausgesprochen nassen und sauren Bodenarten. Sogar
auf ziemlich trockenen Sand- und Moorböden kommt er fort, wenn dieselben
dttngerkräftig und kalkhaltig sind. Am besten gedeiht er aber auf Thonmergel-
boden. Weil nicht besonders ergiebig und ausdauernd, ist seine Kultur nur auf
solchen Bodenarten am Platze, wo die besseren Kleearten nicht mehr gedeihen.
(„Die besten Futterpflanzen", von Dr. F. G. Stehler, Verlag von K. J. Wyß in
Bern.)
Uornassecher, auch Sigristenapfel, später süßer Yerenacher genannt,
Wirthschaftsfrucht ersten und Tafelfrucht dritten Ranges (Herbstfrucht), ist im
Kanton Luzern längst einheimisch und verbreitet. Es ist wohl eine hier aus Kern
entstandene Sorte, die sich auch in den ELantonen Aargan, Bern und Solothum
häufig vorfindet. Mit dem Homußecher dea Aargau ist derselbe nicht zu ver-
wechseln. Der Baum liebt einen tiefgründigen, humusreichen Boden, hat guten
Wuchs, wird groß und dauerhaft und ist außerordentlich finichtbar. Man hat
Bäume, die über 100 Jahre alt sind. Ausgewachsen trägt der Baum alljährlich,
doch je nur alle zwei Jahre reichlich, wo dann der volle Ertrag auf 80 — 100
Bester steigt. («Schweizerische Obstsorten**, Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribel-
hom in St. Gallen.)
Hotelwesen. Ca. 1000 eigentliche Gasthöfe mit ungef. 16,000 Angestellten
und 58,000 Betten stehen den Beisenden in der Schweiz zu Gebote. Der Werth der
Immobilien beträgt 240 Mill. Fr., der Mobilien 737« Mill. Fr., der Yorräthe,
reep. des Betriebskapitals, 6 Mill. Fr., die Brutto-Jahreseinnahme 52,8 Mill. Fr.,
die Ausgaben pro Jahr 36,8 MiU. Fr., das Netto-Ergebniß ca. 16 Mill. Fr.
Diese großen Zifiem für ein so kleines Land deuten hinlänglich an, wie bedeutend
der Verkehr von Geechäits- nnd Yergnügungsreisenden in der Schweiz sich ent-
wickelt hat und wie g^oß das materielle Interesse ist, welches sich an den
Beisendenverkehr in der Schweiz heftet. (Die Schätzungen des Waarenkonsnms
durch Yergnügungsreisende in der Schweiz variren zwischen 50 und 100 Mill.
Fr. per Saison.) Die oft gebrauchte Bezeichnung üotelindttstrie ist daher eben
80 gerechtfertigt als charakteristisch.
Die angegebenen Zifiem beziehen sich auf Ermittlungen des Schweiz. Gast-
wirth Vereins und betreffen speziell das Jahr 1880.
Die Kantone folgen sich hinsichtlich der Zahl der Etablissements in folgender
Ordnung:
9. (16) Appenzell . 39
10. (6) Luzern . . 39
11. (20) Unterwald. 29
12. (21) Uri . . . 27
13. (11) Genf . . 25
14. (8) Basel . .21
15. (7) Tessin . . 20
16. (19) Glarus . . 18
Die 21ahlen in Klammer bedeuten den Bang, den die Kantone hinsichtlich
ihrer Bevölkerungszahl einnehmen. Es ergibt sich aus der Yergleichung beider
Bangzahlen die relative Bedeutung, welche jeder Kanton als Anfenthaltsgebiet
von Beisenden hat. Belativ am meisten Hotels haben hienach die drei kleinen
1. (14) Graubttnden 179
2. (3) Waadt .
3. (1) Bern .
4. (17) Schwyz
5- (12) Wallis .
6. (5) Aargan
7. (2) Zürich .
8. (4) St. Gallen
109
107
87
79
67
51
40
17. (13) Thurgau . 18
18. (10) Neuenburg. 16
19. (22) Zug. . . 13
20. (18) Schaff haus. 9
21. (15) Solothum . 6
22. (9) Freiburg . 3
Forrer, VolktwirtbichafU-Lexikon der Schweiz.
Hotelwesen
— 50 —
Hülfsgesellschaften
XJrkantone Uri, Schwyz und ünterwalden, »owie Graubünden, dann Wallis und
Appenzell. Relativ am wenigsten Gasthäuser hat Freiburg, dann Neuenburg und
Zürich.
Die ca. 1000 Gasthöfe gaben im Jahre 1880 Fr. 23'800,000 für Lebens-
mittel und Getränke aus und zwar machten sie folgende Bezüge vom Ausland:
Wein Fr. 3'500,000, Geflügel Fr. 2^040,000, Fische Fr. 1^200,000, Konserven
Fr. 1*025,000, Kaffee Fr. 600,000, Zucker Fr. 500,000, Thee Fr. 240,000,
Tafelöl Fr. 200,000, zusammen Fr. 9^305,000. (Vergl. Ghi^er, Bericht über
das Hotel wesen an der Landesausstellung in Zürich, 1883.)
Im Handelsregister waren Ende 1884 nur 680 Gasthöfe, Kurhaus^
and Pensionen eingetragen, obwohl laut einem Rekursalentscheid des Bundestttthes
das Gtisthofgewerbe zur Eintragung in das Handelsregister verpflichtet.
Hfilfsdünger s. pag. 459 d. Lexikons.
Hülfsgesellschaften. a. In der Schweiz: Eine Statistik der gegen-
seitigen Hülfsgesellschaften in der Schweiz ist erstmals im Jahre 1869 und zum
zweiten Mal im Jahre 1879 von Herrn Professor Dr. Kinkelin in Basel be-
arbeitet worden. Die Hauptresultate ans diesen Jahren waren:
Vereine Mitglieder Vermögen Einnahmen Ausgaben, wovon Krankengelder
1869 636 96,003 Fr. 7'872,020 Fr. r529,098 Fr. r059,418 Fr. 550,671
1879 1072 189,566 . 15'807,423 . 3*688,076 , 2*867,015 , 1*370,219
Nach der Zahl der Vereine nahmen die Kantone im Jahre 1879 folgende
Bangordnung ein:
Bang Kanton
Vereine
Rang Kanton
Vereine
Rang Kanton
Vereine
1. Zürich
. 211
. 160
. 124
82
72
65
46
46
39
10. Waadt . .
11. Baselland .
12. Graubünden
13. Solothurn . .
14. Luzern . .
15. Grenf . . . .
16. Schaffhausen
17. Schwyz . .
18. Tessin . .
. . Xi
19. Zug . . .
. 8
2. St. Gallen . .
3. Bern ....
4. Baselstadt . .
5. App. A.-Rh. . .
6. Thurgau . . .
7. Glarus . . .
8. Aargau . . .
9. Neuenburg . .
. 24
. 23
22
22
20
. 19
19
. 14
20. WaUis . . .
21. Obwalden . .
22. App. I..Rh.
23. Uri . . . .
. 7
. 6
. 4
. 3
24. Nidwaiden . .
25. Freiburg .
, 2
. 1
Nach den Au
sgaben
nahmen die Kant
one im
nämlichen Jahre
folgende
Bangordnung ein:
1. Baselstadt . Fr. 61
2. Zürich . . ,51
3. St. Gallen . „ 31
4. Bern . . ,31
5. Waadt . . ,11
6. Neuenburg , 1'
7. Thurgau . „
8. Glarus . . ,
9. Solothurn . , .
36,151
39,612
37,585
38,489
34,425
17,391
96,774
84,185
58,238
10. App. A.-Rh. Fr
11. App. I.-Rh. „
12. Schaffhaus. ,
13. Genf . .
14. Luzern . . „
15. Baselland . „
16. Graubünd.
17. Schwyz . ,
18. Tessin . . „
.51
5^
4t
3(
3^
2(
2:
K
11
3,931
1,597
^,489
5,129
t,346
5,565
3,556
5,504
5,803
19. Freiburg. .
20. Zug . . .
21. Wallis . .
22. Obwalden .
23. App. L-Rh.
24. Nidwaiden .
25. Uri ...
Fr. 8,358
. 7,281
n 5,844
, 3,548
. 3,204
. 1.988
. 1,022
b. Schweizerische Hülfsgesellschaften im Auslande. Die Zahl
dieser Gesellschaften, so weit sie den schweizerischen Behörden bekannt sind, betrug
Ende 1885 101. Dieselben besaßen ein Gesellschaftskapital von Fr. 1'639,909
und hatten eine Jahresausgabe von Fr. 475,926. Der Bund und die Kantone
unterstützen jene Gesellschaften mit finanziellen Beiträgen, welche sich im Jahre
1885 auf Fr. 20,000 vom Bund und auf Fr. 21,340 von den Kantonen beliefen.
Schweizerische Hülfsgesellschaften sind: in Alexandrien (2), Algier, Amsterdam,
Ancona, Augsburg, Bahia, Barcelona, Beifort, Berlin (3), BesanQon, Bordeaux,
Boston, Brüssel, Bucharcst, Budapest, Buenos- Aires (2), Cannes, Chicago, Cin-
Hül%esellschaflen — 51 — Hutfabrikation
<iiiinati, Dresden, Elberfeld-Bannen, Florenz, Frankfurt a. M. (2), Gebweiler,
Oenaa, Hamburg, Havre, Kairo (2), Karlsruhe, Kaufbeuren, Kharkoif, Kiew,
Kopenhagen, Krefeld, Leipzig, Lille, Lima, Lissabon, Livorno, London (2),
Lyon (2), Madrid, Mailand, Manchester, Mannheim, Marseille (2), Melbourne,
Menton, Montevideo, Montreal, Moray, Moskau, Mülhausen, Müllheim a. Rh.,
München, Nancy, Neapel (2), New Orleans, New York, Nizza (2), Nimee, Nürn-
berg, Odessa, Paris (4), Petersburg (2), Pforzheim, Philadelphia, Bavensbnrg,
fieutlingen, Biga, Bio de Janeiro, Rom, St. Louis, San Francisko (2), Sao Paolo,
Straßburg, Stuttgart (2), Triest, Turin, Valparaiso, Venedig, Warschau, Was-
hington, Wien.
Uiilsenfrfichte s. Seite 692 d. Lexikons.
Humagne* Weißgelbe Traube von mittlerer Größe und eine der ältesten
Sorten im Wallis, wo sie vor Jahrhunderten den sogenannten Vinum humanum
lieferte. Kr.
Hutfabrikation« Die eigentliche Entwicklung derselben aus dem uralten
Handwerk heraus datirt nachweislich in die 50er Jahre zurück. Die Schweiz
bezog damals die meisten Hüte aas Frankreich, theils direkt, theils durch Genfer
Kommissionäre, die die Hüte in Frankreich aufkauften und das Gaiiiiren und
Fertigmachen besorgten. In den 60er Jahren wurden die ersten Maschinen für
die Hutfabrikation erfunden und gegen Ende des gleichen Dezenniums ward in
Wädensweil die erste eigentliche schweizerische Hutfabrik mit Dampfbetrieb und
Maschinen errichtet. Dieser Fabiik folgten im Jahre 1872 zwei Etablissements
in Burgdorf und Bramois, letzteres speziell für Wollhüte; endlich eine vierte
in Cossonay, welche aber, sammt derjenigen in Burgdorf, wegen Konkurs wieder
eingegangen ist.
Der gesammte Konsum von Herrenhüten aus Wolle« Haaren u. dgl. wird
auf den Werth von 4 Mill. Fr. veranschlagt, wovon nur etwa 1 Mill. auf die
inländische Produktion entfallen soll.
Ferner schätzt man den jährlichen Verbrauch von Damenhüten in der
Schweiz auf über 5 Mill. Fr., zum größten Theil eingeführtes Fabrikat, aber
meist in der Schweiz durch die ca. 4000 Modistinnen ausgerüstet.
Strohhüte werden zum großen Theil im Inland fabrizirt. Das Formen der
Slroh- und Filzhüte nach den jeweiligen Moden besorgt eine größere Zahl hiefUr
speziell eingerichteter Werkstätten. (Vergl. Bericht über die Gruppe „ Bekleidungs-
industrie ** an der Landesausstellung in Zürich, 1883.)
Nach der eidg. Volkszählung vom 1. Dez. 1880 beschäftigten sich damals
763 männliche und 436 weibliche Personen mit der Hutmacherei, inkl. Filz-
fabrikation, wovon 232 im Kt. Bern, 157 Genf, 142 Zürich, 116 Waadt, 99
Aargau, 98 Neuenburg, 70 Wallis.
Die schweizerische Waaren Verkehrsstatistik verzeichnet pro 1885 folgende
Einfuhr und Ausfuhr:
Einfuhr Ausfuhr
Ungamirte Stroh- (Rohr- u. Bast-) Hüte 141 q, Werth Fr. 211,500 421 q, Werth Fr. 648,979
Hüte aus FÜ2 205 , . , 451,000 35 , , , 42,265
Andere Hüte all. Art, exkl. DamenhQte 480 . „ . r920,000 179 , , , 464,441
Im Handelsregister waren Ende 1884 329 Hutgeschäfte eingetragen,
wovon 61 als Fabrikationsgeschäfte. Von den letzteren waren wiederum 20
speziell als Strohhut-Fabrikationsgeschäfte bezeichnet.
Dem Fabrikgesetz waren Ende 1885 5 Geschäfte mit 194 Arbeitern
unterstellt.
Hydraulischer Kalk — 52 — Jacconat
Hydraulischer Kalk. Das Verdienst der ersten Erzeugung von hydraa-
lischem Kalk in erheblichem Umfang und mit maschinellen Einrichtungen dürfte
E. Sevestre beanspruchen, welcher 1857 in St. Aubin (Neuenburg) den hydrau-
lischen Kalk für den Bau der Eisenbahnlinie Neuen burg-Tverdon lieferte. Von
ihm wurden weitere Fabriken errichtet in Bulle 1858, Noiraig^e 1861 und
Beckenried 1875. Heute existiren ca. 12 Fabriken, die in der Mehrzahl Ende
der 70er und Anfangs der 80er Jahre entstanden.
Wesentlich trug zur Entwicklung dieser Industriebranche der Bau der
Grotthardbahn bei. Nördlich des großen Tunnels wurde mit Ausnahme von un-
gefähr 1000 Tonnen Chaux du Teil aus dem südlichen Frankreich fast nur
inländischer Kalk und Cement verwendet. Auf der Südseite kamen dagegen ca.
27,000 Tonnen fremder, meist italienischer, Kalk zur Verwendung. Im üebrigen
läßt die Anwendung von hydraulischem Elalk in der Schweiz noch sehr viel zu
wünschen übrig; namentlich wird beim Hochbau noch zu sehr am altgewohnten
Luftkalk festgehalten.
Der Jahreskonsum beträgt ca. 40,000 Tonnen im Werthe von Fr. 900,000.
Im Jahre 1882 kamen nach zuverlässigen Ermittlungen auf inländisches Fabrikat
32,000 Tonnen k Fr. 20 ^ Fr. 640,000, auf den Import 9767 Tonnen k
Fr. 25 = Fr. 244,175, zusammen 41,767 Tonnen = Fr. 884,175. Die Deckung
dieses Gesammtkonsums entspräche ziemlich genau der Leistungsfähigkeit der
schweizerbchen Fabriken. (Vergl. Bolley, Bericht über die Pariser Ausstellung^
1867; ferner Spezialkatalog der Baumaterialien an der Landesausstellung in
Zürich, 1883; Moser ^ Bericht über ^ Baumaterialien*" an dieser Ausstellung.)
Als Fabriken für hydraulischen Kalk sind dem Fabrikgesetz unterstellt
die Etablissements der Firmen Leuba freres in Noiraigues und Daistein & Cie.
in Vallorbes.
Fundorte von hydraulischem Kalk (und Cement) sind nach Weheres und
Brosi's Rohproduktenkarte der Schweiz (Verlag von J. Wurster & Co. in Zürich) :
im Kt. Baselland: Bubendorf, Häfelfingen, Lampenberg, Lausen, Lupsingen,
Tenniken und Wittinsburg;
im Kt. Bern: Leißigen, Liesberg, Merligen und ünterseen;
im Kt. Freiburg: ChStel-St-Denis und Montbovon;
im Kt. St. Gallen: Flums, Quinten und Staad;
im Kt. Glarus: Mühlehom;
im Kt. Neuenburg: les Convers, Noiraigue und St-Sulpioe;
in Nidwaiden: Hergiswil und Hotzloch;
im Kt. Schwye: Gersau, Iberg, Schwyz, Studen;
im Kt. Solothurn: Balm, Bärschwyl, Günsberg und Wilihof bei Luterbaoh;
im Kt. Tessin: Aquila, Caslano, Castagnola, Melano, Melide, Morbio, Quinto
und Riva;
im Kt. üri: bei Erstfeld;
im Kt. Waadt: Vallorbes und Villeneuve;
im Kt. Wallis : la Batiaz, Bramois, Grengiols, Morels, Vissoye und Vonvry ;
im Kt. Zürich: Käpfhach.
Ehemalige Ausbeutungsorte sind: Albeuve (Kt* Freiburg); Beckenried und
Büren (Kt. Nidwaiden); Morschach (Kt. Schwyz).
Jacconat* Halbdichtes, weißes Baumwollgewebe, das namentlich als Unter-
lage für Maschinenstiokereien in Plattstich, sowie für den Druck der besseren,
orientalischen Kopftücher, benützt wird. Dasselbe war von Alters her nebst
Jacconat — 53 — Jagd
Honsseline odcL Percale stets einer der wicbtigsteD Artikel der oßtschweizeriBchen
Weberei. In neuerer 2^it wird derselbe vorwiegend mecbaniscb gewoben, meist
im Kanton Züricb (Wald).
Jacquardweberei. Der seit 1802 bekannte, von dem Lyoner Seiden weber
Jacquard erfundene Webstuhl kam ohne Zweifel bald nachher auch in die Schweiz,
wo er vermuthüch zuerst in der Seidenweberei Verwendung gefunden hat. Außer
Zweifel ist es nach Wartmann, daß der Jacquardstuhl in den ersten 20er Jahren
in die Ostschweiz gelangte, denn um 1830 spielte derselbe in der Weißweberei
bereits eine große Rolle.
In Bezug auf die Jacquard Webereien hat der Bundesrath am 29. November
1H84 und 25. Juni 1885 folgenden Beschluß gefaßt:
1) Jacquard Webereien mit mehr als 5 Arbeitern, welche in einer oder mehreren,
demselben Besitzer gehörigen Räumlichkeiten betrieben werden, sind als Fabriken im
Sinne von Art. 1 des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken zu betrachten,
falls die Webstühle durch Motoren betrieben werden oder mit Bleistäbchengewichten
versehen sind. Trifft keine dieser beiden Redingungen zu, so sind sie erst bei einer
Arbeiterzahl von mehr als 25 als Fabriken zu betrachten.
2) 2) Die Rleistäbchengewichte an allen JacquardwebstQhlen sind innerhalb sechs
Jahren, vom 1. Januar 1885 an gerechnet, durch Eisengewichte zu ersetzen.
3) Bis zur vollständigen Durchführung dieser Maßregel wird auf die Jacquard-
webereien, in welchen Bleistäbchengewichte verwendet werden, im Sinne von Art. 5,
litt, d, des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken die Haftpflicht aus-
gedehnt f^db
Jägerapfel, auch Harderapfel genannt, Wirthschaftsfrucht zweiten und
Tafelobst dritten Ranges (Winterfrucht), ist im Kanton Aargau allgemein ver-
breitet. Der Baum trägt je alle zwei Jahre reichlich, 60 — 80 Sester auf ein-
mal. („Schweizerische Obstsorten**, Verlag der Lithogr. Anstalt F. Tribelhom
in St. GaUen.)
Jagd und Vogelschutz. (Mitgetheilt von Herrn Sury, Beamter des
eidg. Handels- und Landwirthschaftsdepartements.) Durch Art. 25 der Bundes-
verfassung von 1874 ist dem Bunde die Befugniß eingeräumt worden, gesetz-
liche Bestimmungen über die Ausübung der Jagd, namentlich zur Erhaltung des
Hochwilds, sowie zum Schutze der für die Land- und Forts wirthschaft nützlichen
Vögel zu treffen.
In Folge dessen ist von der Bundesversammlung am 17. September 1875
folgendes (am 14. Februar 1876 in Kraft getretene) Bundesgesetz erlassen
worden :
I. Allgemeine Bestimmungen. Art. 1. Jeder Kanton ist verpflichtet, auf
seinem Gebiete das Jagdwesen auf dem Gesetzes- oder Verordnungswege in Ueber-
einstimmung mit diesem Gesetze zu regeln und demselben durch die zuständigen Organe
den erforderlichen Schutz angedeihen zu lassen.
Art. % Jeder Schweizer, welcher eine kantonale Jagdbewilligung gelöst hat, ist,
vorbehalten die Bestimmungen des Art. 24, zur Ausübung der Jagd auf dem betreffenden
Kantonsgebiete befugt. Die Kantone sind berechtigt, die Jagd auch niedergelassenen
Ausländem zu gestatten.
Art. 3. lä steht, immerhin unter Vorbehalt der nachstehenden Verfügungen des
Bundesgesetzes, bei der kantonalen Gesetzgebung, zu bestimmen, nach welchem Systeme
der Jagdbetrieb in jedem Kanton stattfinden soll.
Art. 4. Die kantonalen Behörden sind berechtigt, die Verfolgung schädlicher oder
reißender Thiere, und bei allzu starker Vermehrung auch des Jagdgewiides, wenn das-
selbe durch Ueberzahl Schaden stiftet, erforderlichenfalls auch während der geschlossenen
Zeit anzuordnen oder zu erlauben.
Es soll dies jedoch in einer den übrigen Wildstand nicht gefährdenden Weise,
während einer bestimmten Zeit, durch eine beschränkte Anzahl zuverlässiger, in be-
sondere Verpflichtung genommener Jagdberechtigten geschehen. In Pachtrevieren hat
Jagd — 54 _ Jagd
der Beständer das Recht, auch wShrend der geschlossenen Zeit ohne weitere Bewilligung
solches Wild zu erlegen, jedoch ohne Benutzung von Hunden.
Art. 5. Vom acliten Tage nach Schluß der Jagdzeit an ist der Kauf und Verkauf
von Wildpret jeder Art verboten, mit Ausnahme desjenigen, welches, amthch nach-
gewiesen, aus dem Auslande eingeführt ist. Der Verkauf von Gemskitzen, Hirschkälbern^
Rehkitzen, sowie von Auer- und Birkhennen, ist unbedingt und zu jeder Zeit untersagt»
Im Uebertretungsfalle unterliegt das betreffende Wild der Konfiskation, die im Art. 21
angedrohte Strafe vorbehalten.
Art. 6. Die Zerstörung von Nestern und Brüten, das Ausnehmen der Eier des
JagdgeflQgels, das Ausgraben der Murmelthiere, das Tragen von Stock- oder zusammen-
geschraubten Flinten ist untersagt. Ebenfalls ist untersagt die Anbringung von Fang-
vorrichtungen jeder Art (Fallen, Schlingen, Drahtschnüre). Eine Ausnahme ist jedoch
gestattet bezüglich der Füchse, Fischotter, Iltisse, Stein- und Edelmarder. Die Anbringung
von Selbstschüssen und der Gebrauch voij explodirenden Geschossen, sowie das Gift-
legen, ist ausnahmslos verboten.
Art. 7. Die Jagd zerfällt in die niedere und die HochwUdjagd.
II. Die niedere Jagd. Art. 8. Die Eröffnung der Flugjagd beginnt mit dem
1. September, diejenige der allgemeinen Jagd mit dem 1. Oktober. Der Schluß für
beide findet (vorbehalten Art. 9) am 15. Dezember statt. Es ist jedoch den Kantonen
gestattet, unter Vorbehalt besonderer kantonaler Polizeivorschriften, die allgemeine Jagd
gleichzeitig mit der Flugjagd zu eröffnen. Für Pachtreviere schließt die Jagd am
31. Dezember. Die Frühlingsjagd jeder Art zu Lande ist im ganzen Umfange der Schweiz
unbedingt verboten. Auf der Flugjagd dürfen vor Beginn der allgemeinen Jagd keine
anderen Hunde als Hühnerhunde verwendet werden.
Art. 9. Die Jagd auf Schwimmvögel auf Seen ist von den betreffenden Kantonen
zu regeln, wobei bezüglich der internationalen Grenzgewässer die Abkommnisse mit den
Grenzstaaten vorbehalten bleiben.
Art. 10. Dem Bundesrathe sowohl als den kantonalen Behörden steht das Recht
zu, nach freiem Ermessen durch besondere Schlußnahme einzelne Gebietstheile oder
Wildarten auf kürzere oder längere Zeit mit Jagdbann zu belegen.
III. Die Hoch wildjagd. Art. 11. Die Hochwildjagd bezieht sich auf die
jagdbaren Thiere des Hochgebirges, zunächst auf Gemsen, Murmelthierej veränderliche
Hasen (Alpen-, Schneehasen), Gehirgshühner (Auer-, Birk- oder Schildhühner, Hasel-
oder Waldhühner, Schnee- oder Weißhühner und Steinhühner oder Pernisen), sowie
auf die Raubthiere des Hochgebirges.
Art. 12. Die Jagd auf Gemsen und Murmelthiere ist im ganzen Gebiete der
Schweiz auf die Zeit vom 1. September bis 1. Oktober, diejenige auf das übrige Hoch-
wild auf die Zeit vom 1. September bis 15. Dezember beschränkt. Junge Gemsen vom
gleichen Jahr (Gemskitzen) und die sie begleitenden Mutterthiere (säugende Gemsgeißen)
dürfen weder gefangen noch geschossen werden. Ebenso sind Auer- und Birkhennen
zu schonen.
Art. 13. Bei der Jagd auf Hochwild ist die Verwendung von Laufhunden und
von Repetirwaffen untersagt.
Art. 14. Die Jagd auf die im Hochgebirge vorkommenden Hirsche und Rehe ist
vom 1. September bis 1. Weinmonal gestattet, sofern die kantonalen Gesetze und Ver-
ordnungen dieselbe nicht weiter beschränken. Weibliche Thiere (Hirschkühe und Reh-
geißen) und Junge vom gleichen Jahre (Hirschkälber und Rehkitzen) dürfen weder ge-
fangen noch geschossen werden, ebensowenig Steinböcke, wo und wann immer sich
solche zeigen mögen.
Art. 15. In den Kantonen Appenzell, St. Gallen, Glarus, Uri, Schwyz, Unterwaiden,
Luzem, Freiburg und Waadt sind je ein, in den Kantonen Bern und Tessin je zwei
und in den Kantonen Wallis und Graubüuden je drei Bannbezirke (Freiberge) von an-
gemessener Ausdehnung für das Hochwild auszuscheiden und unter die Oberaufsicht
des Bundes zu stellen. Eine besondere bundesräthliche Verordnung stellt die genaue
Abgrenzung derselben (ohne Rücksichtnahme auf die Kantonsgrenzen) fest und ordnet
eine strenge Wildhut an, wobei je nach örtlicher Lage und Verhältnissen die nähern.
Bestimmungen zu treffen sind, welche zu Schutz und Pflege der Hochwildgattungen
angemessen erscheinen. Soweit als möglich sollen die Grenzen der Frei berge nach
fiinf Jahren einer Abänderung unterworfen werden. Der Bund wird die Besiedlung
der Freiberge mit Steinböcken anstreben.
Jagd — 55 — Jagd
Art 16. Die Verfolgung schädlicher und reißender Thiere in den Bannbezirken
datf nur unter den in Art. 4 bezeichneten Bestimmungen und unter ausdrücklicher
Bewilligung des Bundesrathes stattfinden.
rV. Bestimmungen über den Vogelschutz. Art 17. Nachfolgend be-
zeichnete Vogelarten sind unter den Schutz des Bundes gestellt:
Sämmtliche Insektenfresser, also alle Grasmücken- (Sylvien) - Arten , alle
Schmäzer-, Meisen-, Braunellen-, Pieper-, Schwalben-, Fliegenfänger- und Bach-
stelzen-Arten ;
von Sperlingsvögeln: die Lerchen, Staare, die Amsel- und Drosselarten, mit
Ausnahme der Krammetsvögel (Reckholdervögel), die Buch- und Distelfinken;
von Spähern und Klettervögeln: die Kukuke, Baumläufer, Spechtmeisen,
Wendehälse, Wiedehopfe und sämmtliche Spechtarten;
von Krähen: die Dohlen und Saatkrähen;
von Raubvögeln: die Mäusebussarde und Tliurmfalken, sowie sämmtliche
Eulenarten, mit Ausnahme des großen Uhu's;
von Sumpf- und Schwimmvögeln: der Storch und der Schwan.
Es dürfen dieselben weder gefangen noch getödtet, noch der Eier oder Jungen
beraubt oder auf Märkten feilgeboten werden. Sperlinge, Staare und Drosseln, welche
in Weinberge einfallen, dürfen vom Eigenthümer im Herbste bis nach beendigter Wein-
lese geschossen werden.
Art. 18. Die Erziehungsbehörden haben vorzusorgen, daß die Jugend in der Volks-
schule mit den genannten Vögeln und deren Nutzen bekannt gemacht und zu ihrer
Schonung ermuntert werde.
Art. 19. Aller Vogelfang mittelst Netzen, Vogelherden, Lockvögeln, Käuzchen,
Leimruthen, Schlingen, Bogen und andern Fangvorrichtungen ist im ganzen Gebiete
der Schweiz unbedingt verboten.
Art. 20. Den Kantonsregierungen bleibt das Recht vorbehalten, einzelnen zuver-
lässigen Sachverständigen Bewilligung zu erth eilen, auch außerhalb der Jagdzeit für
wissenschaftliche Zwecke Vögel jeder Art (mit Ausnahme des Jagdgeflügels) zu erlegen
und deren Nester und Eier zu sammeln, vorausgesetzt, daß dies nicht auf gewerbs-
mäßige Weise geschieht
V. Strafbestimmungen. Art. 21. Als Jagdfrevel werden bestraft: das Jagen
oder Einfangen von Gewild in der geschlossenen Zeit oder ohne Bewilligung (Art. 2)
in der offenen Zeil; ferner alles Jagen in Banugebieten und von Unberechtigten in
Pachtrevieren; das Jagen an Sonntagen, soweit es in den Kantonen untersagt ist; das
Erlegen oder Einfangen geschützter Wildgattungen ; verbotene Fangarten, das Gifliegen ;
die Anwendung von Selbslschüssen und explodirenden Geschossen und Repetirwaiten ;
das Tragen von Stock- und zusammengeschraubten Flinten; der Gebrauch von andern
als Hühnerhunden auf der Flugjagd vor Eröflnung der allgemeinen Jagd ; Eigenthums-
beschädigung ; Kauf und Verkauf von gefreveltem Wildpret; Zerstörung von Nestern
und Brüten des Jagdgeflügels, sowie die Uebertretung der Bestimmungen über Hoch-
wildjagd und Vogelschutz. Die Käufer von gefreveltem Wild in der geschlossenen Zeit
oder von geschützten Wildarten sind gleich den Frevlern zu bestrafen.
Art 22. Die Kantone werden die bezüglichen Strafbestimmungen aufstellen,
immerhin in der Art, daß bei Uebertretung der Bestimmungen über Vogelschutz die
Strafe nicht unter Fr. 10, bei denjenigen der niedern Jagd nicht unter Fr. 20 und bei
der Hochwildjagd nicht unter Fr. 40 angesetzt werden darf. Unerhältliche Bußen sind
in Gefängniß umzuwandeln, wobei ein Tag zu Fr. 3 zu berechnen ist Beim Rückfalle
soll die Jagdberechtigung für je zwei bis sechs Jahre entzogen oder verweigert werden.
Jagdfrevel bei geschlossener Jagd und solche begangen zur Nachtzeit sind mit der
doppelten Buße zu belegen. Das Jagenlassen von Hunden zur geschlossenen Jagdzeit
ist zwar gleichfalls mit Polizeistrafen von wenigstens Fr. 5 für jeden Hund zu belegen,
zählt aber nicht als Jagdfrevel. Im Rückfalle sind alle Bußen angemessen zu ver-
schärfen.
VI. Schlußbestimmungen. Art. 23. Die Kantone sind befugt, gesetzliche
Bestimmungen aufzustellen, nach welchen für die Erlegung von der Landwirthschafl,
Fischerei und dem Wildstand besonders schädhchen Thieren (als große Raubthiere,
Wildschweine, Fischotter, Adler, Habichte, Sperber, Elstern, Häher, Fischreiher) an-
gemessene Prämien zu verabfolgen sind.
Art. 24. Die kantonalen Jagdgesetze und Verordnungen sind dem Bundesrathe
zur Einsichtnahme und Genelmiigung vorzulegen.
Ja^ — 56 — Jagd
Art 25. Sobald gegenwärtiges Gresetz in Kraft ervrachsen ist, wird der Bundes-
rath die nOthigen Vollzugsverordnungen erlassen und gleichzeitig die Kantone anhalten,
ihre betreffenden Vorschriften ohne Verzug mit denselben in Einklang zu bringen.
Außer obigem Geaetze sind von Seite des Bundes folgende Verord-
nungen und Beschlüsse erlassen worden (die außer Kraft gesetzten sind
nicht erwähnt):
1) Vollziehnngsverordnung vom 12. April 1876 über das Jagdgesetz (A.
S. n. F., Bd. n, pag. 156).
2) Bundesbeschluß vom 28. Juni 1878 betr. die Betheilig^ng des Bundes
an den Kosten der Kantone für Ueberwachung der Bannbezirke für die
Hochwildjagd (A. S. n. F., Bd. III, pag. 576).
3) Verordnung vom 11. März 1879 zum gleichen Zwecke (A. S. n. F.,
Bd. IV, pag. 38).
4) Verordnung vom 11. März 1879 betr. Finfuhr und Verkauf von aus-
ländischem Wildpret während der geschlossenen Jagdzeit (A. S. n. F.,
Bd. IV, pag. 41).
5) Verordnung vom 16. Juli 1886 über die Bannbezirke für die Hochwild-
jagd (A. S. n. F., Bd. IX, pag. 77).
6) Verordnung vom 26. Nov. 1881 und Bundesrathsbeschluß vom 16. Jan.
1883 über die Jagd auf Sumpf- und Wasservögel im Bannbezirk Bemina
(A. S. n. F., Bd. V, pag. 862 und Bd. VII, pag. 5).
7) Instruktion vom 16. Juli 1886 für die Wildhüter in den Jagdbann-
bezirken.
Die kantonalen Gesetze und Verordnungen sind wie folgt datirt (G. =
Gesetz, V. -— Verordnung): Aargau, V. 4. Aug. 1876; Appenzell A. -Eh.,
V. 27. März 1882; Appenzell I.-Rh., V. 4. Sept. 1876; Baselland
V. 5. Aug. 1876; Baselstadt, V. 10. Febr. 1877; Bern, G. 29. Juni
1832, V. 26. Juli 1876; Freiburg, G. 10. Mai 1876, V. 10. Juni 1876
Genf, V. 30. Aug. 1876; Glarus, V. 23. Aug. 1876; Graubünden
G. 14. Jan. 1878; Luzern, G. 7. März 1870, nebst Regierungsbeschlüssen
vom 7. März 1870, 4. JuH 1871 und 31. Mai 1878; Neuenburg, G. 29. Mai
1885; Nidwaiden, V. 9. Aug. 1876; Obwalden, V. 11. JuU 1876
St. Gallen, V. 11. Juli 1884 ; Schaffhausen, V. 20. Juli 1876; Schwyz
V. 25. Juli 1876 und 13. Juli 1881; Solothurn, V. 18. Mai 1876; Tessin
V. 28. Juli 1876; Thurgau, V. 23. Mai 1876 und 20. Nov. 1882; Uri
V. 17. Aug. 1876; Waadt, G. 1. Juni 1876; Wallis, Arrete vom 27. Juni
1876; Zürich, G. 22. Aug. 1882; Zug, V. 31. Juli 1876.
Verträge.
Mit Frankreich hat die Schweiz am 31. Okt. 1884 eine Uebereinkunft
abgeschlossen zur Bekämpfung des Jagdfrevels in den Grenzwaldungen (A. S. n. F.,
Bd. VIII, pag. 183).
Zwischen den Kantonen Frei bürg und Waadt besteht ein Reglement
betr. die Jagd auf dem Murtensee,
und zwischen den Kantonen Bern, Freiburg, Neuenburg und Waadt ein
Reglement betr. die Jagd auf dem Neuenburgersee.
Die jagdbaren Thiere der Schweiz sind:
1) Haarwild: Alpenhase, in den Hochalpen. — Fdelhirsch, in
Graubünden, ziemlich selten. — Feldhase, allgemein verbreitet. — Gemse,
Jagd — 57 — Jagd
ttberall in den Alpen, am häufigsten in Graabttnden and Wallis. — Mnrmelthier,
in der hochalpiuen Eegion. — Eeh, findet sich auf der Nordseite der Alpen hie
nnd da, am häufigsten in den Kantonen mit Beviersystem, Aargau und Baselland,
dann im st. GalL Rheinthal und Qraubünden (Herrschaft, Prätigau, Oberland).
— Schwarzwild, im Jura, namentlich im Et. Aargau.
2) Federwild: Auerhuhn, in der subalpinen Region, am häufigsten
in den Yoralpen und Jura. — Bekassine, Zugvogel, im Herbst in Sümpfen.
— Birkhuhn, an der obern Waldgrenze der Alpen, stellenweise ziemlich
häufig. — Brachvogel. — Fischreiher. — Gold-Regenpfeifer. —
Graugans. — Haselhuhn, in der subalpinen Region und auf den Hügel-
ketten des Jura häufig. — Holztaube, in allen unsern Wäldern häufig. —
Kampfbahn. — Kibitz. — Nachtreiher. — Purpurreiher. — Reb-
huhn, ttberall bis 700 m Höhe, im Ünterengadin bis 1600 m, aber nirgends
häufig. — Rohrdommel, groü^e und kleine. — Schneehuhn, oberhalb der
Waldgrenze, nicht häufig. — Steinhuhn, in der alpinen Region, nicht häufig.
— Wachtel, brütet in Niederungen, wird auf dem Zuge auch in den hohen
Alpen (1800 m) angetroffen. — Waldschnepfe, in schattigen Wäldern der
Voralpen und Alpen — Wasserhuhn, überwintert auf unsern Seen. —
Wasserralle, in sumpfigen Wiesen, zur Zugzeit ziemlich häufig. — Wild-
enten: Bergente, Krickente, Löffelente, Nonnentaucher, Pfeifente, Sägetaucher,
Schellente, Spießente, Stockente.
3) Raubthiere: Bär, nur in Graubünden, im ünterengadin, hauptsächlich
in Zernez, dann auch in Klosters und Misox. — Dachs, überall häufig. —
Edelmarder. — Fischotter, überall, an Flüssen häufig. — Fuchs, überall
aehr verbreitet. — Iltis. — Luchs, kommt zuweilen noch aus Tyrol und
Savoy en auf Schweizergebiet. — Steinmarder, überall häufig. — Wildkatze,
kommt zuweilen aus den Vogesen und dem Schwarzwald in den Jura; in den
Alpen verschwunden. — Wolf, vereinzelt im Jura.
4) Raubvögel: Baumfalke. — Flußadler, ziemlich häufig. —
Hühnerhabicht, häufig. — Kornweihe, sehr seltener Strichvogel. —
Lämmergeier, sehr selten. — Mäusebussard, gemein. — Milan (rother),
im Frühjahr häufiger Strichvogel. — Milan (schwarzer), selten. — Schrei-
adler, seltener Strichvogel. — Sperber, häufig. — Steinadler, allenthalben
in den Alpen. — Uhu, horstet allenthalben in der Schweiz. — Wanderfalke,
ziemlich selten. — Wespenbussard, ziemlich selten. - Zwergfalke,
ziemlich selten.
Jagdpatente.
Die 2iahl der Jagdpatente, welche jährlich in den Kantonen gelöst werden,
beträgt für die ganze Schweiz 9000 — 10,000 und die darauf entfallenden Taxen
Fr. 160,000—170,000.
Jagdbannbezirke für die Hochwildjagd.
Laut Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz haben die Kantone Appen-
zell A.-Rh., Appenzell L-Rh., Freiburg, Glarus, Luzem, Nidwaiden, Obwalden,
St. Gullen, Schwyz, Uri und Waadt je einen, Bern und Tessin je zwei und
Grraubttnden und Wallis je drei Bannbezirke (Freiberge) von angemessener Aus-
dehnung für das Hochwild auszuscheiden und unter die Oberaufsicht des Bundes
zo stellen. Soweit als möglich sollen die Grenzen dieser Bannbezirke nach fünf
Jahren einer Abänderung unterworfen werden.
Jagd — 58 — Japan
Nach der neuesten diesbezüglichen Verordnung vom 16. Juli 1886 sind die
Bannbezirke folgendermaßen festgestellt:
Faulhom-Jungfrau, Gifferhom und Hohgant (3 Bezirke) im Kt. Bern.
Schratten-Rothborn (1 Bezirk) im Kt. Luzem.
Eothstöcke (1 Bezirk) in den Kantonen üri, Ob- und Nidwaiden.
Grieselstock-Bisithal (1 Bezirk) im Kt. Schwyz.
Kärpfenstook (1 Bezirk) im Kt. Glarus.
Schopfenspitze (1 Bezirk) im Kt. Freiburg
Säntis (1 Bezirk) in Appenzell A.- u. I.-Bh.
Churfirsten (1 Bezirk) im Kt. St Gallen.
Piz d'Err Nordseite, Piz d'Err Südseite, Piz Beverin, Erzhorn, Bemina (5
Bezirke) im Kt. Graubünden.
Gottbard und Yerzasca-Leventina (2 Bezirke) im Kt. Tessin.
Diablerets Westseite (1 Bezirk) im Kt. Waadt.
Weißhom, Haut de Gry, Grand Combin (3 Bezirke) im Kt. Wallis.
Der Wildstand an Gemsen und Reben in den Bannbezirken wurde im
Jahre 188.5 auf 8600 Stück geschätzt (ca. 8500 Gemsen, ca. 100 Rehe).
Die Zahl der Wildhüter in sämmtlichen Bannbezirken war im Jahre 1885
37. Sie erstatteten 89 Frevelanzeigen und erlegten 1832 Stück Raub wild
(1103 Vögel und 729 Säugethiere) , wofür ihnen von den Kantonen Fr. 559
Schußprämien verabfolgt wurden. Die Kosten der Wildhut in den Bannbezirken
beliefen sich im nämlichen Jahre in allen Kantonen auf Fr. 36,089, an welchen
der Bund mit Fr. 11,936 partizipirte (1884 mit Fr. 12,242, 1883 mit Fr. 13,177»
1882 mit Fr. 12,696, 1881 mit Fr. 12,718, 1880 mit Fr. 8064, 1879 mit
Fr. 10,067).
Jagdvereine
sind : Diana (mit Sektionen in Bern, Freiburg, Genf, La Cote (Waadt), Chaux-
de-Fonds, Lausanne, Luzern, Neuenburg); Berner Oberländischer Jagdverein;
Berner Seeländischer Jägerverein ; Glärnerischer kantonaler Jägerverein ; Jagdklub
Basel ; Jagdschutz verein des Kantons Aargau ; Soloth urnischer Jagdschntzverein.
Vogelschutz.
Um den Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. September 1875
nachzukommen, ist der Bund bestrebt, die Verbreitung der Kenntniß der nütz-
lichen Vögel durch die Volksschulen zu fordern und unterstützt zu diesem Zwecke
die Anschaffung des illustrirten Werkes von Lebet in Launanne „Die nützlichen
Vögel " durch Bewilligung eines Beitrages. Es wurden hiefür vom Bund aus-
gerichtet: im Jahre 1882 Fr. 780, 1883 Fr. 2436, 1884 Fr. 2500, 1885
Fr. 2500.
Jakopfsapfel , gelber. Wirtbschaftsfvuobt ersten und Tafelobst dritten
Ranges (Herbstfrucht), kommt in der Schweiz, soweit bis jetzt bekannt, nur im
Thurgau vor und zwar am häufigsten in der Umgegend von Engishofen, Erlen,
Eggisbausen, Buchackem bis gegen Ziblscblacht und Bischofszeil (unter dem Namen
„Geljoggecher"). Der Baum erreicht ein Alter von 100 bis 110 Jahren, ist
ergiebig und trägt, wenn die Witterung während der Blüthezeit günstig ist, in
der Regel alljährlich. Der höchste Ertrag des ausgewachsenen Baumes war bis-
her 70 — 80 Sester. („Schweizerische Obstsorten**, Verlag der Lithogr. Anstalt
J. Tribelhom in St. Güllen.)
Japan, China, französisch Indien und übriges Ostasien. Nach
der schweizerischen Waaren Verkehrsstatistik pro 1885 exportirte die Schweiz in
Japan — 59 — Impf Institute
diesem Jahre im Spezialhandel nach jenen Gebieten Waaren im Werthe von
Fr. 3'636,746 (0,5 7o der Totalansfnhr im Spezialhandel) und importirte für
Fr. 1'679,995 (0,2 7o).
Die wichtigsten Ausfnhrobjekte waren: Baumwoll. Artikel Fr. 1*542,406
(Gewebe 1\338,135, Stickereien 109,050, Garne 77,105, Strumpfwaaren 18,116);
Uhren und Uhrentheile Fr. 1*001,429 (inkl. Musikdosen u. Spielwerke 30,871);
seidene Artikel Fr. 618,846 (Gewebe 596,566, Bänder 14,480, Garne 7800);
Farbwaaren Fr. 132,244; Maschinen Fr. 95,649; Käse Fr. 37,165; elastische
Gewebe Fr. 19,100; Eisenwaaren Fr. 11,419; kondensirte Milch Fr. 8495;
Leder Fr. 7073; Wollgewebe Fr. 6448; Cigarren und Cigaretten Fr. 6259;
Eonfektions- und Modewaaren Fr. 5928 ; Sprengmaterialien Fr. 4540 ; Liqueurs
Fr. 4456; Gold- und Silberschmiedewaaren, Bijouterie Fr. 4150; Strohhüte
Fr. 3000.
Die wichtigsten Einfuhrobjekte waren : Seide und Seidenabfälle
Fr. 1*375,700; Thee Fr. 92,500; Seidencocons Fr. 60,500; Schmuckfedern etc.
Fr. 52,500; Catechu Fr. 18,300; roher Katfee Fr. 16,447; feine Strohwaaren
Fr. 10,800; Tabakblätter etc. Fr. 9020; Cigarren und Ggaretten Fr. 6300.
Verträge. Mit Japan steht die Schweiz in vertraglichen Beziehungen,
1) durch den ELandels- und Niederlassungsvertrag vom 6. Februar 1864 (A. S.
VIII, pag. 683 [frz. 618]); 2) durch den Weltpostvereinsvertrag, dem Japan am
3. März 1877 beigetreten ist; 3) durch den internationalen Meter vertrag, dem
Japan im Oktober 1885 beigetreten ist (A. S. n. F. VIII, pag. 343).
S. auch , Handelsexpeditionen ", pag. 1, II. Bd.
Jasmas. Türkische Bezeichnung für baumwollene, bedruckte Kopftücher.
Siehe Türkenkappen.
Jaspe ist ein zweitrettiges Granzseidengewebe, wovon ein Theil des Zettels
oder des Schusses, auch wohl beider, vor der Verarbeitung flammenartig bedruckt
worden ist. Jasp6 wird zu Kleidern verwendet und von der einheimischen (wie
von der fremden) Industrie hergestellt.
Jaune Indien ist ein schöner und verhältnißmäßig ächter gelber Farb-
stoff aus der Klasse der Azofarben, zuerst von Monnet & Cie. in La Plaine bei
G^nf dargestellt, dann unter verschiedenen Namen auch in Basel und auswärts.
Jayroz-Brücke. Diese Brücke gehört zu der in den Jahren 1872 bis
1877 erbauten Bulle - Boltigen - Straße und führt über die wilde Schlucht des
Javrozbaches. Ihr Bau wurde Fnde des Jahres 1879 begonnen und im Laufe
des Jahres 1880 zur Hauptsache vollendet. Die Brücke ist ein Werk von außer-
gewöhnlichen Dimensionen, indem ihre Länge einschließlich der Widerlager und
des steinernen Bogens auf der linken Seite 110 m, die Spannweite des eisernen
Bogens 85,78 m und die Höhe der Fahrbahn über der Bachsohle 60 m beträgt.
An die Baukosten im Betrage von Fr. 197,016 leistete der Bund */» "^^
Fr. 65,672 (Bundesbeschluß vom 8. Februar 1872; A. S. Bd. 10, pag. 676).
Impfinstitute, von welchen zu jeder Zeit reeller Impfstoff bezogen werden
kann, bestehen in Lancy bei Genf und in Seh äff hausen. Zwischen dem ersteren
Institut und den B.egierungeu von neun Kantonen (Aargau, Bern, Freiburg, Genf,
Neuenbarg, Solothnm, Thurgan, Waadt und Wallis) besteht seit 17. Juni 1885
folgender Vertrag:
Art. 1. Das schweizerische Impfinstitul verpflichtet sieh, gegen eine Gesammt-
sobvention im Betrage von Fr. 15,000 ab Seite der genannten Kantone den Verwaltungs-
behörden derselben den erforderlichen animalen Impfstoff in Emulsionsform gratis zu
Mefem.
Impfinstitute — 60 — Indien
Art. 2. Die Impfstoffsendnngen erfolgen durch das schweizerische Impfinstitut auf
direktes Begehren der zuständigen kantonalen Behörde, hezw. Behörden, oder der durch
dieselben bezeichneten Beamten.
Die kantonalen Behörden werden das schweizerische Impf institut womöglich zehn
Tage vor Beginn der amtlichen Impfungen von der approximativen Anzahl der Impfungen
in Kenntniß setzen.
Art. 3. Die obbezeichneten Kantone liefern zu der dem schweizerischen Impf-
institut gewährten Totalsubvention von Fr. 15,000 folgende Beiträge: Bern Fr. 3300,
Waadt Fr. 2400, Aargau Fr. 2000, Neuenburg Fr. 1600, Genf Fr. 1600, Freiburg Fr. 1500,
Thurgau Fr. 1000, WaUis Fr. 900 und Solothurn Fr. 700.
Art. 4. Die Beitragsquoten der verschiedenen Kantone sind alljährlich während
der Monate März, April oder Mai an die Staatskasse des Kantons Genf einzusenden,
welche die Auszahlung an das schweizerische Impfinstitut besorgt.
Art. 5. Für die Dauer der gegenwärtigen Uebereinkunfl wird eine interkantonale
Aufsichtskommission ernannt, worin jeder der kontrahirenden Kantone durch einen Ab-
geordneten vertreten ist.
Art. 6. Die Impfärzte sind verpflichtet, nach der Verwendung des Impfstoffes
dem schweizerischen Impf institut regelmäßig die Karten über den Impferfolg zuzustellen,
welche den ImpfstolTsendungen beigegeben werden, und worauf die erzielten Resultate,
sowie deren Würdigung mitzutheilen sind.
Art. 7. Das schweizerische Impf institut verpflichtet sich, ausschließlich Kälber-
Impflymphe erster Qualität zu liefern. Die Sendungen erfolgen erst, nachdem die Kälber
geschlachtet und deren Organe von der zuständigen Behörde als vollkommen gesund
anerkannt worden sind.
Das schweizerische Impf institut ist, nach Maßgabe des genferischen Gresetzes vom
27. Oktober 1884, durch das Bureau für das öffentliche Gesundheitswesen des Kantons
Genf zu beaufsichtigen und zu kontroliren.
Art. 8. Die gegenwärtige üebereiukunft wird auf die Dauer von fünf Jahren
geschlossen, nämlich für die Zeit vom 1. März 1885 bis 28. Februar 1890.
Art. 9. Wenn in dieser Zeit andere Kantone der vorliegenden Uebereinkunft bei-
treten wollen und alle vertragschließenden Parteien ihre Einwilligung hiezu geben, soll
die Uebereinkunft revidirt werden, besonders hinsichtlich des Betrages der Gesammt-
subvention und seiner Vertheilung unter die kontrahirenden Kantone.
Art. 10. Wenn im Falle oder in Folge einer größeren Pockenepidemie die für
einen Kanton, namentlich für die Revaccination, gemachte Impfstoflsendung mehr als
das Doppelte der durchschnittlichen Sendung für denselben betragen würde, könnte
das Institut von diesem Kanton einen außerordentlichen Beitrag verlangen, dessen Höhe
zwischen dem Institut und dem betreffenden Kanton direkt vereinbart wird.
Imprägniranstalt. Als solche figurirt im Handelsregister das Etablissement
von J. Gribi in Burgdorf.
Imprime en pieee nennt man alle diejenigen Ganz- oder Halbseiden-
gewebe, welche mit ungefärbtem Rohmaterial gewoben und am fertigen StOck
bedruckt werden. Diese Spezialität ist meistens Lyoner Fabrikat, wird aber
wohl auch von einigen zürcherischen Seidenindustriellen geliefert.
India Dhooties. Ein Gewebe, das mit der Jacquardmaschine in den präch-
tigsten Dessins hergestellt wird. Der Grund ist weiß in den Garnnummern
40 — 50, die Figur meist grün und roth, mit Bordüren; wird in einigen Bunt-
webereien der Ostschweiz fabrizirt, sowohl mechanisch als auch auf dem Hand-
stuhl.
Indien. Betreffend den schweizerischen Waarenverkehr mit Indien siehe
Britisch Indien (pag. 836) und Holländisch Indien.
Die Schweiz steht in vertraglicher Beziehung
a. mit Britisch Indien durch Geldanweisungsvertrag vom 13. September
1880 (A. S. n. F., Bd. 5, pag. 243 [frz. 225]) und durch den Weltpostvereins-
vertrag,
b. mit Holländisch Indien durch Geldanweisungsvertrag vom 20./30. April
1876 (A. S. n. F., Bd. II, pag. 172 [frz. 137]), durch den Weltpostvereinsvertrag
Indien — 61 — Industrie
und dnrch Konsularvertrag vom 19. Jannar 1863 (A. S., Bd. VII, pag. 461).
Diese Verträge wurden mit der Regierung der Niederlande abgeschlossen.
Indienne spielt in der Schweiz keine große Rolle mehr. S. Seite 167, I. Bd.
Indigo (Farbstoff) kommt bekanntlich bis jetzt noch ausschließlich ans den
Tropenländem ; seine künstliche Darstellung ist zwar gelungen, ist aber bis jetzt
ohne kommerziellen Erfolg geblieben. Einfuhr 1853: 1118 q, 1863: 855 q,
1873: 1047 q, 1883: 676 q, 1884: 678 q. Von 1885 an ist Indigo nicht
mehr fdr sich besonders in der Handelsstatistik aufgeführt. Ausfuhr 1853:
52 q, 1863: 59 q, 1873: 73 q, 1883: 78 q, 1884: 258 q.
Indigoersatz. Dieser Farbholzextrakt wird von J. R, Geigy in Basel
iabrizirt und ist so vervollkommnet worden, daß er in ganz Europa und Amerika
in der Baumwollfärberei und -Druckerei eine große Rolle spielt.
Indigoblau wird auch von der Firma Fr. Nahrath & Cie. (Fabrik che-
mischer Produkte) in Genf fabrizirt.
IndigofKrberei und -Draclcerei (Blaufärberei und -Druckerei). Das Blau-
drucken von Baumwollgeweben hatte namentlich im vorigen Jahrhundert, nnd
sw&r speziell im Kt. Glaros, große Bedeutung und Ausdehnnng. Blaugefärbte
Hals-, Kopf- und Nastüoher mit weißen Tapfen etc. waren ein Hauptartikel sowohl
fUr den Bedarf der inländischen Landbevölkerung, als für den Export nach den
süddeutschen Staaten, nach Italien, Afrika etc. Heute ist Blau noch eine Haupt-
farbe für afrikanische Tücher.
Indoplienol ist ein in Basel (aus Dimethylanilin und Naphtol) dargestellter
Farbstoff, welcher dem Indigo ähnliche Nuancen giebt und im Kattundruck an-
gewendet wird.
Indulin ist ein auf verschiedenen Wegen aus Anilin dargestellter Farb-
stoff, welcher namentlich auf Seide fUr bläuliche und graue Nuancen gebraucht
wird. Derselbe wurde im Etablissement von Gerber & ühlmann in Basel entdeckt.
Industrie. Ueber die Industrie als Gesanuntheit jener Gewerbe, welche
sich mit der Verarbeitung von Bodenprodukten und andern Stoffen aller Art zu
Gebrauchs- und Yerbrauchsgegenständen befassen, sind im Artikel „Berufsverhält-
nisse der Schweiz** umÜEissende statistische Angaben enthalten. Ferner ist jeder
Industriezweig unter seinem eigenen Titel mehr oder weniger einläßlich behandelt;
endlich bieten sämmtliche Aufsätze über die Kantone je einen besonderen Ab-
schnitt «Industriegeschichtliches**. £s ist somit statthaft, sich hier auf eine
lediglich resumirende Darstellung zu beschränken und vorzugsweise die Groß-
industrie zu berücksichtigen, welcher die Schweiz in erster Linie ihre wirth-
sohafUiobe Bedeutung verdankt.
«Cbroßindustrie** ist in der Schweiz gleichbedeutend mit „Exportinduslrie'*,
denn für jede wirklich bedeutende innere Produktion ist die Schweiz ein zu
beschränktes Eonsumtionsgebiet.
Sehr zahlreich sind die schweizerischen Exportindustrien nicht; dagegen
sind einige derselben sehr intensiv entwickelt und auf ihnen beruht der Welt-
ruf der Schweiz als Industriestaat. Es sind die Baumwollindustrie, die
Seidenindustrie, die Uhrenindustrie, die Milchwirthschaft ^), die
Maschinenindustrie und die Strohflechterei. Diesen sechs Industrien
allein sind ca. 217,000 Personen oder Ye der ganzen erwerbsthätigen Bevölkerung
des Landes dienstbar und die Werthe ihrer Ausfuhren summiren sich (1885) auf
nahezu Fr. 600'000,000 oder ca. 75 7» ^'^^ Gesammtausfuhr.
*) Von den Statistikern zwar zur Urproduktion gerechnet.
Industrie
— 62 —
Industrie
« .
Den Beweis hiefÜr liefert folgende Statistik:
lodustrie Arbeiter
Baumwollindustrie 88,470*)
Davon Stickerei 38,609
Weberei 25,450
Spinnerei 14,200
Zwirnerei 1,019
Druckerei 4,268
Bleiche und Appretur . . 2,924
Färberei 2,000*)
Uebriges
Seidenindustrie 57,705
Davon Stoffweberei
Bandweberei
Spinnerei
Zwirnerei
Färberei
Uebriges
Uhrenindostrie (ohne Musikdosen)
Strohwaarenindustrie 15'095*)
Maschinen in dostrie 12,847^)
Milchwirthschaft 6,271*)
Approx. Ausfuhr
pro 1885
166^600,000
89700,000
52'000,000
20'900,000
r 600,000
*) Approx. Kinfbhr
ibnl. KrEeugnleee
32^900,000
650,000
25^200,000
r500,000
4'900,000
oben inbegriffen
39,367 ')
2*400,000
172^300,000
70*900,000
28*600,000
67*800,000
oben inbegriffen
5*000,000
79*000,000
4*350,000
21*360,000
55' 130,000*)
650,000
121*100,000
6*380,000
2*740,000
103*250,000
30,270
12,521
6,846
6,668
1,400»)
8*730,000
5*190,000
1*190,000
8'330,000
3*630,000
Größer als . die Zahl der Exportindustrien ersten BAnges ist die Zahl der-
jenigen zweiten und dritten Hanges. Es lassen sich dahin zählen:
Tabakindustrie ... mit 5389 Arb. und rund Fr. 2*330,000 Ausfuhr pro 1885
Schuhfabrikation .
Leinen industrie .
Wollindustrie .
Papier- und Holzstoff-
fabrikation .
Bijouterie
Wirkwaarenindustrie
Musikdosenfabrikation
Elastiqu efabrikation
Holzschnitzerei .
Farbeuindustrie
Chocoladefabrikation
3590
3249
3141
2283
1975
1856
1684
1130
1098
800
354
»
6*500,000
r420,000
9*190,000
3*740,000
3*900,000
1*840,000
3*000,000
2*400,000
1*000,000
8*800,000
1 '800,000
Der Ursprung der schweizerischen Industrien läßt sich bis zum 13. Jahr-
hundert zurück verfolgen. Dazumal hatten die Wollen- und die Leinen-
manufaktur schon eine gewisse Bedeutung und Verbreitung. Die Anfänge der
Baumwoll- und der Seidenmanufaktur werden ebenfalls diesem Jahr-
hundort zugeschrieben. In Genf nahm die Gold- und Silberschmiedekunst
ihren Anfang.
Aus dem 14. Jahrhundert vermeldet die Chronik den Betrieb eines Eisen-
werkes (Genf).
^) Diese Kolonne ist nur zum Zwecke des Vergleiches mit der Ausführkolonne
angefQgt.
*) Nach Schlatter*s Induslriekarte von 1882/83. — *) Approximative Repartition
der Summe aller Färber, minus 150, welche im Dienste der WoU- und der Leinen-
färberei stehen mögen. — *) Voikszählungsstatistik vom 1. Dez. 1880 (Maschinen- und
Mühlenbauer, Eisengießer, Maschinen-Ingenieure und -Techniker). ^) Sennen und
Milchsieder, laut Volkszählungsstatistik von 1880. — *) Käse, Butter und kondensirte Milch.
Industrie — 63 — Industrie
Das 15. Jabrhandert brachte die Papier fabrikation (Basel, Freiburg)
und die Uhr macherei (€tenf).
Dem 16. Jahrhundert verdankt man die Entstehung der Seidenspinnerei,
-Zwirnerei irad -Färberei. (Sporadisch trat auch die Sammetweberei auf.) Dazu
gesellten sich im
17« Jahrhundert die Musselinemanufaktur, die Stoffdruckerei,
die Bleicherei, die Strumpfweberei, die Tabakverarbeitung, die
Spitzenklöpplerei.
Das 18« Jahrhundert zeitigte die Baumwollspinnerei, die Stickerei,
die Strohflechterei, die Musikdosenfabrikation, die Roßhaar-
spinnerei, während Schöpfungen des
19. Jahrhunderts sind: Die Maschinenindustrie, die Farben-
industrie, die Elastiquefabrikation, die Zündholzindustrie, die
Instrumentenfabrikation, die Bierbrauerei, die Holzschnitzerei,
die Fabrikation kondensirter Milch u. s. w.
Selbstverständlich haben die Industrien im Laufe der Zeit wechselnde Schick-
sale gehabt, doch sind diesen nur wenige Zweige erlegen. Fast vollständig ein-
gegangen ist die Spitzenklöpplerei, die im Kanton Neuenburg ein verhältnißmäßig
kurzes Dasein fristete; stark rednzirt ist gegen ehemals die Leinenmanufaktur
und erheblich die Wollmanufaktur. Die übrigen älteren Industrien sind trotz
Wechselföllen mehr und mehr erstarkt, während die neueren Industrien ohne
weiteres in eine dankbare Zeit fielen, indem das gegenwärtige Jahrhundert den
mechanischen Betrieb, die Eisenbahnen, Dampfschiffe und Telegraphen brachte.
So lange die Eigenschaft des Dampfes als bewegende Kraft unbekannt war,
kam der schweizerischen Industrie vornehmlich der Wosserreichthum des Landes
zustatten; doch weit mehr als dies tragen zur Entwicklung der Industrien bei:
Einmal der Thätigkeitssinn und der Unternehmungsgeist des Volkes; dann die
Einwanderung fremder industriekundiger Elemente (s. pag. 519/20); drittens
der schweizerische Söldnerdienst im Auslande, durch welchen sich die Schweiz
Begünstigungen für ihren Handel erwarb ; viertens die Lage der Schweiz inmitten
großer konsumfähiger Ländergebiete; fünftens die stets freihäudlerische Politik
des Landes.
Was die Gegenwart von der Vergangenheit übernommen hat, sucht sie
sorglich zu hüten und zu mehren. Ein ernstliches Mittel hiefür ist die Förderuug
der industriellen Berufsbildung (s. pag, 253/74 und 760), dann die vielseitigen
Anstrengungen zur Vervollkommnung bestehender oder zur Pflanzung neuer
Industrien, die stetige Erweiterung des Konsulametzes, die Sicherung der aus-
wärtigen Handelsbeziehungen durch Handelsverträge, die Benützung jeder seriösen
Ausstellungsgelegenheit im Auslande, die geschickte Organisation von Ausstellungen
im Inlande, die gesetzliche Regelung wichtiger industrieller Interessen etc.
Nichtsdestoweniger ist zu befürchten, daß die schweizerische Industrie ihren
Höhepunkt bereits hinter sich habe. Grund zu dieser Befürchtung gibt das rapide
Wachsthum der Konkurrenzindustrien und der Schutzzöllnerei des Auslandes. Ein
fremdes Grebiet um das andere wird den schweizerischen Waaren schwerer zu-
gänglich, theils weil dort die Baum Wollindustrie, die Seidenindustrie, die Uhren-
Industrie, die Bijouterie oder die Milch wirthsohaft Fuß gefaßt hat, oder weil die
2iölle prohibitiv wirken. Ist auch nicht anzunehmen, daß die Schutzzöllnerei
beständig und ununterbrochen dauere, so ist dafilr die Gewißheit um so größer,
daß, je weitere Kreise die Zivilisation auswärts zieht, dort auch um so mehr
die Fähigkeit wächst, das selbst zu verfertigen, was bisher zum Theil aus der
Industrie
— 64
lodustrie
Schweiz bezogen wurde. Unter solchen Verhältnissen ist es wohltbuend, zu
beobachten, daß der Pflege des einheimischen Marktes eine entsprechend
größere Aufmerhsomkeit zugewendet wird. Die gegenwärtigen Bemühungen einea
Meyer-Nägeli in Herisau um die Popularisirung der Kammgarn weberei, eines
Direktor Fischbach in St. Gallen um die Einführung der Teppichknüpferei, ferner
vieler Vereine und Privaten um die Einbürgerung der Korbflechterei haben alle
zom Zweck, den einheimischen Markt vom Ausland unabhängiger zu machen, an
Stelle versiegender Erwerbsquellen neue zu erschließen.
« *
Folgende Statistik zeigt, wie sich die Hauptindustrien hinsichtlich der
Arbeiterzahl auf die Kantone vertheilen:
Baamwoll-
Seiden-
Uhren-
S^airkk
MHaI*
Kanton
indnstrie
und Hfilfs-
Induütrien
Industrie
and Hülfs-
indnstrien
indnstrie
(ohne Hiuiik-
dosen)
scron-
waaren-
Industrie
Maschinen-
Industrie
jniicn-
wirth-
schaft
Aargau .
6,405
3,141
8,658
659
138
Appenzell A.-Rh.
11,415
1,327
216
73
Appenzell L-Bh.
3,355
—
5
114
Baselland . .
124
7,013
235
—
212
50
Baselstadt . .
8
8,237
445
—
Bern . . . .
1,386
2,506
17,468
56
1,176
1416
Freiburg . .
25
475
3,715
116
388
(Jenf . . . .
—
2,950
—
573
33
Glarus
7,879
408
148
28
Graubünden . .
441
—
—
68
142
Luxem .
290
989
—
—
436
468
Neuenburg . ,
197
—
14,525
83
301
62
Nidwaiden . .
11
118
—
7
121
Obwalden . .
—
4
30
Schaffhausen
219
—
234
—
466
25
Schwyz . . .
1,108
707
—
—
51
229
Solothurn . .
583
815
1,597
—
712
271
St. Gallen .
. 32,560
1,394
1,012
457
Tessin . . .
60
1,280
80
1,250
40
52
Thurgau . . .
8,553
789
—
—
774
306
Dri ... ,
219
—
4
12
Waadt . .
351
—
1,803
230
467
953
Wallis . . ,
. — —
—
59
61
66
Zürich . . .
. 12,350
26,875
—
1,014
4,869
422
Zug . . .
. 1,150
1,887
30
25
415
88,470
57,705
39,367
15,095
12,847
6271
Kanton
Tabak- Sohuh-
Indu- fabri-
atrie katton
Papieren. Leinen- Wollen-
HolBstoff- Inda- indo-
fabrikat. strie ttrie
BiJou- Wlrk-
terie waaren
Musik- BlM-
dosen tiquM
Holi-
•ohnltk
Aargau . .
. 2605 715
149
72 60
107
128 750
Appenzell A.-Bh
13
70
Appenzell I.-Rh
—
Baselland
7
36
25 40
Baselstadt .
. 241
102
Bern . . .
. 350 31
364 2033 996
28 772
1088
Freiburg . .
. 44
52
66 15
5
Industrie
— 65 —
Industrie
Genf .. . . .
44
20
1550
4G0
Glarus
48
87
240
17
Graabünden . .
50
98
5
18
Luzern . . .
165
206
121
79
16
Neuenburg . .
44
82
18
190
Nidwaiden . .
3
5
5
Obwalden
Sohafifhausen
—
78
416
76
15
Schwyz . . .
10
Solotburn . .
80
1956
370
370
50
302
St. Gallen . .
41
93
44
8
67
130
Teesin
. 396
53
Tburgau . . .
68
145
18
250
394
373
Uri . . .
Waadt . .
. 1087
314
85
60
145
260
1096
5
Wallis . .
. 50
28
11
Zürich . . .
42
328
396
424
267
45
217
67
Zug . . .
34
77
22
5389 3589 2283 3249 3141 1975 1856 1684 1134 1098
Zeigen die vorstehenden Tabellen, wie sich die H a n p t indostrien über die
Schweiz verbreiten und wie jeder Kanton an denselben partizipirt, so ergibt sich
aus folgender Statistik die Rangordnung der Kantone hinsichtlich der Zahl aller
industriell (inkl. kleingewerblich) thätigen Personen. Von je 1000 erwerbsthätigen
Personen sind laut eidg. Volkszählungsstatistik von 1 880 industriell und gewerblich
thätig (die Miichwirthschaft ist in der Volkszählungsstatistik zu der Urproduktion
gerechnet und somit in folgenden Zahlen nicht inbegriffen) :
im Kanton
1. Appenzell A.-Rh.
2. Glarus . . .
3. Baselstadt .
4. Neuenburg .
5. Appenzell L-Rh
6. Baselland
7. St. Gallen .
8. Zürich . .
9. Genf . . .
Per«.
721
682
631
606
598
569
561
527
494
im Kanton
10. Zug . . .
11. Thurgau
12. Solothum .
13. Aargau . .
14. Bern . . .
15. Schwyz . .
16. Scbaffhausen
17. Nidwaiden .
18. Waadt . .
Pers.
482
466
446
435
380
375
364
348
307
im Kanton
Per«.
19.
Obwalden . .
. . 305
20.
Luzern . . .
. . 297
21.
Tessin . . .
. 270
22.
Freiburg . ,
. 267
23.
GraubQnden ,
. 217
24.
Uri . . .
. . 139
25.
Wallis . .
. . 121
Die Totalzahl aller industriell und gewerblich thätigen Personen war im Jahre
1880 550,824 (s. Seite 230 d. Lexikons); davon waren Ende 1885 144,312
= 26,2 7o ^ Fabriken beschäftigt, somit lagen 73,8 7^ ^^^ Haus-
industrie und dem häuslichen Gewerbe ob.
Der Fabrikbetrieb ist vorherrschend bei der Spinnerei und Zwirnerei, der Zeng-
dmokerei, der Appretur und Bleicherei, der Färberei, der Glaserzeugung, der
Tabakindustrie, der Zündholzfabrikation, der filastiquefabrikatfon, der Maschinen-
industrie, der Papier- und Holzstofffabrikation.
6e|setjzgeb|ung übjejr Ijndustjrie und HandeL
Von der Zollgesetzgebung und den Handelsverträgen abgesehen, greift die
schweizerische Industrie- und Handelsgesetzgebung, soweit sie vom Bund aus-
geht, noch nicht in viele Gebiete ein und ist tlberhaupt jüngeren Datums. Das
bedeutendste einschlägige Gesetz ist unstreitig dasjenige über die Arbeit in
den Fabriken, vom 23. März 1877 (s. pag. 602 d. Lexikons). Demselben
Tvrrer, VolkawirthaohafU-Lazikon der Schwels. 5
Industrie — 66 — Industrie
schließt sich an dasjenige über die Haftpflicht ans Fabrikbetrieb, vom
25. Jnni 1881 (s. pag. 816), das gegenwärtig (Mitte 1886) in Revision begriffen
ist. ly« Jahre früher, d. i. am 19. Dezember 1879, wurde ein Cresetz sam
Schatze der Fabrik- und Handelsmarken erlassen (s. pag. 585), dann
am 23. Dezember 1880 das G^etz betreffend die Kontrolirung und
Garantie des Feingehalts der Gold- und Silberwaaren (s. pag. 781)
und am 17. Juni 1886 das Gt^setz betreffend den Handel mit Gold- und
Silberab fällen (s. pag. 779). Ebenfalls auf die Industrien influirend ist der
Bundesbeschluß vom 27. Juni 1884 betreffend die gewerbliche und indu-
strielle Berufsbildung (s. pag. 254).
Mehr den Handel als die Industrie berührt das eidgenössische Obligati oBe n-
recht, das auf Grund ron Art. 64 der Bundesverfassung angestellt und am
1. Januar 1883 in Kraft gesetzt worden ist. Es enthält u. A. Bestimmungen
tibar die Verträge, über Kauf und Tausch, über Prokuristen, Handlungs-
bevollmächtigte und Handelsreisende, über Kommission, Geschäftsführung ohne
Auftrag, über den Wechsel und den Check, über die Handelsfirmen und das
Handelsregister.
Dem Obligationenrecht voraus ging das Bundesgesetz über die Ausgabe
und die Einlösung von Banknoten, vom 8. März 1881 (s. pag. 557);
ein Bundesgesetz betreffend die Beaufsichtigung der Privatunter-
nehmungen im Gebiete des Versicherungswesens folgte am 25. Juni
1885. Dem ganzen wirthschaftlichen Leben und doch zunächst dem Handel und
der Industrie zu Statten kommend sind die Bundesgesetze über den Bau und
Betrieb der Eisenbahnen (pag. 539), über die Posten und Telegraphen,
das Mtlnzwesen und über Maß und Gewicht.
Die kantonale G^etzgebung über Industrie und Handel besteht haupt-
sächlich aus Verordnungen über die Ausführung der Bundesgesetze, danebst
kommen aber auch selbstständige Gesetze vor, namentlich über Hausir- und
Marktverkehr, Lebensmittel verkehr, Trödlerei, Inkasso- und Darleihensgeschäfte etc.
Literatur.
Die Literatur über Handel und Industrie der Schweiz ist eine mannigfaltige,
ohne indeß viele größere Werke aufzuweisen. Die bedeutendsten sind unstreitig
diejenigen von Dr. H. Wartmann, Aktuar des Kaufmännischen Direktoriums
in St. Gallen; sie sind betitelt: „Industrie und Handel des Kantons St. Gallen*^
(Huber (!k Cie. daselbst) und „Atlas über die Entwicklung von Industrie und
Handel der Schweiz**.
Als periodiscae Publikationen haben großen Werth die Jahresberichte des
Schweizerischen Handels- und Industrievereins, sowohl des Vororts, als der
Sektionen.
Die Tagesliteratur ist durch mehrere Fachzeitungen vertreten : Neue Ztlrcher
Zeitung (Handelsabtheilung), Basler Handelszeitung, Schweizer Industrie-2ieitung,
Stickerei-Industrie, Journal suisse d'horlogerie, Merkur, Confidentia, Schweizerisches
Handelsamtsblatt (die Schweizerische Handelszeitung ist Ende Oktober 1886 ein-
gegangen).
Einführung neuer Industrien.
Ob das industrielle Leben darniederliege oder mit aller Kraft pulsire, ob
Noth oder üeberfluß herrsche, Zollmauern zusammenstürzen oder entstehen —
der Ruf nach neuen Industrien verstummt nie ganz; er ist wie ein unter der
Asche glimmendes Feuer, das bald nach dieser bald nach jener Richtung auf-
Industrie — 67 — Industrie
flackert. Die zahlreichen Anregungen zur Schafifting neuer Industrien liissen sich
in zwei Gruppen sondern : in private, nicht üher einen kleinern Kreis hinaus-
tretende, und in öffentliche. Die ersteren hängen vielfach zusammen mit der
Ertindurg von Maschinen und Mustern, die anderen haben ihren Quell meistens
in der Nothlage einer Gregend oder in den Ausstellungen. Die Anregungen der
-erfiteren Art erfUUen sich oder verschwinden verhältnißmäßig rasch, diejenigen
der zweiten Art wiederholen sich, so lange sie nicht realisirt sind, bei jeder
schicklichen Gelegenheit. Beide Arten haben Das miteinander gemein, daß ihre
Ausführung sich oft viel schwieriger macht, als vorausgesetzt wird.
Der erfiüirene, als Industrieller wie als Kaufmann und Handelspolitiker
gleich sehr geschätzte Herr Steiger-Meyer in Herisau sagt im 1870er Bericht
der appenzellischen Industriekommission:
^Die Aufgabe, neue Industrien einzufahren, ist leichter gegeben, als erfUlt. Nur
wer die Einfölming einer Industrie schon versucht hat, kennt die enormen Sdiwierig-
keiten, die damit verbunden sind. Sie beginnen damit, fähige Kräfte zu finden, welche
genügende Geduld und Ausdauer besitzen und mit Vertrauen bei der Sache bleiben,
bis sie den nötbigen Geling haben, um den in Aussiebt gestellten Verdienst zu erreichen.
Ein ferneres Hindemiß liegt in der Armuth der Leute, welchen gewöhnlich die Mittel
fehlen, um den Ausfall zu decken, welchen die Lehrzeit in ihre Einnahmen bringt. Es
lassen sich allerdings leicht Leute finden, welche bereit sind. Dieses oder Jenes zu
probiren, aber mit solchen ist höchst selten gedient ; ein Mann, der ein Geschäft versteht
und die eigenen Mittel hat, ein solches zu etabliren, geht selten an einen Ort, wo er
neben den natürlichen Schwierigkeiten, welche die Etablirung jedes Geschäftes mit sich
bringt, sich noch mit den Ansprüchen und Vorurtheilen neuer Arbeiter herumschlagen
soll, wenn ihm nicht billige Arbeitslöhne, günstige Wasserkräfte oder billige Brenn-
materialien eine Entschädigung für die ersten Opfer bieten."
Außer diesen Ursachen wirkt in hohem Maße zur Erschwerung der Ein-
führung neuer Industrien mit, daß die Konkurrenz die neuen Versuche nicht
aufkommen lassen will, daß die Mode sich bald von den neuen Fabrikaten ab-
wendet, daß der kaum gefundene Absatz unvermuthet wieder stockt etc. So hatte
die Tüll Weberei in deu Jahren 1826/28 im St. Gallischen und Appenzellischen
bereits schön Boden gefaßt fKreisammann Heer in Rheinek war der Initiant und
die St. Galler gemeinnützige Gesellschaft schloß sich ihm an), allein der englische
Tüll wurde konstant so billig gebandelt, daß jene den Kampf nicht aushalten
konnte. Nicht reüssirt hat im Femern, ebenfalls im Appenzellischen, die C or set-
webe r ei, die um 1848 an Hand genommen wurde, aber bald der billigeren
Maschineimäherei unterlag. Die Fabrikation von Halbwolldamast war in
den Jahren 1861 — 1865 ein lohnendes Geschäft; man importirte sie aus Sachsen
nach dem appenzellischen Hinterland, wo man sie leicht zu handhaben verstand,
baldiger Absatzstockung wegen aber nicht fortsetzen konnte. Die Chinagarn-
fipinnerei, 1865 im St. Gallischen wegen Baumwollthenerung (amerikanischer
Krieg) unternommen, konnte sich nur bis zur Blickkehr normaler Baum wollpreise
behaupten. Zwei Anläufe des Kaufmännischen Direktoriums in St. Grallen zur
Einführung der Halbwoll- und Wollweberei, der eine in den 50er, der andere
in der zweiten Hälfte der 70er Jahre, reüssirten deßhalb nicht in jener Gegend,
weil zur 2^t des ersten Anlanfes der st. gallische Handelsstand zu einem Versuch
nicht disponirt war, während beim zweiten Anlauf es sich zeigte, daß die Haus-
industrie dem anderwärtigen mechanischen Großbetrieb schon nicht mehr gewachsen
war, und weil Niemand die Anlage einer Fabrik riskiren wollte.
Aehnliche Beispiele ließen sich auch aus den übrigen Industriegegenden in
Menge zitiren; indessen ist es nicht der Zweck dieser Zeilen, die Anregungen
2ur Elinfdhrung neuer Industrien als unnütz und überflüssig hinzustellen. Sie
Industrie — 68 — Instrumente
mtlssen im Gegentheil als Zeichen der Strebsamkeit, der Fürsorge und der Vater-
landsliebe aufgefaßt werden. Oder sollten die PreisausschreiboDgen des Kauf-
männischen Direktoriums in St. Gallen (vom Jahre 1813) und des Herrn Schindler-
Eecher in Zürich (vom Jahre 1883) für die besten schriftlichen Arbeiten über
einzuführende neue Industrien anderen als den edelsten Motiven entsprungen sein ?
Uebrigens sind weder die Anregungen dieser Art, noch jene, welche in der
Regel in Ausstellungsberichten formulirt zu werden pflegen, trotz den in der
Praxis sich ergebenden Schwierigkeiten immer erfolglos. So ist es sehr wahr-
scheinlich, daß ohne die Preisausschreibung des Herrn Schindler- Escher die
Kammgarn Weberei sowohl als die Teppichkniipferei sich noch nicht in dem gegen-
wärtigen glückverheißenden Stadium befänden.
Wie zähe sich gute Ideen erhalten, beweist der Umstand, daß der schon
auf das Preisausschreiben des Kaufinännischen Direktoriums gefallene Vorschlag
auf Einführung der Spielwaarenfabrikation auch heute noch unablässig wieder-
kehrt. Die Spiel waarenschule in Bern ist vermuthlich unter der Pression dieser
steten Anreizungen entstanden ; der Korbflechterei ist Jahre lang gerufen worden,
bevor ernstlich Hand an dieselbe gelegt wurde — Grand genug somit, zu hoffen,
daß auch noch andere alte und doch nie veraltende Vorschläge, wie Ausdehnung
der Handschuhfabrikation, der Hutfabrikation, der Fabrikation künstlicher Blumen,
der Konfektion, der Rauchwaarenartikel-Fabrikation, der Cichoriensubereitung,
Einführung der Stahlfedemfabrikation, bessere Ausnützung der inländischen Roh-
stoffe u. s. w., sich nach und nach verwirklichen. Möge dabei nicht vergessen
werden, daß die größte Förderung der heimischen Industrie in der Hebung des
künstlerischen Geschmackes des Volkes besteht, denn vor der Kunst in der Arbeit
verneigen sich selbst chinesische Mauern.
Industriebahnen verfertigt als Spezialität Alfred Gehler, Ingenieur und
Mechaniker in Wildegg, Aargau.
Industrielles Eigenthum s. Gewerblicbes Eigenthum.
Informationsbureaux. Die schweizerischen Adreßbücher verzeichnen
ca. 60 Informationsbureaux. Im Handelsregister waren Ende 1884 nur 8 ein-
getragen.
Ingenieure. Birkhäuser's Adreßbuch (Basel, 1885) verzeichnet ca. 500
schweizerische Ingenieurfirmen, wovon 83 im Kt. Bern, 81 im Kt. Zürich, 57
im Kt. Waadt, 50 im Kt. Genf, 44 im Kt. Tessin, 34 im Kt. Luzem, 33 im
Kt. St. Gallen, 23 im Kt. Graubiinden, 19 im Kt. Aargau, 19 im Kt. Neuen-
burg, 8 in ßaselstadt, 8 im Kt. Freiburg, 7 im Thurgau, 7 im Kt. Uri, je 4
in den Kantonen Appenzell A.-Rh., Scbwyz und Solothurn, je 2 in den Kantonen
Glarus, Schaifhausen und Wallis, je 1 in Baselland, Nidwaiden und Obwalden.
Inkassogeschäfte. Im Handelsregister waren Ende 1884 94 Inkasso-
geschäfte eingetragen. Dazu dürften, nebst den Banken, noch alle sog. Geschäfts-
und Recbtsagenten zu zählen sein.
Instrumente zu wissenschaftlichen (chirurgischen, mathematischen
und physikalischen) Zwecken. Diese Fabrikation steht in der Schweiz auf
hoher Stufe, weniger zwar durch die Zahl der sie ausübenden Firmen als durch
die Qualität der Leistungen. Hauptsitze dieses Industriezweiges sind Basel, Aarau^
Schaff hausen, Genf und Zürich.
Einfuhr (inklusive optische Gläser, Brillen, Operngucker) 1883: 914 q^
1884: 908 q, 1885: 944 q im Werthe von Fr. 871,620 (424 q kamen aus
Deutschland, 265 q aus Frankreich, 182 q aus Belgien, 35 q aus Ghroß-
britannien.)
Instrumente — 69 — Interessenvertretung
Ausfuhr 1S83: 480 q, 1884: 840 q, 1885: 582 q im Werthe von
Fr. 965,917 (167 q nach Italien, 113 q nach Frankreich, 110 q nach Deutsch-
land, 45 q nach Oesterreich, 36 q nach Belgien).
Integrator ist der Name eines im Jahre 1856 von Amsler-Laffon in
Schaff hausen erfundenen Instrumentes, das u. a. zur Ermittlung des Volumens
des von einem Schiff bei verschiedenem Tiefgange verdrängten Wassers dient.
Interessenvertretung im Auslande. Die Interessen der Schweiz im Aus-
lande sind, wie diejenigen anderer Staaten, einerseits politischer, anderseits wirth-
schaftlicher Natur. Beide Arten haben ihre Vertretung: Die einen in den Gesandt-
schaften, die andern in den Konsulaten. Ganz streng sind zwar die Kompetenzen
nicht abgegrenzt, sondern die Gesandtschaften haben ebensowohl Angelegenheiten
von rein wirthschaftlicher Bedeutung zu besorgen (Handelsverträge, Zollanstände etc.)
als manche Konsulate kleinere Geschäfte politischer Natur, letzteres immerhin nur in
Staaten, wo die Schweiz keine diplomatische Vertretung (Gesandtschaft) hat. In
neuerer Zeit richten einige Staaten ihr Augenmerk noch auf eine dritte Form der
Interessenvertretung, d. i. auf Handelskammern im Ausland. Die Schweiz sah sich
ebenfalls veranlaßt, Untersuchungen in dieser Hinsicht anzustellen ; wie und mit
welchem Resultate, soll im Anschluß an folgende nähere Darstellung des Ge-
sandtschaft- und des Konsularwesens gesagt werden.
Gesandtschaften.
Vor dem Jahre 1798, also vor der sogenannten Periode der Uehetik,
unterhielt die Eidgenossenschaft als solche keine ständigen Gesandtschaften. Viel-
mehr wurden jeweilen in einzelnen Fällen, in denen eine mündliche Verhandlung
angemessen oder unerläßlich schien, Spezial-Gesandtschaften an diesen oder jenen
Staat abgeordnet.
Indessen wäre es ein Irrthum, anzunehmen, daß die Errichtung ständiger
Gesandtschaften nicht auch schon in frühern Zeiten sich als ein nahes Bedürfniß
geltend gemacht hätte und in den Berathungen der alten Eidgenossen zur Sprache
gebracht worden wäre. Vielmehr finden sich in den altern Abschieden (Tag-
satzungsbeschlüssen) deutliche Spuren vom Gegentheile, und es wurd^ schon um die
Mitte des 17. Jahrhunderts die Aufstellung eines ständigen Vertreters der Eid-
genossenschaft wenigstens in Paris auf den eidgenössischen Tagleistungen zur
Sprache gebracht. Zur Ausführung kam dieser Gedanke freilich nicht, sondern
es behalf sich die G^ammtheit der 13 alten Kantone bis zum Jahr 1798 mit
Spezialabordnungen. Dagegen unterhielten nach dem Grundsatze vollständiger
Autonomie die katholischen Orte, wenigstens zeitweise, ständige Agentschaften in
Madrid, Mailand und Eom.
In Rom war gewöhnlich der schweizerische Gardehauptmann mit diploma-
tischem Charakter umgeben; doch findet sich dort auch im Jahr 1714 ein Ab-
bate Guidobaldo Giuliani und 1743 ein Herr Fargna als Agent der katholischen
Kantone, und zwar der letztere mit einem Jahresgehalt von 120 Dublonen.
Für Madrid wurde im Jahr 1665 Karl Konrad von Beroldingen als
Vertreter bezeichnet mit einem Jahresgehalt von 1200 Kronen. Nach seinem
Kticktritte wurde ein gewisser Giov. Battista Cassani mit der Mission betraut,
welchem im Jahr 1680 sein Sohn Joseph Cassani nachfolgte.
um die gleiche Zeit waren in Mailand zuerst Dr. Burtholome Crivelli
und nach ihm sein Sohn Franz Crivelli die diplomatischen Vertreter der katho-
lischen Orte mit dem Titel ^ Agent**.
Ausnahmsweise und seltener bestellten auch die evangelischen Orte solche
Interessenvertretung — 70 — Interessenvertretung
besondere politische Agenten. So zur Zeit Ludwig's XIV. in Paris, während
freilich ein gleichfalls daraaf abzielender Antrag im Jahr 1731 der Kosten wegea
abgelehnt wurde. Diese Thatsaohe, nämlich die gesonderte Vertretung der beiden
Beligionsverwandtschaften, dürfte die Erklärung enthalten, warum es trotz wieder-
holter Anregung niemals zu einer G^sammtvertretung gekommen ist. Allerdings^
mögen die mit solchen Posten verbundenen großem Auslagen und der Mangel
einer Bundeskasse, aus welcher die Kosten zu bestreiten gewesen wären, bedeutend
mitgewirkt haben.
Eine entschieden andere Gestaltung nahm die Sache mit dem Eintritte der
sogenannten Helvetik; die helvetische Regierung nämlich unterhielt ständige Ver-
treter in Paris, Mailand und etwas später in Wien.
Nach dem Zusammenbruch der alten Eidgenossenschaft und dem Beginn
der Einheitsregierung waren naturgemäß die Beziehungen zwischen der Schweiz-
und Frankreich die mannigfaltigsten und tief eingreifendsten.
Die Schweiz war von französischen Truppen besetzt; sie unterhandelte mit
der französischen Republik den Abschluß eines Allianz- und eines Handels-
vertrages, und namentlich mit Rücksicht auf diesen letztern Vertrag suchte der
Bürger Xaver Zeltner von Solothurn, welcher kurz vor dem Eintritte der
Helvetik im Auftrage seines Kantons in Paris gewesen war, das Direktorium
zur Kreirung eines Gesandt^chaftspostens bei der französischen Republik zu
bestimmen.
Das Direktorium ging auf diese Anschauung ein und übertrug den Posten
am 27. April 1798 dem eben genannten Zeltner als Minisire Plinipotentiaire^
welchem gerade wegen des im Wurfe liegenden Handelsvertrages der Berner
Amadeus Jenner bereits am 27. Mai gleichsam als Legationsrath, sonderbarer
Weise aber ebenfalls in der Eigenschaft eines außerordentlichen Gesandten, bei-
gegeben wurde.
Als am 13. Januar 1800, also nach dem Sturze des französischen Direktoriums,
der mit der gestürzten Regierung nahe befreundete Zeltner zurücktrat, bekleidete
der mit der neuen Regierung mehr s^mpathisirende Jenner die Stelle allein bis
zum 12. Dezember 1800. An diesem Tage wurde er auf seinen Wunsch ent-
lassen, und die Regierung gab ihm sofort in dem helvetischen Minister der
Künste und Wissenschaften, Peter Albrecht Slapfer, von Brugg, einen Nachfolger,
welcher die Schweiz bis zum Ende der Helvetik in würdigster und ausgezeichnetester
Weise vertreten hat. Stapfer, durch die Mediationsakte zum Präsidenten der
helvetischen Liquidationskommission ernannt, kehrte zu Anfang des Jahres 1803^
nach der Schweiz zurück.
Die Beglaubigung eines helvetischen Repräsentanten in Mailand resp. bei
der cisalpinischen Republik wurde hauptsächlich durch die ennetbirgischen
Kantone Lugano und Bellinzona betrieben und zunächst mit Rücksicht auf diese
Kantone beschlossen. Der Posten wurde am 5. Juli 1798 dem Bemer Halter^
gewesenem KommiKsär bei der italienischen Armee, übertragen, mit dem Titel
Ministrcy und es wurde ihm sein Bruder Albert Hall er beigegeben. Haller ^
welcher von der französischen Regierung in Mailand nicht gerne gesehen wurde,
während der erste Konsul der französischen Republik ihn in Paris wohl leiden
mochte, wo er ohne Zweifel einen auf die Geschicke seines Vaterlandes bedeutenden
Einfluß ausgeübt hat, bekleidete den Posten in Mailand bloß bis zum Jahr 1799.
Von da an war der Posten eine Zeit lang unbesetzt, indem Haller erst am
18. August 1800 in der Person eine« gewissen Taglioretti einen Nachfolger
IntereasenTertretung — 71 — . Interessenvertretung
erhielt. Dieser Repräsentant hieß zunächst hloß Agent, da seine Mission nar
eiue vorübergehende sein sollte, mit dem bestimmten Zwecke, die Aufhebung
des Gktreideauflfuhrverbotes aas Cisalpinien zu erwirken. Später fand man es
aber für angemessen, diesen Agenten in Mailand zu belassen, während man es
der Würde beider Bepubliken ^r angemessener erachtete, dem schweizerischen
Vertreter einen höhern Charakter zu verleihen, worauf Taglioretti am 19. Januar
1801 zum Charge d^ Affaires befördert ward.
Die £mennung eines Vertreters am kaiserlichen Hofe in Wien wurde erst
gegen das Ende der Helvetik vorgesehen. Als nämlich aus dem am 10. Oktober
1801 in's Werk gesetzten Staatsstreiche die unitarische Partei unterlegen und
eine föderalistische Regierung hervorgegangen war, suchte diese letztere die
nähern Beziehungen zum deutschen Reiche, namentlich zum Hause Oesterreich,
wieder herzustellen. Zu diesem Behufe sandte das Haupt der damaligen Regierung,
Landammanu Alois Meding^ der Übrigens gegen ständige Repräsentation gestimmt
war, den Bemer von Dießbach an den Hof nach Wien, und zwar, wie es im
ursprünglichen Kreditive hieß, in der Eigenschaft eines außerordentlichen Bot-
schafters. Diesen hochklingenden Titel, dem übrigens, wie die Rechnungen nach-
weisen, der zeitweilige Vertreter alle Ehre anzuthun gewußt hat, fand man doch
den bescheidenen Verhältnissen der Schweiz wenig angemessen, weßhalb man
später dem Vertreter am Kaiserhofe nur noch den Charakter eines außerordent-
lichen Gesandten und bevollmächtigten Ministers bewilligte.
Mit dem Sturze des föderalistischen Regimentes und dem Emporkommen
der Unitarier am 17. April 1802 fand die kurze, aber glänzende Mission des
Herrn von Dießbach durch seine am 26. Mai lb02 erfolgte Abberufung ihr
EiUde. Zu seinem Nachfolger ernannte die Regierung den kaiserlichen Hofagenten
Freiherm von Müller- Mühleg f/, dessen Familie, ursprünglich aus der Schweiz
stammend, schon seit Jahren in Wien niedergelassen war.
Im ersten Jahre der Mediationszeit beschloß die neue Tagsatzung (16. Sept.
1803), daß nach Anleitung der Vermittlungsakte und gemäß dem in den In-
struktionen ausgesprochenen Willen der meisten Kantone die Schweiz von nun
an keine immerwährenden Gesandtschaften mehr bei den auswärtigen Mächten
haben solle. Allein diesem in Erinnerung an die Zeiten vor 1798 gefaßten Be-
schlüsse vermochte bei den mittlerweilen völlig veränderten Verhältnissen die
Ausführung nicht nachzufolgen. Demgemäß behielt man die Stellen in Paris und
Wien von Jahr zu Jahr bei, da ihre Aufhebung für den Augenblick nicht
thnnlich schien.
Dagegeu wurde der Landammann der Schweiz eingeladen, für Aufhebung
des Gksandtschaftspostens in Mailand die erforderlichen Schritte zu thun. Diese
Aufhebung erfolgte dann auch zu Anfang des Jahres 1804, jedoch nur fUr kurze
Zeit. Denn schon am 4. Dezember ' gleichen Jahres wurde in Anbetracht der
Mannigfaltigkeit und Wichtigkeit der in Berücksichtigung kommenden Interessen
der Fasten wieder besetzt, und zwar in der Person eines Herrn Antonio Marcacci,
von Locamo, dessen sehr bescheidene Besoldung zu drei Fünfteln von der Eid-
genossenschaft und zu zwei Fünfteln von den zunächst betheiligten Kantonen
GraubUnden und Tessin getragen wurde.
Nach Paris hatte der Landammann der Schweiz den Herrn Konstantin von
Maillardoz aus Freiburg abgeordnet, welcher dann auch von der Tagsatzung
bestätigt wurde, und der die Stelle in Paris während der ganzen Mediationszeit
als Envoy^ Extraordinaire bekleidet hat.
InteressenTertretung — 72 — Interessenvertretung
Auch der Gesandtschaftsposten in Wien erlitt während der Mediationszeit
keine Veränderung.
£Un wieder räumte die Tagsatzung von 1804 den katholischen Orten die
Befugniß ein, in eigenen Kosten einen diplomatischen Agenten in Rom halten
zu dürfen, wovon jedoch kein Grebrauch gemacht worden ist.
Unter der Herrschaft des Bundesvertrages von 1815 blieben die][ Gesandt-
schaftsposten in Paris und Wien unverändert fortbestehen. Dagegen wurde in
Folge der veränderten Stellung der Lombardei der Gesandtschaftsposten in Mai-
land aufgehoben, in ein Generalkonsulat und später im Jahr 1835 in ein ge-
wöhnliches Handelskonsulat umgewandelt. Mit der Restauration in Frankreich
trat der bisherige schweizerische Gesandte von Maillardoz von seinem Posten
zurück, und es wurde von da hinweg bis zum Jahr 1847 die Schweiz in Paris
durch Herrn von Tsckann aus Solothurn mit dem Charakter eines ChargS
d^ Affaires vertreten. Ihm folgte in gleicher Eigenschaft seit 1847 bis 1857
Herr Dr. Jos. Hyacinthe Barman von Wallis, dessen diplomatische Thätigkeit
mithin in die Zeit des neuen Bundes hinüberreicht.
In Wien versah der schon unter der Helvetik ernannte Müller von Mühlegg
die Geschäftsträgerstelle bis zu seinem am 17. Dezember 1824 erfolgten Ableben.
Bis zu seiner Ersetzung wurde der Posten provisorisch durch Herrn Freiherr
von Gaimiiller verwaltet. Die Tagsatzung des Jahres 1826 wählte zum schwei-
zerischen Geschäftsträger am kaiserlichen Hofe den Herrn Albrecht Efßnger von
Wildegg aus Bern, welcher den Posten bis 1848 bekleidete und dann, jedoch
nur vom Juli bis Ende Oktober 1848, durch Herrn Dr. Kern ersetzt wurde.
Als es sich um die Bestellung des G^schäftsträgerpostens im Jahr 1848 handelte,
wurde in der Tagsatzung verschiedentlich darauf hingewiesen, daß die Eidgenossen-
schaft nicht mehr in Wien, sondern bei der damaligen deutscheu Reichs Versamm-
lung in Frankfurt, welche ein einheitliches Deutschland zu verheißen schien,
vertreten sein sollte, gleich wie die Reichsversammlung, bezw. der damalige
Reichs Verweser, während einiger Zeit durch den bekannten Abgeordneten Mavaun
in der Schweiz vertreten war. Jene Ansicht fand in dem Beschlüsse ihre Be-
rücksichtigung, daß der neu gewählte Geschäftsträger in Wien sich darein zu
fügen habe, wenn die oberste Bundesbehörde eine Verlegung des Gesandtschafts-
sitzes für angemessen erachte.
Ein im Jahr 1848 von Tessin gestellter Antrag auf Errichtung einer Ge-
schäftsträgerstelle in Turin fand damals keine Berücksichtigung.
Was die Wahl der diplomatischen Vertreter betrifft, so fiel dieselbe während
der Helvetik verfassungsmäßig der Vollziehungsbehörde zu. Von 1803 bis zum
?]intritte der Buudesverfassung von 1848 bildeten dagegen die diplomatischen
Vertretungen ein stehendes Traktaudum der Tagsatzung, indem von ihr die Ge-
sandtschaften alljährlich einer Wiederwahl unterworfen wurden.
Dies änderte sich mit der neuen Ordnung der Dinge, obwohl sich die
Bundesversammlung in der Bundesverfassung (Artikel 74, AI. 3) die Wahl der
eidg. Repräsentanten vorbehielt. Immerhin, der Gepflogenheit der alten Tagsatzung
entsprechend, wurde schon in der zweiten Session des neuen gesetzgebenden
Körpers (1849) verlangt, daß der Bundesrath berichte, ob nicht die Geschäfts-
trägerstellen in Paris und Wien aufzuheben und durch bloße Konsulate zu
ersetzen seien.
Der Bundesrath erwiederte darauf, ein Konsul habe, wenn auch Öffentlichen,
80 doch keinen gesandtschaftlichen Charakter, er werde auch nicht als regelmäßiger
Interessenvertretung — 73 — Interessenvertretung
Stellvertreter seines Staates für alle Angelegenheiten, namentlich nicht fdr die
politischen, hei einer fremden Regierung akkreditirt, sondern erhalte nur einen
Bestellungsbrief als Konsul, und bei Ueberreichung desselben werde um das
Exequatur in der Stellung als Konsul nachgesucht. Daraus folge, daß derselbe
nicht zu dem allgemeinen diplomatischen Verkehre zugelassen würde.
Noch deutlicher zeichnete der Bundesrath den Unterschied zwischen den
Getiiandten und den Konsuln in einem spätem Berichte. Er sagt daselbst:
n Die Ersetzung der diplomatischen Vertreter durch Konsuln als allgemeine Maß-
regel ist heutzutage nicht möglich. Vorerst b<t den Konsuln in manchen Ländern
und gerade in denen, wo die Schweiz vertreten zu sein das meiste Interesse hat,
nicht gestattet, über den beschränkten Kreis ihrer Befugnisse, wie er durch das Völker-
recht, den Gebrauch und die bestehenden Reglemente allgemein gezogen ist, hinaus-
zugehen. Sie werden nicht als Vertreter einer Regierung bei einer andern betrachtet.
Gemeiniglich ist ihnen nicht nur nicht gestattet, persönlich mit den Ministern der
auswärtigen Angelegenheiten zu verkehren, sondern selbst ihre schriftlichen Mitthei-
lungen werden nicht immer entgegengenommen. Insbesondere ist dies der Fall in
Frankreich, Italien, Oesterreich und Deutschland. In anderen Staaten hat es wohl
Ausnahmen gegeben, die Eegel aber will, daß die Generalkonsuln wie die andern nur
mit untergeordneten Behörden verkehren. Um den Generalkonsuln das Recht zu ver-
schaffen, mit den auswärtigen Regierungen direkt zu verhandeln, müßte man ihnen
den diplomatischen Charakter verleihen, und von diesem Augenblicke an wären sie
nicht mehr Konsuln. Es würde das unvermeidlich einen Wechsel ihrer ganzen Stellung
zur Folge haben ; denn sie könnten z. B. nicht mehr ihre Handels- oder gewerblichen
Geschäfte leiten, und es müßten ihnen feste Gehalte ausgeworfen werden, was hinwieder
die beabsichtigte Erspamiß zu nichte machen würde.''
Obigem Antrag auf Ersetzung zweier Geschäftsträger durch Konsulate wurde
nun, nach den bundesräthlichen Aufklärungen, keine Folge gegeben; ja es ver-
gingen blos einige Jahre, bis die Bundesversammlung statt einer Abschaffung der
Gesandtschaften eine Vermehrung derselben wünschte. Sie formulirte nämlich
anläßlich der Prüfung des bundesräthlichen Geschäftsberichtes pro 1852 das
Postulat, der Bundesrath sei eingeladen, der Bundesversammlung einen Bericht
über die Zweckmäßigkeit einer Vervollständigung der diplomatischen Vertretung
der Schweiz und einer Ausdehnung derselben über diejenigen Länder, welche die
zahlreichsten und wichtigi>ten Verbindungen mit derselben pflegen, vorzulegen.
Dabei hatten die Postulanten speziell Washington und London im Auge,
wo die Konsulate sehr stark in Anspruch genommen waren.
Mit seiner Antwort auf dieses Postulat leistete der Bundesrath den Beweis,
daß, wenn er früher energisch für den Fortbestand der Gesandtschaften in Paris
und Wien eingetreten, es nicht aus Liebhaberei oder Rechthaberei, sondern aus
Noth wendigkeit geschehen war; denn er benützte die Neigung der Bundes-
versammlung, die Zahl der Gesandtschaften zu vermehren, nicht, sondern argu-
mentirte (jetfen eine solche Aenderung, da ein wirkliches Bedürfniß dazu sich
noch nicht geltend gemacht habe. Dagegen wünschte der Bundesrath, den Rang
der Repräsentanten in Paris und Wien zu erhöhen und damit ihre Wirksamkeit
zu erweitern, sowie dem Generalkonsul in Washington eine Entschädigung für
Kanzlei- Auslagen zuzuwenden. Die Bundesversammlung stimmte zu und bewilligte
Fr. 5000 Jahresentschädigung für das Konsulat in Washington, Fr. 36,000
Jahresgehalt für den Geschäftsträger in Paris und Fr. 18,000 für den Geschäfts-
träger in Wien. Daraufhin konnte der Bundesrath den Hrn. Barmann in Paris
mit dem Range eines bevollmächtigten Ministers der Eidgenossenschaft ausstatten,
und den Hm. Eid. Steiger in Wien vom interimistischen zum definitiven Geschäfts-
träger promoviren (1856).
Hr. Barmann konnte sich dieser finanziellen Besserstellung nicht lange freuen^
Interessenvertretung — 74 — Interessenvertretung^
denn im folgenden Jahre ernannte der Bnndesrath wegen der Neuenburgerwirren
und der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Napoleon III. und dem Thur-
gauer Dr. Kern den letztem zum Nachfolger Barmann's.
Andere Neuerungen gab es im diplomatischen Korps nicht bis anfangs 1860»
als der Bnndesrath den Genfer Staatsrath Tourte als außerordentlichen Gesandten
nach Turin abordnete, was er in der darauf folgenden Bundesversammlung
folgendermaßen begründete :
« Durch die Einverleibung der Lombardei in das Königreich Sardinien hat di&
Bedeutsamkeit dieses Staates fOr die Schweiz außerordentlich zugenommen, da die
Eidgenossenschatl nunmehr von ihrem äußersten östlichen Ende bis zum westlichen
ganz an Sardinien grenzt. Der schon früher aufgetauchte Wunsch, in Turin diplomatisch
vertreten zu sein, mußte in doppelter Stärke auftreten, da die Beziehungen zu Mailand
und zur Lombardei nicht geringer sind als diejenigen zu Turin und Piemont. Man
mußte sich vergegenwärtigen, daß schon die gewöhnlichen Verkehrsverhältnisse eine
persönliche Vertretung der Schweiz in Turin bedingen und daß namentlich im gegen-
wärtigen Momente eine Reihe von Fragen politischer, militärischer und kommerzieller
Natur mit Sardinien zu verhandeln seien, welche nur durch eine persönliche Vertretung
eine entsprechende Erledigung finden könnten/
Die Bnndesyersammlung approbirte das Geschehene, freilich in der Meinung^
die Gesandtschaft werde sich später wieder aufheben lassen; statt dessen ist die-
selbe eine permanente geworden.
Im Jahre 1862 wurden die Gehalte aller schweizerischen Vertreter im
Auslande einer Revision unterworfen und auf Fr. 50,000 erhöht fär Paris, auf je
Fr 22,000 für Turin und Wien.
Bei der Verlegung des Sitzes der italienischen Regierung und mithin auch
des diplomatischen Korps nach Florenz im Jahre 1865 wurde der Gehalt dea
schweizerischen Vertreters, Hrn. Pioda, der mit dem Range eines Ministers
Herrn Tourte nachfolgte, auf Fr. 30,000 festgesetzt. Im Jahre 1866 starb
Herr Steiger in Wien und wurde provisorisch durch Hrn. Aepli aus St. GtiUen»
hernach durch Hrn. v. Tschudi aus Glarus ersetzt.
Das war der Stund der diplomatiscben Vertretung der Schweiz im Jahre
1866 beim Eintritt der kriegerischen Ereignisse in Deutschland und Oesterreich.
Die tiefgreifenden politischen Vorgänge in diesen zwei Nachbarstaaten, besonders
die Bildung einer neuen Staatengruppe um Preußen, veranlaßten die schweiee-
rischen Behörden, die Kreirung einer Gesandtschaft in Berlin in's Auge zu
fasHCu. Die Bundesversammlung selbst war es, welche vom Bundesrath einen
Bericht verlangte Über die Folgen, welche der neue Zustand der Dinge in Bezug^
auf unsere diplomatische Vertretung haben könne.
Der Bundesrath benützte diese Gelegenheit zu einer umfassenden Darstellung-
unseres Gesandtschaftswesens, und indem er die Beibehaltung der diplomatischen
Agentschaft am Wiener Hofe dringend wünschte, weil trotz dem Ausscheiden
Oesterreicbs aus dem norddeutschen Bunde unsere Beziehungen zu jener Macht
immer noch sehr bedeutende seien, betonte er eben so sehr die Nothwendigkeit
eines Gesandtschaftspostens am preußischen Hofe^ den er übrigens, in Anbetracht
der Dringlichkeit, bereits hatte zur That werden lassen. (Herr Landammann Heer
aus Glarus übernahm provisorisch die Mission; punkto Gehalt war er dem Ge-
sandten in Wien gleichgestellt.) Die übrigen Staaten betreffend, bemerkte der
Bundesrath, daß die politische Konvenienz zwar geböte, in Anwendung der Rezi-
prozität sich wenigstens bei jenen Staaten, welche bei uns Gesandtschaften halten,
vertreten zu lassen, allein man wisse überall, daß die Schweiz vermöge ihrer
finanziellen und politischen Einrichtungen nicht in der Lage sei, für ihre Ver-
tretung im Ausland Opfer zu bringen, welche außer Verhäituiß zu den auf die
Interessenvertretung .— . 75 ^. Interessenvertretung
innere Verwaltung verwendeten ständen; man habe ihr deshalb auch nie zuge-
muthet, da Gresandtschaften zu halten, wo sie hiefttr nicht ein genügendes Interesse
gefunden und wo sie, Dank dem freundschaftlichen und wohlwollenden Entgegen-
kommen der auswärtigen Regierungen, dem Bedürfnisse in anderer Weise genügen
konnte. Speziell bei England, Rußland und der nordamerikanischen Union, welche
Staaten in erster Linie in Betracht fallen, sei die geographische Lage nicht derart,
daß diese Staaten die Fragen, welche die Schweiz berühren mögen, in so nniiiittel-
barer Weise beeinflussen, wie die an uns grenzenden Länder. Allerdings pflege
die Schweiz mit jenen Staaten zahlreiche Beziehungen; auch seien in denselben
viele Schweizer niedergelassen, denen die Anwesenheit eines Repräsentanten von
Nutzen sein könnte; indessen habe in den meisten Fällen die Thätigkeit der
Konsuln genügt und in andern Fällen habe der Bundesrath mit Erfolg die guten
Dienste der seitens jener Mächte in der Schweiz akkreditirten Vertreter angerufen.
Die schweizerischen Generalkonsuln in London, Petersburg und Washington hätten
stets unbeanstandet mit den Ministerien in offlzielleu Verkehr treten können.
Der Bundesrath beantragte somit, es einstweilen bei den in den oier Grenz-
Staaten errichteten Gesandtschaften bewenden zu lassen, mit dem Vorbehalte,
fernerhin die Zahl der Gesandtschafton festzustellen, welche der Bundesversammlung
jeweilen durch die politischen Ereignisse der Schweiz als geboten erscheinen
möchten.
Die Bundesversammlung pflichtete diesem Autrage bei. Vortrefflich war die
Begründung seitens der über die Angelegenheit referirenden ständeräthlichen
Kommission, in deren Namen der gewesene interimistische Geschäftsträger am
Wiener Hofe, Herr Aepli, aus eigener Erfahrung sprechen konnte und namentlich
auf eine Seite des Gesandtschaftsweseus hinwies, die vorher nie betont worden
war. Er sagte u. A. :
„ Die wichtigste Aufgabe eines (resandten ist unstreitig die spezifisch politische.
Schon die Absendung eines Gesandten und die Annahme eines solchen bei einem
fremden Staate bildet einen Akt und begründet die Anerkennung der vollsten Souve-
ränetät. Welchen Werth alle Staaten, ob Monarchien oder Republiken, auf dieses
äußere Zeichen ihrer Selbständigkeit legen, zeigt nicht nur die Thatsache der so zahl-
reichen stehenden Gesandtschaften, welche die Lander diesseits und jenseits des Ozeans
gegenseitig und oft auch da halten, wo es durch materielle Gründe kaum gerechtfertigt
erscheint, sondern beweist auch der Umstand, daß Länder, die nach UnabhAngigkeit
streben, sobald als möglich durch die Absendung von Gesandtschaften ihre Souve ränetät
zu beurkunden suchen. Im Jahre 1849, als in mehreren Ländern Europas Revolutionen
walteten, trafen eigene Abgesandte von Sicilien, Rom und Ungarn in der schweizerischen
Bundesstadt ein, um durch ihre Akkreditirung die Anerkennung jener Staaten durch
die Eidgenossenschaft zu erlangen zu suchen. Die nordamerikanische Regierung, die
damals geneigt schien, die ungarische Republik anzuerkennen, soll sogar zum Zciclien
dieser Anerkennung bereit gewesen sein, einen diplomatischen Vertreter nach Pest ab-
zusenden, der nur deßhiilb nicht an seinen Bestimmungsort gelangte, weil vor seiner
Ankunft Ungarn wieder der österreichischen Regierung unterworfen worden war.
,Die Schweiz hat ein entschiedenes Interesse, zunächst mit den sie umgebenden
Staaten im Wohlvernehmen zu bleiben, nicht nur, weil eine Masse von Beziehungen
besteben, von denen das Wohl so manches Einzelnen ihrer Angehörigen abhängt, sondern
auch, weil ihr die Freundschaft und Achtung ihrer Nachbarn bei größern Verwickelungen,
von denen auch sie berührt werden könnte, nur vortheilhafl sein kann. Der Umstand,
daß diese nächsten Nachham Monarchien sind, wird sie nicht iiljhalten, dieses Wohl-
vemehmen zu pflegen, weil die engern Beziehungen der Staaten untei einander nicht
sowohl von der Gleichartigkeit der Regierungsformen, als derjenigen der Interessen
abhängt, wofQr die schon lange bestehende innige Allianz der nordamerikanischen
Freistaaten mit dem in konstitutioneller Hinsicht so wonig verwandten Rußland ein
sprechendes Beleg bildet
»Auf die Erhaltung und Befestigung der Neutralität und damit auch der Unab-
hängigkeit des Vaterlandes hinzuwirken und die Situationen jeweilen in diesem Siaii«
Interessen verti-etung — 76 — | Interessenvertretung
zu benützen, wird eine stete Aufgabe der Bundesregierung bleiben, und es werden ihr
bei diesen Bestrebungen eigene Gesandte bei den benachbarten Regierungen von wesent-
lichem Nutzen sein können. Bei den mannigfaltigen BerQhrungspuniten, welche zwischen
einer Regierung und einem bei ihr akkreditirten Gesandten bestehen, zeigt sich Grelegen-
heit genu^, den Institutionen, Gesetzen, Sitten und Gewohnheiten seines Landes Achtung
zu verschaffen, störende Mißverständnisse zu beseitigen, . den Werth gegenseitiger guter
Beziehungen hervorzuheben und überhaupt das selbstständige Streben seines Volkes
nach den hohen Zielpunkten der Zivilisation, nach geistiger und materieller Entwicklung,
nach Freiheit und Ordnung, durch die es seine Stellung unter den übrigen Völkern
legitimirt, auch in seiner bescheidenen Sphäre zu vertreten.*
Trotz der so erzielten Uebereinstimmung zwischen Bundesversammlung und
Bundesrath sollte die Frage des Gesandtschaftswesens nicht lange schlummern.
Der Bundesrath war nämlich im Laufe des Jahres 1868 im Falle, 1) an Stelle
des deraissionirenden Herrn Dr. Heer den Herrn Oberst Bernhard Hammer
von Öolotburn als außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister
beim Norddeutschen Bund, bei den süddeutschen Staaten Baden, Bayern, Württem-
berg und beim Großherzogthum Hessen zu beglaubigen; 2) den Geschäftsträger
in Wien, Herrn Dr. v. Tschudi, zum außerordentlichen Gesandten und bevoll-
mächtigten Minister zu promoviren ; 3) dem Generalkonsul in Washington,
Herrn Hitz, den Charakter eines politischen Agenten zu verleihen.
Dieses Vorgehen des Bundesrathes gab der nationalräthlichen Geschäfts-
prüiungskommissiou Anlaß, die Ansicht auszusprechen, die Verhältnisse der schwei-
zerischen Vertretung im Auslande seien mit den diesfälligen Vorschriften der
Bundesverfassung schwer vereinbar. Die Bundesverfassung von 1848 habe die
Wahl der eidgenössischen Repräsentanten der Bundesversammlung vorbehalten
und as hätte deshalb der Charakter eines Vertreters der Eidgenossenschaft auch
nur einem von der Bundesversammlung Gewählten zukommen dürfen. Unser
sämmtliches diplomatische Personal im Auslande sei aber nur gelegentlich vom
Bundesrath bestellt worden, ohne Amtsdauer, ohne genauere Regulirung der
Stellung und der Verantwortlichkeit gegenüber dem Vater lande. Da das diplo-
matische Corps nichtsdestoweniger im Verlauf der Zeit einen Charakter von Per-
manenz angenommen habe, und die Neigung vorhanden zu sein scheine, dem-
selben einen immer weiteren Umfang zu geben, so dürfte es an der Zeit sein,
diesen Zweig der öli'entlichen Verhältnisse auf dem Wege der Gesetzgebung zu
organisiren; namentlich dürfte die Frage in Erwägung fallen, ob nicht diese
Stellen ebenso wie alle politischen Stellen in der Eidgenossenschaft einer perio-
dischen Wiederwahl unterworfen werden sollten.
Diese Kritik und die Diskussion darüber hatten nun das Resultat, daß der
Bundesrath zur Berichterstattung eingeladen wurde darüber, ob und inwiefern
die Organisation der diplomatischen Vertretung der Schweiz im Auslande im
Wege der Gesetzgebung zu ordnen sei.
Vom Momente dieser Auftragsertheilung bis zur Ausführung des Auftrages
gingen acht Jahre in's Land. Der Bundesrath erstattete seinen Bericht erst am
28. Se[)tember 1877. Mittlerweile war die Bundesverfassung revidirt worden
(1874); die Wahl der eidgenössischen Repräsentanten gehörte nicht mehr, wie
1848, in die Befugnisse der Bundesversammlung, und ein Bundesbeschluß vom
21. Dezember 1872 hatte die Gehalts Verhältnisse der Gesandtschaften geregelt
(Fr. 50,000 Paris, je Fr. 40,000 Wien, Berlin und Rom). So hatte der Bundes-
rath jenem Postulat gegenüber einen wesentlich leichteren Stand. Dazu kam,
daß der Zeitpunkt der Berichterstattung ein politisch ruhiger und zu keinen
Aenderungen lierausfordernder war. Indessen ist anzunehmen, daß, wenn dem
Interessenvertretung — 77 — Interessenvertretung
auch nicht so gewesen wäre, das luoide, von gründlicher Sachkenntniß zeugende
Gutachten des damaligen Bundespräsidenten, Dr. Heer, die Bundesversammlung
von der Unhaltharkeit ihrer ehemaligen Ansichten überzeugt hätte.
fH 3» Zwischen der Regierung eines Landes und ihren diplomatischen Vertretern im
Auslände/ sagte Bundespräsident Heer, „muß das vollste Vertrauen herrschen. Eine
diplomatische Vertretung, von welcher die Regierung befürchten müßte, daß sie ander-
weitigen, z. B. politischen oder Parteieinflüssen aus dem Heimatlande zugänglich wäre,
der man eben deßhalb nicht jederzeit und mit vollem Vertrauen auf absolute Diskretion
die delikatesten Mittheilungen machen dürfte, wäre ein Instrument, das gerade in den
Fällen, wo es sich am meisten nützlich erweisen sollte, praktisch unbrauchbar wäre.
Dieses Verhältniß, das in der Natur der Sache und des Dienstes, den die Diplomatie
überhaupt zu leisten bat, begründet ist, läßt es unseres Erachtens als durchaus wünsch-
bar, ja unerläßlich erscheinen, daß es der Regierung freistehe, die Männer ihres Ver-
trauens nach eigenem, freiestem Ermessen an den geeignet scheinenden Platz zu stellen.
Die Intervention einer gesetzgebenden, überhaupt einer durch mancherlei besondere
Gesichtspunkte geleiteten großen politischen Versammlung, sei es, daß sie die Beherr-
schung der Wahl direkt, oder bloß durch den Vorbehalt eines Bestätigungsrechtes, in
ihre Hand nähme, würde wenigstens die Möglichkeit begründen, daß die Wahl auf
PersOnUchkeiten fiele, denen die Regierung nicht mit dem vollen Vertrauen gegenüber-
stände, wie die Natur des Verhältnisses es erfordert, und man geht schwerlich zu weit,
wenn man behauptet, daß in einem solchen Falle die Aufhebung des Gesandtschafls-
postens sich, dem Fortbestehen unter den erwähnten Voraussetzungen gegenüber, em-
pfehlen würde.
«Können wir demnach nicht empfehlen, durch die Gresetzgebung die Wahl unserer
diplomatischen Vertreter in andere Hände zu legen, ais in diejenigen, in denen sie
nach der BundesverfassunR von 1874, so lange das Gresetz nichts Anderes verfügt, ohne-
hin liegt, so müssen wir (und zwar wesentlich mit der gleichen Begründung) uns auch
ge^en die Einführung einer festen Ämts<iauer für die Gresandten aussprechen. Es ist
durch die eigenthümUcbe Natur des Verhältnisses geboten, daß die Regierung, welche
ihre Vertreter als die Männer ihres Vertrauens ernennt, dieselben auch fortwährend
in ihrer Hand behält und demgemäß in der Lage ist, sie j e d e r z e i t von ihrer Stelle
abzuberufen, u. s. w.*
Auf diesen Bericht hin wurde das Postulat, das dazu Anlaß gegeben, fallen
gelassen. Seitdem hat die Gesandtschaftsfrage nur noch einmal in den eidgenös-
sischen Käthen gespielt und zwar nach der Demission des verdienstvollen
Generalkonsuls Hitz in Washington, im Jahre 1881. Was dieser Mann seit
1864 als Generalkonsul und politischer Agent (seit 1868, in welcher Eigen-
schaft er aber von der nordamerikanischen Ünionsregierung nicht anerkannt wurde,
weil das internationale Recht den Rang eines ,. politischen Agenten*" nicht kenne)
der Schweiz und seinen ausgewanderten Mitbürgern geleistet, hätte kaum ein
zweiter Schweizer in Amerika unter den gleichen Bedingungen zu leisten über-
nommen. Der Bundesrath verlangte daher, um eventuell das Generalkonsulat in
eine Gesandtschaft umwandeln zu können, von der Bundesversammlung einen
entsprechenden Kredit, der auch gewährt wurde und das Referendum anstandslos
passirte. Mit einem Jahresgehalt von Fr. 50,000 wurde darauf Herr Oberst
Emil Frey von Ariesheim zum außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten
Hinister in Washington gewählt ri882). Daß sich diese Besoldung für Washington
als zu niedrig erwies, eine Erhöhung um Fr. 10,000 aber vom Schweizervolke
verweigert wurde, ist noch Jedermann in frischer Erinnerung.
Mit Washington ist der Ring der schweizerischen Gresandtschaften im Aus-
land einstweilen geschlossen. Wie lange, steht vielleicht weniger im Belieben
der Schweiz, als der auswärtigen Regierungen.
Siehe auch Seite 704 d. Lexikons (Vgl. Bnndesblatt 1867, II, Seite 313
bis 353 und 645, sowie 1877, IV, Seite 31).
Interessenvertretung — 78 — Interessenvertretung
Konsularwesen.
Die ersten schweizerischen Konsulate sind zur Zeit der üelvetik (1798
bis 1803) entstanden und zwar in Bordeaux (1798), Marseille und Grenua (1799),
Nantes (1801) und Triest (1802). Die Konsularbrevets waren vom Direktorium
der helvetischen Republik ausgestellt. Der offizielle Titel der Konsuln lautete
vom 1. Januar 1800 an: „ Kommissär der Handelsverhältnisse der helvetischen
Eepublik" (Commissaire des relations commerciales de la R^publique helv^tique).
Dieser weitläufige Titel kam daher, daß die französische Regierung den Titel
„Konsul'' ausschlieljlich ihren drei obersten Machthabern (Napoleon Bonaparte,
Gambac^res und Lebrnn) reservirt wissen wollte.
Die Aufgabe der Konsuln war nicht genau begrenzt ; ein formeller Bosch laß
darüber oder eine Instruktion für Konsuln liegt aus jener Zeit nicht vor und
auch in den Anstellungsdekreten wurde kein Autschluß über die Obliegenheiten
der Konsuln gegeben. Diese hatten sich alsdann auf dem Korrespondenswege
oder durch persöa liehe Unterredungen nach ihren Pflichten zu erkundigen. Einem
dieser Frager wurde die Antwort, die Instruktionen würden von Fall zu Fall,
je nach dem Bedürfniß, ert heilt; unter Anderm aber bestehe die Aufgabe der
Konsuln darin, die Reklamationen der helvetischen Kaufleute zu empfangen und
zu unterstützen, die Handelsrechte der helvetischen Republik zu wahren und den
Handelsverträgen zu Hülfe zu kommen.
Man legte also das Hauptgewicht auf die Vertretung der Handelsinteressen,
was übrigens schon daraus hervorgeht, daß die drei ersten Konsularposten auf
die bedeutenden Hafen- und Handelsstädte Bordeaux, Marseille und Grenua
Verlegt wurden. £s geht aus den zahlreichen, meist politische und auch kom-
merzielle Vorfälle behandelnden Korrespondenzen der ersteu Konsulate an das
helvetische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten hervor, daß das letztere
bezw. das Direktorium in der Auswahl der Persönlichkeiten eine glückliche
Hand hatte: Die Konsuln zeigten sich als gebildete und dienstfertige Männer,
die sich übrigens durch das ihnen anvertraute Mandat sehr beehrt fühlten. Nur
der Konsul in Genua wäre gerne noch höher gestellt worden, .weil,** wie er
schrieb, „in den Hafenstädten die Konsuln kein besonderes Ansehen genießen,
nicht über dem Kaufmann stehen, nur merkantile und maritime Greschäfte be-
sorgen und keinen Rang neben den Gesandten oder £nvoy6s haben.** Der näm-
liche Konsul schaffte sich auch sofort eine Uniform an, obwohl die Frage der
Uniformirung der KouHuln erst zwei Jahre später vom helvetischen Direktorium
in Erwägung gezogen wurde.
Die Bewilligung zur Ausstellung von Pässen an reisende Schweizer wurde
den Konsuln im Juli 1800 ertheilt. Darüber, daß die Konsuln während der
Helvetik etwelche Entschädigung für ihre Verrichtungen bezogen hätten, liegt
kein Nachweis vor.
Als durch die napoleonische Mediationsakte neue politische Zustände
in der Schweiz geschatfen waren, wollte die Tagsatzung auch die Repräsentations-
verhältnisse im Auslande neu regeln. Sie trug daher am 8. Juli 1803 dem
Landammann der Schweiz auf, ihr über die diplomatischen Agentschaften einen
Bericht zu erstatten. Der Landammann kam diesem Auftrage am 14. September
ISOii nach *) und die Tagsatzung faßte daraufhin am 16. September folgenden
Beschluß :
') Nach diesem Bericht soll während der Helvetik außer den früher erwähnten
fünf Konsulaten noch ein sechstes in Calais bestanden haben; es ist aber in den Akten
nichts darauf Bezügliches zu tinden.
liitereäj$eavertretiuig — 79 — Interessenvertretung
1) «Die Schweiz hält keine immerwähiende Gesundtschaft t>ei den auswärtigen
Mächten, und bei außerordentlichen Sendungen, welche von der Tagsatzung mit Be-
willigung der Kantone angeordnet werden, soll auf die möglichste Kostenersparniß alle-
mal Bücksicht genommen werden.
2) Die ConsuU oder Cammissärs der Handelsverhältnisse, welche in den von
schweizerischen Handelsleuten meisteas besuchten Plätzen und Seehäfen angestellt werden,
sollen, was die Kosten ihrer Verrichtungen anbetriflt, der Schweiz Jiuf keine Weise zur
La<;t fallen.
3) Bei der Wahl derselben wird jedes Mal auf den Wunsch deijenigen schweizeri-
s<rhen Gemeinden oder Handelshäuser Rücksicht genommen, welche in einer Handels-
stadt oder einem Seehafen die Anstellung eines Konsuls verlangen, und zu dem Ende
die Ernennung auf einen dreifachen Vorschlag von Seiten derselben eingeschränkt. Die
auf diese Weise getroffene Wahl soll alsdann sämmtlichen Kantonsregierungen angezeigt
werden.
4) Unter den oben festgesetzten Bedingungen, und bis auf die künftige Tagsatzung,
ernennt der Herr Landammann der Schweiz zu diesen Stellen, und kann demnach die
wirklich bestehenden Konsuls bestätigen, abändern, und nöthigenfalls die Zahl derselben
vermehren oder vereinbaren.
5) Der Landammann der Schweiz hat die Aufsicht über die Verrichtungen dieser
Handelsagenten und soll wachen, daß der Name der schweizerischen Nation, welche sie
vorstellen, nicht gemißbraucht und der gute Huf derselben nicht gefährdet werde.
E^ war dies der einzige gesetzgeberische Akt während der Mediationszeit,
der auf das Konsulatsweseii Bezug hatte; auch wurden nur zwei neue Konsulate
kreirt, d. i. diejenigen in Livorno (1809) und Neapel (1812).
Der nächste Schritt zur Vervollkommnung des Konsularwesens geschah
durch den Tagsatzungsbeschluß vom 8. August 181B, welcher sich von den
früheren Beschlüssen namentlich dadurch unterschied, daß er die Konsuln nicht
mehr bloß als Vertreter der Handelsinteressen hinstellte, sondern sie gewisser-
maßen ZQ Rechtsbeiständen und Notaren für die Angelegenheiten schweizerischer
Landsleute erhob.
Der Beschluß lautete folgendermaßen :
1) ,Die Eidgenössische Tagsatzung erkennt den Grundsatz, daß schweizerische
Handelskonsuln im Auslande, und zwar in den Staaten und Handelsstädten ernannt
werden, in denen Schweizer als Kaufleute etablirt sind. Da, wo es die Ausdehnung des
angewiesenen Wirkungskreises oder ganz besondere Verhältnisse erfordern, mag der
Titel (Generalkonsul bewilligt werden.
2) „Es liegt den Handelskonsuln ob, den im Kreis des Konsulats sich aufhaltenden
Schweizern in allen VorfTdlen Rath, Beystand und Schutz zu leisten ; alles anzuwenden,
daß sie als Angehörige eines befreundeten Staats» anerkannt und behandelt werden, und
in dieser Eigenschaft die durch die Gesetze des Staats gestatteten Rechte und Vortheile
genießen.
„Es steht den Konsuln zu: Die Ertheilung der Pässe an Schweizer, die Ausstellung
von Certlfikaten, sowie die Legalisation von Akten, welche die persönlichen Verhältnisse
der Schweizer oder Objekte ihres Handels betreffen ; alles in dem Ziel und Maße, als
es die Gesetze des Staats den Konsulaten gestatten.
„Es liegt den Konsuln ob, bei Todesfällen von Schweizern das Interesse abwesender
Erben wahrzunehmen, oder auch für anwesende Wittwen und Kinder pflichtgemäß zu
sorgen, bis die kompetente Behörde das Weitere verfQgt hat. Sie werden über alle er-
theilten Akten jeder Art genaue Register führen, allen Verhandlungen RechtschafTenheit
und Gewissenhaftigkeit zum Grund legen und nichts vornehmen, was die Gesetze des
Staats, in dem sie residiren, verbieten.
„Die Konsuln werden dem Vororte der Schweiz von Ereignissen und Verfügungen,
die den schweizerischen Handel betrcfTen, sorgfaltig Bericht geben; sie werden ebenso,
wenn ansteckende Krankheiten in dem Staat, in dem sie residiren, oder in benachbarten
Ländern ausbrechen, und von den Maßregeln, die von den Regierungen getroffen werden,
schleunige und sorgfältige Anzeige ertheilen. Sie werden endlich die Aufträge erfüllen,
die ihnen vom Vorort ertheilt werden.
Interessenvertretung — 80 — Interessenvertretung
3) »Die Konsuln beziehen weder Gehalt noch irgend eine Entschädigung aus der
Bundeskasse. Hingegen mögen sie, für die von ihnen ertheilten Akten, mäßige Grebühren
beziehen, deren bescheidene Bestimmung erwartet wird. Die Passe an Unvermögende
werden unentgeltUch ertheilt.
„Das Siegel der Konsuln für amtliche Ausfertigungen soll in der Mitte das Eid-
genössische Wappen und die Umschrift „, Schweizerische Eidgenossenschaft. Koasul in
N . . .** enthalten.
4) ,Der Vorort wird, auf angemessenem Wege, die Anerkennung der Konsuln oder
das Exequatur des Patent«« auszuwirken trachten und nur da, wo spezielle Zwecke es
erfordern, die Korrespondenz durch die diplomatischen Agenten gehen lassen. Der Vor-
ort wird sich fleißige Berichte über ihre Verrichtungen und die Stellung des Konsulats
zu den Landesbehörden ertheilen lassen. Die Kantonsregierungen mögen in Spezialfällen
denselben direkte Aufträge ertheilen, oder aber den Vorort dafür ersuchen.
5) «Die Ernennung der Handelskonsuln steht der Tagsatzung zu, welche die Wahl
auf einen einfachen Vorschlag des Vororts, der von den Kantonsgesandtschaften ver-
mehrt werden kann, vornehmen wird. Wenn sich die Tagsatzung nicht versammelt be-
findet, ist der Vorort begwältiget, dieselben vorläufig zu ernennen, welche Wahl dann
aber der nächstfolgenden Tagsatzung zur Bestätigung vorgelegt werden soll.*'
Obiger Beschluß wurde am 10. August 1819 durch folgenden Zusatz er-
gänzt :
1) «Die schweizerischen Handelskonsuln haben, weder fOb: allfällige Taxen, die sie,
um das Exequatur ihrer Patente zu erlangen, zu bezahlen im Fall sein möchten, noch
fOr andere zu Erzielung ihrer Anerkennung etwa erforderUche Leistungen von Gebühren,
noch unter andern Titeln, irgend eine Entschädigungsansprache zu machen; und über-
haupt soll die Zentralkasse, der Konsulate wegen, mit keinerley Lasten oder Beyträgen
beschwert werden.
2) «Der Löbliche Vorort ist eingeladen, jedesmal bei Ernennung eines Konsuls»
gegenwärtigen Beschluß demselben zu seinem Verhalt zu eröffnen."
Das Motiv zu dieser fast hartherzig scheinenden Maßregel bestand darin ^
daß der Konsul in Lissabon für sein Exequatur 1400 alte Schweizerfranken zu
erlegen hatte und um Rückerstattung der Summe bat, die ihm auch, weil er
sich seinen Landsleuten gegenüber sehr wohlthätig erwiesen hatte, gewährt wurde.
Glücklicherweise sind Gebühren, namentlich so hohe, für die Exequatnrertheilung
heutzutage nicht mehr üblich.
Mit den obigen Tagsatzungsbeschltlsseii hatte es punkto Eonsulargesetzgebung
für die Restaurations- und Regenerationsperiode sein Bewenden; dagegen fielen
in der Tagsatzung viele Anträge auf Errichtung von Konsulaten, es liefen auch
viele und überflüssige Offerten von Konsulatskandidaten ein, so daß sich die
ziemlich rasche Erweiterung des Konsularn etzes leicht erklären läßt. Es sind
der Reihe nach folgende Konsulate entstanden (diejenigen aus der Helvetik werden
der Uebersicht wegen nochmals erwähnt): 1798 Bordeaux, 1799 Marseille^
Genua, 1801 Nantes, 1802 Triest, 1809 Livorno, 1812 Neapel, 1815 Amster-
dam, 1816 Petersburg, Lyon, Hävre, 1817 Lissabon, London, Odessa, 1818
Rom, 1819 Antwerpen, Liverpool, Rio de Janeiro, 1822 New York, Washington,
1826 Brüssel, 1827 Mexiko, 1828 Turin, Femambnco in Brasilien, Moskau,
1829 New Orleans, 1833 Bahia, 1834 Pemambuco, Buenos Ayres, 1835 Mai-
land, Leipzig, 1840/41 ? Palermo, Messina, 1841 Philadelphia, Savannah in
den Vereinigten Staaten, 1842 Madison im Staat Indiana, Algier, Para in Brasilien,
1846 Hamburg, Galveston, 1847 Christiania, Barcelona, Rotterdam, 1848 Bastia
auf der Insel Korsika — in Summa 44 Konsulate, wovon 29 in Europa, 14 in
Amerika, 1 in Afrika. Die Zahl 14 für den amerikanischen Kontinent beweist,
wie wichtig dieser Erdtheil schon in der ersten Hälfte, ja schon im ersten Drittel
des laufenden Jahrhunderts für unsern Handel war.
Interessenvertretung — 81 — Interessenvertretung
Der neue Bund von 1848, dessen Verfassung dem Schutz der Vülkswirth-
schaftlichen Interessen einen weit größeren Spielraum eingeräumt hatte, als die-
jenige von 1815, konnte nicht lange zögern, der Frage des Konsularwesens
nahe zu treten. Der wachsende Handel sowohl wie die stets sich mehrende An-
Siedlung schweizerischer Angehöriger in fremden Ländern gehoten, das Pflichten-
heft der Konsuln zu erweitern. Der Bundesrath erließ daher am 1. Mai 1851
ein Reglement, das jenes von 1816 punkto Zahl der Paragraphen um das Acht-
fache übertraf.
Schon dadurch, daß dieses Reglement die frühere Bezeichnung „ELandels-
konsuln** nicht mehr wiederholte, sondern durchweg nur von „Konsuln*" sprach,
war stillschweigend ausgedrückt, daß den Handelsinteressen die übrigen Interessen
koordinirt sein sollen. Dementsprechend war auch der Theil des Reglementes,
der von der Mitwirkung der Konsuln bei der Ordnung zivilrechtlicher Verhält-
nisse von Schweizern im Auslande handelt, nicht weniger umfangreich als der
die Wahrung und Förderung der Handelsinteressen beschlagende Theil. Ganz
neu waren gegenüber früher die Vorschriften betreffend Führung von Büchern
und Verzeichnissen, sowie die Normirung der Gebühren für die einzelnen Ver-
richtungen. Auch Jetzt wieder wurde der Grundsatz ausgesprochen, daß die
Konsuln weder eine flxe Besoldung noch eine andere Vergütung aus der Bundes-
kasse erhalten sollen. Dagegen wurde das Tragen einer (genau beschriebenen)
Uniform bei amtlichen Anlässen gestattet, sofern ein Konsul sich eine solche
auf seine eigenen Kosten anschaffen mochte. Nicht übersehen wurde ferner, in
Bezug auf die Korrespondenzauslagen schützende Bestimmungen für die Konsuln
zu treffen, was übrigens auch schon im Februar 1849 durch einen Extrabeschluß
geschehen war.
Abgesehen von einer Aenderung des Gebühren tarifs im August 1852 und
von einigen späteren kleineren Modifikationen (wie: Gestattung der Annahme
eines fremden Konsulats, wenn keine Kollision der Pflichten zu befürchten sei —
daß auch ein Nichtschweizer zum schweizerischen Konsul oder Vizekonsul er-
nannt werden könne [1861] — Beseitigung der Paßvisa fUr nach der Schweiz
reisende Fremde) blieb nun das oben besprochene Reglement in Kraft bis zum
26. Mai 1875; an diesem Tage wurde es ersetzt durch das heute noch gültige
Reglement, dessen Haupt bestimm ungen folgendermaßen lauten (die ausgelassenen
Stellen beziehen sich auf das Konsulatsarchiv, auf den Urlaub und die Demiasionen) :
I. Abschnitt. Allgemeine Bestimmungen. Art. 1. Die schweizerischen Konsular-
beamten sind Agenten des Bundesrathes, welche die Aufgabe haben, die schweizerischen
Interessen inner den Schranken ihrer Befugnisse zu wahren, und als Mittelspersonen
zwischen dem Bundesrathe und den in ihrem Konsulärbezirke niedergelassenen Schweizer-
bürgem zu dienen.
Art 2. Die schweizerischen Konsularbeamten sind Greneralkonsuln, Konsuln oder
Vizekonsnln. In Staaten, wo die Aufstellung von Konsulaten nicht zulässig ist, nehmen
sie den Titel Generalagenten oder Handelsagenten an.
Art. 3. Die Konsularbeamten stehen unter dem Bundesrathe. In den Ländern,
wo die Eidgenossenschaft einen diplomatischen Agenten hat, übt dieser im Namen des
Bundesratbes die Aufsicht über das Personal des Konsularkorps. Er kann vom Bundes-
rathe mit der la^pizirung der Konsulate, zum Zwecke, sich der regelrechten Führung
der Bücher und Register und überhaupt der praktischen Durchführung des Reglements
zu versichern, betraut werden.
Art. 4. In den Staaten, wo die Eidgenossenschaft keinen diplomatischen Agenten,
aber mehrere Konsuln hat, trägt einer derselben den Titel Generalkonsul, und es ist
derselbe, in dieser Eigenschaft, mit den Befugnissen bekleidet, welche im vorigen Ar-
tikel den diplomatischen Agenten zugeschieden sind. Hie von abgesehen, hat der General-
konsul die gleichen Befugnisse und Verrichtungen wie der Konsul. In größern Staaten
können auch neben den diplomatischen Agenten Generalkonsuln bestellt werden.
Famr, Volkiirlrthiehftfto-Lexiknn der Schwoix. ^^
Interessenvertretung — 82 — Interessenvertretung
Art. 5. Jeder Konsularbeamte übt, in seiner Residenz oder inner den Grenzen
seines Bezirks, wenn er auf seinem Posten ist, die aus seinem Mandate herfließenden
Befugnisse in ausschließlicher Weise aus.
Art. 6. Wo sich das Bedürfniß hiefür zeigt, sind den Generalkonsuln und Konsuln
Vizekonsuln als Gehülfen und Stellvertreter beizugeben. Sie verwalten das Konsulat in
Fällen von Abwesenheit oder Verhinderung de.s Konsuls; sonst üben sie nur die vom
Konsul ihnen übertragenen Funktionen aus.
Wo ein Konsularbezirk zu groß ist, als daß das Konsulat im Falle wäre, in er-
sprießlicher Weise seine Thätigkeit im ganzen Umfange des Bezirks zur Greltung zu
bringen, können Vizekonsulate errichtet werden mit eigenem Amtssitze, in den Ort-
schaften, wo sich hie für das Bedürfniß kundgibt. Diese Vizekonsuln stehen unter der
Direktion des Konsulats, in dessen Bezirk sie sich befinden, haben aber im Uebrigen
die gleichen Befugnisse wie die Konsuln.
Art. 7. Die Konsularbeamten sind befugt, für ihre Konsulate Kanzler zu ernennen ;
sie sind für dieselben verantwortlich. Sie stellen ihnen ein Brevet, nach Formular 1,
aus und bringen ihre Ernennung dem Bundesrathe zur Kenntniß.
Art. 8. Die Konsularbeamten können ausnahmsweise und unter sofortiger Kennt-
nißgabe an den Bundesrath zur Besorgung einzelner Geschäfte von sich aus Delegirte
bezeichnen. Sie können sich in Ländern, wo die schweizerische Eidgenossenschaft nicht
diplomatisch vertreten ist, in Nothfällen von sich aus an die Gesandtschaften oder
Konsulate anderer Länder wenden, wenn ihnen dies zur Wahrung der ihrem Schutze
anvertrauten Interessen ersprießlich erscheint.
II. Abschnitt. Ernennung der Konsularbeamten. Art. 9. Der Bundesrath er-
nennt die Generalkonsuln, Konsuln und Vizekonsuln auf den Vorschlag des politischen
Departements, das auch dem Handelsdepartement Gelegenheit zur Ansichtäußerung über
die in Vorschlag gebrachten Persönlichkeiten geben wird. Das politische Departement
ist mit Allem beauftragt, was auf das Pers(jnelle des Konsularkorps und dessen Ge-
schäftsführung überhaupt Bezug hat.
Art. 10. Um zum Generalkonsul, Konsul oder Vizekonsul gewählt werden zu
können, muß man Schweizerbürger sein, in vollen politischen und bürgerlichen Rechten
und Ehren stehen, in dem Lande angesessen sein, in welchem man die Konsulatsfunktionen
ausüben soll, oder zu diesem Zwecke daselbst Wohnsitz nehmen. Unter besondern Ver-
hältnissen und wo die schweizerischen Interessen es erheischen, kann indessen auch ein
NichtSchweizer zum schweizerischen Konsul oder Vizekonsul ernannt werden.
Art. 11. Für die Auswirkung des Exequatur der neugewählten Konsularbeamten
wird der Bundesrath die erforderlichen Schritte thun oder anordnen. Er wird sich auch
dafür verwenden, daß diesen Beamten die gebührende Achtung geschenkt und ihnen
der Genuß aller Vergünstigungen und Vortheile eingeräumt werde, welche nach den inter-
nationalen Verträgen oder nach den Gesetzen des Landes, in denen sie residiren, mit
solchen Stellen verbunden sind.
Art. 12. Das Exequatur wird verlangt: 1) durch den schweizerischen diplomatischen
Agenten oder in Ermanglung desselben durch den Generalkonsul: 2) in Ermanglung
eines diplomatischen Agenten oder Generalkonsuls, durch den Konsul selbst, oder direkt
durch den Bundesrath. «___^^__
Art. 13. Gleich nachdem der neugewählte Konsularbeamte das Exequatur erlangt
und dem Bundesrath hievon Anzeige gemacht hat, tritt er in Funktion. f
Art. 14. Der neugewählte Konsularbeamte gibt von seinem Amtsantritte dem
diplomatischen Agenten oder dem Generalkonsul Kenntniß, welcher hievou sofort allen
im Lande residirenden Mitgliedern des schweizerischen Konsularkorps Mittheilung macht.
Ist der neugewählte ein Vizekonsul, so erfolgt die Anzeige von seinem Amtsantritte
durch das Mittel des Konsulats, unter welchem er steht.
III. Abschnitt. Befugnisse und Obliegenheiten der Konsularbeamten, Ä. AU-
gemeine. Art. 15. Die Konsularbeamten werden sich bestreben, alle Aufträge des Bundes-
rathes, soweit es von ihnen abhängt, nisch und gut zu vollziehen. In Angelegenheiten
von Privaten, Gemeinde- und Bezirksbehörden, welche nicht durch die Vermittlung des
Bundesrathes anhängig gemacht sind, verkehren die Konsularbeamten mit den Kantons-
regierungen.
Art. 16. Die Konsularbeamten haben zu .Vllem mitzuwirken, was das Gedeihen
der Eidgenossenschaft in kommerzieller, industrieller und landwirthschafUicher Beziehung
fördern kann. Sie werden mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln und mit Aus-
dauer den Handel und den Verkehr zwischen der Schweiz und ihren Konsulärbezirken
Interessenvertretung — i?3 — Interessenvertretung
zu heben suchen, und ebenso bemüht sein, die Gefahren und Nachtheile alizuwenden,
denen dieser Handel und Verkehr ausgesetzt sein könnte.
Art. 17. Die Konsuln haben die Veqjflichtung, die Interessen der Schweizerbürger,
wo sie darum angegangen werden oder die Verhältnisse es sonst erfordern, nach Kräften
zu wahren und zu schützen, insoweit dieses nach den Bestimmungen der Verträge oder
nach den Gesetzen des Landes, wo sie residiren, geschehen kann. Sie sollen ihren Bitit-
bürgern mit gutem Rathe zur Seite stehen, sich ihnen nützlich zu machen suchen,
ihren Personen und ihrem Eigenthum den Schutz des Staates verschaffen und gerechte
Reklamationen unterstützen.
Art. 18. In Vollziehung der vorhergehenden Artikel haben die Konsularbeamten
dem Bundesrathe sofort Bericht über die Ereignisse zu erstatten, welche die Sicherheit
von Personen und Eigenthum gefährden können. Ferner berichten sie über wichtige
Entdeckungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Wissenschaften, der Künste und
der Industrie. Sie haben dem Bundesrathe alle legislativen Verfügungen zur Kenntniß
zu bringen, welche in ihrem Amtsbezirke in Handelsmaterien erlassen werden und die
den schweizerischen Handelsstand interessiren könnten, sowie überhaupt ihm alles
Wichtige mitzutheilen, das für ihn von Interesse sein möchte.
Art. 19. Wo, behufs ihrer leichtern Zulassung oder Behandlung im Ausland,
schweizerische Waaren mit Ursprungszeugnissen versehen sein müssen, werden die
Konsularbeamten darüber wachen, daß solche Zeugnisse gehörig anerkannt und respektirt
werden.
Art. 20. Die besondern Verpflichtungen, die den Konsularbeamten, welche eine
jährliche Entschädigung aus der Bundeskasse erhalten (Art. 62), auferlegt werden
können, sind Gegenstand spezieller Bestimmungen des Bundesrathes.
Art. 21. Die schweizerischen Konsularbeamten dürfen von auswärtigen Regierungen
weder Pensionen oder Gehalte, noch Titel, Geschenke oder Orden annehmen. Sind sie
bereits im Besitze von Pensionen, Titeln oder Orden, so haben sie für ihre Amtsdauer
auf den Genuß der Pensionen und das Tragen der Titel und Orden zu verzichten.
(Art. 12 der BundesAerfassung.)
Art. 22. Die schweizerischen Konsularbeamten dürfen ohne ausdrückliche Er-
mächtigung des Bundesraths kein Konsulat einer auswärtigen Macht annehmen, noch
für auswärtige Regierungen amtUche Geschäfte besorgen.
Art. 23. Die schweizerischen Konsularbeamten dürfen diplomatische Aufträge von
Niemanden als vom Bundesrathe übernehmen.
B, Vom Jahresbericht Art. 24. Abgesehen von den Berichten, welche nach Maß-
gabe von Art. 18 zu unbestimmten Zeiten je nach Erfordemiß der Umstände dem
Bundesrathe einzureichen sind, haben die Greneralkonsuln. die Konsuln und die Vizekonsuln
mit eigenem Amtssitze (Art. 6, Alinea 2) demselben am Jahresschlüsse einen Bericht über
das abgelaufene Jahr zu erstatten.
Art. 25. Dieser Bericht hat sich über folgende Gegenstände zu verbreiten:
Erster TheiL 1) Lage im Allgemeinen und Handelsgesetzgebung; 2) a. Erzeugnisse
der Landwirthschaft, der Bergwerke und der Industrie; b. Bemerkungen; 3) a. Total-
einfuhr und Tolalausfuhr ; 6. Vermehrung, bezw. Verminderung gegenüber dem Vor-
jahre: c. besondere Bemerkungen: 4) a. Einfuhr aus der Schweiz und Ausfuhr nach
der Schweiz ; b. Vermehrung, bzw. Verminderung gegenüber dem Vorjahre ; c. besondere
Bemerkungen; 5) Veränderungen in den Ansätzen der Ein- und Ausfuhrzolltarife des
resp. Konsulardistrikts ; 6) Elsenbahnen und Verkehrswege; 7) Bauken; 8) Zins- und
Diskontofuß; 9) Versicherungen; 10) neue Erfindungen.
Zweiter Theil. 1) Einwanderung; 2) Schweizergesellschaften.
Dritter Theü, Verzeichniß der behandelten Geschäfte während des laufenden
Jahres nach Formular Nr. 4.
Art. 26. Die Jahresberichte, welche geeignet sind, den schweizerischen HandeLs-
stand und das weitere Publikum zu interessiren, werden im Handelsamtsblatt durch
Veranstaltimg des Handelsdepartements veröffentHcht, welches mit Allem betraut ist,
was die Thätigkeit des Konsularkorps in kommerzieller Beziehung betrifft.
C Mitwirkung der Konsularbeamten in Bezug auf zivilrechtliche Verhältnisse
von Schweizern. Art. 27. Wenn Schweizer in einem Konsularbezirk geboren werden,
sich verehelichen oder sterben, und dies zur Kenntniß des Konsularbeamten kommt,
so hat er dafür zu sorgen, daß diese Thatsachen amtlich konstatirt werden, und die
diesfäiligen Urkunden, als : Geburts-, Trauungs- und Todesscheine der Kantonsregierung
des betreffenden Schweizers, mit seiner Legalisation versehen, einzusenden, wofern für
•diese Mittheilung nicht bereits durch besondere internationale Uebereinkünfte Vorsorge
Interessenvertretung — 84 — Interessenvertretung-
^troffen ist. Der Konsularbeamte hat im Weitern die Geburten, Tniuungen und Sterbe-
fklle in das Matrikelregister der im Konsulärbezirke befindlichen Schweizer einzutragen
(Art. 48, 50, 51 und 52).
Art. 38. Uneheliche Kinder sind auf den Namen der Mutter einzuschreiben. Will
der Vater ein uneheliches Kind anerkennen, so muß, wenn er ein Schweizer ist, diese
Anerkennung in den von der Gesetzgebung semes Heimatkantons vorgeschriebenen
Formen erfolgen. In diesem Falle wird der von den Parteien angegangene oder zu
Rath gezogene Konsularbeamte deshalb an den Bundesrath gelangen, welcher ihm dann
die erforderlichen Instruktionen ertheilen wird.
Art. 29. Das Recht zur Ehe steht unter dem Schutz des Bundes. Dieses Recht
darf weder aus kirchlichen oder ökonomischen Rücksichten, noch wegen bisherigen
Verhaltens oder aus andern polizeilichen Gründen beschränkt werden. Die in einem
Kantone oder im Auslande nach der dort geltenden Gresetzgebung abgeschlossene Ehe
soll im Gebiete der Eidgenossenschaft als Ehe anerkannt werden. Durch den Abschluß
der Ehe erwirbt die Frau das Heimatrecht des Mannes. Durch die nachfolgende Ehe
der Eltern werden vorehelich geborne Kinder derselben legitimirt. Jede Erhebung von
Brauteinzugsgebühren oder andern ähnlichen Abgaben ist unzulässig. (Bundesverfassung
vom 29. Mai 1874, Art. 54.)
Art. 30. Die von den Koasularbeamten den Regierungen der Heimatkantone der
Eheleute übersandten Trauungsscheine sollen die genaue Angabe des Ortes und des
Zeitpunktes ihrer Geburt, sowie die Angabe der Namen und des Heimatortes ihrer
Eltern enthalten, damit die Einschreibung in den Registern des Heimatkantons regel-
recht geschehen kann.
Enthält der Trauungsschein diese Angaben nicht, so trägt der Konsularbeamte
Sorge, dies zum Gegenstande einer besondern Erwähnung zu machen.
Art 31. Sind vorehelich geborne Kinder vorhanden, so muß dies im Trauungs-
akt der Eltern ausdrücklich erwähnt und in Ermanglung dieser Erwähnung durch den
Konsularbeamten der Kantonsregierung besonders mitgetheilt werden.
In beiden Fällen sind die Geburtsscheine der vorehelich gebomen Kinder dem
Trauungsakte beizulegen.
Art. 32. Der Bundesrath wird da, wo er es für angemessen erachtet, die Konsular-
beamten ermä(!htigen, innerhalb ihrer Kreise Geburten und Todesfälle schweizerischer
Angehörigen zu erwahren und Ehen zwischen Schweizern und Ausländern abzuschließen.
(Art. 13 des Bundesgesetzes betreffend Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes
und die Ehe, vom 24. Dezember 1874.) Der Bundesrath wird hierüber eine besondere
Verordnung erlassen und die einschlägigen Tarife aufstellen.
Art. 33. Beim Ableben eines im Konsulärbezirke wohnhaft gewesenen Schweizers
übt der Konsularbeamte provisorisch das Amt einer Vormundschaftsbehörde, im Interesse
der minderjährigen oder abwesenden Erben, wenn er darum angegangen wird oder
seine Nichtintervention Schaden nach sich ziehen könnte. Die Konsularbeamten haben
in diesen Materien den Bestimnmngen der bestehenden Verträge, oder in Ermanglung
solcher den Gesetzen und Uebungen des Landes, wo sie residiren, nachzukommen.
Innerhalb dieser Schranken sind sie ermächtigt, die Versiegelung der Hinterlassenschaft
vorzunehmen oder durch die zuständige Behörde vornehmen zu lassen: ein Inventar
zu fertigen; die der Verderbniß ausgesetzten Gegenstände zu verkaufen; provisorisch
die Verlassenschaft zu verwalten, sei es selbst oder durch das Mittel einer Vertrauens-
person; provisorischen Besitz zu nehmen; mit einem Worte wie ein guter Famihen-
vater alle erforderlichen Sicherungsvorkehrungen zu treffen. Sie erstatten dem Bundes-
rathe über das von ihnen diesfalls Gethane Bericht und erwarten dessen wöitere
Weisungen.
Art. 34. Für die Gelder und Werthschriflen, welche einer Hinterlassenschaft oder
einer amtlichen Liquidation angehören oder die als solche den Konsularbeamten durch
die zuständige Behörde zu Händen der Erben eingehändigt werden, sowie für die Gelder
und Werthschriflen, die sie von der Behörde des Landes, wo sie residiren, oder vom
Bundesrathe, sei es zur Aufbewahrung, sei es zur Uebermittlung an ihre Bestimmung er-
halten, haben die Konsularbeamten eine von ihrem eigenen Vermögen strenge getrennte
Kas.se zu halten, deren Komptabilität sie gemäß Art. 48, § 4, führen.
Art. 35. Außer in den im vorhergehenden Artikel vorgesehenen Fällen ist es den
Konsularbeamten der Eidgenossenschaft ausdrücklicli untersagt, in ihrer amtlichen
Eigenschaft Geldhinterlagen, Titel oder Werthstücke zu empfangen, oder die Verwaltung,
Uebermittlung, Einkassirung oder Zahlung von Werthschriflen, Hinterlagen, Darlehen etc.
zu übernehmen, ohne eine besondere Ermächtigung von Seite des Bundesrathes. Gre*
Interessenvertretung — 85 — Interessenvertretang
Schäfte solcher Natur dürfen nicht in die amtlichen Protokolle oder Register des Konsulat^
eingetragen und bezügliche Akte nicht mit dem Konsulatssiegel versehen werden, noch
die Angabe der Konsulareigenschaft des Unterzeichners tragen. Die Konsularbeamten sind
gehalten, das durch gegenwärtigen Artikel aufgestellte Verbot jedem derartigen Begehren,
^as an sie in ihrer amtlichen Eigenschaft gerichtet werden sollte, entgegenzuhalten.
Art. 36. Es ist den Konsularbeamten untersagt, Akten, Dokumente oder Korre-
iüpondenzen, die sie außerhalb der Ausübung ihres Amtes ausfertigen oder empfangen,
in ihrer amtlichen Eigenschaft zu unterzeichnen und ihnen das Konsulatssiegel bei-
zudrücken, sowie überhaupt außerhalb ihres amtlichen Wirkungskreises sich ihre Eigen-
Si*haft als Konsularbeamte zu Nutze zu machen.
Art. 37. Die Konsularbeamten sind ermächtigt, Aktenstücke, welche durch die
Behörde ihres Konsularbezirks ausgestellt werden, zu legalisiren. Ebenso legalisiren sie
:^chweizerische Akten, die von der Bundeskanzlei oder einer kantonalen Staatskanzlei
ausgestellt oder beglaubigt sind. Sie können auch andere Akten legalisiren, über deren
Echtheit kein Zweifel besteht.
Art. 38. Wenn die Konsularbeamten Akten fremder Behörden oder Beamten
legalisiren, so haben sie, wenn dies ihnen bekannt ist, beizusetzen, daß die betreffende
Amtsstelle zur Ausstellung jener Aktenstücke kompetent sei.
Art. 39. Die Konsuln sind berechtigt, aber nicht verpflichtet, Akten zu legalisiren,
die nur von Privaten unterzeichnet sind.
Art. 40. Die Konsularbeamten sind befugt, Zeugnisse auszustellen, welche die
persönlichen Beziehungen von Schweizern oder Gegenstände ihres gewerblichen Ver-
kehrs betreflfen.
Art. 41. Alle Erlasse, welche von schweizerischen Behörden ausgehen, können
von den Konsuln nur vollzogen werden, wenn sie von der Bundeskanzlei oder einer
kantonalen Staatskanzlei legalisirt sind, oder überhaupt über die Echtheit des Original-
aktes kein Zweifel besteht.
Art. 42. Die den Konsularbeamten zukommenden Vorladungen, Verfügungen, Ur-
theile u. dgl. stellen sie den betreffenden Personen entweder direkte oder durch Ver-
mittlung der zuständigen Behörde zu, nach Maßgabe der Bestimmungen der internationalen
Ue))ereinkünfle oder der I^andesgesetze.
D. Befugnisse und Pflichten der Konsularbeamten in Bezug auf das Paßwesen.
Art. 43. Die schweizerischen Konsularbeamten sind ermächtigt, denjenigen Personen
Reisepässe nach Formular auszustellen, welche sich über ihre Eigenschaft als
Srhweizerbürger bei ihnen ausweisen und über deren Identität sie keine Zweifel hegen.
Da die Heimatscheine in der Regel kein Signalement enthalten, so bedarf es besonderer
Vorsicht, um auf solche hin einen Paß au.szustellen. In Ermanglung von solchen Aus-
weisen kann auch das schriftliche, mit Gutsprache für die Folgen verbundene Zeugniß
von Personen genügen, die dem Konsul bekannt und deren Rechtlichkeit und Ehren-
haftigkeit anerkannt sind.
Art. 44. Die altem Reiseschriften (Pässe, Wunderbücher), sowie die Gutsprachen,
auf welche hin der neue Paß ausgestellt worden ist, sind im Konsulatsarchiv auf-
zubewahren.
Art. 45. In der Regel darf ein Paß nur fQr sechs Monate gültig sein; in Aus-
nafamsfällen jedoch und für bekannte Personen, die längere Reisen machen, kann die
Gültigkeitsdauer bis auf ein Jahr ausgedehnt werden.
Art. 46. NichtSchweizern dürfen die Konsularbeamten unter keinen Umständen
Pässe ausstellen.
Art. 47. Die Konsularbeamten visiren schweizerische Pässe für ihren Konsular-
bezirk. Pässe von Fremden, welche in die Schweiz reisen wollen, bedürfen des Visums
eines schweizerischen Agenten im Auslande nicht. Die Konsularbeamten werden die
Fremden, welche von ihnen ein Paßvisum verlangen, auf das Vorbemerkte aufmerksam
machen, und denselben das Visum nur dann eilheilen, wenn es dessen ungeachtet
nachgesucht wird und die Konsuln überdies sich überzeugen, daß die ihnen vorgewiesenen
S<*hriften in den vorgeschriebenen Formen ausgefertigt und noch nicht abgelaufen sind.
E, Van der Führung der Bücher und Register. Art. 48. Ueber die AraU?geschäfte
führen die Konsularbeamten folgende Bücher und Verzeichnisse: 1) Ein ge-
bundenes und paginirtes Protokoll, mit alphabetischem Register, in welches alle amt-
lichen Geschäfte und Ausfertigungen, mit Ausnahme der Pässe, unter fortlaufenden
Ordnungsnummern eingetragen werden. 2) Ein Register über die ausgefertigten und
•die visirten Pässe. 3) Ein Kopirbuch, welches die Korrespondenz in wörtlicher Abschritt
und dem Datum nach aufeinanderfolgend zu enthalten hat. Es ist jedoch den Kou^wW-
Interessenvertretung — 86 — Interessenvertretung
beamten unbenommen, sich darauf zu beschränken, die Konzepte oder Abschriften der
expedirten Schreiben und sonstigen Aktenstücke aufzubewahren und zu den Akten-
faszikeln der Geschäfte, auf welche sie sich beziehen, zu legen. In beiden Fällen ist
von solchen Ausgängen stets im Protokolle Vormerkung zu nehmen, unter kurzer An-
gabe des Inhalts derselben. 4) Ein Kassabuch und ein Kontokurrentbuch über die den
Konsularbeamten in amtlicher Stellung (Art. 34) zur Verwahrung oder zur Verwaltung
zugekommenen Gelder oder Werthschriften. 5) Ein Matrikelregister über die im Konsulär-
bezirke wohnhaften Schweizerbürger.
Art. 49. Die Konsularbeamten sorgen dafür, daß die Bucheinträge jeweilen sofort
stattfinden und daß die Bücher sich stets in bester Ordnung befinden.
Art. 50. Die Immatrikulation der Schweizer geschieht durch ihre Eintragung in
ein besonderes Register, welches Geschlechts- und Vornamen des Requirirenden, Alter.
Heimat- und Geburtsort, Beruf, letztes Domizil, jetzigen Aufenthaltsort, Zivilstand in.
ehelicher Hinsicht, den Namen der Frau, den sie vor ihrer Verehelich ung führte, An-
zahl, Vornamen und Greschlecht der Kinder, sowie die Belege für sein Heimatrecht
enthalten soll.
Art. 51. Es darf für die Eintragung der Schweizerbürger in das Matrikelregister
keinerlei Gebühr bezogen werden. Die einzige Bedingung, an welche diese Eintragung
geknüpft wird, ist der Nachweis des Heimatrechts.
Art. 52. Im Anfange jedes Jahres erlassen die Konsularbeamten in den öffent-
lichen Blättern oder auf einem sonst ihnen geeignet scheinenden Wege einen Aufruf
an die in ihrem Konsulärbezirke ansässigen Schweizerbürger, durch welchen die dies-
falls Säumigen eingeladen werden, sich in das Matrikelregister des Konsulats eintragen
zu lassen. Die Konsularbeamten werden überhaupt keine Vorsorge versäumen, um ihre
Mitbürger von der Nützlichkeit dieser Einschreibung zu überzeugen und um die Register
in Vollständigkeit zu halten.
VI. Abschnitt. Eintuihmcn der Konsulate, Art. 62. Die schweizerischen
Konsularbeamten erhalten von der Eidgenossenschaft keine fixe Besoldung. Es können
jedoch vom Bundesrathe denjenigen Konsuln Entschädigungen ausgesetzt werden, denen
die Auswanderung beträclitliche Ausgaben verursacht oder denen besondere Verhältnisse
ausnahmsweise Lasten auferlegen. Diese Entschädigungen werden alljährlich festgesetzt,
und können je nachdem die Umstände, welche sie veranlaßten, wechseln oder aufhören,
modifizirt oder gänzlich fallen gelassen werden.
Art. 63. Die Konsularbeamten sind ermächtigt, Gebühren nach Maßgabe des dem
Reglement beigefügten Tarifs zu beziehen. Den Armen sind diese Taxen nachzulassen.
Es soll am Konsulatsbureau stets ein Tarif angeschlagen sein.
Art. 64. Für Briefe oder Pakete, welche den schweizerischen Konsulaten von
Seite der schweizerischen Bundeskanzlei oder einer Kantonsregierung unfrankirt zu-
kommen, haben dieselben mit ihrem Jahresberichte eine Rechnung einzugeben, welche
so gestellt sein muß, daß die Bundeskanzlei die einzelnen Kantone für die sie betreffenden
Kosten belasten kann. Der Betrag dieser Rechnung wird den Konsuln vergütet
Art. 65. Die Konsuln sind nicht verpflichtet, Briefe von Gemeinden oder Privaten
anzunehmen, wenn sie unfrankirt sind.
Art. 66. Briefe oder Pakete, welche die Konsuln nach der Schweiz senden, können
dieselben entweder unfrankirt aufgeben, oder auf andern Wegen sich die Kosten ver-
güten lassen. Wenn sie jedoch im Auftrag oder Interesse von Personen, welche in ihrem
Konsularbezirk wohnen, mit schweizerischen Behörden korrespondiren müssen, so haben
ihre Auftraggeber die Kosten zu tragen.
Art. 67. Alle andern Baarauslagen, welche ein Konsularbeamter aus Auftrag von
Bundesbehörden oder Kantonsregierungen machen muß, sind demselben zu ersetzen.
Die Erstattung solcher Auslagen hingegen, welche ein Konsul ohne Auftrag, aber nach,
seiner Ansicht im Interesse dieser Behörden gemacht hat, hängt von der nachträglichen
Genehmigung derselben ab.
VII. Abschnitt. Äeußere Formen. Art. 68. Die Konsularbeamten sind befugt^
insofern die Bestimmungen der internationalen Verträge oder die Landesgesetze es ge-
statten, an ihrer Wohnung das eidgenössische Wappen mit der Aufschrift , General-
konsulat (Konsulat oder Vizekonsulat) der schweizerischen Eidgenossenschaft* anzubringen.
Art. 69. Das Siegel, dessen sich die Konsularbeamten bei allen amtlichen Aus-
fertigungen bedienen, trägt das Wappen der Eidgenossenschaft mit der Umschrift
^Schweizerisches Generalkonsulat (Konsulat, Vizekonsulat) in *
\ Art. 70. Sie sind berechtigt, bei amtlichen Anlässen die Konsularuniform za
tragen. Die Kosten derselben fallen ihnen selbst zur Last.
Interessenvertretung — 87 — ^ Interessenvertretung
In AnsfÜhmng von Art. 32 des vorstehenden Reglementes sind die Konsulate
in Japan (seit 1877), in Manila (seit 1877) und in Buenos- Ayres (seit 1879)
ermächtigt worden, Geburten und Todesfälle von Schweieern eu beurkunden,
sowie Trauungen von Schweizern (Schweizer und Schweizerin, sowie Schweizer
and Ausländerin) vorzunehmen. Damit auch in andern Staaten, wo die Schweiz
keine Konsularbeamten hat und wo Ehehindemisse aus konfessionellen Gründen
bestehen, die Schweizer nicht darunter zu leiden haben, hat die schweizerische
Bondesregierung von der Deutschen Reichsregierung die Vergünstigung ausgewirkt,
daß die zn den nämlichen Verrichtungen befugten deutschen Konsulate jene Funk-
tionen zu Grünsten derjenigen Schweizer ausüben, welche sich unter ihren Schutz
gestellt haben.
Eine weitere Spezialfunktion ist diejenige, welche in der Ausübung der
Gerichtsbarkeit über Schweizer besteht und womit einzig die Konsuln in Japan
investirt sind. Dieses Recht ist vertraglich stipulirt. Es heißt im schweizerisch-
japanischen Handelsvertrag von 1864 (A. S. VIII, pag. 683):
«Alle Streitigkeiten, welche zwischen Schweizerbürgem, die in Japan nieder-
gela^n sind, hinsichtlich ihrer Person oder ihres Eigenthnms entstehen könnten,
werden der Jurisdiktion der in Japan eingesetzten schweizerischen Behörde
unterstellt.
„Falls ein Schweizerbürger über einen Japanesen sich zu beklagen hätte, wird
die japanesische Behörde entscheiden; dagegen hat die schweizerische Behörde
zu entscheiden, wenn ein japanesischer Unterthan über einen Schweizer Klage
führt/
Im Weitern können die Konsuln auch in den Fall kommen, JJrtheile von
schweizerischen Gerichten zu vollziehen^ wenn diese Urtheile Schweizer in
Staaten betreffen, wo Klagen von auswärts gegen im Lande wohnende Ausländer
von den Landesgerichten nicht angenommen werden. Eine solche Urtheils-
volbtreckung fand im Jahre 1881 zu Gunsten eines in der Schweiz wohnenden
Gläubigers statt gegen zwei in Japan und in China domizilirte Schweizer, welche
dem erstem Fr. 196,500 schuldeten (vgl. Bundesblatt 1882, Bd. II, pag. 11/13).
Endlich haben die schweizerischen Konsuln seit 1879 beim Bezug der
Militärersatzsteuer von im Auslande wohnenden Schweizern mitzuwirken (A. S.
n. F. 5, pag. 106).
Es ergibt sich aus dem bisher Gesagten zur Evidenz, daß die Mission der
Konsuln eine sehr wichtige ist und daß diesen große Interessen anvertraut sind.
Es vnrd dies in der Heimat auch anerkannt; wenn dessenungeachtet in neuerer
Zeit (allerdings nur vereinzelt) der Ruf nach Berufskonsuln') erhoben worden
^) Die Berufskonsuln haben keine anderen als konsularische Obliegenheiten, im
Gegensatz zu den anderen Konsuln (auch Handels-, Honorar- oder Wahlkonsuln genannt),
die in der Regel gleichzeitig Kaufleute, Banquiers, Professoren, Mediziner u. s. w. sind.
Beru&konsuln werden von größeren Staaten meistens da eingesetzt, wo ftir die
Ausländer Exterritorialität in Rechtssachen besteht (Orient), wo die Konsuln nicht zum
diplomatischen Verhehr zugelassen werden (Orient), wo die Gehchtsverhältnisse sehr
komplizirt sind (Rußland u. s. w.) oder wo viele Konsulate zu überwachen sind. Deutsch-
land hatte im Jahre 1886 67 Berufskonsuiate, Frankreich 220, Italien 97, Belgien 27.
Die deutschen Berufiskonsulate sind wie folgt etablirt:
Argentinische Republik: Buenos- Ayres ; Brasilien: Rio de Janeiro und Porto
Alegre; CentrtHamerika : Guatemala; Chile: Valparaiso; China: Schanghai, Amoy,
Ganton, Swatau, Tientsin; Columbien: Bogota; Dänemark: Kopenhagen; Frankreich:
Hävre, Marseille, Nizza und Paris; Französische Besitzungen: Algier; Großbritannien
und lyrüische Besitzungen: London, Gapstadt, Hongkong, Singapore, Sydney; Bepublik
Haiti: Port au Prince ; lUHien : Genua, Mailand, Messina ; Japan : Hiogo-Osaka, Yokohama ;
Korea: Söul; Niederlande: Rotterdam; Oesterreich-Üngarn : Budapest; Bumänien:
Interessenvertretimg ^ 88 — InteressenTertretung
ist, so hat dies seinen Crrand yornehmlich darin, daß nicht alle der jetzigen
Konsuln ihren Pflichten als Handels berichierstcUier so nachkommen können, wie
es gewünscht wird. Da man die Ursache dieses Mangels in dem Umstände erblickt,
daß die meisten unserer Konsuln Kanfleute sind, die ein geschäftliches Interesse
daran haben, sich in ihrer öffentlichen Handelsberichterstattung Reserve aufEU-
erlegen, so hoffen Einzelne, es könnte durch die Einsetzung von Berufskonsuln
in gewissen Ländern dem schweizerischen Handel mehr als durch gewöhnliche
Konsulate gedient sein. Der Handelsstand, auf dessen Wünsche es hiebei haupt-
sächlich ankommt, gibt in seiner großen Mehrheit den Handelskonsnln den
Vorzug.
Es wird sich vermnthlich im Laufe des Jahres 1887 entscheiden, ob die
Schweiz einige Berufskonsulate in ihr Konsularnetz einschalten will, da der
Bundesrath von der Bundesversammlung am 30. Juni 1886 eingeladen worden
ist CPostulat Camtesse)j
„die Frage zu prüfen, ob es tür Handel und Industrie der Schweiz nicht
förderlich wäre, in gewissen Ländern Berufskonsulate zu errichten, welche über
unsere Handelsinteressen zu wachen, alle die Entwicklung unserer Ausfuhr inte-
ressirenden Vorgänge zu kontroliren und daberige Erkundigungen einzuziehen,
sowie das Resultat derselben zusammenzustellen hätten**.
Nachdem auf Seite 80 des II. Bandes gesagt worden ist, in welcher Reihen-
folge die vor 1848 geschaffenen Konsulate entstanden sind, sei hiemit auch die
Reihenfolge der seit 1848 kreirten Konsulate angegeben:
1850 San Francisco, Detroit (Nordamerika), 1851 Valparaiso, St. Louis
resp. Highland (Nordamerika), 1854 Pallanza (Italien), 1855 Sydney, Vera- Cruz,
1856 Melbourne, 1858 Bremen, 1859 Rio grande do Sul (Brasilien), Montevideo,
Oran (Algerien), 1860 Cantagallo (Brasilien), Campinas (Brasilien), 1861 Desterro
(Brasilien), Leopoldina (Brasilien), Sao-Paolo (Brasilien), Sa. Catharina (Brasilien),
Madrid, 1862 Manila (Philippinen), Port-Louis auf der Insel Mauritius, 1863
Batavia, 1864 Chicago, Cincinnati, Yokohama, Nagasaki, Hakodate in Japan,
1865 Sevilla, Havannah, 1866 Mühlhausen, 1867 Ancona, Nizza, 1868 Riga,
1869 Knoxville (Nordamerika), 1870 Philippeville in Algerien, Hiogo-Osaka
(Japan), 1871 Pest, 1872 Santa F^ in Argentinien, 1873 Maranhäo in Brasilien,
1874 Besangen, Nancy, 1875 Warschau, Montreal in Kanada, 1876 Nantes
(nach 59jährigem Unterbruch neu gegründet), Bayonne, Stuttgart, 1877 Frank-
furt a. M., München, 1879 Adelaide in Australien, Königsberg in Preußen, 1881
Bucharest, Galatz, 1882 Karlsruhe oder Straßburg (der Gresandtschaft in Berlin
unterstellt), 1883 Cannes, Tiflis, 1884 Lima in Peru, 1884 Louisville in Nord-
amerika (nach 20jährigem ünterbruch neu gegründet), Panama in Columbien,
Rosario in Argentinien, 1885 Patras in Grriechenland, Paysandü in Uruguay,
Portland in Nordamerika, 1886 Brüssel (als Generalkonsulat für den Kongostaat).
Mehrere dieser Konsulate sind nach kürzerem oder längerem Bestand wieder
eingegangen; der gegenwärtige Bestand (Dezember 1886) ist im Artikel „Kon-
sulate"* mitgetheilt.
Bucharest, Galatz, Jassy ; Bussisches Reich : Kiew, Kowno, Moskau, Odessa, St. Peters-
burg, Tiflis, Warschau, Helsingfors; Schiffer- und Tonga-Inseln: Apia; Schweden %md
Norwegen : Stockholm, Christiania ; Serbien : Belgrad ; Siatn : Bangkok ; Spanien : Barce-
lona; Spanische Besitzungen: Havanna, Manila; Türkei: Alexandrien, Cairo, Beiiut,
Gonstantinopel, Dardanellen, Jerusalem, Serajewo, Smyma, Sofia ; Tunis: Tunis ; Uruguay :
Montevideo; Vereinigte Staaten von Nordamerika: Chicago, Cincinnati, New- York, San
Francisco, St. Louis ; Zaneibar : Zanzibar.
InteressenYertretung — 89 — Interessenvertretung
Handelskammern im Auslande.
In der 1883er Jonisession der Bundesversammlung erhob diese folgendes
Poetnlat des Herrn Nationalrath Geigy zum Beschluß:
«Der Bundesrath ist eingeladen, die Frage zu prüfen und darüber zu berichten,
ob nicht die Vertretung der schweizerischen wirthschaftlichen und kommerziellen
Interessen im Auslande einer Vervollständigung bedürfe."
Als Hauptmittel zu dieser Yeryollständigung dachte sich der Urheber des
Postulates die Institution schweizerischer Handelskammern im Ausland, welchen
etwa folgende Aufgaben zufallen würden: Fleißige Berichterstattung über kom-
merzielle Vorgänge; Einsendung von Mustern von Rohprodukten, Halbfabrikaten
und Granzfabrikaten nebst Preisangaben ; Mitwirkung beim Abschluß von Handels-
verträgen ; Regulirung von Anständen im internationalen Handels- und Zoll verkehr ;
Mitwirkung bei Ausstellungen.
Das eidgenössische Handelsdepartement richtete nun an sämmtliche schwei-
zerische Gesandtschaften und Konsulate ein Rundschreiben, um ihre Ansichten
über den Gegenstand und ihre Mittheilungen über etwaige ähnliche Institutionen
des Auslandes zu erfahren. Mit Ausnahme der Gesandtschaft in Washington und
des Generalkonsuls in Petersburg sprachen sich alle Angefragten mehr oder
weniger gegen die Sache aus. ü. a. wurden folgende Einwendungen erhoben:
„Der Widerstreit der Berufsinteressen mit den vaterländischen Interessen würde
die Thätigkeit der Handelskammern lähmen. *"
,Im Widerstreit der Interessen nehmen die in einem fremden Lande ansässigen
Saufleute oft Partei für das letztere Land, insbesondere in Zollfragen.*
,Die schweizerischen Geschäftshäuser haben im Auslande ihre Korrespondenten
und Agenten, welche jene besser mit Berichten und Mustern versehen, als eine Handels-
kammer es thun könnte. *"
,Bei den gegenwärtigen Kommunikationsmitteln ist es für den schweizerischen
Kaufmann oder Fabrikanten viel vortheilhafter, die Chancen für den Absatz seiner
Artikel an Ort und Stelle selbst zu studiren, anstatt sich auf Angaben von Handels-
kammern zu verlassen.**
»Die Privatinitiative ist zäher in der Verfolgung ihrer Zwecke und sichert sich
das Gelingen am besten durch sich selbst.*
,Es wäre den schweizerischen Handelskammern im Auslande unmöglich, mit dem
steten Wechsel des Bedürfnisses nach neuen Erzeugnissen Schritt zu halten, und ihre
Berichte kämen zu spät.*
«Handelskammern fremder Nationalität könnten in ein nachtheiliges Verhältniß
zu den nationalen Handelskammern gerathen.*
«Nach der Schwierigkeit zu urtheilen, welche man hat, um von den Schweizer
Häusern im Auslande Angaben selbst allgemeiner Natur über Einfuhr und Konsumtion
von schweizerischen Artikeln zu erhalten, darf angenommen werden, daß ein Zentrum
fOr die Diskussion von Fragen oder für Auskunftsertheüung keinen reellen Nutzen haben
könnte.*
.Von der Mehrzahl unserer im Auslande etablirten Schweizer würde die Mitglied-
schaft an einer schweizerischen Handelskammer gemieden, weil sie darauf angewiesen
sind, mit den Behörden des Landes in gutem Einvernehmen zu sein.*
Zu diesen Einwendungen gesellten sich noch folgende Resolutionen der
Delegirtenversammlung des Schweizerischen Handels- und Industrievereins:
1) Die Vertretung der nationalen schweizerischen volkswirthschattlichen und kom-
merziellen Interessen im Auslande verdient in vielfacher Beziehung die höchste
Anerkennung. Ihre Unterstützung auf dem Handelsgebiete überhaupt, sowie ihre
kommerziellen Berichte im Besondern sind zum Theil vorzüglich. Die VeröfiTent-
lichung der letztern durch das schweizerische Handelsamtsblatt bietet gegenüber
früher wesentliche Vortheile.
Eine Vervollständigung der bestehenden Einrichtung in ihrer äußern Form
wäre nur dann zu empfehlen, wenn dieselbe aus privater Initiative angeregt
würde. In diesem Fall wäre eine Unterstützung durch den Bund in der Erwartung
InteressenTertretüQg — 90 — Interessenvertretung^
wünschbar, daß hiedurch ausschließlich die vaterländischen Interessen gefordert
würden.
2) Was die materielle Ergänzung der gegenwärtigen Organisation anbelangt^ so läßt
sich nicht verkennen, daß in sämmtlichen Staaten die betreffenden Regierungen
es sich zur Pflicht machen, die Privatthätigkeit kräftig zu unterstützen, und zwar
einerseits zur Behauptung des innern Marktes durch Vermehrung der Zoll-
schwierigkeiten und anderseits zur Gewinnung des äußern Marktes durch zuver-
lässige Handelsberichte und Zuwendung von bedeutenden Unterstützungen an
Handelsschulen, Industriemuseen und Mustersammlungen.
Es wird deßhalb bei der eminenten Wichtigkeit des schweizerischen Exports
und dessen erschwerten Absatzbedingungen als Pflicht der Bundesbehörden er-
achtet, die bezüglichen Interessen zu wahren, hauptsächlich da, wo die private
Thätigkeit nicht ausreicht.
3) Die Organisation der Vertretung der wirthschaftlichen Interessen der Schweiz im
Inlande selbst hat sich noch fester zu gestalten. Es läßt sich dies dadurch er-
reichen, daß die industriellen und gewerblichen Körperschaften eine noch regere
Thätigkeit als bis anbin entwickeln, und daß Behörden und Interessenten ihren
Bestrebungen das nöthige Entgegenkommen beweisen.
Den gegentheiligen Standpunkt (denjenigen des HeiTn Nationalrath Geigy)
vertraten, wie bereits bemerkt, die Gesandtschaft in Washington und der General-
konsul in St. Petersburg.
Herr Minister Frey bezeichnete die Ergänzung und Vervollständigung der
Vertretung schweizerischer Interessen in der nordamerikanischen Union als Noth-
wendigkeit und die Schaffung einer schweizerischen Handelskammer in New-Tork
als in hohem Grade wünschbar, vorausgesetzt, daß sie aus solchen Mitgliedern
komponirt werden könnte, deren Interessen mit denjenigen der Industriellen und
SLandeltreibenden in der Schweiz zusammenfallen.
Herr Generalkonsul Dupont in St. Petersburg empfahl, den Konsulaten ein
Kollegium beizugeben, das aus angesehenen Schweizer Kauf leuten des betreffenden
Platzes gebildet und dem Konsul als „Handelsrath** zur Seite stehen würde»
Dieser Handelsrath hätte sich periodisch zu versammeln, um dem Konsul die in
ihrem Geschäftskreis gemachten Erfahrungen mitzutheilen, Anfragen aus der
Schweiz zu beantworten u. s. w., worauf letzterer wiederum die schweizerischen
Behörden oder den Handelsstand entsprechend informiren könnte.
Diese Gutachten pro und contra Postulat Geigy führten nun den Bundesrath.
dazu, der Bundesversammlung folgenden Beschluß, der von letzterer auch an-
genommen wurde (18. Dezember 1884; A. S. n. F. VII, 796) zu beantragen:
„Die VervoUständigTing der Vertretung der wirthschaftlichen Interessen der
Schweiz im Auslande ist der Privatinitiative zu überlassen.
, Insofern im Auslande schweizerische Handelskammern, Handelsagenturen,
Musterlager oder Auskunftsbureaux in's Leben treten, welche sich die Förderung
des schweizerischen Handels und Gewerbefleisses in gemeinnütziger und für alle
Betheiligten gleichmäßig zugänglicher Weise zur Aufgabe machen, kann ihnen
auf gestelltes Ansuchen finanzielle oder anderweitige Unterstützung bewilligt
werden, wenn dieselbe sich nach der von den Bundesbehörden vorzunehmenden
Prüfung als nützlich und nothwendig herausstellt.*'
(Vgl. Bundesblatt 1884, III, 71/105.)
Seit dieser Beschlußfassung ist in Sachen nichts mehr geschehen. Die Um-
stände drängen aber wohl dazu, daß Einiges im Sinne des vorstehenden Beschlusses
und der Anregungen, welche demselben vorausgegangen sind, geschieht. Die
belgischen, deutschen, französischen und nordamerikanischen Exportmnsterlager
und Handelsagenturen können sich nicht ohne Naohtheil für den schweizerischen
Handel mehr und mehr Über den ganzen Erdenrund verbreiten ; die schwimmenden
Ausstellungen, von deutschen, französischen und österreichischen BLandelsaseociationen
InteressenYertretting — 91 — Italien
nach den fernen Küsten geleitet, plaidiren daselbst nicht für die schweizerische,
sondern für die Konkurrenz-Industrie.
Was speziell die Handelskammern anbetrifft, so bestehen solche
französischer Nationalität u. a. in Montreal, Shanghai, Rosario, Galatz,
Charleroi, San Sebastian, Lima, Montevideo, Neu-Orleans,
itcdientscher Nationalität in San Francisco (von der italienischen Kegierung
mit Fr. 4000 subventionirt), in Paris,
österreichischer Nationalität in Konstantinopel.
Eine englische Handelskammer bestoht in Paris, jedoch nicht zur Förderung
britischer Interessen, sondern nur der eigenen lokalen Interessen.
Projektirt sind spanischerseits Handelskammern in Paris, London, New- York,
Mexiko, Tanger, Lima, Valparaiso, Buenos-Ayres.
Die Wirksamkeit der genannten Handelskammern kann keine ganz vergeb-
liche sein; denn es haben einige derselben Musterlager heimischer Erzengnisse
eingerichtet (italienische Kammer in Paris, französische in Charleroi, Rosario)^
die französische in Galatz betreibt in kaufinännischer Weise eine Handelsagentur,
die übrigen französischen Handelskammern senden öfters Berichte an das Handels*
ministerium in Paris.
Johannisberg (Weinsorte). Bei Sitten im Wallis Lokalbezeichnung für
den Riesling. Wird dort auch „ petit Rhin ** genannt. In andern Gtsgenden des
Wallis soll mit dem Namen Johannisberger der grüne Sylvanner (gros Rhin)
bezeichnet werden. Kr.
Jougne-Eclepens war die Bezeichnung der Eisenbahn von Ecl^pens bei
Cossonay bis zur französischen Grenze bei Jougne. Diese Linie war das (Jnter-
nehmen einer besondem Aktiengesellschaft. Der Betrieb zwischen Cossonay und
Vallorbes wurde am 1. Juli 1870 eröffnet und am 1. Juli 1873 der Gesellschaft
der Suisse Occidentale übertragen. Den 1. Juli 1875 wurde die Linie Vallorbes-
Pontarlier eröffnet. Mit dem 1. Januar 1877 ging die Linie Jougne-Eclepens in
das Eigenthum der Suisse Occidentale Über. Die bauliche Länge zwischen Ecl6pens
und Jougne (Grenze) betrug 29,260 m, die Betriebslänge zwischen Cossonay und
der Ghrenze bei Jougne dagegen rund 35 km.
Italien. Um den Waarenverkehr zwischen der Schweiz und Italien zu
kennen, ist man für die Zeit vor 1885 auf die italienische Statistik angewiesen
(die Erklärung dafür ist im Artikel „Handelsstatistik *" gegeben). Die italienische
Statistik verzeichnet folgenden Spezialhandel mit der Schweiz (Einfuhr zum
Konsum in Italien und Ausfuhr aus der italienischen Produktion):
Jahr
Einftihr kxm d. Schweiz
Lire
»/o
Ausfuhr nach d. Schweis
Lire
•/o
1862
107'412,365
13,0
144*694,371
25,0
1863
100'830,228
11,1
121*138,163
19,1
1864
86'750,130
8,9
96*271,009
16,8
1865
72'397,657
7,5
82*498,296
14,8
1866
70*415,681
8,1
103*835,047
16,8
1867
75'806,837
8,6
109*148,271
14,8
1868
71'929,951
8,0
127*303,457
16,2
1869
53'065,196
5,7
125*051,985
15,8
1870
49*372,952
5,5
135*103,415
17,9
1871
52'009,000
5,4
156*931,000
14,4
1872
49*260,000
4,1
176*416,000
15,1
1873
40*977,000
3,2
159*677,000
14,0
Italien _ 92 ~ Italiea
1874 41^665,000 3,2 107'909,000 11,0
1875 36'028,000 3,0 108'792,000 10,5
1876 33'117,000 2,5 151^472,000 12,4
1877 28'007,000 2,4 79^848,000 8,4
1878 33*519,000 3,1 98'926,000 9,4
1879 32'430,000 2,6 107*409,000 9,7
1880 34*401,000 2,8 102*241,000 9,5
1881 37*073,000 2,8 134*620,000 11,3
1882 46*190,000 3,4 129*892,000 11,2
1883 64*874,000 4,7 124*408,000 10,4
1884 75*241,000 5,6 129*147,000 11,8
1885 76*970,000 4,9 124*869,000 11,0
1885 *) 60' 316,777 112'095,995
Es ergibt sich aus den vorstehenden Zahlen, daß die schweizerische Ausfuhr
nach Italien von 1862 bis 1877 sucoessive abgenommen, von da an aber wieder
successive zugenommen hat. Diese sucoessive Zunahme accentuirt sich noch besser,
wenn man die Werthe der nach Italien expedirten Gold- und Silber-Barren und
-Münzen ausscheidet. Dieselben betrugen:
Lire 1*728,420 pro 1878 Lire 2*785,340 pro 1882
, 3*506,490 „ 1879 „ 13*335,190 „ 1883
21,500 „ 1880 „ 9*955,740 „ 1884
„ 2*156,680 „ 1881 „ 7*497,035 „ 1885
Diese Sunmien abgezogen, verbleibt
Ital. Einfuhr aus der Schweiz Ital. Einfuhr aus der Schweiz
1878 Lire 31*790,580 1882 Lire 43*404,660
1879 , 28923,510 1883 , 51*538,810
1880 „ 34*379,500 1884 „ 65*285,260
1881 „ 34*916,320 1885 „ 69*472,965
Die Ursache der geschäftlichen Besserung seit 1878 ist theils der Gotthard-
bahn, theils dem Umstände zuzuschreiben, daß Italien durch seine HandeLsvertrüge
mit Oesterreich (1878) und mit Frankreich (1881) eine sehr erhebliche Anzahl
Zollreduktionen einräumte, zu denen sich noch einige weitere durch den Vertrag
mit der Schweiz von 1883 gesellten. Die hauptsächlichsten Reduktionen waren:
BednktioD
Artikel ^
von auf
Taschenuhren mit goldenen Gehäusen . . .Fr. 3 per Stk. Fr. 1
— anderen Grehäusen ^1 „ „ ^ — . 50
Bijouterie von Gold „ 140 i» ^^ «70
Goldschmiedewaaren von Silber, auch vergoldet ,.9 „ „ « 5
Seidengarne . . ^ 1 — 3 „ ^ frei
Seidengewebe und andere Seidenwaaren . .„ 5 — 18 ^ »» « ^ — 12
Seidenabfälle, gekämmte 50 «<! »1^
Wollgewebe 110—200 „ „ ^ 93—150
Leinengewebe, exkl. bestickte „ 26 — 170 „ r n 23 — 115
— bestickte . . „ 300 ^ „ «250
Leinengame „ 11 — 78 „ „ ^ 10—34
Maschinen 8—10 „ ^ , 6 — 8
Käse 15 . , «8
*) Nach der schweizerischen Statistik.
Italien — 93 — Italien
Bntter^ frische Fj. 10 per Stk. Fr. 5
Kaffeesorrogate, gemahlene, auch gebrannte . „ 20 „ ^ „ 5
Pianofortee 80—150 , Stk. „ 60—76
Mnsikdosen „ 2 ni> n^
LCeoh- und Packpapier «> 5 n ^ ^^i
Buntpapier ,,25 ^ „ „20
Liqnenrs „50 ^ hl ^ 25
Mineralwasser „ 3 w^ u — • ^^
Zündhölzer „11 „ „ frei
Seifen, parfümirte „30 „ „ „12
Holz, gemeines, rohes „ 1 « m' frei
Parqnetbodenhols „6 „„ „
Möbel Yon feinem Holz, gepolstert . . . „ 60 „ q „ 40
Strohhüte, gamirt«, exkl. Damenhüte . . . „ 10 „ l(N)Stk. frei
— nngamirte „10 „ „ „3
Ochsen nnd Stiere „18 „ Stk. „ 15
Kälber „3 „ , „ 2
Pelle, lackirte „100 „ q „75
Leider steht Italien im Begriff (Dezember 1886), durch Aufkündung der
Handelsverträge die meisten der obigen Eonzessionen anüzuheben, in der Meinung,
die Junge Industrie des Landes noch mehr als bisher durch Zollschutz zu kräftigen.
Welche Bedeutung diese Industrie übrigens bereits erlangt hat, zeigen folgende
Zahlen: ItaUenische Einfuhr im Jahre 1862: 830^029,347 Lire, 1885:
1,575'237,101 Lire; itaHenische Ausfuhr im Jahre 1862: 577'468,357 Lire,
1885: 1,134'320,588 Lire.
Ausfuhr schweizerischer Artikel nach Italien (Spezialhandel),
nach der italienischen Statistik :
Artikel 1880 1883 1885
Mineralwasser q 133 368 445
Bier in Fässern hl 84 2,130 3,104
Cichorien und andere Eaffeesurrogate . . . q 309 1,050 624
Chocolade 183 485 918
Tabakfabrikate, andere als Havannacigarren . „ 8 18 48
Seife, gewöhnliche „ 38 286 384
— parfümirte „ — 90 92
Theerfarben in festem Zustande 77 202 310
— in Teigform oder flüssig „ — 727 477
Andere Farbstoffextrakte 49 200 480
Farben in Täfelchen, Pulvern etc „ 18 301 439
Seilerwaaren aus Flachs und Hanf 14 80 52
Leinen-, Hanf- und Jutegarne „ 686 1,704 825
Leinen-, Hanf- und Jategewebe „ 204 323 514
Leinenwaaren, genähte „ 15 118 106
Baumwollgame 4,478 4,260 4,247
Baumwollgewebe und andere Baumwollwaaren „ 8,479 16,116 14,782
Davon rohe Gewebe , 5,230 9,679 7,798
gebleichte Gewebe , 581 1,053 1,128
bunte oder gefärbte Gewebe „ 820 1,916 2,067
bedruckte Gewebe , 1,578 2,702 2,801
bestickte Gewebe , 71 14^ V^^
Italien — 94 — Italien
Tüll, Gaze und Musseline. aller Art . . q 39 131 144
andere Gewebe und baumwollene Waaren , 160 486 68S
WoU- und Halbwollgewebe , 216 1,189 1,383
Wollgame — 222 678
Seidencocons „ 5,757 965 778
Seidengarne „ 213 275 334
Seidenabfälle 503 133 403
Seiden- und Floretseidengewebe „ 103 111 333
Andere Seiden waaren ^ 3 23 89
Brennholz Tonnen 11,997 17,191 14,811
Bauholz m» 13,193 8,670 2,899
Foamierholz und Parqueterie q — 276 724
Möbel aus Holz „ 193 216 189
Holzwaaren 315 6,575 2,874
Korbwaaren „ 109 395 , 377
Strohgeflechte , 113 229 238
Holzstoff zur Papierfabrikation — 5,932 21,947
Papier „ 541 1,930 1,753
Carton „ — 170 97
Häute und Felle „ 1,205 3,083 3,695
Maschinen und Theile solcher ^ 106 300 464
Kardengamituren „ 60 91 343
Gold- und Silberwaareu, acht und unächt . . kg 98 1,491 993
Taschenuhren mit goldenen Schalen .... Stk. 832 2,851 43,545
— anderen Schalen „ 1,805 18,813 262,957
Uhrfoumitüren q 6 106 312
Ochsen und Stiere Stk. .55 27 9
Küho „ 3,120 3,101 6,842
Jungvieh „ 3,344 3,199 8,311
Kälber „ 11,347 9,057 16,065
Butter, frische q 59 884 139
Käse „ 30,709 58,741 65,707
Musikinstrumente (Orgeln, Klaviere, Harm.) . Stk. — 40 49
— andere , 283 686 1,218
Instrumente zu wissenschaftlichen Zwecken . . q 40 104 198
Elastische Gewebe u. dgl , 117 123 143
Ausfuhr schweizerischer Artikel nach Italien im Jahre 1885,
nach der schweizerischen Statistik:
Ausfnbr im % der
Spexialhandel entsprecb.
Fr. TotoUusfnbr
Baumwollene Ajrtikel und Baumwolle 13'094,511 7,9
Davon Gewebe 9707,578 18,8
Garne 2'190,222 9,8
Stickerei 980,869 1,1
Bänder und Posamenteriewaaren 48,980 9,5
Strumpfwaaren 41,990 4,8
rohe Baumwolle 18,911 7,4
Käse 10'29 1,205 26,0
Uhren und TJhrentheile (inkl. Musikdosen und Spiel-
werke 69,127) 7*063,196 8,6
Rindvieh 6*205,736 30,6
Italien — 95 — Italien
Davon Nutzvieh 5'465,218 46,4
Seide und seiden Artikel (Ganz-, Halb-, Floretseide) . 5'333,353 3,1
Davon Garne und Seide r951,413 ifi
Gewebe (ohne Edehnetalle) r384,432 1,9
Bänder 874,016 3,0
Cocons 618.242 99,2
Abfälle etc 305,194 8,1
Stickereien 150,562 14,0
Maschinen und -Theile 5'069,611 23,7
Holz und Holzwaaren 1'559,353 16,1
Davon gemeines Bau- und Nutzholz 515,092 8,6
Brennholz 369,908 70,0
Holzkohlen 234,241 99,0
Wolle und wollene Artikel 1*193,975 10,3
Davon Kammgarne 441,564 6,3
Wolle 367,808 18,0
Gewebe 171,922 17,0
Strumpfwaaren 109,159 19,2
Filzstoflfe 35,383 17,3
Stickereien 27,246 9,6
Eisenwaaren und Eisen 1*136,173 32,0
•Gold- und Silberschmiedwaaren, Bijouterie .... 1 '054,087 27,2
Häute und Felle 744,546 10,2
Papier und Papierwaaren (s. auch Faserstoffe) . . . 535,354 25,4
Konfektions- und Modewaaren 448,356 10,6
Farbwaaren und Farbstoffe 437,877 4,8
Faserstoffe zur Papierfabrikation 422,705 25,8
Chocolade etc 405,757 22,3
Edelmetalle, unbearbeitet oder in Münzen .... 336,954 0.9
Elastische Gewebe 334,921 14,1
Leinen- und Hanfgewebe 256,545 63,8
Chemikalien für den gewerblichen Gebrauch .... 242,338 7,4
Leder 231,550 8,0
Pferde 224,121 22,7
Thonwaaren 207,713 31,1
Apotheker- und Droguehewaaren 199,585 11,7
Strohgeflechte 194,459 5,4
Instrumente zu wis.senschaftlichen Zwecken .... 186,115 19,2
Kupferwaaren und Kupfer 163,959 23,6
Eisenbahnwagen 145,430 55,0
Bttoher, Karten, Musikalien 144,387 5,4
Weingeist, Alkohol, geistige Getränke (exkl. Wein u. Bier) 1 35,632 13,3
Wein 133,334 8,9
Cigarren und Cigarretten 123,139 5,8
Kindermehl etc 98,022 4,8
Kondensirte Milch 83,245 0,6
Thierhaare 83,177 22,2
Bier and Malzextrakt 63,681 30,0
Heu 60,041 24,3
^sche 47,824 22,1
Leinen- und Hanfgarne 46,467 18,3
JUnsikinstromente 43,201 11,8
«Schweine und Ferkel 32,590 1%^^
Kastanien 28,848 73,7
Glae- and Gloswaaren 27,770 21,0
Kaffeeaurrogato 26,531 61,7
Talg 24,929 12,1
Schafe nnd Ziegen 24,136 16,5
Lederwaaren, exkl. Sekahwaaren 22,627 16,5
Strohhnte, nngarnirte 21,911 3,4
Butter 13,806 0,6
Einftihrartikel aue Italien im Jahve 1885, nach der schweieerischen
Statistik :
fjHilmlhiDdal ODUprHh.
Fr. TottWofuhr
Seide and seidene Artikel (Gani-, Kalb-, Floreteeide) . 65'676.350 52,7
Davon gezwirnte Rohseide 55"198,800 87,5
Seidencocons 3'S69,äO0 98Ji
Gold, Silber, Piatina, nnhearbeitet oder in MUnzen . 12'339,030 42,9
Getreide and UUhlenfabrikate 6'564,638 7,9
Wein 5'947,088 23,0
lündvieh 2'440,U3 11,1
Eier 1'046,880 23,1
Weintraaben, frisohe, snr Weinbereitang 1'001,662 94,5
Geflügel, lebende» 847,476 53,6
Eonfektiona- und Modewaaren 621,100 3,4
SUdfrächte 777,950 30,4
Olivenßl in Fässern 755,580 63,4
Schweine und Ferkel 691,472 14,6
Cheroftalien für den gewerblichen Gebranoh .... 576.787 3,6
Flaohs and Hanf 553,010 52,0
Schafe und Ziegen 531,120 34,7
Holz und Holzwaaren 420,563 3,5
Kaflee, roher 341,062 3,0
FWbrinden, Farbbeeren, Farbwoixeln, roh ... . 322,840 59.6
Apotheker' und Drogneriewaaren 322,498 10,6
Obst, gedörrtes 322,290 28,0
Baumwolle, robe 308,850 0,9
Tabakblatter, -Rippen, -Stengel eto 265,320 4,6
Flache 257,519 12,5
Eisen und Eisenwaaren 255,316 2,9
Leinen- und Hanfgarne 254,100 20,7
Leder 252,220 2,1
Maschinen nnd -Theile 251,063 3,0
Gold- und SÜberechmiedwaaren, Bijouterie .... 205,350 3,5
äeidengewebe und -Bänder, ohne Edelmetalle . . . 204,600 2,2
Wollengewebt 187,600 0,5
Banmwollgewobc 185,450 0,8
Uhren und -Theile 178,050 3,4
Häute nnd Felle 175,560 4,7
Fleisch 160,463 9,2
Teigwaaren 159,528 60,0
Leinen- und Hanfgewebe 154,200 8,6
Italien — 97 — "" Italien
Petroleum etc 151,448 2,^
Gemüse, friaoh, exkl. Kartoffeln 150,810 6,3
Pferde 149,220 4,0
Eiee 147,445 7,1
Alabaster nnd Marmor 145,604 71,5
Seifen 138,970 6,6
Papier and Papierwaaren 126,350 3,0
Zucker 123,000 0,7
Kupfer and Eupferwaaren 110,166 3,9
Scbuhwaaren aus Leder 87,922 1,4
Strohgefleohte 84, 600 1 1 , 3
Seilerarbeiten 75,250 18,3
Seidene Stickereien nnd Spitzen 75,000 9,6
Thierhaare 72,330 3,2
Thouwaaren 70,014 2,8
Butter «4,106 4,2
Baumwollgarn 61,600 1,0
Seidenwaarun mit Edelmetallen 60,000 8,6
Handachaho, lederne 60,000 5,3
M(ihlHt«ine 59,724 36,0
Steinkohlen 59,660 0,4
Gras- und Kleeaaat 58,200 3,1
Lederwaaren 51,920 2,2
Banmwollene ffinder nnd Poeamenteriewoaren . . 49,200 5,3
SehwcineBchmalz 37,240 1,0
Bildbauerarbeiten 37,000 66,6
Liqoenra 36,400 6,7
Wachs 36,100 15,0
GemOse, konservirte 33,810 8,6
Glae lind Glasvaaren 32,199 1,1
WoUene Sbawle nnd ScbKrpen 28,800 7,0
Hen 27,125 9,4
Mals 25,248 0,6
Wollene BSnder und PoBamenteriewaaren .... 24,000 1,7
Wollene Teppicbe 21,600 1,0
Wollene Tnchenden 21,000 34,2
Schleif- nnd Wetzeteine 20,475 5,6
Banrnwolldecken 20,400 12,6
Gewürze 20,212 4,6
Honig 19,967 10,0
Thee 19,500 3,4
Mosikinstmmente 19,475 2,2
Wollendecken 19,000 1,6
Cigarren und CHgarretten 18,900 0,6
Zinn tuid Zinnwaaren 13,412 1,2
Verträge.
Die mit Itaben seit 1848 ahgeachloaeenen und noch in Kraft stehenden
Verträge betreffen:
Farr«, VolknirUnchalto-Lailkas dar ScIiKali. 1
r.
Italien — 98 — Italien
Armenrecht im Prozeßverfahren : Uebereinkunft vom 8. Nov. 1882 (A. S. VII,
pag. 80).
Ausdehnung der Verträge mit Italien auf das Königreich Italien : Erklärungen
vom 11. Aug./ 10. Sept. 1862 (A. S. VII, pag. 309, 374 und 376).
Auslieferung: Vertrag vom 22. Juli 1868 (A. S. IX, pag. 732), nebst
Zusatzartikel vom 1. Juli 1873 (A. S. XI, pag. 294).
Bisthumsverhältnisse : Vertrag vom 39. Nov. 1862 (A. S. VII, pag. 609)
und nachträgliche Uebereinkunft vom 20. Nov. 1867 (A. S. IX, pag. 347).
Eisenbahnen: a. Gotthardbahn : Vertrag vom 15. Okt. 1869 (A. S. 10,
pag. 555, 321, 441, 578, 583); Vertrag vom 23. Dez. 1873 betreffend den
Anschluß der Gotthardbahn bei Ghiasso und Pino (A. S. XI, pag. 478) ; Znsatz-
vertrag vom 12. März 1878 über Nachsubvention (A. S. n. F. IV, pag. 169);
Protokoll vom 5. Febr. 1880 betreffend den Anschluß der G-otthardbahn zwischen
Dirinella und Pino (A. S. n. F. 5, pag. 49) ; Uebereinkunft betreffend den Polizei-
dienst auf den Gotthardbahnstationen Ghiasso und Luino (A. S. n. F. 5, pag. 577),
nebst bezügl. Erklärung vom 11. Nov. 1884/12. Jan. 1885 (A. S. n. F. VIII,
pag. 65); Uebereinkunft vom 15. Dez. 1882 betreffend den Zolldienst in den
Gotthardbahnstationen Ghiasso, Luino, Maccagno und Pino (A. S. n. F. VIL,
pag. 193). b, Monte-Genere-Bahn, Vertrag vom 16. Juni 1879 (A. S. n. F. IV,
pag. 352).
Fischerei in den Grenzge wässern : Vertrag vom 8. Nov. 1882 (A. S. n. F. VII,
pag. 114).
Freiisügigkeit, gegenseitige, in den beiden Staaten: Erklärung vom 11.
Aug./ 10. Sept. 1862 (A. S. VII, pag. 376).
Gewerbliches Eigenthum : Internationaler Vertrag vom 20. März 1883
(A. S. n. F. Vn, pag. 517).
Greneregulirung : Uebereinkünfte vom 5. Okt. 1861, 27. Aug. 1863,
22. Aug. 1864, 31. Dez. 1873, sowie Bundesrathsbeschluß vom 4. Jan. 1875
(A. S. vn, pag. 210; VIU, 430; XI, 527, 539; A. S. n. F. 1, pag. 226).
Handel: Vertrag vom 22. März 1863, nebst Protokoll vom 27. Nov. 1883
(A. S. n. F. vn, pag. 398).
KonsularverhäUnisse : Uebereinkunft vom 22. Juli 1868/22. Jan. 1879
(A. S. n. F. IV, pag. 103).
Literarisches und künstlerisches Eigenthum: Vertrag vom 22. Juli 1868/28.
Jan. 1879 (A. S. d. F. IV, pag. 103), der durch die im September 1886 ab-
geschlossene internationale Konvention ersetzt sein wird, sofern diese die Eati-
fikation aller betheiligten Staaten erlangt.
Maß' und Gewichtsbureau, internationales, in Paris: Vertrag (sog. inter-
nationaler Metervertrag) vom 20. Mai 1875 (A. S. n. F. U, pag. 3).
Militärdienstbefreiung: s. weiter unten Niederlassung.
Münzwesen : Internationaler Vertrag vom 6. Nov. 1885 (A. S. n. F. VllI,
pag. 425/465).
Niederlassung: Vertrag vom 22. JuH 1868/28. Jan. 1879 (A. S. IX,
pag. 706, 729, 757, 758; A. S. n. F. IV, pag. 103).
Postwesen: Vertrag betreffend Geldanweisungen, d. d. 30. Okt. 1865
(A. S. VIII, pag. 726); Weltpostvertrag vom 1. Juni 1878; internationale
Uebereinkunft vom 1. Juni 1878 betreffend Austausch von Briefen mit dekla-
rirtem Werth; internationale Uebereinkunft vom 4< Juni 1878 betreffend den
Austausch von Geldanweisungen ; internationaler Vertrag vom 3. Nov. 1880
betreffend Auswechslung von Poststttcken bis 3 kg ohne Werthangabe; inter-
Juragewässerkorrektion — 99 — Juragewässerkorrektion
nationale Uebereinknnft vom 21. März 1885 (A. S. n. F. III, pag. 673, 711,
728; V, 881; IX, 132/217).
Seerecht : Internationale üebereinkunft vom 16. April 1856 (A. S. 5,
pag. 337, 348).
Sprenggeschosse, Nichtanwendung solcher im Kriege : Internationale Ueber-
einknnft vom 29. Nov./ 11. Dez. 1868 (A. S. IX, pag. 597).
lelegraph: Internationaler Vertrag vom 10./22. Juli 1875 und Special-
vertrag vom 29. Juli 1879 (A. S. n. F. II, pag. 296 und IV, pag. 380).
Verpflegung mittelloser Kranken: Erklärung vom 6./15. Okt. 1875 (A. S.
B. F. 1, pag. 745).
Verwundete im Kriege: Genfer Konvention vom 22. Aug. 1864 (A. S. Ylli,
pag. 520)
Zolldienst in den internationalen Bahnhöfen Chiasso und Luino und in den
Zwischenstationen Macoagno und Pino: Uebereinknnft vom 15. Dez. 1882 (A. S.
n. F. VII, pag. 193).
Zivilstandsakten, gegenseitige Zustellung: üebereinkunft vom l./ll. Mai
1886 (A. S. n. F. IX, pag. 32).
Julier-Strasse s. „Obere Straße über Julier und Maloja**.
Jurabahn, neuenburgische, s. Jura neuohätelois.
Jurabahnen, Bemische, s. Bemische Jurabahnen.
Jura-Bem-Luzern-Bahn war bis zum 1. Juli 1884 die Firmabezeichnung
für den Betrieb der Bernischen Jurabahnen, der Bera-Luzem-Bahn und der
Bödelibahn. Seit 1. Juli 1884 ist die alte Firma „ Bemische Jurabahnen **
statutenmäßig durch „ Jura-Bern-Luzern-Bahn "^ ersetzt. ,i^
Juragewässerkorrektion. Die beinahe vollendete Juragewässerkorrektion
ist das Werk der letzten zwanzig Jahre; es bedurfte volle zwei Jahrhunderte,
um eine Einigung zwischen den interessirten Landesgegenden über die Art und
Weise der Korrektion herbeizuführen und die nothwendigen finanziellen Mittel
zu beschaffen. Erst als der Bund seine Millionen zur Verfügung stellte, konnte
ernstlich Band an^s Werk gelegt werden.
Die Korrektion erwies sich als nothwendig, weil die Gegenden längs dem
Bieler-, dem Murtner-, dem Neuenburgersee und ihren Zu- und Abflüssen von
öfteren uud schweren Ueberschwemmungen heimgesucht wurden; um nun die
Wassermassen unschädlich zu machen, galt es, den Wasserspiegel der obgenannten
Seen tiefer zu legen und die Aare aus ihrem alten Bette in den Bielersee ab-
zuleiten. Dies konnte bewerkstelligt werden ducrh:
a. den Bau des Hagneckkanals behufs Au&ahme der Aare bei Aarberg und
Ueberfdhrung derselben in den Bielersee;
d. den Nidau-Büren-Kanal behufs Ableitung der im Bielersee vereinigten Gre-
wässer der Aare und der Zihl;
€. Korrektion der obern Zihl zwischen dem Neuenburger- und dem Bielersee;
d. Korrektion der untern Broye zwischen dem Murten- und dem Neuen-
burgersee;
e. Ausführung der Korrektionsarbeiten auf der Flußabtheilung Büren-Attisholz
(Emme-Einmündung), so weit solche als nothwendig erachtet werden.
Die Totalkosten dieser Korrektionen waren veranschlagt auf Fr. 14' 000 ,000,
welche sich auf die verschiedenen Werke wie folgt vertheilten :
1) Aarberg-Hagneck-KanalFr.3' 700,000, 2) Nidau-Büren -Kanal Fr.4'900,000,
3) oberer Zihl -Kanal Fr. 1^460,000, 4) untere Broye -Kanal Fr. 740,000,
Joragewääserkorrektion — 100 — JuragewfisserlLorrektion
5) Bektifikations- und Ergänznngsarbeiten zwischen Büren und Attuholz Fr»
928,000, 6) Entschädigungen an Landbesitzer, Administrationskosten u. s. w.
Fr. 2'272,000.
Durch Bundesbeschluß vom 25. Juli 1867 (A. S., Bd. IX, pag. 93) über-
nahm der Band die Leistung eines Beitrages von Fr. 5'000,000 und es ist
diese Summe folgendermaßen auf die betheiligten Elantone yertheilt worden:
1) An den Kanton Bern Fr. 4' 340,000, bei einer deyisirten Bausumme
von Fr. 10*266,000, für die Ausführung des NidauBüren- und des Aarberg-
Hagneck-Eanals ; 2) an den Kanton Solothurn Fr. 360,000, bei einer deyi-
sirten Bausumme von Fr. 1' 108,000, für die Ausführung der Korrektionsarbeiten
auf der Flußstrecke Büren-Attisholz ; 3) an die Kantone Freiburg, Waadt
und Neuenburg zusammen Fr. 300,000, bei einer deyisirten Bausumme yon
Fr. 2*626,000, für die Ausführung der Korrektionen der untern Broje und der
obem Zihl.
Diese Beiträge erwiesen sich als ungenügend und es wurden deßhalb durch
Bundesbeschluß yom 7. Juli 1883 (A. S., Bd. VII, pag. 168) folgende Nach-
subyentionen bewilligt: An die Kantone Freiburg, Waadt und Neuenburg zu-
sammen Fr. 200,000 und an den Kanton Bern Fr. 180,000, nebst Fr. 73,000
für ein am Ausflasse des Bielersees zu erstellendes Schleusenwerk.
Beschreibung der Korrektionsarbeiten:
A. Aarherg-Uagneck-Kanal. Derselbe hat eine Gesammtlänge yon 8600 m
und nimmt seinen Anfang beim felsigen Abhang der Rappenfluh, ungefähr 1000 m
oberhalb dem Städtchen Aarberg, woselbst die Ableitung der Aare in den Bieler-
see yermittelst eines Absperrwerkes bewerkstelligt wird. Der ELanal besteht aus
drei Hauptabtheilungen:
1) Dem 7350 m langen Kanal yon der Einmündung der Aare bei der Eappen-
fluh bis zum Hagneckdurchschnitt. Das projektirte gleichförmige SohlengefäU
beträgt l,4®/oo; das nun in Ausführung begriffene Normalprofll ist folgendes:
Breite des Kanals in der Sohle 60 m, zwischen den Uferkanten 75 m,
Höhe yon der Sohle bis zur Uferkante ca. 4,8 m, Uferböschung 2:3m,
Breite zwischen den innem Hinterdammkronen 102 m, die Höhe yon der
Kanalsohle bis zur Dammkrone 7,5 kn; die Hinterdämme, welche 6 m
Kronenbreite und ^s m Böschung besitzen, dienen nicht nur als Parallel -
Straßen, sondern hauptsächlich zum Schutze gegen außerordentliche Hoch-
wasser.
2) Aus dem 900 m langen Durchschnitt des Hügelzuges bei Hagneck, mit
einem Gefäll yon 3,75 7oo and 36 m Sohlenbreite; die größte Höhe (oder
Tiefe) beträgt 34 m.
3) Aus der zukünftigen Verlängerung des Flußbettes über den Strandboden
des Sees.
Seit Beginn der Arbeiten im Jahre 1874 sind bis Ende 1885 von der nach
Voranschlag auszuhebenden Masse yon 3*822,800 m^ durch Aushub 1'410,900 m^
= ca. 37 7® ^nd durch Abschwemmung 1'783,900 m® = ca. 46 7« beseitigt
worden, bleiben somit noch 628,000 m^ ^ ca. 17 7o* Gresammtkosten, inklu-
siye Administration etc., bis Ende 1885 Fr. 4*734,267, gleich einer Kosten-
überschreitung yon Fr. 314,267 oder 7,1 7o ^^^ Voranschlagssumme.
B. NidauBüren-Kanal. Dieser ist nebst dem Aarberg-Hagneck -Kanal das
wichtigste Werk der Juragewässerkorrektion und zerfällt in zwei Hauptabschnitte :
1) in den ca. 8910 m langen, im Jahre 1868 begonnenen und im Jahre 1882
der Hauptsache nach yollendeten Kanal Nidau-Meyenried und
* . « • • •
Juragewftsserkorrektion — 101 — Juragewässerkorrektion
2) in den Kanal Mejenried-ßtiren von ca. 2790 m Länge, der im Jahre 1883
begonnen und noch in AusfUhrang begriffen ist.
Das relative Gefäll der Flaßeohle beträgt 0,20 7oo Normalprofil; Breite
in der Sohle 66 m; Breite beim Sommerwasserstand 86 m; obere Breite zwischen
^en Kanten der Ufer wände 96 m; größte Tiefe in der Mitte der Floßrinne 8 m,
mit doppelter Böschung der Seiten oder üferwände. Von der nach Voranschlag
auszuhebenden Masse von 5'256,100m' waren Ende 1885 ausgehoben 4'369,000m*,
wovon auf Baggerangen entfallen 2*612,500 m' = ca. 60 ^o, auf Grabarbeiten
von Hand 1 '450, 500 m» = ca. 33 7o, auf Absohwemmungen 306,000 m* =
7 7o.
Gresammtkosten, inkl. Administration, bis Ende 1885 Fr. 5^861,292, so-
mit Kostenüberschreitung von Fr. 53,292 oder ca. 0,9 ^o ^^^ Yoranschlags-
summe.
C. Zihl'Kanal. Die G^ammtlänge des im Jahre 1874 begonnenen und
1883 vollendeten Kanals beträgt 8500 m, wovon 3900 m auf Durchstiche,
1400 m auf Ausmttndungsdämme (sog. Moles, zur Verhütung von Versandungen
und Verschlanunungen), welche die Verbindnngen der Zihl mit dem Neuenburger-
und dem Bielersee vermitteln, und 3200 m auf die übrige Kanalstrecke entfallen,
welche dem alten Flußlauf folgt und dessen Korrektion erzielt wurde durch
Abschneiden der schroffen Krümmungen und Erweiterung und Ausbaggerung des
alten Bettes. Das Geföll der Kanalsohle beträgt 0,14 ^ooi die Breite des Qner-
profils in der Sohle 31,2 m, in der Höhe 55,2 m. Normaltiefe 6 m, die Ufer-
böschungen 1 : 1,5 bis 2.
D. Broye-KanaL Die G^sammtlänge des zu gleicher Zeit wie derjenige
der obern Zihl begonnenen und vollendeten £[anals beträgt 8210 m, wovon
2100 m auf Durchstiche, 1900 m auf die Seekanäle (des Murten- und des Neuen-
borgersees) und 4210 m auf die übrige Flußstrecke kommen; letztere wurde
nach den gleichen Grnndsätzen korrigirt wie beim Zihl-Kanal. Das Geföll der
Kanalsohle beträgt 0,14 ®/oo; Breite des Querprofils in der Sohle 16,2 m, in
der Höhe 35,4 m. Normaltiefe 4,8 m, die Uferböschungen sind 1 : 1,5 bis 2.
Die Gresammtkosten für diesen Kanal und für den Zihlkanal betragen Fr. 4'380,187,
wovon, nach Abzug der Bundessubvention, Freiburg 415 ^/oo, Waadt 385 ®/oo,
Neuenburg 200 ^/oo zu übernehmen hatte.
E. Korrektion des alten Äariaufes zwischen Büren und Attishole, Die-
selbe besteht hauptsächlich aus folgenden pro'jekiirten Bauwerken : 1) des Durch-
stichs der Aare zwischen Arch und Bachmatt in einer Länge von 855 m;
2) des Durchstichs zwischen Bachmatt und Altreu 1890 m; 3) des Darchstichs
zwischen Altreu und Leußligen 1290 m und 4) der Rektifikationen der Zwischen-
atrecken in einer Länge von 2865 m, wodurch eine Abkürzung des jetzigen
19,300 m langen Aarlaufes um ca. 3700 m und dadurch eine wesentliche Be-
schleunigung des Abflusses der Aare erzielt würde.
Durch die bisherigen Korrektionsarbeiten, obwohl sie (Nov. 1886) noch nicht
SU Ende geführt sind, hat die Juragewässerk. schon jetzt günstige Resultate auf-
zuweisen. Die Wasserspiegel der Seen wurden tiefer gelegt und zwar derjenige
des Neuenburgersees um 2 m, des Bielersees um 2,4 m und der des Murtensees
um 1,8 m; das Gefäll und die Stoßkraft der vereinigten Aare und Zihl wurden
vermehrt. Der Aare wurde durch die Ableitung derselben in den Bielersee ein
Ablagemngsbeoken für ihre G-eschiebe geboten; ebenso ist die üeberschwemmungs-
gebhi für die untern Aargeg^nden durch das Retentionsvermög^n der Seebeoken
Juragewässerkorrektion — 102 — Käse
verringert (Vgl. Schneider: ^Das Seeland der Westschweiz and die Korrektion
seiner Gewässer", Bern 1881; femer „ Jahresbericht der Juragewässerkorrektion
1885«).
Jura industriel war die Beseeichnang für die Eisenbahn von Neuenborg
nach Convers, Chanx-de-Fonds und Loole, als diese Linien noch das Eigentham
einer besonderen Aktiengesellschaft waren. Die Betriebseröffnnng hat wie folgt
stattgefunden: den 2. Juli 1857 die Strecke Chaux-de-Fonds - Locle (8188 m);
den 27. November 1859 die Strecke Convers - Cbaux-de-Fonds (3488 m); den
1. Dezember 1859 die Strecke Neuenburg -Hauts-Greneveys (19,760 m) und dea
15. JuH 1860 das Schlußstfick Hauts-Geneveys - Convers (4533 m). Die ganze
bauliche Länge der eigenen Bahn betrug 35,915 m. Am 1. Januar 1865 ging
die Bahn in Folg^ Liquidation an eine neue Gesellschaft über, welche sich jedoch
auch nicht halten konnte. Am 1. Mai 1875 ging die ganze Bahn in das £igen-
thum der Bermschen Jurabahnen über.
Jura neuchätelois. Die Eisenbahn Neuenburg-Convers-französische Grenze
beim Col-des-Boches ging mit dem 1. Januar 1886 in das Eigenthum des Kantons
Neuenburg über, indem dieser von dem konzessionsmäßigen Recht des Ankaufes
auf den genannten Sicitpunkt Grebrauch gemacht hat. Der Betrieb wurde einer
zu diesem Zwecke gebildeten Aktiengesellschaft übertragen.
Jute wird in der Schweiz im Großen nicht produzirt. Die gemachten Ver-
suche scheinen kein genügendes Ergebniß geliefert zu haben. Einige schweizerische
Spinnereien und Webereien befassen sich theilweise mit der Verarbeitung von Jute.
Einfuhr von Jute und ähnlichen Spinnsto£Pen, exklusive Flachs und Hanf,
im Jahre 1885 :
Jute etc. 357 q ä Fr. 35 ; davon 254 q aus Deutschland, 47 q aus Groß-
britannien, 41 q aus Italien.
Garne aus Jute etc.: 2635 q ä Fr. 60; davon 1020 q aus Großbritannien,
745 q aus Belgien, 708 q aus Deutschland, 109 q aus Frankreich, 41 q aus Italien.
Gewehe aus Jute etc: 12,530 q ä Fr. 250; davon 7125 q aus Groß-
britannien, 4400 q aus Deutschland, 629 q aus Belgien, 347 q aus Frankreich.
Ausfuhr 1885: Jute etc. 79 q ä Fr. 169; davon 26 q nach Frankreich,
26 q nach Oesterreich, 23 q nach Deutschland.
Garne aus Jute etc. : 125qäFr. 229; davon 68 q nach Deutschland, 51 q
nach Frankreich.
Gewebe aus Jute etc.: 29 q a Fr. 659, nach Oesterreich, Deutschland,.
Frankreich, Italien und Belgien.
Iva (AchiUea moschata; moschusdaftende Schafgarbe; Wildfräuleinkraut).
Diese, namentlich in den Graubündner Alpen vorkommende Pflanze bildet die
Grrundlage einer Branche der schweizerischen Liqueurfabrikation. Diese Verwendung
von Iva ist vermuthlich erst im letzten Jahrhundert aufgekommen. Der Natur-
forscher Conrad Gessner von Zürich war der Erste, der die Kenntniß der Iva-
pflanze verbreitete, nachdem ihn sein Freund Campell auf dieselbe aufmerksam
gemacht hatte.
Ivapräparate, d. h. Wein , Liqueur etc. , welche das ätherische Oel der
Iva-Pflanze (AchiUea moschata) enthalten, sind eine schweizerische (Engadiner)
Spezialität, Erfindung des Apothekers P. Bernhard in Samaden.
Kabel. Elektrische Leitungskabel werden von der Soci6t£ d'exploitation
des cables electriques, Systeme Berthoud, Borel & Cie., in Cortaillod (Neuenburg)
in großartigem Maßstabe und in anerkannt vorzüglicher Weise fabrisirt.
Käse s. Milchwirthschaft.
Kaffee
— loa —
Kaffeesurrogate
Kaffee. Die Sorten, die in der Schweiz haupteächlich verbraucht werden,
sind Java und Santos. ungefähr 7^ ^^ Imports wird durch Basler Häuser
vermittelt.
Die Einfuhr von Kaffee in den Jahren 1876/85 betrug durchschnittlich
per Jahr 91,196 q. Leider kann mit früheren Jahrzehnten kein genauer Vergleich
angestellt werden, denn von 1850 — 1873 ist in den schweizerischen £in- und
Ausführtabellen der Posten ^Kaffee** mit „ Kaffeesurrogaten *" vereint. Die Einfuhr
von Kaffee und Kaffeesurrogaten vereint betrug im Jahresdurchschnitt 1851/60:
71,137 q, 1861/70 : 76,154 q, somit bedeutend weniger als im Jahrzehnt
1876/85 die jährliche Einfuhr von Kaffee allein (91,196 q).
Ab Herkunftsländer des im Jahre 1885 in die Schweiz eingeführten Kaffees
verzeichnet die schweizerische Waarenverkehrsstatistik :
Holland . .
Deutschland .
Belgien .
Frankreich .
Brasilien .
Großbritannien
mit 21,187 q
n 15,853 „
n 14,720 „
. 14,379 „
. 11,891 „
« 4,581 „
Italien mit 2,675 q
Ver. Staaten von N.-A. „ 1,532 „
Mexiko
Andere Länder .
rj
1,009
3,369
Total 91,196 q
a Pr. 127. 50 für rohen und Fr. 162. 50 fUr gebrannten Kaffee.
Die Ausfuhr von Kaffee betrug im Jahresdurchschnitt 1876/85: 780 q.
Kaffeesurrogate. Die in der Schweiz fabrizirten Kaffeesurrogate sind:
Der Feigenkaffee, der Cichorienkaffee, Kaffee-Essenz, Zucker-Essenz, Eichelkaffee
und der sog. Gesundheitskaffee.
Der Feigenkaffee wird aus griechischen Feigen hergestellt; derselbe gilt,
wenn ihm nicht Cichorien oder ZuckerrUbenmehl beigemengt ist, als das beste
resp. nahrhafteste Surrogat. Müller-Landsmann in Lotzwyl ist wahrscheinlich der
einzige Fabrikant in der Schweiz, der diesen Artikel im Großen fabrizirt. Von
der auswärtigen Konkurrenz macht sich aui meisten diejenige Oesterreichs fühlbar.
Der Cichorienkaffee wird aus den in Deutschland und Belgien massenhaft
gepAanzten Cichorienwurzeln fabrizirt. Der Verbrauch dieses Kaffees ist ein außer-
ordentlich großer, denn zu den im Inlande fabrizirten ca. 20,000 q werden
jährlich noch mindestens so viel eingeführt. Der Artikel geht unter verschiedenen
Namen, wie : Frankkaffee, Sparkaffee, Löwenkaffee, Damenkaffee, Javamehl, Mokka-
mehl, Frickkaffee u. s. w.
Gewissenlose Fabrikanten scheuen sich nicht, dem Cichorienkaffee mineralische
und vegetabilische Bestandtheile beizumengen (Steinkohlenpulver, zerriebenen Torf
u. s. w.), deßhalb ist sehr zu rathen, die Waare untersuchen zu lassen.
Es ist anzunehmen, daß die Schweiz eines Tages ihren Bedarf an Cichorien-
wnrseln selbst decke, denn es ist konstatirt, daß sowohl die Cichorie als die
Zuckerrübe mit Erfolg bei uns gepflanzt werden kann.
Als beste KsL^ee-Essenz gilt diejenige aus gereinigtem Rohrzucker; sie soll
von Müller-Landsmann in Lotzwyl erfanden worden sein; ihr zunächst kommt
diejenige aus rohem Rohrzucker und nach dieser die gebräuchlichste und in der
Schweiz noch am meisten fabrizirte aus brenzlicher Melasse. Zum Nachtheil der
letztem (der Melasse) spricht, daß sie durch Schwefelsäure, Ochsenblut, Thier-
kohle, Kalk, Phosphor verunreinigt werden kann.
Der Verbrauch des Eichelkaffees ist gering. Der sog. Gfesundheitskaffee,
welcher namentlich von den Anhängern der Homöopathie genossen wird, besteht
größtentheils aus Zuckerrübenmehl, Roggen, Gerste und Cichorien. Viele Fabri-
kanten verwenden auch Soyabohnen und Lupinen (Wol&bohnen).
Kaffeesurrogate — 104 — Kali
BirkhäQser's Adreßbuch (Basel, 1885) veneichnet 29 Fabrikanten von
Eaffeesnrrogaten, nämlioh 11 im Et. Bern, 7 Waadt, 3 St. Gallen, 3 Solothurn,
2 Aargau, 1 Basel, 1 Grenf, 1 Winterthur. Dem Fabrikgesetz sind 11 Etabl.
unterstellt.
Einfuhr von Kaffeesurrogaten im Jahre 1885: 38,360 q im geschätzten
Werthe von Fr. 1'678.346 (aus Deutschland 24,875 q = Fr. 1'109,177; aus
Belgien 12,002 q = Fr. 504,084; aus Frankreich 826 q = Fr. 36,743; aus
Holland 400 q = Fr. 16,800; aus Oesterreich 117 q = Fr. 5475 etc.).
Ausfuhr im Jahre 1885: 384 q im deklarirten Werthe von Fr. 43,074
(nach Italien 243 q =: Fr. 26,544; Rest nach verschiedenen Ländern) und
364 q im Grenz verkehr mit Gex und Hochsavojen.
Kains. Bunt gewebtes Baumwollzeug fUr malayische Kleidung. Bedeutender
Artikel der toggenburgischen Buntwebereien für den Export nach Singapore,
Batavia, Manila etc.
Kaisergutedel ist der Name einer außerordentlich feinen, in der Schweiz
wachsenden Tafeltraube.
Kalemkiars. Türkische Bezeichnung für baumwollene, bedruckte Kopf-
tücher, die auch in der Schweiz fabrizirt werden.
Kali (Kalisalze). (Mitgetheilt von Herrn Dr. Grete.) In der Landwirth-
Schaft nimmt das KaH als einer der wichtigsten PflanzennährstofPe einen hervor-
ragenden Platz unter den Mitteln zur Hebung der Pflanzenproduktion ein. Die
Form, in welcher in der Landwirthschaft das Kali zur Anwendung gelangt, ist
durchweg die der Keillsalge.
Wenn es auch feststeht, daß sehr viele Bodenarten, die aus kalihalügem
Gestein durch Verwitterung entstanden sind, einen oft erstaunlich hohen Reich-
thum an Kali aufweisen, so ist dennoch unter Berücksichtigung der entsprechenden
Beidüngung mit andern Nährstoffen eine Kaligabe oft sehr lohnend, während
andere Bodenarten, die kaliarm sind, ohnehin der fortgesetzten Zufuhr von Kali-
salzen behufs Erzielung andauernd hoher Ernten bedürfen. Dahin gehören besonders
Moor- und Sandböden, die für Kalidüngung äußerst dankbar zu sein pflegen.
Die dem Landwirthe zur Verfügung stehenden Kalisalze sind folgende:
1) Das kohlensaure Kali (Kaliumcarbonat), welches aus der in unreinem Zustande
in großen Quantitäten gewonnenen Pottasche bereitet wird. Der größere Theil
des Rohproduktes (der Asche) wandert in die Seifensiedereien, nur verhältniß-
mäßig geringe Quantitäten werden direkt in der Landwirthschaft verwendet.
2) Das salpetersaure Kali (Kalisalpeter) wird in der Landwirthschaft nur höchst
selten verwendet. 3) Die Staßfurter Kalisalze. Die schweizerische Landwirth-
schaft ist hinsichtlich Befriedigung ihres Bedarfes an Kalisalzen vollständig auf
die Einfuhr vom Auslande angewiesen. Hauptsächlich sind es die Bergwerke bei
Staßfurt und Leopoldshall, welche den größten Theil Europas, so auch die Schweiz,
mit Kalisalzen versorgen.
Es kommen hier folgende Salze in Betracht:
a. Chlorkalium (dem Kochsalz ähnliche Kry stalle). Es kommt in drei- und
fünffach konzentrirter Form in den Handel mit einem garantirten Grehalt von
ca. 30 resp. ca. 50 ^/o reinem Kali (K 2 0). Fast die Gesammtmenge der Einfuhr
wandert in die Düngerfabriken, in denen es bei Herstellung der Mischdünger
mit verschiedenen Kaligehalten verwendet wird. Eine direkte Verwendung findet
wegen der großen Konzentration, durch welche unter Umständen eine Schädigung
des Pflanzen wachsthums eintreten könnte, nicht statt.
Kali — 105 — Kalk
6. Schwefelsaures Kali. Dieses Salz kommt in mehr oder weniger reinem
Zustande mit einem Grehalte von 20 — 25 ®/o Kali in den Handel, wird aber des
hohem Preises wegen seltener in der Landwirthsohaft verwendet.
Dagegen haben unter den versohiedensten Namen (Kalidünger, konzentrirtes
Kalisalz, rohe schwefelsaure Kalimagnesia, rohes schwefelsaures Kali, Kainit etc.)
an Kali ärmere, hauptsächlich mit wechselnden Mengen der Verbindungen des
Kalkes und der Magnesia mit Schwefelsäure und Chlor in der Natur verunreinigte
Kalisalze Eingang in deu landwirthschaftlichen Betrieb gefunden, deren Verwendung
eben wegen dieser Beimengungen mit einiger Vorsicht zu geschehen hat. Be-
sonders ist es zu vermeiden, solche Salze direkt auf die wachsenden Pflanzen
zu bringen, vielmehr sollte eine Düngung mit rohen Kalisalzen ziemlich früh
vor Erwachen der Vegetation ausgeführt werden.
Eine andere Verwendung finden diese rohen Kalisalze noch zum Zwecke
der KonserviruDg des Stallmistes, wobei sie recht gut die Stelle des Gypses
vertreten können, aber noch den Vortheil gewähren, neben Fixirung des bei der
Zersetzung des Stallmistes sich entwickelnden Ammoniaks den Dünger noch mit
JKali anzureichern.
Die Größe der Einfuhr läßt sich nicht genau ermitteln, da in der Waaren-
verkehrsstatistik Kalisalze unter dem allgemeinen Titel Dünqstoffe inbegriifen sind.
Kaliumbichromat. Die schweizerischen Farbenfabriken konsumiren jährlich
oa. 5000 q.
Kalk. Kalksteine zu Bauzwecken fehlen nicht in der Schweiz. Diejenigen
des Jura sind meistens hellfarbig: weißlich, gelblich, röthlich; die Alpenkalke
sind dagegen dunkelgrau bis nahezu schwarz. So verschieden die Farbe, ist auch
die übrige Beschaffenheit der beiden Arten. Diejenigen der Soci6te des carrieres
d^Agiez im Bezirk Orbe (Waadt) lassen sich z. B. leicht mit der Säge und mit
Schabinstrument«n verarbeiten und deßhalb besonders zu Hochbauten und speziell
zur Omamentirung verwenden. Der dunkle, blaugraue Plattenkalk von Sembrancher
im VITallis eignet sich dagegen für Plattenböden, Ein- und Abdeckung von Mauern
und überhaupt da, wo harte Platten bis zu den größten Dimensionen zur Ver-
wendung kommen können. Die Druckfestigkeit derselben ist bedeutend.
Der Lägemsteinbruch in Begensberg liefert sehr dichte Malmkalksteine von
großer Festigkeit
Die jährliche Produktion von Kalksteinen, nach dem Durchschnitt der letzten,
schlechten Bauperiode berechnet, wird auf 130,000 Tonnen ä Fr. 13. 50 (im
Bruch) = Fr. 1*800,000 geschätzt. (Vgl. Frite Locher, Baumeister, in: „Die
Baumaterialien der Schweiz an der Landesausstellung 1883*'.)
Die Rohproduktenkarte von Weber und Brosi (Verlag von J. Wurster & Co.
in Zürich) von 1882/83 verzeichnet folgende im Betrieb befindliche Kalk-
steinbrüche:
im Kt. Aarffau: bei Aarau, Aarburg, Auenstein, Baden, Birrenlauf, Brngg,
Büren, Dänlkon, Degerfelden, Dentschbüren, Effingen, Endingen, Ennet-
baden, Erlinsbach, Gebensdorf, Hausen, Herznach, Kaisten, Kienberg, Koblenz,
Küttigen, Laufenburg, Lupfig, Mägden, Mellikon, Mumpf, Niedergösgen,
Bekingen, Beuenthal, Rümikon, üeken, Veitheim, Wegenstetten, Wildegg,
Wölflinswyl, Würenlingen, Zeiningen;
im Kt. Baselland: bei Ariesheim, Bückten, Diegten, Domeck, Eptingen,
Ettingen, G^lterkinden, G-empen, Grellingen, Höllstein, Känerkinden, Lau-
wil, Liestal, Mönohenstein, Muttenz, Nenzlingen, Nuglar, Olsberg, Oltingen,
Pratteln, Waidenburg, Wenslingen, Zeglingen;
Kalk — 106 — Kaminfeger
im Kt. Bern: bei Alferm^, Alle, Biel, Boöooort, Boncourt, Boorignon, Bre»
lincoort, Bressanoonrt, Bux, Bure, Cheveney, Coeuve, Courfaivre, Conrgenay,
Conrrendlin, CJourroax, Coort, Conrtedonx, Conrtelary, Coartemautraj, Dam-
vant, Delemont, Ederschwiler, Epauvillers, Fahy, la Fernere, Fontenais,
Frinyilier, Grandfontaine, St-Imier, Laufen, Liesberg, Lucelle, Mi^court,
Montier, Neuenstadt, Ocourt, Pleujouse, Pont, Porrentruy, Bebeuvelier,
Reclere, Beuchenette, Roches, Rocourt, Bossemaison, Seiente, Sonceboz,
Sonvilier, Soyhieres, Tavannes, Tramelan dessus, St Ursanne, Vendünconrt,
Villars, Zwingen;
im Kt. Freihurg : bei Grandvillars, Jaun, Im Fang, Neirivue, la Tour-de-
Treme;
im Kt. St. Gallen: BUchel, Buchs, Hirschensprung, Klein-Mels, Montlingen^
Murg, PfaflFers, Quarten, Ragatz, Sevelen, Trübbach, Weesen;
im Kt. Glarus: Netstall und Urnen;
im Kt. Graubünden: St. Antonien, Chur, Davos-Dörfli und -Platz, Fanas,
Felsberg, Films, Hauenstein, Jenins, Klosters, Laax, Langwies, Maienfeld,
Malans, Saas, Tamins, Trins, Untervaz, Vadura;
im Kt. Neuenbürg : Boinod, les Brenets, Chaux-du-Milieu, Hauterive, les Logee».
Neuchätel ;
in Nidwaiden : Stanzstad ;
im Kt. Schaff hausen : Altdorf, Beringen, Hemmenthai, Herblingen, Löhningen,
Neuhausen, Osterfingen, SchafPhausen, Schieitheim, Siblingen, Thaingen«.
Unterhallau ;
im Kt. Schwye: Brunnen, Gersau, Schwyz;
im Kt. Solothurn: Egerkingen, Grenchen, ECauenstein, Himmelried, Hofstetten^
Lommiswil, Mariastein, Mezerlen, Oberbuchsiten, Oberdorf;
im Kt. Uri: Attinghausen, FlUelen, Sisikon;
im Kt. Waadt: Agiez, Chamblon, Chateau-d'Oex, Ecl^pens, Roche, la Sarrazf.
im Kt. Wallis : Bouveret.
Die Ein- und Ausfuhr von Kalk und Kalksteinen anzugeben, ist nicht
möglich, weil in den Waaren Verkehrstabellen andere gleichartige Gegenstände
damit kombinirt sind. Nur der hydraulische Kalk ist für sich allein aufgeführt.
Kalkbrennereien. Birkhäuser's Adreßbuch (Basel, 1885) gibt 89 Eta-
blissemente dieser Art an, wovon 28 im Kt. Zürich, 9 Bern, 9 Waadt, 7 Neuen-
bürg, 6 Tessin, 5 Aargau, 5 St. Gallen, 4 Glarus, 3 Freiburg, 3 Nidwaiden,
3 Wallis, 2 Graubünden, 2 Solothurn, 2 Thurgau, 1 Schwyz.
Kalk- und Ziegel brenn er. Als solche bezeichneten sich im Jahre
1880 anläßlich der eidg. Volkszählung 3922 Personen (3 7oo aller Erwerbs-
thätigen), wovon 999 im Kt. Tessin, 540 Bern, 462 Zürich, 275 Aargau,
268 St. Gallen, 246 Waadt, 182 Baselland, 162 Thurgau, 128 Luzem, 113
Solothurn, 81 Schwyz, 68 Freiburg, 60 Schaff hausen, 59 Genf, 53 Glarus,.
45 Neuenburg, 38 Graubünden, 34 Basebtadt, 25 Zug, 21 Nidwaiden, 20
Appenzell A.-Rh., 16 Wallis, 11 Obwalden, 7 Appenzenzell I.-Rh., 7 Uri.
Von den 3922 Kalk- und 2iiegelbrennem waren 400 Ausländer.
Kaltbad-Scheidegg s. Rigi-Schcidegg-Bahn.
Kaminfeger. Dieser Beruf wurde zur Zeit der eidgeniyssischen Volkszählung
von 1880 von 909 Personen ausgeübt = 0,7 7oo aller Erwerbsthätigen. Es
befanden sich dabei 79 Ausländer. Die 2Sahl 909 vertheilt sich folgendermaßen
auf die Kantone: 161 Bern, 146 Zürich, 105 St. Gallen, 77 Aargau, 55 Waadt,
52 Luzern, 33 Baselstadt, 28 Graubünden, 27 Neuenburg, 26 Thurgau, 25-
Kaminfeger — 107 — Kanungarn
Freiburg, 24 Genf, 24 Solothurn, 21 Appenzell A.-Eh., 18 Glarus, 15 Schaff-
hanaen, 15 Sohwyz, 14 Baaelland, 13 Zug, 8 üri, 7 Teesin, 6 Appenzell I.-Rh.,
6 Wallis, 2 Nidwaiden, 1 Obwalden.
Kammfabrikation. BirkhäuBer's Adreßbuch (£asel, 1885) gibt die Adressen
von 42 Eammmachem (12 Kt. Solothurn, 10 Bern, 6 Zürich, 5 Aargau, 4 Grau-
bttnden, 2 Appenzell A.-Rh., je 1 SohaflPhausen, Thurgau, Waadt).
Fabrikmäßigen Betrieb haben nur etwa ein halbes Dutzend jener Firmen.
Eine derselben (im Kt. Solothurn) beschäftigt etwa 120 Arbeiter.
Als Enopf- und Kammmacher verzeichnet die eidg. Yolkszählungsstatistik
von 1880 283 Personen, wovon 169 im Kt. Solothurn, 46 Bern, 21 Zürich,
16 Aargau, 15 Waadt, Kest in 7 Kantonen.
Die Einfuhr von Kammmacher waaren betrug im Jahre 1873: 85 q, im
Jahresdurchschnitt 1872/81: 139 q, im Jahre 1884: 142 q. Im Jahre 1885
figurirten die Kammmacherwaaren nicht mehr in der Waarenverkehrsstatistik.
Die Ausfuhr betrug 1883: 67 q, 1884: 95 q, 1885 ?.
Kammgarn. Es bestehen in der Schweiz 4 K^mmgeLmspinnereien, wovon
2 in SchafPhausen seit 1866/67 (die ältesten), 1 in Derendingen im Kt. Solo-
thurn und 1 in Btlrglen im Kt. Thurgau. Eine fünfte soll im Entstehen begriffen
sein (Kt. Solothurn). Jene 4 Etablissements arbeiteten Ende 1882 mit ca. 55,000
Spindeln; ihre Jahresproduktion betrug ca. 10,000 q Game im Werthe von
ca. 10 Millionen Franken. Hauptabsatzgebiet für die schweizerischen Kammgame
ist Deutschland; nur etwa V« bleibt im Inland, weil hier die Weberei von
entsprechenden Wollstoffen (Merinos, Cachemirs, Zanella etc.) noch in den Anfangs-
stadien liegt und die Bonneterie einen Theil ihres Bedarfs durch Bezüge aus
dem Ausland deckt. Es bestehen erst zwei größere Ksjnmg&riiw eher eien : die-
jenigen der Firmen Hefti & Cie. in Hätzingen und Lanf/ (& Koch in Deren-
dingen. Die große Einfuhr von Kammgarngeweben (jährlich filr ca. 24 Millionen
FrankenJ beweist jedoch, daß neben jenen 2 Etablissements noch mehrere vollauf
Beschäftigung fänden. Daß die Verhältnisse so und nicht anders liegen, hat seinen
Grund in dem bisherigen Mangel an Kammgam/*är 66reeen, dessen Wirkung sich
zunächst darin äußerte, daß die Stoffe zum Färben nach Frankreich und Deutsch-
land gesandt werden mußten. Um nnn jenen Mangel zu beseitigen und überhaupt
der Verbreitung der Kammgamweberei den Weg zu bahnen, hat die Firma
Laurene Meyer in Herisau eine Färberei flir Kammgarngewebe eingerichtet.
Ebenso hat diese Firma einen Webereitechniker beigezogen und es durch viele
Bemühungen dazu gebracht, daß in ihrem Etablissemenc Unterricht in der Kamm-
gamweberei genommen werden kann. Als „Versachsanstalt für Kammgarn weberei**,
die unter Kontrole steht, ist sie der pekuniären Mitwirkung des Bundes, des
Kaufmännischen Direktoriums in St. Gallen, der Seiden-Industriegesellschaft Zürich
und einer Anzahl Firmen theilhaftig geworden.
Damit wäre der Grund gelegt zu einer Industrie, die nach fachmännischen
Berechnungen sich so weit sollte entwickeln können, um 4000 — 18,000 Weber
(je nachdem die mechanischen oder die Hand Webstühle aufkommen), sowie ca.
1000 Färberei- und Appreturarbeiter zu beschäftigen — gewiß eine schöne
Frucht der Preisausschreibungen von Schindler-Escher in Zürich betreffend Ein-
f&hnmg neuer Industrien (Landesausstellung 1883) und der darauf gelieferten
Preisschrift der Herren Emanuel Meyer-Nägeli in Herisau und A. Schellenberg
in Btlrglen (Verlag von J. Huber in Frauenfeld).
Einfuhr von Kammgarnen im Jahre 1885: 4001 q gebleichte und gefärbte
k Fr. 1000, 1140 q rohe, einfache oder doublirte ä Fr. 900, 551 c^ tq\ä.
Kammgarn — 108 — Kantonalbanken
drei- oder mehrfach gezwirnte k Fr. 950 = Total 5692 q im Werthe von
Fr. 5'550,450 (2552 q aus Deutschland, 1207 q ans Großbritannien, 1047 q
ans Belgien, 821 q aus Frankreich).
Ausfuhr im Jahre 1885: 7131 q rohe, einfache oder doublirte k Fr. 882,
626 q gebleichte oder gefärbte k Fr. 596, 446 q rohe, drei- oder mehrfach
gezwirnte ä Fr. 717 == Total 8203 q im Werthe von Fr. 6'984,036 (6508 q
nach Deutschland, 842 q nach Oesterreioh, 638 q nach Italien).
Kammgras, das gemeine, seines hohen Nährstoffgehaltes wegen eines
der vorzüglichsten Futtergräser, auch ^ Herdgras ** oder gewöhnlich einfach „Kamm-
gras*' genannt, ist bei uns auf Wiesen und Triften, auf feuchten und trockenen
Grasplätzen, an Weg- und Ackerrändem heimisch und steigt bis hoch in die
Alpen (Klosters 1200 m, Rellsthal 1200 m, Gumigel 1300 m, Napf 1408 m,
Serlibühl 1752 m). Auf den schweizerischen Voralpen ist es häufiger als im
Tiefland. Mit Ausnahme von sauren Bodenarten und losen Sandböden gedeiht
das Kammgras fast auf jeder Unterlage, am besten auf humusreichen Mittelböden
(Lehmboden, milder Thon, Mergel und lehmiger Sandboden), wo es seine höchste
Entwicklung erreicht. Aber auch auf zähem Thonboden entwickelt et sich sehr
gut. Es liebt im Boden Frische, findet sich aber auch auf trockenem, oft sogar
auf sandigem Boden, obwohl sich wahrnehmen läßt, daß es auf letzterem kümmer-
licher fortkommt. (Aus „Die besten Futterpflanzen**, von Dr. F. G. Stehler,
Verlag von K. J. Wyß in Bern.)
Kampfzölle. Mit diesem Namen bezeichnet man jene Zölle, durch welche
man einen andern Staat zwingen will, mäßige Einfuhrbedingungen herzustellen.
Solche Kampfzölle können in der Schweiz in jedem beliebigen Moment geschaffen
werden in Folge des Artikels 34 (des sog. KampfzoUartikeb) des Zollgesetzes
vom 27. August 1851, welcher lautet:
«Insbesondere ist der Bundesrath befu^^, unter außerordentlichen Umständen,
namentlich im Falle von Theurung der Lebensmittel, bei größeren Beschränkungen
des Verkehrs der Schweizer von Seite des Auslandes u. s. f., besondere Maßregln
zu treffen und vorübergehend die zweckmäßig erscheinenden Abänderungen im
Tarife vorzunehmen. Er hat indessen der Bundesversammlung bei ihrer nächsten
Zusammenkunft von solchen Verfugungen Kenntniß zu geben und dieselben können
nur fortdauern, wenn die Bundesversammlung ihre Genehmigung ertheilt.*
Andere Staaten haben ähnliche Bestimmungen in ihren Zollgesetzen.
Kanada. Betreffend den schweizerischen Waarenverkehr mit K. s. Britisch
Nordfionerika, Seite 836 im I. Band.
Kantonalbanken, ohne die selbstständigen Hypothekarbanken.
(Mitgetheilt von Herrn Sandoz, Adjunkt des Inspektors der Emissionsbanken.)
Folgende Kantone haben Kantonalbanken : Appenzell A.-Rh. seit 1876, Baselland
seit 1868, Bern seit 1834, Freiburg seit 1867, Glarus seit 1884, Gh^ubttnden
seit 1870, Luzern seit 1850, Neuenburg seit 1883, Nidwaiden seit 1879,
Schaffhausen seit 1883, Solothurn seit Januar 1886, St. Gallen seit 1867,
Thurgau seit 1870, Uri seit 1837, Waadt seit 1845, Zörich seit 1870, Ob-
walden seit 1886.
Der Kanton Aargau ist zur Hälfte an der seit 1854 bestehenden „Aar-
gauischen Bank** betheiligt; der Staat Solothurn besaß die Hälfte der Aktien
der im Jahre 1857 entstandenen und Ende 1885 eingegangenen „Solothumischen
Bank«.
Diese Kantonalbanken waren Ende 1885 insgesammt mit Fr. 62*750,000
staatlichem Kapital dotirt, nämlich : Appenzell A.-Bh. Fr. 2*000,000, Baselland
3*000,000, Bern 10*000,000, Freiburg 750,000, Glarus 1*000,000, Granbünden
KaDtonalbanken — 109 — Kartoffel
2'000,000, Lnzern 1*000,000, Neuenburg 4'000,000, Nidwaiden 500,000,
Schaff hausen 1*000,000, St. Gallen 6*000,000, Thurgau 2*500,000, Uri 500,000,
Waadt 12-000,000, Zürich 12*000,000 (Aargau 3*000,000 = V2 von 6*000,000,
Solothum 1*500,000 = V« von 3*000,000).
Von ihren Geschäftsergebnissen, Steuern und Beservefonds nicht inbegriffen,
lieferten diese Banken im Durchschnitt der hienaoh angegebenen Jahre jährlich
an den Staat ab :
Appenzell A-Rh. ^) 9 Jahre, je Fr. 109,159
Baselland ... 10 , , , 94,156
Bern 10 „ „ , 467,400
Freiburg ... 10 , „ , 81,377
Glarus . . . . S „ „ „ 40,000
Graubünden . . 10 „ „ „ 110,680
Luzem .... 10 „ „ , 114,225
Neuenburg . . 3 „ „ , 146,667
Nidwaiden. . . 6 , , , 18,648
3 Jahre, je Fr.
32,910
10 . . .
301,466
10 , . .
96,373
" » t» »
26,217
10 , , .
637,200
10 , . ,
513,234
** n m f>
257,333
10 , „ ,
82,050
Schaffhausen
St. Gallen
Thurgau .
Uri . . .
Waadt . .
Zürich . .
Aargau
Solothurn
Total e. Jahresdurchschnittes Fr.3'119,095
Siehe im Uebrigen die Artikel „Bankwesen** und „Emissionsbanken**.
Kappenmacherei. Diesem meistens in Verbindung mit der Kürschnerei
betriebenen Gewerbe lagen im Jahre 1880 (laut eidg. Yolkszählungsstatistik)
105 Personen ob. Birkhänser*s Adreßbuch (Basel, 1885) gibt die Adressen von
109 Kappen- und Mützenmachern.
Die Einfuhr von Etappen aller Art betrug im Jahresdurchschnitt 1872/81 :
97 q, 1883: 186 q, 1884: 188 q; die 1885er Waarenverkehrsstatistik gibt die
Einfuhr nicht mehr an.
Ausfuhr 1884: 7 q.
Kardengarnituren (Kratzeubesohläge, Krempeln, zum Kämmein oder
filardiren der verschiedenen Spinnstoffe) werden in der Schweiz besser fabrizirt
als sonst irgendwo. Es sind in der Schweiz hiefUr ca. 300 Maschinen und
eben so viele Arbeiter thätig, fast ausschließlich im Kanton Zürich. Drei Viertel
der Produkte werden exportirt.
Die Ausfuhr betrug im Jahre 1885: 436 q ä Fr. 8487«; davon 164 q
nach Deutschland, 125 q nach Italien, 104 q nach Oesterreich, 31 q nach
Frankreich.
Einfuhr 1885: 158 q ä Fr. 650; davon 60 q aus Großbritannien, 56 q
ans Dentschland, 24 q aus Frankreich, 14 q aus Belgien.
Karlsbadersalz, künstliches, fabrizirt u. A. die Firma Carl Glenk in
Schweicerhalle (Baselland).
Karmeliter-Reinette, auch Forellen-Reinette, Perlen-Reinette genannt,
Tafel- nnd Wirthschaftsfrucht zweiten Ranges (Winterfrucht), ist auch in den
obatbantreibenden Gegenden der Schweiz verbreitet. („Schweizerische Obstsorten'*,
Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhorn in St. Gallen.)
Kartoffel. (Grossentheils nach einem Manuskript des Herrn A. Roth,
Präsident der Oekonomischen Gesellschaft des Oberaargau.) Tr. G-eerituj schreibt
in seinem Werke „Handel und Industrie der Stadt Basel** auf Seite 578:
„Schon 10 Jahre nach ihrer Einführung in Europa erwähnt Caspar Bauhin in
seiner Phytopinaux 1596 die Kartoffel; er gibt ihr den heutigen Namen „Sola-
num tuberosam** nnd erzählt davon: Die Italiener essen sie gerne und nennen
die Knollen Tartuffoli. Auch pflegen die Leute in Burgund die Wurzeln entweder
in der Asche zu braten oder gekocht zu essen.*"
^) Wo die Zahl 9 angegeben ist, fehlte dem Bearbeiter dies^es Artikels ein Geschäfts-
bericht der betreffenden Bank aus dem letzten Jahrzehnt.
Kartoffel — HO — Kartoffel
Im Femern erzählt ans Fritz Rödiger in seiner ^Greschiohte der schweize-
rischen Landwirthschaft**, daß um 1697 die Kartoffel als Nährpflanze im Glamer
Land knltivirt worden sei, wohin sie der Handelsmann Jakoh Strub von Schwanden
gebracht habe.
Endlich ersehen wir aus dem Artikel «Freiburg** in diesem Lexikon, Seite 670,
daß um 1748 die Kartoffel auch an der Berner Grenze gepflanzt wurde.
Von da an dauerte es nicht mehr lange, bis die herrliche Frucht allge-
meinere Verbreitung fand. Der aligemeine Miß wachs von 1770 — 1772 und
die daraus entstandene Hungersnoth lehrten das Volk, die bis anhin nur als
Nebenspeise betrachtete Kartoffel zu einem Hauptnahrungsmittel zu machen. Der
Anbau blieb aber noch sehr lange nur fUr den Bedarf der Menschen beschränkt ;
erst im Laufe des gegenwärtigen Jahrhunderts wurde ihre Verwendungsfähigkeit
als Viehfutter und als Rohstoff für chemische and technische Zwecke entdeckt.
Zur Zeit werden allein in den schweizerischen Brennereien 300,000 —400,000 q
Kartoffeln verarbeitet.
Die Anzahl der KartoffeUorten, welche erzeugt werden, ist außerordentlich
groß, da es durch die Aussaat von Kartoffelsamen leicht gelingt, neue Sorten
zu gewinnen.
Die gegenwärtig bekannten Sorten belaufen sich auf hunderte, welche sich
durch Knollen, Größe und Gestalt, Farbe, Elraut und Blüthe von einander merk-
lich unterscheiden, in ihrer Vegetation ganz bedeutend von der Art des Bodens
und den klimatischen Einflüssen abhängig sind.
Allgemein unterscheidet man frühe, mittelfrühe und späte Kartoffeln, welche
sich dann wieder je nach ihrer Zweckbestimmung gliedern in Speisekartoffeln,
Wirthöchaftskartoffeln und Futterkartoffeln.
Seit Anfang der 70er Jahre haben sich viele neue fremde Sorten in der
Schweiz Eingang verschafft. Durch einen glücklichen Saatwechsel, verbunden mit
sorgfältiger Anpflanzung, ist der Ertrag an Kartoffeln ganz bedeutend gesteigert
worden. Kartoffelsamenmärkte, von den landwirthschaftlichen Vereinen in^s Leben
gerufen, erleichtern bedeutend den so nützlichen Saatwechsel.
Von den neueren Sorten sind besonders erwähnenswerth :
1) Frühe und späte Rosenkartoffel^ auch weiße Rosenkartoffel j in neuerer
Zeit Schneeflocke, welche so zu sagen jetzt in der ganzen Schweiz verbreitet sind
und, obwohl etwas seifenartig, den großen Vorzug haben, daß sie früh reifen,
gerade in derjenigen Zeit, während welcher der Landwirth und speziell der arme
Mann mit Lebensmitteln am wenigsten mehr versehen ist.
2) Redskin floiir ball (rothhäutige Mehlkugel), irrthümlich auch, ihrer Farbe
wegen, ,,späte Rosen** benannt, eine Speise- und Brennereikartoffel ersten Ranges.
Sie ist durch einen Landwirth aus dem Oberaargau zuerst im Jahre 1872 auf
den Markt gebracht worden. Diese späte Kartoffel hat sich wegen ihrer großen
Ertragsfähigkeit und ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Krankheit enorm verbreitet.
3) Richter^s Imperator^ ebenfalls eine vorzügliche Wirthschaftskartoffel
ersten Ranges, mit ganz hohen Erträgen. Da sie wenig keimfähige Augen hat,
kommt sie als Saatgut im Preise höher als andere Sorten zu stehen.
4) Magnum honum^ aus Pommern eingeführt, ist eine vorzügliche Kartoffel-
sorte, welche sehr ergiebig und widerstandsfähig gegen Krankheit ist; sie verdient
allgemeine Verbreitung.
5) Champion. Diese Kartoffel, auf trockenem Boden gepflanzt, ist eine der
ergiebigsten, schmackhaftesten und haltbarsten Sorten, die aber nicht zu tief
gepflanzt werden darf.
Xartofifel — 111 — Kartoflfel
6) Hertha, aus Norddeatschland eingeführt, ist mit großem Erfolg gepflanzt
worden, reift aber erst Mitte Oktober ; sie eignet sich vorzüglich als Wirthschafts-
kartoffel.
7) The farmers blush (des Landmanns Ergötzen), noch sehr wenig bekannt,
aber in Qüalitfit und Ertrag ganz ausgezeichnet, ist eine Spätkartoffel ganz ersten
Ranges und eine Marktfrucht, welche eine schöne Zukunft hat.
Diese Hauptsorten werden im Großen angebaut und übertreffen an Er-
giebigkeit alle einheimischen Sorten. Wohl sind noch eine Menge neuere Sorten
angebaut worden, in der Regel aber kann erst im dritten Jahre des Anbaues
ein richtiges Urtheil abgegeben werden.
Die älteren heimischen Sorten sind schwer zu benennen, verschwinden nach
und nach, immerhin sind noch ganz vorzügliche Sorten, wie Brienzer, späte
Amerikaner, sächsische Zwiebelkartoffel, Pfälzer, Elsäßer etc. als vorzügliche
Speisekartoffeln bekannt.
Herr Mühlemann, Chef des kantonalen bemischen statistischen Bureau,
berechnet in seiner „Schätzung der schweizerischen Bodenproduktion **, auf S. 175
der «Zeitschrift für schweizerische Statistik'', 3. und 4. Quaitalheft von 1886,
daß auf den Eartoffelbau in der Schweiz 107,219 ha entfallen. Es macht dies
5 ^/o des gesammten schweizerischen Kulturlandes ohne Weinberge und Wald.
Der Kanton Bern hat 2i,605 ha Kartoffelfeld = 5,5 7o, der Kanton Zürich
6179ha = 5,8 ®/o, der Kanton Schaff hausen 2447 ha = 17,5 *^/o, somit müssen,
wenn die Berechnung des Herrn Mühlemann für die ganze Schweiz zutreffen soll,
für die übrigen Kantone zusammen 76,988 ha Kartoffelland verbleiben =r 4,7 ^o
ihres ganzen Kulturbodens ohne Eebberge und Wald.
Den Kartoffeler^rof/ betreffend, weisen die amtlichen statistischen Publika-
tionen der Kantone Bern, Zürich imd Schaffhausen in den Jahren 1884 und
1885 66—152 q per ha auf (Bern 1885: 152 q, Zürich 1885: 97 q frühe
und 120 q späte, 1884: 86 q frühe und 115 q späte, Schaffhausen 1884: 66 q).
Im Kanton Genf war der durchschnittliche Ertrag im Jahre 1885 97 q, im
Kanton Freiburg auf 137,5 q per ha geschätzt, im Kanton Baselstadt im Jahre
1884 auf 62 q. Da 1885 ein sehr gutes Kartoffeljahr war, 1884 ein mittel-
mäßigeSy so wird man gut thun, den Durchschnittsertrag für die ganze Schweiz
io einem MÜteljahre auf nicht mehr als 100 q per ha zu berechnen, somit
insgesammt auf nicht mehr als 10' 7 2 1,900 oder rund 11 Millionen Meterzentner.
Der Ertrag eines guten Kartoffeljahres dürfte auf 120—125 q per ha zu ver-
anschlagen sein, somit die Gesammternte auf ca. IS^a Millionen q.
Der Geldioerth des Doppelzentners Kartoffeln war im Kanton Zürich laut
amtlicher Statistik im Jahre 1884 durchschnittlich Fr. 7. 40 für frühe, Fr. 5. 90
für späte, im Jahre 1885 durchschnittlich Fr. 7. 40 für frühe, Fr. 5. 90 für
epftte. In der schweizerischen Waarenverkehrsstatistik pro 1885 ist der Einfuhr-
Einheitswerth per q auf Fr. 5. 20 angegeben. Legt man als durchschnittlichen
Gelderlös für 100 kg Kartoffeln in einem Mitteljahre Fr. 6. 50 an, so repräsen-
tiren die in einem Mitte^ahr geemteten 1 1 Millionen q einen Gesammt-Geldwerth
von 71 7s Millionen Franken, die in einem guten Jahre geemteten IBVa Mil-
lionen q (& Fr. 5. 50) 74 Millionen Franken.
Das Samenqnantum verhält sich zu der Kartoffelernte, laut amtlicher Statistik
von Zürich (Jahrgang 1885), wie 10,4 zu 100 bei den Frühkartoffeln und wie
11,6 zu 100 bei den Spätkartoffeln.
Die Koaten für Düngung, Bestellung und Ernte werden in der amtlichen
süroheriBcben Statistik auf durchschnittlich Fr. 264 per ha angegeben für di^
Kartoffel — 112 — Kartographie
Frühkartoffeln und auf Fr. 258 per ha für die Spätkartoffeln = 51,4 7o resp.
52,6 7o ^^ Geldwerthes der Ernte.
Einfuhr und Ausfuhr von Kartoffeln (ohne G-renzverkehr) :
Im Jahres- Einfuhr Ansfahr
durchschnitt q q
1851—1860 63,762 —
1861 — 1870 104,420 —
1871—1880 286,512 12,740
1881 — 1885 301,359 9,921
Von den 177,146 q Kartoffeln (inkl. 1229 q im Grenzverkehr), welche im
Jahre 1885 eingeführt wurden, kamen 161,118 q aus Deutschland, 12,807 q
aus Frankreich.
Seit der Getreidehau in der Schweiz wenig rentahel geworden ist, arbeitet
die Landwirthschaft auf einen intensiven Futterbau hin. Die Kartoffel hilft hiezu
wesentlich mit, weil sie sich für die Zubereitung des Bodens zu Kunstwiesen als
Vorfrucht besonders gut eignet. Die hohe Bedeutung des Kartoffelbaues für den
gegenwärtigen Betrieb der Landwirthschaft ist daher allseitig anerkannt.
Kartoffelstärke wird in der Schweiz wenig fabrizirt. Vergl. Amlung.
Kartographie. Die Leistungen der schweizerischen Kartographie der älteren
und neueren Zeit, amtliche sowohl als auch private, nehmen unter denjenigen
aller übrigen Staaten einen hohen und ehrenvollen Rang ein. Die erste Schweizer-
karte veröffentlichte der Glamer Äegidius Tschudi im Jahre 1538. Derselbe
stellte die Terrainerhebungen maalwurfhügelartig dar und sein Situationspian
beruhte auf Distanzaufnahmen k vue. Seine Nachfolger (ausgenommen die Ztlrcher
Murer und GygeTj die ihrer Zeit weit voran eilten) arbeiteten in dieser Art
fort bis auf Scheuchzer, der für seine Schweizerkarte von 1712 bereits eine
Beule von Ortsbestimmungen und Höhenmessungen vorgenommen hatte. Geßner,
J. Ä, Mollety De Luc, De Saussure arbeiteten anf dieser Bahn weiter. General
JPfyffer, Studer etc. bemühten sich durch Anfertigung von Reliefs um eine
vollkommenere Terraindarstellung. Allmälig gelangte das Schraffirsysiem zur
Ausbildung, am höchsten in Meyer's Atlas der Schweiz, 1796 — 1802. Die
nachfolgende Zeit galt der strengeren ErfüUang der geodätischen Anforderungen
und der Erreichung möglichster mathematischer Genauigkeit. Das System der
triangulären Vermessungen, durch Tralles, Hasler, Fehr etc. schon vor der
französischen Bevolation eingebürgert, wurde nach kurzem Unterbruch zu Anfang
des neuen Jahrhunderts wieder aufgenommen. Dann trat die Eidgenossenschaft
an die Spitze der Bestrebungen. Die unter der Leitung General Dufour^B ent-
standene schweizerische Generalstabskarte (1 : 100,000) leitete eine neue Epoche
ein. Zur schichtenweisen Aufnahme des Terrains, Schraffenzeichnung und An-
wendung der schiefen Beleuchtung war damit eine sichere, mustergültige Grund-
lage gelegt.
Hch, Keller, Ziegler, B. Leueinger etc. popularisirten das Karten wesen
durch ihre vortrefflichen Schul- und Beisekarten. Weiterhin folgte der noch nicht
vollendete, große Siegfried'sche Atlas mit neuer Aufnahme des Landes und
Kartirung im Maßstab von 1 : 25,000 des Hügellandes, 1 : 50,000 der Gebirge.
Vieles tragen in neuerer Zeit außer den einzelnen Gelehrten die geographischen
Gesellschaften und sonstigen wissenschaftlichen Vereine, sowie auch die großen
kartographischen Institute von Wurster, Randegger & Co. in Winterthur, Müll-
haupt & Sohn in Bern, J. Wurster & Ck). in Zürich etc., zur Hebung des
schweizerischen Kartenwesens bei.
Kartographie — 113 — KastaDien-Extrakt
Was Atlanten anbetrifft, so sind in der Schweiz fast ausschließlich aus-
wärtige Werke im Gebrauch; ebenso verhält es sich vorwiegend mit Wandkarten,
die nicht spezieil die Schweiz zum Gegenstande haben. (Vgl. Prof. Ämrein^s
Fachbericht über Kartographie an der Schweiz. Landesausstellung von 1883.)
Die eidg. Yolkszählungsstatistik pro 1880 gibt die Zahl der mit Kartographie
beschäfrigten Personen auf 37 an (21 Zürich, 7 Bern, 4 Baselland, 3 Genf,
1 St. Gallen, 1 Thurgan).
Kasseler-Beinette, große, eine vortreffliche Winterfrucht, ist für die
Tafel und Küche von gleich hohem Werthe, sowie für Mostbereitung ausgezeichnet.
Als Markt- und Handelsobst ist sie ebenfalls sehr beliebt. Diese Gold-Reinette
kommt nur vereinzelt, jedoch in den meisten Kantonen der Schweiz vor. Sie
ist in Beziehung auf Lage und Boden nicht wählerisch. Der Baum wird seiner
außerordentlichen Tragbarkeit wegen nur mittelgroß. Sehr oft wird derselbe zum
Umpfropfen geringerer Sorten mit gutem Erfolg benutzt. („Schweizerische Obst-
sorten**, Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhorn in St. Gtillen.)
Kastanien. Die Kastanie wächst in ursprünglicher Kraft und zusammen-
hängender Fülle, gleichsam als Charakterpflanze, nur im Kt. Tessin und in den
Büdlichsten Thälern Graubüudens. Hier ist sie in ihrem eigensten Element, im
Yollgennß milder Temperatur und abundanter Feuchtigkeit, im Schutz hoher
Berg^, an sonnigen Abhängen. Sie steigt hier in der Regel bis zu einer Höhe
von 900 m, wo sie von der Buche, Lärche und Rothtanne abgelöst zu werden
pflegt. Vor Einführung der Kartoffel bildete ihre Frucht in diesen Südthälern
in Verbindung mit dem Mais die Basis der Volksnahrung. Neben der Frucht-
nutzung wird sie häufig als Unterwald zur Gewinnung von Holz für Rebstöcke
knltivirt. Außerdem ist ihr Holz zu Fässern sehr geschätzt.
Mehr oder weniger zeigt sich die Kastanie auch im untern Rhonethal, an
den Grestaden des Genfersees von Bouveret bis Lutry und zwischen Genf und
Morges, am Südufer des Neuenburgersees, dann namentlich noch — und das ist
die nördlichste Kastanienoase von etwelcher Ausdehnung in der Schweiz — am
Vierwaldbtätter- und am Zugersee. An allen diesen vom Klima bevorzugten Orten
ist es aber nicht mehr die üppige Pflanze und Frucht des Tessins, die gedeiht.
Der Baum ist gewöhnlich knorrigeren Stammes und niedriger, die Krone nicht
80 dicht geschlossen; die Frucht ist im Wallis noch gut, am Vierwaldstättersee
nur mittelmäßig. Im Wallis und Waadt beginnt der edle Baum der Kultur zum
Opfer zu fallen; er beschattet die Wiese, beansprucht viel Raum, muß daher
von Jahr zu Jahr mehr dem Bestreben intensiverer Ausnutzung des Bodens
weichen, nicht ohne, wie man befürchtet, zuletzt den Vorzügen des lokalen
Klimas Abbruch zu thun.
Weiter als die Kultur des Baumes ist in der Schweiz der Genuß der
mehligen Frucht verbreitet, weßhalb eine nicht unwesentliche Einfuhr stattfindet.
(Vgl. Christ' fi „Pflanzen leben der Schweiz**.)
Einfuhr von Kastanien 1868: 3218 q, im Jahresdurchschnitt 1872/81:
14,055 q, 1883: 17,789 q, 1885: 14,785 q ä Fr. 30, wovon 10,743 q aus
Italien, 3831 q aus Frankreich.
Ausfuhr 1863: 2005 q, 1873: 2332 q, 1883: 3470 q, 1885: 2365 q
a Fr. 16. 50. 1957 q gingen nach Italien.
Kastanien- Extrakt. Einfuhr im Jahresdurchschnitt 1872/81 : 6399 q
1883: 6305 q, 1884: 4642 q, 1885: 3430 q k Fr. 30; davon 2588 q aus
Frankreich, 449 q aus Deutschland, 145 q aus Italien.
Fvrrer, Volkawirthtfchafts-Lcxikdu <lur Schweiz. ^
Kastanien-Extrakt — ] 14 — Katasterwesen
Ausfuhr 1884; 44 q, 1885; 219 q a Fr. 39; davon 168 q nach
Deutschland, 44 q nach Italien.
Katasterwesen. (Mitgetheilt von Herrn Professor J. Rehstein in
Hottiogen.) Das Kataster wesen, das zum Gegenstand die geometrische und gesetz-
liche Feststellung des Grundeigenthums hat, hildet einen besonderen , und wie
aus unserer Zusammenstellung hervorgehen wird, leider noch zu wenig gewürdigten
Zweig der exakten Wissenschaften und des Immobiliarsachenrechtes. Es hat sich,
wie das letztere, auf rein kantonalem Boden ausgebildet. Eine, wenn auch nicht
tief eingreifende, doch fruchtbringende Zentralisation brachte uns das Konkordat
für gemeinschaftliche FrUfung der Geometer und deren Freizügigkeit, welches
anf Anregung der Regierung des Kantons Aargau unterm 20. Januar 1868 von
den Kantonen Zürich, Bern, Luzern, Solothurn, Baselstadt, SchafThausen, Aargau,
Thurgau abgeschlossen wurde und dem seither noch die Kantone Uri, Baselland
und St. Gallen beigetreten sind. Dieser Verband hat wesentlich dazu beigetragen,
Einheit in die Mannigfaltigkeit zu bringen, durch strengere Anforderungen an
das technische Personal den G^ometerstand zu heben, durch einheitliche Normen
für die Vermessungen die Qualität und Zuverlässigkeit der Operate zu erhöhen
und den Vermessungswerken größern wissenschaftlichen Werth zu verleihen.
Die Konkordatskantone tnnd im IJebrigen in der Katastergesetzgebung
souverän und es ist ihnen sonach freigestellt, Vermessungen vornehmen zu lassen
oder nicht.
Im Kanton Zürich ist die Vornahme der Parzellarvermessungen den Ge-
meinden anheimgestellt. Von 164,910 Hektaren Gesammtfläche sind nur 13,170
Hektaren, größtentheils polygono metrisch vermessen, und nur diejenigen Gemeinden,
in welchen eine Grundprotokollbereinignng stattgefunden, besitzen einen förm-
lichen Kataster; in den andern tritt an dessen Stelle die sog. Hofbeschreibung,
in welcher die Liegenschaften nur in allgemeinen Umrissen beschrieben sind.
Eigenthumsübergang, Pfandverschreibungen notirt man nach der Zeit der Präsen-
tation in dem Grund Protokolle, das somit nur den Charakter eines Geschäfts-
Protokolls oder Geschäftsjournals hat.
Die Dinglichkeit des Eigenthums und der Hypothek ist klar ausgesprochen;
dagegen treffen wir noch das Institut der Einzinserei uud Geschreiungen, das
sich mit dem Prinzip der Spezialität nicht verträgt.
Die vom Regier ungsrathe im Jahre 1881 für die Reorganisation des Ver-
messungs- und Kataster wesens bestellte Kommission befürwortet das Grundbuch-
system im Anschluß an eine allgemeine Landesvermessung. Dieser müßte indeß
eine Triangnlirung vorausgehen, weil die im Jahre 1843 für die topographische
Aufnahme aufgeführte Dreiecksmessung im Laufe der Zeit unbrauchbar geworden.
Die Gesammtausgabe ist auf ca. Fr. 2'4 20,000 veranschlagt.
Im Kanton Bern begegnen wir in beiden Kantonstheilen verschiedenartigen
Verhältnbsen. Im jurassischen Kantonstheile gilt für den Immobilien verkehr der
Code Civil Napoleon in seiner ursprünglichen Fassung. Eine Vermessung mit
dem Meßtisch und Katastrirung des ganzen Gebietes wurde schon im Jahre 1841
dekretirt und im Zeiträume 1845 — 1870 durchgeführt; der E^ataster ist jedoch
vornehmlich Steuerregister und wird nur mit Rücksicht auf diese Au^be nach-
getragen.
Um eine gleichmäßige Besteuerung der Grundbesitzer in den beiden Kantons-
theilen zu erreichen und zugleich eine richtige Grundlage für das Hypothekar-
System zu erhalten, hat man dann die Parzellarvermessungen auch auf den alien
Kantonstheil ausgedehnt (Gresetze vom 29. Mai 1849, 18. März 1867 und Dekret
Eatasterwesen — 115 — Katasterwesen
des Großen Rathes vom 1. Dezember 1874) 'und nach streng wissenschaftlichen
Prinzipien ausgeführt. Die damals aufgesteÜte Grundbuchordnung, welche u. A.
ein Lagerbuch und Flurbuch in Aussicht nahm, das die Grundlage und den
Ausweis für alle Beohte an Liegenschaften büden sollte, ist bis heute Projekt
geblieben. Pfandverschreibungen und Fertigungen sind in die nach dem Personal-
system geordneten Protokolle einzutragen.
Yon den 515 Gemeinden sind bis jetzt (Mitte 1886) 349 vermessen und
zwar 289 nach der Polygonarmethode. Li 94 Gemeinden ist die Vermessung
eingeleitet.
Li den Kantonen Luzem, Uri, Schwyz, Unterwaiden, Glarus, Zug sind von
Gesetzes wegen bis jetzt noch keine Gemeindevermessnngen, sondern nur, und
vorab in erstgenanntem Eanton, Wald Vermessungen vorgenommen worden. Um
den Hängein, welche dem Pfandbuchsystem anhaften, einigermaßen zu begegnen
(namentlich um Doppelverpfändungen zu verhüten), schreiben die Kantone Luzem^
Schwyßf Obwalden, Glarus, Zug von Zeit zu Zeit Kapitalbereinigungen und in
Verbindung damit die Anfertigung von Liegenschaftsverzeichnissen vor. Diese sog.
Grundbücher besitzen aber nicht den erforderlichen Grad der Zuverlässigkeit und
können auch nicht als integrirende Bestandtheile der Hypothekenbücher angesehen
werden, üri und Nidwälden schreiben für den Eigenthumsübergang keine
Fertigungen vor.
In hohem Maße beachtungswerth sind die Vorschriften für das bei der
Führung der Kataster- und Hypothekenbücher in den Kantonen Freiburg und
Neuenburg zu befolgende Verfahren. Von der richtigen Ansicht geleitet, daß
auch das beste Hypothekargesetz seine segensreichen Wirkungen ohne innige
Harmonie mit einem authentischen Nachweis des Ghrundeigenthums nicht in vollem
Umfange zu äußern vermag, haben die Gesetzgeber dieser Elantone mit der An-
ordnung der Parzellarvermessung zum voraus auch die Etablirung des Katasters
und dessen Verbindung mit der Hypothekarverwaltung in präziser Weise be-
stimmt. Während gewöhnlich die Katastervermessungen hauptsächlich zu dem
Zwecke angeordnet wurden, um den Grundbesitz lichtig taxiren und gerecht be-
steuern zu können, so hat man dagegen bei der im Jahre 1864 dekretirten
Parzellarvermessung im Kanton Neuenbürg nur die Eegulirung des Hypotheken-
wesens und die Sicherung des Grundbesitzes in^s Auge gefaßt und weil die
Grundsteuern in diesem Kanton nicht gestattet sind, von einer Klassifikation
und Schätzung der Liegenschaft Umgang genommen.
Die Gemeinden des Kantons Freiburg wurden von 1843 an bis heute mit
dem Meßtisch aufgenommen ; einige nach vorausgegangener trigonometrischer oder
polygonometrischer Bestimmung einer größeren 2iahl von Hauptpunkten. Nach
der vom Generalkommissär, M. Bise, bearbeiteten Statistik der Katastration des
Sjintons Freiburg beziffern sich die Ausgaben für die Vermessung, inbegriffen
Verifikationskosten und Bureauarbeiten, auf Fr. 1^426,339 oder pro Hektare
durchschnittlich Fr. 9. 13.
Die Geometer hatten die Wahl zwischen Meßtisch und Theodolith ; in praxi
nehmen sie die Städte und Dörfer polygunometrisch, das übrige Land mit dem
Meßtisch auf.
Li beiden Kantonen wird die Verbindung zwischen dem Kataster und den
Hypothekenkontrolen, resp. die Ausscheidung der Hypotheken auf die einzelnen
Artikel in eigenartiger Weise durch das sog. Casier bewerkstelligt, in welchem
Pfandbuchregister den Artikeln des Grrundbuches je ein rechteckiges Feld zur
Aufnahme der Verweisungen auf die Seiten des Pfandprotokolles zu^em^SM^^ii SsX«
Katasterwesen — 116 — Katasterwesen
Den Impuls zn dem Gesetz über die Eatastervermessung des Kantons SolO-
thurn vom 21. Mai 1863 gab der Uebelstand, daß die auf Grundlage des Be-
reinignngsgesetzes vom Jahre 1839 errichteten Hypothekenbücher in Folge der
vielfachen Zn- und Abschreibungen und der starken Zunahme de< Hypothekar-
verkehrs keine klare und sichere Auskunft mehr gaben. Grundbücher wurden
schon in den Jahren 1820 — 1825 anf bloße Schätzung und Angaben der Eigen-
thümer hin aufgenommen.
Die Erfahrungen in diesem Kanton liefern einen treffenden Beleg für die
Behauptung, daß ein Grundbuch nur dann auf die Dauer mit der Wirklichkeit
in Kontakt erhalten werden kann, wenn die Nummern der Grundstücke genau
definirt sind, d. h. wenn Rekurs auf eine Landesvermessung mit geometrisch
richtiger Grundlage genommen wird. Dem Grund- und Hypothekenbuch, das in
besonderen Folien den Aktiv- und Passiv- Zustand der einzelnen Grundstücke an-
gibt, kommt die größte Bedeutung zu. Da aber neben diesem Hauptbuche noch
Fertigungsprotokoll, Hypothekenprotokoll und Hypotheken Journal geführt werden
müssen, so erfordert die Abwicklung der Kanzleigeschäfte bei diesem komplizirten
Mechanismus viel Arbeit und ein verhältnißmäßig zahlreiches Personal. Der
Grundsatz der Spezialität ist strikte durchgeführt. Unter Anderem sind sog.
Korreal-Hypotheken ausgeschlossen.
Eine von den Eigenthümem und Kreditgebern außerordentlich geschätzte
Grundbuchordnung, bei der namentlich das Prinzip der Publizität zur vollsten
Geltung gelangt ist, finden wir in Baselstadt. Das Grundbuch, in welches die
Eigenthumsrechte, Unterpfandsrechte, Servituten-, Zehnt- und Bodenzinsrechte
einzuschreiben sind, stützt sich auf die in den Jahren 1857 bis 1859 und 1864
bis 1873 nach dem Polygonarsystem erstellten Elaborate, und seine Folien
theilen sich in zwei Hauptabschnitte, in das Sachen blatt und das Lasten blatt.
In dem Gesetze über Errichtung eines Grundbuches vom 16. April 1860 wird
der Grundsatz, daß nur durch Eintragung in das Grundbuch Eigenthum erworben
und ein Pfandrecht Gültigkeit erlangen könne, klar und bestimmt ausgesprochen
und konsequent durchgeführt. Da neben dem Gruudbuche keine Hypotheken-
protokolle, Kaufprotokolle etc. bestehen und somit auch die Verweisungen auf
solche Bücher dahinfallen, so haben die Einträge eine außerordentliche Tragweite,
eine größere als den Einschreibungen in allen anderen Kantonen zukömmt. Der
Gesetzgeber ging von der durchaus begründeten Auffassung aus, daß das Lager-
und Flurbuch kein Notariatsbuch sei, in dem Verträge aufzunehmen seien. Alles,
was nur die Person, nicht den Boden angehe, gehöre nicht hinein. Darum bei
der Lage nicht die Namen der Anstößer, bei den Pfandrechten nicht die Gläubiger,
bei weitern Sicherungen nicht die Faustpfänder, bei den Servituten nicht die
Betheiligten. Da jedoch manches hievon allerdings einem Berechtigten zu wissen
und beisammen zu haben lieb sein kann, so hat man noch ein spezielleF Protokoll
— das Grundprotokoll — als den Ort bezeichnet, wo diese Bestimmungen
summarisch aufgezeichnet werden müssen.
In Baselland, welches zwar eine erhebliche Anzahl von Gemeindevermes-
Bungen aufweist, die in dem Zeitraum von 1830 bis 1870 ausgeführt wurden,
besteht ein gesetzlicher Zwang zu einer allgemeinen Parzellarvermessung nicht;
ebensowenig existiren Grundbücher; denn die Kataster der Gemeinden können
nicht als solche qualifizirt werden.
Die Ausführung der durch Gesetz von 1846 vorgeschriebenen Vermessung
des Kantons Schaffhausen fällt in die Zeit iron 1852 bis 1868. Ans der MellP
tischaufnahme geht der Mangel an durchgreifender Organisation und streng
Katasterwesen — 117 — Katasterweseu
wisseusobaftlicher Behandlung hervor. Dagegen ist das bei der YermarkaDg be-
folgte System als ein vortreffliches zu bezeichnen. Das Grundbuch genügt durch-
aus den Anforderungen des Hypothekarverkehrs.
Die £antone Appenzell, SL Gallen, GraubUnden, Thurgau haben keine
Katastergesetze erlassen; die Ausführung der Vermessungen ist in das Belieben
der Gemeinden gestellt. Durch ausgedehnte, sorgfältige Triangulationen zweiter
und dritter Ordnung ist jedoch in dem Kanton Thurgau einer systematischen
Landesvermessung bedeutend vorgearbeitet, und es sind auch bereits mehrere
Vermessungen auf dieser Grundlage ausgeführt. Keiner von diesen Kantonen hat
sich bis jetzt dem Grundbuchsystem zugewendet. Die Gemeinden mit Vermessungs-
operaten ausgenommen, entbehrt der Kataster des Kantons Thurgau der geome-
trischen Grundlage; er dient hauptsächlich Steuerzwecken.
In den letzten Jahren hat das eidgenössische Stabsbureau auch die Trian-
gulation des Kantons St Gallen revidirt und ergänzt und es sind umfangreiche
Messungen, Perimetermessungen und G-Üterzusammenlegungen an das Netz an-
geschlossen worden. Obwohl die Grundstücke nicht vermessen sind, so dürfen
doch nach einer Weisung des Regierungsrathes in den Pfandtit^ln und Pfand-
briefen keine Maßangaben mit dem Beiworte circa aufgenommen werden, sondern
es ist der Flächeninhalt der zu Pfand gegebenen Grundstücke immer nach dem
einfachen Buchstaben des Gesetzes unzweideutig und pünktlich anzugeben. Dieser
Vorschrift gemäß, durch welche die untere Grenze des Inhaltes fixirt werden
soll, hat der Gremeinderath dem Titelinhaber dafür zu garantiren, daß das hypothe-
zirte Grundstück mindestens den im Titel angegebenen Flächeninhalt besitze.
Mit der Annahme der Verfassung vom 23. April 1885 ist nun der Kanton
Aargau, welcher bereits im Besitz einer vorzüglichen Triangulation war, in die
Reihe der Elantone mit obligatorischer Vermessung getreten. Die vom Eegierungs-
rathe vorgeschlagene Hypothekarordnung will die Ergebnisse der Kataster-
vermessung zur Konstruktion technisch-richtiger, d. i. solcher Crrundbücher ver-
wenden, welche in übersichtlicher Weise vollständigen und unzweideutigen Auf-
schluß Über den Grundbesitz geben.
Im Kanton Tessin ist grundsätzlich die Vermessung und Schätzung sämmt-
lieher Liegenschaften durch das G-esetz vom 13. Juli 1845 ausgesprochen; von
•den 265 Gemeinden sind jedoch nur 180 vermessen und katastrirt. Der Kataster
dient indeß nur fiskalischen Zwecken. Kauf und Verkauf, Errichtung von Pfand-
rechten finden im Allgemeinen nach dem Code civil statt. Ein Register für
Transskriptionen existirt nicht; zum rechtsgültigen Eigenthumsübergang genügt
ein bloßer notarialischer Akt.
Den letzten Schritt zu einer trefflichen Hypotheken Verfassung that im Jahr
1882 der Kanton Waadt durch Erlaß des Gesetzes über die Inskription der
Realrechte auf Liegenschaften, des Katastergesetzes und Uebergangsgesetzes, nach
welchen das Prinzip der Dinglicbkeit des Eigenthums und der Hypothek streng
anerkannt und die Eintragung der Servituten vorgeschrieben wird. In den neuen
Grundbüchern wird jedem Grundstück zur Aufnahme seines Aktiv- und Passiv-
Zustandes ein Folio eingeräumt. Durch genaue Vorschriften ist für die E\ddenz-
erhaltung dieser Bücher und der neu zu erstellendeu Pläne gesorgt. Ueber die
Vermessung des Kantons führen wir an, daß es schon unter der Herrschaft Berns
gegen die Mitte des abgelaufenen Jahrhunders in der Waadt Gemeinden gegeben
hat, in welchen man Begister und geometrische Pläne über die Marken längs
der Wege und der G-emeinden zur Sicherung der Eigentbumsgrenzen treffen
konnte. Durch das Gesetz vom 7. Oktober 1798 über die Einführung einet
Katasterwesen — 118 — Katasterwesea
Grundsteuer genöthigt, ward sodann im Jalire 1804 eine Vermessung des ganzen
Territoriums dekretirt. Laut Gksetz vom 18. November 1863 hat der G-roße
Bath eine neue Meßtischaufnahme und Eatastrirung sämmtlicher Gemeinden an-
geordnet, in Erwägung, daß bereits schon nach dem G^etz vom 18. Mai 1804
eine Vermessung des ganzen Eantonsgebietes stattgefunden, daß aber erfahrungs-
gemäß Pläne und Kataster durchschnittlich nicht länger als 50 Jahre dienen
können.
Von 165 Gemeinden des Kantons Wallis sind nur 15 vermessen und in
rationeller Weise katastrirt.
Obwohl diese Kataster im Grundverkehr vortheilhaft verwendet werden
könnten, so haben sie, wie die unzuverlässigen Kataster der übrigen Gemeinden,
nur Steuerzwecken zu dienen und werden im Grundverkehr ignorirt. Eigenthum
kann durch bloßen Vertrag übergehen; die Transskription im Grundprotokoll ist
nicht vorgeschrieben, dient jedoch zum Schutze gegenüber Ansprüchen Dritter.
Ebenso kann die Hypothek Dritten gegenüber nur durch die Einschreibung be-
hauptet werden.
Der Kataster des Kantons Genf basirt auf einer genauen Vermessung vom
Jahre 1841 und wird im Gegensatz zu der Organisation von Freiburg und
Neuenburg nicht von den Hypothekarbeamten geführt. Zu beklagen ist nur,
daß das Hypothekarsystem noch nicht auf die Itealordnung gegründet ist.
Diese Darlegung, welche des gebotenen Raumes wegen auf Vollständigkeit
nicht Anspruch machen kann, rekapitulirend, finden wir:
Die Dinglichkeit des Eigenthums und der Hypothek ist in fast allen Ge-
setzgebungen mit mehr oder weniger Schärfe ausgesprochen ; dagegen sind nur
in wenigen Kantonen die drei Prinzipien der Publizität, der Spezialität und der
Priorität der Hypotheken, diese Grundsäulen einer guten Hypothekarordnung,
mit aller Konsequenz durchgeführt. Eigentliche Grund- und Hypothekenbücher,
welche auf diesen Grundsätzen und auf einer Parzellarvermessung beruhen, welche
ferner eine übersichtliche Darstellung des Grundbesitzes und der Belastungen der
einzelnen Parzellen geben, weisen nur die Kantone Preiburg, Solothurn,
Baselstadt, Schaffhausen, Waadt, Neuenburg und Genf auf, wobei
zwar zu bemerken ist, daß Waadt und Genf erst in Zukunft, nach Ausführung
der bereits beschlossenen oder angebahnten Reformen mit voller Berechtigung in
die genannte Kategorie eingereiht werden können.
Nur 9 von den 25 Kantonen, nämlich Bern, Freiburg, Solothurn, Basel-
stadt, Schaffhausen, Aargau, Waadt, Neuenburg und Genf haben die Parzellar-
vermessung gesetzlich vorgeschrieben und zum Theil ausgeführt.
Die Schweiz steht daher auf diesem Zweige der Volks wirthschaft hinter
den Nachbarstaaten noch sehr zurück.
Sollen nun nicht auch fernerhin wichtige Kulturinteressen vernachlässigt
werden, soll vielmehr für die Sicherung des Eigenthums und des Realkredites,
für die Zwecke einer geordneten Land- und Forstwirthechaft, für bauliche Be-
dürfnisse, für eine Arealstatistik, — ohne welche jede andere Statistik in der
Luft hängt — einmal die nöthige geometrische und gesetzliche Grrundlage
geschaffen, und sollen nicht bedeutende Geldsummen für Lokalvermessungen mit
prekärer geodätischer Grundlage und vorübergehendem Werthe ausgegeben werden,,
so muß die Schweiz den auf diesem Gebiete vorgeschrittenen Kantonen und
Staaten allen Ernstes nacheifern.
Auf Grund der in den letzten Dezennien gemachten Erfahrungen und.
wissenschaftlichen Fortschritte erlauben wir uns, einige der Maßnahmen vor-
Katasterwesen — 119 — Kaufmännisches Direktorium
zuschlagen, die bei einer allfälligen Reform unseres Katasterwesens in Berück-
sichtigung gezogen werden dürften.
1) Soweit 'dies noch nicht geschehen, sind von Gesetzes wegen in den £[antonen
unter tüchtiger, fachmännischer Leitung Parzellarvermessungen vorzunehmen ;
diese sollen nicht nur den Steuer- und Hypothekarzwecken, sondern auch
den verschiedensten techninchen Arbeiten zur Grundlage dienen, nich mit
einem Wort als LandeHvermessungen qualifiziren.
2) Die Grundlage der Landesvermessung soll ein an die Gradmessung an-
geschlossenes Dreiecknetz und ein durch die Punkte des eidgenössischen
Präzisionsnivellements kontrolirtes Nivellementsnetz sein.
3) Auf eine rationelle Vermarkung, das ist die Eintheilung der ganzen Ge-
markung in Grewanne, eine genaue Fixirung und Einmessung der Haupt-
punkte der Aufnahme, auf die Bildung von Steinlinien nach dem Vorgange
von Schatfhausen und einiger Gemeinden der Kantone Thurgau, Aargau etc.
ist namentlich mit Rücksicht auf die Fortführung der Operate das größte
Gewicht zu legen.
4) Um die einmal erstellten Vermessungswerke mit der Wirklichkeit in stetigem
Kontakt erhalten zu können und um nicht gezwungen zu sein, von Zeit
zu Zeit zu förmlichen Neu Vermessungen zu schreiten, sind die Messungen
gemäß den dermaligen Anforderungen der geodätischen Wissenschaft mit
den Theodolithen nach der Polygonarmethode auszuführen, auf ein einheit-
liches Koordinatensystem zu beziehen und die Elaborate successive nach-
zutragen.
5) Zur Förderung und Hebung des Realkredites, zur Vereinfachung, Sicherung
und Klarstellung des Immobilien Verkehrs förmliche Grundbücher einzuführen
und die Hypothekarordnungen auf die Prinzipien der Publizität, Spezialität
und Priorität zu basiren.
Auch die Hypothekardokumente sind einfacher, klarer und übersichtlicher
zu formuliren und dadurch zirkulationsfähiger und volkswirthschaftlich werth-
voller zu machen.
6) Um die üebereinstimmung der Grundbücher und der Vermessungsoperate zu
sichern, ist die Stellung des mit der Fortführung des Vermessungswerkes
betrauten Geometers — welcher auch als Kulturingenieur den Gemeinden
große Dienste leisten könnte — zur Grundbuchverwaltung im Gesetee genau
zu normiren.
Kathetometer. Längenmeßapparat, der namentlich in den Werkstätten der
Sociit^ genevoise pour la construction d^ Instruments de physique in Genf kon-
strnirt wird und große Verbreitung gefunden hat. Es werden drei verschiedene
Größen, 100, 60 und 50 cm Maßlänge, gebaut. An die Hochschulen Deutschlands,
Frankreichs, Rußlands, Amerikas, Italiens etc. sind viele Exemplare den großem
Modells geliefert worden.
Kattundruckerei s. Zeugdruck.
KatzeBkopf, großer, auch Klausbirne, großer französischer Katzenkopf,
Winterrolle (in Bern und Solothum), Pfundbime genannt, ist eine der besten
Kochbimen und besonders werthvoU durch ihre lange Dauer. Sie kommt wohl
in der ganzen Schweiz vor; in den Kantonen St. Gallen, Thurgau und Zürich
ist sie tiberall zu finden. (,, Schweizerische Obstsorten**, Verlag der Lithogr. Anstalt
J. Tribelhom in St. Gallen.)
Kaufmännisches Direktorium in St. Gallen. Das Kaufmännische
Direktorium in St. Gallen ist die ursprüngliche Vertretung der st. gallischoiL
KaufmännLscbes Direktorium — 120 — Kaafraännisches Direktorium
„Kauf- und Ladenleute **, welche sieb wahrsoheinlioh im Jahre 1675, als ihnen
das Nürnberger und Zürcher Boten wesen von den letzten zwei alten Lyoner
Häusern zur Besorgung übergeben wurde, zu einer bleibenden Verbindung oder
Korporation der verburgerten Kaufleute organisirten. Wenigstens sind erst von
dieser Zeit an regelmäßig geft^hrte Protokolle der Kaufmännischen Korporation
vorhanden. Neben der Besorgung des Botenrittes nach Zürich und Nürnberg,
der sich aber schon im Jahre 1684 endgültig in einen solchen nach Lindau
reduzirte, lagen der Vereinigung auch noch andere Aufgaben ob. Sie sollte ihre
Angehörigen gegen jede Beeinträchtigung und Schädigung im Ausland nach
Kräften schützen, Anstände jeder Art für sie ausgleichen und über die Aufrecht*
erhaltung ihrer Privilegien und Zollfreiheiten wachen; sie hatte aber auch für
den Handelsverkehr am Platze selbst die kaufmännischen Gebräuche festzusetzen,
für ehrlichen Handel und Wandel zu sorgen und die kaufmänniBchen Streitigkeiten
zu vermitteln. Fünf sogenannte „Marktherrn" oder „Markt Vorsteher** bildeten
mit den zwei Präsidenten« die alljährlich in der Leitung der Geschäfte wechselten,
den aus der Mitte der Vereinigung gewählten Vorstand derselben oder das
„Kautmännische Direktorium**, welches mit ziemlich unumschränkter Kompetenz
jene Aufgaben so gut wie möglich zu erfüllen suchte und die von Zeit zu Zeit
den neuen Bedürfnissen angepaßten „Markt- oder Wechselordnungen** erließ, die
nicht weniger verbindlich waren, als die obrigkeitlichen Verordnungen. Aus den
üeberschüssen der Einnahmen für Besorgung des Botenrittes oder Postwesens
und dem sogenannten „ Ballengeld **, einer bestimmten Abgabe von versandtem
und empfangenem Kaufmannsgut, erwuchs allmälig der Kaufmännischen Korpo-
ration ein bescheidener Fonds.
Kurz nach ihrer festen Konstituirung stellte sich die vereinigte Kaufmann-
schaft noch eine Aufgabe ganz anderer Art, indem sie für diejenigen Hugenotten,
welche sich in Folge der Aufhebung des Ediktes von Nantes (1685) in St. Gallen
niederließen, hier eine französische Kirche gründete.
Es versteht sich von selbst, daß die politischen Umwälzungen, welche die
Stadt St. Gallen aus einem kleinen eigenen Staatswesen zur Hauptstadt des Kantons
St Gallen machten, die Stellung der Kaufmännischen Korporation und ihres
Direktoriums auch ganz wesentlich veränderten. Vieles, was ihnen bisher über-
lassen worden war, übernahm nun das neue Staatswesen; doch war dieses ganz
zufrieden, daß das- Direktorium noch bis zum Jahre 1836 auf Grundlage eines
Vertrages mit dem Kantone das gesammte Postwesen in demselben besorgte, jetzt
freilich nicht mehr in der Form des Botenrittes, sondern mit den bequemen
„Diligencen** oder Eil wagen, die bis Chur, bis Glarus und bis Zürich gingen.
Im Uebrigen versah das Direktorium dem Kanton St. Gallen von jeher die Stelle
einer freiwilligen, in engster Verbindung mit dem wirklichen kommerziellen und
industriellen Leben stehenden Handelskammer, die auf alle Interessen des Handels
und der Industrie ihr wachsames Auge richtete und sie nach allen Seiten mit
Rath und That wahrte und förderte, wo es irgend Anlaß und Gelegenheit gab,
die daneben aber auch unermüdlich anregte und unterstützte, was überhaupt der
Vaterstadt zum Wohle und zum Schmucke gereichen konnte.
Anfangs der 40er Jahre zeigte der Staat allerdings Gelüste, den Direktorial-
fonds zu seinen Händen zu nehmen, und ließ deßwegen weitläufige Untersuchungen
über Ursprung und Natur dieses Fonds und den Charakter der Korporation und
des Direktoriums stattfinden. Schließlich trat indeß der Große Eath mit großer
Mehrheit von diesen Ansprüchen zurück (November 1843).
Seither entfaltete das Direktorium eine immer vielseitigere und durch-
Kaufmännisches Direktorium — 121 — Kettensticlistickerei
greifendere Thfiiigkeit auf seinem speziellen Grebiete, zog das ganze ostschweize-
riscbe Industriegebiet in den Kreis seiner Arbeiten und Schöpfungen und ist die
anerkannte Vertretung dieses Gebietes in Angelegenheiten des Handels und der
Industrie geworden. Auch dem Gewerbe läßt es in dem Industrie- und Gewerbe-
Museum seine Pflege angedeihen, und der Wissenschaft und Kunst, sowie den
Wohlthätigkeits- und Gemeinnützigkeits-Anstalten im engern Sinne gewährt es
seine Unterätiitzung durch regelmäßige erhebliche Beiträge — Alles noch auf der
alten Grundlage der Korpoiation verburgerter Kaufleute.
Kaatschuk und Guttapercha, sowie Waaren daraus. Die Einfuhr
betrug im Jahre 1885 2000 q im Werthe von Fr. 1'897,950; darunter waren
410 q Kautschukfäden für elastische Gewebe k Fr. 1300 (das meiste aus Groß-
britannien), 416 q Kautschuk und Guttapercha in Schläuchen und Röhren k
Fr. 750 (das meiste aus Deutschland), 248 q Kardentücher a Fr. 800 (das
meiste aus Großbritannien), 136 q elastische Gewebe ä Fr. 1500 (das meiste
aus Deutschland und Frankreich).
Ausfuhr 1885: 2026 q im Werthe von Fr. 2'öl7,309. Davon waren
1759 q elastische Gewebe ä Fr. 1351, und zwar 384 q für Spanien, 296 q für
Italien, 219 q für Frankreich, 217 q für Oeslerreich, 193 q für Deutschland,
81 q für Argentinien u. s. w.
Für die früheren Jahre können nicht leicht Vergleichszahlen gegeben werden,
weil die Benennungen in der Waarenverkehrsstatistik geändert wurden. S. auch
«Elastiken*'.
Rephir. Mit der Zubereitung von Kephir befaßt sich seit Juni 1884 die
Firma N. Axelrod, schweizerische Kephiranstalt, in Zürich. Das Präparat besteht
aus Kuhmilch, welche mit kaukasischen Kephirkömern versetzt ist; ^Is kräfte-
befördemdes Heilmittel hat derselbe im Zürcher Kantonsspital und in anderen
Asylen Eingang gefunden.
Keramik s. Töpferei.
Kerzen. Die schweizerische Kerzenfabrikation ist bedeutend, obwohl hin-
sichtlich des Stearin fast ganz auf ausländischen Rohstoff angewiesen. Maschinen
cum Kerzengießen sind zuerst von Fr. Steinfels in Zürich im Jahre 1858 aus
Amerika gebracht und verwendet worden.
Dem Fabrikgesetz sind unterstellt die Kerzenfabriken von Friedr.
Steinfels in Zürich, Kaspar Bluntschly in Altstetten bei Zürich, Joh. Streuli in
Winterthur, F. Gallin in Carouge, Hornung in Carouge, Fabre & Gränicher in
Plainpalais bei Genf, sowie die Fabrique de bougies de la manufacture suisse
4e produits st^ariques in Lausanne.
Im Handelsregister waren Ende 1884 35 Kerzenfabrikationsgeschäfte
•eingetragen, wovon 8 im Kt. St. Gallen, 5 Zürich, 4 Schaffhausen, 4 Tessin,
S Basebtadt, 2 Baselland, 2 Glarus, 2 Luzem, 2 Schwyz, 1 Aargau, 1 Bern,
1 Graubünden.
Der Werth der in der Schweiz verfertigten Kerzen wird auf 1^2 Millionen
Franken gesehätzt.
Im Jahre 1885 wurden eingeführt 1084 q Kerzen im Werthe von Fr. 182,660
(das meiste ans Frankreich und Deutschland); ausgefühii; wurden nur 45 q im
Werthe von Fr. 7580.
Kettenstiehstickerei« Die Kettenstichstickerei (im Gegensatz zu der feiner
anasehenden Plattstichstickerei gemeiniglich Grobstickerei genannt) beschäftigt in
der Schweiz selbst ca. 2500 — 3000 Stickerinnen und ca. 1200 Maschinen. A^&föt-
Kettenstichstickerei — 122 — KiDdermehl
dem aber werden von st. gallischen und appenzellischen Eanflenten ca. 5000-
Personen im Vorarlberg und Schwarzwald in der Weise beschäftigt, daß den-
selben der zu bestickende, mit den Mustern bereits vorbedruckte Stoff, sowie
das nöthige Garn durch Yermittlong der sog. Fergger nach Hause geliefert wird.
Letztere bringen die gestickte Waare zurück, die alsdann in St. Ghillen, Herisau
u. s. w. ausgerüstet (gebleicht und appretirt) und von da exportirt wird. Der
Verkehr zwischen St. Gallen und den angrenzenden Gebietstheilen Deutschlands
und Oesterreichs vollzieht sich in dieser Weise schon seit der Mitte des vorigen
Jahrhunderts, ist aber seit längerer Zeit in entschiedener Abnahme begriffen.
Hauptsächlich auf Vorhänge von Mousseline oder Tnlle beschränkt, sind die
Produkte der Eettenstichbranche seit den 50er Jahren durch die billigeren,
wenn auch weniger soliden gemusterten Nottinghamer Tüllvorhänge zurück-
gedrängt worden, zum guten Theil aber auch in Folge langjähriger technischer
Stagnation, die nichts Neues und Besseres zu Tage kommen ließ, in Bückgang
gekommen.
1867 kam die vom Franzosen Bonaz erfundene, von dem Nähmaschinen-
fiabrikanten (üomelly erworbene und verbesserte einnadlige Kettenstich-Stick-
maschine in die Oeffentlichkeit, die anfänglich in der Schweiz weniger als in
Frankreich und England Beachtung fand. Seit dieselbe, zum Theil durch schwei-
zerische Mechaniker, vervollkommnet und auch mehmadlig konstruirt ist, hat sie
aber auch in den Gebieten der schweizerischen Grobstickerei größere Verbreitung
gefunden. Im Jahre 1880 waren nach den Ermittlungen des Eau&iännischen
Direktoriums in St. Gallen in den Kantonen St. Gallen, Appenzell und Thurgaa
1070 einnadlige (durchschnittlich Fr. 500 kostend) und 65 mehrnadlige Kettenstich-
Stickmasohinen in Betrieb. Eine kleinere Zahl ist über dem Rhein und Bodensee
für schweizerische Rechnung beschäftigt, üebrigens hat sich die Zahl seither
jedenfalls beträchtlich vermehrt.
Die einnadlige Maschine vermag im Tag etwa drei Schneller Garn zu ver-
arbeiten und verdient damit Fr. 1. 20 bis Fr. 1. 50. Neben billigen Vorhängen,
wurden in den letzten Jahren mittelst solcher Maschinen namentlich auch Kragen,
Halstücher u. dgl. (sog. neckware) fabrizirt. (Ueber den Ursprung der Ketten-
stichstickerei s. Stickerei.)
Rindermehl (Farine lact6e). Die weltbekannte Fabrik von H. Nestl6 in
Vevey, jetzt Aktiengesellschaft, in den 60er Jahren gegründet, war die erste
in der Schweiz, welche sich mit der Fabrikation von Muttermilchsurrogaten im
Großen befaßte (Nestl6-Mehl). Seither sind mehrere Fabriken entstanden, ent-
weder selbstständig oder in Verbindung mit Milchsiedereien.
Die bisher bekannten Kindermehl-Fabrikationsgeschäfte sind : Soci^te de farine
lact^e Henri Nestl6 in Vevey ; Panohaud & Cie. in Vevey ; A. Schneebeli & Cie.
in Affoltern, Kt. Zürich; H. Epprecht in Bern; Anglo-Swiss Condensed Milk
Company in Cham; Franco-Suisse in Thnn.
Die Menge und der Werth des ausgeführten Kindermehls ist ans der
schweizerischen Waarenverkehrsstatistik nicht genau ersichtlich. Immerhin weiß
man, daß der Löwenantheil der Position 350 („Suppen, kondensirte, in Tafeln;
Julienne, Sago, Tapioca, Mehl etc., und dgl. Suppenartikel in Paketen") auf
Eändermehl entfällt. Jene Position weist im Jahre 1885 10,346 q im Werthe
von Fr. 2*019,131 auf; davon 2567 q nach Deutschland, 2030 q nach Frank-
reich, 1576 q nach Großbritannien, 1415 q nach der nordamerikanischen Union».
760 q nach Belgien, 503 q nach Italien, 188 q nach Rußland, 103 q nach
Holland u. s. w.
Kirchenparamente — 123 — Kleider
Kirchenparamente und -Ornamente. Es sind etwa ein halbes Dutzend
Firmen bekannt, welche diesen Greschäftszweig pflegen, darunter namentlich die
Firmen Adelrich Benziger & Cie. und Oebrüder Benziger in Einsiedeln.
Kirschen. Der Kirschbaum ist namentlich in der Ost- und Mittelschweiz
beimisch. In besonderer Blttthe steht seine Kultur in den Kantonen Basel, Zug
und Schwyz, woselbst eine sehr bedeutende Kirsch wasserfabrikation damit im
Zusammenhange steht. Der Kirschbaum kommt in Höhen von 900 — 1000 m
noch häufig vor; die Früchte sind dort sehr klein, aber kräftig und süß. S. auch
„Obstbau**. (Vgl. Chris fs „Pflanzenleben der Schweiz**).
Kirschwasser. Hauptsitze der Kirschenwasserfabrikation sind Zug und
Schwyz. Die Produkte dieser Gegenden sind im In- und Ausland hoch geschätzt.
Der Export ist beträchtlich, jedoch in der schweizerischen Waarenverkehrsstatistik
nicht verzeichnet. Zum Zwecke der Kirschwasserfabrikation werden die Kirschen
bei möglichst trockener Witterung gepflückt, in Fässer oder cementirte Behälter
(Kirsch wassergesellschaft in Zug) gefüllt und ohne weitern Zusatz der Gährung
überlassen. Die Destillation wird in einfachen, mit Dampf, heißem Wasser oder
meistens mit direktem Feuer erwärmten Blasen vorgenommen. 100 kg Kirschen
geben durchschnittlich 11 — 12 Liter Kirschwasser von ca. 50 — 55 Volum-
prozenten Alkohol.
Klävner (Klevner, Klävinger). Unter diesen Namen versteht man in einem
^großen Theile der Schweiz den schwarzen Burgunder (s. S. 336 im I. Bd.).
Klaviere. Am 1. Dezember 1880 zählte man in der Schweiz 259 Klavier-
macher, wovon 155 im Kt. Zürich, 30 im Kt. Bern, 19 im Kt. Genf, 18 im
Kt. St. Gallen, 9 im Kt. Neuenburg, 37 in den übrigen Kantonen.
Jene 259 Personen vertheilten sich auf etwa 12 größere und einige kleinere
Geschäfte. Wie schon die obige Repartition beweist, ist Zürich der Hauptsitz
der schweizerischen Klavierfabrikation; es sind dort ein halbes Dutzend Firmen
von bestem Ruf, die bis zum Jahre 1883 23,000 Klaviere im Werthe von
16^2 Millionen Franken verfertigt haben. Trotz der vorzüglichen einheimischen
Produktion werden alljährlich noch etwa 300 Instrumente aus Deutschland ein-
geführt. Im Jahre 1884 stand einer Ausfuhr von 609 q eine Einfuhr von 1481 q
gegenüber. Im Jahre 1885 sind die Klaviere nicht mehr als besondere Position
in der Waarenverkehrsstatistik verzeichnet.
Im Handelsregister waren Ende 1884 45 Klavier- und Pianogeschäfte
eingetragen, wovon 30 als Handlungen, 14 als Fabrikationsgeschäfte, 1 als Mieth-
geschäft (die meisten Handlungen in Genf, die meisten Fabrikationsgeschäfte in
Zürich).
Klee s. Rothklee, Bastardklee, Weißklee, Esparsette.
Kleider« Die Hauptsache hierüber ist im Artikel „ Bekleidungsindustrie"
gesagt. Es mag noch angeführt werden, daß die eidg. Berufsstatistik von 1880
unter der Rubrik „Kleidung und Putz** 131,019 erw er bsthätige Personen angibt
(85,326 w., 45,693 m.) = 9,9 7© aller Erwerbsthätigen der Schweiz. Die
Zahl 131,019 vertheilt sich auf die Kantone wie folgt:
Bern 20,764 9,3 7o | Tessin 5,207 8,0 7o
Zürich 14,963 9,1
Aargau 12,974 14,0
Waadt 10,937 10,5
StOaUen 8,892 8,5
Genf 8,509 18,4
Luxem 7,099 11,7
Solothum 5,145 14,3
Neuenburg 4,905 11,0
Baselstadt 4,086 14,3
Thurgau 3,980 8,6
Graubönden .... 3,202 7,1
Appenzell A.-Rh. . . . 2,138 8,0
Freiburg 6,348 12,1 , I Schwyz 2,01i %^
Kleider — 124 — Knabenarbeitsunterricht
Obwalden 695 10,1 7o
Uri 620 5,0 ,
Nidwaiden 451 9,1 ,
Appenzell I.-Rh. ... 441 6,0 ,
Baselland 2,000 7,0 7o
Wallis 1,953 4,2 „
Schaffhausen .... 1,401 8,6 „
Glarus 1,273 7,3 ,
Zug 1,024 9,1 .
Im Handelsregister waren Ende 1884 550 Eleidergeschäfte eingetragen
= 1,8 ^/o aller eingetragenen Firmen. Birkhäuser^s Adreßbuch (Basel, 1885)
verzeichnet 676 Eleiderhandlungen and Marchands- Tailleurs.
Einfuhr und Ausfuhr im Jahre 1885:
Eiofnhr Ausfahr
q Fr. q Fr.
Leibwäsche 158 237,000 69 69,692
Kleidungsstücke etc. aus Baumwolle oder Leinen . 3,470 4^511,000 212 323,343
— WoUe oder Halbwolle 4,870 8766,000 249 517,843
— Seide oder Halbseide 517 4^136,000 212 r943,648
— Kautschuk 126 441,000 4 6,960
Pelzwerk 105 315,000 20 67,796
9,246 18^406,000 766 2^929,282
Vom Einfuhrwerth entfallen Fr. 11*503,200 auf Deutschland, 5*476,000
auf Frankreich, 544,000 auf Italien, 502,800 auf Großbritannien, 326,400 auf
Oesterreich; vom Ausfuhrwerth Fr. 1*270,423 auf Deutschland, 737,154 auf
Frankreich, 250,940 auf Italien, 176,641 auf Belgien, 102,780 auf Oesterreich,
70,783 auf Großbritannien.
Kleie. Einfuhr im Jahresdurchschnitt 1872/81: 30,410 q, 1884:
34,528 q, 1885 in der Waarenverkehrsstatistik nicht mehr angegeben. Ausfuhr
1873: 34,120 q, 1883: 34,489 q, 1884: 37,395 q, 1885 ?.
Kleinberger ist in verschiedenen Gegenden der Schweiz der Lokalname
für den weißen Elbling (s. S. 551).
Kleinmechaniker s. Optiker
Kleinroth (petit rouge). Eine im Wallis knitivirte Traubensorte. Der Stock
ist kräftig und trägt regelmäßig. Die Reifezeit ist später als beim Gumay; der
Wein jedoch ist gut. Kr.
Klepfer oder Klopfer. Am Bielersee und auch anderwärts bezeichnet
man mit diesem Namen den Gutedel (s. S. 814). Kr.
Knabenarbeitsunterricht« (Mitgetheilt von Herrn Kndin-Schmid,
Lehrer in Basel.) Unter Knabenarbeitsunterricht versteht man die systematische,
methodische Anleitung der mänulichen Jugend zur körperlichen Arbeit. Dadurch
will man bei der Jugend schon Lust und Liebe zur Arbeit wecken, dieselbe zur
Selbstthätigkeit anregen, sie an Ordnung, Genauigkeit, Aufmerksamkeit, Fleiß
und Beharrlichkeit gewöhnen und ihr zugleich allgemeine Handfertigkeit, d. h.
die Fähigkeit, die auf möglichst vielseitige Weise geübte Hand zu gebrauchen,
vermitteln.
Die Anfänge der Bewegung, welche gegenwärtig die pädagogischen Kreise
aller Kulturstaaten in hohem Maße ergriffen hat, lassen sich sehr weit zurück-
führen. Luther^ der Begründer des deutschen Volksschulwesens, betonte in seinem
Schreiben „an die Bürgermeister und Rathsherren von allerlei Städten in deutschen
Landen "* energisch, daß die Schulen nicht um ihrer selbst willen da seien, sondern
für das Leben erziehen müßten nnd er verlangt daher, daß man die Jugend
nicht bloß zur Gelehrsamkeit, sondern auch zu solchen Fertigkeiten heranbilde,
deren man im Haus und in der Familie, in der Gemeinde und im Staate
bedürfe.
I
Knabenarbeitsunterricht — 125 — Knabenarbeitsunterricht
Als eigentlicbes Erziehungsmittel wurde die Handarbeit aber erst im
17. Jahrhundert durch Arnos Comenius in das pädagogische System aufgenommen.
In seiner Didactica magna sagt er: „Die Schulen sollen Werkstätten sein, er-
dröhnend von Arbeit **. Nach dem alten Spruche „mens sano in corpore sano**
(im gesunden Körper ein gesunder Geist) verlangte er Spiel und Leibesübungen
fllr die lernende Jugend und kam dabei auf die von Luther angeregte Idee zu-
rück, daß der Schulunterricht zu seiner Ergänzung der praktischen Arbeit be-
dürfe. Dieselbe Idee vertrat der englische Philosoph John Locke in seinem
Buche , Gedanken über Erziehung *". Mit wahrer Begeisterung kämpfte nach diesem
Gelehrten Jean Jacques Rousseau, in seiner Epoche machenden Schrift „Emil,
oder über die Erziehung**, für die Einfügung der Handarbeit in den Erziehungs-
plan. Pestalozzi that dasselbe in den Briefen „Versuch, den Müttern Anleitung
SU geben, ihre Kinder selbst zu unterrichten''.
Gegenwärtig scheint diese Idee praktische Gestalt zu erhalten. In Frank-
reich ist der Knabenarbeitsunterricht seit 1882 obligatorisches Unterrichtsfach
für alle Volksschulen. In Schweden, Norwegen und Finnland sind wenige
Schulen zu finden, wo derselbe als fakultatives Fach nicht von den meisten
schulpflichtigen Knaben benützt wird. Im übrigen Europa und in den Vereinigten
Staaten sind Vereine, Gesellschaf ton und Behörden bestrebt, denselben auf dem
Privatwege einzuführeu und der männlichen Jugend zagänglich zu machen.
In der Schweiz datiren die diesbezüglichen Bestrebungen vom Herbst 1882.
In aller Stille eröffneten damals einige Lehrer in Basel eine „Handarbeitsschule
für Knaben** mit 30 ai*men Schülern. Die Sache war kaum bekannt geworden,
als sich die Knaben in Schaaren herbeidrängten, um aufgenommen und in der
Bchalfreien Zeit beschäftigt zu werden. Man war daher darauf bedacht, im fol-
genden Jahre diese Hand ar bei tsschule auf breitere Grundlage zu stellen und auch
an andern Orten der Stadt solche Schulen zu eröffnen. Bereitwilligst entsprach
die h. Regierung dem Gesuch, Lokale für den Knabenarbeitsunterricht zur Ver-
fügung zu stellen, und ein Verein hervorragender Männer Basels übernahm die
weitere Fürsorge für das Unternehmen. Bern, SL Gallen und Chur folgten dem
Beispiele Basels im Winter lb83/84.
Um den Lehrern, welche bereit waren, den Handarbeitsunterricht zu er-
theilen, Gelegenheit zu geben sich hiefür auszubilden, wurden bis jetzt zwei
vierwöchige Bildungskurse für Lehrer an Knabenarbeitsschulen abgehalten;
der erste in Basel, Sommer 1884, mit 40 Theilnehmern, der andere in Bern,
Sommer 1886, mit 51 Theilnehmern. Beide Kurse wurden vun einem Basler
Lehrer geleitet, der die nöthige praktische Ausbildung an einem langem Kurse
in Dresden 1883 und an einem solchen 1885 im Slöjdlehrerseminar zu Nääs in
Schweden erhalten hatte. Das Interesse für die Sache wurde durch diese Kurse
sowohl als auch durch Bekanntmachung von Berichten über die bestehenden
£[nabenarbeitB8chulen in der ganzen Schweiz wachgerufen. Zahlreiche Vorträge
wurden gehalten und in allen Vereinen und Gesellschaften, die sich um die Er-
ziehung der Jugend kümmern, wurde die Frage des Handarbeitsunterrichtes für
Knaben lebhaft diskutii-t. Allgemein hält man die Einführung desselben für
wänschenswerth, allein es mag noch lange Zeit dauern, bis derselbe Überall bei
jua richtig ertheilt wird und wegen der beträchtlichen (einmaligen) Einrichtungs-
kosten einer solchen Arbeitsschule dürfte es an vielen Orten beim guten Willen
bleiben.
Arbeitssdiulen für Knaben sind bis jetzt, Dezember 1886, errichtet worden
in Chor, Altstätten, St. Gallen (2), Herisau, Frauenfeld, Schaffhausen, WiutÄt-
, •
Knabenarbeitsunterricht — 126 — Eömglicher Rurzstiel
thar, Zürich, Riesbach, Außersihl, Enge, Aaraa, Ölten, Basel (3), Bnrgdorf,
Bern (5), Freibarg und Genf. Bereits ist auch in den bernischen Seminarien zu
Hofwyl und Muristalden der Handarbeitsunterricht eingeführt und sollen die
Zöglinge demselben großes Interesse entgegen bringen. Ein „ Seh weizerischer
Verein zur Förderung des Arbeitsunterrichts für Knaben", der während des
Kurses in Bern gegründet wurde, stellt sich die Aufgabe, den Knabenarbeits-
unterricht in der Schweiz weiter zu verbreiten und einheitlich zu gestalten.
Die Literatur über diesen neuen Unterrichtszweig wächst von Jahr zu
Jahr und ist schon ziemlich groß geworden. In der Schweiz sind folgende
Schriften darüber erschienen : „Mens sano in corpore sano" von Pfr. Christinffer,
„Der Arbeitsunterricht" von R. Seidel, Sekundarlehrer in Mollis, „Bericht über
den zweiten schweizerischen Bildungskurs" von S. Radin, Lehrer in Basel,
„Reform und Ausbau der Volksschule" von Nationalrath Schäppi in Horgen.
Knaulgras, das gemeine, ein vorzügliches Mähegras, besonders für
Hofstätten und Baumgärten, weniger für die Weide geeignet, auch Knäuelgras,
Dickkopf, Zottelschmale, Knopfhalm, Klotzhahn, Schlegelhalm, Hundsgras, Katzen-
gras, Roßgras, Roßhalm, Roßschmale, Hofstattgras, Alpenfromental genannt, ist
auch in der Schweiz einheimisch und geht in den Alpen bis gegen 2000 m.
Das Knaulgras gedeiht fast auf allen Bodenarten, mit Ausnahme von ganz armen
Sand- und Haideböden. Am üppigsten entwickelt es sich in tiefgründigen, dünger-
kräftigen, frischen Lehm- und Thonböden, sowie auf Lehm- oder Thonmergel-
und guten Humusböden. Auf den besseren Sandböden, sowie auf nicht allzu-
hitzigen Kalkböden kann es, wenn dieselben frisch sind, ebenfalls gepflanzt werden,
immerhin ist aber der Ertrag wC'^entlich geringer. Im Allgemeinen gedeiht es
eher auf feuchten und schweren Böden, als auf trockenen und leichten. Es kann
mit Vortheil selbst auf schwerem, naßkaltem Thonböden angebaut werden. („Die
besten Futterpflanzen", von Dr. F. G. Stehler, Verlag von K. J. Wyß in Bern.)
Knochenmehl s. auf S. 459/60 im I. Bd. d. Lexikons. Ein- und Ausfuhr
von K. sind aus der schweizerischen Waarenverkehrsstatistik nicht ersichtlich.
Knöpfe. Jährliche Einfuhr vou Knöpfen ca. 1100 q; Ausfuhr ca. 20 q.
Um 1880 beschäftigten sich mit der Knopf- und Kammmacherei 283 Personen,
wovon 169 allein im Kanton Solothurn, wo die Kammmacherei ziemlich im
Schwange ist. Birkhäuser's Adreßbuch (Basel, 1885) gibt die Adressen von
7 Knopffabrikanten, wovon 4 im Kanton Zürich, 2 Luzern, 1 Basel.
Knoller. Im Thurgau Lokalname für den weißen Elbling (s. S. 551).
Köhler. Als solche bezeichneten sich anläßlich der eidgenössischen Volks-
zählung von 1880 363 Personen, wovon 161 im Kt. Tessin, 72 Bern, 25 Waadt,
20 Graubünden, 18 Luzern, 15 St. Gallen, 12 Solothurn, 10 Freiburg, 30 in
den übrigen Kantonen.
Kölsch ist ein Buntwebereiartikel und dient zu Bettanzügen ; wird beinahe
in allen Buntwebereien gewoben. Das Garn wird von den einheimischen Spin-
nereien geliefert.
Königlicher Kurzstiel, auch rother königlicher Kurzstiel genannt, ist eine
Tafel- und Wirthschaftsfrucht zweiten Banges (Winterapfel), die sich in der
Schweiz überall vorfindet, aber lange nicht so stark verbreitet ist, als sie es
verdiente. Dqt Baum wird nur mittelgroß und blüht spät, was ihn besonders
für solche Gegenden zur Anpflanzung empfiehlt, die Spätfrösten unterworfen sind.
Er trägt fast alljährlich; seine Anpflanzung als Kochstamm kann nicht genug
empfohlen werden. Spalier- oder Pyramidenfrüchte sind noch köstlicher. („Schwei-
zerische Obstsorten", Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhom in St. GtiUen.)
Königsgutedel — 127 — Konfektion
Rönigsgutedel s. Grutedel (aut S. 814).
Kohl 8. auf S. 692 d. Lexikons.
Kohlen s. Anthracit (Eohlenblende), Braunkohlen, Briqnettes, Coaks, Holz-
kohlen, Steinkohlen, Torf. Am 1. Dezember 1880 zählte man in der Schweiz
330 Kohlen- und Torfgräber, wovon 83 im Kt. Neuenburg, 83 im Kt. St. Grallen,
76 im Et. Bern, 30 im Kt. Freiburg, 25 im Kt. Luzern, 33 in den übrigen
Kantonen. Birkhäuser^s Adreßbuch (Basel, 1885) gibt die Adressen von 318
Kohlen- und Coakshandlungen. Im Handelsregister waren £nde 1884 nur 72
Geschäfte dieser Art eingetragen.
Kolonialwaaren. Die schweizerische Einfuhr von Kolonialwaaren (d. h.
Waaren aus Ost- und Westindien und Südamerika) beläuft sich auf ca. zwanzig
Millionen Franken per Jahr, wovon etwa die Hälfte auf Kaffee entfällt. Was
-den Zucker betrifft, so kann derselbe hinsichtlich des schweizerischen Konsums
kaum mehr als Kolonialartikel angesehen werden, da es sich fast nur um Rüben-
sncker handelt. Einen großen Theil des Imports von Kolonialwaaren vermittelt
immer noch, wenn auch in Folge der vermehrten Trans portgelegenheiten weit
weniger als früher, der Platz Basel. Im Handelsregister waren Ende 1884
ca. 4300 Kolonial- und Spezereiwaarengeschäfte eingetragen ^= 13*/« ^/o aller
eingetragenen Geschäfte. Es ist dies die stärkste Geschäftsgruppe, soweit die Zahl
der Firmen in Betracht kommt.
Kondensirte Milch s. Milchwirthschaft.
Konditorei. Dadurch, daß viele Konditoreien in neuerer Zeit Maschinen
xur Engros-Bereitung von Bonbons, Zelten, Chocolade etc. zu Hülfe gezogen und
ihren Geschäftsbetrieb dadurch bedeutend erweitert, auch eine gewisse Arbeits-
theilung (Zuckerbäckerei oder Konditorei einerseits, Confiserie anderseits) eingeführt
haben, ist denselben ein mehr fabrikmäßiger Charakter zu eigen geworden.
Die sog. Confiserie befaßt sich speziell mit Produkten aus gekochtem
Zucker (Bonbons, Zelte, Pastillen u. dgl.), wozu sie besonders konstruirter Koch-
herde bedarf, wogegen die Domäne der Konditoren mehr der Backofen ist und
Spezialitäten in sich schließt, die, wie Honigkuchen, Baslerleckerli etc., auch
exportirt werden. Die Jahresproduktion der schweizerischen Confiserien, inkl.
pharmazeutische Pastillen u. dgl., wird auf 50 — 60 q im Werthe von 1^/2 Mil-
lionen Franken geschätzt.
Die Confitürenbranche hat sich theil weise ebenfalls schon von dem
filteren Konditoreibetrieb zur Selbstständigkeit abgelöst. Schweizerische Frucht-
konaerven und -Säfte finden bereits in größeren Quantitäten ihren Weg auch in*8
Analand. Die Tragantwaarenfabrikation (Dragee, Figurenformerei) ist in
der Schweiz ebenfalls in bemerkenswerther Weise entwickelt.
Konditorfarben unschädlicher Natur werden von Louis Imhof in Aarau
hergestellt und zum Theil exportirt.
Konfektion. Die K. von Kleidungsstücken für Herren und Damen ist in
der Schweiz noch sehr der Ausdehnung fähig. Es werden noch viel zu viel
fertige Kleider aus dem Ausland bezogen, wie die unter „Kleider*" mitgetheilten
Einfdhrsahlen beweisen. Immerhin finden Tausende von Personen Beschäftigung
mit der Anfertigung von Kravatten, Blousen, Damenmänteln, Schürzen, Jupons,
•owie Yon gewirkten und gewobenen Unterkleidern für beide Geschlechter. Der
«tattUohe Trapp der Harchands-Tailleurs (ca. 460) beweist anderseits, daß der
riesige Bedarf an Herrenkleidem zum guten (wohl zum größten) Theil vom Inland
aelbgt gedeckt wird.
Konfektion — 128 — Konsulate
Die größten bekannten Konfektionsgeschäfte (fttr Damenkonfektion) sind in
Zürich; zwei derselben haben oder hatten in den letzten Jahren je 145 und
170 Arbeiterinnen. Sie sind dem Fabrikgesetz unterstellt, wie auch zwei Geschäfte
in St. Grallen mit je 30 — 40 Arbeiterinnen.
Konkordate s. Verträge unter den Kantonen.
Konkordatsbanken s. Emissionsbanken.
Konkurse s. Schuldbetreibungen.
Konserven. In großem Maßstab werden in der Schweiz vor Allem Milch,
Früchte und Fleisch konservirt und exportirt. Gedörrtes Obst: Aepfel, Birnen,
Kirschen u. dgl. wird hauptsächlich in den Kantonen Luzem, Zug, Aargau, Bern,
Solothurn, Zürich und Thurgau gehandelt. Beeren- und Gemüsekonserven fabrizirt
und exportirt vorzüglich die Westschweiz (u. A. Nyon). Erwähnung verdienen
unter dieser Rubrik auch die Kaffeesurrogate (Cichorien, Feigenkaffee, Kaffee-
Essenz, Zucker- Essenz). Großartig ist die Fabrikation und Ausfuhr kondensirter
Milch. Schweizerischer Kunsthonig (Glycose und Bienenhonig) findet großen
Absatz. Unter den Fleischkonserven nehmen die Tessiner- und Graubündner-,
sowie Berner- und St. Galler-Rauchwaaren einen bedeutenden Rang ein.
Importirt werden in großen Quantitäten konservirte Gemüse, eingemachte
Fische und andere Seethiere etc. Die schweizerischen Hotels allein beziehen
jährlich für über 1 Million Franken Konserven vom Ausland.
Dem Schweiz. Fabrikgesetz sind (Ende 1886) die Konservenfabriken der Firmen
Bernhard & Cie. in Rorschach und Henckell & Zeiler in Lenzburg unterstellt.
Kons ularvertr [ige. Solche Verträge werden bisweilen abgeschlossen, um
die Rechte und Pflichten festzusetzen, welche die Konsuln der kontrahirenden
Staaten den Behörden dieser letztern gegenüber und umgekehrt die Behörden
den Konsuln gegenüber haben sollen. In der Regel aber werden die Konsular-
Verhältnisse durch die Handels- und Niederlassungsverträge geordnet oder es gilt
für dieselben stillschweigend das Völkerrecht.
Spezielle Konsularverträge hat die Schweiz mit Brasilien, d. d. 21. Oktober
1878 (von letzterem Staat per Ende 1887 gekündet) (A. S. n. F. IV, pag. 108);
mit Italien, d. d. 22. Juli 1868 (A. S. IX, pag. 706); mit den Niederlanden,
d. d. 19. Januar 1813, betreffend Niederländisch Indien (A. S. IX, pag. 706);
mit Rumänien, d. d. 14. Februar 1880 (A. S. n. F. 5, pag. 282).
Folgende Handelsverträge enthalten Bestimmungen betreffend die Konsuln:
Dänemark, Artikel IX; Großbritannien, Art. VII; Hawaii, Art. VI[; Japan,
Art. 2; Persien, Art. 2 und 7 ; Rußland, Art. 8—11; Salvador, Art. VIII;
Vereinigte Staaten von Nordamerika, Art. VII. (Vgl. Eichmann, Sammlung der
Handels-, Niederlassungs- und Konsularverträge, Orell Füßli & Co. in Zürich.)
Konsulate. Eine geschichtliche Darstellung des schweizerischen Konsular-
wesens von 1798 bis 1886 ist im Artikel „Interessenvertretung im Auslände**,
Seite 78/90 des laufenden Bandes, enthalten. Es brauchen somit hier nur noch
einige Mittheilungen statistischer Natur gemacht zu werden.
Der Bestand der schweizerischen Konsulate im Auslände ist Ende 1886
folgender :
12 Generalkonsulate (Brüssel 2 für Belgien und Kongostaat, Bucharest, Lissabon,
London, Madrid, Mexiko, Neapel, Rio de Janeiro, St. Petersburg, Turin, Yoko-
hama), 64 Konsulate, 13 selbstständige Vizekonsulate, 1 Konsularagentur (Knox-
ville), zusammen 90 Konsularstellen, ohne die 6 von den Gesandtschaften besorgten
Konsulate, welche sind : Berlin, Karlsruhe oder Stuttgart, Paris, Rom, Washington
und Charleston.
Konsulate
— 129 —
Konsulate
8 Grencralkonsuln und 15 Konsuln sind als GehUlfen und Stellvertreter
23 Yizekonsuln beigegeben (Vakanzen inbegriffen), so daß sich die Gesammtzabl
der Konsularbeamten auf 113 beläuft.
Von den 90 Konsularstellen entfallen 47 auf Europa, 31 auf Amerika,
4 auf Asien, 5 auf Afrika, 3 auf Australien,
oder, nach den Staaten repartirt,
13 auf Frankreich inkl. Algerien, 11 auf die nordamerikanische Union,
10 auf Brasilien, 9 auf Italien, 7 auf Deutschland, 7 auf Großbritannien inkl.
Kolonien, 6 auf Rußland, 4 auf Spanien inkl. Kolonien, 3 auf Holland und Java,
2 auf Oesterreich-Ungam, 2 auf Belgien, 2 auf Bumänien, 2 auf Argentinien,
2 auf Uruguay, 2 auf Japan, 1 auf Griechenland, 1 auf Portugal, 1 auf
Schweden und Norwegen, 1 auf Mexiko, 1 auf Columbien, 1 auf Chile, 1 auf
Peru, 1 auf den Kongostaat.
Deutschland hatte im Jahre 1886 663 Konsulate, Frankreich ca. 650, Itahen
649, Belgien 423, die nordamerikanische Union ca. 650, Oesterreich ca. 450.
Von den hievor erwähnten Staaten hat Belgien am meisten Aehnlichkeit
mit der Schweiz. Beide Staaten sind klein, aber industriell bedeutend ; es lohnt
sich daher, einen Vergleich hinsichtlich der Konsularverhältnisse zwischen den
beiden Staaten anzustellen. Belgien hat (1886) 423 Konsularstellen und ver-
ausgabt für dieselben ca. Fr. 514,000; die Schweiz hat 90 Konsularstellen und
verausgabt für dieselben ca. Fr. 107,000. Mit Ausnahme von 27 Bernfskonsuln
sind die belgischen Konsuln, gleich den schweizerischen, unbesoldet und dieselben
rekrutiren sich, wie die schweizerischen, zur großen Mehrzahl aus dem Kaufmanns-
stande. Man darf getrost behaupten, daß von allen Konsulaten die belgischen die
besten Dienste lebten, indem sie 1) im Verhältniß zur Größe und zur Einwohner-
zahl Belgiens sehr zahlreich sind, 2) acht kaufmännische Berichte abfassen, 3) ihr
Land reichlich mit Mustern versehen, wovon das Handelsmuseum in Brüssel
beredtes Zeugniß ablegt — eine Institution, die nachzuahmen die Schweiz nicht
yersäumen sollte.
Folgende Aufstellung zeigt, wie die Schweiz und Belgien in den verschiedenen
Staaten vertreten sind:
Land
Belgien Schweis
Konsul. KoDflul.
Argentinien 3
Belgien —
Bolivien 2
Brasilien 11
Caiile 3
Qiina 3
Columbien 4
Costa-Rica 1
D&nemark 7
Dänische Besitzungen ... 1
Deutschland ...... 29
Dominikanische Republik 1
Ecuador 2
Frankreich 35
Franzteische Besitzungen 6
(kiechenland 8
Großbritannien und Irland . 50
Britische Besitzungen ... 33
Guatemala 3
Haiti 5
2
2
10
1
7^)
10^)
3
1
2
5
Land
Belgien Schweiz
Konsnl. Koosnl.
1 —
Hawaii
Honduras 2 -
Italien 24 9»)
Japan 4 2
Kongostaat 1
Liberia 2 —
Luxemburg l —
Marokko 5 —
Mexiko 7 1
Monaco 1 —
Niederlande 15 2
Niederländische Besitzungen 6 1
Oesterreich-Üngarn .... 6 2
Peru 4 1
Portugal 16 1
Portugiesische Besitzungen . 4 —
Rumänien 7 2
Rußland 20 6
San Salvador 1 —
Siam 1 —
^) Ohne die von den schweizerischen Gesandtschaften besorgten.
Forrer, VolktwirthacbafU-Lexfkon der Schweix.
i
Konsulate
— 130 —
Konsulate
?
f'.
t
'•
Schweden und Norwegen 6
Schweiz 3
Spanien 24
Spanische Besitzungen . . 7
Türkei (Egypten 3) . . . . 21
2
2
Uruguay 2 2
Venezuela 5 —
Ver. Staaten v. Nordamerika 20 11*)
Zanzibar 1 —
423 90
Die im Dezember 1886 bestehenden schweizerischen Konsulate im Aus-
lände sind:
In Europa.
Belgien: Greneralkonsulat in Brüssel; Konsulat in Antwerpen.
Deutschland, in 9 Bezirke eingetheilt: Konsulate in Hamburg, Bremen,
Leipzig, Frankfurt a. M., München, Stuttgart, Königsberg, Berlin, Karlsruhe oder
Straßburg (letztere 2 von der Gesandtschaft in Berlin bcRorgt) ; Vizekonsulat in
Königsberg.
Die Bezirkseintheilung ist folgende:
I. Hamburg, Schleswig-Holstein, Lübeck, beide Mecklenburg und Lauenburg,
n. Bremen, Oldenburg, Hannover, Westphalen, Braunsdhweig, Lippe-Detmold,
Schaumburg-Lippe, Waldeck und Pyrmont.
III. (Leipzig): Königreich Sachsen, Großherzogthum Sachsen-Weimar, Herzogthümer
Sachsen- Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen und Anhalt, Fürsten-
thümer Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen und Reuß, ältere
und jüngere Linie.
IV. (Berlin): Brandenburg, Sachsen, Posen, Schlesien und Pommern.
V. (Königsberg): Provinz Preußen.
VL (Frankfurt a. M.) : Hessen, Nassau, Rheinprovinz und Großherzogthum Hessen.
VU. (München): Bayern mit Ausschluß der Rheinpfalz.
Vin. (Stuttgart): Württemberg und Hohenzollern.
IX. (Karlsruhe oder Straßburg): Baden, Elsaß-Lothringen und die Rheinpfalz.
Frankreich, in 11 Bezirke eingetheilt (inkL Algier, s. d. unter Afnka):
Konsulate in Paris (wird von der schweizerischen Gesandtschaft besorgt), Hävre,
Nantes, Bordeaux, Nizza, Lyon, Besannen, Nancy und Marseille; Yizekonsulate
in Bayonne und Cannes (letzteres steht unter dem Konsulat« von Nizza).
Die Bezirkeintheilung ist folgende :
I. (Paris): Die Departemente Aisne, Ardennes, Aube, Eure et Loire, Loir et Cher,
Loiret, Marne, Nord, Oise, Seine, Seine et Marne, Seine et Oise, Tonne.
II. (Hävre): Die Departemente Pas de Galais, Somme, Seine inf^rieure, Eure, Cal-
vados, Orne, Manche,
in. (Nantes) : Die Departemente Finistöre, Cötes du Nord, Deux S6vres, Ile et Vilaine,
Indre, Indre et Loire, Loire införieure, Maine et Loire, Mayenne, Morbihan,
Sarthe, Vend6e, Vienne.
IV. (Bordeaux): Die Departemente Charente inf^rieure, Charente, Haute Vienne,
Corr^ze, Dordogne, Gironde, Lot, Lot et Garonne, Tarn et Garonne, Grers, Haute
Garonne.
V. (Bayonne): Die Departemente Landes, Hautes Pyrönöes, Basses Pyrönöes.
VL (Nizza): Die Departemente Basses Alpes, Hautes Alpes, Alpes maritimes.
VU. (Lyon): Die Departemente Ain, Allier, Ard^che, Cantal, Gher, Greuse, Dröme,
Is6re, Loire, Haute Loire, Ni^vre, Puy de Dome, Rhone, Saöne et Loire, Savoie,
Haute Savoie.
VIII. (BesanQon): Cöte d*Or, Doubs, Jura, Beifort, Haute Saöne.
IX. (Nancy): Haute Marne, Meurthe et Moselle, Meuse, Vosges.
X. (Marseille): Ari^ge, Aude, Aveyron, Bouches du Rhone, Gard, Hörault, Lozöre,
Pyr6n6es orientales. Tarn, Var, Vaucluse, Corsika.
Griechenland: Einziges Konsulat in Patras.
Großbritannien: Generalkonsulat in London und Konsulat in Liverpool.
Italien, in 10 Bezirke eingetheilt; Generalkonsulate in Turin und Neapel;
^) Ohne die von der schweizerischen G^esandtschafl besorgten.
Konsulate — 131 — Konsulate
Konsulate in Mailand, Venedig, Genua, Livorno, Ancona, Messina, Palermo und
Born (letzteres wird von der schweizerischen G-esandtsohaft hesorgt).
Die Bezirkseintheilung ist folgende:
I. (Turin): Die Provinzen Turin, Novara, Alexandrien und Guneo.
n. (Mailand): Die Provinzen Mailand, Sondrio, Gomo, Bergamo, Brescia, Gremona,
Mantua, Modena, Reggio, Parma, Piacenza und Pavia.
III. (Venedig): Die Provinzen Venedig, Udine, Belluno, Treviso, Vicenza, Verona,
Padua, Rovigo, Ferrara.
IV. (Genua): Die Provinzen Grenua, Porto Maurizio, Sassari und Gagliari.
V. (Livorno): Die Provinzen Livomo, Pisa, Lucca, Massa Carrara, Florenz, Arezzo,
Siena und Grosseto.
VI. (Ancona) : Die Provinzen Ancona, Bologna, Ravenna, Forli, Pesaro und Urbino,
Perugia, Macerata, Ascoli-Piceno, Teramo, Aquila und Ghieti.
Vn. (Neapel) : Die Provinzen Neapel, Gaserta, Benevento, Gampobasso, Foggia, Avel-
lino, Salemo, Potenza, Bari, Lecce, Gosenza, Gatanzaro und Reggio.
VUL (Messina): Die Provinzen Messina, Gatania und Noto.
IX. (Palermo): Die Provinzen Palermo, Galtanisetta, Girgenti und Trapani.
X. (Rom): Die Provinz Rom.
Niederlande und Luxemburg, in 3 Bezirke eingetheilt (inkl. nieder-
ländische Besitzungen, s. d. unter Asien) : Konsulate in Amsterdam und Rotterdam.
Die Bezirkseintheilung ist folgende:
I. (Amsterdam) : Nordholland, Utrecht, Geldern, Overyssel, Groningen, Drenthe und
Friesland.
II. (Rotterdam): SQdholland, Seeland, Nordbrabant, Limburg und Großherzogthum
Luxemberg.
Oesterreich- Ungarn: Konsulate in Triest und Budapest, letzteres für
Ungarn.
Portugal: Generalkonsulat in Lissabon.
Rumänien, in 2 Bezirke eingetheilt: Generalkonsulat in Bncharest und
Konsulat in Galatz.
Die Bezirkseintheilung ist folgende :
L (Bncharest): Alle rumänischen Bezirke, welche dem Konsulate in Galatz nicht
zugetheilt sind.
II. (Galatz): Galatz, Bralla und die Dobrudja.
Rußland, in 6 Bezirke eingetheilt: Generalkonsulat in Petersburg, Kon-
sulate in Moskau, Odessa, Riga und Warschau.
Die Bezirkseintheilung ist folgende:
I. (St. Petersberg) : Alle russischen Gouvememente in Europa und Asien, welche
den Qbrigen Konsulaten nicht zugetheilt sind.
II. (Moskau): Die Grouvernemente Jarowslaw, Kaluga, Kasan, Kostroma, Kursk,
Moskau, Nijni Nowgorod, Orel, Pensa, Riasan, Samara, Saratow, Simbirsk,
Smolensk, Tambow, Tula, Twer, Wladimir und Woronesch in Gentralrußland.
ni. (Odessa): Die Gouvememente Astrachan, Bessarabien, Don (Provinz), Jekateri-
noslaw, Charkow, Gherson, Kiew, Kuban (Provinz), Podolien, Pultawa, Stawropol,
Tauris, Tschernigow, Terek (Provinz) und Wolhynien.
rV. (Riga): Die Gouvememente Kurland, Esthland und Livland.
V. (Warschau): Polen und die Gouvememente Kahsch, Kielce, Lomza, Lnblin,
Piotrkow, Plotsk, Radow, Siedice, Suwalki und Warschau.
VL (Tiflis) Transkaukasien
Schweden und Kor wegen: Konsulat in Christiania.
Spanien: Generalkonsulat in Madrid und Konsulat in Barcelona.
In Amerika.
Vereinigte Staaten von Nordamerika, in 12 Bezirke eingetheilt:
Konsulate in New-York, Philadelphia, Washington und Charleston (diese beiden
werden von der sohweizerischen Gesandtschaft besorgt), Neu-OiVoBü^^ QAxv<e»:D:&»XlV|
Konsulate — 132 — Konsulate
St. Lonis, Chicago, Gralveston, San Francisco, Louisville nnd Purtland; Konsular-
agentur in Knoxville.
Die Bezirkseintheilnng ist folgende:
I. (New- York): Die Staaten New- York, New-Hampshire, Vermont, Massachusets,
Rhode-Island und Connecticut
II. (Philadelphia): Die Staaten Pennsylvanien und New-Yersey.
m. (Washington) : Die Staaten Virginien, Maryland, Delaware, der Distrikt Ck)lunihia.
IV. (Gharleston) : Die Staaten Nord-Carolina, Süd-Carolina, (Georgia und Florida.
V. (Neu-Orleans) : Die Staaten Louisiana, Alahama, Tenessee, Arkansas und Mississippi.
(Knoxville): Staat Tenessee.
VI. (Cincinnati) : Die Staaten Ohio und Indiana.
Vn. (St. Louis) : Die Staaten Missouri, Kansas, Nebraska und südlicher Theil von
Illinois.
Vm. (Chicago): Staaten Michigan, Wisconsin, Jowa, Minesota und nördlicher Theil
von Illinois.
IX. (Galveston): Staat Texas.
X. (San Francisco): Kalifornien und Staat Nevada.
XI. (Louisville): Staat Kentucky.
XIL (Portland): Staat Oregon, sowie die Territorien Washington und Idaho.
Mexiko: Generalkonsulat in Mexiko.
Vereinigte Staaten von Columbia: Konsulat in Panama.
Peru: Konsulat in Lima.
Brasilien, in 6 Bezirke eingetheilt: Generalkonsulat in Rio de Janeiro;
Konsulate in Para, Pernambuco, Biüiia, Desterro und Rio grande do Sul; Vize-
konsulate in Maranhad, Leopoldina, Cantagallo und Campinas.
Die Bezirkseintheilnng ist folgende:
I. (Para): Die Provinzen Para, Amazonas, Maranhaö, Piauhy.
(Maranhaö): Vizekonsulat, dem Konsulate in Para untergeordnet
IL (Pernambuco): Die Provinzen Pernambuco, C^arä, Parahyba do Norte und Rio
grande do Norte.
III. (Bahia): Die Provinzen Alagoas, Sergipe, Bahia. Das Vizekonsulat Leopoldina
ist diesem Kreis zugetheilt.
IV. (Rio de Janeiro): Die Provinzen Espirito Santo, Minas Gera^, Groyaz, Matto
Grosso, Sao Paulo und Rio de Janeiro. Die Vizekonsulate Cantagallo und
Campinas sind diesem Kreise zugetheilt.
V. (Desterro): Die Provinzen Santa Catharina und Parana.
VI. (Rio grande do Sul): Die Provinz Sao Pedro de Rio grande do Sul.
Argentinien: Konsulat in Buenos- Ayres ; Vizekonsulat in Rosario, letzteres
für die Provinz Santa F6.
Uruguay: Konsulat in Montevideo und Vizekonsulat in Paysandu.
Chili: Konsulat in Valparaiso.
Britische Besitzungen: Canada: Konsulat in Montreal für ganz
Canada.
Spanische Besitzungen: Konsulat in Havanna auf der Insel Cuba.
In Asien.
Japan: Generalkonsulat für ganz Japan in Yokohama und Tokio; Vize-
konsulat fiir Hiogo und Osaka in Osaka.
Niederländische Besitzungen: Konsulat in Batavia.
Spanische Besitzungen: Konsulat in Manilla für die Philippinen.
In Afrika.
Kongostaat: (jleneralkonsulat in Brüssel.
Algerien: Konsulat in Algier; Vizekonsulate in Oran und Philippeville.
Algier für die Provinzen Algier, Oran und Constantine. — Oran für die
Provinz Oran. — Philippeville für die Provinz Constantine.
Konsulate — 133 — Konsulate
Britische Besitzungen: Konsulat in Port Louis auf der Insel Mauritius.
In Australien.
Britische Besitzungen: Konsulate in Sidney und Melbourne; Vize-
konsulat für Süd- Australien in Adelalide (letzteres unter dem Konsulat in Melbourne).
Die Summe der Entschädigungen aus der Bundeskasse an die
Konsulate betrug von 1856— 1863 je Fr. 5000, 1864: 20,000, 1865: 20,000,
1866: 43,000, 1867: 43,000, 1868:43,000, 1869— 1874 je 50,000, 1875
54,750, 1876: 61,750, 1877: 75,346, 1878: 73,750, 1879:74,700, 1880
76,500, 1881: 82,000, 1882: 89,500, 1883: 86,375, 1884:94,000, 1885
96,000, 1886: 107,500.
Das erste Konsulat, welches eine Entschädigung erhielt, war dasjenige in
Washington, ursprünglich Fr. 5000, später Fr. 16,000.
Die Summe pro 1886 (Fr. 107,500) repartirt sich auf 8 Greneralkonsulate
und 24 Konsulate, und zwar in folgender Weise: London Fr. 15,000, Bio de
Janeiro 9000, Hävre 8000, Brüssel 6000, Buenos-Ayres 6000, Paris 5000,
New-York 5000, Petersburg 4000, Lyon 4000, Melbourne 4000, Mailand 4000,
Besangen 3000, Moskau 3000, Montevideo 3000, Sydney 3000, Bukarest 2500,
Nizza 2500, Marseille 2000, Philadelphia 2000, Neu-Orleans 2000, Warschau
2000, Neapel 1500, Odessa 1500, Tiflis 1500, Lissabon 1000, Genua 1000,
Amsterdam 1000, Antwerpen 1000, Bremen 1000, Livorno 1000, Venedig
1000, Cannes 1000.
Frankreich verausgabt fdr sein Konsularwesen Fr. 4*500,000, exkl. Bureau-
Entschädigungen ; Italien Fr. 463,500 Besoldungen und Fr. 210S,700 Bureau-
Entschädigungen; Großbritannien Fr. 4'350,000 Besoldungen und Fr. 1'150,000
fQr Bureau-Entschädigungen; betrefifend Belgien s. Seite 129 hievor.
Fremde Konsulate in der Schweiz.
Es sind deren (Ende 1886) 50, nämlich
a. Für europäische Staaten 27:
Belgien 3: Greneralkonsulat in Genf, Konsulate in Basel und Zürich.
Dänemark 1 : Generalkonsulat in Genf.
Deutsches Beich 3: Konsulate in Basel, Genf und Zürich.
Frankreich 3: Konsulate in Genf und Basel, Yizekonsulat in Ztlrich.
Griechenland 1 : Generalkonsulat in Genf.
Großbritannien 3 : Konsulate in Genf und Zürich, Yizekonsulat in Lausanne.
Italien 4: Konsulate in Lugano, Genf, Zürich und Basel.
Niederlande 1 : Generalkonsulat in Zürich (Enge).
Oesterreich-Ungarn 3: Generalkonsulat in Zürich, Konsulate in G«nf und
St. Gallen.
Portugal 3: Generalkonsulat in Bern, Konsulate in Genf und Zürich.
Schweden und Norwegen 1 : Generalkonsulat in Genf.
Spanien 1 : Konsulat in Genf.
b. Für amerikanische Staaten 23:
Vereinigte Staaten von Nordamerika 9: Generalkonsulat in Bern, Kon-
sulate in Zürich, Genf, Basel, St. Gtillen, Horgen, Konsularagenturen
in Vivis, Chaux-de-Fonds und Luzem.
Mexiko 2: Konsulate in Genf und Vivis.
Salvador 1: Konsulat in Genf.
Costa Bica 1 : Konsulat in Genf.
Argentinische Bepublik 2 : Konsulat in Genf, Yizekonsulat in San Simone
bei Chiasso.
m
I *
Konsulate — 134 — Korbflechterei
Brasilien 2: GreneralkoDsulat in Grenf, Yizekonsulat in Bern.
Chile 2: Konsulate in Genf und Zürich.
Peru 1 : Konsulat in Grenf.
Uruguay 3: Generalkonsulat in Lugano, Konsulate in Basel und Grenf.
Konsumyereine. Die Zahl der K. in der Schweiz beläuft sich, so weit
bekannt, auf ca. 135, wovon Ende 1884 119 im Handelsregister eingetragen
waren. Von den letztern waren etwas mehr als zur Hälfte als Aktiengesellschaften,
die meisten übrigen als Grenossenschaften konstituirt. Die 135 Vereine yertheilen
sich auf die Kantone wie folgt: Zürich 25, St. Gallen 19, Bern 15, Glarus 10,
Graubünden 10, Neuenburg 10, Waadt 9, Aargau 6, Luzern 6, Solothurn 5,
Appenzell A.-£h. 3, Baselland 3, Genf 3, SohafFhausen 3, Thurgau 3, Freiburg 2,
Baselstadt 1, Schwyz 1, Zug 1.
Etwa 7^ d^^ Konsumyereine betreibt ausschließlich die Bäckerei; diese
Brodkonsumvereine bestehen vorwiegend im Jura und im übrigen französisch
redenden Theil der Schweiz.
Ein im Jahre 1884 in der Zeitschrift ^Grenossenschaft" erschienener kleiner
Aufsatz gab an, um 1850 hätten erst 2 Konsumvereine bestanden, um 1865 17,
um 1870 35, um 1875 75, um 1880 101, um 1883 122. Die^e 122 Vereine
sollen ein Kapital von ca. 37« Millionen Franken besessen und im Jahre 1883
einen Umsatz von ca. 13 Millionen Franken erzielt haben.
Die Zahl der Mitglieder der Konsumvereine ist nicht bekannt, eben so wenig
die Höhe der Gewinne.
Kontrolstelle für Baumwollgarne. Um Mißbräuchen im Verkehr mit
Baumwollgarnen, deren der Handelsplatz St. Gallen bekanntlich in sehr be-
deutenden Mengen bedarf, zu steuern, wurde daselbst am 1. Juli 1885 eine
Kontrolstelle für Baumwollgarne errichtet, wo die Grame auf Nummer, Qualität
und Gre wicht kostenfrei geprüft werden. Die Kontrolstelle steht unter der Aufsicht
und Leitung einer Kommission, die aus je einem Vertreter des Kaufmännischen
Direktoriums, des Industrievereins und des Zwirnervereins gebildet wird.
Konventionalzölle s. im Artikel „Einfuhrzölle" die Rubrik „ Vertragszölle ".
Korbflechterei. Wenn man in der eidgenössischen Berufsstatistik von 1880
die Zahl der Korb- und Sesselflechter mit 2392 angegeben findet (650 Bern,
308 Zürich, 170 Waadt, 152 Aargau, 129 St. Gallen, 120 Luzern, 102 Grau-
bttnden, 100 Freiburg, 98 Solothurn, 91 Thurgau, 67 Tessin, 54 Baselland,
53 Schwyz, 48 Wallis, 45 Baselstadt, 44 Schaff hausen, 35 Genf, 19 Zug,
18 Neuenburg, 17 Nidwaiden, 14 Appenzell I.-Bh., 12 Appenzell A.-Rh.,
10 Glarus, 9 Obwalden, 7 üri), ist man leicht versucht, zu glauben, die Korb-
flechterei sei bedeutender, als man gemeiniglich annahm. Die Wahrheit ist, daß
dieses Grewerbe ganz schöne Wurzeln gefaßt hat, daß dasselbe aber in Anbetracht
der großen Einfuhr von Korbwaaren, welche jährlich stattfindet, weit verbreiteter
sein könnte. Ursache dieses Verhältnisses ist, daß man in der Schweiz bis vor
wenigen Jahren den Weidenpflanzungen sehr wenig Aufmerksamkeit schenkte und
daß man es vorzog, statt Weiden zum Flechten gleich die fertige Waare ein-
zuführen. Noch im Jahre 1878 konnte Herr Oberforstinspektor Coaz an einer
Versammlung von schweizerischen Forstmännern sagen:
,Das Feld des Weidenbaues liegt bei uns in der Schweiz fast noch vollständig
brach. Erst in alleigüngster Zeit wurden Weidenkulturen zur Erzielung von Flechtmateriai
angelegt, die aber noch viel zu wünschen übrig lassen. Diese kleinen Erstlingsversuche
fanden an verschiedenen Uferstellen des Bielersees, im Waadtland, im 1 hurgau (an der
Thur) und unweit Chur statt. In Folge dieser Vernachlässigung der Weidenkultur und
wegen Mangel an gutem Flechtmaterial ist es begreiflich, daß die Korbflechterei sich in
Korbflechterei
— 135 —
Korbflechterei
der Schweiz bisher nirgends als Industriezweig so recht angesiedelt hat. Nur im Tößthal
besteht sie im Kleinen schon seit längerer Zeit/
Diese Verhältnisse haben sich wesentlich gebessert, denn nach einer vom
eidgenössischen Oberforstinspektorat aufgenommenen Statistik bestanden im Oktober
1886 bereits 244,57 ha Weiden pflanzungen, welche 111 Eigenthümem (Privaten,
Gemeinwesen und Gesellschaften) gehören. Jene 244,57 ha vertheilen sich folgender-
maßen auf die Kantone: 139,63 Waadt, 66 Freiburg, 8,77 St. Gallen, 6,07
Ztirich, 5,89 Bern, 5,76 Luzern, 4 Wallis, 3,40 Aargau, 2,89 Solothnrn,
0,76 SchafFhausen, 0,54 Zug, 0,48 Thurgau, 0,19 Obwalden, 0,16 Schwyz. .^
üeber die Gesammtproduktion von Weiden ist leider nichts bekannt ; dagegen
kennt man die Resultate von Versuchen, welche auf dem zur Ackerbauschule
BiHti bei Bern gehörenden Grund und Boden gemacht wurden und wonach sich
bei 20 Weidensorten Erträge von 1171 — 7677 kg per Jucharte ergaben =
Fr. 117. 10 bis Fr. 767. 70 per Juohart. Die Ergebnisse jeder einzelnen Sorte
und die Eignung zum Flechten sind aus folgender Zusammenstellung ersichtlich :
Ertrags- EtVö»
^ bererhng. v«.n
"®"* auf 1 Jach. 1 Juch.
kg Fr.
1 Gleichblättrige Hanfweide 7677 767.70
2 Gemeine Hanfweide . . 6453 645. 30
3 Gemeine Steinweide . . 6228 622. 85
4 Fuchsschwanz-Hanfweide . 5802 580. 20
5 Holländische Aschweide
6 Gelbe Mandelweide . .
7 Braune Königsweide .
8 Frühe Mandelweide
9 Gelbe Königsweide . .
10 Grüne Buschweide . .
11 Lange Blendweide . .
12 Grüne Mandel weide
13 Gremeine Uralweide
14 Grüne Stein weide . .
15 Edle Steinweide . . .
16 Englische Stein weide .
17 Braune Mandelweide .
18 Blaugrüne Steinweide .
19 Dunkelrothe Blutweide
20 Caspische Blutweide •
5700 570.05
5269 526.95
4988 498.80
4943 494.30
425. 70
420.—
360.75
344.10
289.60
2462 246.20
2296 229.15
218.—
192.90
127.55
126. 10
117. 10
4257
4200
3607
3441
2896
2180
1929
1275
1261
1171
Bemerkungen
Die Triebe werden zum Theil 7.u dick und Eum
Flechten wenig geeignet.
Holz etwas brüchig.
Sehr gut zum Flechten.
Wie bei Sorte 1.
Die Ruthen yerzweigen sich zu viel und werden
im Verh<niss zu ihrer Dicke zu wenig lang.
Die Ruthen sind wegen ihrer Dicke weniger zaoi
Korbflechten geeignet.
Holz wird etwa» zu stark.
du.
do.
Eine der besten für Flechtarbeiten.
Ausgezeichnete Flechtsorte.
Holz wird etwas zu stnrk.
Sehr gut.
do.
do.
do.
Holz etwas zu stark.
Sehr gut zum Flechten.
Ruthen sehr zah, doch theilweise etwas zu stark
zum Flechten,
do.
Den Fortschritten in der Weidenkultur entsprechen auch diejenigen in der
Korbflechterei. Den Hauptimpuls dazu gahen die im Jahre 1880 entstandenen
Korbflechtschulen in St. G-allen und Winterthur. Die erstere wurde nach zwei-
jährigem Bestand, und nachdem sich ihre Zöglinge in verschiedenen Gregenden
des Kantons als Flechter niedergelassen, aufgehoben (der Flecbtmeister selbst
etablirte sich in St. Gallen als Korbwaarenfabrikant und die seitherige Errichtung
eines Zweiggeschäftes in Zürich spricht fUr seinen geschäftlichen Erfolg); die
Schule in Winterthur besteht noch jetzt und wird voraussichtlich dauernden
Bestand haben. Sie unterrichtete bis Mitte November 1886 bei 1 — 278Jähriger
Lehrzeit 45 Zöglinge, wovon viele körperlich Gebrechliche, so daß die Anstalt
neben dem rein wirthschaftlichen auch einen speziell philanthropischen Zweck erfüllt.
In Bern (Matte) ist seit kurzer Zeit mit der Spielwaarenschule auch eine
Korbfleohtschnle vereinigt, welcher ein ehemaliger Zögling der Winterthurer Schule,
der flieh in Dentsohland noch weiter im Fach ausbildete, vorsteht.
Korbflechterei — 136 — Korbflechterei
Aach Freiburg erfreut sich seit 1. April 1886 einer Eorbflechtschule, die
15 Zöglinge zählt. Lehrzeit 2 Jahre.
Alle diese drei Anstalten erhalten kleinere Subventionen von Kanton und Bund.
Nach Art einer Schule ist ferner eingerichtet die Korbflechterei der Herren
Gebrüder Cuenin, Kattundrucker, in Kirchhergy Kt. Bern.
In Solothurn steht die Aktiengesellschaft fdr Weidenkultur und Korb-
flechterei im Begriff, die Erlernung der Korbflechterei zu ermöglichen.
Gleiche Bestrebungen machen sich vermutblich noch manchenorts geltend
und es mag daher der Sache förderlich sein, wenn hier einige der Bedingungen
erwähnt werden, welche Flechtmeister J. H. Arnold, der ehemalige Lehrer an
der Korbflecbtschule in St. Gallen, fUr den guten Erfolg von Korbflechtschulen
für unerläßlich hält. Dieselben mögen für ein so einfach aussehendes Gewerbe
etwas hoch gespannt erscheinen, lassen sich aber begreifen, wenn mau weiß, daß
die Korbflechterei an Varietäten, bei denen Kunstsinn, Auge und Hand gleichmäßig
zur Geltung kommen, ungemein reich ist.
Die Bedingungen sind: a Disponibilität eines Kapitales a Fond perdu von
beiläufig Fr. 10,000; b. sorgfältige Wahl und nicht zu große Anzahl der Schüler;
c. ein durchaus tüchtiger, gewissenhafter Flechtmeister, welcher nicht etwa nur
in Spezialitäten bewandert ist, sondern die Korbflechterei im vollen Umfange
kennt, und endlich die Gabe hat, den Beruf auf praktische, verständige Weise
den Schülern beizubringen; d. richtiges Domizil der Schule; e. daß der Verschleiß
der Korbwaaren in der Hand eines reellen tüchtigen Verkäufers sei; /*. daß der
Schule ein guter Aufsich tsrath zur Seite stehe, der den Zöglingen auch später
in der Praxis wohlwollend, berathend und unterstützend an die Hand zu gehen
bereit ist, und endlich g. Möglichkeit, den Unterricht auch auf die Weidenzucht
auszudehnen.
Ein Kapital von beiläufig Fr. 10,000 sei noth wendig, sagt Herr Arnold,
a. zur Beschaffung von Robmaterialien ; 6. zur Beschaffung von Werkzeugen ;
c, zur Bestreitung von Kost und Logis zu Gunsten ärmerer Schüler; d, zur
Deckung der laufenden Unkosten, bestehend in: 1) Besoldung eines Lehrers,
2) Besoldung eines Hülfslehrers, 3) Lokalmiethe, 4) Beleuchtung und Heizung,
5) laufenden kleinen SpcKon; e. fdr Arbeitslöhne (vom zweiten Halbjahr an).
Die Anzahl der Schüler soll 20, höchstens 24, nicht übersteigen und sollen
dieselben gruppenweise (bei 20 in 2 Abtheilungen von je 10, bei 24 in 3 Gruppen
von je 8) in Pausen von je 1 — 2 Monaten einberufen werden, in der Meinung,
je den vorher Eingerückten die Anfangsgründe der Lehre beigebracht zu haben,
bis eine zweite Abtheilung erscheint.
Das Domizil der Schule ist unstreitig am besten in einer größeren Dorfschaft,
in der Nähe «iner Weidenzucht, placirt.
Den Erwerb eines ausgelernten Korbflechters betreffend sagt Herr Arnold,
das Lohnbuch der st. gallischen Korbflechterei weise einen durchschnittlichen
Verdienst von anfänglich Fr. 3, später Fr. 4 per Mann und per Tag auf. Einzelne
gewandtere Arbeiter verdienen bis zu Fr. 5.
Als Rohmaterial für die Korbflechterei dienen nicht nur Weiden, sondern
auch Seegras, Meerrohr, Stroh, Palmblätter, Bambus u. a. m. (Vgl. Arnold^s
Preisschrift: „Die Einführung neuer Industrien", Verlag von J. Huber in
Frauenfeld.)
Die Zahl der Korbwaarengeschäfte in der Schweiz beläuft sich nach Birk-
bäuser^s Adreßbuch (1885) auf ca. 360; die meisten derselben betreiben offenbar
nur den Handel. Im Handelsregister sind nur ca. 50 Greschäfte eingetragen.
Korbflechterei — 137 — Kraftfutter
Die Waarenverkehrsstatistik von 1885 verzeichnet folgende Ein- and
Ausfuhr im Spezialhandel :
«rohe Korbflechterwaaren, inbegr. grobe Sieb- **°^"**' ^"•'"*»'*
macherwaaren und Besen von Reisig . 3137 q = Fr. 255,610 89 q = Fr. 9,273
Feine Korbflechterwaaren 538 ,= , 269,000 26 , = , 21,695
Ca. V* kamen von und gingen nach Deutschland.
Deutlicher ist die Statistik vor 1885, indem die Siebmacherwaaren und die
Besen noch nicht mit den Korbwaaren vermengt sind.
Die Einfuhr ist wie folgt angegeben:
1) Korbwaaren, grobe, von ungespaltenem Holz oder Weiden: 1884: 1516 q,
1883: 1422 q, Jahresdurchschnitt 1872/81: 1201 q.
2) Korbwaaren, feine: 1884: 731 q, 1883: 578 q, Jahresdurchschnitt
1872/81 : 463 q.
A u s fu h r von (/ro6cw K. : 1884: 95 q, 1883: 85 q, 1873: 42 q, 1863:
35 q; von feinen K. : 1884: 64 q, 1883: 64 q, 1873: 27 q.
Korkholz und Korkwaaren. Einfuhr: a. von KorkholZy roh, in
Platten, im Jahresdurchschnitt 1872/81: 207 q, 1883: 530 q, 1884: 761 q,
1885: 944 q a Fr. 95 (518 q aus Frankreich, 324 q aus Deutschland). —
b, von Korkwaaren, im Jahresdurchschnitt 1872/81: 1189 q, 1883: 1218 q,
1884: 1204 q, 1885: 1231 q ä Fr. 380 (645 q aus Frankreich, 324 q aus
Deutschland, 268 q aus Spanien).
Ausfuhr: a. Yon Korkholz, roh, in Platten, 1884: 121 q, 1885: 182 q
k Fr. 45. 42 (95 q nach Deutschland, 86 q nach Frankreich). — b, von Kork-
waaren, im Jahre 1883: 145 q, 1884: 105 q, 1885: 47 q ä Fr. 346 (18 q
nach Frankreich, 11 q nach Deutschland, 10 q nach Italien).
Korksteinfalirikatioil. Diese Fabrikation wird laut Handelsregister von
der Firma A. Geisen in Basel betrieben.
Korn H. Gretreidebau.
Kostgeberei und Logisgeberei. Im Jahre 1880 fanden (laut eidg.
Yolkszählnngsstatistik) durch diese Erwerbszweige 5000 Personen ihren Lebens-
unterhalt; davon 3193 (2938 w., 255 m.) als Erwerbsthätige, 1174 als An-
^hörige ohne Erwerb, 633 als Hausgesinde. Die Zahl der Erwerbsthätigen
(2,4 ^/oo aller Bernftreibenden der Schweiz) vertheilt sich folgendermaßen auf
die Kantone: 1601 Zürich, 394 Genf, 187 Waadt, 169 Bern, 166 St. Gallen,
122 Baselstadt, 92 Neuenburg, 75 Uri, 53 Aargau, 50 Luzem, 41 Schwyz,
^7 Tessin, 36 Graubünden, 34 Solothurn, 33 Appenzell A.-£h., 22 Schaffhausen,
22 Thurgau, 21 Baselland, 14 Zug, 10 Freiburg, 10 Glarus, 2 Nidwaiden,
1 Appenzell I.-Bh., 1 Wallis.
In obigen Zahlen sind 513 Ausländer (456 w., 57 m.) inbegriffen. Die
Kost- und Logisgeberei in Wirthschaften und Gttöthöfen ist nicht mitgerechnet.
Kostümstickerei (Dressgood). liebliche G^sammtbezeichnung für die neueren
farbigen Artikel der ostschweizerischen Maschinenstickerei in Plattstich, wobei
außer Baumwolle auch Wolle und Seide in mannigfaltiger Kombination verwendet
wird. Im Jahre 1882 waren ungefähr ^/i sämmtlicher Stickmaschinen mit solchen
farbigen, meist besser als die weißen Massenartikel lohnenden Spezialitäten be-
schäftigt.
Krachgutedel s. Gutedel (S. 814).
Kraftfutter« (Mitgetheilt von Herrn Müller, Chef der Land wirthschafts-
Abtheilung des eidg. Handels- und Landwirthschafts- Departements.) Sämmtliche
Ifährstoffe für die warmblütigen Thiere werden unterschieden in stickstoffhaltige
Kraftfutter — 138 — Kraftfutter
(N h), hauptsächlich Eiweißstoffe, und in stickstofffreie (Nfr)> hauptsächlich Kohle-
hydrate und Fett. Die erst in neuerer Zeit durch die agrikulturchemischen
Versuchsstationen angestellten exakten Fütterungsversuche hahen dargethan, daß
für eine bestimmte Thiergattung und für eine bestimmte Nutzung (Arbeit, Milch,
Wolle, Mast, Zuwachs bei jungen Thieren) auch ein bestimmtes Yerhältniß
zwischen der Menge der verdaulichen Eiweißstoffe und derjenigen der verdau-
lichen stickstofffreien Nährstoffe in dem täglichen Futterquantum bestehen müsse,
wenn mit den geringsten Mitteln der größte Erfolg erzielt werden soll. Ist die
Menge des verdaulichen Eiweißes zu gering im Yerhältniß zu den Kohlehydraten
und Fetten, so vermindert sich der Ertrag der Thiere, weil das Eiweiß fast bei
jeder Produktion von Kraft, Milch, Wolle, Fleisch u. s. w. direkt thätig ist und
hiefür meist auch das Material liefert. Sind aber die stickstofffreien Nährstoffe
(Nfr) im üeberschuß in der Nahrung vorhanden, so geht ein Theil davon in
der Regel unbenutzt durch den Darm ab. Umgekehrt — ist das Eiweiß im
Üeberschuß, so vermehrt sich der ^iweiSiumsaiß im Thierkörper, nicht aber der
Eiweißan^a^jer, und es entsteht Verlust an einem theuren Nährstoff.
Die Versuche haben ferner gezeigt, daß dieses Verhältniß der N h zu den
N fr verdaulichen Nährstoffen sich wie 1:4 bis 1:7 zu verhalten hat, daß es
somit in sehr engen Grenzen sich bewegt.
Bei dem gewöhnlichen Winterfutter, namentlich wenn dabei spät geschnittenes^
überständiges Heu oder gar Stroh und Rüben oder Kartoffeln eine Rolle spielen,
ist fast immer das Nährstoffverhältniß ein zu weites. Das Futterquantum, welches
vom Magen des Thieres aufgenommen und verarbeitet werden kann, enthält zu
wenig Eiweiß, um die beabsichtigte volle Nutzung zu erzielen. Die Kühe gehen
deßhalb bei der WinterfUtterung im Milchertrag zurück, weil gerade die Milch-
nutzung ein besonders enges Nährstoffverhältniß verlangt (nach Wolff wie 1 : 5,4).
Dieses engere Nährstoffverhältniß kann im Winter nur hergestellt werden, wenn
man den Thieren ein Beifutter verabreicht, welches eiweißreicher als gewöhn-
liches Heu ist, somit ein an und für sich jsu enges Nährstoffverhältniß besitzt.
Solche Futtermittel nennt man Kraftfutter. Diesen Namen verdienen die meisten
Samen unserer Kulturgewächse, hauptsächlich diejenigen der Hülsenfrüchte, weniger
diejenigen der Getreidearten, vor Allem aber die Abfälle der Müllerei, der Oel-
fabrikation, der Bierbrauerei, der Branntweinbrennerei, der Stärkefabrikation und
der Milch wirthschaft. Bei diesen Betrieben wird die Gewinnung oder die Um-
wandlung der Kohlehydrate, nämlich des Stärkemehls, sowie des Oeles und der
Butter bezweckt; folglich müssen die Abgänge (Kleie, Futtermehl, Oelkuchen,
Malzkeime und Biertreber, Schlempe, Kleber, Magermilch und Zieger) ein engeres
Nährstoffverhältniß erhalten, als dasjenige des Stoffes oder Samens ist, von
welchem sie herrühren.
Der Bauer nennt derartige Futtermittel oft „ Kunst fiitter ^ . Diese Bezeich-
nung ist indeß auch dann nicht richtig, wenn sie nur im Gegensatz zu j^Nalur-
futter^ gebraucht werden wollte, denn Naturfutter im engsten Sinne ist eigent-
lich nur das „Weidegras *^f namentlich das Weidegras der Alpen. Schon da»
Gras unserer Wiesen, die Samen und Wurzeln unserer Kulturpflanzen sind mehr
oder weniger durch menschliche Kunst oder mindestens durch menschliche Thätig
keit verändert worden ; in noch höherem Grade ist dies beim Heu und Emd der
Fall. Es ist nun gerade die Absicht des Landwirthes, mit Hülfe der Kraftfutter-
mittel ein Nährstoffverhältniß im Winterfuttcr herzustellen, welches demjenigen
im natürlichen Sommerfutter, nämlich der Alpweide möglichst nahe kommt. Die
Vortheile einer derartigen Fütterung sind kurz folgende: Die Thiere fressen
Kraftfutter — 139 — Kraftfutter
weniger Ken, weil sie die nöthige Menge Eiweiß (N h) in einem kleineren
Futterqnantom finden; der Milchertrag steigt (so z. B. stieg auf dem Gate des
Verfassers in Folge regelmäßiger Zugabe von Kraftfutter [Oelkuchen und Malz-
keime] der durchschnittliche Jahresertrag der Euh von 3000 auf 3600 bis
3648 Liter Milch), und der Dünger, der seinen Werth hauptsächlich durch die
Zersetzungsprodukte des Eiweißes erhält, wird reicher an Stickstoffverbindungen,
d. h. an düngender Kraft. Güter, welche regelmäßig Kraftfutter im Winter
verwenden, zeichnen sich bald vor anderen aus durch üppigere Wiesen und
Kulturen, sowie durch vermehrten Viehstand.
Die Erkenntniß dieser großen Vortheile hat denn auch den Kraftfuttermitteln
einen ungemein raschen Eingang in der Landwirthschaft verschafft. Im Jahre
1885 wurde an „ Kleie, Oelkuchenmehl, Yiehfuttermehl, Johannisbrod, Malzkeimen,
sowie anderweitig nicht genannten, zu Zwecken der YiehfÜtterung dienlichen Ab-
fällen" 69,129 q in die Schweiz ein- und 32,731 q ausgeführt. Mehreinfuhr
somit 36,398 q oder 364: Wagenladungen. Eine weit größere Rolle kommt den
Abföllen der Müllerei ziu Der Konsum an Getreide, welches in der Schweiz
verarbeitet wird, kann auf rund 5^000,000 q geschätzt werden. Nach Hm. Maggi
in Kemptthal geben 100 kg Weizen bei der Vermahlung durchschnittlich :
66 kg ausschließlich zur menschlichen Nahrung dienendes Mehl,
8 „ Mehl von dem ein kleinerer oder größerer Theil je nach dem Preis-
stand zur menschlichen Nahrung oder zur YiehfÜtterung benutzt wird,
4 r, ausschließliches Yiehfuttermehl,
20 n Kleien und Weizenabfalle und
2 , Manko.
100 kg.
Je nach dem Preisstande des Getreides fallen somit von 100 kg Weizen
zu Fütterungszwecken 28 bis 34 kg ab. Nimmt man als Durchschnitt bei den
gegenwärtigen Yerhältnissen 30 kg an, so würde das in der Schweiz verarbeitete
Getreide ca. 1'/« Millionen Kiloeentner oder 15^000 Wagenladungen Kraft-
futter liefern. Die Biertreber^ welche die schweizerische Brennerei liefert, wurden
auf Seite 251 d. Lexikons auf 425^000 g, im Werthe von über 1 Million Franken,
geschätzt.
Wenn das sog. Alkoholgesetz, so wie dasselbe vom Nationalrath im De-
zember 1886 festgesetzt wurde, in £j*aft tritt, so müssen in der Schweiz jährlich
ca. 30,000 hl Kartoffelsprit hergestellt werden, was die Erzeugung von ca. einer
halben Million Hektoliter Schlempe zur Folge haben wird.
Bei der Berechnung des Werthes der verschiedenen Kraftfutter muß man
drei Nährstoffgruppen auseinanderhalten, nämlich das verdauliche Eiweiß, das
verdauliche Fett und die verdaulichen Kohlehydrate oder stickstofffreien Extrakt-
Stoffe. In den Büchern über die Fütterungslehre, in landwirthschaftlichen Kalendern
und in den Preisverzeichnissen der Futtermittelhändler ist für die meisten Kraft-
futter der Gehalt an diesen drei Nährstoffgruppen angegeben.
Die Eiweißstoffe und das Fett haben einen bedeutend hohem Werth als die
stickstofffreien Extraktstoffe. Wie viel höher derselbe aber sei, darüber ist mau
in Fachkreisen noch nicht einig. Die meisten deutschen Agrikulturchemiker be-
rechnen das Werthverhältniß zwischen Eiweiß, Fett und Kohlehydrate auf Grund-
lage der faktischen Marktpreise und nach der Methode der kleinsten Quadrate
wie 5:5:1. Auf physiologische Gründe gestützt nehmen Andere ein Yerhältniß
an, wie 5 : 2Y9 : 1 und wieder Andere ein solches von 3:2:1 an. Welchen
Kraftfutter — 140 — Krapp
Einfloß diese versohiedenen Bereohnangs weisen haben, soll an folgendem Beispiel
gezeigt werden.
Nach E, Wolff enthalten 100 kg frische Biertreber 3,6 kg verdauliches
Eiweiß, 0,8 kg verdauliches Fett und 9 kg verdauliche Kohlehydrate oder stick-
stofffreie Extraktstoffe. Nach der ersten Berecbnungsweise (Verhältniß von 5:5:1)
würden wir für das Eiweiß 3,6 X 5 — 18, für das Fett 0,8 X & = 4 und für
die Kohlehydrate 9 X 1 = d» zusammen 31 Nährstoff einheilen erhalten. Nach
der zweiten Berechnungsweise (5 :2 Y2: 1) würde das Eiweiß wiederum 3,6X5=18,
das Fett 0,8 X 2 72 = 2 und die Kohlehydrate wieder 9X1 = 9 Nährstoflf-
einheiten liefern, zusammen 29 Nährstoffeinheiten. Die dritte Berechnungsweise
ergibt für das Eiweiß 3,6 X 3 = lOß, für das Fett 0,8 X 2 = 1,6 und für
die Kohlehydrate wieder .9, zusammen 21, i Nährstoffeinheiten. Kosten 100 kg
frische Biertreber Fr. 2. 80, so kommt im ersten Falle die Nährstoffeinheit auf
2. 80 : 31 = 9,1 Bp,, im zweiten Falle auf 2. 80 : 29 = 9,6 Bp. und im
dritten Falle auf 2. 80 : 21,4 == 13 Bp. Für den Landwirth wäre die dritte
Berechnungsweise die vortheilhafteste, weil dieselbe das, was er im Kraftfutter
eigentlich kaufen will, nämlich Eiweiß oder Feit und in den meisten Fällen
beides zusammen, billiger liefern würde. Der Verkäufer von eiweiß- und fett-
reichen Futtermitteln wird jedoch die erste Berechnungs weise vorziehen.
Im Allgemeinen muß der Vorzug demjenigen Kraftfuttermittel gegeben
werden, welches das verdauliche Eiweiß und das verdauliche Fett am billigsten
zur Scheune liefert. Es muß aber auch darauf geachtet werden, daß das Futter-
mittel keine schädlichen Substanzen enthält und daß es nicht in Zersetzung be-
griffen ist. Die schweizerische agrikulturchemische üntersuchungsstation kann an-
gehalten werden, nicht nur die Quantität der drei Nährstoffgruppen anzugeben,
sondern auch die Qualität des Futtermittels zu beurtheilen.
Eiweißreiche feuchte Substanzen sind bekanntlich ein außerordentlich günstiger
Nährboden für alle Zersetzungs- und Fäulnißerreger. Es ist daher rathsam, die
Kraftfuttermittel trocken zu verfüttern und diejenigen, welche ihrer Natur nach
naß sind, wie z. B. Schlempe, Biertreber, Magermilch, möglichst frisch zu
verbrauchen und sie jedenfalls sehr sorgfältig aufzubewahren. Die Klagen über
nachtheilige Folgen der Fütterung von Kraftfuttermitteln können — sofern sie
begründet sind — nur daher kommen, daß schädliche oder in Zersetzung be-
griffene Stoffe benutzt wurden. Wer sich weiter über diese vielleicht wichtigste
landwirthschaftliche Frage orientiren will, dem ist zu empfehlen: Emil Wolff,
„Landwirthschaftliche Fütterungslehre**, 4. Auflage, Berlin, Parey, 1885, und
Julius Kühn, „Die zweckmäßigste Ernährung des Rindviehes**, 9. Auflage,
Dresden 1887.
Krankenwärter, Diakonissinnen, Pflegerinnen. Laut eidg. Yolks-
zählungsstatistik von 1880 übten damals 2583 Personen diesen Beruf aus (345 m.,
2238 w.) = 2 "/oo aller erwerbsthätigen Personen. Auf die Kantone vertheilt,
ergibt sich: 570 Zürich, 295 Bern, 233 Baselstadt, 190 St. Gallen, 187 G«nf;
180 Waadt, 163 Schwyz, 118 Luzern, 92 Freiburg, 88 Aargau, 84 Neuenburg-
58 Thurgau, 57 Graubünden, 49 Appenzell A.-Rh., 48 Schaffhausen, 28 Solo,
thum, 26 Glarus, 23 Nidwaiden, 22 Baselland, 16 Uri, 13 Wallis, 13 Zug,
12 Obwalden, 11 Tessin, 7 Appenzell I.-Rh.
Krapp, Krappextrakt. Die Entdeckung des künstlichen Alizarins hat
der Verwendung der farbstoff haltigen Krapp wurzel (im Orient, im südlichen
Frankreich, in Holland u. s. w. gedeihend) ganz bedeutend Eintrag gethan,
während die Verwendung von Krappextrakt sich bis 1885 ziemlich gleich ge-
Krapp — 141 — Kredit
blieben ist. Seitdem ist aach dieses durch das künstliche Alizarin verdrängt
worden. Was jetzt an Krapp noch eingeführt wird, dient meistens zur direkten
Verwendung bei der Wollfärberei.
Einfuhr:
1853 1863 1873 1883 1884 1885
Krapp . . . . q 18,498 17,569 13,343 61 124 ?
Krappextrakt . . ^ 923 1,749 1,869 1,651 1,826 ?
In der Waarenverkehrsstatistik pro 1885 bildet Krapp keine besondere
Position mehr; Krappextrakt figurirt nebst Indigolösung nur mit 165 q ä
Fr. 186 V2 (fast alles aus den vier Nacbbarstaaten).
Ausfuhr von Krappextrakt 1883: 1285 q, 1884: 3261 q, 1885: 43 q
a Fr. 289 (24 q Deutschland, 10 q Italien, 9 q Frankreich).
Die Krapppflanze wäcbst auch wild im Wallis; kultivirt wird sie nicht.
Kredit. * (Bearbeitet von Herrn Nationalrath Dr. S. Kaiser.)
I. Allgemeine Merkmale.
Um das Wesen und die Bedeutung des Kredites zu verstehen, muß man
diesen nach zwei Richtungen betrachten : objektiv als Einrichtung oder Institution
im Verkehre der modernen Yolkswirthschaft und subjektiv als Zutrauen vom
Standpunkte der Personen oder der Individuen, welche Kredit begehren und
gewähren. Von diesen beiden Richtungen hat sich die subjektive, d. i. die des
persönlichen Zutrauens, zunächst entwickelt.
Objektiv ist der Kredit die volkswirthschaftliche Modalität oder Einrichtung,
welche bewirkt, daß Güter und Werthe aus dem Vermögen (Wirthschaft) des Einen
in das Vermögen oder die Wirthschaft des Andern übergehen, ohne daß dieser
Andere sofort Glegenwerth leistet. Der Erste hat aber den Glauben, daß der Andere
auf Verlangen zeitig genug leisten werde und könne. Wie unter der Rubrik
aKreditwirthschaff* gezeigt werden wird, ist diese Art des üeberganges die
dritte Stufe der Volkswirthschaft. Das Zeitmoment der späteren Gegenleistung
gibt dem Kredit den wesentlich objektiven Charakter und es ist dasselbe deßhalb
richtig zn erfassen. Nach Anleitung der bedeutendsten Theoretiker der Neuzeit
über den Kredit ist derselbe wie folgt zu theilen und zu erfassen :
1) Zunächst geschieht die Leistung, Gewährung und Uebertragung eines
Kapitals (ein Ausdruck, der als allgemeiner für Sachgiiter und Dienstleistungen
xu gebrauchen ist) von Dem, der es hat, resp. den Dienst leisten will und kann,
an Den, der es nicht hat, aber begehrt, oder in juristischem Sprachgebrauch:
vom Gläubiger an den Schuldner.
2) Schließlich erfolgt die Rückgabe des Kapitals oder eine entsprechende
Gegenleistung von Dem, der die Leistung erhalten, an Den, der sie gewährt hat,
— wiederum in juristischem Sprachgebrauch: vom Schuldner an den Gläubiger.
3) In der Mitte, resp. in der Zwischenzeit, liegt der Gebrauch des vom
Kreditirenden überlassenen Kapitals durch den Kreditirten oder Akkreditirten, wie
der Sprachgebrauch lautet.
* Dieser Artikel nimmt neben der eigenen Art der Behandlung auch aus dem
Grrund scheinbar viel Raum in Anspruch, weil unter der Rubrik III (Kreditanstalten)
allen in der Schweiz operirenden Kreditinstituten (Sparkassen, Leihkassen, Banken u. s. w.)
eine eingehende Besprechung gewidmet ist. Vom Gesichtspunkt des Kredites resp. des
Geschäftsbetriebes aus bat der Artikel «Bankwesen*, der als solcher mehr eine statistische
Aofiefthlung ist, eine Erweiterung erfahren. — Die Unterabtheilungen des «Kredit* sind
ebenfoUs nach Lexikonform alphabetisch eingereiht. Der Ve^t^.
Kredit; jS ^ — 142 — Kredit
In diesem Zwischenstadium liegt der Kernpunkt des Kredites, indem es
vom Gebrauclie des kreditirten Gutes oder sonstigen Werthes abhängt, ob Der,
welcher den Werth empfangen hat, denselben wieder zurückgeben oder einen
Gegenwerth leisten kann.
Durch die Zerlegung des Zeitmomentes in seine Elemente ergibt es sich,
welche wichtige RoUe die subjektive Seite des Kredites, d. i. das Zutrauen in
die Person dessen, dem kreditirt wird, spielt. Einem bekannten Sohriftsteller
entlehnt der Verfasser dieses Aufeatzes folgende Stellen in gleicher Richtung:
„Was heißt Kredit? Das Wort stammt aus dem Lateinischen, von der Wurzel
„credere", was zu deutsch j^glauben^, in angewandter Redeweise auch „vertrauen**
heißt. Was wird aber geglaubt? Das, daß Derjenige, welcher etwas zu thun
hat, dasselbe auch thun und leisten werde. Der Kredit ist daher der Glaube
des Einen an die Leistungsfähigkeit des Andern in nächster oder weiterer
Zukuntt und von Demjenigen, an dessen Leistungsfähigkeit man glaubt, sagt man,
daß er Kredit habe. Insofern kann man auch den £j*editverkehr dem Baarverkehr
gegenüber setzen. Betrachtet man nämlich die Vorgänge des menschlichen Lebens,
so begegnet man Käufen und Verkäufen von Liegenschaften und Beweglichkeiten,
bei denen das Eigenthum und auch der Besitz vom Verkäufer auf den Käufer
sofort übergeht, ohne daß dieser den Kaufpreis sofort bezahlt. Hier muß der
Kredit eintreten: Derjenige, welcher verkauft, muß glauben, daß Derjenige,
welcher kauft, den Kaufpreis später bezahlen werde. Einem Manne, von welchem
man diesen Glauben nicht hat, verkauft man nicht. Einem Manne, von dem man
nicht glaubt, daß er den Pachtzins zu Ablauf einer bestimmten Zeit bezahlen
werde, verpachtet man kein Gut. Einem Manne, von dem man nicht glaubt,
daß er für eine Dienstleistung den entsprechenden Gegenwerth bezahlen werde,
leistet man den Dienst eben nicht. Einem Manne, von dem man nicht glaubt,
daß er ein Gelddarleihen oder einen Vorschuß wiederum zurückzahlen werde,
gibt man eben kein Darleihen oder macht ihm keinen Vorschuß." Hieran an-
schließend ist zu folgern, daß, wer den Kredit als objektive Einrichtung haben
und benutzen will, sich subjektiv das Zutrauen sichern muß, daß er leistungs-
fähig sei.
IL Kreditarten.
Wollte man sklavisch dem Buchstaben folgen, so würden die „Kreditanstalten**
an die Reihe kommen, nach der Auseinandersetzung der allgemeinen Merkmale
ist es aber richtiger, von den yj Kreditarten^ zu sprechen.
Die Spezifikation weist ein langes Verzeichniß auf; das Lexikon hält nach-
stehende Ordnung als die der Sache entsprechende. Es glaubt, daß man die Arten
ordnen müsse :
nach der Person oder dem Bechtssubjekt, das Kredit beansprucht und
dem £j*edit gewährt wird —
nach dem Gebrauche, -der vom Kredit, d. i. von den kreditirten Werthen,
gemacht wird —
nach der Art, wie der Kredit, d. i. die kreditirte Gegenleistung, sicher
gestellt wird.
1) Nach der Person des Kreditnehmers wird der öffentliche Kredit von
dem Privatkredit unterschieden.
Als öffentlicher Kredit gilt derjenige, welchen der Staat und auch
die öffentlich Rechnung ablegenden Gesellschaften, Genossenschaften, Korporationen
und Anstalten in Anspruch nehmen. Ein neuerer Finanzmann (G. Cohn) macht
jedoch die Unterscheidung, daß er als öffentliche Kreditnehmer nur den Staat,
Kredit _ 143 — Kredit
die ihm untergeordneten Verwaltungcibezirke, wie Kreise und Gremeinden, und
Anstalten gelten läßt, die Ereditirung an vom Staat unabhängige Gesellaohafcen,
Genossenschaften und Korporationen in den Privatkredit verweist. Andere machen
diese Ausscheidung nicht, sprechen aber von einem öffentlichen Kredite im engern
oder weitern Sinne. Diese Frage auf der Seite gelassen, bezeichnet man es auch als
Merkmal des öffentlichen Kredites, daß Dokumente geschaffen werden, welche als
„öffentliche Werthpapiere^ gelten und meist durch die Vermittlung von Fonds-
oder Effektenbörsen, deren es auch in der Schweiz gibt (die bedeutendsten in
Zürich, Basel und Genf), gehandelt und tibertragen werden. Die Schweiz betrachtet
als zur Kategorie der öffentlichen Kreditnehmer oder Schuldner gehörig: den
Bund, die Kantone und die Gemeinden. In einigen Kantonen bestehen noch mehrere
Unterabtheilungen des staatlichen Gemeinwesens, wie Bezirke und Kreise, auch
Zusammenfassungen von Ghemeinden zu einer bestimmten Unternehmung, wie
Nationalbahn-Gremeinden, Bötzbergbahn-Gemeinden, die Gemeinden» des linken
Zttrichsee^üfers u. s. w. £s ist zunächst Sache der Gläubiger, wie und daß sie
sich in ihrer Kreditirung zurecht finden; von großem Vortheil fdr den „öffent-
lichen Kredit** ist es nicht, daß sich die staatliche Gesetzgebung auf diesem
Gebiete stumm verhält. ')
Der Bund resp. die schweizerische Eidgenossenschaft als Staat hat nur noch
einen Best von 30 Millionen ab einem Gesammtdarleihen von 35 Millionen Franken,
das im Bnndesbeschluß vom 20. Dezember 1879 seine rechtliche Existenz hat.
£b ist zur 2^it zu 4 ^/o verzinslich und wird durch beförderliche Amortisation
zorückbezahlt, wozu die üeberschüsse des jährlichen Budgets die genügenden Mittel
liefern. — Würde der ^öffentliche Kredit" allein unsere spezielle Aufgabe sein, no
würden wir auch die entweder auf dem öffentlichen Markte oder in den Händen
der Kreditoren sich befindlichen „Werthe** prüfen, mit denen die Kantone sich
einen Schuldenstand von über 250 Mill. Franken geschaffen haben. Wir würden
prüfen, und zwar geschichtlich, die Entstehung der einzelnen Anleihen jedes Kantons
und Kantonstheiles, die Verwendung der aufgenommenen Summen und endlich die
Amortisation: ob sie aus den Ueberschüssen der jährlichen Yerwaltungsrechnung
oder in sonstiger Weise bestritten werde. Bezüglich der Verwendung ist zu
bemerken, daß die Summe der Schulden seit einigen Jahren sich vermehrt hat,
indem die entlehnten Gelder zur Hauptsache auf die öffentlichen Bauten, wohin die
Eisenbahnsubveiitionen mehrerer Kantone, die Ausgaben für Straßenbauten und
Flnßkorrektionen gehören, verwendet worden sind. Ein Theil fällt besonders in
dem letzten Jahrzehnt auf die Dotation von Kantonalbanken. Wie viel von diesen
Schulden zur Vermehrung des Nationalvermögens beigetragen haben oder bei-
tragen, sei dahin gestellt. Nur so viel sei bemerkt, daß von diesem Gesichts-
punkte aus nicht alle Staatsanleihen gleich zu beurtheilen sind. Dagegen ist
rühmend hervorzuheben, daß durch alle Staatsrechnungen der Kantone das Be-
streben geht, den Staatsschulden auch den Bestand des Staatsvermögens gegen-
*) Wenn im Allgemeinen über den öffentlichen Kredit Nebenius genannt werden
kann, so sei bezüglich der Schweiz erwähnt : Kaiser, Dr., Nat.-R., „Grundsätze schweir
zerischer Politik*', deren XVI. Vorlesung das erste Mal vom öffentlichen Kredite in der
Schweiz im Zusammenhange spricht. Abweichend von der obigen Auseinandersetzung
werden die Unternehmungen für Banken, Eisenbahnen und Versicherungen in die Be-
sprechung des öffentlichen Kredites gezogen. Insbesondere werden auch die Banknoten
besprochen. — Ueber den Oemeindekredit insbesondere sei erwähnt: Meüi, Dr., .Die
Schnldexekution und der Konkurs gegen Gemeinden*. Im Auftrage des schweizerischen
Justizdepartementes hat der gleiche Verfajder einen Vorschlag ausgearbeitet, um den
Gegenstand durch ein Bandesgesetz zu ordnen.
Kredit — 144 — Kredit
Überzustellen (Gebäude, Inventarien, sonstige Vorräthe, Werthschriften u. s. w.).
Begreiflicher Weise ist es ein sehr großer unterschied, ob das erwähnte Staats-
vermögen einen jährlichen Ertrag liefert, einen guten Zweck erfüllt oder als
unproduktives betrachtet werden muß. Im Weitern brauchen die Ursachen der
Gregenüberstellung nicht erörtert zu werden: mag sie bei den Einen geschehen,
um zu zeigen, daß sie an den Grenzen des Kredites noch nicht angekommen
seien, bei den Andern, um einfach eine übliche Bilanz zu ziehen. Die sog.
Spezialfonds, oft aus Stiftungen hervorgegangen, meist aber mit einem Spezial-
zweck, sollen nicht zum Staatsvermögen gerechnet werden. Die Hauptsache bleibt
das Moment der Würdigung, daß man den Schuldenstand nicht ziellos zu ver-
mehren gedenkt. Dieses scheint besonders auch darin zu liegen, daß mehrere
Kantone noch Schulden über die konsolidirten Staatsanleihen hinaus haben; mag
man dieselben als flottante Schulden oder als Betriebspassiven bezeichnen; hie
and da bleibt zwar kein anderer Ausweg übrig, als diese trüben Wolken im
Staatshaushalt durch ein konsolidirtes Anleihen wiederum zu beseitigen.
Gerne würde auch noch Einiges über den Stand der Finanzen der schwei-
zerischen Gemeinden gesagt werden; allein aufrichtiger ist, nach dem bekannten
Satze zu gestehen: „Etwas Gewisses weiß man nicht". Wozu sollen aber Yer«
muthungen gut sein? Suche man zuerst über den Begriff einer Gemeinde und
einer Gemeindekorporation in's Reine zu kommen. Wie viel oder wie wenig
gehören Gemeiu^ekorporationen dem öffentlichen Rechte an? Stehen sie rein
auf dem Boden des Privatrechtes? Dann gehört auch ihr Kredit zum Privatkredit.
Wie dem auch sein möge, so spreche ich die Ansicht aus, daß die Schulden-
summe der Gemeinden die der Kantone übertreffe.
Der Privatkredit wird meist auch Personalkredii genannt; doch ist
dieses nicht zutreffend, indem einmal dem öffentlichen Kredit richtiger der Privat-
kredit gegenübergestellt wird, ist ja im weitern Sinne der Staat auch eine Person ;
zum zweiten wird dem persönlichen Kredit der Bealkredit gegenübergestellt,
eine Unterscheidung, die in Bezug auf den Kreditnehmer nicht richtig ist, indem
der Realkredit eine Abtheilung bei den Arten der Kreditsicherung bildet. Diese
Unterabtheilung ist allerdings sehr wichtig, indem sie bei dem Privatkredit eine
bedeutende Stellung einnimmt; allein wir halten es doch für richtiger, nach den
obigen Andeutungen zu verfahren und den Privatkredit nach den Personen, welche
den Kredit in Anspruch nehmen, zu klassifiziren. Und zwar sind diese entweder
physische oder juristische Personen, in welch' letztere Kategorien alle die nicht
zum Ressort des Staates und seiner Unterabtheilungen gehörigen Korporationen,
Gesellschaften und Genossenschaften zusammengefaßt werden, ohne Rücksicht auf
Distinktionen in einzelnen Gesetzbüchern, welche für die „juristische Person'*
genauere Definitionen kennen. Beim Kredit der physischen Personen wollen wir
nns jedoch nicht aufhalten ; deren Kreditwürdigkeit resp. das Urtheil der Leistungs-
föhigkeit untersteht durchaus Demjenigen, welcher den Kredit gewährt. Es kann
der Kreditgeber ein öffentlich rechtliches Gemeinwesen, eine juristische Person in
nnserm Sinne oder auch eine physische Person sein. Dagegen scheint es von Be-
deutung, den Kredit und die Kreditfähigkeit der juristischen Person zu benrtheilen,
indem diese th^^ilweise selbst eine Schöpfung des Kredites ist. Auch die Dokumente
(Papiere), welche über dieselben und von denselben im Verkehre bestehen, sind
Schöpfungen des Kredites und werden von demselben gehalten oder fallen gelassen.
Jeder Leser erfaßt sofort, daß nicht die Gesellschaften und Genossenschaften mit
solidarischen physischen Theilhabern, sondern jene Zusammenfassungen, welche
auf dem Aktienprineip beruhen und bei denen wir nicht mit physischen Personen,
Kredit — 145 — IKredil
sondern mit Vermögensantheilen zu tbun haben, gemeint sind. In der Sch%veiz
t«ind die Greselischaften und Grenossenschaften, ob sie Kredit beanspruchen oder
nicht, in das gesetzlich vorgeschriebene (O.-R. § 859 ff.) Handelsregister ein-
zutragen. Letzteres bildet von diesem Ghdsichtspunkte aus ein Yerzeichniß der
kreditfähigen Privatpersonen, um so mehr, da diese das Recht zur Eintragung
auch haben. Die Aktiengesellschaften haben die Verpflichtung auch, sich in das
Register eintragen zu lassen; allein die von ihnen geschaffenen Ereditdokumente
sind doch theilweise andere, jedenfalls zahlreicher als die der andern juristischen
Personen. Nach der gegenwärtig gültigen schweizerischen Gresetzgebung, welche
die des Obligationen rechtes ist, das auf 1. Januar 1883 in Kraft getreten, kann
fast für jede zivilrechtlich erlaubte Unternehmung eine Aktiengesellschaft gegründet
werden : von der bescheidenen Weidenkorbflechterei an und dem Besitze eine«
Tempels oder Weinberges bis zum großartigen Betriebe einer Eisenbahngesellschaft,
Bank oder Versicherungsgesellschaft.
Selbst an der Hand des Handelsamtsblattes mit Angabe der Firmen durfte es
schwierig sein, alle in der Schweiz bestehenden Aktiengesellschaften mit Angabe
des Gesellschaftskapitales zusammenzustellen. ^) Die Aktiengesellschaft ist gar oft
die Geschäfts/brm, nach der aus verschiedenen Rücksichten eine Unternehmung
betrieben oder irgend ein Geschäftskapital einem bestimmten Kreise von Personen
oder einer Verwaltung zur Verfügung gestellt wird, selbst nach dem Satze:
„Date oboium Belisario**. Die Leistungsfähigkeit einer einzelnen solchen Gesell-
Schaft ist in der Regel keine sehr große ; doch würde in der Volk« wirf hschaft der
Schweiz eine sehr große Lücke entstehen, wenn alle diese Gesellschaften von der
Bildfläche verschwinden würden. Die sehr zahlreichen Gesellschaften produziren
viel und beschäftigen eine sehr große Zahl von Arbeitern. Die große Leistungs-
fähigkeit, aber auch die Summe des Kapitales zur Richtschnur genommen, treten
in den Vordergrund die Aktiengesellschaften für Bankgeschäfte, Eisenbahnen und
Versicherungen. Alle Aktiengesellschaften, aber besonders die für die erwähnten
drei Zwecke, haben den Kredit nach zwei Rubriken beansprucht und haben
Kreditdokumente in Zirkulation. Dieselben sind Gründiinf/sdokumente der Ge-
sellschaft, gewöhnlich Antheihcheine oder Aktien bezeichnet, deren verschiedene
Berechtigungen als Stamm- und Prioritätsaktien hierorts jedoch nicht zu erörtern
sind, und Schulddokumente,
Die Antheilscheine begründen die Existenz der juristischen Person oder die
Gesellschaft. Nach den Znsammenstellungen auf Seite 24 und 25 dieses Lexikons
zur Rubrik „Aktiengesellschaften'' bestehen für über 973 Millionen Antheilscheine,
auf denen vielleicht einige Millionen noch nicht einbezahlt sein dürften. Es darf
angenommen werden, daß hievon weitaus der größte Theil in den Händen von
in der Schweiz wohnenden Eigenthümern sich beflndet. Die Zahl der verschieden-
artigen Bank- (218), Eisenbahn- (29) und Versicherungs- (16) Gesellschaften
wird auf 263 und die der von ihnen zusammengeschossenen Millionen auf 743
Millionen Franken (also 3 Viertiieile des gesammten Aktienkapitales) angegeben.
Wie viele Schulddokumente oder in der Zukunft zu erfüllende, somit auf dem Kredite
beruhende Zahlnngsversprechungen obige 1135 Gesellschaften in die Hände von
Gläubigem gegeben haben, kann nicht angegeben und höchstens vermnthet werden.
Sie betragen jedenfalls das Vielfache (3, 4 ?) des Aktienkapitales. Mit dieser
*) S. indessen „ Aktiengesellschaften", Seite 23 d. Lexikons; es sind nicht weniger
als (lir 104 Arten von Geschäflsuntemehmungen Gesellschaften zusammengestellt ; die
Zahl aUer zusammen wird auf 1135 angegeben.
fnirer VolkBwfrth«chart8-L<*xlkoii der Schweiz. \Q
Kredit — 146 — Kredit
Summe ist jedoch das Granze der zu erfüllenden Verbindlichkeiten nicht erschöpft.
Denn fast jede der 1135 G^ellschaften hat noch in andern Formen als auf dem
Wege des förmlichen Schulddokumentes den Kredit in Anspruch genommen,
z. B. auf dem Wege der laufenden Rechnung u. s. w., was Alles unter der
Bezeichnung ^ Buchkredit ** zusammengefaßt werden kann, lieber die H5he der
Summe wäre es vergeblich, auch nur eine Yermuthung haben zu wollen; doch
glauben wir, daß sie nur einen Bruchtheil des Aktienkapitales betrage. Alles
zusammengefaßt: Antheilscheine, Schulddokumente oder Obligationen und andere
Yerbindlichkeiten, begegnet man Milliarden von Franken, was gewiß als eine
sehr große Ausgestaltung des Ejreditgebäudes angesehen werden muß. Ist die
Bedachung dieses Grebäudes auch solid und hart und nicht etwa von Grlas?
Kitzlige Frage!
2) Nach dem Gebrauch, welcher von dem Kredit gemacht wird, wird der
Produktions- und der Konsumtionskredit, auch Produktiv- oder Konsumtivkredit
genannt, unterschieden. Die Unterscheidung wird durch den Zweck der Verwendung
der durch den Kredit erlangten Güter seitens des Schuldners bedingt.
Der Produktivkredit verwendet die erlangten Güter zur Produktion
von weitem und mehr Gütern, die so zahlreich sind und wenigstens so viele
Werthe bieten sollen, daß die durch den Kredit erhaltenen Güter wieder ersetzt
werden. Nach der Art der Verwendung unterscheidet man wiederum den Unter-
nehmungs- und den Vermögens- oder Besitzkredit.
Der Haupttheil füllt auf den Unternehmutigskredit, Derselbe kann Alles
verlangen, was zu einer Produktion gehört: Natur, Kapital und Arbeit.
Nicht eigentlich ein Produktions- oder Produktivkredit ist der oben erwähnte
Vermöfjfenskreditj sofern er eigentlich das Gegentheil vom Konsumtionskredit ist.
Mit dem Kredit sollen nämlich YermögensstUcke erworben werden, damit sie
später dem Eigenthümer eine Einnahmsquelle bilden. Solche Vermögensstücke
können Immobilien und Titel (auch auf der Börse zu erwerbende), auch Beweg-
lichkeiten sein. Ganz besonders wird hieher der Kredit gerechnet, der zu Ver-
mögensauseinandersetzungen (Erbschaften) nothwendig ist.
Der Produktion entgegengesetzt ist die Konsumtion. Konsumirt wird, was
zur Befriedigung der Bedürfnisse eines Menschen nothwendig ist — gewiß ein
sehr elastischer Begriff, der von einem bedeutenden volkswirthschaftHchen Schrift-
steller in das Wort „Lebsucht*' kondensirt worden ist; ein sehr unpoetischer
Ausdruck für den Kampf um's Dasein. Durch den Konsumtionskredit
werden die Mittel zum Leben erworben, für welche die Gegen werthe selber
erst noch geschaffen werden müssen. Viele beurtheilen diese Art Kredit sehr
ungünstig, allein mit Unrecht, indem es doch nur wenige Unterarten sind, die
mißfällig beurtheilt werden müssen. Zunächst ist nicht zu verurtheilen der re-
produktive Kredit (^suspensiv wäre das richtige Wort), d. h. derjenige, welcher
die Lebensmittel schafft, welche während der 2jeit nothwendig sind, die an einer
Produktion, d. h. an der Produktion von Werthen gearbeitet wird. Diese Art
Kredit ist es, welchen meist die Arbeiter und Arbeiterfamilien, die auf bestimmte
2^hltage angewiesen sind, benutzen. Allerdings wäre es besser, daß für die
Zwischenzeit über angesammelte Vorräthe verfügt werden könnte. Allein der
Ursachen sind viele, daß dem nicht immer so ist. Nicht auf einer tiefem Stufe
steht der Konsumtionskredit, welchem die Mittel zur Gegenleistung erst später
verfügbar werden, z. B. wenn Renten, Zinse, Lehenzinse, Erbschaften erst später,
d. i. nach dem Gebrauch der Lebensmittel verfallen, wozu nicht nur die Nahrungs-
mittel, sondern auch die Wohnung (Miethzinse) und Kleidung einzubeziehen sind.
Kredit — 147 — Kredit
Mit der gleichen Untersoheidung müssen auch die Darleihen oder Yorsohüsse
beartheilt werden, die ein EreditbedUrfdger bei einer Bank erhebt oder bei
einem Privatmann kontrahirt, um dem Lieferanten von Lebensmitteln (Elrämer,
Tnchhandler, Arbeitsmann, Yermiether) nichts schuldig zu bleiben. Nicht alle
Darleihen oder Vorschüsse werden aber in der gleichen löblichen Absicht erhoben,
und nun wird man auf eine Seite des Konsumtionskredites getrieben, die ein
minder günstiges XJrtheil verdient, indem der Kredit, d. i. die eine Leistung,
in Anspruch genommen wird, ohne den Willen oder das sichernde Bewußtsein,
die Gregenleistung vollführen zu können, in welchen Fällen dann der Kredit
Gewährende, resp. der Kreditor darauf angewiesen ist, vom Ejreditreoht Gebranch
zu machen, resp. die G^enleistung staatlich zu erzwingen.
3) Im Kreditverkehre werden auch Unterscheidungen nach der Art gemacht,
nach welcher die Gegenleistung als eine sichere festgestellt wird. Dieses geschieht
in den weitaus meisten Fällen, in denen eine Sicherung stattfindet, dadurch,
daß Pfand bestellt wird. Es ist also Realsicherheit gegeben und deßhalb spricht
man von einem Bealkredit, welchem der Personalkredit gegenüber gestellt
wird, d. i. die Person des Schuldners, zu dem man ohne Weiteres das Zutrauen
hat, daß er die Gegenleistung erfüllen werde. Der Realkredit selber läßt sich
wiederum und zwar je nach der Art der Pfänder, welche vom Kreditnehmer
dem Kreditgeber dargegeben werden, in einen zweifachen unterscheiden: in den
Liegenschaften' (Hypothekar-, Unterpfand-, Bnchpfand-) Kredit und in den Faust-
pfandkrediL £s sollen hier keine Rechtserörterungen eingeschoben, dagegen auf-
merksam gemacht werden, daß die Pfandbestellung an gewisse zivilrechtliche
Formen geknüpft ist. Ferner muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß es
wünschbar ist, zu wissen, in welchem Augenblick auf das Pfand gegriffen werden
kann : ob erst subsidiär, nachdem der Schuldner zur Erfüllung seiner Verpflichtung
aufgefordert worden ist, oder mit Umgehung des Schuldners schon beim Eintreten
einer bestimmten Verfallzeit. Dieses ist auch sehr wichtig zu wissen, um zu
beurtheilen, ob jeweilen eine Kreditnoth des Grundbesitzes, resp. Ueberschuldung
oder solche des Grundbesitzers vorhanden ist. Diese Unterscheidung ist nicht
gleichgültig, und man muß sehr oft zur Ansicht kommen, daß mit der Dargabe
von Reabicherheiten Mißbrauch getrieben wird. Es liegt in derselben gar oft
eine Ueberanstrengung des persönlichen Kredites eines Kreditnehmers.
Der Personalkredit hat zwei Merkmale: ein negatives, es ist eben keine
Realsicherheit gegeben worden, und ein positives. Man traut dem Kreditnehmer
Erfüllung der Gegenleistung zu, entweder, weil man weiß, daß derselbe die
materiellen Mittel (Vermögen, Einkommen) zur Erfüllung der Verpflichtungen
besitzt oder daß die Eigenschaften für die Erfüllung Gewähr bieten. Als Person
gilt Jedermann und kann daher perflönlichen Kredit in Anspruch nehmen, wer
nach den Gesetzen das Recht hat, eine Person zu sein : ein menschliches Indi-
viduum (physische Person^ oder eine moralische Person. Deßhalb ist oben davor
gewarnt worden, dem öffentlichen Kredit den Personalkredit gegenüber zu stellen.
Der Staat und andere Gemeinwesen, die oben bei dem öffentlichen Kredit ge-
nannt worden sind, gehören ebenfalls zu den Personen und sie können ebenfalls
in die Unterscheidung von Personal- und Realkredit hineinfallen. Wenn Peru
oder Chili zur Sicherung ihrer Schulden Guano verschreiben, so machen sie vom
Realkredit Gebrauch; wenn der Sultan gewisse Einnahmen zur Sicherung von
Anleihen verschreibt: wie Zolleinnahmen, Provinzialtribute, den Ertrag gewisser
Steuern, so thut er das Gleiche. In der Schweiz und bei andern zivilisirten
Staaten des alten und des neuen Welttheiles geschieht es heutzuta^«^ «^\X.^ii^ \<^^
Kredit — 148 — Kredit
Realsicberheiten verschrieben werden; es gehört dieses auch zur Entwicklung
des öffentlichen Kredites in der Neuzeit.
Eine besondere Art des Personalkredites ist der Bürgschaftskredit, Eine
Person, welche den Kredit in Anspruch nehmen will, gibt zur Sicherung der
Erfüllung der künftigen Leistung, resp. der Rückzahlung einer Schuld, keine
Pfänder dar, wohl aber eine Person^ welche die Erfüllung der Verpflichtung
für den Fall übernimmt, daß sie vom eigentlichen Pflichtigen nicht erfüllt werden
sollte. Und zwar kommt solche Bürgschaft sowohl auf dem Gebiete des öffent-
lichen als des privaten Kredites vor. Im öffentlichen Kredite ist es vorgekommen,
daß Anleihen der Türkei, Griechenlands, Egypt^ns — vielleicht auch andere —
von den Großmächten oder nur von einer derselben garantirt werden. Beim
privaten Verkehr ist der Vorfall ein tagtäglicher, daß sich ein Privatmann für
einen andern als Bürge verpflichtet. In einigen Staaten, auch in einigen Kantinen
der Schweiz, ist der BUrgschaftskredit sehr entwickelt, ja die Bürgschaften sind
so au8gedehnt, daß ihre Ausdehnung in vielen Kantonen als Krankheit erscheint.
Es wird gegen diese Krankheit selbst zu Felde gezogen; man bedenkt aber viel-
leicht doch zu wenig, daß mit dem Bürgschaftskredit der persönliche Kredit in
einzelnen Kreisen der Gesellschaft, z. B. bei Beamten und Arbeiten, ganz weg-
fallt. Die Abwehr des Bürgschaftskredites hat viele Aehnliohkeit mit der Fabel,
in der der Bär dem Einsiedler die Fliege auf dem Schädel, aber auch diesen
selber zerschlägt. Denn es kann nicht als Regel betrachtet werden, daß allen
Personen, welche den Kredit in Anspruch nehmen, derselbe gewährt wird, ohne
daß sie in irgend einer Art Sicherheit bestellen. Die Art, Kredit zu gewähren,
ohne daß dieses geschieht, nennt man auch Blankokredit. — Vergesse man aber
ja nicht im Gedächtniß zu behalten, daß der Blankokredit in die Kategorie ge-
hört, welche den Kredit nach der Art der Sicherheit klassifizirt.
Nicht nach dei Sicherheit, wohl aber nach der Dokumentirum/ des Kredites,
d. i. der zukünftigen Leistung, wird der Kredit unterschieden, welcher in irgend
einer öffentlichen Urkunde repräsentirt ist und derjenige, welcher es nicht ist
und dessen Existenz nur in einem Buche bescheinigt ist. Von jenen Urkunden
ist auf dem Gebiete des privaten Kredites neben der Realsicherheitsurkunde die
der Wechsel die üblichste Form. Mau unterscheidet deßhalb in den kommerziellen
Kreisen sehr begreiflicher Weise : den Wechselkredit und den Buchkredit.
Darüber, was ein Wechsel und ein kaufmännisches Buch ist, ist hier der Ort nicht,
sich auszulassen, um so weniger, da bei den Kreditdokumenten noch einmal vom
Wechsel gesprochen werden muß. Dagegen ist noch aufmerksam zu machen, daß die
beiden Formen des Wechsel- und des Buchkredites mit der Unterscheidung des
Kredites : desjenigen auf eine bestimmte Zeit und desjenigen auf unbestimmte Zeit,
zusammenfallt. Das will sagen: Die Zeit, auf welche die Gegenleistung vollzogen
werden muß,' ist entweder bestimmt oder unbestimmt. Die Wechsel pflegen auf
eine bestimmte Verfallzeit zu lauten und beim Buchkredit ist es meist dem Ver-
pflichteten überlassen, wann er die Gegenleistung erfüllen will. Deßhalb wird
vielfach auch der Wechsel- und der Buchkredit mit der Unterscheidung lang^
sichii(/er und kurzsichtiger Kredit in Verbindung gebracht, was aber nicht ganz
zutreffend ist, indem Wechsel auch langsichtig sein und anderseits Buchschuldner
keinen langsichtigen Kredit beanspruchen müssen, indem sie ihre Schulden in
kurzer Zeit bezahlen können. Die Unterscheidung von langsichtig und kurzsichtig
ist übrigens keine solche, welche theoretisch von Bedeutung ist; dagegen fällt
sie vom Standpunkt von Solchen, welche den Kredit in Anspruch zu nehmen
Kredit — 149 — Kredit
pflegen, u. A. für Banken und Kaufleute, abo vom praktischen Standpunkt aus
praktisch in^s Gre wicht.
m. Kreditanstalten.
Unter Kreditanstalten werden nach der Bedeutung des Kredites nicht etwa
bloß diejenigen Banken verstanden, welche in der Schweiz etwa diesen Namen
führen und ihren Sitz in Zürich, Aarau, Luzern, St. Grallen u. s. w. haben,
sondern jene Anstalten im Allgemeinen, welche in die Organisation des Kredites
eingreifen und zum Zwecke haben, die Aufgabe des Kredites zu übernehmen und
die Erfüllung der aufgeschobenen Gegenleistung für die Verpflichteten zu er-
leichtem, resp. sie selber auszuführen. Die Zahl dieser Anstalten ist in der
Schweiz eine sehr große ; dieselben greifen aber in sehr verschiedener Weise ein.
Es soll hienach eine Aufzählung nach Arten erfolgen, indem für die Aufzählung
im Einzelnen keine Yollständigkeit übernommen werden und man überdies be-
züglich der Leistungsfähigkeit und der wirklichen Leistungen in Wiederholungen
verfallen könnte. Merkwürdiger Weise scheinen nun die Arten vom Kriterium
abhängig, wie dieselben mit Geld und eigenem Kredite ausgerüstet sind, um
damit sich, zeitweise wenigstens, dem Kredit der Andern, für welche sie ein-
treten, zu substituiren. Man ist mit Rücksicht eben auf die Kreditanstalten
versucht, zu sagen, daß Derjenige über vielen Kredit gebieten kann, welcher
viel Geld hat. Erwähnte Arten sind, in logischer Aufeinanderfolge und ohne
genau an den Worten zu hangen:
a. Die Ersparnißkassen oder, wie sie im gegenwärtigen Lexikon heißen:
„Sparkassen*", und worüber die Details auch beim betreifenden Worte nachgesehen
werden können, nehmen eine beschränkte Stellung in der Organisation des Kredites
ein. Ihre Stellung ist zu einem Theile beim öffentlichen Kredit, aber mehr als
Besitzer einzelner Titel, denn als Uebernehmer eines ganzen Anleihens, und zum
andern Theil beim persönlichen Kredit, Abtheilung Realkredit, indem sie den
weitans größten Theil des von Einlagen herrührenden Geldes auf Hypothekar-
darleihen verwenden. Da die Anlagen in einem bestimmten Yerhältniß zur
Erwerbssumme oder zur (meist) amtlichen (Kataster-) Schätzung stehen, so mag
die Aeußemng am Platze sein, daß die Ersparnißkassen dem Besitzer oder
Erwerber von Liegenschaften einen Theil des Kaufpreises vorschießen, der Art,
daß der Erwerber den dem Verkäufer in naher oder weiter Zukunft zu zahlenden
Kaofpreis der Ersparnißkasse schuldet, welche meist damit zufrieden ist, daß der
Schuldner oder Kreditnehmer ihr den Jahr für Jahr verfallenden Zins bezahle.
In Folge der beschränkten Anlage ist es auch fraglich, ob die Ersparnißkassen
dem Sredit, welchen die Landwirthschaft, resp. die Grundbesitzer zum Betriebe
bedürfen, einen großen Dienst leisten. Ohne Kritik üben zu wollen, darf doch
gesagt werden, daß die Organisation der Ersparnißkassen und der Kredit der
Landwirthschaft nicht im richtigen Zusammenhang zu stehen scheinen. Für die
Organiflation des Landwirthschaftskredites nach Gemeinden, Bezirken u. s. w.
(Reiffeisen'sche Banken u. dgl.) ist noch ein weiter Spielraum.
Nur der Yollständigkeit wegen sei erwähnt, daß mit den schweizerischen
Ersparnißkassen die im Mittelalter entstandenen ausländischen Geld- und GrirO'
banken insofern eine kleine Aehnlichkeit hatten, als sie auch Gelder zur Auf-
bewahrung und in Hinterlage annahmen. Ihr Geschäftsbetrieb ist zwar ein anderer
und auch ihre Dienstleistung als Kreditanstalt eine andere gewesen. Die hinter-
leg^ten Gelder gehörten zwar ihrem Einleger, welcher sie aber einer andern
Person, mit der er im Verkehre stand und welche auch eine Einlage bei der
Bank hatte, gut- oder umschreiben lassen konnte. Daß dieselben Banken oav-^^l
Kredit — 150 — Kredit
den Münzwecbsel und den Edelmetallhandel betrieben haben, war nicht gerade
ein Kreditgeschäft;. Ihr größtes Verdienst ist die Aufbewahmng des Geldes in
nnversehrtem Znstande gewesen, womit sie eine gnte Metallwähmng erhalten
haben, unseres Wissens haben derartige Anstalten in Venedig, Grenna, Amster-
dam, Hambnrg, Nürnberg bestanden. In der Schweig bestehen keine mehr, wenn
auch einige der alten Anstalten große Aehnlichkeit hatten. Ihre Aufgaben
werden von den Kreditbanken erfüllt.
b. Die Spar- and Leihkassen, deren es in der Schweiz mit diesem
oder einem andern Namen sehr viele hat, unterscheiden sich von den Erspar n iß-
kassen dadurch, daß sie selber als Elreditnehmer auftreten und gegen ihre eigenen
Schuldtitel Grelder aufnehmea, resp. solche suchen. Sie versehen den Dienst von
Erspamißkassen auch, beschränken sich aber nicht auf die daherigen Verrichtungen,
indem sie Gelder annehmen, wann sie ihnen zugetragen werden, sondern sie
gehen einen Schritt weiter und treten selber als Geldaufnehmer oder Entlehner
auf, je nachdem bei ihnen Nachfrage nach Geld oder Geldbegehren bestehen.
Die Erspamißkassen leihen gerade so viel Geld aus, als ihnen ohne ihr Zuthun
angetragen oder anvertraut wird, und sie bekttmmem sich um die Geldbegehren
nur insofern, als sie Gelder haben und Anlagen zu machen suchen müssen. Die
Leihkasse, welche nach Maßgabe der gestellten Geldbegehren handeln muß, darf
in einer solchen Passivität nicht bleiben.
Sie muß selber Gelder suchen und aufnehmen, auch wenn sie nicht gerade
Sparkassagelder im eigentlichen Sinne des Wortes sind. Das Richtigste wäre, wenn
die Leihkasse selber eigene Gelder, mit denen sie Geschäfte machen will, zur
Verfügung hätte. Dieses geschieht theilweise, und zwar geschieht es meist nach
dem Aktienprinzip. Dann weichen der Form nach die Leihka^sen nicht sehr viel
von den eigentlichen Banken ab. Theilweise geschieht es auch, daß gewisse
Garantien mit kleinem Einzahlungen geschaffen werden, sei es von Seite eigener
Garantiegesellschaften, sei es auch von Seite von Gemeinden oder Korporationen.
Begreiflicher Weise haften die Garanten dann in der Regel auch für die eigent-
lichen Sparkassengelder. Die Stellung der Kassen auf dem Gebiete des Kredites
ist gegenüber den Banken, die meist eine ausgedehntere Wirksamkeit haben, eine
beschränkte, indem sie gewöhnlich auf einige Gemeinden, z. B. auf eine Pfiarr-
gemeinde, auf einen Wahlkreis beschränkt sind. Auch geschäftlich pflegt der
Wirkungskreis nicht groß zu sein. Sie beschränken sich auf die Annahme von
Depositen- und Obligationsgeldem einerseits, auf die Gewährung von Vorschüssen
andrerseits. Der Geschäftskreis der hypothekarischen Anlagen wird von den
Leihkassen nur ausnahmsweise kultivirt, während derselbe gerade von den eigent-
lichen Erspamißkassen ein bevorzugter ist. Zeitweise besteht bei den Verwaltungen
der Kassen die Tendenz, hypothekarische Anlagen zu machen ; solche Verwaltungen
und Kassen legen dann im Verhältniß zu ihren eigenen Mitteln gerne zu viel
langfristig an. Wollen und Können stehen dann nicht in richtigem VerhäUnlß.
C. Die Banken, auch die in der Schweiz arbeitenden, müssen von einem
doppelten Gesichtspunkte aus betrachtet werden: von dem ihrer Konstitution als
juristische Personen nebst der Bildung eines eigenen Kapitales und von dem
ihrer Geschäftsoperationen auf dem Gebiete des Kredites. Die Namen der An-
stalten : ob Bank, ob Kreditbank, ob Bank- oder Kreditanstalt, ob Hypothekar-
kasHC, Credit foncier, Bodenkreditanstalt u. s. w., thun nichts zur Sache. Nach
<ler Entstehung ist das Aktieuprinzip vorherrschend und es geschieht auch da, wo
bestimmte berechtigte Faktoren mitwirken, wie bei der Banqne de Geneve, Caisse
hypothecaire de Geneve, Aargauische Bank, daß die Eigenthumsberechtignng durch
Kredit — 151 — Kredit
eine bestimmte Anzahl Aktien ausgedrückt bt. Neben dem Aktienprinzip tritt
in der Schweiz das der Dotation durch den Staat resp. Kanton in den Vorder-
grund, da die Eidgenossenschaft als solche keine Bank zu eigen hat. Nach der
Konstituirung bestehen zwischen den auf Aktien gegründeten Banken und den
Elantonalbanken wenig Verschiedenheiten; wohl die wesentlichste ist, daß räumlich
die Kantonalbanken auf einen betreffenden Kanton beschränkt sind, während dieses
bei jenen nicht der Fall ist; auch sind die Aktienbanken meist auch in der
übrigen Gesohäftsgebahrung viel freier. In der Bildung des über die Aktien und
die Dotation hinausgehenden Betriebskapitales handeln die Aktien- und die
Kantonalbanken ziemlich in gleicher Weise. Besonders in den Zeiten der Greld-
knappheit werden vielerlei Fühlhörner ausgestreckt, um die in irgend einem
Teiche (Greldtruhe) schwimmenden Karpfen zu fischen: Depositenscheine, Cheque-
büchlein, SparbUchlein (Gamets), Kassascheine, Obligationen, Anleihenstitel, selbst
BiUets a ordre und au porteur, Eigenwechsel u. s. w. In Bezug auf die Auf-
nahme von Geldern, womit die Ausgabe wiederum verbunden ist, muß nach
schweizerischer Gesetzgebung unterschieden werden, ob die Banken Noten (Bank-
noten genannt) ausgeben oder nicht. Die erstem werden Emissionsbanken genannt.
Die allgemeine Bezeichnung ist schweizerische Banken oder vielmehr Banken in
der Schweiz. Mit dem speziellen Beisatz „ Emissionsbank ** bei einer Bank wird
gesagt, daß sie Noten ausgibt. Da über diese Art Banken ein eigener Artikel
im Lexikon erschienen ist, so hoII nur noch gesagt werden, daß das Emissions -
recht neben den Depositen u. s. w. zur Vermehrung der Betriebsmittel dient,
daß aber durch die Noten die Banken in hervorstechender und besonderer Weise
selber Ejreditnehmer werden. Ueberhaupt der Umstand, daß die Emissionsbanken
durch die Noten und noch in anderer Weise durch ihre Geldaufnahmen, sowie
auch die andern Banken, den Kredit beanspruchen, macht die ganze Frage, in-
wiefern die fijreditanstalten der Schweiz das Kreditwesen fördern, zu eiuer recht
schwierigen. Wenn man auch sonst versucht wäre, den ganzen Eintheilangsgrund
▼om Moment und der Art und Weise abhängig zu machen, wann und wie die
Banken als Kreditträger für Andere eintreten, so kommt man in's Stocken,
sobald man sieht, daß die Rolle als Kreditvermittler von den Banken in eigen-
thümlicber Weise aufgefaßt wird und Kredit für die eigenen Bedürfnisse und
cum eigenen Interesse benutzen und gebrauchen. Deßhalb muß auf eine dem
£jredit angemessene Eintheilung verzichtet und der Charakter des Geschäfts-
betriebes (s. pag. 564) zu Grund gelegt werden, was für die Berather und Leser
dieses Lexikons größere Einfachheit und üebcreinstimmung im Gefolge hat.
Immerhin aber dürfen sie nicht vergessen, daß neben den Banknoten emittirenden
Kategorien von Banken wohl eine gleich große Zahl von Banken das gleiche
Geschäft betreiben, ohne Noten zu emittiren. Dieselben sind dann für ihre
Geschäftsgebahrung nur von ihrer Willensentschließung (Statuten) und vom
Gesetz nur so weil abhängig, wie es Aktiengesellschaften u s. w. auch Hind.
1) Die Diskontobanken übernehmen gegen eine entsprechende Vergütung
die eine Gregenleistung versprechenden Dokumente (Wechsel) und leisten den
Gegenwerth unter Vorbehalten, welche eben das Wechselrecht vorsieht, sofort.
Meist betreiben sie auch noch das Depositengeschäft. Die Zahl der Anstalten,
welche den Namen Diskontobankeu führen und in ihrer Kreditertheilung auf den
Diskonto von Wechseln sich beschränken, ist zwar nicht sehr groß; dagegen ist
zu bemerken, daß der Diskonto auch von den andern Banken, außerdem fast
von allen Leihkassen, selbst von einigen Sparkassen, geübt wird, von den vielen
Privat- Bankgeschäften, welche den Diskonto auch betreiben, nicht einmal zvi
Kredit — 152 — Kredit
sprechen. Die Diskontirang ist in der Schweiz in starkem Maße koltivirt, was
den niedrigen Zinssatz im Diskontogeschäft in sehr großem Maße motivirt, ab-
gesehen von dem Mißstand, welcher von Einigen auch als verfehlte Diskonto-
politik bezeichnet wird.
2) Die Ilandelsbankefi, auch G-ewerbebauken genannt, arbeiten vorwiegend
für die Produktion und den Handel. Sie geben hauptsächlich solchen Geschäften
Kredit, welche mit umlaufendem Kapital arbeiten und kurzfristigen Kredit
brauchen können. Nach Wagner (in Schönberg^s „Handbuch der politischen Oeko-
nomie^), dem das Lexikon bei der Rubrik „Handelsbanken** gefolgt ist, vermitteln
diese die ununterbrochene Fortsetzung des Geschäftes oder des Produktionsprozesses
in dem Falle, in dem der Geschäftsmann auf £[redit fertige Waare verkauft hat
und den kreditirten Kaufpreis sofort iu Geld wieder verfügbar zu machen wünscht.
Dazu dient zunächst, wie wir bereits gesehen haben, das Wechseldiskontogeschäft.
Ferner geben diese Banken Lombardkredit auf noch unverkaufte fertige Produkte
und ermöglichen so eine Anticipation des Erlöses beim spätem Verkauf und auf
diese Weise eine ununterbrochene Fortdauer der Produktion oder G^schäfrsthätigkeit.
Auch betreibeu sie mit ihren Kunden, oft sogar in sehr starkem Maße, das (aktive)
Konto-Korrent-Geschäft, was eigentlich eine, und zwar die umfassendste, Art
des Buchkredites ist. Kesümiren wir, so betreiben die Handelsbanken das Diskonto-,
neben dem eigentlichen Lombard- noch ein ausgedehntes Vorschußgeschäft, ferner
das Konto- Korrent- Debitorengeschäft. Noch weniger als die Diskontogeschäfte
bleiben sie von dem Depositengeschäft ferne; was oben von den „Fühlhörnern**
zum Geldangeln gesagt worden ist, findet zum großen Theil hier seine Anwendung.
Die Zahl der Handelsbanken in der Schweiz ist eine sehr große: neben den
7 Emissionshanken, welche das Lexikon oben erwähnt, können noch wenigstens
30 Banken aufgeführt werden (mit dem einfachen Ausdruck „Bank**, „Handels-
bank**, „Kreditbank**, « Leihbank **); auch alle Kreditanstalten, auch die, welche
unten besonders aufgeführt werden, gehören hieher; ferner gehört eine große
Zahl „Leibkassen** zum Geschäftskreise der Handelsbanken. — Wer bei den
„Handelsbanken"* auf dem Gebiete des Kredites einen größern Nutzen hat: die
Banken oder das produzircnde und handelnde Publikum, soll ein ungelöstes
Fragezeichen bleiben.
3) Sehr gerne werden im Wortgebrauche den Handelsbanken die „ Hypothekar-
banken^ entgegengesetzt. Dieselben pflegen den Grundeigenthümern langfristige
Anleihen zu gewähren; neben den 8 bei den Emissionsbanken aufgeführten An-
stalten können noch 20 andere genannt werden, welche auf diesem Geschäfts-
gebiete thätig sind, ferner die Banken, welche unten als solche mit gemischtem
Geschäftskreise werden erwähnt werden. Daß die Ersparnißkassen im Realkredit
eine bedeutende Stellung einnehmen, ist oben gezeigt worden. Die Bedeutung
derselben, sowie der Hypothekarkassen oder -Banken für das Grundeigenthum
darf nicht unterschätzt werden. Wenn deßhalb auch von der Kreditnoth des
Grundeigeiithums hie und da gesprochen wird, so muß gefragt werden, wie viel
davon auf die persönlichen Bedürfnisse des Grundeigenthümers fallen. Eine wohl
begründete Klage scheint darin zu liegen, daß der für die Kreditgewährung
geforderte Zins mit der Rentabilität des Grundbesitzes nicht im Einklang steht.
4) Unter dem Ausdruck j^Banken mit gemischtem Geschäftsbetrieb^ werden
diejenigen Kreditanstalten zusammengefaßt, welche den kurzsichtigen G^werbe-
kredit mit seinen verschiedenen Formen (Diskonto, Vorschuß, inkl. Lombardirung,
Konto Korrent-Debitoren) und den langsiohtigen Hypothekarkredit gewähren. Zum
letztern würde eigentlich das Werthschriftengeschäft (Fonds publics, Valoren) im
Kredit — 153 — Kredit
richtigsten Zasammenhang steheD. Allein vom Standpunkt des Kaufes und Verkaufes,
in der Weise, daß die Titel jeweilen nur kürzere Zeit auf der Bilanz lasten, wird
sehr oft dieser Greschäftszweig auch von den Handels* oder Kreditbanken betrieben.
Dieselben beschäftigen sich mit Vorliebe mit solchen Titeln, die aufgekiindet sind
oder sehr bald zum Verfall kommen. Auch einige der Spar- und Leihkassen
schaffen sich derartige Kreditdokumente, aber meist vom Standpunkte der An-
lagen aus, an. Ganz eigentlich gehört aber dieser Geschäftszweig zu denjenigen
der Banken mit gemischtem Geschäftsbetrieb. Man ist beinahe versucht, zu sagen,
daß bei diesen Banken zu dem kurzsichtigen Gewerbe- und dem langsichtigen
Hypothekar kredit noch die Kreditgewährung in der Form des Werthschriften-
geschäftes auftrete. Bei den Kreditanstalten (Abschnitt 5) wird auf dieses Geschäft
zurückzukommen sein. Unter den Emissionsbanken (pag. 564) werden nicht weniger
als 11 Anstalten zu denjenigen mit gemischtem Geschäftsbetrieb gerechnet. Fast
die doppelte Zahl findet sich bei den übrigen Banken. Als besonders bemerkens-
werth ist hervorzuheben, daß fast alle Kanton albanken das Werthschriftengeschäft
bei ihren ordentlichen Geschäftszweigen aufführen, was jedoch nur dann auffällig
wäre, wenn die Kantonalbanken als Kreditgeber von den sie dotirenden Kantonen
betrachtet und alsr Sammelplätze aufgefaßt würden, wo der Staat seine Anleihen
unterbringen könnte. Eine solche Verquickung des öffentlichen Kredites mit den
übrigen Kreditgeschäften gegenüber den Privaten könnte nicht empfohlen und es
müßte ja gesorgt werden, daß die Last nicht zu groß wäre. Merkwürdiger Weise
fassen viele, ja fast alle Kantonalbanken die Emission von Banknoten vom Stand-
punkte eines gewinnbringenden Geschäftes auf und betreiben demnach die Bank-
notenemission. Als Emissionsbanken fallen sie aber unter das Bundesgesetz
betreffend die Emission und Zirkulation von Banknoten. Da auch schon von
einer Revision des jetzt bestehenden Gesetzes gesprochen wird, so wird die gegen-
wärtig gemachte Bemerkung jedenfalls auch Berücksichtigung linden, wenn Gefahr
für die unmittelbare Zahlungsfähigkeit der Kantonal- resp. Emissionsbanken zu
befürchten wäre.
5) Alle bis jetzt erwähnten Elreditanstalten, welchen Namen sie auch tragen
mögen, haben das Gemeinsame, daß sie selber nicht in die Produktion eingreifen,
sondern daß sie den Produzirenden in irgend einer Weise Kredit gewähren. Im
Bankgeschäfte gibt es aber auch Anstalten, welche selber produzirend werden,
Andern allerdings auch Kredit gewähren, den Kredit aber für die Produktion
selber und nicht bloß als Kreditvermittler in Anspruch nehmen. Das Eingreifen
in die Produktion kann ein zweifaches sein. Entweder treter die Kreditanstalten
selber als Unternehmer auf, z. B. im Eisenbahnbau oder im Betrieb eines
Fabrikationsgeschäftes (Spinnerei, Weberei, Minen, chemische Produkte u. s. w.),
oder sie betheiligen sich mit Kapital an solchen Geschäften, indem sie entweder
physische Personen unter bestimmten Bedingungen herbeiziehen oder juristische
Personen in^s Leben rufen, sei es als Aktiengesellschaften, sei es in anderer
Weise. Sie „gründen** solche Gesellschaften, weßhalb solche Anstalten auch den
Namen «Gründerbanken *" erhalten. Dieses sind die Kreditanstalten im engern
Sinne, die auch so genannten Credits mobiliers. Dieselben sind in der Regel
Aktiengesellschaften mit einem größern, eigenen Kapitale, was für ihre Art
Oeschäftsbetrieb durchaus nothwendig ist, indem es für die Anstalten selber und
aoch Andere räthlich ist, den Kredit bei Andern nicht zu stark in Anspruch zu
nehmen. Die „Gründung** kann in zweierlei Weise geschehen : entweder durch
Provokation der Bildung einer Gesellschaft ohne Betheiligung mit eigenem Kapital
oder, was häufiger, und zwar in der Regel, der Fall ist, mit Uebernahme eini^<s^^
Kredit — 154 — Kredit
oder auch aller Aktien auf eigene Bechnung. Die Gründang von Gesellschafte»
und Uebernahme von Aktien ist nach der Aufifassang des Lexikons in Gegen-
überstellung zu den andern Arten Banken das erste G^esohäft der Kreditanstalten.
Das zweite G-eschäft ist die Uebernahme von Anleihen solober gegründeten Ge-
sellschaften, aber auch die Uebernahme von andern Anleihen im öffentlichen und
Privatkredit. Diese Anleihen werden dann gewöhnlich in der Form von Partialen
oder Delegationen — gewöhnlich einfach Obligationen geheißen — dem Publikum
resp. einzelnen Kreditgebern abgetreten oder Überbunden.
Den Aufgaben des Kredites nach gehören die langfristigen Werthschriften
hieher. Außer in den Zeiten von Geldabundanz, in denen eben Anlage werthe
gesucht werden müssen, werden jene den andern Banken sehr bald zur Last
und sie immobilisiren mit denselben einen großen Theil ihres Kapitales, was
nicht von Gutem ist. Wahrscheinlich durch die Erfahrung gewitzigt und um
dem, wie gezeigt worden ist, nothwendigen eigenen großen Geschäftskapital eine
sichere Verzinsung zu geben, betreiben die wenigen Anstalten, welche in der
Schweiz als Crddits mobiliers bestehen (auch wenn man einige Handelsbanken
dazu rechnen will) neben den bis jetzt erwähnten Geschäften der Ejreditanstalten
das eigentliche Bankgeschäft, was ja auch eine Kreditvermittlung, jedoch mit
weniger Bisiko, ist Denn daß dieses unter Umständen ein sehr großes ist, kann
man dann erfahren, wenn einige „Gründungen** zu keiner Bente gelangen können
und die diesfalls übernommenen „Werthe" (Werthschriften) als „Nichtwerthe**
(Non-valeurs) sich entpuppen.
IV. Kredit dokumente.
Die Kreditdokumente sind zweierlei Art: entweder BeweismiUel einer be-
stehenden Verpflichtung oder aber Werthe == Werthscheine, welche die be-
stehende Verpflichtung repräsentiren. Das Dokument kann auch für beide Arten
zugleich geschaffen sein, was jedoch nicht als dritte Art bezeichnet werden kann ;
wer es des Verständnisses willen richtiger so auffassen will, mag es für sich
selber thun. „Wer — schreibt der bekannte Schriftsteller Knies — eine an
schauliche Vorstellung über die zwei Arten und ihre Einigung zu gewinnen
sucht, wird insbesondere an eine Verbindung wie die zwischen Geist und Körper
im Menschen denken. Diese Vorstellung instruirt um so mehr, als man weiterhin
nur entweder das geistige Element (die Obligatio) oder die körperliche Sache
(den Papierschein) als überherrschend anzusehen braucht, um Verständniß für
einen sachlichen Unterschied zu gewinnen, der sich durch die Worte: beseelter,
vergeistigter Schein und verkörperte Obligatio andeuten läßt („Obligatio" wird
hier gleichbedeutend mit dem Ausdruck „Verpflichtung" gebraucht)." Die Doku-
mente der ersten Art sind selber nicht alle gleich. Sie können zunächst die
geschehene Uebertragung eines Eigenthums oder eines andern Bechtes an einen
Dritten konstatiren, auf welche sich dann die Verpflichtung der in Zukunft aus-
zuführenden Gegenleistung stützt, oder aber sie können, ohne von der geschehenen
Uebertragung oder Leistung des einen Theiles etN.as zu sagen, einfach die be-
stehende Verpflichtung (der Gegenleistung) erwähnen: dieselbe begründen, wie
auch gesagt wird. Die Dokumente der erstem Art zerfallen demnach wiederum
in Uebertra(jungsdokiimente und Be(fründun(/sdoknmente, Beide Arten sind
beweisender Natur. Man gebraucht auch den Ausdruck ^ Urkunde^ ; in allge-
meiner Bezeichnung mag derselbe hingeben; allein, wenn man darunter speziell
Schuldlirkunde verstehen Hollte, so wäre er zu enge gefaßt und wird deßhalb
besser gar nicht angewendet. Denn eine Uebertragung kann ja selbstverständlich
Kredit — 155 — Kredit
auf etwas anderes gehen als auf Geld; man kann Rechte aller Art übertragen,
anch zu Leistungen sich verpflichten, die gar nicht in Geld ausgeführt werden.
Ebenso kann auf der andern Seite die Verpflichtung gar nicht auf Geld gerichtet
sein oder die Gegenleistung wiederum nicht in Geld auHgefuhrt werden. Die
positive Gesetzgebung eines gegebenen Staates (Kantons) ist jeweilen von ent-
scheidendem Einflüsse. Und zwar in zweierlei Richtung: Es gibt Gesetzgebungen,
welche die Umgestaltung aller Verpflichtungen oder Gegenleistungen in eine
Geldforderung gestatten; in einem solchen Staate werden jeweilen alle Urkunden
zu Schuldurkunden. Auch gibt es Staaten, welche die Üebertragungsdokumente
gar nicht kennen, sondern nur die Begründungsdokumente, für welche aber in
der Regel gesetzliche Erfordernisse vorgeschrieben werden. Beispiele sollen
übrigens Klarheit bringen. Es gibt Kantone, welche z. B. bei Käufen von Liegen-
schaften, anch von Beweglichkeiten, die Eigenthumsbescheinigungen in irgend
einer Art nicht kennen; andere wiederum, in denen nur Dokumente ausgestellt
werden, wenn der Kaufpreis unmittelbar nach der Uebertragung nicht bezahlt
wird, d. i. es werden Forderungstitel für den schuldigen Kaufpreis ausgestellt.
Aach gibt es Kantone, in welchen bei Theilungen, z. H. bei Erbschaften, Doku-
mente resp. Theilungsbescheinigungen, auch Theilzettel genannt, ausgestellt werden,
andere, in denen dieses nur der Fall ist, wenn ein Erbe dem andern etwas zu
bezahlen schuldig wird. Je nach der Art des Dokumentes muß dasselbe a^s
Urkunde oder als Schuldtitel (Geldschein, Geldfordeningsschein) bezeichnet werden.
Praktisch wird der Unterschied dann, wenn die Frage aufgeworfen wird, wie
man sich zn verhalten habe, wenn ein solches Dokument verloren wird und der
Träger oder Eigenthümer dasselbe sich wieder ersetzen lassen will (Amortisation) ,
Darüber mag jedoch ein Rechtslexikon Belehrung geben. Die gleiche Frage wird
anch aufgeworfen, wenn es sich um die zweite Art von Dokumenten handelt,
die man unter der generellen Bezeichnung Werthpapiere (auch Werthschriften)
zusammenfaßt. Solcher Papiere, welche aus dem Gebiete des öffentlichen (Staats-
obligationen, Rententitel) und des privaten (Obligationen von juristischen und
physischen Personen, Aktientitel und gleichartige Certifikate) Kredites herrühren
können, gibt es nach ihrer äußern Erscheinung drei Arten : Titel, welche auf
den Namen des berechtigten EigenthUmers oder Besitzers ausgestellt werden,
solche, welche auf den Inhaber (au porteur) lauten ; als eine besondere, dritte
Art werden die indossirbaren Papiere zusammengefaßt. Darüber, was ein
indosidrbares Papier sei, mag auch ein Rechtslexikon Auskunft geben; hierorts
sei aber abgeleitet, daß von den Werth papieren die indossirbaren, bei denen die
Wechsel ohne Zweifel die zahlreichsten und auch der Summe nach sehr bedeutend
sind, zn denen gehören, welche als Gelds urrof/ate bezeichnet werden können.
Als G^ldsurrogate sind diejenigen Zirkulations- (Zahlung»-) Mittel zu betrachten,
welche nicht Metallgeld sind. Dieselben sind Schöpfungen des Kredites und er-
füllen ihre eigene Rolle erst am Ende, d. h. dann, wenn sie wie Geld genommen
und gegen haar honorirt, also gegen Geld umgesetzt werden.
Grundsätzlich können der Sache nach alle Werthpapiere als Geldsurrogate
gelten; aber sie haben nicht alle die gleiche Zirkulationsfähiffkeit und in Bezug
auf die liberatorische Kraft, d. h. in Bezug auf die Fähigkeit, als f/esetdiches
Zahlungsmittel zu gelten, tritt die Konvenienz verschiedentlich ein. Letzteres
gilt besonders in Bezug auf die Inhaberpapiere, die u. a. auch auf größere un-
theilbare feste Summen zu lauten pflegen. Sonst würden sie zur Zirkulation
geeignet sein. Eine größere Beschränkung in der Zirknlationsfähigkeit nicht nur
mit Rücksicht auf die Summe, sondern auch wegen der Uebertragbarkeit haben
Kredit — 156 — Kredit
die Namenpapiere, bei denen oft bestimmte gesetzliche oder statutarische Be-
dingungen bezüglich der Uebertragbarkeit vorgeschrieben sind. Sie können dalier
nur in beschränkter Weise als Zahlungsmittel jeweilen in einem gegebenen Fall
gelten; als Umlaufsmittel sind sie fast gar nicht geeignet. Deßhalb bleiben als
übliche Surrogate nur die folgenden:
a. Die oben schon erwähnten Wechsel äußern ihre Wirksamkeit besonders
als internationales Zahluw/s mittel y von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, von
Kontinent zu Kontinent. Auf diese Weise liegt ihr volkswirthsohaftlicher Werth
darin, daß sie Geldsendungen unnöthig machen; dadurch werden die daherigen
Spesen erspart. Daß trotz der vielen zirkulirenden Wechsel nichtsdestoweniger noch
Geldsendungen zwischen Europa und Amerika, Europa und Asien, Amerika und
Asien, und zwar in beiden Richtungen, nothwendig sind und daß derartige
Metallsendungen sogar eine erhebliche Alimentation für die Schiffsfrachten sind,
soll nur erinnerungsweise erwähnt werden./
b. Dadurch, daß dem Check (Ch^ue) im neuen eidgenössischen Obligationen-
recht eigene gesetzliche Bestimmungen (XXX. Titel) gewidmet worden sind,
nachdem vorher einige kantonale Gesetzgebungen vorausgegangen, ist derselbe
nun ein schweizerisches Institut geworden. In der thatsächlichen Entwicklung
ist er jedoch in der Schweiz noch zurückgeblieben. Sein eigentliches Heimatland
ist England, wo das Halten von Frivatkassen eine Seltenheit geworden ist und
alle verfügbare Baarschaft an das Bankgeschäft, mit dem man in Verbindung
steht oder stehen will, abgeliefert wird. Diese Gewohnheit ist die Ursache des
großen Depositenverkehrs und der Check ist das Mittel, über das Depositum
wieder zu verfügen, und daher als G«ldreprasentant ein recht eigentliches Surrogat.
Wie durch das sog. Clearing- oder Abrechnungshaus der Check genihrt und
durch das System des Ausgleichs die Zahl der Checks von Jahr zu Jahr ver-
mehrt wird, soll nur im Vorbeigehen erwähnt werden. Durch die Organisation
der Reichsbank wird der Check als Bankinstitut und als Erzeugniß des freien
Verkehrs in Deutschland ein zweites Vaterland finden. Der Mandatsverkehr unter
den schweizerischen Konkordatsbanken kann nur als der schwache Versuch und
Schatten eines Clearinghouse betrachtet werden.
c. Das eigentliche Geldsurrogat und als solches vom Kredit geschaffen,
welcher das Geld zum Theil überflüssig machen will, und ein Produkt der Kredit-
anstalten, welche in der Schweiz Emissionsbanken genannt werden, ist die Bank-
note, Sie ist so ganz in die Zirkulationsmittel eingedrungen, daß sie wie G^ld
zirkulirt und die gewöhnliche Ansicht sie wie Papiergeld betrachtet. Nach dem
bestehenden Bundesgesetze sind die schweizerischen Banknoten auf die Summen
von Fr. 50, 100, 500 und 1000 fixirt. Es ist aber klar, daß in einem Lande
mit vorwiegendem ELleinverkehr Banknoten von 500 und 1000 Franken im
Verkehr sich nicht behaupten können. Von Einigen werden die Banknoten auch
als Papiergeld angesehen. Diese Ansicht ist aber nicht richtig. Die Banknote
ist ein von einer Bank ausgehendes schriftlich ausgestelltes Zahlungsversprechen,
das durch die Rücknahme der Note und Auszahlung der entsprechenden Summe
erfüllt wird. So ist die Banknote in doppelter Beziehung ein Kreditzeichen.
Für's Erste funktionirt sie im Verkehre an der Stelle des Geldes und zum
Zweiten ist sie eine aufgeschobene Leistung : das Zahlungsversprechen eines Kredit-
institutes. Die Nichterfüllung eines gegebenen Versprechens würde eine sehr
starke Störung im Verkehre zur Folge haben. Das betreffende Kreditinstitut,
welches das Versprechen gegeben, würde zum Falle gebracht, der Kredit in
Kredit — 157 — Kredit
seinem InnerHtcu Wesen gebrochen und in der Zirkulation würden sich solche
Geldseichen befinden, welche gar keinen Werth mehr hätten.
d. Das Papiertfeld hat in der Regel gesetzlichen Kurs und demnach diesen
Charakter des Geldes, wenn es auch andere Eigenschaften nicht besitzt. Da in
der Schweiz aber kein Papiergeld besteht, so wird Weiteres über diesen Gegen-
stand hierorts auch nicht gesagt.
V. Kreditgeld.
Nicht zu verwechseln mit den Kreditdokumenten oder Kreditzeichen (auch
Kreditgeldzeichen) ist der Ausdruck Kreditgeldy der hier in ganz enger Auf-
fassung genommen and erläutert werden soll. Es ist ein Metallgeld eigener Art,
nämlich jene Münzen gemeint, deren jeder Staat, auch die Schweiz, ausgeprägt
hat und welche sich durch ihre Noth wendigkeit für den Verkehr in der Zirku-
lation erhalten können, obschon sie in der Wirklichkeit nicht denjenigen Werth
oder Werthgehalt enthalten, welchen ihr Gepräge angibt. Man nennt sie auch
Kredit müneen. Unten bei den Münzen wird gesagt werden, daß sie resp. das
G^ld in den Geldsorten denjenigen Innern Werth besitzen sollen, welchen das
Grepräge angibt. Man nennt dieselben voUwerthige Münzen. Die Kreditmünzen
besitzen den vollen Werth nicht und sind demnach unter w er thi g , Die Kredit-
miinzen enthalten in Wirklichkeit wenig oder gar kein Edelmetall. Wenn solches
in denselben enthalten ist, so ist die Beigabe andern Metalles so stark, daß die
Mttnien nicht dasjenige Quantum reinen Edelmetalles enthalten, welches nach
dem Gepräge angenommen werden soll. Anderes Metall als das Edelmetall bildet
deßhalb den Hauptbestandtheil oder selbst auch den ausschließlichen Bestand der
Kreditmünzen. In der Schweiz sind es die im Münzgesetz vom 7. Mai 1850
angeführten MUnzsorten in Billon (20-Rappenstück, 10- Rappenstück, 5-Rappen-
stttck) und Kupfer (1- und 2 -Kappenstücke); in Bezug auf deren Bestandtheile
ist das Cresetz selber zu konsultiren. Es sind also Münzen, welche, wirthschaftlich
gesprochen, tür ganz kleine Werthe, die sich eben im Verkehr befinden und
erhalten, geschaffen werden. Sämmtliche Silbersorten (.^0-Rappenstücke, 1, 2
und 5 Franken) sind nach dem gleichen Gesetze auch vollwerthig auszuprägen
gewesen. Durch das Gesetz vom 31. Januar 1860 ist aber bezüglich der Silber-
sorten, mit Ausnahme des 5 -Frankenstückes, welches unveränderlich fortbesteht,
ein geringerer Feingehalt gestattet resp. eingeführt worden, wodurch das
öO-Rappen-, 1-Franken- und 2 -Frankenstück zu Silber scheidemün gen degradirt
worden sind. Das gleiche Gesetz gibt recht deutlich den Grund an, warum von
KreditmUnzen gesprochen werden kann. Nach der richtigen Voraussetzung werden
aber alle Münzen, ganz besonders die Scheidemünzen aller Art, abgenützt und
müssen umgeprägt und durch neue ersetzt werden (Art. 13 des Gesetzes vom
7. Mai 1850). In dem spätem Gesetz vom Jahre 1860 ist durch Art. 8 gesagt:
«Aue den bei den neuen Münzprägungen sich ergebenden Einnahmeüberschüssen
ist ein Münareservefond zu bilden, aus dem je nach Erfordemiß die Kosten
ganz oder theilweise gedeckt werden sollen, welche die Einlösung abgenutzter
Schweizermttnsen zur Folge haben wird". Es ist aber bekannt, daß noch aus
andern Gründen der Einzug und die Umprägung von Münzen veranstaltet werden
kann, als wegen Abnützung, z. B. wegen Fälschungen, Aenderungen im Gepräge,
Aenderungen im Feingehalt. Bei solchen Einziehungen (Einwechslungen) und
XTmprägnngen muß dem Uebergeber und Eigenthlimer einer alten Münze immer
der volle Werth bezahlt werden.
Sncoessive werden alle Münzsystemc auf die reelle Grundlage des schweize-
rischen Münzsystems, das selber auch nur eine Nachbildung des franz(^&iv^c\\ft\i
Kredit — 158 — Kredit
ist, gestellt. Fraglich ist aber, ob, abgesehen von der gesetzlicli veraDstalteten
Umprägung oder Einziehung, der Träger einer Kreditmünze vom Staate, der sie
geprägt bat, die Ümwechslung gegen Geld mit gesetzlichem Feingehalt yerhingen
kann. Einige Gesetzgebungen lassen den Entscheid zweifelhaft; die schweizerisohe
bejaht die Frage, bestimmt aber als Minimum, welches zur Umweohslung vor-
gewiesen werden kann, die Summe von 50 Franken; dagegen ist in der Schweiz
auch Niemand gehalten, mehr als 20 Franken in Billon und mehr als 2 Franken
Kupfergeld auf einmal anzunehmen. Bei den Staaten, welche die Einlösung nicht
bestimmt bejahen, sind die Scheidemünzen recht eigentlich ein Kreditgeld; die
Zahlung der Differenz ist eine bis zur gesetzlichen Auswechslung aufgeschobene
Sache. Die Annahme der Scbeidemünze involvirt überdies einen Kredit, der
gewährt werden muß.
VI. Kreditgeschäft.
Der Ausdruck „Kreditgeschäft ** hat eine zweifache Bedeutung: eine all-
gemeine und eine spezifische. Allgemein müssen alle Geschäfte als Kreditgeschäfte
bezeichnet werden, bei denen die gegenseitigen Verpflichtungen nicht Zug um
Zug ausgeglichen werden, bei denen also die Gregenleistung resp. die zu erfüllende
Leistung in die Zukunft fäUt. Solcherlei Geschäfte können auf allen Gebieten
des Zivilrechtes, ja selbst im öffentlichen und im Strafrechte, vorkommen; im
Zivilrecht ist es besonders die Abtheilung des Obligationenrechtes, welche die
meisten Kreditgeschäfte erläutert und rubrizirt. Beinebens wird gesagt, daß in
der Schweiz das Obligationenrecht ein einheitliches und für alle Kantone gültiges
ist. Dasselbe ist von den gesetzgebenden Käthen der Eidgenossenschaft den
14. Juni 1881 festgestellt worden und mit dem 1. Januar 1883 in Kraft ge-
treten, sowie gleichzeitig auch das Gesetz über die Handlungsfähigkeit. Spezifisch
werden diejenigen Geschäfte als Kreditgeschäfte bezeichnet, bei denen die von
der einen Seite geschehene Leistung nicht mehr zurückgenommen werden kann,
und bei denen die Nichterfüllung von Seite des zur Gegenleistung verpflichteten
Theiles ihre besondere Wirkungen haben würde. Ueberhaupt geben die Wirkungen
des Kredites zur Bezeichnung eines Geschäftes als Kreditgeschäft sehr den Aus-
schlag. A, Watjuer zieht dieselben in die Worte Eigenihums- und Kapital^
Übertrag un(f aus der Wirthschaft des Einen in die Wirthschaft des Andern
zusammen, womit man einverstanden sein kann, wenn unter Kapitalübertragung
auch die bloß leihweise üebertragung begriffen wird. Das Kreditgeschäft be-
absichtigt ja durchaus nicht immer die BigenthumsUbertragung, sondern die
Benutzung des Eigenthums eines Andern, wobei es sich allerdings ereignen
kann, daß das Eigenthum selber allerdings nicht immer zurückgegeben werden
kann, z. B. bei der G^brauchsleihe, wenn das zum Gebrauche gegebene Thier
vor der Rückgabe verendet, oder ein Wagen zerbricht u. s. w. Mit dieser Er-
läuterung sind auch nach der Auffassung von Knies als spezifische Kreditgeschäfte
zu betrachten : der Kauf; die verkauften und nicht bezahlten Gegenstände können
beim Gebrauch zu Grunde gehen oder aus irgend einer Ursache an Werth ver-
lieren, so daß sie entweder nicht mehr zurückgenommen werden oder dem frühem
Eigenthümer nicht mehr den gleichen Dienst leisten können. Der Bücknahme
von verkauften, wenn auch nicht bezahlten Immobilien steht noch der Umstand
entgegen, daß, wie in den meisten Staaten Europas, so auch in den meisten
Kantonen der Schweiz der Eigen thumsübergang nur durch einen Akt der Inve-
stitur (Fertigung) übergeht, was erfordert, daß nur durch einen solchen Akt die
Rücknahme geschehen könnte. Dasselbe wäre der Fall, wenn der ursprüngliche
Uebergang nicht durch einen Kauf, sondern durch eine Erbtheilung stattgefunden
Kredit — 159 — Kredit
hätte. Das Eigentham wird ganz und voll übertragen, wonn der neue Eigenthiimer
«ach die Verpflichtung ttbernimmt, einem andern Miterben oder sonstigen Be-
rechtigten Etwas zu zahlen oder zu leisten, und die Verpflichtung dann aus
irgend einem Grrunde nicht erfüllt.
Einfacher gestaltet sich die Rücknahme im Pachtverhäliniß. Bei demselben
ist nicht das Eigenthum einer Sache an einen Dritten übertragen, sondern die
Sache ist nur zur Benutzung übergeben worden, wofür in der Regel ein Entgelt
bezahlt werden muß. Nun kann es sich ereignen, daß der Nutzen (Ertrag) des
Eigenthnms von dem Dritten gewonnen and rerwendet worden ist, ohne daß er
das bedungene Entgelt (Pachtzins) bezahlt. Dann kann allerdings — übrigens
Je nach der Gesetzgebung eines Landes — das Eigenthum wiederum zurück-
^nommen werden ; aber fiir den Eigenthümer ist es so viele Jahre lang ohne
Ertrag gewesen, als ihm der Pachtzins nicht bezahlt wird und als es ihm nicht
gelingt, denselben einzubringen, z. B. durch Rechtstrieb -■- Betreibung. In ähnlicher
Weise läßt sich das Dienstboten verhältniß beurtheilen. Das Eigenthum ist keine
Sache: eine bewegliche oder unbewegliche, sondern eine persönliche Leistung:
die Arbeit. Dieselbe wird zum Nutzen eines Dritten hingegeben und zwar auch
in der Regel gegen Entschädigung (Lohn, Salarium u. s. w.). Wenn nun die
Entschädigung, welche in der Zukunft für so und so viel Tage, Wochen, Jahre
geleistet werden muß, nicht geleistet wird, so kann allerdings die Arbeit auf-
hören und nicht mehr geleistet werden. Aber die schon geleistete Arbeit der
Terachwundeuen Tage kann nicht mehr zurückgenommen. Geschehenes nicht un-
geschehen gemacht werden. Der Eigenthümer der Arbeit ist ebenfalls ohne Ertrag
gewesen, und zwar für so lange, als der bedungene Lohn nicht bezahlt wird.
Von diesem Standpunkte aus sind sämmtliche Arbeiterverhältnifisey wie das
Dienstbotenverhältniß, zu beurtheilen. Das hingegebene Eigenthum kann nicht
mehr zurückgenommen werden : der Kreditgeber hat das Seinige verloren und
der Kreditnehmer hat es verbraucht. Ganz gleich kommt es bei der Gebrauchs-
leihe heraus, wenn der zum Gebrauche gegebene Gegenstand nicht mehr dem
Eigenthümer zurückgegeben wird und eine Entschädigung nicht bezahlt werden kann.
Granz eigentliche Kreditgeschäfte, und zwar so, daß für Viele der „ Kredit **
ganz durch sie erschöpft wird, — was aber zu enge ist, — sind die verschiedenen
Arten von Darleihen, was unter dem Ausdruck y^Borggeschäfte^ zusammengefaßt
werden kann. Alle Borggeschäffce sind Kreditgeschäfte, aber nicht alle Kredit-
geschäfte sind Borggeschäfte. Durch dieselben gibt der Eigenthümer von Kapital,
wozu das Geld auch gerechnet werden muß, dasselbe einem Dritten hin, formell
zwar als Eigenthum, materiell aber nicht, sondern nur zur Benutzung, wofür
der Borgende einen Zins bezahlen sollte. Es karin sich aber ereignen, daß nicht
nur der Zins nicht bezahlt wird, sondern das dargeliehene Eigenthum nicht mehr
zurückgegeben werden kann. Für den Kreditgeber führt das Kreditgeschäft dann
zom Verluste seines Eigenthnms, seiner Sache. Mit Recht macht Knies auf-
merksam, daß das Kreditiren ein ganz eigenthümliches Geschäft sei, bei dem der
eine Theil sein Vermögen riskirt, ohne dem andern zu nützen. Das Kreditiren
wird den goldenen Blättern des Spukgeistes Rübezahl ähnlich.
VII. Kreditkrisis.
Sowohl der BegriflP als das Wort „Krisis** spielt in der Theorie der
Volkswirthschaft wie in der praktischen Geschäftswelt eine sehr große Rolle;
mit dem Worte wird sogar Mißbrauch getrieben, indem nur zu gerne Mißstände
und Mißverhältnisse, die in anderen Ursachen begründet sind, einer ^Ktve^^"^
Kredit — 160 — Kredit
SU Lasten geschrieben werden wollen. Es muß daher der Saohe auf den Grund
gegangen werden. Und zu diesem Zwecke ist es am Orte, auf das allgemeine
volkswirthschaftliche Charakteristikum aufmerksam zu machen, nach welchem
eine Erisis die Folge einer Störung des Gleichgewichtes zwischen Produktion
und Konsumtion ist, weßhalb auch von Produktions- und Handels- oder Absatz-
krisis gesprochen wird. Das Angebot eilt voraus, die Konsumtion bleibt zurllck.
Im Allgemeinen mag so geurtheilt werden (Röscher I, §§ 215, 216 u. fP.,
3. Auflage). Die richtige Bezeichnung scheint jedoch im Worte ^Absatzkrisis^
zu liegen, die Röscher in der Nationalökonomik des Handels- und Grewerbefleißes
(III, II. Abth., XI. Kap.) einläßlich betrachtet. Er meint, daß jeder Umstand,
welcher plötzlich und stark die Konsumtion vermindert, die Produktion vermehrt
oder auch nur die gewohnte Ordnung des Verkehrs erschüttert, eine Absatzkrisis
nach sich ziehen könne. In dieser Auffassung weicht er nicht weit von M. Wirth
ab, der den Gesichtspunkt der Kapitalkrisis voranstellt und die Ursachen einer
solchen in den Werthstörunr/en erblickt; die Hauptursache scheint ihm jedoch
in der Spekulation zu liegen, welche ja auch eine wesentliche Ursache der Werth-
störung sein kann. ^) Von der Spekulation zur Ueberspeknlation ist nur ein
Schritt und diesen thun wir auch, um von der Absatz- oder Handelskrisis zur
Kreditkrisis, welche eben etwas anderes ist, zu gelangen. Wirih nennt Ueber-
speknlation diejenige, welche sich nicht mehr auf die vorhandenen Kapitalvorräthe
der Spekulanten stützen kann, sondern über dieselben hinausgehen muß und, um
sie zu erlangen, den Kredit in Anspruch nimmt. Aus der volkswirthschaftlichen
Absatzkrisis kann eine Kreditkrisis werden, wenn die Waarenpreise so niedrig
werden, daß der Spekulant als Kreditnehmer dem Kreditgeber die Gegenleistung
nicht mehr erfüllen, Rückzahlung des kreditirten Geldes nicht mehr leisten kann.
Dieses kann auch eintreten, wenn nicht ein Spekulant die Waarenpreise in die Höhe
getrieben hat, sondern wenn der Produzent einer Waare den Kredit in Anspruch
nimmt, um dieselben nicht unter den Gestehungskosten (prix de revient) verkaufen
zu müssen. Nun kann sich zweierlei ereignen. Entweder, daß die Anstalten,
welche auch Kreditinstitute sein können, die Waaren nicht mehr anzunehmen
oder darauf Vorschüsse zu leisten vermögen. Dann ist der Fabrikant genöthigt,
die Produktion einzustellen. Oder es tritt wegen verschiedenen Vorgöngen,
z. B. in Folge Erfindung eines neuen Erstellungsverfahrens, ein Abschlag dennoch
ein. Dann pflegen die Kreditanstalten nicht mehr zurückzuhalten, sondern auch
zu verkaufen. Der Produzent hat dann keinen Kredit mehr und dann kann eine
Kreditkrisis entstehen. Das Sympton einer aus der Absatzkrisis hervorgehenden
Kreditkrisis ist demnach die Verweif/erunf/ des Kredites. Dieselbe kann von
Privaten und Kreditanstalten ausgehen und ist in den wenigsten Fällen von Seite
der Kreditgeber eine freiwillige. Fast gleichbedeutend mit der Kreditverweigerung,
weil diese meist nur die Folge, ist die zu starke Belastung des Kredites,
weil dieser bereits mehr versprochen hat, als er leisten kann. Zuerst ist es
vielleicht nur ein einzelner Schuldner, der seine Verpflichtungen nicht mehr
erfüllen kann. Aus dem Einzelnen können es Viele, ja die Situation kann so
werden, daß man sagen muß, daß die Mehrzahl der Schuldner eines Landes nicht
*) Diese Darstellunj^ würde nicht erschöpfend sein, wenn nicht aufmerksam gemacht
würde auf das Werk des frühern Direktors des schweizerischen statistischen Bureau,
Max Wirth: „Geschichte der Handelskrisen". Die erste Auflage ist im Jahre 1858
erschienen, die dritte im Jahre 1883; begreiflich ist in der letzten den Ereignissen nach
1857 (1863, 1864, 1866, 1869, 1873, 1882) eine Erzählung gewidmet, welche in der
ersten nicht vorhanden sein konnte.
Kredit — 1(>1 — Kredit
mehr im Stande sei, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Ganz besonders tritt die
Kreditkrisis herein, wenn ein Theil dieser Schuldner Kreditanstalten selber sind.
Soferne dieses der Fall ist, so kann eine Kreditkrisis ganz verhängnißvoll werden,
indem dann die Kreditdokumente oder Kreditzeichen, welche von den fallenden
Schuldnern im Umlaufe sind, ihren Werth verlieren. Aber nicht nur die Kredit-
dokumente der fallenden Schuldner, sondern die Dokumente und Zeichen an und
für sich werden diskutirt und nicht mehr angenommen. Aus der Kreditkrisb kann
dann eine Geldkrisis werden, indem nicht mehr die erforderlichen Zirkulations-
mittel vorhanden sind. Diese müssen dann auf irgend eine Weise in's Land
geschafft werden, derart, daß die Geldkrisis als solche keinen größern Umfang
annehmen und das allgemeine Zutrauen erhalten wird.
Wie wichtig es ist, die Wiederkehr eines schwankend gewordenen Zutrauens
zu fördern, ist in der Schweiz ein jetzt fast vergessener Vorgang zu beweisen
im Stande. Mehr als jedes anderes Ereigniß oder geschichtliche Begebenheit hat
in der Schweiz im Juli 1870 die Kriegserklärung Napoleon's IH. an Deutsch-
land auf den Kredit hemmend gewirkt. Mehrere Tage lang hat besonders in
der Ostschweiz ein Zustand die Oberhand bekommen, welchen man als Kopf-
losigkeit bezeichnen konnte und mußte. Wie viel selbst einzelne Kreditanstalten
an diesem Zustande Schuld trugen, soll hier nicht untersucht werden. Er hat
zu verschwinden begonnen und es ist Zutrauen wiedergekehrt, als die wenige
jklonate vorher entstandenen und geschafifenen Kantonalbanken von Zürich und
St. Gallen von den Banknoten unabhängige, aher rechtlich gleichbedeutende
Zahlungsverpflichtungsscheine mit einem bestimmten, aber auf Monate hinaus
lautenden Zahlscheine resp. Zahlungsverpflichtungsscheine ausgaben. Die west-
Hchweizerischen Banken fuhren in ähnlicher Weise fort, indem sie ihre Banknoten-
emiBsion verstärkten, dann aber auch für Deckung sorgten, eine immerhin in
Zeiten der Krisis gefährliche Operation. Sie durften es jedoch thun, indem die
Noten der Banken gar nicht in der Weise an ihre Kassen zur Wiedereinlösung
zurückkehrten, wie einige Theoretiker behaupten, daß es in Zeiten der Krisis
zu geschehen pflege. Im Allgemeinen hatte das schweizerische Publikum zu den
schweizerischen Elreditanstalten Zutrauen ; es war an den hezüglichen Verwaltungen,
den Kopf an der rechten Stelle zu haben.
IX. Kreditmißbrauch.
Nehme man die Definition von Röscher über den Kredit als richtig an,
ziehe man die von Knies und Wagner als die richtigere vor, so ergibt sich
nach Allen, daß die Wesenheit des Kredites darin beruht, daß für einen Werth
ein Gregenwerth geleistet, eine durch ein Versprechen übernommene Verpflichtung,
einen Gegen werth zu leisten, erfüllt werden muß. In Allem was nun die Gegen-
leistung unmöglich macht, liegt eine wesentliche Erschütterung des Kredites, was
die Franzosen die Gkfahr (danger) desselben nennen, sei es nun, daß der Ver-
pflichtete von Anfang an die Verpflichtung nicht ernsthaft genommen hat, sie gar
nicht zu erfüllen Willens ist, sei es, daß er so handelt, daß er die Verpflichtung gar
nicht zu erfüllen im Stande ist, sich zur Verschaffung der dafür nothwendigen
Mittel gar keine Mühe gibt oder sich hiefür gar nicht wirthschaftlich benimmt.
Der zweite Fall oder Modalität, bei der sehr viel Mißbrauch des Kredits vorkommt
und auch evident in den Vordergrund tritt, ist der Konsumtionskredit, wenn
die Konsumtion in keinerlei Weise zur Produktion, z. B. auch nur durch den
Unterhalt von Arheitem beiträgt. Man begreift es, daß bei dieser Art des Kredites
die Franzosen von „abus du credit** sehr gut sprechen können. S\^ ^^\^<3ti^xv
Torrer, Volktwirthacbafts-LexIkoD der Schirpfr. Y\
Kredit — 162 — Kredit
sich in richtiger Beurtheilung des Ereditmißbrauches aach deßhalb gegen ihn
aus, weil er die Ursache von Krisen und Krachs werden kann.
Anders aufgefaßt: in mehr als neunzig von hundert Fällen kommt die
künftige Erfüllung einer Verpflichtung einer Greldschuld gleich. Der Gebrauch
des Kredites kommt daher der Kontrahirung von Schulden gleich. Die Erweite-
rung und Ausdehnung des Kredites und die Vermehrung der Kreditanstalten
heißt zugleich auch die Erleichteruwß in der Kontrahirung von Schulden und
dadurch die Vermehrunfß der Schulden. Wie oft hat in der Geschichte eine
leichtere Organisation des Kredites und der Kreditanstalten zu einer Vermehrung
der Schulden geführt?! Diese Vermehrung kann aber sowohl beim öffentlichen
Kredite als im Privathaushalte jedes Einzelnen in der menschlichen Gresellschaft
sehr gefährlich und bedenklich werden. Die erstere Art von Mißbrauch, d. h.
den Mißbrauch beim öffentlichen Kredite betont besonders Schäffle und er meint,
daß er vorhanden sei, wenn eine ordentliche Tilgwny der öffentlichen Schulden
nicht stattfinde, resp. ein angemessener Tilgungsplan nicht vorhanden sei. Schätfle
ist daher jeder Zeit und unter allen Umständen für die Tilgung der Staats-
schulden ; sonst vermehren sich dieselben bis zur dritten und vierten Generation
in^s Ungeheure und begründen eine Zinsknechtschaft der steuernden Volksklassen,
die lästiger ist als die Reallasten des Mittelalters. Sie begründet eine eigentliche
Grefahr und zwar aus dem Grunde, weil der Zins für Anleihen bezahlt werden
muß, deren Nutzeffekt in der Gesellschaft man gar nicht mehr kennt und daher
auch nicht beurtheilen kann. Ebenfalls den öffentlichen Kredit und die Vermeh-
rung der Staatsschulden mit einer durchaus ungenügenden Amortisation haben
die neuem Schriftsteller Frankreichs im Auge; ältere, d. h. Solche, die vor
15 — 20 Jahren geschrieben haben, haben mehr die Privatwirthschaften und da8
Gefährliche der Schulden für dieselben im Auge; einer derselben, ein gewesener
Banquier, Namens Bouron, hat sogar eine Broschüre geschrieben, die betitelt
ist: „Gruerre au credit ou oonsiderations sur les dangers de Temprunt**. Er ver-
gleicht den Kredit mit dem Gifte in der Apotheke, von dem man nur bei Krank-
heiten Gebrauch machen soll. Um einen in der Schweizergeschichte üblich ge-
wordenen Ausspruch in Vergleichung zu ziehen : ^ Hütet Euch am Morff arten !^
kann man in Würdigung des Geschriebenen auch sagen: j^ Hütet Euch vor
Schulden /"
Gewissermaßen eine besondere Anlage zum Kreditmißbrauch haben auf dem
Boden des Privatrechtes die anonymen Gesellschaften, soweit in denselben keine
solidarische Haftbarkeit besteht. Es ist schon gezeigt worden, daß die Gesell-
schaften selber mit den sie repräsentirenden Antheilscheinen oder Aktien eine
Schö])fung des Kredites sind. Die Aktionäre scheinen auf den Gedanken eines
Mißbrauches verzichtet zu haben, obschon ein solcher vorliegt, wenn es sich um
Unternehmungen handelt, die keine Rentabilität und also auch keine Dividende
geben können. Gewiß ist aber Mißbrauch des Kredites vorhanden, wenn die
Schöpfungen des Kredites selbst wieder Emissionen von Titeln machen und sonst
Schulden kontrahiren, ohne Gewißheit, dieselben zahlen zu können. Nach dem
bekannten Rechtsspruch werte , Volenti non fit injuria" können sich Obligations-
und andere Gläubiger, die meist sehr hohe Zinsen beziehen, nicht beklagen,
wenn sie in Verlust kommen; aber objektiv kann und muß nichtsdestoweniger
von Kreditmißbrauch gesprochen werden ; es ist daher nicht mehr als bloße sub-
jektive Auffassung anzusehen, wenn der jetzt verstorbene Redaktor der „Schweiz.
Handelszeitung^ die Schuldenkontrahirung durch Aktiengesellschaften nicht ge-
statten Wollte. Auch das Bundesgesetz vom 21. Dezember 1883 über das Rechnungs-
Kredit — 163 — Kredit
wesen der Eisenbahngesellschaften muß vom Standpunkt des Kredites aus als
eine Schutzwehr gegen den Mißbrauch angesehen werden. Es mag den Rechts-
gelehrten überlassen bleiben, zu erwägen, ob in ähnlicher Richtung nicht auch
gegen andere Gresellschaften vorgegangen werden könnte und sollte.
X. Ereditnoth.
Wohl das Gegentheil des Mißbrauches darf die Noth genannt werden, besonders
wenn jener aus vielem Elredit und wenigen Kreditanstalten, diese aus zu wenig
entstehen sollte. Immerhin muß man sich gut verstehen : I)er Mißbrauch kann
auch vorhanden sein, wenn bei an und für sich ungenügenden Krediteinrichtungen
ein Einzelner vom Kredit so vielen Gebrauch macht, daß er die Übernommenen
Verpflichtungen gar nicht mehr erfüllen kann. Wenn deßhalb irgendwo und
irgendwann über Kreditmangel geklagt wird, so ist es gut, die Ursachen des
Mangels zunächst zu untersuchen und sich wie ein kritischer Arzt zu verhalten,
der eine richtige Diagnose stellen will. Solche Fälle müssen aber nur als ver-
einzelte betrachtet werden; Kreditnoth ist in der Regel dann vorhanden, wenn
der Kredit als solcher mangelt (vide oben I. Allgemeine Merkmale) oder wenn
die erforderlichen Krediteinrichtungen (Gesetzgebung und Ejreditanstalten) nicht
bestehen, versteht es sich: Anstalten, welche selbst die genügenden Grund- und
Hinterlagen besitzen, um Kredit gewähren zu können. Fehlt es aber an den ge-
nügenden Vor- und Einrichtungen, so sei die Untersuchung dem eigentlichen
Mangel, seinen Ursachen gewidmet. Bei der Untersuchung treten zuerst die all-
gemeinen Lebens- und Erwerbsverhältnisse der Kreditbedürftigen in den Vorder-
grund, wobei es sich ergeben kann, daß nach denselben Krediteinrichtungen gar
nicht möglich sind, weil es auch nicht möglich ist, übernommene Verpflichtungen
einmal erfüllen zu können.
Von den Lebens- und Erwerbsverhältnissen ausgehend, begegnen wir in
erster Linie den Klagen des Grundbesitzes. „Für den Kredit der Grundbesitzer,
— eine Bitte an die Reichsstände** und „Zur Erklärung und Abhülfe der heutigen
Kreditnoth des Grundbesitzes^ — sind zwei erwähnenswerthe Werke des nicht
ganz schulgerechten, vielmehr paradoxen aber doch tiefsinnigen deutschen Schrift-
stellers K. J. HodbertuS'Jagezow, Dieselben, sowie ein anderes vom Berliner
Ministerialrath Gamp, betitelt „Der landwirth schaftliche Kredit**, beweisen aber,
daß maßgebende Vorschläge nur gemacht werden können, wenn man die Kon-
stitution des Grundeigenthumes selber kennt. Hat man Großgrundbesitz, wie in
Deutschland, Italien und England, hat man kleinere Parzellen, wie in Franki'eich
und in den meisten Kantonen der Schweiz, hat man freies Grundeigen thum oder
fldeikommissarisches vor sich ? Dann muß man auch fragen : zu welchem Zwecke
das von einem Grandbesitzer aufgenommene Geld verwendet werden soll und
will. Denn eine unbeschränkte Verschuldung kann nicht zugegeben werden.
Wie bereits früher gesagt, so muß eine Unterscheidung gemacht werden zwischen
Grundbesitz und Grundbesitzer. Die Bedürfnisse des letztern können nur in be-
Hchränkter Weise zugelassen werden, sonst bekommen wir nach einigen Jahr-
zehnten eine ähnliche Ueberschuldung, resp. Anhäufung von Schulden, welche
wir oben bei den Staatsschulden gerügt haben. Deßhalb wollen Einige, unter
ihnen Schäffle, selbst die Verpfandung oder Hypothezirung von Abfindungssummen
von Miterben nicht zugeben.
Ob die Unaufkündbarkeit gesetzlich in dem Sinne stipulirt werden solle, daß
der Eigenthümer und Schuldner zwar zur Rückzahlung berechtigt, zu derselben
aber nicht gezwungen werden könnte? Ein Lexikon hat diese Fx^b^v:^ ii\^\. i.n^
'r
Kredit — 164 — Kredit
entscheideD, sondern nur anzudeuten; es kann beigefügt werden, daß einige kan-
tonale Gesetzgebungen in der Schweiz die Frage bejahend gelöst haben. Diese
Ansicht findet aber auch viele Gregner, welche theoretisch vielmehr die Befreiung
des Gruudeif/efithums von Schulden und zwar durch Abbezahlung derselben ver-
langen. Unter ihrem Einfluß sind die Hypothekarbanken mit dem System der
obligatorischen Amortisation entstanden.
Nicht nur für die Beleihung des Grundeigenthums (Hypotheken), sondern
auch für eine andere Art des Kredites, von der hiernach die Bede sein soll, ist
die Frage, zu welchen Bedingungen der Kredit gewährt werden soll, wichtig.
Darunter ist in erster Linie der Zinsfuß zu erwähnen, nach dem ein Darleihen
verzinset werden soll; in zweiter Linie gehören zu den Bedingungen auch die
fernem Spesen, die allfallig bezahlt werden müssen, sei es dem Gelddarleiher,
sei es einem Dritten, z. B. dem Notar oder Staatsbeamten für die Stipulation
des Schuldaktes. Von dieser zweiten Art von Bedingungen, die für den Kredit-
nehmer immerhin eine Last sein können, soll weiter nicht mehr gesprochen
werden, dagegen aber vom Zins, der bei allen Anleihen, vorzugsweise aber bei
den Hypothekar- Darleihen, jetzt sowohl als vor etwa zehn oder zwanzig Jahren,
sehr stark in den Vordergrund gestellt wird. Vor zwanzig oder mehr Jahren
sind in fast allen kultivirten Ländern Europas und Nordamerikas Eisenbahnen
gebaut worden und die bauenden G^ellschaften haben gegen hoch verzinsliche
Obligationen das nöthige Baukapital erhalten. Die Kapitalien- oder Gi^ldbesitzer
haben von diesen Obligationen gekauft und sie dem Darleihen auf Grundeigen-
thum vorgezogen, ja man kann eigentlich sagen entfremdet. Da konnte und
mußte man wirklich von Kreditnoth des Grundbesitzes sprechen. Heutzutage
wendet sich das Geld allerdings wieder mehr dem Grundbesitz, aber doch nur
in beschränktem Maße, zu. Denn der Ertrag und damit auch der Werth des
Grundbesitzes wird durch die mehrfache auswärtige Konkurrenz bestritten. Nicht
nur der Getreidebau, sondern auch die Viehzucht und die Milch wirthschaft er-
geben einen den Kosten entsprechenden Ertrag nicht mehr. Es ist also auch
wiederum eine Kreditnoth vorhanden; denn mit dem Werthe des Grundbesitzes
ändert sich auch der Quotient von dessen Beleihung. In der Schweiz pflegen
seit einigen Jahren die Kantone und einige Gemeinden zum Zwecke der Beleihung
einzutreten (Kantonalbanken u. s. w); über die daherigen Erfolge zu urtheilen
ist aber nicht Sache des Lexikons.
Fast gleichzeitig wie vor zwanzig Jahren der Grundbesitz über Kreditnoth
geklagt hat, ist es auch beim Gewerbe der Fall gewesen und zwar vorzugsweise
beim kleinen Handels- und Gewerbestand, indem sich die Großindustrie und der
Großhandel viel eher zu helfen gewußt haben. Die Abhülfe bei jenem hat in
verschiedener Weise gebracht worden. Es ist gewiß erwähnenswerth, daß mehr
noch als beim Hypothekarkredit die Konstruirung von Banken und Kassen durch
Genossenschaften und nach dem Prinzip von Genossenschaften eingetreten ist.
Die Worte von Schäffle verdienen wörtlich angeführt zu werden : «Der Mobiliar-
kredit des Z^/e/ngewerbes hat in den Handwerkerbanken der Neuzeit eine vor-
zügliche, auf das Prinzip der Solidarität gestützte „genossenschaftliche^ Organi-
sation mit streng bankmäßiger Technik gefunden. Die Schulze-Delitz'schen Kredit-
genossenschaften sind die spezifischen Handels- und Mobiliarkreditanstalten der
kleinen Unternehmungen." Weiteres über die schweizerischen Verhältnisse wird
hierorts nicht mehr gesagt, sondern auf den Artikel „Grewerbe* verwiesen, wo
der Kredit im Kleingewerbe Berücksichtigung gefunden hat.
Kredit ~ 165 — Kredit
XI. EreditorganiBation.
Das Wort wird viel gebraucht nnd schließt sich nicht nur in der Reihen-
folge des Alphabetes an die KreditnoM an, da angenommen wird and ange-
nommen werden kann, daß durch eine geh5rige Organisation jede Noth beseitigt
werden könne ; weiter aufgefaßt maß aber die Organisation nicht nur die Noth,
sondern sämmtliche üebelstände, also auch den Mißbrauch beseitigen, welche die
Erediteinrichtungen eines Landes im Gefolge haben können. Es muß deßhalb
gesucht werden, den Sinn zu erforschen, welcher dem Worte zu Grunde liegt
oder liegen kann. Nach der Ansicht des Lexikons können es nur zweierlei Vor-
kehrungen sein, welche den Kredit, objektiv aufgefaßt, begründen können: es
ist die Gesetzgebung eines Landes über den Kredit und die über die Kredit-
anstalten und deren Umfang. Was den Kredit in subjektiver Aaffassang oder
das Zutrauen betrifft, so kann allerdings die Gesetzgebung einen Einfluß aus-
üben, allein in der Hauptsache ist doch an das oben schon gebrauchte Wort zu
erinnern: „la confiance s'inspire; eile ne se commande pas**. Es wirkt und spielt
viel zu viel Subjektives, oder allgemeiner ausgedrückt, auch Menschliches mit.
Ueber die beiden Elemente der Kreditorganisation jedoch soll hierorts nicht
zu viel gesprochen werden, indem einerseits oben die Kreditanstalten weitläufig
behandelt worden sind, anderseits die Gesetzgebung später unter der Bubrik
«Kreditrecht*^ besprochen werden soll. In Betracht der Kreditanstalten ist jedoch
an&tierksam zu machen, daß sich die obige Auseinandersetzung mehr beschreibend
verhalten hat, während die Erörterung über die Organisation kritisch und dogma-
tisch verfahren soll, um zu zeigen, wie die Anstalten angelegt und eingerichtet
sein müssen, um dem Begriff „ Kredit** zu entsprechen und denselben zu erfüllen,
— überhaupt um zu bewirken, daß sie in den Rechtszustand eines gegebenen
Landes passen und den wirthschaftlichen Zustand desselben fördern.
Wem liegt es jedoch ob — dieses scheint eine sehr wichtige Frage zu
sein — für eine derartige Einrichtung zu sorgen? Soll man die Sorgfalt allein
dem Elapital überlassen, das als gegenwärtiges G«ld die Grundlage der Kredit-
anstalten bildet? Man kann allerdings die Ansicht haben, daß es die richtigen
Vorkehrungen zu treffen wissen werde, indem es dann die größere Entlohnung
finden wird, wenn es den Kreditbedürftigen nach dem Maße ihres Bedürfnissen
entspricht. Wenn es aber anders sein sollte?! Dann wird neben dem Kapital,
das jedenfalls handelnd auftreten wird, noch ein zweiter Faktor vorzugehen
haben, und dieser ist zu Gunst^^n der Kreditbedürftigen die Gesetzgebung eines
Landes, welche die beiden Interessen des Kapitales nnd des Kredites vereinigt be-
rücksichtigen kann und soll. Sie kann in zweifacher Weise vorgehen : entweder,
daß sie einfach die Regeln aufstellt, nach denen das Kapital seine Thätigkeit
entfalten soll oder so, daß der Staat, welcher das Gesetzgebungsrecht hat, auch
ganz oder theilweise für die Herbeibringung der nothwendigen Kapitalien sorgt,
mit welchen die von ihm geschaffenen oder unterstützten Kreditanstalten arbeiten
sollen. Dieses ist im Verlaufe der letzten 50 Jahre in der Schweiz wiederholt
durch die Schaffang von Kantonalbankeh geschehen. Darüber, ob diese Schaffang
rechtmäßig, ob sie zweckmäßig sei, ist viel geschrieben worden. Die Rechtmäßig-
keit kann, scheint es dem Lexikon, nicht bestritten werden ; die Zweckmäßigkeit
aber ist je nach den gegebenen Verhältnissen je eines einzelnen Kantones zu
beurtheilen; eine Schablone kann hiefür kaum zu Grunde gelegt werden.
Hingegen scheint aufinerksam gemacht werden za müssen, daß, wenn ein
Kanton sich nicht in irgend einer Weise materiell mitbetheiligen will, fast ^v
Kredit ~ 166 — Kredit
nicht eingesehen werden kann, was derselbe auf dem Gesetzgebungswege noch
zu thun habe, indem die Vorschriften über die anonymen (Aktien-) Gresell-
schaften und Genossenschaften, als welche sich die Kreditanstalten in der Schweiz
gestalten werden, durch das eidgenössische Obligationenrecht festgestellt sind.
Wichtiger jedoch als diese gestaltet sich eine andere Frage, nämlich die,
ob die Eidgenossenschaft — der Bund — nicht noch in anderer Weise in die Ge-
staltung des Kredites eingreifen soll, als es durch das Gesetz vom 8. März 1881
über die Emission und Zirkulation von Banknoten geschehen ist. Viele und dar-
unter auch der Verüetsser des gegenwärtigen Aufsatzes glauben es, indem sie
das Vorgehen der Eidgenossenschaft durch die. Errichtung einer Landesbank
postuliren. Die Frage nach der Kompetenz des Bundes scheint nicht die wichtigste
zu sein; keine Frage mehr scheint die Wahrnehmung zu sein, daß die Eid-
genossenschaft kraft der Wirkungen des Zollgesetzes und des Handelsvertrages
eine wirthschaftliche Einheit ist und daß wirthschaftlich die Kautone fast gar
nicht mehr in Betracht fallen. Eine der Konsequenzen dieser Einheit ist die
Errichtung und Einrichtung einer Landesbank, wofür es an Mitteln nicht ge-
brechen wird, ob so oder anders vorgegangen werde. Allein jener Vortheile im
Kredit- und Bankverkehr, welche England, Frankreich und in neuester Zeit ganz
besonders Deutschland mit seiner Beichsbank kraft Gesetzes genießt, wird die
Schweiz, resp. ihr Handel und Gewerbefleiß so lange nicht theilhaftig werden,
als sie eine Landesbank mit den gehörigen Filialeinrichtungen nicht besitzt.
Einige Pessimisten, welche vom volks wirthschaftlich en Niedergang der Schweiz
schreiben, rechnen zu den Ursachen desselben auch das Fehlen einer Landesbank
mit ihren Zweigeinrichtungen, indem alle Vereinbarungen der Banken die vor-
theilhaften Resultate einer einheitlichen Landesanstalt nicht zu ersetzen vermögen ;
eben so lange entbehre die schweizerische Produktion auch, abgesehen von andern
Bequemlichkeiten, der Vortheile eines wohlfeilen Kredites und habe deßhalb im
Wettkampf mit den Industrien anderer Länder, insbesondere Deutschlands, die
Folgen größerer Produktionskosten zu tragen.
XIL Kreditrecht.
Unter diesem Ausdruck muß nach der in diesem Lexikon niedergelegten
Ansicht über den Kredit die Gesammtheit der Vorschriften vorzugsweise des
Privatrechtes verstanden werden, welche die Erfüllung der zeitlich aufgeschobenen
Verpflichtungen bezwecken. Es ist bloß eine und zwar ganz spezielle Seite des
Kreditwesens, wenn darunter die Gesammtheit der Rechtsvorschriften verstanden
werden will, welche die Existenz und Geschäftsthätigkeit der in einem Lande
bestehenden und arbeitenden Kreditanstalten normiren. Es ist zu wiederholen:
vorzugsweise des Privatrechtes, indem immerhin auch Vorschriften noch auf
andern Gebieten des Rechtes bestehen können. Es ist dieses ganz besonders der
Fall bei der Kontrahirung von Staatsschulden, indem in gleicher Weise wie bei
den Verpflichtungen des Privatkredites gefragt werden muß, ob die Befähigung,
Verpflichtungen eingehen zu können, bestehe. Mehr nach dem juristischen Sprach-
gebrauche muß gefragt werden, ob die Berechtigung , Schulden kontrahiren zu
können, vorhanden sei. Nach den Vorschriften fast aller konstitutionellen Staaten,
alhO auch nach denen des Bundes und der Kantone muß darauf gesehen werden,
duß der Beschluß, ein Anleihen zu kontrahiren, von der verfassungsmäßig hiezu
berechtigten Behörde gefaßt werde. In der Schweiz sind es in der Regel die
gesetzgebenden Räthe des Bundes oder der Kantone. Li einigen Kantonen ist
aucli die Zustimmung der gesetzgebenden Räthe erforderlich, wenn Gemeinden
Kredit — 167 — Kredit
oder andere öffentliche Korporationen oder Stiftungen Anleihen kontrahiren wollen.
In andern Elantonen dagegen ist nur die Zustimmung der vollziehenden Behörden
(Staatsrath, Kleiner Rath, Begierungsrath u. s. w.) erforderlich; wiederum in
einigen Elantonen sind die Gemeinden den volljährigen Privaten gleichgestellt und
können nach Belieben handeln. Vielfach bestehen für die Staats-, wie für die
(remeindeanleihen noch besondere Vorschriften, z. B. Über die Eückzahlung oder
Amortisation, welche nicht gerade in's Privatrecht gehören. Wie nun dem auch
sein möge, so ist besonders bei Anleihen des Staates und der Gemeinden zu
fragen, welches Recht für das betreffende Staats- oder Gemeindeanleihen bestehe.
£s wäre eine Unklugheit, ohne Nachfrage nach der Befähigung oder Berechtigung,
Kein Geld bloß gegen einen ersten Aufruf von Seite der Schuldner, oder eines
mitwirkenden Bankgeschäftes, wegzugeben. Sowohl die Gesetze über diese und
andere gleichartige Geschäfte des öffentlichen Kredites, als auch die den privaten
Kredit betreffenden Gesetze werden von Einigen unter dem Ausdruck j^ Schuld-
{/esetze^ zusammengefaßt. Selbst Röscher legt ^iiach seinen allgemeinen Erörte-
rungen über den Kredit die weitere Folge in dem Ausdruck Schuldgesetze nieder.
Allerdings bilden, wie auch hier gezeigt worden, die Geldschulden aus dem Dar-
leihensvertrag den größten Theil der Kreditverpflichtungen und die Bezeichnung
des Theiles för das Gunze dürfte daher ruhig hingenommen werden ; die Schuld-
gesetze, d. h. die Gesetze, welche die Bezahlung einer Schuld rechtlich möglich
und erzwingbar machen lassen, gehören daher durchaus zum Kreditrechte ; allein
es wäre eine Einseitigkeit, wenn mit den Schuldgesetzen das Kreditrecht als er-
schöpft angesehen werden sollte: andere Gesetze gehören auch noch in diesen
Umfang.
Obschon, wie gezeigt, der Hauptzweck des Kreditrechtes ist, rechtlich be-
wirken lassen zu können, daß die im Kreditgeschäfte zu erfüllende Verpflichtung
in Wii'klichkeit geleistet werde, was durch die „Exekution** (Vollziehung) nach
Wagner oder durch die „ Schuldgesetze " nach Boscher erreicht wird, so ist es
doch als ein ganz fruchtbarer Gedanke des Erstem zu bezeichnen, daß er nicht
bloß den Schluß und die Volleiehung eines Geschäftes^ sondern auch den Be-
tt inn und die Einleitun{/ desselben in's Auge faßt. Diese Auffassung fällt mit
der oben bei den Staatsschulden gemachten Bemerkung, daß darauf zu achten
sei, daß man sich bloß bei einem rechtsgültigen Anleihen betheilige, zusammen.
Sie flndet aber auch beim Privatkredit ihre Anwendung und von demselben soll
nun gesprochen werden. Ob das Kreditgeschäft, dessen Vollziehung einmal in
Bede steht, seine Entstehung im Familien- oder Erbrechte (Erbauskauf), im
Sachen- (Verpfändung) oder Obligationenrecht finde, so ist doch zu beachten,
daß gewisse Fragen durchweg wiederkehren. Solche sind diejenigen über die
Handlungsfähigkeit der sich verpflichtenden Personen und über die Rechtsgültigkeit
eines Geschäftes an und für sich. Der Staat leiht seine Zwangsgewalt zur Voll-
Ziehung von Geschäften nur^ wenn diese gesetzlich erlaubt sind. Nicht erlaubt
ist z. B. nach den Gesetzen einiger Länder der Verkauf oder die eventuelle
Theilung einer Erbschatt, die von einer noch lebenden Person herrühren soll.
^icht erlaubt sind femer nach einigen Gesetzen solche Geschäfte, die als Spiele
und Wetten sich entpuppen, gewisse Klauseln in den Pfand-, Transport- und
Versicherungsverträgen .
Für jene Geschäfte, welche nach Ubligationenrecht entstehen, hat die
Schweiz für alle Kantone ein neues einheitliches Ubligationenrecht, das vom
14. Juni 1881 datirt und auf 1. Januar 1883 in Rechtsgültigkeit getreten ist.
Für die G^chäfte aus den andern Rechtsgebieten sind die Gesetzgebungen der
Kredit — 168 — 'Kredit
Kantone entscheidend Die „SchuldgeBetze*^, nm den Röscher ^schen Ansdrack zu
wiederholen, sind kantonal. Doch hat der Bund das Recht, ein für das ganze
Grehiet der Eidgenossenschaft geltendes Betreibungs- und Eonkursgesetz zu erlasseb,
und es haben hieftir bereits die Berathungen im Ständerathe stattgefunden.
Vielleicht kommt das Gesetz während des Erscheinens dieses Lexikons zur Voll-
endung; in diesem Falle wtlrde in einem Nachtrage dann noch Einiges gesagt
werden ; die Besprechung der Vorschläge wäre jetzt nicht am Platze. Andeutungs-
weise und vom Standpunkte des Kredites aus mag bloß bemerkt werden, daß
das einheitliche eidgenössische Konkursgesetz flir die Gesetze der Kantone auf
denjenigen Rechtsgebieten, für welche einstweilen eine Einheit (Zentralisation) nicht
durchgeführt werden kann, von Einfluß sein wird, nicht eine zeitliche, wohl
aber eine sachlich rückwirkende Kraft haben wird, z. B. bei Behandlung und
Anweisung des Weibergutsprivilegiums und vielleicht auch anderer Privilegien
und der übrigen kantonalen Klassiflkationen im Konkurse.
Bei der Ausarbeitung des eidgenössischen Gesetzes über den Konkurs, sowie
überhaupt bei der Ausarbeitung gleichartiger kantonaler und ausländischer Ge-
setze wird oft die Frage ventilirt, ob man den Gläubiger oder den Schuldner
mehr berücksichtigen müsse. Zur Beantwortung dieser Frage mögen vielerlei
Motive und Erwägungen geltend gemacht werden; vom G^chtspunkte des Kredites
aus scheint sie nicht ganz richtig gestellt zu sein. Es handelt sich nicht um
den Gegensatz von Gläubiger und Schuldner, sondern es handelt sich um Ver-
pflichtete im Kreditgeschäfte. Welche Rechte stehen — speziell Demjenigen, der
seinerseits eine Leistung gemacht hat, unter der Voraussetzung ^ daß sie die
andere im Kreditgeschäfte betheiligte Partei auch erfülle, zu, daß die Erfüllung
in Wirklichkeit geschehe? Gerade Demjenigen gegenüber, der seinerseits geleistet
hat und wie gezeigt worden ist, in einer großen Zahl von Fällen — auch im
Gelddarleihgeschäft — seine Leistung entweder gar nicht mehr oder nicht mehr
im gleichen Zustande zurücknehmen kann, würde es als eine Begünstigung von
Betrug oder Irrthum vorkommen müssen, wenn der Verpflichtete zu säumig oder
nicht nachdrücklich genug zur Erfüllung seiner Verpflichtung angehalten würde.
Man glaubt vielleicht das Unglück zu schonen, vergißt aher, daß dadurch dem
Kredit, der eine objektive Landeseinrichtung ist, eine starke Wunde geschleigen
werden kann. In der Schweiz haben das die Städte St. Grallen, Zürich und Basel
auch gewußt, als sie schon im vorigen Jahrhundert Wechselordnungen, die auf
Grundlage derjenigen von Augsburg errichtet waren, zugelassen haben. Heut-
zutage besteht das Wechselrecht, das einen Theil des Obligationenrechtes bildet^
für die ganze Schweiz in Kraft und es besteht auch, wie in Deutschland, all-
gemeine Wechselfähigkeit, d. h. Jeder und Jede, welche sich durch Verträge
verpflichten können, können die Verpflichtung auch nach Wechselrecht eingehen.
Dagegen bleibt die strenge Wechselexekution auf die Personen beschränkt, welche
im Handelsregister eingetragen sind (§§ 720, 812 u. A.). Von diesem G^ichts-
punkte aus ist das Handelsregister recht eigentlich eine objektive Krediteinrichtung
des Landes, wie überhaupt der Titel XXXIII des Obligationenrechtes über
Handelsregister, Geschäftsflrmen und Geschäftsbücher als im Interesse des Kredites
erlassen zu betrachten ist, — abgesehen davon, daß das ganze Gesetz, insbesondere
die Bestimmungen über Wechsel, Check, wechselähnliche und andere indossable
Papiere, über Inhaberpapiere, die Förderung des Kredites zur Wirkung haben
werden.
üeber das materielle Kreditrecht jetzt nur noch wenige Worte, nachdem
oben über die Einleitung, den Abschluß und die rechtliche Natur der Kredit-
KreUit. — 169 __ Kredit
geschäfte bereit» gesprochen worden ist. Mau wird und muß aber zugeben, daß,
da das formelle Kreditrecbt gerade die Erfüllung der noch ausstehenden Kredit -
Verpflichtung bezweckt, dasselbe gegenüber dem materiellen Ereditrechte nicht
untergeordneter Natur ist. — Nach der gewöhnlichen Auffassung bleiben zu
diesem gehörig, noch die Bestimmungen über Zins und Wucher zu besprechen,
was allgemeiner aufgefaßt, den Anlaß geben müßte, allgemein über die Be-
dingungen, welche der Kreditgeber aufstellt, damit er Kredit gewähre, zu sprechen.
Vorher will ich aber noch einen Blick werfen auf die Folgen, welche, abgesehen
▼on Betreibung und Konkurs, eintreten, wenn eine ausstehende Kreditverpflichtung
nicht erfüllt wird. Das mehr erwähnte Obligationenrecht hat auch diesen Fall
in Erwägung gezogen und spricht den Grundsatz aus, daß der nicht erfüllende
Theil Schadenersatz zu leisten habe. Die Verpflichtung für einen Schuldner als
nicht erfüllender Theil, Verzugszins bezahlen zu müssen, ist nur eine besondere,
nicht immer ganz erschöpfende Art der Schadenersatzleistung. Zu weitern Rechts-
erörterungen ist hierorts der Ort nicht. — Es bleiben demnach bloß noch die
oben angedeateten Fragen von Zins und Wucher zu besprechen.
Hinsichtlich des Zinses oder des Zinsbezages war die Zahl der Bestimmungen
der kantonalen Gesetze vor dem eidgenössischen Obligationenrecht eine sebr große;
eine Vereinfachung hat durch das erwähnte Bundesgesetz insofern stattgefunden,
als nicht vrieder kantonalen Bestimmungen oder gar Uebungen Spielraum ge-
lassen oder geöffnet worden ist. Sachlich ist der gesetzliche Zinsfuß und der
vertragsmäßige 2jinsfuß zu unterscheiden. Gesetzlich heißt derjenige Zins in den
Gleschäften, in welchen die Vemnsung im Allgemeinen bedungen oder vermuthet
wird, aber von den Parteien nicht näher normirt worden ist. Früher war in
einigen Kantonen die Zinspflicht bei einzelnen Geschäften gesetzlich festgestellt,
d« h. es gab Geschäfte, für welche eine Verzinsung ohne Weiteres angenommen
oder vorgeschrieben war. Solche Geschäfte waren z. B. Verkäufe von Liegen-
schaften, wenn der Käufer den Kaufpreis schuldig blieb, oder die Theilung von
Erbschaften zu Lasten der Er bschaftsüber nehmer u. s. w. Das eidgenössische
Cresetz kennt auch einige gesetzliche Zinsbestimmungen im Gesellschafts- und
Wechselgeschäft ; die umfassendste ist die über den Verzugszins, welcher bei
jeder Schuld eintritt, welche an einem bestimmten Verfalltage zu bezahlen ist.
Der vertragsmäßige Zins ist derjenige, welcher von den Parteien bedungen ist.
Nach der Auffassung des Lexikons ist vertragsmäßig jede Verabredung gestattet
außer die des Zinsenzuschlages zum Kapital (Zinseszins) bei andern als kauf-
männischen Geschäften. Für das Weitere treten jedoch wieder die Bestimmungen
über den Verzugszins ein. Ob die Kantone, welchen in Art. 83 betreflend den
gesetzlichen Zins, vorbehalten ist, Bestimmungen gegen Mißbräuche im Zinswesen
zu erlassen, auch gegen den durch einen Vertrag festgesetzten Zinsfuß Bestim-
moogen aufstellen können, ist nicht recht klar. Doch gehört diese Frage mehr
in ein Hechts- als in ein volkswirthschaftliches Lexikon; uns soll sie aber den
Üebergang zur Lehre vom Wucher, indem dieser zumeist bei den von den
Parteien festgesetzten 2jins- und gleichartigen Bestimmungen gesucht wird, bilden.
Setzen ja viele Gesetzgebungen den Wucher und die Wucherzinse auf die gleiche
Stufe ; mit andern Worten, der Wucher ist vorhanden, wenn sog. Wucherzinse,
d. h. Zinse gefordert werden, die über eine gesetzlich erlaubte Höhe des Zins-
fußes hinausgehen. Das Gegeutheil der Wucherzinse sollen die sog. Zinsgesetze
erreichen, welche eine Beschränkung der Vertragsfreiheit der Parteien, Zinse
beliebig bestimmen zu können, sind. Darüber, ob solche Zinsgesetze oder Zius-
verbote rechtlich zulässig seien, ob sie ihren Zweck erreichen, int schon vv^l
Kredit — 170 — Kredit
gestritten worden ; hier boII und kann der Streit nicht entschieden werden. Nur
sei gesagt, daß in der Praxis ältere Zinsverbotgesetze vielfach abgeschaift, neuere
wenig mehr erlassen werden. Um so unnachsichtlicher wird man in vielen
Gegenden der Schweiz gegen den Wucher, der sich in anderer Weise äußert, in
Weisen, die vielfach einen betrügerischen Charakter annehmen. Man bezeichnet
ihn auch als Ausbeutung des Kreditnehmers durch den Kreditgeber, indem letzterer
die Nothlage des erstem, dessen Leichtsinn, Unerfahrenheit und die übrige geistige
Inferiorität benutzt, um sich einen ökonomischen Yortheil zu sichern, der weit
über den Werth der Leistung hinausgeht. Mehr als zu hohe Zinsforderungen,
<lie oft gar nicht gestellt werden, werden zum Wucher gerechnet: üeberforde-
rungen, Täusche von durchaus ungleichartigen Werthen und andere Kniffe im
Handel. Der Standort dieser Art Wucher ist im Kreise kleiner Handwerker,
ländlicher Gruodbesitzer und Landwirthe, wohl auch im Kreise kleinerer Beamten
und Angestellten. An Früheres anschließend entpuppt sich der Wucher als ein
Kreditmißbrauch des Kreditgebers. Es ist dieser Mißbrauch eigener Art. Da er
in der Regel von geistig oder ökonomisch Ueberlegenen gegen Aermere im Geiste
oder Geldsack ausgeübt wird, so ist er eine Art von ganz besonderer sozialer
Gehässigkeit. Sehr weit gehend in Bezug auf den Wucher ist der französische
Sozialist Proudhon gewesen, der die Unentgeltlichkeit des Kredites postulirt hat.
XIII. Kreditwirthschaft.
Der Ausdruck hat beim ersten Lesen einen etwas abschätzigen Beigeschmack,
indem mit demselben zunächst an die Mißbräuche und Mißstände, die durch den
Kredit verkehr veranlaßt werden, gedacht wird. Daran soll jedoch nicht gedacht
werden, sondern man könnte ebenso gut vom Kreditverkehr als Sammelausdruck
sprechen; wenn das Wort hier gebraucht wird, so soll von den wirthschaftlichen
Wirkunffen des Kredites die Rede sein, als dritte Stufe im volks wirthschaftlichen
Verkehre überhaupt. Die erste ist die Natural- oder Tauschwirthschaft (Gut oder
Waare gegen Gut oder Waare), die zweite, die Geldwirthschaft (Gut oder
Waare gegen Geld), die dritte, eben die Kreditwirthschaft (Gut oder Waare
gegen die Verpflichtung, Gut oder Waare oder Geld, überhaupt den Gegenwerth
für den erhaltenen Werth in der Zukunft leisten zu wollen) mit der Spezialität
der Geldsurrogate, uneigentlich Kreditzeichen genannt, indem es sich allerdings um
vom Kredit geschaffene Zeichen oder Dokumente handelt, die aber Geld, d. i.
(fegenwärticfe (im Gegensatze von zukünftigen) Werthe vorstellen, ein Beweis
mehr dafür, daß trotz des scheinbaren Gegensatzes Geld und Kredit doch sehr
im Zusammenhang und in Wechselwirkung zu einander stehen. Uebereinstimmend
mit unserer Ansicht schreibt der oft erwähnte Wagner (in Schönberg^s Volks-
wirthschaftslehre) :
„Der Ausdruck „Kreditwirthschaft** kann in zwei verschiedenen Bedeutungen
gebraucht werden, welche freilich mit einander zusammenhängen. In dem einen
Sinne versteht man darunter den Zustand der Volks wirthschaft, in welchem viele
Kreditgeschäfte aller Art vorkommen, also der Kredit besonders als Faktor der
privat wirthschaftlichen Produktion des Verkehres stark entwickelt ist, im Gregen-
satz zu dem Zustande, wo die Privatgeschäfte der Produktion wesentlich nur
mit dem eigenen Kapital des Unternehmers betrieben werden und die Verkehrs-
geschäfte „Zug um Zug" als Tausch und (Baar-) Kauf und Verkaufsakte sich
vullziehen. Die Voraussetzung jener Gestaltung der Volkswirt hschaft als Kredit-
wirthschaft ist weit durchgeführte Arbeits und Eigenthumstheilung und volle
Geldwirthschaft. — Kreditwirthschaft im zweiten, verwandten aber doch ab-
Kredit — 171 — Kredit
weichenden Siniie ist dagegen derjenige Zustand der Tausch- und Yerkehrs-
wirthschaft in der Yolkswirthschaft, in welchem an Stelle des körperlich als
Tauäch- oder Umlaufsmittel geh rauchten Geldes oder der Münze Greld Surrogate
des Ereditverkehrs oder Kreditumlanfsmittel und Zahlungseinrichtungen des Kredit-
bankwesens benutzt werden. Diese Bedeutung des Wortes Kredit wirthschaft hat
man meistens im Sinne, wenn man dasselbe braucht."
„Die Kredit wirthschaft setzt hier immer die Geld wirthschaft voraus: Geld
bleibt nach wie vor Währung und Preismaß. Die Entwicklung von der Natnral-
zur Geldwirthschaft ist daher auch eine ganz andere als diejenige von der Geld-
zur Kreditwirthschaft. Im letztern Falle liegt nur eine Entwicklung im Zahlungs-
modus, ein technischer, kein prinzipieller Fortschritt vor, wie ihn der Uebergang
von der Natural- zur Geldwirthschaft darstellt.'' Zur vollständigen Beurtheilung
der Wirkungen des Kredites, somit der Kreditwirthschaft, gehört es auch, alle
die Bedingungen zu kennen, unter denen in einem gegebenen Lande Kredit ge-
währt wird. Von der Spezialität des Kealkredites ist bereits gesprochen worden,
soweit die Verpfändung von Liegenschaften betroffen wird. Im Allgemeinen ist
es Sache des Kreditgebers oder Darleihers, zu entscheiden, wie viel er auf eine
Liegenschaft geben will. Allgemein bindende Normen gibt es durchaus nicht.
Wohl bestehen für öffentliche Anstalten, zu denen ich auch die Sparkassen
rechnen will, reglementarische Vorschriften, wie weit sie Darleihen oder Vor-
schüsse machen dürfen. Die Vorschriften sind aber sehr verschieden. Alle haben
das Gemeinschaftliche, daß ein bestimmtes Verhältniß zwischen dem Werthe des
Unterpfandes und der dargeliehenen Schuldsumme bestehen muß. Welches ist
dasselbe? In erster Linie ist der Werth selber zu bestimmen. Aber auch dar-
über ist man nicht einig. In einigen Kantonen, in denen eine Katasterschatzung
besteht, ist dieselbe maßgebend; in andern Kantonen besteht ein WUrdigungs-
verfahren ; wieder in andern gilt der Kaufpreis der letzten Eigenthumsübertragung
einer Liegenschaft. Meist werden aber auch Vertrauensmänner berathen. Einmal
der Werth festgestellt, gilt es das Verhältniß zu normiren. Wie gesagt variirt
es sehr: von 40 — 80 ^/o; einige, meist kantonale Anstalten, gehen selbst weiter.
Entscheidend wird sein, ob irgend ein System für periodische Rückzahlungen
besteht. Wo es nicht vorhanden ist, besteht sogar für einige Anstalten die für
dieselben und auch für die Kreditentwicklung selber hemmende Vorschrift, daß
nur in erster Hypothek dargeliehen werden dürfe. Bei der Verschreibung von
beweglichen Sachen, d. i. bei Dargabe eines Faustpfandes, kann es fast gar
nicht anders sein, als daß nur eine erste und einzige Verpfändung besteht. In
der Wirklichkeit gehört jedoch eine wiederholte Verschreibung von Beweglich-
keiten (Sachen imd Forderungen) nicht zu den Seltenheiten. — Wie weit ein
Kreditgeber ohne Dargabe von bestimmten Sicherheiten (Real- und Bürgschafts-
kredit) gehen, d. i. einen Blankokredit bewilligen will, ist seine Sache. Den
meisten öffentlichen Anstalten, selbst einigen Kreditbanken, ist es geradezu unter-
sagt, Jemanden ohne bestimmte Sicherheit einen Vorschuß zu bewilligen, selbst
eine Weckselskontirung vorzunehmen. Das ist vielfach auch der Grund, warum
neben den wohlfeil arbeitenden öffentlichen Anstalten Privatgeschäfte für Dar-
leihen, überhaupt für den Kredit verkehr bestehen.
Eine ganz besondere Verrichtung der Kreditwirthschaft ist es, daß sie zur
Verwendung für interlokale, interterritoriale und internationale Zahlunf/en
Dienste leisten muß. Zu diesem Zwecke muß dieselbe mit einer guten und ge-
nügenden Bankorganisation eines Landes in Zusammenhang gebracht werden, d. h.
eine Bank oder eine Mehrheit von gut orgauisirten Banken und Bankeinrichtungen
Kredit ... 172 — KreideÜELbrikatiun
müssen die Dienste leisten, welche die Yolkswirthschaft von der Ereditwirth-
Schaft verlangt. Der Dienst, welcher verlangt wird ist der, die Uebersendung
haaren Geldes (heimischer wie fremder Münzen, auch Barren) möglichst zu ver-
meiden, also die betreffenden privat- und volkswirthschaftlichen Kosten za er-
sparen. Es kann nicht geläugnet werden, daß, wenn diese Ersparnng dem Kredit
oder, besser gesagt, der Kreditorganisation mit ihren Einrichtungen gelingt, der
Yolkswirthschaft ein gleicher Dienst geleistet wird, wie es der Fall ist, wenn
durch irgend eine Erfindung oder sonst aus einem Grunde die Produktionskosten
irgend eines Gegenstandes vermindert werden. Es geschieht dieses, wenn durch
die Remittirung von Wechseln oder durch Check oder durch Bankverbindungen
das Erforderliche, d. h. die Zahlung mit Umgehung von Baarschaft geleistet
werden kann. In der Schweiz kann die interlokale Zahlung, z. B. von Basel
nach Zürich, von Bern nach G^nf, in Folge der Vereinbarung der Konkordats-
banken ziemlich weitgehend, wenn auch nicht in allen Fällen geleistet werden.
Die Eidg. Bank mit ihren Zweigniederlassungen könnte es noch besser thun.
Immerhin sind da und dort Spesen nicht zu vermeiden. Eine Landesbank, ent-
weder ganz oder nur theil weise mit ZuhÜlfenahme des öffentlichen Kredites or-
ganisirt, könnte jedenfalls Besseres leisten, letzteres begreiflich unter der Be-
dingung, daß sie die erforderlichen Zweigniederlassungen hätte.
Die Schweiz hat nicht einmal annähernd die Einrichtungen, wie Deutschland
mit seiner Reichsbank. Für den internationalen Verkehr scheint sie unerläßlich
zu sein, wenn man auch wohl weiß, daß es in der Schweiz Kreditanstalten hat,
die ihrerseits auch in dieser Richtung viel leisten. Obschon die Hoffnungen, die
diesfalls da und dort geäußert worden, als theilweise zu hoch gehend angesehen
werden müssen, so läßt sich doch nicht in Abrede stellen, daß die Note einer
schweizerischen Landesbank eine bessere Zirkulation haben würde, als trotz Bundes-
gesetzes die Noten der gegenwärtigen Emissionsbanken sich erfreuen. Nicht ge-
rade zum Privatkredit, aber doch zu den Wirkungen des öffentlichen Kredites
muß die Vermittlung von kleinem Zahlungen durch den Postaniveisun(/s verkehr,
theilweise auch durch telegraphische Anweisung, gerechnet werden; es ist das
Kompensationsprinzip, welches in weitgehender Weise unter den Postämtern des
gleichen Postgebietes, d. i. wohl auch durch die der Weltunion, zur Anwendung
kommt.
Kreditschutzvereine« Es bestehen in der Schweiz zwei größere Vereine
dieser Art: der Eine unter dem Namen „Confidentia**, Schweizerischer Kredit-
schutzverein, mit Sitz in Bern, der Andere unter dem Namen „Union suisse pour
la sauvegarde du credit" mit Sitz in Genf. Ersterer hatte Ende November 1886
3800 Mitglieder, der zweite (Ende 1885) 411. Die Bureaux beider Vereine
ertheilen Auskünfte und besorgen Incassi (dasjenige in Genf im Jahre 1885
2911 Auskünfte und 419 Incassi im Betrage von Fr. 30,738 = 43^0 der
angemeldeten Forderungen; das Bureau in Bern 14,532 Auskünfte und 1804
Incassi im Betrage von Fr. 81,985 = 40,64 7o).
Ein im Jahre 1885 gemachter Versuch, einen „Ostschweizenschen Kredit-
Bchutzverein-' mit Sitz in Zürich zu gründen, hatte keinen dauernden Erfolg.
Kreidefabrikation. Mit diesem Geschäftszweig befaßt sich laut Handels-
register die Firma Jost Disler in Kriens, Kt. Luzem. Die Einfuhr von gewöhn-
licher Kreide in Papier, Holz oder Rohr belief sich im Jahre 1885 auf 39 q
a Fr. 672 {28 q aus Deutschland), die Ausfuhr auf 9 q ä Fr. 45.
Krystalboda — 173 — Kunst
Krystallsoda (Waschsoda, Waschkrystall), wird von den Firmen Gebr.
Schnorf in üetikon und Carl Glenk in Schweizerhalle fabrizirt, sowie von einer
Anzahl Seifenfabrikanten als Nebenprodukt.
Küfer und Kühler gab es im Jahre 1880 in der Schweiz 5419 = 4 ^oo
aller Erwerbsthätigen (1103 Bern, 710 Zürich, 464 Aargau, 440 Waadt, 347
St. Gallen, 311 Thurgau, 261 Luzern, 248 Freiburg, 221 Genf, 159 Solothurn,
142 Neuenburg, 136 Schaffhausen, 135 Graubünden, 128 Wallis, 112 Basel-
land, 99 Baselatadt, 97 Schwyz, 64 Glarus, 59 Zug, 53 Appenzell A.-Eh.,
36 Obwalden, 25 Appenzell I.-Rh., 25 Tessin, 22 Nidwaiden, 22 üri).
In diesen Zahlen sind 436 Ausländer inbegriffen.
Die Einfuhr von Ktiferwaaren betrug im Jahre 1885 1300 q im Werthe
▼on Fr. 46,800 (787 q aus Deutschland, 249 q aus Oesterreich, 215 q aus
Frankreich, 47 q aus Italien).
Die Ausfuhr betrug 2929 q im Werthe von Fr. 91,906 (1159 q nach
Italien, 1077 q nach Frankreich, 571 q nach Deutschland, 116 q nach Oester-
reich).
Künstlerisches Ei^enthum s. „Literarisches Eigenthum*".
Kürschnerei. Dieses Gewerbe beschäftigt laut eidg. Berufsstatistik von
1880 253 Personen.
Küttiger Dachapfel, ein Wirthschaftsobst ersten Ranges, kommt fast
auaechließlich in der Gemeinde Eüttigen bei Aarau vor. Der Baum trägt reichlich,
fast alljährlich, und man kennt Bäume, die von 1859 bis 1867 fast jedes Jahr
voll Früchte hingen. („Schweizerische Obstsorten", Verlag der Lithogr. Anstalt
J. Tribelhom in St. Gallen.)
Kunst« Bildende Künste. (Verfasser : Dr. B. v. Tscharner
V. Burier, Präsident des Bemischen Kantonal-Eunstvereins.) (Malerei, Bild-
hauerei, vervielfältigende Kunst«. Architektur s. unter Kunstgewerbe. Kunst-
gewerbe 8. unter diesem Artikel.) Neben den vielen Elementen, welche die
allgemeine Wohlfahrt begründen, verdient die bildende Kunst besondere Berück-
sichtigung. Sie erleuchtet und verschönert nicht nur das irdische Dasein, sondern
sie dient auch zur Erhaltung und Hebung des idealen Lebens, indem sie die
intellektuelle Bildung fördert, den Sinn für das Schöne weckt, das Urtheils-
vermögen schärft und, in richtiger Weise verwendet, den Menschen veredelt.
Aber die Kunst ist nicht bloß ein Genius, welcher über das Alltägliche erhebt;
sie bietet auch sehr bedeutende materielle Vortheile, wenn sie sich in den Dienst
der Gewerbe und der Industrie stellt, deren Erzeugnisse mit belebendem Geist
durchdringt, ihre Verbreitung unter allen Klassen der Bevölkerung und dadurch
den Nationalwohlstand fördert.
Um ein Bild der schweizerischen Kunst, wenn auch nur in allgemeinen Um-
rissen, zn entwerfen, müssen wir ihres Ursprungs, ihrer Entwicklung und dann
ihres gegenwärtigen Standes gedenken.
A. Historische Kunst.
Die Erforschung der alten Kunst bietet nicht bloß ein hohes kunstwissen-
schaftliches Interesse, sondern sie dient auch wesentlich der G^chichte und Völker-
kunde. Ebenso groß ist ihr praktischer Werth für Architektur und Kunstgewerbe,
denen sie eine unerschöpfliche Quelle von Vorbildern und Anregungen eröffnet,
welche, bei neuen Erzeugnissen mit Vortheil verwendet, deren Absatz bedeutend
erleichtem. Auch werden, wie überall, auch in der Schweiz in neuerer Zeit Qlt;e^
Kunst — 174 — Kunst
Kunstwerke eifrig aufgesucht und soviel möglich in öffentlichen Sammlungen auf-
bewahrt. Freilich gelingt es der Grewinnsucht immer noch allzu oft, die Besitzer
solcher Eunstschätze zu deren Veräußerung in*s Ausland zu veranlassen ; viele
der werth vollsten Zeugen schweizerischen Eunstfleißes sind auf diese Weise, selbst
noch in unsern Tagen, dem Lande wohl für immer verloren gegangen. Allein der
Sinn für historische Kunst hat sich allmälig wieder bei uns eingebürgert, und
die hohen Bundesbehörden haben begonnen, ihr Interesse an der alten schweize*
rischen Kunst an den Tag zu legen, so daß dieses Gebiet wohl bald die ihm
gebührende allgemeine Würdigung finden wird.
I. Vorchristliche Kunst.
Kunst in vorhistorischer Zeit. Die ersten Anfänge künstlerischen Schaffens
finden sich bei den Ureinwohnern unseres Landes. An verschiedenen Stellen der
Schweiz wurden im Anfang unseres Jahrhunderts Geräthe, Schmucksachen, Waffen
und dergleichen ausgegraben, welche, aus einer vorhistorischen Periode stammend,
bisher gewöhnlich als Nachlaß der Kelten betrachtet wurden. Die zuerst von
Dr. Ferdinand Keller bei Meilen im Zürchersee im Winter 1833/34, seither fast
in allen unsern Seen entdeckten Pfahlbauten förderten eine Menge ähnlicher
Erzeugnisse menschlicher Handfertigkeit zu Tage, und seither sind fortwährend
in Piahlbauten, Höhlen, Grabstätten, in Ackerfeldern u. s. w. zahlreiche Funde
aus verschiedenen Perioden dieses 2jeitalters zum Vorschein gekommen, meistens
Arbeiten aus Knochen, Hom, Stein, Thon, Bronze oder Eisen. Schon die Thon-
geföße der ältesten, sogenannten Steinzeit sind durch ein bloß eingekratztes, wirres
Linienspiel verziert. Später erweiterte sich dasselbe durch eigentliche Gravirungen
zu regelmäßigen Linien, Zickzack bändem, punktirten Stellen und Kreisen, öfters
mit Farbendekorationen ausgestattet; letztere meistens schwarz und roth durch
Beimischung von Graphit und Bothstein. Bisweilen wurden die Thongefäße mit
Einlagen, gewöhnlich mit Zinnstreifen, geschmückt. Ein Unicum eines Skulptur-
werkes aus der Steinzeit ist wohl der im Berner Antiquarium aufbewahrte, am
Handgriff eines Meißels in Holz geschnitzte Eehkopf aus dem Pfahlbau Sohafis.
In dem Zeitalter der Bronze und des Eisens entwickelte sich die Ornamentik
noch mehr auf Metallgegenständen, Zierrathen, Armspangen, Nadeln, Agraffen,
Schwertern, Lanzenspitzen u. s. w. Die Gravirungen bilden symmetrische, ver-
schlungene Zeichnungen, mit Nachbildungen von Thieren und Pflanzen, doch sind
dies wohl meistens importirte alemanische oder ostgothische Produkte. Auch
keltische Münzen sind gefunden worden, so z. B. kürzlich im Torfmoor zu Wauwyl
Münzen aus reinem Gold von der Form der sogenannten Regen bogenschüsselohen.
Römische Kunst. Mit Cäsar' s Legionen zog in Helvetien römische Kultur
ein und verbreitete sich in Folge der Ausdehnung der römischen Herrschaft mehr
und mehr über das ganze Land. Zur Befestigung ihrer Macht grtlndeten die
Römer eine Reihe wichtiger Städte, so Vindonissa (das heutige Windisch), Augusta
Rauracorum (Baselaugst), Aveuticum (Avenches), die Hauptstadt des Landes, und
verbanden dieselben durch dazwischenliegende Militärstationen und Befestigungen,
nach Norden und Osten Zurzach, Oberwinterthur, Stein a. Rh., nach Süden und
Westen Eburodunum (Yverdon), Nyon, Lousanna (Lausanne), Q^nava (Gent"),
Tarnaiee (St- Maurice) , Octodurum (Martigny) und Sedunum (Sitten). Mit Aus-
nahme der Thermen von Aquee (Baden) hatten die meisten Städte eine vorwiegend
strategische Bedeutung, ihre Architektur erhob sich selten über die Höhe des
gemeinen Nutzbaues. Wie die vielen mit den Stempeln der XXL und XI. Legion
versehenen Backsteine bezeugen, waren Soldaten die Erbauer der Reichsstraßen,
Kunst — 17r> — Kunst
Brücken, Wasserleitungen und Städte. Nur in Aventicum, dessen noch jetzt theil-
weise bestehenden Ringmauern einen Raum von nahezu fünf Viertelstunden um-
Hchlossen, war unter Yespasian, welcher, sowie dessen Vater Flavius Sabinus,
dort eine Zeit lang gewohnt, die Kunst zu höherer Blüthe gelangt. Es ist daher
nicht auffallend, daß außer römischen Architekturresten während der mehr als
200 Jahre dauernden Römerherrschaft verhältnißmäßig nicht sehr viele Kunst-
werke in der Schweiz entstanden sind; auch hat die Zerstörungswuth der ein-
dringenden Horden der Alamannen, welche im Jahre 260 Aventicum niederbrannten
und unter Honorius den Rückzug der römischen Truppen aus ganz Helvetien
herbeiführten, nur spärliche Ueberreste zurückgelassen. Da die Architektur werke
außerhalb dem Bereiche dieses Ueberblickes liegen, so erwähnen wir nur beispiels-
weise die in neuerer Zeit bloßgelegten, großartigen Amphitheater zu Aventicum
und Octodnrum und das Theater von Augusta Rauracorum. Die an mehreren
Orten aufgefundenen Mosaiken der Fußboden, Wände und Decken aus buntfarbigen
Würfeln von Stein oder Grlas bezeugen die Vorliebe der Römer für dekorative
Kunst; anfänglich sind es einfache, ornamentale Zeichnungen, später kunstvollere
Kombinationen mit Thiergestalten, Jagdszenen u. s. w. So wird in Orbe das
Sanmstück eines Fußbodens, welches einen mit Ochsen bespannten Wagen mit
mehreren Figuren darstellt, aufbewahrt; eine Mosaikplatte mit Theseus und Ariadne,
sowie ein Mosaikmedaillon mit der Nachbildung eines Hasen vom gleichen Fundort
im Berner Antiquarium; daselbst ein Theil des Zodiacus und ein Bild eines
Elephanten und eines Wolfs, beides Mosaiken von Aventicum. Im Freiburger
Museum befindet sich ein zu Cormerod bei Avenches ausgegrabenes Mosaik, welches
den Kampf des Theseus mit dem Minotaurus darstellt. In TofPen, Baden, Wohl-
hosen und Tvonand sind in neuerer Zeit ebenfalls römische Mosaiken aufgefunden
worden. Von den nicht zahlreichen Skulpturwerken römischen Ursprungs, welche
ans erhalten geblieben sind, erwähnen wir einige bedeutendere: Große Bruch-
stücke von Kolossalstatuen, in Bronze, in Martigny; die kleine Statuette eines
geflügelten Amors oder des Hymenäus, in Bronze, in Baden ; ein marmorner Kopf
der Juno oder der Vesta, mehr als Lebensgröße, im Rhonebett in Genf ; die Büste
eines Verstorbenen in einem Grabmonument, in Aventicum; eine Maske aus Elfen-
bein mit skulptirter Fratze eines Schauspielers, ebendaselbst, u. s. w. Bedeutend
größer ist die Zahl der aufgefundenen Erzengnisse römischer Kleinkunst, Nament-
lich auffallend ist die Mannigfaltigkeit und Schönheit der Formen der Gefäße,
Bronzevasen, Amphoren, Terracotten und der vielen Arten von Zierrathen, Gold-
schmiedarbeiten, Armbänder, Brustnadeln u. s. w., welche in unsem Museen auf-
bewahrt werden. Eine der künstlerisch vollendetsten Arbeiten dieser Gattung ist
ein Bronzespiegel ans Aventicum, dessen Rückseite die Darstellung des Paris-
Urtheils ziert, im Museum in Lausanne. Römische Münzen und Medaillen aus
verschiedenen Zeitaltern werden an sehr vielen Orten der Schweiz aufgefunden.
n. Altchristliche Kunst.
Kunst der Alamannen und der Burgunder. Schon bevor die Römer im
fünften Jahrhundert die Herrschaft in der Schweiz dem kriegerischen, rohen Volke
der Alamannen überlassen mußten, waren die Wurzeln des Christen thums, in
Folge der Bemühungen nordischer Missionare und der erleichterten Beziehungen
zo Italien, bereits zu tief in unser Land eingedrungen, um nicht densen weitere
Ausbildung herbeizuführen. Abgesehen von den mehr oder weniger beglaubigten
Legenden der bei St-Maurice dem Märtyrertod anheimgefallenen thebäischen Legion,
der Heiligen Beatus und Lucius, sowie anderer Glaubensboten, Rnd^xv Vvt ^Oclqw
Kunst -. - 176 — Kunst
in römischer Zeit christliche Diözesen in Genf und Martigny und bald nachher
einen Bischofsstuhl in Chur. Die uns aus jenen Zeiten überlieferten Zeugen be-
ginnender Kunstthätigkeit sind nicht zahlreich, war ja überhaupt das erste Christen-
thum der Kunst wenig zugethan. Meistens beschränkte man sich auf symbolische
Darstellungen ; Orpheus oder ein Fisch (nach Anleitung der Buchstaben des
griechischen Wortes) waren Symbole des Weltheilandes; das Lamm, die Taube,
der Anker, das Schiff u. s. w. solche des Christenglaubens. Das griechische Kreuz
£ndet sich schon frühe auf Zierrathen, so z. B. auf einem bei Niederlunneren im
Kanton Zürich entdeckten Goldschmuck (im antiquarischen Museum in Zürich),
auf einer in Schorren bei Thun aufgefundenen Gewandnadel, auf Schmuckwerken
und einem Grabstein aus Augusta Rauracorum u. s. w. In Genf ausgegrabene^
Thonlampen aus dem vierten bis sechsten Jahrhundert sind mit dem Kreuz und
Fisch, oder mit Palmen und den Brustbildern der Apostel geschmückt. Eines der
bedeutendsten Denkmäler aus jener 2^it ist der in der Arve aufgefundene Diskus
des Yalentinian, ein silberner Rundschild mit dem Bildniß des Kaisers, wahr-
scheinlich Valentinian's IL, in dessen Nimbus das christliche Kreuzmonogramm zu
erkennen ist (im Genfer archäologischen Museum).
Mit dem Entstehen des ersten burgundischen Reiches verbreitete sich Christen-
thum und Kultur. Zwar trat die Kunst noch nicht selbstständig auf; sie lehnte
sich sowohl an römische, als auch an altgermanische Vorbilder an. In der West-
schweiz entstanden die ersten christlichen Bauten : Basiliken^ bestehend aus einem
auf drei Seiten von Säulenhallen umschlossenen Vorhof, dem von Pfeilern oder
Säulen getragenen Hauptschiff, nebst niedrigem Nebenschiffen, bedeckt von flacher
Holzdecke und mit einem halbrunden Chorausban abschließend, ferner Grabkirchen,
Baptisterien u. s. w.^) Von diesen Gebäuden sind nur noch wenige Reste theils
in Fundamenten, theils durch Ausgrabungen zum Vorschein gekommen, so in der
Kathedrale in Genf und in den Klosteranlagen von St-Maurice. Alle Proben
damaliger höherer Plastik sind verloren gegangen. Hingegen desto reicher ist die
Ausbeute der in Grabstätten aufgefundenen Erzeugnisse der Kleinkunst dieser
Periode, meistens Eisen-, Erz- und Goldschmiedarbeiten: Waffen, Zierrathen,
Gewandnadeln, Gürtelschnallen u. dgl. von ganz eigenartigen Formen und Zeich-
nungen. In der Regel entbehren sie des Reliefs und sind bloß Gravirungen, bis-
weilen mit Einlagen von Gold-, Silber- oder Erzfäden, Inkrustationen u. s. w.
Charakteristisch ist das Vorherrschen von Kreisen, Voluten, Spiralen, Geflecht-
verschlingungen; bei Darstellungen von Gestalten fällt die plumpe, unförmliche
Zeichnung auf. Die ältesten Goldschmiedarbeiten stammen aus Gräbern von Ins
und von Allenlüften im Kanton Bern. Entwickelter ist die Technik der in burgun-
dischen Gräbern der Waadt aufgefundenen Schmuckgegenstände, besonders auch
die damit reichlich verzierten Reliquiarien des Klosters St-Maurice.
Kunst zur Zeit der Karolintfer. Die vielen kirchlichen Bauwerke aus
karolingischer Zeit sind spätem Restaurationen zum Opfer gefallen. Auch größere
Skulpturen dieser Periode sind keine mehr in der Schweiz vorhanden; dagegen
besitzen wir noch Schöpfungen der damaligen Kleinkunst, namentlich Goldschmied-
arbeiten und Elfenbeinschnitzereien, welche zum Schmuck von Altären, Kirchen-
geräthen und Kirchenbüchern dienten. Ihr Stil, anfänglich sich der Antike an-
schließend, läßt später byzantinischen Einfluß mit seiner steifen Feierlichkeit und
Prachtliebe erkennen. Besonders bekannt sind die Diptychen, Schreibtafeln, deren
\) Da dieser Ueberbiick die Bauwerke nur beiläufig [erwähnt, so verweisen wir
hier, wie auch für die Folge, auf den Artikel Architektur.
Kunst — 177 — Kunst
Außenseiten mit Elfenbeinrelieils verziert wurden, namentlich das Diptychon des
Tutilo in der St. Galler Stiftskirche, welches den bartlosen Heiland in einer Glorie,
sog. Mandorla, thronend, von den vier Evangelisten und Engeln umgeben, dar-
stellt. Auch eine skulptirte Elfenbeintafel im Stiftsschatze von Bero-Mttnster im
Kanton Luzem, ein aus der Valeriakirche in Sitten stammendes Reliquien kästchen,
ferner die Pyxiden (Büchsen zur Aufbewahrung des geweihten Brodes) gehören
hieher. Unter den uns aus karolingischer Zeit erhalten gebliebenen Goldschmied-
werken ist das bedeutendste die goldene Kanne mit Emailmalereien im Kloster*
schätz von St-Maurice. Besonders aber zeichnet sich diese Periode durch die
Miniaturmalereien aus, welche, von irischen Mönchen eingetührt, hauptsächlich
im Kloster St. Gallen zu hoher Ausbildung gelangten. Die dortigen Manuskripte
sind mit Ornamenten, Initialen u. s. w. geschmückt, welche an Vielseitigkeit der
Komposition, Farbenpracht und Vollendung der Ausführung noch jetzt die all-
gemeine Bewunderung erwecken. Leider tragen hingegen die Darstellungen mensch-
licher Gestalten das Grepräge einer starren, oft sogar formwidrigen Auffassung.
Solche Malereien finden sich in den Codices der Stiftsbibliothek von Einsiedeln und
in mehreren Psalterien, Meßbüchern, im Evangeliarium, Codex Nr. 20, namentlich
aber im Psalterium aureum der Stiftsbibliothek zu St. Gallen, wo in der zweiten
Hälfte des neunten Jahrhunderts diese Kunst zur höchsten Blüthe gelangte.
III. Kunst im Mittelalter.
Romanische Kunst. Mit dem Beginn des Mittelalters, wo die nationale
Entwicklung sich kräftiger ausbildete, Staat und Kirche zu bedeutender Macht-
entfaltung gelangten, erhielt auch die Kunst eine selbstständigere Gestaltung. Sie
blieb zwar vorerst noch von der Antike beeinflußt, suchte jedoch bald nach neuen
Idealen. Durch Verschmelzung mit germanischen Elementen schuf sie den im
elften bis dreizehnten Jahrhundert herrschenden, sogenannten romanischen Stil,
Die christliche Basilika erlitt wesentliche Veränderungen. Statt des Vorhofes wurde
ein Portalbau mit einem oder mehreren, meist vier- oder achteckigen, gegliederten
Thürmen am Eingang errichtet, am andern Ende des Langschiffes die Kreuz-
form durch ein Querschitf herbeigeführt und der Abschluß des Hauptschiffes durch
ein geräumiges Chor vermittelt, unter welchem oft eine Grabkapelle (Krypta)
angebracht ist. Das Langschi ff wird durch viereckige, durch Rundbogen verbundene
Stützen (Pfeiler) oder durch Säulen getragen. Die oft gekuppelten Fenster und
Thüren sind, wie alle Wölbungen, im Rnndbogen geschlossen; die Säulen ruhen
auf attischer Basis und sind mit Würfel- oder Kelchkapitälen gekrönt, welche
einen viereckigen Aufsatz (Abacus) tragen. Statt der flachen Holzdecke tritt später
das Kreuzgewölbe und das Tonnengewölbe auf. Die Ornamentik, meistens in freier
Nachahmung korinthischer Formen, besteht aus stilisirtem Blattwerk, struktiven,
symmetrischen Formen und figürlichen Darstellungen biblischer, legendarischer
Vorgänge, symbolischer Thiergestalten, vorzugsweise von Kampf- und Würge-
Bzenen. Beliebt sind die Bogenfriese, Schachbrett- oder Würfel- und Zahnfriese,
auch zur Dekoration der Außenwände. Der gleiche Stil wurde bei Profanbauten
befolgt.
Die ältesten deutsch-romanischen Monumente der Schweiz sind das Münster
zu Schaffhausen und die Pfarrkirche zu Stein a. Rh. Ferner sind zu erwähnen
die Kirchen von Bero-MUnster, Moutier-Grandval, Scherzligen, Einigen, Spiez,
Amsoldingen; in der ürschweiz die Kirch thürme von Willisau, Stanz und Baar;
in der Ostschweiz die Kirchen in Zillis, Dissentis u. A. ra. Das Großmünster in
Zürich und das Münster in Basel mit seinem großartigen Kreuzgang, zum Th^U
Fnrrer. Volkswirtbicbaftt-Lexikou der Schweiz. Y^
KunJJt — 178 — Kunst
auch der Dom zu Chur, gehören einer spätem Periode des romanischen Stils, des
sogenannten Uebergangsstils, an, bei welchem der Uebergang zu Schöpfungen
folgender Epochen hervortritt. Die romanischen Bauten der Wcs^scÄwei> verdanken
ihre Entstehung dem Aufblühen des hochburgundischen Reiches. Die in süd-
französischen Bauwerken angebrachten Tonnengewölbe und der sich dem Spitzbogen
nähernde Rundbogen fanden auch in der Westschweiz Eingang; statt des Wtirfel-
kapitäls traten Nachahmungen der korinthischen Ordnung hervor, G-anz- und Halb-
pfeiler u. 6. w. Dieser Bauart gehören an die Abtei zu Romainmotier, die Stifts-
kirche von Payeme, die Kirche von Grandson, die Glockenthürme der Kirche
von St-Maurice und der Kathedrale von Sitten.
Die Formen der romanischen Plastik^ im Allgemeinen roh und steif, leiden
häufig an Mängeln der Proportion und idealen Auffassung; nur in dem Falten-
wurf lassen sich oft Anklänge der Antike erkennen. Größere romanische Skulptur-
werke besitzt die Schweiz nicht mehr; die goldene Altartafel von Basel, eine der
werthvollsten Arbeiten jener Zeit, ist leider in's Hotel de Cluny nach Paris ver-
kauft worden. Romanische Statuen und Reliefs befinden sich im Basler Münster,
im Zürcher Großmünster und in einigen wenigen Kirchen der Westschweiz.
Italienischen Einfluß zeigt der plastische Schmuck des Domes zu Chur. Elfenbein-
schnitzereien zum Schmuck der Reliquiarien, der Bücherdeckel und profaner Luxus-
geräthe, Holzschnitzereien, Bronzen, Email- und Gx)ldschmiedarbeiten dieser Epoche
finden sich in den Kirchen und Sammlungen unseres Landes noch ziemlich zahl-
reich. Eine der schönsten Arbeiten frühmittelalterlicher Kleinkunst ist das große,
silberne Vortragkreaz im Kloster Engelberg.
Zur Belebung der großen Wandflächen romanischer Gebäude dienten die
Wandmalereien^ welche in großartig, auf den Effekt angelegten Bildercyklen
biblische, legendarische oder allegorische Szenen darstellen. Die Zeichnung ist meist
mangelhaft, sowie die Technik und das Kolorit ohne Mitteltöne und Schattirung.
Solche Malereien sind in vielen unserer Kirchen unter der alten Tünche zum
Vorschein gekommen ; zu den bedeutendsten gehören die Deckengemälde in der
Kirche von Zillis in Graubünden. Die Miniaturmalerei zerfiel während der
romanischen Periode durch Abnahme des Formensinnes und der Technik. Bloß
in der Anfertigung gemalter, ornamentirter Initialen gab sich noch, wie z. B.
in denjenigen, welche in den Stiftsbibliotheken von Einsiedeln und St. G-allen
aufbewahrt werden, ein höherer Kunstsinn kund: besonders aber in den lebens-
volleren Initialen der sogenannten Schule des Klosters Engelberg.
Gothische Kunst. Schon im zwölften Jahrhundert zeigte sich in der Bau-
kunst ein Suchen von neuen Elementen ; mit dem Anwachsen der städtischen
Bevölkerungen entstand das Bedürfniß von geräumigem, Licht und Luft leichter
zugänglichen Gotteshäusern. Diesem entsprach der in Frankreich zuerst auftretende
gothische Stil, welcher im dreizehnten Jahrhundert, wie in fast allen christlichen
Ländern, auch in der Schweiz Eingang fand. Man suchte durch allgemeinere Ein-
führung des Spitzbogens die baulichen Massen zu erleichtern, sie möglichst viel
zu durchbrechen und ihnen eine nach Licht und Höhe strebende Konstruktion zu
geben. Das Blreuzgewölbe wurde aus Spitzbogen gebildet, welche gestatteten,
dasselbe ohne Rücksicht auf eine quadratische Anlage zu konstruiren und dessen
ganze Lant auf die Pfeiler überzutragen. Zur Verstärkung des hoch über die
Nebenschiffe emporsteigenden Mittelschiffes dienen die äußern Strebepfeiler. Die
Pfeiler des Innern (Rundpfeiler), mit Halbsäulen (Dienste) besetzt, stützen die
Gewölberippen ; sie ruhen auf niedriger, attischer Basis und tragen meist ein kelch-
artiges, mit naturalistischem Blattwerk verziertes Kapital. Die Choranlage wurde
Kun^t — 179 — Kunst
vergrößert, bisweilen von einem Kranz polygoner Kapellen umgeben. Die Tbürme,
nieiat zwei an der Westseite der Kirche, sind in der Regel von viereckiger Grund-
form, gehen oben in ein Achteck über, welches von einer durchbrochenen Dach-
pyramide gekrönt ist. Die Ornamente sind geometrische Figuren (Stäbe, Maßwerk
in den Bogenfeldern der Fenster, Giebel u. s. w.) oder naturalistische Blattformen.
Aus der friihgothischen Periode des dreizehnten Jahrhunderts, welche sich
durch Einfachheit und Strenge des Stils auszeichnet, stammen die Kathedralen
zu Genf und zu Lausanne, Notre-Dame de Valere bei Sitten, die Collegialkirche
in Neuenburg, die Stiftskirche zu St- Ursanne u. A. m.
Erst im vierzehnten Jahrhundert hat die Gothik sich zu größerm Reichthum
der Formen ausgebildet, wie z. B. in der Stiftskirche zu Freiburg, im Basler
Münster, dessen zwei Thürme die einzigen dieses Stils sind, welche zum vollendeten
Abschluß gelangten, die Barfüßer- und die Predigerkirche in Basel, das Frau-
münster in Zürich, die Klosterkirche von Königsfelden u. s. w.
In der spätgothischen Periode des fünfzehnten Jahrhunderts begann der
Verfall der reinen Gothik durch Einführung neuer Bogenformen (sogenannte Esels-
rücken, Tudorbogen u. dgl.) und einer oft auf Spielereien und verworrenen Linien
beruhenden Ornamentik. Dieser Zeit gehören die Pfarrkirche zu Estavayer und
die leider halb verfallene Abteikirche St. Johannsen am Bielersee an ; ebenso die
Kirchen St-Gervais und St-Germain in Genf, St-Frangois in Lausanne, St. Leonhard,
St. Theodor und St. Klara in Basel, das Berner Münster u. A. m.
Der gothische Profanbau war in der Schweiz anfänglich auffallend einfach
und schmucklos; erst in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts erscheinen
monumentalere Bauten, wie z. B. in einigen altern Straßen Freiburgs, die Rath-
häuser in Basel, Zug und Sursee, die Befestigungswerke von Basel, die Burgen
von Neuenburg, Estavayer, VuflBlens u. s. w.
Die Bildhauerei und Malerei fand im gothischen Zeitalter einen besondern
Aufschwung infolge des allgemeinen Bedürfnisses größerer Belebung der Gottes-
dienste und reichlicherer Ausschmückung der Gotteshäuser. Anfänglich folgten
sie einer idealen Richtung; was ihnen an Formvollendung abging, ersetzten Tiefe
der Gedanken und Innigkeit des Ausdruckes, welcher oft in's Süßliche ausartete.
Die Gestalten der frühgothischen Periode, des dreizehnten Jahrhunderts, haben
noch das Gepräge großer Naturwahrheit und scharfer Beobachtung, auch in der
Behandlung des Nackten und des Faltenwurfs, nebst ausdrucksvoller Darstellung,
8o z. B. die Skulpturen der Genfer Kathedrale, der Apostelpforte der Kathedrale
von Lausanne. Aber schon mit dem vierzehnten Jahrhundert zeigte sich in der
Plastik wie in der Malerei ein Verlassen der festen, materiellen Formen; die
Gestallen werden auffallend schlank, die Bewegungen des Körpers und der Wurf
der Gewänder wird manierirter, der Gesichtsausdruck unnatürlich, konventionell,
vor Allem die Innigkeit der Gefühle darstellend. Als Beispiele solcher Arbeiten
sind anzuführen : Das Cenotaphium der Grafen von Neuenburg in der Collegial-
kirche dieser Stadt; das Grabmal des Franz I. von La Sarraz in La Sarraz;
mehrere Grabmäler in der Kathedrale von Lausanne, im Basler Münster; die
dortigen Statuen der Heiligen Georg und Martinus, u. A. m.
In Kreuzgängen, Refektorien, Kapitelsälen und Kapellen, wo größere Wand-
flächen noch vorkamen, war als Schmuck derselben die Wandmalerei sehr ge-
bräuchlich. Ihre Technik blieb vorerst die gleiche wie in der romanischen Zeit.
Gewöhnlich benutzte man Leimfarben ; die Ausführung trug ein handwerksmäßiges
Gepräge. Auf einfarbigem Hinlergrund sind die Figuren mit derben Zügen schwarz
oder roth gezeichnet, die nackten Stellen oft un bemalt, die übrigen St^W^w Vci ^\\v-
Kunst — 180 — Kunst
fachen Lokaltönen kolorirt. Die Kompositionen sind meistens äußerst einfach ; aller
Bealität entbehrend, haben die Gestalten fast alle den gleichen, innigen Ausdruck.
Bei Schilderungen leidenschaftlicher Vorgänge nahm der Künstler Zuflucht zu.
symbolischen Zuthaten oder erklärenden Inschriften und Spruchbändern. Von den
wenigen der selbst noch in neuerer Zeit rücksichtslos waltenden Zerstörung ent-
gangenen Malereien dieser Epoche sind folgende, wenigstens theilweise erhaltene
anzuführen: Die Wandgemälde in der Kirche von Oberwinterthur ; das Bild des
Grekreuzigten mit Maria, Johannes und den Aposteln in der Geßlerkapelle der
Klosterkirche zu Kappel ; die Deckengemälde in der Chorgruft des Basler Münster«^
(Szenen aus dem Leben der Heiligen Martinus und Margaretha, Bilder aus der
Lebensgeschichte Jesu und der Maria), u. A. m. Auch einige ähnliche, bildliche
Darstellungen auf Teppichen, Paramenten u. dgl. sind uns erhalten geblieben, so
z. B. der Bilddruck auf der berühmten Tapete von Sitten. Als Repräsentanten
der Glasmalerei der frühgothischen Periode besitzen wir noch u. A. den schönen
Cyklus der Rosette der Kathedrale in Lausanne; einige Glasgemälde im Chor von
St-Nicolas in Freiburg, im Kloster Wettingen. Die damalige Technik war höchst
einfach; alle Gläser sind in der Masse gefärbt und wenig durchscheinend. Viel
bedeutender sind die Glasgemälde aus dem vierzehnten Jahrhundert, z. B. die-
jenigen zu Königsfelden, zu Münchenbuchsee, Kappel u. s. w. Als einzige Auftrag-
farben dienten hier das Kunstgelb und das Schwarzloth. (Näheres hierüber 8.
Seite 774 im I. Band.) Die Miniaturmalerei trat wieder gegen das Ende des
vierzehnten Jahrhunderts auf, jedoch mit geringerm Erfolg als in der karolingischen
Zeit; sie diente besonders zur Illustration von Werken dichterischen oder histo
rischen Inhalts, wie z. B. der wahrscheinlich in Zürich entstandenen Manessischen
Liedersammlung. Auch die Kleinkunst^ namentlich zur Schmückung von Luxut:-
gegenständen und Geräthen, wurde allgemeiner geübt, und gelangte in der Stech-
kunst, Kunsthafnerei und andern Zweigen zu hoher Ausbildung.
Mit der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts begann die spättfothische
Periode und mit ihr die Rückkehr zum Naturalismus. In der Plastik strebte mau
wieder nach größerer Fülle und Naturwahrheit der Gestalten. Dieser spätgothischen
Periode gehören mehrere Grabsteine an, welche im Basler Münster liegen ; femer
die Grabmäler des Ritters Gradner in der Kirche zu Eglisau und des Bischofs
Ortlieb von Brandis im Churer Dom, die Statuen im Hauptportal der Stiftskirche
von Freiburg und die Skulpturwerke in demjenigen des Berner Münsters. Zahl-
reich sind die Holzschnitzereien, fiir welche jene Periode eine besondere Vorliebe
hatte, besonders zur Verzierung voh Altären, Schreinen u, dgl. Werth volle Arbeiten
dieser Art sind die Hochaltäre im Chor zu Chur und in der Valeriakirche bei
Sitten, sowie in vielen andern Gotteshäusern; ferner die Skulpturen der Chor-
stühle im Basier Münster, im Churer Dom, in St. Nicolas zu Freiburg, Hauterive,
Estavayer, Moudon, in der Kathedrale von Lausanne u. k. w. ; ebenso die vielen
geschnitzten Holzmöbel, Truhen, Schränke, Täfer, Tische u. A. m. In der Malerei
trat die gleiche Umkehr zum Naturalismus ein, freilich oft mit Neigung zu alle-
gorischen, humoristischen, selbst fratzenhaften Darstellungen, wie z. B. bei den
in Aufnahme kommenden Gemälden des Todtentanzes im Kreuzgang des Klosters
Klingenthal in Klein-Basel und an den Friedhofmauern des Dominikanerklosters
in Groß-Basel (beide zerstört) ; ferner bei den noch theilweise erhaltenen Wand-
malereien in der Schloßkapelle von Kyburg, in Zürich, Winterthur, in bündne-
rischen und tessinischen Kirchen, in der Valeriakirche bei Sitten, in der St. Georgs-
kapelle bei Bonadutz u. s. w. Der gleiche Uebergang zum Realismus zeigt sich
bei der "Miniaturmalerei, namentlich bei den Illustrationen der Chroniken der
Kunst — lt(l — Kunst
Schillinge in Luzern, Bern und Spiez. Die Technik der Glasmalerei wurde durch
eine Reihe neuer Prozeduren bereichert, namentlich auch durch die Erfindung des
sogenannten üeberfangglases, durch dessen stellenweise Ausschleifung neue koio-
ristische Wirkungen erzielt wurden. Leider verlor die Komposition der Darstel-
lungen von ihrer anziehenden Einfachheit und Ruhe, sowie von der frühem Farben-
harmonie, wie dies aus den Glasgemälden des Münsters in Bern, der Pfarrkirche
von Biel und an andern Orten ersichtlich ist. Die durch die flandrischen Meister
erfundene Oelmalerei wurde vielfach zur Anfertigung kirchlicher Tafelbilder be-
nutzt, welche oft unter dem Einfluß der Kölnischen und der Schongauer'schen
Schule noch die magern, eckigen, harten gothischen Formen, bunten, unschön ge-
falteten Gewänder und eine Uebertragung der Vorgänge in die Gegenwart zeigen.
In den Museen von Bern, Zürich, Solothurn, Freiburg n. s. w. sowie in vielen
unserer Kirchen befinden sich Repräsentanten dieses Stils.
IV. Kunstder Renaissance.
Als im fünfzehnten Jahrhundert, von Italien ausgehend, ein lebensfrischer
Geist die abeudländische Welt durchzog und die verknöcherten mittelalterlichen
Formen auflöste, begann eine neue Kunstrichtung, die Renaissance. Die unüber-
troffene Antike mit der unendlichen Schönheitsfülle der Natur zur gemeinsamen
Grundlage nehmend und den mannigfaltigsten Kunstäußerungen freien Lauf lassend,
erlangte die Renaissance, namentlich auf den Gebieten der Architektur und des
Kunstgewerbes, auf lange Zeiten hinaus die Herrschaft, welche sie noch in unserer
Gegenwart behauptet. In ihren Hauptformen befolgte der imposante Baustil der
Benaissance die römische Anlage des Gewölbebaues mit Tonnengewölben, Kuppeln,
römischem Säulenbau oder horizontal abgestuften Pfeilern, in freier dekorativer
Weise. Die Wölbungen wurden mit Cassetten, Gipsreliefs oder Malereien geschmückt,
die Fenster, meist viereckig, durch starke Gesimse gekrönt, welche von Pilastern,
Säulen oder Konsolen gestützt sind. Die Ornamente bieten große Mannigfaltigkeit
naturalistischer Formen dar, Blumen, Frucht- and Laubgewinde, Vasen, Obelisken,
Masken, phantastische Gestalten u. s. w. In der zweiten Hälfte des fünfzehnten
Jahrhunderts, zur Zeit der sogenannten Frührenaissance , noch weniger frei von
gothischen Kachklängen, befolgte dieser Stil im sechszehnten Jahrhundert (Hoch-
renaissance) eine strengere Nachahmung der alt-römischen Formen, während im
siebenzehnten Jahrhundert der Spätrenaissance (Barockstil) eine willkürlichere An-
wendung derselben und eine mit geschwungenen Linien und Schnörkeln über-
ladene Dekoration auftritt.
Obschon die Renaissance in der Schweiz so früh erschien wie kaum in den
benachbarten deutschen Ländern, fand sie vielfach unter Beibehaltung der gothischen
Formen doch meistens nur in dekorativem Sinn ihre Anwendung. Das gothische
Fenster wurde noch lange beibehalten mit dem weitvorragenden Satteldach oder
Staffelgiebeln, Erkern u. s w. Die Umrahmungen der Fenster und Thüren wurden
mit antikisirenden Gesimsen, Flach- und Spitzgiebeln versehen. Wir besitzen noch
eine Menge solcher Ihrof anbauten^ z. B. das Zunfthaus „Zur Waag" in Zürich,
das Amt haus in Freiburg, das Schloß zu Avenches, das ^Göldihaus" in Luzern.
Bei andern, wie beim Haus der Geltenzunft in Basel, dem Hutel de Longueville
in Neuenbürg, beim Rathhaus in Luzern, herrscht hingegen in der äußern Glie-
derung eine reinere Renaissance. Die gleiche Vermengung der Gothik mit De-
korationen der Renaissance findet sich an vielen monumentalen Brunnen in Basel,
Bern u. s. w Die bedeutendsten Profanbanten der Hochrenaissance, welche die
Schweiz besitzt, sind der Frenler'sche Palast (jetziges Gemeindt^haw^^N m ^'ii^'s^
Kunst — 182 — Kunst
und der Stockalper'eche Palastbau in Brieg. Aus der Zeit der Spätrenaissance
datiren der Spießhof in Basel, das Rathbaus in Zürich. Von namhaften Kirchen-
hauten aus der Eenaissance ist aus der reformirten Schweiz keine einzige zu
nennen. An katholischen Gotteshäusern behielt bis tief in's siebenzehnte Jahr-
hundert der gothische Stil meistens seine volle Geltung, so in der Jesuitenkirche in
Freiburg, in den Klosterkirchen von Werthenstein im Kt. Luzern und Mariastein
im Kt. Solothurn. Ganz im Geist der Renaissance sind erbaut die gegenwärtige
Stiftskirche von Einsiedeln, die Klosterkirchen von Engelberg, St. Urban, Rheinau,
St. Gallen u. A. m.
Die Skulpturwerke der Renaissance folgen weniger dem Zug seelenvoller
Emj)findung als dem Bedürfniß lebendiger Schilderung der Natur, welches freilich
in ihrer spätem Periode durch einen typischen Manierismus vielfach verdrängt
wurde An einzelnen Skulpturen aus der Renaissance fehlt es in der Schweiz sehr^
mit Ausnahme der zur Schmückung der Kirchen dienenden Statuen und orna-
mentalen Verzierungen, besonders in tessinischen Gotteshäusern. Bedeutender sind
die Holzschnitzereien aus dieser Zeit, die Chorgestühle des Klosters Wettingen»
der Stiftskirche von Einsiedeln, die Täferungen im sogenannten Seidenhof in
Zürich u. s. w.
Besonders entwickelten sich in der Schweiz auch die zeichnenden Künste,
Angeregt durch Hans Holbein , d. J. , befaßten sich eine Reihe vorzüglicher
Künstler, wie Nikiaus Manuel^ Ursiis Graf, Tobias Stimmer^ Jost Ämmann,
Peter Flötner, mit der Anfertigung von Holztafeldrucken, Scheiben rissen, Illu-
strationen u- dergl. in Holzschnitt. — Auch der Kupferstich, dessen Erfindung
in diese Zeit fällt, fand vielfache Anwendung, u. A. durch Christoph Murtr,
Dietrich Meyer, dem Stammvater einer bekannten Künstlerfamilie, Martin
Martini, die beiden Mathias Merian, — Die Stempelschneidekunst gelangte
bereits im sechszehnten Jahrhundei*t durch den berühmten Medailleur Jakob
Stampfer zn hoher Ausbildung.
Besonders interessant sind die Wandmalereien aus dieser Zeit im Saal des
ehemaligen Klosters in Stein a./Rh., die Fresken in der Muttergotteskapelle zu
Wyl, die Fagadenmalereien am Hause „Zum weißen Adler" daselbst, am Haus
„Zum Ritter" zu Schaffhausen, diejenigen am Basier Rathbaus, am dortigen Zunft-
hause. „Zur Schmiede", am Hertenstein'schen Haus in Luzern.
Im sechszehnten Jahrhundert erwarb sich Josef Heinz großen Ruf als Hof-
maler des Kaisers Rudolf II. in Wien. Im siebenzehnten Jahrhundert lebten
unter andern vorzüglichen Malern Joseph Werner, einer der größten Meister der
Miniaturmalerei, der Portraitist Johann Düne, Joh, Rudolf Huber, Konrad
Meyer, Matthias Füßli, Felix Meyer.
Die Glasmalerei erweiterte ihre Kompositionen und umrahmte sie mit archi-
tektonischen Perspektiven, Schnörkeln, Engeln, Guirlanden, während die Hinter-
gründe meistens weiß blieben. Bald jedoch verzichtete der Glasmaler auf farbige
Wirkung und mit den grau in Grau gemalten sogenannten „Grisailles" begann für
längere Zeit der Verfall dieser Kunst. — Durch die Genfer Jean Petitot und
Bordier wurde nach Turquefn Vorgang die Emailmalerei in der Schweiz
begründet.
(üeber die in der Zeit der Renaissance, besonders in Zürich, Beromünster
und Wint^rthur zu hoher Ausbildung gelangte Kunst ha fnereiy namentlich Fayencen
und monumentale gemalte Ofen, verweisen wir auf den Artikel Kunstgewerbe.)
Kunst — 183 — Kunst
V. Neuere Kunst.
Wenn auch das Zeitalter Ludwig'e XV. mit seinen spielenden, kokettirenden
Formen des sogenannten Rococo großen Einfluß auf die Eunstleistnngen der Schweiz
ausübte, namentlich auf das Kunstgewerbe, so nahm sie doch lebhaften Antheil an
der im achtzehnten Jahrhundert auftretenden neuen Kunstrichtung, welche antike
Schönheit, Realität und moderne Gemüthswelt zu vereinigen versuchte. Zunahme
des Wohlstandes und höherer Geistesbildung regten den Kunstsinn an. Häufige
Studienreisen in's Ausland und zeitweilige, dortige Anstellung trugen wesentlich
dazu bei, die Künstler zu regerer Thätigkeit anzuspornen, wobei sich denn freilich
ihre Schöpfungen gewöhnlich an die herrschenden Schulen, besonders Frankreichs
und Italiens, anlehnten.
£s entstanden eine Menge kirchlicher und profaner Bauwerke, theil weise
noch im Stil der Spätrenaissance, wie z. B. die ELirche zum Heiligen Geist in Bern,
theib im Stil Ludwig's XIV. und der Mansard^schen Schule; in neuerer Zeit
die gothische Elisabethenkirche in Basel, der Bundespalast in Bern, das Bahnhof-
gebäude in Zürich, viele großartige Gasthof bauten, die griechisch-russische Kapelle
in Vevey, das Theater in Genf, der eidgenössische Justizpalast in Lausanne, die
Kunstmuseen in Bern und Neuenburg, die römisch-katholische Kirche in Basel,
das Kantonalbankgebäude iu St. Gallen u. A. m.
Unter den Schweizer Bildhauern des achtzehnten Jahrhunderte; finden wir
Falconet, berühmt durch seine Reiterstatue Peter's des Großen in St. Petersburg;
später Trippel (Denkmal Salomon Greßner's in Zürich), Professor Sonnenschein,
in Bern, bekannt durch viele Familiengruppen, Portraitbüsten u. s. w., Joseph
Christen (Büsten hervorragender Schweizer), Heinrich Keller (Diomed, Geburt
der Venus, Atalante). Dem neunzehnten Jahrhundert gehören an : Franz Abhardt
(Struthahn von Winkelried, die Bären auf dem Stadtthor in Bern); Heinrich
Imhof („Eagar und IsmaSl**, „Eva", „Rebekka" u. s. w.); OechsUn (Belisar,
Denkmal Job. v. Mttller's); Karl Emanuel von Tscharner (Statue Berchtold's
von Zähringen und Pietä in Bern); Prof. Dr. Josef Vollmar (Standbild des
P. Girard in Freiburg, Reiterstatue Rud. v. Erlach^s in Bern); Chaponnihre
(Relief des Triumphbogens de TEtoile in Paris, David nach seinem Sieg über
Goliath); der berühmte James Pradier (Phryne, Prometheus u. A. in Paris,
Rousseaustatue in Genf); Pankraz Effgenschwyler ; Raffael Christen (Statue
der Berna in Bern u. A.) ; Marcello, Herzogin Castiglione-Colonna geb. Gräfin
d'Affry (Phryne, Bianca (Japello .u. A.) ; Dorciere (Hagar und Ismael u. A.) ;
Franz Keyser (Statue des Johannes in Stans, Statne Oekolampad^s am Basler
Münster u. s. w.). — Als Industriezweig wurde im Berner Oberland die Holz-
schnitzerei eingeführt.
Auch in der Malerei zeigte sich ein bedeutender Aufnehwung. Die Zahl
der Miniatur- und Tafelgemälde aus dieser Zeit ist sehr bedeutend ; sowohl Portraits
ala auch biblische, mythologische und allegorische Darstellungen, Genrebilder,
Thierstücke, sowie sehr in Aufnahme kommende, besonders schweizerische Land-
schaften. Später kam die Historienmalerei hinzu, namentlich Szenen aus der
vaterländischen Geschichte vorführend. Außer der Oelmalerei fanden bereits
Aquarell, Gouache und Lavirungen häutige Anwendung.
unter den hervorragendem Malern und Zeichnern der deutseben Schweiz
finden wir im achtzehnten Jahrhundert : Joh, Bud, Huber, Joh. Heinr. Keller,
Handmann, Bullinger, Aberli, Anton Graf, Bieter, Joh. Heinrich Wüest,
J, Kaspar Huber, Ludwig Heß, Konrad Geßner, Angelica Kaufmann,
Sigmund Freudenberger. Später, theil weise im folgenden Jahrhundert: Diocjc^^
Kunst — ^ 1Ö4 — Kunst
Joh, Georg und Josef Vollmar, Nikiaus König, Mind, David Sulzer, Schim,
Heinrich Füßli, jun., Martin Usteri. Bereits in's neunzehnte Jahrhundert fällt
die Thätigkeit von Salomon Corrodi, Jakob Sutter, Hieronymus Heß, Gabriel
uiid Georg Lory, der Geschichtsmaler Ludwig Vof/el, Hans ^ Jakob Ulrich,
August von Bonsteiien von Sinneringen ; Juillerat, Dietler, Disteli, Friedrich
Simon, Svheucheer, Paul von Beschwanden (Abraham und Isaak auf Moria, im
Bundespalast in Bern, und viele andere religiöse Bilder), Joat Muheim, Sebastian
Buff, Arnold Corrodi, Schieß, Biethelm Meyer, Jakob Zürcher, Holzhalb,
Friedrich Zimmermann, Rudolf Müller u. A.
Ebenso reich an vorzüglichen Malern war die romanische Schweiz. Vor
Allem fand die Malerei in Genf eine bleibende Stätte. Bereits Jacques- Antoine
Arlaud, Miniaturist und Hofmaler des Prinz-Regenten Herzogs von Orleans,
begründete den Ruf der Genfer Portraitisten ; ihm folgte namentlich der aus-
gezeichnete Pastellmaler Jean-Etienne Ltotard sowie Jacques Thouron, dessen
Portaits auf Email unübertroffen geblieben sind. Als erster Genfer Historienmaler
ist Jean-Pierre Saint-Ours zu nennen; als vorzüglicher Tbiermaler Jean Huber \
als Landschafter Pierre-Louis Be la JRive: als Genremaler Charles-Joseph
Auriol u. A. m. Von theilweise noch im neunzehnten Jahrhundert lebenden
Genfern erwähnen wir Wolfgang-Adam Toepffer, Jean-Baniel Huber, Agasse,
Firmin Massot, Arlaud-Jurine, Pierre-Louis Bouvier, Reverdin, Homung,
Rodolphe Toepffer, Abraham Constantine, V orzelisinmaltT, Jean- Leonard Lug ardon
(Wilhelm Teil, Baumgarten rettend, im Bundespalast in Bern ; Befreiung Bonnivard^s,
im Genfer Museum; Rütlischwur und viele andere die Heldengeschichte der
Schweiz verherrlichende Gemälde); Charles-Ferdinand Humbert, Thiermaler,
u. A. m. Fran^ois Biday war der Begründer der neuen Grenfer Landschafter-
schule, welche mit großer Keckheit und eifrigem Streben nach technischer Voll-
kommenheit die Großartigkeit unserer Alpennatur der Kunst erschloß. — Mit
dem Portraitisten J. Prud'homme begann im Neuenburg eine Reihe ausgezeichneter
Maler, z. Th. von europäischem Ruf. Ihm folgten Bosset-de Luze, Alexandre und
Abraham-Louis Girardet, Freder ic-Guillaume Moritz und Grosclaude. Im neun-
zehnten Jahrhundert trat Leopold Robert auf, der berühmte Grenremaler; dann
Maximilien de Meuron, Rose d'Osterwald; später die Gi'oßmeister Alexandre
Calame, Karl und Edouard Girardet, der unlängst verstorbene Charles-Edouard
Bu Bois u. A. m. — Unter den Waadtländer Malern ragte vor Allen Charles
Gleyre, Historienmaler, hervor; Gustave Roux war ein trefflicher Zeichner und
Illustrator.
Durch Beck und «lie Gebrüder Joh. Jakob und Georg Müller wurde die
längst verloren gegangene Kunst der Glasmalerei zu neuer Blüthe gebracht. In
Genf widmeten sich viele Künstler der Emailmalerei, u. A. J. B. Favre.
Elisabeth Terroux, Soiron, Fnbre, Blanc, Marc Henry, Abraham Lissignol,
Alernitdre Be la Ghana, Heß. — Daselbst sowie in Nyon blühte im acht-
zehnten Jahrhundert auch die Porzellanmalerei.
In der Stech- und Radirkunst wurde ebenfalls Vorzügliches geleistet durch
Salniuott Gegner, Banker^ Xicolet, Lardy, Pfenninger, Alex. Chaponnier,
Cnnrcoi-iier, Sehe ff her. Geißler, Abraham und Samuel Girardet, Forster, Joh.
Jak. L/;>>, Amsler, Abraham Bouvier, Charlc^-Simon Pradier, Jaquemot,
Ileiinirh Merz, Snter, K. A. von Gunzenbach, K. Ulrich Huber und Friedrich
Weber.
Berühmt waren im achtzehnten Jahrhundert die Medailleurs Jean und Jean-
Afttoine Dassier. Jona^ Thieband und seine Söhne, //. C. Hedlinger, J. Gnßner,
Kun^t — 185 — Kunst
J. C, Mörikofer^ Schwendimanny Samson uud in unserm Jahrhundert ganz
bebonders Jean-Fran^ois-Anioine Bovy,
Literatur: Prof. Dr. R. Rabn, Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz.
— Rigaud, Les beaux-arts a Geneve. - LObke, Geschichte der deutschen Renaissance.
— Rsdin, Zur Geschichte der Renaissance-Architektur in der Schweiz, Repertorium für
Kunstwissenschaft V. 1. — Neujahrsblätter der Zürcher Künstlergesellschaft. — Dr. P.
Albert Kuhn, Der Stiftsbau Maria-Einsiedeln. — Rahn, Statistik schweizerischer Kunsl-
denkmäler. Anzeiger für schweizerische Alterthumskunde. — S. Vögelin, Die Faqaden-
malerei in der Schweiz, ebendaselbst. — Füßli, Allgemeines Künstlerlexikon. — Spezial-
Katalog der Gruppe XXXVIII „Alte Kunst* der schweizerischen Landesausstellung in
Zürich, und Rahn'^^ Fachbericht über dieselbe. — Rahn, Kunst- und Wandei*studien aus
<ler Schweiz. — Tillier, Geschichte der Eidgenas.«enschaft während der Restaurationsperiode.
B. Kunst der Gegenwart.
L Kunst im Allgemeinen.
1) Schweizerische Kunst. Wenn wir ein einheitliches Bild der
Mchweizerischen Kunst der Gegenwart entwerfen sollen, so scheinen uns dazu fast
alle Grundlagen zu fehlen. Unser besonders auf das Praktische bedachtes Volk
ist viel mehr dazu angelegt, sich mit dem intellektuellen und materiellen Leben
zu beschäftigen als mit der idealen Welt, und wo dies geschieht, tritt die Ver-
schiedenheit der Stämme, der Religion, Sprache und Sitten eher trennend als
einigend auf. Daher sehen wir immer noch eine Menge Schweizer Künstler in
eifriger Thätigkeit und blühende Pflanzstätten der Kunst ; aber es fehlt ihnen an
gemeinsamem, innerem Zusammenhang. Ja mehr noch, unsere Künstler verfolgen
oft verschiedene Ziele; meistens in ausländischen Schulen gebildet, bleiben wenige
frei von fremden Einflüssen und weichen in Geschmack, Auffassung und Tech-
nik sehr von einander ab. Zur Stunde gibt es keine nationale, schweizerische
Kunst. Und doch lassen sich bei näherem Zusehen einige gemeinsame Elemente
auffinden. Vor Allem besitzt der Schweizer, wie im bürgerlichen und politischen
Leben, auch in der Kunst eine sehr selbstständige Individualität ; daher sucht auch
der Schweizer Künstler sein eigenes Ich in seinen Schöpfungen abzuspiegeln. Ferner
strebt der Schweizer Künstler nach möglichst treuer Wiedergabe der Natur und
wendet mit der ihm innewohnenden Zähigkeit des WoUens alle Kräfte an, um
die Natur gründlich zu studiren uud zu einer vollendeten Technik zu gelangen.
Diese Eigenschaften zu einem Band gemeinsamen Wirkens zu entwickeln, sollte
unser Aller Bestreben sein.
2) Betheiligung des Bundes. Wir besitzen viele, eifrige Kunstfreunde
und, verhältnismäßig mehr als in andern Ländern, eine große Zahl einfluß-
reicher, thätiger Kunstvereine. Allein ihre Hülfsmittel reichen nicht hin, wo all-
gemeine nationale Zwecke zu erzielen sind. Da muß die Hülfe der Bundes-
behörden eingreifen, durch Unterstützung der Kunst, deren in unserem kleinen
Lande beschränktes Absatzgebiet erweitern und einen ordnenden Zusammenhang
zwischen den Kunstbestrebungen der einzelnen Landestbeile herbeiführen. Wenn
der Bund für V^erkehrsmittel , Nationalbildung und die Wehrkraft bedeutende
Ojifer bringt, so ist er gewiß auch verpflichtet, dies für die Kunst zu thun,
welche zur Förderung des Wohlstandes wesentlich beiträgt.
Auch haben die Bundes behörden schon seit Jahren für die Kunst Bei-
träge bewilligt. *) Allein die Erfahrung zeigt, daß nicht nnr beträchtlich
*) Die hauptsächlichsten bisherigen Beitrage des Bundes sind folgende:
1) Jährlicher Beitrag von früher 2(XMJ Fr., seit 1874 von 6(XX) Fr. an die Sektinnen
des schweizerischen Kunst Vereins zur Erwerbung von Kunstwerken an der schweize-
rischen Kunstausstellung.
Kunst — 186 — Kunst
größere Bundessabsidien erforderlich sind, wenn unsere verschiedenen Eunst-
bestrebnngen aaf die ihnen gebührende Höhe gebracht werden sollen, sondern
daß innerhalb gewisser Grenzen der Bund seinen Einfluß auf ihre allgemeine
Entwicklung ausüben muß. Es wurden den Bundesbehörden zwei in dieser Be-
ziehung höchst wichtige Begehren eingereicht. Die Motion des Hm. Frank Buchser,
Maler, von Solothurn, vom 20. Februar 1883 beantragt, der Bund möge einen
jährlichen Kredit von 1 50,000 Fr. bewilligen, welcher zu einem Drittel für die
Gründung eines Nationalmuseums kapitalisirt , zu zwei Dritteln einem einzu-
berufenden Künstlerkollegium behufs Ankauf und Prämirung vorzüglicher Kunst-
werke an einer nationalen Ausstellung dienen. Dies Kollegium würde die ge-
sammten Kunstinteressen der Schweiz zu pflegen haben, nationale Ausstellungen
abhalten und über Prämirung oder Ankauf von Kunstgegenständen entscheiden.
Die Gesellschaft schweizerischer Maler und Bildhauer wünschte hingegen, daß
unabhängig von den beizubehaltenden Ausstellungen des schweizerischen Kunst-
vereins eine unter den Auspizien der Eidgenossenschaft stehende, ausschließlich
von Schweizer Künstlern geleitete, nationale Ausstellung statthabe.
So sehr alle Kunstfreunde einer größerer Betheiligung des Bundes an den
schweizerischen Kunstbestrebungen das Wort reden, so ist doch vor einer Cen-
tralisation derselben zu warnen. Unser kleines Land, nur stark durch festes Zu-
sammenhalten seiner verschiedenartigen Elemente, kann auf dem Gebiete der
Kunst die Mitwirkung aller Kunstfreunde, besonders nicht diejenige der bestehenden
Knnstvereine entbehren. Die Kunst wurzelt nicht in Behörden, sondern in der
Initiative der dieselbe unterstützenden Personen
Den genannten, ihrer Erledigung noch harrenden Anträgen folgte in der
Bundesversammlung derjenige des Hrn. Professor Vögelin, vom 9. Juli 1883,
betreifend die Errichtung eines Nationalrauseums. Die Motion der HH Land-
ammann Rusch und Muheim, vom 25. März 1885, führte am 30. Juni 188(>
den Bundesbeschluß herbei, jährlich 50,000 Fr. zu bestimmen für Erwerbung
und Ausgrabungen von Alteithümern, welche ein gemeineidgenössisches Interesse
haben und Eigenthum des Bundes bleiben; femer zur Betheiligung an der Er-
haltung historisch oder künstlerisch bedeutsamer Baudenkmäler und zur Unter-
stützung kantonaler Alterthumssammlungen. Die daherige Vollzieuungsverordnung
des Bundesrathes vom 25. Februnr 1887 enthält wesentlich folgende Bestim-
mungen :
Der Bundesrath entscheidet auf Grundlage von Anträgen seines Departemente
des Innern von Fall zu Fall über die aus dem jährlich für Erhaltung und
Erwerbung vaterländischer Alterthümer ausgesetzten Kredite zu machenden An-
schaffungen oder zu bewilligenden Beiträge und Unterstützungen. Unter dem
Departement des Innern steht eine von ihm je auf die Dauer von drei Jahren
zu bestellende „Eidgenössische Kommission für Erhaltung schweizerischer Alter-
thümer**, welche die Aufgabe hat, alle ihr zugewiesenen, auf die Verwendung^
2) Jährliche Subsidien an mehrere Kunstschulen und Beiträge zu ihrer Erstellung
im Jahr 1886 44,218 Fr.
3) Ankauf der GroßVchen Pfahlbautensammlung für 60,000 Fr.
4j Jahresbeiträge an die Kunstsammlungen des eidgenössischen Polytechnikums ;
an andere Kunstmuseen im Jahr 1886 9275 Fr.
5) Ankauf eines Glasgemäldes, das Wappen des Kardinals Scbinner darstellend,
und zweier Slandesscheiben von Uri und Schwyz, zusammen für 7600 Fr.
6) Ankauf von vier gravirten Silberplatten von Urs Graf, aus dem Klosterschatz
von St! Urban, für 1100 Fr.
7) Beitrag an die Restauration der Sempaeher Schlachtkapelle, 8000 Fr.
Kunst — 187 — Kunst
der Kredite bezüglichen Fragen und Geschäfte zu begutachten, die Erhaltung
und Erwerbung yaterländiticher Alterthümer im Sinne des Bundesbeschlusses
wahrzunehmen und zur Erreichung dieser Zwecke von sich aus die geeigneten
Anträge zu stellen. Diese Kommission kann nöthigen Falls die geeigneten Hiilfs-
kräfte beiziehen. Für die erste Periode von drei Jahren ist das Departement
des Innern ermächtigt, die Funktionen der Fachkommission dem Vorstande der
n Schweizerischen Gesellschaft für Erhaltung historischer Kunstdenkmäler'* zu
tibertragen und diese Einrichtung auch fernerhin fortdauern zu lassen, sofern sich
dieselbe als zweckmäßig erweist. Die Betheiligung des Bundes an Ausgrabungen
sowie an der Erhaltung historisch oder künstlerisch bedeutsamer Kunstdenkmäler
kann nur eintreten, wenn die betreffenden Gesuche nebst Bericht und Kosten-
voranschlag vor dem Beginn der zu subventionirenden Arbeiten eingereicht
wurden. Die Betheiligung des Bundes ist nach der Bedeutsamkeit des Projektes,
dem Betrage der anderweitig zu erwartenden Hülfsmittel und nach dem verfüg-
baren Kredite zu bemessen, soll aber, Ausnahmsfälle vorbehalten, die Hälfte der
Kosten nicht übersteigen. Unterstützungsbegehren öffentlicher Alterthumssammlungen
sind ebenfalls dem Departemente des Innern einzureichen; ihre Berücksichtigung^
findet nach den obigen Grundsätzen statt; bei gleich werthigen Begehren erhält
die noch nicht unterstützte Sammlung den Vorrang. Zwei Inventarien werden
geführt, sowohl von denjenigen Alterthümern, über welche der Bund sich das
Eigenthums- und Verfügungsrecht vorbehält, sowie über die Gegenstände, welche
mit BundesunterstützuDg erworben worden sind und ohne Genehmigung des
Bnndesrathes nicht veräußert oder abgetreten werden dürfen.
Die Schweiz begrüßte das am 23. April 1883 erlassene Bundesgesetz über
das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst, welches den Künstlern
das ausschließliche Recht der Vervielfältigung, beziehuugsweise der Darstellung^
ihrer Arbeiten zusichert; ebenso die internationale Konvention vom 9. September
1886 zum Schutze des literarischen und künstlerischen Eigenthums. (Siehe Ar-
tikel Literatur hienach.)
3) Künstler. Die Schweiz zählt gegenwärtig bei 1500 Künstler, ^) die
nicht unbedeutende Zahl der im Auslande lebenden inbegriffen. Sie verth eilen
sich auf alle Kantone.
In der Westschweiz ist es vor allen Genf, welches seinen altbewährten
Rang als erste schweizerische Pflanzstätte der Kunst mit Ehren behauptet. Der
Staat, die Stadt und die dortigen Kunstvereine tragen dazu, in regster Weise
bei. Besonders zahlreich erscheinen die Genfer Künstler an unsern Ausstellungen ;
auch znm Pariser Salon und zu andern Ausstellungen in Frankreich liefern sie
8tet8 ein hübsches Kontingent. Namentlich wetteifert auch die Genfer Kunst-
*j Die letzte Volkszählung im Jahr 1880 verzeichnet 1190 in der Schweiz lebende
Künstler, nämlich :
1) KunstmcUer und Zeichner 314, wovon im Kt. Zürich 74, Bern 50, Genf 33,
Waadt 33, Luzern 24, Baselstadt 19, St. Gallen 12, Neuenburg 11, Aargau 8, Tessin 8,
Zug 8, Nidwaiden 7, Schwyz 5, Graubftnden 4, Schaffhaasen 4, Appenzell A.-Rli. 3,
Solothum 3, Uri 3, Appenzell I.-Rh. 1, Baselland 1, Freiburg 1, Obwalden 1, Wallis 1.
2) BOdhauer 380, wovon im Kt. Genf 63, Zürich 63, Baselstadt 41, St. Gallen 28.
Tessin 28, Aargau 23, Bern 23, Luzern 18, Wuadt 12, Schwyz 10, Solothurn 10, Basel-
land 9, Neuenburg 9, Freiburg 8, Zug 7, Graubünden 7, Thurgau 6, in übrigen Kantonen 15.
3) Ghraveure (ohne diejenigen der Uhrenindustrie) 251, davon nn Kt. Glarus 78,
Zürich 41, Bern 28, St. Gallen 19, Waadt 18, Baselland 10, Genf 10. Wallis 10, in
übrigen Kantonen 37.
4) üebrige Künstler (ohne Musiker, Sänger und Schauspieler) 245.
Kunst — 188 — Kunst
Industrie mit dem Ausland ; ilire neuem Leistungen zeichnen sich durch Geschmack,
feine Ausführung und stilvolle Behandlung sehr vortheilhaft aus.
Weniger Zusammenhang unter einander zeigen die Neuenhurger Künstler.
Von jeher arheiteten dieselben meistens vereinzelt, ihrer eigenen Inspiration
folgend. Was ihre Arbeiten besonders auszeichnet, ist die Gewissenhaftigkeit und
Naturwahrheit der Darstellung verbunden mit poesievoller Auffassung.
Dem Kanton Waadt gehören zwar nicht sehr viele Künstler an; allein
unter ihnen finden sich mehrere Maler, welche auch im Ausland eines weitver-
breiteten Rufes genießen.
In neuerer Zeit sind auch in Solothurn und Freiburg jüngere Künstler auf-
getreten, welche Treffliches leisten.
Das gewerbreiche Basel hat den Ruhm, sehr bedeutende Meister der Gegen-
wart hervorgebracht zu haben, deren Name zu den geschätztesten auch im Aus-
land gehört.
In dem so lange von der Kunst ziemlich verwaisten Bern ist infolge der
Erbauung eines stattlichen Kunstmuseums und der Gründung einer Kunstschule
-der alte Kunstsinn wieder wach geworden ; mehrere frühere Zöglinge der
Kunstschule verfolgen im Ausland eine ehrenvolle Laufbahn als treffliche
Portraitisten.
Auch die Centralschweiz und der Kanton Zürich besitzt eine Anzahl tüch-
tiger Maler und Bildhauer; ebenso St. Grallen, wo die Kunst fortwährend in
hoher Blüthe steht.
Der Kanton Tessin liefert außer einigen vorzüglichen Malern viele Bild-
hauer, welche aber meistens in Oberitalien ansässig sind.
Bedeutend ist die Zahl der im Auslande niedergelassenen Schweizer Künstler
und meistens sind es ausgezeichnete Talente, welche die giößern Absatzgebiete,
reichlichere Auszeichnungen und die anregenden Beziehungen zur großen Künstler-
welt dort festhalten. Namentlich in Paris, Rom, Florenz, Mailand, Düsseldorf und
in München finden sich Schweizerkolonien von Künstlern, welche uns leider nur
selten ihre Arbeiten zusenden.
II. Einzelne Kunstfächer.
1) Malerei.
a. Oelmalerei. Die Gruppen der Oelmalerei verfolgend, beginnen wir
mit der relUfiösen Malerei, In unserer realistischen Zeit kann es nicht auffallen,
daß, wie überall, auch in unserem, größtentheils protestantischen Lande die Dar-
feteilung biblischer Szenen je länger je seltener vorkommt. Uebrigens ist die
vom persönlichen Gefühl und von der eigenen Herzensstellung bedingte Auf-
fassung so verschieden, daß der Künstler, in der Ueberzengung, vielleicht nicht
einen richtigen Ton anzuschlagen, lieber von solchen Arbeiten Umgang nimmt.
Der kalte Realismus richtet eben hier nichts aus. Auch ist die Zahl unserer
Maler auf diesem Gebiete gegenwärtig sehr beschränkt. Außer Severin Benz^
von St. Gallen, in München, Josef Ballmer, in Luzern, VeiiUfer^ in Dtznach,
und P. Rudolf Blättler ^ in Einsiedeln, welche treffliche Altarbilder liefern, sind
hauptsächlich nur noch die Luzerner Jost Troxler und Johann Benfff/li hier
zu nennen.
Die historische Malerei, mit ihrer schwierigen Aufgabe, ein denkwürdiges,
geschichtlichej^ Ereigniß in prägnanter und künstlerischer Weise darzustellen und
(las demselben zu Grunde liegende, ideale Motiv zur Geltung zu bringen, findet
leider in der Schweiz lange nicht die ihr gebührende Beachtung; die Abnahme
Kunst — 189 — Kunst
großer Historienbilder ist nur wenigen Privatpersonen möglich and ihre monu-
mentale Verwendung, bei öffentlichen Gebäuden, so wtinschbar sie auch erscheint,
ifit noch viel zu selten. Und doch besitzen wir vorzügliche Vertreter dieses
Faches. Awfiist Weckesser ^ von Winterthur, in Rom, hat in seinen vielen Ge-
mälden von großer, edler Auffassung («Tod Zwingli^s in der Schlacht bei Kappel" ;
«Gertrud von Wart bittet bei der Königin Agnes um Gnade für ihren Gratten" :
«Gefangennahme der Anna von Muralt " u. s. w. ^) Zeugniß abgelegt von hoher
Begabung; ebenso Kaspar Bo/Shard, von PfäfÜkon, in München ^) (^Uallwyl
vor der Schlacht bei Murten"* ; ^Schultheiß Wengi**; ^die muthige Frau von
Schliems"). Mehr der realistischen Richtung zugeneigt erscheint Dr. Ernst
Stückelberg, von Basel, besonders bekannt durch seinen „Letzten Hohen-Rhätier*"
und die neuen Fresken der Tellskapelle, welche in Zeichnung und Wahrheit der
typischen Gestalten Treffliches darbieten. Ferner sind zu nennen ; Viktor Tobler,
von Trogen, in München („Zwingli's erstes Religionsgespräch in Zürich**); Kon-
rad Qrobj von Andelfingen, in München („Schlacht bei Sempach** im Bundes-
rathshaus in Bern); Karl Jauslin^ in Muttenz („Schlacht bei St Jakob**,
«Todesurtheil des Hans Waldmann**, „Würsch von Nidwaiden im Kampf gegen
die Franzosen 1798**); Walter Vif/ier, von Solothurn („Heldenkampf der
Schwyzer am Rothenthurm**, „Schultheiß Wengi verhindert den Religionskriege)
n. A. m. Antonius Barzaghi-Cattaneo, von Lugano, in Mailand („Tasso**,
«Diana von Poitiers", „Adam von Camogasc**, „Jane Gray im Tower**) verfolgt
mehr dramatische, bisweilen fast theatralische Effekte, wobei sein bedeutendes,
koloristisches Talent zur Geltung kommt.
Im Fach der Idylle, Mythologie und Allegorie finden wir einen unserer
bedeutendsten Künstler, Arnold Böcklin^ von Basel, dessen Name zu den ge-
feiertsten der Gegenwart gehört. Böcklin's gewaltiger Genius führt uns vorzugs-
weise unter phantastische, mythologische Gestalten, wie z. B. in seiner „Meeres-
idylle*, iiTritonenfamilie**, im „Spiel der Wellen", im „Gefesselten Prometheus**,
in den „Centanren**, „Gefilden der Seligen**, oder zu stillern Szenen: „Muse des
Anakreon**, „Diana auf der Jagd**, „Uuellennymphe**, „Viola** u. s. w. In seinen
lebensvollen Werken bewältigt er nach dem Vorbild der alten Venezianer die
größten koloristischen Probleme und erzielt durch die kühnsten Kontraste er-
staanliche Wirkungen. Tiefe der Empfindung geht ihm hingegen ab. Böcklin
ist einer der eigenartigsten Künstler der Neuzeit. Die Basler Impressionisten
Hans Sandreuter und Hans Garnjobst versuchen den Spnren des Meisters zu
folgen; allein ungeachtet nicht zu verkennender, trefflicher Eigenschaften bleiben
ihre Idyllen, bei denen sich eine absichtliche Verwerfung alles Schönen kundgibt.
Vielen befremdlich in Farbe und Ausführung. Der eleganten, französischen Schule
huldigen Fritz Zuberbühler, von Locle, Albert de Meuron, von Neuenburg,
Charles Giron, von Genf („Erziehung des Bacchus**), während der Neuenburger
Leo Paul Robert („Abend wind**, „Echo") hochpoetische Empfindung zeigt. Auch
//. Reinhard und Leon PHnUy letzterer aus Frankreich, beide in Winterthur,
haben sich in diesem Fach bekannt gemacht.
Die meisten unserer Genremaler wählen zu ihren Darstellungen vorzugs-
weise das Volksleben, wobei der rege Verkehr, die Verschiedenheit unserer Volks-
stamme, Sitten und Trachten gewünschten Anlaß geben. Zu denjenigen, welche
Vorgänge und Zustände des äußern Lebens schildern, gehurt vor Allen Benjamin
*) Hier, wie in der Folge, sind nur die bekanntern Arbeiten der Künstler angemerkt.
») Am 10. Februar 1887 gestorben.
Kunst — 190 — Kunst
Vautier, von Morges, in Düsseldorf. Seine Bilder sind meisterhaft gezeichnet
und geben Charakter und Seelenstimmung in Aasdruck und Haltung der Figuren, in
ernsten wie in heitern Szenen, mit großer Feinheit der Beobachtung und Natur-
wahrheit wieder Besonders bekannt sind: „Auktion im Schloß**, „Leichenschmaus",
„die erste Tanzstunde", „der Toast auf die Braut**, „Zweckessen**, »Gang zur
CHviltrauung", „ Tanzpause ", „Besuch der Neuvermählten", „der galante Professor"
u. 8. w. Aehnliche charakteristische Arbeiten liefern die Genfer Simon Durand,
(„Zugvögel", „Nach der Landwehrmusterung", „der Eifersüchtige"), Ed. Castres
(„Schalk", „der kleine Konvaleszent", „Feuersbrunst"), Charles Griron („Zwei
Schwestern**), Ed. Ravel („Karrikaturist**, „Eis regnet", „ZeichnungsschuJe**),
Albert Dassier („Choristen), Barthelemy Menn, Frederic Dufanx („Blöd-
sinniger**, „Besuch bei der Wöchnerin**). Drei andere in G^nf wohnende Maler,
Ferdinand Hodlerj Daniel Ihli und Christof Zietjler verfolgen einen extremen
Naturalismus und den Kultus des Unschönen, bei lebendiger, kraftvoller Auf-
fassung.
Den üebergang zu den Darstellungen des äußern Lebens bildet Frank
Buchserj von Solothurn, bisweilen sehr realistisch und nicht ohne eine gewisse
Härte, aber äußerst wahr und lichtvoll in seinen Arbeiten („Fluthumfangen",
„Mary Blane, virginische Negerszene", „Sänger vom Sudan", „Häuberleben in
den Volskerbergen"). Albert Anker, von Ine, in Paris, sich besonders durch
Zeichnung und Empfindung auszeichnend, entnimmt seine Motive meistens dem
historischen oder häuslichen Genre („Soldaten der Armee Bourbaki's von Schweizer
Bauern verpflegt", „Kappeier Milchsuppe", „Frau aus der Pfahlbauzeit", „Schreib-
unterricht"). Bekannt sind „Pestalozzi unter seinen Zöglingen", „Hochzeit-
aufhalten", „Pelzkappe" u. A. von Konrad Grob, „die Ingenieure im Gebirge"
und „das Fest der Maria zum Schnee in Zermatt" von Itaffael Riiz^ in Sitten.
Aus der deutschen Schweiz sind noch anzuführen : Eduard Pfyifer, von Zürich,
der Aargauer Aerni in Rom, Rudolf Durheim, von Bern, Emil Rittmeyer,
von St. Gallen, Angelo de Courten, von Siders, in München, Hermann Corrodi,
von Zürich, in Kom; ferner die Waadtländer Alfred van Miiyden, in Genf
(„Refektorium in Albano", „Schachspielende Mönche"), sein Sohn Evert van
Muyden, in Rom („Bauemkaravane in den Abruzzen"), Eughie Burnand, von
Moudon, in Paris („Dorffeuerspritze" , „Greisenalter Ludwig's XIV."), Jules
Renevier, in Lausanne; die Neuenburger Eugene Girardet („Karavane bei
Biskra", „Abendgebet in der Wüste"), Jules Girardet, in Versailles, Henri
Girardet, in Paris, Alfred Berthoud, in Murten („Abendlied", „Morgen in
Venedig"), Jacot-Guilhirmod, von St.-Blaise, und die Tessiner iMigi Monte-
verde, Michele Carmine, Luigi Rossi u. s. w. Die Militärmalerei ist haupt-
sächlich vertreten durch Auguste Baohelin, in Marin bei Neuenburg („General-
marsch in Fahy", „An der Grenze", „Franzosen, Preußen und Schweizer") und
durch die Genfer Louis Dunki, John Graff und Georges Jeanniot.
Wir haben mehrere, zum Theil sehr geschätzte Portraitmaler zu nennen, u. A.
Barzaghi'Cattaneo, die Genfer Auguste Baud-Bovy, Frau Marguerite Massip,
Gustave de Beaumont, Giron Edmond de Pury, von Neuenburg, Gh.- F.
Vuillermet, in Lausanne, Frl. Louise Breslau, geboren in Zürich, aus der rea-
listischen Schule Bastien-Lepage's in Paris, Frl. Ottilie Röderstein, in Zürich
(Portrait des Hrn. Bundespräsidenten Dr. Deucher, Kniestück), Karl Brünner,
Albert Ho/linger, beide in Basel, Karl Stauffer und Julius Lug, beide von
Bern, Ernest de Landerset, in Freiburg (^Miniaturen auf Elfenbein), Spartaco
Vela, von Ligornetto.
Kun^t — 191 — Kirnst
In der Ikiermalerti ^ welche die Thiei'welt nicht nur treu ilarstellen,
Kondern ihr Eigenwesen charakterisireu soll, hat Rudolf Koller^ in Zürich, immer
nocli den ersten Hang behauptet. Seine „Gotthardpost**, „Heuernte", „Pferde-
Schwemme" , „Mittagsruhe" , „Kühe am Fluß" u. s. w. sind Meisterwerke.
Ettffene Burnand zeichnet sich durch große Virtuosität und lebensvolle Auffassung
auch in diesem Fach aus („Pferde in der Campagna", „Stier in den Hochalpen",
„Umzug auf der Alp"). Ferner sind besonders hier anzuführen ; F. L, von Nieder-
häusern-Köchliny von Yverdon, in Mühlhausen, Frangois Vnagnai, in Genf,
Achilles Weitnauer, in Basel, der Neuenburger Charles lscha(fgeny, in Brüssel
u. A. m.
Nirgends leichter als beim Landschaftsbild läßt sich die Schule erkennen,
aux» welcher die Künstler hervorgegangen sind. Die Landschafter der romanischen
Schweiz folgen meistens der französischen Auffassung und Technik, diejenigen der
deutjfchen Kantone mehr der Münchner und der Düsseldorfer Schule. Der Kea-
lismus heiTscht vor, oft jedoch mit Verwendung der individuellen Stimmung und
des idealen Eindruckes.
Aus der Schule Diday's und Alexander Calame's besitzen wir nur noch wenige
Repräsentanten. Die Darstellung der Alpennatur ist, gewiß mit Unrecht, bei der
jungem Generation aus der Mode gekommen; viele ziehen es vor, ihre Motive
dem sonnigen Süden, den Meeresküsten oder der Tiefebene zu entnehmen. Immer-
hin weiß noch immer eine ansehnliche Zahl unserer Landschafter aus der Schön-
heitsfülle unseres Landes zu schöpfen. Zu den gefeiertsten Malern der Hochalpen
gehören Joh, Gottfried Steffan^ von Wädenswyl, in München, Albert Lugardon,
Gustave Castan. Albert Gos, Loppe, in Genf, Albert de Meuron, Auguste Henri
Berihovdj beide in Neuenburg, Jost Muheim, von Luzern, Josef Geißer, von
Altstätten, in Lausanne. Meistens der übrigen Schweiz entnommen sind die
Motive von Niklaus Pfyffer, in Basel, Wilhelm Benteli, in Bern, Nathanael
Lemaitre, Eugene Sordet, in Genf, Alfred Chavannes , Fernand Gaulis,
in Lausanne, Paul Bobinet (aus Frankreich), in Gersau, Frangois Füret, Jules
und Leon Gaud, in Genf. Der reizende Genfer See ist der Liebling Frangois
Boeion's in Ouchy, welcher demselben seine wundervollsten Töne abzulauschen
verateht. Edmond de PalSzieux, in Vevey, hat außer vielen Landschaften einen
gewaltigen Sturm auf dem gleichen See dargestellt. Die Neuenburger Edouard
Jeanmaire, in Genf, Oscar Iluguenin, von Boudry, Iluguenin-Lassauguette,
von Locle u. s. w. bleiben treu ihren jurassischen Thalern und Bergtriften. Sehr
realistische Bilder liefert Gi4stave Jeanner et, von Neuen bürg.
Poesievolle, der Idylle sich nähernde Landschaften sind einige Arbeiten von
Leo-Paul Boberi, Theodor Preiste erk, in Basel, Robert Zünd, in Luzern; öfters
auch Laurene Büdisühli, in Basel. Otto Fröhlicher, von Solothurn, und Adolf
Stabil von Winterthur, beide in München, sind MeiKter in der Darstellung bayerischer
Hochebenen. Arthur Calame, von Genf, und Louis Mennet, von Begnins,
haben in neuerer Zeit vorzugsweise Marinebilder gemalt, die Genfer Adolphe
Polier, Amedee Bandit und Odier Landschaften Frankreichs, Alfred Schoeck, in
Brunnen, norwegische Motive, Leon Berthoud, in St-Blaise, Auguste und
Gustave de Beaumont, in G^nf, viele italienische Gegenden. Auguste Veillony
von Bex, in Genf, dessen schweizerische Landschaften wegen ihrer großartigen
Auffassung und harmonischen Durchführung großen Beifall fanden, hat nun auch
dem Süden, namentlich Egypten, farbenreiche Bilder entnommen. Auch Eticnne
Dtival und Jules Hebert, in Genf, sind tretf liehe Maler des Oviei\ls.
Kuast — 192 — Kunst
Im Fache des sogenannteu SiUllehens ist Xaver Schwegler, in Lazem, stet«
unser erster Meister in Komposition, Zeichnung, Farbe und Technik. Seine Humpen,
Gläser, Metallschtisseln u. s. w. haben ein bewunderungswürdiges Belief; sein
todtes Wild ist würdig der besten Holländer. Auch Josef MiUey und Marcel
Chollet , von Freiburg, in Genf. Otto Bastian^ in Lausanne, zeichnen sich
hierin aus.
Die Blumenmalerei, in Oel, wird besonders von Louis Pautex, in Genf,
gepflegt ; auch von Frideric Tschaggeny, Neuenburger, in Brüssel, Frl. Emma
Gruinand, von Chaux-de-Fonds, u. A.
b, Aquarelle-, Gouache- und Fastellmalerei. Die Aquarell-
malerei hat in der Schweiz noch lange nicht die Verbreitung gefunden, deren sie
sich in andern Ländern, wie z. B. in England und Frankreich erfreut, wo sie
mit der Oelmalerei an Wärme der Emplindnng, Weichheit der Töne und kecker
Ausführung wetteifert. An der Spitze dieses Faches steht noch immer Salomon
Corrodij von Zürich, in Rom, mit seinen italienischen Landschaften voll Kraft
des Ausdruckes. In neuerer Zeit haben sich die Genfer und Neuenburger eifrig
mit Aquarellmalerei beschäftigt, so u. A. die Landschafts- und Genremaler
Veillon, Gustave de Beaumontj Castres, Ravel, Jules Crosnier, Jules Hebert,
Aubert, Silvesire, B. Bodmer, Juvet, Alfred Berthoud, Louis Mennet; ferner
Theodor Renkewitz, in Montreux, Christian Baumf/ artner in Bern u. s. w.
In der bei unserer Damenwelt beliebten Blumen- und Früchtemalerei
behauptet Frau Therese Hegtf-de Landerset, in Nizza, den ersten Rang unter
ihren Kolleginnen Darier-Guiifon, Coquet'Collignon, Annen, Vouf/a, von Genf,
Frl. Rosalie Gay, von Vevey, Frl. Marf/uerite Gay, in Aigle, den Zürcherinnen
Tobler-Siockar und Stoffel- Stacher und den Bernerinnen Frau Ad^le Schuppli,
Frl. Frieda Voelter u. A.
Im Fache der Heraldik besitzen wir in Christian Bühler, in Bern, einen
der berühmtesten Künstler, dessen stilvolle, in Zeichnung und Kolorit unüber-
troffene Arbeiten weit über die Grenzen unseres Landes bekannt sind. Auch
Adolphe Gautier, in Genf, leistet hierin Treffliches.
Geschätzte Pastell- und Gouachebilder lieferten in neuerer Zeit Frl. Erica
Lagier und F. Grosclaude, in Genf.
c, Email-, Porzellan- und Fayencemalerei. Wir verweisen hier
wie in dem Folgenden auf die betreffenden Artikel dieses Lexikons; nur der-
jenigen Künstler wollen wir gedenken, welche in diesen Kunstzweigen sich be-
sonders auszeichnen.
Eine neue Belebung der Emailmalerei in Genf verdanken wir hauptsächlich
dem hervorragenden Talent Charles Glardons, in Genf, dessen Portraits von
Diday, Vinet und vielen Andern in Feinheit der Ausführung, Modellirung und
Farbe ihres Gleichen suchen. Als vorzügliche Emailmaler sind auch zu nennen
Edouard Lossier, Marc Dufaux, Ewjhie Autran, Justin Dupont, Arthur Gillet,
Frau Panline Grandjean, Frl. Jnliette Hebert u. A.
Von den vielen Künstlern und Dilettanten, welche sich mit Porzellan- und
Fayenf-emnlerei beschäftigen, sind durch unsere Ausstellungen besonders bekannt
geworden: Anker ^ Charles Rndhardt von Genf, in Paris, Frl. Jane Soldano,
in Genf, Frl. Elise Voruz, in Paris, Frl. Lisa Ruutz, von Basel.
d, Glasmalerei. Die Schweiz erfreut sich seit einigen Jahren eines neuen
Aufblühens der Glasmalerei. Die alten Vorbilder benutzend, haben es unsere Glas-
maler verstanden , auch die harmonische Wechselwirkung der Farbenkontraste
gehörig zu verwerthen , und in Zeichnungen stilvolle Kompositionen zu liefern.
Kunst — 193 — Kunst
Die hauptsächlichsten Ateliers sind diejenigen von J. Heinrich Müller und Frl.
Adele Beck, von Sehatfhausen, in Bern, Adolf Kreueer und Wehrli in Zürich,
Näfjeli in Bülach, Drenkhahn und Meißner in Basel .
;y Bildhauerei.
Die Bildhauerei, wenigstens die monumentale, findet in der Schweiz nicht
sehr häufige Verwendung. Wir besitzen in unserer Mitte wenige Kunstmäcene, deren
Verhältnisse die Erwerbung und Aufstellung größerer Skulpturwerke gestatten;
auch nuRcre Staatsbehörden interessiren sich im Allgemeinen wenig für solche
Kunstwerke. Desto erfreulicher ist es daher, daß in neuerer Zeit solche Monu-
mente öfters durch Nationalsubskription errichtet werden konnten: sein Land
und seine hervorragenden Mitbürger zu ehren, ist eine Pflicht, welche wir um
80 freudiger erfüllen, da wir damit auch zur Hebung vaterländischer Kunst bei-
tragen. So sind eine Menge Portraitbüsten von Schweizern, welche sich in der
Wissenschaft, im Militärwesen oder in der Kunst verdient gemacht haben, gefertigt
and öffentlich aufgestellt worden; ebenso Nationaldenkmäler und Standbilder.
Eines der neuesten Monumente dieser Art ist das Denkmal des Reformators
Zwingli, auf dem Platz vor der Wasserkirche in Zürich, dessen auf 109,000 Fr.
ansteigende Kosten durch Graben aus der Stadt und dem Kanton Zürich, aus
andern Kantonen und von Schweizern im Aaslande gedeckt wurden. Nach dem
Modell Heinrich Natter' s, in Wien, in Bronze gegossen, hält der Reformator die
Bibel in der rechten Hand, in der Linken das zu Boden gesenkte Schwert.
Unter den größeren Arbeiten, welche wir Ferdinand Schlöth^ von Basel,
verdanken, ist sein Winkelried -Denkmal in Stans zu nennen, welches den Leichnam
des Sempacher Helden und, über denselben vorgebeugt, einen mit dem Morgenstern
kämpfenden Jüngling darstellt; femer das St. Jakobs- Denkmal in Basel, mit der
Helvetia als Siegesgöttin und vier sterbenden Kriegern am Sockel. Li diesen
lebensvollen Schöpfungen von klassischer Formvollendung zeigt sich der in Rom
and München ausgebildete Meister als Vertreter der idealen Schule. Von seinen
übrigen Werken sind besonders „Jason**, „Adam und Eva", ^Psyche", „Gany-
med**, Flachrelief, „Der Ballwerfer", seine Christusbüste n. s. w. bekannt.
Eine ähnliche Auffassung hat Robert Dorrer, von Baden im Aargau, Schüler
Schwanthaler's, Rietschers und HähneFs. Sein Hauptwerk ist das Nationaldenkmal
im englischen Gurten in Genf, dessen bronzene Kolossalstatuen, Geneva und Hel-
vetia, sich umschlangen haltend, die Vereinigung der Republik Grenf mit der
Schweiz symbolisiren. In Bern schuf er acht Standbilder berühmter Männer für
die Hanptfa^ade des Museumsgebäudes, in St. Gallen eine überlebensgroße Gruppe,
Helvetia, Gewerbe und Handel beschützend, für den Giebel des Verwaltungs-
gebäudes der Versicherungsgesellschaft „Helvetia** und für die Fa^ade desselben
Gebäudes vier lebensgroße Statuen, Merkur, Ceres, Vulkan und Najade.
Einem von genauester Naturbeobachtung belebten Realismus huldigt hingegen
VicenßO Vela, von Ligometto im Tessin, Schüler Cacciatori's und der römischen
Akademie, rühmlichst bekannt durch seinen „Spartakus**, „Sterbender Napoleon**,
die Statae Viktor Emanuers im Turiner Rathhaus, diejenige Manin's, des Cor-
regio, des «Frühlings** u. s. w. Lugano verdankt ihm die „Desolazione^ (das
trauernde Italien\ ein Brunnenstandbild Wilhelm TelVs und die Büste Dante's.
An die Zürcher Landesausstellung sandte er sein großes Hochrelief „die Opfer
der Arbeit**, den beim Bau des Gotthardtunnels Verunglückten gewidmet.
Charles Iguel von Neuenbürg^ in G«nf, einer unserer talentvollsten und
fleißigsten Bildhauer, wurde zuerst durch sein Standbild des RefonüQAAx^ ^^0^
Farr«r, VoIktwirtbichafts*Lexlkon der SchweiE, \^
Kunst — 194 — Kunst
in Neuenbürg allgemeiner bekannt ; später dekorirte er da» neue Genfer Theater
mit einer Eindergruppe, die dramatische Kunst allegorisirend, am Hauptgiebel
und mit der Statue der „ Komödie ** auf der Fa^adengalerie. Iguel war auch
einer der Hauptktinstler , welche an dem unter der Leitung des Architekten
Franel auf der Place des Alpes nach dem Vorbilde der Skaliger-Denkmäler in
Verona errichteten Grabdenkmal des Herzogs Karl von Braunschweig beschäftigt
waren. Er modellirte in Marmor die liegende Statue des Herzogs und den mit
acht historischen FlachrelieÜB geschmückten, yon vier Engeln umgebenen Sarko-
phag, welcher yon einem auf Säulen ruhenden, Ca^n's Reiterstandbild des Herzogs
tragenden Baldachin überragt ist. Die Giebel des Grebäudes der Zürcher Ejredit-
anstalt sind mit IgueFs Überlebensgroßen, allegorischen Statuengruppen, in Sand-
stein, geziert, die Nischen des Neuenbnrger Gymnasiumgebäudes mit seinen
Büsten und Statuen berühmter Neuenbnrger. Neben dem Eingange des Regierungs-
gebäudes in Freiburg befinden sich zwei große, historische, bronzene Flachreliefs
IgnePs: „Nikiaus von der Flüh in der Stanser Tagsatzung ** und die „Schlacht
bei Murten**. Vom gleichen Künstler wurde die Fa^ade der Basler Kunsthalle
mit marmornen Flachreliefe dekorirt ; seine Portraitbüste Houdon^s ist im Museum
von Versailles, seine bronzene Büste Alexander Calame's, auf marmornem Piedestal,
im englischen Garten in Genf. Außerdem verdanken wir ihm eine Menge treff-
licher Portraitbüsten.
Ein anderer Neuenbnrger, Äntoine Custor, öfters in Rom mit Preisen be-
dacht, lieferte die Statuen der zwölf Apostel am Braunschweig-Denkmal ; auch
einige Gruppen des Giebels des Grenfer Theaters u. s. w.
Fritz Landry^ ebenfalls von Neuenburg, zeichnet sich hauptsächlich durch
Medaillonportraits aus.
Einer unserer jungem Bildhauer, Alfred Latus von Rohrbach im Kanton
Bern, hat sich durch seine Reiterstatue des Generals Dufour als vorzüglicher
Künstler bewährt. Bei zwei Preisbewerbungen erlangte er den ersten Preis und
infolge dessen die Ausführung des durch Nationalsubskription errichteten Denk-
mals. Dasselbe steht auf der Place neuve in Genf und ist eine der schönsten
Zierden der Stadt. Auf Granitsockel und marmornem Piedestal erhebt sich die
bronzene Reiterstatue des Siegers des Sonderbundfeldznges , in der Uniform des
Jahres 1847, mit der Rechten das Zeichen zum Abbrechen des Bruderkampfes
gebend. Ansdruck und Haltung, auch des Pferdes, sind sehr gelnngen. Die Kosten
des Denkmals beliefen sich auf 126,000 Fr. Der nämliche Künstler fertigte viele
treffliche Portraitbüsten, u. A. diejenige des Bundespräsidenten und Bankdirektors
Jakob Stämpfli, in Bronze, auf der großen Schanze in Bern.
Viktor von Meyenburg, ein in Dresden lebender Schaffhauser, hat mehrere
größere Arbeiten geliefert, u. A. das in der Platzpromenade der Stadt Zürich
aufgestellte Standbild des Zürcher Minnesängers Hans Hadloub.
Zwei Statuen des Denkmals des Herzogs von Braunschweig in Genf, die-
jenigen der Herzoge Karl Wilhelm Ferdinand und Friedrich Wilhelm von Braun-
schweig, wurden von Richard Kißling, von Solothurn, modellirt; ebenso die
Statue ^Zeitgeist**, ein in naturalistischer Weise dargestellter, auf flügelbe-
schwingtem Eisenbahnrad vorwärtseilender Jüngling, eine „Quellennymphe**,
„Freya", Portraitbüsten u. s. w.
Charles Taepffery in Genf, ist durch viele Skulpturen, meistens Büsten und
Reliefs, als genialer Künstler bekannt. Die in Genf in einem öffentlichen Gtirten
errichtete bronzene Portraitbüste seines Vaters, des beliebten Schriftstellers und
Künstlers Rodolphe TcBpffer, befriedigt sehr durch Aehnlichkeit und Ausdruck.
Kunst — 195 — Kunst
Außer mehreren Genrewerken (^Mulattin*, ^ Zigeunerin" u. s. w.) fertigte er
auch achtzehn Medaillons für das Braunschweig-Denkmal.
Im englischen Garten in Genf wurde gegenüber der Büste Calame's diejenige
von Fran^ois Diday, nach dem Modell Hugues Bovj^'s in Bronze gegossen, auf-
gestellt; dem gleichen Künstler verdanken wir viele andere treffliche Portrait-
büsten.
Von den übrigen Genfer Bildhauern und solchen, welche Genf bewohnen,
zeichnen sich besonders aus Charles Menn, E, Leysalle, FrSdiric Dufaux,
Salmsan („Gramwinderin'*, die Gruppe des Denkmals von H. B. de Saussure) u. s. w.
Aus den Ateliers von Doret-de la Harpe in Vevey sind viele schöne Ar-
beiten hervorgegangen, z. B. das Denkmal des Reformators Yiret in Orbe.
Die Tessiner Bildhauer liefern meistens realistische, zierliche G^nrestatuetten,
Büsten u. dgl. Die bekanntesten sind Pietro Bernasconi, Baimondo Pereda,
C. Pandianij Cesare Berra.
Auch die deutsche Schweiz besitzt treffliche Bildhauer, u. A. Ludwig Keiser
von Zug, in Zürich (zwei Statuengruppen am Giebel des Gebäudes der Zürcher
ELreditanstalt) ; Frane Sales Amlehn in Sursee (Eolossalstatue der Helvetia über
dem Leichnam Winkelried^s, für das Sempacher Schlachtjubiläum); Urs Ef/gen-
achtoyler in Zürich; Baptist Hmrbst in Zürich; Buf in Basel; C. Bührer in
Schaff hausen; Ä, Bosch in St. GuUen; Karl Weber in Bern; Eduard Müller
in Lozem.
Der Anfertigung größerer, stilvoller Grabmonumente widmen sich Louis
Wethli in Zürich, Laurenii in Bern, Ghaudet in Ciarens u. A.
Die Modellirung von geographischen Reliefs der Schweiz ist ein nicht zu
übersehender Kunstzweig. Besonders bekannt sind die Arbeiten von Xaver Im-
feld in Brieg, Beck und Bingier in Bern, Bieirix in St. Immer, Bürgin d: Sohn
in Allschwyl und Becker in Linththal.
3) Stempelschneidekunst.
Bei Nationalfesten, Jubiläumsfeiern und zu Ehren verdienstvoller Mitbürger
werden öfters Denkmünzen gefertigt. Doch ist die Zahl unserer Medailleurs nicht
groß. Die Stelle des verstorbenen berühmten Antoine Bovy hat sein Neffe
Hugues Bovy in Genf eingenommen, welchem wir bereits eine Menge mit großer
Yollkommenheit ausgeführte Medaillen verdanken. Charles Bichardy Bovy-G-uggis-
berg, Petel, Bonnet und andere Genfer leisten ebenfalls Tüchtiges in diesem
Fach; ebenso Fritz Landry in Neuenburg und Edouard Durussel in Bern.
4) Graphische Künste.
a. Stich- und Radirkunst. Die Zahl unserer Kupferstecher von Ruf
hat sich in letzter Zeit durch den Tod mehrerer der ausgezeichnetsten Künstler
sehr gelichtet. Von den altern Kupferstechern von Ruf bleibt uns noch Johann
Bürgert ans dem Kanton Aargau, in München, einer der ausgezeichnetsten Stecher
unserer Zeit, ebenso geschickt im Kartonstich wie in der Linienmanier. Berühmt
ist sein Stich nach Genelli's ^Raub der Europa*", seine „Madonna della Sedia*"
nach BaffaSl, „Aurora" nach Guido Reni, „Violanta" nach Palma Yecchio u. s. w.
Paul G^rardet in Versailles, Bobert Girardet in Bern liefern ebenfalls
treffliche Stiche und Radirungen; ebenso Bobert Leemann in Zürich, Alexis
Ford von Morges, in Paris, Eughne Burnandj Emile Artus ^ Bodolphe Piguet,
Horace de Saussure , Jules Jequier, Frl. Pauline de Beaumont in Genf,
A, Antofiy, Edouard Jeanmaire, Gustav Vollenweider und Karl Stauffer von
Bern u« A. m.
Kunst — 196 — Kunst
Im geographiBchen Kartenstich leistet die Schweiz ganz Vorzügliches. Das
eidgenössische topographische Bureau setzt die Arbeiten des Generals Dufour
und Obersten Siegfried fort. TrefiTliches liefern die Ateliers von F. Müllhaupt
dt Sohn in Bern, Wurster-Randegger & Cie, in Winterthur, Keller in Zürich ,
Leueinger in Glarus.
6. Holzschnitt. Wenn auch der Holzschnitt bei uns in Beziehung auf
künstlerische Technik noch nicht die hohe Ausbildung erlangt hat, deren er fähig
ist, so hat derselbe doch in neuerer Zeit wesentliche Fortschritte gemacht.
Namentlich Theophil Meister in Bern und Alfred Niederer von Zürich liefern
sehr gelungene Arbeiten.
c. Photographie, Heliogravüre, Lichtdruck u. dgl. Auf die
betreffenden Artikel dieses Lexikons verweisend, führen wir hier nur an, daß
aus dem Atelier von Grell Filßli & Comp, in Zürich bereits viele schöne Blätter
hervorgegangen sind; ebenso aus demjenigen von Max Girardet in Bern, u. A.
gegenwärtig die unter dem Titel Les beaux arts en Suisse wöchentlich er-
scheinende Sammlung von Nachbildungen schweizerischer Kunstwerke.
m. Kunstmuseen und Sammlungen.
Nicht wenig tragen, abgesehen von Frivatsammlungen, unsere dem Publikum
leicht zugänglichen Kunstmuseen zur Förderung des Kunstsinnes bei ; selbst kleinere
Städte haben sich, meistens aus archäologischen und numismatischen Fundstücken
ihrer Umgegend, Sammlungen angelegt. Wir werden hier auch diejenigen an-
führen, welche kunstgewerbliche Gegenstände enthalten.
1) Eidgenössische Kunstsammlungen. Die Errichtung eines schwei-
gerischen Naiionalmuseums wird, wie bereits oben erwähnt, lebhaft gewünscht.
Neben unsem nicht zu vernachlässigenden Lokalmuseen ist ein Centralmuseum in
hohem Grade nothwendig, um alte und neue Kunstwerke, welche ein allgemeines
nationales Literesse darbieten oder deren Erwerbung die finanziellen Mittel der
Kunstvereine nicht erlauben, der Nachwelt zu erhalten.
Die Eidgenossenschaft besitzt gegenwärtig vier ansehnliche Sammlungen.
Die archäologische Sammlung des eidgenössischen Polytechnikums in Zürich
verdankt ihre Entstehung im Jahre 1852 dem Ertrag von öffentlichen Vor-
lesungen der Dozenten der Zürcher Hochschule. Dazu kamen seither jährliche
Beiträge der Kantonsregiemng und des schweizerischen Schulrathes des Poly-
technikums. Die Sammlung besteht aus über 400 Gypsabgüssen nach Antiken
und 58 antiken Vasen.
Sehr bedeutend ist die eidgenössische Kupferstichsammlung des gleichen
Polytechnikums. Von Prof. Dr. G. Kinkel sen. gegründet, ist dieselbe im Jahr
1870 aus dem Kupferstichkabinet des Malers Bühlmann hervorgegangen, unter-
stützt vom Stadtrath von Zürich, von der dortigen Hochschule und von Privat-
personen, namentlich auch durch die ihr geschenkten Sammlungen der Herren
Adrian Ziegler und alt Stadtrath Landolt bereichert, ist dieselbe nun auf 29,132
Kunstblätter und 747 Kupferwerke und Handbücher angewachsen; sie umfaßt
alle Perioden seit der Erfindung des Holz- und Kupferstiches, darunter eine
Menge höchst seltener, ausländischer und schweizerischer Blätter.
Das eidgenössische Müne- und Medaillenhabinet im Bundesrathhaus in
Bern zählt gegenwärtig 9598 Stücke, darunter seltene Medaillen und Münzen,
welche ihr durch Ankauf oder Schenkung zugekommen sind. Im Jahr 1886 kam
u. A. die von den Erben des Hm. Fürsprechers und eidg. Generalstaatsanwaltes
Kunst — 197 -1- Kunst
Jakob A.miet in Solothurn angekaufte, sehr vollständige Sammlung griechischer
und römischer Miinzen hinzu.
Ebenfalls im Bundesrathhaus ist die vom Bund von Hrn. Dr. V. Groß an-
gekaufte Sammlunff von Pfahlbaiialterthümern aufgestellt, eine der reichsten
und schönsten ihrer Art in Europa.
2) Lokale Kunstsammlungen. Die Regierung und der Kunstverein
von Aarau besitzen eine hübsche Zahl neuerer Gemälde und werthvoUe Samm-
lungen von Stichen Amsler's, Radirungen Chodowiecki's ; auch befindet sich dort
ein Antiquarium^ mit egyptischen Alterthiimern, Pfahlbaugegenständen, und eine
reichhaltige Münesammlu wr/ .
Die kunstsinnige Stadt Basel ist reich an Sammlungen. Die öffentliche
Kunst sammluncf im Museum entstand aus dem im Jahr lÖUl von der Stadt
angekauften G^mäldekabinet des Bonifacius Amerbach, des Zeitgenossen Holbein^s,
und dessen Sohnes Basilius Amerbach, anderseits durch Vergabung der Sammlung
des Dr. Remigius Fäsch. Seither vermehrte sie sich durch die Mitwirkung ver-
schiedener A'ereine, durch Geschenke und Vermächtnisse, namentlich von Frl.
Emilie Linder und Maler Samuel Birmann. Die Sammlung, gegenwärtig nahezu
800 Nummern, worunter einige Skulpturen u. dgl., bei 450 Oelgemälde und
♦^00 Handzeiohnungen, Aquarelle u. s. w., ist besonders berlihmt wegen ihren
vielen Bildern und Handzeichnungen von Hans Jlolbein, A^ater und Sohn, von
Nikiaus Manuel^ Hans Baldunff, Dürer u. A. m. Auch die besten neuern
Maler, besonders der Schweiz, sind durch vorzügliche Arbeiten vertreten. —
Die Kupferstichsammhuif/ im Basler Museum enthält den Kern der ältesten,
bekannten Kupferstichsammlungen, diejenigen der beiden Amerbach. Sie ist eine
der bedeutendsten der Schweiz und wetteifert in Alt-Italienern und ältesten
Deutschen mit den ersten Kabineten des Auslandes. — Die der Basler Universität
gehörende antiquarische Sammlunrf hatte den gleichen Ursprung wie die Kunst-
sammlung. Sie ist auf über 1 100 Nummern angewachsen, vorzüglich Gipsabgüsse
nach Antiken, antike Skulpturen (Kopf des Apollo und des Herakles, beide in
Rom aufgefunden; Hermes mit dem Dionysosknaben, von Praxiteles, aus Olympia),
Vasen u. dgl., der Kirchenschatz des Basler Münsters, Waffen, Schmuckgerät he
u. 8. w. Das mit dem Antiquarium verbundene Münz- und Medaille nkab inet
enthält über 17,000 Stücke, zum Theil griechischen und römischen Ursprungs.
— Die Sammhinr/ des Basler Kunst Vereins y in der Kunsthalle daselbst, wurde
vor wenigen Jahren gegründet; gegenwärtig besteht sie aus 26 Oelgemälden,
meistens neuerer Schweizer Künstler, 6 Aquarellen und bei 400 zum Theil sehr
werthvoUen Blättern der Kunst lerbüch er des Vereins. — Die Basler Stadtbibliothek
besitzt über 18,000 Bildnisse historisch bekannter Personen der Schweiz und
des Auslandes alter und neuer Zeit, in Holzschnitten, Stichen, Lithographien
und Handzeichnungen. — Im Jahre 1856 gründete Prof. Wilhelm Wackernagel
die größtentheils dem Staat gehörende mittelalterliche Sammlumj in den Neben-
gebäuden des Münsters. Dieselbe ist eine der bedeutendsten der Schweiz und
des Auslandes; sie verdankt ihre Ausdehnung der Freigebigkeit ihrer Gönner,
Jahresbeiträgen der Regierung, von Vereinen u. s. w. Hauptsächlich besteht sie
aus Erzeugnissen des Basler Kunsthandwerkes des Mittelalters bis zur Grenze
des achtzehnten Jahrhunderts (Möbel, Truhen, Zimmervertäferungen, Teppiche,
Glasgemälde , Schmucksachen , Holz- und Elfenbeinskulpturen , Waffen , Stadt-
alterthümer, Bruchstücke des Basler Todtentanzes, Schmiedarbeiten, Siegelabdrücke,
«Standbilder, Reliefs, gemalte Kachelofen n. s. w).
Kunst — 198 — Kunst
Aach der Kanton Baselland besitzt eine Münzsammlum/ in Liestai, be-
sonders römischen Ursprungs.
Das Kunstmuseum in Bern enthält die Kunstsammlungen des Staates, der
Künstlergesellschaft, des Kantonalkunstvereins nebst einigen den städtischen Be-
hörden und dem Kunstmuseum selbst gehörenden Kunstgegenständen. Im Jahre
1808 wurden die ersten Kunstwerke in Verbindung mit der drei Jahre früher
gestifteten Kunstakademie gebracht. Später erweiterte sich die Sammlung durch.
Ankäufe von Seiten der Künstlergesellschaft ; Anfangs der dreißiger Jahre wurde
sie mit derjenigen der Regierung, später mit Gemälden älterer Schulen des Hm»
Theodor von Hallwyl und andern angekauften Gemälden vermehrt. Früher waren
diese Sammlungen an verschiedenen Orten untergebracht, bis sie am 9. August
1879 in das neu erbaute Kunstmuseum einziehen konnten, welches die Stadt
Bern dem großartigen Vermächtniß des Hrn. Architekten Gottlieb Hebler, der
Beihülfe des Staates, der Burgergemeinde der Stadt Bern, sowie den von dem
Kantonalkunst verein und der Künstlergesellschaft gesammelten Geldern verdankt.
Die Malerei ist durch beiläufig 220 Oelbilder, meistens Arbeiten von neuern
Schweizer Künstlern, 30 Aquarelle u. s. w. vertreten, die Bildhauerei durch
140 Statuen, Relie's, Büsten, meistens Gipsabgüsse, 2800 Blätter Handzeichnungen,
Photographien, Holzschnitte, Stiche, Glasgemälde und mehrere Künstleralbnm.
— Die Bibliothek der Stadt Bern besitzt eine beträchtliche Münz-, Medaillen-
und Sief/elsammlunf/, meistens antike Stücke ; ferner eine archäologische Samm-
lung, hauptsächlich von Pfahlbau- und keltischen Artefakten. — Das historische
Museum entstand als einheitliches Ganzes im Jahre 1882 ; es umfaßt die Bur-
gunderteppiche und Kirchenparamente, welche meistens Eigenthum der Einwohner-
gemeinde Bern sind, die sog. Zeughaassammlung im Besitz des Staates, eine der
Burgergemeinde Bern gehörende Sammlung und depotweise anvertraute Gegen-
stände. Mittelst einer Summe von 50,000 Fr., welche durch Subskription von
Privaten zusammengelegt worden, konnte ein ansehnlicher Theii der Bürki^schen
Sammlung erworben werden, und seither sind noch viele Geschenke hinzugekommen»
Die bei 1000 Nummern zählende Sammlung enthält außer den genannten Anti-
quitäten alte Oelmalereien, Aquarelle, Zeichnungen, Becher, Zierrathen, Glas-
gemälde, Siegel, schweizerische Münzen, Hausgeräthe u. dgl.
Hr. Oberst Fritz Schwab schenkte der Einwohnergemeinde Biel seine PfahU
bansammlung and vergabte zur Erbauung des nach ihm benannten Museum
Schwab 60,000 Fr. In demselben beünden sich seit dem Jahre 1872 bei 20
Gemälde älterer und neuerer KUnstler, die Stadtbibliothek, die antiquarischen
und naturhistorischen Sammlungen.
Das Bhätische Museum in Chur enthält vorzugsweise Antiquitäten (bei
3500 Stücke) von lokalem Interesse; es gehört dem Kanton Graabünden und
der Stadt Chur und wurde im Jahre 1871 gegründet.
Im Jahre 1823 aus dem Geschenk der naturhistorischen Sammlung de»
Herrn Chanoine Fontaine hervorgegangen und seither durch Geschenke des Staates,
von Korporationen und Privatpersonen vermehrt, umfaßt das Kantonalmuseum
in Freiburg, außer der naturhistorischen Abtheilung, bei 2000 Gegenstände,
meistens Pfahlbaufundstücke, Waffen, Rüstungen, Alterthümer und ethnographische
Gegenstände. Die Kunstsammlung besteht aus beiläufig 350 Gemälden, besonders
aus altdeutschen, italienischen und holländischen Schulen, zum Theil auch neuerer
Künstler, aus Aquarellen, Zeichnungen, Stichen, Skulpturen, 70 Glasgemäiden,
Münzen, Medaillen u. s. w. Frau Herzogin Colonna de Castiglione, von Freiburg,
genannt mit ihrem Künstlernamen Marcello, hat ihrem Heimatkanton bei 90
Kunst — 199 — Kunst
Kunstwerke, meistens Abgüsse ihrer vielen, im Auslände befindlichen Skulptur-
werke, nebst einer für fernere Reproduktionen bestimmten Geldsumme vermacht;
außerdem sehr werthvoUe Bilder, Bkizzen und Zeichnungen von Hubert, Fortuny.
Boulanger, Courbet u. A. Diese Eunstschätze bilden eine besondere Abtheilung
des Museums, das Musee Marcello.
Die Sammlung der Kantonsbibliothek in Frauenfeld besteht hauptsächlich
aus römischen Antiquitäten.
Die Künstlergesellschaft von St, Gallen besitzt eine werthvoUe Kupferstich-
Sammlung, welche im Jahre 1872 von den Erben des Herrn Nationalrath von
Gronzenbach geschenkt und durch viele Vergabungen auf beiläufig 7800 Blätter
nebst Photographien u. s. w. und Kupfer werken angewachsen ist. — Die Gemälde-
sammlung im neuerbauten Museum in St. Gallen zählt gegenwärtig 135 Gemälde,
meistens von Künstlern St. Gallens und der Ostschweiz, viele Aquarelle, Hand-
zeichnungen und bei 40 Skulpturen.
Das dem Staate gehörende MusSe Bath in Genf verdankt seine Entstehung
größtentheils den Schwestern Jeanne-Frangoise und Henriette Rath, weiche zu
der Erbauung des monumentalen Gebäudes aus ihrem und ihres verstorbenen
Bruders, des russischen Generals Rath, Vermögen 80,000 Fr. bestimmten. Es
wurde im Jahre 1826 eröffnet und umfaßt gegenwärtig bei 300 Oelgemälde,
80 Aquarelle, Emailmalereien und Miniaturen. Nebst alten Italienern und
Holländern enthält die Sammlung hauptsächlich Meisterwerke der neuern Zeit,
namentlich unserer hervorragendsten Schweizer Künstler. Im Saal Liotard sind
die alten Gemälde, im Saal Calame diejenigen neuerer verstorbener Maler, im
Saal Diday die Werke lebender Künstler aufgestellt. Die beiläufig 150 Skulptur-
werke befinden sich zum Theil in der Vorhalle. Da die Räumlichkeiten nicht
mehr hinreichen, so wird an die Erbauung eines neuen Museums gedacht. —
Eine Sammlung von Portraits und Büsten berühmter Genfer befindet sich in
der öffentlichen Bibliothek der Stadt Genf; eine ähnliche im Ath^nee der Soci6t^
des Arts. — Das Münz- und Medaillenkabinet der Stadt Genf, Anfangs dieses
Jahrhunderts entstanden (bei 30,000 Stücke), ist wohl das reichhaltigste der
Schweiz. — Außer einer archäologischen und einer historischen Sammlung
befinden sich in G«nf noch zwei bedeutende Museen. Hr. Walter Fol vergabte
der Stadt bei 4700 römische, griechische und etruskische Alterthümer, nebst
solchen aus der Zeit des Mittelalters und der Renaissance, welche seit dem
Jahre 1872 unter dem Namen Musee Fol dem Publikum offen stehen. — In
Yarembe bei Genf hat Herr Gustave Revilliod das Musie Ariana erbaut, in
welchem er seine Prachtsammlnng aufbewahrt. Sie besteht aus altem und neuern
Meisterwerken der Oelmalerei, Pastells, Stichen, Glasmalereien, Skulpturen, Me-
daillen, etruskischen, orientalischen, japanischen Terracotten und Porzellanwaaren,
Metallarbeiten, Waffen u. s. w. — In dem im Jahre 1885 von der Stadt G^nf
gegründeten Gewerbemuseum ist die von Hrn. Burillon angekaufte Sammlung
von 80,000 Kupferstichen untergebracht.
Der Kunstverein von Glarus hat oich seit dem Jahre 1871 eine hübsche
Sammlung von bis jetzt 15 Oelbildem neuerer Schweizer Maler, 6 Skulpturen,
Aquarellen, Stichen und Radirungen angelegt.
Der Kanton Waadt hat sein Kantonal-Kunstmuseum (Mus^e Arlaud) in
Lausanne. Es enthält außer Gipsabgüssen eine schöne Zahl von Gemälden von
GUjfre und andern hervorragenden Künstlern, hauptsächlich Waadtländeru und
Grenfem.
Im Rathhaus in Lnzern befindet sich außer einer Portraitsamiulung der
Kunst — 200 — Kunst
Luzerner Schultheißen und höchst werthvollen, alten Glasgemälden das im Jahr
1872 gegründete historische und kunstgew erbliche Museum mit dem Antiquarium
des fünfortigen historischen Vereins (Gräberfunde, Pfahlbaugegenstände u. s. w.),
einer bedeutenden Waffensammlung, Reliquien u. A. m. — Luzern besitzt femer
ein Münz- und Medaillenkabinet in der Bürgerbibliothek, besonders reich an
Arbeiten der alten Luzerner Medailleurs.
Im Jahre 1872 wurde in Neuenburg eine der werth vollsten Gemäldegalerien
der Schweiz durch die von Maximilien de Meuron gegründete Soci^te des Amis
des Arts gebildet. Ankäufe und Schenkungen haben sie auf über 200 Oelbilder
und bei 250 Aquarelle, Sepias und Zeichnungen vermehrt. Alle Koryphäen der
Neuenburger Kunst, die besten übrigen Maler der romanischen Schweiz sind
durch Original werke vertreten. Im Jahre 1884 konnte die Sammlung das neue,
monumentale Museum der Stadt Neuenburtf beziehen, welches theilweise auf
Kosten der Gemeinde, theils aus freiwilligen Beiträgen erbaut wurde. Das Erd-
geschoß enthält die erst in neuerer Zeit mit besonderer Berücksichtigung der
kantonalen Entwicklung angelegten, ethnographischen und historischen Sammlungen
von Fayencen, Metallarbeiten, historischen Portraits, Skulpturen, Medaillen, Münzen,
Glasgemälden, Email maiereien u. s. w.
Auch ChauX'de- Fonds y Boudrt/^ Cofombler und andere Ortschaften des
Kantons Neuenburg haben Sammlungen von Pfahlbaufundstücken, Waffen, Kupfer-
stichen u. s. w.
Obwohl ausländischen Ursprungs, ist hier das vom Grafen ß. Plater im
Jahre 1871 gegründete Polnische Nationalmuseum in Rapperstof/l mit seinen
alten Gemälden, Portraits, Medaillen, Münzen, Kameen zu erwähnen.
Schaffhausen besitzt seit dem Jahr 1848 im Imthurneum eine Sammlung
von 37 meistens neueren Oelgemälden und Gartens, 112 Handzeichnungen und
Aquarellen, 67 Kupferwerken, 3 Skulpturen in Marmor, 148 Gipsabgüssen,
Modelle!', Skizzen, 1281 Kupferstichen u. dgl.
Im Rittersaal der Burg Valeria in Sitten wurde im Jahre 1883 das Walliser
Kantonalmuseum eröffnet, eine zwar noch kleine, liistorische Sammlung, welche
jedoch bereits seltene Prachtstücke von alten Kirchengeräthen, Waffen, Glas-
gemälden, keltische und römische Fundstücke, meistens Geschenke oder durch
Ankäufe erworben, enthält. — Bemerkenswerth ist auch die Galerie von Bild-
nissen der Walliser Bischöfe im bischöflichen Palast in Sitten.
Die im Jahre 1850 vom Solothurner Kunstverein gegründete und 1879 der
dortigen Einwohnergemeinde abgetretene Solothurner Kunstsammlung^ welche
provisorisch im städtischen Gemeindehaus untergebracht ist, umfaßt Gemälde und
Zeichnungen neuerer, namentlich Solothurner Maler; ferner nebst andern alten
Meisterwerken die berühmte Madonna „von Solothurn", ein Werk Hans Holbein's
des Jüngern. — Auch die Solothurner historisch-antiquarische Sammlung enthält
werthvolle Kunstwerke.
Eine bedeutende Sammlung besitzt der Kunstverein in Winterthur : 70 Skulp-
turen, 224 Gemälde, bei 6700 Aquarelle, Zeichnungen u. s. w., vorwiegend von
Winterthurern, bei 30 Glasmalereien. Ihr Kupferstichkabinet zählt 3900 Blätter
aus allen älteren Schulen.
In den Museen von Vecey und Yverdon befinden sich auch alte Skulpturen,
Münzen, Gefäße u. dgl.
Vieler Theilnahnie erfreut sich die im Jahre 1879 eröffnete Sammlung suge-
risrher Alterthämer im Stadtrathhaus in Zug. Sie enthält Trachtenbilder, Portraits,
Glasgemälde, Goldschmiedarbeiten u. A. m.
Kunst — 201 — Kunst
Die Sammlunr/ der Künstler g es tUschafl in Zürich umfaßt gegenwärtig
326 Gemälde, meistens neuerer Schweizer Künstler, über 150 Gipsabgüsse, zwei
Marmorskulpturen, bei 1 1 ,000 Handzeichnungen, Druckwerke und eine Kupferstich"
Sammlung von 14,500 Blättern. — Die Portraitsammlunit der Stadtbibliotheh
ist auf über 18,000 Stücke angewachsen; ihr Mümkabinety reich an schweize-
rischen Münzen und Medaillen, auf 4300 Stücke. — In der Antikensammlumj
der Hochschuley bei 150 Nummern enthaltend, sind besonders die Terracotten
aus Tanagra, Tarent, Capua u. s. w. bemerkenswerth. — Die Zürcher anti-
quarische Gesellschaft besitzt in ihren reichen Sammlungen viele werthvoUe
Kunstgegenstände, Münzen, Siegel, Skulpturen u. s. w. — Dem großen Pädagogen
Pestalozzi wurde beim Anlaß der Ausstellung seiner Werke im Jahre 1878 ein
kleines Museum, das sog. Pestalozeistübchen, gewidmet, in welchem seine, seiner
Familie und Zeitgenossen Portraits, Reliefs, Medaillons, Ansichten, die Marmor-
statue Pestalozzi's von Sales Ämlehn und seine Portraitbüste von Christen auf-
bewahrt sind.
Die Gewerbemuseen in Basel, Winterthur, Zürich und Genf, ebenso die
Muster- und Modellsammlung in Bern vervollständigen fortwährend ihre Samm-
lungen auch mit kunstgewerblichen Vorbildern aller Art.
1 Y. Kunstausstellungen.
1) Allgemeine schweizerische Kunstausstellung. Bisheriger
Uebung gemäß veranstaltet der schweizerische Kunstverein mit seinen Sektionen
Jedes Jahr in mehreren Schweizer Städten eine Ausstellung von Kunstwerken,
welche successiv diese Städte besucht. In dem einen Jahr findet die Ausstellung
in der Westschweiz, in Aarau, Bern, Basel, Solothum, Lausaune (früher auch
in Genf und Freiburg), in letzter Zeit auch in Locle statt, im folgenden in der
Ostschweiz, in Zürich, Glarus, St. Gallen, Winterthur, Schatfhausen und Konstanz.
Ein alljährlich vom Zentralkomite ernanntes Kunstgericht (Jury) bestimmt über
die Zulassung der Kunstwerke und Ertheilung von Ehrenmeldungen.
Nach unsern Zusammenstellungen betrug die Zahl der ausgestellten Kunst-
werke in den letzten sechs Jahren im Durchschnitt 400 (im Jahre 1880 600,
1882 nur 290, 1884 414, 1886 335). Gewöhnlich ist ihre Zahl größer in
der Westschweiz, als wenn die Ausstellung die östlichen Kantone besucht. Neben
der Oelmalerei sind Skulptur, Aquarell, Email- und Fayencemalerei gewöhnlich
spärlich, Stiche und Radirungen auffallend wenig vertreten. Im Mittel betheiligen
sich 200 Künstler an der Ausstellung, von welchen oft fast die Hälfte Ausländer
sind. In jeder Ausstellungsstadt werden Lotterieloose für fünf Franken verkauft
und aus deren Ertrag Kunstwerke für die allgemeine Verloosung erworben. Im
Durchschnitt betrug der Gesammterlös des Verkaufes für die Lotterie au Privat-
}>ersoDeD und Vereine in den letzten Jahren jährlich bei 38,000 Fr.
So sehr die Bemühungen des schweizerischen Kunstvereins und die Opfer,
welche seine Sektionen dabei öfters bringen, Anerkenming verdienen, so ist doch
nicht zn läugnen, daß diese Ausstellung nicht mehr befriedigt. Sie hat bei
vielen unserer besten Künstler an Anziehungskraft verloren, schon deßhalb, weil
so viel ans- und inländisches Mittelgut zugelassen wird und der nationale Charakter
der Ausstellung fehlt. Auch int die wenig kostspielig gewordene Versendung an
Ausstellungen in Paris, München, Berlin oder Mailand, welche den Künstler in
weitem Kreisen bekannt machen und bedeutend größern Absatz bieten, lohnender
al8 in den kleinen Schweizer Städten. Die Dauer von 6 bis 7 Monaten der
schweizerischen Ausstellung ist zu lang; die Käufer wünschen die angekauften
Kunst — 202 — Kunst
Gemälde yor dem Schluß derselben zu behändigen und die Ettnstler ziehen es
vor, eine nach ein paar Monaten nicht verkaufte Arbeit zurückzuziehen und sie
anderswo auszustellen. Auch sind die der Ausstellung angewiesenen Lokale bis-
weilen den Bedürfnissen wenig entsprechend. Der schweizerische Kunstverein ist
von der Nothwendigkeit seiner Reorganisation selbst überzeugt und mit derselben
in neuester Zeit ernstlich beschäftigt. Wenn ihm die Bundesbehörden, wie allge-
mein gehofft wird, mit Protektion und entsprechenden Subsidien an die Hand
gehen, so wird er gewiß am ersten im Stande sein, mit vereinten Kräften unsere
Landesausstellung zu der ihr gebührenden Höhe zu erheben.
2) Lokalausstellungen. Seit mehreren Jahren ündet jährlich eine
städtische Kunstausstellung (Salon suisse) in Genfatatty welche auch den Zweck
hat, Ankäufe für die von Diday testamentarisch gestiftete Gremäldegalerie zu
machen. Alle Schweizer sind zugelassen, Fremde ausnahmsweise. Die von den
Ausstellern erwählte EUnstler-Jury verfügt über Annahme der Arbeiten und
macht dem Yerwaltungsrath der Stadt Vorschläge zur Erwerbung von Kunstwerken
für die Diday-Gralerie. Die Ausstellung umfaßt durchschnittlich 250 Arbeiten
(Oelbilder, Aquarelle, Zeichnungen, Pasteis, Stiche, Email- und Fayencemalereien)
von selten über 130, meistens der romanischen Schweiz angehörenden Künstlern.
Mit dieser Ausstellung ist jeweilen eine kunsUjew erbliche Ausstelluwf verbunden,
welche ähnlich organisirt ist. Obschon gewöhnlich nicht 100 Nummern aufweisend,
gibt dieselbe doch ein ziemlich gutes Bild der Genfer Kunstindustrie. Ein von
Hrn. Charles Gtilland gestifteter Preis von 2000 Fr. wird jährlich einer kunst-
gewerblichen Arbeit der Ausstellung zugesprochen. Das finanzielle Ergebniß der
Grenfer Ausstellung ist gewöhnlich befriedigend; die Eintrittsgebühren tragen bei
20,000 Fr. ein und die Zahl der Ankäufe der Stadt, von Privatpersonen und
fUr die Lotterie ist beträchtlich. — Oefters hat der Cerole des beaux-arts in
Grenf Ausstellungen oon Aquarellen verschiedener Künstler veranstaltet; iu
neuerer Zeit werden dieselben von dem Verein der Schweizer Aquarellisten in
verschiedenen Städten, wie Luzern, Bern und Genf, mit Erfolg abgehalten.
Seit dem Jahre 1882 eröffnet der Basler Kunstverein alljährlich eine national-
schweizerische Ausstellung in Basels ausschließlich für Arbeiten von Schweizern.
Die Auswahl der Kunstwerke, gewöhnlich 200 bis 250 an der Zahl (Oelbilder^
Aquarelle, Zeichnungen, Skulpturen, Radirungen, Emailmalereien u. s. w.): be-
friedigt allgemein. Für die Yerloosung werden Gegenstände im Gesammtwerth
von 6000 bis 8(X)0 Fr., von Privatpersonen und fiir die Basler Sammlungen
für 17,000 bis 36,000 Fr. angekauft.
Alle zwei Jahre hält die Societe des Amis des Arts eine Ausstellung in
Neuenburg und Chanx-de-Fonds ab. Ohne Arbeiten aus andern Kantonen
oder des Auslandes auszuschließen, umfaßt sie hauptsächlich diejenigen der Neuen-
burger Künstler, nebst einigen aus dem Kanton Waadt und von G^nf. Die Aus-
stellung ist reichhaltig (meistens 200 bis 300 Nummern) an Oelbildern und
besonders auch an Aquarellen, Handzeichnungen, Radirungen und Skulpturen.
Die Ankäufe für die Lotterie, für das Museum und von Kunstfreunden tragen
meistens eine hohe Summe ein, z, B. im Jahre 1884 73,290 Fr.
Die permanenten Ausstellum/en in Genf, Basel, Bern, St. Gallen, Luxem,
Zürich u. s. w. werden viel besucht, ebenso die zeitweisen Ausstellungen aus-
ländischer Oelgemälde und die Sonderausstellungen von Werken einzelner lebender
oder verstorbener Künstler. Der Cercle des beaux-arts hat es unternommen, in
fortwährender Reihenfolge die Arbeiten seiner Mitglieder dem Genfer Publikum
vorzuführen.
Kunst — 203 — Kunst
Anch reirospekUve Aii'istellanyeu von hutoriächen Kunstwerken und kunst-
gewerblichen Erzeugnissen früherer Zeiten finden öfters statt.
Nicht groß ist die Betbeiligung unserer einheimiBchen Künstler an den
Äusstellutigen des Auslandes. Nur im Pariser Salon findet sich gewöhnlich eine
ansehnliche Anzahl von Künstlern der romanischen Schweiz (durchschnittlich 50
mit 100 Arbeiten) ein; einigen werden bisweilen ehrenhafte Auszeichnungen zuTheil.
V. Erhaltung alter Kunstwerke.
Das Interesse an historischer Kunst ist in neuerer Zeit wieder rege geworden
und gibt sich vielfach zu erkennen. An mehreren Orten unseres Landes werden
Aiistjrabungen alter Bauwerke vorgenommen. Schon sehr werthvolle antike
Skulpturen, Zierrathen, Terracotten, WatFen u. dgl. wurden aufgefunden, wie
z. B. in der Schloßruine Homberg bei Wittnau, bei Schieitheim und Beringen
im Kanton Schatfhausen, bei Martigny an der Stelle des alten Octodurum und
besonders bei Avenches in den Ruinen Aventicums, wo die Ausgrabungen durch
den Verein „Pro Aventico** geleitet werden.
Auch in Grabstätten, in Flußbetten, wie z. B. kürzlich in der Rhone bei
Grenf, sind alte Artefakten zum Yorschein gekommen. Groß ist die Menge der
hin und wieder entdeckten keltischen, römischen, alt-französischen, spanischen^
savoyischen und Schweizer Münzen.
In alten Kirchen, Kapellen, Klöstern und andern Gebäuden wird nach
Wandmalereien gesucht. Da wo dieselben durch Tünche verdeckt sind, wird
diese abgehoben und die Malerei vor weiterer Beschädigung geschützt. Von den
vielen kürzlich aufgefundenen Wandmalereien nennen wir beispielsweise diejenigen
im Kloster Rathhausen, in den Kirchen von Schwamendingen, Muttenz, im
Chorer Dom.
Besonders eifrig wird die Restauration alter Kunstdenkmäler betrieben. In
Basel hat sich ein aus über 1000 Mitgliedern bestehender Münsterbauverein
gebildet, welcher mit Beihülfe des Staates sehr bedeutende Herstellungsarbeiten
am Basler Münster, für jährlich durchschnittlich 30,000 Fr., ausführt. — Einer
ähnlichen Restauration unterliegt die Kathedrale in Lausanne; Privatpersonen
haben zu diesem Zweck bedeutende Summen im Betrag von 50,000 Fr. beige-
steuert. — In Genf wurde die gänzliche Renovation der Makkabäerkapelle mit
einem Kostenaufwand von 221,700 Fr. vollendet, in Neuenburg die Kollegiat-
kirche ausgebaut und restaurirt. — Schon seit Jahren läßt die Stadt Bern die
Fa^aden des Berner Münsters erneuern. Ein Münsterbauverein strebt den Ausbau
des Thurmes an, und hat dazu die nöthigen Studien vorgenommen. — Noch viele
andere Gotteshäuser, Rathhäuser, Zunftgebäude, öffentliche Brunnen u. s. w. sind
in ihrem ursprünglichen Stil erneaert worden. — Erwähnt seien auch die für
die Erhaltung des Luzemer Löwendenkmals getroffenen Vorkehren. — So viel
es die verfügbaren Geldmittel gestatten, werden alte Glasmalereien vor der
Zerstörung und Verschacherung an's Ausland bewahrt; ebenso historisch denk-
würdige Kunstwerke aller Art für unsere Sammlungen erworben.
VI. Kunstschulen. *)
Man behauptet öfters, es gehe dem Schweizer ein angeborener Kunstsinn
ab, deshalb sei es unnütz, denselben durch Unterricht in der Kunst ausbilden
zu wollen. Wenn auch zugegeben werden muß, daß der Italiener und Franzose
den Schweizer an Geschmack und Schönheitsgefdhl übertrifft, so geben sich die-
M Siehe auch unter Bildungswesen, Bd« I., S. 269.
Kunst — 204 — Kunst
(»elben in uii&erem Lande doch vielfach kand. Wie gut kleiden unsere alten
Trachten, mit welchem richtigen Farbensinn wissen unsere Landleute ihre Häuser
mit Blumen lu zieren, mit welcher hübschen Grappirung die Aelpler ihre Schwing-
feste auszustatten und zu welcher hohen Bliithe hat sich nicht der Yolksgesang
bei una entwickelt ! In einem Lande, welches eine so große Fülle von Schönheit
darbietet, kann der Bewohner unmöglich von den großartigen Eindrücken der
Natur unberührt bleiben. Dem Srhweizer fehlt nicht ein gewisses Kuustgefübl,
auch nicht Kunstfertigkeit, hingegen Originalität und Geschmack^ und dies ist
auch der hauptsächlichste Grund, weshalb ihm die Konkurrenz seiner Nachbarn
auf den Gebieten der Kunst und des Kunstgewerbes hindernd entgegentritt. Nur
dann, wenn ein Kunstgebilde eine neue, originelle, nach den Urregeln des Schönen
gebildete Schöpfung ist, kann es gefallen. Wie würden unsere Holzschnitzereien,
Stickereien, Heimberger Produkte, Möbel, Hausgeräthe u. s. w. an Absatz ge-
winnen, wenn sie origineller und geschmackvoller wären ! Dies kann aber dadurch
erreicht werden, daß in allen Schulen, auch in unseren Volksschulen die beiden
Grundlagen der Kunst, Originalität und Stil, mehr als bisher entwickelt werden.
Sobald als mijglich sollten dem Schüler die festen Regeln des Schienen, der Pro-
portionen, Farbenkontraste u. s. w. eingeprägt und zugleich vom sklavischen
Kopiren von Vorlagen zu selbstständigem Schatfen eigener Kompositionen über-
gegangen werden. Mit solcher, rationeller Vorbildung ausgerüstete Schüler werden
auch in unsem Kunst- und Kunstgewerbeschulen viel leichter zu wahren Künstlern
ausgebildet werden können.
AuLicr den Kunstabtheilungen des eidgenössischen Polytechnikums besitzen
wir noch keine eidgenössische Kunstschule. Hr. Nationalrath Riniker hat in
Verbindung mit andern Mitgliedern des Nationalrathes am 2i?. Juni 1885 den
eidgenössischen Räthen die Motion vorgelegt, es möchte der Bunde^rath Bericht
und Antrag vorlegen über die Errichtung einer eidffenössischen Kunstschule in
der italienischen Schweiz, oder eventuell über die Unterstützung einer entstehenden
kantonalen Ki^nstschule. Dieser der anregenden Nähe Italiens wegen sehr
berechtigte Antrag harrt noch der Erledigung.
Eine bedeutende Tbätigkeit zeigt die Basler Zeichnungs- und Modellir-
schule. Durchschnittlich 650 Zöglinge beider Geschlechter besuchen theilweise
kunstgewerbliche Klassen, theils die eigentlichen Kunstklassen fiir Gel-, Aquarell-,
Porzellan- und Fayeucemalerei, für Modellirung u. s. w. Alljährlich findet eine
Ausstellung der Arbeiten mit Preisvertheilung statt. Die Gesammtausgaben (^im
Jahre 1884/5 3*,>,547 Fr.) werden durch Beiträge des Bundes, des Staates, der
Gesellschaft des Guten und Gemeinnützigen und durch die Schulgelder gedeckt.
Die vor wenigen Jahren von der Bemer Künstlergesellschaft gegründete,
Vom Bund, vom Staat, von der Bargergemeinde und den Zünften der Stadt Bern
unterstützte Berner Kunstschule wird von beiläufig 80 — 100 Zöglingen beider
Geschlecbter besucht (worunter 10 — 15 an Freistellen). Lehrer und Lehramts-
kandidaten werden unentgeltlich zugelassen; die Zöglinge des kunstgewerblichen
Unterrichtes zahlen die Hälfte des Schulgeldes. In fünf Klassen wird in allen
Kunstfächern unterrichtet; die ötfentlichen kunstgeschichtlichen Vorträge finden
regelmäßig statt. Die Schule kostete im Jahre 1885 95t)8 Fr. Alljährlich
findet eine Ausstellung der Arbeiten statt.
Die vom Kaufmännischen Direktorium gegründete Zeichnungsschule flir
Industrie und Gewerbe in St. Gallen bildet jährlich über 100 Zöglinge aus.
Ihre Ausstellungen zeugen von vielseitiger, trett'licher Thätigkeit.
Genf hat mehrere, vom Bunde unterstützte Kunstschulen. Die Ecoles muni-
Kunst — 205 — Kunst
cipales d'art der Stadt Genf, deren Unterricht unentgeltlicli ist, haben fünf
Abtheilungen, von welchen eine, die Ecole des beaux-artSf speziell den bildenden
Ktinsten, und eine, die Ecnle d'art appUque a Vindustrie^ den Kunstgewerben
gewidmet ist. Die Zahl der Zöglinge dieser beiden Abtheilungen ist bis auf
500 beider Geschlechter angewachsen. Wie die jährlichen, reichhaltigen Aus-
stellungen der Arbeiten nachweisen, steht die Schule auf der Höhe der besten^
ausländischen, ähnlichen Anstalten. Üeber 100 — 150 Preise und Ehrenmeldungen
werden jährlich vertheilt. — Beiläufig 250 2Cöglinge werden in der im Jahre
1877 eröffneten Ecole canionale des aris indiistriels in Genf in allen kunst-
gewerblichen Fächern unterrichtet. Seit dem Jahr 1878 befindet sie sich in dem
für de errichteten Gebäude. Außer den Jahresbeiträgen des Bundes und des
Staates, erhielt die Anstalt im Jahre 1886 eine Bundessubvention von Fr. 24,600
zur Errichtung von zwei Klassen fiir Xylographie und Kunstschmiedearbeiten.
Jährlich finden Preisvertheilungen und zwei öffentliche Ausstellungen statt, deren
Produkte reichlichen Absatz finden. — Auch in der Äcademie professionnelle
der Siadi Genf erhalten bei 100 Erwachsene Unterricht im Kunst- und tech-
nischen Zeichnen.
Die vom Bund ebenfalls unterstützte kantonale Kunstgewerbeschule in
Lueern^ deren Unterricht für Kantonsschüler unentgeltlich ist, zählt gewöhnlich
68—80 Zöglinge.
Im Jahre 1869 wurde von einigen Kunstfreunden die Ecole de des sin pro-
fessionnel ei de modelage in Neuenbürg gegründet, welche seither mit beiläufig
100 Zöglingen, unterstützt von den kantonalen und städtischen Behörden, eine
rege Thätigkeit zeigt. Die Jahreskosten belaufen sich auf beiläufig 2500 Fr.
Die Kunstgewerbeschule des Gewerbemuseums in Zürich besuchen durch-
schnittlich 100 Zöglinge, welche sich an den von den Gewerbemuseen in Zürich.
and Winterthur ausgeschriebenen Preisbewerbungen und Ausstellungen betheiligen.
Ebenso erfolgreich ist der Kunstunterricht am Technikum in Winterthur,
£^ wären hier noch viele, öffentliche und private Schulen anzuführen, welche
Treffliches leisten, so z. B. die Privatzeichnung sschule in Winterthur, die Kunst^
getoerbeschule in Chaux-de-Fonds, die Zeichnungsschulen in Heimberg ^ in
St. Immer u. s. w. — Leider haben die wiederholt vom Staat und von Privat-
personen gemachten Anstrengungen, lebensfähige Schnitelerschulen im Bemer
Oberland zu gründen, bisher wenig Erfolg gehabt.
Vn. Kunstvereine.
Am Schluß dieses Ueberblicks bleiben noch die schweizerischen Kunstvereine
zu erwähnen, die nationalen Grundlagen aller unserer Kunstbestrebungen. Beinahe
überall, selbst in kleinen Städten, treffen wir solche Vereine an, welche das
Interesse an der Kunst erhalten und fördern.
Der schweizerische Kunstverein, in Zofingen gegründet, wurde im Jahre 1839^
in Z&rich eröffnet. Eh* besteht aus Sektionen, den Kunstvereinen von Zürich, Basel,
Bern, Lucem, Winterthur, Solothurn, Schaffhausen, Genf, Aargau, Waadt, Glarus
und St. Ghdlen. Die Geschäfte leitet eine jeweilen auf zwei Jahre damit beauf-
tragte Sektion, in deren Stadt die Delegirten und die Mitglieder sich zur Haupt-
versammlung vereinigen, während im andern Jahr diese Versammlung in Zofingen
stattfindet. Der Verein leitet die allgemeine schweizerische Kunstausstellung. Auch
trägt er zur Förderung anderer Kunstbestrebungen bei, wie z. B. in neuerer Zeit
zu der von ihm durchgeführten Restauration der Tellskapelle. Er stiftete zwei
große, in seinem Besitz gebliebene schweizerische Künstleralbum.
Kunst ~- 206 — Kuost
Die kürzlich eDtstandene Gesellschaft der Schweizer Aquarellisten besteht
hauptsächlich aus Künstlern der romanischen Schweiz, welche der Aquarellmalerei
in unserm Land einen größern Anfhchwung zu ertheilen wünschen und ihre Arbeiten
in verschiedenen Schweizer Städten ausstellen.
Beiläufig 1 20 Künstler der Schweiz bilden die Gesellschaft schweieerischer
Maler und Bildhauer, welche besonders die Interessen des Künstlerstandes ver-
tritt. Die jährliche Hauptversammlung findet abwechselnd in einer der großem
Schweizer Städte statt.
Im Jahre 1880 wurde in Zofingen der Verein für Erhaltung vaterländischer
Kunstdenkmäler gegründet, dessen Hauptversammlung alljährlich sich an diejenige
des schweizerischen Kunstvereins anschließt. Sie zählt gegenwärtig 258 Mitglieder,
worunter 24 Korporationen, Vereine u. s. w. Die Mitglieder erhalten die ge-
druckten Mittheilungen über denkwürdige, alte, schweizerische Kunstwerke, nebst
Abbildungen. Obschon die Geldmittel des Vereins bisher sehr beschränkt waren,
so hat er doch schon viel zur Restauration und Erhaltung höchst interessanter
Alterthümer beigetragen, wie z. B. zur Erhaltung der Fa^adenmalereien am Haus
„Zum weißen Adler" in Stein a«/Rh., zur Herstellung der St. Greorgskapelle in
Bonaduz, zur Erwerbung alter Glasgemälde u. A. m. Durch den oben erwähnten
Bundesbeschluß vom 30. Juni 1886 wird nun der Verein in den Stand gesetzt
werden, seinen Zweck in größerem Umfang zu erreichen.
Die schweizerische numismatiache Gesellschaft, im Jahre 1879 in Freiburg
gegründet, besteht aus beiläufig 120 Mitgliedern. Sie versammelt sich jährlich ein
Mal abwechselnd in einer unserer großem Städte. Ihr im Druck erscheinendes
^Bulletin*", mit Abbildungen, bildet jährlich einen Band von beiläufig 150 Seiten.
Da wir die Grenzen dieser üebersicht nicht überschreiten dürfen, so be-
schränken wir uns auf einige Angaben über unsere vielen Lokalknnstvereine.
Der Basler Kunstverein zählt 1400 — 1500 Mitglieder; sein jährlicher
Geldverkehr steigt auf Fr. 25 — 30,000 an. Für seine Sammlungen besitzt er ein
künstlerisch reich ausgestattetes Gebäude, die Kunsthalle. Die Kosten der im Bau
begriffenen Skulpturhalle wurden durch Beiträge des Staates, von Privatpersonen,
Vereinen und aus seinen eigenen Mitteln gedeckt. Alljährlich werden am Sylvester-
abend 20—30 Kunstgegenstände, im Werth von Fr. 6 — 9000, unter den Mit-
gliedern verloost.
Dem kantonalen Neuenburger Kunstverein (^Soci^t^ des amis des arts de
Neuchätel) gehören bei 14—1800 Mitglieder an, welche jährlich Fr. 7—9000
beitragen. Aus diesem Betrag und aus den Eintrittsgeldern seiner Ausstellungen
kauft er an denselben alle zwei Jahre für beiläufig Fr. 15,000 Kunstwerke,
welche unter den Mitgliedern verloost werden.
Genf besitzt mehrere sehr thätige Kunstvereine. Zwei Abtheilungen der
Soci6t6 des arts de Geneve sind der Kunst gewiedmet. Ihre Classe des beaux-
arts, mit beiläufig 180 Mitgliedern, im Ath6n6e, ist seit dem Jahre 1822 die
hauptsächlichste Trägerin der Genfer Kunstbestrebungen. Sie vergibt alle zwei
Jahre den von Frau Wittwe Alexandre Calame gestifteten Preis von Fr. 1800
für ein größeres Landschafts- oder Figuren bild: femer die durch Diday's
Vermächtniß aftegesetzten Preise von Fr. 800 — 1000. Die Section des arts de-
coratifs, mit 120 Mitgliedern, besteht seit dem Jahre 1883; durch ihre Aus-
stellungen und Preißvertheilungen tragt sie wesentlich zur Hebung des Kunst-
gewerbes bei. — Auch die Section des beaur-arts de V Institut national genevois
beschäftigt sich eifrig mit der Förderung der Kunst, insbesondere des Kunst-
gewerbes ; sie eröffnet je weilen öffentliche Preisbewerbungen. — Der Cercle des
Kunst — 207 — Kunstdünger
beauT-arts veranstaltet namentlich SonderauRstellungen seiner Mitglieder, die
SociHe de Vexponition permanente (amis des beanx-arts) die permanente Aus-
stellang in Genf.
Die Bern er Künstlerf/esellschaft, mit beiläufig 250 Mitgliedern, hat wesentlich
zur Verbreitung des Kunstsinnes durch Öffentliche Vorträge, Ausstellungen u. s. w.
beigetragen. — Der von Herrn Rudolf von Effinger-von Wildegg im Jahre 1854
gegründete Berner Kantanalkunsiverein vertheilt unter seine 6 — 650 Mitglieder
Grratisloose für Kunstwerke der schweizerischen Kunstausstellung, Kunstblätter und
den gedruckten Jahresbericht über die bildenden Künste in der Schweiz.
Die Zürcher Künstlenfesellschaft (mit 150 Mitgliedern) und der Zürcher
KanionalkNnfttverein (mit 450 Mitgliedern) erfreuen sich stets großer Theilnahme;
in letzter Zeit wurde ersterer mit sehr bedeutenden Vermächtnisc^en und Schenkungen
bedacht.
Zu den thätigsten Vereinen gehören femer die Kunstvereine von St. Gallen
(240 Mitglieder) und derjenige von Winierthyr (100 Mitglieder), der Aanjauische
Knnstverein (gegründet im Jahre 1860/61, 155 Mitglieder), der Kunstverein
von Solothurn, die Kunstgesellschaft in Lueern, die Kunstvereine in Glarus
und Schaffhausen (100 Mitglieder) und die SociHe vaudoise des beaux-arts.
Literatur: Bunde.sg:esetze und Verordnungen betreffend die schweizerischen
Eunstangelegenheiten. — Die bildenden Künste in der Schweiz, von Dr. B. v. Tscharner.
Jahrgänge 1873—85. — Fachbericht über die Gruppe ,Die Kunst der Gegenwart* an
der schweizerischen Landesausstellung in Zürich, und L'art et Tapplication de Tart ä
rindnstrie, beide von Auguste Bachelin. — Die Kunst an der schweizerischen Landes-
ausstellung, von Dr. Paul Salvisberg. — Kataloge und Berichte über die schweizerischen
Kunstmuseen und Sammlungen. — Das Kupferstichkabinet des eidgen. Polytechnikums,
Ton Prof. Dr. G. Kinkel. — Die archäologische Sammlung im eidgen.* Polytechnikum,
von Prof. H. Blümner. — Die Universität Basel, von Prof. Dr. Albert Teichmann. —
Führer durch die Mittelalterliche Sammlung in Basel. — - Das historische Museum in
Bern, von E. v. Rodt. — Jahresberichte der schweizerischen Kunstschulen. — Jahres
berichte der schweizerischen Kunstvereine.
Kiinstbaumwolle. Laut Handelsregister wird die Kunstbaumwollfabrikation
von der Firma E. Büesling in Zürich betrieben.
Kiinstbutter (Speisefett, Margarinbutter) wird von einigen schweizerischen
Fabriken in größerem Maßstabe aus gereinigtem Talg durch Auspressen und
Vermischen mit Milch hergestellt. Es wird indessen gegen die Verbreitung dieser
Industrie vom Publikum stark reagirt und die Behörden werden zum Aufsehen
ermahnt. Die Regierung von Graubünden ist bereits mit folgender Verordnung
vorangegangen :
§ 1. Der Name Butter darf im Groß- und Kleinhandel nur demjenigen frischen
oder ausgeschmolzenen Fette beigele^ werden, welches ausschließlich aus Kuhmilch
ohne Zusatz anderer Fette bereitet worden ist.
§ 2. Für die Bezeichnung von Produkten, welche aus anderen thierischen oder
pflanzlichen Fetten, oder aus Mischungen solcher Fette mit Kuhbutter für Genußzwecke
hergesteUt sind, ist die Verwendung von Namen verboten, in denen das Wort Butter
vorkommt (z. B. „Kunstbutter*, „Kübelbutter*, „Margarinbutter* u. s. f.).
§ 3. In den Verkaufslokalen sollen die Geföße, in denen die in § 2 genannten
Produkte aufbewahrt werden, deutlich und sichtbar die Aufschrift „Koch fett* tragen.
Dieselbe Bezeichnung sollen die betreffenden Fakturen und Frachtbriefe aufweisen.
Im Kanton Zürich besteht seit 26. März 1887 eine regierungsräth liehe
Verordnung, nach welcher die der Milchbutter ähnlichen Zubereitungen, deren
Fettgehalt nicht ausschließlich der Milch entstammt, als Kunstbutter bezeichnet
werden müssen.
KanstdUnger s. Hülfsdünger, S. 459.
Eun>tgewerfoe — 208 — Kunstgewerbe
Kunstgewerbe. (Verfaswer : Herr F. Salvisberg, Alt - KaDt«ius-
hanmeiäter, in Bern.) Siehe auch den Artikel „Knnsf. Das künstlerische
Wirken, das in der geschäftlichen, tausendfach verzweigten Thätigkeit des Bürgers
Qberall ersichtlich werden soll, hat dem Nutzen und Gebrauche eines Gegen-
standes zu entsprechen, der unsem Grewerben und Industrien, der rationellen
Bewohnung unsers Hauses und der Ausschmückung desselben angehört. Das
künstlerische Schaffen eines Volkes begründet sein Glück und seinen Wohlstand.
Die bildenden Künste und die Kleinkünste in allen Berufsthätigkeiten des Hand-
werkes und der Gewerbe können nicht getrennt gedacht werden, sie sind der
gegenseitigen Hülfe bedürftig. Sie stehen im normalen Verhältnisse zu einander,
wenn die Grenzen nicht ausfindig zu machen sind, wo der eine Theil aufhört
und der andere beginnt; sie hinterlassen eine große Lücke, oder verkümmem,
wo sie nicht gleichzeitig erscheinen.
Von den Werken, die seit Jahrhunderten die Schweiz in der Kunstindustrie
zu Tage förderte, blieb uns wenig übrig. Die Zeit und die Ereignisse haben sehr
Vieles zerstört. Wenn ein neuer Aufbau stattfinden soll, so wenden sich unsere
Blicke nach den Nachbarstaaten und so vielen fremden Ländern, an deren reichen
Gestalten und Bildern unsere Wege und Ziele vorgezeichnet sind. Li diesem eben so
belehrenden, als wunderbaren Gemälde idealen Schaffens begegnet uns bei allen
Völkern der gleiche maßgebende Ursprung, auf den das höchste Streben zurück-
führt. Es ist die religiöse Verehrung, die bei den wilden und barbarischen Völkern
in der unvollkommensten Weise für ihre Götzen, in der altklassischen Periode
für eine herrliche Götterwelt, im Mittelalter für eine strenggläubige AufiGassung,
nicht weniger in modemer Zeit in der Begeisterung für die erhabensten Gredanken,
die das menschliche Herz zu beleben vermögen, sich kund gibt ; — von welcher
geleitet die höchsten Monumente der Architektur, der Skulptur, der Malerei in
die Erscheinung getreten und noch treten, und aus der allein die Kleinkunst in
ihrer richtigsten Entwicklung und in ihrer höchsten Bedeutung hervorgegangen
und von hieraus weiter in's öJQFentliche und in's bürgerliche Leben gedrungen
ist. — Betrachten wir etwas genauer diese Thatsache. Lange vor römischer und
christlicher Zeitrechnung erheben sich die heidnischen Denkmäler. Die Kelten
bauen ihre ungeheuren Steinkreise zur Verehrung ihrer Götter und für ihre Todten
errichten sie Grabhügel. Die Monumente tragen die Spuren des Ornamentes, so
wie von hier aus die Gregenstände des werktäglichen Lebens. Thongefäße, Ge-
schirre, Waffen, Werkzeuge aller Art aus der Stein-, der Bronze- und Eisenzeit,
Holzschnitzereien bezeugen den Sinn dieses alten Volkes und der Pfahlbauer für
eine ideale Richtung. In den niedrigen Kulturzuständen in Mexiko, Südamerika,
Zentralafrika, Australien etc. treffen wir auf das herrschende Bedürfhiß für monu-
mentale Bauten, für Tempel und Grabmäler etc. und die Ausschmückung derselben,
wenn auch in geschmackloser, primitiver und überladener Weise, aber aus-
schließlich im religiösen Dienste.
Dieses innige Verbal tniß der hohem Kunst zur Kunstindustrie entwickelte
sich aus der Kindheit zu der Schöpfung der wunderbaren Denkmäler in der antiken
Kunst, unter der wir das alte Aegypten, die persische, althindustanisohe, die
assyrische, griechische, etmskische, römische und die griechisch-römisohe Kunst
verstehen.
Die riesenhaften Pyramiden, die Felsengräber, die Paläste der Aegypter
schauen auf ein großes gewerbthätiges Volk hernieder, dessen Ausführung und
Umfang der öffentlichen Werke unser höchstes Erstaunen erregen, uns als ein
Käthsel erscheinen. Der Schmuck ihrer Tempel erweckt ein blühendes Handwerk.
Kunstgewerbe — 209 — Kunstgewerbe
Noch 8tarr und abgeschlossen und ohne die nöthige Freiheit bewegt sich
die ägyptische Kunst. Aber was die schweigende Sphinx noch nicht vermag, das
entfaltet sich doch nach ägyptischen Vorbildern unter den Hellene in lebensvollere
Freiheit und Anmuth, zur unvergleichlicher Schönheit der Form, zu der eigentlichen
klassischen Darstellung. Die Werke des alten Hellas in den bildenden Künsten,
namentlich der Plastik, stehen noch unübertroffen vor der Nachwelt und werden
derselben 'immerdar als eine glänzende Leuchte, als Schule dienen. Die kunst-
reichen Tempel, die zahllosen Statuen der olympischen Götter, die vollendete
Ornamentik bedecken den klassischen Boden und die Ueberreste derselben, sowie
die Gegenstände aus dem Kunsthandwerke beleben die europäischen Museen. Die
römischen Tempelbauten übertreffen an Größe, weit bedeutenderer, konstruktiver
Entwicklung, in reichster Fracht und üeppigkeit, gestützt auf etruskische Vorgänge
im G^wölbebau, die griechischen Werke. Und vou da aus entstehen die kolossalen
Paläste und Privatbauten, die herrlichen Gebilde des pompejanischen Hauses, das
aus dem Schutte der verschütteten Städte herausgezogen, die geschmückte Wohnung
des römischen Bürgers zeigt, die unsere neuesten Kunstschulen so gerne zur
Nachahmung empfehlen.
Was im grauen Alterthum die erste Veranlassung zur Herstellung der reichsten
Kunstindustrie geboten hat, von der unsere Zeit immer noch so viel lernen muß,
das ist immerhin seit der christlichen Zeitrechnung noch in weit höherem Maße
eingetroffen. Die ornamentale Ausstattung bezog sich beim alten Tempel der
klassischen Zeit nur auf seine Außenseite, das Innere enthält diesen Schmuck nicht.
Gtinz anders ist dies beim christlichen Kirchenbau, in dessen Räumen sich
das Volk versammelt. Mit der Erstarkung des Christenthums trat die Kirche
mit fürstlichem Glänze auf. Das ganze Volk legte hier seine Geschenke nieder
and freute sich an der Pracht der kostbarsten Ausbtattung. Wir sehen die schönen
Altäre, Bilder, Figuren und Gemälde, von den ersten Künstlern hergestellt, Chor-
stühle mit Schnitz werk, Orgeln, Leuchter, Monstranzen, Fahnen, Tauftische, Kanzeln,
Sarkophage, — und dieses Alles umgeben und überbaut mit der reichsten
Architektur vou Säulen und netzartigen, steinernen Gewölben, oder Balkendecken.
GdM, Silber, alle Metalle, Brillanten etc. gelangen zur Anwendung, wo die Form
and der Gegenstand es verlangen. — Dieses Bild zieht durch die Kirchen des
Orientes, durch die Dome Italiens, durch die Münster und Kathedralen von
Deutschland, Frankreich, Spanien, England etc. Welch ein enormer Unterschied
m dieser Beziehung gegen das klassische Alterthum! Was Wunders, wenn bei
diesem unberechenbaren Aufwände der Verherrlichung des monumentalen Bauwerkes,
der Kirche, wie er über ein Jahrtausend schon stattfindet, das künstlerische Ringen
und Schaffen zur höchsten Blüthe gebracht, die Werkstatten des Künstlers und
des Handwerkers in die segensreichste Thätigkeit, das Bürgerthum des Mittelalters
in Wohlstand versetzt wird.
Mit der Anführung dieser großen geschichtlichen Thatsache wollen wir
durchaus nicht vergessen, wie viele Faktoren auf dem weltlichen Gebiete, in der
HO umfangreichen Werkthätigkeit der Menschen sich ergeben, die der Kunst und
dem Kunsthandwerke immer neue Aufgaben zuführen.
Mit dieser Darstellung versuchen wir auch die Frage zu beantworten, in
welchem Verhältnisse die ArchUtkiur zu den Künsten, insbesondere zu der Kunst-
industrie steht, oder stehen soll.
Wir haben gesehen, daß sie nirgends bedeutungsvoller, erhabener in die
Erscheinung tritt, als im Dienste der Religion, mag dieselbe noch auf einer so
dürftigen Anschauung beruhen, oder von dem geläuterten und höch^t^xv Q^^^'dL\^^\i
Fnrr«r, Volktwirtbtchafts-Lexikon der Schweiz, \l^
Kunstgewerbe — l>lf> — Kunstgewerbe
getragen werden. Ihren Triumph feiert sie zar Stunde an der Vollendung des
Kölner Domes. Ihr unsterbliches Verdienst hat sie bereits gefeiert auf der Akropolis
zu Athen , an den Kuppelbauten zu Bom und Florenz , und an Monumenten
in andern Staaten. Kein Kunstwerk anderer Art, weder des Bildhauers, noch
des Malers, und auch kein Tonstück überragt diese Denkmäler an Größe und
Schönheit der Arbeit, an geistigem und künstlerischem Werthe und idealer Weihe.
Wie sollte es auch anders sein ? Dem einzelnen, gottbegabten Denker und Künstler
kann es doch nicht gegeben sein, zu leisten, was ein ganzes Volk, was viele
Generationen zu erstellen vermögen, in der Aufbietung ihres besten Wissens, ihrer
Mittel und Kräfte, in der Begeisterung, der Nachwelt das Erhabenste, noch nie
Erreichte zu überliefern.
Die Architektur tritt hier nicht allein auf, sie verbindet sich mit ihren
Schwesterkünsten und der Kleinkunst. Sie weist denselben den Platz in den
monumentalen Bäumen an, weil die Künste nirgends wie hier zur höchsten Geltung
zu gelangen vermögen. In diesen Bäumen gelangen auch das Wort und die Musik
zur bedeutendsten Entfaltung. Die Architektur stellt sich somit an die Spitze
der bildenden Künste.
In dieser Beherrschung des Baumes und der Erfindung der Gestalten und
Formen wird die Architektur ihrer Aufgabe und ihrem eigensten Wesen gemäß
die Gesetze des Styles aufistellen, die allem künstlerischen Schaffen zur Bichtschnur
dienen müssen. Diese Gesetze des Styles entstehen nicht der bloßen Phantasie und
Willkür wegen, sondern sie bilden das Ergebniß von zwingenden Gründen. Bevor die
Architektur in ihren Arbeiten dem formalen Theile, der Aesthetik gerecht zn
werden sucht, bestimmt sie die genaue Eintheilung des Baumes und die Art der
Konstruktion, welche dem Zwecke entsprechen, eine glückliche Lösung des ge-
stellten Programmes enthalten sollen. Erst dann wählt sie diejenige Form für
das Aeußere, wie für das Innere ihres Werkes, die dem Auge einen wohlthuenden,
beftnedigenden Eindruck verleiht. Diese Behandlung der Eintheilung, der Kon-
struktion, der Formenbildung ist abhängig von der Wahl des Materials, dem
klimatischen Verhältnisse eines Landes, dem Stand der technischen Wissenschaften,
dem Kulturzustande des Volkes, den finanziellen Mitteln etc. Es gibt nicht bloß
einen Styl und eine Form, die aus diesem geregelten Schaffbn hervorgehen. Die
G-eschichte zeigt uns verschiedene Hauptstyle und eine Menge von Variationen
in denselben.
Wo die Baukunst frei sich bewegen kann, ringt sie darnach, das Gleich-
gewicht in den Maßen und den gegenseitigen Proportionen aufzustellen und Alles
auszustoßen, was dieser Harmonie zuwiderläuft; sie wird dies um so mehr thun,
je reiner, geläuterter, je edler und schöner sie selbst erscheint. Die Skulptur,
die Malerei, das Genre, die Kleinkunst, die Dessins und Ornamente etc. mtissen
in der richtigen Komposition, der korrekten sichern Zeichnung, im günstigen
Kolorit etc. sich bewegen. Jede Manierirtheit, Extravaganz, Un Vollkommenheit,
nicht geistig belebte Darstellung entfernt einen Anschluß an die gelungene
Bauforra.
Es hat sich denn auch in allen bedeutenden Perioden der Kunstgeschichte
gezeigt, daß da wo der Styl in dieser durchschlagenden Weise auftritt, allen andern
Künsten der gleiche Charakter zu Theil wurde, sowie umgekehrt : wo die Architektur
in Verfall gerieth, eine vollständige Zerfahrenheit in allen Zweigen künstlerischen
Strebe ns sich einstellte, oder dasselbe, theil weise wenigstens, aufhörte.
Als die Nacht barbaiischer Zeiten der Völkerwanderung über den Westen
hereinbrach, auf viele Jahrhunderte hinaus jede Kultur vernichtete, von den
Kunstgewerbe — 211 — Kunstgewerbe
erhabenen Bauwerken Roms kaum ein Stein auf dem andern blieb, da erstanden
die altcbristlichen und die romanisoben Entwicklungsperioden. Es war ein frisober,
kräftiger Geist, der, unter vielen Reminiszenzen aus früheren Zeiten, eine neue,
selbstständige Stellung zu erreichen suchte. Aus den Kämpfen mit der kindlich
naiven, oft rohen und barbarischen Form, in der sich folgerichtig auch die
Kunstindustrie bewegte, erhob sich der gothische Styl des zwölften, dreizehnten
und vierzehnten Jahrhunderts, der in den aufblühenden Städten des Kontinentes
das Handwerk und mit demselben ein reiches kunstindustrielles Leben gründete.
^0 armselig früher das bürgerliche Haus war, das kaum eine menschenwürdige
Wohnung enthielt, so sehr war man nun darauf bedacht, dem Inneren desselben
eine freondliche, solide, formenreiche Gestalt zu geben, der Familie ein Heim
damit zu bieten. Die Holzschnitzerei, die Ausarbeitung des Steines, des Thones,
der Metalle erreichten einen hohen Grad von Schönheit und kaum zu über-
treffender Geschicklichkeit.
£^ liegt im Wesen der gothischen Architektur und der daraus in einer so
scharfen Weise hervorgegangenen Kleinkunst, wie dies in keinem geschichtlichen
Style der Fall war, daß sie bei der exzentrischen Behandlung des Stoffes keine
lange Zeitdauer aufzuweisen hat. Für das bürgerliche Leben ist sie damit auch
zu kostspielig, für die großen Bauwerke zu einseitig, weil zu wenig plastisch,
geworden. Lnmerhin bleibt sie, in maßvoller Anwendung, in der modernen Zeit
für Kirchenbauten, ganz besonders vom rein architektonischen Charakter aus
betrachtet, die wichtigste, die erhebendste Form. Unter den berühmtesten Künstlern,
wie Dürer, Holbein, Fischer, Kraft etc., entwickelte sich denn auch bald die
deutsche Renaissance, die nun selbst in der neuesten Zeit mit pedantischer
Aengst lichkeit wieder aufgegriffen wird. Der Hauptanstoß für die Renaissance,
wie sie mehr und mehr alle Länder durchzog, ging von Italien aus. Da hier
sich niemals der Sinn für die romanische und germanische Bauart vorfand, die
Erinnerung des kunstbegabten italienischen Volkes zu lebhaft an den glorreichen
Werken von Rom und Griechenland hing, so wendeten die bedeutendsten Künstler
sich wieder diesen Vorbildern, als ihrer besten Grundlage, zu, auf der sie, den
Bedürfnissen ihrer Zeit entsprechend, ihren neuen Aufbau zu errichten suchten.
Die Auffassung der Antike war einfach und groß in der Darstellung, rein
und harmonisch; die spätere Zeit wurde in der Tradition der Antike über-
schwänglich, zu dekorativ, die Verdrehung der Figur wurde zum Muster. Die
Architektur der Fagaden erhielt eine Scheiuarchitektur von zwecklosen Säuleu,
PiLastem, Pfeilern etc. Dieser geschichtliche Verlauf spiegelt sich ab in der
Juwelierkunst, in Niello- und Filigranarbeiten, Ciselirkunst, Gravirkunst etc., in
der Pergamentmalerei, in den zahllosen Beispielen der Miniatur- und Manuskript-
malerei etc.
Weniger als die Gothik eignet sich die Renaissance zur Ausmeubliruug der
Kirche, besonders aber nicht zum Fa^aden- und Thurmbau, da ja die antike
Form für den niederen Tempelbau, für die Gottheit auf dieser Erde, von Anfang
an bestimmt war. Der niederstrebende Horizontalismus darf mit dem aufstrebenden
Gewölbebau nicht zusammengestellt werden, wie dies bereits im Dualismus der
römischen Architektur ausgesprochen ist, die in ihrer Prunksucht auf diesen
Fehler verfiel. Dagegen ist die Renaissance in wohl angewendeter Form, in ihrer
Schönheit, Anmuth, Heiterkeit und leichten Behandlung für unsere modernen
bürgerlichen Verhältnisse wohl der entsprechende Styl und hauptsächlich für die
dekorative ELleinkunst in den Gewerben das Passendste, so wie sie in Italien
zur Anwendung gelangte.
KdOslfgeweThe — -Ji'J — Kunstgewerbe
Den Löwenantheil an der Kunstindustrie errangen vor allen anderen Nationen
die FranzoHtPi. Während mehreren Jahrhunderten behaupteten bie die Oberherrschaft.
Die bedentendtften italienischen Bankünütler, Maler, Decoratdnr)>, Graveurs, Klein -
bildbauer, Dessinateurs etc. berief man an die franzötdschen Höfe, von Franz I.
an bU zu Ludwig XVI. Unter Ludwig XIV. namentlich zeigte sich die lieber-
legenheit Frankreichs.
Die großen einheimischen Künstler wußten nicht bloß da» Fremde zu
benutzen, sie traten in selbststftndiger, kühner, schöpferischer Weii«e hervor. Die
Wahrheit dieses Satzes zeigt sich an einem unvergleichlichen Beispiele. Die
Kunstindustrie in der Seide ist uralt. Die Kreuzfahrer brachten sie nach West-
europa. In Lyon nahm sie ihren Anfang um das Jahr 1450. Zwei Jahre später
zählte die Stadt gegen 12,000 Seiden Webstühle. Das Edikt von Nantes brachte
dieselben, wegen der eingetretenen Massenanswanderung, auf die Hälfte herab.
Die feineren Seidenartikel werden in Lyon erzeugt; es sind die mit Gold und
Silber durch wirkteu, für Kirchenzwecke bestimmten Brokate. An Stelle der aus
Asien eingeführten Stühle und Modelle trat der von Jacquard, einem Lyoner,
erfundene neue Webstuhl. Im Jahre 1789 zählte man 18,000 Stühle, jetzt
über 70,000, die 150,000 Weber beschäftigen. In diesem Jahrhundert hat Lyon
in der Farbenstickerei allen anderen Städten den Vorrang abgelaufen; sie beruht
meistens auf Handstickerei, obwohl auch mit der Maschine, dem sog. Tambour,
gestickt wird, der aus China stammt. (Aus einer Korrespondenz von Lyon.)
Ganz besonders raffte sich England nach seiner internationalen Ausstellung
im Jahre 1851 auf durch die Gründung von Gewerbe-, Industrie- und Kunst-
schulen in vielen Theilen des Königreiches. Mit seinen unerschöpflichen Mitteln
gelang es demselben, auf verschiedenen Gebieten Frankreich in der kürzesten
Zeit eine ebenbürtige Konkurrenz zu machen. Die künstlerische und kunstindustrielle
Sammlung von Prachtgefäßen in Gold, Silber und allen Metallen und anderen
Gegenständen, die der Patriotismus aus den reichsten englischen Häusern im
Kensington -Museum aufgestellt hat, ist wohl das Glänzendste und Seltenste, was
in dieser Art je bei einander war.
Benischland und Oesierreich die auch einen so bedeutenden Aufschwung in
der Kunstindustrie genommen haben, besitzen in den neu angelegten kunstgewerb-
lichen Museen von Berlin, München, Wien unschätzbare 2Sentralpunkte. Eine
Menge der besten Schulen für das Kunsthandwerk sind erstanden : ebenso in fast
allen kontinentalen und den bekannten überseeischen Ländern.
Schon längst ist auch an die Schweiz die dringende Mahnung ergangen,
in diesen großen Wettkampf der Neuzeit mit einzutreten.
Diese Mahnung hat bereits manche schöne, neue Blüthe getrieben. Aber
verhältnißmäßig stehen wir doch zu weit vor andern Ländern zurück, haben
nicht geleistet was wir konnten, und nicht benutzt, was uns für die Pflege der
Groß- und Kleinkünste geboten wurde.
Zur Erklärung unserer Situation, so wie sie aus der Vergangenheit her-
vorgehen mußte, und welcher weiteren Entwickelung sie fähig sein möchte,
gestatten wir uns, einige kritisch-geschichtliche Andeutungen zu geben.
In Folge unserer nationalen Zerfahrenheit kannte die Schweiz seit der
helvetischen Zeit auf keinem Gebiete ihrer Arbeit ein geschlossenes, einheitliches
Handeln. Den fremden Einfluß brachten den Ureinwohnern, den Pfahlbauern,
bereits schon die dürftigen Verbindungen mit den südlichen und nördlichen
Völkern, sowie auch die Einwanderungen, die in vorchristlicher Zeit statt hatten.
Kunstgewerbe — 213 — Kunstgewerbe
Bemerkbar sind aus dieser Zeit die Anfänge des künstlerischen Bedürfnisses, das
sieb am Tbon, an Holz, Metallen etc. fUr die Bearbeitung der gebräuchlichen
Gefäße, Geschirre, fUr Gedenkzeichen etc. in bildlichen Darstellungen, in geringer
Zeichnung, zu erkennen gab.
Die römische Herrschaft erbaute in den ersten Jahrhunderten blühende,
große Städte, Tempel, Villen, Thermen, emchtete für ihre militärischen Zwecke,
für die Begründung ihrer Herrschaft, die Sicherung ihrer Eroberungen, ein
ausgedehntes Straßennetz über das ganze Land, dämmte Flüsse und See'n ein,
legte die Wasserspiegel tiefer, entsumpfte den Boden und bebaute denselben;
sie machte den Anfang dessen, was wir im zweitausendsten Jahrhundert zu voll-
enden trachten.
Daß das leibeigene Volk bei der Einreihung seiner Jugend in die römischen
Legionen von dieser hohen Kultur wenig Nutzen zog, mag in dieser Abhängigkeit
und in der kurzen Dauer der fremden Herrschaft seinen Grund gefunden haben.
Die spätem Einwanderungen nördlicher und asiatischer Horden haben im Be-
wußtsein ihrer eigenen Unfähigkeit, in ihrem glühenden Hasse gegen jedes zivilisa-
torische Streben, diese herrlichen Städte und Ländereien der Verwilderung, der
gründlichsten Versumpfung wieder übergeben. Unter den barbarischen Eindring-
lingen machten die Burgundionen eine Ausnahme. Sowie im östlichen und nörd-
lichen Helvetien die Allemannen die Vernichtung betrieben, entstanden unter den
Burgundern im westlichen Theile bereits im sechsten und siebenten Jahrhundert
unter altchristlichem Einflüsse kirchliche Bauten. Die Kleinkunst bei den Bur-
gundern machte sich besonders im Schmucke der Waffen geltend. Mit der voll-
ständigen Verbreitung des Christen thums, namentlich unter der mächtigen, orga-
nisatorischen Regierung Karls des Großen, entwickelte sich der romanische Baustyl
auch in der Schweiz, und bei geordneten Zuständen vermochte das künstlerische
Schaffen in Gewerbe und Handwerk mehr und mehr einen festen Boden zu fassen.
Wir fügen hier die Bemerkung ein, daß, abgesehen von den jahrhunderte-
langen Unterbrechungen, welche die altchristliche Baukunst erfuhr, die nur all-
mälig aus dem System des Basilikenbaues zur Selbstständigkeit erwuchs, es zwar
mit der Anbringung der Malerei und Skulptur zum Kirchenschmucke unendlich
mühsam und schwierig zugegangen sein mag, denn die ersten Jahrhunderte des
Cliristenthnms durften in der Bekämpfung des heidnischen Götzendienstes keine
eigenen Bilder erstellen. Das Andenken an Christus konnte höchstens in der
symbolischen Darstellung sein Genüge suchen. Aber später, als die Klöster unter
mächtigen Ftlrsten anfingen, die Ausstattung der Kirchen konsequent durchzu-
fHhren, trat das allgemeine Bedürfniß dafür auf.
Die berühmten Klöster von St. Gallen, der Reichenau, von Einsiedeln, Bero-
münster, Basel und der Westschweiz etc. lieferten die Künstler, die denn auch
dem Kunsthandwerk eine Grundlage bereiteten. Der fortwährende Anschluß an
die Bestrebungen Deutschlands und Frankreichs führte zu der Städtegründung,
zur Erbauung der großen Münsterkirchen in Basel, Bern, Freiburg, Lausanne,
Zürich, Genf etc., zum Baue der Rathhäuser, der Zunftgebäude, zur Bildung der
Zünfte, des kunstreichen Handwerks, einer festen bürgerlichen Gesellschaft, zum
blühenden Gemeinwesen des Mittelalters. Wie die deutschen und französischen
Kirchen und öffentlichen Bauten, so können auch diejenigen in der Schweiz
einen reichen Schatz von Steinmetzarbeiten, Bildhauereien, der Schnitzerei, der
Schreinerei aufweisen, dann besonders in der Glasmalerei, den Metallgeräthen,
wie silberne Kronleuchter, Reliquienkästchen, Gefäße, Monstranzen, Seiden-
stickereien etc.
Kunstgewerbe — 214 — Kunstgewerbe
Wir erwähnen der Kirchenstühle im St. Peter in Zürich, in St. Wolfgaiig-
bei Cham, Kanton Zug, in Stäffis, Hauterive, Kanton Freibnrg, etc. ; des Schnitz-
werkes im Saale des alten Kathhauses zu Zug etc.
Wie in den Monumentalbauten, so hat das Kunsthandwerk auch in Privat-
bauten in der Blüthezeit der Gothik, besonders in der Vertäfelung der Wohn-
räume, außerordentlich viel gethau, wie dies indessen mehr durch Aufzeichnungen
ersichtlich wird, als durch noch bestehende Bauten.
Es ist sicher, daß mit dem Alter weitaus der größte Theil derselben ver-
schwand und nicht wieder erneuert wurde. An deren Stelle traten die Formen
der Früh-Renaissance aus Italien, vom XIV. und XV. Jahrhundert, so daß eben
auch in den bedeutendsten Kirchen die Chorstühle z. B. diesen Wandel erlitten.
Im Renaissancestyl besitzen wir die beliebtesten Ueberlieferungen in den
Chorstühlen zu Wettingen, Kanton Aargau, zu Beromünster, Kanton Luzern, den
Häupterstühlen der Martinskirche in Basel, den Chorstühlen und der Kanzel in
der Barfüßer kirche zu Luzern, in den Chorstühlen des Münsters zu Bern etc.
Ein reiches Täfelwerk besitzt das alte Rathhaus zu Luzern. In vielen Pnvat-
häusern treffen wir auf schönes Täfelwerk aus der reinern Periode der Renaissance.
So z. B. in Näfels, Bilten, Stans, Basel etc. Im Museum zu Zünch wird das
berühmte G-etäfer des sogenannten Seidenhofes, verschiedene bedeutende Stücke in
den Gewerbemuseen in Winterthur, Basel, St. Gallen, Zürich etc.^) gezeigt.
Die Aufbewahrung der Mobilien aus der gothischen Zeit und der Früh-
renaissance ist eine noch weit seltenere, als die der festen Gegenstände in den
Bauten, da die erstem weit eher dem Abgange, den neuen Richtungen, sowie
dem Zahne der Zeit auheim fielen, als die letztern. Die Schränke, Truhen, Schreine,
die Schmuckkästchen, die Bettstatten mit Himmel, reich verzierte Stühle und
Tische sind kaum mehr vorhanden.
Neben der so gelungenen künstlerischen Behandlung des Täfers und des
Möbels, die eine so bedeutende Verbreitung erhielten, wurde fast jede Wohnung
mit Glasmalereien, mit Wappenschildern, mit metallenen Geschirren, Thongefäßen,
Büchereinbänden in Leder und feinem Beschläge, mit Malereien, Familienbildern,
Vergoldungen, Stickereien, Tapeten etc. geschmückt; die schönen Kachelöfen mit
ihren Bildern, die Kamine, das formenreiohe Beschläge der Thüren und Fenster
und der Möbel durch den Schlosser wurden immer reicher ausgebildet.
Die Spätrenaissance hat alle diese Gegenstände beibehalten, aber mit weniger
guten Zeichnungen versehen und dieselben im XVI. und XVII. Jahrhundert bis
zur Entartung geführt. In der Juwelier-, Gold- und Silberschmiedekunst wurde
vieles Gute geleistet, tüchtige Künstler thaten sich darin hervor. Mit dem Nieder-
gange des bessern Styles gingen viele Arten der Arbeit zu Grunde ; das Ausland
mußte t1lr den Bedarf von Schmucksachen in Anspruch genommen werden. Die
italienischen Emigranten brachten die Seidenindustrie nach der Schweiz, obwohl
eine besondere kunstindustrielle Höhe dabei kaum erreicht wurde. Im Jahre 1770
kam die Weißstickerei auf Gazes, Mousselines etc. auf und gelangte zu großer
Bedeutung. Seit Jahrhunderten waren es auch die verschiedenen Costumes der
Bevölkerungen aller Kantone, welche dem kunstindustriellen Gewerbe fortwähi'end
Arbeiten zuführten. In den Städten begegnen wir einem bedeutenden Kleiderluxus
in reichen Stotfen und Schmuckgegenständen. Dieser Luxus wurde hauptsächlich
durch den Fremdendienst befördert. Schon seit den Burgunderkiiegen fiel der
M Nach den Mittheüungen von Herrn Müller. Kunstzeichner in Bern, der durch
seine gelreuen Aufnahmen und Zeichnungen nach der Natur <o vieles Schöne an"s
Tagetslicht gebracht hat.
Kunstgewerbe — 215 — Kunstgewerbe
Grebrauch der Seide und des Sammts in die Mode. Die HeiTeu tragen Batist-
Hemden mit Chabüts, seidene gestickte Westen, seidene Beinkleider und Strümpfe,
reiche Röcke mit vergoldeten Knöpfen, zierliche Schuhe, mit kostspieligen Schnallen
und Grarnituren besetzt. Feine Hüte und Handschuhe entsprachen dem Uebrigen.
Kleine uud große Dosen aus Schildpatt etc., mit Perlmutter-, Bernstein-, Gold- und
Silbereinlagen, mit Elfenbein und Brillanten geschmückt; schwere goldene Ketten
an goldenen Uhren mit Wappen und Siegeln beschwerten die Taschen; prächtige
hohe Stöcke aus Meerrohr oder feinen Hölzern, mit zierlichen Köpfen und Griffen,
durften in der Hand nicht fehlen. Eine tadellose Frisur oder Perrücke bedeckte
das geschminkte Haupt. Weit eleganter noch erschienen die Frauen mit ihren
langen Schleppen, Schnabelschuhen, Federnhüten, geklöppelten Spitzen, den mehr-
fach geschlungenen Ketten und Geflechten, Diamantringen, Brochen, Halsbändern.
Die seidenen Roben waren mit großen Blumendessins durchwirkt. Sammtene und
seidene Mäntel und dann später namentlich indische Shawls wurden sehr häufig
getragen. Im Patriziat und dem reichern Bürgerstande herrschte, mit einigem
vorgeschriebenen Unterschiede, diese prächtige Mode, bis durch gesetzliche Ver-
ordnungen etwelche Einschränkung eintrat. Die Schweiz partizipirte in ihren
Lieferungen zu derselben, besonders in Seidenstoffen, in nicht geringem Maße.
Man kann auch bei den größern Antiquaren, die jeden übrig gebliebenen Rest
aus der Vergangenheit zusammenlesen, sich überzeugen, daß die Handwerker sehr
produktiv in unserm Lande waren und vortheilhaft mit dem Auslande konknrrirten.
Das war der Styl des Rococco, der solche Blütheu trieb. Man kann ihm, trotz
der großen Verirrung in erkünstelten Formen, eine außerordentliche Geschmeidig-
keit und bestechliche Schönheit nicht absprechen. Gegen das Ende des vergangenen
Jahrhunderts trat dann unter Ludwig dem XVI. in Frankreich eine ziemliche
Vereinfachung auf allen Gebieten der Kunstindustrie ein, ebenso in der Schweiz.
Aber der ganzen Richtung der Renaissance, wie sie in den letzten zwei Jahr-
hunderten mit ihren immer steigenden Nuancen die Welt durchzog, wurde mit
der großen französischen Revolution ein jähes Ende bereitet. Es trat damit das
entgegengesetzte Extrem ein, eine Epoche der Ernüchterung, die Alles unbarm-
herzig vom Schauplatze wegfegte, was an das Königthum, an die höchsten Stände,
an die luxuriöse äußere Erscheinung derselben, was selbst an bessere frühere
Zeiten der Kunststyle erinnern konnte. Es ist eine fast unglaubliche Thatsache,
daß, trotz dem tiefgehendsten Hasse der höhern Stände gegen die in Frankreich
eingetretenen Neuerungen im politischen und gesellschaftlichen Leben, der Ver-
gangenheit mit ihrem Guten in Kunst und Kunstgewerbe ohne Ausnahme der
Rücken gekehrt wurde. Der raffinirte Luxus in den Kleidern und im Schmuck
verschwanden. Die herrlichen intensiven Farben, die unendlich vielgestaltigen
Formen machten der ausgesprochenen Mißfarbe und dem trockensten Einerlei,
die Kurve der steifen, geraden Linie Platz. Die alten schönen Möbel wanderten
auf den Estrich oder zum Trödler, und neue, geradlinige Stücke kamen in die
Wohnräume.
Gold, Silber und edle Metalle wurden eingeschmolzen, das porzellanene
Service, die schönen Krüge und Vasen, die Zierrahmen, die 8])iegel, die beliebten
Familienbilder gefielen nicht mehr. Ueber schönes Getäfer und Parquetplafonds
aus feinem Holz wurde der Gips gezogen ; die kunstreichen Beschläge des Schlossers
fielen weg; das Neue suchte man überall zu verdecken etc. Schon seit vielen
Jahrzehnden ist in den reichsten Häusern geradezu selten von der reichen ver-
gangenen Zeit Einiges aufzufinden. Sie wurde als die „altvaterische'' bezeichnet,
von der Niemand mehr etwas Avissen wollte. Diese plötzliche, durchschlagende
Kunstgewerbe — 216 — Kunstgewerbe
Wendung im Grescbmacke batte man nicbt allein den Sansculottes sa verdanken,
ein tiefer gebender Ginind gab dazu Veranlassung.
Das versobwenderiscbe, scb wulstige Zeitalter des Rococco war unmöglich
mebr baltbar; es stand auf tbönernen Füßen, weil ibm der Ernst des Lebens,
die reine Form und der Eontakt mit den bildenden Künsten, die eben selbst auch
im Niedergange sieb befanden, fehlte.
Im vorigen Jahrhundert hat die Architektur uns wenig Gutes mehr aufisu-
weisen, ebenso wenig die Malerei und die Skulptur. Im Eirohenbau nameutlich
machen sieh nicbt bloß an Neubauten, sondern an den alten herrlichen Denk-
mälern des romanischen und gothischen Styles, bei umfassenden Reparaturen oder
Umbauten die enormsten Verunstaltungen bemerkbar, die nimmermehr einen
gesunden Zustand des Eunstbandwerks herbeizuführen im Stande waren.
Bei der Anführung dieser historischen Thatsacbe wollen wir nicht unter-
lassen, auf eine frühere Epoche hinzuweisen, die in erschütternder Weise in
das Denken und Fühlen der Menschen, in ihre Thätigkeit auf allen Gebieten,
somit auch auf dem der Eunst und des Handwerks, eingegriffen hat. Wir meinen
die Einführung der Reformation. Der dreißigjährige Erieg, der daraus entstanden,
hat die Schweiz direkt nicht erheblich berührt, aber die Verwüstung, die er
über Deutschland gebracht hat, schädigte auf lange Zeit hinaus jegliches künst-
lerische Streben in der Schweiz. Daß mit der Reformation die reformirte Eirche
jedes innern Schmuckes entledigt, die Bilder gewaltsam gestürmt wurden, das
war eine Folge des furchtbaren Kampfes, der für die Befreiung des menschlichen
Geistes von der Knechtschaft einer das Volk irreleitenden, religiösen Unduldsamkeit
geführt wurde. Daß in diesem Vernichtungskriege auch viel Schönes und Hohes
auf Jahrhunderte hinaus zu Grunde ging, wer möchte es in Abrede stellen? Bis
in die neuere Zeit wurde der Kirchenbau einer Vernachlässigung Preis gegeben,
die jedes ernstere Gefühl für schöne Formen in unserm Volke untergnib. Die
Glasmalerei ging unter; kein Spruch, kein Bild belebte das Innere. Vielerorts
fehlte die Orgel, eine passende Empore, die Stühle waren roh gezimmert, selten
wurde etwas ausgebessert etc. Hielten auch die Elatholiken an den alten Bildern
fest, so trat nicht minder eine Verwahrlosung bei denselben in dem Sinne ein,
als eine geschmacklose Ueberladung, eine völlige Verzerrung im Schmucke der
Kirche eintrat.
Da war es allseitig gegeben, daß die Kunst im bürgerlichen Leben, die
reine Form aus der Werkstatt verschwand, kein eigenes, selbstständiges Schaffen
mehr stattfand, dem eigenen und fremden schwülstigen Luxus Thür und Thor
geöffnet wurde.
Eine dritte geschichtliche Ursache diente dem Untergange unseres Fleißes,
wie er im frühem Mittelalter in den kräftig aufstrebenden bürgerlichen Städten
in der Arbeit blühte : das war das Reislaufen und die Kriege auf fremdem Boden,
die unser Land entvölkerten, ein fremdes, arbeitsscheues Leben entwickelten, jede
Volksbildung vernichteten, die reiche Jugend an die Höfe brachten, von wo aus
das genußjüüchtige, frivole Treiben in unsere Thäler seinen Einzug hielt und
blühende Industrien aus Mangel an leitenden Händen verdarben. Andererseits sei
auch nicht in Abrede gestellt, daß mit dem Fremdendienst auch vieles Nützliche
und Schöne dem Lande zugebracht wurde, namentlich für die Industrien.
In den ersten Jahrzehnden des 19. Jahrhunderts litt ganz Europa unter der
Napoleon'schen Herrschaft, die auch wenig geeignet war, der Kunst zu dienen.
Das bat sie aber gethan, daß sie den letzten Rest von Zopf und Perrttcke in
ihren großen Kriegen vertilgte und, wenn auch nicht in aufrichtiger Weise, die
Kunstgewerbe — 217 — Kunstgewerbe
GrundBätze der Menschenrechte und der Freiheit den Völkern brachte, wie sie
im Jahre 1789 der Welt proklamirt wurden. Die eisernen Würfel haben diese
Freiheit gebracht, oder den Grand dafür allerwärts nnanslöschlich gelegt. Das
Leben der Ennst und der Gewerbe kann unter einem geknechteten Volke nicht
gedeihen. Ohne die Freiheit des Bürgers im Hellenenthum wSren seine Kunstwerke
nicht erstanden, eben so wenig in £om und den italienischen Republiken.
Das Aufwachen der Schweiz zur bürgerlichen Freiheit führte zu der Er-
richtung von Volksschulen und hohem Lehranstalten. Aus ihnen wird neben der
wissenschaftlichen Pflege auch nach und nach der Geist erblühen, der zu der
Nothwendigkeit künstlerischen Schaffens leiten muß. Wenn der Weg dahin so
außerordentlich schwierig sich zeigte, so war dies hauptsächlich unserm zer-
splitterten Staatswesen zu verdanken. Dieser Satz bedarf kaum eines Beweises;
er liegt zunächst darin, daß, seit die Bundesregierung thätig ist, eine viel
wirksamere Hülfe zu erwarten ist, und in den letzten Jahren namentlich eine
solche mehr und mehr schon zum Durchbruche gelangt ist und hoffentlich immer
bedeutender werden wird. Im Fernem kann man es bei den andern Staaten
sehen, wie viel rascher unter zentra listischer Leitung große Werke und Reformen
zu erreichen sin(L
In den letzten Jahrhunderten waren es überall die regierenden reichen
Geschlechter, welche im Falle waren, das Kunstgewerbliche zu unterstützen, das
Volk selbst ist diesem in Erkenntniß und Theilnahme ferne gestanden. Da hat ch
denn eine lange 2jeit gebraucht, bis es aus eigener Kraft, seitdem es die Zügel
der Regierung selbst Übernommen hat, zu dieser Elinsicht zu gelangen vermochte.
Im Allgemeinen ist in der Schweiz von jeher der Wandertrieb ein mächtiger
gewesen. Handel und Verkehr ziehen unsere Jugend mehr an, als Gewerbe,
Handwerk, Kunst und Wissenschaft. Es gibt ja bald keinen bekannten Flecken
Erde mehr, wo nicht geschäftetreibende Schweizer sich niedergelassen haben.
Das bildet denn gewiß auch einen von den vielen Faktoren, welcher lähmend
auf das Kunstgewerbe wirken mußt«.
Man darf im Weitern auch nicht vergessen, daß wir in der Schweiz keinen
Hof besitzen, kein Patriziat mehr, keinen Adel, keine hohe Geistlichkeit, keine
reichen politischen Würdenträger, sondern ein kleines Regierungswesen, zu wenig
Reichthümer, nicht die hohe Finanz, zu wenig Museen, ungenügende, vereinzelte,
für Kunst und Handwerk errichtete Schulen; ein verkümmertes, einseitiges Be-
stehen von Kunstvereinen und Künstlergesellschaften.
Wer sollte es nun glauben, daß trotz diesen Umständen ein künstlerisches
Schaffen und Walten in der Schweiz niemals ganz erloschen ist? Bei dem Fleiße,
der Regsamkeit, dem Sinne für den soliden Erwerb, der richtigen Benutzung
unserer Verhältnisse und der geographischen Lage, dem unvertilgbaren Drange
nach Freiheit und unbeengter Arbeit, hat das mit diesen Eigenschaften betraute
Schweizervolk einen Mittelstand geschaffen, der an Wohlhabenheit, Tüchtigkeit
und zähem, wenn auch sehr langsamem Fortschreiten, nach Maßgabe seines Um-
fange» nnd seiner Mittel, vielleicht jedes Land des Kontinentes übertrifft. Da
konnte nicht aller Sinn für da« Schöne verschwinden.
Da ist zunächst eine große Anzahl von monumentalen Bauten, die die
Schweiz aufzuweisen hat. Professor Rahn gibt z. B. die Zahl der alten Kirchen
in Graubünden allein auf siebzig an. Wer sieht im Fernem nicht mit Vergnügen
imsere ländlichen Gebäude, die alten „berühmten Schweizerhäuser" an, deren
Anmuth im Volksstyle von keinem Lande je übertn>tfen wurde. Es werden
4eßhalb auch nirgends so schöne Dörfer wie in der Schweiz angetroffen. Dsä
Kunstgewerbe — 218 — Kunstgewerbe
sogenannte Schweizerhaus besitzt ein künstlerisches, malerisches Gepräge in der
Wahl des Materials, der architektonischen Schnitzereien aus dem ganzen Holze,
der Kleinmalerei, der Konstruktion etc. Das Schweizerhaus hat zur Entstehung
der weltbekannten Holzsculptur des Berner Oberlandes geführt.
Punkto Kunsthandwerk erwähnen wir die Balkongeländer, Fortale, Chor«
abschlilsse in Schmiedeisen aus Zunft- und Privathäusern in Zürich und Basel,
aus dem Kloster zu Wettingen, die reichen Fenstervorsätze an alten Patrizier-
häusern in Freiburg, Neuenburg, Grenf, Lausaune etc.
Die Zinngießerei hinterließ uns schöne Modelle, ebenso das Vergolder- und
das Dreherhandwerk, die Knopt macherei, die Kammmacherei.
Die Elfenbein- und Metalleinlage wurde auch betrieben an Waffen, an der
durch dus ganze Land bei Alt und Jung verbreiteten, bis in die neueste Zeit
noch gebräuchlichen und beliebten Armbrust, Waffen, Stöcken und an andern
Gegenständen ; dann in so hohem Maße die Glasmalerei, die im Auslande berühmt
war. Im Kanton Bern haben wir in einer ziemlichen Anzahl von Kirchenfenstern
die alten Glasgemälde renoviren lassen. Viele Scheiben aus der Schweiz traf ich
im Hotel Cluny und bei Antiquaren in Paris.
Nyon war berühmt mit seiner schönen Fayence.
Im IG., 17. und Anfangs des 18. Jahrhunderts wurde in der Ofenfabrikation
Bedeutendes geleistet. Die Hafner in Winterthur und Zürich excellirten mit
schönen Oefen; wir treffen iu der Ostächweiz noch mehrere solche an, dann in
der Kapitelstube des Stiftes Beromünster und im Schlosse zu Altishofen, Kanton
Luzern, einen mit hochornamentirten, grünen Kacheln. Die antiquarische Samm-
lung in Zürich, das G^werbemuseum in Winterthur besitzen einzelne schöne alte
Kacheln. (Nach den Mittheilungen des Knnstzeichners Müller in Bern.) Das
Kloster St. Urban fabrizirte Backsteine, auf welche im nassen Zustande mittelst
hölzerner Stempel Ornamente im romanischen Style eingedrückt wurden. Bei
Ausgrabungen in Zofingen fand ich von solchen Steinen eine Menge.
Im vorigen Jahrhundert bestund in Beromünster eine Fabrik für bemalte
Porzellanwaaren, die sehr geschätzt waren.
In der texiilen Kunst lieferte uns die Weberei für Seide und Sammt mit
Gold die Gobelins, die Stickereien etc. Schöne Kollektionen davon enthalten das
historische Museum Bern, Stift Beromünster, Einsiedeln, Engelberg, das Gewerbe-
museum St. Gallen und die Seidenwebschule Wipkingen bei Zürich etc.
Wir gewinnen aus dieser kurzen Darstellung die Beruhigung und die Zu-
versicht, daß iu unserm Volke die Fähigkeit lebt, auf dem Vorhandenen, Brauch-
baren fortzubauen, das Verlorene wieder zu ersetzen und Neues, der Zeit ent-
sprechendes hinzuzufügen. Auch die Gegenwart bestärkt uns in dieser Annahme.
Von der großen französischen Revolution an bis zum Beginn des Baues der Eisen-
bahnen befanden sich die Handwerke von jeder künstlerischen Richtung entblößt.
Städte und Dörfer wurden nun durch zahlreiche Neubauten ganz umgewandelt,
als die Lokomotive das Land durchzog. Im Monumentalbau ist ganz besonders
die wirklich gelungene, in der Reinheit des Styles durchgeführte Umwandlung
der Kathedralen von Lausanne und Basel anzugeben. Ueber den Aufbau des
Thurmes am Berner Münster liegen sehr gute Projekte vor. Mit den neuen
Verkehrsmitteln erstanden die neuen, großartigen, für den modernsten Comfort
eingerichteten Hotels. Verhältnißmäßig wird kein anderes Land die Schweiz in
diesen Bauten übertreft'en.
Diese enorme Thätigkeit, die seit bald M Jahren auf dem Gebiete des
Hochbaues eintrat, bot dem Handwerk uud Gewerbe einen mächtigen Aufschwung.
KuDätgewerbe — 219 -*^ Kunstgewerbe
Von da an beginnt eine reinere Stylisirung in den Bauten, eine umfangreichere,
bchönere Ausstattung derselben, ein weit größerer Verkehr und Verdienst, der
dem Handwerker wieder eine freiere Bewegung, einen neuen Impuls für schönere
Formen gestattet.
Im Ganzen genommen hat das Kunsthandwerk, trotz den schönen Anfängen,
sich noch nicht auf seinen frUhern Standpunkt erhoben, dafür braucht es wohl
noch manches Jahrzehnd, bis eine durchschlagende Tüchtigkeit einzutreten vermag.
Dagegen erkennen wir vereinzelte Erscheinungen, die z. B. in der Bauschreinerei,
der Schlosserei, der Möbelschreinerei etc. vortreifliche Anhaltspunkte für die Zu-
kunft bieten.
Der schweizeriscbe Mittelstand hat in diesem Jahrhundert allerdings noch
viel zu wenig Fühlung mit der künstlerischen Thätigkeit bewiesen. Die lang-
jährigen, außerordentlich hemmenden politischen Wirren brachten ihn von diesem
Ziele ab. Die Idealität ist ihm aber damit nicht abhanden gekommen. Die Schweiz
ist mehr und mehr mit ihrer Neugestaltung das Land der Feste geworden, wie
dies nirgends bedeutender gesehen wird. Die Schützenfeste, die Turn- und Sänger-
tage, mit ihren großen geschmückten Hallen, an denen das ganze Land freudigen
Antheil nimmt, die großen politischen Volkstage, haben den Sinn für das Ideale
and Hohe gefördert, gepfiegt und wach erhalten. Das ist aber gerade der em-
pfängliche Boden, aus dem auch die Saat für die Eunstbestrebungen, für die
Kleinkunst in Gre werbe und Handwerk und für die höhere bildende Kunst kräftig
ersprießen soll, sowie auch bei den Griechen die olympischen Spiele mit ihrer
EnuBt stets im innigsten Zusammenhang sich befanden und beide sich gegenseitig
unterstützten.
Nach dieser Auseinandersetzung über die Kunstindustrie im Allgemeinen und
im Speziellen über die Schweiz, sei es uns noch gestattet, einige Andeutungen
und Vorschläge zu geben, welche zur Hebung derselben dienen würden. Wir
können nichts Neues bringen, wir können nur wiederholen, was schon zum
hondertsten Male gesagt wurde, und was so lange wiederholt werden muß, bis
der noth wendige höhere Standpunkt erreicht sein wird.
Vor allem aus betonen wir den allgemeinen Zeichnungsunterricht, der in
allen Schulen von der frühesten Jugend an in streng systematischer Weise ertheilt
werden sollte, weit umfassender, als dies bis jetzt geschehsn ist. Es betrifft dies,
je nach Umständen, das geometrische, das technische, das Ornament-, das Figuren-
und Landsohaftzeichnen.
Es kann in den Primär- und dann namentlich in den Sekundärschulen schon
Tüchtiges erreicht werden.
Za diesem Zwecke sind die jungen Lehrer in den Seminarien f\ir diesen
Unterricht heranzubilden. Die von der Kindheit, dem Knaben- und Jünglingsalter
an im Zeichnen geübte Hand wird zu jedem Handwerke oder zu höhern künst-
lerischen Studien sich befähigen. Wir kannten eine Sekundärschule, die unter ihrem
vortretfiichen Zeichnungslehrer außerordentliche Leistungen aufzuweisen hatte, wie
wir sie weder in Deutschland, noch in der Schweiz je besser angetroifen haben.
An dieser Schule hat die ganze betreffende Bevölkerung stets ein großes Interesse
gezeigt. Solche seltene Beispiele können oder müssen zur Norm werden.
Auf dem höhern Gymnasium darf das Zeichnen nicht fakultativ verbleiben.
Der in diese Kunst mehr oder weniger eingeführte Gelehrte oder Geschäftsmann
wird za einem verständigem, gerechtern Urtheile und zu größerer Mithülfe in
Konstsachen sieh herbeilassen, als es bis heute der Fall war. Damit wäre schon
viel erreicht.
Kunstgewerbe >— i 220 — Kunstgewerbe
Mit dem Zeichnen ist so frflhe als möglieb das praktische Arbeiten, das
Modelliren in Tbon, Gips, Wacbs, Holz, Stein, Eisen, Metallen etc. in Verbindung
zu bringen.
An die Yorscbulen schließen die Fortbildnngsschalen für Handwerker und
Künstler an, und sind dieselben obligatorisch zu erklären.
Das ktlnstlerische Handwerk hat einen fortwährenden Eontakt mit den bil-
denden Künsten zu suchen, am von hier aus eine geregelte, stjlistische Anregung
und Aufgaben zu erhalten. Die Werke berühmter Meister werden in Italien
namentlich millionenweise im Kleinen nachgeahmt und in schöner, gelungener
Weise um ein Spottgeld durch die ganze Welt getragen.
Im Mittelalter saßen die großen Künstler mit den Handwerkern auf der
gleichen Zunft, weil sie selbst auch Handwerker waren. Dieses praktische, trau-
liche Yerhältniß würde manchem Künstler der heutigen 2jeit das Hungern er-
sparen, wenn es noch so wäre, an Stelle der Selbstüberschätzung, die vor der
ordinären Arbeit zurückscheut.
Der Staat hat durch gesetzliche Bestimmungen die angegebenen Reformen
einzuführen, dafür die erforderlichen Mittel zu bewilligen und die Oberaufsicht
auszuüben. Da die Mittel des Staates kaum anfangs in der nöthigeu Höhe zu
erhalten sein werden, so liegt es zunächst im Interesse und daher auch in der
moralischen Pflicht der Gemeinden, der gemeinnützigen Gresellschaften, Vereine
uud namentlich der Zünfte, nach Kräften ihre Beisteuer für bedeutende Zeichnungs-
und Fachschulen und eine strengere Gewerbe- und Handwerksordnung regelmäßig
zu entrichten.
Zur Ermunterung des Handwerkes in seinen technischen und künstlerischen
Arbeiten sind zentrale Muster- und Modellsammlungen, Museen anzulegen, Aus-
btellungen zu veranstalten, Konkurrenzaufgaben zu erlassen, Prämien zu vertheilen,
ausländische Ausstellungen zu beschicken.
Ganz besonders haben die Behörden dafilr sich zu bemühen, die Beiziehung
von tüchtigen Lehrkräften in niedern und höhern Schulen zu ermöglichen.
unter den Handwerksmeistern und ihren Freunden lassen sich Associationen
für den stets weckenden, gegenseitigen Unterricht und Verkehr, für Unternehmungen,
filr die gesellige Unterhaltung in's Leben rufen.
Wenn auch alle Handwerke in die Reform der künstlerischen Ausbildung
gezogen werden sollen, so ist, vom praktischen Gesichtspunkt aus betrachtet, es
angezeigt, daß diejenigen besonders gepflegt werden, welche einem günstigen,
möglichst weit reichenden Erfolge zu dienen vermögen. Darunter verstehen wir
neben den gegenwärtig blühenden Kunstindustrien besonders Bauhandwerke und
die Möbelschreinerei.
Es steht außer Zweifel, daß die letztere, namentlich in Verbindung mit der
Schnitzerei, wohl bald eine ansehnliche Stellung einnehmen dürfte, die der fremden
Einfuhr, die sich jährlich auf zirka zwei Millionen Franken beläuft, mehr und
mehr die Stirn e zu bieten im Stande wäre.
Die Bau- und die Möbelschreinerei sollen, wie wir es im Mittelalter gesehen
haben, dazu berufen sein, das bürgerliche Haus mit gefälligen Formen auszn-
i^ehmücken, dasselbe zu einem einladenden Heim zu schaffen. Dann folgen den-
selben die Hülfeleistungen der andern Handwerker: des Schlossers, Malers, Tape-
zierers, Gipsers, des Dekorateurs, selbst des höhern Künstlers. Im Aeußem des
ilanscK wird die Architektur dem Maler Arbeit in der Bemalnng der Fagade
anweisen, wie dies früher in so hervorragender Weise betrieben wurde. Das
Kunstgewerbe — 221 — Kunstwein
höhere Ziel des Knnsthandwerks besteht im Schmucke der monumentalen Bauten^
der Paläste« der Villen und Kirchen.
Da von Seiten des Auslandes uns immer ernster die Gefahr nahe rückt, dali
unsere Industrien durch die stets wachsenden Zollschranken geschädigt oder erdrückt
werden, so dürfen wir kein Mittel unbenutzt lassen, das uns neue Wege zu weisen
im Staude ist, um Verlorenes doch einigermaßen zu ersetzen.
Eine blühende Kunstindustrie wird eines dieser Mittel »ein. Neben unsem
eigenen energischen Anstrengungen wird auch der Fremdenverkehr dieselbe be-
fördern helfen. Von Jahr zu Jahr nimmt dieser mit den immer wachsenden
Verkehrsmitteln, den Eisenbahnen, zu. Die Schweiz entwickelt sich mehr und
mehr zur europäischen Kreuzstraße, man möchte bald ausrufen: „Zum europäischen
Wirthshanse**. Die steigende Fremdenzahl aber wird für unsere Erzeugnisse in
dem Maße mehr Konsumenten liefern, je billiger, je besser und schöner wir zu
arbeiten verstehen.
Kunsthonig ist meistens ein Gremisch von Glycose ('/s — Vb) °^^ Bienen-
bonig. Es befinden sich in der Schweiz zahlreiche Fabrikanten dieser Waare.
Wenn die im Kunsthonig enthaltene Glycose rein ist, ist der Genuß unschädlich;
enthält die Mischung aber aucb Stärkezucker und Schwefelsäure, so ist der G^nuß
schädlich.
Konsumenten wie Bienenzüchter führen einen zähen Kampf gegen den Kunst-
honig und es haben unter dem Drucke ihrer Kundgebungen bereits drei Kantons-
regierungen (Granbünden, Waadt und Zürich) verordnet, daß nur das reine
Produkt der Bienen als „Honig'* verkauft werden dürfe. Die Verordnung von
Graubünden lautet u. A. :
§ 4. Als Honig darf nur das reine von den Bienen bereitete Naturprodukt ver-
kauft werden.
§ 5. Die bisher unter Namen wie ^Tafeihonig**, ^ Schweizerhonig ** u. s. w. im
Handel gehenden Surrogate (meist aus Starkezuckersyrup oder aus Mischungen von
solchem mit geringem Honig bestehend) dürfen nur unter ihrem wahren Namen als
Syrup etc., nicht aber unter Bezeichnungen verkauft werden, in denen das Wort Honig
voikommt.
§ 6. Die Grefäße, in denen diese Produkte in den Verkaufslokalen aufbewahrt
werden, sollen deutlich sichtbar als Aufschrift die wahren Namen als Syrup etc. tragen ;
diese Bezeichnung soll auch auf den betrefTenden Fakturen und Frachtbriefen ange-
wendet werden.
§ 7. Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmungen werden mit Geldbußen und
eventuell auch mit Konfiskation der betreft'enden Waaren bestraft, nach Maßgabe des
§ 12 des Gesetzes über die staatliche K(»ntrole von Lebens- und Genußmitteln, vom
U. Juli 1881.
Kunstwein. (Mitgetheilt von Herrn Krauer, Dozent für Weinbau am
eidg. Polytechnikum.) Schon vor hundert und mehr Jahren versuchte man nach
schlechten Weinernten, künstliche Weine ohne Traubensaft herzustellen, und
gebrauchte dazu Wasser, Essig, Schwefelsäure, Branntwein und Honig. In der
Gegenwart kommen in den eigentliclien Kun^tweinfabriken, den Fortschritten der
Wibsenschaft entsprechend, andere Stotfe zur Verwendung, wie z. B. Wasser,
Sprit, Weinsäure, Glycerin, Tamarinden, Aetherarten, Farbstotte u. dgl. Auch
werden, seitdem die Lehren von Grall und Petiot allgemein bekannt geworden,
aus den KUckständen von Trauben und Wein, d. h. aus Trcsteni und Hefe,
durch Zusatz von Zuckerwasser künstliche Weine erzeugt, die in den Weiuländeru
zimieist zam Hausgebräuche dienen.
In neuester Zicit ist eine andere Fabrikation aufgetaucht, welche st;hr rascli
große Verbreitung gefunden hat, nämlich die Bereitung von Wein aus Trocken-
Kunslwein — 222 — Kunstwein
beeren (raisinw secs). Die getrockneten Weinbeeren werden auw Spanien, Italien,
(xriechenland und anderen Gegenden des Orient«, Howie aus Nordafrika bezogen
und es werden vorzüglich folgende Sorten benutzt: Korinthen, Thyra, Samos,
Vourla u. a. ni.
Daß man auf den Gedanken kam, aus Weinbeeren Wein zu bereiten, ist
leicht begreiflich. Wenn man Weintrauben durch Trocknen in Weinbeeren ver-
wandelt, so geht der größte Theil des in denselben enthaltenen Wassers fort,
während diejenigen Substanzen, welche bei der Weinbereitung eine Bolle spielen,
zurückbleiben. Werden nun die Rosinen mit Wasser ausgelaugt, so erhält man
eine in der Zusammensetzung dem Moste aus frischen Trauben ähnliche Flüssigkeit,
die von selbst in Gährung übergeht. Es ist also leicht, aus Trookenbeeren Wein
zu bereiten. Die Darstellung ist einfach, doch weichen die verschiedenen Rezepte
von einander ab. Nach J. F. Audibert werden die Trockenbeeren vorerst mit
kaltem Wasser Übergossen und bleiben 40 — 50 Stunden in demselben, so daß
sie aufquellen. Hierauf zerkleinert man sie mittelst Maschinen, füllt sie in die
G^hrbottiche, in welche das erforderliche Quantum Wasser gebracht worden,
und überläßt sie der Gährung. Das Wasser selbst wird vorher erwärmt, so daß
die gährende Masse von vornherein eine Temperatur von 20 — 25® erhält. Sobald
die Gährung so weit vorgeschritten ist, daß die Beaum^Vhe Senkwaage auf 0*
sinkt, wird der Wein abgezogen und in Fässer gefüllt. Der Rückstand wird
gepreßt und der so erhaltene Wein mit dem ersten (Vorlauf) vermischt. Häufig
werden die Weine nach kurzer Zeit noch pasteurisirt, d. h. in einem besondem
Apparate auf <i0® C. erwärmt, um sie haltbarer zu machen.
In andern Rezepten wird empfohlen, die unzerkleinerten Rosinen mit Wasser
von 40 — 50" zu übergießen, damit vergähren zu lassen und nachher zu pressen etc.
Wird den Trockenbeeren lediglich reines Wasser in solchem Verhältnisse
zugesetzt, daß die daraus gewonnene Gährungsflüssigkeit der Zusammensetzung
des Mostes aus frischen Trauben entspricht, so ergibt sich ein dem Naturwein
höchst ähnliches Getränke. Solche Fabrikate sind indessen nicht billig herzustellen ;
es werden daher mehrere Aufgüsse gemacht (4 — 5), so daß man schließlich aus
100 Kilo Trockenbeeren bis auf 1200 Liter Wein erhält. Da die spätem Auf-
güsse selbstverständlich arm an Zucker resp. Alkohol und Säure werden, so setzt
der Fabrikant denselben Weinsäure. Rohrzucker und Sprit zu. Nachher werden
alle Aufgüsse zusammengemischt. Will man Rothwein bereiten, so werden ent-
fciprechende Farbstotfe beigefügt.
Die Trockenbeerweine zeichnen sich im Allgemeinen durch einen scharfen,
süßlichen Geschmack aus ; auch haben sie meistens einen hohen Gehalt an Zucker,
flüchtiger Säure und Chloriden, welch' letztere theils von dem Wasser, theils
von den Klärmitteln herrühren. Je nach der Härte des zur Verwendung ge-
kommenen Wassers ist auch der Gehalt an Kalk und Magnesia abnorm groß.
Zu weitern Bedenken kann, abgesehen von der Darstellungsweise, unter
Umständen auch die Art der Gewinnung des Rohmaterials Anlaß geben. Im
Orient werden nämlich die zu Trockenbeeren bestimmten Trauben nach der Lese
auf Bänken, die aus Lehm und Kuhmist verfertigt worden, ausgebreitet und
bleiben sodann ohne weitere Pflege dem Einflüsse der herrschenden Witterung
ausgesetzt, bis die erforderliche Wasserverdunstung eingetreten ist. Bei andauernd
nassem Wetter werden die Beeren durch das auf den Bänken sich ansammelnde
Wasser theilweise verdorben und es können sich auf denselben leicht gesundheitN-
gefährliche Pilze ansiedeln. Die so angesteckten Beeren werden nicht etwa
beseitigt, es kr>nnen demnach solclie Pilze auch in den Wein übergehen.
Kunstwein — 223 — Kupfersalze
Die Fabrikation von Trockenbeerweinen findet in Frankreich in großem
Umfange statt. Es hat sich diese Industrie aber auch in der Schweiz eingebürgert
und es finden sich derartige Fabriken in Genf (6), Locle (1), im Kanton Freiburg,
in Pruntrut, Basel (2), im Klettgau, Schaff hausen (1), in Außersihl-Zttrich (1),
Bendlikon-Zürich (1) und Luzern (1). Dieselben verarbeiteten im Jahre 1885
nach approximativen Schätzungen 15,000 Doppelzentner Trockenbeeren und er-
zeugten daraus 180,000 — 200,000 Hektoliter Wein, welcher im Durchschnitt
zum Preise von Fr. 16 bis Fr. 20, im Mittel somit zu Fr. 18 per Hektoliter
offerirt wird. Das genannte Quantum enti^pricht nahezu einer mittlem Weinernte
des Kantons Zürich, welcher ein Kebareal von ca. 5580 Hektaren im Kapital-
werthe von Fr. 50^000,000 besitzt.
Diese Trockenbeerweine kommen selten un vermischt zum Gebrauch, vielmehr
werden sie meistens mit andern Weinen verschnitten, also unter falscher Be-
zeichnung konsnmirt, und machen dadurch bei ihrem billigen Preise den realen
Weinen eine verderbliche Konkurrenz.
Im März 1887 hat der Regierungsrath des Kantons Zürich eine Verordnung
erlassen, laut welcher Getränke, die nicht ausschließlich durch Grährung des
natürlichen Traubensaftes erzeugt, sondern durch Zusammenmischen von Wein-
hestandtheilen, oder aus Trestem, oder Trockenbeeren mit Zucker, Wasser,
Sprit etc. bereitet worden sind, als „ Kunstwein ** bezeichnet werden müssen.
Kunst wolle. Es sind zur Zeit 4 Geschäfte bekannt, welche die Fabrikation
von Kunstwolle, d. i. die Verarbeitung von wollenen Lappen zu Wolle, betreiben.
2 derselben sind in Bnrgdorf, 1 in Zofingen, 1 in Aeffligen (Kt. Bern). In den
60er Jahren in Derendigen, Basel, Serrieres, Herder und Landquart entstandene
Geschäfte sind eingegangen, da sowohl der Rohstoff schwer zu beschaffen, als
der Absatz des Fabrikats schwer zu bewerkstelligen war. Die gegenwärtige
jährliche Produktion wird auf 15,000 q im Werthe von ca. 2 Millionen Franken
geschätzt.
Kupfer. Etwas Kupfer wird heute noch in den im Val d'Anniviers ge-
legenen Minen der Gesellschaft Ossent, Fürst & Cie. in Sierre gewonnen. Sonst
ist die Ausbeute in der Schweiz gleich Null, obgleich es an Kupfererzen in
einigen andern Kantonen nicht fehlt; doch sind dieselben zu wenig rein und in
zu unbedeutenden Lagern, oder zu wenig zugänglich, als daß sich deren Aus-
beutung lohnen würde. (S. auch Bergbau, S. 194.)
Einfuhr von Kupfer und Kupfer waaren im Jahresdurchschnitt 1^72/81:
7177 q, 1883: 10,527 q, 1884: 9809 q, 1885: 16,9«9 q im Werthe von
Fr. 3'570,100. Von der 1885er Einfiihr entfallen 7104 q auf Deutschland,
6580 q auf Frankreich, 1000 q auf Belgien, 912 q auf Oesterreich, 386 q auf
Italien.
Ausfuhr 1883: 1425 q, 1884: 1879 q, 1885 (ohne Grenz verkehr) :
3951 q =Fr 694,077. Von der 1885er Ausfuhr entfallen 1507 q auf Frank-
reich, 866 q auf Deutschland, 721 q auf Italien, 633 q auf Oesterreich.
Kupferdruckerei. Mit diesem Ge^^chäftszweig befassen sich laut Handels-
register die Firmen Max Girardet in Bern und Gebr. C. und N. Benziger in
Einsiedeln.
Kupferplaquefabrikation. Diese Fabrikation wird laut Handelsregister
von der Firma Jean Weber in Menziken betrieben.
Kupfersalze, namentlich Kupfervitriol, Kupferchlorid, salpetersaures, essig-
saures Kupfer, Schwefelkupfer werden in der Färberei und Druckerei verwendet
und zum Theil auch in der Schweiz dargestellt, wobei als Ausgan gsmaterie^l
Kupfersalze
— 224 —
Kurorte
theils Kupfer selbst, theils Kupfervitriol (krystallisirtes Kupfersulfat) dieut, dessen
Fabrikation in der Schweiz nicht lohnend wäre, da es im Auslande als metal-
lurgisches J^ebenprodukt sehr billig dargestellt werden kann. Kupfervitriol wird
auch an mehreren Orten in der Schweiz zum Imprägniren von Holz verwendet
(Boucherie's Verfahren).
Kupferschmiede gab es im Jahre 1880 laut eidg. Berufsstatistik 1117
(205 Ausländer inbegriffen) = 0,8 '/ou aller Erwerbsthätigen, nämlich 193 im
Kt. Tessin, 156 im Kt. Zürich, 103 im Kt. St. Gallen, 99 im Kt. Bern, 76 im
Kt. Waadt, 51 im Kt. Luzern, 51 im Kt. Thurgau, 50 im Kt. Graubünden^
46 im Kt. Genf, 36 im Kt. Wallis, 34 im Kt. Baselstadt, 32 im Kt. Aargau»
27 im Kt. Glarus, 26 im Kt. Freiburg, 24 im Kt. Neuenburg, 23 im Kt. Scbwyz^
19 im Kt. Appenzell A.-Ith., 15 im Kt. Zug, 14 im Kt. Solothurn, 13 im Kt.
Schaff hausen, 11 im Kt. Obwalden, 7 im Kt. Uri, 3 im Kt. Appenzell L-Rh.^
1 im Kt. Nidwaiden.
Kupferstecherei. Diesen Beruf übten im Jahre 1880 35 Personen aus»
wovon 11 in Bern, 11 in Schwyz, 10 in Zürich, je 1 in Baselstadt, Baselland
und Genf.
Kupfervitriol. Die schweizerischen Farbenfabriken konsumiren jährlich
ca. 600 q. Der Bedarf wird fast ausschließlich vom Auslande gedeckt.
Kurorte. Die Schweiz ist vermöge ihrer vielen Heilquellen und gesunden
Höhenlagen außerordentlich reich an Kurorten. Diese zerfallen, von den gewöhn-
lichen Seebädern abgesehen, in Bäder, klimatische Kurorte, Luftkurorte, Sommer-
frischen, Molkenkurorte, Traubenkurorte u. s. w. Oft vereinigt ein Ort zwei oder
drei dieser Eigenschaften.
Nach der Zahl der Kurorte besteht unter den Kantonen folgende B.eihenfolge :
1) Bern . . .
■
. ca. 90 Kurorte
12) Aargau . .
ca. 18 Kurorte
2) Graubünden
. 50 .
13) Baselland . .
. 15 ,
3) Waadt . . .
« 30 ,
14) Uri ... .
. 13 ,
4) St. Gallen . .
. 30 ,
15) Thurgau . .
. 12 .
5) Appenzell .
. 25 ,
16) Tessin . . .
. . 10 .
fi) Luzern . . .
. 25 ,
17) Glarus . . .
. 8 ,
7) Schwyz . . .
n 20 ,
18) Freiburg . ,
. 7 .
8) Zürich . .
n 20 „
19) Neuenburg .
. . 7 .
9) Solothurn .
« 19 ,
20) ScbaiThausen .
. 7 ,
10) Unterwaiden .
. 19 ,
21) Zug ... .
. 7 ,
11) Wallis . . .
. 18 ,
T,
^fnl
AO jI.X/^ L «w<^v.f ^v
Basel und Genf haben keine eigentlichen Kurorte.
Die bedeutenderen Kurorte sind zum größten Theil weit über die Grrenzen
des Landes hinaus bekannt ; sie mögen hier nach dem Werke von Dr. Gsell-Fels
über die Bäder und Kurorte der Schweiz (Verlag von Caesar Schmidt in Zilrich)
Erwähnung linden:
Im Aargau: Baden j 382m ü.M., kalkhaltige Schwefeltherme. Bresien-
berc/, 478 m ü. M., Wasserheilanstalt. Laurenzenbad, unweit Aarau, 518 m
ü. M., inditferente Quelle. Mampfe 290 m ü. M., klimatischer Kurort und Sool-
bäder. Muriy 4G2 m ü. M., klimatischer Kurort, Mineral- und Soolbäder.
liheinfelden, 270 m ü. M., klimatischer Kurort und Soolbäder. Schinenachy
351 m ü. M., gipshaltige Schwefelthermen.
In Appenzell A. -Eh. : Gais, 934 m ü. M., Luft- und Molkenkurort.
Heideuj 806 m ü. M., Luft- und Molkenkurort. Heinrichsbad bei Herisau, 776 m
U. M., erdige Eisenquelle und Molkenkuranstalt. Rosenhügel bei Umäsch, 856 m
Kurorte — 225 — Kurorte
ü. M., erdige Eisenquelle und Molkenkuranstalt. Teufen^ 836 m U. M., Luft-
und Molkenkurort. WalBenhausen^ 673 m ü. M., Luftkurort.
In Appenzell I.-Bh. : Äppengell, 778 m ü. M., Luft- und Molkenkurort.
Jakobsbadf 869 m ü. M., erdige Eisenquelle und Molkenkuranstalt. Gonten,
884 m Ü. M., erdige Elsenquelle und Molkenkuranstalt. Schwendi, 866 m ti. M.,
Bad, Luft- und Molkenkurort. Weißbad, 817 m ü. M., erdige Mineralquelle,
Luft- und Molkenkurort.
Li Baselland: Bienenberg, 431 m U. M., Luftkurort, Soolbäder. Kilch-
simmer j 952 m ü. M., klimatischer Kurort. Langenbruck, 747 m ü. M., klima-
tischer Kurort. Liestal, 330 m ü. M., Soolbäder, Sommerfrische. Schauenburg,
486 m ü. M., Luftkurort, Soolbäder. Schweizerhiüle, 276 m ü. M., Kuranstalt,
Soolbad.
In Bern: Abendberg, 1139 m ü. M., Luft- und Molkenkuranstalt. Aeschi,
859 m tt. M., Luftkurort. Axalp, 1524 m ü. M., Höhenkurhaus. Blauer See,
878 m ü. M., klimatischer Kurort. Blumenstein, 655 m ü. M., Bad, erdige
Eisenquelle. Bönigen, 566 m tt. M., Luftkurort am Brienzersee. Enggisteinbad,
690 m ü. M., Eisenquelle. Engstlenalp, 1839 m tt. M., Loftkarort. Faulensee-
bad, 760 m tt. M., erdige Mineralquelle. Grießbach, 660 m tt. M., Luftkurort.
Grindeltoald, 1057 m tt. M., klimatischer Kurort. Gunten, 560 m tt. M.,
Sommerfrische, Seebäder. Gurnigel, 1155 m tt. M., Luftkurort und Schwefel-
quelle. Heustrich, 640 m ti. M., alkalisch-salinische Schwefelquelle. Interlaken,
568 m tt. M., klimatischer Kurort. Lenk, 1105 m tt. M., klimatischer Kurort
mit Schwefel- und Eisenquelle. Magglingen (Macolin), 900 m tt. M., klima-
tischer Sommerkurort. Meyringen, 599 m tt. M., Luftkurort. Murren, 1650 m
tt. M., Luftkurort. Rosenlauibad, 1330 m tt. M., Luftkurort. Büttihubelbad,
736 m tt. M., erdige Mineralquelle. Schonegg, 630 m tt. M., Luftkurort.
Schwefelbergbad, 1394 m tt. M., Schwefelquelle. Sigriswyl, 800 m tt. M.,
Luftkurort. Spiee, 560 m tt. M., Luftkurort. St, Beatenberg, 1148 m tt. M.,
klimatischer Höhenkurort. Weißenburg, 878 m tt. M., erdige Therme, klima-
tischer Kurort. Wengen, 1275 m tt. M., Luftkurort. Zimmerwald, 858 m tt. M.,
Luftkurort.
In Freiburg: Schwareseebad, 1065 m tt. M., Schwefelquelle.
In Glarus: Klönthal (Vorauen), 828 m tt. M., klimatischer Kurort. Ob-
stalden, 683 m tt. M., Luftkurort. Bichisau, 1070 m tt. M., Luft- und Molken-
kurort. Stachelberg, 653 m tt. M., Bad, alkalische Schwefelquelle.
In Graubttnden: Alveneu, 930 m tt. M., Schwefelbad. Churwalden,
1270 m tt. M., klimatischer Kurort. Davos, 1562 m tt. M., klimatischer Kur-
ort Dissentis, 1150 m tt. M.. Eisensäuerling und Luftkurort. Fettan, 1650 m
tt. M., Sommerfrische. Fideris, 1056 m tt. M., alkalisch-muriatischer Eisensäuer-
ling. Flms (Waldhäuser), 1102 — 50 m tt. M., Luftkurort. Klosters (Platz),
1215 m tt. M.« Luftkurort. Laax, 1050 m tt. M., Luftkurort. Passugg, 850 m
tt. M., Eisen- und Natronquellen. Pontresina, 1803 — 28 m tt. M., Luftkurort.
Prese (Le), 960 m tt. M., Luftkurort und Schwefelbad. Promontogna, 819 m
tt. M., klimatischer Kurort. San Bernardino, 1626 m tt. M., gjpshaltiger
Eisensäuerling. Samaden, 1723 m tt. M., klimatischer Kurort. Schills, 1246 m
0. M., klimatischer Kurort mit Natronsäuerling und Eisensäuerling. Seewis,
950 m tt. M., Luft- und Molkenkurort. Serneus, 985 m tt. M., Luftkurort,
Schwefelbad. SUvaplana, 1816 m tt. M., klimatischer Kurort, eisenhaltige Gyps-
qnelle. SilS'Maria, 1811 m tt. M., klimatischer Kurort. St. Moritz, 1855 m
fi. M., klimatischer Kurort mit Kurhaus, kalter Eisensäuerling. Tarasp-Schikl^^
Fnr«r, Tolktwirthichafts-Lexikon der Schweis. Y^
Kurorte — 226 — Kurorte
klimatischer Kurort mit Natronsäuerling und Eisensäuerling. Vulpera, oberhalb
Tarasp- Naüö, 1270 m ti. M. Wiesen, 1454 m ü. M., klimatischer Kurort. Zua,
1718 m ü. M., klimatischer Kurort.
In Luzern: Eigenthal, 1065 m ü. M., Luftkurort. Farnbühl, 704 m
tt. M., klimatischer Kurort, eisenhaltige Natronquelle. Gottlieben, 455 m U. M.,
klimatischer Kurort mit Seebädern. Herrgottswald, 798 m ü. M., Luftkurort.
Hertenstein (Schloß), 437 m tl. M., Sommerfrische mit Seebädern. Knutwyl,
490 m ü. M., Bad, erdige Eisenquelle. Luzern, 590 m ü. M., Familienkurort.
Mensberg, 1010 m ü. M., Luftkurort. Bigi-Kaltbad, 1441 m ü. M., Luftkurort,
Eisenquelle. Schimbergbad, 1425 m ti. M., klimatischer Kurort, alkalische
Schwefelquelle. Schwarzenberg, 841 m )i. M., klimatischer Kurort. Sonnenberg,
170 m ü. M., Luftkurort. Vitznau, 440 m ü. M., klimatischer Kurort. WeggiSj
440 m ü. M., klimatischer Kurort, Seebäder, Winterstation.
In Neuenburg: Chaumont, 1150m ti. M., Luftkurort.
In Nidwaiden: Beckenried, 437 m ü. M., Luftkurort. Bürgenstock,
870 m ti. M., Luftkurort. Niederrickenbach, 1167 m ti. M., klimatischer Kurort.
Schöneck, 760 m ti. M., Wasserheilanstalt. Stans, 446 m ti. M., Luftkurort.
In Obwalden: Engelberg, 1019 m ti. lil., klimatischer Kurort. Kerns,
Luftkurort. Fruti (auf Melchsee-Alp), 1894 m ti. M., Luftkurort. Schtoendi-
Kaltbad, 1414 m ti. M., Eisenquelle.
In Schwyz: Axenfels, 654 m ti. M., Luftkurort. Axenstein, 750 m ti. M.,
klimatischer Kurort. Brunnen, 437 m ti. M., Luftkurort. Gersau, 460 m ti. M.,
klimatischer Kurort. Morschach, 657 m ti. M., Luftkurort. Nuolen, 411 m ti. M.,
Mineralbad mit erdiger Eisenquelle. Bigi-First, 1446 m ü. M., Luftkurort. Bigi^
Klösterli, 1300 m ti. M., Luftkurort. Bigi- Scheideck, 1648 m ti. M., Luft-
kurort, Eisenquelle. Bigi-Staffel, 1594 m ti. M., Luftkurort, Molkenkuranstalt.
Seewen, 461 m ti. M., erdige Eisenquelle. Stoos, 1293 m ti. M., Luftkurort.
Wäggithal, 864 m ti. M., Bad- und Kuranstalt.
In Solothurn: Fridau, 670 m ti. M., Luftkurort. Froburg, 845 m ti. M..
Luftkurort. Lostorf, 500 m ü. M., Bad mit Schwefelquellen. Weißenstein,
1284 m ti. M., Luft- und Molkenkurort.
In St. Gallen: Buchenthal, 510 m ti. M., Wasserheilanstalt. Pfäffers,
683 m ti. M., Bad mit indifferenter Therme. Bagatz, 521 m ti. M., Bad mit
indifferenter Therme. Bietbad, 853 m ti. M., alkalische Schwefelquelle. Bor-
Schach, 398 m ti. M., Luftkurort, Seebäder. Schmerikon, 411 m ti. M., Bad,
Eisenquelle. Tigelberg, 480 m ti. M., Luftkurort. Waid (obere), 660 m ti. M.,
Naturheilanstalt, Sommerfrische. Waid (untere), für Vegetarianer, 590 m ti. M.
Wallenstadt, 425 m ti. M., klimatischer Kurort. Weißtannen, 997 m ti. M.,
Luftkurort. Wesen, 430 m ü. M., Luftkurort.
Im Tessin: Lugano, 275 m ti. M., klimatischer Kurort. Monte Generöse,
1209 m U. M., klimatischer Kurort. Stabio, 352 m ti. M., Schwefelbad.
Im Thurgau: Arbon, 398 m ti. M., Seebadanstalt, Sommerfrische, Mineral-
bad. Ermatingen, 407 m ü. M., Seebäder. Hörn, 398 m ü. M., Luftkurort,
Seebad. Mammern, 407 m tt. M., Kaltwasserheilanstalt, Seebäder. Wolfsberg^
516 m U. M., Seebäder.
In üri: Andermatt, 1444m ü.M., klimatischer Kurort. Maderanerthal,
1449 m ü. M., Luftkurort. Seelisberg, 845 m ü. M., klimatischer Kurort.
In der Waadt: Aigle-les-Bains, 540 m ti. M., Wasserheilanstalt. Bains
de VAlliaz, 1040 m ü. M., Schwefelquelle. Bex, 415 m ti. M., Soolbad, klima-
tischer Kurort. Chäteaii d'Oex, 994 m ü. M., Luftkurort. Chesihres, 1229 m
Kurorte — 227 — Landwasserkorrektion
1i. M., Luftkurort. Glion, 687 m ü. M., Luft- und Tranbenkurort. Lavey^
438 m ii. M., Bad, Sohwefeltherme. Les Avants, 979 m tt. M., klimatiaoher
Kurort. Montreux, 372 m ti. M., klimatischer Kurort. Plan des lies, 1168 m
ti. M., Luftkurort. 8i. Cergues, 1046 m ti. M., Luftkurort. Vers VEglise,
1132 m ü. M., Luftkurort. Vevey, 380 m ti. M., Traubenkurort. Villars (sur
OUon), 1275 m tt. M., Luftkurort. Les Bains d'Yverdony 440 m ti. M., alka-
lische Schwefelquelle.
Ln Wallis: Leukerhad, 1415 m ü. M., Grypsthermen. Morgins, 1411 m
ti. M., gypshaltige Eisenquelle. Saxon-les-Bains, 479 m ti. M., jodhaltige Quellen.
Sierre, 541 m ti. M., Luft- und Traubenkurort. SioUf 536 m ti. M., Luft- und
Traubenkurort.
In Zürich: Älbisbrunn, 645 m ti. M., Wasserheilanstalt. Eglisau, 337 m
U. IL, Kuranstalt, alkalische Quelle. Gyrenhad (äußeres), 740 m ti. M., Molken-
kuranstalt, erdige Mineralquelle. Nidelbad, 512 m ti. M., erdige Eisenquelle.
Veiliberg, 860 m ti, M., Luftkurort.
In Zug: Felsenegg, 927 m ü. M., Luftkurort. G-ottschalken-Kulm, 1140 m
ti. M., Luftkurort. Schönbrunn, 698 m ti. M., Wasserheilanstalt. Schönfels,
^27 m ti. M., Luftkurort.
Kurzstieier. In einigen Gregenden des Kantons Zürich Lokalname für den
ElbUng (s. Seite 551, L Bd.).
Kurzwaaren- und Quincailleriegeschäfte. Ende 1884 waren circa
1800 &eschäfte dieser Art im Handelsregister eingetragen.
Lacöte« Bekannte Weinsorte des Kantons Waadt.
Lack s. Firnisse.
Lactina« Ein Futtermehl, das u. A. von der Firma A. Panchaud & Cie.
in Vevey fabrizirt wird und zur Aufzucht von Kälbern, Füllen und Ferkeln dient.
Länglerbirne, ein vorzügliches Koch-, Dörr- und Mostobst, auch Kannen-
oder Kantenbime, Wadel-, gelbe Wadel-, Schlucker-, Lang- und Wtirgbime
genannt, kommt in den meisten Kantonen der Schweiz vor; die schönsten und
2ahlreichsten Bäume findet man im obem Thurgau und im ßheinthal, sie gedeihen
aber auch noch in einer Höhe von 630 m ü. M. Das Alter dieses Baumes
kann sich auf 90 — 100 Jahre erstrecken. Nach einer reichlichen Ernte trägt er
die zwei folgenden Jahre nur spärlich. 80 — 100 Sester sind sein höchster Ertrag.
(„Schweizerische Obstsorten**, Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhom in
St. Gallen.)
Lance« Mit diesem Namen bezeichnet man solche mehrtrettige, meistens
aber fa^onnirte Gewebe mit seidenem Zettel, die einen Grundschuß von Seide
oder Baumwolle und einen Lancirschuß von Seide haben, der ausschließlich Figur
macht. Lancirte seidene Gewebe werden meistens für Kravatten von der zürche-
rischen und auch von der fremden Industrie hergestellt.
Lancirte Gewebe sind Gewebe mit übergeschossenen Fäden, die nachher
ausgeschnitten werden. S. auch Brochirte Gewebe.
Landwasserkorrektion auf Daves. Bei dieser in den Jahren 1884/86
ausgeführten Korrektion handelte es sich um die Strecke von der Einmündung
des Dischma- und des Schyabaches bis zu derjenigen des Sertigbaches, bezw. bis zum
Bohna-Steg bei Frauenkirch. Mit der Korrektion wurde die Reglung des Laufes
nnd die Tieferlegung der Sohle des Landwassers bezweckt, um der Versumpfung
nnd den Ueberschwemmnngen der Thalsohle Einhalt zu thun. In Betreff' des
Korrektionssystems wurde ein Doppelprotil angenommen, bestehend 1) aus dem
innern oder eigentlichen Flußbette mit 6 m Sohlenbreite, einer Breite vqi\ ^ \si
Landwasserkorrektion — 228 — Landwirthschaft
zwischen den Uferkanten und 1 Yaftlßigen Böschungen mit Steinbekleidnng, 2) aas
den auf beiden Seiten befindlichen Bermen mit einer Breite von 2 m, welche^
um gegen Ausspühlungen gesichert zu sein, mit Querrippen von 20 zu 20 m
versehen sind, 3) aus den das Profil auf Hochwasser abschließenden Hinterdämmen
aus Eies bei einer Höhe von 1,50 m, einer Elronenbreite von 2,50 m, lY2fttßigen,
mit Rasenziegel bekleideten Böschungen und einer Breite zwischen den Innern
Dammkronen von 16,60 m.
Die Tiefe beträgt 1 m fUr das Nieder wasser- und 2,20 m fUr das Hoch-
wasserprofil, das projektirte mittlere Sohlengefäll ca. 7,8 ^/oo bei einer Kanal-
länge von 4635 m.
Die Kosten für diese Korrektion beliefen sich auf ca. Fr. 280,000. Es
wurde ein Bundesbeitrag zugesichert im Betrage von ^s ^^^ wirklichen Kosten,
bezw. im Maximum Fr. 94,000. Buudesbeschluß vom 3. April 1883 (A. S.
n. F. Vn, p. 64).
Landwasserstrasse, zum graubündnerischen Straßennetz gehörend und in
den Jahren 1871 bis 1873 erbaut, führt von Daves nach Bad Alveneu und
Lenz, bei Tiefenkasten in die Julierstraße einmündend. Ihre Länge beträgt 33,7 km^
die Breite 3,6 m. Die Kosten beliefen sich auf Fr. 534,000 (Bavier, Straßen der
Schweiz), woran sich der Bund mit Fr. 89,000 betheiligte. Bundesbesehluß vom
26. Juli 1861 (A. S. Bd. VII, pag. 70).
Landwirthschaft. Verfasser: Die Herren Prof. Dr. Krämer in Zürich
und Kulturtechniker Fritz Rödif/er in Bellach- Weyerhof.
A. Geschichte der schweizerischen Landwirthschaft
(Von Herrn Fritz ßödiger.)
I. Die Landwirthschaft unter den Römern.
Die Geschichte der schweizerischen Landwirthschaft beginnt eigentlich zu
jener Zeit, in welche die Funde aus den Höhlen von Thayngen, Schaffhausen,
Crrellingen, Verrier bei Genf, Domleschg in Graubiinden etc. zurückweisen. Daran
knüpft sich die früh-keltische Zeit (Stein und Bronce) mit den Pfahl bauten-
anhängseln und an diese schließt sich die keltisch- (oder gallisch-) helvetische
Periode bis zur Eroberung Helvetiens und Bhätiens durch die Römer. Es wtlrde
hier zu weit führen, auf alle diese Urperioden zurückzugreifen.
Der Landbau Helvetiens (inkl. Rhätiens) hatte sich schon lange vor Unter-
jochung durch die Römer mehr und mehr vervollkommnet. Er war fortgeschrittener,
als uns einige römische Schriftsteller erzählen, welche hier, wie in Gallien und
Germanien, oft das Wesentliche unberührt ließen. Unwesentliches dagegen über
Gebühr hervorhoben.
Der allgemeine Stand der Landwirthschaft blieb jedenfalls noch Jahrhunderte
lang, unter den Römern, dem gallisch-helvetischen gleich. Nichts ändert langsamer
als ländliche Einrichtungen, wenn ihnen nicht energische Außenhülfe die Hand
reicht. Haben wir doch heute noch Berggegenden in der Schweiz, welche mit
einem Fuße noch ganz in den Betriebsweben vorrömischer Tage stehen.
Die Zweifelderwirthschafl übernahmen in Helvetien die Römer von den
Eingebomen und mögen sie Jahrhunderte lang beibehalten haben, wie sich solche
bis heute auf den weitausgedehnten Roggen- und Gerstenfeldem des Wallis —
meist unverändert mit allem Zubehör — erhalten hat. Freilich brachten die
Soldaten (die Veteranen), sowie die römischen Landspekulanten, welche den
Legionen nachzogen, jedenfalls manche Neuerung mit und in Aufnahme, da die
Landwirthschafl — 229 — Landwirthschaft
vorherigen Besitzer und Eigentbümer besitz- und rechtlos wurden und jene an
ihre Stellen traten; im Allgemeinen jedoch ließen diese Eindringlinge die alten
Besitzer oder Bebauer, welche ja schon unter ihren alten Herren meist unfrei
waren, nach Herkommen fortarbeiten.
Besiegte, Herren und Arbeiter oder Unfreie, wurden römische Sklaven und
Kolonen. Aller Boden gehörte den römischen Kaisern, welche je nach Charakter
und Einsicht ihrer Kegierungsmethode die Einheimischen belehnten, so lange die
römischen Kräfte mangelten, meist aber das Grundeigenthom nur an römische
Bürger vertheilten oder an römische Land-Spekulationsgesellschaften verkauften
und verpachteten. Alles übrige Land blieb Krongut, nämlich 1) alle eroberten
Ländereien, über welche noch nicht verfügt war ; 2) Wälder und Weiden, sofern
sie nicht bereits ein Römer besaß.
Im Laufe der Zeit änderte sich natürlich dieser Besitzstand, besonders als
man nach und nach den Unterjochten gestattete, römische Bürger zu werden.
Es fanden auch sonst allerlei unkontrolirte Aneignungen statt. Schenkungen,
besonders von Weidland, an sich allmälig bildende Stadtgemeinden waren nicht
selten, woraus sich dann auch die meisten Weid- (Alimend-), Berg- und Alp-
genossenschaften entwickelten.
Immerhin waren jene Gemeinden keine freien Gemeinwesen, wie in unserer
Zeit, sondern wurden von römischen Beamteten beherrscht.
An den Crrenzen erhielten die sog. Veteranen, ausgediente Soldaten (anfäng-
lich meist Fremde), arrondirte, größere Güterhöfe, deren jeder etwa 200 Jucharten
(Tagwerk) oder 72 Hektaren Kulturland enthielt, steuerfrei. Daraus entstanden
die bekannten Militärkolonien, an welche sich bald viel Gewerbe, Industrie,
Künste und Schulen anschlössen.
Es würde zu weit führen, alle Zweige der Landkultur, welche nun in
Helvetien vorherrschten, auch nur annähernd einläßlich zu beleuchten. Mit der
Zeit brachte, wie wir im Verlaufe dieser G^chichte zeigen werden, die römische
Invasion viel Gutes und Schönes, allein bei den unaufhörlichen auswärtigen und
inneren Kriegen dieses raublustigen und blutdürstigen Volkes mußten die größten
Schöpfungen schließlich zum Unheile der Provinzen ausfallen.
Zu jenen Schöpfungen zählen wir die Verkehrsadern über die Gebirgspässe
und durch die Vorberge, oft zwei- oder dreifach in den Großthälern angelegt und
eifrig gepflegt, ferner die Post-, Militär- und Logirstationen an den Straßen,
bereits eine Art Personen-, Brief- und Güterpost. Allein der Weg- und Straßen-
bau, die Postvorspann waren alles gar bald dem Landbau aufgebürdet und
erdrückten denselben. Aehnlich ging es mit den Befestigungs werken. Wohl
wurden sie von Soldatenhänden erbaut, allein das Material Meilen, ja Tage weit
herbeizuführen, war Sache der Landwirthe und mußte sie umbringen. Was halfen
femer die bereits vervollkommneten Flurvermessungen und die Eintheilungen in
Stadt' und Landbezirke (Gemeinde- und Privatlaud wurde noch nicht eigens
vermessen), da sie nur dazu dienten, intensivere Steuerkreise zu erstellen, Kataster-
pläne darauf zu bauen, um immer neue Abgaben auszupressen?
Hier muß zur geschichtlichen Vervollständigung bemerkt werden, daß bereits
die Grallier vor Christi Geburt die Landvermessung kannten (nach Columella'B
Mittheilung, „De arboribus** [von der Baumzucht], Dresden, Riemen, 1719)
und die Römer wahrscheinlich das gallische Landmaß (Arpennis =13 Aren)
in Helvetien bereits vorfanden. Die Messungen fanden mittels Schnur statt, bei
minder wichtigen Dingen auch durch Schritte. ^)
^) Die Römer hatten Toisen ä 10 Schuh.
Landwirthsoba/t — 23o — Landifirthscfaaft
Fa^en wir die gesammte nmiache Zeil der Schweiz in landwirthsehaftlicher
Beziehung znsammen, so dürfte dch dieselbe etwa charakterisiren lasgen wie folgt :
1) Äckerbau und die dazu benöthigten Werkseufte waren sehr wahrscheinlich,
waH noch heate in den Walliser nnd Unteren gaiiiner Bergen: Boggenbau und
Brache oder Weizen nnd Brache, im Sommerfelde anch Gerste. Für den Wurzel-
und Gremüsebau Grärten um die DSrfer. Die Felder lagen in ZeU/en. Pflug
vorrömisch.
2) Der Wienenhau schied sich in Trocken- und Bewässerungswiesen. Be-
wftHsemngskanäle aus jener Zeit sind, wenigstens im Wallis, nachweisbar.
3) Weid' nnd Alpwirihfi*Jiaft : Beginn genoäsenschnftUchen Besitzes, neben
Latifundien (Großgrundbesitz), betrieben durch Unfreie der Besitzer: Allmenden,
Vorberge (Mayen, Mayenf^äßen) nnd Alpen.
£h finden sich allüberall auf den vorgenannten Ländereien, wie auch auf
den Juraweiden nntrUgbare Kömerspnren, wie Bauten und Münzen, besonders an
den Pässen und Weidaufstiegen.
4) Die Viehzucht hat bereits eine hervorragende Rolle gespielt, und zwar
scheint damals nnd noch lange nachher die Pferdezucht im Vordergrund ges»tanden
zu haben, da die Pferde Helvetiens und Rhätiens ein gesuchtes Armeelieferungs-
und Ausfuhrobjekt waren, besonders für die römische Reiterei. In zweiter Linie
stand als gut verwertheter Produktionszweig die Schweinezucht, Schweinefleisch
und Speck Helvetiens und Rhätiens waren hoch geschätzt und bildeten schon
vor den Römern einen starken Handelsartikel nach Italien. Zur Zeit der Römer
erscheint dieses Fleisch in geräuchertem Zustande, nebst Spreu, Stroh und Heu^
alä Haupt liefern ngsartikel an die Legionen und Poststationen. Daß da auch
Frucht, besonders Gerste, als Futter gesucht war, dürfte nicht befremden. Maul-
thiere und Ochsen waren ebenfalls gesuchte Transportthiere. Vom sonstigen Rind-,
Schaf- nnd Ziegenvieh finden wir wenig Spezielles. Die Kühe waren von den
Römern gesucht wegen der Milch und die damals beträchtliche Ausfuhr von
K(ise nach Italien (schon vor den Römern) bewebt, daß
5) das Molkereiwesen bereits in BlUthe stand; wahrscheinlich waren die
Käse- nnd Ziegerformen sowie die Produktionsarten so ziemlich die gleichen,
wie wir sie heute noch auf den meisten Alpen finden. Der römische Kaiser Pius
soll sich am Schweizer „Alpenkäse** zu Tode gegessen haben, was daraufschließen
läßt, daß jenes Produkt damals bereits zu den Luxusspeisen des Auslandes gehörte.
6) Daß die selbst gemachte nnd gefärbte Wolle, wie noch heute auf den
Walliser, BUndner und Urner Bergen, zur Römerzeit ebenfalls zu Kleidern ver-
wendet wurde, wie die Ziegen- und Bockfelle, braucht kaum hervorgehoben zu
werden. Als Nebenzweig wurde durch die Römer besonders
7) der eigentliche Obst- und Weinbau betrieben. Schon die Helvetier
pflanzten Obst, Feldäpfel und Knorpelkirschen (weiße Glaskirschen) ; allein durch
die Kömer kamen edlere Sorten und vermuthlich auch die ^ Veredlungskunst *^
in's Land, wie sie Überhaupt viele neue Kulturpflanzen einführten. So rühmt
man, daß besonders durch die Soldaten Aurelius Probus' (276 — 282) namentlich
im Wallis der bessere Weinbau einheimisch gemacht worden sei (?). Vom süd-
lichen Hhatien dagegen soll schon Kaiser Augustus seinen Lieblingswein bezogen
haben, und zwar in hölzernen Fässern, mit Reifen gebunden, welch' letztere die
Römer nicht kannten.
8) Auch bessere (rräser und Futterpflanzen wurden eingeführt.
lO Kbenso wurde der (Temüaebau gehoben. Man kannte die veredelten
Rrttigt' und t*s wird als ein sehr gesuchtes Gemüse nördlich der Alpen besonders
Landwirthschaft — 231 — Landwirthschaft
die Zuckerwurzel (Geldub) bezeichnet, welche sich Kaiser Tiberius eigens für
seine Tafel vom Bhein herkommen ließ.
10) Auch das landwirthschafiliche Bauwesen wurde gefördert. Vor den
Römern bestand wohl des Landmanns Wohnung meist in einer mit Lehm, Rohr
und Erde umpflasterten Hütte oder in einem beweglichen Holzbau; die Römer
aber bauten, wohin sie kamen, solid, dauerhaft und, wo es immer anging, mit
Schönheit. Die Bauernhäuser, wie man solche in Rhätien (z. B. Pfunds) gefunden
hat, waren 4 — 6 Meter lang, ähnlich breit. Sie enthielten zwei und drei Ab-
theilungen, innerlich von Holzwänden getrennt.
Von 230 bis 450 rüttelten die von Nord und Ost heran wogenden germa-
nischen Volksstämme am römischen Reiche und besonders tobten die Kämpfe in
Helvetien zwischen den Römern und den Älemafinen, bis endlich die ganze
römische Herrlichkeit für immer zusammenbrach. Fast drei Jahrhunderte lang
hatte der Kampf hin und her gewogt. Unter solchen Umständen war an eine
heilsame Entwicklung der Land- und Volkswirthschaft selbstverständlich nicht zu
denken; doch dürften die Schilderungen von der Vemichtungswuth der Ale-
mannen, außer den Städten, einigermaßen übertrieben sein, da
1) ja längst schon, Jahrhunderte lang, im Osten bedeutende alemannische
Volksstämme unter römischer Herrschaft im Lande gelebt und sich Einzelne weit
gegen Westen als Ansiedler vorgewagt hatten;
2) die Alemannen lange, ehe sie Helvetien angriffen, nach ihren Gesetzen
einen sehr geordneten und anerkennenswerthen landwirthschaftlichen Betrieb
führten;
3) infolge ihrer nachbarlichen Erfahrungen einsichtsvoll genug gewesen sein
müssen, das Gute, das die Römer in^s Land gebracht hatten, nicht zu zerstören.
IL Die Landwirthschaft unter den Alemannen, Ostgothen,
Burgundern und Franken.
Die Alemannen freuten sich der Herrschaft nicht allzulange. Sie wurden
von den Franken besiegt, blieben jedoch auch in dieser Stellung tonangebend.
Der Äckerbau blieb äußerlich so ziemlich beim Alten, doch mit den Ale-
mannen ersohien der Spelz (Triticum spelta), unsere jetzige Hauptfrucht, und
wurde im Lande verbreitet.
Der Wiesenbau erlitt keine wesentlichen Aenderungen. Dagegen wurde der
Besitzstand wiederum menschlicher. Es gab wieder mehr freies Eigenthum
und freie Leute. Neue Rodungen aus Einöden und Wald wurden freies Eigen-
thum. Mit den alemannischen und fränkischen Elementen kam die
Drei'Zelgenwirthschafl (Winterfrucht, Sommerfrucht, Brache). Ein großer
Fortschiitt. Ordnung, Flurschutz. Die Grundstücke, auch Privatbesitz, wurden
gewissenhafter vermarchet, als unter den Römern, doch gab es weder Kataster,
noch Verschreibungen, sondern Marchsteinhaufen, Malsteine, Malbäume und Gehege
(Häge). Bei
Handänderuwjen zog man 24 Zeugen bei: 12 Erwachsene, 12 Kinder.
Letzteren versetzte man an den Marchsteinen Ohrfeigen — zum bessern Gedächt-
niß! Wir finden noch heute als Ueberbleibsel hier und dort Marchnmgänge,
z. B. in Baselland; „ Zeugen *" legte man später in Gestalt von Scherben oder
Ziegelstüoken unter die Marchsteine.
Auch die Einfriedigum/en, Häge, Zäune (Gehege), die das bebaute Land
von der Weide trennten, standen unter gesetzlichem Schutz. Aufgesteckte Stroh-
Landwirthschaft — 282 — Landwirthschaft
wische waren schon damals Zeichen des Yerhotes, Grundstücke oder Wege za
hetreten.
Während jedoch im Norden der Schweiz das Eigenthum eher yerhanerte,
annektirten es im Süden (Wallis) unter den Burgundern glückliche Soldatenföhrer,
setzten sich auf Burgen fest und vertheilten als Lehnherren oder kleine Dynasten
die Dörfer an ihre Leute. Daher dort die Centen und Centgrafen, die sich der
häuerlichen Entwicklung infolge unahlässiger gegenseitiger Bekriegungen unter
sich, mit der Geistlichkeit und mit auswärtigen Herrschern als ein großes
Hindemiß erwiesen.
Die Viehzucht änderte langsam. Die Pferdezucht behauptete ihren ersten
Bang fort. Schon kennt man die Eastrirkunst und hat man Wallachen. Auch
gibt es schützende Handelsgesetze gegen Blindheit, Bruch, Steifheit, Botz. Das
Rindvieh scheint im Allgemeinen immer noch klein und grau gewesen zu sein,
doch spricht man schon von weißen Stieren und Ochsen zu Fahrten der Großen
und der Priester. Die Rindviehzucht lief in dieser Periode der Schweinezucht
den Bang ab. Die Alemannen hatten für alles Vieh gesetzliche Preise, auch
Wehrgelder, sogar für's Geflügel. Der Schweinezucht wurde sehr viel Auf-
merksamkeit geechenkt. Diese Thiere hatten famose Eichelweiden und trugen
auch Schelleu, wie das übrige Vieh. Der Schellendiebstahl wurde hoch gebüßt.
Schafzucht immer noch sehr gering. Thiere klein (Moor- oder Haideschnucken,
im Büudner Oberlande noch zu finden). 80 Stück bildeten eine Heerde. Mit
ihnen wurden die Aecker fleißig gepfercht. Ziegenzucht noch kaum erwähnens-
werth. Maulthiere und Esel wenig. Erstere nur im Süden von Bedeutung.
Enten und Gänse treten als gemeines Geflügel auf, Schwäne, Elraniche, Pfauen,
Fasane, Tauben und zahme Rebhühner auf Herren- und Klosterhöfen. Das gemeine
Huhn erscheint nun auch von Italien her. Die Bienenzucht wird mehr und
mehr neben der wilden auch künstlich als Hausbienenzucht betrieben. Die wilde
in Wäldern wird verpachtet („Zeidelweid").
Hier muß nachgeholt werden, daß die Alemannen und Burgunder neben
dem alt-rhätischen und römischen Pflug ohne Räder einen Räderpflug mitbrachten,
der „(.arruce" hieß. Es war vermuthlich derselbe, den wir noch in den Walliser
Alpendörfern finden.
Einen größern Fortschritt machte in dieser Periode der Obst- und Weinbau.
Man kannte nun das Pfropfen schon ganz gut und es gab schon vielerlei gute
Apfel-, Birnen- und Kirschensorten ; aber auch die Schutzgesetze waren gut. Für
Obstbäume in Anlagen mußte Wehrgeld bis zu 40 Schilling das Stück gezahlt
werden. Ferner mußte der Schädiger andere Bäume setzen und eine jährliche
Entschädigung bezahlen, bis die Bäume nachgewachsen waren. Es gab große
Obstpflanzungen in Gtirten. Der Weinbau war bereits weithin, ja über seine
natürlichen Grenzen hinaus verbreitet.
Intere^ssant ist, die völlige Veränderung der ländlichen Bauten zu beob-
achten, da wo die Alemannen den römischen und burgundischen Greschmack
verdrängten. Ein alemannischer ^Hof** bestand aus einigen Wohnräumen, Scheuer,
Winterstall (für Pferde, Groß- und Kleinvieh) — Alles unter Einem hohen und
breiten, weit überhängenden, fast bis zur Erde reichenden Strohdache. Speicher
blockhausartig, darunter Keller, abgesondert. Bei herrschaftlichen Höfen kam
noch ein Herrschaftsgebäude (Burg, Steinhaus oder Schloß) dazu. Auch kamen
schon die „Lauben*" vor. Als Baumaterial, je nach Lage, galt Mauer, Ziegel,
Erde, Lehm, Wickel, Holz oder gemischt. Das Innere des Hauses war sehr
umfangreich, hoch und hohl, so daß man von der Küche bis zum Dache sehen
Landwirthschaft — 233 — Landwirthschaft
konnte. In diesem Räume fanden sich alle Gehälter und Kammern kastenartig
eingebaut, etwa wie man solche Häuser noch im Guggisberg sieht. So lange
die Glaafenster fehlten, wohnten im Winter die arbeitenden Frauen unterirdisch
^ wovon noch die Webekeller herstammen mögen).
Von hier an bis weit in's Mittelalter hinein formirten sich bestimmte Größen
der Höfe, nach denen sich in vielen Gegenden noch bis in unser Jahrhundert
herein die Bauern oder Grundbesitzer unterschieden und „fühlten**. Ein kleines
Banernffut nach damaligen Begriffen umfaßte 20 — 60 Tagwerk (7 — 21,6 Hekt-
aren), 1 oder 2 Pferde, 2 — 4 Zugochsen, 2 Ktlhe, 5 Schweine, 8 — 10 Schafe.
Ein Miiteiijfut bestand in 80—100 Tagwerk (29 — 36 Hektaren) und hatte
4 Pferde, 4 EHhe, 14 Schweine, 25—30 Schafe und Ziegen, 7 Bienenkörbe
oder -Stöcke. Große Höfe umschlossen 200—250 Tagwerk (72 — 90 Hektaren),
4 Pferde, 13 Zugochsen, 13 Kühe, 40 Schweine, 80 (eine Stammheerde) Schafe
und Ziegen. Diese Zusammensetzungen bekunden, daß man damals alles Vieh,
das man bedurfte, selbst aufzog. Nach der Größe des Besitzthums richteten sich
auch die Stände, £s gab niedere Freie, mittlere und erste Alemannen. Die
Großgrundbesitzer, die nicht zu jenen gehörten, bildeten die Edelinge, Die ob-
gedachten drei Abtheilungen hießen jedoch Barone, welches Wort damals wohl
nicht viel mehr ab „freier Bauer** heißen woUte. Dazu kamen natürlich die
Kolonen (Hörige und Fröhner) der Kirche.
Sehr streng wurden die Sonntarfsgesetze geübt. Arbeit am Sonntage wurde
hart bestraft, doppelt, wenn ein Freier Arbeiten eines Unfreien verrichtete. In
Mitte dieser Periode taucht nun auch das
Jahrmarkts wesen auf, welches bald ein Hauptbedürfniß der Bauern wurde.
Es wurde da anfänglich meist nur Produktentausch getrieben, Vieh aller Art
aufgeführt, getrocknetes und geräuchertes Fleisch, Häute, Felle, Wolle, Federn,
Flachs, Wachs, Honig, Waid, Krapp, roth und schwarz gefärbtes Garn, Weber-
disteln, Seife, Oel u. s. w. Interessant ist das hiernach eintretende Geldverhältniß
als Austauschmittel: 1 Schilling = 1 Kuhwerth.
Um das 7. bis 8. Jahrhundert soll in Churrhätien, wie J. C. Planta in
seiner Geschichte Alt-Rhätiens erzählt, der Getreide- und Ackerbau an den Berg-
halden auf eigens und mit großer Mühe angelegten Terrassen betrieben worden
sein. Wir halten dies für eine Täuschung, da wir solche Terrassen in allen
Theilen der Schweiz, oft weithin und an zum Anbau ganz unbrauchbaren Orten
trefifen. Diese Terrassen gehören jedenfalls der Urgeschichte und deren Ansiedlungs-
art an und mögen wohl hier und da, zur besagten Zeit, zu Acker- und Gartenbau
benutzt, aber nicht eigens dafür erbaut worden sein. Eine solche intensive
Kulturmethode wäre für jene Zeit zu viel verlangt gewesen.
In das Ende dieser Periode tritt Karl der Große ein, einer der seltenen
Staatsmänner der alten Welt, welche bei unendlich viel politischen Wirren und
Kriegshändeln die Land- und Volks wirthschaft nicht aus den Augen ließen.
Schreiben wir auch den Rathschlägen und Wirthschaftsanschlägen (Kapitularien)
an seine Verwaltungen nicht den durchschlagenden Werth zu wie Viele, da eben
das Meiste unausgeführt blieb, so gewähren uns seine Weisungen doch ein schönes
Bild vom fortgeschrittenen Zustande der Kultur um das Jahr 800, welchen Karl
der Große nicht geschatfen haben konnte, sondern bereits die Zeiten vor ihm,
auf welchen Errungenschaften er jedoch weise foiiizubauen entschlossen war.
Unter den Städten, welche den Landbau, besonders den Acker-, Garten-,
Obst- und Weinbau fördert^^n, traten zunächst Basel und Konstanz in den
Vordergrand.
Landwirthschaft — 234 — Landwirthschaft
Die Bebe wurde hauptsächlich durch die Elöster und die Greistliohkeit
verhreitet. In den Kellern dieser Institute wie in denen der kaiserlichen Mittel-
und Großgüter findet man nun auch den Most (Ohstwein). Bier und Essig spielen
die Eolie von landwirthschaftlichen technischen Produkten.
Im Jura wird wieder tapfer gemergelt, wie schon zur Zeit der Kelten.
Alle Wiesen werden gemeinsam bis zum 1. Mai beweidet. Als genauere Flächen-
maße sind eingeführt: Tagwerk und Joch (im Mittel etwa 40,000 Quadratfuß
= 36 Aren) ; als Hohlmaße : Malter, Modien, Textarien ; für bluttes Gretreide :
„ Körbe ** ; für Spelz und Spreu sowie für Flüssigkeiten : Sichel und Sexterien.
Längenmaße waren das Klafter a 6 Schuh oder Schritte (ä 5 Schuh) und die Elle.
Auch die ersten Anfänge künstlicher Fischzucht erscheinen und zwar in
Grestalt von wohlgeordneten Teichfischereien, welche besonders durch die Fasten-
mandate gefördert wurden. Sie bildeten eine sehr erfreuliche Nährquelle für die
Landleute.
Der Gemüsebau hatte sich ausgedehnt auf Gurken, Kürbis, Spinat, Kohl-
rüben, Meerrettig, Petersilie, Schnittlauch, Winterlauch, Pore, Schalotten, maurische
Erbsen, Knoblauch, Veits- und Saubohnen.
Als Handelspflanzen baute man Kresse, zweierlei Senf, Anis, Dill, Fenchel»
Coriander, Kerbel, Kümmel (Schwarz-, Feld- und Kreutzkümmel), Mohn und
Reps. Auch schmückten bereits herrliche Blumen (Rosen und Lilien) die Zier-
gärtchen.
Und zu allem Dem kam auf größeren Gütern und in Klöstern als eine der
wichtigsten Errungenschaften die landwirthschaftliche Buchhaltung,
Doch sei auch nicht verhehlt: 1) daß die großen Gutsbesitzer die kleinen
abermals nach Möglichkeit zu unterdrücken begannen, indem sie aus Freien
Kolonen und Hörige machten; 2) daß Wildgärten (Thiergärten) zum Wildschute
angelegt wurden, anfänglich nur zum Vergnügen der Großen und zum Schutz
des Bauers, später aber, um die Jagdgerechtsame dem Kleinbauer zu entreißen,
wodurch er gar bald allen übermäßigen Wild- und Jagdschäden schutzlos preis-
gegeben war; 3) daß Karl der Große der Kirche von den meisten landwirth-
schaftlichen Produkten den Zehnten, erdrückenden Angedenkens, entrichtete. Was
dieser als Landwirthschafts-Reformator so viel gerühmte Mann auf einer Seite
unserem Gewerbe spendete, hat er ihm durch den Zehnten doppelt wieder ge-
nommen. Die Folgen zeigten sich bald.
III. Die Landwirthschaft vom 8. bis zum 14. Jahrhundert.
Um 840 ereignet sich der erste Bauernkrieg gegen Fürsten und Adel, an
welchem viele elsäßische und schweizerische Bauern Antheil nahmen. Er wurde
von Ludwig dem Deutschen blutig niedergeschlagen. Das Loos der kleinen Freien
wurde von dort an wiederum ein hartes. Der Hörigen und Leibeigenen wurden
es von Jahrhundert zu Jahrhundert immer mehr, da sich Fürst und Adel das
Wort gaben, alle unter dem Schutze des deutschen Reiches stehenden freien
Bauernstaaten bei günstiger Gelegenheit zu vernichten. Wie sie ihr Wort ein-
lösten, namentlich wenn ein schwacher oder willfahrender Kaiser am Ruder war,
beweisen ihre von vornehmen Burgen aus unternommenen Raubzüge auf Land
und Städte. Wenn auch unter Heinrich I. (dem Finkler), der aus vielen Dörfern
Städte machte und sie mit Mauern umgürtete, eine kurze und erfreulichere
Zwischenpause eintrat, so brachten anderseits die beständigen Kämpfe zwischen
dem deutschen Kaiser und Italien den Schweizer Bauern neuen Schaden. Sie
Landwirthscbalt — 235 — Landwiilhscbaft
lernten „mitmachen'* und verwildern. In Chnrrhätien wurde die romanische
Bevölkerung mehr and mehr in die Hochberge zurückgedrängt. Ihr Land fiel
deutschen Vasallen anheim.
Eine der erhabensten und unsterblichäten Erhebungen der Schweizer Bauern,
Bozosagen der erfolg- und glorreichste Bauernkrieg, den die Geschichte kennt,
fällt in das Ende des 13. und in den Anfang des 14. Jahrhunderts. Er endete
bekanntlich mit dem Sturze des übermüthigen, raubslichtigen Adels und mit der
Be*fründun(j der schweizerischen Eepublik. Die glorreichen Ereignisse sind
sattsam bekannt; auf die landwirthschattlichen Zustände werfen sie nur wenig
Licht, immerhin jedoch so viel, daß wir einige interessante Thatsachen daraas
EU schöpfen im Stande sind, nämlich:
1) Daß es allerdings auch in der Urschweiz unfreie und hörige Bauern
gab, welche Herren und Klöstern zu eigen waren, aber doch das Recht des
Waffentragens und Berathens in öffentlicher Versammlung besaßen.
2) Daß die vier Waldstätte nicht nur Alpwirthschaft trieben und Wild-
heuet, sondern auch Ackerhau, wie ja auch zu jener Zeit nöthig und in den
Hochgebirgen von GraubUnden und Wallis heute noch. (Der Pflug im Melchthal,
Aufdndongen von Pflugscharen aus Eisen.)
3) Daß aber auch ein lebhafter Produktenhandel in den Städten Bern,.
Zürich, Basel, Luzem, Zug und der alten Sust (Markthauses) am Meggenhorn
(See-Insel) stattgefunden hat. So hatte Ende des 13. Jahrhunderts die Stadt
Zürich bereits ihren ^Weiberroarkt'* und erging um diese Zeit ein Rathsbeschluß,
«daß man Niemanden auf der Brücke, bei einem Schilling Buße, mit Waaren
stehen lassen solle, als die „UßlütC, welche Hühner, Eier und Milch feil haben",
und 1331 : »daß die Verkäufer von Kräutern und Rüben (Gemüse) unter den
„Tillenen'* sein und jechlicher dieser „Kruter*" (Gemüsehändler, Grempler) nicht
mehr als drei Zeinen (Körbe) vor sich haben solle''.
Daß sich nach dem Befreiungskampfe die Alpwirthschaft wie der Landbau
nur um so kräftiger gehoben haben werden, steht wohl außer Zweifel.
Einen mächtigen Einfluß übten schon frühe in dieser Periode die Klöster,
Stifte und Bischöfe aus, welche sich eine Unzahl von Leibeigenen unterjochten.
Hieher gehören Romainmotier (Waadt), St. Moritz im Wallis, Dissentis, Pföffers,
St. Gallen, Stift Schännis, Murbach, Säckingen (Herrin von Glarus), Einsiedeln,
Engelberg, Frauenmünst«r Zürich, Muri, Wettingen, die Bischöfe von Chur,
Basel etc. Kulturhistorisch sehr interessant ist die etwa in die zweite Hälfte des
13. Jahrhunderte fallende, erste große Bachkorrektionsuntemehmung und Kana-
liiirung: die Ableitung der Lüischine nach dem Brienzer See, unternommen
vom Kloster Interlaken.
In diese Periode fällt auch der Beginn der Kreugzilf/e, welche trotz ihrer
Nachtheile dem gedrückten Bauer beträchtliche Hülfe brachten, z. B. : 1) Viel
Verkehr, Verdienst (Durchzüge). 2) Befreiunf/ der Leibeigenen und Hörigen.
Jeder Kreuzträger ward einem Ritter gleich. 3) Hab' und Grat des Bauers stand
unter dem Schatz der Kirche. 4) Der Kreuzträger war zinsenfrei. 5) Derselbe
durfte Alles verkaufen, ohne Einsprache. 6) Die Ritter- und Landfehden mußten
eingestellt werden. 7) Die Großgrundbesitzer und Klöster waren genöthigt, in
allen Dingen sehr nachgiebig zu sein, um Arbeiter zu behalten. 8) Das bauern-
frenndliohe Element bekam die Oberhand. Städte und Klöster erwarben eine
ünmaflse Bauerngüter. 9) Viel Raubgesindel zo^ mit fort, weil mehr Beute
winkte. 10) Viele zurückkehrende Kreuzträger brachten nützliche Kenntnisse
nach Hause. 11) Das Feudalsystem erlitt den ersten and mächtigsten Stoß.
Landwirthschafl — 236 — Landwirthschaft
Freilich trat auch der große Nachtbeil ein, daß sich während der Kreus-
Züge das eigentliche handwerksmäßige Ritterwesen heraosbildete ; es war der
Militarismus jener Zeit, der alle Arbeit, Handel und Gewerbe verachtete, stete
nur auf Krieg bedacht war und die ihm gefährlichen Städte su vernichten drohte,
was sich weit in die nächste Periode hinein geltend machte. So dauerte denn,
trotz den einzelnen Sonnenstrahlen, welche hie und da durch das Gewölke der
Bauern- Unterdrückung und -Verdummung hereinbrachen, der flotte Handel und
die mit allen Mitteln der List und Gewalt herbeigeführte « Machung ** mit und
von Leibeigenen fort. Fürsten, Herren und Kirche theilten sich brüderlich darein,
noch lange und in allen Theilen der jetzigen Schweiz.
Daß zu jener Zeit oft in ganzen Dörfern nur noch Ein, manchmal gar
kein Freier sich mehr vorfand, möge hier ein interessantes Beispiel beweisen.
„Im 13. Jahrhundert *" — so erzählt Meier von Knonau in der Beschreibung
des Kantons Zürich — „ritt ein österreichischer Herzog von Rapperswü gen
Winterthur. In Hegnau sah er einen stattlichen Mann den Pflug führen, ein
anmuthiger Jüngling leitete das schmucke Gespann. Erstaunt sagte der Herzog
zu seinem Hofmeister: „Noch nie sah ich auf solche Weise das Feld bestellen!*',
worauf ihm dieser erwiederte: „Herr, es ist der Freie von Hegnau, der Junge
sein Sohn, die Ihr beide morgen in Winterthur Euch werdet aufwarten sehen*.
Wirklich kamen die Pflüger am folgenden Morgen mit noch mehreren Edlen auf
ritterlich ausgerüsteten Pferden an das Hof Inger des Herzogs, um ihm ihre Ehr-
furcht zu bezeugen.**
Nur in den Städten gab es am Schlüsse des 13. Jahrhunderts keine leib-
eigenen oder hörigen Handwerker mehr.
Beim Ackerbau herrschte nun vollkommen das Dreifeldersystem (ausgenommen
im südlichen Alpgebietej, d. h. Winterzeige mit Düngung, Sommerzeige und reine
Brache, wie sie sich bis in unsere Zeit in einigen Bezirken der Nordschweiz
erhalten hat. Es wurde nun schon regelmäßig gedüngt und von den Klöstern
wurden Vorschriften ertheilt, wie gedüngt werden solle. Auch wurde der Dünger
gelagert (man ließ ihn wie heute noch auf der Düngstätte zum großen Theil
„verfaulen"). Sehr sorgfältig war man im Unterbringen.
Als eine bisher nicht erwähnte Neuerung linden wir das Verfertigen von
Strohbändern (im Winter, neben dem Holzen und Dreschen). Der Bogrfenbau
hatte sich ausgebreitet.
Die Grundstücke wurden bereits sorgfältig „vermarchet** und gar mit March-
zeichen versehen; neben diesen erscheint auch die Haagmutter (Hauptwurzelstöcke
der lebenden Grenzhäge). Strenge Gesetze ahndeten die Verletzung der Märchen.
Die Wälder wurden im 12. und 13. Jahrhundert stark gerodet, um land-
und alpwirthschat'tliches Nutzland zu gewinnen. Von da stammen die vielen Rüti
und Rütinen und die Namen Rüter, Rüti, Rudi, Rü und Rodiger, Roder, Roderer,
Röder etc. Die Waldprodukte stiegen stark im Preise. Man verkaufte Bau- und
Klafterholz, Pfähle, Stangen, Schindeln, Brennspähne, Harz, Kien etc. Der Holz-
frevel wird durch körperliche Züchtigung (Peitsche, Staupe) geahndet.
Setzen wir zum Wald gleich die Jagd, Sie war ein ausschließliches Vor-
recht der Fürsten, Herren, Klöster und Städte, und weil sie mit unmäßiger
Leidenschaft getrieben wurde (bis in unser Jahrhundert hinein), schädigte sie die
Bauern, denen jede Selbsthüife bei schweren Strafen untersagt war, namenlos.
Die Jagdberechtigten ließen das Gewild massenhaft aufkommen. Nur die Bären-,
Wolfs- und Schweinejagd war frei. Hirsche, Rehe und Reiher bildeten die „hohe
)
LandwirthscbaA — 237 — Landwirtbscbaft
Jagd". Sie wurde mittels Hnndebatz, Falkenbeiz, Armbrust und Speer betriebeu.
Die Steinbock- und Gemsjagdzeit war sebr kurz. Zur ^niedern Jagd**, welobe
gegen Hasen, Fücbse, Biber, Fischottern, WildgedUgel etc. gerichtet war, durften
nur Game, Netze, Schlingen und Fallen verwendet werden. Der Jagdfrevel
wurde mit G^ld bestraft (60 Schillinge).
Der Wiesenbau blieb beim Alten. Im Wallis werden, geschichtlich nach-
weisbar, neue Wasserfuhren (Kanäle) errichtet, um die trockenen Ländereien
mehr und mehr fruchtbar zu machen (1292, Clavoz),
Die Alpwirthschaft wird hier und da bereits mit Verständniß hervorgehoben.
Man bereitete schon große Fettkäse für den Handel, femer, besonders auf
Klosteralpen, Butter, Zieger und Magerkäse. Die Alpen wurden herrschaftlich
nnd genossenschaftlich betrieben, aber auch schon einem Senn vermiethet, der
für die Kuh oder Milchmaaß einen Zins bezahlte, der durch mehrmaliges Milch-
messen bestimmt wurde, wie ja heutzutage noch auf Gemeinde- oder Genossen-
schaftsalpen der „Nutzen''. Bezahlt wurde der Zins durch Käse, also in Natura.
Der Schluß der Alpzeit hieß „ Kuhscheide **.
Sehr kostbare Geschirre jener Zeit waren die kupfernen KäsekesseL Viele
vermochten solche nicht, dagegen konnte man sie leihweise haben, namentlich in
Klöstern. Das Kloster Muri bezog für einen solchen Kessel im Sommer acht
Käse. Wie schwer diese Käse waren, ist nicht gesagt.
Ob bereits Privatalpen vorkamen, vernimmt man nicht, wohl aber, daß
noch an vielen Orten die Alpen einem ganzen großen Bezirk gehörten und wer
sie nutzen wollte, sich droben Haus und Stall bauen mußte, um im Sommer
dahin überzusiedeln, wie es noch heute im Kanton Uri der Fall ist, während es
in den Kantonen Graubünden und Wallis ganze Alpdörfer gab und gibt, die
im Herbst wieder verlassen oder im Sommer öfter be- und entsiedelt wurden
und werden.
Der Viehzucht wurde fortdauernd große, einzelnen Zweigen derselben sogar
eine größere Aufmerksamkeit geschenkt als früher. Große Sorgfalt wendete man
der Pferdezucht zu; man sorgte für gute Weiden und gute Ställe. Ein Bauern-
pferd war 8 — 12 Schilling geschätzt, ein Ritterpferd zu 20 — 30 Schilling. Alle
Pferde wurden auf die Weide getrieben ; besonders interessant ist, daß die Klöster
für ihre Pferde bereits einen wohlgeordneten Weidewechsel nach Tagen und
Wochen eingeführt hatten. 12 Stuten bildeten ein Koppel.
Wie in älterer Zeit die Schweinezucht, so nahm nun die Rindviekaucht
den zweiten Kang ein. Veranlassung dazu gaben die sich mehr und mehr ver-
größernden Städte, die besonders die Produkte der Rindviehzucht verlangten,
namentlich Milch, Käse (Handel), Fleisch und Leder. Die Preise der Kühe waren
am 500 — 600 ^o höher als fünf Jahrhunderte zuvor. Ein Zugochse galt 10 Silber-
schilling. (Der Silberschilling war 12 Denaren k 1,53 Gramm Silber, der Silber-
werth des Schillings Fr. 4. 12. Dagegen hat sich seit jener Zeit der Geldwerth
etwa um das Achtfache vermindert.)
Zur Winterung einer Kuh rechnete man damals ein starkes Fuder Heu.
Das gab schmale Kost und kleines Vieh, auch wenn man nur 20 Pfund per
Tag und Kuh annimmt und das Fuder zu 20 Zentner. In den Alpthälern
rechnete man, wie vielenorts heute noch, nach „Burdenen'' oder „ Traglasten**
(Martini bis Ostern), wie man ja in den Bergen meist auch den Ertrag der
Wiesen nach Burdenen oder Heutüchern ä 50 — 60 kg berechnet.
Trotz der Fortschritte in der Rindviehzucht ging die Schweinezucht nicht
Borfick. Sie kam, wie jene, in ein bestimmtes Verhältniß zur Alpwirthschaft^
Landwirthschatl — 23^ — Landwirthschaft
indem man auf den Alpen die Thiere mit Molken und Alpenkräutem mästete;
in Thal und Berg fanden sie übrigens die vollkommenste Nahrang in den Buchen -
und Eichenwäldern, welch' letztere dazumal noch nicht nach Holzertrag geschätzt
wurden, sondern nach „Sauweid*". Ein jähriges Zuchtschwein kostete 3 — 4
Schillinge, ein trächtiges 5, ein Eber dito. Mastschweine schätzte man. Zur
Winterhaltung mußte man im Herbste Eicheln sammeln. In guten Eicheljahren
hatte der Bauer seinen ^Herrschaften** „Eichelmast*" zu liefern oder eifrigst für
seinen eigenen Bedarf einzuheimsen.
Das Schaf lieferte Sommerfleisch und Wolle, Bereits hielt man schon viel
auf gute Schafwollwäscherei und Schafschur. Ein fetter verschnittener Schafbock
galt 8 — 12 Pfennige. Auch die Bauern hielten schon gemeinsam Hirten. Als
die Holzpreise zu steigen begannen, verbot man bereits hie und da Schaf- und
Ziegen weide im Walde.
Die Ziegenheerden traten nun vielfach getrennt von den Schafen auf und
erhielten, ja hatten bereits hinsichtlich der Weide ziemliche Vorrechte als Milch-
thiere der Kleinbegüterten und Tauner. Die Ziegenbesitzer mußten jedoch eigene
Hirten (Creiser) halten. Nur wo ungeordneter, allgemeiner Weidgang war, liefen
die Ziegen frei wie das übrige Vieh, was sich in einzelnen Alpen thä lern bis in
unsere Tage erhalten hat. Die Felle und Häute der Ziegen, Gitzi und BScke
wurden mehr und mehr gesucht und zu Kleidungsstücken verwendet, so gut wie
das Schaffell.
Die Geflügelzucht war beim Alten geblieben. Ein erschlagenes Huhn mußte
mit 1 Pfennig bezahlt werden, eine Gans mit 2 — 3 Pfennigen. Ein Mandel
Eier (15 Stück) kostete 1 Pfennig.
Die Bienenzucht blieb stabil. „Zeidel weiden" für Wildhoniggewinnung in
den Wäldern gab es noch lange. Ein Pfund Wachs, das hauptsächlich zu Kirchen-
kerzen verwendet wurde, kostete 1 Schilling. Eben so viel galt eine Emine
(Emine = Immi, altes Fruchtmaß in der Schweiz, namentlich Waadt und Neuen-
burg, Bern, Solothurn etc.) Honig. Man bereitete viel Meth und Klaret daraus.
Letzteres war ein beliebtes Feiertagsgetränk in Klöstern und ein Heiltrank für
Kranke. Auch Brombeeren verwendete man dazu.
Betreffend Fischzucht ist zu erwähnen, daß sich namentlich die Teich-
fischerei mehr und mehr ausdehnte. Schädigung derselben wurde sehr hart bestraft.
Angelfischerei blieb frei für Jedermann.
Einen wesentlichen Aufschwung nahmen femer: 1) Der Gartenbau^ 2) der
ObstbaUy 3) der Weinbau,
Der Garten- und der Gtirtenobstbau, inkl. der „Bünden" („Gärten"), auf
denen Feldgemüse, Hanf, Flachs etc. produzirt wurde, war namentlich in den
Klöstern mächtig gefördert worden. Als Gemüse wachsen in Hülle und Fülle
die Krautarten (Kabbis oder Käppis) in besonderen „Kraut^rten", und schon
finden wir den veredelten Spargel. Als Gtirtenhandelspflanzen finden sich Hanf
und Hopfen. Der Blumengarten prangt in lieblichem Schmuck; außer den Kosen
und Lilien zieren ihn bereits „Tausendschönchen" (Bellis), „Stiefmütterchen*,
„Hyazinthen", „Crokus", „Schneeglöckchen", „Primeln", „Aurikeln**, „Nelken";
prächtige Kinder des Frühlings, welche uns seitdem herzig treu geblieben sind,
trotz allem Wechsel der Zeiten. Gegen Garten- und Obstfrevel bestanden sehr
harte Strafen : Schandpfahl, Handabhacken, Landesverweisung, ja sogar Todes-
strafe und erlaubte Lynchjustiz.
Der Weinbau hat noch mehr Ausdehnung erhalten, und zwar nach Gegenden,
die man jetzt längst nicht mehr für tauglich hält. Als neu und mit „großer
Landwirthschaft — 239 — Landwirthschaft
Zukunft** und ^ ausgedehnter Wirksamkeit *" an der Wiege tritt die Pinte in's
Dasein (der Weinschaiik).
Seit Karls des Großen Zeit belegte man die Bauern immer mehr mit
Zehnten aller Art, die sich hielten bis in's 19. Jahrhundert herein, — darunter
sehr merkwürdige und harte. Getreide-, Obst-, Heu-, Rüben-, Werk-, Jungi-,
Leyenzehnten etc.
■
lY. Die Landwirthschaft vom 14. bis zum 19. Jahrhundert.
Der Äckerbau blieb sich noch lange gleich; immerhin verbesserte sich der
Pflug, der sich erst um Mitte des 15. Jahrhunderts zu einem Kehr- oder Wende-
pflug, dem nftlten Aargauer**, umgestaltete, damals ein wesentlicher Fortschritt
Im Norden finden wir den einseitigen, sehr guten Elsäßerpflug, im Süden (Wallis,
Graubünden) den alt-rhätischen Pflug, auch einen primitiven Bäderpflug und statt
der Egge den Saatpflug, an dessen lange Deichsel die Thiere durch Joch oder
auch mittelst Tragsattel (Bast) gespannt wurden, im Norden die dreieckige hölzerne
Egge, in der übrigen Schweiz eine hölzerne Trapezegge, im Engadin dito mit
beweglichen hölzernen Zinken. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hielt das
Dreizeigsystem strenge Ordnung und die Allgemeinweid (AUmeind, Allmend) war
Greeetz.
Hier ließe sich nun viel sagen über mancherlei neue Kulturpflanzen, welche
im Laufe dieser langen Zeit auf- und abtraten, besonders seit den EreuzzUgen
und der Entdeckung Amerikas; allein an uns kann es nur sein, eine kurze
üebersicht über das sich Bewährende zu geben. Zu den Getreidearten kam
Winter- und Sommergerste, Haber, Emmer oder Einkorn, die Wicke, Erbse,
Bohne (Garten- und Feldbohne), Linse, Buchweizen, Hirse, als neue Handeb-
pflanze der Tabak, als Knollen- und Wurzelgewächse verschiedene Rübenarten,
die Kartoffel, Tompinambur (Erdbime), als Futterpflanzen neue Gräser, Kleearten,
Luzerne, Esparsette, Spargel, hie und da auch Lupine.
Wir können nicht umhin, über einige für uns hochwichtig gewordene Er-
zeugnisse folgende interessante Notizen beizufügen :
Der Tabak kam um 1560 ab Gartenpflanze in die Schweiz. Als Handels-
pflanze faßte er erst zu Anfang dieses Jahrhunderts Boden im Kanton Tessin.
Auch die Tompinambur mag um jene Zeit in den Gärten erschienen sein.
Sie hsid wenig Verbreitung.
Die Kartoffel, welche eine förmliche Umwälzung unseres Feldbaues und in
der Yolksemährung hervorbrachte, tritt ebenfalls zuerst nur als Gtirtenzierpflanze
auf und wird das erste Mal erwähnt von Kaspar Bauhin, Botaniker in Basel
(1590).
Hinsichtlich des Feldfutterbaues meinen die Meisten, „das sei etwas ganz
Neues*, weil sie früher nichts davon gewußt; allein bereits durch die Kreuzzüge
kamen italienische Gräser in's Land und der Kleebau nach einheimischen Klee-
artensamen wurde wohl, wenn auch nur in engeren Kreisen, lange vor Schubert
von Kleefeld geübt; so war besonders die Esparsette schon zu Ende des 17. Jahr-
hunderts bei uns. Bereits 1718 schreibt der „Oesterreichische Haushalter" darüber:
^. . . . und wird die Vortrefflichkeit dieser Pflanze die ganze Schweiz, besonders
die Stadt Bern, attestiren, wo dieser Saame am besten zu bekommen."
Die erste Hagelversfcheru?H/Sf/esellschafi in der Schweiz, vielleicht in der
ganzen Welt, taucht 1484 auf. Die Ertinderin ist die Gemeinde Affoltem im
Emmenthal (der Name deutet gleichzeitig auf sehr alten Obstbau [Apfelbaum]).
Diese Gemeinde verpflichtete sich und setzte es bis 1784 durch, ihrem jeweiligen.
Landwirthscbaft — 240 — Landwirthschatt
Pfarrer mit Familie and Hausgesinde „so viel Frucht, Pflanzgewächs und Zubehör
zu liefern, als er bedarf, wenn er verhagelt werden sollte''. (Damals hatten die
Greistlichen bekanntlich Pfrundgüter.) Im letzten Jahrhundert mußte er denn
auch 10 Thaler „Hauszins** zahlen. Der Pfarrer von Affoltem i. E. war also
der erste gegen Hagelschlag Versicherte und die Gemeinde die erste inländische
y ersicheru ngsgesellschaft .
Nachdem man Gerste und Hopfen zu würdigen gelernt hatte, erschien in
ihrem Gefolge, zuerst als technisch-landwirthschaftliches Gewerbe, die Bierbrauerei.
Wo sie zuerst aufkam in der Schweiz, weiß man nicht. Um 1650 dagegen zitirte
man das „1^6^** bereits in den Alpenkantonen (Obwalden) in den Staatsprotokollen.
1629 lernte ein Nidwaldner schon „ßier sieden** und versenden. 1681 tranken
es bereits die „gnädigen Herren und Oberen *" so gerne, daß man es nicht mehr
einschätzen und verohmgelden durfte.
Hier dürfte es wohl auch am Platze sein, das Auge auf ein anderes für
den landwirthschaftlichen Betrieb sehr wichtiges technbches Gewerbe zu richten :
auf die so viel umstrittene Branntweinbrennerei, Der Branntwein ist eine Er-
findung der Indier, Chinesen und Araber aus dem 9. Jahrhundert. Nach der
Schweiz kam er erst Ende des 14. Jahrhunderts aus Italien als Kosmaringeist,
und zwar in erster Linie als Arznei- und Lebensverlängerungsmittel, bereitet aus
Wein und Weinhefe. Anfangs des 15. Jahrhunderts machte man jedoch schon
„gebrannten Wein** aus mehligen Stoffen und Bierhefe. G^r bald wurden seine
Nachtheile in Folge unmäßigen Gebrauches bekannt und von diesem Jahrhundert
an bis in unsere Zeit erschienen „Pranntwein-Ordnungen*' wie Sand am Meer.
Erst im 19. Jahrhundert machte man, gewerblich, Schnaps aus Kartoffeln. (Der
Eartoffelschnaps soll um 1760 erfunden worden sein.) Als Genußmittel ver-
wendeten den Branntwein im Mittelalter zuerst die Bergbauarbeiter. Das Kriesi-
Wasser tauchte um 1600 auf und wurde ebenfalls und oft vergeblich verboten.
Um 1550 hatte sich der Most in den inneren Kantonen bereits sehr verbreitet.
Um 1590 wird er z. B. in Obwalden schon amtlich erwähnt und dessen Aus-
schank geordnet. Hieß damals auch „Butzsch''.
Landvermessuwfen und Kataster blieben die ganze Periode hindurch zurück.
Wohl sieht man hie und da Gemeinde- oder ELlosterpläne im 17. und 18. Jahr-
hundert; allein sie sind ungenau, oft nach Schritten, So sahen wir z. B. einen
recht schönen Plan der „Stadt Erlach ** aus dem Jahre 1718 (ausgeführt von
einem Ingenieur Rüdiger) und andere.
Auch die Alpwirthschafl beginnt in den Vordergrund zu treten. Das erste
bezügliche Dokument darüber war der Alpbrief der „Krauchthaler** im Kanton
Glarns (1458). Von dort an erschienen 1530 bis 1800 verschiedene treffliche
Erlasse, wie hier, so in den Kantonen Appenzell, Bern, Freiburg, Graubünden,
Obwalden, Nidwaiden, Schwyz, Uri, Waadt und Wallis. Im 15. Jahrhundert
und später erschienen auch schon ^ Waldschutzmandate *" aller Art. Mitte des
15. Jahrhunderts macht sich der pEmmenthalerkäse*" bemerkbar.
Dem Natur futterbau auf Trocken- und Bewässerungswiesen wurde eine
erfreuliche Aufmerksamkeit geschenkt von Seiten der Regierungen, welche damals
einen sehr richtigen Begriff hatten vom Fundamente des Landbaues, nämlich von
größter und aasgedehntester Futtererzeugung mit wohlfeilster und einfachster
Düngerbeschaffung, dem Wasser, Sie erachteten aber dazu nicht, wie unsere
Zeit, das Abwarten des Gencheidtwerdens der bäuerlichen Interessenten füi' ge-
nügend, sondern sie regten selbst kräftig an und scheuten sogar den Zwang nicht,
um große volkswirthschaftliche Ziele zu erreichen. So entstanden im 15. bis in's
Landwirthschaft — 241 — Landwirthschaft
18. Jahrhandert in allen wasserreichen Thälem der Schweiz weitaasgedehnte
Bewässerungskanäle mit wohlgeordnetem Genossenschaftsbetrieb, der von ohen
vorgeschriehen und gesetzlich festgestellt wurde. Auch Wallis legte viele neue
Wasserfahren (Snonen) während dieser Periode an, trotz der dortigen steten
Bttrgerkämpfe.
1703 die damals ganz hedeutende Elanderkorrektiou nach dem Thuner See.
1796 beginnt Escher von der Linth die Yorarheiten zur Linthkorrektion.
Dies waren fiir die Schweiz Zeiten großer wirthschaftlicher Errungenschaften.
Leider wurden sie im 19. Jahrhundert vielfach wieder aufgegeben in Folge
irriger und vergessener Begrifie vom Nutzen des Wassers. Radrechte und
Industrie leiteten solches sodann auf „ihre MUhlen*", zu Ungunsten der Land-
wirthschaft.
Beihen wir an dies noch nachträglich die Viehsucht an, so hemerken wir,
daß noch lange die Pferdezucht ohenan stand, wohl bis fast in die Mitte des
18. Jahrhunderts. Der Pferdezucht half, wie wir bereits oben angedeutet haben,
schon die aufdämmernde Wissenschaft, namentlich in den Klütern, wesentlich
nach. Es hatten sich fünf Hauptschlätje oder Rassen herausgebildet, die in und
außer Landes sehr gesucht waren und erst im 19. Jahrhundert den auswärtigen
Züchtungsfortschritten, mehr noch aber dem Einflüsse der steigenden Molkerei-
Produktion im Inlande, wichen. Sehr gerilhmt wurde 1) das kleine, aber äußerst
dauerhafte Bündner Pferd, dessen Reste man noch in Lugnetz findet; 2) der
schlanke und helle Einsiedler ; 3) diesem ebenbürtig die Erlenbacher Rappen ;
4) das etwas schwere Bauernpferd Freiburr/s und des Westens; 5) das seiner
2ieit berühmte Jurapferd der Freiberge, breit, gedrungen, derbknochig.
Wallis und ein kleiner Theil BUndens bedienten sich, ihrer Lage angemessen,
des Maalthiers, größtentheils aus Savoyen eingeführt.
Große Fortschritte machte die Rindoiehzucht. Wenn wir deren Geschichte
flberblickeu, die eine gediegene Separatbearbeitnug verdiente, so können wir nichts
anderes sagen, als daß die Bevölkerung mit derselben gleichsam zusammenwuchs
und die verschiedensten Gegenden mit einer bewunderungswürdigen Sorgfalt und
Anhänglichkeit ihre Rassen und Schläge heranbildeten. Welche Umwandlung seit
den ersten beiden Spuren von Rindvieh zur Pfahlbautenzeit !
Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts begann mit dem steigenden Bedürfniß
iler umliegenden Länder nach besserem Milchvieh die Ausfuhr, nach Norden und
Westen.
Um den Gotthardstock herum gediehen namentlich die kleinen Schläge (I) von
Tessin, Uri, Graubünden, Hasle, Wallis, mit ihren Unterabtheilungen und dem
dortigen, eigengearteten Ehringerstamm. An diese schlössen sich die Mittelrassen
(II) von Schwyz, Glarus, Toggenburg (St. Gallen), Uuterwalden, Zug und Luzern,
von denen sich später wegen ihrer Rassenmerkmale besonders die Schwyzer
sonderten und die Thalthiere Luzems und Zugs wegen ihrer Größe. 1 und II
repräsentirten die braunen und <franen Schlätje oder Rassen, Im Engadin wohl
auch weiß und gelblich gefärbt (III). Land- und Mischvieh pruduzirten die
äußeren Kantone Zürich, Schatfhausen, Thurgau, Aargau, Baselland und ein Theil
von Solothnrn (IV). Der Jura bot ein ähnliches Bild ; allein sein eigentlicher
Stamm blieb konstant weiß und roth f/eflerkt (V), mittelstark (Freiberger). An
die Gotthard-, Hasle- und Wallis-Braunen schlössen sich an, vermittelt (VI) durch
das kleine Brienzer Vieh, der größere Schlag (VII) der Frutifier und (VIII) die
noch weit mehr entwickelte Rasse des Simmenthaies, beide bis Anfangs dieses
Jahrhnnderta roth und weiß gefleckt und stattlich gebaut. Die riesigen S<!^voaY£-
Famtr, VolkawirthsohftftS'Lexikdn d«>r Schweiz. \1^
Landwirthschaft — 242 — Landwirthschaft
Schecken (IX) des Greyerz- oder Molesongebietes (Freiburger und Waadtländer
Alpeu) ächlossen den so eigengearteten Ring unseres unbestritten prachtvollen
und äußerst müchreiclien Rindviehstandes.
An die Rindviehzucht schloß sich hinsichtlich der Entwicklung die Schweine-
zucht an. Sie erhielt sich bis herein in das 19. Jahrhundert, in welchem durch
vielfach irrig geleitete Kreuzungen mit ausländischen Rassen Manches verdorben
wurde, vor Allem der ehedem so gute Ruf unserer einheimischen Rassen.
Für unsem Bedarf sowohl wie für die Ausfuhr haben unsere einheimischen
Rassen bis zum Schlüsse des 18. Jahrhunderts Rühmliches geleistet. Ihr Fleisch
war sehr gesucht.
Fangen wir wieder beim Gotthardstock an, so bot und bietet Graubünden,
neben 1) seinem schwareeiiy sehr genügsamen, im Winter sogar mit Heu fürlieb
nehmenden Alpenschwein sowohl, wie 2) mit dem rothen (das mit kleiner Ver-
änderung auch im Urner Land gefunden wird) kein schönes, aber ein für die
rauhsten Hochalpen und die strenge Winterszeit geschaffenes Schwein, das sozu-
sagen an die Pfahlbauten erinnert, aber nichts desto weniger bei Molken, Alpeu-
sauerampfer (rumex alpina) und sehr karger Kost ein ganz ausgezeichnet feines
Fleisch liefert. (Der Bünder Alpenschinken ist heute noch entschieden feiner
als der beste Westphäler.) 3) In den tieferen Thälem (z, B. des Prättigau)
leistete ein vollkommeneres Schwein, das ein Gewicht von 27« — 3 Zentnern
gewann, sehr beliebte Resultate, während sich 4) nach Süden hin die schwarse
Lodirasse eher einführen als züchten ließ. 5) Tessin zog südlich ein dem Bündner
ähnliches Rothschwein, die Bleniorasse^ heran. Wallis zog keine eigene Rasse,
sondern nützte die Umgebungen. Wenn wir aber der Reuß nach herabsteigen,
finden wir 6) das damals sehr gerühmte Unterwaldner und 7) das bis in die
neueste Zeit herein berühmte Luzerner Schwein. Vor Allem wurde auch 8) das
Märchler Schwein (Schwyz-Linththal-Zürichsee) gesucht. Noch im vorigen Jahr
hundert durfte kein unverschnittenes Zuchtschwein aus der March verkauft werden.
9) Auch Zug und das Freienamt hielten seiner Zeit einen gesuchten Schlag und
10) rühmte man das Klettfiauer Schwein (Schaffhausen) sehr. 11) Die Waadt hielt
ein, wie uns scheinen will, dem Luzemer ähnliches Landachwein, während der
Jura ein Sammelsurium der umliegenden Länder bot, darunter in den Freibergen
— wenn Noth einbrach — Heufresser. Die Ereuzungsversuche und -Resultate
traten erst im Laufe des 19. Jahrhunderts hervor und gehören nicht hieher.
Resümiren wir die alten Haupirassen, so sind es: 1) Das kleine, schwarze
Alpenschwein ; 2) das rothe, mittelgroße Alpenschwein ; 8) das Luzerner Schwein
(roth) ; 4) das Märchler Schwein (roth und weiß) und 5) das Elettgauer Schwein
(weiß). Die dazwischenliegenden Schläge waren sehr wahrscheinlich meist Misch-
linge. Eine nähere Beschreibung kann hier nicht gegeben werden.
Die Schafzucht scheint sich erst im 16. Jahrhundert gehoben zu haben, in
Folge der überhandnehmenden Wollmanufaktur. In der Schweiz blieb sie jedoch
vor Allem 1) Sommerfleisch-Lieferantin, 2) Woll-Lieferantin für's Haus, wo man
sich die Wolle (wie heute noch im Wallis) selbst spann, wob und färbte, und
3) Wandermastfleisch für die umliegenden Niederungsländer und als solches bis
in die neueste Zeit herein ein sehr bedeutender Ein- und Ausfuhrartikel, besonders
von und nach Italien, wie von Italien und dem Schwabenlande nach Frankreich.
(Bergamosker, gleichzeitig Milchschaf.) Graubünden zählte früher allein 40,000
im Lohn auf seinen rauhsten Alpen weidende Bergamosker Schafe. Kreuzungs-
versuche sind jedenfalls schon in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts
vorgekommen, imd zwar zuerst mit spanischen Merinoschafen ^ später in allen
Landwirthächaft — 243 — Landwirthschaft
JELantonen bald mit Merinos, bald mit einem schottischen und englischen Schafe.
Da man keine Stammherden und sachverständige, ausdauernde Scha&üchter hatte,
blieb natürlich der Erfolg gering. Eines unserer besten Gebirgssohafe, das
Frutiger, soll aus dem Wallis stammen und dürfte vielleicht vor einigen tausend
Jahren mit dem Ehringer Vieh (durch die Gallier) ebenfalls aus Spanien gekommen
sein. rGeschichtlich nicht erwiesen.)
Unsere heimischen Baasen sind: 1) Das kleine Hochalpenschaf von Tavetsch
(Heideschnuckenart), auch Kelten- oder Pfahlbautenschaf genannt, weiß; 2) das
mittlere Waliisschaf , meist weiß ; 3) das Wanderschaf (Bergamosker und
Schwabenschaf); 4) das Frutiger Schaf, weiß; 5) das schwarze Freiburger mit
weißer Schwanzquaste; dito, ein sehr hübsches, mittelgroßes Schaf; 6) das
Landschaf. Deutliche Spuren von verständiger Nacb- und Inzucht finden wir
wohl nur in einigen Orten des Frutiger Thaies. Die Ejreuzungserfolge mit
spanischen und hie und da mit englischen und schottischen Schafen sind ver-
schollen.
Die Zieffengucht hat sich seit dem 13. Jahrhundert, wo wir sie noch in
ihren Anfangen fanden, ungetrennt von den Schafen, mächtig gehoben, und zwar
helbst da, wo man die kleinsten Kühe hat. Ein Beweis, daß auch die kleinste
Kuh die Ziege nicht zu ersetzen im Stande ist. Dieses Thier breitete sich mächtig
über Alp, Berg und Thal aus, trotz seiner unverkennbaren Schattenseiten, trotz
seiner Naschhaftigkeit, Kultur-, Baum- und Waldschädlichkeit. Allein seine Licht-
seiten zeigten sich als weit überwiegend und so siegten sie und erwarben sich,
namentlich in den Alpen, große Vorrechte. Die Vorzüge des Ziegenvolkes sind :
1) Ausnutzung der ärmlichsten Weiden; 2) Ausnutzung einer Menge Pflanzen,
die kein anderes Thier weidet und verwerthet; 3) leicht zu erwerben und zu
erhalten; 4) baldiger Nutzen; ö) gutes Milchthier; 6) die Felle und Haare
sind zu vielerlei nützlicher Verwerthung sehr gesucht ; 7) das Fleisch ist gut und
kräftig, das von jungen Thieren und verschnittenen Böcken sogar sehr beliebt.
— Auch dieses nützliche Thier wollte man durch allerhand gefehlte Kreuzungen
mit Angora-, Thibet-, Nubier-, kirgisischen, Bezora- und anderen Ziegen „ver-
bessern**, was aber glücklicherweise bald als allzu unnatürlich erkannt und auf-
gegeben wurde. Versuche der Art kamen in verschiedenen Kantonen vor. Auch
hier lehrt die Geschichte, man solle bei der Inzucht bleiben. Gerade bei den
Ziegen, welche das ganze Mittelalter hindurch halbwild herumzogen, hat sich
sehr gutes Zuchtmaterial erhalten. Bleibe jede Gegend bei dem ihrigen!
Fassen wir die Hauptschlf'ige unseres Landes zusammen, wie sie die Ver-
gangenheit zeitigte, so sind es : 1) Die kleine Alpenziege, 2) die größere Alpen-
und Bergsiege, 3) die Thal- und Stallziege.
Der Abarten sind mancherlei, welche man wohl am besten unter dem Aus-
drucke «Spielarten*" zusammenfaßt, da sie bei allen Hauptschlägeu vorkamen und
noch vorkommen, nämlich: 1) Gehörnte, 2) ungehömte, 3) langhaarige, 4) kurz-
haarige.
Die Farben sind wenig entscheidend, da solche bei diesem Thiere nie kon-
stante Merkmale wurden noch werden. Man könnte hierin nur den Schwarz-
hälsen des oberen Wallis eine geschichtlich nachweisbare Ausnahme gewähren.
(Um so interessanter, als sich diese Schwarzhälse auch in den Pyrenäen finden
sollen, von wo, nach Kaltenegger's Forschungen, das Ehringer Vieh herkomme.
*
Werfen wir nun einen Blick auf die Zeit des Beginnes unserer Darstellung
Landwirthschaft — 244 — Landwirthschaft
zurück, anf die Römerzeit, so bat die Yiebzacht nach ungefähr 19 Jahrhunderten
ihre Stellung verändert wie folgt:
I. Zur Helvetierzeit : 1) Pferd, 2) Schwein, 3) Rind, 4) Schaf, 5) Ziege,
den Schafheerden eingemengt.
n. Zu Ende des 18. Jahrhunderts: 1) Rind, 2) Pferd, 3) Schwein, 4) Schaf,
5) Ziege, in selbstständigen Heerden.
III. Jetzt: 1) Rind, 2) Schwein, 3) Pferd, 4) Ziege, 5) Schaf.
Die Greschichte der Milchwirthschaft ist so alt als die Geschichte der
Milchtbiere. Ihren eigentlichen Aufschwung verdankt sie erst der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts, wenn wir schon anerkennen müssen, daß der uralt
berühmte Schweizer Käse und Glamer Zieger Jahrhunderte zuvor von aus-
gezeichneten Empirikern (Käsern) erfunden, gemacht und berühmt wurde, ehe
ein theoretisches Licht in den Käs- und Milchkessel hineinfiel. Die Erfahrung
ging der Erklärung weit voraus. Immerhin hat die Schweiz den Ruhm, die
ersten amtlichen Verordnungen über Molkereigegenstände zu besitzen, und zwar
war es abermals der kleine Kanton Glarus, dessen Landsgemeinde im Jahre 1464
eine Verordnung über Ziegerfabrikation erließ. Auch taucht dort schon der
Ziegerklee auf (Melilotus Coerulex), vermuthlich aus den Klostergärten von
Säckingen, der schon im 9. Jahrhundert in Glarus eingeführt worden sein soll.
So viel ist gewiß, daß die Ziegerhändler schon im frühen Mittelalter das Glarner
Erzeugniß „in alle Weif" hinaustrugen. Zu Anfang des 15. Jahrhunderts tragen
im Schwabenkriege Militärabtheilungen „Glarner Zieger* und „Thurgauer Käse**
bei sich und 1464 gab die Glarner Landsgemeinde ein strenges Reglement heraus
über die Ziegerfabrikation, das u. A. Fabrikationszeichen, in die Rinde eingedrückt,
forderte. Die Ziegermühlen beschrieb zum ersten Mal J. J. Soheuchzer, 1708,
aber der erste Schriftsteller der Schweiz über Milchwirthschaft (sowie überhaupt
deutscher Zunge) war ein Zürcher, nämlich der berühmte Konrad Geßner, 1541.
Es ist dies interessant und ehrend für die Schweiz zugleich, da im ganzen
deutschen Reiche (wozu damals die Schweiz noch lange gerechnet wurde) das erste
deutsche Buch über Landwirthschaft erst 1591 zu Mainz erschien, also 50 Jahre
später als Geßner 's Schrift. — Vom Ende des 15. Jahrhunderts an erschienen
auch in anderen Kantonen Erlasse über Butter- und ELäsebereitung.
Der Obstbau gewann viele Freunde und dehnte sich in geeigneten Theilen
der Schweiz mächtig aus, allein er erlitt auch von 2Seit zu Zeit große Rück-
schläge, weil man schon damals, wie heute, überall Obstbau zu treiben anrieth,
auch wo weder Boden noch Lage dafür paßten. So fegte dann oft ein einsiger
harter Winter erbarmungslos hinweg, woran und worauf mühsam 30 Jahre lang
gearbeitet und gehofft worden war. Wohin z. B. kamen die herrlichen Obstbäume
im Aarthale von Solothurn aufwärts nach Altreu, von denen die Chronik erzählt?
Die rauhen Lüfte und kalten Winter rieben sie auf — und dennoch pflanzten
die Menschen immer wieder an die dortigen Straßen, trotz aller Geschichts-
warnung. Das Studium der landwirthschaftlichen Geschichte würde unendlich
viele Mißgriffe und Kosten ersparen. Aehnliche Erfahrungen wurden an hundert
anderen Orten immer wieder und immer wieder vergeblich gemacht. So beim
Obstbau, so beim
Weinbau! Auch Weinberge wurden häutig mit unendlich viel Arbeit^
Mühe und Kosten an herrlichen, sonnigen Halden angelegt und manches Ver-
mögen wurde dabei geopfert — aber der Wein blieb aus. Die Blüthen erfroren
in 20 Jahren 19 Mal; denn nicht überall ist Wallis, wo der famose Heidenwein
Landwirthschafl — 245 — Landwirthschafl
von Yisperterminen noch 1340 Meter über Meer gedeiht, im höchstgelegenen
Weinberg der Schweiz (liefert den merkwürdigen ^ Kniebrecher •*). Im Wallis
wasserte man auch schon im frühen Mittelalter an trockenen Lagen die Wein-
berge und wässert sie noch mit ausgezeichnetem £rfolge.
Außer dem StaU-, Abtritt- und Pferchdünger wurden schon seit dem 16. Jahr-
hundert bis Ende des 18. allmälig eine Menge Hülfsdünger empfohlen. Der
Mergel wurde abermals herbeigezogen ; Asche, Büß, Gründüngung, wollene Lumpen,
Fabrik- und Gewerbeabfalle, Holzerde, sogar hie und da schon Ejiochenmehl und
Haare, Kalk und Gyps wurden verwendet. Mit Bodenmischungen wurden große
Erfolge erzielt (Kleinjogg). Ohne üeberhebung darf sich das Gebiet der Jetzigen
Schweiz auch rühmen, den ersten eigentlichen
Agrikulturchemiker geboren zu haben, und zwar in Horace Benoii
de Saussure, geboren 1740 zu Grenf, gestorben 1799 daselbst. Er stellte in
seinen MBecherches chimiques sur la v^g^tation*' (Paris, 1804) die erste richtige
Theorie von der Pflanzenemährung auf.
Fügen wir nun hier noch einige untergeordnete Zweige an, so müssen wir
zuvörderst bei der Geflügelzucht bemerken, daß sie keine wesentlichen
Fortschritte erzeugte. Die ehedem nicht unwichtige Gänseeucht ging sogar
ungeheuer zurück — mit dem Verschwinden passender G^nseweiden.
Die Bienenzucht blieb so ziemlich auf gleicher Höhe, bis sie durch den
Kolonialzncker (um IGOO) außerordentlich an Bedeutung verlor. Die Zeidelweiden
verschwanden von da an ganz. Der neue Aufschwung fällt in das 19. Jahr-
hundert.
Auch die Fischzucht ging, nach der Reformation, wieder den Krebsgang,
da nicht mehr so viel Werth auf diese „ Fastenspeise ** gelegt wurde und man
vergaß, daß die Fische überhaupt ein ausgezeichnetes Nahrungsmittel sind. Man
ließ namentlich die Teichfischerei verlottern, wie man aus hunderten von Weiher-
Überresten noch heut« deutlich erkennt. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts
muß nun auf dem so wichtigen Grebiete der Fischzucht mühsam zu erstreben
suchen, was der Unverstand vergangener Jahrhunderte gesündigt hat.
Auch der Schneckenzucht müssen wir gedenken, welcher im 15. bis
zum 18. Jahrhundert ziemlich gehuldigt wurde und sogar einige Ausfuhr nach
Italien ermöglichte. Nicht zu vergessen des Froschfanges und des Froschschenkel-
verbrauchs, der seit alter bis auf unsere Zeit je im Frühling in den katholischen
Landestheilen einen sehr beachtenswerthen Nährzweig bildete.
Fast ganz unbeachtet, aber von kaum glaublicher Ertragshöhe für die
ärmeren Klassen, waren von jeher und sind es noch die Wildbeerenfluren (oder
-Schläge) (die Erd-, Blau-, Hirn-, Breisel-, Bromheeren etc.), dito die Wurzehi
und Kräuter aller Art, als Allgemeingut.
Sollen wir noch eines eigenthümlichen Kultur-Irrthums gedenken, der fast
von den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts bis in die 50er Jahre des 19. Jahr-
hunderts auch die nördliche Schweiz periodisch in Exaltation versetzte, so ist es
die Seidenzucht, welche natürlich nur in südlichen Klimaten, etwa im Tessin,
gedeihen kann. Allein weithin pflanzte man oft Maulbeerbäume; Wanderprediger
reisten ; Gesellschaften und Regierungen ertheilten Prämien ; ganze Literaturberge
entstanden. Alles umsonst! Hätten jene wohlmeinenden Männer die Seidenzucht-
geschichte des alten Fritz von Preußen studirt (Friedrich IL), sie würden nicht
in diese Dilettantentollheit hineingetrieben sein. (Dito Oliven, Kanton W^aadt.)
und endlich die Jagd. Auch hier blieb es bis zum Ausbruch der franzö-
sischen Bevolution beim Alten. Die Herren waren Jäger, die Bauern ihre Treib^v^
Landw irthschaft — 246 — Landwirthschaft
wenn nicht Schlimmeres! Auch die Yogeljagd hltthte, sowohl in Geschmiden
(Schlingfang) wie in Vogelheerden.
Hier noch ein Wort über die Leibeigenschaft und Hörigkeit
unserer Bauern. Wenn auch in milderer Form, so hatte sie sich leider doch in
fast allen Kantonen erhalten. Bern hob sie in einzelnen Gregenden schon um 1400
herum auf, und zwar unentgeltlich; besondere im Waadtland, nach dessen Besitz-
nahme (1526). An anderen Orten ging's wie anderswo. Hielt aber auch so-
genannte freie Landschaften aufrecht (z. B. die Herren von Aeschi bei Thun).
Ferner wurde nach dem Burgunder- (1477) und Schwabenkriege (1499) der
Bauer von den Städtern, seinen Herren, durch allerlei Vorspiegelungen zu Reis-
läufereien verführt. Unter den Regierenden war eine bodenlose Verkäuflichkeit
entstanden, worüber zuerst in der innem Schweiz, namentlich im Entlebuch und
Hinterlande (Willisau) ein großer Bauernaufstand losbrach (1515), in dessen
Folge der Landvogt von Eußwil seinen Kopf fallen lassen mußte. Eine ähnliche
Erhebung, nur etwas ernster, vollzog sich im Kanton Solothum, wo um jene
Zeit herum 4000 Bauern die Stadt belagerten, „weil sie an Rechten und Frei-
heiten, statt gewonnen, verloren hätten. Man bliebe leibeigen, wie vorher. Der
Bauer blute wohl auf den Schlachtfeldern, aber nicht für ihn, sondern für die
Freiheit der Städter. Auf fremde Schlachtfelder würde er geführt und geopfert,
die Stadtherren aber zögen davon die Belohnungen.** (2ieit der „Kronenfresserei''.)
Die Patrizier begütigten, entsetzten hier wie anderwärts Beamtete, welche „nach-
weislich** fremde Gelder empfangen hatten etc. Eine Haupterrungenschaft war
die, daß von nun an die Leibeigenschaft losgekauft werden konnte. 1525 folgte
eine ähnliche Unruhe im Norden der Schweiz, Domegg-Thierstein, welche als
„Neuerworbene** auch etwelche „Schweizerfreiheit** forderten. Auch sie konnten
hierauf die Leibeigenschaft loskaufen. 1570 brach wieder im Kanton Luzem
ein Aufstand der Rothenburger und Hochdorfer Aemter los, wie früher auch in
Baselland und da und dort in der Schweiz. Soviel als Beispiele; alles deutliche
Zeichen, daß die Bauern mit ihren Zuständen keineswegs zufrieden waren und
viel zu klagen hatten, was später Alles, und jetzt noch gar häufig, so gerne
„todtgesch wiegen** wurde. 1653 erfolgte in den vier Kantonen Bern, Luzern,
Solothum und Basel der größte und letzte Bauernkrieg. Er wurde niedergeschlagen
und die Anführer vnirden hingerichtet.
Eine der seltsamsten Dienstleistungen, zu denen der Bauer jemals erniedrig^
wurde, war wohl die Froschfrohn, Um 1400 — 1500 mußten die Bauern bei
warmer Zeit ganze Nächte hindurch mit langen Stangen die Frösche auf die
Köpfe schlagen und „gschweigen**. Solches erzählt uns die Geschichte aus dem
Wallis, wo die Frösche die Frechheit hatten, „die gnädigen Herren" der Schlösser
Gundis und Saillon im Schlafe zu stören I
Formell und gesetzlich wurde die Leibeigenschaft in ihren letzten Spuren
erst um 1785 bis 1788 aufgehoben, also nicht lange vor dem Ausbruch der
französischen Revolution.
Dieses Ereigniß knüpfte sich fast unmittelbar an jene Periode des geistigen
Erwachens, welcher die „Oekonomische Gesellschaft** von Bern (1759) und die
„Helvetische Gesellschaft** (1761) mit ihrem weitverzweigten Anhange die Ent-
stehung verdankten. Den Bauernstand geistig und materiell zu heben, war die
Devise dieser Vereine; danebst arbeiteten sie für Schule, Verkehr und Staats-
wesen, für Alles, „was menschlich war**.
50 — 60 Jahre später (somit erst im 19. Jahrhundert) entwickeln sich die
landwirthschaftlichen Fachvereine. Den Reigen eröffnen Bern, Freiburg und
Landwirthschaft — 247 — Landwirthschaft
Waadt; ihnen folgen nacheinander Zürich, Aargau, Solothurn, Genf, Neuenbürg,
Baselland, St. Grallen, Schaff hausen, GrlaruB, Luzern, Graubtinden, Basel. 1856
wurde in Ölten vom Verfasser dieser Skizze und dreien seiner Freunde (aus-
übenden Landwirthen) der erste V0rein schweizerischer Landwirthe gegründet.
Am Schlüsse dieser Arbeit muß der Verfasser bekennen, daß, so ungenügend
dieselbe auch ist, sie für ihn doch ein Wagniß war, da es bis auhin an ge-
nügender Quellenken ntniß fehlte. Eine gehörige Landwirthschaftsgeschichte der
Schweiz würde die Arbeit eines ganzen Menschenlebens erfordern, denn der Stoff
muß an unendlich vielen Orten mühsam entkörnt werden.
Dankbar sei noch der Literatur gedacht, welche der Verfasser benutzt
hat, aber nicht in Anmerkungen beifügen konnte:
1) Geschichte Altrhätiens, von Dr. P. C. Planta. 1872.
2) Geschichte und Statistik des Kantons Wallis, von Pater Furrer. 1853.
3) Römische Schriftsteller: Tacitus, Cäsar, Plinius, Columella.
4) Chronik von Basel, von Bruchner,
5) Dito vom Kanton Solothurn, von Hafner, 1666. — Geschichte von Urs
Vigier. 1879.
6) Pfarrer SieinmiUler'^ Beschreibung der schweizerischen Alp- und Land-
wirthschaft. (Ueber Glarus, Appenzell und St. Gallen.) 2 Bände. 1802.
7) „Gemälde der Schweiz**. (21 Bände über die meisten Kantone.) 1830
bis 1840.
8) Dr. LanfienthaV^ und Anton^ Geschichten der deutschen Landwirthschaft
1850.
9) Die drei Zeigen, von Prof. Dr. Johannes Meyer, 1880.
10) Ein Stück Solothurner Kulturgeschichte (Stadtbibliothek), von Louis GlutM-
Hartmann. 1879.
11) Vom Jura zum Schwarz wald, von F, A. Stocker, 1884.
12) Blotniteki, Bewässerungskanäle im Wallis. 1871.
13) Ueber Alpenbewässerung im Wallis, von Itöditjer. I und II. 1879.
14) Konversationslexika von Pierer, Brockhaus u. A.
15) „Alpwirthschaftliche Monatsblätter ** von R, Schatzmann. 1885, Nr. 3
(„über Rassenabstammung **).
16) Gründung der Oekonomischen Gesellschaft von Bern. Jubiläumsschrift von
1859.
17) Eine Anzahl anonymer Broschüren über landwirthschaftliche Themate aus
den 60er bis 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
18) «Kleinjogg", von Dr. Hireel, (Zürich.)
19) Geschichte des Pfluges, von Prof. Dr. Ran,
20) „Obwaldner Volksfreund**. Jahrgang 1885. Gescbichtliches.
21) Helvetien zur Zeit der Römer, von T. Burkhanlt- Biedermann. 1887.
22) Chronich des Kantons Bern, a. Th., von Albert Jahn. 1857; u. A.-m.
B. Landwirthschaft der Gegenwart.
(Verfasser: Professor Dr. A. Kraemer in Zürich.)
Vorbemerkungen.
Die nachfolgenden Zeilen wollen versuchen, in kurzen Zügen ein Bild von dem
Charakter der schweizerischen Landwirthschaft zu entwerfen und zu diesem Zwecke
eine zusammenfassende Darstellung der Grundldgen, Einrichtungen und Erfolge der-
Landwirthschaft — 248 — Landwirthsdiafl
selben zu liefern. An die Durchführung einer solchen Aufgabe knüpfen sich allerdings
recht erhebliche Schwierigkeiten. Denn die Bedingungen, auf welchen das landwirth-
schaftliche Betriebsleben der Schweiz beruht, bieten so große Verschiedenheiten dar, wie
sie in auffallenderem Grade wohl in keinem Lande unseres Erdtheils angetroffen werden.
In der Erhebung des Terrains von dessen tiefsten Lagen bis zur Grenze des ewigen
Schnees handelt es sich um Unterschiede von 2500—2900 m; zwischen den jüngeren,
tiefgründigen Gebilden, welche die Gletscherbewegungen und die Flußablagerungen in
den niederen Gegenden und den Thalsohlen zu Stande gebracht haben, und den An-
häufungen von Verwitterungsprodukten, welche noch an ihrer Ursprungsstätte auf den
sehr verschiedenartig zusammengesetzten Gesteinsmassen der Gebirgsstöcke ruhen, sind &st
alle Bodenarten vertreten ; es wechselt die Gestaltung der landwirthschaftlich nutzbaren
Bodenoberfläche in Bezug auf den Grad der Abdachung selbst auf kürzeren Strecken,
häufig in den äußersten Extremen, und wie die Art der Erhebung des Landes im Ganzen
bedeutende Differenzen in der Neigung gegen die Hinmielsrichtung bedingt, so kehren
diese auch im Einzelnen innerhalb enger begrenzter Distrikte wieder. Im Zusammen-
hange mit der sehr ungleichen Entwicklung der industriellen und kommerziellen Thätig-
keit hat sich die Bevölkeningsdichtigkeit in den einzelnen Kantonen ungemein verschieden
gestaltet ; es ist in den dichtest bewohnten Kantonen — abgesehen von den Stadtgebieten
Basel und Genf — die Seelenzalil auf der gleichen Fläche landwirthschatUich benutzten
Bodens fünf bis acht Mal so groß, als in den schwächst bewohnten. Die Größen des
Besitzes am Grund und Boden stufen sich erheblich gegen einander ab, und selbst in
den Foririen des Grundeigenthums treten bemerkenswerthe Gegensätze zu Tage. In
Rücksicht auf diese Ungleicbartigkeit der Grundlagen der Landbewirthscliaflung in den
einzelnen Territorien hat sich aucli die Fürsorge der Kantone für die Entwicklung des
Agrarrechtes und der Landeskuiturgesetzgebung in verschiedener Richtung bethätigt.
Der hier angedeuteten hochgradigen Mannigfaltigkeit der für die Landbewirth-
schaftung maßgebenden Verhältnisse entspricht begreiflich nicht allein das Vorkommen
ungemein zahh-eicher Betriebsformen, sondern auch eine gewisse Ungleicbartigkeit in
der Richtung und Intensität der fortschrittlichen Bewegungen in dem landwirthschafl-
lichen Gewerbe.
Unter so bewandten Umstände'n ist es aber eben so wenig möglich, ein erschöpfendes
Bild von den Gesammt-Erscheinungen zu entwerfen, wie es sich lohnen würde, zur
Verauschaulichung der Zustände eine Reihe von Einzeltypen herauszugreifen. Es kann
sich als4) in der vorliegenden Aufgabe nur noch darum handeln, unter Anknüpfung an
tliiitsächliche Ermittlungen und allgemeine Anschauungen und Erfahrungen einen Ueber-
blick über die gegebenen Verhältnisse zu gewinnen und in gedrängter Darstellung die
Prinzipien liervorzuheben, welche der schweizerischen Landwirthschaft die Bahnen
ihrer Entwicklung vorzeichnen.
I. Die Grundlagen der landwirthschaftlichen Produktion in der Schweiz.
In den Einrichtungen des landwirthschaftlichen Gewerbes je eines bestimmten
Gebietes prägen sich gewisse Eigenartigkeiten aus. Dieselben gehen aus den
Verhältnissen hervor, welche die Art der Lau dbe wirf hschaftung bedingen; es liegt
ihnen eine Gesetzmäßigkeit zu Gninde; sie können nicht Erscheinungen des Zu
falles sein oder längere Zeit bleiben. So lehren es die Thatsachen im Großen
und die Erfahrungen von Jahrhunderten. Der Betrieb der Landwirthschaft muß
sich also mit den äußeren Bedingungen, welche ihn umgeben und auf ihn ein-
wirken, in Einklang setzen ; seine Formgestaltungen bedeuten Ergebnisse einer
planmäijigen Anpassung an die Zustände, welche ihn beeiutlnssen. Diese beruhen
aber zum Theil in dem Verhalten der tnitilrlirhen Außenwelt, soweit es das
Leben und Gedeihen der Pflanzen und Thiere beherrscht, zum Theil in den Ver-
hältni.sseii d(.'s (re^elhrhaßslcboni, insofeni sie bestimmend eingreifen in die
Gestaltung der Oekunomie der gewerblichen Uiiteniehmung. Daher rechtfertigt
es sich, der Bttracbtung über die Einrichtungen der schweizerischen Landwirth-
schaft eine kurze J Darstellung der allgemeinen Grundlagen des Betriebes derselben
vurauszusendfU.
Landwirthschaft — 249 — Landwirthschaft
1) Flächengehalt. — Gestaltung und Erhebung des Terrains.
Nach den neuesten Ermittlungen (vgl. die Abhandlung „Arealyerhältnisse^)
omfEißt das Gebiet der schweizerischen Eidgenossenschaft eine Gesammtfläche von
41346,5 km« (ä 100 ha). Von dieser entfallen aber 11708,9 km* oder 28,3 7o
auf unproduktives Land (Gletscher, See^n, Städte, Dörfer, Gebäude, Schienen-
und Straßenwege, Flüsse und Bäche, Felsen und Schutthalden), indessen von dem
produktiven, im Ganzen 29637,6 km* umfassenden Areale 7852,8 km* oder
26,5 ^0 vom Waldlande in Anspruch genommen werden. Hiemach besitzt die
iandwirihschafllich benutete Fläche (E^bland, Aecker, Wiesen, Weiden und
Gärten) eine Ausdehnung von 21784,8 km* oder 73,5 ^o des produktiven Landes.
In Bezug auf die Lage des Terrains bietet die Schweiz ein Bild außer-
ordentlicher Ungleichartigkeit und schroffster Gegensätze. Die Gestalt der Ober-
fläche desselben wird durch drei verschiedene Eleyationnstufen bedingt. Die höchste
und mächtigst verzweigte Erhebung bildet der massigere Theil des zentralen
Gebietes der Alpen, des gewaltigsten Gebirgsstockes des europäischen Kontinentes,
welcher, in der Richtung von Südwest nach Nordost verlaufend, sich über die
südliche Hälfte des Landes erstreckt und hier seine bedeutendste Höhe (4638 m
Monte Rosa) erreicht. Es ist das Revier mit seiner erstaunlich wechselvollen
Gestaltung der Bodenoberfläche, seinen Thaleinschnitten und Schluchten, Terrassen,
Hängen, Halden, steilen Felswänden und Graten, gekrönt von himmelanstrebeuden
Firn-, Gletscher- und Schneefeldern. Xu fast der nämlichen Richtung wie die
Alpen durchzieht den Westen des Landes eine e weite Erheb ungsstufe, die Jura-
kette, welche aun einer gestreckten Gruppe von zahlreichen, gleichlaufenden
Gebirgsrücken gebildet wird, sich etwa auf 40 ^/« der mittleren Höhe der
Alpen erhebt, frei ist von Gletschern und Firnen, und nahezu in ihrem ganzen
Umfange eine Yegetationsdecke trägt. Die dritte Stufe stellt »ich in dem sog.
Mittellande, dem größten Läogenthal Europa'», einem hügeligen Flachlande, dar,
welches bis auf eine Höhe von 400 m zwischen jenen beiden Gebirgszügen ein-
gesenkt ist und sich in der Richtung von Südwest nach Nordost vom Genfersee
bis nach dem Bodensee und dem Rheine erstreckt. Das Mittelland bildet den
fruchtbarsten und bevölkertsten Distrikt des Landes, den Hauptsitz einer plan-
mäßigen Bodenkultur.
2) Das Klima.
Man beurtheilt die klimatische Verfa88ung eines Landstriches vorzugsweise
nach dem Verhalten der Atmosphäre hinsichtlich der Temperatur und der Stärke
der Niederschläge, beides bezogen auf die Daner des Jahres und auf die einzelnen
Abschnitte desselben, sodann nach den Grenzen, innerhalb welcher diese Er-
scheinungen zeitlich zu schwanken pflegen. Faßt man zunächst diese Verhältnisse
in's Auge, so lassen sich auf Grund auszugsweiser Benutzung der vorliegenden
direkten Beobachtungen folgende Tableaux entwerfen: *)
*) Die Zahlen über die Temperaturverhältnisse verdanken wir einer gütigen Mit-
theilung des Direktorj? der scliweizerijjchen meteorologischen Zentralanstalt, Herrn Dr.
JR. Bülwiller in Zürich ; diejenigen öl)er die Niederschläge sind einer Abhandlung von
Dr. J". Müller in den ,Annalen der schweizerischen meteorologischen Zentralanstalt*,
Jahrgang 1882, entnommen.
LAndivirthschaft
Landwirthscbaft
Tffinperaliir. — Grade C.
(BeobanhtDngen am« Zeiträumen von 16 — 22 Jahren.)
HHhe
Miniere»
Mittel
Jahres-
zelten
Stationen
Ober Mear
«S
Mmi-
mVii'
«i„..,
r««.>.„,lso™..
Harlirt
(Bis 500)
Lugano
875
1J,5
- 6,a
31,7
2,55
11,26 20,53
n,.TO
Basel
27S
9.5
-13,6
30,5
1,04
9,30 18.08
9,39
Genf
lOS
9,S
-11,2
33,0
1,S8
9,17 18,09
9,76
Zörirh
470
8.7
— i:U
30,4
-0.05
8,71 17,5*
8.66
Altslälleo (ÖL Gallen)
47«
8,7
—13,4
30,4
—0,39
8.73 17,31
9,03
Neuchätel ....
488
9,0
-Il,t
30.5
0,32
8,76 17,81
9,03
Martipnj ....
498
(5(X)-10ÜO|
9,7
—12,1
32,0
0,80
lo,ir, 1 18,51
9,80
Bern
570
8,2
-14,(!
29,2
-0,59
8,09 i 16,95
8.16
St. Gallen ....
660
7,5
-U,6
28,5
-0,88
7.16 15,98
7.80
Ca^tasegna ....
700
9,5
— 7.8
28,0
1,4-9
9,13 17,91
9,46
Affoltern IBeni) . .
795
7,0
-15,0
27.5
-1,15
6,66 15.18
7,19
EinsieJeln ....
910
5,7
-19,5
26,3
-2.78
5.36
14.24
6.13
Tropen
9S4
(1000-1500)
6.7
-15,4
27,2
-0,94
5,99
14.71
7,10
Enpelberp ....
1034
5,2
-17.9
26,0
-2,81
4,66
13,31
5,63
Chauinuat ....
lU»
5,6
-1.5,7
S6.1
-1,43
4,59
13,38
5,73
Bealenberg'
1150
{1500-äOOO)
'i.l
-15,5
26,8
-1,09
5,26 13,83
6,57
Davoa
15«0
3,0
-22.0
28,5
-5.28
2.33 11.74
3,41
GrScIien ....
1633
4.5
-16,7
24,8
-3,39
3,10 12,31
4.63
m'>
1800
1,7
—16.5
20,5
-4,70
0.10 8,88
2,47
Siis.Mariii ....
1810
18000-2500)
1.5
-22,3
22.5
-7.19
Ü,40 10,38
2.41
Bernhardin . - .
2070
0.6
-21.0
18,9
-6,51
-0,84 , 8,48
1.2t
santis
2476
-3,3
—32.5
17,5
-8,74
—3,40 4,72
-1,36
Sl-Bernlianl, Hospiz
2478
-1,5
-sa,o
17,9
-8,13
—3,20
5,ffl
-0,60
In diesen Zahlenreihen tritt die bekannte ThatDache, daß die Teuiperatar
mit der Erhebung dett Terrains rasch abnimmt, in augenfälligster Weiae zu Tage.
Will man aus denselben i^ini^n greifbaren Scbluli siehen, so vird man etwa
annehmen können, dali die Erniedrigung der Jahrestemperatur um je 1* C. im
Mittel einer Erhebung von 180 m entspreche, indessen diese Zahl für die Winter-
temperatur es. '220 ni, für die Summertemperatur dagegen nnr 145 m betrage.
Es sind das Ergebnisse, welche fUr die Bcurtheilang der Vegetatians Verhältnisse
nnd insbesondere der Bedingungen der landwirthsc haftlichen Pflauxenkultur der
Schweiz gerade mit Rücksicht auf die enormen Vernehiedenheiteu in der Erhebung
des Landes eine fundamentale Bedeutung haben, wie man erkennt, wenn man
der Erfahrung Rechnung trägt, daß jede Erhiituing um 300 m im Mittel eine
Verztigeruog der Entwicklung der Vegetation um etwa 10 Tage bedingt. Auf
aolche Verliältnisse ist es aber vornehmlieh surUckinführen, daß in dem Gebiet«
der Schweiz, von den paradiesischen Ufern den Ltiganer- und des Langensee'a
bis hinauf zu den vereinsamten Höhen, in welchen die Hpuren jeder eigentlichen
Bodenbewirthschaftnng vollends verschwinden, nahezu die ganze Stufenleiter der
Kultiir|iännzen unneres Erdtheiles vertreten ist.
Landwirthschaft — 251 — Landwirthscbaft
Doch nicht entfernt regelmäßig sprechen sich diese Einflüsse der Höhenlage
anf die Grestaltung der Temperaturen und daher der Vegetationserscheinungen ans.
Wie man in der Verfolgung derselben bei dem Durchschreiten großer Gebiete in
horizontaler Richtung nach dem äußersten Norden auf lokale Ablenkungen stößt^
80 auch hier bei dem Aufsteigen in die höheren Etagen. Bald sind es die Isolirtheit
oder der Zusammenhang der Berggruppen, bald die Unterschiede in der Strahlen-
breohnng, in der geologischen Struktur, in der herrschenden Windrichtung, der
Nähe von großen Grewässern und Waldkomplexen etc., welche den Stufengang
der Verhältnisse modiflziren, unterbrechen oder verschieben. Beispielsweise ist
das auf nahezu gleicher Meereshöhe mit Basel liegende Lugano vor jenem sehr
bevorzugt, nicht sowohl durch seine südlichere Lage, als vielmehr durch den
Schutz, welchen ihm der Alpenkamm gegen Norden gewährt, und durch die
stärkere Insolation des mittäglichen Abhanges ist Troffen besser situirt, als das
fast gleich erhabene aber auf einem Plateau gelegene Einsiedeln y aus ähnlichen
Ghrtinden Grächen im Wallis den übrigen Stationen der gleichen Höhengruppe
weit überlegen. Derartige Verschiedenheiten kommen aber auch bei gleichen oder
nahezu gleichen Jahresdurchschnitten in der Vertheilung der Temperatur über
die einzelnen Jahreszeiten vor. Auffallend zeigt sich dies beispielsweise in den
verhältnißmäßig strengen Wintern von Bern, St, Gallen, Einaiedeln und Sils,
der relativ hohen Sommer wärme von Grächen und Davos, und umgekehrt der
geringen Sommertemperatur der Etffi,
Aber auch hinsichtlich der Niederschläge werden merkwürdige Verschieden-
heiten beobachtet. Die bezüglichen Angaben MiUler'8, welche sich auf Ermittlungen
aus einer längeren Reihe von Jahren beziehen (Durchschnitt von nur 8 Jahren
bei 1, von 10—20 Jahren bei 39, von 20 — 30 und von 30—60 Jahren bei
je 3 Stationen), lassen sich unter Beschränkung auf das Wesentlichste zusammen-
fassen wie folgt:
Lajid wirtfaschafl
— 252 —
Hegenmettffen.
LandwirtbachaA
,.
tftihe
Utier
M«ef
Jalires-
lahresz eilen i
Prozenten der
j
Stationen
Gruppen ')
tumme
d,r totp..'!
Winlw
Frühling
^mmw, titnM
1
A]UlüU«D . .
478
1
9
3
Sarins. . ,
Chur . ■ . . .
501
603
lOberea Rbeinge-
[ biel ....
1,^,
16,2
24,4
86,J
23,7
i
St. Gallen . .
660
1
5
SchafThausen .
3S9
1
6
7
Fräueafeld . .
433
438
[Unteres Rheinge-
biet ....
jl015
16.»
94,9
»9.6
25,3
S
Loliu. . . .
645
1
9
Zaricli . . .
470
lU
Glania . . .
471
Linimat^biet .
1180
U,7
33.6
86,0
34,7
11
Einsiedeln . .
910
13
13
Basel. . . .
Prunlrut . .
378
430
' Basel -Prunlrut .
809
18,4
24.5
»,6
äG.,-!
U
15
Aarau . . .
Muri ....
372
4S3
1 Unteres Aarege-
1 biel - . . .
j 11)70
17,»
34.0
3a.ä
24,7
lÜ
:?ur3ee . . .
505
17
AUdorf . . .
454
lö
Lnzerii . . .
454
Reuß^ebiet . .
1393
15,»
25.6
S6.2
22,5
19
Gersau . . .
461)
äo
Inlerlaken . .
558
21
22
Bern ....
Affoltern . .
570
795
Oberes Aarege-
bitl ....
}l247
17,3
95,3
M,0
23,5
23
Beaten berg .
1150
21
Neucliätel . .
Vüiidena . .
4SN
»35
IXeucbätel - Vua-
1 dens ....
|,.3r,
18.«
34.6
30.6
2C,4
2G
Montreux . .
385
27
Genf ....
408
Genfer^ee . . .
S16
1«,«
93,G
28.8
30,8
38
Lausanne . .
515
39
30
Hartit'D}' - .
Grächen . .
498
1633
lRhone)rebiet . .
1099
1».S
21,7
SS.1
30,7
31
Bellinzona . .
239
M
Luttano . . .
975
SQdschweiz . .
1579
9,7
9(>,6
32,7
31,0
'S3
Ciislaäegna . .
700
34
35
Beyers . . .
S>l:i-Maria . .
1715
1810
|limirebiel . . .
915
IS,«
33.1
3*,8
29,3
31)
Klüjlen' . . .
1907
37
3S
Chunvalden .
Plalla . . .
1313
1379
BQndner Höben -
(■talionea , .
j 1358
18,0
34,9
8S,9
39,3
39
SpIQifen . . .
1471
*0
Trogen . . .
99+
1410
18.«
23.3
«,2
32,8
41
ED^relbi^iB . .
1034
173Ö
14.4
22.8
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23,7
43
Sl. Groix . .
1095
1331
ai/(
K,8
K,8
27,6
43
CliHuniOQt . .
1138
94y
15^
34,1
32,8
27,3
4V
Aiiderniatl . .
1448
1336
204
37,0
21,i
28,8
45
Hii.'i-Kulni . .
1800
150;^
9,ä
19,4
SO,«
21,8
4H
Sl, Bernliard .
9478
1336
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35,7
218 1 29,6
einige Station
n (Nr.
*0-46 der
TalK'Uei. wck'lie hölier ||i«le|ten siml. als die
übritren, und
die il
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zietnlidi abiveicheiiüeii Verlauf der Jahre^pe
rinden aul'wei
(en, uu
äi^escblossea
worden. - ') Die Minima und Maxiniü der V
roienle sind d
urth F
tischrin be-
so
ders hervorgeho
■fn.
1
Landwirthschaft — 253 — LandMarthschaft
Aus dieser XJebersicht geht zunächst hervor, daß die Schweiz, mit Ausnahme
etwa des westlichen, zum Jura gehörigen Striches Basel-Pruntrut, und von Genf,,
sowie des östlichsten Theils von Graubünden, ein an atmosphärischen Nieder-
schlägen sehr reiches Land ist, daß diese Beobachtung namentlich für die oberen
Gebiete der in den Zentralalpen entspringenden größeren Flüsse zutritft, und daß.
überhaupt die Menge der Niederschläge mit der Annäherung an die Alpen
größer wird.
In Bezug auf den Verlauf der Jahresperiode in den verschiedenen Gebieten
resultirt aus den Beobachtungen, daß das Minimum in der Ost- und Zentral-
schweiz vorzugsweise im Januar, in der West- und Südschweiz dagegen im
Februar, das Maximum in einem der drei Sommermonate liegt und sich nur in
der Westschweiz, einschließlich Wallis, im Oktober befindet; ferner, daß der
Oktober fast überall ein sekundäres Maximum aufweist.
Faßt man die Yertheilung der Begenmengen über die Jahreszeiten in's Auge,
so zeigt sich, daß die Wintemiederschläge in dem ganzen Gebiete nördlich der
Alpen bis zum Neuenburger See (Ost-, Zentral- und Nordschweiz) tief unter dem
Mittel stehen, der Frühling und der Herbst sich nur wenig von demselben ent-
fernen, dagegen durchweg der Sommer das Maximum (31 — 36 ^/o) behauptet.
In diesem Distrikte nehmen die Wintert und Herbstniederschläge von Ost nach
West zu, dagegen die Sommerregen von Ost nach West ab. Genfer See und
Rhonethal (Westschweiz) bilden zusammen ein Gebiet mit vorherrschenden Herbst-
regen, und ein drittes Gebiet mit zugleich vorherrschenden Sommer- und Herbst-
regen, mit dem Maximum im Sommer, liegt in der Südschweiz. Eine Mittel-
stellung zwischen den Regenverhältnissen der Ost* und Südschweiz nimmt der
Kanton Graubünden ein.
Wie Müller a. a. 0. des Näheren erörtert, wird das Gebiet der Schweiz
von zwei der Unterzonen berührt, in welche die beiden schon von Dove für
Europa aufgestellten Hauptregenzonen (eine südliche subtropische mit fast gänz-
licher Regenlosigkeit im Sommer, und eine nördliche mit mehr oder weniger
gleichmäßiger Yertheilung des Regens auf die vier Jahreszeiten) zerfallen. Darnach
erscheint in der Schweiz am Genfer See und im Rhonethal die üeherffangseone
(XJebergang von der subtropischen in die nördliche) mit vorherrschenden Herbst-
regen, femer, vom Norden und Osten her herantretend und sich über die ganze
Zentralschweiz ausdehnend, südlich begrenzt durch den Kamm der Zentralalpen,
die mitteleuropäische ZonCj welche gegen Westen allmählich in die Uebergangszone
tibergeht, mit entschiedenem Uebergewicht der Sommerregen, während die Süd-
schweiz, da hier die relative Regenmenge des Herbstes so groß ist, wie am
Genfersee und im Rhonethal (Herbst maximum), und obgleich die Herbstregen
hinter den Sommerregen zurückbleiben und die Winterniederschläge auffallend
tief stehen, ebenfalls der Uebergangszone, zu welcher auch die anschließende
Po-Ebene gehört, zugetheilt wird.
Die relativ sehr große Regenmenge des Sommers in der Südschweiz ist
wesentlich dem Einflüsse der Alpen auf die feuchten, warmen Südwinde zuzu-
schreiben, indessen die Thatsache, daß die relative Regenmenge des Sommers
mit der Annäherung an die Alpen zunimmt, als eine Folge des Einflusses der
Alpen auf die westlichen und nordwestlichen Winde zu betrachten ist. Ferner
ergiebt sich aus den vorliegenden Ermittlungen, daß, da im Sommer die Zunahme
der absoluten Regenmenge mit der Höhe eine raschere L^t, als im Winter, auch
die Regenmenge des Sommers überhaupt mit der Erhebung über der Ebene zu-
nimmt.
Landwirihschaft — 254 — LandwirthschafL
Alle die«e im Großen hervortretenden Erscheinangen unterliegen übrigens
Je nach den örtlichen Verhältnissen, wie z. B. der Nähe großer See^n, ausgedehnter
Wälder oder kahler Gebirgsstöcke, mannigfachen Modifikationen, deren Zusammen-
hang indessen nur auf Grund zahlreicher spezieller Beobachtungen näher dargethan
werden kann.
Außer den erwähnten Zuständen greifen auch noch besondere, mehr oder
weniger lokale Vorkommnisse mitbestimmend ein in die Gestaltung der klimatischen
Beschaffenheit und in die Beziehungen derselben zur Pflanzenkultur. Bekannt
sind die gewaltigen Einflüsse des wärmespendenden Föhns auf den Verlauf der
Uebergänge von der rauhen Jahreszeit zur Herrschaft des Frühlings. In der
That wären die höheren Lagen des Landes ohne die Dazwischenkunft dieser
merkwürdigen Erscheinung der Segnungen einer lohnenden Landbewirthschaftung
überhaupt nicht theilhaftig. Im engsten Zusammenhange mit den vorgeführten
Verhältnissen st^ht das namentlich im Grebirge sehr häufige Vorkommen reichlicher
erfrischender ThaufäUe. Aber auch von außergewöhnlichen meteorischen Vorgängen
wird die Landwirthschaft des Landes, freilich in sehr verschiedenem Grade, be-
troffen. In einzelnen Distrikten werden ihr durch die häufige Wiederkehr zer-
störender Hagelwetter die ärgsten Verluste verursacht, in anderen hat sie mit
der Gefahr zu kämpfen, bei Entladungen von Hochgewittem durch üeber-
<4chwemmungen geschädigt zu werden, und wie ruinös ihr leider nur zu oft das
Auftreten von Spätfrösten, sowie von frühen und späten Schneefällen werden
kann, das lehren die Erfahrungen insbesondere aus den letzten beiden Dezennien.
Es sind also Unfälle mannigfacher Art, auf welche gefaßt zu sein ihr die eigen-
artige, wesentlich auch von den orographi sehen Verhältnissen abhängige Gestaltung
des Klimans zur Pflicht macht, Beschwerden, deren Bedeutung für die Oekonomie
der Pflanzenkultur ihren Ausdruck findet in der Uebernahme eines größeren
Risiko's.
3) Der Boden.
Es ist eine kaum zu bewältigende Aufgabe, ein alle Einzelheiten umfassendes
Bild von der Beschaffenheit des Kulturlandes der Schweiz zu entwerfen. Ein
derartiges Tableau müßte eine genaue Darstellung der Entstehungs- und Lagerangs-
verhältnisse des Bodens, der Beschaffenheit der Gesteine, aus welchen derselbe
her\'orgegangen, seines Gehaltes an Gerüst- (konstituirenden) Bestandtheilen, und
im Zusammenhange damit einen Nachweis der Höhenlage, des Grades der Ab-
dachung, der Neigung nach der Himmelsgegend, der Lage zu Gewässern etc.
umfassen. Zur Erlangung einer vollständigen Uebersicht über diese Verhältnisse,
und namentlich zur räumlichen Abgrenzung je besonderer Typen, reicht aber das
vorhandene Beobachtungsmaterial entfernt nicht aus. Und selbst wenn dasselbe
in erschöpfendem Umfange zur Verfügung stände, so würde die Anwendung auf
dif, vorliegende Aufgabe geradezu scheitern an der erstaunlichen Verschiedenheit
der thatsächliehen Vorkommnisse.
Ein großer Theil des Gebietes der Schweiz ist mit Schwemmboden (Fluth-
schuttland) bedeckt. Hierher gehören die Alluvionen, welche sich in verschiedener
Mächtigkeit über die Thalsohlen ausbreiten und in Ablagerungen von Dammerde,
Torf, Löß, Lehm, Sand und Kies bestehen, sodann auch alle jene feinerdigen
Schichten, welche sich als Verwitterungsprodukte von den anstehenden Felsen
abgelöst untl mit Hülfe des Wassers und des Windes auf den tieferliegenden
Terrassen und Plateaux niedergelassen haben. In einem ausgedehnten Gebiete
des Mittel hindes kommen diluviale Ablagerungen von Kies oder Grand, Saud,
Thon, Lehm, Mergel etc. verschiedenen Alters vor. Dieselben liegen auf dem
Land wir thschafl — 255 — Landwirthschaft
Grundgesteil), welches hier vorherrschend aus Molasse-Mergel und -Sandstein,
vereinzelt auch aus -Nagelfluh besteht. Diesen Gebilden reihen sich auch die
ungesohichteteu erratischen Massen (Morainen) an, welche nicht sowohl die Niede-
rungen, als auch die höheren Hügelgebiete in weitem Umfange bedecken und
entweder unmittelbar auf der Molasse oder auf älteren Eiesschichten ruhen und
hier und da auch von jüngeren Bildungen überlagert sind.
In agronomischer Beziehung sind unsere Schwemmböden im Allgemeinen
günstig zu beurtheilen. Sie sind vorherrschend tiefgründig, indessen wird die
Bearbeitung derselben durch die Neigungsverhältnisse gar nicht selten sehr er-
schwert. Die leichteren Böden des Landes gehören vornehmlich ihnen an. Aus
manchen der hierher gehörigen Bildungen ist jedoch auch ein steifer, schwerer
Boden hervorgegangen. Mit Ausnahme der humusreichen Decke der Thalsohlen
entbehren die Schwemmböden wohl nirgends eines angemessenen Ealkgehaltes.
Es bereitet begreiflich meistens große Schwierigkeiten, den Schwemmboden
hinsichtlich seiner Herkunft genauer zu charakterisiren und daraus Schlüsse auf
seine Zusammensetzung zu ziehen, weil derselbe nicht mehr auf dem Mutter-
gesteine lagert, welches seine Bestandtheile geliefert hat, diese also von sehr
verschiedenen und oft weit auseinander liegenden Gesteinen herrühren. Anders
gestaltet sich das Verhältniß bei den Verwitterung sböden (Gruudschuttlaud),
indem sich für die Beurtheilung der Beschaffenheit derselben allerdings schon
wesentliche Anhaltepunkte aus der Bestimmung der Art des Muttergesteines, auf
welchem er ruht, gewinnen lassen. Aber auch in dieser Hinsicht begegnet man
in der Schweiz einer erstaunlichen Mannigfaltigkeit.
Aus der Tertiärformation sind es namentlich die Molasse- und Eocengebilde,
welche zur Entstehung des Kulturbodens hauptsächlich zwischen Jura und Alpen
in erheblichem Umfange unmittelbar beigetragen haben. Erstere treten als obere
Süßwassermolasse (Sandstein, Mergel und Nagelfluh) und als Meeresmolasse vieler-
orts im Mittellande, sodann als Glieder der unteren Süßwassermolasse (Sandstein,
Mergel und Nagelfluh) in einem unzusammenhängenden Streifen, welcher von
G«nf 'in nordöstlicher Richtung bis zum oberen Bodensee reicht, zu Tage. Letztere
liefern in manchen Gebirgsdistrikteu, so besonders auf einem Striche, welcher
sich von Freiburg und dem Berner Oberlande aus nach dem Thuner- und Vier-
waldstättersee und von da nach dem Wallensee bis in das st. gallische Rheinthal
hinzieht, in dem Nummulithenkalk und dem bekannten, leicht verwitterbaren Flysch
ein verbreitetes Grundmaterial für den Kulturboden. Von den übrigen Gliedern
der Sedimentgebilde ragt hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung die sekundäre
Formation, und in dieser vorzugsweise diejenige der Kreide und des Jura hervor.
Die Kreideformation findet sich reich und massig in den Kalkalpen in Freiburg,
am Thuner- nnd Brienzersee, sodann namentlich in den Kautonen Unterwaiden
und Schwyz, in Glarus bis gen Appenzell; die Juraformation längs des ganzen
Westens des Landes, auf beiden Ufeni der unteren Rhone und in den Kantonen
Freiburg, Bern und Schaff hausen. Die ebenfalls noch hierher gehörende Triasgruppe
ist hauptsächlich nur im Gebiete des östlichen Oberrheins (Graubünden), sodann
auf dem linken Rheinufer oberhalb Basel und am Stockhom bis zum linken Rhone-
nfer vertreten. Eine Reihe von Sedimentgesteinen unbestimmten Alters wird
durch grane und grüne Thonschiefer, graue Kalksteine und Schieferthone reprä-
sentirt. Sie finden sich vornehmlich stark im Osten des Landes, so auf dem
rechten Ufer des Oberrheins und in Wallis auf dem linken Ufer der oberen
Rhone. Das Grundgesteiu für den Boden in allen übrigen Gebieten des Lundes,
80 insbesondere in einem großen Theile des Kantons Tessin, des Engadins^ d^^
Landwirtbschafl — 256 — Landwirthachaft
Kantons üri, dee Bemer Oberlandes und eines Distriktes auf dem linken Bhone-
ofer bei Martigny, wird dnrcb krystallinische Silicatgest«ine (Glimmerschiefer,
Gneise, Protogyne, Granite, Syenite etc.), den Hauptstoek der Zeiitralalpen,
gebildet. Bekanntlich sind mehrere Glieder dieser großen Gmppe dorch hohen
Gehalt an Feldspath aasgezeichnet, in welchem Verhalten es begründet ist, daß
sie — wie bei uns namentlich in Tessin — ein an Nährstoffen reiches Ver-
wittemngsprodukt liefern.
Schon aus dieser kurzen Darstellung ii<t ersichtlich, daß auch die Ver-
wittemngsböden der Schweiz sich in Bezug auf ihre Konfiguration, ihre Greriist-
bestandtheile, ihre chemische Zusammensetzung, ihre Tiefgrttndigkeit, den Grad
und die Richtung ihrer Abdachung und auf die von diesen Momenten abhängige
physikalische Beschaffenheit der Krume äußerst mannigfach gegen einander ab-
stufen. Unter allen Umstünden ist ihr Gehalt an eigentlichen Nährstoffen und
daher auch die Fruchtbarkcit^nlage wesentlich von der chemischen Konstitution
der G^steinsunterlage bedingt, aus deren Verwitterung sie hervorgegangen sind.
Im Allgemeinen umfassen sie aber das schwerer zu bearbeitende, vorherrschend
flachgründige, mit GesteinstrUmmem mehr oder weniger durchsetzte, jedenfalls
höher gelegene und daher auch klimatisch minder begünstigte Land.
In Nachfolgendem geben wir schließlich noch *) eine Uebersicht über die
VertheUunt/ der Gebinjsfoi'mationen der Schweiz in Hauptffrnppen. Geht man
nämlich aus von der First des Landes, welche die zentrale Wasserscheide enthält,
und folgt man einer in nordwestlicher Richtung durch dieselbe gelegten Linie,
Ko zeigt sich, daß die verschiedenen Gebilde in zouenartiger Anordnung an
einander schließ(^n. Es lassen sich alsdann unterscheiden :
1. Die Zentralalpenzone, vorherrschend aus kristallinischem Silicatgestein
bestehend, mit eingelagerten Mulden von Kalk und Thonschiefer (Bündner
Schiefer etc.).
II. Die Kaiknipenzone, mit einer Abzweigung im Süden des Landes. Der
nördliche Gürtel ist sehr ausgedehnt und besteht aus Jura- und Kreide-
bilduiigen, unter welchen vorherrschend Kalksteine, in untergeordnetem
Grade thonige und kieselige Kalke auftreten. Hier kommen Verwitterungs-
(Ur-) Böden ziemlich häutig vor. Auf den Terrassen und in den Thal-
gründen finden sich starke Beimengungen von Gletschersehutt oder Floß-
anschwemmungen aus der zentralen Zone. Die im Süden auftretende
Abzweigung ist weit weniger ausgedehnt und entbehrt der Bau derselben
auch der Symmetrie mit der nördlichen Zone. (Die anschließenden jüngeren
Glieder [Nagolfiuh und Molasse] sind dort von dem Diluvium und Alluvium
der Po-Ebene überlagert.)
III. Die Flyschzone. Dieselbe enthält eocene Mergel und Thonschiefer mit
eingelagerten Kalkbänken und greift vielfach in die Kalkalpenzone hinein.
Es finden sich häutig fruchtbare Flächen von Verwitterungsboden, aber
auch Schuttauflagerungen aus der I. und II. Zone.
IV» Die yagclfinhzone zeigt sich durchgehends gegen die Flyschzone scharf
abgegrenzt. Das Gestein ist mannigfach zusunimengesetzt und besteht aus
zusammengekittetem Gerolle aus den Zonen I, II und III. Nach Norden
gehen die Bildungen allmählich in die Sandsteine und Mergel der Molasse über.
V. Die Mohissezone umfaßt hauptsächlich die Sandsteine und Mergel des
Mittellandes. Hier und da ist sie mit Verwitterungsboden bedeckt, weit
'; Auf Grund einer dankenswertlien Mittheilung von Prof. Dr. A. Heim in Zürich.
Landwirthschaft — 257 — Landwirthschaft
häufiger aber kommen Auflagerungen durch Flußanschwemmungen und
Gletacherschutt aus den Zonen I — IV in derselben vor.
VI. Die Jurazone, In ihr tritt vorherrschend Kalkstein, in untergeordnetem
Grade Mergel auf, indessen im südlichen Theile Auflagerungen von alpinem
Gletscherschutt aus den Zonen I — IV häufig angetroffen werden.
Die Gesteine der Zonen I, III und V (Zentralalpen, Flysoh und Molasse)
sind schwer durchlässig und liefern nur kleine, aber zahlreiche (Quellen (Schutt-
quellen) ; in den Kalkzonen II und VI (alpine und Jura) ist dagegen das Gestein
durchlässig, kommen trockene Hochfiächen häufiger vor und finden sich weniger
zahlreiche, aber starke Quellen in den Thalgründen.
4) Kulturregionen.
In einem Lande, in welchem auf verhältnißmäßig kleinem Räume die be-
deutendsten Erhebungsstufen vorkommen, müssen sich die Einflüsse der seither
geschilderten Zustände auf den Charakter der Vegetation und speziell auf die
Verbreitung der Kulturpflanzen in auffallendster Weise zu erkennen geben. That-
sächlich ist kaum ein zweites Gebiet so sehr geeignet, jenen Zusammenhang zu
veranschaulichen, als gerade die Schweiz, und sind deßhalb auch seither schon
von verschiedenen Seiten üebersichten zu dem Zwecke geliefert worden, um die
Erscheinungen im Großen mit Rücksicht auf die Gebirgsart, die Höhe, das Klima
und andere wesentlich positive Merkmale durch Abgrenzung von Ver/etations-
gürtein und bezw. Kulturregionen zur Darstellung zu bringen.
In nachfolgendem Bilde soll, unter Anlehnung an die Beobachtungen und
Vorschläge der Gebrüder Schla(jintwtitj von Wahlenberg, Unger, Uegetschwyler,
Heer, Christ, Berlepsch, versucht werden, einen üeberblick über die ein-
schlagenden Verhältnisse zu geben.
In dem Schweizer Gebiet lassen sich füglich sechs Kulturregionen unter-
scheiden. Sie sind :
1) Die Tiefland- oder Hügelland- (coUine) Region. Dieselbe
reicht von der tiefsten Lage am Südalpenabhang von 197 m (Tessinthal am Lago
Maggiore) bis auf etwa 800 m Höhe und umfaßt in der Hauptsache das sog.
Mittel- oder Flachland zwischen Alpen und Jura, und überhaupt diejenigen
Distrikte des Landes, in welchen sich noch die Bedingungen für eine planmäßige
Feldkultur erfüllen. In der That haben hier fast alle Kulturpflanzen des mittleren
Europa's Aufnahme gefunden. Au den sonnigen Hängen der tieferen Lagen be-
gegnet man einem sorgfältigen und lohnenden Betriebe des Weinbaifes, in den
feuchteren Thalsohlen einem reichen Graswuchse, dazwischen auf nassen Gründen
häufig auch Streuewiesen. Alles übrige, einer systematischen Kultur überhaupt
zugängliche Gelände, soweit es nicht durch den vorzugsweise auf Höhenrücken,
nördliche Hänge, steile Berglehnen und enge Thaleinschnitte etc. beschränkten
Waldbau in Anspruch genommen wird, vertheilt sich eben — außer auf Gärten
— auf Äcker- und Wiesland, immer aber doch so, daß dem ersteren nur die
trockeneren, weniger geneigten, leichter bearbeit baren, besser beleuchteten und
nicht allzuweit von den Gehöften entfernten Grundstücke überwiesen werden.
Daa Mittelland bildet zugleich den Hauptsitz einer schwunghaften Obstkultur,
Innerhalb dieser Region läßt sich indessen noch ein, zwar nicht über größere
zusammenhängende Flächen sich ausdehnendes, aber doch wohl umschriebenes
Gebiet absondern, welches die tiefer liegenden Landstriche am Südalpenabbange
einschließt. Christ gab ihm die Bezeichnung: Insubrisches Gebiet, In dasselbe
fallen die Thallandschaften an der Südgrenze mit ihren Seegestaden ^ a\i&^<&TföV(^T\.^\.
riinr«r, Volkiwlrtbachaftn-Lexikon der Scbweix. \J1
lAii'SwiiÜL-^baift — 258 — Luidwirthselialt
durch die L'«ppigkeit des Pflanzen wachaes und da« Vorkommen von Gliedern der
Mittelmf^rflora. Es idnd jene gesegneten Düftrikte, in welchen vor Allem die
H«b;f diti lfaull>eere und der Xaii» in der regelmäßigen Kaltnr vertreten sind,
aber auch der Oelbaom, die Feige, die Granaten and die Mandel ohne den
iijifid*:iitcu Schutz zu großer Vollkommenheit gedeihen, and selbst Limonen, Lor-
Usereil, (>|ireiM»en, japaniflche ML^peln etc. im Freien aashalten. Anklänge an die
»»ttdliche Vegetation dieber von der Natur ungewöhnlich bevorzugten untersten
Thalht riebe geben »ich übrigens aach noch in den nördlich anschließenden höheren
Thallagen Tessins zu erkennen, wo z. B. noch die edle Kastanie in größeren
licHtäudcn auftritt und förmliche Waldungen bildet. Nach dem Westen und Norden
deN Landes sich erstreckende, oasenartig auftauchende Ausläufer des insubrischen
Gebietes, in welchen noch mehrere besonders widerstandsfähige Typen der süd-
liehen Flora vorkommen, gewissermaßen vorgeschobene Posten, finden sich endlich
im unteren Rhon(;thal bis Sitten, längs des Jura am Neuenburgersee, am Thuner-,
Vierwaldstätter-, Samer- und Wallensee, im Rheinthal etc., insbesondere da, wo
das Terrain durch Hochgebirge geschützt und in Folge seiner Neigung gegen
Hüdon durch eine starke Insolation begünstigt ist.
2) Die montane oder Bergregion. In einer Erhebung von etwa
HOO m bis 1300 m erstreckt sich dieses Grebiet, in welchem der Mensch noch
bleibende Wohnstätten aufgeschlagen hat, vornehmlich über die sog. Maietisäße,
Vorsäße, Vorberf/e oder Voralpen, Die Hauptkulturart bildet hier außer dem
Holzgrund das Grasland, fast ausschließlich Berg wiese oder unbewässerbare
Matte, welches in den Weidedistrikten meist mit Ende Mai für einige Wochen
mit Vieh befahren und wiederum im FrUhherbste bis Ende September als Weide
benutzt wird. Zwischen hindurch dienen die Grasländer auch zur Gewinnung von
DUrrfutter, und sind daher diese Reviere vielerorts mit zahlreichen zerstreut
liegenden Ueusf^heuneu und Ställen besetzt. Die Flora des Jura gehört vor-
herrschend dieser Zone an. Bei durchschnittlich etwa 1100 -1200 m verschwindet
hier der Obstbau und beginnt in mannigfachen Spezies die Alpenflora. Der Wein-
stock gelangt nicht mehr zu normalem Gedeihen, und der Nußbaum und selbst
die Zwetschge bringen nur noch in geschützten Lagen reife Früöhte. In der
Hergregion kommen noch alle grasartigen Getreidearten und die ELartoifeln fort,
in den tieferen Lagen selbst der Mais. Die Entwicklung des Weizens ist aber
über die obere Grenze hinaus nur ausnahmsweise gesichert. Der Wald bedeckt
uiiHgedehnte Flächen. Dabei bestehen die meisten und bedeutendsten Waldungen
aus Nadelholz. Im Laubholzwald tritt die Buche und der Bergahorn überwiegend auf.
3) Die subalpine oder untere Alpenregion. Reichend über die
Höhen von 1300 m bis 1800 m, umschreibt sie das Gebiet der mittleren Staffel
(Mittolalpen). In sonnigen und geneigten Lagen wird hier das Land von Mitte
oder Ende Mai bis Oktober schneefrei. Die weitaus vorherrechende landwirth-
sohaft liehe Benutzung des Bodens ist die zur Gras weide, in deren Reviere, ge-
wissermaßen anlehnend au die wenigen kleinen Dörfer und einsamen Hütten,
welche noch in die Mittelalpen hinaufragen, nur vereinzelte Getreide- und
Kartoffelfelder eingesprengt sind. Aber diese Kulturen reichen nicht überall bis
/.ur oberen (ironze. Der Auftrieb des Viehes auf die Weide — dieselbe bildet
den Haupt bestand der Kuhalpen — beginnt hier um die Zeit von Mitte bis
Knde Juni und dauert die Weidenutznng nur bis Anfiuig oder Mitte September.
Die Waldungen bestehen meist aus düsteren Tannenforsten. Die Buche ver-
schwindet tast ganz, und bildet der Bergahom das vorherrschende Laubholz.
Landwirtbschaft — 259 — Landwirthschaft
4) Die alpine Region. Dieselbe erhebt sich von 1800 m bis 2300 m
und bildet das G-ebiet der oberen Staffel (Hochalpen), welches, soweit die land-
wirthdchaftliche Nutzung in Betracht kommt, fast ausschließlich der Weide-
wirthschaft dient, üeber 1800 m kommen Waldbestände in geschlossener Form
nur in geringer Ausdehnung vor. Einzelne Bauraarten reichen noch bis zu
2275 m nnd darüber. Ueber den Wäldern wird der Boden an stark geneigten
und stark besonnten Hängen von Ende Juni bis Ende September schneefrei,
indeß an schattigen und zugigen Stellen Schneegruben gegen die Höhe hin den
ganzen Sommer über bleiben. Die Weiden, welche hauptsächlich der Sommerung
von Galtvieh und Schafen dienen, werden erst Ende Juli oder Anfangs August
bezogen und bis Anfang September benutzt. Das Rindvieh begeht dieselben aber
dorchschnittlich nicht in Höhen über 1950 m, vereinzelt freilich auch bis auf
2100 m unfl mehr, mit welcher oberen Grenze daher auch diejenige der Senn-
hütten zusammenfällt. Darüber hinaus liefert das Gebiet nur noch Raum und
Gelegenheit zur Weide für Ziegen und Schafe (Schafalpen). Die eigentlichen,
indessen mehr zerstreut, als in Beständen auftretenden Bäume sind die Lärche
und die Arve oder Zirbel. Sonst kommen hier hauptsächlich nur noch Alpen-
sträucher (Juniperus, Rhododendron, Azalea, Vaccinium, Salix, Pinus Pumilio
[Legföhre]) vor.
5) Die subnivale oder gebrochene Schneeregion, welche sich
von etwa 2300 m bis auf 2800 m erhebt, bildet „eine nach Ort nnd Umständen
varürende üebergangszone zum scheinbaren Naturtode, auf welcher mehr als ^4
des Terrains mit Gletschern, Schneebuchten und felsigen TrUmmerhalden bedeckt
bleibt. An besonders günstigen Stellen verliert sie bis Ende Juli das Eiskleid,
um nach 8 — 10 Wochen ein neues anzuziehen.*" Alle Baumformen sind hier
gänzlich verschwunden.
6) Die nivale oder eigentliche Schneeregion. Sie umfaßt in
einer Höhe von 2800 (2665—3090) m bis 4638 m alles Hochgebirge und
bekommt nur hier und da, wo die Felsen zn steil sind und die Sonne bei dieser
Höhe noch kräftig wirken kann, im August noch schneefreie Stellen. Uebrigens
zeigt gerade diese Region das Beispiel auffallender lokaler Abweichungen. So
finden sich nach Berlepsch an der Südseite noch bei 3250 m Oasen von
Phanerogamen, giebt es über der Schneegrenze noch umfangreiche Bergkuppen
(nächst dem großen St. Bernhard bei 2876 m), welche während 6 — 8 Wochen
im Sommei eine dichte und kräftige Rasendecke zeigen.
Durch die vorliegende gedrängte Darstellung der thatsächlichen Erscheinungen
wird zugleich die bekannte Erfahrung bestätigt, daß für die Abgrenzung der
verschiedenen Yegetationsgürtel nicht bloß die absolute Höhe, sondern auch die
mehr oder weniger südliche und östliche Lage nnd die Richtung und Gestalt der
Berge und Thäler von Einfluß sind. Zur weiteren Yeranschaulichung des Ver-
hältnisses mögen sodann noch einige übersichtlich geordnete Angaben über die
Verbreitung der hauptsächlich in Betracht kommenden Kulturpflanzen folgen : ')
^) Die einzelnen Notirungen beziehen sich da, wo keine besonderen Anmerkungen
beigefögt sind, durchweg auf die obere Grenze, und durch die Angabe zweier Zahlen
sind die Schwankungen in dieser oberen Grenze angedeutet.
Landwirtbschalt
— 260 —
Landwirthschatt
Alpengruppen
•
•
Nord-
schweiz
Dl
Berner Grau-
AlptiU bünden
m lu
WaUis
Monte Rosa
u. Montblanc
m
487—552
780
812*
942«
877-975
1105
1365 ^«
552—617 750
880 910 »
812—877 * 1040
1300 1300-1365^
1235« 1332^
1527 1625
1202-1267" 1516
790-812
975«
1158
1353
11
1564
890
975'
1137-1202
1981
1560—1592
1787"
1949
1949
1949 " 1949 »•
1982 *' 2047 " !
1982«'» 2047—2079"
2086
2112—2161
•
2112
2112^«
2112"
K)14— 2047 2112-2177" 2274**
2664 2697 *« 2794-2859
2226
2768
2437«*
3087"
1. Weinstock . .
2. Kastanie . . .
3. Nuiibaum . .
4. Kirschbaum . .
5. Birn- u. Apfelbaum
6. Getreide** . .
7. Buche ....
8. Coniferen:
a. Pinus Abies .
b. „ Larix .
c. « Cembra
9. Grenze der Strauch-
region ....
10. Schneegrenze
Von Einzelheiten sei noch erwähnt, daß die Kartoffeln im Durchschnitt bis
auf 1460 — 1625 m, im Kanton Wallis (Findelenthal) nach Schröter und Siebter
bis auf 2000 m reichen, ferner die obere Grenze für Tabak, Spargel, Aprikosen,
Pfirsiche und Quitten in Bünden 750 m beträgt, in diesem Kanton innerhalb
der Bergregion (800 — 1300 m) noch Kürbisse, Artischocken, Zwiebeln, Cichorien
und Buchweizen, bei 1740 m (im Engadin) noch Erbsen und Blumenkohl an-
getroffen werden, und anderwärts im alpinen Gebiet Weißrüben bis auf 2015,
Salat und Spinat sogar bis auf 2045 m reichen. Nach Heer kommen Bohnen
in Glaruö noch bei 845 ra, in Graubünden bis 1040 m vor, und ist die obere
Grenze für Kohl, Kabis, Feldbohnen und Hanf dort 1462,5, hier 1625 m.
5) Bevölkerung.
Nach dem Ergebnisse der letzten Volkszählungen betrug:
1850—1860 .
1860—1870 .
1870—1880 .
1850—1880 .
Bezogen auf den Flächeugehalt, war somit im Jahre 1880 die Bewohner-
zahl: Pro 1 km^ des gesammten Areals (ohne die See'n) 71, pro 1 km* produk-
tiven Landes 96.
die ortsanwesende
Bevölkerung :
1850 .
. 2^392,740
1860 .
. 2'507J70
IbTO .
. 2^669,147
1880 .
. 2'846,102
Zunahme ]
per Jahr :
Absolut
In 0/0
10,668
0,44
16,238
0,63
17,695
0,64
14,867
0,57
* Im sudlichen Graubünden. — ^ In sehr günstigen Lagen. — * Am südlichen
Monte Rosa. — * Maximum in Glarus 845 m, am Wallensee 940 m. — * Maximum in
einem Thalkessel gegen S.-W. 1170 m. - ® Maximum 1105 m, in Glarus 1140 m. —
^ Maxiraum 1460 m. — * Mittlere Grenze. — ® Apfelbaum in Graubünden nach Heer
1140 m. — *® Als durchschnittliche Obergrenze gilt für Weizen 1300 m, för Gerste
1835 m, für Roggen und Hafer in Graubünden (nach Heer) 1625 m, für Mais 810—880 m
(in Graubünden 750 m). — ^Mn Wallis Weizen bis auf 1320, ausnahmsweise 2000 m,
ebenso Rog^'en 1370 m, höchste Grenze desselben 2100 m (nach Schröter und Stehler).
- ^'^ Maximum 1495—1560 m. — " Maximum 1462 m (selten). — ** Maximum
1884—1950 m. — '* Maximum 2014-2047 m. — ^** Maximum 2144 m. — " AUgem.
Maximum 2014—2047 m. — »« Maximum 2075—2310 m. — »® Maximum 2275-2325 m.
- ^" Maximum 2112 m. — -' Maximum 2274—2307 m. — " Maximum 2274-2323 m.
- -'' Maximum 2274 m. «* Wachholder, obere Grenze 2599-2697 m. — ** Rhodo-
dendron am Monte Rosa 2885 m. — " Stellenweise 2729 m. — " Südlich am Monte Rosa.
Landwirthschaft — 261 — Landwirthschaft
Um aber das Verhältniß der Bevölkerungsdichtigkeit zar landwirthschaft-
lichen Produktion zum Ausdruck zu bringen und an solches weitere Schluß-
folgerungen zu knUpfen, bt es erforderlich, die Zahl der Bewohner lediglich auf
die landwirthschaftlich benutzte Bodenfläche zurückzuführen. In dieser Beziehung
ergiebt sich, daß auf 1 km^ (100 ha) dieser Fläche (21784,8 km^) durchschnittlich
131 Einwohner leben. Sehr bemerkenswerth ist indessen, daß sich die Bevölkerung
in den einzelnen Kantonen höchst ungleich über den landwirthschaftlichen Kultur-
boden vertheilt. Stellt man beispielsweise die Ergebnisse — abgesehen von den
Stadtkantonen Basel und Genf — für je einige der dichtest und der schwächst
bewohnten Kautone einander gegenüber, so zeigt sich, daß auf 1 km' Bewohner
kommen in:
Aargau . . . . 219
Baselland . . . 214
Tessin .... 99
ünterwalden . . 81
Welche Stellung die Schweiz in Bezug auf jenes Verhältniß einnimmt, wird
am besten durch den Vergleich mit anderen Ländern veranschaulicht. Zu diesem
Zwecke mag hier beispielsweise die Notiz Aufnahme finden, daß sich für je
1 km^ landwirthschaftlich benutzten Boden Einwohner berechnen in:
Neuenburg . . . 300
Zürich .... 282
Appenzell A.-Rh. . 279
Schaff hausen . . 228
Uri 64
Wallis .... 57
Obwalden ... 56
Graubünden . • • 33
Deutschland 122
Frankreich 112
Oesterreich Ungarn ... 98
Rußland 56
Belgien 298
Sachsen (Königreich) . . . 286
Großbritannien und Irland . 186
Württemberg 158
Wird nun von der bekannten Thatsache ausgegangen, daß die räumlich
gebundene Landwirthschaft immer nur eine begrenzte Zahl von Bewohnern in
sich aufnehmen und festhalten, ein starkes Anwachsen der Bevölkerung also nur
in der Ausbreitung anderer Erwerbszweige beruhen kann, so lassen sich aus dem
Verhältnisse, in welchem die Seelenzahl sich über den landwirthschaftlichen
Kulturboden vertheilt, oder aus der Größe der Fläche dieses Landes, welche im
Durchschnitt auf einen Bewohner trifft, Schlüsse auf den Umfang ziehen, in
welchem die industrielle Thätigkeit neben der landwirthschaftlichen vertreten ist.
In der oben mit den höchsten Bevölkerungsziffern aufgeführten Reihe figuriren
Länder, in welchen die Fabrikation und der Handel notorisch ein bedeutendes
Uebergewicht vor der Beschäftigung in der Landwirthschaft haben, die Erträge
de« von dieser bebauten Landes also auch nnzureichend sind, um den Bedarf der
Bevölkerung zu decken. Nach dem Flächenraume an sich betrachtet, schließt
sich die Schweiz denselben zwar unmittelbar an. In Rücksicht aber darauf, daß
hier ein sehr umfangreiches Gebiet des landwirthschaftlich benutzten Bodens —
insonderheit in den Alpen — wegen seiner ungünstigen Naturbeschaffenheit auf
einer nur sehr geringen Stufe der Ergiebigkeit steht, kann von einem zutreffenden
Vergleiche mit anderen Ländern, bei welchen ganz abweichende Bonitätsgrade
des landwirthschaftlichen Kulturbodens vorausgesetzt werden müssen, kaum die
Rede .sein. Wollte man dieserhalb unter Berufung auf allgemeine Anschauungen
durch entsprechende Reduktion der Fläche eine Korrektur vornehmen, nun, so
würde man zu der Ueberzeugung gelangen, daß die Schweiz sich hinsichtlich
der Bevölkerungsdichtigkeit relativ zum lamlwirthschaftlich benutzten Boden an-
nähernd verhält, wie die ausgesprochensten Industriestaaten unseres Erdtheils.
Diese Auffassung gewinnt übrigens eine direkte Bestätigung in anderweitigen
statistischen Ermittlungen.
1870
1880
43,845
41,048
35,521
37,170
8,897
11,18»
Landwirthschafl — 262 — Landwirthschaft
Die gesammte Bevölkerung des Landes (Beruftreibende, Angehörige und
Hausgesinde) vertheilte sich (nach den Angaben in der Abhandlung „Berufs-
verhältniflse'') auf die Haupterwerbsgruppen in Prozenten wie folgt:
1) Urproduktion (Bergbau, Landwirthschaft und ^^^^
Viehzucht, Forstwirthschaft, Jagd und Fischerei) 46,i8i
2) Industrie 35,49o
3) Handel und Verkehr 8,845
4) Andere Erwerbs- und Berufszweige (öflPentl. Ver-
waltung, Wissenschaften und Künste, persönliche
Dienste und ohne bestimmte Berufsangabej . . 9,984 12,2S7 10,598
100,000 100,000 100,000
Da nun von der 2iahl derjenigen Bewohner, welche den Gewerben der Ur-
produktion angehören, nur ein sehr geringer und im Allgemeinen nur wenig
schwankender Antheil (etwa 1 — 2 ^/o) außerhalb der Landwirthschaft steht, so
mögen jene Ziffern annähernd auch für das landwirthschaftliche Grewerbe zutreffen.
In der That ergaben die direkten Ermittlungen für das Zähljahr 1880, daß die
Landwirthschaft in der gesammten Bevölkerung (2' 846, 102) nur mit 1*138,678
Personen oder mit 40,01 ^/o vertreten war, und daß in der landwirthschaftlichen
Bevölkerung sich fanden:
Erwerbtreibende . . . 546,462 = 47,99 7o
Hausgesinde 28,031 = 2,46 7o
Angehörige ohne Erwerb . 564,185 = 49,55 7o
1' 138,678 = 100,00 7o
Anläßlich der schweizerischen Viehzählung im Jahre 1886 wurde auch die
2iahl der Viehbesitzer ermittelt. Dabei zeigte sich, daß im Ganzen 289,274
Personen sich mit der Viehhaltung befasseu, und von denselben 258,639 Per-
sonen (89,4 7o) zugleich Landwirthschaft betreiben, dagegen in 30,635 Fällen
(10,6 7o) mit dem Viehbesitze kein landwirthschaftliches Gewerbe verbunden war.
Im Jahre 1880 wurde konstatirt, daß auf je 100 Bewohner 21,4 Haushaltungen
kamen. Legt man dieses Verhältniß auch für das Jahr 1886 unter Berück-
sichtigung des mittleren Bevölkerungszuwachses im letzten Dezennium zu Grunde,
so berechnet sich die Gesammtzahl aller Haushaltungen auf 628,555, und ergiebt
sich sonach, daß die Zahl der viehbesitzenden und Landwirthschaft treibenden
Haushaltungen (258,639) nahezu 41,1 7o aller ELaushaltungen betrug, ein Ver-
hältniß, welches sich mit den Resultaten der direkten Erhebung nahezu deckt,
üebrigens ist man berechtigt, diese Zahlen auch auf die grundbesiteenden Haus-
haltungen anzuwenden. Denn wenn auch die Landwirthschaft auf mieth weise
erworbenem Lande betrieben wird, und daher nicht alle Landwirthe zugleich
Grundbesitzer sind, so wird das vorliegende Ergebniß durch derartige Fälle doch
nicht wesentlich verschoben, weil die Pachtwirthschaften in der Schweiz zu den
selteneren Erscheinungen gehören.
Bringt man endlich noch die Zahl der der Landwirthschaft angehörenden
Bewohner mit der dieser dienenden Eulturfläche in Zusammenhang, so ündet
man, daß auf je 1 km^ (100 ha) des landwirthschafllich benutzten Landes 12
landwirthschaftliche Betriebsstellen vorkommen, und 52 Menschen ihren Lebens-
unterhalt durch die Benutzung des Bodens finden.
Die aus den vorliegenden Erhebungen unzweifelhaft hervorgehende Thatsache,
daß sich die Landwirthschaft treibende Bevölkerung in der Schweiz gegenüber
Luidwirthschafl — 263 — Landwirthschaft
den Angehörigen anderer Erwerbszweige sehr in der Minderheit befindetf wird
sohließlioh auch noch durch die Ergebnisse der Handelsstatistik vollends erhärtet.
Je mehr in einem Lande die außerhalb der Bodenkultur stehenden Gewerbe zum
üebergewichte gelangen, desto weniger ist die Landwirthschaft im Stande, die
für die stark anwachsende Bevölkerung erforderlichen Nahrungsmittel zu erieugen,
desto entschiedener muß sich daher auch das Bedürfniß einer Einfuhr an Er-
zeugnissen des Bodens von Außen geltend machen. Dieser Fall liegt für die
Schweiz in der That vor. Denn es belief sich die Mehr-Einfuhr (Ueberschuß
der Einfuhr über die Ausfuhr) an landwirihschaftlichen Produkten im rohen
und verarbeiteten Zustande auf:
Im Granzen : Per Kopf der Bevölkerung :
1885 . , Fr. 131'188,635 Fr. 45
1886 . . „ 153'509,031 « 52
Es sind das Beträge, welche ein Defizit in der Versorgung des Landes von
etwa Vb — ^/i des gesammten Bedarfes der Bevölkerung zu bedeuten haben.
Der Entwicklungsgang, welcher sich in diesen Ergebnissen ausspricht, ist
aber bis jetzt keineswegs zu einem Stillstande oder Abschlüsse gediehen. Denn
die oben mitgetheilten Ziffern über die Zunahme der Bevölkerung beweisen, daß
diese seit dem Jahre 1850 in von Jahrzehnt zu Jahrzehnt steigenden Propor-
tionen angewachsen ist, wenn auch bemerkenswerth bleibt, daß die Bewegung
der zweiteu Periode (1860 — 1870) von derjenigen des jüngsten Dezenniums
(1870 — 1880) nicht in dem Verhältnisse überholt wurde, wie dieselbe dem
Zuwachs im ersten Zeiträume (1850 — 1860) vorauseilte.
Dasselbe Bild, welches die Vergleichung der ganzen Schweiz mit Ländern
vorherrschend agrikoler Bevölkerung darbietet, wiederholt sich, wenn man die
Stellung betrachtet, welche die einzelneu Landestheile in Bezug auf die Erwerbs-
richtung zu einander einnehmen. Wir haben Distrikte, deren Bevölkerung weit
überwiegend auf die Beschäftigung in Industriegewerben angewiesen ist, neben
solchen, in welchen andere Gewerbe, als diejenigen der Rohstotterzeugung, bezw.
der Landwiithschaft, eine erhebliche Ausdehnung nicht haben finden können. Zu
den ersteren zählen vornehmlich die mit Verkehrsmitteln reichlicher ausgestatteten,
dichter bewohnten Kantone des Flachlandes, von dem Alpengebiete nur Appen-
zell A.-Rh. und Glarus; die vorhen-schend agrikolen Landestheile dagegen sind
fast ausschließlich durch die Gebirgskantone vertreten. Ein mittleres Verhältniß
wird in den Kantonen Bern, Luzeru, Zug, Solothurn und Waadt angetroifen.
Ans dem Umstände aber, daß die Erwerbsverhältnisse in dem immerhin aus-
gedehnten Gebiete vorwaltend landwirthschaftlichen Charakters nicht mehr in dem
gesammten Ergebnisse zum Durch bruch gelangen, darf der Schluß gezogen werden,
daß die industrielle Beschäftigung in den gewerb reichsten Landestheilen unge-
wöhnlich stark in den Vordergrand tritt.
Unverkennbar üben die hier geschilderten Verhältnisse einen durchgreifenden
Einfluß nicht allein auf den Wohlstand de« Landes überhaupt, sondern auch
insbesondere auf den Betrieb der Landwirthschaft. Denn das der industriellen
Entwicklung folgende Zusammendrängen der Bewohner bedingt einen stärkeren
Konsum an Erzeugnissen des Bodens im Inlande; es ruft dasselbe einen lebhafteren
Absatz in solchen hervor; die Landwirthschaft wird dem Markte näher gerückt,
und da sich behufs Ergänzung der einheimischen Produktion das Bedürfniß einer
Einfuhr an Lebensmitteln geltend macht, so muß der Preis für diese gegenüber
dem Auslände um den Betrag der Bezugsspesen steigen. Dieses Verhältniß be-
günstigt wiederum überall da, wo nicht die natürliche Beschaffenheit des Bodens
Landwirthschaft — 264 — Landwirthschaft
und Elima'8 einengende Schranken neht, also namentlich im Flachlande, das
Streben nach einer intensiveren Grestaltnug der Bodenkultur. Im Zusammenhange
mit diesen Vorkommnissen steht aber aucb die Thatsache, daß die Ausdehnung
der induHtriellen und kommerziellen Thätigkeit den Grewerben der Bodenkultur
zahlreiche Arbeitskräfte entzogen hat und noch entzieht. Im Gesichtspunkte der
allgemeinen Interessen der Erwerbsgesellschaft wird man geneigt sein, diese
Erscheinung in so fern als eine wohlthätige zu betrachten, als sie Angesichts der
geringen Dehnbarkeit der Arbeitsgelegenheiten in der Landwirthschaft einer
Zunahme der Auswanderung entgegenwirkte und die Bevölkerung im Ganzen
der Vortheile erleichterteren und lohnenderen Erwerbes theilhaftig werden ließ.
Nichtsdestoweniger bleibt die Erfahrung bestehen, daß die Landwirthschaft der
Schweiz, natürlich wiederum am meisten in der Umgebung der großen Verkehrs-
zentren, sich mit dem Faktor relativer Seltenheit der Arbeitskräfte und bedeutender
Lohnhöhe abzufinden hat. Nicht minder hat der gleiche Entwicklungsgang seinen
Einfluß auf den Verkehr in Liegenschaften geübt, indem der Verdienst in der
Industrie zahlreiche Arbeiter in den Stand setzte, die in Folge der freien Theil-
barkeit der Grundstücke häutig gebotene Gelegenheit zur käuflichen Erwerbung
von Land zu benutzen und die Bewirthschal'tung desselben mit der Beschäftigung
in den technischen Gewerben zu verbinden. Aus bekannten und naheliegenden
Gründen erfüllen sich in derartigen Oekonomieen die Voraussetzungen für eine
Verminderung der Kosten der landwirthschaftlichen Produktion. Dieses sehr häufig
anzutretlende, beispielsweise im Kanton Zürich auf 11,3 "/o aller Haushaltungen
ausgedehnte, im Lichte der volkswirth^chaftlichen Interessen gleichfalls günstig
zu beurtheilende Vorkommen hat allerdings in den gewerbereichen Gegenden des
Landes zur Vertheuerung der Grundstücks preise wesentlich beigetragen.
6) Die Vert Heilung des Grundbesitzes.
Die Zustände in der Vertheihmg des Besitzes am Grund und Boden lassen
hioh von verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Man kann hierbei nämlich
von dem Verhältnisse ausgehen, in welchem sich die Landgüter nach den Kultur-
arten des landwirtliHchaftlich benutzten Bodens zusammensetzen, aber auch an
die verschiedenen Arten und Formen des Eüfenlhums anknüpfen, in welche der
Landbesitz zerfallt. Und faßt man insbesondere das Prioateiftenthnm in's Auge,
so bildet schließlich noch der Nachweis der Größe des in je einer Hand be-
findlichen Besitzes j sowie der Zakl der zu einem Besitzthum gehörenden einzelnen
(rilterstürke (Parzellen) und der Lof/e derselben zu einander eine wichtige Grund-
lage für die Beurtheilung der ökonomischen Verfassung des Landbaues. Es soll
darum auch in Nachfolgendem versucht werden, dem Gegenstände in allen den
angedeuteten Beziehungen durch eine gedrängte Darstellung näher zu treten.
Leider aber kann es sich hierbei um kaum mehr, als um einige Streiflichter
handeln. Denn gerade auf diesem, durch seine Tragweite unzweifelhaft hervor-
ragenden Gebiete begegnet man den ärgsten Mängeln und Lücken unserer Agrar-
statistik, einer Erscheinung, welche zunächst ihren Grund darin hat, daß in der
Mehrzahl der Kantone eine, vollständige Katastervermessung bis jetzt noch nicht
durchgeführt ist.
ti. Verthvilun(/ des (hnndbesitzes nach den Kulturarfen. Die hierauf
hezügliehen zusammenfassenden amtlichen Angaben, von welchen bereits die Rede
war, unterscheiden hei dem produktiven Areal nur zwischen dem (^von unseren
Hotraditungen auszuschließenden) Waldgebiete, den Rebbergen und dem ander-
w.Mten (landwirthscliaftlieh benutzten) Lande. Aus ihnen ist also der Antheil
Landwirth3chaft — 265 — Landwirthschaft
nicht zu ersehen, welcher im Einzelnen auf die Wiesen, die Weiden, das Acker'
und das Q-artenland entfällt. Von einer besonderen Ausscheidung auch der
Torßtiche und der Streueriedter ist vollends keine Rede. Das Bedttrfniß, über
die Yertheilung dieser Eulturarten einigermaßen Klarheit zu erlangen, ist aber
schon lange empfunden worden, und folgten der Aeußerung desselben auch wieder-
holte Versuche einer eingehenden Darstellung des Verhältnisses. Nach Lage der
Sache hat es sich hierbei aber nur um Annäherungswert he handeln können, und
lauten die gewonnenen Resultate so verschieden, daß man sich des Eindruckes
von einer ausgiebigen Inanspruchnahme des Schätzungsverfahrens nicht erwehren
kann. Wir stellen in Nachfolgendem diejenigen Zahlen zusammen, welche uns in
bekannteren Schriften über diese Materie begegnet sind, und gestatten uns, denselben
einige Werthe anzureihen, welche wir auf Grund verschiedener Kombinationen
geglaubt haben, den übrigens in neuerer Zeit von mehrfachen Wandlungen be-
trotiPenen Verhältnissen wenigstens annähernd entsprechend zu finden. Natürlich
folgen dieselben mit allem Vorbehalt. ')
Hiernach vertheilt sich die Fläche des landwirthschaftlich benutzten Landes also :
Vi»lk8w.- AniiHhoriiile.H
EniniiiiK- t u u u i ^i Mühl»- Lf>xiki>ii Mittel :
hiiUM ' mann (i>hcIi aniti. .. , . In Pro-
liii liit iiH ha li.i ha (iiind)
1) Rebland .
2) Ackerland
3) Oartenland
4) Wiesen .
5) Weiden .
I 31,979 35,530 35,530 1,6
65JO,197 612,000 600,000 604,699 1 621,000 28,5
637,200 036,480 (•>95,236 r ^*^'^^' 695,0(X) 31,9
792,000 792,000 794,291 I 795,000 36,5
r 488,474
1
^blmuUt^^ 2'041,200 2UJ8,480 2'186,205 2M78,480 2'178,4S0 100,0
Bei Betrachtung dieser Zahlenergebnisse springt vor Allem die Thatsache
in die Augen, daß das Grasland (Wiesen und Weiden) die weitaus vorherrschende
Kulturart des landwirthschaftlich benutzten Bodens bildet und vollauf zwei Drittel
dieses Areals in Anspruch nimmt, und ferner, daß weit mehr als die Hälfte des
Graslandes als natürliche Weide bi^uutzt wird. Dieses auf den ersten Blick auf-
fallende Verhältniß ist ganz wesentlich in der eigenartigen Beschatl'enheit des
Klimans und des Bodens des Landes begründet, welche den Graswuchs in einer
seltenen Weise begünstigt, aber auch — besonders mit Rücksicht auf die reichen
Niederschläge und auf die Lage des Terrains — eine verhältnißmäßig wohlfeile
Produktion gerade in der Wiesen- und Weidewirthschaft bedingt. In der Art
der Ausbreitung dieser Betriebsweise offenbart sich in hervortretendem Grade das
BedUrfniß und das Vermögen der Landwirthschaft, sich den gegebenen Umständen
anzupassen. Das Ueberge wicht der Benutzung des Bodens zur Graserzeugung
beginnt mit der Annäherung an das Gebirge, es folgt zunächst den Ebenen und
Hängen der wasserreichen Thaleinschnitte, besonders den Ufern der See'n, zeigt
sich namentlich zuerst auf dem nach Nordwesten, Norden, Osten bis Südosten
abfallenden Gelände und auf feuchten und kalkhaltigen Gründen. Begünstigt wird
es rUcksichtlich der Beschaffung der Handarbeitskräfte im größeren Besitzstande.
*) Die benutzten Zahleti finden f?ich in: 1) „Die schweizerische Volkswirths<*hall*,
von Dr. C. B, A. Emminghaus, I. Band. Leipzijjr: 2) ,Landwirtijschaftliches Lesebuch*,
von Dr. jP. v. Tschudi. Gekrönte Preisschril'l. Frauen leid ; 3) „ScLweizorkunde, Land
und Volk, übersichtlich dargestellf*, von H. A. Brrlcpuch. Braunschweitr ; 4) lieber
die Produktion der liandwirlh^chatl". Referat von C. MUhUmami. Zeitschrift für schwei-
zerische Statistik. 1886.
Landwirthschaft — 266 — Landwirthschaft
Mit dem weiteren AufiBteigen in die höheren Lagen — die Alpen — gewinnt die
GraBnutzung des Bodens immer mehr die Oberhand ; zu ihren Gunsten werden die
Kulturpflanzen des Feldes nach und nach ganz aus dem Dienste der Landwirth-
schaft entlassen, bis diese schließlicli nur noch in der reinen Gras- und Weide-
wirthschaft gipfelt. So will es einmal der Zwang der natürlichen Verhältnisse!
Das Ackerland, welches demgemäß im Allgemeinen stark zurücktritt und
sich im Wesentlichen auf die ebeneren, trockeneren und sonnigeren Lagen und
den milderen Boden des Flachlandes beschränkt, dient auf etwa der Hälfte seiner
Fläche der Getreidekultur, indessen der übrige Theil zum Anbau von Hackfrüchten
(Eartoifeln und Rüben), von Hülsenfrüchten, Lidustriepflanzen und namentlich
auch zur Gewinnung von Rauhfutter (Klee, Kleegras, Luzerne, Esparsette, Wicken,
Mais etc.) verwendet wird, durch letztere Gewächse also noch die Futt^rerzeugung
erweitem hilft. Abgesehen von den Gärten — in deren Abtheilung alle Zier-
und Nutzgärten und die Baum- und Rebschulen inbegriffen sind — gewährt das
Land auf ziemlich ausgedehnten Flächen, freilich vorzugsweise nur am Südalpen-
abhänge und dann in verschiedenen Strichen im Westen, Norden und Nordosten
des Mittellandes, die Bedingungen des Gedeihens der Bebe. Von weit allgemeinerer
Bedeutung ist dagegen wiederum der Obstbau, welcher vorzugsweise im Mittel-
lande, in Verbindung mit der Feld- und Wiesenkultur, eine starke Ausdehnung
gefunden hat, dessen Umfang im Ganzen aber bis jetzt noch nicht zahlenmäßig
festgestellt worden ist. Näheres über die Einrichtungen der Bodenbewirthschaftung
und die Bedeutung der einschlagenden Systeme folgt in einem späteren Abschnitte.
b. Vertheiluuff des Grundbesitzes in Bücksicht auf das Ei(/en(hum, Li
dieser Beziehung läßt die Agrar^tatiatik fast vollends im Stiche. Zieht man aber
neben den für das Alpengebiet vorliegenden direkten Ermittlungen auch die
Beobachtungen und Erfahrungen im Großen zu Rathe, so lassen sich zunächst
eweiy hinsichtlich der Eigenthumsverhältnisse sehr von einander abweichende,
Territorien unterscheiden. In dem ganzen Alpengebiete ist das (jenossenschaflliche
— Gemeinde- oder Kori)orations- — Eigenthum, hier vorzugsweise ausgedehnt
auf den Besitz an den Weiderevieren, in der ganzen übrigen Schweiz dagegen
das Privateif/enthum am Grund und Boden vorherrschend. Daß dort das korpo-
rative Grundeigenthum sich in so großer Ausdehnung behauptet hat, das Eigen-
thum einzelner Privaten dagegen ho sehr zurücktritt, beruht in den natürlichen
Bedingungen für die Bewirthschaftung der Alpen, und namentlich in dem Um-
stände, daß die fast ausschließliche einfache Benutzung zur Weide (und zur
Holzproduktion) weder einen großen Aufwand für Handarbeit, noch eine Sonder-
behandiung des Bodens erfordert, vielmehr auf großen, einheitlich verwalteten
Komplexen erfolgreicher betrieben werden kann. Unter anderen Verhältnissen,
welche hiervon wesentlich verschiedene Betriebseinrichtungen vorzeichnen, muß
daher das Bestreben zur Herstellung des Sondereigenthums zu Tage treten und
auch zur Verwirklichung gelangen, wie gerade die Erfahrung beweist, daß auch
der Thalboden in den Alpen von dieser Gestaltung schon frühzeitig betroffen
wurde. Ausführlicheres über die Vertheilung des Eigenthums an den Alpen ent-
hält die Abhandlung: y^Alpwirthschaft^ , üebrigens gehören die Fälle korporativen
Eigenthums auch außerhalb des Alpengebietes und selbst im Flachlande nicht
gerade zu den selteneren Erscheinungen. Es zählen dahin vornehmlich die Güter,
welche sich im Besitze der Gemeinden befinden und als BürgergiUer oder All-
menden der gemeinschaftlichen Benutzung durch die Ortsbürger — in der Regel
aber nicht in gemeinsamer, einheitlich geleiteter Bewirthschaftung — dienen.
Derartige Liegenschaften, welche seither der Theilung und Ueberweisung in
Landwirtbsrhäfl — 267 — Landwirthscbaft
Sondereigenthum entzogen blieben, werden gewöbnlicb aaf eine kürzere oder
längere Reibe von Jabren im Lizitationawege verpacbtet; und kommen dann die
£r]($se als G^meinde-Intraden indirekt den Steuerpflicbtigen zu Gute, oder für
gedebntere Fristen den nutzungsberechtigten Bürgern zur Einzelbewirtliscbaftung
in dem Sinne überwiesen, daß nach Ablauf dieser Perioden je wieder eine neue
VertbeiluDg erfolgt. Auf Gemeinde wiesen wird auch wohl die Eigenregie ange-
wendet und dann die jährliche Crescenz ötfentlich versteigert. Aebnlicb ist das
Verfahren bei den Gemeinde Waldungen. Eine besondere, erst in späterer Zeit ent-
standene, in mehreren Kantonen, so namentlich in Zürich, vorkommende Form
des Interessentenvermögens stellt der genossenschaftliche Waldbesitz dar, über
welchen indessen nähere Erörterungen an dieser Stelle unterbleiben müssen. ')
Unter wesentlich andere Gesichtspunkte fallen die bezüglich ihres Wesens,
ihres Ursprunges, ihrer Entwicklung und Bedeutung von dem Besitzthum der
Gremeinden sehr verschiedenen Verhältnisse des Gemeineigenthums an Grundstücken,
welche einer Mehrheit von Interessenten gehören und gemeinschaftlich, z. B. zur
Beweidung, zur Streuegewinnung etc., benutzt werden. Das Vorkommen von
solchen, rücksichtlich der Ansprüche und Bedürfnisse der Gegenwart meistens als
kulturschädlich zu beurtheilenden Nutznngsgemeinschaften wurzelt zum größten
Theile in den Zuständen der alten Agrarverfassung, deren Grundlage eben das
Gremeineigenthum und die Gemeinnutzung, der Ausgangspunkt für die Entstehung
der sog. Flur- oder Feldgemeinschaften, war, aus welchen heraus sich im Laufe
der Zeit, hier früher, dort später, ein bald ausschließliches, bald nur auf einen
Theil des Besitzes beschränktes Privat- oder Sondereigenthum entwickelte. Jene
Erscheinungen bedeuten also Ueberreste der früheren Agrargemeinschaft, welche
von dem allgemeinen Entwicklungsgange unberührt geblieben sind, im Uebrigen
aber sich zuweilen — besonders als sog. allgemeiner Weidgang — auch noch
erhalten haben, nachdem die betreffenden Grundstücke bereits in Sondereigenthum
ausgeschieden waren. Im schweizerischen Mittellande wird man derartigen Nutzungs-
gemeinschaften wohl nur noch sehr vereinzelt begegnen. Nachklänge an dieselben
finden sich hier und da im genossenschaftlichen und privaten Besitz, so beispiels-
weise in Form von Streuerechten. Außerdem sind auch alle sog. einseitigen
Dienstbarkeiten, wenn man von solchen Servituten, welche auf besonderen Rechts-
titeln beruhen, aber dann mit der Art der Benutzung der belasteten Grundstücke
nicht im Zusammenhange stehen (Wasserleitungs-, Wege- etc. Servituten), absieht,
in der Hauptsache als aufgehoben zu betrachten. — Anders liegen die Verhält-
nisse allerdings im Alpengebiete, wo man zwar die Bewirthschaftung der in
Sondereigenthum befindlichen, den tieferen Lagen angehörenden Grundstücke zu
fördern sucht, gleichwohl aber noch hier und da an dem, leider von den ver-
derblichsten Auswüchsen begleiteten allgemeinen Weidgang festhält. Beispiele
hierfür werden u. a. noch im Kanton Graubünden angetroffen. ^)
Von ander weitem Grundeigenthum, welches juristischen Personen angehört
oder sich in todtar Hand befindet, verdienen nun noch die Staatsgüter (Domänen)
und die Kirchen-, Schul- und Stiftungsgüter genannt zu werden. Wie groß die
*) Sehr orientirende Mittheilungen findet der Leser in der vom Züricher Ober-
forstamt im Jahre 1879 bearbeiteten kantonalen «Forststatistik*^.
') in ausführlicherer und lichtvoller Darstellung wurden die Ansiedelungs-, Eigen-
thoms- und Dienstbarkeitsverbältnisse erörtert von Prof. Dr. A, Miaskoioski (früher in
Basel) in seiner Schrift: ,Die Verfassung der Land-, Alpen- und Forstwirthschaft der
deutschen Schweiz, in ihrer geschichtlichen Entwicklung vom XIII. Jahrhundert bis zur
Gegenwart*. Basel, 1878.
Landwirthschaft — 268 — Landwirthschait
Zahl derselbeD, wie groß die FlächeD, welche sie umfassen, und wie sie sich
tiber die einzelnen Kantone vertheilen, ist nicht nachweisbar. Es mag daher
genügen, zu konstatiren, daß diese Eategorieen von Landbesitz aliesammt, hier
mehr, dort weniger zahlreich, vertreten sind, im Allgemeinen aber, soweit eben der
landwirthHchaftlich benutzte Boden in Frage kommt, nur einen untergeordneten
Antheil an dem gesammten Grundeigenthum haben. Daß namentlich der Staat
am landwirthschuftlichen Grundbesitz nicht erheblich partizipirt, wird vom Stand-
punkte der öffentlichen Interessen allgemein gebilligt werden, weil derartige
Anlagen einer angemessenen Ergiebigkeit flir seinen Haushalt entbehren, die
Verpachtung nur zu einer geringen Verzinsung des Grundkapitales führt, und
die £igenrej2:ie, welche einen besonderen Einsatz an Betriebskapital und Arbeit
erfordert, in seinen Uänden selten prosperirt. Hierin liegen auch wohl die GrtLnde
dafür, daß die Kantone iu der Mehrzahl der Fälle an dem Domanialbesitz nur
so weit festhalten, um verschiedene, ihrer Verwaltung unterstellte öffentliche
Institute (Spitäler, Arbeits-, Erziehungs- und Bildungsanstalten etc.) an denselben
anlehnen zu können. Anders als für die Vertretung des Staates im landwirth-
richaftlichen Gutsbesitz liegen die Voraussetzungen für seine Betheiligung am
Wald besitz. Denn wenn auch auf diesem Gebiete noch geringere Aussichten auf
eine angemessene Verzinsung des Kapitales vorliegen, so ist es doch wesentlich
eine Aufgabe des Staates, die Interessen der Kulturgemeinschaft auch dadurch
fördern zu helfen, daß er seine Fürsorge für die Erhaltung oder Begründung
eines gewissen, in Rücksicht auf das Klima erforderlichen Waldbestandes auf die
Anlage, den Besitz und die Bewirthschaftung größerer Waldkomplexe ausdehnt,
zumal dieser Zweig der Bodenkultur einen nur geringen Aufwand an Betriebs-
kapital und Arbeit beansprucht, dagegen unter allen Umständen in den Händen
des Staates den Vorzug einer rationellen Einrichtung und planmäßigen Durch-
führung der Technik des Verfahrens genießt.
Alles übrige Eigenthum am landwirthschaftlichen Kulturboden umfaßt nur
noch dasjenige der Privaten, welches in weitaus überwiegendem Grade in allen
denjenigen Gebieten ausgebildet ist, in welchen die Naturbeschaffenheit des Landes
in Verbindung mit den Wirkungen eines gehobenen Verkehrslebens die Voraus-
setzungen für eine intensivere Kultur oder für eine gewisse Mannigfaltigkeit in
der Benutzung des Bodens, und namentlich auch für eine stärkere Ausdehnung
des offenen Baulandes hervorgerufen haben.
Wie in fast allen Ländern unseres Erdtheils, so haben die grundbe^itzenden
Private, insonderheit des bäuerlichen Standes, auch in der Schweiz bis in unser
Jahrhundert hinein unter dem Drucke vielfach verschlungener, ans dem mittel-
alterlichen Feudal wesen hervorgegangener Abhängigkeitsverhältnisse und Be-
schränkungen von Person und Eigenthum zu leiden gehabt. Diese sog. Grund-
lasten, welche der Landwirthschaft zu Gunsten bevorrechteter Besitzer, seien es
größere Grnndherren oder weltliche und geistliche Herrschat^en, auferlegt waren,
und in Grundzinsen, Lehenzinsen, Zehnten etc. bestanden, wurden schon frühzeitig
überall als eine den Aufschwung der Bodenkultur hemmende Fessel empfunden.
Die \'uranssetzungen für ihre Beseitigung eifüllten sich mit der Ausbildung des
Staatsrechtes, der Entwicklung des Gewerblleißes, den Fortschritten in der Technik
des Laudbaucs und der Vermehrung des bewegbaren Kapitales, unter dessen
Eintiuß sich das Bedürfniß, die frühere Naturalwirthschaft durch die Kapital-
vvirlhscliat't zu ern-tzen, immer <lringender geltend machte. Gegen die Fortführung
<ler grundherrliclien Rechte wandte sich die Gesetzgebung zuerst gegen Ende des
vergangeni'U Jahrhunderts. Iuzwisch»Mi ist <las Ablösungswerk, welches allerdings
Landwirthschall — 269 — LandwirthschafL
in den einzelnen Kantonen nicht mit gleicher Lebhaftigkeit aufgegritfen wurde,
fa8t YollRtändig zum Abschlüsse gediehen, so daß nunmehr der schweizerische
Grundbesitzer im großen G-anzen als unbeschränkter Eigenthiimer betrachtet
werden dar!'.
c. Vertheilunff des Grundbesitzes nach der Größe der Güter und nach
der Zahl und Lage der zu je einem Besiisthum gehörenden Parzellen, Noch
viel weniger, als in den seither besprochenen Beziehungen des Grundbesitzes,
vermag unsere Statistik genügende Auskunft über die Größen Verhältnisse desselben
zu geben, wenn auch in einzelnen Kantonen, so namentlich in Genf und Zürich,
Anläufe in dieser Richtung gemacht worden sind. Zur Yeranschaulichung der
Situation erübrigt uns daher nur der allerdings nicht gerade ergiebige Weg einer
allgemeinen Betrachtung.
In dem fünften Abschnitte haben wir erfahren, daß das ganze Land auf
100 ha landwirthschaftlich benutzten Bodens durchschnittlich zwölf landwirth-
schaftliohe Betriebsstellen zählt. Hiernach beträgt die mittlere Größe eines Güter-
gewerbes (und annähernd auch eines Besitzthums) nur 8,5 ha. Um dieses Ergebniß
richtig zu würdigen, ist es erforderlich, sich zweier bemerkenswerther Thatsachen
zu erinnern. Die eine ist, daß das Gebiet der Alpweiden, welches etwa ein
Drittel der gesammten landwirthschaftlich benutzten Bodenfläche einnimmt, sich
überwiegend im Eigenthum von Gemeinden und Korporationen befindet, die andere
ist, daß der Alpboden eine nur geringe Bonitätsstufe besitzt, in Folge dessen
aber der Unterhalt einer auf die Bewirthschaftung desselben angewiesenen Haus-
haltung eine verhältnißmäßig große Fläche erfordert. Hieraus geht aber hervor,
daß die durchschnittliche Größe der außerhalb des Alpengebietes gelegenen land-
wirthschaftlichen Besitzungen (Wiesen-, Acker-, Garten- und Rebland) sich noch
erheblich geringer berechnen muß, als die mittlere Größe (8,5 ha) aller Land-
güter des Landes. Bezieht man dies Yerhältniß lediglich auf den Privatbesitz,
so wird dasselbe freilich nicht oder nicht wesentlich verschärft durch die Da-
zwischenkunft des Grundeigen thums des Staates, der Gemeinden und Stiftungen,
da dieses, wie wir fanden, abgesehen von den Alpen, keinen sehr erheblichen
AntheU an dem landwirthschaftlichen Kulturboden hat. Immerhin kann man sich
auf Grund gegenwärtiger Betrachtung überzeugen, daß der Privatgrundbesitz
außerhalb des Alpengebietes in hohem Grade vertheilt, und die Kleinguts-
wirthschaft vorherrschend sein müsse. Wird dann weiter in Erwägung gezogen,
daß Landgüter, deren Umfang so groß ist, daß der Wirthschafter zum Betriebe
derselben der Mitwirkung von Aufsichts- und Leitungsgehülfen (Verwalter) bedarf,
geradezu zu den Seltenheiten gehören, so muß man zu dem Schlüsse geführt
werden, daß jene weitgehende Vertheilung des Privatgrundbesitzes auch eine
ziemlich gleichmäßige sei und sich in der Hauptsache zwischen den Grenzen des
mittleren bäuerlichen Besitzes einerseits, und der ausgesprochensten Klein betriebs-
steilen (mit ausschließlicher Anwendung der Handarbeit zur Bebauung des Bodens)
andererseits, bewege.
Fragt man nach den inneren Gründen dieser Art der Besitzvertheilung, so
wird man mehrere Momente in^s Auge zu fassen haben.
Das hier vorzugsweise in Betracht kommende Gebiet (zum großen Theile
dem Mittellande angehörend) ist durch seine Lage, seine klimatische und Boden -
beschaifenheit geeignet dazu, einer mehrseitigen Verwendung für Kulturzwecke
zu dienen. Thatsächlich gewährt dasselbe auf großen Flächen die Bedingungen
der Kultur der Rebe, der anspruchsvolleren Gewächse des Feldbaues und einer
ergiebigen Wiesen wirthschaft, letztere insbesondere zur Gewinnung aucli ^<i\i
Landwirihschatl — 270 — Landwirtlischaft
Mähefutter. Dasselbe gestattet femer auf ausgedehnten Flächen die Verbindung
der Obstkultur mit der Acker- und Wiesennutzung. Somit erfüllen sich allda
sehr häufig die natürlichen Voraussetzungen für den Betrieb von Produktions-
zweigen, welche auch die Handarbeit in hohem Grade in Anspruch nehmen. In
wirthschaftlicher Hinsicht wird aber eine solche Richtung unterstützt und gefördert
durch den hohen Grad der Bevöikerungsdichtigkeit, den daherigen starken Konsum
an Erzeugnissen des Bodens und den relativ günstigen Preisstand derselben, sowie
durch die mannigfache Verbindung des industriellen Erwerbs mit der Beschäftigung
in der Landwirthschaft. Letzteres Vorkommen wirkt aber vornehmlich im Sinne
einer Verwohlfeilerung des Aufwandes an Handarbeit für die Bodenkultur. Daraus
folgt, daß überhaupt nur derjenige Besitzstand am meisten in der Lage ist, sich
jener vorherrschend angezeigten Produktionsrichtung anzupassen, welcher die
Handarbeit relativ billig zu beschaffen vermag, und das ist der in der Haupt-
sache mit eigenen Kräften arbeitende und der Lohnarbeit nicht oder in nur
geringerem Grade bedürftige Kleinbesitz. In dem Maße aber, in welchem der
Betrieb auf fremde Hülfe angewiesen ist, verlangen die Verhältnisse im allgemeinen
Arbeitsverkehr doch immer dringender und zwingender die Rücksicht auf öko-
nomische Verwendung gerade der Handarbeit. Derartige Erwägungen erklären
es auch, worin es beruht, daß unter Bedingungen, welche die arbeitsintensive
Kultur nicht mehr begünstigen wollen, dagegen auf die einfachere Benutzung des
Landes zum Grasbau hinweisen, die Tendenz zum Zusammenhalten des Besitzes
in größeren Flächen entschieden schärfer zu Tage tritt.
Zu allen diesen Vorkommnissen tritt aber noch ein weiteres, entscheidend
wichtiges Moment. In der Gesetzgebung aller Kantone ist der Grundsatz der
freien Theilbarkeit und Veräußerlichkeit des Grundeigenthums zur Anerkennung
und zum Durchbruch gelangt. Die Einführung und Aufrechthaltung dieser (ver-
einzelt nur durch Festsetzung eines, allerdings sehr niedrig gegriffenen Flächen-
minimnms beschränkten) Befogniß entspricht dem Zustande, welchen die Grund-
entlastung geschaffen hatte, der durch Verfassung und Gesetz hergestellten
Gewerbefreiheit, und den Thatsachen, welche sich im Erwerbsleben vollzogen,
vor Allem der Vielseitigkeit der gewerblichen Beschäftigung des Volkes und
dem hierdurch bedingten starken Anwachsen des bewegbaren Kapitales. Im großen
Ganzen wird aber durch die privatrechtlichen Bestimmungen der Kantone auch
das Prinzip der Gleichstellung der Erbinteressenten im Grundbesitz, des Aus-
schlusses jeden Vorrechtes auf die Erbhinterlassenschaft, bei weitgehender Be-
schränkung der Testirfreiheit und entsprechenden Bestimmungen über die Pflicht-
theilsrechte, anerkannt, so daß ein sog. bevor suxfies Anerhenrecht wohl nirgends
mehr besteht. Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß gesetzliche Be-
stimmungen, welche auf die Einführung von Vorzugsrechten im Erbgange abzielen,
sich mit den Lebens- und Rechtsanschauungen der weitaus großen Mehrheit des
Schweizer Volkes in Widerspruch setzen würden.
Innerhalb des Rahmens der gesetzlichen Vorschriften vollzieht sich die Erb-
auseinandersetzung je nach dem Einflüsse der herrschenden Sitten und Gewöhnungen
und je nach den im konkreten Falle in Betracht kommenden Vermögens- und
Erwerbs Verhältnissen der Interessenten in sehr verschiedener Weise. Sehr häufig
wird wohl das Verfahren angetroffen, daß einer der Söhne das elterliche Gut
auf Grund des in den Gesetzen vorgesehenen Verfahrens der (ermäßigten) Taxe
unter der Verpflichtung der Abfindung (Auslösung — Auskauf) der miterbenden
Geschwister übernimmt. Hinsichtlich dieser Art der Erbfolge hat sich die bäuer-
liche Sitte in einzelnen Gegenden allerdings mächtig genug erwiesen, um die
Landwirthächatl — 271 — Landwirthschatl
Geschlossenheit der Bauerngüter aufrecht zu erhalten und die Uebertragung der-
selben auf einen der Berechtigten (gewöhnlich den ältesten männlichen Erben)
zu bewirken. Zu diesen Erscheinungen zählt insbesondere dcis in der Zentral-
Schweiz nicht seltene Vorkommen von Gütern, welche durch Familienstatuten
bezw. letztwillige Verfügungen fideikommissarisch gebunden, als solche vom Ge-
setze geschützt sind und vorherrschend in Majoraten bestehen. Im Uebrigen mag
die Vorliebe für die ungetheilte Vererbung der Güter wohl ihre inneren Gründe
haben, in so fem sie in ökonomisch-technischen Erwägungen und in der Ueber-
Zeugung wurzelt, daß im Falle der Theilung des Grundbesitzes sich keinem der
Interessenten die Aussicht auf Errichtung eines gedeihlichen landwirthschaftlichen
Betriebes eröffnen, insbesondere das Bedürfniß zur Aufführung von Neubauten,
die Zersplitterung und die unvortheilhafte Lage der einzelnen Güterstücke u. a. m.
über den neu entstehenden kleinen Betriebsstellen zu große Beschwerden häufen
wtbrden. In den industriereicheren Distrikten, in welchen die Bedingungen für
einen arbeitsintensiveren Kleinbetrieb der Landwirthschaft und für eine Verbindung
desselben mit industriellem Erwerb in ausgesprochenem Grade vorhanden sind,
wird dagegen weit öfter von der Naturaltheilung Gebrauch gemacht.
Abgesehen von den Fällen, in welchen die Interessenten in Voraussicht der
Dinge sich anderen Erwerbszweigen zuwandten, oder sich im Falle der Theilung
nicht einigen konnten, und dann behufs der Auseinandersetzung der Verkauf des
Besitzthums im Ganzen oder in einzelnen Parzellen zur Anwendung kommt,
ebenso von denjenigen, in welchen die betheiligten Geschwister, wenn sie sich
mit einem anderen Ausweg nicht zu befreunden vermögen, zur gemeinschaftlichen
Bewirthschaftung des ererbten Gutes Zuflucht nehmen — kommen also nur zwei
Formen der Abfindung vor, und zwar entweder die Uebemahme des Gutes durch
den Einzelnen und Belastung desselben mit der Pflicht der Auslösung der Ge-
schwister, oder — die Naturaltheilung. Erstere birgt, wie heutzutage überall
anerkannt wird, manche Beschwerden und Gi^fahren, weil sie über dem Ueber-
nehmer schon im Beginne des Geschäftes eine Schuldenlast häuft, welche um so
größer und drückender werden muß, je strenger das Gesetz die Anforderungen
des Pflichttheils formulirt, und je mehr bei der Schätzung der Güter, an Stelle
des Nutzungs- oder Gebrauchswerthes, auf den laufenden Verkehrswerth abgestellt
wird, und weil ferner derartige Ueberlastungen sich bei Fortsetzung des Ver-
fahrens mit jeder Generation von Neuem wiederholen, die Verschuldungsquelle
also eine permanente wird. Die Naturaltheilung, welche diese Gefahren nicht
kennt, bereitet vielfach Bedenken anderer Art, in so fern die fortgesetzte Aus-
übung derselben eine der gedeihlichen Entwicklung der Landwirthschaft nach-
theilige Zersplitterung der Grundstücke, verbunden mit übertriebenem Aufwände
für Wohn- und Wirthschaftsgebäude, mit sich bringt. Die Tragweite dieser
Erscheinungen ist jedoch eine sehr relative. Vieles hängt von der Art und Weise,
wie die Theilung in natura sich vollzieht, und namentlich davon ab, ob die
Besitzer es sich angelegen sein lassen, ihren Grundstücken eine wirthschaftliche
Form und Lage zu geben oder zu erhalten, und der Einfluß des gleichen Zu-
fltandee der Größe und Lage der Parzellen äußert sich auch in ökonomischer
Hindoht verschieden, je nachdem man es mit selbstständigen bäuerlichen Betriebs-
stellen oder mit einer kombinirten Beschäftigung der Eleingrundbesitzer in Industrie
und Landwirthschaft zu thun hat.
Wie mannigfach aber auch diese Verhältnisse sich im Einzelnen gestaltet
haben, im Allgemeinen wird man finden, daß die Gesetzgebung ül)er die Theil-
harkeit der Gmndstücke und die Erbfolge, indem sie sich den herrschft\A^T\.
UiiidwiilliM-iiaft —
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."•.«^i, :e: AofsÄUgTing -irr ' ä-:-r'.;':'b-L Güter dnr'/b Gr. ikgriin'i'r-rsitnxsetn sei
1 ■.'. xirw>T. r. •s^hen. K- wiri zwar nir^rLi«- i-fetrfnen. iÄÜ drr laniwirih=i«?bAft-
.>r,r:^' :.'ouk-lt;:r it tircLDW.L^r Hissicb: riLr pcwi««^ Ur!:-rrlre*fnhci: zuzoerkrcnen
*^. A'rrr jx^:. iftt iSl*ricLw>i»: überzrügt. Cäß die**!!-? einr BtrWtung mit des:
V ;,.':.Ä:.i«;rirj., im Eirinbr^itz TrrTrrttr-rn t-rdr'itrr ier: GnuidkapiTal nicht za er-
'.i-i;:-r- v*:fif*<Jchtr. -.ni dal*, wrii: dies der Fall. daB> Ergebnit^ l-ei ei&em Vjr-
;»*rr-';'jv-ri d<3- Grolibclrirl-r* vom Starjiiiunkt der National vrirtfasohÄft kt-ine-sweg*
äLs da** gi'jtklicb»-r*; l.rfrtrdcbtet werden dürfe. I^enn im Lichte der p<'liti«ct-
'/koDoiuin<;heo IjDtere?s*en er?^bei!it liocb nicht diejenige VertbeimDg de* Grund-
be-itzr.«:. die "r.'et'te, wel'.be de:. ab»Oii:t h&:b<en Reinertrag vom Boden abwint.
Hindern diejeni;:^, welche drr Zahlreichs teii Bev-'-ilkcrang ein ^icbere^ EiRkommm
aub der Land b« wi rrhiscb alt ung gewährt and dadurch den Stand tüchtiger, im*
abhängiger, «-TÜhafter und heimatliebenier Biirger vermehren hilft. Wohl wird
überall, wo ijicht Engherzigkeit der An^chanuLg'rn den Blick in die Verbal tnisa-tr
trübt, bereitwillig anerkannt, daß «Ja. wo die vers-chiedenen Besitzes- und Be-
wirthhchaft'iugr-^tufen nel^n einander entfrtehen kSniien. diese sich in ihrer sozialen
Stellung 'jnd Aufgabe zum Segm Aller ergänzen, daß insbesondere bei einer
singtriue»— eiien \'ermi^chung derselben der Kleinbrtrieb durch die Großwirthschatt
in maiicber Hinsicht — anre^tnde und belehrende Vorbilder in der Technik des
Fach'jr ijjj'i Vertretung der Ir:tere^>en des landwirthschaftlichen Stande« im Orient -
licbi-ij Le^en F-'-rderung urd Rückhalt tindet. Aber nicht ohne Wohlgefallen
hängen do';b Augen und Herzen aller für die gedeihliche Entwicklung der sozialen
Zui»täf,d-r tb eil nehmend gesinnten Patrioten an iler weil iibt'rwieffendtn Vertretung
gerade Jer mittleren und kleinen ländlichen Betrie bestellen, indem diese einer
groUen Zahl von Familien in einer gesteigerten Roh] Produktion regelmäßigen
Verdienst uf.d Unterhalt darbieten und deren Fleiß und Spartsamkeit auf eine
naebhaltigi; \'irrbef«f«erung der Kultur des Boden* wirken lassen. Und sie wollen
jenen freien Verkehr in Liegenschaften auch aus dem Grunde nicht missen, weil
der-elbe aur-h den Arbeiter in den Stand setzt, mit einem kleinen Kapitale sich
•:in H<-ini zu griin<leu und mit ilemselben sich durch Rührigkeit und Bethätigung
)M'j-diiiltt:riheheu Sinnes eine gesicherte Existenz zu verschatfen und ein tüchtigt*s
'ili«'l im Gemeinwesen zu werden. In der That können die Erfahrungen in der
Seliweiz in jeder Hinsicht zur Bekräftigung der Anschauung dienen, daß ein
Volk, welrbi"- ^i(•h sonst der Verkehrsfreiheit zu ertreuen hat, an den Folgen
•lei 'J'heilljarkeit «ies Badens nicht zu Grunde geht.
J'iiht «dm«* Auhnahme begegnet man im Hügel- und Flachlande der Schweiz
'ien iii.zwtiileutighten Spuren der Niederlassung in Feldgemeinschaften, der auch
in d*:ij ;inhtoßen«len Nachbarländern meist scharf ausgeprägten Dorfverfassung und
Laodwirthschaft — 273 — Landwirthschafl
der hiermit verbundenen Gemengelage der Grundstücke, oft sogar noch den
Nachklängen der eigentlichen Flur- und Zeigen wirthschaft. Im Berglande, nament-
lich in dem Alpengebiete, allwo die gemischten oder reinen Graswirthschaften
vorherrschen, scheinen die Ansiedelungen einen anderen Verlauf genommen zu
haben, in so fem die heutige Lage und Gestaltung der Bauerngüter noch vielfach
darauf hindeutet, daß die Bodenbewirthschaftung ihren Ausgangspunkt in der
Benutzung des Landes ausschließlich zur Grasweide gefunden und, den Bedürf-
nissen derselben entsprechend, schon frühzeitig zum Aufschlagen zerstreuter Wohn-
sitze, zur hofweisen Niederlassung geführt hat. Dabei bleibt allerdings die von
Miaskowski a. a. 0. ausgesprochene und auch mit Gründen gestützte Annahme
bemerk nswerth, daß die Kultur in den Alpengegenden auf den Yorbergen be-
gonnen habe und erst von da in die Thäler gedrungen sei, um hier ähnliche
Besitzvertheilungen hervorzurufen, welche in dem Flachlande angetroifen werden.
Wie sich aber auch diese Bewegung vollzogen haben mag : in den höheren Lagen
stehen sich nur zwei Arten der Grundstücksformation gegenüber. Wir haben
größere zusammenhängende Komplexe in den Alpweiden und regelmäßig bebaute,
mit Wohnsitzen versehene, mehr oder weniger isolirte, in der Hauptsache an*on-
dirte Bauerngüter, deren Grundstücke sich entweder in vollständigem oder doch
in annähernd hergetitelltem realem Zusammenhange um den in der Begel erhaben
gelegenen Wirthschaft^hof ausbreiten, daneben, anschließend an die mit weiterer
Entwicklung des Verkehrs und mit dem Auftauchen gewerblicher Thätigkeit
entstandenen Ortschaften, die Thalgüter, bestehend aus getheiltem Grundbenitz in
ausgesprochener Parzellenlage, dessen Bewirthschaftung, schon in Rücksicht auf
die ungemein wechselnde Lage und Gestaltung des Terrains, die daraus hervor-
gegangene Verschiedenheit der auf die Anwendung der Pflugarbeit mehr oder
weniger verzichtenden Bebauungs- und Benutzungsweise und die Zugänglichkeit
der einzelnen Güterstücke, von den Einrichtungen der Feldgemeinschaft unberührt
geblieben ist. In allen diesen Fällen ist von einer den Betrieb störenden Gemenge-
lage der Grundstücke nicht die Hede. Anders im Hügel- und Flachlandgebiet,
dem Mutellande, überhaupt im Bereiche der eigentlichen Dorfverfassung. Sieht
man hier ab von den nicht gerade zahlreichen Gütern, welche aus einem bevor-
rechteten Besitzstande hervorgegangen oder durch Neukultur oder durch Zusammen-
kauf von Parzellen entstanden sind und sich in Folge dessen in räumlicher
Geschlossenheit erhalten haben, so bildet hier die erwähnte Gemengelage der
Grundstücke fast allgemein die Regel. Bekanntlich ist es gerade die alte Feld-
gemeinschaft, welche bei unbeschränkter Tlieilungsbefugniß eine weitgehende
Realtheilung der Güter geradezu begünstigt, dadurch aber die Zersplitterung
der Grundstücke, die zerstreute und nerworrene Lage und unwirthschaftliche
Figur, sowie vielfach die Abgeschlossenheit derselben von Feldwegen herbei-
geführt und somit einen Zustand geschaflen hat, welcher der Bodenkultur im
Hinblick auf die unaufhaltsam wachsenden Anforderungen der Zeitlage die ärgsten
Behelligungen und Erschwernisse bereitet. Das schweizerische Mittelland zählt
leider zahlreiche Gemeinden in fast allen Kantonen, deren Fluren in hohem Grade
an dem erwähnten Grundübel leiden. Ein zahlenmäßiger Nachweis darüber, wie
eich diese Verhältnisse in den einzelnen Kantonen in Bezug auf den hier haupt-
sächlich in Betracht kommenden Privatbesitz an Ackerland und Wiesen gestaltet
haben, ist leider nicht zu erbringen. Es mag daher genügen, zu konstatiren,
daß dieselben vielerorts als sehr ungünstige betrachtet und geschildert werden,
und daß man in ihnen einen der Hauptgründe für die vielfach beengte und
bedrückte Lage des Bauernstandes erblickt.
Fairer, Volkswlrthschafts-Lexlkon der Schweis. Y%
Landwirthschaft — 274 — Landwirthschaft
£in eigentlicher Flurzwang wird allerdings in der großen Mehrzahl der
Fälle weder rechtlich noch thatsächlich mehr bestehen, da die G-esetzgebnng fast
aller zumeist betroffenen Kantone durch Vorschriften über Anlage von offenen
Flur- und Feldwegen die sog. Wegedienstbarkeit zu vermindern, bezw. zu beseitigen
strebte und insbesondere den Eigenthttmem von Grundstücken, welche von einem
Flur- oder Feldwege abgelegen sind, die Befugniß verlieh, die Einräumung des
zu freier Bewerbung ihres Landes noth wendigen Wegerechtes von den Eigen-
thümem der zwischenliegenden Grundstücke gegen volle Entschädigung zu ver-
langen. Im Hinblick aber auf die eigentlichen Ursachen der kläglichen Verfassung,
in welcher sich die betreffenden Besitzer befinden, erscheinen jene Vorkehrungen
nur als Palliativmittel, und wird es heute in allen mit den landwirthschaftlichen
Betriebsverhältnissen vertrauten Kreisen übereinstimmend anerkannt, daß unter
erwähnten Verhältnissen eine von Grund aus neue und verbesserte Feldeintheilnng,
verbunden mit der Anlage eines zweckmäßigen Wegenetzes, unter gleichzeitiger
Herstellung des Rahmens für alle dem Grundbesitz wichtigen und nöthigen Melio-
rationen (Ent- und Bewässerung etc.), eine der vornehmsten Aufgaben bilde, um
den Bauernstand zu befähigen, seinen Betrieb rationeller einzurichten, insbe^ndere
eine relativ bedeutende Erspamiß an Material und Arbeit zu erzielen, daher
billiger zu produziren und mit größerem Erfolge intensiver zu wirthschaften.
Sowohl in dem Erlasse eines zur Erleichterung derartiger Unternehmungen ge-
eigneten Gesetzes, wie in der praktischen Bethätigung auf diesem Gebiet« ist der
Kanton Aargau mit einem leuchtenden Beispiele vorangegangen. Dort hat die
verbesserte Feldeintheilnng (Güterbereinigung) seither die weitaus größten Fort-
schritte gemacht und hervorgehende Erfolge errungen.
7) Das Ka|pital und d|er Kredit.
In Rücksicht auf die eminente Bedeutung, welche dem Kapital als Pro-
duktionsfaktor in der Bodenkultur zukommt, bildet die Darstellung der Grröße
des in der gesammten Volkswirthschaft und speziell in der Landwirthschaft
angelegten und thätigen Vermögens eine wichtige Grundlage für die Beurtheilung
der auf dieses Gewerbe einflußreichen ökonomischen Zustände. Der Versuch, einer
solchen Aufgabe näher zu treten, hat zwar bei dem notorischen Mangel an greif-
baren Thatsachen in hohem Grade mit Schwierigkeiten und Unsicherheiten zu
kämpfen, und wenn er hier gleichwohl unternommen wird, so kann das nur mit
allem Vorbehalte geschehen.
Nach einer von F, v. Tschudi a. a. 0. gelieferten Uebersicht soll sich da«
in der Landwirthschaft angelegte Grundkapital ohne die Gebäude auf 2508
Millionen Franken belaufen. Dabei sind Einheitspreise pro Hektar zu Grunde
gelegt worden von Fr. 1944 für Wiesen, Fr. 1666 für Ackerland, Fr. 2777
für Rebberge und Fr. 278 für Weiden. Zieht man aber in Betracht, daß seit
den sechziger Jahren, auf welche Periode sich diese Zahlen beziehen, bis zur
Gegenwart eine Steigerung des Grundwerthes stattgefunden hat, welche in An-
betracht der in neuerer Zeit eingetretenen rückläufigen Bewegung auf etwa nur
15 ^/i) taxirt werden darf, so ließe sich das Grundkapital der Grundstücke auf
2884 Millionen Franken beziffern. Erhöht man dann diesen Betrag um denjenigen
des Gebäudekapitals, welches in Rücksicht auf die verhältnißmäßig einfachen
Baueinrichtungen in den Gebirgsgegenden nach allgemeinen Sätzen auf '/& des
Landkapitals = 577 Millionen Franken angenommen werden kann, so ergiebt
sich ein GresammZ-Grundkapital von 3468 Millionen Franken. Zu einem hiermit
nahezu übereinstimmenden Ergebnisse gelangt man auf indirektem Wege, indem
Landwirthschafl — 275 — Landwirthschafi
man einen bekannten Bestandtbeil des Betriebskapitals als Ausgangspunkt benutzt
und aus demselben auf Grund allgemeiner Yerhältnißzablen der landwirthschaft-
licheu Betriebslebre die Größe der übrigen Glieder des Betriebs- und aucb die-
jenige des Grundkapitals berechnet. Ein solcher Bestandtbeil ist aber der Vieh-
stand, dessen Gesammtwerth sieb unter Berufung auf die Zählungsergebnisse vom
Jahre 1886 auf rund 454 Millionen Franken veranschlagen läßt. Nun wird
aber der Werth des todten Inventars (Maschinen und Geräthe) in Rücksicht auf
unsere spezifischen Verhältnisse etwa einem Drittel des Yiehstandkapitals ent-
sprechen, also die Summe von rund 151 Millionen Franken erreichen, indessen
ein Betrag auf Höhe von 55 ^/o der beiden Bestandtheile des Inventars oder von
rund 333 Millionen Franken für das sog. umlaufende Betriebskapital (Jährlicher
Umsatz) in Anspruch genommen werden dürfte. Hiernach beliefe sich das ge-
sammte bewegbare oder das Betriebskapital auf 938 Millionen Franken. Wird
nun für das Yerhältniß zwischen diesem Betriebskapital und dem Grundkapital
der Grundstücke und Gebäude ein Mittelsatz von 27,5 : 100 zu Grunde gelegt,
so würde sich auf einen Gresammtwerth der Liegenschaften von 3411 Millionen
und auf ein landwirthschaftliches Kapital im Ganzen von rund 4350 Millionen
Franken schließen lassen. Hiernach entfallen aber in runden Zahlen :
Grundkapitnl Betri b GesammteB in der Land-
der Grundstücke . ^ f' vrirtbücbaft angelegtes
ond r.obäudo Kapiiai ^^^^ thätigo» Kaplul
Fr. Fr. Fr.
Per Kopf der in der Landwirthschaft
erwerbenden Bevölkerung . . 2820 780 3G00
Auf jede Landwirthschaft treibende
Haushaltung 13190 3630 16820
Nimmt man an, daß der Kapital werth aller Waldungen des Landes, ent-
sprechend dem jährlichen Bruttoertrage, welcher von Landolt (vgl. die Ab-
handlung: Forstwirthschafl) auf 40 Millionen Franken angegeben wurde, eine
Summe von 1440 Millionen Franken repräsentirt, so berechnet sich das gesammte
Crnin tikapital, welches in der Bodenkultur überhaupt angelegt ist, auf den Betrag
von 4851 Millionen und per Kopf der in solcher thätigen Bevölkerung auf den
von 4262 Franken. ^)
Wie hoch sich das in den übrigen Erwerbszweigen des Landes ruhende
Kapital beläuft, ist auch nicht annähernd darzuthun, da es hierfür au allen
Anhaltspunkten gebricht. Geht man aber davon aus, daß das Kapitaleinkommeu
aller an der Industrie, am Handel und am Rentenbezug direkt und indirekt
betheiligten Personen per Kopf eben so viel betrage, wie sich im Durchschnitt
dasjenige der in der Urproduktion beschäftigten Bevölkerung berechnet, so müßte
eben das außerhalb der Gewerbe der Rohatotferzeugung bezw. der Bodenkultur
angelegte Kapital die Summe von 8685 Millionen, und das gesammte Kapital
der schweizerischen Volkswirthschaft diejenige von 14475 Millionen Franken
erreichen.
So wenig diese Zahlen Anspruch darauf erheben können, mehr als kaum
annähernd zutreffend zu sein, so sehr berechtigen sie doch zu dem SchlusHc, daß
das Land sich im Besitze eines verhältnißmäßig großen Kapitalreichthums befinde.
Hiermit stimmt die Erfahrung, daß sich im Kapital-Leihverkehr durchschnittlich
ein nur niedriger Zinsfuß berechnet, und daß das Kapital sich dem Grundbesitz
im Allgemeinen gerne zuwendet. Das angedeutete Yerhältniß ist seither allerdings
') Beuning berechnete dasselbe in den sechziger Jahren für das Königieich Sachsen
auf 3750 Franken.
Landwirthschaft — 270 — Landwirthschaft
von erheblichen Fluktuationen betroffen worden, in so fem der Wechsel von Perioden
des Aufschwunges und des Stillstandes oder Niederganges in Industrie und Handel
jeweils Erleichterungen oder Erschwernisse für ergiebige Plaoements des Kapitals
und daher verschiedene Strömungen der Nachfrage am Kapitalmarkte nach sich
zog. In auffallender Weise traten derartige Erscheinungen während der letzten
beiden Dezennien zu Tage. Von Ende der sechziger Jahre an, und dann vornehm-
lich seit der Beendigung des deutsch-französischen Krieges, äußerte sich bekanntlich
die Unternehmungslust auf allen gewerblichen Gebieten in einem früher kaum
jemals beobachteten Grade der Lebhaftigkeit. Es war die Zeit des leider von
traurigen Ueberstürzungen nicht frei gebliebenen Haschens nach mUhelosem Elr-
werb, des Spekulationsfiebers und der Gründungssucht. In diesen Zeitraum fiel
namentlich auch eine rapide Entwicklung der Eisenbahnbauten. Den daherigen
Strömungen war es aber zuzuschreiben, daß das Kapital sich der zur Gewährung
hohen Zinsgenusses nicht befähigten Landwirthschaft gegenüber spröde verhielt,
und daß man es deßhalb in maßgebenden Kreisen für eine dringende Pflicht
erkannte, diesem Gewerbe Erleichterungen in dem Bezüge des Kapitals zu ver-
schaffen. Ganz besonders suchte man dies durch Errichtung von kantonalen Banken
bezw. eine entsprechende Organisation des Hypothekarkredites an diesen Anstalten
zu erreichen. Nachdem aber seit Mitte und Ende der siebenziger Jahre der
vielbeklagte, weil von manchen bitteren Täuschungen begleitete Rückschlag ein-
getreten war, änderte sich auch die Physiognomie des Kapital Verkehrs in durch-
greifender Weise zu Gunsten des Grundbesitzes. In der That verzeichnet die
Gegenwart eine relative Kapitalab undanz, und von eigentlichen Erschwernissen
des Hypothekarkredites int, ungeachtet des Rückganges der GUterpreise, welcher
dem Sinken der Preise der landwirthscbaftlichen Produkte und daher auch dem
Sinken der Grundrente folgen mußte, kaum mehr die Rede.
Wie sich die Verhältnisse des landwirthscbaftlichen Kredites im Einzelneu
gestaltet haben, ist an dieser Stelle nicht nachweisbar. Sie sind, was insbesondere
den Grundkredit betrifft, von Kanton zu Kanton verschieden und wesentlich
bedingt von den betreffenden Hypothekar- und Steuer-, den (neuerdings einer
Vereinheitlichung durch den Bund entgegengehenden) Betreibungs- und Konkurs-
gesetzen und von den Einrichtungen des Bankwesens. Weit gleichmäßigere, im
Allgemeinen allerdings nicht befriedigende Erscheinungen werden dagegen bezüglich
des sog. Betriebskredites (Kredit für lautende Bedürfnisse) beobachtet, welcher
zweifellos noch einer weiteren Entwicklung fähig und bedürftig ist.
Im freien Verkehr in Liegenschaften muß der Grund und Boden durch
Kapital erworben werden. Der Erwerb von Land bedeutet aber eine Anlage,
deren Größe der durchschnittlichen Rente (dem Reinertrage) desselben und dem
jeweiligen Stande des Zinsfußes entsprechen muß. Bei gleichem Zinsfuß steigt
der Landpreis mit der Höhe der Grundrente, und bei gleicher Grundrente, wie
in allen fixen Anlagen, mit dem Sinken des Zinsfußes, und umgekehrt. Bekannt
ist ferner, daß der inneren Natur des Grundbesitzes gemäß ein in diesem an-
gelegtes Kapital immer nur niedrige Zinserträge abwirft, wie namentlich auch
durch das Verhältniß des Pachtpreises zum Grundkapital überall und allezeit
bewiesen wird. Die«e Erscheinungen bergen für den Uebernehmer von Grund-
besitz niancherliu ernste Gefahren. Täuscbungen über die Größe der wahren
durchschnittlichen Grundrente und Diskontirung übertrieben oder nur vorüber-
gehend hoher Beträge derselben durch die Kaufsumme, Belastung des Grund und
Bodens mit ungebührlich hoch zu verzinsenden Schuldkapitalien, Rückwirkungen
des Steigens des Zinsfußes tur Grundschulden bei gleicher oder gar niedergehender
Landwirihschaft — 277 — Landwirthschaft
Grundrente, das sind Begebenheiten, welche die Vermögenslage und den Gewerbs-
verdienst der Landwirthe aufs Tiefste erschüttern und schon in sahireichen Fällen
deren ökonomischen Ruin namentlich dann herbeigeführt haben, wenn der eigene
freie Antheil der Besitzer am Grundvermögen ein geringer war, und wenn ihnen
nicht ausreichendes Betriebskapital zur Seite stand. Ganz besondere Beachtung ver-
dient hierbei jedenfalls die Thatsache, daß die Bewegung der Giiterpreise bei gleicher
Grundrente in einer den Schwankungen des Zinsfußes entgegengesetzten Bichtung ver-
läuft. Denn dieses Yerhältniß hat eben nur zu häufig zur Folge, daß sich Erwerber
von Land in Zeiten leichten und billigen Bezuges von Kapital für diesen Zweck in
übermäßiger Weise dauernd engagiren. So gewiß es dem einmal mit Schulden
beladenen Bauern eine Wohlthat ist, wenn ihm in der Benutzung des Leihkapitals
Begünstigungen durch Herabsetzung des Zinsfußes zu Theil werden, so gefährlich
und bedenklich erscheint jede weitgehende Erleichterung und Verwohlfeilerung
des Grundkredites gegenüber allen Denjenigen, welche mit Hülfe desselben im
Landerwerb konkurriren und den Begehr nach Grundbesitz steigern helfen, weil
der Hergang immer eine außer Yerhältniß zur Grundrente steigende Bewegung
der Güterpreise nach sich zieht, welche eben manchem Landkäufer die drückendste
Situation bereitet, sobald aus irgend Gründen (Yertheuerung der Arbeitslöhne,
Yermehrung der Steuern, Erhöhung des Zinsfußes, Niedergang der Produkten-
preise, namentlich auch häufige Aufeinanderfolge von Fehlerndten etc.) die Rein-
erträge von Grund und Boden sinken. Yon derartigen Bückschlägen sind seit
Jahren leider auch in der Schweiz nicht wenige Landwirthe auf das Empfind-
lichste betroffen worden. Sobald man aber diesen Zusammenhang in's Auge faßt,
und auch den Forderungen Rechnung trägt, welche sich aus der inneren Natur
der Liegenschaffcskapitalien ergeben, so wird man nicht im Zweifel darüber sein,
daß alle auf eine fernere zweckmäßige Ausgestaltung des Realkredites gerichteten
Bestrebungen ihren Ausgangspunkt nicht in dem einseitigen Hinarbeiten auf Er-
niedrigung des Zinsfußes und auf Ausdehnung der Beleihungsgrenze, d. h. in der
Erleichterung von Schuldanhäufungen, als vielmehr in Einrichtungen zu suchen
haben, welche unter Innehaltung eines der Rente aus dem Grundbesitz ent-
sprechenden Zinsniveau's die Unkündbarkeit des Schuldkapitals und das System
einer planmäßigen Amortisation desselben statuiren. ')
Die Mehrzahl der unter finanzieller Betheiligung des Staates und unter dessen
Garantie in's Leben gerufenen kantonalen Banken hat seither das Realkredit-
geschäft in ausgiebiger Weise gepflegt und es durch diese ihre Wirksamkeit
dahin gebracht, daß die neben dem bankmäßigen Yerkehr einherlaufenden privaten
Geschäfte in Hypothekenbriefen je länger je mehr an Umfang eingebüßt haben,
zumal es der Kapitalist vorziehen mußte, statt direkt mit dem Landwirth su
verkehren, den einfacheren Weg des Erwerbs von Bankobligationen, welche stets
als sichere und beliebte Papiere angesehen werden, einzuschlagen.
In welchem Umfange der Grundbesitz des Landes in Folge von Ankaufs-
geschäften, Erbauseinandersetzungen, Errichtung landwirthschaftlicher Bauten etc.
im Laufe der Zeit mit Schulden beladen wurde, kann nicht genau nachgewiesen
werden, weil statistische Erhebungen hierüber nur vereinzelt stattgefunden haben.
Jedenfalls sind die Zustände in dieser Hinsicht von Kanton zu Kanton sehr
') Die weitestgehende Konzession an die Eigenarligkeit des Grundbesitzes würde
freilich in der schon von v. Eodbertus vorgeschlagenen Umwandlung der Grund-Kapitäl'
Schuldtitel in Grund-i2<^/efischuldtitel liegen. Aber die Schwierigkeiten der Ausführung
einer solchen Maßregel sind so in die Augen springend, daß von einer näheren Be-
trachtung derselben Umgang genommen werden mag.
Landwirtb^haft — 278 — Landwirthschafl
verschieden. Beispiel» weise wird von Genf angegeben, daß die Hypothekanchnlden
etwa 20 ^/o des Kataster werthes amtassen, indessen znr 2^it f&r die Kantone
Bern and Zürich eine Belastnng von 42 bezw. 48 ^/o des Landwerthes ange-
nommen werden darf, und die Yerschnldang im Kanton Lnxern sogar den Kataster-
werth erreichen soll. ') Aber auch innerhalb der Kantone heben sich diese
Verhältnisse in den einzelnen Bezirken, Gemeinden and Betriebsstellen vielfach
scharf gegen einander ab, so daß sogar inmitten erheblich verschnldeter Distrikte
noch zahlreiche Grütergewerbe vorkommen, welche von der Bewegung der letzten
Jahrzehnte nnbeeinflaßt und darnm von Schuld belastangen mehr oder weniger
verschont geblieben sind oder sich sogar noch im Besitze aktiver Forderungen
befinden. Immerhin muß zugegeben werden, daß die Grund Verschuldung von der
Mitte dieses Jahrhunderts an in mehreren Gebieten (im Kanton Bern z« B. von
30 — 42 ^/o) bedeutend zugenommen und sich auf eine nicht unbedenkliche Höhe
gesteigert hat. Begreiflich daher, daß diese Erfahrung schon wiederholt Anlaß
zu Anregungen gab, welche darauf abzielten, eine allmähliche Schuldentlastung
des Grundbesitzes herbeizuführen und Maßregeln gegen eine Häufung neuer
Grundschnlden (Beschränkung der freien Verschuldbarkeit) zu ergreifen. Von
einer näheren Erörterung dieser Vorschläge muß hier abgesehen werden.
In einem wesentlich anderen Lichte stellt sich allerdings die Zohülfenahme
des Kredites für laufende Bedürfnisse dar. Anlagen dieser Art umfassen nur
bewegbare Bestandtheile des landwirthschaftlichen Kapitals, den eigentlichen Be-
triebnfond. dessen Bestimmung es ist, die Erträge vom Grundstock, und zwar
direkt, z. B. durch Bodenmeliorationen, Vermehrung der Düngung, Verbesserung
des Saatgutes, sorgfältigere Bearbeitung des Landes, und indirekt, durch vortheil-
haftere Verwerthung der Erzeugnisse auf dem Wege der Umformung mittelst
Viehhaltung und technischer Gewerbe, zu erhöben. Das Maß des dahin gehörigen
Aufwandes wird durch den Preis der Produkte und rückwirkend denjenigen des
Grund und Bodens bestimmt; in dem Verhältnisse desselben zum Grundkapital
druckt sich der Grad der Intensität des Betriebes aus. Während aber das Grund-
kapital als solches sich in der Bewirthschaftung nicht umsetzen, also auch aus
seinen Erträgen nicht heimbezahlt werden kann, kehrt das Betriebskapital je
nach der Beschaffenheit und Zweckbestimmung der einzelnen Bestandtheile des-
selben bald früher, bald später, immer aber im Ganzen nach kürzeren Fristen
mit dem Ertrage auch in seinem vollen Umfange wieder in die Hände des Wirth-
schafters zurück. Daher ist aber der Landwirth, welcher den Kredit zur Ver-
mehrung des Betriebsfonds benutzt, auch in der Lage, das geliehene Kapital
nach einem absehbaren und engeren Zeiträume aus den Erträgen zu restituiren,
indessen ihm dasselbe die Mittel gewährt, sein Geschäft schwunghafter einzurichten
und durch vortheilhafte Verstärkung des Umsatzes auch den geschraubteren An-
sprüchen eines hohen Grundkapitals Genüge zu leisten. Wer die schweizerischen
landwirthschaftlichen Verhältnisse, insbesondere des Flachlandes, objektiv betrachtet
und würdigt, wird sich bald überzeugen, daß in dem Mangel an ausreichendem
Betriebskapital einer der Hauptgründe des Unvermögens zahlreicher Oekonomieen
liegt, sich den Zeitforderungen entsprechend einzurichten. Viele sind eben zu
reich an Land, aber zu arm an Mitteln, um dasselbe intensiv zu bewirthschaften.
In diesem Verhältnisse wurzelt einer der größten Uebelstände, mit welchen die
Agrikultur in neuerer Zeit zu kämpfen hat, und es sollte einleuchten, wie es
') Vj(l. KoUhrunner: Bericht über Gruppe 26: Landwirthschafl, Abtheilung 1,
Fönlerunjr der Lindwirthschaft ; II. Theil: Gesetzgebung, Verwaltung, Kulturunter-
nehiriungen und Kreditwesen. Zürich, 1884.
Landwirthschaft — 279 — Landwirthschafi
insbesondere auch im Interesse der Hypothekargläabiger liegt, daß Organisationen
geschaffen werden, welche den Landwirthen den Genuß eines von schwerfälligen
Formen nnabhängigen, schlanken und billigen Betriebskredites ermöglichen. Die
lahlreichen, kleineren Banken, Erspamiß- und Leihkassen können dieses Bedürfhiß
aus hier nicht näher zn erörternden Gründen keineswegs befriedigen. Dagegen
haben sich in neuerer Zeit einzelne kantonale Banken, wie namentlich diejenige
von Zürich, jenen Anforderungen bereits entgegenkommend erwiesen. Bevor indeß
die Landwirthe ihrerseits nicht Schritte thun, diese Gelegenheiten zu befruchten,
ist an eine umfassendere Wirksamkeit der Kantonalbanken auf diesem Gebiete
kaum zu denken. Da nun aber einmal der private Ereditverkehr erfahrungsgemäß
absolut außer Stande ist, den Anforderungen der Landwirthe an den Betriebskredit
ZQ genügen, so bleibt nur der eine, in anderen Ländern allerdings seit Jahren mit
hervorragendem Erfolge betretene Weg des gemeinde weisen genossenschaftlichen
Zusammenschlusses der Landwirthe zur Einrichtung von Kredit- oder Darlehens-
kassenvereinen nach dem Muster der Raiffeisen'' sehen Schöpfungen übrig. Durch
derartige Associationen, deren innere Kräftigung wiederum durch HerHtellung
regionaler, die Thätigkeit der einzelnen Vereine zusammenfassender Verbände
wesentlich gefördert werden könnte, würde es dann auch möglich gemacht, den
Zufluß des Kapitals nach der Landwirthschaft durch Vermittlung gerade der
kantonalen Banken zu erleichtern.
Unter den Aufgaben der Förderung des Betriebskredites nimmt nun aller-
dings diejenige der Begünstigung speziell des Melioratiouswesens eine durch die
Natur der betreifenden Verwendungen bedingte Sonderstellung ein, insofern die
auf dauernde Verbesserungen des Bodens gerichteten Anlagen sich in einer £lr-
höhung des Grundkapitals gewissermaßen niederschlagen, gleichwohl aber, wenn
auch nur in gedehnteren Fristen, durch die Mehrerträge rückzahlbar werden.
Kredite für derartige Unternehmungen bedürfen daher eigenartiger Abschlußformen,
und darin liegt auch der Grund, daß man seither schon vielfach darauf Bedacht
genommen hat, dem Bedürfnisse auf diesem Gebiete durch Gründung von be-
sonderen Meliorations-Kreditbanken Rechnung zu tragen. Zu dieser Kategorie
von ländlichen Kreditinstituten gehören auch die im Auslande bereits gegründeten
sog. Landeskultur-Rentenbanken, deren Einführung in der Schweiz bereits angeregt
wurde. *)
8) Die Arbeit.
Nach Lage der allgemeinen Erwerbsverhältnisse, in welchen sich ein erheb-
liches Uebergewicht der Volksbeschäftignng in den umformenden und Hundeis-
gewerben zu erkennen giebt, ist es eine leicht verständliche Erscheinung, daß
unsere Landwirthschaft hinsichtlich der Verfügbarkeit und der Kosten der mensch-
lichen Arbeitskräfte eine nicht gerade begünstigende Stellung einnimmt. Die
Wirkung, welche die ihr nun einmal auferlegte Konkurrenz mit der Industrie
auf diesem Gebiete geäußert hat, zeigt sich indessen in der Schweiz nicht in
der augenfälligen Schärfe, wie dies anderwärts unter sonst gleichen oder ähn-
lichen Verhältnissen beobachtet wird. Um dieselbe richtig zu beurtheilen, ist es
erforderlich, die Beziehungen je der verschiedenen Besitzesstufen zu den Vorgängen
im Arbeits verkehr in's Auge zu fassen.
In den gewerbereichen Distrikten des Landes begegnet man einer großen
Zahl kleinster Güter, deren Betrieb sich der Beschäftigung in der Industrie an-
') Vgl. A, Krämer: Vergleichende Darstellung der Maßregeln und Einrichtungen
zur Förderung der Landwirtlischaft in verschiedenen Ländern Europa's. Enquete-Bericht,
erstattet an das Schweizer. Handels- und Landwirthschaits-Departement. Zürich, 188'2.
Landwirthschaft — 280 — Landwirthschafi
schließt QDd mit dieser sich vergesellschaftet. Die Besitzer sind Personen des
Arbeiterstandes, welche es dahin brachten, käuflich oder miethweise erworbenes
Land selbstständig zn bewirthschaften nnd sich dadurch zugleich in die Stellang
landwirthschaftlioher Lohnarbeiter auf eiffene Rechnufu/ emporzuschwingen. Die
Gmndbesitzer dieser Kategorie betrachten den nach Abzug der Eapitalzinsen von
dem Roherträge des Landes verbleibenden Betrag als Arbeitslohn, und wenn
dieser Angesichts der hohen Ansprüche namentlich des Grundkapitals auch be-
scheiden ausfallen mag, so wird er doch mit einem relativ geringen Einsalze
erzielt, weil die betreffenden Verrichtungen den Charakter von Neben- oder FiÜl-
arbeiten tragen und es gestatten, auch die sonst nicht oder nicht hoch verwerth-
baren Kräfte der schwächeren Glieder der Familie besser auszunutzen ; sie erzeugen
somit verhältnißmäßig wohlfeil ganz oder theilweise ihren Bedarf an Lebensmitteln,
während der Verdienst in der Industrie das nöthige Baargeld zur Bestreitung
der anderweiten Bedürfnisse des Unterhaltes in's Haus bringt. Liegt in diesem
Verhältnisse schon eine wichtige Triebfeder zur Bethätigung in der Landwirth-
schaft, so darf auch nicht unbeachtet bleiben, daß diese zugleich einen unver-
kennbar vortheilhaften Einfluß auf die moralische und physische Haltung des
Arbeiterstandes ausübt. Unter solchen Betriebsbedingungen fällt, wie man sieht,
die spezifische ländliche Arbeiterfrage ganz dahin. Aber auch in denjenigen kleinen
Oekonomieen, welche nur zu Zeiten des Jahres noch fremde Kräfte heranziehen
müssen, greift die Situation im Arbeitsverkehr kaum entscheidend ein in die
Geschicke des landwirthschaftlichen Betriebes, nicht allein, weil der Bedarf an
Hülfspersonal an sich ein absolut geringer ist, sondern namentlich auch, weil in
der Verwendung desselben haushälterisch zu Werke gegangen werden kann und
das durch die regelmäßige Mitarbeiterschaft des Wirthschafters und seiner Familie
gegebene Vorbild des Fleißes, der Einfachheit und Nüchternheit zu einer besseren
Verwerthung auch der gemietheten, der Lohnarbeit führt.
Wesentlich anders gestalten sieh die Beziehungen des Landwirths zum
Arbeitsverkehr in dem größeren, auf umfangreichere Anwendung des Dienstes
der Lohngehülfen angewiesenen Besitzstande, besonders in den den Verkehrszentren
näher gelegenen, dichter bevölkerten Distrikten. Hier wird der Geschäftsgang
von den herrschenden Zuständen unmittelbar und zum Theil empfindlich betroffen.
Aber selbst noch auf dieser Betriebsstufe kommen fast durchweg Einrichtungen
vor, welche wenigstens eine Milderung der bestehenden Schwierigkeiten zur Folge
haben. Dieselben bestehen — Ausnahmen auf den nicht zahlreichen GroßglUem
vorbehalten — darin, daß der Wirthschafter sich an den vorkommenden manuellen
Verrichtungen, wenn auch nicht mehr regelmäßig in allen Zweigen, so doch
wenigstens zu Zeiten starken Zusammendrängens der Arbeiten, an einzelnen vor-
zugsweise wichtigen Geschäften durch eigenes Handanlegen betheiligt, und in
dieser sowohl durch seine ökonomische Lage wie durch eine gefeierte Tradition
ihm vorgezeichneten Thätigkeit zugleich die Funktionen des Leiters, Aufsehers
und Vorarbeiters übernimmt, sodann aber auch darin, daß derselbe einer herr-
schenden und in den eingelebten Anschauungen über die sozialen Beziehungen
auf dem Lande wurzelnden Sitte gemäß die Art des täglichen Lebensunterhaltes,
insbesondere die Tisch Verpflegung, mit den Lohngehülfen, vor Allem mit den
Dienstboten, theilt. Der „Güterknecht" steht daher in der Schweiz noch weit
mehr wie anderwärts zu seiner Herrschaft im Verhältniß der Familienzugehörigkeit
bczw. der Hausgenossenschaft. Hierin liegt einer der vornehmsten Gründe für
die Erfahrung, daß die Zahl der kontraktlich gebundenen Arbeiter gegen frtiher
nicht oder nur wenig abgenommen, und daß die vielen Unebenheiten und Härten,
Landwirtbschaft — 281 — Landwirthschaft
welche die Entwicklung des Dienstbotenwesens in der Neuzeit mit sich gebracht
hat, hier zu Lande die GemUther im Granzen wenig bennmhigt haben, wenn
auch allseitig zugegeben wird, daß die Verhältnisse der Gregenwart dem Land-
wirth weit dringendere und zwingendere Rücksichten und Pflichten auferlegt haben,
als je zuvor. Weniger einfach und erleichternd gestaltete sich freilich der Verkehr
mit den kontraktlich nicht gebundenen Arbeitern, den Tagelöhnern, weil bei
diesen die notorisch vorhandene Leichtigkeit des Ueberganges von einer Be-
schäftigungsart oder Verdienstquelle zur anderen viel mehr zu Schwankungen im
Angebote ftthrt, und der Druck der Konkurrenz der verschiedenen Erwerbsarten
und Betriebsstellen sich weit schneller und schärfer fühlbar macht. Insbesondere
zeigt sich dies recht augenfällig in Zeiten vorübergehend starken Bedarfes an
Kräften, wie z. B. der Heu- und Emdemdte, der Weinlese etc. In der Löhnung
der kontraktlich nicht gebundenen Arbeiter, welche zum großen Theile lediglich
den Erwerb im Dienste Dritter verfolgen, zu welchen aber auch Personen des
kleinsten, auf die Benutzung von Gelegenheiten von Nebenverdienst angewiesenen
Besitzstandes gehören, kommen zwei verschiedene Verfahrungs weisen vor, indem
nämlich der gesammte Lohn entweder nur in baarem Gelde besteht, oder zum
Theil in Geld, zum Theil in der Verköstigung gewährt wird (großer und kleiner
Tagelohn).
Fragt man nach den Kosten der laudwirthschaftlichen Arbeitskräfte, so wird
man, um zu einer richtigen Vorstellung hierüber zu gelangen, füglich von dem
Aufwände ausgehen dürfen, welchen der Unterhalt eines erwachsenen männlichen
Dienstboten erfordert. Man kann annehmen, daß der baare Lohn je nach der
Stellung und je nach den Ansprüchen an die Leistung einer solchen Person
zwischen 7 und 10 Franken per Woche schwanken wird, indessen der gesammte
Verpflegungsaufwand (Lebensmittel, Antheil an dem Aufwand für Kochen, —
Arbeit und Küchengeschirr, — Bettwäsche etc.) je nach den allerdings lokal abge-
stuften Anforderungen an den Tisch und bezüglich der Gewährung von geistigen
Getränken, sowie nach den Preisen der Produkte sich auf 0,90 bis 1,25 Franken
per Tag berechnet. Daraus ergiebt sich ein Aufwand im Ganzen per Jahr von
etwa 700 — 975 Franken. In den verkehrsreichen Gegenden, besonders in der
Nähe großer Städte, wird der höchste dieser Sätze auch wohl noch überschritten,
so daß man in solchen Verhältnissen ganz wohl einen Maximalbetrag von 1000
Franken und selbst mehr annehmen darf. Hieraus dürfte aber zu schließen sein,
daß sich auch der Tagelohn der kontraktlich nicht gebundenen Arbeiter, bei
Annahme von jährlich etwa 280 — 290 Arbeitstagen, zwischen 2,50 und 3.50
Franken im Durchschnitt des Jahres bewegt, womit natürlich das Vorkommen
einhergeht, daß dieser Lohn in dringenden Zeiten des Jahres sich bedeutend
erhöht, in anderen Perioden, namentlich im Winter, aber zurückgeht. Uner-
wachsene männliche Arbeiter und Frauen verdienen etwa 85 ^jo dieser Beträge.
Unter so bewandten Umständen ist und bleibt es allerdings eine der
dringendsten Aufgaben der Landwirthschaft, Einrichtungen zu trefl'en, welche zu
einer Verminderung der Produktionskosten gerade auch in Bezug auf die Hund-
arbeit führen. Sie kann und muß dabei je nach der Gestaltung der ander weiten
Betriebsbedingungen eine Wirthschaftsweise in 's Auge fassen, welche überhaupt
die menschliche Arbeit weniger in Anspruch nimmt, dagegen der Einwirkung
des Betriebskapitals behufs Steigerung des Umsatzes noch den weitesten Spielraum
gewährt; sie wird sich aber auch darauf angewiesen sehen, Maßregeln zu er-
greifen, welche im Stande sind, bei gleicher Betriebsweise an Handarbeit zu
sparen und mit den vorhandenen Kräften, unbeschadet der vortheilhaftesteu Ia^Vvcw«
Landwirthschaft — 282 — Landwirthschafl
Stellung derselben, einen möglichst hohen Arbeitserfolg zu erzielen. Die Wichtig-
keit derartiger Vorkehrungen ist bereits durch die Bestrebungen der Landwirthe
in den siebenziger Jahren, zu einer 2ieit, da sich die Arbeitskräfte im Zusammen-
hange mit der damals beobachteten gewaltigen Steigerung der Unternehmungslust
in der Industrie in großer Zahl von der ländlichen Beschäftigung abwandten^
anerkannt worden. Und wenn auch heute, nachdem in den übrigen Gewerben
eine gewisse Ernüchterung eingetreten, von einem Mangel an Arbeitern auf dem
Lande weniger mehr die Rede ist, wie noch vor einem Jahrzehnte, so muß jene
Forderung gleichwohl schon aus dem Grunde aufrecht erhalten werden, weil die
Löhne inzwischen kaum einen Rückgang erfahren haben. In Bücksicht hierauf
wird man fortfahren, unter sonst geeigneten Verhältnissen der einfachen Gras-
wirthschaft, in den besseren Lagen in Verbindung mit der Obstkultur, besondere
Beachtung zu schenken, aber auch darch verbesserte Feldein theilungen (Güter-
bereinigung), zweckmäßige Anlage und sorgfaltige Unterhaltung der Feldwege,
durch arbeiterleichternde Einrichtungen in den Wirthschaftsgebäuden, vermehrte
Anwendung der Maschinen, namentlich zur Erndte, durch umfangreichere Anwendung
der Akkordarbeit u. a. m. die gewünschten und nothwendigen Erleichterungen zu
schaffen. Was insbesondere den Maschinenbetrieb anbelangt, so hat die schweize-
rische Landwirthschaft alle Veranlassung, darauf Bedacht zu nehmen, daß ihr
die reichlich gebotenen Wassergefälle in noch höherem Grrade wie seither als
Triebkräfte dienstbar gemacht werden.
Wenn dann der Landwirth, eingedenk seiner Verpflichtungen als Vertreter
eines hervorragend wichtigen und einflußreichen Standes, sich bewährt als treuer
Mitarbeiter an der Aufgabe der Besserung der wirthschaftUchen und gesellschaft-
lichen Stellung der arbeitenden Klasse im Allgemeinen, und insbesondere seinen
moralischen und intellektuellen Beistand leistet zur Förderung der Volksbildung
gerade auch in diesen Kreisen, zur Einführung von Institutionen, welche die
ökonomische Verfassung des Arbeiterntandes unabhängiger gestalten und ihn in
höherem Grade schützen gegen die WechRclfälle des Lebens, dann darf er auch
mit Sicherheit erwarten, daß seinem Gewerbe auf die Dauer sich immer genügend
zahlreiche, treue und zuverlässige Kräfte zuwenden werden, welche die Vorzüge
der Beschäftigung im Landbau jedezeit zu würdigen wissen und in dieser eine
sie zufriedenstellende und zur vollen Hingebung auffordernde Erwerbsstellung
erblicken.
9) Der Markt.
Aus den Thatsachen, welche wir an früherer Stelle (Abschnitt 5) über
die Dichtigkeit und die Erwerbsrichtung der Bevölkerung und über das durch
die betreffen den Zustände hervorgerufene Bediirfniß starken Importes an land-
wirthschaftlichen Produkten vorgeführt haben, läßt sich von vorneherein der
Schluß ziehen, daß der Verkehr in diesen Artikeln das Bild einer hochgradigen
Lebhaftigkeit darbieten müsse. Die Erfahrung bestätigt die Richtigkeit dieser
Auffassung. Dank den sehr verzweigten Kommunikationsmitteln, welche das Land
in dem das ganze Hügelgebiet überspannenden dichten Eisenbahnnetz, in seinen
ausgebreiteten und gut unterhaltenen, bis in das Alpengebiet vordringenden und
mehrfach den Alpenkamm überschreitenden Straßen, in seinem Reichthum an
wohlgepflegten Vizinal wegen und in der Schifffahrt auf seinen Binnensee^n besitzt,
ist der Handel in agrikolen Erzeugnissen in jeder Richtung erleichtert, und in
der That, nachdem im Jahre 1887 mit der Aufhebung der Ohmgelder auch der
letzte Ueberrest von inneren Zollschranken gefallen ist, nirgends mehr behelligt,
(irleichzeitig genießt die Schweiz aber auch nach allen Seiten hin direkte Bahn-
Landwirthschafl — 283 — Landwirthschaft
verbindnngen mit dem Auslände, unter welchen die seit einigen Jahren vollendeten
Gbtthard- und Arlberglinien eine ganz besondere Tragweite erlangt haben, weil
durch sie die Entfernung nach den vorherrschend agrikolen südlichen und östlichen
Grebieten unseres Erdtheils um ein Bedeutendes abgekürzt, und insbesondere durch
die Annäherung an die Mittelmeerhäfen der Handel mit überseeischen Plätzen
gefördert wurde. War die schweizensche Landwirthschaft schon vor Eröffnung
dieser Routen in Folge ihrer leichten Verbindungen über französisches Gebiet
bis zu den südlichen und westlichen Häfen dieses Landes, sodann nach der Nordsee
and durch Süddeutschland nach Oesterreich-Ungaru dem Drucke fremder Kon-
kurrenz in hohem Grade ausgesetzt, so mußte sich dieser, obendrein durch die
freihändlerische Richtung der schweizerischen Zollpolitik begünstigte Zustand nach
Vollendung der jüngeren Bahnstrecken in hohem Grade verschärfen, indem mit
der fortschreitenden Verminderung der Kosten der Zufuhr von landwirthschaft-
lichen Erzeugnissen auch ein immer größerer Rayon billiger produzirender Gebiete
sich um die Betheiligung an der Versorgung des schweizerischen Marktes bewarb.
In diesem Entwicklungsgange sind aber der inländischen Agrikultur gleichwohl
noch manche Vortheile, welche der Sitz inmitten einer dichten, sehr konsumtions-
fähigen Bevölkerung mit sich bringt, verblieben, in so weit es sich um die
Befriedigung des inneren Bedarfes an solchen Artikeln bandelt, welche wegen
des ungünstigen Verhältnisses ihres Gewichtes oder ihres Volumens zu ihrem
Werthe oder wegen ihrer geringen Haltbarkeit einen Transport auf größere
Entfernung nicht vertragen. Dies bezieht sich insbesondere auf Kartoffeln, einzelne
Arten Gemüse, frisches Obst, Schlachtkälber, namentlich frische Milch, und dann,
freilich in weniger ausgesprochenem Maße, auch auf feine Tafelbutter. Anderer-
seits ist unverkennbar, daß der gleiche Aufschwung im Verkehr nach Außen,
während er einzelnen Richtungen der Landwirthschaft mancherlei Härten und
Beschwerden gebracht hat, doch wiederum anderen Zweigen der inländischen
Produktion, welche darauf angewiesen sind, für den Export zu arbeiten, auch
erhebliche Erleichterungen des Absatzes verschaffte. Diese Erfahrung hat ins-
besondere an dem Handel in Zuchtxieh gemacht werden können, welcher seit
Jahren an Lebhaftigkeit gewonnen und sich auch über ganz neue, früher ganz
unbetheiligt gebliebene Gebiete ausgedehnt hat. Eine solche Bewegung würde
zweifellos auch noch andere Exportartikel, so namentlich den hier vor Allem iu
Betracht kommenden Käse, erfaßt haben, wenn nicht die exorbitant hohen Schutz-
zölle, welche fast alle Länder ringsum auch auf diese, seither in großen Quanti-
täten von uns bezogenen Produkte neuerdings gelegt haben, der weiteren Ent-
wicklung hemmend entgegenträten.
Wie die Verkehrserleichterungen der Neuzeit auf die Gestaltung der Ge-
Bchäftsformen gewirkt haben, zeigt sich am Augenfälligsten im Getreidehandel ,
Die hauptsächlichsten Bezugsländer für Brodfrüchte sind: Oesterreich-Um/arn,
Rußland, Deutschland, Frankreich, die Balkanländer und Nordamerika. Mit der
Zunahme der Einfuhren aus jenen Gebieten konzentrirte sich dieser Handel immer
mehr in den Händen von Engros- Geschäften. Die bedeutendsten Abschlüsse voll-
ziehen sich heutzutage an den Börsen, indessen dem Verkehre die Errichtung
von großen Niederlagshäusern an den Haupteinfuhrplätzen dienstbar gemacht
wurde. Mit diesem Hergange sind die lokalen Märkte in direkt offerirter Waare
nach und nach zusammengeschrumpft, aber auch die kleinen Kundenmühlen gegen-
über der Kunstmüllerei in eine beengtere Lage gekommen.
Das größte Interesse wendet die schweizerische Landwirthschaft dem Ver-
laufe de« Verkehrs in Vieh und Viehprodukten zu.
Landwirthschafl — 284 — Landwirthschafl
Unter den hierher gehörigen Artikebi ist das Geschäft in frischer Milch,
welches sich naturgemäß innerhalb der die großen Städte zunächst umschließenden
Zone am Lebhaftesten entwickelt, das vornehmlich begünstigte, weil am Wenigsten
von der Konkurrenz abgelegener Gebiete bedrohte. Gemäß den in neuerer Zeit
gesteigerten Ansprüchen an die öffentliche Gesundheitspflege sind auch die An-
forderungen an die bei der städtischen Milchversorgung betheiligten Produzenten
im Laufe der Jahre überall verschärft worden. Damit aber auch den geschraubtesten
Bedürfnissen, insbesondere im Hinblick auf die Kinderernährung, Genüge ge-
leistet werde, ist es schon an mehreren bedeutenden Plätzen zur Gründung von
größeren städtischen Milchversorgungs-Etablissements, bald auf dem Wege der
Privatuntemehmung, bald auf genossenschaftlicher Grundlage, sowie zur Errichtung
von besonderen Milchkuranstalten gekommen.
Der Absatz in Käse, eines hervorragenden Ausfuhrgegenstandes der schwei-
zerischen Landwirthschaft, welcher seither vorzugsweise seinen Weg nach Frank-
reich, Italien, Deutschland, Oesterreich-Ungam, Großbritannien, Rußland, Spanien,
Algier und Nordamerika nahm, stützt sich fast ausschließlich auf die Vermittlung
des Zwischenhandels. Dieser wird durch zahlreiche, speziell dem Exporte des
Artikels obliegende Firmen geübt. Wie lebhaft und eifrig das Geschäft auch
gehandhabt werden mag, so wenig hat dasselbe namentlich in der neueren Zeit
die Produzenten durchweg befriedigen können, da ihm mancherlei Unzuträglich-
keiten und Beschwerden anhaften.
Anders hat sich naturgemäß der Handel in Butter gestaltet. Die allerdings
nicht bedeutenden Ueberschüsse des Inlandes an Tafelbutter wandern meistens
nach Paris, wo der Vertrieb nach den in den Verkaufshallen üblichen Usancen
geschieht.
Schon seit einer Reihe von Jahren sind wiederholt Vorschläge aufgetaucht,
welche darauf abzielten, dem Absätze in Molkereiprodukteu eine für den Produ-
zenten vortheilhaftere Gestaltung zu geben, und faßte man hierbei zuvörderst
den Käsehaudel in's Auge. Es lag der Gedanke nahe, eine Organisation zu
schaffen, welche es dem Produzenten ermöglicht, mit den Konsumenten durch
Umgehung des ganzen Apparates des Zwischenhandels direkte Fühlung zu ge-
winnen und somit die das Produkt belastenden Spesen zu vermindern, sowie die
Erzeugung gleichmäßiger, gut typirter Sortimente je in größeren Distrikten zu
bewirken und dadurch zugleich der Waare den Vortheil der Schutzmarke zu-
zuwenden. Die Ausführung dieser gegen die arge 2jersplitterung des Geschäftes
gerichtete Idee hätte freilich zur Voraussetzung, daß die Landwirthe den Betrieb
der Käserei auf eigene Rechnung durchführen, und würde dieselbe in der Gründung
von regionalen Genossenschaftsverbänden zur Verwerthung der Käse gipfeln
müssen. Aber auch für den Butter versandt sind mehrfach Anregungen im Sinne
einer Erleichterung gegeben worden. Dieselben hatten vornehmlich die gemein-
schaftliche Beschickung des großen Auslandsmarktes im Auge und bezweckten
Verringerung der Transportspesen, Gewährung von Garantieen tür bestimmte
Qualitäten, und eine gemeinsame Vertretung der Interessen aller Betheiligten an
der Vertriebsstelle etc. etc. Bemerkeuswerth ist sodann, daß die Landwirthe der
Schweiz der Ausdehnung der Fabrikation und des Verkaufes der Kunstbutter
gegenüber schon frühzeitig eine entschieden abwehrende Stellung einnahmen. Für
die weitere Entwicklung des Marktes in Molkereiprodukten überhaupt kam dann
auch noch die Frage der Anstellung von besonderen Agenten im Auslande und
die Vermittlung der Konsulate zur Sprache. In allen jenen Beziehungen ist aber
Landwirlbschaft — 285 — Landwirthschaft
— mit Aosnahme der Kontrole des Handels in Kanstbutter — bis jetzt ein
positives Resultat nicht erzielt worden.
Schlanker wie im Bereiche des Verkehrs in diesen Artikeln geht es im
Viehhandel zu. Der Betrieb der Einfuhr, welche vorzugsweise in Schlachtwaare
besteht, scheint nach und nach in so fern ein festes Gefüge annehmen zu wollen^
als er, Dank den Begünstigungen, welche ihm die Eisen bahn Verwaltungen durch
Errichtung von Depots an der Ostgrenze gewähren, immer mehr in Großhandels-
untemehmungen und Kommissionsgeschäfte übergeht und dadurch dem inländischen
Metzgergewerbe die wesentlichsten Erleichterungen gewährt. So wenigstens bei
dem Großvieh, mit welchem das Land namentlich von Osler reich-wng arischer,
deutscher, italienischer und französischer Seite her sehr ausgiebig versorgt wird.^)
Die Zufuhr von jungen, zur Mästung bestimmten und von ausgemästeten Schweinen,
an welcher hauptsächlich Deutschland und Frankreich, sodann Oesterreich- Ungarn
und auch Italien Antheil haben, erfolgt dagegen mehr noch auf dem Wege des
Kleinhandels. In Zuchtrindoieh ist die Schweiz ein ausgesprochenes Exportland.
Der Verkehr in Zuchtvieh vollzieht sich fast ausschließlich in altherkömmlicher
Weise auf den inneren, allerdings sehr zahlreichen Märkten, welche von Käufern
aus Deutschland, Italien, Frankreich und Oesterreich- Ungarn stark frequentirt
werden, aber auch außerhalb der Märkte, indem fremde Liebhaber (Private und
Delegirte von Genossenschaften, landwirthschaftlichen Vereinen und Behörden)
die betreffenden Gebiete von Hof zu Hof, von Stall zu Stall absuchen. Zu den
erfreulichsten Erfahrungen in diesem Geschäfte gehört die Thatsache, daß sich
in neuerer Zeit Abnehmer für schweizerisches Zuchtvieh sogar in Nord- und
Südamerika gefunden haben. In dem Alpengebiete begegnet man der wohlthuenden
Ehrscheinung, daß der Zwischenhandel fast ganz ausgeschlossen ist, der Käufer
also es regelmäßig mit dem Produzenten selbst zu thun hat, und daß das Makler-
wesen eine nur untergeordnete Rolle spielt. Anders im Flachlande, allwo ins-
besondere die Erfahrung, daß sich das israelitische Element in die Viehhandels-
geschäfte vielfach stark eingenistet hat, schon zu mannigfachen Klagen Anlaß
gab. Zur Erleichterung der fremden Käufer ist seither leider wenig geschehen,
und wird eine Besserung in dieser Richtung nur von der GrUndung von Vieh-
zuchtgenossenschaften zu erwai*ten sein. Hinsichtlich des Bedarfes an Pferden,
Schafen und Zietjen und an Wolle macht sich stetsfort ein bedeutendes Import-
bedürfniß geltend. Besondere Pferdemärkte sind so zu sagen unbekannt. Die
Idee, sie in größerem Umfange in Zürich zu veranstalten, fand bis jetzt noch
keine rechte Unterstützung. Schafmärkte kommen hauptsächlich in der Zentral-
Schweiz vor. In beiden Viehgattungen hat also der gewerbsmäßige Zwischen-
handel die Herrschaft. Die Versorgung der inländischen Fabrikation mit Wolle
geschieht — abgesehen von dem Beitrage, welcher aus dem gröberen Produkte
der inländischen Schäferei für diesen Zweck geliefert wird — direkt von den
größeren Handelsplätzen des Auslandes.
Der Verkehr in Traubenwein ist ein in jeder Hinsicht leicht zu über-
blickender. Das Land deckt nicht entfernt seinen eigenen Bedarf und zieht zur
Befriedigung desselben alljährlich bedeutende Quantitäten namentlich aus Frank-
reich, Italien und Oesterreich -Ungarn, relativ geringere Posten aus Deutschland
heran. Die Ausfuhr bewegt sich demgemäß in bescheidenen Grenzen. Auch auf
dem Gebiete des Weingeschäfts ist es fast ausschließlich der Zwischenhandel,
*) Von der Ausbeute des im Inlande (geschlachteten Rindviehes wird — auffallend
genug — ein immerhin erheblicher Betrag, bestehend in den werthvollsten Fleisch-
sortimenten, ausgeführt. Derselbe geht fast aasnahmslos nach Paris.
Landwirthschaft — 286 — Landwirthschaft
durch welchen sich der Vertrieb vollzieht. Leider ist auch dieser Handelszweig
in neuerer Zeit nicht frei geblieben von mancherlei, den inländischen Rebpflanzem
höchst nachtheiligen Auswüchsen, zu welchen insbesondere die Fabrikation und
die Verbreitung von Trockenbeerweinen gehört.
£ine wesentlich andere Stellung nimmt natürlich der im Uebrigen reichlich
produzirte Obstwein (Most) ein. Angesichts des starken Bedarfes an diesem Ge-
tränke in den ländlichen Wirthschaften ti'itt ein nur verhältnißmäßig geringer
Theil des Produktes in den Handel und bewegt sich dieser hauptsächlich nur
innerhalb der Landesgrenzen, allwo der Most einen jederzeit gut verwerthbaren
Artikel bildet.
Die Darstellung von Branntwein aus mehligen Stoffen konnte sich seither
nur unter dem Schutze der sogenannten Ohmgelder in einigen Kautonen erhalten,
und deckte dieselbe auch nur einen Theil des inländischen Bedarfes, so daß das
Land noch für bedeutende Quantitäten Käufer fremdländischen Fabrikates blieb.
In Folge der Einführung des Verkaufsmonopols durch den Bund wird sich die
Situation der einheimischen Brennerei wesentlich ändern müssen. In Obst- und
Tresterbrannt weinen, welche von diesem Vorgange nicht berührt werden, wird
sich aber voraussichtlich in Zukunft ein noch lebhafteres Geschäft entwickeln,
wie seither. Die Zuckerproduktion hat in der Schweiz nicht Boden fassen können,
und bleibt das Land für Befriedigung seines Bedarfes an Zucker wohl auch
femer an das Ausland gebunden. Auch in Tabak, Hopfen j Brauf/erste, Oelen^
Gespinnsifasern (Flachs und Hanf), Gras-, Klee- und Gemüsesamen ist dasselbe
regelmäßig noch auf eine bedeutende Einfuhr angewiesen. Das Gleiche gilt auch
für die Kartoffeln; der Zufuhrbedarf an solchen wird zum weitaus größten
Theile aus der Pfalz und aus Elsaß Lothringen gedeckt, indessen nur noch Frank-
reich und Oesterreich -Ungarn in bemerkenswerthem Umfange an der Lieferung
betheiligt sind. Der Handel in frischen Gemüsen spielt sich hauptsächlich auf
den städtischen Märkten ab, in deren Beschickung vor Allem Deutschland und
Frankreich, sodann auch Italien mit bedeutenden Quantitäten in die Lücke treten.
Die Physiognomie des Obstmarktes wechselt je nach deu Erträgen so zu sagen
von Jahr zu Jahr. Bei einigermaßen guten Erudteu liefert das Land bedeutende
Quantitäten nach den süddeutschen, namentlich den württembergischen Handels-
plätzen, welche regelmäßig schlanke Absatzgelegenhciten bilden. Uebrigens sind
auch schon Fälle zu verzeichnen gewesen, daß sich auf Grund des gewohnten
starken Bedarfes im Inlande nach knappen Erndten ein Ueberschußimport ent-
wickelte. Die betreffenden Geschäfte werden gewöhnlich durch eigens hierfür
thätige Händler, welche zur Zeit der Obstreife das Land durchziehen, vermittelt.
An eigentlichen Obstmärkten fehlt es in der Schweiz leider fast gänzlich. In
neuerer Zeit werden aber in anderer Richtung lebhafte Anstrengungen gemacht,
um dem Produzenten eine noch bessere Verwerthung des Obstes zu sichern, in-
dem man die Errichtung größerer Etablissements zur Bereitung von Obstweinen
und -Konserven aller Art erstrebt.
Welche Dienste übrigens die Vervollkommnung der Transportmittel der
Landwirthschaft des Landes im Verkehr nach Außen geleistet haben, das beweist
u. A. die Thatsache, daß einzelne Gegenden in Jahren der Futterannuth schon
Heu im gepreßten Zustande aus Frankreich und Italien einführten, wie dasselbe
heute noch regelmäßig in Form von Preßballen aus der Nordschweiz an die
MilchkurauHtalten der Städte am Mittel- und Niederrhein versandt wird, und
daß seit einigen Jahren nicht allein Torfi<treUf sondern auch gepreßte« Stroh
aus Norddeutsclilaud nach der Nord-, beziehungsweise der Zentralschweiz wanderte
Landwirthschafl — 287 — Landwirthschaft
Ein ganz besonderes Interesse gewährt der in jeder Richtung entfesselte in-
ländisohe Handel in agrikolen Produkten. Hier begegnet man den überraschendsten
Erscheinungen. So z. B. bildet das Heu je nach dem Ergebnisse der Erndte in
den einzelnen Landestheilen oft in großen Quantitäten und auf bedeutende Ent-
fernungen hin einen Gregenstand lebhaften Tauscbhandels. Auch in Riedtstreu
vollziehen sich Jahr aus Jahr ein derartige Abschlüsse in erheblichem Umfange.
Und in den Rebgegenden, namentlich der Westschweiz, erscheint sogar der Stall-
dünger als Verkehrsartikel, wie u. A. beweist, daß der Preis desselben in den
öffentlichen Notirungen Aufnahme findet. In landwirthschaftlichen Kreisen fehlt
es übrigens auch nicht an Anstrengungen, um den inneren Verkehr in Er-
zeugnissen und Verbrauchsmaterial zu erleichtem und zu vervielfältigen. Be-
merkenswerthe Zeugnisse hierfür sind z. B. die in mehreren Kantonen regelmäßig
veranstalteten SaatgutmKrkXA (Getreide- und Futtersämereien, Pflanzkartoffeln)
und die in zahlreichen Gemeinden des Flachlandes erfolgte Aufstellung von be-
fahrbaren öffentlichen Wacufen,
Von anderweitigem Betriebsmaterial sind es insbesondere der fabrikmäßig
dargestellte konzentrirte, sogenannte Ffülfs- oder Kunstdünger und die Kraft-
futiermittelj deren starke Verwendung einen ungemein lobhaften und in noch
fortwährender Ausdehnung begriffenen Handel hervorgerufen hat, indessen auch
im Uebrigen — wie z. B. in landwirthschaftlichen Maschinen und Geräthen,
Leder- und Seilerwaaren und anderen Bedürfhißgegenständen — dem Landmann
überall und allezeit gute Bezugsquellen in inländischen Fabriken und Agenturen
zur Verfügung stehen. Zu den bedeutendsten Erscheinungen auf diesem Gebiete
gehört aber unzweifelhaft die Erfahrung, daß die Landwirthe im Hinblicke auf
den umfangreichen und stets wachsenden Bedarf an Hülfsmaterialien — Kunst-
dünger, Kraftfutter, Sämereien etc. etc. — und zum Zwecke der Erlangung von
Handelsvortheilen immer mehr dahin drängen, auf dem Wege g etiossensc ha ft liehen
Zusammenschlusses den Engros-Bezug solcher Artikel zu betreiben. Beispiele der-
artiger erfolgverheißender Unternehmungen sind bereits mehrfach, namentlich in
der Nordschweiz, aufgetaucht. Man darf mit Zuversicht erwarten, daß in dem
Maße, wie diese Schöpfungen gedeihen, auch der Verbrauch an Umsatzstoffen
immer noch größere Dimensionen annehmen, und dadurch der Landwirthschaft
eine durchgreifende Erleichterung in der Anwendung intensiverer Betriebsmethoden
zu Theil werde.
II. Die Einrichtungen des landwirthschaftlichen Betriebes in der Schweiz.
Die privatwirthschaftliche Stellung des landwirthschaftlichen Unternehmers
zeichnet diesem die Aufgabe vor, mittelst der Bodenbewirthschaftung einen
möglichst hohen Ertrag aus dem auf den Betrieb derselben angelegten Kapitale
und der in solchem aufgewendeten Arbeit zu ziehen. Allüberall und allezeit
handelt es sich ihm um die Erzielung der höchsten l'eberschüsse über die
Kosten. Entscheidend für den Erfolg ist das Verhältniß des Bruttoertrages zu
dem Betriebs aufwände, die billigste Produktion der werth vollsten Erzeugnisse.
Die natürlichen und wirthschaftlichen Grundlagen der Landwirthschaft sind aber
ungemein vielgestaltig nach Ort und nach Zeit. Wenn daher der ökonrnnische
Erfolg dieses Gewerbes davon abhängt, daß der Betrieb desselben sich auf die
für ihn maßgebenden Zustände stützt und mit solchen in Einklang setzt, so
müssen jenem Vorkommen auch sehr verschiedene Einrichtungen, mittelst welcher
die einzelnen Produktionsmittel kombinirt und für die vorliegenden Zwecke in
Wechselwirkung gesetzt werden, d. h. verschiedene Systeme der Landbewirth-
Landwirthschaft — 288 — LandwirÜischaft
Hchaftung enteprecheo. Nirgends prägt Hieb dieser ZnBammenhang schärfer aus,
als in den landwirthscbaftlichen Betriebseinriohtungen der Schweiz, in welchen
ßich gemäß den thatsächlich ungemein abgestuften Bedingungen derselben eine
erstaunliche lüannigfaltigkeit ausgebildet hat.
Jeder einzelne laudwirthschaftliche Betrieb ist eine Schöpfung sehr zusammen-
gesetzter Natur, vergleichbar mit einem Lebewesen, dessen Formen und Ver-
richtungen von der Gestaltung und der Art des Zusammenwirkens der einzelnen
Organe abhängig sind, und dessen gesammter Apparat, um so zweckmäßiger
funktionirt, je mehr er sich den auf ihn wirkenden Außen Verhältnissen angepaßt
hat. Eine Erörterung verschiedener Betriebssysteme ist daher auch nicht möglich
durch Anwendung eines Einbeitsmaßstabes ; dieselbe erfordert die Wahrnehmung
verschiedener Gesichtspunkte. Dieses Verhältniß mag es rechtfertigen, wenn die
nachfolgende Darstellung der Betriebsverfassung nach den vorzugsweise in Be-
tracht kommenden Kriterien gegliedert wird.
1) Allgemeine Produktionsrichtung.
Betrachtet man die landwirthscbaftlichen Betriebseinrichtungen der Schweiz
lediglich nach dem Einflüsse der Entfernung der Produktionsstellen vom Markte,
bezw. den Kosten des Yerbandtes der Erzeugnisse nach den Absatzorten, so müßte
man im Stande sein, im Bilde des v, Thünen' sehen „isolirten Staates" um die
einzelnen Hauptkonsumplätze mehrere konzentrische Kinge zu konstruiren, in
welchen die Landwirthschaft nach Maßgabe der Entfernung vom Mittelpunkte
je verschiedene Produktionsziele verfolgt. Beispielsweise so, daß die innere an
den Markt anschließende Zone den Standort für den gärtnerischen Betrieb der
Bodenkultur, die Milch wir thschaft mit direktem Verkauf der Milch, die Erzeugung
von Futter zur Versor^rung der städtischen Pferde etc. bildet, um dieselbe sich
weiter ein Ring mit ausgeprägter Körnerbauwirthschaft, zunächst in intensiver
Betriebsform, z. B. im Fruchtwechsel, dann auf extensiver Grundlage, z. B. in
der Dreitelderwirthschaft mit reiner Brache — anschließt, und diesen Kreisen
bis zur Grenze der landwirthscbaftlichen Kultur Einrichtungen folgen, in welchen
nur noch die Gras bezw. Weide wirthschaft, verbunden mit Viehaufzucht, betrieben
werden kann. Die Tendenz zu einer solchen räumlichen Gliederung der land-
wirthscbaftlichen Betriebsaufgaben ist in der That vorhanden, mag sich dieselbe
auch früher noch deutlicher ausgeprägt haben, wie heute.
Indessen entspricht die Wirklichkeit jenem Bilde doch nur in sehr ver
einzelten Beziehungen, und zwar hauptsächlich noch in den Einrichtungen je der
innersten Zone. Der Grund hierfür liegt darin, daß in Folge der Erleichterungen,
welche die Vervielfältigung und die Vervollkommnung der Kommunikationsmittel,
insbesondere seit Erstellung der Eisenbahnen, dem Verkehr gebracht haben, aus-
gedehntere, abgelegene, früher abgeschlossene Gebiete dem Markte näher rückten,
mit welchem Vorgange jene Konzentrizität der verschiedenen Produktionszonen
durchbrochen werden mußte. Je mehr aber die Entwicklung des Tausch Verkehrs
die diesem durch Raum und Zeit gezogenen Schranken überwand, desto augen-
fälliger mußte derselbe den Prozeß der Arbeitstheilunr/ auch in der landwirth-
scbaftlichen Produktion begünstigen, in dem Sinne, daß jede einzelne Landschaft
diejenige Richtung ergreift, in welcher sie sich durch die eigenartigen Ver-
hältnisse der Oertlichkeit vornehmlich begünstigt sieht, zunächst unabhängig davon,
ob ihre Erzeugnisse einem nahen oder einem entfernteren Markte anheimfallen,
und ob das Land in diesem oder in jenem Artikel in mehr oder weniger großen
Uuantitätcn auf das Ausland angewiesen ist. Damit unterlag auch das einstmals
Landwirthschafl — 289 — Landwirthschaft
hochgehaltene Prinzip der Selbst Versorgung der zwingenden Gewalt der That-
gachen. So ist die schweizerische Landwirthschaft dahin gelangt^ ihre Kräfte,
unbekümmert um jede andere RückKicht, lediglich auf solche Gebiete zusammen-
drängen zu können, in welchen die äußere Natur ihr unterstützend die Hand
reicht, sie mit besonderer Stärke ausgerüstet hat und ihr auf Grund dieser Be-
günstigung eine hilliffe Produktion jederzeit gangbarer, d. h. vom Markte gerne
aufgenommener Artikel ermöglicht.
Wenn man hiemach die thatsächlichen Verhältnisse überblickt, so findet
man, daß der Schwerpunkt des Ringens und Schaffens der schweizerischen Land-
wirthschaft in der Futtererzeugung, und zwar mittelst der GraskuUur auf
Wiesen und Weiden, liegt. Man kann es unbedenklich behaupten, daß die natür-
lichen Bedingungen für eine ergiebige, in Quantität und Qualität reiche Produktion
von Wiesen- und Weidefutter, für die sogenannte Graswüchsü/keä des B«>denR,
in unvergleichlich günstigem Maße vereinigt sind, und daß es in unserem ganzen
Erdtheile kaum ein Land geben dürfte, welches in dieser Hinsicht der Schweiz
überlegen wäre. Begreiflich daher, daß die eifrige Pflege dieses Betriebszweiges,
welcher in den Alpen so zu sagen die nur noch einzig mögliche Nutzungsart
des der Landwirthschaft dienenden Bodens repräsentirt, weitaus vorherrschend
den Grnndcharakter der Wirthschaftssysteme bestimmt und diesen das ihnen
eigenthümliche Gepräge verleiht. Auf Grundlage jener Kulturaiten und behufs
angemessener Yerwerthung der Erzeugnisse derselben hat sich sodann ein sehr
umfangreicher und schwunghafter Betrieb der Viehhaltung und Viehzucht
entwickeln müssen, in' welchem Zweige wiederum der Haltung und Züchtung des
RindeSf welches sich unter den gegebenen natürlichen und den vorherrschenden
Besitz Verhältnissen zu bevorzugt hohen Graden der Nutzbarkeit entwickeln läßt,
ein bedeutendes Ueberge wicht vor den übrigen Viehgattungen eingeräumt wurde,
der Art, daß das Schäfereiweden, dessen Rentabilitätsstellung übrigens auch durch
den gewaltigen Druck der Konkurrenz überseeischer Wollen sehr empfindlich be-
troffen wurde, sich im Wesentlichen nur noch an die Ausnutzung der dem Rinde
kaum mehr zugänglichen Weiden in den Hochalpen anlehnt und hiervon seine
Richtung und Ausdehnung empfa'ngt, indessen die Haltung und Züchtung der
Ziege nicht allein in den höheren Lagen konkurrirt, sondern auch in den kleinsten
Betriebsstellen des Hügellandes ziemlich zahlreich vertreten ist. Der Betrieb der
Haltung und Züchtung des Pferdes und des Schivcines, welche beide Thier-
gattungen überhaupt nicht bestimmt und nicht geeignet dazu sind, größere Mengen
planmäßig erzeugten Futters zu verwertheu, tritt ebenfalls gegenüber demjenigen
der Haltung und Züchtung des Rindes sehr zurück; in beiden Viehgattungen
deckt die inländische Züchtung nicht den Bedarf an Gebrauchsthieren. Von der
Pferdezucht kann wegen ihrer bedeutenden Anforderungen an die Betriebsmittel
des Landwirths und die Technik des Faches, wegen des langsamen Umsatzes des
in ihr angelegten Kapitales und des großen Risiko^s, welches auf ihr ruht, im
Hinhlick auf den vorherrschenden Kleinbesitz eine Entwicklung zu ersprießlichen
Leistungen nur in sehr begrenzten Lokalitäten erwartet werden. Anders die
Schweinezucht, welche noch mit großem Vortheil ausgedehnt werden könnte,
zumal die Mästung des Schweines, vornehmlich anlehnend &n die Haltung des
Rindes bezw. den Molkereibetrieb, doch eine allgemeinere Verbreitung gefunden
hat, und in Folge dessen der Absatz an jungen Thieren im Inlande jederzeit
schlank verläuft. In der Rind\ iehhaltung kommen in der Hauptsache nur zwei
Nutzungsrichtungen in Betracht. In den Alpen hat nicht sowohl der geringeren
Entwicklung des Verkehrs, alä vielmehr der reichlichen Weidegelegenheiten willen
Furr«r» VolkiwlrthschaftK-Lexikon der Sehweis« Y<^
Landwirthschaft — 290 — . Landwirthschaft
die gewerbsmäßige Züchtung für die Zwecke der Ausfuhr, in den tieferen Lagen
dagegen die Benutzung des Binden zur Milcher Zeugung, und zwar, über den
Bedarf des Inlandes an Milch und Molkereiprodukten hinaus, auch zur Darstellung
von Exportartikeln, namentlich an Käse, Butter, kondensirter Milch etc. etc.,
die Herrschaft. Dort geht neben dem Betriebe der Aufzucht derjenige der Molkerei
naturgemäß einher, hier ist die Verbindung der Aufzucht mit der Milchwirth-
schaft fakultativ, jedoch ' in zahlreichen Fällen in dem Sinne hergestellt, daß die
Milchviehhalter wenigstens den Bedarf an Ersatzkühen durch eigenen Betrieb
der Aufzucht decken. Die Verwendung des Rindes zur Arbeit erscheint nur bei
der Haltung von Schnittochsen als Haupt-, im Uebrigen als Nebennutzung, in-
dessen durch die Mästung, abgesehen von den zur Zeit erst vereinzelten Fällen,
in welchen Thiere lediglich für die Zwecke der Schlachtbank aufgezogen werden,
nur eine angemessene Verwerthung der in den laufenden Erträgen zurückgehenden
Exemplare beabsichtigt wird.
Verlangt man Beweise für die Richtigkeit dieser Darstellung, so sind die-
selben in den Ergebnissen der Viehzählung zu finden. Nach den neuesten Er-
mittlungen vom Jahre 1886 und nach mehrfachen, auf Ghrund derselben vor-
genommenen Berechnungen und Veranschlagungen besitzt das Land:
Pferd«',
Maulthioro Rindvieh Schweine Schafe Ziegen Total
1) Absolut: «"^ Esel
a. Stückzahl 103,410 r212,538 394,917 341,804 416,323 —
b. Auf Rindvieh reduzirtes Vieh
(Rindvieh-Einheiten) . . . 137,880 1*212,538 98,729 34,180 34,693 1*518,020
c. Werth in Tausenden Franken 52,429 360,730 20,931 6,836 7,494 448,420
2) Antheil der einzelnen Viehgat-
tungen am Gesammtwerth in 7o lli' 80,4 4,7 1,5 1,T 100,0
3) Per km* landwirthsch. benutzten
Bodens : a. Stückzahl ....
b. Werth in Franken
4) Per 1000 Bewohner:
a. Stuckzahl
h. Werth in Franken ....
5) Werth des jährlichen Brutto-Er-
trages in Tausenden Franken
6) Antheil der einzelnen Vieh-
gattungen an dem gesammten
Jahresertrag in Prozenten . . 18,8 72,» 6,4 0,8 1,4 100,o
Zu den Ertragsergebnissen aus dem Kindviehstande muß bemerkt werden,
daß von demselben etwa 62 ®/o auf die Milchnutzung (rund 174 Millionen Fr.)
entfallen, indessen der Rest von 38 ^/o sich mit ca. 19 **/o (53 Millionen) airf
den dem Ersatz durch Nachzucht entsprechenden Flebchertrag, mit 7 ®/o (21
Millionen) auf den Erlös aus Exportvieh, und mit 12^/o (33 Millionen) auf die
Arbeitsleistung vertheilt. — Bezeichnend für die bestehenden Einrichtungen ist
schließlich die Thatsache, daß von den 289,274 Viehbesitzem sich befinden im
Besitze von Rindvieh: 219,193 = 75,8 7o, von Ziegen: 145,760 = 50,4 7o,
von Schweinen: 139,682 — - 48,3 7o, von Schafen: 67,686 ^ 23,4 7o, und
von Pferden, Maulthieren und Eseln: 56,499 = 19,5 Vo.
Die hier skizzirten Einrichtungen bilden gleichsam eine Domäne der schwei-
zerischen Landwirthschaft, eine Eigenthlimlichkeit, mit welcher diese eine von
der Schöpfung über das herrliche Gebirgsland reichlich ausgegossene kostbare
Gabe auszunutzen strebt, und welche wie durch eine glückliche Fügung des
Schicksals bestimmt ist, ihre hohe wirthschaftiiche Bedeutung gerade zu behaupten
in einer Zeit, da die Fortschritte der Technik und Erfindung und des weit-
4,8
2,434
55,7
16,571
18,1
959
15,7
314
19,1
344
20,622
36,t
18,408
426,0
126,735
138,8
7,335
120,0
2,400
146,8
2,6(>3
157,511
71,800
280,900
25,000
2,900
5,600
386,250
Landwirtbschafl — 291 — Landwirthschafl
umfassenden Verkehrs, indem sie immer mehr die internationale Arheitetheilung
erzwingen, auch zur Aushildnng spezifischer Richtungen in der Landwii*thschaft
auffordern. Man wird dessen erst recht inne, wenn man sich nicht allein die
von der Natur dargehotenen Vorzüge, sondern auch die reichlichen Grelegenheiten
zu durchgreifender Steigerung der ßetriehserfolge auf diesem Gehiete vergegen-
wärtigt, ferner aher festhält an dem Gesichtspunkte, daß die Graswirthschaft
eine Betriehsweise darstellt, welche, indem sie gestattet, den Aufwand an Hand-
arheit, dem unter vielen Verhältnissen des Landes theuersten Produktionsfaktor,
einzuschränken, gerade der nutzbringendsten Anlage von Betriebskapital einen
weiten Spielraum gewährt, und wenn man schließlich auch hinblickt auf den
Gang der Entwicklung des Bedarfes der Menschen an Nahrungsmitteln, insonder-
heit des Marktes in Erzeugnissen der Viehhaltung gegenüber demjenigen in Mehl-
frticbten.
Mit den erwähnten Einrichtungen hängt übrigens jene eigenthUm liehe Kultur-
art des Bodens eng zusammen, welche lediglich dazu bestimmt ist, der Gewinnung
von Streuematerial zu dienen. Es sind die in Flußthälern, an Seenfern etc. etc.
häufig vorkommenden sogenannten Streuewiesen oder Sireueriedter, d. h. ab-
sichtlich in einem Zustande der Nässe oder Versumpfung belassenen oder in einen
solchen versetzten Wiesengrundstücke, welche ihrer Beschaifenheit entsprechend
vorzugsweise Sauergräser produziren und deren Ertrag wie süßes Wiesenfutter
regelrecht durch Mähen und Trocknen ausgebeutet wird. Zu einer solchen Be-
nutzungsweise feuchten Landes drängt hauptsächlich der bei einseitiger Bevor-
zugung der Graswirthschaft, also bei stark oder völlig zurücktretendem Feld-
und namentlich Kömerbau permanente Mangel an Einstreu für das Vieh. Das
auf den ersten Blick auffallende Verfahren rechtfertigt sich nicht allein durch
das nattlrliche Verhalten vieler, der Entwässerung nicht oder nur schwer zu-
gänglicher Thalgrundstücke, sondern auch durch die in Folge der Armuth an
Stroh und an anderen geeigneten Ersatzmitteln für dasselbe hervorgerufenen hohen
Preise für die Riedt- oder Schwarzstreu. Auf solche Umstände ist auch die Er-
fahrung zurückzuführen, daß die Reinerträge und Preise ergiebiger Streu riedter
denjenigen guter Futterwiesen nicht nachstehen. *)
In demselben Verhältnisse, in welchem die Gras (Wiesen- und Weide-)
Wirthschaft durch die natürlichen Bedingungen begünstigt wird, vermindert sich
die Chance für einen ergiebigen planmäßigen Betrieb des eigentlichen Feldbaues,
insonderheit der Getreidekultur. In Folge der Erschwernisse, welche der Be-
arbeitung des Bodens durch bindige oder steinige Beschaffenheit und durch stark
geneigte Lage desselben bereitet werden, häufen sich die Kosten <ier Produktion,
indessen vortheilhafte Kultur- und Erndtemethoden (Tiefbearbeitung des Bodens,
Drillsaat, Anwendung der Mähemaschinen etc.) so zu sagen ausgeschlossen bleiben
müssen; in rauhen, kalten, wie an Niederschlägen reichen Distrikten steigern sich
die Gefahren des Auswinterns und Ausfanlens der Saaten, der Schädigung der-
selben durch Spätfröste und Schneedruck, des Auftretens parasitischer Krankheiten,
des Lagerns des Getreides, des Verlustes durch ungünstige Erudtewitterung u s. w.,
und selbst in günstigen Jahren wird es unter solchen Verhältnissen kaum ge-
*) Welch' erhebliche Ausdehnung die Streueried ter in manchen Distrikten besitzen,
beweist die Erfahrung im Kanton Zürich, in welchem die auf Streue benutzten Riedter
eine Fläche von 6936,4 ha oder 4,3 7*> des laudwirthschattlich benutzten Bodens um-
fassen. Vgl. „Statistische Mittheilungen betrefTend den Kanton Zürich. I. Heft. Land-
wirthschaftliche Statistik. Mitlheilun^en ul)er den Gang und die Resultate der landwirth-
schafllichen Produktion von 1885. Winterthur 1886*.
Landwirthschaft — 292 — Landwirlbschafl
lingen, in der Qualität der Produkte die Erfolge der Acker wirthschaft in den
tieferen, milderen Lagen der trockeneren Ebenen zu erreichen. Faßt man diese
Erfahrungen in's Auge, und zieht man in Betracht, daß heut zu Tage Brod-
getreide yorzüglichster Qualität mit bewundernswerther Leichtigkeit und Sicher-
heit aus den dasselbe billigst produzirenden Ländern herangeführt wird, in Folge
dessen der Preis der Körnerfrüchte außer Verhältniß zu demjenigen für Vieh
und Yiehprodukte gesunken ist, daß aber der Getreidebau den Hauptrepräsentanten
der Feldwirthschaft bildet, eine planmäßige Ackerkultnr desselben kaum ent-
behren kann, so begreift sich, daß der Körner- und mit ihm überhaupt der Feldbau
in der Schweiz seit Jahren immer mehr (seit Mitte der 70er Jahre etwa um
15 ^/o) zu Gunsten der Graskultur zurückgegangen und nur noch in den ihn
besonders begünstigenden Gegenden des Flachlandes seßhaft geblieben ist. Wo
immer aber auch die eigentliche Ackerwirthschaft Platz greift, nirgends geschieht
das einseitig auf Kosten des gerade auch für ihre Prosperität wichtigen Wiesen-
baues. Man muß also aus den Alpen und Yorbergen in das Hügelland hernieder-
steigen, um eine Vorstellung davon zu gewinnen, in welchem Umfange das offene
Bauland und speziell der Getreidebau in der Schweiz betrieben wird. Das Vor-
kommen vereinzelter Getreide- und Kartoffelfelder an sonnigen und trockenen
Vorsprüngen im Gebirge, welches hier nicht mehr als eine Gelegenheit zu besserer
Ausnützung einmal vorhandener Arbeitskräfte bedeutet, ändert Nichts an dieser,
die Verhältnisse im Großen zusammenfassenden Betrachtung. Indessen bleibt doch
immer zu berücksichtigen, daß ein systematisch betriebener Feldbau eben den
Wechsel der Früchte im Felde erfordert, und daß deshalb überall da, wo der-
selbe angetroffen wird, die Kultur des Getreides zu derjenigen anderer Feld-
gewächse in ein Verhältniß gegenseitiger Unterstützung und Förderung tritt. Zu
letzteren gehören aber außer den für die direkte Versorgung des Menschen
wichtigen und in starker Ausdehnung gebauten Kartoffeln wiederum vornehmlich
Futterpflanzen, so daß also die Viehhaltung auch von dieser Seite einen be-
deutenden Succurs empfangt. Zur Zeit wird man annehmen dürfen, daß von der
dem Getreidebau gewidmeten Fläche, deren Ausdehnung wir etwa auf die Hälfte
des gesammten Ackerlandes angenommen haben, kaum 3,5 Millionen Kilozentner
Kömer geerndtet werden. Der Bedarf des Landes an Brodgetreide, an Saatfrucbt
und an Körnern für Viehfdtterungs- und für technische Zwecke berechnet sich
auf etwa 7,5 Millionen £jlozentner, so daß ein Defizit von ca. 4 Millionen Kilo-
Zentnern durch die Einfuhr zu decken bleibt.
Li neuerer Zeit wird die Frage vielfach ventilirt, ob die Landwirthschaft
inskünftig auf der hier angedeuteten Bahn der Einschränkung des Getreidebaues
weitergehen oder einhalten, oder ob dieselbe gar wieder zu einer stärkeren Be-
vorzugung der Kultur der Mehlfrüchte zurückkehren werde. Betrachtungen hier-
über tauchen immer wieder auf, sobald das Preisverhältniß zwischen Getreide
und Yiehprodukten von erheblichen Aenderungen betroffen wird, wie es nament-
lich in den letzten Jahren angesichts des Rückschlages im Handel in Molkerei-
produkten der Fall war. Wer die Preisbewegung in jenen beiden Kategorieen
von Produkten über längere Zeiträume verfolgt und sich die inneren Gründe des
Herganges vergegenwärtigt, der kann unmöglich dem Gedanken an ein bleibend
ungünstiges Verhältniß der Preise der thierischen Produkte zu denjenigen der
Brodfrüchte Raum geben, und muß sich überzeugen, daß die Zeit einer plan-
mäßigen Begünstigung des Körnerbaues in der Schweiz — einzelne Ausnahmen
an der Nordwest- und Nordgrenze und vielleicht im Süden gerne zugelassen —
ein für alle Mal vorüber sei. Andererseits wäre es aber eine ungeschickte Rechnang,
Landwirthschaft — 293 — Landwirlhschaft
wollte man aus der Fortdauer einer relativ vortheüliaften Konjunktur für Er-
zeugnisse der Viehhaltung den Schluß 2dehen, daß unsere Landwirthschaft mit
der Getreidekultur noch weiter aufzuräumen hahe. Einer solchen Argumentation,
die allerdings manche enthusiastische Anhänger zählt, widerstreiten mehrfache
Erwägungen. Grar oft ist nämlich der Landwirth geradezu darauf angewiesen,
sich auf den Anhau von Feldgewächsen einzurichten, welche für ihn eine ganz
hesondere Bedeutung haben, sei es, weil die spezifische Beschaffenheit des Bodens
und der Lage eine ausnehmend billige Produktion derselben ermöglichen (gewisse
Industrie- und Futterpflanzen, von letzteren namentlich auch Luzerne und Esper),
sei es, weil er des Erzeugnisses für seinen Haushalt und bezw. den Yiehstand
bedarf, dasselbe aber nicht mit gleichem Yortheil and gleicher Regelmäßigkeit
wie durch eigenen Betrieb der Kultur von Außen beziehen kann (Kartoffeln und
Blibengewächse). In allen solchen Fällen greift er auch zum Körnerbau als einem
geeigneten Vermittler des Wechsels, und schreibt er demselben diese seine in-
direkten Wirkungen als einen Bestandtheil des Ertrages zu Gute. Je mehr die
Landwirthschaft grundsätzlich den Futterbau und die Viehhaltung bevorzugt,
desto stärker tritt auch das Bedilrfniß zur ausreichenden Versorgung des Vieh-
standes mit Streuematerial hervor. In dieser Beziehung ist aber der Getreidebau
besonders geeignet, in die Lücke zu treten, wie namentlich da empfunden wird,
wo es an Streuriedtern fehlt. Ueber dieses Verhältniß belehrt am Auffälligsten
der enorm hohe Stand der Strohpreise, welche sich in neuerer Zeit nahezu auf
diejenigen des Heues erhoben haben. Ein solcher Zustand drängt begreiflich immer
mehr dahin, an der Stroheinstreu möglichst zu sparen und dieselbe durch ander-
weite Materialien zu surrogiren. Immer aber bedingt derselbe eine bevorzugte
Leistung des Getreidebaues durch dessen Strohertrag. Endlich aber muß auch
in Betracht gezogen werden, daß der Körnerbau innerhalb gewisser Grenzen seiner
Aasdehnung dem mittleren und kleinen Besitzstand verhältnißmäßige Erleichterungen
in der Bestreitung der Betriebsspesen gewährt. Die Kosten der Scheunen, der
Acker« und Fnhrgeräthe, des Spannviehes etc. sind bei einer doch einmal noth-
wendigen Ausrüstung der Wirthschaft mit den betreffenden Kapitalien nahezu
oder ganz die gleichen, ob der Getreidebau dieselben in Anspruch nimmt oder
nicht, und wenn man sich vorstellt, daß in der Familie des Landwirtbs ein stets
vorhandener und zu unterhaltender Grundstock von Arbeitskräften gegeben ist,
die Verrichtungen in der Getreidekultur aber der Zeit nach sich günstig ver-
theilen und zwischen die übrigen Betriebsgeschäfte hineinschieben, so leuchtet ein,
daß solche Verhältnisse auf eine Verringerung der Kosten der Getreideproduktion
hinauslaufen. Angesichts derartiger Vorkommnisse ist man aber zu der Voraus-
sicht berechtigt, daß die schweizerische Landwirthschaft auch dann, wenn der
Getreidemarkt sich femerweit noch ungünstiger ftir sie gestalten sollte, den
Körnerbau gleichwohl nicht oder nicht mehr erheblich reduziren, dagegen den
demselben durch die künftige Konjunktur etwa in noch höherem Grade bereiteten
Erschwernissen durch rationelle Technik des Betriebes auszuweichen suchen werde.
Von den ander weiten Gewächsen des Feldbaues nehmen die Futterkräuter
und die sogenannten Hackfrüchtej darunter vornehmlich die Kartoffeln, eine her-
vorragende Stellung ein, indessen die sogenannten Handelsgewächse oder In-
dustriepflanzen räumlich sehr zurücktreten und nur in einzelnen Landstrichen
eine große Bedeutung erlangt haben. Durch den Anbau von Feldfutterkräutern
(Luzerne, Esper, Klee, Kleegras [sog. Kunstfutter], Futterroggen, Sommer- und
Winterwicken, Mais etc.) hat es der Landwirth in der Hand, in den denselben
zusagenden Lagen mit Hülfe eines gesteigerten Kulturaufwandes für Arbeit und
Landwirthschaft — 294 — Landwirthschäft
DüDgung die Massenerzeugnng von Futter vortheilbaft zu betreiben und ins-
besondere den Grund zu einer ergiebigen SommerstallfUtterung des Viehes zu
legen. Wo daher überhaupt der Feldbau mit Erfolg durchgeführt werden kann^
pflegen derartige Kulturen zur Ergänzung des Wiesenfutters namentlich im ver-
mögenderen mittleren und kleinen Besitzstande des Flachlandes mit Vorliebe er-
griffen zu werden. Insbesondere gilt das von der Luzerne, welche sich vornehmlich
auch in trockenen Jahrgängen als eine verläßliche Futterpflanze bewährt. Mit
der Aufnahme der schon für eine rationelle Gestaltung des Fruchtumlaufes
wichtigen Rübengewächse wird die Gewinnung einer Zubuße für die Winter-
fütterung bezweckt, welche die Bestimmung trägt, das Rauhfutter zu ergänzen
und durch Mischung mit demselben den Thieren schmackhafter zu machen. Die
billigste Produktion in diesen, viele Handarbeit erfordernden Kulturen bringt
offenbar wieder der Kleinbauer zu Stande. — Ungeachtet der vielen Schwierig-
keiten, welche die Boden- und klimatische Beschaffenheit ihm entgegenstellen >
hat doch der Kartoffelbau innerhalb jener Kategorie von Feldgewächsen die all-
gemeinste Verbreitung bis in die höheren Lagen hinauf gefunden. Zum nicht
geringen Theile beruht diese Erscheinung wiederum auf den Erleichterungen,
welche der Kleinbesitzer in der Beschaffung der Handarbeit genießt, dann aber
namentlich darauf, daß das Einfuhrbedürfniß immer ein sehr großes ist, und die
verhältnißmäßig bedeutenden Transportspesen und Risiken, welche auf dem Be-
züge der Kartoffeln lasten, zu hohen Marktpreisen derselben führen. Leider ver-
zeichnet das Land nur zu viele Jahre, in welchen der Kartoffelbau in Folge
trüber und nasser Witterung gar nicht lohnt. Am Günstigsten ist in dieser
Branche der Kanton Schaffhausen situirt; ihm folgen Baselland, der bemische
Jura und Waadt. Im Kanton Bern wurde demselben übrigens seither eine starke
Ausdehnung für die Zwecke der Brennerei gegeben, welche unter dem Schutze
des Ohmgeldes die Verwendung selbst eines theureren Rohstoffes noch gestattete.
Eigenartig ist die Stellung der Kultur der Industriepflanzen. Der
Anbau des Flachs, welcher früher ziemlich verbreitet war und dessen Rohprodukt
in den bäuerlichen Oekonomieen von Hand verarbeitet zu werden pflegte, ist im
Laufe der Jahre hauptsächlich wegen seiner bedeutenden Ansprüche an die theurer
gewordene Handarbeit und dann der Konkurrenz der wohlfeilen Maschinen-
gespinnste immer mehr zurückgegangen. Eine Wiederauffrischung desselben scheint
nur noch möglich durch Einführung von mechanischen Werkstätten (Faktoreien),
welche dem Landmann das durch sie zuzurichtende Roherzeugniß abnehmen. Ein
gleiches Schicksal traf die Kultur der Oelsaaten, welche in Anbetracht des durch
die Konkurrenz des Petroleums und der aus Früchten der südlichen Zone be-
reiteten Oele herbeigeführten Preisdruokes hier zu Lande absolut nicht mehr ge-
nügend billig produzirt werden können. In geschützteren Lagen, auf von Natur
reichem, mildem Boden, so insbesondere im Waadtlande, im Murtengebiet (Frei-
burg\ im Rheinthale, hat dagegen die Kultur des Tabaks seither mit Erfolg
betrieben werden können, und neuerdings wurde derselben unter der Begünstigung,
welche ihr durch den vom Bunde auf das Produkt gelegten hohen, für sie
schützend wirkenden Finanzzoll zu Theil geworden ist, eine erheblich weitere
Ausdehnung vornehmlich in den Kantonen Aargau und Thurgau gegeben. Von
anderen Gewächsen dieser Gruppe hat sich seither keines einbürgern wollen.
Wohl hat es an Ansätzen zu einer Kultur derselben, wie z. B. des Hopfens, der
Cichorie, von Farbe- und Arzneipflanzen etc., nicht gefehlt. Dieselben bedeuteten
aber kaum mehr als Versuche, deren Ergebnisse zur Verallgemeinerung des Be-
triebes nicht ermunterten. Bald berechnen sich die Erzeugungskosten dieser Artikel
Landwirtbschaft — 295 — Landwirthschaft
sni hoch, bald scheitert das Problem an der Unmöglichkeit der Gewinnung be-
vorzugter und daher vom Markte willig aufgenommener Qualitäten, oft fehlt
überhaupt der schlanke Absatz und dann — droht von allen Seiten eine bereits
äußerst scharf zugespitzte Konkurrenz. Aehnliche, übrigens hier nicht näher zu
erörternde Gesichtspunkte berechtigen auch zu der Ansicht, daß der neuerdings
lebhaft aufgegriffene und befürwortete Gedanke der Einführung der Zuckerrüben-
kultur und der Zuckerfabrikation eine Aussicht auf Verwirklichung nicht hat.
Von einer Gartenkultur kann hier nur in so fern die Bede sein, als sie
des direkten Erwerbes willen systematisch betrieben wird und sich auf die Ge-
winnung von Gemüsen richtet. Diese ist aber nur an einzelne Lokalitäten, und
zwar an die innerste, die Stadt umgebende Zone gebunden. Eine allgemeine und
spezifisch landwirthschaftliche Bedeutung besitzt sie nicht, und darum kann auch
für sie im Hinblick auf die uns vorschwebende Aufgabe ein nur untergeordnetes
Interesse beansprucht werden. Uebrigens gilt es als eine ausgemachte Thatsache,
daß die gewerbsmäßige Gemüsezüchterei, ungeachtet des konstant zunehmenden
Verbrauches ihrer Artikel, ebenfalls seit Jahren mit mancherlei Beschwerden
kämpft, welche ihr die erleichterten Verbindungen nach dem Süden (Südfrankreich
und Italien) bereitet haben, und daß diese für sie drückende Konkurrenz vor
Allem die frühen Gemüse trifft. Der Landwirth, namentlich der Kleinbauer, int
seit Jahren durch die Thätigkeit der Vereine und der Presse ermuntert worden,
der Gemüsekultur mehr Aufmerksamkeit zu schenken und eine größere Aus-
dehnung zu geben. Es sind das artige Bestrebungen, mit welchen man sympathisiren
kann, wenngleich man gefaßt darauf sein muß, daß ihre Erfolge zugleich die
geschäftliche Position der gewerbsmäßigen Gemüseproduzenten beeinträchtigen.
Denn es handelt sich ihnen doch darum, einer wohlfeileren, gesunderen und daher
rationelleren Ernährung des Bauernstandes Vorschub zu leisten, zumal die Ge-
müsekultur dem kleinbäuerlichen Betriebe eine sehr ergiebige Gelegenheit zur
Abspaltung von vort heil haften Neben- und FUllarbeiten darbietet, mittelst welcher
zugleich eine bessere Verwerthung der Arbeitskräfte überhaupt, und somit eine
wohlfeilere Darstellung der einzelnen Produkte erzielt werden kann.
Eine ganz besondere Aufmerksamkeit verdient ohne alle Frage jene groß-
artige Doppelkultur, welche wie geschaffen dazu ist, die Kosten der Produktion
auf den Grundstücken durch Gewährung von Neben-Einnahmen bedeutend herab-
zumindern — nämlich die in der Schweiz sehr beliebte und verbreitete Ver-
bindung des Obstbaues mit der Acker- und namentlich der Wiesenkultur. Die
Erfahrung lehrt, daß die Schweiz, insbesondere in dem nördlich der Alpenkette
gelegenen Theile des Flachlandes, sehr günstige Bedingungen für die Obstkultur
besitzt, und daß diese sich durch größere Regelmäßigkeit der Erträge vor der-
jenigen unserer Nachbarländer auszeichnet. Boden und Klima sagen derselben in
hohem Grade zu, und kaum anderwärts zählen die Obstbäume so gesunde, lang-
lebige Riesengestalten, wie hier. Bekannt ist ferner, daß sich die Obstkultur in
vortheilhafter Weise mit der Graswirthschaft veigesellschaftet. Der Markt hat
aber noch nicht aufgehört, gegen die Erzeugnisse der Obstkultur in hohem Grade
dankbar zu sein. Schon der durch die herrschende Geschmacksrichtung der in-
ländischen Bevölkerung bedingte starke Konsum an frischem und dürrem Obste
und an Obstwein sichert dem Produzenten eine lebhafte Nachfrage, und, nicht
genug damit, es hat die Schweiz in Jahren eigentlichen Obstsegens alle Mal ein
sehr einträgliches, in die Millionen zählendes Exportgeschäft betrieben. Die Er-
fahrung, daß eine reiche Obstern dte dem Land wir the geradezu Verlegenheiten
bereiten konnte, schwebt nur noch in dunkler Erinnerung an längst vergangene.
Landwirthschafl .— 296 — LandwirÜLschaft
Tage. Der Obstmarkt wird aber auch aller Voraossicht nach an seiner Ergie'bigkeit
nicht mehr einbüßen. Dafür bürgt die wachsende Verbreitung des Obstgenosses
und die zunehmende Erleichterung des Verkehrs. In bevorzugten Lagen am
Zürcher See und in der Zentralschweiz hat man es schon dahin gebracht, daß
der sogenannte ^ Obernutzen'' sich durchschnittlich auf 40 ^/o des gesammten Er-
trages des Mattlandes beläuft, während dieser durch den Besatz mit Obstbäumen
bekanntlich nicht einmal sehr beeinträchtigt wird. Weit entfernt davon, zu be-
haupten, daß solche Resultate überall zu erzielen sind, beweisen derartige 2jahlen
doch die eminente Bedeutung der Obstkultur, deren wohlthätiger Einfluß auf
Erwerb und Einkommen in der Landwirthschaft erst in seinem wahren Lichte
erscheint, wenn man in Betracht zieht, daß die Betriebskosten dieses Kultur-
zweiges verhältnißmäßig sehr gering sind, dabei im Wesentlichen nur Arbeits-
aufwand umfassen, indessen dieser, da er gerade in sonst weniger bedrängten
Zeiten des Jahres erfordert wird, billig geleistet werden kann.
Zu welcher Ausdehnung der Obstbau in der Schweiz bereits gediehen ist,
und wie hierdurch die Tragweite desselben durch die ausübende Landwirthschaft
anerkannt wird, beweiBcn die Ergebnisse der in mehreren Kantonen durchge-
fiihrten Obstbaumzählungen. Darnach berechnet sich die Zahl der Obstbäume im
Yerhältniß sowohl zur land wirthschaftlich benutzten Bodenfläche, ausschließlich
der Rebberge (Acker- und Grasland und Gärten), als auch zur Bevölkerung
folgendermaßen : *) < i fr
Glarus St. Gallen Thiirgau Zürich (,^1]*^;* Aargau
(1886) (1886) (1884) (1886) (1886) (1885)
1) Land wirthschaftlich benutzter Boden
(exkl. Rebberge) in km^ 324,8 1347.7 636,« 1069,8 167,o 881,5
2) Zahl der Bewohner (1880) .... 34,213 210,491 99,552 317,576 38,348 198,645
3) Zahl der Bäume p. ha landw. benutzten
Bodens in den einzelnen Obstarten:
a. Apfel- 0,74 4,09 7,o7 ' 6,8o 4,8» 6,07
h. Birn- 0,4« 3,29 5,oo 5,«8 2,«6 4,o7
c. Kirsch- 0,-^4 0,58 0,45 O,«» 2,8i 2.8?
d. Pflaumen- und Zwetschgen- . . . 0,ii 0,«« 1,8? l,5s 5,54 3,o7
e. Nuß- 0,1« O,««» 0,«S 0,88 0,48 0,49
/". Gartenbäume 0,4o 0,6i 0,47 0,»i 0,5:f 0,65
4) Gesammtzahl aller Obstbäume p. ha
land wirthschaftlich benutzten Bodens 2,ii 9,7o 15,o9 15,74 15,94 16,8s
5) Gesammtzahl aller Obstbäume p. 100
Bewohner 202 621 1,003 531 653 747
Das Land besitzt ein Weinbauareal von rund 34,530 Hektaren, welche
Hieb, wie wir sahen, in den bevorzugten Lagen des ÜUgellandes über die südlich
und westlich geneigten Hänge desselben, insbesondere auch längs der Seeufer,
erstrecken und im Mittel auf etwa 750 m Höhe (ausnahmsweise auf 800 m und
darüber) hinaufreichen. Abgesehen von einzelnen besonders günstig ausgestatteten
Distrikten, namentlich im Süden und Westen des Landes, und hier und da auch
im nördlichen und östlichen Gebiete, verfolgt der Betrieb der Rebkultur vor-
herrschend die Bichtung der Produktion bedeutender Quantitäten, allerdings dann
') Die in Baumschulen befindlichen Obstbäume sind von der Berechnung aus-
geschlossen geblieben. — Daß aber hier die Gartenobstbäume ebenfalls aufgenommen
wurden, ist darin begründet, daß in den betreffenden Uebersichten über die Areal-
verhältnisse die Gärten nicht besonders ausgeschieden sind. — Bei einem Vergleiche der
Ergebnisse ist zu berücksichtigen, daß Glarus zu den Alpenkantonen gehört, und daher
die für Obstbaumpflanzungen geeignete Fläche allda sehr beschränkt ist, ebenso, daß
auch der Kanton St. Gallen noch einen beträchtlichen Antheil an dem Alpengebiete
besitzt.
Landwirthschaft — 297 — Landwirthschaft
auf Kosten der Feinheit des Produktes. Der Grrond hierfür liegt nicht allein
darin, daß der Weinstock noch vielfach an der äußersten Grrenze seiner Ver-
hreitnng koltivirt wird und daher die Erzeugung hervorragender Qualitäten durch
Benutzung hierfür besonders geeigneter Sorten nicht mehr gestattet, sondern auch
darin, daß der Rebe durch Vermittlung des reichen Futterwachses eine stärkere,
den Trieb und die Massenproduktion besonders fördernde Düngnng zu Theil wird.
Im Durchschnitt werden daher hohe Bruttoeiträge verzeichnet, und diese sogar
auf 33 hl per ha, also im Granzen auf 1^139,490 hl veranschlagt. „Die Masse
des Ertrages unserer Bebgelände ist ein gesunder, kurrenter Branchwein, der
unser Hauptbedürfniß befriedigt. Rezent, durch ihre Kohlensäure erfrischend und
durststillend sind unsere Weine wie keine andern, und sind dieselben für unsere
Konsumtion im Großen ganz geeignet und unserem Graumen so angenehm, daß
sie besonders in besseren Jahren fremden Weinen vorgezogen werden." ')
Wer sich eine Vorstellung von den künftigen Greschicken unseres Weinbaues
bilden will, der muß sich absolut frei machen von den Eindrücken, welche die
Ergebnisse dieser Kultur seit mehr denn zehn Jahren hinterlassen haben. Es
giebt bekanntlich in der betreffenden Zone bei uns kein Gewächs, welches von
den natürlichen, aber ewig wechselnden Vorgängen in der Atmosphäre so be-
einflußt wird, wie der Weinstock, und diesem Verhältnisse entspricht ebenso
naturgemäß ein ewiges und starkes Schwanken zwischen ergiebigen und knappen
Erträgen, zwischen Jahren reichen Erndtesegens und gänzlichen Fehlschiagens.
Was man in der einen Periode entbehrte, wird und muß durch die Erfolge einer
anderen ausgeglichen werden, und diese üngleichmäßigkeit giebt der Rechnung
des Winzers ein eigenartiges Gepräge. Die lange Reihe von Mißjahren darf daher
auch ebenso wenig als Argument gegen die Bedeutung der Rebkuitur verwerthet
werden, wie es sich rechtfertigt, mit dem Glänze des einen Zeitraumes die trüben
Erfahrungen des anderen überstrahlen zu lassen. In letzterer Beziehung mag aller-
dings bei uns das Urtheil über die Rentabilität des Rebbaues nach den glücklichen
Erfahrungen in den 50er und 60er Jahren hier und da in eine schiefe Richtung
gedrängt, und diese Kultur auch dahin getragen worden sein, wo sie eine volle
Berechtigung nicht mehr besitzt. Jetzt wird man hierin innehalten, zumal man
genugsam erfahren hat, daß Rebgelände, weil deren Herstellungs- und Betriebs-
kosten unabhängig sind von der Regelmäßigkeit, der Höhe und Güte der Erträge,
da am wenigsten lohnen, wo die über dem Wachsthum und Gedeihen des Wein-
stocks schwebenden Unsicherheiten und Gefahren (z. B. Frost und Hagel, parasitäre
Krankheiten etc.) am größten sind. Man wird also im Angesichte der natürlichen
Chancen keine Rebberge wieder ansstocken, um so weniger, als die allgemeine
Geschäftslage, d. h. der Handel, ungeachtet der auf diesem Gebiete ungewöhnlich
thätigen fremden Konkurrenz, zu einer pessimistischen Auffassung der künftigen
Konjunkturen noch nicht berechtigt. An dieser Zuversicht darf man um so mehr
festhalten, als der inländische Weinbau sich künftighin in Folge der Aufhebung
der Ohmgelder eines schlankeren Absatzes in den betreifenden Kantonen zu er-
freuen haben wird, und als demselben die persönlichen Neigungen und Anlagen
des Pflanzers, welche in allen landwirthschaftlichen Kulturen über den Erfolg
entscheiden, in hohem Grade zu Statten kommen. In der That sind Sauberkeit
und Akkuratesse in allen Manipulationen, welche die Rebe erfordert, Sorgfalt in
der Wahrnehmung aller Kulturvortheile und in der Abwehr schädlicher Einflüsse,
*) Bericht von J. Wegmann in Erlenbach (Zürich) in dem „Katalog der Schweizer.
Landesausstellung ISSS*".
Landwirtfaschaft — 298 — Landwirthschaft
Fleiß and Pünktlichkeit, Unverdrossenheit and Aasdaaer in allen Verrichtangen,
getragen von einer gewissen Anhänglichkeit an diese vielgefeierte Pflanze —
ansem Behbaaem in rühmlichem Orade eigen.
2) Intensiver und extensiver Betrieb.
In der landwirthschaftlichen Produktion wirken regelmäßig drei Faktoren
zusammen. Sie sind :
1) Das benutzbare Land, ein gewisser Erdenraum, welcher den Pflanzen
die für ihr Wachsthum und Gredeihen erforderlichen Stand ortsbedingungen ge-
währt. Diese Bedingungen resultiren aus der vereinten Wirksamkeit, welche die
in der Erde gegebenen Stoffe und die an sie gebundenen Kräfte, die Bestand-
theile und die Bewegungserscheinungen der Atmosphäre und der Einfluß der
leuchtenden und erwärmenden Sonne auf das Pflanzenleben üben ; dieselben werden
auch wohl kurz zusammengefaßt in der Bezeichnung: Natur, Immerhin bildet
der Boden den Hauptrepräsentanten aller Naturbedingungen, mit welchen es der
Landwirth zu thun hat. Unter gewöhnlichen Verhältnissen muß der Grund und
Boden mit Kapital erworben werden, ist derselbe Gegenstand des Verkehrs ge-
worden, kommt ihm also ein Tausch- oder Verkehrswerth zu, in welchem sich
der Grad des Nutzens ausdrückt, welchen er durch seine Bewirthschaftung dem
Erwerber gewährt. Das Kapital desselben ist an den Erdenraum gebunden, im-
mobil. Man faßt es daher auch sammt allen dauernd auf den Grund und Boden
gemachten und mit ihm unbewegbar vereinigten technischen Anlagen (Bauten,
Straßen, Einfriedigungen etc.) unter der Benennung Grundkapital zusammen.
— Ohne menschliches Zu thun liefert das Grundkapital keine Rente, kein Ein-
kommen. Soll dasselbe dem gewerblichen Zwecke dienen, so müssen noch andere
Mittel der Produktion zu Hülfe genommen werden, um die Stoffe und Kräfte
der Natur durch die Kultur des Bodens, an welchen deren Wirksamkeit gebunden
ist, in Bewegung zu setzen und nutzbar zu machen. Hierzu braucht der Land-
wirth :
2) Bewegbares oder Betriebskapital, z. B. Vieh, Maschinen und Geräthe,
Düngemittel, Futter, Saatfrucht etc., und
3) Menschliche Arbeit, bestehend in Dienstleistungen des Unternehmers und
der Gehülfen denselben in der Leitung und Beaufsichtigung ^Verwalter) und in
der eigentlichen Handarbeit (Dienstboten und Tagelöhner). Wenn auch die Ent-
stehung allen Kapitales auf die Arbeit zurückzuführen ist, und die Arbeit wiederum
nur durch Kapital unterhalten und zu dauernden Leistungen befähigt werden
kann, so laufen doch diese beiden Faktoren in dem Produktionsprozesse seitlich
neben einander her.
Aus dieser einfachen Betrachtung erhellt, daß der Boden die eigentliche
Grundlage, das passive Element der Bewirthschaftung bildet, auf welches die
übrigen Produktionsmittel zum Zwecke lohnender Benutzung aller Glieder des
Prozesses einwirken müssen, daß dagegen das sachliche Betriebskapital und die
Arbeit, welche die eigentlichen Betriebskosten bedingen, die aktiven Elemente
darstellen, von welchen jene Einwirkung auszugehen hat. Um aber aus der ge-
sammten Anlage der genannten drei Faktoren einen hohen Ueberschuß über den
Aufwand zu erzielen, müssen dieselben in einer angemessenen Weise kombinirt
und in Wechselwirkung gesetzt werden.
Bekannt ist, daß das Verhältniß, in welchem der Preis des Landes zum
Zinsfuße vom Betriebskapitale und zum Arbeitslohne steht, sich örtlich und
zeitlich sehr ungleich gestaltet. Die Art und Weise, wie man Land, Betriebs-
Landwirlhschaft — 299 — Landwirlbschaft
kapital und Arbeit zasammenwirken lassen muß, wird also so oft verschieden
ausfallen, als jenes Yerhäitniß sich ändert und verschiebt, und leicht verständlich
ist der Grundsatz, daß der Landwirth von jenen drei Faktoren denjenigen am
Stärksten heranzuziehen hat, welcher nach Lage des Verkehrs der billigste ist.
Ist das Land theuer, während das Betriebskapital und die Arbeit billig beschafft
werden können, dann spart man an Land und häuft man auf derselben Fläche
den Betriebsfond; man forcirt das Geschäft, man wirthschaftet intensiv, Ist das
Land wohlfeil, während der Zinsfuß hoch steht, und die Gewinnung der Arbeit
relativ bedeutende Kosten verursacht, so spart man an letzteren beiden, räumt
man dem Lande ein Ueberge wicht ein, lasset man die Natur das Meiste und
Beate thun ; man wirthschaftet extensiv. Liegt der Fall vor, daß intensiv ge-
wirthschaftet werden muß, so kann man den Erfolg wiederum auf verschiedenen
Wegen in so fem erstreben, als man je nach dem Verhältniß des Zinsfußes zum
Arbeitslohn entweder mehr sachliches Betriebskapital anwendet und die Mit-
wirkung der Arbeit zurücktreten läßt, beschränkt — oder die Arbeit schärfer
heranzieht und an sachlichem Betriebskapital spart. Dort wirthschaftet man
kapitalintensiv, hier arbeitsintensiv.
Bevor auf die Nutzanwendung dieser allgemeinen Grundsätze auf den Betrieb
der schweizerischen Landwirthschaft eingegangen werden kann, ist es erforderlich,
vorerst noch an einige andere Erfahrungen zu erinnern.
Unter sonst gleichen äußeren Bedingungen und unter der Voraussetzung
umsichtiger und zweckmäßiger Anordnung und Leitung des Geschäftes steht die
Quantität der Bodenproduktion in engster Beziehung zu der Summe der auf den
Boden verwendeten Kosten oder zu dem Umfange des zur Bewirthschaftnug»
desselben aufgewendeten Betriebskapitales und zu der Schnelligkeit seines Um-
satzes. Aber diese Vermehrung des Rohertrages steht nicht in geradem Ver-
hältnisse zu der Quantität des Aufwandes für die Produktion. Dieser steigt in
stärkerem Verhältnisse, als der Ertrag zunimmt, oder — eine jede Vermehrung
der Betriebskosten gewährt von der gleichen Bodenfläche einen verhältnißmäßig
geringeren Ertrag, Diese Beziehungen, welche in den Erfahrungen der Land-
wirthschaft allüberall und allezeit zu Tage treten, führen zu dem Schlüsse, daß
der Reinertrag eines Gütergewerbes nicht in demselben Maße wie dessen Boh-
ertrag zunimmt, und die Konsequenz, welche aus diesem Verhalten gezogen
werden muß, lautet einfach, daß der Uebergang zu einem intensiveren Betriebe
wirthschaftlich nur dann zulässig und geboten ist, wenn das TFefr^Averhältniß
zwischen Rohertrag und Kosten sich ändert. Fälle dieser Art liegen aber vor,
sobald im Vergleiche eum Aufwände die Preise der Bodenereeugnisse steigeny
oder bei gleichen Preisen der Produkte die Betriebsspesen sirh mindern.
Eine jede Erweiterung des Verhältnisses zwischen dem Werthe des Roh-
ertrages und des Aufwandes bedeutet eine Steigerung der Grundrente und, wenn
dieselbe eine nachhaltige ist, auch des Landpreises. Man kann daher jenen Grund-
satz auch dahin ausdehnen, daß die intensive Betriebsweise um so rathsamer und
noth wendiger wird, je höher die Güter werthe sind. In der That liegt unter
solchen Wandlungen das einzige Mittel, um den Einfluß der starken Belastung
der Bewirthschaftung mit hohen Grundzinsen zu paralysiren, in der planmäßigen
Häufung des Betriebsaufwandes behufs Vermehrung des Ertrages, weil sich mit
der Steigerung der Produktion auf der gleichen Fläche jene erhöhten An-
forderungen des Grundkapitals günstiger auf die Einheit der Erzeugnisse repartiren.
Es ist erfahrungsgemäß feststehend und leicht erklärbar, daß die Voraus-
setzungen der Intensität des Betriebes unter sonst gleichen Verhältnissen unv %^
Landwirthschaft — 300 — Landwirthschaft
näher liegen, je mehr eine günstige Natorbeschafienheit des Landes die gesteigerten
Einwirkungen der Kanstmittel der Menschen erleichtert und ergiebiger macht.
Darin beruht hauptsächlich das nicht seltene Vorkommen, daß die extensivsten
und intensivsten Wirthschaftsformen räumlich neben einander liegen. Während
z. B. unter sonst zutreffenden Bedingungen die Betriebsstellen in den Tieflands-
gegenden auf fruchtbarem Boden und in mildem Klima der intensiven Kultur
nicht entbehren können, müssen diejenigen in den höheren Lagen und auf ge-
ringem Boden beharrlich darauf verzichten, die Steigerung der Erträge von diesem
durch Konzentration der Produktionsmittel zu forciren, weil einer solchen Wirth-
schaftsweise zu gewaltige äußere Beschwerden (bedeutende Entfernungen des
Kulturlandes von den Hofstätten, ungunstige Lage des Terrains an sich, mangel-
hafte Beschaffenheit der Zugangs wege etc.) entgegenstehen, und weil, ganz ab-
gesehen hiervon, die Yegetationszeit in jenen Revieren zu kurz ist, um in solcher
einen stark vermehrten Aufwand auf den Boden angemessen verweHhen zu können.
Aber selbst in an und für sich gesegneten Distrikten muß in jener Hinsicht
scharf gesichtet, und es vermieden werden, alles Land unbekümmert um dessen
natürliclie Fruchtbarkeitsanläge intensiv zu bewirthschaften. Manches Grundstück,
welches allda jetzt Ackerland oder Wiese ist, würde vielleicht besser der Wald-
kultur überlassen, und manches, welches dem Hoch wüchse dient, manche nasse
Wiese, mancher schwere, kalte, träge Acker durch Drainage und Tiefkultur mit
Nutzen einer intensiveren Kultur unterworfen.
Unter Berufung auf diese Erwägungen lassen sich nunmehr für die Schweiz
hinsichtlich der vorliegenden Aufgabe zwei große Kulturdistrikte unterscheiden.
Ohne alle und jede Frage sind für die Flachlandswirihschaflen die Bedingungen
der ^eXv'iQh^- Intensität in vollem Maße gegeben. In einem Grebiete, dessen dichte
und gewerbreiche Bevölkerung noch einer bedeutenden Zufuhr an Lebensmitteln
und Ver Wandlungsstoffen aus dem Auslande bedarf, in welchem sich ein ungemein
reges Yerkebrsleben entwickelt hat, der Landwirth in der Nähe des Marktes
einen unverkennbaren Vorsprung genießt, der Grundbesitz in hohem Grade ver-
theilt ist, und die Güterpreise sich in den höchsten Stufen bewegen — in einem
solchen Gebiete ist im Allgemeinen die Intensität des landwirthschaftlichen Be-
triebes eine Grundbedingung für dessen Prosperität und daher ein zwingendes
Gebot der Nothwendigkeit. Allerdings nur im Allgemeinen, um damit hervor-
zuheben, daß allda dem Landwirth immer noch die Aufgabe des Lokalisirens
verbleibt, und je nach der natürlichen Ausstattung der Lage und des Bodens
und je nach der Entfernung der Grundstücke vom Wirthschaftshofe abgewogen
werden muß, wie weit der Aufwand im Einzelfalle ausgedehnt werden kann.
Wie prägnant hier die Verhältnisse vielfach liegen, beweist u. A. die Ausbreitung
der Gärtnerei, des Tabakbaues und namentlich der Kultur der Rebe, Erscheinungen,
welche als „geborene" Begleiter der Hochkultur betrachtet werden müssen, und
deren Betrieb auf extensiver Grundlage einen inneren Widerspruch bedeuten
würde. Gegen diese Auffassung der Dinge lasset sich auch nicht einwenden, daß
durch den in der Neuzeit beobachteten Rückgang der Produktenpreise die Vor-
aussetzungen für eine vermehrte Anlage auf den Betrieb dahingefallen seien, weil
jene Baisse in fast gleichem und zum Theil sogar stärkerem Verhältnisse auch
die meisten Bestandtheile des Aufwandes (Kunstdünger, Ejraftfutter, Maschinen
und Geräthe, HülfsstofFe verschiedener Art etc.) betrotten hat, und weil unter
allen Umständen die namentlich für den Schuldenbauern geradezu zwingende
Thatsache der Belastung mit hohen Ansprüchen des Grund kapitales verbleibt.
Innerhalb des Bereiches der Hügelland wir thschaften ist dann in Bezug auf
Landwirthschaft — 301 — • Landwirthschatt
die BetriebsinteDsität freilich wieder zwischen den Besitzesgrößen zn unterscheiden.
Der mittlere und der große Besitzstand werden nach Lage der Verhältnisse den
Schwerpunkt gesteigerter Verwendung nothgedrungen in der Verstärkung des
sachlichen Betriebskapitales zu suchen haben und demgemäß in der Heranziehung
der .menschlichen Arbeit möglichst sparsam zu Werke gehen müssen, die Klein
besitzer dagegen sich in dieser Beziehung weit mehr Spielraum gönnen dürfen
und Bedacht auf Einrichtungen nehmen, welche die Zahl der nutzbaren Arbeits-
tage vermehren helfen, allerdings immer mit Rücksicht darauf, daß, wenn auch
die Kapitalkraft in manchen Operationen bis zu einem gewissen Grade durch
die Arbeitskraft ersetzt werden kann, die Ergiebigkeit der Arbeit doch wiederum
wesentlich davon bedingt ist, daß dieser ausreichendes Umsatzmaterial dargeboten
wird. Je umfangi-eicher also das Gewerbe, desto mehr wird sich die Rücksicht
auf eine gewisse Vereinfachung desselben — z. B. auf stärkere Einschränkung
den Feldbaues, entsprechende Ausdehnung des Graslandes, starke Bevorzugung
der Obstknltur etc. etc. — geltend machen, zumal eine derartige Richtung gerade
für die Anwendung höherer Grade der Kapital-lntensiteit des Betriebes reichliche
und lohnende Gelegenheit darbietet. Die Kleinwirthschaft hingegen kann und wird
mit ungleich größerem Erfolge sich einer gewissen Mannigfaltigkeit der Kultur
befleißigen, zu diesem Zwecke weit mehr im Stande sein, dem offenen Banlande
eine größere Ausdehnung zu geben, den Futterbau im Felde, Milchwirthschaft
mit direktem Verkaufe der Milch vortheilhaft zu betreiben, auch dem Rebbau
mit Sorgfalt obzuliegen u. s. w.
Wirft man die Frage auf, in welcher Art und Weise das Bedürfniß zu
vermehrter Anlage von Betriebskapital sich vornehmlich geltend mache, so darf
als fundamentalster Satz aufgestellt werden, daß der Ausgangspunkt eines jeden
Aufschwunges zu höheren Stufen in der Vermehrung der Produktivkraft des
Bodens zu suchen ist. Grundbedingung für einen jeden Fortschritt auf der an-
gedeuteten Bahn ist also, daß mit der Steigerung der Bodenkraft angefangen
wird. Wo nur irgend die pnmären Fruchtbarkeitsbedingungen des Landes nicht
oder nicht genügend aufgeschlossen sind, da ist jede auf Abhülfe der betrefiPenden
Mängel zielende dauernde Verbesserung desselben — eigentliche Grundmelioration
— der erste und nothwendigste Schritt zur Herbeiführung eines Zustande«, in
welchem überhaupt Betriebskapital und Arbeit ersprießlich wirken können. In
allen Fällen der Bedürftigkeit müssen also Ent- und Bewässerungsanlagen, Kor-
rektion von Wasserläufen, Verbauungen, Terrassirungen, Tiefkultur, Boden-
mischungen etc., vorangehen. Eine indirekt die Kapitalverwerthungskraft des
Grundbesitzes bedingende und durchgreifend fördernde Kulturmaßregel bildet so-
dann die verbesserte Feldeintheilung und bezw. die Zusammenlegung der Güter-
stücke, verbunden mit der Anlage ausreichender und zweckmäßiger Zugangswege.
Gegenüber den vielfach noch vorkommenden, elenden Zuständen der argen Zer-
splitterung, der ungeschickt^jn Figur und der zerstreuten und verworrenen Lage
der Parzellen bedeutet eine solche Operation die Herstellung unbedingter Freiheit
in der Benutzung des Grundeigenthums, eine Verminderung der Arbeitskosten
für die Bebauung und Beerndtung desselben, und eine Vorbedingung fnr die
Durchführung umfassender Meliorationen. Ohne eine solche Verfassung aber ist
die Landwirthschaft zur Anwendung höherer Stufen der Betriebsintensität un-
fähig. Reichliche Futtererzeugung, Ergänzung derselben durch Zuschüsse von
Kraftfutter, gleichmäßig reichliche Ernährung der Thiere, sorgfältigstes Zurathe-
halten und rationellste Behandlung und Anwendung des Viehdüngers, Verstärkung
des Düngerkapitals und qualitative Vervollständigung desselben durch Be\kA.v\^
Landwirthschafl — 302 — Landwirthschaft
von konzentrirtem Hülf«- (sog. KuDät-) DUnger, diese und ähnliche Einrichtungen
inüsäen dann dazu dienen, die Ausgestaltung der Grundlagen eines gesteigerten
Umsatzes zu vollenden. Und erst, wenn diese Bedingungen sich erfnlien, erst
dann kann naturgemäß mit Erfolg der Aufgabe näher getreten werden, den Be-
trieb mit allen den HUlfsmitteln zu versehen, welche dazu dienen, die Leistungen
der Arbeit in quantitativer und qualitativer Beziehung zu steigern (verbesserte
Oeräthe und Maschinen) und eine bessere Verwerthung der Produkte, insonder-
heit des Futterbaues, zu erzielen (Haltung der leistungsfähigsten Viehstamme).
Unter allen Umständen steht aber die Ausdehnung der Anlagen auf das nn-
produktive Gebäudekapital in letzter Linie. Leider verzeichnet die Landwirthschaft
des Flachlnndgebietes nur zu zahlreiche Fälle, in welchen die Grundbesitzer ein
viel zu großes Kapital in Wirthschaftsgebäuden angelegt haben, unbekümmert
darum, wie stark sie mit demselben den Betrieb durch die vom Baukapital be-
anspruchten Zinsen, die jährlichen Reparaturkosten und die Neubaurent« (Amorti-
sation) belasten. Hierin und namentlich in der häutig ausgeprägten Neigung nicht
allein zur Erstellung unnöthig umfangreicher, sondern auch zu theurer Massiv-
bauten liegt einer der Hauptgründe der geringen Rentabilität mancher Landgüter.
Der vorliegenden Betrachtung über die intensive Betriebsweise entspricht
der Grundzug der Einrichtungen in den besseren Lagen des Landes. Aber auch
nur der Grundzug. Das Bestreben, jener Richtung zu folgen, tritt unverkennbar
überall zu Tage. Aber nicht alle, vielleicht nicht einmal die Mehrzahl der Land-
wirthe ist in der Lage, sie voll und ganz zum praktischen Ausdruck zu bringen.
Diese Lückenhaftigkeit und Schwei^fälligkeit beruht leider darin, daß eben ein
zu großer Theil der Gütergewerbe zu sehr mit Grundschulden belastet ist, und
der hohe Grad der Zinspflichtigkeit es ihm verunmöglicht, ein ausreichend starkes
Betriebskapital zur Verfügung zu halten. Aus diesem Grunde aber erscheint es
als eine zwingende Forderung der Zeitlage, daß Alles aufgeboten werde, um
Einrichtungen in*s Leben zu rufen, welche geeignet sind, den Betriehskredit des
Landwirthes zu erleichtern und zu verwohlfeilem. Ohne solche Institutionen wird
die Verallgemeinerung der Betriebsintensität noch lange Gegenstand frommer
Wünsche bleiben.
Im Gegensatz zu den Wirthschaften des begünstigten Hügellandes stehen
bezüglich der vorliegenden Frage die Betriebfest eilen in den verkehrsärmeren Lagen
auf geringerem Boden und namentlich im Gebirge, in den Alpen. Unter Berufung
auf die vorausgesandten allgemeinen Grundsätze kann man es unbedenklich aus-
sprechen, daß hier von einer intensiven Kultur- und Betriebsweise nicht die
Rede sein kann, das Erzwingen einer solchen nothgedrungen zu einer Vergeudung
von Kräften und Mitteln führen und den Rückgang in Erwerb und Verdienst
besiegeln würde. Hier wird es für die Landbewirthschaftung nach wie vor nur
eine Parole geben müssen. Sie lautet : Anklammerung an die Natur, um die
starren Triebe derselben mit verhältuißmäßig geringem üCopi^a/aufwande unter
verstjuuliger Benutzung der menschlichen Arbeit in die Bahnen erhöhter Pro-
duktivität zu leiten. Die Wirthschaften werden daher extensiv bleiben in der
Anlage, dagegen entwickelt werden müssen durch gewissenhafte Bekämpfung der
einschneidendsten Kulturhindernisse. Lohnen werden dort stetsfort Einrichtungen,
welche zur bi'sseren Ausnutzung des Wassers, zur Beseitigung zu großer Nässe
führen, ferner die regelmäßige Arbeit zur Pflege des Grasbestandes (Säubern,
Räumen, Ebnen des Weidebo<len8, sorgfältige Ansammlung und rationelle Ver-
wendung des ViehdUngers), die Erstellung und der sorgfältige Unterhalt von
zweckmäßigen Einfriedigungen, von Wasserversorgungen, die Neuanlage und
Landwirthschaft — 303 — Landwirthschafl
Yerbessernng der Alpenwege, die Verbauung der Wildbäche, die Vorkehrungen
gegen Erdschlipfe, alle Maßregeln zum Schutze und einer sonst ergiebigen Pflege
des Weideviehes (Stallbauten, Vorräthe an Dürrfutter) u. a. in. Abßr alle diese
niUglichen und nothwendigen Einrichtungen und Vorkehrungen bedingen eben
noch lange nicht eine intensive Betriebsweise.
3) Die Feldsysteme.
In dem Feldsystem findet die Gesammtheit aller planmäßig getroffenen Maß-
regeln zur landwirthschaftlichen Benutzung der Felder ihren praktischen Ausdruck.
Zur Klarstellung des Wesens des Feldsystems darf man aber den Begriff des
„Feldes** nicht auf denjenigen des Pfluglandes (Ackerfeldes oder Ackerlandes)
beschränken, muß man denselben vielmehr auf alle landwirthschaftlichen Eultur-
arten ausdehnen, weil die landwirthschaftliche Benutzung des Bodens sich in der
Regel nicht auf ausschließlichen Feldbau gründet und — weil da, wo mehrere
Kulturarten neben einander auftauchen, die Landbewirthschaftung ihren eigen-
artigen Charakter aus der Wechselwirkung derselben empfängt. Am Augenfälligsten
ist dies erkennbar in allen den zahlreichen Fällen, in welchen sich die land-
wirthschaftlich benutzte Fläche auf Ackerfeld und Wiesen vertheilt. Das Feld-
system bedeutet hiernach den Inbegrifl* aller Methoden der Benutzung des land
wirthschaftlichen Kulturbodens, und begreiflich hängt seine Gestaltung von dem
gesammten Wirthschaftssystem ab, von welchem es nur einen einzelnen, aller-
dings hervorragenden und grundlegenden Bestandtheil bildet. Im Wesentlichen
umfaßt dasselbe die Bestimmung der Kulturarten, die Eintheilung der Grundstücke
und, speziell in Rücksicht auf den Feldbau, die Anordnung der Fruchtfolge
(Turnus, Rotation).
Aus den seitherigen Erörterungen über die landwirthschaftlichen Betiiebs-
einrichtungen der Schweiz darf von vorneherein der Schluß gezogen werden, daß
auch in den Feldsystemen des Landes eine gewaltige Verschiedenheit zu Tage
trete. Die Beobachtung der Thatsachen bestätigt dies. Der Uebersicht willen
wird man aber wohlthun, die Erscheinungen im Großen festzustellen und darnach
nur mehrere Hauptgebiete, welchen typische Einrichtungen entsprechen, einander
gegenüber zu stellen.
Auf Grund der äußeren Bedingungen, wie sie in der Erhebung und Ge-
staltung des Terrains, der Beschaffenheit des Bodens und Klimans, in der Be-
völkerungsdichtigkeit, der Verkehrslage und der Vertheilung des Grundbesitzes
zu Tage treten, hat sich in den westlichen und nördlichen Grenzgebieten des
Mittellandes, überall im Bereiche der Dorfverfassung, bei ausgesprochenster Ge-
mengelage der Grundstücke, schon frühzeitig eine eigentliche Feld wir thschaft,
mit stark hervortretendem Ackerbau und bleibender Trennung der vornehmlich
auf die Thalsohlen und feuchtgründigen Hänge beschränkten Wiesen von dem
Ackerlande, ausgebildet. Der Ausgangspunkt dieses Systems liegt zweifellos in
der Dreifelderwirihschaftf in welcher man den Turnus mit reiner Brache er-
öfl'net«, um derselben Wintergetreide und diesem Sommergetreide folgen zu lassen.
Heute begegnet uns diese Anordnung aber nur sehr ausnahmsweise, vereinzelt
noch in einem Striche an der Nordwestgrenze gegen Elsaß und Frankreich hin.
Im Allgemeinen darf man wohl behaupten, daß die schwarze Brache — ein
unverkennbares Symptom extensiver Betriebsweise — in der schweizerischen
Landwirthschaft abgethan ist. Schon dadurch und durch die Bepflanzung der
Brachäcker mit Klee, Kartoffeln, Rüben, Industriepflanzen etc., sowie in Folge
der hiermit einhergehenden Aufhebung des allgemeinen Weideganges hat das
LandMrirthschaft — 304 — Landwirtbschatt
alte System seine Physiognomie durchgreifend und namentlich in dem Sinne ge-
ändert, daß es eine reichlichere Futtererzeugung und die Haltung eines stärkeren
Viehstandes ermöglichte. Doch nicht genug damit. Ueherall, wo man durch Neu-
anläge und bessere Unterhaltung der Flurwege die Zugänglichkeit der einzelnen
Grundstücke, und dadurch die Freiheit in der Benutzung derselben herzustellen
suchte, machte sich mit den gesteigerten Anforderungen des Yerkehrslebens an
die Bodenbewirthschaftung und mit dem verhältnißmäßigen Rückgang der Körner-
preise auch das Bestreben geltend, mit der überlieferten Dreifelderwirthschaft
mehr oder weniger zu brechen und in der Einrichtung der Fruchtfolge das Prinzip
des Wechsels zum Ausdruck zu bringen. Soweit dies geschah, wurde aber die
unmittelbare Aufeinanderfolge je zweier Getreidesaaten preisgegeben, der auf
Weizen, namentlich aber Dinkel oder Spelz (Eorn), Roggen, Grerste und Hafer
beschränkte Kömerbau reduzirt, und die Gelegenheit eröffnet, dem Fntterbau im
Felde eine noch größere Fläche einzuräumen. Die Mittel dazu fanden sich in der
Aufnahme auch mehrjähriger Futterkräuter, wie Esparsette nnd Luzerne, in den
Feldbau, und insbesondere in der Einführung von Zwischenkulturen, vorherrschend
von Stoppelgewächsen, unter welchen wiederum die Weißrüben (Raben) sehr
bevorzugt wurden. Neuerdings kam die Kultur des Kleegrases (Kunstfutter) dazn,
und mannigfach zeigt sich das Verlangen, die Futtererzeugung, ganz besonders
auch in Rücksicht auf die Sommerstallfütterung des Viehes, je nach lokalen Um-
ständen durch die Aufnahme der Sommer- und Winterwicken, des Fatterroggens^
des Mais etc. zu steigern. Hand in Hand mit dieser Entwicklung ging und geht
dann auch die sorgfältigere Düngung und Pflege der Dauer wiesen. Derartige
Maßregeln gewannen begreiflich die hervortretendste Bedeutung in den Land-
strichen, in welchen auch der Rebbau stark verbreitet ist, weil dieser weitgebende
Ansprüche an das Düngerkapital der Wirthschaften stellt, aber denselben nur
wenig Material zur Düngererzeugung zurückgiebt. Die in diese Gruppe gehörenden,
immerhin durch eine gewisse Familienähnlichkeit ausgezeichneten Systeme, deren
äußersten Glieder einerseits in der alten Dreifelderregel, andererseits in dem reinen
Fruchtwechsel zu ßnden sind, reichen im Allgemeinen bis an den Fuß der Vor-
berge oder an jene Lagen, in welchen die planmäßige Pflugbearbeitung des Landes
auf grcißere Beschwerden stößt, aber die spezitische Qualifikation des Landes für
den Gras wuchs desto greifbarer hervortritt.
Einen merkwürdigen Gegensatz zu jenen Einrichtungen bildet die Art der
Landeintheilung und -Bewirthschaftung in den gesegneteren Landstrichen am
Südalpenabhang, insbesondere in dem Gebiete der unteren Weinzone Tessins. *)
Charakteristisch für dieselbe ibt die allgemeine Eintheilung des Ackerlandes in:
1) Campi scoperti oder offene, gar nicht beschattete Felder, und 2) Campi vignati,
oder Felder, welche mit Reihen von Feldahorn, Pappeln, Ulmen und Maulbeer-
bäumen bepflanzt sind, an denen (als lebender Stütze) der Weinstock gezogen
wird. — In der Feldkultur sind allda alle bei uns einheimischen G^treidearten,
am Wenigsten freilich der Hafer, vertreten. Während der Roggen in allen höher
gelegenen Landestheilen das Hauptgetreide bildet, wird in den tieferen Lagen
ganz vorzugsweise der Mais in starker Ausdehnung, vielfach auch auf den „Campi
vignati", gebaut, und dessen Erndte für doppelt so ergiebig gehalten, als die
der übrigen Mehlfrüchte. Von anderweiten Gewächsen kommen als Hauptgegen-
stände der Feldkultur noch in rauheren Strichen die Kartoffeln, außerdem der
^) Die nachfolgende, hierauf bezügliche Skizze gründet sich auf gütige direkte
Mittheilungen von Prof. Dr. Schröter in Zürich.
Landwirthscbalt — 305 — Landwirthschafl
Hanf, vereinzelt auch der Raps und dann der Rothklee, die Luzerne, das ita-
lienische Raygras, die Zuckerhirse, der Pferdezahnmais, und hier und da auch
das Kleegras in Betracht. Von einer hesonderen Bedeutung sind aher die häufig
vorkommenden eigentlichen Zwischenkalturen, welche gewöhnlich als zweite Fracht
nach Gretreide eingeschohen werden und dem Feldsystem einen eigenartigen
Charakter gehen. Hierhin gehören verschiedene,^ als sog. „Schmalsaat'' (grani
minuti) gehaute Körnerfrüchte, z. B. Kolben- und Rispenhirse, Zuckerhirse,
Buchweizen, außerdem Rüben, und in der Thalebene hin und wieder sogar noch
Kartoffeln. Aber auch merkwürdige Fälle von Doppelkulturen werden dort an-
getroffen. So finden sich beispielsweise neben einander auf dem gleichen Felde,
angebaut: 1) Die Rebe, an in Reihen gepfianzten Feldahorn en oder an einer
auf Gneissäulen ruhenden Laube gezogen; 2) Getreide (Weizen, Roggen und
Gerste), in Reihen gesäet, und zwischen diesen Reihen 3) Cinquantino-Mais. Der
Roggen ist Winterroggen und wird im November bestellt. Hat derselbe im
Frühling die Höhe von 20 cm erreicht, so säet man jenen kleinkörnigen, früh-
reifen Mais dazwischen. Der Frndte des Roggens, welcher im Juni geschnitten
wird, folgt im September und Oktober diejenige des Mais. Eine sehr wichtige
Kultur ist diejenige des Maulbeerbaumes (Monis alba), weil sie die Grundlage
für die Seidenproduktion bildet, aus deren Betrieb schon in den vierziger Jahren
eine Ausbeute von nahezu 24,000 kg Seide hervorging. Dieselbe wird schon
oberhalb Biasca angetroffen und gewöhnlich in Reihen pflanzung ausgeführt. Der
Olivenbaum gedeiht zwar in den niederen Theilen des Kantons vortrefflich, scheint
aber nirgends mehr in erheblicher Ausdehnung als Kulturbaum gepflegt zu werden.
Die eigentlichen Fruchtbäume mögen hier unerwähnt bleiben, da sie entweder,
wie die Kastanie, einen Gegenstand der Waldkultur bilden, oder, wie die
Wallnuß-, Feigen-, Mandel-, die Kern- und Steinobstbäume, in den Bereich des
Obstbaues fallen. Nur sei hier noch bezüglich der Kastanie bemerkt, daß sie,
seit die Maiskultur sehr zugenommen hat, vielfach als Niederwald gezogen wird,
um Rebstecken zu gewinnen. — Berücksichtigt man, daß eine in größerem Maß-
stabe betriebene systematische Kultur der Feldfutterpflanzen dort nicht eingebürgert
ist, so köimte Angesichts der bedeutenden Ansprüche der Feldkultur auf ein
starkes Bedürfniß der Landwirthschaft an natürlichen Wiesen geschlossen werden.
Die thatsächlichen Verhältnisse entsprechen dieser Auffassung indessen nicht. Er-
hebliche Zubußen erhält die Feldwirthschaft nur aus den sog. fetten Wiesen
(prati grassi), deren Besitzer sich im unbeschränkten Genüsse aller Nutzungs-
rechte an solchen befinden und gewöhnlich zwei Schnitte und eine Weidenutzung
im Herbste erzielen. Die sogenannten Berggüter, Bergwiesen (monti) unterliegen
dagegen dem den Gemeinden zustehenden Rechte des allgemeinen Weideganges,
welcher bis zu einem bestimmten Tage des Frühjahres und von einem bestimmten
Tage im Herbste an geübt wird, so daß der Besitzer eine Beeinträchtigung des
Ertrages an Heu und Emd erleidet, und die sog. Magerwiesen (maggenghi) sind
von der Weidedienstbarkeit so stark betroffen, daß der Besitzer nur auf einen
Schnitt rechnen darf. Unter solchen Zuständen ist eben die Prosperität des Feld-
baues nar möglich und erklärlich durch das glückliche Zusammentreffen aller
Bedingungen des Gedeihens der Gewächse, insonderheit des überaus milden Klimans
und des von Natur reichen Bodens.
Wenn auch nicht im Prinzipe, so doch in der äußeren Erscheinung mehr
oder weniger mit den Einrichtungen im Tessin verwandten Vorkommnissen be-
gegnet man in der landwirthschaftlichen Bodenbenutzung des mittleren und unteren
Wallis, im Rhonethal und an den sanfter ansteigenden und besonders nach. SASääxv
Fttrrer, VolktwirthachafU-Lexikou der Schweic. ^<;^
l^;i«iw.rtliM:ri:i:* — 30» > — Lamiwirthschaft
abfallen« i^n ^i: liehen ELioi^n «iesselben. L>ad ELlima jener Land>K!haft, vornehmlich
im eixertlwht^n mirr leren Vl'allis — vöü Lenk bis Martigny — ist abgezeichnet
dur h eine ^eh/ h iht? nüd gleiehmädige :?ommeTtempeRitnr. nnr geringe Nlederdchlige
und starke rns«>latii>n. Nicht allein Eadtaniea- nnd Xniibäume and anaer 'edelstes
Kern- und Steine hnt. «^Dndem auch die Rebe, nnd selbst Feigen nnd Mandeln
rinden dort vollanf die Bedingnngen trendigen nnd sicheren Gedeihens. In der
Felskultnr wird, ähnlich den Einrichtungen im Tefti»in, neben den gewöhnlichen
6ewäoh<^n dem Mai> eine starke Vertretnng eingeräumt, während die Thalgrdnde
vieillaoh von einer siorgsiamen E^ege der Wiesenknltnr Zengniß geben. Es sind
demgemäß hohe Ant'ordemngen, welche an die Benntznng, insbesondere anch des
Ackerlandes gei^^tellt werden, in äo fem der nnnnterbrochene Anb«n desselben mit
anspmchdV'jUeren Gewichen einen um s«j gri'^tjeren Einsati an Material nnd
Arbeit voran^uietzt. j^ weniger da» schonende Prinzip de^* Fruchtwechsels zom
praktischen Ausdruck kommt. Zn den bedeutsamsten Erschein angen in der Land-
bewirth^haftung jenes Gebietes geh?>ren aber ohne Frage die außerordentlichen
Vorkebmngen. welrhe dort zar Bekämpfung der verderb liehen Einflüsse der lang-
andauernden Tro<?kenheit währenii des Sc>mmer!* getroffen wurden. Es idnd die
wahrhaft grußarrigen. mit den gewaltigsten Opfern «elbst den steilsten Abgründen
entlang erstellten Kanalanlagen V\'as6erfuhren\ mittelst welcher das dem be-
nachbarten Hochgebirge entstammende Walser auf die dem Sonnenbrand aus-
gesetzten Berghalden geleitet nnd nicht bloß den Wiesen und Obotgirten. sondern
anch d^n Kebbergen nnd unter Umstanden selbst dem Ackerlande zugeführt wird.^)
In dr-r That bildrt die^ WaM^ernntzung geradezu die Bedingung der Existenz
<ier Gnin ibe>itzr-r in den betreffenden Lagen, unl nur ihr ist es insbesondere
zn vrr.lar.ken. daß dort der RebViau in der gegenwärtigen Ausdehnung und mit
gluck li ehr m Flrföl^e betrieben werdrr. kann. Für den Umfang, in welchem die
B^"jr-i**r-rijri:''kanäle erstellt wurden, und die Opfer, welche sie erforderten, be-
weist 'lie That«vi«jhr. daU die g^>ammte Länge der Leitnngen ca. 1545 km be-
tragt, -.ni da Li die Ko?>ten der Anlage den^lben nach mäßiger Schätzung sich
auf i.rtiir-z ; 7 3IiHi'jnen Franken beliefcn. Wie diese staunenswerthen Unter-
nehmungen ^iii rrihmlioh*r.s Zengniß ablegen von der Einsicht, dem Fleiße und
•ier Thatkraft «Icr d'*rtigen Bewohner, so verdienen übrigens auch die An-
-trengung^Mi anerkannt zn werden, welche im Kanton Wallis zur Korrektion der
Hh'ine, zur Trockenlegung versumpften Thalgebietes, zur Verbauung der Wild-
bü'di»- eto. aufgeboten wurden.
Mit der Annäherung an die eigentlichen Gebirgslandschaften beobachtet mau
naturgemäß fort^rhreitend eine »tarkere Einlenkung in die Bahnen der bevor-
zugt »-n Futterzeugung durch den Gra^^ban auf Kosten der eigentlichen Acker-
wirtb>^hatt. We^entli■ b bedingt un«i erleichtert wird dieselbe in jenen Landstrichen
iiu'-h durch die Art der Landauftheilung. welche den Zusammenhang der Güter-
htück»- in griiß-rvn Flächen zu erhalten strebt. Die Wicsenknltur gewinnt immer
iiif-br Terrain. Sirh nicht mehr in der Hauptsache auf das geborene bewässerbare
o'ier unbewHsserhare Gra>land der F'lußniederungen und die für eine anderweite
Iiindwirths4^haftliche Kultur Uberhau|*t ungeeigneten oder nnzogänglichen, stark
^reiiHigtrn oder feiichten ultrr minder beleuchteten Gehänge beschränkend, umfaßt
-i«' immer au*.g»'dehntere Fliiehen au den Berglehnen — von sog. MaUland, al>
M Lehnei«lie F:{esch reib untren dieser Aulajren lieferten: L. Blotnitxki: Ueber die
Hewä^-frun^'-kaniUe der Walli>er Alpen, Bern 1>71 : Fr. Boediger: Bericht über die
-\i|.lM'\vri?-enin;.' iru Walli?: .Aarau, l. Thoil 1>7*.*. 11. Theil ISNJ: R, Schutzmann: IHe
<fl»'t-«hoMnil«'Ji J.T Massa. Schweizer, landw. Zeit<i'hri!t 1SS(>.
Ijandwirthschafi — 307 — Landwirihschafl
welches man alle dem Graewuchs tiberlieferten, höher gelegenen, unbewäseerten
Wiesen bezeichnen kann. In Folge dessen nimmt auch das Feldsystem einen
anderen und eigenartigen Charakter an. Die Grenze zwischen den oben erwähnten
Feldwirthschaften und den nunmehr auftauchenden Einrichtungen ist zwar schwer
zu ziehen, weil überall vermittelnde Uebergänge angetroffen werden, und das
Verhältniß, in welchem der Thalboden an dem gesammten Areal der Landgüter
Antheil hat, von Fall zu Fall verschieden ist. £s dttrite aber im Allgemeinen
wohl der Wirklichkeit entsprechen, wenn man davon ausgeht, daß die eigentliche
Ackerwirthschaft da aufhört, wo das Wiesland in Folge der Ausdehnung desselben
über die Thalniederungen hinaus sich mindestens über die Hälfte des ganzen land-
wirthschaftlich benutzten Areales erstreckt. Nennen wir das hieraus resultirende
System : die kombinirte Acker- und Wiesenwirihschaft. In der Mehrzahl der
Fälle wird dann bei dieser Betriebsweise auch der Obstkultur insbesondere auf
dem Mattlande eine starke Ausdehnung gegeben. Indessen entbehren die Methoden
der Landbewirthschaftung innerhalb dieses Gebietes bei sonst gleichem Grund-
charakter derselben doch im Einzelnen wiederum sehr der Uebereinstimmung.
Der besseren Uebersicht willen mögen die nächsten Voraussetzungen in ewet
Ivichtnngen unterschieden werden :
1) Das Land ist sonnig und frei gelegen, der Boden trocken, höchstens
mäßig schwer, tiefgründig, nicht steinig, gleichmäßiger und sanft geneigt, die
Entfernung der Grundstücke von den Hofstätten nicht bedeutend. Unter solchen
Verhältnissen pflegt die Dauerwiese, sei es Thal- oder Berg wiese (Matte, Dreesch)
noch bleibend vom Feldbau geschieden zu werden. Die eigentlichen Wiesen sind
und bleiben, was sie waren. Das immerhin stark zurücktretende Ackerfeld wird
zwar selbstständig für sich bewirthschaftet, ohne indessen allen Viehdiinger für
sich in Anspruch zu nehmen. Ein Theil des letzteren muß noch der Matte zu-
fließen. Auf dem Ackerlande kommen verschiedene Eintheilungen und Fruchtfolgen
vor, und werden allda je nach lokalen Bedingungen angetrofiPen:
a. Kömerwirthschaften mit angebauter Brache (Hackfrucht bau), oder
b. Fruchtwechsel mit Einschaltung von Buben- und Knollengewächsen und
Feldfutterkräutem, oder
c. Eigentliche Feldgras- oder Egartenwirthschaften , d. h. Feldsysteme, in
welchen das fUr nur eine Beihe von mehreren Jahren andauernde Gras-
land mit Ackerfeld (Halm- und Hackfruchtbau) wechselt. Demgemäß wird
das Grasland, sobald seine Erträge quantitativ oder qualitativ oder in beiden
Beziehungen zurllckgehen, umgebrochen, mehrere Jahre als Ackerland be-
nutzt, und dann wieder zu Gras niedergelegt. Die Wieder her asung über-
läßt mau entweder der Natur, oder man stellt sie mittelst künstlicher An-
saat von Kleearten und Gräsern (Kunstfutterbau) her. Letztere Methode
ist die Vereinigung von Acker- und Grasbau in der intensivsten Form.
2) In noch höheren Lagen ändern die Betriebsbedingungen wesentlich ab.
Die Niederschläge sind reichlicher, die Grundstücke liegen weniger trocken, der
Boden ist schwerer, die Neigung des Terrains ist unregelmäßig, zeigt häufige
Wechsel, es fällt im Allgemeinen stärker ab.
Diesem Vorkommen entspricht das Verfahren, die Bewirthsohaftung der uu-
bewässerbaren Wiesen, der Bergmatten, mit derjenigen des Ackerfeldes in der
Weise zu verbinden, daß das Mattland von Zeit zu Zeit umgebrochen und als
Ackerland benutzt wird, letzteres also wandert. Das räumlich weit mehr über-
wiegende Wiesland wird also nicht durchweg und bleibend vom Feldbau getrennt.
Dieser und bezw. der Körnerbau sind nicht mehr systematisch, sondern nur ge-
Landwirthschafl — 308 — Landwirthschafl
wissermaßen als Nebennutziing und als Vermittler einer höheren Kultur mit Vor-
theil zu betreiben. Die Hauptbenutzung des Bodens ist und bleibt die als Natur-
wiese. Der Einrichtung liegt das Prinzip zu Grunde, durcb periodisch wieder-
kebrenden Aufbruch des Mattlandes — durcb eine von Zeit zu Zeit erfolgende
Durchdüngung in tieferen Schichten, Durchlüftung und Reinigung des Bodens,
diesen zu höheren Graserträgen zu befähigen und die Erndten durch regulären
Betrieb des sog. Kunstfutterbaues — Anbau edler und wUchsiger Gräser und
Kräuter — quantitativ und qualitativ zu steigern. Es bleibt dabei natürlich
nicht ausgeschlossen, daß neben den dem Wechsel unterworfenen Matten immer
noch ewige oder Dauerwiesen und beständige Weiden vorkommen. Innerhalb jener
Maßregel lassen sich aber wieder zwei gut charakterisirte Formen unterscheiden :
a. Sofern die Beschaffenheit des Bodens der Benutzung desselben als Acker-
land keine Hindernisse bereitet, wird der ganze Wiesenkomplex, oder doch
eine größere, für die Umwandlung geeignetere Fläche desselben successive,
in jährlichen Theilstücken, umgebrochen und einige Jahre als Ackerfeld
bewirthschaftet, indessen ein ebenmäßig großes Stück Ackerfeld zu Wiese
niedergelegt wird. Alle Neu* Anlagen zu Wiese sind auf lange Dauer be-
rechnet, indem man dadurch die immerhin nicht unerheblichen Kosten
derselben auf viele Jahre zu vertheilen sucht. Dieses Verfahren bedingt
einen langsameren Umsatz des für den Wechsel der Kultarart aufgewendeten
Kapitals und somit eine relative Ersparniß an solchem. Hierher gehören
auch die in einzelnen Gegenden, so ramentlich in den Emmenthaler Bergen,
häufig vorkommenden sog. „Reutenen**, d. h. Weideflächen, welche einige
Jahre als offenes Bauland bewirthschaftet und dann wieder zur Weide
niedergelegt werden. Dort pfiegt man die „ Reutiplätze ** mit Tannenästen,
gereuteten kleinen Tannen, Erlen etc. zu überdecken und das Holz, wenn
es dUrr geworden, durch Brennen in Asche zu verwandeln, welche dann
mit oder ohne Viehmist als Dünger für die erste Fracht des hergerichteten
Ackerfeldes dient. Der Zwischenbau dauert 2 bis 3 Jahre, während welcher
das Feld zum Schutze gegen das Weidevieh eingezäunt wird.
b, Ist das Land feucht und nicht sehr sonnig gelegen, stellt dasselbe in Folge
seiner Bindigkeit oder seiner ungünstigen Neigungsverhältnisse der regel-
mäßigen Bearbeitung durch den Pflug empfindliche Beschwerden entgegen,
liegen die Grundstücke weiter ab von den Hofstätten, dann zeigt sich auch
das Wiesland nur an wenigen Stellen geeignet dazu, gelegentlich als Acker-
; feld benutzt zu werden. Man bestimmt dann hier und da einzelne, für die
Bearbeitung durch den Pflug besonders passende Mattlandparzellen hierzu.
Ein planmäßiger Wechsel zwischen beiden Kulturarten findet nicht mehr statt ;
es ist also auch von einem dadurch bedingten, besonderen Systeme nicht
mehr die Rede.
In den beiden letztgenannten und ähnlichen Fällen dient das Verfahren
wefientlich auch als Maßregel der Pflef/e der Dauerwiesen.
Die Grenzen der Verbreitung der hier vorgeführten Einrichtungen sind aller-
dings schwer zu ziehen. Man kann nur sagen, daß die Tendenz vorhanden ist,
sie mit dem Aufrücken in die höheren Landschaften, in die gebirgigen, klimatisch
minder vortheilhaft ausgestatteten (jebiete und mit der Entfernung von den
größeren Verkehrsplätzen nach der angedeuteten Reihenfolge zum praktischen
Ausdruck zu bringen. Von scharf markirten Zonen kann also keine Rede sein.
Dabei bleibt auch immer zn berücksichtigen, daß zahlreiche Betriebsstellen in-
mitten der gleichen Grundformen ihre Anordnungen nicht schablonenmäßig zu
Landwirthschaft — 30 i) — Landwirthschaft
treffen, vielmehr je nach Zeit und Umständen Modifikationen an solchen in ver-
schiedenen Bichtungen vorzunehmen pflegen. Hiernach kann es auch gar nicht
wundern, wenn beispielsweise am linken Ufer des Zürichsee's, in Lagen von nur
400 — 500 m über Meer, dort wo die Graswüchsigkeit des Bodens eine geradezu
hervorragende ist, und alle Bedingungen ftir die Prosperität der Obstkultur sich
glücklich vereinigt finden, zum nicht geringe Theile auch unter dem Einflüsse
des bedeutenden Eonsumplatzes Zürich, sich eine typische und musterhafte Gras-
wirthschaft entwickeln konnte, innerhalb welcher für einen eigentlichen Feldbau
nur noch wenig, oder überhaupt kaum mehr Baum verblieben ist — und wenn
andererseits in manchen hochgelegenen und von dem Verkehr mehr abgeschlossenen
Distrikten, wo zugleich die Lage und Beschaffenheit des Terrains die nachhaltige
Bearbeitung desselben nicht ungebührlich erschwert, z. B. in manchen Hochthälem,
noch Anklänge und Eonzessionen an das Prinzip der Selbstversorgung mit den
zum Leben nothwendigsten Erzeugnissen des Bodens in einer mit der Graswirth-
schaft verbundenen, freilich immer nur mit großen Opfern durchzuführenden,
planmäßigen Feld- (Kartoffel- und Getreide-) Kultur angetroffen werden. Be-
greiflich ijodann, daß dort der Betrieb des relativ beschrankten Feldbaues weit
überwiegend dem Grundsatze des Fruchtwechsels (System 1 b) huldigt, hier da-
gegen der unverhältnißmäßig bevorzugte Ackerbau vielfach noch an der Körner-
wirthschaft (System 1 a), hier und da — besonders auf schwerem, kalten Boden —
sogar noch mit reiner Brache und unmittelbarer Aufeinanderfolge mehrerer Ge-
treidesaaten, festhält. Beispiele letzterer Art liefert u. a. der Kanton Wallis.
Ungleich einfacher und durchsichtiger gestalten sich die Verhältnisse freilich
im eigentlichen Alpengebiete, allwo die Graswirthschaft mit ihren ansgedehnten
Weide-Revieren so zu sagen die Alleinherrschaft besitzt. Dem Bilde, welches
hierüber bereits in der Abhandlung y^Alpwirthschaft^ entworfen wurde, mag
darum hier nur noch die Andeutung nachgetragen werden, daß im Gebirge mehr-
fach Ausläufer jener Einrichtungen, gewissermaßen die äußersten Spitzen derselben
angetroffen werden, freilicli meist nur in dem Sinne, daß der Landwirth einzelne
bevorzugte, sonnige und trockene Bergvorsprünge und Berglehnen, oder von seinen
Wohnstätten geschützte Stellen benutzt, um allda ein Stück offenen Landes her-
zustellen, auf welchem er mit verhältnißmäßig geringem Einsatz an Zeit und
Kraft — auf dem Wege der Neben- und Füllarbeit — wenigstens einen Theil
.seines Bedarfes an Brodkorn, Kartoffeln, Gemüsen, Streue für den Vieüstand, zu
decken sucht. Maßregeln dieser Art, welche gewissermaßen die äußersten An-
strengungen bedeuten, mit welchen der Mensch noch kämpft um die Herrschaft
über die Triebe der Natur, erfordern fast ausschließlich die Anwendung der
Handarbeit für die Zurichtung des Landes, die Pflege und Erndte der Gewächse
und selbst den Transport der Produkte durch Menschenkraft. Mit ihnen schließt
überhaupt jede systematische landwirthschaftliche Kultur des Bodens vollends ab.
üeber die Kultur der Wiesen und den Anbau der einzelnen Feldpflanzen
findet der Leser ausführliche Mittheilungen in den betreffenden Spezialabhandlungen.
4) Die Viehhaltung.
Vergegenwärtigt man sich alle die Einrichtungen, welche die schweizerische
Landwirthschaft für die Benutzung des ihr dienenden Kulturbodens getroffen hat,
Hü springt vor Allem die Thatsache in die Augen, daß dieselbe im großen Ganzen
— im Gebirge mehr wie im Flachlande, in dem einen Distrikte des Flachlandes
mehr, wie im andern — den Schwerpunkt ihrer Produktiousziele in die Futter-
erzeugung legt. Der Natur der Sache nach können die Fälle, in welchen de.«.
Landwirthschatl — 310 — Landwirthschalt
gewonnene Futter planmäßig im Marktverkehr umgesetzt wird, nur Ansnahmen
bilden. Da nun aber der Export an Futter, fast nur auf Preßheu beschränkt^
sich seither in sehr bescheidenen Grenzen bewegte, und der interne Handel in
Futter immer nur eine Dislokation der Vorräthe bedeutet, so ist erkennbar, daß
die Verwerthung des Futters fast ausschließlich auf der Verarbeitung desselben
durch den inländischen Betrieb der Viehhaltung beruht. Diese stellt somit
ein auf breitester Grundlage nngelegtc^s und allgemein verbreitetes landwirth-
schaftlich- technisches Gewerbe dar, welches die Bestimmung trägt, die Bestand-
theile der konsumirten Rohstoffe in vom Verkehr jederzeit willig aufgenommene
Erzeugnisse — Nahrungs- und Bekleidungsstoffe, Zuchtvieh — und bezw. in Arbeits-
leistung umzuformen und durch die KUokgewähr der hierbei sich ergebenden
Abfallstoffe — der Exkremente der Thiere — an den Boden einen wesentlichen
Beitrag zur Wiederherstellung der durch die Entnahme der Erndten alterirteii
Fruchtbarkeitsbedingungen desselben zu liefern. Nur in einem Theile des Landes,
in welchem eben die Viehhaltung in den Erträgen aus ihren Produkten eino
angemessene Rente von dein ausschießlichen Futterbau nicht gewährt, ist die
Bedeutung dieser beiden Produktionszweige mehr oder weniger in der Wechsel-
wirkung begründet, welche dieselben mit dem Feldbau in so fern verbindet, als
die Viehhaltung im Stande ist und dazu dienen muß, einen Theil der Erzeng-
nisse des Feldbaues, insonderheit gewisse Abfälle desselben, angemessen auszu-
nutzen und zu verwerthen, andererseits aber der Feldbau der Wiedererstattung
des größten Betrages der Bestandtheile der von ihm gelieferten Erndten in dem
ViehdUnger bedarf. Unter solchen Voraussetzungen sind Futterbau und Vieh-
haltung eben nur Mittel zum Zwecke. Anders in den geborenen Futterbau-
Distrikten, im Bereich der zahlreichen Wiesen- und Weidewirthschaften, in welchen
aller Erfolg in dem Ergebnisse des Fntterbaues und der Viehhaltung gipfelt^
diese einen selbstständigen Betriebszweig bilden, Zweck selbst sind und die Rente
vom Boden — nicht vermitteln, sondern bedingen. Wie man aber auch dieses
Verhältniß im Einzelnen auffassen mag, immer föUt doch die an früherer Stelle
bereits nachgewiesene Thatsache in's Gewicht, daß das Land einen sehr zahl-
reichen Viehstand besitzt, und daß dieser den weitaus größten Theil der Betriebs-
kräfte der Landwirthschaft in Anspruch nimmt. ^) Aus dieser Betrachtung resul-
tirt die eminente Bedeutung der Viehhaltung für die schweizerische Landwirth
schaft, und aller Einrichtungen, welche im Stande sind, mittelst derselben die
höchhte Verwerthung des erzeugten Futters zu erzielen.
Geht man davon aus, daß der Werth des von einer Futtereinheit bei der
Umwandlung derselben durch die Thiere erscheinenden Abfallproduktes, des
Düngers, und auch die indirekten Kosten für die Viehhaltung, (Wärterlohn»
Stallung, Geräthe, Kapitalzinsen etc.), bezogen auf den gleichen Futter verbrauch,
bei verschiedenen Gattungen und Nutzungsrichtungen der Thiere nicht erheblich
ditferiren, so wird die Beantwortung der Frage, durch welche Einrichtung der
Viehhaltung die höchste Verwerthung des Futters zu erzielen sei, sich wesentlich
auf eine Krmittlung darüber stützen müssen, welchen Aufwand an Futter es zur
Erzeugung einer Kinheit der verschiedenen thierischen Produkte bedarf, und wie
der Handel eine solche Einheit bezahlt.
^) Von einem Vorgleiche der Viehstarid.'?ilichtigkeit «ler Schweiz mit derjenigen
anderer Länder wird hier L'iiijrang genommen, weil derselbe in Rücksicht auf die ge-
ringe Ergiebigkeit <ler Weiden in unserem Hochgebirge nicht genügend zutreffende
Anhaltspunkte gewährt.
idwirthschaft — 311 — Landwirthschaft
So weit diese Aufgabe die Wahl der Viehgattungen betrifft, hat die
(veizerische Landwirthschaft über nie bereits entschieden. Sie stellt die Haltung
Rindviehes unbedingt und weit voran, überläßt den Schafen und Ziegen die
1 Rindvieh nicht mehr auszunutzenden Weiden im Hochgebirge, begünstigt
letzteren außerdem noch überall im Kleinbesize; sie befleißigt sich zwischen
iurch eines ausgedehnten und sorgfältigen Betriebes der Schweinehaltung, ver-
idet das Pferd zur Arbeit, wo sie seiner für diesen Zweck nicht entbehren
n, und beschränkt dessen Züchtung nur anf verhältnißmäßig wenige, hierfür
anders geeignete Betriebstellen im größeren Besitzstande, namentlich des Flach-
les. Alle diese Einrichtungen entsprechen der Verfassung der Landwirth-
ift sowohl rücksichtlich der von der äußeren Natur gegebenen Bedingungen
Betriebes, wie auch der Art der Vertheilung des Grundbesitzes nnd der Lage
jelben zum Marktverkehr.
Innerhalb jener Thiergattungen bleibt aber noch ein gewisser Spielraum
die Bestimmung der speziellen Nutzungsrichtung. Wie es in dieser
isicht bestellt ist, lehrt am Besten die Statistik des Viehstandes. wenn man
in Ergebnisse zu gliedern und den inneren Zusammenhang der Einzelverhält-
e zugleich unter Berücksichtigung auch des Einfuhr- und Ausfuhr-Handels
iizu weisen sucht. Für eine Erörterung dieser Art findet sich aber die ge-
letste Grundlage in den Resultaten der Viehzählung vom 21. April 188G.
A. Die Rindviehhaltung. Es wurden gezählt Stück:
1) Kälber bis V« Jahr:
a. Zur Aufzucht 150,276
b. Zum Schlachten 32,823
— 183,099
2) Jun^,'vieh von V» bis 1 Jahr 102,641
3) Stiere von 1 bis 2 Jahren 13,820
4) Rinder über 1 Jahr 186,983
5) Ochsen von l bis 3 Jahren 41,192
6) Kühe 663,102
7) Stiere über 2 Jahre 4.571
s) Ochsen über 3 Jahre _ 17,130
Total : Rindvieh : 1 '2 1 2,538
Diese Zahlenreihe gestattet folgende Berechnung :
Von den 663,102 Kühen darf im Durchschnitt ein Milchertrag von kaum
ir als 6 Liter p. Tag ^^ 2190 Liter p. Jahr, im Ganzen also auf 14^521,934 hl
jiiommen werden. Setzt man in Rücksicht auf die Notirungen im Detail-
cehr und insbesondere im städtischen Milchmarkt den Literpreis etwas höher,
er zur Zeit im Sennhüttenverkehr gezahlt wird, also auf rund 12 Cts. an,
)erechnet sich ein Brutto- Milchertrag p. Kuh von Fr. 262. HO, und für den
immten Bestand von Fr. 174'263,205.
Die Erfahrung im Großen hat ergeben, daß man im Durchschnitt
rlich auf 4 Kühe 3 lebende Kälber rechnen darf. Nach diesem Verhält-
3 würden im Jahre 1885/86 von jenen Kühen im Ganzen 497,326 Kälber
)ren sein. Am Schliisse des Jahres (Zähltermin) waren aber an Jungvieh im
?r bis zu 1 Jahr vorhanden : 285,740 Stück. Hieraus ergiebt sich, daß im
fe des Jahres Kälber zur Zucht oder zum Schlachten veräußert wurden :
326 — 285,740 - 211,586
Zilhltaiire ermittelte man einen Bestand an zum Schlachten l»e-
stimniten Kälbern von 3*2,^23
chieden somit von dem Nachwuchs des Jalires aus :244,409
Landwirthschafl — 312 — Landwirthschaft
üebertrag : 244,409
Die Zählung ergab an Tliieren im ersten Lebensjahre:
a. Kälber unter V« Jahr alt, zur Zucht 150,276
b. V«- bis Ijährige Thiere 102,641
Zusammen: 252,917
Hiervon dienen zum Ersatz:
a. Für die 1- bis 2jährigen Zuclitstiere 13,820
b. Für die Oclisen, 41,192 Stück von 1 bis 3 Jahren,
also für einen Jahrgang 13,731
c. Für die weibliche Nachzucht, V» der Kühe (durch-
schnittUche Dauer der Nutzung bis zum Alter von
7 bis 8 Jahren) 132,620
160,171
Hiervon ab die Deckung durch eine Einfuhr von Nutzvieh von
über 150kg; 1885: 26,238, 1886: 31,152, im Mittel. . 28,695
Es beträgt daher die Remonte aus der inländischen Nachzucht . . 131,476
Woraus sich ein Ueberschuß an jungen Thieren ergiebt von 121,441
Es scheiden forner jährlich aus:
Von den 1- bis 2jährigen Stieren: 13,820 — 4571 = 9,249
Aeltere Stiere 4,571
Ochsen 13,731
Rinder über 1 Jahr alt: Gezählt wurden 186,983 Stück. Legt man ein
Alter von durchschnittlich 2V* Jahren bis zum ersten Gebären zu
Grunde, so rücken jähriich 5:4= 186,983 : x ; x =^ 149,586 Stück
hochtragende Rinder bezw. junge Kühe ein. Davon Bedarf zum
Ersatz der austretenden älteren Kühe: 132,620. Bleiben überzählig 16,966
Kühe 132,620
Zusammen : 542,987
Hiervon ab 2 7o Veriust 10,859
Mithin werden jährlich aus dem inländischen Viehstande abgestoßen . . . 532,128
Nach den handelsstatistisdien Uebersichten pro 1885 und 1886 verzeichnete
die Schweiz eine Ausfuhr an:
Aelterem Vieh (hauptsächlich Zucht- bezw. Nutzvieh) im Mittel 68,053
Kalbern von einem Gewicht bis 60 kg, im Mittel 14,447
Der Export betrug also im Ganzen 82,500
Und verbleiben somit für die Konsumtion im Lande 449,628
Auf dieser Grundlage lasset sich nunmehr darthun, in welchem Umfange
die 8chweizeri.-che Landwirthschaft an der Versorgung des inländischen
Fleisch mar ktes mit Rindvieh betheiligt ist und die Viehaufzucht betreibt.
Der Fleischmarkt empfängt:
a. Kälber 244,409
Davon ab : 2 "/<' Verlust 4,888
Die Ausfuhr 14,447
19,335
Bleiben im Inlande: 225,074
ä 40 k^: im Durchsdinitl 90,029 q
b. Aelteres Vieh : Gesamnitzalil (s. oben) 542,987
Davon ab: Die Kälber 244,409
2 'V'> Verlust (antbeilig von 298,578 Stück) . 5.971
Die Ausfuhr an Zucht- und Nutzvieh . . . 68,053
318,433
Bleiben im Inlande: 224.554
ä 2(KJ k^ im Durchschnitt 449,108 ,
~539^i37~ii
Hicivon ah «li.« Ausfuhr an ausgeschlachtetem Fleische, Mittel von 1885 u. 1886 _ 26,987 ,
Total der Zufuhr an die inlandische Schlachtbank: 512,150 q
Landwirthschaft — 313 — Landwirthscliaft
Berechnet man zugleich in Bücksicht auf die geringere Qualität der in jener
2iahl einbegriflenen älteren Kühe den Eilozentner Fleisch auf nur Fr. 105, so
stellt der Fleischertrag (512,150 q) einen TVerth dar von Fr. 53^775,750. Auf
Grund der Aufzeichnungen der Handelsstatistik ergiebt sich femer, daß der Werth
des exportirten Bindviehes und Fleisches im Mittel der beiden Jahrgänge 1885
und 1886 betrug:
Kälber, 14,447 Stück Fr. 410,700
Aelteres Vieh, meist Zuchtvieh, 68,053 Stück . . „ 18769,788
Fleisch (vornehmlich Rindfleisch) »„^^i?»?^^
Summa : Fr. 24'399,849
Jene 224,554 Stück im Inlande geschlachteter, zum größten Theile (195,859)
in solchem gezogener, zum kleineren Theile (28. 695) als Nutzvieh importirter
älterer Thiere bestehen aus:
Kühen 132,620
Aelteren Ochsen 13,731
Stieren 13,820
160,171
Jungen Stieren, Hindern und jungen Ochsen, und zwar: 121,441 -|- 16,966
= 138,407, abzüglich <ler Ausfuhr und der Verluste: 68,053 -r 5971 = 74,024 64,383
Wie oben: 224,554
Dagegen gehören jene 225,074 zur inländischen Schlachtbank gelangenden
Kälber ausschließlich auch dem Yiehstande des Landes an. Die Zahl derselben
wurde in den Jahren 1885 und 1886 um eine Einfuhr von im Mittel 4280 Stück
vermehrt.
Nach den Ergebnissen der Handelsetatistik betrug der Import an Schlacht-
Rindvieh und Fleisch im Mittel der Jahre 1885 und 1886:
a. 38,890 Stück Sohlachtvieh über 150 kg, ä durchschnittlich 350 kg 136,115 q
b. 22,930 , , von 60—150 „ „ , 120 „ 27,516 ,
c. 4,280 , Kälber unter 60 „ , „ 50 „ 2,140 ,
d. Fleisch 6,850 „
Zusammen: 172,621 q
Hiernach berechnet sich der gesammte Verbrauch der Schweiz an Rindfleisch :
512,150 -f 172,621 ^= 684,771 q, von welchen auf die inländische Produktion
entfallen: 74,8, und auf die Einfuhr: 25,2 %. Der Durchschnittskonsum an
Kindfleisch per Kopf der Bevölkerung (berechnet auf das Jahr 1885) betrug:
23,3 kg.
Fragt mau nun, in welchem Umfange die inländische Viehaufzucht
betrieben werde, so ergiebt sich aus den vorliegenden Zahlen Folgendes:
Nach obiger Berechnung werden aus dem gesammten Kindviehstande nach
Maßgabe der durchschnittlichen Nutzungsdauer in den einzelnen Gruppen desselben
und ohne Anrechnung der Zwischenverluste
an Stieren, Kühen und Ochsen (Zucht- und Nutzvieh) abgestoßen 160,171
Hier\'on wurden als „Nutzvieh** importirt 28,695
Es gingen daher aus der inländischen Nachzucht hervor . . . 131,476
Hierzu die Aufzucht für den Export 68,053
Es wurden also zur Reniontirung des inländischen Viehstandes
und zur Ausfuhr im Ganzen aufgezogen 199,529
oder rund 200,000 Stück. Hierzu kommt aber noch derjenige Nachwuchs an Rindern
und Ochsen, welcher vorzeitig der Schlachtbank verfällt, und zwar jene 121,441,
abzüglich der Ausfuhr von 68,053, ^- 53,388 Stück (64,383 _ [IG, 966 — 5971]),
so daß die Gesammtzahl der jährlich aufgezogenen Thiere sich auf 252,917 Stück
Landwirthschaft — 314 — Landwirthschaft
belauft, eine Ziffer, welche sich wiederum genau mit den Ergebnissen der Zählung
der einjährigen Thiere deckt.
Schließlich ist auch noch die Arbeitsleistung der Ochsen und Kühe in Rück-
sicht zu ziehen. Die Zahl der Ochsen, welche im Alter von mehr als 2 Jahren
stehen, berechnet sich auf rund 44,590 Stück, und können für dieselben k 160
Tage ä Fr. 3 angenommen werden. Von den Kühen dürften für den Zagdienst
10 % des Bestandes in den Flachland- und 5 ®/o des Bestandes in den Berg-
kantonen = rund 38,000 Stück in Betracht kommen, und. im Mittel a 120 Tage
a Fr. 2. 50 anzusetzen sein. Der daherige Betrag ist daher:
Arbeitsleistung der Ochsen Fr. 2r4O3,20O
ArbeitsleLstung der Kühe ^ ir 400,000
Summa : Fr. 32^803,200
Hiernach beziffert sich der gesammte Bruttoertrag (ohne Anrechnung des
Düngernutzens einer- und der indirekten Betriebsspesen andererseits) aus der Rind-
viehhaltung ;
Fiir Milch Fr. 174^263,205
„ Srhltichtvieh für ilen inländischen Markt , 53775,750
, Arbeitsleistung „ 32'803,:200
„ Exportvieh und Fleisch „ 24^399,849
Total : Fr. 285'242,004
Wir berechneten an anderer Stelle ') das Lebendgewicht des Rindviehes im
Durchschnitt aller Alteniklassen auf 371 kg per Kopf. Dies macht für den ge-
sammten Kindviehstand: 4'498,516 q. Nimmt man an, daß es Behufs ausgiebiger
Ernährung desselben per 1000 kg Lebendgewicht im Mittel etwa 26 kg Trocken-
(wasserfreier) Substanz von der Zusammensetzung guten bis sehr guten Wiesen-
futters (ca. 1 1 *^/o Prote'ingehalt) bedürfe, so erfordert der Rindviehstand im Jahre :
449,852 X 365 X 0,26 = 42'690,955 q Trockensubstanz Futter von erwähnter
Beschaffenheit, was für den einzelnen Kilozentner ruud Fr. 6. 70 und auf den
Kilozentner lufttrockenen Wiesenfntters (Heu und Emd) Fr. 5. 76 oder rund
etwa Fr. 6 betragen würde.
Aus vorliegender Darstellung ergiebt sich in recht augenfälliger Weise, daß
die schweizerische Landwirthschaft die Verwerthung des Futters durch die Rind-
viehhaltung weit überwiegend in der Milchproduktion sucht. Diese Richtung
wird zunächst bedingt durch den starken Bedarf der Bevölkerung an Rohmilch,
welcher ausschließlich durch das inländische Erzeugniß befriedigt werden muß
Die jährliche Produktion an Milch beläuft sich :
a. Aus der Kuhhaltung, nach obijrer Berechnung', auf 14'521,934 hl
b. Aas der Zie^'cnhaltung, 416,3i23 Stuck im Ganzen; «lavon ab die Zahl
der Böcke und der jungen Ziegen, ca. 30 *^ o, '^j bleiben rund !291,426
Milchziegen ä durchschnittlich i>00 P), auf __^1l^_2_«
_ Zusammen: 15' 104,786 hl
^) Die Statistik i\e< Viehstandes in der Schweiz. Schweizer, landw. Gentralblatt 1886.
Den «lort ausgeführten Berechnungen liegen übrigens die „vorläufigen* Ergebnisse der
Viehz;ihlung zu Grunde, welche durch die inzwiscben erschienenen abschließenden Zu-
sarnriK'nsteJlungHn in melirfacher Beziehung eine Aenderung erfahren haben.
-) Berechnet auf Grund einer Haltungsdauer der Ziegen von 8 Jahren und der
Voraussetzung, daß im Durchschnitt 100 Mutterziegen jährlich 80 Lämmer liefern.
^) In Berücksichtigung der Angaben von F. Fankhauser, in dessen Schrift: „Die
Be(l(?utung der Ziegenwirthschaft für «11»,' schweizerischen Gebirgsgegemlen in forstlicher
un<l volkswirthschaftlicher Hinsicht*". Bern. 1887.
LaDdwirthschafl — 315 ..— Landwirthschalt
Nach allgemeinen Beobachtungen und nach den Anhallepunkten, welche
sich aus der niilchwirthschafllichen Statistik mehrerer Kantone ent-
nehmen lassen, beträgt der dh-ekte Konsum an Milch in runder Zahl
per Kopf der Bevölkerung per Tag 0.6, im Jahre also 2191, welches
Quantum einem gesam inten Bedarf entspricht von 6'432,417 hl
Hiernach dienen zur Ffltterung von Zucht- und Mastkälbern und zur tech-
nischen Verarbeitung (Käse- und Bulterbereitung und zur Kondensation) 8'672,369 ,^
Nach obiger Darstellung werden von neu zutretenden 497,326 Kälbern
252,917 Stück aufgezogen und demgemäß 244,409 Stuck anderweil, in
der Hauptsache an der Schlachtbank verwerthet. Wie viele von letzteren
einer eigentüchen Mästung untenvorfen werden, entzieht sich einer
näheren Nachweisung. Rechnet man in Rücksicht darauf, daß jeilenfaUs
eine selir große Zahl «lieser Kälber schon wenige Wochen nach der
Geburt der Scldachtbank verfällt, im Durchschnitt des ganzen Be-
standes nur 300 1 Milch per Kopf, so ergiebt das r491,978 »
Und es bleiben demnach für die technische Verarbeitung übrig .... 7*180,391 „
Rundet man diese Ziffer in Rücksicht auf den Bedaif auch noch anderer
Viehgattungen, insbesondere der Schweine (bei der Abgewöhnung und
der Mast junger Thiere) ab auf 7*000,000 „
und bringt man davon in Abzug den V^erbrauch zur Fabrikation von kon-
densirter Milch und von Kindermehl mit 300,000 „.
so verbleiben für die eigentliche Milchwirthschafl (Butter- u. Käsebereitung) 6700,000 „
Im Beginne der 80er Jahre berechneten wir, daß das der Milch wirthschaft
überlieferte Quantum Milch sich mit 45 ®/o auf die Darstellung von Fett-, und
mit 55 ®/o auf diejenige von halbfettem und Magerkäse vertheile. *) Da aber
inzwischen in einzelnen Gegenden eine noch stärkere Bevorzugung der Mager-
sennerei eingetreten ist, wird man wohl kaum erheblich fehlen, wenn man unter
Bezugnahme auch auf die statistischen Ermittlungen in mehreren Kantonen für
letztere mindestens 20 ®/o aussetzt.
Hiernach würde sich die gesammte Ausbeute beziffern lassen, wie folgt:
6»700,(X)0 X 0,45 r . 3H)15,<.KJ<) hl ä, 9,0 k« - 271,350 q Fettkäae und 4 0,8 kg — 24,120 q Vorbnxclibntter,
C'700,000 X 0»35 — 2'345,0rH1 „ „ 7,5 ^ - 175,875 „ halbfetter KUne „ „ 1,5 „ -- 35,175 „ Bahmbutter.
6»700,OOOXO,2<»--- 1'340,0CX) , „ 6,0 „ - 8<>,4<^H» ^ J/af/erkäso „ „ 3,5 „ - 46,9(.)0 , Kahmbuttflr.
Summa : älilch - r»f700,(XK) hl Käse - 527,625 q Butter lf>6,l»5 q
In den Jahren 1885 und 1886 betrug durchschnittlich in Kilozentnern:
An Käse : An Butter :
Die Ausfuhr -259,721 7.149
Die Einfuhr 11,052 12,290
Die Mehraasfuhr 248,669 -
Die Mehreinfulu* — 5,1^1
Es verfielen also der inländischen Konsumtion . . 278,956 111,330
Und per Kopf der Bevölkerung 9,5 kg 3,8 k^
Wie aus diesen Uebersichten erkennbar, werden in der Schweiz, abgesehen
von der Bereitung der Konserven, nahezu 40 ^/o des gesammten Milcherzeugnisses
durch die Darstellung von Käse und Butter verwerthet, und von dem gewonnenen
Käse nahezu 50 ^/o in den Exporthandel gebracht, indessen die Butterproduktion
dem inländischen Konsum nicht genügt. Daß das dem Grundsatze der inter-
nationalen Arbeitstheilung auch in dem Betriebe der Land wir thschaft huldigende
und demgemäß den Futterbau und die Viehhaltung, insbesondere die Rind Vieh-
haltung ungemein stark bevorzugende und auf solche in hervortretendem Maße
angewiesene Land, bei einer durch die Bedürfnisse einer gewerbreichen und dichten
Bevölkerung hervorgerufeneu bedeutenden Mehr- Einfuhr an Lebensmitteln über-
haupt, dennoch den Export an Erzeugnissen jener Erwerbszweige zu H'ilfe nehmen
*) Beiträge zur Wirthschaftslehre des Landbau's. Aarau, 1882.
Landwirthschafl — :U6 — Landwirthschaft
muß, ist an und für sich nicht befremdend und leicht erklärlich. Indessen scheinen
^och innerhalb des Bahmens dieser Begebenheiten im Ganzen sich Wandlungen voll-
ziehen zu wollen, welche die Nothwendigkeit einer Verschiebung der seither einge-
schlagenen Bichtungen signalisiren. Die in Folge der VervielfaltigUDg und Yervoll-
kommnung der Kommunikationsmittel eingetretene Leichtigkeit der Versorgung der
westeuropäischen Märkte mit wohlfeilen Brodfrüchten aus Ländern, welche ft'üher
vom Verkehr abgeschlossen waren, hat bewirkt, daß die Landwirthschaft in den
von dieser Konkurrenz betroffenen Gebieten den Körnerbau einschränkte und sich
mehr als seither der Futterproduktion und Viehhaltung zuwandte. Gleichzeitig
aber drückten hier die fortgesetzt sich ausdehnenden Zufuhren an Wolle aus -
überseeischen Ländern die Chancen für die Wolleschäferei herab, was zur Folge
hatte, daß die Schafhaltung vielfach zu Gunsten der Bindviehhaitung rednzirt
wurde. Das Ergebniß dieser Erscheinungen mußte vornehmlich seinen Ausdraok
finden in einer ungeahnt raschen Ausbreitung der Milchviehhaltung und der
Milchindustrie. Dieser Bewegung, welche wir seit Jahren notiren, und deren
Abschluß noch nicht in Sicht ist, sowie den bedeutenden Erhöhungen der Schutz-
zölle, welche fast alle Staaten ringsum auf Molkereiprodukte gelegt haben, ist
es zuzuschreiben, daß im Käsegeschäft sich eine voraussichtlich dauernde, für die
schweizerische Milch wirthschaft ungünstige Wendung vollzog. Angesichts der-
selben drängt sich aber je länger je mehr die Nothwendigkeit auf, mehrere
gleichzeitig eingetretene wichtige Thatsachen in's Auge zu fassen. Dieselben be-
stehen darin, daß:
1) von jenem Konkurrenzdruck vornehmlich der als Handelsartikel durch
seine relaliv leichte Versendbarkeit und größere Haltbarkeit ausgezeichnete Käse,
nicht aber in gleichem Grade die Butter betroffen wurde, femer alle Handels-
spesen (Fracht und Zölle) bei dem Export das Produkt um so weniger empfind-
lich treffen, je höher der Werth desselben im Verhältnisse zum Gewichte steht;
2) die Schweiz hinsichtlich der Technik der Butterproduktion durch alle
jene äußeren Bedingungen in hohem Grade begünstigt ist, von welchen die Er-
zeugung vorzüglicher Milch und speziell hochfeiner Tafelbutter abhängt, während
sie den Vortheil der leichten Verbindung mit dem für den Absatz dieses Pro-
dukten sehr ergiebigen Markte von Paris genießt und selbst im Stande ist, ein
lohnendes Geschäft mit den englischen Märkten zu unterhalten ;
3) auch die Produktion von Fleisch der Nachfrage auf dem Markte nicht
in dem Maaße gefolgt ist, wie die Erzeugung von Molkerei produkten, und that-
sächlich bei jenem kaum ein Rückschlag, jedenfalls kein so erheblicher Nieder-
gang der Preise eingetreten ist, wie bei diesen und rückwirkend bei der Milch ;
4) die inländische Fleischproduktion ca. 25 ®/o des eigenen Bedarfes an
Fleisch unbefriedigt lasset, das Land also auf eine starke Einfuhr von Schlacht-
rindvieh (beispielsweise im Jahre 1886: Rindvieh von 60 — 150 kg und von
über 150 kg im Werthe von Fr. 16' 7 10,521 über die Ausfuhr) angewiesen ist,
während der Käse bedeutende Export- Werthe (beispielsweise im Jahre 1886:
Fr. 36'280,505 über die Einfuhr) verzeichnet, in Rücksicht auf die Transport-
und Handelsspesen, die Zölle etc. also dort eine Begünstigung, hier dagegen eine
Benachtheiligung für den Inlandspreis vorliegt;
5) auf dem Fleischmarkte sich nach und nach eine Wendung vollzieht,
in Folge deren die Uualitätsunterschiede schärfer hervorgehoben, und besonders
werthvüUe Surtiraente durch Vorzugspreise ausgezeichnet werden ;
6) die Ausdehnung der Hindvieh- und insbesondere der Milchviehhaltung
iu allen Ländern ringsum das Bedürlniß zum Bezüge leistungsfähiger Zucht- und
Landwirthschaft — 317 — Landwirthschafl
Natzthiere aas den für die Yiehaufzucht besonders vortbeilhaft situirten Gebieten
zuverlässig steigern mnß.
Ist die Richtigkeit dieser Betrachtangea unbestreitbar, so wird sich au»
denselben ergeben müssen, daß die schweizerische Landwirthschaft wohlthut, ins-
künftig :
1) 80 weit sie an der Darstellung von Versan dtkäsen festhält, den Haupt-
vortheil darin zu suchen, daß sie ihre Superiorität auf dem Weltmarkte in der
Erzeugung nur der hochfeinsten Sortimente behauptet und somit diese vor-
nehmlich in^s Auge faßt;
2) der Darstellung feiner Tafelbutter mehr Aufmerksamkeit zu schenken
und dieselbe noch mehr zu bevorzugen, wie seither (Magersennerei), dabei ins-
besondere eifrig und gewissenhaft prüfend und rechnend den Wegen einer ratio-
nellen Yerwerthung der Magermilch nachzugehen und zu diesem Behufe auch
auf die sog. Frühmast von Bindvieh und Schweinen Bedacht zu nehmen;
3) unter geeigneten Bedingungen, namentlich im Flachlaude, der Fleisch-
Produktion (Mästung), selbst auf Kosten der Milchwirthschaft, eine größere Aus-
dehnung zu zu geben, und
4) dem Betriebe der Aufzucht von Racethieren in allen denselben be-
günstigenden Lagen, vornehmlich im Alpengebiete, vermehrte Aufmerksamkeit
zuzuwenden.
B. Die Haltung von Pferden, Maulthieren und Eseln. Sieht
man zunächst von dem sehr zurücktretenden Bestände von (2742) Maulthieren
und (2046) Eseln ganz ab, und bringt man von der gesammten Zahl der Pferde,
welche 1886 : 98,622 Stück betrug, alle Fohlen bis zum Alter von 3 Jahren
= 13,392 Stück in Abzug, so erübrigen: 85,230 Stück ältere, im Gebrauche
stehende Thiere. Auf diese kommen aber 6888 tragende und säugende Stuten,
d. h. nur 8,1 ®/o des Bestandes. Man ersieht daraus, daß in der That der Be-
trieb der Pferdezucht unter den obwaltenden Verhältnissen nur eine sehr be-
scheidene Ausdehnung gewonnen, und auch eine Bestätigung der bekannten Erfahrung^
daß derselbe nur in einzelnen, durch die Vertheilung des Grundbesitzes, die Ver-
mögenslage der Landwirthe, die Terrainverhältnisse und die Art der Land-
bewirthschaftung in jener Richtung begünstigten Lokalitäten zahlreichere Freunde
gefunden hat. Von den 13,392 Fohlen standen 8048 im Alter von weniger als
zwei, 5344 im Alter von zwei bis drei Jahren, indeß der folgende Jahrgang
nur 5568 Stück umfaßte. Könnte man nun aus der Handelsstatistik erfahren, wie
viele Thiere je der einzelnen Altersstufen ein- und ausgeführt wurden, dann
würde man auch im Stande sein, annähernd darzuthun, wie viele Fohlen jene
inländischen Stuten geboren haben, ebenso, auf welche Jahrgänge sich der An-
kauf von jungen Pferden aus dem Auslände vornehmlich richtete. Da die er-
wähnte Voraussetzung sich aber nicht erfüllt, und es in der vorliegenden Auf-
gabe auch unzulässig ist, von Durchschnittsprozenten für die Fruchtbarkeit der
Stuten auszugehen, so muß von weiteren Betrachtungen über das in Frage ge-
stellte Verhältniß Umgang genommen werden. Wie wenig übrigens die inländische
Pferdezucht im Stande ist, den eigeneu Bedai*f an Ersatzpferden zu liefen, wird
durch die Ergebnisse der handelsstatistischen Ermittlungen erwiesen. Darnach
betrug im Durchschnitt der beiden Jahre 1885 und 1886:
Stück Werth In Fr.
Die Einfuhr 6386 5'413,447
Die Ausfuhr 1639 985,975
Die Mehreinfuhr 4747 4'427,472
Landwirlhschaft — :51}:5 — Landwirthschaft
Der Ertrag der Pferdehaltuiig besteht im Uebrigen nur in dem Werthe der
durch solche erzielten Arbeitsleistung. Legt man zur Berechnung derselben
4ie erwähnte Zahl der mehr als 3 Jahre alten Thiere =rr 85,230 Stück zu Grunde
und veranschlagt man die Dauer der jährlichen Arbeitszeit im Mittel auf 200
Tage a Fr. 4, so erhält man die Summe von Fr. ()8'184,000
Die Arbeit der Maulthiere und Esel, von welchen die
«rsteren fast ausschließlich in den Gebirgsgegenden, namentlich
in den Südkantonen und, wie die Esel, meist außerhalb des
landwirthschaftlichen Gewerbes angetroffen werden, dürfte sich
unter angemessener Reduktion auf Pferde-Arbeit beziffern lassen
auf 2337 X 200 X 4 = „ r8Ö9,G00
Summa: Fr. 70^053,600
C Die Schweinehaltung. Eine eigenartige Zusammensetzung und Be-
wegung spricht sich in dem Bestände an Schweinen aus.
Gezählt wurden im Jahre 1886 an Faseln und Mastschweinen, ülter als
3 Monate 241,842 Stück
Zum Ersätze der abgehenden Zuchtthiere berechnen sich hiervon etwa
* 8 der verwendeten Eber und Mutterscliweine = 38,050 oder . . 12,683 „
Die Äusfulir betrug im Durchschnitt der Jahre 1885 und 1886 . . . 10,835 ,
Der tiurchschnittlicii einjährij^e Umsatz liefert an Sclilachtthieren . . 229,159 „
Es betragt also die einjährige Renionte, wdclie voral) aus der inländischen
Nachzuclit geliefert wird 494,519 Stück
Angenommen, diese Thiere würden sämmtlich von den im Inlande gehaltenen
Zuchtthieren in jährlich zwei Würfen a 247,260 Stück geboren, so würde sich
in dem Bestände folgende Bewegung ergeben :
Am Jahresbeginn sind vom Frühjahrswurf an Ferkeln vorhanden (Zählung) . 115,025
Es gehen von denselben bis in den Herbst über (rückständig) :
247,260—115.025= 132,2:i5
Dazu der Herbstwurf 247,259
379,494
Der Zuwachs beträgt also 494,519
Zieht man hiervon ab die im Laufe des Jahres austretenden Thiere mit . . 252.677
So bleibt wieder ein Bestand an Faseln und zur Mast bestimmten Schweinen von 241,842
Dazu dann noch die aus dem folgenden Frühjahrswurfe wieder neu hinzu-
kommenden Ferkel (115,025). Wäre jener Ersatz aus der inländischen Züchterei
gedeckt worden, so hätten, da 36,551 Zuchtsauen gezählt wurden, je 10 derselben
jährlich 135 (1 : 13.5) Ferkel liefern müssen. Das ist aber ein Fruchtbarkeits-
grad, auf welchen im Durchschnitt nicht gerechnet werden kann. Geht man
vielmehr schätzungsweise von einem Verhältnisse =1:12 aus, wie es im Großen
eher zuzutreffen pflegt, so lieferte der inländische Zuchtbetrieb nur 438,612 Stück.
Woraus dann folgt, daß die fehlenden 55,907 Stück durch den Handel geliefert
und demgemäß von der Einfuhr vorweg als Läufer in den Bestand aufgenommen
wurden, so daß von der importirten Waare (Mittel von 1885 und 1886: 68,438
♦Stück) nur 12,351 Stück direkt der Schlachtbank verfielen. Daß eine solche
Bewegung thatsächlich statttindetf beweist der starke Zutrieb von jungen Schweinen
(Läufern) durch italienische, französische und elsäßische Händler. Auf Grund
dieser Uebersicht berechnet sich nun der Ertrag aus der Schweinehaltung also :
1) An Fleisch von 12,683 Stück nlterer Zuchtthiere ii HO kg 13,951 q
2) Ebenso von 229,159 Stück aus einjährifrem Umsatz hervor-
^'eheiulcn jün^jeren Schlachtviehes ä 90 kjr 206,243 ,
Summa: 220,194 q
LaDdwirtbschaft — 319 — Landwirthschaft
Uebertrag 220,194 q
Davon ab die Ausfulir (Mittel von 1885 und 1886),
bauptsächlicb in Ferkeln bestehend, 10,835 Stück, im
Durcliscbnitt ii 20 kg = 2167 q ; dazu Schweineschmalz :
212 q, zusammen 2,379 ^
Bleiben für die inländische Schlachtbank 217,815 q
ä 115 Fr 25'048,72o Fr.
3) fixport an jungen Thieren nach der Handelsstatistik (Süttel vuu 1885
und 1886) 267,432 ,
Summa 25^316,157 Fr.
D. Die Haltung von Schafen und Ziegen. In dem vorzugsweise
in den Alpgegenden verbreiteten Sohäfereiwesen kommt hauptsächlich Zuchtbetrieb
mit Beibehaltung der Hammellämmer vor. Dieses Verhältniß ist durch den Um-
stand bedingt, daß die Wollenutzung des Alpenschafes, in welchem nur genüg-
same und spätreife Schläge vertreten sein können, tiberwiegend berücksichtigt
werden muß. Unter jener Voraussetzung lasset sich berechnen, daß bei einer
sechsjährigen Dauer der Haltung die älteren Thiere 64, die Jährlinge 17 und
die Lämmer 19 ^/o des Bestandes der Heerden bilden, und jährlich 15 % dieses
Bestandes ausrangirt werden können. ^) Behufs Darstellung des Umsatzes aus der
Ziegenhaltung kann auf frühere Angaben Bezug genommen werden. Demgemäß
beziffert sich der Ertrag:
a. Aus der Schafhaltung:
1) An abgängigem älterem Vieh, 15 ^/o von 341,804 Stück (Zählung von
1886) -= 51,270 Stück a 20 kg = 10,254 q Fleisch k Fr. 120 . . Fr. r230,480
2) An Wolle: Von 341,804 Schafen ä 1,5 kg = 512,706 kg ä Fr. 3. 50 = , 1794,471
Summa Fr. 3^024,951
6. Aus der Ziegenhaltung:
1) An Milchertrag, gemäß fi-üherer Berechnung, 582,852 hl k Fr. 12 . . Fr. 6'994,224
2) An abgängigen älteren Thieren, 12 > von 416,323 Stück (Zählung
von 1886) = 49,959 Stück ä 20 kg = 9992 q ä Fr. 70 . . . . „ 699,440
3) An Kitzen: Von rund 320,000 jälirlicli geborenen Lämmern ab zum
Ersatz 15 7o des Bestandes = 62,448, bleiben : 257,552 Stück ä Fr. 3
(davon a 2,5 kg = 6438 q Fleisch) ^ 772,656
Summa Fr. 8'466,320
c. Aus der Schaf- und Ziegenhaltung zusammen:
Es wurden im Mittel ausgeführt in den Jahren 1885 und 1886: 7296 Stück
im Werthe von Fr 133,914, per Stück also von Fr. 18. 35. Da die Einzel-
posten nicht ausgeschieden wurden, muß hier von einer besonderen Kechnung
abgesehen werden. Die Ausfuhr entspricht einem Fleiscbge wicht von etwa 1,488 q.
Auf Grund der vorliegenden Uebersichten ist es nunmehr auch möglich, ein
Bild von der Fleischversorgung der Schweiz im Ganzen zu entwerfen.
*) In dem südöstlichen Alpengebiete, vornehmlich im Kanton Graubünden, wird
heute noch vielfach das schon .seit sehr langer Zeit bestehende, im Lichte der ökono-
mischen Interessen freilich recht ungünstig zu beurtlieilende Verfahren angetroffen, die
Sommernutzung der höher gelegenen Weidereviere an italienische Besitzer von Schal-
heerden zu verpachten. Diese Wanderschafe gehören fast ausschließlich der Berganiasker
Race an. Da dieselben in dem Zählbestande nicht enthalten sind, so erhöht sich «ler
Ertrag aus den Bergi^eiden um den erwähnten Erlös an W'eidepacht. Derselbe ist aber
nicht genauer zu ennitteln.
Landwirthschaft — 320 — Landwirthschaft
An früherer Stelle (Seite 312 und 313) wurde berechnet, daß der inländische
Fleiscbraarkt empfängt an Eilozentnem :
Aus dem Aus dem
Inland« Auslände
1) An Rind- und Kalbfleisch 512,150 172,621
Hierzu kommen weiter:
2) An Schweinefleiscii :
o. Inländische Produktion abzüglich der Ausfuhr (Seite 319) . . 217,815 —
b. Import (Mittel von 1885 und 1886): 68,438 Stuck a 70 kg . — 47,906
3) An Scliaf- und Ziegenfleisch:
a. Inländisclie Produktion (S. 319): 10,254+9992 i- 6438 = 26,684 q
Davon ab die Ausfuiir (Seite 319) 1,488 „
25 196
6. Import (Mittel von 1885 und 1886): 56,743 Stück a 25 kg . — 14,186
4) An Schweineschmalz: Import (Mittel von 1885 und 1886) . . . — 34,283
755,161 268,996
Summa: 1*024,157
Hiernach werden von dem gesammten Bedarfe aus dem inländischen Yieh-
stande gedeckt 73,7 ^/o, und ist die ausländische Zufuhr an der Eleischversorgong
des Landes betheiligt mit: 26,3 ®/o. — Es ergiebt »ich femer ein Durchschnitts-
konsum an Fleisch überhaupt per Kopf der Bevölkerung im Jahre von : 34,9 kg.
Faßt man schließlich die Erträge der Viehhaltung gemäß den bis dahin
festgestellten Ergebnissen zusammen, so erhält man folgende Werthe :
1) Aus der RiudviehhaltUDg (Seite 314) Fr. 285*242,004
2) ,, ,, Pferdehaltung (Seite 318) „ 70*058,600
B) „ ,, Schweinebaltani? (Seite 319) ,, 25*810457
4) ,, ,, Schafhaltung (Seite 319) ,, B'024,951
5) ,, ,, Ziegenhaltang (Seite 319) „ 8'4e6,320
0) ,, ,, Schaf- und Ziegenhaltang zasammen (Ausfuhr) „ 138,914
Summa s Fr. 892*2d6,»IO
Diese Ziffern stimmen im Wesentlichen mit den vorläufigen Uebersichten,
welche oben (s. 290) mitgetheilt wurden, und haben die noch bestehenden Ab-
weichungen nur ihren Grund darin, daß in Berücksichtigung der Ergebnisse der
Handelsstatistik auch pro 1886 die Werthe der Ausfuhr für Rindfleisch höher
gegriffen wurden, und daß die Erträge aus der Ziegenhaltung einen Zuschlag
erfahren mußten.
Hinsichtlich der Fragen über die technischen Einrichtungen der Viehhaltung,
sowie insbesondere über den Stand und die Entwicklung der Milch wirthschaft
darf auf die bezüglichen Spezialabhandlungen verwiesen werden.
III. Die Erfolge des landwirthschaftlichen Betriebes In der Schweiz.
Um die geschäftlichen Ergebnisse eines gewerblichen Einzel-Unternehmens
nachzuweisen, bedient man sich bekanntlich einer systematischen Buchführung,
deren Aufgabe es ist, an den beiden Endpunkten einer Rechnungsperiode den
Stand des Vermögens im Granzen und in seinen einzelnen Griiedern festzustellen,
und die Veränderungen, welche die fortlaufend angewandten Betriebsmittel inner-
halb der Grenzen eines gewissen Zeitabschnittes durch den Umsatz erleiden, nach
Art, Zeit, Richtung und Umfang übersichtlich darzulegen. Auf Grundlage der
solchermaßen gewonnenen Thatsachen setzt sodann die Rechnungsführung in den
Stand, zu ermitteln, nicht allein, um welche Beträge sich das angelegte Kapital
veränderte — ab- oder zunahm — , sondern auch, in welchem Verhältnisse die
einzelnen Geschäftszweige an dem gesammten Ergebnisse Antheil haben, und wie
Landwirthschaft — 320 a — Landwirthschaft
dieses sich auf die verschiedenen Einkommensquellen vertheiit. So verlangt es
der gewerbliche Betrieb vom Standpunkte der Privatwirthschaft. Die Aufgabe
gewinnt aber eine andere Seite, wenn die Erfolge eines Zweiges der gesammten
Gewerbet hätigkeit, in unserem Falle der Landwirthschaft, im ganzen Lande
oder Volke, und die sozialwirthschaftlichen Beziehungen desselben in Frage
kommen. Es knüpft sich dann ein allgemeines Interesse an sie, weil ihre Lösung
die Quelle der Erkenntniß derjenigen Thatsachen bildet, welche für die Ent-
wicklung richtiger wirthschaftspoli tischer Gesichtspunkte und Prinzipien grund-
legend sind. Der Weg dahin führt aber nothgedrungen durch die Statistik,
welche gewissermaßen eine Buchführung im Großen, eine Buchführung für
Alle ist.
Es ist im Allgemeinen noch sehr dürftig bestellt mit der privaten Buch-
haltung der Landwirthe. Der Gebrauch des Maßes, der Waage und des Rechen-
stiftes für die Zwecke des internen Geschäftsganges ist nur einer kleinen Minderzahl
derselben geläufig. Unter solchen Umständen hat die öffentliche landwirthschaf liehe
Buchführung, welche sich doch in der Hauptsache nur aus den Ergebnissen der
privaten Buchführung aufbauen kann, d. h. die landwirthschaftliche Statistik, in
der That einen schweren Stand. Aber nicht allein die Schwächen und Lücken,
welche in den Neigungen und Gewöhnungen der Landwirthe selbst begründet
»ind, bilden ein Hemmniß für die Entwicklung agrar-statistischer Forschung,
auch die öffentliche Verwaltung ist mit den Aufgaben, der landwirthschaftlichen
Statistik vorzuarbeiten, wenigstens in Bezug auf den Grundbesitz und dessen
Vertheilung, vielfach zurückgeblieben. Eine große Zahl von Kantonen entbehrt
heute noch der Parzellar Vermessung und der Kataster- Einrichtung. Ohne Kataster
aber ist eine genaue Areal-, Anbau- und Emdtestatistik, die erste und wichtigste
Grundlage für die Ermittlung der Erfolge des landwirthschaftlichen Betriebes,
ungemein erschwert, wenn nicht unmöglich.
Diese Betrachtungen überzeugen, daß es zur Zeit nicht gelingt, an der
Hand direkter Ermittlungen zahlenmäßig nachzuweisen, was und wie viel die
Hchweizerische Landwirthschaft produzirt, welches Einkommen sie aus ihrem Be-
triebe bezieht, und welche Stellung sie demgemäß im Kreise der übrigen ge-
werblichen Thätigkeiten einnimmt. Will man gleichwohl an eine Aufgabe dieser
Art herantreten, so muß dieselbe von vornherein sehr eingeschränkt, und kann
für die Behandlung derselben nur der Weg indirekter Beobachtungen, der
der Uebertragung einzelner faktischer Ergebnisse auf die Lage im Ganzen, und
des Zurückgreifens auf allgemeine Erfahrungen im landwirthschaftlichen Betriebs-
leben — das Verfahren der Vergleichung und Kombination — eingeschlagen
werden. In dieser Richtung wenigstens einen Versuch zu wagen, mag sich durch
die Tragweite des Gegenstandes rechtfertigen. Die Resultate können freilich
nicht anders, als mit Vorbehalten gegeben werden.
Es dürfte zweckmäßig sein, die bezüglichen überhaupt aufgreifbaren Fragen
nach drei Richtungen zu gliedern, insofern das allgemeine Interesse Auskunft
darüber verlangt, erstens, ob und in wie weit die landwirthschaftliche Pro-
duktion des Landes im Stande ist, den Bedarf der eigenen Bevölkerung an
agricolen Produkten (Nahrungs- und Genußmitteln, Bekleidungsstoffen etc.) zu
decken, zweitens, wie hoch sich der Werth der durchschnittlich jährlich er-
zeugten landwirthschaftlichen Produkte, und drittens, wie hoch sich das ge-
werbliche Einkommen der Landwirthschaft im Ganzen und einer Landwirthschaft
treibenden Haushaltung im Durchschnitt berechnet.
Furrer, Volk8wirtb8chaft8>Lexikon der Schweiz. ^(^ U.
Landwirthschafl — 320 6 — Landwirthschaft
1) Erfolg des landwirthschaftlichen Betriebes hinsichtlich
der Yersorgatig des Landes mit agrikolen Prodakteo.
Der Bedarf der inländischen Bevölkerung an Lebensunterhaltsmitteln ist einer
genauen Ermittlung unzugänglich geblieben. Unter den zahlreichen Artikeln
dieser Art, welche die Landwirthschaft des Landes produzirt, giebt es nicht
einen, von welchem direkt nachgewiesen wäre, wie hoch sich der Eonsam der
Bevölkerung an solchen belauft. Erfaßbar sind die betreffenden Mengen nur bei
solchen Produkten, welche einer Verzehrungssteuer unterliegen, ein Fall, welcher
seither nur für Spirituosen und nur in mehreren Kantonen zutraf. Eine Aus-
nahme werden in Zukunft nur die gebrannten Wasser bilden, weil der Vertrieb
derselben zum Bundesmonopol geworden ist. Alles, was man über die inländische
Eonsamtion an landwirthschaftlichen Erzeugnissen seither angegeben hat, beruht
auf Schätzungen von zum Theil sehr zweifelhaftem Werthe.
Genau bekannt sind dagegen die Mengen und Werthe an jenen Artikeln,
welche über die Landesgrenzen aus- und eingehen. Hierüber giebt die allerdings
erst seit 1885 eingeführte schweizerische Handelsstatistik die zuverlässigste und
daher eine in hohem Grade verwei*thbare Auskunft. Besäße nun das Land eine
auch nur einigermaßen exakte, über das ganze Gebiet ausgedehnte landwirth-
schaftliche Produktionsstatistik, so wäre der oben aufgeworfenen Frage mühelos
näher zu treten mit den Formeln : C = P — A und C = P -|- E, wobei C die
Größe der Eomsumtion, P die Ergebnisse der jährlichen Produktion und A und E
den Betrag der Mehrausfuhr bezw. der Mehreinfuhr bedeuten. In Ermangelung
einer Produktionsstatistik kann aber der Werth von P auch nicht abgeleitet
werden aus den Formeln : P := A -f- C und P = C — E, weil eben derjenige
von C gänzlich unbekannt ist. Wie man sieht, fehlt uns immer die Bekannt-
schaft je noch eines zweiten der konkurrirenden Werthe, sei es derjenige von C
oder von P, um ein getreues Bild von der Situation entwerfen zu können.
Nur um zu zeigen, wie sich eine solche üebersicht ausnehmen würde, setzen
wir drei Beispiele, und zwar je eine Rechnung über Getreide, Wein und
Käse hierher. Bei diesen Artikeln könnte man sich eine ungefähre Vorstellung
über die Größe der jährlichen Produktion (P) bilden; außerdem sind A und E
bekannt. Gefragt ist also nach C. Aber gleich hier muß bemerkt werden, daß
die Erträge an Getreide und namentlich au Wein von Jahr zu Jahr sehr be-
trächtlichen Schwankungen unterliegen.
Es beträgt die
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Z) Käse . . . Kilozentner: 527.625*) — 248,669 278,956
In Ermangelung brauchbarer Anhaltepunkte für Weiterführung dieser Auf-
gabe beschränken wir uns nur noch auf die Zusammenstellung der Quantitäten
und Werthe der Ein- und Ausfuhr der wichtigsten Artikel der landwirthschaft-
lichen Produktion in den Jahren 1885 und 1886. (Siehe diese tabellarische
Zusammenstellung auf den Seiten 320 (/, e, f.)
') Von rund 30<),0(K) ha (Si^ite 292) ä durclisehnittlich 11,66 q.
■-') Zur Saat, zum nienschiichon Konsum, zur Viehfütterung und zur technischen
Verarheitun;: in Brennereien, BrauereiiMi und Stärkefabriken.
') Von 34,530 ha (Seite 297) ii durclisohnittlicli 33 hl.
♦) Sii'he Seite 315.
Landwirthschail — 320 c — Landwirthschaft
Hinsichtlich des gesammten Resultates ist aber besonders darauf aafinerksam
zu machen, daß in den genannten Jahren fUr eine Reihe vorzugsweise in Betracht
kommender Produkte, wie z. B. Getreide, Käse etc., ungewöhnlich niedrige Preise
verzeichnet wurden. Je nach dem von Jahr zu Jahr schwankenden Ergebnisse
der Erndten würde man somit wohl zu der Annahme berechtigt sein, daß das
Defizit zwischen der inländischen Produktion und dem Bedarf der Bevölkerung
sich im gegenwärtigen Dezennium etwa zwischen 50 bis 60 Franken p. Kopf bewege.
Im Uebrigen ist unsere Tabelle in einer Weise angeordnet, daß aus der-
selben leicht ersehen werden kann, in welchen Artikeln das Land eine Mehr-
Einfuhr, und in welchen es eine Mehr -Ausfuhr hat, und welche Stellung
die einzelnen Produkte in diesem Verkehre einnehmen.
2) Werth der jährlichen Produktion der schweizerischen
Landwirthschaft.
Zwischen den einzelnen Gliedern der Produktionsmittel, welche der
Landwirth anwendet, besteht ein gewisser organischer Zusammenhang. Keines
derselben kann der Mitwirkung des anderen entbehren. Aber sie werden nicht
in einem übereinstimmenden gegenseitigen Verhältnisse dem Betriebe dienstbar
gemacht. Die landwirthschaftliche Verhältnißkunde weiß daher nur von Ab-
stufungen zwischen höchsten und niedrigsten Sätzen zu berichten. Von der Größe
des Grund- und Gebäudekapitales, welches in unserer Landwirthschaft
steckt, wissen wir nur sehr wenig, und aus der allerdings ziemlich genau be-
kannten Flächenausdehnung des landwirthschaftlich benutzten Areales lediglich
auf dem Wege der Schätzung einen Werth beziffern zu wollen, ist zu sehr ge-
wagt. Was aber das Betriebskapital betrifft, welches in unserer Land-
wisthschaft funktionirt, so hat die Statistik sich seither nur mit dem Vieh-
stande befaßt. Das in den Maschinen und Geräthen, den Apparaten
und dem Hausrath angelegte Kapital ist nirgends ermittelt, ebenso wenig ist
auch der Versuch gemacht worden, nachzuweisen, was die Landwirthschaft jähr-
lich an Handarbeit aufwende. Somit ist nur ein, allerdings wesentlicher
Faktor des landwirthschaflichen Produktionsprozesses — das Viehstands-
Kapital — wirklich und genau genug bekannt. Legt man aber dieses zu
Grunde, so berechnet sich das gesammte ümtriebsver mögen in der schweizerischen
Landwirthschaft wie folgt: Millionen
Franl^eii
1) Viehstand nach der letzten Zählung von 1886 (Seite 290) inkl. der Bienen-
str>cke (6,22) 454.64
2) Diesem Kapitale entsprechend und in Rücksicht auf unsere spezitischen
Verhältnisse ein Werth des todten Inventars (Maschinen und Geräthe etc.)
von 33 7° des lebenden Inventars 151,55 *)
3) Jährlicher laufender Betriehsnufwand im Betrage von 55 7o *) des Inventar-
werthes __?^l'il
Suniiua 939,60
*) In seiner Schrift: „Die Geräthe und Maschinen der Landwirtiischaft. Aarau 1884"
veranschlagt Professor H. Fritz in Zürich dius in den mechanischen Hülfsrnitteln der
schweizerischen Landwirthschaft angelegte Kapital auf 160 bis 170 MüUonen Franken.
*) Dieses Verhältniß deckt sich natürlich nicht mit dem Bedarfe an effektiv ver-
fügbar zu haltenden umlaufendem Betriebskapital. In Rücksicht auf die landwirth-
schaftlichen Betriebseinrichtungen in dem größten Theile der Schweiz wird man an-
nehmen dürfen, daß dieses nur 33 7« des Invenlarwerthes und 60 7o ^^^'^ Jahresauhvandes
ausmache, daß also 40 7o der Betriebskosten je aus wieder verwendbaren laufenden
Einnahmen bestritten werden.
(Fortsetzung auf Seite 320//.)
Landwirihschaft
— 320 rf —
Landwirthschaft
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LandwirthscFiaft — 320// •** Landwirthschaft
Nun erfahren wir aus der landwirthschaftlichen Betriebslehre, daß das
Betriebskapital im Granzen 20 bis 35 ^/o von dem Grund- und Gebäudekapital
beträgt. Nehmen wir den zugehörigen Mittelsatz von 27,5 '7o, so würde sich
dasgesammte Immobiliarvermögen der Landwirthsohaft berechnen auf 341 7 Millionen
Franken, von welchen etwa */« (*A ^^ Landwerthes) = rund 570 Millionen
auf die Gebäude entfaUen. >) (Vgl. S. 274 und 275.)
Das wären also annähernd die Einsätze, mit welchen unsere Landwirthsohaft
regelmäßig und durchschnittlich operirt.
Auf diesen Einsätzen beruhen aber die Produktionskosten, welche die
Landwirthschaft aufwendet, und diese Produktionskosten bilden den wesentlichsten
Bestimmungsgrund für den Werth der Erzeugnisse, müssen zum mindesten durch
diesen wieder ersetzt werden.
Rechnet man nun :
1) Vom Grundkapitale im Betrage von 3417 Millionen ä 3,5 ^/o Zins
(Grundrente) 119,59 Mill. Fr.
2) Vom stehenden Betriebskapital (Viehstand und todtes Inventar) auf
Hohe von 606,19 Millionen ä 6 % Zins und Versicherung . . . 36,37 , ,
3) Den ganzen jälirlichen Betriebsaufwand (Umsatz) 333.41 ,, ,
4) Zins und Risiko mit 8 ^/o von demjenigen Theile des umlaufenden
Betriebskapitales, welcher auf Material (Erneuerung der Gebäude
und des Inventars, Kunstdünger, Kraftfutter, Saatgut etc.) und auf
Mietharheit entfällt, ca. 30 °/o des ganzen Betrages *) = rund 100 Mill. 8,00 , ,
SSO erhalten wir an Kosten der Herstellung des gesammten jährlichen
Erzeugnisses der Landwirthschaft 497,37 , ,
Oder in runder Summe 500,00 „ ,
Dies macht bei einer Bevölkerung (berechnet auf das Jahr 1885) von rund
2' 937,000 Einwohnern: Fr. 170 per Kopf, und würde sich somit unter Zuzug
der Mehreinfuhr der Bedarf für einen Bewohner im Durchschnitt berehnen auf:
170 -|- 55 r= 225 Franken. Hieraus geht aber auch hervor, daß der Werth der
inländischen Produktion nahezu dem Werthe des Bedarfes der Bevölkerung für
neun Monate des Jahres entspricht, letztere also Behufs Versorgung mit land-
wirthschaftlichen Produkten für 7« Jahr auf das Ausland angewiesen ist.
Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß die Produktionsstatistik es nicht
gestattet, den Werth den gesammten jährlichen Erzeugnisses der Landwirthschaft
darzustellen. Will man gleichwohl einen Versuch in dieser Richtung zu dem
Zwecke wagen, um eine Vorstellung darüber zu erlangen, in wie weit die Schätzung
mit den Ergebnissen der indirekten Rechnung (Produktionskosten) in Einklang
steht, so mag das folgende, der Natur der Sache nach allerdings nur im Groben
gezeichnete Bild zur Orientirung dienen :
l) Oben wurden die Ertragnisse des Viehstandes ermittelt auf . . . 392,10 Mill. Fr.
Hiervon t?elien als latente, weil im Betriebe der Landwirth-
schaft wieder verwendete Posten ab:
a, Werth der Arbeitsleistung des Rindviehes . . . 32,80
h. Werth der Arbeitsleistung der Pferde: 70.05. Da-
von antheilig auf die Landwirthschaft ah V^ = . . . 46,70
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Bleiben 312,t)0 „ „
M Nach direkten Schätzungen von A. v. Fellenh er g- Ziegler in dessen Schrift :
, Pläne und Beschreibung von Sdieunen und Stüllon nach dem von Jm-jffo/f sehen
System. Bern 1887.** beziffert sich dieses Kapital auf 540 Millionen Franken.
*) Die Differenz (70**/ reprasentirt hiernach den Werth der von den Landwirthen
und ihren Angehörigen geleisteten Arbeiten (Unternehmerlohn). Derselbe sehwankt je
nach der Größe des Besitzes und dem Grade der Kapitahntensität des Betriebes zwischen
50 und 75 7* <ics Jahresaufwandes.
Landwirthschafi — 320 h — Landwirthsdiaft
Uebertrag 312,60 Mül. Fr.
2) Aus dem Gretreidebau : 3,5 Millionen Kilozentner Körner k Fr. 20 . 70,00 „ ,
3) Aus dem Weinbau: ri39,490 Hektoliter ä Fr. 40 46,58 ,. ^
4) Aus dem Kartoffelbau: 5 Millionen Kilozentner ä Fr. 7 .... 35,00 „ „
5) Ertrag des Obstbaues : 3,5 Millionen Hektoliter im Durchschnitt ä Fr. 6 21,00 , ,
6) Ertrag an Industriepflanzen (Tabak, Hanf, Flachs und Hopfen etc.),
aus der Geflügel- und Bienenzucht, Erlös für Weidepachl von
fremden Heerden etc 20,00 „ ,
Summa 506,18 „ ,
Diese Zifl^er stimmt allerdings nahezu überein mit dem Ergebnisse obiger
Berechnung der Produktionskosten.
3) Gesammt-Einkommen aus dem Betriebe der Landwirthschaft.
Um eine Vorstellung von der Größe des Brutto -Einkommens der Land-
wirthschaft des Landes zu gewinnen, ist es zweckmäßig, von der Berechnung
des Werthes der jährlichen Produktion und des Betriebsaufwandes auszugehen.
Geeignete Anhaltepunkte hierfür geben aber die bereits vorgeführten Zahlen.
Der Werth des gesammten 4äbreserzeugnisses beträgt im Durchschnitt 500,00 Mill. Fr.
Von diesem Werthe kehren in die Hände des Unternelmiers zurück :
1) Der Ertrag des Grundkapitales (Grund- und bezw. Pachtrente) . . 119,59 , „
2) Der Zinsertrag von dem in dem Inventar angelegten Kapitale . . 36,37 „ ,
3) Der Ertrag von der ünternehmerarbeit, ausgedmckt in den je ein-
maligen direkten Aufwendungen bezw. den laufenden Betriebs-
spesen = 333,41 Mill. Fr., abzüglich derjenigen Posten, welche an
Dritte vergütet werden müssen = rund 100 Millionen. Es bleiben
sonach 233,41 „ ,
4) Der Zinsertrag von dem in Material und Mietharbeit verwendeten
Kapitale ' 8,00 „ ,
Summa 397,37 , ,
oder rund : 400 Millionen Franken. Nimmt man nun an der Hand der jüngsten
Ermittlungen 258,639 Vieh besitzende und Landwirthschaft treibende Haus-
haltungen an, so beträgt jenes Brutto-Einkommen im Durchschnitt für jede
landwirthschaftliche Betriebsstelle — allerdings ohne Anrechnung der nicht un-
bedeutenden Nebenverdienste — etwa Fr. 1600. Um aber das Beineinkommen
aus dem landwirthschaftlichen Betriebe darzustellen, müßte diese Summe noch um
die Zinsen der auf dem Betriebsvermögen lastenden Schulden vermindert werden.
Zu einer Berechnung des Antheils der Passiven im Ganzen fehlen aber zur Zeit
noch alle Anhaltepunkte. Ueberträgt man jene Zahl auf die durchschnittlich auf
eine landwirthschaftliche Betriebsstelle entfallende Fläche von 8 (genauer: 8,423)
Hektare (Seite 269), so trifft auf jede Hektare ein Brutto-Einkommen von Fr. 190,
und eine Grundrente von Fr. 54. 90, welche bei einem Zinsfuße von 3,5 *^/o
einem Kapitalwerthe der Liegenschaften von im Mittel Fr. 1563 per Hektare und
im Ganzen der Summe von nahezu wiederum 3417 Millionen Franken entspricht.
* * *
Schlußwort.
In voriiej-'euHer Arbeit haben wir versucht, in einitren grolien Zügen ein BUd der
schweizerischen Landwirthschaft zu entwerfen. Seliistverständlich iconnte es sich dabei
niciit danun lumdeln, eine vollständifre Besclireibunij: <lerselben zu liefern und demgemäU
auch auf «lie Teciinik des Betriebes im Einzelnen einzuziehen. Eine solche Behandlung
des StoH'es erscliien unttiunlicli, nicht sowolil, weil sie einen unverhältnißmäßig großen
Raum in Anspruch jjrenoninien haben würde, als vielnielir, weil jene Details schon in
zahheiclien Spezialahhandlunjjren eine einläLUiche Bearbeitunjj: gefunden haben. Somit
verblieb uns nur die Aufgrabe einer zusammenlassenden Darstellung der allgemeinen
Landwirth^chaft — 320 / — Landwiithscliaft
Grundlagen, der Ziele und Einrichtungen der schweizerischen Landwirthsdiafl mit be-
sonderer Berücksichtigung des volkswirlhschaftlichen Gesichtspunktes und der Beziehungen
des Landbau's zur gesammten Erwerbsthätigkeit. Dabei schwebte uns der Gedanke Tor,
die Erörterung so zu führen, da(i auch der diesem Gebiete sonst ferner stehende Leser
in den Stand gesetzt werde, eine klare Vorstellung von dem landwirthschaftlichen Be-
triebsleben des Landes und von den allgemeinen und großen Prinzipien zu gewinnen,
welche dasselbe durchwehen. Der Versuch hatte mit mancherlei Schwierigkeiten zu
kämpfen, weil es ihm, wie bereits mehrfach hervorgeheben wurde, an ausreichenden
Erhebungen über die thatsäclüichen Zustände gebrach. Wir sind uns daher der Lücken
und Mängel der Abhandlung wold bewußt. Wie immer aber auch das Ergebniß be-
trachtet werden möge, so erhoffen wir doch, bei dem Leser wenigstens den Eindruck
hervorgerufen zu haben, daß wir es uns angelegen sein ließen, die Wahrheit zu er-
forschen.
Am Schlüsse der Darstellung angelangt, erübrigt uns nur noch der Ausdruck des
Wunsches, daß sich einer späteren Neubearbeitung der Aufgabe ergiebigere Anknüpfungs-
darbieten, und daß die weiteren Forschungen auf diesem Grebiete in der Lage sein
möchten, nachhaltig steigende Erfolge hn Betriebe der schweizerischen Landwirthschafl
zu verzeiclmen.
HC Ht *
Staatliche Förderung der Landwirthschaft.
(Mitgetheilt, wie auch die folgenden Abschnitte, von Herrn Habegger auf dem
eidg. Landwirthschafks-Departement.)
In die staatliche Förderung der Landwirthschaft theilen sich der Bund und
die Kantone. Sie findet hauptsächlich statt durch das Mittel der Gesetzgebung, der
Subventionen und der Schulen.
A, Gesetzgebung. 1) Des Bundes: W^enn man von den Maßnahmen
des Bundes und den Vereinigungen mehrerer Kantone (Konkordate) gegen Vieh-
seuchen (siehe das Kapitel „Viehseuchen"*') absieht, so dürfte als erstes auf die
Landwirthschaft bezugnehmendes Gesetz das Bundesgesetz betreffend die Vornahme
einer schweizerischen Viehzählung ^ vom 18. Heumonat t865. zu betrachten sein.
Durch dasselbe wurde angeordnet, daß, im Jahre 1866 beginnend, jedes zehnte
Jahr eine allgemeine Viehzählung stattzufinden habe.
Am 22. Heumonat 1868 wurde der Bandesbeschluß betreffend die Hebung
der schweizerischen Pferdezucht erlassen, mit welchem ein Kredit bis auf
Fr. 60,000 bewilligt wird, um damit die Differenz zwischen Ankaufs- und
Verkaufskosten von zu importirenden englischen Halbblut-Zuchtpferden zu decken.
Am 23. Christraonat 1869 folgte das Bundesgesetz betreffend Erweiterung
der Forstschule des eidgenössischen Poli/technikums zu einer land- und forst-
wirthschafllichen Schule^ welches der Schweiz den höheren landwirthschaftlichen
Unterricht brachte.
Durch das Bundesgesetz betreffetid die Organisation des Handels- und
LandwirthschaftS'DepartementeSy vom 27. Brachmonat 1881, wurde in diesem
Departement eine besondere Sektion für Landwirthschaft gegründet. Dieses Gesetz
wurde durch das gleichnamige Bundesgesetz vom 21. April 1883 dahin abgeändert,
daß statt der „Sektion" (mit einem Adjunkten des Departementsseki-etärs an der
Spitze) eine besondere Abtheilung Landwirthschafl geschaffen wurde, mit einem
Abtheilungschef, einem Sekretär, einem Uebersctzer, einem Kegistrator und der
nöthigen Anzahl Kanzlisten.
Am 27. Jnni 1884 erließ die Bundesversammlung den Bundesbeschluß
betreffend die Förderung der Landwirthschaft durch den Bund. Da derselbe
das grundlegende Gesetz für die gegenwärtig zu Gunsten der Landwirthschaft
getroffenen und vorbereiteten Maßnahmen ist, lassen wir ihn in extenso folgen
(A. S. n. F. VII, pag. 605) :
Landwirthschaft — 320 ifc — Lamlwirthst'hafl
Bumlesbesckluß oam 27. Juni 1884 betreffend die Fördern f ig der Land-
wirthschaft durch den Bund,
Art. 1. Zur Förderung der Landwirthschaft wird der Bund die in nachfolgenden
Artikeln aufgeführten Maßnahmen trefTen und Ton den Kantonen oder landwirthschatl-
lichen Vereinen in's Leben gerufene Institutionen und Vorkehrungen unterstützen.
A. Landwirthschaftliches Unterrichtswesen und Verstichsanstalten. Art. 2. Der
Bundesrath ist ermächtigt, Sctiülern, welche sich als Landwirthschaftslebrer oder Kultur-
techniker ausbilden wollen, unter folgenden Bedingungen Stipendien bis zum Betrage
von je Fr. 400 per Jahr zu ertheilen: n. Dieselben müssen sich mindestens ein Jahr
mit praktischer Landwirthschaft I)efaßt haben, b. Die Kantone, denen sie angehören,
müssen ein Stipendium von demselben Betrage wie das eidgenössische gewähren, c. Die
Stipendiumgenössigen haben sich zu verpflichten, nach Ablauf ihrer Stipendienzeit
während sechs Jahren ihre Thätigkeit der schweizerischen Landwirthschaft zu widmen.
Wer ohne hinreichende, vom Bundesrathe zu würdigende Gründe dieser Ver-
pflichtung nicht nachkommt, ist gehalten, die genossenen Stipendien zurückzuerstatten.
— Der Bundesrath kann auch Reisestipendien für landwirthschaflliche Studien und
Untersuchungen ertheilen. — Er wird die besonderen Vorschriften betreffend die Aas-
richtung der in diesem Artikel überhaupt bezeichneten Stipendien erlassen.
Art. 3. Kantonen, welche theoretisch-praktische Ackerbauschulen und landwirth-
schaflliche Sommer- oder Winterkurse eingerichtet haben oder einzurichten gedenken
und dem Bundesrathe das bezügliche Scliulprogramm zur Genehmigung vorlegen, kann,
in der Voraussetzung, daß Schüler aus allen Kantonen unter den gleichen Bedingungen
Aufnahme in die Schule finden, eine regelmäßige jährliche Subvention verabfolgt werden.
— Unter Bedingungen, die der Bundesrath aufstellen wird, können auch solche Kantone
Unterstützungen erhalten, die landwirthschaftliche Wandervorträge und Spezialkurse
abhalten lassen.
Art. i. Der Bund kann je nach Bedürfniß die Errichtung und den Betrieb von
Milchversuchsstationen, Musterkäsereien, Obst- und Weinbau-Versuchsstationen, sowie
weitere landwirthschaflliche Unlersuchungsstationen Subvention iren. Der Bundesrath i>t
ermächtigt, mit den Kantonen, welche solche Stationen errichten wollen, in Unter-
handlungen zu treten, und wird, falls dieselben einen befriedigenden Al)schluß finden,
die zu einer Betheiligung des Bundes an der Gmndung und dem Betrieb der erwähnten
Anstalten erforderlichen Summen anläßlich der Budgetvorlage verlangen.
B. Fiprderung der Thierzucht. Art. 5. In das eidgenössische Budget wird all-
jährlich ein Posten zur Hebung und Verbesserung der Hindviehzucht von mindestens
Fr. 1<M),0(K) aufgenommen werden. Derselbe soll hauptsächlich zur Förderung einer ge-
ordneten Zuchtstierhaltung in den Kantonen, ausnahmsweise auch zur Unterstützung
einer schweizerischen Betheiligung an ausländischen Hindviehausstellungen verwendet
werden. Der Bundesrath wird die Bedingungen feststellen, unter denen die Unter-
stützungen aus dem genannten Kredite verabfolgt werden.
Art. 6. In das eidgenössische Budget wird alljährlich ein Posten von mindestens
Fr. t»0,()<K) zur Hebung und Verbesserung der Pferdezucht aufgenommen werden. Der-
selbe soll folgende Verwendung finden: a. zum Ankaufe von fremden und allfällig in
der Schweiz gefallenen Zuchthengsten, wenn letztere nachweisbar in Abstammung und
Qualität resp. Race den importirten nicht nachstehen ; b. zur Prämirung von Stutfohlen
und von Zuchtsluten, deren Abkunft von mit Bundessubvention unterstützten Zucht-
hengsten nachgewiesen wird : c. zur Erhöhung von Prämien, welche an den von Kan-
tonen oder Pferdezuchtvereinen angeordneten Pferde-Ausstellungen zur Vertheilung
kommen; d. zur Unterstützung solcher Pferdezuchtvereine, Genossenschaften oder Kan-
tone, welche passende Fohlonweiden besitzen.
[)i'V Hun«lesrath wird die Bedingungen feststellen, unter denen die Unterstützungen
aus obigem Kredite verabfolgt werden.
C. Verhi'sscruny dts Bodens. Art. 7. Der Bundesrath ist ermächtigt, Unter-
nelniiung(ui, welche eine Verbesserung des Hodens oder die Erleichterung seiner Be-
nutzung zum Zwecke haben, unter folgenden Hedin^'ungen zu unterstützen: a. Unter-
stützungsbegehren müssen stets vor Inangrilfnahme der Arbeiten mit den nöthigen
Angaben über die BeschalTcidieit und Wichtigkeit, über die Kosten der auszuführenden
.Arbeiten, sowie mit den technischen Vorla^'en versehen, von der Kantonsregierung dem
Hinulesratli ein;rereicht werden, b. Der Beitrag des Kantons oder der Gemeinde oder
der Korporation niuli iiiiiulestens eben so hoch sein, als der des Bundes, welcher 40 " o
«ler (iesimnitko-iten (exklusive riiterhaltungskosteni nichl uliersteigen darf. c. Es muß
Landwirthschafl — 320 / — Landwirthschaft
die kantonale Verwaltung' in jedem einzelnen Falle die bestimmte Verpflichtung über-
nehmen, die ausgeführten Verbesserungsarbeiten gut zu unterhalten ; doch steht der-
selben der Rückgriff auf die betheiligten Gemeinden, Korporationen oder Privaten zu.
d. Die Ausbezahlung des Bundesbeitrages erfolgt in der Regel, nachdem die Arbeiten
ausgeführt und von der Oberaufsichtsbehörde untersucht worden sind.
Art. 8. Der Bundesrath setzt alljährlich die Beiträge an die Kantone nach Mai^
gäbe der im eidg. Budget bewilligten Summen fest.
Art. 9. Der Bundesrath kann das zur Prüfung der Unterstützungsbegehren und
zur Ausübung der Oberaufsicht erforderliche technische Personal je nach Bedürfhiß
beiziehen.
D. Maßnahwien gegen Schäden, welche die landwirthsdiaftliche Produktton be-
drohen. Art. 10. Der Bundesrath ist ermächtigt, eine gehörige Ueberwachung der Wein-
berge, sowie die erforderlichen Schutzmaßregeln gegen die Verbreitung der Reblaus
und anderer Schädlinge anzuordnen, die Einfuhr, Zirkulation und Ausfuhr von Pflanzen,
Stoffen und Produkten, welche Träger der Reblaus oder eines analeren die Landwirth-
schaft bedrohenden Schädlings sein können, zu verbieten und Strafbestimmungen auf-
zustellen, welche für Uebertretungen dieses Verbotes Bußen bis zum Betrage von 1000
Franken vorsehen. — Der Bund kann denjenigen Kantonen, welche zur Bekämpfung
von Schädlingen und Krankheiten der landwirthschaftlichen Kulturen Maßregeln ergreifen,
Unterstützungen bis zum Betrage von 40% der von ihnen geraachten Ausgaben zu-
kommen lassen. - - Die zur Ausrichtung dieser Entschädigungen erforderlichen Summen
sollen alljährlich auf dem Budgetwege verlangt werden. — Der Bundesrath wird die
Bedingungen feststellen, unter denen Entschädigungen beansprucht werden können.
E, Landirirthschaftliche Vereine und Genossenschaften. Art. 11. Dem schweize-
rischen alpwirthschafUichen Verein können alljährlich Subventionen bewilligt werden,
und zwar namentlich folgende : a. für die Erhaltung und Weiterentwicklung der Milch-
versuchsstation: b. für Prämirung ausgezeichneter Alpwirthschaflen : c. für alpwirth-
schaflliche Wandervorträge und Käsereikurse.
Art. 12. Den schweizerischen landwirthschaftlichen Hauptvereinen, beziehungswei^je
Genossenschaften können alljährlich Subventionen bewilligt werden, und zwar namentlch
folgende: a. für die Abhaltung von Wandervorträgen und Spezialkursen ; b. für Er-
stellung und Verbreitung landwirthschaftlicher Fachschriften; c. für Förderung des
Pflanzenbaues und Hebung der Klein Viehzucht.
Art. 13. Für diese und andere Zwecke können den landwirthscliafllichen Vereinen,
beziehungsweise Genossenschaffen die Subventionen unter folgenden Bedingungen be-
willigt werden: 1) Die gehörig zu motivirenden Subventionsbegehren müssen, um in
dem Budget eines Jahres Berücksichtigung finden zu können, vor dem 15. August des
vorhergehenden Jahres eingereicht sein. 2) Den Begehren muß ein genaues Programm
beigegeben werden, aus welchem in klarer Weise die Natur des Unternehmens, für das
eine Subvention verlangt wird, der Voranschlag der Gesammtkosten der Durchführung
desselben und die Art und Weise der Verwendung der Subvention entnommen werden
können. 3) Die Bundesbeiträge dürfen nicht zur Erzielung eines Privatnutzens dienen.
4) Die Ausbezahlung der Subvention erfolgt nur gegen Vorweis der Rechnungsbelej^e
und Erstattung eines Berichts über das Unternehmen.
Art. 14. Für Unternehmen, die nur durch da«« Mitwirken kantonaler Behörden in
zweckentsprechender, gedeihlicher Weise durchzuführen sind, soll die Subsidie den
betreffenden Kantonen ausgehändigt werden. - Der Bundesrath wird dafür sorgen,
daß bei der Verwendung der den landwirthschaftlichen Vereinen gewährten Subventionen
der landwirtbschaffliche Kleinbetrieb besondere Berücksichtigung finde.
Art. 15. Den landwirthschaftlichen Hauptvereinen kann der Bundesrath für Arbeiten,
welche sie in seinem Auttrage ausgeführt haben, besondere Entschädigungen gewähren.
I^\ Anderweitige Förderung der Landwirthschaft. Art. 16. Der Bund unterstützt
allgemeine landwirtlischaftliche Ausstellungen, welche nicht nfler als von vier zu vier
Jahren abwechselnd in der östlichen, mittleren und westlichen Schweiz stattfinden
sollen. — Die Unterstützung' des Bundes darf nur zu Prämien verwendet werden. Das
Ausstellungsprogramm, die Wahl der Jury, sowie das Juryregiement unterliegen der
Genehmigung des Bundesrathes. Die Organisation der Aussteilungen ist Sache der land-
wirthschaftlichen Vereine und der Kantone. — Für allgemein schweizerische oder inter-
kantonale Spezialausstellungen können ausnahmsweise ebenfalls Suhventir>nen bewilli^^t
werden, vorausgesetzt, daß dieselben nicht in einem Jahre abgehalten werden, in welchem
eine allgemeine landwirthschaftliche Ausstellung stattündet.
Landwirthschaft — 320^1 — Landwirthschaft
Art. 17. DerJBundesrath wird für den weiteren Ausbau der landwirtbschaftlichen
Statistik die geeigneten Maßnahmen treffen. Ueber die Natur und den Umfang der zu
machenden Ernebungen, sowie über die Kosten derselben, wird er jeweilen besondere
Vorlagen einbringen.
G, Allgemeine und Schlußbestimmungen. Art. 18. Der Bundesrath wird darüber
wachen, daß die Opfer des Bundes nicht eine Verminderung der bisherigen Leistungen
der Kantone und landwirthschafUichen Vereine zu Gunsten der Landwirthschaft zur
Folge haben, sondern ausschließlich dazu dienen, die in gegenwärtigem Beschlüsse
namhaft gemachten Institutionen und Maßregeln zu f5rdern und zu vervollkommnen.
Art. 19. Die Bundesbeschlüsse vom 15. Juni 1877 (Amtl. Samml. III, 102) und
21. Februar 1878 (III, 337), betreffend Maßregeln gegen die Reblaus, sowie der Bundes-
beschluß vom 28. Juni 1881 (V, 437), betreffend die Verwendung des Pferdezuchtkredites,
sind aufgehoben.
Li Ausführung dieses Bundesbeschlusses wurde am 20. März 1885 vom
Bundesrath eine Volleiehunffsverordnung erlassen, welche das landwirthschaftliche
Unterrichtswesen, die Verbesserung des Bodens und die landwirthschaftlichen
Vereine und Genossenschaften beschlägt (s. Seite 277/280 im I. Band). Am
23. März 1887 folgte die Verordnung betreffend die Hebung der Pferdezucht
durch den Band, Der Wortlaut derselben ist unter dem Kapitel „Pferdezucht"
mitgetheilt.
Die Maßnahmen zu Gunsten der Rindviehzucht werden alljährlich durch ein
Kreisschreiben des schweizerischen Landwirthschafts-Departementes den Kantonen
mitgetheilt, bis eine Uebereinstimmung in den bezüglichen Anschauungen so weit
erzielt sein wird, um ebenfalls eine eidgenössische Verordnung erlassen zu können
(vide „Viehzucht**).
Unter den legislatorischen Maßnahmen muß endlich noch erwähnt werden
die Internationale Phylloxera-Uebereinkunfl vom 3. November 1881 zwischen
den Yertragsstaaten Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, den Nieder-
landen, Oesterreich-Ungarn, Portugal, der Schweiz, Serbien und Italien, zu welcher
das YolUichungsreglement betreffend Vorkehrungen gegen die Reblaus ^ vom
29. Januar 1886, erlassen wurde (vide „Reblaus**).
2) Der Kantone: Gesetzliche Bestimmungen betreffend die Flurpolizei
bestehen in den Kantonen Zürich, Bern, Luzern, Freiburg, Solothurn, Baselstadt,
Schaff hausen. Appenzell A.-Rh., St. Gallen, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt,
' Wallis, Neuenburg und Genf.
Gesetze und Verordnungen zur Hebung der Viehzucht sind von sämmt-
lichen Kantonen erlassen worden, mit Ausnahme von Zug, Baselstadt und Appen-
zell I..Rh.
Anderweitige, die Förderung der Landwirthschaft im Allge-
meinen betreffende F.rlasse haben die Kantone Zürich, Bern, Luzern, Zug,
Solothurn, Baselstadt, Basellandschaft, Schaffhausen, St. Gallen, Aargau, Tessio,
Waadt, Wallis, Neuenburg und Genf.
B. Subventionen. 1) Des Bundes Wie aus beiliegender Tabelle er-
sichtlich, hat der Bund von 1848 bis Ende 1887 zu Gunsten der Landwirthschaft
etwas über 2^2 Millionen Franken ausgeworfen. Während bis 1860 nur Aus-
stellungen bedacht wurden, kam von diesem Jahre an ein landwirthschaftlicher
Zweig um den andern an die Reihe.
'2) Der Kantone; Pro 1888 haben die Kantone insgesammt rund Fr. 570,000
Subventionen für die Landwirthschaft budgetirt, und zwar: Aargau 56,000,
Appenzell A.-Rh. 5600, Appenzell I.-Rh. ?, Baselland 8300, Baselstadt nichts,
Bern 99,800, Freiburg 42,400, Genf 13,400, Glarus 5700, Graubünden 26,000,
Tabelle I ad Seite 320 m des Volks wirthschafts-Lexikons der Schweiz.
Tl
i
Bezeichnung
1860
1861
1. Autttellungen, landwirthschaftliche (1851/59: Fr. 134,564) . . .
a. Im Inlande (1855/59: Fr. 68,000)
6. Im Auslande (1851/59: Fr. 66,564)
2. Viehseuchenpolizei
a. Verschiedenes
b, Entschädigungen an Kantone für Maßnahmen gegen Rinder-
pest, Lungenseuche etc
c. Impirersuche (Rauschbrand, Rothlauf etc.)
d, Thierärztliche Untersuchungen an der Grenze
Fr.
5,100
5,100
Fr.
20,00t
90,00(
J
J
r
T»'^
)84
1885
1886
1887
Total
1888
1889
1890
Fr.
Fr.
Fr.
Fr.
Fr.
Fr.
Fr.
Fr. '
—
—
15,600
1
..-
16,700
—
—
48,500
■
»,474
30,228
31,331
25,540
349,879
•
9,776
1,687
14,033
7,359
10,490
46,095
—
505
1,500
3,500
5,505
—
5,638
4,873
10,511
161
44,766
45,828
"44,403
502,566
,716
189,577 259,239
509,253
r 023,763
•
,877
284,848
805,067
558,656
2526,329
iscbaftliche Ausstellung in Luzem (Fr. 92,000).
„ Zürich (Fr. 89,017).
„ Neuenburg (Fr. 115,740).
landen meistens in landwirthschaftlichen Ausstellungen.
Landwirtbschaft — 320 n — Landwirthschaft
Luzern 32,500, Neuenbürg 21,500, Nidwaiden 1800, Obwalden 3000, St. Gallen
62,000, Scbaffhansen 5800, Schwyz 8300, Solothurn 11,800, Tessin 10,000,
Thurgan 30,200, üri 2600, Waadt 48,500, Wallis 14,400, Ztirich 58,500,
Zug ?.
In diesen Beträgen sind die Ausgaben für Forstwesen, Wildbacb verbauungen
u. 8. w., sowie die Bundesbeiträge an die Kantone, nicht inbegriffen.
Addirt mau zu den Fr. 570,000 der Kantone noch die vom Bunde pro 1888
für die Landwirthschaft budgetirten Fr. 631,000, so ergibt sich eine gesammte
staatliche iinanzielle Unterstützung der Landwirthschaft von Fr. 1 '200,000.
C. Schulen: Zu den bereits genannten landwirthschaftliohen Lehranstalten
(s. I. Band, Seite 275) sind seit dem Jahre 1885 unter dem Einflüsse des Bundes-
beschlusses betreffend die Förderung der Landwirthschaft durch den Bund, vom
27. Juni 1884, die folgenden Anstalten bis 1888 neu hinzugekommen:
1) Zu den theoretisch-praktischen Ackerbauschulen:
Die landwirthschaftliche Schule des Kantons Neuenburg in Cernier. Die
Schule, welche Ende des Jahres 1884 von zwölf Gemeinden des Yal-de-Ruz
gegründet wurde, ist im Jahre 1887 in eine kantonale Anstalt umgewandelt
worden. Sie wurde im genannten Jahre von 28 Schülern besucht, welche Zahl
zugleich das Maximum darstellt, bis zu welchem Aufnahmen in die Anstalt statt-
finden. Der Bund verabfolgt an die Kosten der Schule einen jährlichen Beitrag
von der Hälfte der Auslagen, welche für Lehrkräfte und Lehrmittel gemacht
werden.
2) Zu den theoretischen landwirthschaft liehen Schulen:
a. Die landwirthschaftliche Winterschule des Kantons Luzern in Sursee. Sie
wurde im Jahre 1885 eröffnet. Konviktsystem. Frequenz im Winter 1887/88
42 Schüler.
6. Die landwirthschaftliche Winterschule des Kantons Zug in Zug. Ebenfalls
im Jahre 1885 eröffnet, ohne Konvikt, wurde die Anstalt wegen wenig
zahlreichen Besuchs aus dem Kanton im Jahre 1887 aufgehoben.
c. Die landwirthschaftliche Winterschule des Kantons Aargau in Brugg.
Konviktsystem. Die Schule zählte im ersten Jahre ihres Bestehens (1887)
18 Schüler.
Alle diese Winterschulen sind zweikursig, d. h. der Unterricht vertheilt
sich auf zwei Wintersemester. Auch die Winterschule des Kantons Waadt in
Lausanne (s. L Band, Seite 276) ist seit dem Jahre 1887 eine zweikursige Schule.
An die Kosten der seit dem Jahre 1885 entstandenen Winterschulen wurden
bis zum Jahre 1888 Bundesbeiträge in der Höhe eines Dritttheils der für Lehr-
kräfte und Lehrmittel gemachten Auslagen gewährt. Seit 1888 betragen die
Bundesbeiträge die Hälfte dieser Auslagen.
3) Molkereischulen:
a. Molkereischule des Kantons St. Gallen in Sornthal.
b. Molkereischule des Kautons Bern auf der Rütti bei Zollikofen.
Die erste dieser Schulen ist im Jahre 1886, die zweite im Jahre 1887
eröffnet worden. An beiden Schulen bestehen halbjährige Kurse, in welchen an-
gehenden Käsern und Käserei-Literessenten theoretischer und praktischer Unter-
richt im Molkereiwesen ertheilt wird.
Die Einrichtung einer Molkereischule des Kantons Freiburg in Treyvaux
ist in Aussicht genommen.
Landwirthschaft — 320 o — Landwirthschaft
Diese Anstalten werden vom Bunde in gleicher Weise snbventionirt wie
die landwii*thschaftiichen Winterschulen.
4) An dieser Stelle ist auch die Errichtung einer Gartenbauschale in
Genf zu erwähnen, welches Institut im Jahre 1887 aus Privatinitiative hervor-
gegangen ist und von Direktor E. Vaucher in Genf geleitet wird. Das Schul-
programm sieht theoretischen und praktischen Unterricht vor, welcher sich über
zwei Jahreskurse erstreckt. Die Anstalt steht unter der Aufsicht des Kantons
Genf und wird von den Kantonen Freiburg, Waadt, Wallis, Neuenburg und Genf
mit jährlichen Beiträgen unterstützt. Der Bund tibernimmt die Hälfte der für
Lehrkräfte und Lehrmittel gemachten Auslagen.
5) Die landwirthscha^tliche Abtheilung des eidgenössischen
Polytechnikums in ZUrich hat durch den Bundesbeschluß vom 25. Juni
1886 eine Erweiterung erfahren. Zufolge diesem Beschlüsse werden am Poly-
technikum Spezialkurse für die Bildung von Kulturtechnikern und von Land-
wirthschaftslehrern eingerichtet. Zu diesem Zwecke, sowie zum Betriebe eines
Versuchsfeldes für Obstbaumzucht und für Rebbau, in Verbindung mit der ge-
nannten Abtheilung, ist das jeweilige Jahresbudget der polytechnischen Schule
um den Betrag von jährlich Fr. 17,000 erhöht worden.
Landwirthschaft liehe Vereine.
Der älteste Verein zur Förderung der Landwirthschaft in der Schweiz ist
die ^Oekonomische Gesellschaft des Kantons Bern**, gegründet im
Jahre 1759. Es ist ihr in diesem Lexikon ein besonderes Kapitel gewidmet.
Gegen Ende des vorigen und gegen Anfang und Mitte dieses Jahrhunderts ent-
standen sodann in der deutschen Schweiz landwirthschaftliche Kantonalvereine in
den Kantonen Zürich, Solothurn, Aargau, Thurgau, Basellandschaft, St. Gtillen,
Graubünden, Luzern u. s. w.
Unterm 9. Oktober 1856 wurden auf Anregung von Aargau hin die be-
stehenden Kantonalvereine vereinigt unter dem Namen „Verein schweize-
rischer Landwirthe". Die Zahl der Mitglieder betrug 128 aus den Kantonen
Zürich, Bern, Luzern, Uri, ünterwalden, Zug, Glarus, Freiburg, Basellandschaft,
Schaff hauien, Thurgau, Aargau und Graubünden. Ende des Jahres 1858 zählte
der Verein eine Mitgliedschaft von ca. 800 Landwirthen aus nahezu sämmtlichen
Kantonen.
Im Jahre 1858 (9. Juli) erfolgte ferner die Gründung eines sog. „Land-
wirthschaft liehen Bundes, welcher den Zweck hatte, die bestehenden
Kantonal vereine zu einem schweizerischen Zentral verein zu sammeln. Diesem
Bunde schlössen sich damals die kantonalen landwirthschaftlichen Vereine von
Zürich, Thurgau und St. Gallen an; später auch die Oekonomische Gesellschaft
von Bern. Die angestrebte Vereinigung mit dem „Verein schweizerischer Land-
wirthe" kam nicht zu Stande.
Infolge Revision der Statuten im Juni 1859 wurde die Benennung „Land-
wirthschaftlicher Bund** aufgehoben und dem Verein der Name „ Schweize-
rischer landwirthsc haftlich er Zentralverein** beigelegt.
Am 2. November 1863 kam sodann eine Vereinigung des „Vereins schwei-
zerischer Landwirthe" mit dem „Schweizerischen landwirthschaftlichen Zentral-
verein unter dem Namen „Schweizerischer landwirthschaftlicher
Verein" zu Stande. Diesem waren beigetreten 14 Kantonal vereine, nämlich:
Zürich, Bern, Luzern, Schwyz, ünterwalden, Glarus, Zug, Solothurn, Sohaffhausen,
Aargau, Thurgau, St. Gallen, Graubündeu und Basellandschaft. Im Jahre 1864
Landwirtbschaft — 320 j9 ---- Landwirthschaft
erfolgte der Eintritt der beiden Fachvereine ^Scbweizerischer alpwirthschaftlicher
Verein *" (gegründet am 25. Januar 1863) und „ Schweizerischer Obst- and Wein-
banvereiu** (gegründet im Jahre 1864). Später traten noch ein die Aarganische
Weinbaugesellschaft mit mit 325 Mitgliedern (1882), die Aarg^auische Tabakbau-
gesellschaft mit 105 M. (1882), der Obwaldner Bauemverein mit 120 M. (1882),
der Schweizerische Bienenzüchterverein mit 483 M., die Landwirthschaftiiche
Gesellschaft des Kantons Üri mit 150 M. (1884), der Bauernverein von Nid-
walden mit 61 M. (1885) und im Jahre 1887 der Schweizerische milchwirth-
schaftliche Verein mit 742 M.
Am Schluß des Jahres 1887 zählte der Schweizerische landwirthschaftiiche
Verein 17 Kantonal- und 6 Fachvereine mit einer Mitgliederzahl von 12,013,
und zwar:
1) Kautonalvereine: Kantonaler Verein Zürich mit 1600 Mitgliedern,
Oekonomische Gesellschaft des Kantons Bern mit 2360 M., Bauernverein des
Kantons Luzem mit 742 M., Uri mit 400 M., Schwyz mit 50 M., Obwalden
mit 340 M., Nidwaiden mit 67 M., Kantonaler Verein Glarus mit 30 M., Zug
mit 100 M., Solothurn mit 845 M., Basellandschaft mit 777 M., Schaff hausen
mit 48 M., Appenzell mit 230 M., St. Gallen mit 600 M., Graubünden mit
60 M., Aargau mit 890 M., Thurgau mit 656; Total Mitgliederzahl 9795.
2) Fachvereine: Schweiz, alpwirthschaftlicher Verein mit 109 M.,
Schweiz. Obst- und Weinbau verein mit 330 M., Schweiz. Bienenzüchterverein
mit 630 M., Aargauische Weinbaugesellschaft mit 320 M., Aargauische Tabak-
baugesellschaft mit 87 M., Schweiz, milch wirthschaftlicher Verein mit 742 M. ;
Total Mitgliederzahl 2218.
Im Jahre 1881 wurde von Zürich aus die Gründung eines auf direkter
Mitgliedschaft beruhenden Paralell Vereins des Schweiz, landwirthschnftlichen
Vereins angeregt. Am 3. Februar 1882 kam es zu einer konstituirenden Ver-
sammlung, wobei 37 Landwirthe durch Namensunterschrift ihren Beitritt zu der
Gesellschaft schweizerischer Landwirthe erklärten. Bis Ende 1887
ii>t die Mitgliederzahl dieser Gesellschaft auf 184 angestiegen.
Wie in der deutschen Schweiz, so bestanden auch in den romanischen
Kantonen kleinere landwirthschaftiiche Vereinigungen. Der einzige landwirth-
schaftiiche Verein, welcher seine Thätigkeit über die ganze romanische Schweiz
ausdehnte, war die ^Societe d'agriculture de la Suisse romande*". Dieselbe wurde
seit dem Jahre 1860 bis zum Jahre 1882 mit Bundesbeiträgen bedacht. Eine
Reorganisation dieses Vereins fand statt am 21. Juli / 6. Dezember 1881. Es
umfaßte derselbe nunmehr im Jahre 1882 unter dem Namen ^Fediration des
Hocietes d'agriculture de la Suisse romande^ die landwirthschaftlichen Vereine
der Kantone Freiburg, Waadt, Wallis, Neuenburg, Genf und des beniischen Jura
mit einer Mitgliederzahl von 4 — 5000. Ende des Jahres 1887 gehörten der
„Federation" 33 Sektionen mit zusammen 8107 M. an.
In der italienischen Schweiz resp. im Tessin bestehen landwirthschaft-
iiche Vereine seit dem Jahre 1861, In diesem Jahre wurde ein Gesetz (28. No-
vember) erlassen, das den Kanton in neun landwirthschaftiiche Vereinsbezirke
eintheilt und jedem Verein auf eingereichten Bericht hin einen Jahresbeitrag von
Fr. 100, Total Fr. 900, zusichert. Diese neun Sektionen wurden alsdann successive
gegründet und im Jahre 1868 waren alle neun Vereine in Thätigkeit, ohne jedoch
einen zentralen Verband zu haben. Im Februar 1885 wurde der bis dahin be-
standene „Consiglio di Agricoltura", welcher dem kantonalen Landwirthschafts-
Departement beigegeben war und von diesem im Bedürfnißfalle einberufen wurde
Landwirthschaft — 320 ^ — LandwirUischaft
aufgehoben und ein kantonaler landwirthschaftlicher Verein gegründet, ans den
bereits bestehenden nenn Sektionen, welche je einen Abgeordneten in den kanto-
nalen Vorstand entsenden. Der kantonale Vorstand des landwirthschaftlichen
Vereins besteht demnach aus neun Mitgliedern und einem Sekretär. Die Mitglieder-
zahl der Vereine war anfänglich sehr klein, weil man den Zweck der landwirth-
schaftlichen Vereine nicht kannte und namentlich, weil diese durch die politischen
Vereine in den Hintergrund gedrängt wurden. Am 31. Dezember 1887 war
der Mitgliederbestand der tessinischen landwirthschaftlichen Vereine folgender:
1) Circondario Mendrisio 222 Mitglieder, 2) C. Lugano 161 M., 3) C Malcantone
(Agno Breno) 96 M., 4) C. Locarno 230 M., 5) C. Vallemaggia 118 M.,
6) C. Bellinzona 42 M , 7) C. Biviera (Biasca, Giornico) 274 M., 8) C. Leven-
tina 283 M., 9) C. Blenio 238 M.; Total der tessinischen Mitglieder 1664.
Hiezu kommen noch 11 Ehren- und 20 ausländische Mitglieder. Außer den
Bundesbeiträgen bezieht dieser kantonale landwirthschaftliohe Verband „Societä
cantonale di agricoltura e selvicoltura** vom Kanton Tessin eine jährliche Unter-
stützung von Fr. iiOOO, aus welcher Snmme das Vereinsorgan „ I/agricoltore
ticinese** mit 1700 Abonnenten bezahlt und die übrigen Vereinsauslagen bestritten
werden. Das Vereinsorgan, welches jedem Mitglied gratis zugestellt wird, kostet
ca. Fr. 2200.
Von den bereits erwähnten Vereinen sind als „Hauptvereine" im Sinne von
Art. 16 der Vollziehungsverordnung zum Bundesbeschlnß betreffend die Förderung
der Landwirthschaft durch den Bund, vom 20. März 1885, ') anerkannt worden :
der p Schweizerische landwirthschaftliche Verein**, die „F^diration des soci^tes
d^agriculture de la Suisse romande" und die „Societa cantonale di agricoltura e
selvicoltura**.
Ein weiterer landwirthschaftlicher Hauptverein ist der am 20. April 1885
auf Anregung der „Society d'horticulture du canton de Vaud" gegründete
„Schweizerische Gartenbauverein'*. Derselbe zählte Ende 1887 2010
Mitglieder. Er theilt sich in eine deutsche und eine romanische Sektion, welche
aus folgenden Vereinen gebildet werden :
1) Verband deutsch -schweizerischer Garten bau vereine: Zürich, Flora mit
105 Mitgliedern, Zürich, Gemiisebauverein mit 17 M., Bern, Kanton mit 70 M.,
Bern, Stadt mit 27 M., Solothurn mit 94 M., Aargau mit 75 M., Schaffhausen
mit 32 M., Winterthur mit 16 M., Korschach mit 34 M., Luzem und Urkantone
mit 53 M., Basel mit 52 M. ; Total 575 M.
2) FMeration des societes horticoles de la Suisse romande : Soci^te d^horti-
culture vaudoise mit 3G1 M., Soci6t6 d'horticulture helvetique de Q^neve mit
425 M., Society d'horticulture de Geneve mit 375 M., Societe d'horticulture de
Fribourg mit 80 M., Societe d'horticulture Chaux-de-Fonds mit 73 M., Societe
d'horticulture de Neuchatel et du vignoble mit 61 M., Societe d'horticulture du
Val de Travers mit 60 M.; Total 1435 M.
Landwirthschaftliche Presse.
23 Organe: 16 deutsche, 7 französische, 1 italienisches.
Landwirthschaft liches Versicherungswesen
siehe ., Versicherungswesen ** .
* Art. 16. Das schweizerische Landwirthschafts-Departement bezeichnet, unter
Vorbehalt detinitiven Entscheides durch den Bundesrath, diejenigen Verbindungen, welche
als Hauptvereine zu betrachten sind. Es wird dabei die Sprachverschiedenbeit, die Ziele
und den Umfang der Wirksamkeit der betreffenden Verbindungen berücksichtigen. (Siehe
Amtliche Sammlung, Band VllI, Seite 47, Kap. III C. Landwirthschaftliche Vereine und
Genossenschaften .)
Lanjmau-Burgdorf — 321 — Lausanne-Echallens
Langiiau-Burgdorf s. Emmenthalbahn.
Langstichätickerei. Stickerei mit offenem, nicht gezwirntem Garn, meist
in Form von Vorhängen mit großen Blumen u. dgl. Dieselbe kam in St. Gallen
in den 30er Jahren in Aufnahme, gelangte aber ihrer etwas plumpen Wirkung
halber nie zu großer Bedeutung.
Langstielerin, eine Wirthschaftsbime ersten Ranges, auch Eheinthaler-,
Friesli-, Friesi- oder Griesi-, Pfynerbirne, in den Kantonen Zürich und Aargau
„Chriesibirne" genannt, kommt beinahe in allen obstbautreibenden Gegenden der
Schweiz vor, am häufigsten wohl im st. gallischen Rheinthal und im Kanton
Thurgau. Sie soll Mitte vorigen Jahrhunderts im Rheinthal gezogen worden sein
und von da auch den Weg in die Staaten jenseits des Rheins und Bodensees
gefunden haben. Der Baum ist hinsichtlich der Lage, Bodenart und des Klimas
gar nicht wählerisch, daher seine große Verbreitung. An südlichen Abhängen
gedeiht er vortrelTlich bis zu 690 m ü. M. Derselbe erreicht ein Alter von
1(50 — 180 Jahren; wenn er gut gepflegt wird, trägt er besonders im hohem
Alter reichlich und fast alljährlich. 100 — 110 Sester sind sein höclister Ertrag.
(„Schweizerische Obstsorten", Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhom in
St. Gallen.)
La Plaine-Genf (Eisenbahnstrecke) s. Paris -Lyon -M^diterranee.
Lasca (früh-blauer Wälscher), eine aus Steiermark stammende blaue Trauben-
sorte, die in den letzten Dezennien auch in der Schweiz hie und da versuchsweise
gebaut worden ist. Sie ist überaus fruchtbar, das Holz leidet jedoch leicht im
Winter. Li ganz frühen Lagen reift sie früher als der schwarze Burgunder,
in späten Lagen bleibt sie in der Reife hinter demselben zurück. Die Trauben
haben einen gewissen Grasgeschmack und der Wein erreicht bei weitem nicht
die Güte de« Burgunders. Kr.
Lausanne-Bern (Eisenbahnstrecke) s. Suisse Occidentale.
Lausanne-Echallens. Die Eisenbahn von Lausanne nach Echallens ist
das Unternehmen einer Aktiengesellschaft, deren Verwaltuugssitz in Lausanne ist.
Der Betrieb wurde wie folgt eröffnet: Am 5. November 1873 die Strecke
Lausanne-Cheseaux (7509 m) und am 2. Juni 1874 die Strecke Cheseaux-
Echallens (6857 m). Nächster
Rückkau fster min für den Bund: 2. Juni 1904.
Bahnlänge Ende 1885 : Bauliche Länge 14,366 m, Betriebslänge 14,218 m
oder rund 15 km.
Bauliche Verhältnisse: Bauliche Länge mit einem Hauptgeleise
14,031 m, mit zwei Hauptgeleisen (in Stationen) 335 m. Auf 1000 m Bahn
entfallen durchschnittlich 1124 m Geleise. Von der ganzen Bahnlänge liegen
10,817 m auf der öffentlichen Landstraße, 1746 m auf Dämmen und 1798 m
in Einschnitten eigener Anlage und 5 m auf Brücken, wobei Durchlässe unter
2 ra Oeffnung nicht gerechnet sind. Von der Betriebslänge liegen 935 m in der
Horizontalen, 13,283 m in Steigungen bis zu 40 ^/oo, 9594 m in der Geraden
und 4624 m in Kurven bis 100 m Minimalradius. Mittlere Steigung der ganzen
Bahn 15,03 ®/oo; mittlerer Krümmuugf^halbmesser für die ganze Bahn 846 m.
Stationen 8, wovon die wichtigsten Lausanne und Echallens.
Rollmaterial Ende 1 885 : 3 Lokomotiven von durchschnittlich 70 Pferde-
kräften und einem Leergewicht von 77« t per Maschine, 14 Personenwagen
(zweiachsig:) mit 286 Plätzen und 24 Güterwagen mit 114 t Tragkraft. Betriebs-
personal im Jahre 1885: Im Ganzen 24 Mann oder 1,6 per Bahnkil.
BetriebHcrgebnisse im Jahre 1885: Mit durchschnittlich 8,52 täglichen
Furrer, Volkswirthschafta-Lexlkon der Schweiz. ^\
Lausanne-Echallens — 322 — Lausanne-Ouchy
Zügen a 7,40 Wagenachaen wurden befördert 86,954 Reisende und 2996 t
Güter im ganzen Jahre. Die Reisenden haben im Ganzen 758,327 km, die Güter
40,591 Tonnenkil. zurückgelegt. Auf die ganze Bahnlänge bezogen, repräsentiren
diese Zahlen einen spezifischen Verkehr von 50,555 Reisenden und 2706 t
Gütern.
Betriebseinnahmen: Für Reisende Fr. 53,458, für Güter Pr, 15,637,
für Verschiedenes Fr. 1028, im Ganzen Fr. 70,123, per Balinkil. Fr. 4675.
Betriebsausgaben: Reine Betriebskosten Fr. 46,054, verschiedene Aus-
gaben Fr. 1587, im Ganzen Fr. 47,641, per Bahnkil. Fr. 3176 (67,94 7o der
Einnahmen).
Gewinn- und Verlustrechnung pro 1885: üeberschuß der Betriebs-
einnahmen Fr. 22,482, Ertrag von Kapitalien Fr. 529, aus sonstigen Quellen
Fr. 1610, zusammen Fr. 24,621. Davon gehen ab: Konto-Korrent-Zinse und
Provisionen etc. Fr. 496, Einlage in den Erneuerungsfond Fr. 1825. Somit
bleibt ein Reinertrag von Fr. 22,300 (1,75 ^o vom Anlagekapital), wovon
Fr. 19,500 zur Verzinsung des 3 ^o Anleihens und Fr. 2800 zur Deckung
früherer Defizite verwendet wurden.
Bilanz per 31. Dezember 1885: Baukonto Fr. 1'202,888, zu amortisirende
Verwendungen Fr. 30,358, verfügbare Mittel Fr. 42,693, Passivsaldo der Ge-
winn- und Verlustrechnuug Fr. 19,653, zusammen Aktiven Fr. l'295,r)92 ;
Aktien Fr. 621,500, konsolidirtes Anleihen (3 7o) Fr. 650,000, schwebende
Schulden Fr. 17,088, Erneuerungsfond Fr. 7004, Total Fr. 1*295,592 Passiven.
Laiisanne-Freiburg-Sense und Gonf-Versoix. Diese Bahugesellschaft
erwarb am 1. Juli 1858 die Bahnstrecken Genf-Versoix und die geuferische
Enclave bei Celigny von der französischen Bahngesellschaft Lyon-Genf und er-
öffnete in der Folge noch folgende Linien: Am 1. August 1858 die Strecke
Versoix bis zur waadtländischen Grenze bei Versoix (1672 m); am 2. Juli 1860
die Strecke von der bernischen Grenze bei Thörishaus (Sense) bis Balliswyl
(östliches Saaneufer bei Freiburg) (16,654 m); am 4. September 1862 die Linie
von Balliswyl bis Lausanne (66,270 m). Am 1. März 1864 gingen die Linien
Lausanne -Freiburg-Sense (85,924 m) und Genf-Versoix mit der Enclave bei
Celigny (zusammen 10,927 m) an den Staat Freiburg über (siehe Freiburgische
Staatsbahn).
Lausaiine-Genove, Lausanne-Neuveville, Lausanne-St-Mau-
rice (Eisenbahnstrecken) s. Suisse Occidentale.
Lausanne-Ouchy. Die Drahtseilbahn von Lausanne nach Ouchy bildet mit
den Wasserwerken von Bret (Wasserleitung vom Bretsee bei Chexbres nach
Lausanne) das unternehmen einer Aktiengesellschaft mit Verwaltuugssitz in
Lausanne. Die Eisenbahn wurde wie folgt erötfnet: Am 16. März 1877 die
Linie Lausanne-Ouchy mit 1928 m baulicher Länge und 1481 m Betriebslänge;
am 4. Dezember 1879 die Strecke von Lausanne-Stadt bis zum Bahnhof der
Suisse ()<:cidentale mit einer baulichen Iiänge von 528 m und einer Betriebslänge
vi>n i514 u). J)ie ganze bauliche Länge beträgt somit 2456 m und die ganze
Betriebslänge 17i>5 m. Die Maximalsteigung ist 116 ®/oo. An Betriebsmaterial
besaß die Gesellschaft Knde 1885: 11 zweiachsige Personenwagen mit 380 Sitz-
plätzen und 1(> Giiterwag(!n mit 118 Tonnen Tragkraft. Das Betriebspersonal
bestand im gleichen Jahre ans 35 Mann.
Verkehr im Jahre 1885: Mit 98,08 täglichen Zügen ä 6 Wagenachsen
wurden während dem ganzen Jahre befördert 508,543 Reisende und 37,821 t
Güter. J')ie Reisenden haben zusammen 457,688 km, die Güter 34,038 Tonnenkil.
Liiusanne-Ouchy — 323 — Lebensmittelkontrole
zurückgelegt. Auf die ganze Bahnlänge bezogen, repräsentirt dies einen spezififiohen
Verkelir von 254,271 Reisenden und 18,910 t Gütern.
Finanzielle Betriebsergebnisse im Jahre 1885: Einnahmen von
Keisenden Fr. 88,323, von Gütern Fr. 44,907, Gesammteinnahmen aus dem
Bahnbetrieb Fr. 133,230, per Bahnkil. Fr. 74,017. Betriebskosten im Ganzen
Fr. 01,6:)r., per Bahnkil. Fr. 50,920 (68,79 7o der Einnahmen).
Die Gewinn- und Verlnstrechnung weist folgende Zahlen auf:
Ueberschuß der Einnahmen des Eisenbahnbetriebes Fr. 41,574, Zuschüsse aus
den Speziahbuds Fr. ftOOO, Ertrag von Kapitalien Fr. 2037, Ertrag der Wasser-
werke und Liegenschaften Fr. 75,172, zusammen Fr. 126,783 Einnahmen,
woraus zu bestreiten waren Fr. 20,249 Konto-Korrent-Zinse etc., Fr. 18,679
Einlage in die Spezialfonds und Fr. 8683 Amortisation. Es blieb somit ein
Reinertrag von Fr. 79,172 oder 1,01 ^o vom konsolidirten Anlagekapital. Die
Anleihenszinse erforderten aber Fr. 226,983 oder Fr. 147,811 mehr als der
Reinertrag. Damit ist das Betriebsdetizit von Fr. 1'124,730 auf Fr. 1'272,541
Angewachsen.
Bilanz per 31. Dezember 1885: Noch nicht oinbezahlte Aktien Fr. 100,000,
Baukonto der Eisenbahn Fr. 3'410,563, zu amortisirende Verwendungen Fr. 121,910,
Verwendungen auf die Wasserwerke und Liegenschaften Fr. 3'347,988, verfüg-
bare Mittel Fr. 114,897, Betriebsdetizit Fr. r272,541, zusammen Aktiven
Fr. 8\S67,H99 5 Aktien Fr. 2^600,000, konsolidirte Anleihen Fr. 5^292,785,
Baufond aus Betriebserträgen Fr. 13,118, schwebende Schulden Fr. 425,587,
Spezialfond Fr. 36,409, Total der Passiven Fr. 8'367,899.
Lavaiix. Bekannte WeiiiJjorte des Kantons Waadt.
Lavezstein (Topf- oder Giltstein). Vortretf lieber, feuerfester Stein, welcher
in den Kantonen Wallis, Uri, Tessin und Graubünden seit alter Zeit für die
Ot'enmacherei Verwendung findet. Derselbe läßt sich leicht bearbeiten, widersteht
der größten Hitze und ist bedeutend leistungsfähiger als Thon.
Lebende Pflanzen (Bäume, Sträucher etc.). Einfuhr 1885: 4717 q im
Werthe von Fr. 1'088,200. Ausfuhr 1885: 646 q im Werthe von Fr. 45,338.
Lebensmittel-Industrie s. Seite 228, I. Bd.
Lebensmittelkontrole. (Mitgetheilt von Herrn Durrer, Adjunkt des
«idg. statistischen Bureau.) Es wurde zuerst beabsichtigt, diesen Gegenstand durch
eine mr)gIiohst übersichtliche Zusammenstellung der auf diesem Gebiete in den
verschiedenen Kantonen bestehenden gesetzlichen Vorschriften darzustellen. Ein
Versuch ergab jedoch, daß dieses Vorgehen hier nicht thunlich sei. Entweder wäre
eine solche Zusammenstellung ausführlicher geworden, als an diesem Orte erlaubt
ist, oder sie hätte sich auf die allgemeinen und wichtigsten Bestimmungen beschränken
müssen, wäre dabei vielfach in eintönige Wiederholungen verfallen und die nicht
selten interes^tantern und lehrreichem praktischen Detailvorschriften wären doch
unbekannt geblieben. Dann erhält man wohl nirgends durch eine für sich noch
tso vollständige Kenntniß der Gesetze und Vorschriften ein ungenügenderes Bild
der Wirklichkeit, als auf demjenigen der Polizei. So können in Bezug auf die
Lebensmittelpolizei beispielsweise noch so vorzügliche und anscheinend bindende
Vorschriften über die diesfällige Thätigkeit der Lokalbehörden bestehen und die
letztem zu jährlicher, halbjährlicher, ja monatlicher Berichterstattung verpflichtet
werden, wenn es dann über die Ausführung heißt, daß diese Berichte nicht aus
der Hälfte der Gemeinden eingehen und von den eingegangenen viele kaum etwas
anderes Q.h einige nichtssagende Phrasen enthalten ! Oder aus einem andern Kantone
wäre ein wohldurchdachtes und gutgeschriebenes Gesetz über die amtliche K."ii\vttv>\Ä
Lebensmittelkontrole — 324 — Lebensmittelkontrole
des Brod- und Mehlverkaufes anzuführen — aber über dessen AnsfÜhrung wird
schon nach wenigen Jahren berichtet, ^daß alle Vorschriften dieses Gesetzes nicht
befolgt werden". — Offenbar decken sich aber auf diesem Gebiete Vorschrift
und Wirklichkeit auch in umgekehrter Richtong nicht ; die polizeiliche ThStigkeit
kann eben so häufig eine eingreifendere, nachhaltigere und erfolgreichere sein, als
dieses den gesetzlichen Vorschriften zu entnehmen wäre; Beispiele könnten auch
hiefür angeführt werden. Diese Erwägungen führten zum Entschlüsse, statt der
Gesetzgebung die wirkliche Thätigkeit der Behörden für die Eontrole der Lebens-
mittel darzustellen, oder wenigstens eine solche Darstellung zu versuchen.
*
Als Material hiezu lagen die jährlichen Geschäftsberichte der Kantons-
regierungen vor und zwar voUzählig oder doch nahezu erst für das Jahr 1885;
es bildet also das letztere den zeitlichen Bahmen der nachfolgenden Berichte,
wenn nicht ausdrücklich etwas anderes angegeben ist. Der Mängel dieser Zu-
sammenstellung ist sich der Schreiber derselben wahrscheinlich am besten bewußt
und es soll hier auf einige der wesentlichem aufmerksam gemacht werden. Wenn
man zuerst fragt, ob diese Berichte die volle und ganze Thätigkeit der Behörden
für die Lebensmittelpolizei darstellen, so wird dieses in Bezug auf die staatlichen,
kantonalen Organe so ziemlich der Fall sein, dagegen an einigen Orten weniger
sicher bezüglich der lokalen Behörden. Es besteht in mehreren Städten eine ziem-
lich thätige Lebensmittelkontrole, ohne daß dieselbe in den kantonalen Berichten
entsprechende Darstellung findet. Gleichwohl schien es nicht erlaubt, die genannten
Berichte durch die entsprechenden städtischen zu ergänzen, da sich an Beispielen
ergab, daß hiebei nicht selten Doppelmeldungen der gleichen Fälle, und zwar
vorzugsweise der gravirendem, vorgekommen wären, ohne daß immer die Mög-
lichkeit vorlag, dieselben mit Sicherheit auszuscheiden. Es darf also schon an-
genommen werden, daß in einzelnen Städten die Lebensmittel doch einer fleißigem
und schärfern Kontrole unterliegen, als bloß aus den folgenden Berichten zu
schließen wäre. Was andere, die Landgemeinden, betrifft, da wird die Lücke
der Berichte im Allgemeinen nicht groß sein, wenn auch nur weniges über die-
selben angeführt wird. Es tritt nämlich sehr überzeugend zu Tage, daß, von den
Städten abgesehen, die Thätigkeit der lokalen Behörden nur da eine nennens-
werthe und erfolgreiche ist, wo dieselbe durch die kantonalen Aufsichtsbehörden
durch angehaltene Stimulation vor dem Einschlafen bewahrt wird, dann aber
wird auch nicht unterlassen, dieses und den Erfolg in dem kantonalen Berichte
zu melden.
Was die Vergleichbarkeit der im Folgenden aus den einzelnen Kantonen
mitgetheilten Thatsachen und ihrer Zahlen betrifft, so ist diese Vergleichbarkeit
bei weitem nicht diejenige, welche man wohl voraussetzen und wünschen möchte»
Schon die Einschränkung der Berichte auf den Zeitraum eines Jahres engt diese
Vergleichbarkeit ein. Da in dem einen Kanton gerade in diesem Jahre bei
Wirthen und Lebensmittel verkauf em eine allgemeine Inspektion und Erhebung
von Mustern stattfinden mochte, in einem andern Kantone aber eine solche viel-
leicht gerade in diesem Jahre nicht stattfand, so sind diese einjährigen Berichte
begreiflich nicht sofort und an jedem Orte als ein annäherndes Bild des dauernden
Zustandes aufzufassen. Indessen wird man doch selten fehl gehen, wenn man es
wagt, aus dem ganzen Inhalt und Tenor eines Berichtes darauf zu schließen, ob
in diesem oder jenem Kantone der Lebensmittelpolizei die gebührende Aufmerksam-
keit geschenkt werde. Dann sind auch die iSahlen aus den einzelnen Kantonen
über die von den E^ntonschemikern und ähnlichen Stellen vorgenommenen Unter-
Lebensmittelkontrole — 325 — Lebensmittelkontrole
saohungen, das Prozentverhältniß der dabei naohgewiesenen Fälschangen and dgl*
ganz anders zu werthen, je nachdem am einen Orte sämmtliohe bei einer allge-
meinen Inspektion erhobenen Muster dem chemiBchen Laboratorium zur Prüfung
überwiesen wurden, an anderm Orte bloß die verdächtigen Muster, am dritten
Orte bloß solche, welche bereits zu gerichtlicher Behandlung Anlaß gaben etc.
Solche Verhältnisse führen zu der Bitte, es wolle kein Leser an die folgende
Zusammenstellung mit der Prätention herantreten, aus derselben eine durchaus
zutreffende und überall vollständige Darstellung der in den einzelnen Kantonen
geübten Lebensmittelkontrole zu ünden ; will man EInttäuschungen entgehen, dann
seien die Anforderungen namhaft bescheidenere.
Es folgen nunmehr die den oben genannten Quellen entnommenen Berichte
aus den einzelnen Kantonen.
Aargau. Der Geschäftsbericht des Begieruugsrathes erwähnt einer bis-
herigen Thätigkeit für Lebensmittelkontrole in keiner Weise; dagegen wird in
Aussicht gestellt, daß in Folge der Verfassungsrevision in Zukunft auch auf diesem
Gebiete eine regere Wirksamkeit entfaltet werde.
Appenzell A. -Rh. Der Bericht erwähnt der Brod- und der Fleischschau.
Erstere wurde im Ganzen bei 281 Bäckern und Brod Verkäufern ausgeübt, bei
70 derselben wurde Gewichtmangel konstatirt; es wurden aus diesem Grunde,
•dann auch als schlecht gebacken, im Ganzen 290 Brodlaibe von den Schauern
zerschnitten und 47 der Schuldigen der Bestrafung überwiesen. lieber die Fleisch-
schau wird geklagt, daß dieselbe nicht nur in vielen Gemeinden sehr unregel-
mäßig, sondern auch überhaupt mit sehr verschiedener Strenge gehandhabt werde ;
hatte doch ein Thierarzt in seiner Eigenschaft als Fleischschauer sogar Schweine-
lieisch, das in hohem Grade finnenkrank war, als genießbar erklärt; er wurde
allerdings dafür zur Verantwortung gezogen. "
Appenzell L-Rh. verötfentlicht selbst keinen Geschäftsbericht; dagegen
finden sich im Berichte des Kantonschemikers in St. Gallen, welcher zur Vor-
nahme einer sämmtliche WirthKchaften Innerrhodens umfassenden Weinkontrole
berufen wurde, folgende Angaben : Zahl der untersuchten Weinproben 600, davon
unreell (meistens mit Sprit und Wasser gestreckt) 66 Proben = 11%; hiebei
traf es in 16 Fällen den gleichen Lieferanten, welcher dafür mit 16 X ^0 Franken
gebüßt wurde.
Baselland. Der Rechenschaftsbericht erwähnt der Lebensmittelkontrole in
keiner Weise.
Baselstadt. In der Stadt und den Landgemeinden zusammen wurden nach
der Fleischkontrole die folgende Anzahl von Thieren geschlachtet: Ochsen 4224,
Stiere 1233, Kühe 1886, Rinder 890, Schweine 10,081, Kälber 10,818, Schafe
4)076, Ziegen 198, Pferde 3. (Es wird berechnet, daß [inkl. Loaport] in der Stadt
und deren Umgebung, ohne die Landgemeinden, im ganzen Jahre 4' 260,690 kg
Fleisch konsumirt worden seien, oder auf 1 Einwohner per Jahr 62 kg, per Tag
0,169 kg; der Fleischkonsum scheint in den letzten Jahren ein zunehmender zu
sein.) Ln ganzen Jahre wurden 1469 Proben in die Stadt eingeführter Milch
untersucht (nach dem Müller'schen Verfahren). Diese Proben rührten im Ganzen
von 691 Lieferanten her, von welchen 30 zu polizeigerichtlicher Beetrafong
gelangten. Neben diesen Milchuntersuchungen hatte sich der öffentliche Chemiker
^mch mit der allgemeinen Frage über das Verhältniß der Centrifugenmilch zur
Marktmilch zu beschäftigen, sowie mit Ghitachten über Molkerei-Etablissemente,
Butterverkauf n. dgl.; Untersuchungen von Butter fanden 3 statt, solche von
Trinkwasser 17, von Wein 36, dann in kleinerer Zahl auch eine Menge sonstiger
Lebensmittelkontrole — 326 — Lebensmittelkontrole
Lebensmittel, üeber das £rgebniß dieser Untersoohangen wird jedoch nichts-
angeführt.
Bern. Im Jahre 1885 wurde eine Untersuchung der geistigen Getränke
in 19 (von im Ganzen 30) Amtsbezirken ganz und in 3 Bezirken theilweise
durchgeführt. Zu vorläufif/er Prüfung gelangten auf diese Weise 7753 Both-
weine, 8119 Weißweine und 6100 Spirituosen; zu näherer Untersuchung im amt-
lichen Laboratorium wurden von den Sachverständigen 101 Getränkemuster und
von Ohmgeldbureaux 34 Muster eingesandt; in Folge letzterer Untersuchung
wurden von den 135 Mustern 88 (davon 11 Spirituosen) definitiv beanstandet^
und zwar
39 als über die erlaubte Toleranz platrirt,
20 als Kunstweine oder Mischung mit solchen,
11 als verdünnt, petiotisirt, avinirt,
6 als Imitationen,
7 als gesundheitsschädlich (2 fuchsinirt, 3 fuselhaltig, 1 kupfer-
haltig, 1 schwefelsäurehaltig),
5 als verdorben.
20 dieser Fälle wurden dem Strafrichter überwiesen.
Anläßlich des Truppenzusammenzuges im Oberaargau fand, neben einer all-
gemeinen Inspektion der (je tränke und Lebensmittel, durch den Kantonschemiker
eine spezielle Untersuchung der in den betreffenden (regenden vorhandenen Bier-
vorräthe statt; es wurden in Folge dessen 5600 Liter verdorbenes Bier aus-
geschüttet.
Den Ortspolizeibehörden wird Lässigkeit in der gesetzlichen Kontrolirung
der Bierpressionen vorgeworfen und in Folge dessen für nächstes Jahr eine all-
gemeine Untersuchung der genannten Apparate in Aussicht genommen.
Der Eantonschemiker gibt über die von ihm ausgeführten Untersuchungen
von Lebensmitteln die folgende Zusammenstellung:
Ge- ^^^
Gegenatand der Untersuchung sammt- j^ amtlichen im Privat- bean- unbean-
^^'^^ Auftrag auftrag standet standet
Bier 13 6 7 4 9
Branntwein, ordinärer. .8 7 1 2 «3
Brod 2 1 1 — 2
Butter 2 1 1 — 2
Cognac 20 17 3 14 6
Druseubranntwein ... 1 — 1 — 1
Eier 2 - 2 2 --
Essig 3 — 3 — 3
Futtermittel 3 1 2 1 2
Geheimmittel 5 3 2 — 5
Kirschwasser 3 3 — 3
Konditorwaaren .... 2 — 2 2 —
Konserven 4 3 1 2 2
Lufl 0 6 — 4 2
Melil 6 2 4 2 4
Milch 42 2 40 10 32
Obstwein 3 3 — — 3
Hhum « 5 1 3 3
Safran 1 1 — 1 —
Sypiionköpfe 5 5 — 3 2
Wasser 6 3 3 — 6
Wein 16« 114 54 90 78
Weizen 1 1 — ~ 1
Zucker 1 _1 "^ ~_^ 1_
Total 313 185 128 143 170
Lebensmittelkontrole — 327 — Lebensmittelkontrole
Dieser Zusammenstellung fügt der Eantouschemiker gedrängte Dissertationen
über einzelne Grrnppen der obigen üntersncbnngen an, ro z. £. eine über den
Trockenbeerwein, eine andere über die Untersuchung der Milch mittelst der Milch-
waage und des Cremometers, welche nicht selten zu ganz unrichtiger Beurtheilung
führe, weil die Rahmabsonderung einer Milch nicht bloß von deren Bahmgehalt
abhänge, sondern beispielsweise unter Umständen gerade durch einen gewissen
Watiserzusatz befördert werden könne. £ndlich hat der Eantonschemiker einen
wohlfeil zu erstellenden und doch leicht und sicher fanktionirenden Apparat
konstrnirt behufs Untersuchung der Luft auf ihren gesundheitlich zulässigen Gishalt
an Kohlensäure (0,7 — 1 7üo).
Frei bürg. Im Kechenschaftubericht wird die Lebensmittelkontrole in keiner
Weise erwähnt.
Genf. Ueber die polizeiliche Thätigkeit auf dem Gemüsemarkt wird Fol-
gendes berichtet: Es wurden 58 Obsthändlern im Ganzen 2740 kg unreifen
Obstes (Pfirsiche, Pflaumen, Birnen etc.) weggenommen, gegen 12 derselben
wurde strafrechtliche Verfolgung eingeleitet. 9 Händlern wurden zusammen 361
verdorbene Melonen weggenommen und vernichtet; das gleiche Schicksal traf
40 kg verdorbener Tomaten. 9 1 kg verdorbener Fische wurden in den Kehricht-
wagen geworfen. Bei 71 Butterhändlern wurden 101 Butterproben enthoben;
davon erwiesen sich 38 als gefälscht (einige enthielten zu viel "Wasser, andere
zu viel Käsestoff, wieder anderen waren sonstige Fette beigemischt); 29 Schuldige
wurden an den Strafrichter gewiesen. Von 30 genommenen Wurstproben erwiesen
sich 10 als gefälncht oder sonst verdorben und gesundheitsschädlich ; die Schuldigen
wurden sammtlich dem Strafrichter verzeigt. Von 27 Konfiserieprodukten wurden
4 als gesundheitiischädlich geftirbt erklärt. 12 Krämer wurden gebüßt wegen des
Gebrauches von Waagen mit kupfernen Schalen, an welchen Grünspan nachge-
wiesen wurde.
Besonders sorgfältiger Aufisicht scheint der Verkehr mit eßbaren Schwämmen
unterworfen zu sein. Es ist demselben ein eigener und einziger Marktplatz an-
gewiesen. Widerhandlungen gegen diese Vorschrift wurden 2 festgestellt und
gebüßt. Am vorgeschriebenen Platze wurden von 114 Händlern im Ganzen
18,910 kg Schwämme (40 Sorten) zum Verkaufe gebracht und davon 456 kg
als giftige oder sonst gesundheitsschädliche weggenommen und vernichtet.
Milchproben wurden bei 444 Lieferanten im Ganzen 2104 genommen;
davon wurden (nach dem Quevenne-MüUer' sehen Verfahren) als gut befunden
1814, als zweifelhaft 157, als entrahmt 124, als gewässert 9. Es fanden 100
Strafeinleitungen statt.
Das Ergebniß der im kantonalen Laboratorium vorgenommenen Analysen
von Lebensmitteln war das folgende:
Gogerirttanil Zahl ErgebniM der Vnterauchung
Wein G36 Nicht gegypst 367, zu weniger als 3 g 901, zu mehr
als 3 g 68. Fälschungen 87, Mischungen 28.
Wasser 110 Gut 59, schlecht 51.
Milch 10 Gut 7, schlecht 3.
Butter 116 Gut 105, schlecht 11.
Liqueurs 17 Alle gut.
Essig 4 « r>
Gele i , ,
Biere 5 „ „
Wurstwaaren 26 Gut !20, schlecht 6.
Verschiedene andere Waaren 109 ?
Glarus. In diesem Kanton werden je dreijährige Geschäftsberichte ver-
Lebensmittelkontrole — 328 — Lebensmittelkontrole
öffentlicht; der letzte, dem das Folgende entnommen ist, bezieht sich auf die
drei Jahre 1881 — 1884. Derselbe bietet in mehr als einer Beziehung ein be-
sonderes Interesse (es ist dieses übrigens eine Eigenschaft der glarnerischen
amtlichen Publikationen überhaupt). In erster Linie erfreute sich die Gesetegehung
über die Lebensmittelpolizei einer besonderen Entwicklung. Schon zu Anfang der
Berichtsperiode waren durch mehrere Initiativvorschläge aus dem Volke der Erlaß
eines strengeren Lebensmittel-Polizeigesetzes und die Schaffung spezieller Aus-
führungsorgane gefordert worden. Die Laudsgemeinde ließ sich für dieses Mal
durch den Bath mit der Erklärung befriedigen, daß das bisherige Gesetz eine
strengere Ausführung erhalten solle. Eine solche wurde auch in's Werk gesetzt,
fand jedoch so viele Schwierigkeiten und so ungenügenden Erfolg, daß die frühern
Initiativanträge aus dem Volke sich erneuerten. Dieses Mal ging der Bath darauf
ein und brachte einen Gesetzesentwurf an die Landsgemeinde, nur war auch
hierin von der Kreirung eines eigenen Kantonschemikers abgesehen worden. Die
Landsgemeinde acceptirte den Entwurf, ergänzte jedoch denselben durch die
Bestimmung, daß doch ein Kantonschemiker geschaffen werden solle. So erscheint
hier, prägnanter als sonst irgendwo, die Verschärfung der Lebensmittelpolizei
aus der Anschauung des Volkes hervorgegangen und von dieser getragen.
üeber die Thätigkeit während der Berichtsperiode, noch unter der Herr-
schaft des alten Gesetzes, ist das Folgende anzuführen: Die Polizeikommission,
in Verbindung mit Vorstehern der Gemeinden, nahm eine persönliche Inspektion
sämmtlicher im Kanton befindlichen 311 Wirthschaften, 57 Wein- und Brannt-
weinhandlungen, 6 Brauereien, 82 Bäckereien oder Brod- und Mehlläden, 179
Verkaufslokalen sonstiger Lebensmittel, 18 Zuckerbäckereien, 7 Müllereien und
7 Zigerfabriken vor. Als erstes Ergebniß wurde konstatirt, daß Wirthschaften,
Bäckereien und andere Verkaufslokale manchenorts in Beziehung auf Reinlichkeit
. zu wünschen übrig lassen; dann wurde bei 24 Bäckern Gewichtmangel nach-
gewiesen, 6 Weinhändler wurden der Fälschung angeklagt und ihre Waaren
konfiszirt; andere Verkäufer wurden angehalten, schlechte oder mangelhaft ver-
packte Waaren zu beseitigen. Neben dieser allgemeinen Inspektion scheint eine
anhaltende Thätigkeit nur in Bezug auf Milch- und Weinkontrole stattgefunden
zu haben. Während den drei Jahren 1881 — 1883 fanden im Granzen 6259 Milch-
proben statt (davon 5274 Wägungen ganzer, 939 Wägungen abgerahmter Milch
und 46 Stallproben) nud es wurden 6 Personen der Milchfälschung angeklagt.
Von den 374 Weinproben wurden durch den Chemiker 223 nicht beanstandet,
in 68 Fällen wurden nur untergeordnete Punkte hervorgehoben und den Eigen-
thümern zur Kenntniß gebracht; 61 Muster erwiesen sich als zu sehr geschwefelt
und es wurden diese Weine unter polizeilicher Aufsicht mit schwefelfreiem ver-
mischt; in 11 Fällen wurde der Wein polizeilich ausgeschüttet; 3 Fässer wurden
konfiszirt, jedoch den Eigenthümem später wieder zugestellt; 8 Mal wurde beim
Polizeigericht Klage eingeleitet, es erfolgten 2 Freisprechungen und 6 Verur-
theilungen.
Graubünden. Der Geschäftsbericht vom Jahre 1885 berichtet bezüglich
der Thätigkeit des Kantonschemikers erst über das Jahr 1884. Es wurden von
demselben in amtlichem oder privatem Auftrage folgende üntersnchungen von
Lebensmitteln vorgenommen :
Gcf(eii8taiifl Zahl Krgebniss der Unteraachung
Wein 54 3 Weine mit Essigstich, 1 Wein enthielt per
Liter 3 g schwefelsaures Kali.
Obstmost 7 1 Probe mit übermäßigem Quantum von Gerbstoff.
Branntwein 39 10 Proben mehr oder weniger fuselhaltig.
Lebensmiltelkontrole — 329 — Lebensmittelkontrole
Mehl 20 V
Fäßlisc'hmalz, Kunstbutter u. dgl. 16 Die meisten Proben waren Fettgemische, welche
kein Butterfeli enthielten ; nur 4 Proben ent-
hielten letzteres, jedoch höchstens 50 ^ o.
Milchbutter 4 2 Proben geschmolzener Butter waren stark ge-
tischt, d. h. bis zur Hälfte mit anderem Fette
gemengt ; durch große Verschiedenheit zeich-
neten sich auch die unverfälschten Proben aus.
Teigwaaren 3 ?
Schweineschmalz 1 ?
Gewürze 6 3 Pfefferproben enthielten viel Sand (bis 3,8 ^/o),
Zucker 7 ?
Kaffee 6 V
Kaffee-Extrakt 1 , Aechter holländischer Kaffee-Extrakt* enthielt
auch nicht eine Spur von GaffeTn, die Metall-
umhüllung bestand größtentheils aus Blei.
Cichorien 3 1 Probe enthielt 3,5 ^ o Sand.
Kochsalz 2 Das Salz aus Rheinfelden war erheblich reiner
als dasjenige von Hall in Tyrol.
Chokolade 2 V
Essig 3 2 Proben enthielten allerlei Unreinigkeiten, 1
Probe bloß 1,2 ^o Essigsäure, 1 Probe «reiner
Weinessig" war doch nur zur Hälfte Wein-
essig, zur andern Hälfte Essigsprit und Wasser.
L a z e r n. Der regierungsräthliche Geschäftsbericht überläßt das Meiste, was
unsem Gregenstand betrifft, dem Spezial berichte des Sanitätsrathes ; der erstere
-enthält die Notiz, daß in den Jahren 1884 und 1885 zusammen im Kanton im
Ganzen 31 Personen (davon 29 einzig im Bezirk Luzern) wegen Getränke-
fnlschiiuf/ von den Statthalterämtern (!) bestraft worden seien; es fanden ferner
im gleichen Zeiträume im Ganzen 50 Bestrafungen statt wegen Uebertretang des
Gesundheitspolizeigesetzes und der Fleisohschan- und Metzgerverordnungen.
Entsprechend einem bezüglichen Antrage dos Sanitätsrathes wurde Anfangs
des Jahres 1885 durch den Kegierungsrath der fernere Gebrauch von Bier-
pressionen jeder Art von Konstruktion verboten. In Folge eines gegen diese
Verfügung an den Bundesrath gerichteten Rekurses wurde dem Verbote von
Seite der kantonalen Behörde die Interpretation beigefügt, daß sich dasselbe nur
auf Pressionen mit atmosphärischer Luft, dagegen nicht auf rationell eingerichtete
Kohlensäurepressionen mit direktem Ausschank vom Faß beziehe. In diesem Sinne
wurde das Verbot vom Bundesrathe (den 14. Mai 1886) als zulässig erklärt
und sodann durch den Regierungsrath mittelst ausführlicher Verordnung (vom
14. Juli 1886) auf den 1. Oktober 1886 in Kraft erklärt.
Der Spezi albericht des Sanitätsrathes, welcher Eingehenderes über die Lebens-
mittelpolizei enthalten soll, war über die Jahre 1884 und 1885 zur Zeit der
Drucklegung dieser Zusammenstellung (Anfangs Mai 1887) noch nicht erschienen,
konnte somit nicht benützt werden.
Neuenburg. Den 1. September 1885 trat ein G^etz in Kraft, wonach
es in Zukunft strafbar ist, unter der bloßen Bezeichnung „Wein** etwas anderes
zu verkaufen, als das direkte Produkt der natürlichen Gährung von Traubensaft ;
alle anderen weinartigen Getränke, wie Trockenbeerwein, mit Wasser oder Alkohol
versetzte Weine etc., sind ausdrücklich als solche zu bezeichnen, vom Weinhändler
in der Faktur, vom Wirth auf einer im Lokale an sichtbarer Stelle aufgehängten
Weinkarte, sowie in einer Mittheilung an die Ortspolizei.
Die vom kantonalen Laboratorium vorgenommenen Untersuchungen von
Lebensmitteln waren folgende:
Lebensmittelkontrole
— 330 —
Lebensmittelkontrolfr
Uegenstand Zahl Erfolg der Untersuchung
Wein 331 Der Erfolg ist bloß für 193 Proben von Wein und 152
Branntwein und Liqueurs 158 Proben von Branntwein etc. angegeben ; von erstem
Wasser 58 waren 88 gut, 36 passabel, 69 schlecht (zu stark
Milch 19 gegypst, gefälscht etc.); von den Branntweinproben
Essig 7 wurden 144 als gut und 8 als schlecht befunden.
Bier 3 üeber das Ergebniß der übrigen Untersuchungen
Butter und Fette ... 29 wird nichts notirt.
Mehl 3
Oele 9
Verschiedenes 24
lieber das Ergebniß einer durch die Ortsbehörden alljährlich vorzunehmendea
gesundheitspolizeilichen Inspektion wird auf einen Spezialberich t verwiesen, welcher
hier nicht vorliegt.
Nidwaiden veröffentlicht keinen Geschäftsbericht.
Obwalden. Ein Geschäftsbericht erscheint nur je alle vier Jahre. Der
letzte umfaßt die Zeit vom 1. Mai 1880 bis 1884. Während derselben wurde
bei den Wirthen einer Gemeinde durch einen von auswärts gerufenen Kantons-
chemiker ein Getränkeuntersuch vorgenommen, welcher nichts Strafbares kon-
statirte. Bei den Bäckern, Mehl- und Brod Verkäufern werden durch das Gemeinde-
departement allmonatlich Erhebungen über Qualität und Preis des Brodes und
Mehles gemacht und im Amtsblatte veröffentlicht; dieses Vorgehen soll vortheil-
haft wirken, üeberdies wurden wiederholt sämmtliche Bäckereien durch einea
Experten auf Reinlichkeit der Utensilien und der Brodbereitung etc. untersucht;,
es hatte dieses mehrfache Bestrafungen zur Folge. Ebenso fand eine Inspektion
sämmtlicher Schlachtlokale statt, welche da und dort Verfügungen entsprechender
Verbesserungen hervorrief. Bezüglich der Fleischkontrole beklagt der Regierungs-
rath, daß dieselbe dann und wann durch Thierärzte und Fleischschauer mit zu
viel Mitleid für den Einzelnen und zu wenig Sinn für das Gemeinwohl vor-
genommen werde.
St. Gallen. Die durch den Kantonschemiker vorgenommenen Lebensmittel-
untersuchungen und deren Ergebnisse waren die folgenden :
Gegenstund Zahl KrgebniM der Unterduchung
Milch 235 Fälschung in 8 Fällen, darunter 6 Male absichtlicher
Milchzusatz (10—25 V) und 2 Male Abrahmung.
Trinkwasser 103 Die aus mehreren Gemeinden, so St. Gallen. Tablat,.
Rorschach etc. eingesandten Trinkwasser waren
hochgradig verunreinigt, mit Abfallstoffen und deren
Zersetzungsprodukten beladen.
Wein 130 (Üeberdies 600 Untersuchungen für Appenzell I.-Rh.)
Es wurden 26 Muster beanstandet, 5 wegen Essig-
stich, 1 wegen einfachem Wasserzusatz, 10 wegen
Zusatz von Zucker und Wasser, 5 wegen Zusatz
von Sprit und Wasser, 3 als verdorben. 2 (Sauser-
proben) wegen starkem Gehalt an schwefliger Säure.
Bier 8 1 Probe ungenießbar.
Obstmost 3 ?
Branntwein 5 Als „Magenbitter* wird bald jede mögliche Mischung
von Sprit, Wasser und irgend einem Bitlerstoff etc.
verkauft.
Essig 2 1 Probe fuchsinirt.
Würste 130 52 Proben waren mehlhaltend, und zwar 29 Proben
mehr als das gesetzlich zulässige Quantum von 2 "/o
Mehl enthaltend. Würste mit 4, 5 7o Mehl waren
nicht selten.
jebensiiiittclkontrole — 331 — Lebensmittelkonlrole
Butter 12 Eine mit möglichst viel Vorbruch dargestellte Butter-
probe enthielt immer noch 84 % Butterfett ; Vor-
bruchbutter sei überhaupt bloß 2—3 "^/o weniger
werth als irgend eine Rahmbutter. Es wird dringend
einer Regelung des Handels mit Kunstbutter gerufen.
)livenöl :i 1 Piobe Fälschung durch Beisatz von 40 "/o Sesamöl.
lonig 5 Als sicherstes Erkennungsmittel der Kunsthonige wurde
die Reaktion auf Dextrin mittelst Jodtinktur gefunden,
'^erschiedene Lebensmittel 13 V
Der Bericht den st. gallischen Sanitätarathes ist auch weitaus reichhaltiger
Is derjenige irgend eines anderen Kantons in seinen Mittheilungen über die
^hätigkeit der lokalen Behörden auf dem Gebiete der Leben smittelkontrole. Der
taum gestattet hier bloß einige summarische Resultate aus den tabellariHchen
iusammenstellungen anzuführen.
Brodschau: Zahl der untersuchten Brodlaibe 10,027; davon wurden ihrer
lualität nach befunden: gut 9213, mittelmäßig 778, schlecht 36. Fleischschau:
ibgesehen von wenigen Gemeinden, welche nicht darüber berichten, wurden im
ranzen 987 geschlachtete Thiere als „nicht bankmäßig** erklärt. Milchprüfungen:
ahl der Proben im Ganzen 1589, davon mit gutem Ergebniß 1286, mit mittel-
läßigem 260, mit schlechtem 43. Wasserkontrole : Zahl der untersuchten Brunnen
50, davon mit gutem Befunde 89, mit mittelmäßigem 68, mit schlechtem 64,
tefund nicht angegeben 129.
Der jährliche Bericht des st. gallischen Sanitätsrathes darf auch Behörden
nd andern Interessenten der Lebensmittelkontrole außer dem genannten Kauton
Is interessante und höchst anregende Lektüre empfohlen werden.
Schaff hausen. Der Bericht beschränkt sich auf folgende allgemeine Mit-
leilung: „Außer der Fleischschau, die im ganzen Kanton geregelt vor sich geht,
eschränkt sich die Thätigkeit der Sanitätspolizei hauptsächlich auf die Stadt,
[ilch- und Getränkeuntersuchungen, Untersuchungen von Mehl und Gewürzarten
wurden sowohl auf Ansuchen der städtischen Polizei als von Privaten verlangt
nd durch den Chemieprofessor des Gymnasiums ausgeführt. **
Schwyz. Dem Kegierungsrathe lag im Berichtsjahre der Entwurf zu einer
euen Verordnung über die Lebensmittelkontrole vor, welcher gegenüber dem
isherigen Zustande zwei wesentliche Neuerungen enthielt: 1) Die Oberaufsicht
ber die Lebensmittelkontrole in den Händen einer kantonalen Behörde zu zentra-
siren ; 2) eine eigene, kantonale amtliche Untersuohungsstelie zu kreiren. Einer
}nstigen Thätigkeit der kantonalen Behörden auf diesem Gebiete wird nicht
rwähnt. Dagegen enthält ein Spezialbericht des Begierungsrathes über einen im
ahre 1886 stattgefundenen Kommunaluntersuch Angaben, ob in den einzelnen
remein den die Protokolle über Brod-, Mehl- und Fleischschau vorschriftsgemäß
eführt werden.
Solotburn. Es wird geklagt, daß die Gesundheitskommissionen die vor-
eschriebenen Fragebogen über Lebensmittelpolizei nur sehr lässig einschicken,
.nläßlich des Truppen zusammenzuges im Herbste 1885 wurde in den betreffenden
egenden durch den Kantonschemiker eine ähnliche Kontrole über Lebensmittel
nd Getränke angeordnet, wie dieses oben bei Bern angeführt wurde. lieber den
irfolg wird jedoch nichts angegeben. Gegen eine Gemeinde wurde wegen sanitäts-
idrigem Zustande einer Wasserleitung, gegen eine Fabrik wegen Verunreinigung
.nes Flusses eingeschritten.
Der Kantonschemiker hat in amtlichem und privatem Auftrage die folgenden
rntersuchungen von Lebensmitteln vorgenommen, über deren Erfolg aber nichts
Qgegeben wird :
Lebensmittelkontrole — 332 — Lebensmittelkontrole
Gegenstand
Milch
Rothweine ....
Weißweine ....
Zahl der
rntersncbiingen
. . 162
. . 29
. . 27
Gegenstand
Butter
Bier
Kirschwasser
Alkoholische Getränke
Essig
Zahl der
rntersnchnngen
. . 7
5
. . 2
Wasser
. . 11
. . 1
Käse
. . 11
. . 1
Tessin. Von einer bisherigen Thätigkeit auf dem Grebiete der Lebensmittel-
polizei ist in dem Greschäftsberichte über 1885 nichts ersichtlich. Dagegen ist
im Verlaufe des genannten Jahres von der Begiemng dem Großen Bathe der
Entwurf eines Gesetzes über Gesundheitspolizei unterbreitet worden, der in be-
sondern Kapiteln auch die amtliche Eontrole der Lebensmittel und die Errichtung
von kantonalen hygienischen Laboratorien vorsieht. Durch das gleiche Gesetz
soll auch das speziell zu Tage getretene Bedürfiiiß einer [Jeberwachung der
Schlachtlokale befriedigt werden.
Thurgau. Der Fleischschau waren im Gtinzen 22,823 Schlachtthiere
unterworfen; davon wurden 39 Stücke ganz beseitigt, 295 Stücke ^an Private
verkauft" und überdies in 407 Fällen im Gtinzen 4520 kg Fleisch und Ein-
geweide als ungenießbar beseitigt.
Der Lebensmittel-Eontrolstation (durch den Chemielehrer der Eantonsschule
geleitet und, wie es scheint, erst unlängst entstanden) wurden im Ganzen 93
Gegenstände zur Prüfung übergeben, davon 43 Proben Milch, 24 Wein, 14
Wasser, je 1 von Mehl, Most und Branntwein, dann 8 andere Objekte, lieber
Jen Erfolg der Untersuchung wird nicht berichtet.
Einer Anregung, die Fabrikation von Kunstbutter speziell zu überwachen
und deren Verkauf nur mehr mit der Bezeichnung ,»Kochfett'' zuzulassen, wurde
keine Folge gegeben.
Es wird in Aussicht genommen, das Listitut der Lebensmittel-Eontrolstation
zu erweitern.
U r i. Im regierungsräthlichen Geschäftsbericht wird der Lebensmittelkontrole
in keiner Weise erwähnt.
Waadt. Die vom kantonalen Bureau für Untersuchung der Getränke und
Lebensmittel vorgenommenen Analysen waren:
Gegenstand Zahl Erfolg der Untersuchung
Wein 105 23 (= 22 7^) gefillschte oder sonst mangelhafte Proben.
Wasser
Milch .
Liqueurs
Kaffee .
Mehl. .
Fleisch .
Früchte
Essig
Arzneien
Hefe. .
37
11
10
1
6
3
3
1
1
6
2
1
2
3
176 39 , . . •
Wallis. Da8 kantonale Eomite für Lebensmittelkontrole nahm in zwei
Sitzungen Eenntniß von den eingegangenen halbjährlichen Berichten der Lokal-
behörden ; über deren Inhalt und Erfolg wird nichts angegeben. Dem Departement
des Innern wurden mehrere Proben verdächtigen Weines eingesandt; das Depar-
tement erklärt, es habe sich bei mehreren derselben mit dem Gustiren begnügt;
wie es sich mit den anderen verhielt, wird nicht notirt. Daneben wird im All-
gemeinen über die nicht immer gelungene Manipulation mit dem einheimischen
Lebensmittelkontrole — 333 — Lebensmittelkontrole*
Weine geklagt. Einige untersuchte Schnäpse waren mit „Alkohol versetzt **. Ein&
Ortsbehörde berichtete über den Oewichtmangel aus andern Gemeinden einge-
führter Brodlaibe, eine andere Behörde über die mangelhafte Einrichtung der
Schlachtlokale.
Zürich. Durch den Eantonschemiker wurden im Jahre 1885 im Granzen
1674 UnterBuchungen von Lebensmitteln u. dgl. vorgenommen, welche den in
der folgenden Zusammenstellung angegebenen Erfolg hatten:
Gegenstand Zahl Ergebnias der üntersttchnng
Milch, ganze 313 23 ^/o ungenügend oder getischt.
Markt- 270 9 ,
, Stall- 78
Trinkwasser 210 39 ^ genügten dem chemischen BegrilTe
guten Trinkwassers nicht.
Wein von der Trotte 153 Feststellung der großen natürlichen Ver-
schiedenheiten der Zürcher Weine.
„ sonstiger 221 19 7o entsprachen der Deklaration nicht,
darunter waren gallisirte, mit Sprit ver-
setzte, zu stark gegypste und eine Probe
fuchsinirt.
Bier 43 5 Proben enthielten Salicylsäure.
Most 5 Alles normal.
Wurst 131 9 Proben wurden wegen Mehlzusatz bean-
standet und 1 war ganz verdorben.
Butter 28 3 gefälscht.
(iewürze 56 2 Proben enthielten mineral. Beimischungen.
Petroleum 112 Proben wurden als feuergefährlich erklärt..
Andere Gregenstände (Kaffee, Thee etc.) 155 V
1674
Umfassend scheint die Eontrole des Fleisches organisirt; es waren für
dieselbe 232 Fleischschauer thätig, nach deren Kontrolen während dem Berichts-
jahr im ganzen Kanton (in öffentlichen Schlachthäusern und von Privaten zu-
sammen) geschlachtet wurden: 14,209 Ochsen, 4950 Kühe, 7221 Rinder,
21,072 Kälber, 29,720 Schweine, 7113 Schafe, 170 Ziegen, 409 Pferde. Ueber
die sonstige Thätigkeit der Lokalbehörden werden folgende Angaben aus der
Stadt Zürich gemacht: Es fanden durch die Polizei 1920 Vorprüfungen von
Milch statt, 31 ^/o (!) der Proben entsprachen den gesetzlichen Anforderungen
nicht. Die Fehlbaren wurden gebüßt und ihre Namen veröffentlicht. Es fand
auch eine scharfe Kontrole der Bierpressionen statt nnd wurden dabei in neun
Fällen unreine Schläuche konfiszirt.
Zug. Durch den Kantonschemiker wurden folgende üntersnohungen vor-
genommen :
Gegenstand Zahl Ergebniai der Untertnchung
Butter . . 129 Ballen 2 Ballen als ranzig konfiszirt.
Wasser . . 7 Sodbrunnen und die Lorze ?
Milch . . 44 Muster In jeder Beziehung günstig.
Wein . . 304 Faß geprüft, 26 Sorten 3 Faß angeblicher Waadtländer und 4 Faß
chemisch untersucht verdorbener Kunstwein wurden ausge-
schüttet
Bier ... 24 Wirthschaflen der Stadt Alle Biere wurden gut befunden, dagegen
Zug viele Luft- und Handpressionen in mangel-
haftem Zustande, namentlich unterbleibt
die Zuführung von reiner Luft.
Most. . . «Mehrfache* Untersuchungen «Oft genug gefäls ht*.
Sauser . . 3 Wirthschaflen ?
Um der Verschiedenheit und der ünvollständigkeit der kantonalen Gesetz-
gebung auf dem Gebiete der Lebensmittelkontrole ein Ziel zu setzen und über-
Lebensmittelkontrole — 334 — Lederhandschuhe
haupt Besserung in die bestehenden Yerhältniase zu bringen, hat der National-
rath in der Janisession 1887 folgende Motion des Herrn Curii angenommen:
«Der Bundesrath ist eingeladen, zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten,
-wie auf dem Wege der Hundesgesetzgebung die kantonalen Vorschriften betreffend Her-
stellung und Verkauf gesunder und unverfTilschter Nahrungs- und Genußmittel und ge-
wisser Gebrauchsgegenstände zweckmäßig, namentlich auch in der Richtung zu ergänzen
wären, daß der Hersteller und Verkäufer seine V^aare mit ihrem wahren Namen zu
bezeichnen hätte.
Lebensmittelpreise s. Preise der Lebensmittel.
Leckerlifabrikation. Eine Spezialität der BaHler Eonditoren.
Leder s. auch ^Gerberei**. Die Schweiz konsumirt jährlich allein flir die
Schuhfabrikation für ca. 227« Millionen Franken Leder. {Schuhfabriken 7 Mil-
lionen.) Nur V* dieses Konsums wird von den inländischen Gerbereien gedeckt;
ca. 75 *Vo werden eingeführt, besonders Schmalleder resp. Oberleder, wogegen
die Hauptmasse des Sohlleders im Inland, aus inländischen Häuten, gegerbt wird.
Die Handschusterei bedient sich fast ausschließlich inländischen Sohlenmaterials,
wogegen die Schuhfabriken für ihre etwas leichteren Fabrikate vorwiegend
ausländisches Sohlleder verwenden.
Außer dem Sohlleder werden in der Schweiz verfertigt: Vacheleder (Vache
lissee), Crownleder, Homleder, Triebriemenleder, Sattlerleder, Kalbleder, Schmal-
leder, Kalbkidleder, Schaf leder, Roßleder, Schaf kidleder, Chevraux zur Handschuh-
fabrikation, Ziegellieder zu Sattlerarbeiten, Spaltleder.
Im Jahre 1882 zählte man in der Schweiz 356 Gerbereien und Leder-
fabrikationsgeschäfte; Birkhäuser^s Adreßbuch (Basel, 1885) verzeichnet 511
Lederhandlungen.
Einfuhr von Leder und Lederwaaren:
1M\:\ 1673 1883 1884 lb85
Leder, fe'emeines, ungefärbtes q 8254 11.663 11,804 13,974
, anderes , 1663 2,802 4,548 5,588
Sohlleder 5,148
Anderes Leder 13,658
Lederwaaren, ohne Schuhe, fertige . . . . „ 960
, vorgearbeitete Bestandtheile . „ 59
Der Werth der Einfuhr betrug im Jahre 1885 : von Leder Fr. 11 '753,880,
von Lederwaaren Fr. 2'342,r)36. Der EinhcitHwerth von Sohlleder betrug per q
Fr. 300, von anderem Leder Fr. 725.
Ausfuhr von Leder und Lederwaaren:
186:) 1873 1883 1884 1S85
Leder, gemeines, ungefärbtes q | qa-A Aini ^^^ ^526
, anderes J *^"^ 456 1614
Sohlleder 648
Anderes Leder , 2706
Lederwaaren, ohne Schuhwaaren, fertige . . „ 157
,. vorgearbeitete Bestandtheile . „ 24
Der Werth der Ausfuhr betrug im Jahre 1885: von Leder Fr. 2'882,517,
von Lederwaaren Fr. 136,(574; der Einheitswerih des Sohlleders per q Fr. 397,
von anderem Leder per q Fr. 970.
Lederäpfel s. Keinetten, graue.
Lederhandschuhe werden in Genf, Lausanne und Zürich fabrizirt, jedoch
bei wi'iteiu nicht in dem Maße, das dem inländischen Konsum entspräche. Es sind
ca. ein halbes Dutzend Fubrikanten mit ca. 20 Arbeitern, meistens Ausländern,
und yo Näherinnen und HüKsarbeitern, die 6 — 7000 Dutzend Handschuhe im
Leguminosen — 335 — Leinenindustrie
AVerthe von höchstens Fr. 200,000 produziren. Die Halbfabrikate, auch das
Leder, werden größtentheils vom Auslände bezogen.
Einfuhr im Jahre 1885: 94 q h Fr. 12,000 = Fr. 1^128,000, wovon
42 q aus Deutschland, 38 q aus Frankreich.
Ausfuhr im Jahre 1885: 5 q ä Fr. 3567 = Fr. 17,837, wovon 3 q
nach Frankreich, 2 q nach Deutschland.
Leguminosen, Konserven aus HUlsenfrilchten, die in den letzten Jahren
durch die Firmen Magf/i dt Cie. im Eemptthal und Schneebeli S Cie, in Af-
foltem a. A. zu großer Bedeutung als NahiTingsmittel gelangt sind.
Lehrwerkstätten für angehende Handwerker bestehen in der Schweiz
noch nicht (Mitte 1887). Indessen werden in Bern zur Zeit Anstrengungen ge-
macht, Lisiitute jener Art zu gründen.
Leibwäsche s. Kleider, Lingerie.
Leim wird in der Schweiz in verschiedenen Sorten hergestellt, von denen
einige zum Export gelangen, während von anderen Sorten mehr importirt wird.
Man unterscheidet namentlich Hautleim (bis jetzt noch meist importirt), Knochen-
leim (wovon viel ausgeführt wird), Käseleim (ein spezilisch schweizerisches
Produkt aus Käse und Kalk zum Kaltleimen von Holz etc.), flilssigen Leim als
Bureauartikel, (relatine (s. d.).
Birkhäuser's Adreßbuch (Basel, 1885) verzeichnet 12 Leimfabriken, wovon
6 Thurgau, 3 Zürich, je 1 Aargau, Freiburg, St. Gallen.
Zur Zeit der letzten eidg. Volkszählung (1. Dezember 1880) beschäftigten
sich mit der Leimsiederei 196 Personen, wovon 173 im Kt. Zürich, 16 im
Kt. Thurgau. Siehe auch Gelatine.
Leindotter. Eine Oelpflanze, die seit der Einbürgerung des Petroleums
und des Leuchtgases in der Schweiz fast nicht mehr kultivirt wird.
Leinenindustrie. Diese Industrie ist es, welche bereits vor einem halben
Jahrtausend als Vorgängerin der Seiden- und Baumwollindustrie den Weltruf
der schweizerischen Textilindustrie eingeleitet hat. Im Gebiete mehrerer der
jetzigen Kantone, namentlich in der Stadt St Gallen, im Appenzeller Gebiet und
im Toggenburg, im Oberaargau und im bernischen Emmenthal, spielte die Leinen-
und Hanfspinnerei und -Weberei vom 13. bis zum 19. Jahrhundert eine große
Rolle und beschäftigte in den besten Perioden nebst der Landwirthschaft, Flachs-
und Hanfknltur direkt oder indirekt fast die ganze erwerbende Bevölkerung. In
St. Gallen und der benachbarten Stadt Konstanz soll die Leinenmanufaktur nach
der Zerstörung Mailands (1162) durch Flüchtlinge aus dieser Stadt besonders
gefordert worden sein. Später erhielt das st. gallische Leinwandgewerbe durch
Zuwanderung von Leinenwebern aus Konstanz, welche Stadt während dem ökume-
nischen Konzil (1414 — 1418) mit Fremden überfüllt war, einen neuen Impuls.
Die Waare wurde durch st. gallische Händler besonders auf den großen Messen in
Lyon und Beaucaire abgesetzt. Im Allianz veii;rag der Eidgenossen mit Ludwig XII.
wurden diesen Händlern verschiedene Vorrechte eingeräumt. Als Absatzländer
für Schweizerleinen — die gemeiniglich je nach dem Fabrikationsgebiet den
Namen ^Toile de Constance" oder „Toile d'Aarau** führten — kamen außer
der Schweiz und Frankreich hauptsächlich noch Italien, Deutschland und Spanien
in Betracht.
Nach Franscini^s „Nuova Statistica della Svizzora" würden gegen Ende des
17. Jahrhunderts in der Schweiz 30 — 40,000 Personen, also zehn mal so viel
als heute, mit der Leinwandfabrikation beschäftigt gewesen sein. Nach der gleichen
Quelle, resp. nach Vulliemin, „Continuation de Thistoire de la Confederation suisse'*^
Leinenindustrie — 336 — Leinenindustrie
U, S. 28, fabrizirte man im Kanton Appenzell im Jahre 1549 an 12,000 Stück,,
im Jahre 1638 11,864 Stück Leinwand. 1740—1760 zogen die Appenzeller
und natürlich auch die St. Galler großen Vortheil aus den Eriegsereignissen,
welche die Leinenindustrie in Schlesien und Böhmen damiederdrückten. In Trogen
allein sollen zu jener Zeit jährlich an 9000 Stück Leinwand ä 100 Ellen gemacht
worden sein.
Neben der Leinenweberei blühte in der Schweiz auch die Kunststickerei
auf Leinwand; dieselbe läßt sich bis in^s 13. Jahrhundert zurück verfolgen. £»
waren Weißstickereien auf ungebleichter Leinwand, wobei der Reiz der Zeichnung
öfters durch Anwendung von bunter Seide gehoben wurde. Solche Stickereien
wurden in älterer Zeit meistens zu Altarbehängen, Kommunionstüchern und
^ Rückelachen ** verwendet, waren daher gewöhnlich streitig gemustert. Im
16. Jahrhundert und später war der Gebrauch von Leinenstickereien als Tiseh-
lachen, „Stüllachely**, Bettdecken, „Hantzwechlen**, ferner als Kopftücher, Hemd-
einsätze und Schürzen etc. zu festlichen Anlässen in wohlhabenden Bürgerhäusern
ziemlich allgemein. (Vgl. J. Meyer am Rhyn, über Leinenstickerei, im Bericht
über alte Kunst an der Landesausstellung in Zürich, 1883.)
Im 18. Jahrhundert vollzog sich dann die große Textil-Revolution durch
die Baumwolle j die in der Ostschweiz mit der fast vollständigen Niederlage von
Lein und Hanf endete. Auf Zürcher und Glamer Gebiet faßte das Baumwoll-
spinnen zuerst Boden und muß dort schon in den ersten zwei Jahrzehnten des
18. Jahrhunderts sehr viele Hände beschäftigt haben. In St. Gallen vollzog sich
der Uebergajig erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, durch das Weben
von Halbleinenzeug — Barchent und Bombasin mit iiächsemer Kette und Eintrag
von Glarner und Zürcher Baumwollgarn. Um 1720 war die Baumwollweberei
der leinenen bereits zum mindesten ebenbürtig an Umfang und Technik, und wo
die Lein wandfabrikat Ion am frühesten und am kräftigsten blühte, ist sie nun seit
einem halben Jahrhundert sozusagen spurlos verschwunden. Erhalten hat sie sich
in nennenswerthem Umfang nur im Oberaiirgau und im Emmenthal, wo sie heute
mannigfachen Schwierigkeiten innerer und äußerer Natur in achtunggebietender
Weise und mit unverkennbarem Erfolg Stand hält, so daß sie eher in Zunahme
als in Abnahme begriffen ist. Ihre Stärke und Widerstandskraft liegt vor Allem
darin, daß sie sich auf die Fabrikation der komplizirteren Artikel, die weniger
als die kurronten glatten Gewebe der englischen, belgischen, deutschen etc. Kon-
kurrenz mit Maschinengeweben ausgesetzt sind, konzentrirt.
Die schweizerische Leinenweberei ist demnach vorwiegend Handweberei,
resp. Hausindustrie in Verbindung mit Landwirthschaft. Es werden mit Vorliebe
Jacquard- und Damastgewebe zu Tischzeug etc., sowie ganz schweres, dichtes
Bettzeug, ganz feine Hemdenleinen und Mouchoirs gewebt; hiefür wird größten-
theils flandrischer Flachs bezogen, dessen Güte und Schönheit der Bemer Lein-
wand ihren vorzüglichen Ruf und die solide, inländische Kundschaft erhält, zu
welch' letzterer besonders auch die Gasthöfe gehören. Die schweizerischen Leinen-
fabnkanten vermöchten mit diesen schönen Spezialitäten sehr wohl auch den.
Export in großem Maßstabe zu entwickeln, wenn die Zölle in den großen
Nachbarstaaten einen weniger prohibitiven Charakter hätten; so beschränkt sich
der schweizerische Export von Leinen- und Hanfartikeln insgesammt auf den
Werth von ca. ^2 Million Franken per Jahr, wogegen die Einfuhr ca. 10
Millionen Franken beträgt. Die Gesammtproduktion wird auf 4 Millionen Franken
geschätzt. Wir haben bereits erwähnt, daß es sich in der Schweiz in der Haupt-
suche nur um Handweberei handelt. Von reinen Leinen- oder Hanfgeweben
Leinenindustrie — 337 — Leinenindustrie
werden nur unbedeutende Quantitäten grobe Artikel, wie rohes und imprägnirtes
Segeltuch zu Zelten, Schiffs-, Wagen- und Pferdedecken, Zwilch etc., auf mecha-
nischen Stuhlen erstellt. Bedeutender ist hingegen die mechanische Fabrikation
von Halbleinengeweben, — Matratzen-, Stören- und Bettdrilch etc., — meist
Baum wollkette und Leinenschuß. Der « Verein schweizerischer Leinenindustrieller''
hat im Jahre 1882 ermittelt, daß die Jahresproduktion der Handweberei
20,185 Stück, diejenige der mechanischen Weberei 13,062 Stück betrage.
Letztere wird in 5 Etablissementen mit zusammen ca. 300 Arbeitern betrieben.
Bemerkenswerth ist auch die Fabrikation von Hanfgurten, Hanfschläuchen und
-Säcken, die in mehreren kleineren G^chäften betrieben wird.
Das benöthigte Leinengarn wird bis Nr. 40 meistens in den heimischen
Spinnereien erzeugt. Feinere Sorten werden größten theils aus Belgien eingeführt.
Hanfgarn wird bis Nr. 25 gesponnen, d. h. bis zu der Feinheit, zu welcher
«ich die Hanffaser zu gutem Gram überhaupt verspinnen läßt. Eine Fabrik
beschäftigt sich auch mit der Produktion von leinenem Nähfaden. Nach den
Ermittlungen des genannten Vereins existirten im Jahre 1882 8217 Flachs- und
Hanfspindeln ; die Zahl der Spinnereiarbeiter betrug 489, die Produktion von
Oam 107,755 Bündel, diejenige von Nähfaden 989 q.
Die Seilerei ist in der Schweiz nur durch ein größeres Etablissement
vertreten: die mechanische „Bindfadenfabrik Schaff hausen", die jedoch ganz Vor-
tzügliches leistet und sich entsprechender Prosperität erfreut, ob zwar der Export
wegen den Zöllen sehr schwierig ist. Daneben bestehen selbstverständlich eine
^oße Zahl von Handwerksmeistern.
Die Flachs- und Hanfkultur ist in der Schweiz sehr zurückgegangen,
obschon sich einzelne Gegenden besonders dafür eignen. Der Bemer Flachs
gehört z. B. zu den beliebtesten Sorten und zeichnet sich durch sehr schönes
AV eiß nach der Bleiche aus. Am meisten Flachs wird noch in den Kantonen
Bern und Aargau gepflanzt, also um die Hauptsitze der betreffenden Industrie
selbst. Kultur und Behandlung sind vielerorts sehr mangelhaft. Die jetzige
inländische Flachs- und Hanfproduktion deckt den Bedarf bei weitem nicht. Wir
haben schon erwähnt, daß der Bezug des Fehlenden hauptsächlich aus Belgien
•erfolgt. In frühern Zeiten lieferten das Elsaß und Schwaben, was man an Rohstoff
vom Ausland beziehen mußte.
Die Leistungen der inländischen Bleichereien werden, soweit es sich um
Oewebe handelt, als befriedigend angesehen, wenn sie auch immerhin hinter
denjenigen der holländischen, belgischen und deutschen Bleicher noch zurückstehen
sollen. Die Garnbleichen sollen noch bedeutenderer Vervollkommnung bedürfen.
Die Gesammtstatistik der schweizerischen Leinenindustrie nach den Erhebungen
des Vereins schweizerischer Leinenindustrieller im Jahre 1882 faßt sich wie folgt
zusammen :
Spindeln 8217. Mechanische Webstühle 267. Arbeiter 3467, wovon 489
Spinnerei, 2613 Handweberei, 262 mechanische Weberei, 73 Bleicherei. Arbeits-
löhne Fr. 1'025,051, wovon Fr. 297,921 Spinnerei, Fr. 537,072 Handweberei,
Fr. 144,340 mechanische Weberei, Fr. 45,718 Bleicherei. Produktion 107,755
Bündel Garn, 98,880 kg Nähfaden, 20,185 Stück Handgewebe, 13,062 Stück
Maschinengewebe. (In den 40er Jahren soll die Leinwandproduktion in 11
bemischen Bezirken, nach Franscini's ^^^ova Statistica della Svizzera**, auf
^73,000 Stab = 14,500 Stück geschätzt worden sein.) Bleicheverkehr 9100 kg
Oam gebleicht, 72,300 kg Garn gelaugt, 14,365 Stück Gewebe gebleicht.
Fnrrer« VolXfwlrthschafts-LexIkon der Schweiz. <)^
Lenzburg-Emmenbrücke — 338 — Lielibach
Nach Schlatter^s Indiifitriekarte für die Landesausstellang in Zürich wäre»
im Jahre 1883 597 Personen mit der Leioenspinnerei, 2652 Personen mit der
Leinenweberei beschäftigt, und zwar
Spinner im Kt. Zürich 291, Bern 216, Aargaa 46, Schaffhausen 44;.
Weber im Kt. Bern 1817, Thurgau 250, Zürich 133, Lnzem 121, Appenzell
A.-Rh. 70, Freiburg 66, Waadt 60, Schaflfhausen 34, Aargau 26, Baselland 25,
Zug 22, Schwyz 10, St. Gallen 8, Nidwaiden 5, Graubünden 5.
Die eidg. Berufsstatistik pro 1880 schreibt der Leinen- und Halbleinen-
industrie (inbegrififen Seilerei und filastiquefabrikation) 10,785 erwerbsthätige
Personen zu = 8,2 ®/oo aller Berufsthätigen. Die Summe 10,785 vertheilt sich
auf die Kantone wie folgt; Bern 4016, Luzern 924, Aargau 813, Waadt 615,
Freiburg 611, Solothurn 542, Zürich 485, Graubünden 477, Thurgau 319,
Tessin 277, Schaffhausen 248, WaUis 245, St. Gallen 229, Schwyz 217, Ob-
walden 215, Uri 103, Nidwaiden 88, Baselland 81, Glarus 61, G«nf 55, Zug
55, Baselstadt 40, Neuenburg 37, Appenzell A.-Bh. 28, Appenzell I.-Bh. 4.
Von obigen 10,785 Personen entfallen auf die Seilerei 1172, auf die
Elastiquefabrikation 644 Personen.
Dem schweizerischen Fabrikgesetz sind (Ende 1886) 11 EtabHssemente
der Leinenbranche (inkl. Seilerei und Hanfsohlauchfabrikation) mit 595 Arbeitern
unterstellt; 549 Pferdekräfte. Es entfallen auf den Kanton Bern 4 Etabl. mit
272 Arb., Zürich 3 Etabl. mit 227 Arb., Aargau 2 Etabl. mit 48 Arb.,
Schaffhausen « Etabl. mit 48 Arb.
Lenzburg-Emmenbriicke s. Seethalbahn.
Leopoldshöhe-Basel-Grenzaoh s. Badische Staatsbahnen.
Liberia steht mit der Schweiz in vertraglicher Beziehung durch den Welt-
postverein «vertrag.
Lichtdruckerei« Diesen Geschäftszweig betreibt laut Handelsregister die
Firma Brunner & Cie. in Winterthur ; ferner laut Birkhäuser^s Adreßbuch (Basel,
1885) eine Firma in Basel.
Lichtenstein, Die mit diesem Fürstenthum seit 1848 abgeschlossenen und
noch in Kraft bestehenden Verträge sind : Der Vorarlbergbahn - Vertrag, d. d.
27. August 1870 (A. S. 10, p. 380), der Niederlassungsvertrag vom 6. Juli
1874 (A. S. n. F. 1, p. 451), der Vertrag über gegenseitige Zulassung der an
der Grenze doraizilirten Medizinalpersonen (A. S. n. F. 9, p. 226). Siehe auch
OesteiTeich-Ungam.
Liegel's Winterbutterbirne, eine Tafelfmcht ersten und Wirthschafts-
frucht vierten Ranges, ist auch in der Schweiz verbreitet. Der Baum ertrSgt
die Winterkälte gut und wird etwas spät tragbar. („Schweizerische Obstsorten •*,
Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhorn in St. Gallen.)
Lielibacll- und Trestlibach -Verbauung bei Beokenried (Nidwaiden).
Den Anlaß zur Verbauung dieser beiden Bäche gab die Katastrophe vom Juli
1883, welche einen bedeutenden Schaden durch Verschüttung von Grundstücken
und Gebäulichkeiten verursachte. Vor diesem Ereigniß flössen die beiden Bäche,
deren Zusammenfluß unmittelbar oberhalb der Brücke der Straße Beckenried-Buocbs
stattfand, vereinigt etwas unterhalb dieser Brücke dem Vierwaldstätter See zu ;
seither fließt nun der Trestlibach etwas unterhalb des Austrittes aus der Schlucht
in mehr westlicher Bichtung durch das „Riedlithal** direkt in den See, welchen
Lauf er schon früher einmal genommen hatte und nach dem bestehenden Projekte
auch beibehalten soll. Was die Arbeiten am Lielibach betrifft, so beziehen
sich dieselben auf: 1) die Verbauung der Erosionsrinne in einer Gesammtlänge
Liestal -Waidenburg — 339 — Lingerie
voD 3440 m, 2) die Eeglung des untern Laufes in einer Länge von 1100 m,
vom Ende der Erosionsrinne bis zum See.
Zu den hier genannten Arbeiten kommt noch die Yerbauung der beiden
Zuflüsse: des Graben- und des Moosbaches mit einer Länge von je 600 m und
1000 m. Beim T res tlibach, in dessen oberstem Laufe wie am Lielibach keine
schlechten Zustände bestehen, handelt es sich um die Verbauung der Erosions-
rinne in einer Länge von 1600 m; der untere Theil dieses Baches wird in
seinem neuen Laufe belassen und ist daher nur die Reglung desselben auf der
2030 m langen Strecke vorgesehen. Zu diesen Arbeiten kommt noch die Ver-
bauung seiner beiden Zuflüsse: Hombaoh und Schwabergtobel mit einer Länge
von je 400 m und 100 m.
Dem Halbkanton Nidwaiden wurde an die Kosten dieser Arbeiten, fUr deren
Ausführung 8 Jahre vorgesehen sind, ein Bundesbeitrag zugesichert, der fest-
gesetzt wurde auf 50®/o der wirklichen Kosten, bis zum Maximum von Fr. 125,000,
als 50 ®/o der Yoranschlagssumme von Fr. 250,000. Bundesbeschluß vom 19. De-
zember 1884 (A. S. n. F. Bd. 7, pag. 776).
Liestal- Waidenburg s. Waldenburgerbahn.
Ligne d'Italie* Unter diesem Namen bestanden früher zwei Gesellschaften
fUr die Eisenbahn im Kanton Wallis. Die Betriebseröffnungen und der Eigen thums-
wechsel haben wie folgt stattgefunden: Am 14. Juli 1859 Eröffnung der Strecke
Bouveret-Martinach (38,321 m), am 10. Mai 1860 Eröffnung der Strecke
Martinach-Sitten (25,882 m), am 1. August 1867 Uebergang der Linie Bouveret-
Sitten an die neue Gesellschaft, am 15. Oktober 1868 Eröfliiung der Strecke
Sitten-Sierre (15,496 m), am 1. Juni 1874 IJebergang der Linie Bouveret-Sierre
(79,699 m) an die Simplon-Bahngesellschaft (siehe Simplonbahn).
Limberger. Blaufränkische, blaue Frankentraube, welche aus Niederöster-
reich stammt. Die Rebe ist sehr kräftig und fruchtbar, dagegen dem schwarzen
Brenner (Fleck) sehr unterworfen; auch treibt sie frühe aus und leidet daher oft
von den Spätfrösten. Die Trauben sind groß, schwarzblau, faulen nicht leicht,
reifen später als der Burgunder und geben einen etwas rauhen, aber kräftigen
Wein. Kr.
Limmatkorrektion (Kanton Zürich). Es handelt sich bei dieser Korrektion
um die in Ausführung begriffene 14 km lange Strecke von Wipkingen bis zur
Kantonsgrenze bei Oetweil. Diese Thalstrecke wird zeitweise auf große Breiten
überschwemmt, in Folge der ungestümen Hochwasser und großen Geschiebszufuhr
der Sihl. Das Korrektionssystem für die ca. 10 km lange Strecke von der
Kantonsgrenze bis Höngg, bei der es sich um eine zusammenhängende Korrektion
handelt, während die übrige, ziemlich regelmäßige Flußstrecke nur kleinerer
Ergänzungsarbeiten bedarf, ist ein ähnliches wie an der Thur (siehe „Thur-
korrektion**), nur daß hier zur Erzielung einer zweckmäßigen Flußrichtnng und
zum Zwecke einer erwünschten Vermehrung des GefHlIes einige Durchstiche
auszuführen sind. Das projektirte mittlere Sohlengefäll beträgt 1,5 ^oo bei einer
Sohlenbreite von 50 m. Der Kostenvoranschlag für diese Korrektion belauft sich
auf Fr. 900,000. Der Bund bewilligte einen Beitrag im Verhältnisse eines Dritt-
theils der wirklichen Kosten, bezw. im Maadmum Fr. 300,000. Bundesbeschluß
vom 28. Juni 1882 (A. S. n. F. Bd. 6, pag. 218).
Lingerie« Es wird angenommen, daß in der Schweiz jährlich für 15
Millionen Franken Herren- und Damenwäsche gebraucht werde (1' 600,000 Herren-
hemden k Fr. 37« = Fr. 5' 600,000; Damenhemden, Hosen, Jacken^ Jw^viv^^
Linon — 340 — Linthkorrektion
Schürzen, üntertaillen, Kragen, Manohetten, Büschen, Corsets etc. Fr. 9^400,000),
exkl. Einderwäsche, und für ca. Y2 Million Franken Papier wasche.
Weitaus der größte Theil diesem Bedarfs wird fertig importirt oder aas
importirten Gewehen oder Halhfiahrikaten (haomwollene and leinene Hemden-
brüste etc.) verfertigt. Der Lieferangen ordinärer Waare dieser Art hemächtigt
sich immer mehr Deutschland, namentlich Bielefeld und Berlin, sowie Plauen
(für Damenlingerie). Eigentliche Lingeriefabriken existiren wenige in der Schweiz,
wohl aber eine Unmasse kleinerer Greschäfte in Verbindung mit Yerkaufeläden,
die Herrenhemden und Damenartikel auf Maß und im Yorrath verfertigen.
Im Handelsregister waren £nde 1885 215 Firmen der Lingeriebranche
eingetragen.
Linon, Feine Leinwand, deren Fabrikation in St. Gallen in den Neunziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts eingeführt wurde, um die durch die Kevolntions-
ereignisse in Frankreich hewirkte Arbeitsnoth zu mindern. £ine größere Bedeutung
hat indessen diese Fabrikation nie erlangt, wohl aber die Stickerei auf franzö-
sischen und niederläncttschen Linons. Imitation von Linon in Baumwolle wurde
in St. Gallen schon früher betrieben.
Linthkorrektion. Die Linth, gebildet durch den Sandbach und den Limmem-
hach, welche ihre Quellen an der Tödigruppe haben, durchfließt der Länge nach
den ganzen Kanton Glarus, eine große Anzahl kleinerer und größerer Bäche in
sich aufnehmend, und ergießt sich etwas oberhalb dem Städtchen Weesen in den
Wallenstadter See. Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts floß sie mehrfach zer-
theilt und in manchen Krümmungen an Niederumen vorbei, der Ziegelbrücke zu,
wo sie sich mit der Weesener Linth oder sog. Maag vereinigte, welche die Fort-
setzung des bei Wallenstadt in den Wallenstadter See fließenden Seez ist. Beide
vereint durchflössen nun die große Thalebene zwischen Wallenstadter und Züricher
See, um unweit Schmerikon in fast gleicher Richtung wie noch jetzt, sich in
letztern zu ergießen.
Durch vielleicht Jahrhunderte lang fortgesetzte Ablagerungen der Geschiebe
der Glamer Linth hatte sich allmälig die Thalebene unter Netstall erhöht und
wurde bei Hochwassem überschwemmt. Das vom G^chiebe befreite Wasser
vereinigte sich weiter unten mit dem tiefern Abfluß des Wallenstadter See's in
unschädlicher Weise und überführte bei üeberfluthungen die angrenzenden Grund-
stücke bis zum Züricher See hinab mit fruchtbarem Schlamm. Nach und nach
mußten in Folge von immer höherer Ablagerung die nutzbaren Grundstücke durch
Eindämmung der Linth geschützt werden. Die Geschiebe, welche nun nicht mehr
seitwärts ausweichen konnten, wurden immer weiter vorwärts geschoben, bis sie
die Yereiniguugsstelle mit der Maag bei der Ziegelbrücke erreicht hatten und
dadurch das Bett derselben derartig erhöhten, daß sich der Seezspiegel über die
gesammte Niederung von Näfels bis zum Wallenstadter See und auch abwärts
nach dem Züricher See erhob. Die Ortschaften Weesen und Wallenstadt, sowie noch
andere Orte wurden zeitweise unter Wasser gesetzt, ja bei hohen Wasserständen
erreichte das Wasser die ersten Stockwerke in genannten Ortschaften, so daß der
Yerkehr nur mit großen Schiffen bewerkstelligt werden konnte.
Durch diese mißlichen Zustände wurden mehrere hundert Jnchartcn des
fruchtbarsten Bodens gänzlich versumpft und die aus den Sümpfen entstandenen
Dünste verursachten eine Menge von Krankheiten.
Um diesem Unheil wirksam entgegen zu treten, wurde an der Tagsatzung
im Jahre 1804 auf den Yorschlag des Staatsraths Conrad Escher in Zürich,
der auch später die Leitung der Arbeiten übernahm, die Korrektion der Linth
LinthkorrektioD — 341 — Linthkorrektion
beschlossen. Die kOnstliche Senkung des Wallenstadter See^s auf das gegenwärtige
Seenivean, auf welcher das ganze Gelingen der üntemehmung beruhte, wurde
bewerkstelligt durch Ableitung der Geschiebe der Glarner Linth in den Wallen-
stadter See vermittelst dem zu diesem Zwecke erstellten Molliser Kanals der
später zu Ehren des Leitenden den Namen nEscher-Eanal" erhielt, sowie durch
Anlage des Linthkanals, welcher vom Wallenstadter nach dem Züricher See führt.
Die Arbeiten am Molliser Kanal begannen am 1. September 1807 und
es konnte der letztere am 8. Mai 1811 der Linth geöffnet werden. Die Totallänge
dieses Kanals war zu 3900 m bestimmt, mußte aber um ca. 1200 m verlängert
werden, da sich an der Mündung im Wallenstadter See aus den reichlichen Sink-
stoffablagerungen der Linth bedeutende Alluvionen bildeten, die das Profil des
Kanals beengten und seine Gefälle verminderten. Zudem wurde die Korrektion
der Glarner Linth in einer Länge von 1800 m von der Molliser Brücke aufwärts
ausgeführt. Der dermalige Zustand des Kanals nach den nothwendig gewordenen
Berichtigungs- und Ergänzungsbauten zeigt bei einem gleichmäßigen Sohlengefäll
von 3 ^/oo die Eigenthümlichkeit, daß dessen Profilweite von der Molliser Brücke
abwärts gegen den Wallenstadter See zu abnimmt. Der Zweck besteht darin,
die Triebkraft des Wassers zur Vermeidung von Geschiebsablagerungen nach unten
zu verstärken. Obenher dem Kupferkrumm in einer Länge von 1800 m hat der
Kanal eine Sohlenbreite von 18 m bei 2,1 m hohen Wuhren und bis 2,4 m
hohen Dämmen; unter der Kupferkrumm bis zur Kanalverlängerung beträgt die
Sohlenbreite nur 15 m bei 2,4 m hohen Wuhren und bis 3 m hohen Dämmen;
in der Kanalfortsetzung, über 1200 m lang, reduzirt sich die Sohlenbreite sogar
auf 12 m bei 3,6 m hohen Wuhren, ohne Dämme.
Gleichzeitig mit der Inangriffnahme des Molliser Elanals begannen die Ar-
beiten am Linthkanal unterhalb der Ziegelbrücke mit Ausgrabung eines neuen
Flußbettes. Sowohl auf den Strecken, wo auf eine Gesammtlänge von 750 m
einige Liseln zu durchschneiden waren, wie auch bei den Durchschnitten der lang-
gezogenen Serpentinen, wodurch die Gesammtlänge des alten Linthlaufes von der
Ziegelbrücke bis Grynau um ca. 4340 m reduzirt werden konnte, wurde derselbe
nur auf halbe Breite ausgehoben, die weitere Verbreitung und Vertiefung der
Wasserkraft überlassen. Der Kanal vom Wallensee bis zur Ziegelbrücke wurde
vollständig im alten Sumpfboden ausgegraben. Den 17. April 1816 war die
Korrektion der untern Linth bis ca. 1350 m unterhalb Grynau vollständig und
glücklich durchgeführt, jedoch noch ohne IJferversicherungen, da sich der Fluß
erst noch durch Vertiefung und Erweiterung seines Bettes einen Normalzustand
bilden mußte und erst nach und nach ausgebaut werden konnte.
Wie am Escher-Kanai, so waren auch am Linthkanal außer den unvermeid-
lichen Ünterhaltungsarbeiten im Laufe der Jahre noch andere Nachhülfen nothwendig.
Ebenso mußte der Kanal auf eine Strecke von ca. 2400 m unterhalb Grynau
verlängert werden, um die Bodenkulturflächen zwischen Benken, Reichenburg,
Tuggen, Grynau, Schmerikon und Utznach, welche durch den Rückstau des
Züricher See's in den Linthkanal häufig an Ueberschwemmungen zu leiden hatten,
von diesem Uebel zu befreien. Um die periodisch sehr bedeutenden Gewässer
der beiden Thalseiten von Schännis und Niederumen direkt in den Züricher See
abzuleiten, mußten Hinterwasserkanäle hinter den Linthdämmen erstellt werden,
deren Sohlen breite rechtsseitig auf 15 m und linksseitig auf 12 m bestimmt
wurde.
Die Totallänge des Linthkanals beträgt ca. 17 km, das Flußgefäll 1,15^00,
bei der Ausmündung unterhalb Grynau 0,50 ^/oo; oberhalb Grynau hat der Kanal
Linththal-Glarus — 342 — Literarisches Eigenthum
ein mittleres Profil von 30 m, ly^malige Böschangen, 2,4 m Tiefe, Hochwasser
dämme 1,8 m hoch; die Entfernung der Dammkronen beträgt 60 m; unterhalb
Grynau ein mittleres Profil von 33 m, 1 '/« malige Böschung, 2,4 m Tiefe, Hoch-
wasserdärame 1,8 hoch, Entfernung der Dammkronen 75 m.
Bis zum Jahre 1827, wo das unternehmen abgeschlossen und die neuen
Kanäle dem Unterhalt der betreffenden Genoßsamen übergeben worden, betrugen
die sämmtlichen auf die ganze Korrektion aufgewendeten Kosten Fr. 1' 476, 762,
die gesammten Ausgaben für das Linthunternehmen seit 1807 bis 1885 Fr. 3'952,324.
Damit kann aber das Unternehmen noch lange nicht als völlig abgeschlossen be-
trachtet werden, indem zu dessen Vollendung noch eine Summe von ca. einer
Million Franken erforderlich und ein etwa dreißigjähriger Vollendung« termin
vorgesehen ist. (Vgl. auch G. H, Legier^ Linthingenieur, „Summaiischer Bericht
über das Linthunternehmen 1866 und September 1886** ; Glanis, Buchdruckerei
W. Schmid.) Br.
Linththal-Glarus s. Nordostbahn.
Ijiqueur im eigentlichen, engeren Sinne des Wortes (Anisette, Kümmel,
Genievre, Nußwasser, Maraschino, Creme de menthe, Creme de vanille, Parfait
d'amour, Curagao, Chartreuse etc.) wird in der Schweiz nicht fabrikmäßig, sondern
mehr nur zum Hausgebrauch oder als Nebenerwerb bereitet. Anders verhält es
sich mit den gemeiniglich ebenfalls zu den Liqueuren gezählten Bittem, Absinth,
Wermuthwein, Iva, Enzianschnaps. Am bedeutendsten ist die Absinth- und
Wer muth Weinfabrikation — hauptsächlich im romanischen Jura und in Genf zu
Hause — mit einer Produktion, deren Werth wahrscheinlich über 1 Million Franken
beträgt und die großentheils exportirt wird. Die Fabrikation von Magenbitter,
hauptsächlich durch den Alpenkräutermagenbitter von Dennler in Interlaken und
Zürich, sowie von Amstutz & Denner, und die Ivapräparate von Apotheker
S. Bernhard in Samaden (Graubünden) repräsentirt, hat ebenfalls große Dimen-
sionen angenommen.
Ein wichtiger Liqueur ist in der Schweiz auch der Enzianschnaps (Gentiane),
dessen Bereitung seit einiger Zeit im Großen betrieben wird.
Die Bereitung aller übrigen Liqneursorten — in großer Zahl — bildet in
der Schweiz, wie bereits erwähnt, nur einen Nebenerwerb von meistens ganz
lokaler Bedeutung.
Durch große Mannigfaltigkeit der Sorten zeichnet sich der Kanton Tessin aus.
Die schweizerische Liqueur-Industrie stützt sich hauptsächlich auf den Reich-
thum des Landes an den bezüglichen Kräutern (Wermuthkraut, Iva, Enzian,
Thymian, Angelika etc.), die meist nur in den Alpen zu finden sind.
Einfuhr von Liqueurs im Jahre 1885; 1663 q ä Fr. 325 = Fr. 540,475
(13.20 q aus Frankreich, 152 q aus Deutschland, 110 q aus Italien).
Ausfuhr: 4607 q a Fr. 132 = Fr. 607,576 (3323 q nach Frankreich,
237 q nach Deutschland, 225 q nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika,
183 q nach Italien, 98 q nach Belgien).
Cognac, Rhum, Arrac sind hie vor nicht inbegriffen.
Im Handelsregister waren Ende 1884 130 Liqueur- Fabrikationsgeschäfte
eingetragen. Birkhäuser's Adreßbuch (Basel, 1885) verzeichnet 1050 Liqueur-
und Spirituosengeschäfte (Fabrikation und Handel).
Literarisches und künstlerisches Eigenthum. (Mitgetheilt von Herrn
Dr. Kaufmann, eidg. Gewerbesekretär.) Dieser Zweig des geistigen Eigenthums
hat, wie seine Komponente, das gewerbliche Eigenthum, in der Schweiz lange
Literarisches Eigenthum — 343 — Literarisches Eigenthum
auf die Fürsorge des Gesetzgebers warten müssen, aber doch schließlich unter
der Herrschaft der 1874er Verfassung die staatliche Anerkennung auf eidge-
uössischem Boden gefunden, während Eründungen, Muster und Modelle (betr.
Fabrik- und Handelsmarken s. diese) noch um dieselbe kämpfen, und weit heftigerm
Widerstand begegnen.
Vor 1874 wurden wohl in einzelnen Fällen obrigkeitliche PrivUeffien für
den Druck und Verkauf literarischer Werke ertheilt, jedoch nur auf dem engen
Gebiete der StUdte und Stände (z. B. Zürich, Baselstadt, Aargau), So konnte
z. B. die Toffsaizung über ein Gesuch Heinrich Pe8taloiszi\ um Bewilligung
eines solchen Privilegiums keinen Entscheid fassen, weil dies nicht in ihrer
Kompetenz, sondern in derjenigen der Stände lag; sie übermittelte dagegen das-
selbe dem Vororte ^zu angemessener Empfehlung an die Stände, sei es unter
dem Titel des Rechts und der Beschützung des Eigenthums, sei es aus Achtung
für die Verdienste und Hingebung des Herrn Pestalozzi zu gemeinnützigen
Zwecken" (19. Aug. 1816). Aehnlich erging es einem der Tagsatzung durch
Vermittlung des preußischen Gesandten am 16. Juli 1829 zugekommenen Gesuche
des Landgerichtrathes von Schiller in Trier um ein Privilegium für Schiller' s
Werke zu Gnnsten seiner hinterbliebenen Blinder Karl, Ernst, Karoline und
Emilie.
Luzern z. B. hat im Jahre 1829, gewissermaßen aus Pietät gegenüber den
betr. Autoren, den Nachdruck und den Verkauf nachgedruckter Ausgaben der
Werke Schiller's und des Bischofs Sailer von Regensburg unter polizeilicher
Strafandrohung und Konfiskation verboten.
Baselland ließ im Jahre 1838 einer französischen Gesellschaft, welche in
Allschwyl zum Zwecke des Nachdrucks eine Druckerei errichtet und bereits mit
dem Nachdrucke von Schiller s Werken begonnen hatte , die Fortführung des
Geschäftes untersagen und die Presse schließen.
Den ersten Anstoß zur eidgenössischen Regelung der Frage versuchte die
Gesandtschaft des Standes Aargau in der Tagsatzungssitzung vom 21, Äug, 1838,
indem sie die Anregung brachte, „ob es nicht zweckmäßig wäre, sei es auf dem
Wege eines verbindlichen Tagsatzungsbeschlusses oder eines freiwilligen Konkordats
<lie Sicherstellung des literarischen Eigenthums gegen Nachdruck oder Verkauf
des Nachdrucks zu bewirken**. Einige Stände erklärten sich wohl zur Mitwirkung
bereit, von anderer Seite aber wurde auf die großen Schwierigkeiten hingewiesen,
welche anderwärts die Ergreifung derartiger Maßregeln zur Folge gehabt, und
welche noch vermehrt würden durch die konföderative Verfassung der Schweiz,
zudem ein bloßes Konkordat über diesen Gegenstand von gar keinem Erfolg
wäre. Die große Mehrheit der Stände behielt sich denn auch das einfache
Referendum über die stattgefundene Berathung vor (s. Repertorium der Abschiede
1814—1848, Bd. 2, p. 650/51).
Später wurde in der durch die Tagsatzung am 16. Aug. 1847 mit der
Revision des Bundesvertrages vom 7. Aug. 1815 beauftragten Kommission ein
Vorschlag, welcher auf Sicherung des literarischen Eigenthums abzielte, eingebracht,
aber auf die Bemerkung, „daß solche Spezialitäten nicht in den Bundesvertrag
gehören, und daß es Sache der Gesetzgebung sei, diesfalls den nöthigen Schutz
zu gewähren"*, zurückgezogen (Sitzung vom 30. März 1848; s. Protokoll der
Kommiss.-Verhandl., p. 149).
In der die Verfassungsrevision berathenden Ta(/satzung selbst wurde am
•31. Mai 1848 von der Gesandtschaft des Standes Genf der Antrag gestellt, zu
Art. 11 der Verfassung das Amendement: „Les dispositions legislatives touchant
Literarisches Eigenthum — 344 — Literarisches Eigenthuia
les brevets d'invention, la proprieti artistique et iitt6raire dans tonte Tetendue
de la Confed^ration" aufzunehmen.
Dieser Vorschlag yeranlaßte eine längere Diskussion. Es wurde eingewendet^
„daß das Patentsystem nicht demokratisch sei, und stets nur dazu gedient habe,
die herrschende Gewalt zu unterstützen. Ein geistiges Eigenthum dtlrfe nicht
wie eine Waare behandelt werden, und was dem Geiste einmal entflossen sei,
dürfe von Jedermann als vollständiges Eigenthum angesehen werden. Durch den
Nachdruck insbesondere sei ein hauptsächliches Mittel gegeben, das Volk auf-
zuklären und nützliche Kenntnisse unter demselben zu verbreiten, indem das Volk
nicht im Stande sei, mit schwerem G^lde theure Bücher sich zu verschaffen.
Üeberdies dürfte ein Gesetz, wie das beantragte, in der Praxis nicht auszuführen
sein, indem die Grenze schwer zu finden wäre, für welche Erfindung im Gebiete
der Kunst oder der Industrie der Staat einen ausdrücklichen Schutz zu gewähren
habe."
Zu Gunsten des Schutzes wurde augeführt, daß das literarische Eigenthum
seinem Begriffe nach ebenso gut in seiner Integrität erhalten werden und unter*
den öffentlichen Schutz gestellt sein müsse, wie jedes andere materielle Eigenthum..
Nur dann könne der Gelehrte sich ermuntert fühlen, literarischen Arbeiten sich
zu unterziehen, während er bei der bestehenden Rechtlosigkeit genöthigt sei,
seine Produkte in solchen Staaten drucken zu lassen, wo sie nicht gleich nach
ihrem Erscheinen ganz unberechtigten Personen zur Beute werden dürfen. Dann
könne die Schweiz auch mit den Nachbarntaaten bezügliche Verträge abschließen,,
wodurch sich den schöpferischen geistigen Talenten ein weiter Markt eröffnen
würde, was zu vermehrter Beschäftigung im Gebiet der Literatur und somit zur
Hebung der Wissenschaft und Kunst führen müßte. Außerdem komme nicht
bloß die geistige Thätigkeit, sondern auch der Umstand in Betracht, daß der
Schriftsteller für die Ausarbeitung seines Werkes oft bedeutende materielle Opfer
bringen müsse, für welche der Schutz eine billige Entschädigung böte.
In der Abstimmung stimmten für den im Antrage Genfs auch enthaltenen
Schutz der Erfindungen nur die Gesandtschaften der drei Stände Freiburg, Neuen-
burg und Genf, nebst Baselstadt, für den Schutz des literarischen Eigenthums
diejenigen der neun Stände Zürich, Schwyz, Zug, Freiburg, Thurgau, Waadt,.
Wallis, Neuenburg und Genf, nebst Baselstadt, also eine ansehnliche Minderheit
(s. Abschied der ord. Tags. 1847, IV. Theil, 117—119).
Es blieb somit einstweilen beim alten Zustande, welcher deßwegen, weil drei
Kantone, 6refn/* (französische Gesetzgebung), Solothurn (Zivilgesetzbuch, § 1404 ff.),.
Tessin (Gesetz betr. d. lit. Eigenthum, vom 20. Mai 1835), das Autorrecht
(jeseizUch geregelt hatten, nicht befriedigender war, denn diese Gesetzgebungen
mußten, weil isolirt und auf kleines Gebiet beschränkt, ganz unwirksam bleiben.
Immerhin gewann die Theorie des Schutzes der Urheberrechte doch nach
und nach Boden. Nachdem der Staatsrath von Freiburg schon am 5. Dez. 1849
die Initiative ergriffen, die Mitstände auf die mit dem herrschenden gesetzlosen
Zustande, namentlich auch bezüglich der Schulbücher, verbundenen Nachtheile
aufmerksam gemacht und zu deren Beseitigung die Gründung eines Konkordates
angeregt hatte, gelangte am 21. April 1852 der Schweiz. Bundesrath, veranlaßt
durch den wiederholt geäußerten dringenden Wunsch Frankreichs, mit der Schweiz
in ein Vertragsverhältniß zur Verhinderung des Nachdrucks zu treten, an die
Kantone, um sie über die Ausßichten auf Regelung der Angelegenheit durch
Kantonalgesetzgebung oder Konkordat zu sondiren. Das Resultat war derart^
daß der Bundesrath eine interkantonale Konferenz organisirte, welche am 4. Febr»
Literarisches £igei)thum — 345 — Literarisches Eigenthum
1854 in Bern zusammentrat und nach Antrag Zürichs beschloß, den Bundesrath
um Ausarbeitung eines Konkordatsentwurfs zu ersuchen, mit dem Beifügen, «daß
es wünschenswerth wäre, wenn auch etwas zum Schutze der Erfindungen geschehen
könnte**. Bei üebermittlung seines Entwurfs an die Kantone (17. Mai 1854)
sprach sich indeß der Bundesrath gegenüber letzterem Begehren ablehnend aus;
es sei nicht rathsam, durch die Vereinigung beider Gegenstände in einem Konkordat
die Kantone in die Alternative zu versetzen, entweder beides oder nichts an-
nehmen, und außerdem sei von jeher die Benutzung von Erfindungen in der
öffentlichen Meinung anders beurtheilt worden, als der literarische Nachdruck.
Die Anregung betr. die Erfindungen blieb auf sich beruhen. Eine neue inter-
kantonale Konferenz vom 15. Juli 1854 in Bern nahm den bundesräthlichen, von
ihr noch durohberathenen Entwurf an, ließ ihn durch Vermittlung des Bundesrathes
(Kreisschreiben vom 7. Aug. 1854) sämmtlichen Ständen mittheilen und letztere
zum Beitritt einladen.
Der Enthusiasmus fUr das allerdings nicht vollkommene Werk war zwar
nicht groß« und erst am 3. Des, 1856 konnte das Konkordat vom Bundesrath
promulgirt werden (A. S. 5, p. 494), nachdem ihm beigetreten waren; Zürich,
Bern, Uri, Unterwaiden, Glarus, beide Basel, Schaffhausen, Appenzell I.-Rh.,
Graubünden, Thurgau, Tessin, Waadt und Genf. Später schlössen sich noch an :
Aargau (13. Febr. 1857), AppenzeUA.-Rh.(28.0kt. 1860), Schwyz (8. Juni 1«67).
Einzelne Stände verhielten sich unbedingt ablehnend, und es leuchtet ein,
daß, nachdem es nicht gelang, alle zu dem Konkordate zu vereinigen, letzteres
seinen Zweck höchst mangelhaft erfüllte.
Die Situation wurde noch aus einem andern Grunde verschlimmert.
Wie schon angedeutet, verfolgte Frankreich seit Jahren beharrlich das
Ziel, mit der Schweiz einen Vertrag gegen den Nachdruck abzuschließen. Die
nach der 1848er Verfassung auf diesem Gebiete souveränen Kantone weigerten
sich ebenso beharrlich, auf dieses Begehren einzutreten, mit Ausnahme von Genf^
welches mit Frankreich durch Vermittlung des Bundesrathes einen auch die
Fabrikmarken umfassenden Separatvertrag vom 30. Okt. 1858 (A. S. 6, p. 86)
abschloß.
In den Anfangs der 60er Jahre nachfolgenden Unterhandlungen zwischen
der Schweiz und Frankreich machte jedoch letzterer Staat den Abschluß des von
der Schweiz lebhaft angestrebten Handelsvertrages von der absoluten Bedingung
abhängig, daß die französischen Produzenten gegen unbefugte Nachahmung ihrer
Produkte gegenüber den schweizerischen gesichert würden. Ea gelang zwar, den
in diesem Begehren enthaltenen, am meisten Bedenken erregenden Schutz der
Erfindungen und Modelle zu eliminiren und die geforderte und auch zugestandene
üebereinkunfi (vom 30, Juni 1864, A. S. 8, p. 334; Schweiz. Vollziehungs-
verordnung vom 14. Juni 1864, A. S. 8, p. 425) auf das literarische und
ktlnstlerische Eigenthum, die Fabrik- und Handelsmarken und industriellen Zeich-
nungen zu beschränken, aber auch so noch wurde sie in der Schweiz allseitig
mit großem Widerstreben und nur mit Rücksicht auf die Vortheile des Handels-
vertrages in den Kauf genommen (s. den Bericht des Bundesrathes vom 15. Juli,
der nationalräthlichen Kommission vom 26. Aug., der Minderheit der letztern
vom 26. Aug., der ständeräthlichen vom 2. Sept. 1864). Die Uebereinkunft war
in der That schon aus dem Grunde eine höchst eigen thümliche Erscheinung, weil
sie, Angesichts der fehlenden Befugniß des Bundes, über das geistige Eigenthum
ein Gesetz zu erlassen, und der Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit, an dessen
Stelle 25 kantonale Gesetze oder ein alle Kantone umfassendes Konkordat treten
Literarisches Eigenthum — 346 — Literarisches Eigenthum
zu lassen, über den in der Schweiz den Franzosen zu gewährenden Schatz eine
eigentliche aosfdhrliche Gesetzgebung mit Strafcodex enthielt, wie es übrigens
auch noch mit der spätem Uebereinkunft vom 23. Febr. 1882 der Fall ist. Schon
dies war, abgesehen davon, daß die Materie damals überhaupt nicht beliebt war,
sehr seltsam, und dazu kam, daß damit für den Ausländer Schatzgarantien ein-
geführt wurden, welche der Schweizer selbst entbehrte.
Diese fatale UngleichheU zu G-unsten des Ausländers und andere aus den
Verträgen mit Frankreich hervorgehende Uebelstände (sog. Jadenfrage, etc.) suchte
man allerdings bald nachher durch eine Partialrevision der Verfassung (s. Bot-
schaft des Bundesrathes vom 1. Juli 1865; betr. das Verhalten der Kommissionen
der Räthe s. unter Erfindungsschutz, p. 574) zu beseitigen, jedoch ohne Erfolg,
indem auch der Revisionspunkt: „Der Bund ist befugt, gesetzliche Bestimmungen
zum Schutze des schriftstellerischen, künstlerischen und industriellen Eigenthams zu
erlassen** in der Volksabstimmung vom 14. Jan. 1866 mit 177,386 gegen 137,476
Stimmen verworfen wurde.
Dieses Resultat war um so schlimmer, als sich die Schweiz in der Folge
genöthigt sah, die Frankreich gemachten Zugeständnisse auch andern Staaten
einzuräumen. Es geschah dies in der Uebereinkunft mit Belgien vom 25. April
1867 (A. S. 9, p. 114), mit Italien vom 22. Juü 1868 (A. S. 9, p. 680; s.
auch Protokoll vom 1. Mai 1869, A. S. 9, p. "756, betr. Vollziehung der Uebcr-
einkünfte vom 22. Juli 1868, Artikel I), mit dem Norddeutschen Bund vom
13. Mai 1869 (A. S. 9, p. 919; Schweiz. Vollziehungsverordnung vom 20. Aug.
1^69, A. S. 9, p. 941), mit Bayern^ Würtemberg und Hessen vom 16. Okt.
1869 (A. S. 10, p. 126), mit Baden vom 16. Okt. 1869 (A. S. 10, p. 149;
Schweiz. Vollziehungsverordnung zu beiden vorstehenden Uebereinkünften vom
13. April 1870, A. S. 10, p. 163).
Es ist daher begreiflich, daß in den Verfassungsrevisionsbestrebungen Anfangs
der 1870er Jahre die Sache wieder lebhaft aufgegriffen wurde. In seiner RevisionS'
büischafl vom 17. Juni 1870 betonte der Bundesrath die Noth wendigkeit eines
Bandesgesetzes „schon zur Beseitigung des stoßenden Verhältnisses**, daß Fremde
besser gehalten waren, als die eigenen Landesangehörigen. Er schlug daher einen
Art. 59 a vor: „Es sollen durch Bundesgesetze für die ganze Schweiz einheitlich
geordnet werden : 3) Die Bestimmungen über den Schutz des schriftstelle-
rischen und künstlerischen Eigenthums. " Die ständeräthliche Kommission faßte
ihren Vorschlag in die Form (Art. 54) : „Dem Bande steht das Recht der Gre-
setzgebung zu: b. tiber das Urheberrecht an Werken der Literatur und
Kunst ^ ; während die nationalräthliche von dieser speziellen IJeberweisung absah,
in der Meinung, „daß dieser Gegenstand im Wege des Obligationenrechts seine
Lösung finden könne" (Protokoll des Nat.-Rathes, p. 313). Die Räthe selbst gingen
weiter, indem der von ihnen beschlossene Art. 55 des Verfassungsentwurfes vom
5. März 1872 die Gesetzgebung über das gesammte Zivilrecht dem Bunde übertrug.
Bekanntlich wurde jedoch dieser Entwurf in der Volksabstimmung vom 12. Mai
1872 verworfen.
Bei Wiederaufnahme der Revision sah man sich durch diese Verwerfung
veranlaßt, die vollständige SjentraHsation des Rechtes aufzugeben und dem Bunde
die Gesetzgebung nur in Beziehung auf einzelne Materien zuzuweisen. Der Bundes-
rath führte in seiner Botschaft vom 4. Juli 1873 unter anderm das Obligationen-
recht als eine solche auf, die Kommissionen beider Räthe fügten ihren Entwürfen
ausdrücklich „das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst' bei (Art. 55,
s. Protokolle 1873/74, p. 69). Eine spezielle Diskussion über diesen Punkt fand
Literarisches Eigenthum — 347 — Literarisches Eigenthuiu
in den Käthen nicht statt, und in den Art. 6i der nachmals angenommenen
Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 wurde ohne Widerstand die Bestimmung
aufgenommen :
„Dem Bunde steht die Gesetzgebnnff zu : über das Urhchcrrecht
an Werken der Literatur und Kunst. ^
Damit war die verfassungsmäßige Grundlage für die G-esetzgehung geschaffen.
Immerhin dauerte es ahermals eine Anzahl von Jahren, bis diese in's Leben trat.
Den Hauptanstüß zur Vornahme der bezüglichen Vorarbeiten gab wiederum die
begünstigte Stellung der Ausländer, resp. eine in Aussicht stehende Bevision der
betreffenden Verträf/e mit dem Auslande. Um die untergeordnete und demüthigeode
Lage nicht wieder auf eine Reihe von Jahren auf sich nehmen zu müssen, wurde
ein Gesetzesentwurf vom zuständigen Departemente des Bundesrathes (Handel und
Landwirthschaft) im Jahre 1H80 ausgearbeitet, und nach Konsultirung der be-
theiligten Kreise und einer Expertenkommission vom ßundesrath mit Botschaft
vom 9. Dez. 1881 den gesetzgebenden Käthen unterbreitet (s. auch den Bericht
der Kommission des Nationalrathes vom 12. Juni 1882 und derjenigen des Stände-
rathes vom 10. Febr. 1883). Das sodann am J23. April 1883 erlassene Gesetz
führt den Titel: „Bundesgesetz betr. das Urheberrecht an Werken der Literatur
und Kiinst^ (A. S. n. F. 7, p. 261) und trat am 1. Jan. 1884 in Kraft. Der
Bundesrath erließ am 28. Dez 1883 zu demselben eine Vollziehungsverordnunff
(A. S. n. F. 7, p. 298). Ferner sei noch verwiesen auf einen zu demselben
erschienenen Kommentar von Prof. Dr. A. v. Orelli; Zürich, F. Schultheß, 1884.
Folgendes ist der Wortlaut des Gesetzes :
Art. l. Das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst besteht in dem
ausschließlichen Rechte, diese zu vervielföltigen, beziehungsweise darzustellen. — Dieses
Recht steht dem Urheber oder seinen Rechtsnachfolgern zu. — Von dem Schriflsteller
oder Kilnstler, der für Rechnung eines andern Schriftstellers oder Künstlers arbeitet,
wird aufgenommen, er habe diesem sein Urheberrecht abgetreten, sofern nicht eine
gegentheilige Vereinbarung vorliegt. — Das Urheberrecht begreift auch das Uebersetzungs-
recht in sich.
Art. 2. Das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst dauert während
der ganzen Lehenszeit des Urhebers und während eines Zeitraums von dreißig Jahren
v<im Tage seines Todes an. — Wenn es sich um ein nachgelassenes Werk oder ein
solches handelt, welches vom Bund, von einem Kanton, einer juristischen Person oder
einem Verein veröffentlicht wird, so dauert das Urheberrecht dreißig Jahre vom Tage
der Veröffentlichung an. — Der Urheber, beziehungsweise dessen Rechtsnachfolger, wird
in seinem ausschließlichen Uebersetzungsrechte nur geschützt, wenn er von demselben
während fünf Jahren nach dem Erscheinen des Werkes in der Ursprache Gebrauch
macht. — Uebersetzungen genießen gleich Originalwerken den Schutz dieses Gesetzes
gegen Nachdruck.
Art. 3. Nachgelassene und andere im Art. % Absatz 2, genannte Werke sind
längstens binnen drei Monaten nach ihrer Veröffentlichung in ein vom schweizerischen
Handelsdepartement doppelt geführtes Register einzuschreihen. — Für andere Werke
ist der Urheber zur Sicherung seines Rechtes an keine Formalitaten gebunden, er kann
aber immerhin nach Belieben seine Werke auch in obbenanntes Register einschreiben
lassen. — Die Gebühr für die Einschreibung darf zwei Franken für ein Werk nicht
übersteigen. - Der Bundesrath wird zur Ausführung dieser Bestimmungen die nöthigen
Vollzugsverfugungen erlassen.
Art. i. Für die Rechtsverhältnisse zwischen Urheber und Verleger literarischer
oder künstlerischer Werke ist das Bundesgesetz über das Obligationenrecht maßgebend.
Art. 5. Sofern nicht gegentheilige Vereinbarungen vorliegen, hat der Erwerber
-eines Werkes der bildenden Künste nicht das Recht, es vor Ablauf des im Art. 2, Ab-
satz 1 und 2, vorgesehenen Zeitraumes vervielfilltigen zu lassen. — Das Vervielfältigungs-
recht gilt indessen als mitveräußert, wenn es sich um ein bestelltes Porträt oder eine
Porträtbüste handelt. — Weder der Urheber eines Kunstwerkes, noch seine Rechts-
nachfolger können behufs Ausübung ihres Vervielfältigungsrechtes den Eigenthümer des
Werkes in seinem Besitze stören.
Literarisches Eigenthmn — 348 — Lit^wsches EigenthuiD
Art. 6. Sofern nicht ^egentheUige Veieinbarongen vorliegen, ist der Erwerber von
architektonischen Plänen berechtigt, dieselben aosführen zu lassen.
Art. 7. Die Veräußerung de$ Veröfifentlichungsrechtes von dramatischen, musi-
kalischen, oder dramatisch-musikalischen Werken schheßt an sich nicht schon die Ver-
äußerung des AufTührungsrechtes in sich, noch umgekehrt. — Der Urheber eines solchen
Werkes kann die öflentliche AufTi^hrung desselben an spezielle Bedingungen knüpfen,
sofern er diese an der Spitze des Werkes verOfifentlicht — Die Tantieme soll jedoch
den Betrag von 2 ^/o der Bruttoeinnahme der betretenden AufÜQhrung nicht übersteigen.
— Wenn die Bezahlung der Tantieme gesichert ist, so kann die Aufführung eines schon
veröffentlichten Werkes nicht verweigert werden.
Art. 8. Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auch Anwendung auf geographische,
topographische, naturwissenschaftliche, architektonische, technische und ähnliche Zeich-
nungen und Abbildungen.
Art. 9. Erzeugnisse der Photographie und andere ähnliche Werke genießen die
Vortheile dieses Gesetzes unter folgenden Bedingungen : a. Das Werk muß nach Art. 3,
Absatz 1, einregistrirt sein. b. Die Dauer des Vervielfältigungsrechtes wird auf fünf
Jahre festgesetzt, vom Tage der Einschreibung an gerechnet Wenn es sich um die
Vervielfältigung eines noch nicht zum Gemeingut gewordenen künstlerischen AVerkes
handelt, so richtet sich die Dauer des Vervielfältigungsrechtes nach der Vereinbarung
zwischen dem Photographen und dem Berechtigten. In Ermanglung einer hierauf be-
züglichen Vereinbarung bleibt die Dauer auf fQnf Jahre bestimmt, nach deren Ablauf
der Urheber des Kunstwerkes oder dessen Rechtsnachfolger wieder in aUe ihm durch
Art. 2 gewährten Rechte eintritt c. Wenn das Werk auf Bestellung ausgeführt worden
ist, so steht dem Photographen das Vervielfaltigungsrecht nicht zu, es sei denn, daß
l^'egentheilige Vereinbarungen getroffen worden sind. — Die neue Originalaulhahme eines
bereits photographirten Gegenstandes gilt nicht als Nachbildung.
Art. 10. Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden Anwendung auf die in der
Schweiz domizilirten Urhelier für alle ihre Werke, gleichviel wo dieselben erscheinen
oder veröffentlicht werden ; sodann auf die nicht in der Schweiz domizilirten Urheber
für diejenigen Werke, welche in der Schweiz erscheinen oder veröffentlicht werden. Die
nicht in der Schweiz domizilirten Urheber genießen für diejenigen W^erke, die im Aus-
lande erscheinen oder veröffentlicht werden, die gleichen Rechte wie die Urheber der
in der Schweiz erscheinenden Werke, sofern die letzteren in dem betreffenden Lande
gleich behandelt werden wie die Urheber der daselbst erscheinenden Werke.
Art 11. Eine Verletzung des Urheberrechtes wird nicht begangen:
A. an Werken der Literatur: 1) durch Aufnahme von Auszügen oder ganzen
Stücken aus belletristischen oder wissenschaftlichen Werken in Kritiken, literarisch-
historisr'hen Werken und Sammlungen zum Schulgebrauch, sofern die benutzte Quelle
angegeben wird ; 2) durch die Vervielfältigung von Gesetzen^ Beschlüssen und Ver-
handlungen der Behörden und von öffentlichen Verwaltungsberichten ; 3) durch die Ver-
öffentlichung von Berichten über öffentliche Versammlungen; 4) durch den uuter Quellen-
angabe erfolgenden Abdruck von Artikeln aus Tagesblättern und Zeitschriften, es sei
denn, daß der Urheber in dem betreffenden Tagesblatt oder der Zeitschrift ausdrücklich
den Abdruck verboten hat; für Artikel politischen Inhalts, welche in den Tagesblättern
erschienen sind, ist ein solches Verbot unwirksam; 5) durch den Abdruck von Tages-
neuigkeiten, selbst wenn die Quelle derselben nicht angegeben wird;
B. an Werken der bildenden Künste: 6) durch die theilweise Wiedergabe eines
den bildenden Künsten angehörigen Werkes in einem für den Schulunterricht bestimmten
Werke; 7) durch die Nachbildung von Kunstgegenständen, welche sich bleibend auf
Straßen oder öffentlichen Plätzen befinden, vorausgesetzt, daß diese Nachbildung nicht
in der Kunstform des Originals stattfindet; 8) durch die Aufnahme oder Ausführung
von Plänen und Zeichnungen bereits erstellter Gebäude oder Theilen derselben, sofern
diese letztern nicht einen spezifisch künstlerischen Charakter haben;
C. an dramatischen und musikalischen Werken: 9) durch die Aufnahme bereits
veröffentlichter, kleinerer musikalischer Kompositionen in ein speziell für die Schule
oder Kirche bestimmtes Sammelwerk, mit oder ohne Originaltext, unter der Voraussetzung^
daß die Quelle angegeben wird; 10) durch die Aufführung von dramatischen, musi-
kalischen oder dramatisch -musikHliscben Werken, welche ohne Absicht auf Gewinn
veranstaltet wird, wenn auch aus derselben eine Einnahme zum Zwecke der Kosten-
deckung oder zu Gunsten eines wohlthätigen Zweckes erzielt wird; 11) durch die Be-
nutzung musikalischer Kompositionen für Spielwerke.
laterarisches Eigenthum — 349 — Literarisches Eigenthum
Art. 12. Wer vorsätzlich oder aus grober Fahrlässif^keit Werke der Literatur
und Euost unerlaubt vervielfältigt, beziehungsweise aufftXbrt, oder sich des Imports
oder des Verkaufs von nachgedruckten oder nachgebildeten Werken schuldig macht,
hat den Urheber oder dessen Rechtsnachfolger auf deren Klage hin zu entschädigen. —
Der Richter setzt die Höhe der Entschädigung nach freiem Ermessen fest. — Wer ohne
ein solches Verschulden eine unbefugte Vervielfältigung vornimmt, oder einen Nachdruck
oder eine unerlaubte Nachbildung verbreitet, oder eine unzulässige AufTührung veranstaltet,
kann nur auf Unterlassung weiterer Störungen des Urheberrechtes und auf Herausgabe
der Bereicherung (Art. 73. 0.) belangt werden.
Art. 13. Wer aus Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit das Urheberrecht verletzt,
kann überdies auf Klage des Geschädigten je nach der Schwere der Verletzung zu einer
Geldbuße von Fr. 10 bis zu Fr. 2000 verurtheilt werden. Wurde auch der Name oder
die Marke des Urhebers oder des Verlegers nachgebildet, so kann auf Gefängniß bis
auf ein Jahr oder zu Geldbuße und Gefängniß innerhalb der angegebenen Begrenzung
erkannt werden. — Die Theilnahme und die Versuchshandlungen werden mit einer
geringeren Strafe belegt. — Im Rückfall kann die Strafe bis auf das Doppelte erhöht
werden.
Art. 14. Die Bußen fallen in die betreffende Kantonskasse. Bei Ausfällung der
Geldbuße hat der Richter für den Fall der Nichteinbringlichkeit derselben eine ent-
sprechende Gefängnißstrafe festzusetzen, welche an Stelle der ersteren tritt.
Art. 15. Die Strafverfolgung geschieht nach der Strafprozeßordnung desjenigen
Kantons, in welchem die Klage angestrengt wird. Diese kann entweder am Domizil
des Angeschuldigten oder am Orte, wo das Vergehen begangen wurde, erhoben werden.
In keinem Falle dürfen für das gleiche Vergehen mehrere strafrechtliche Verfolgungen
eintreten.
Art. 16. Nach Einleitung der Klage können vom Richter die nöthigen vorsorg-
lichen Verfügungen (Arrest, Kaution, Verbot der Weiterproduktion u. s. w.) getroffen
werden.
Art 17. Sowohl die zivil- als die strafrechtliche Klage ist nicht mehr zulässig,
wenn mehr als ein Jahr verflossen ist, seitdem der geschädigte Urheber oder sein Rechts-
nachfolger von dem Nachdruck, der Nachbildung oder der Ausführung und der Person
des Schuldigen Kenntniß erlangt hat, und jedenfalls nach Ablauf von fünf Jahren von
dem Tage an, wo die Veröffentlichung, die Aufführung oder der Verkauf des nachge-
machten Werkes stattgefunden hat.
Art. 16. Sowohl gegen den Nachdrucker oder Nachbildner als gegen den Importeur
und Verkäufer kann der Richter nach freiem Ermessen auf Konfiskation des nach-
gedruckten oder nachgebildeten Werkes erkennen. Ebenso soll es mit den speziell für
den Nachdruck oder die Nachbildung bestimmten Instrumenten und Geräthschaften ge-
halten werden. — Wenn es sich um die Aufführung eines dramatischen oder musikalischen
oder dramatisch-musikalischen Werkes handelt, so kann der Richter die Konfiskation
der Einnahmen verfügen. Das Ergebniß der Konfiskation oder die konfiszirten Einnahmen
sind zunächst zur Ausbezahlung der Zivilentschädigung des Eigenthümers des Werkes
zu verwenden.
Art. 19. Das gegenwärtige Gesetz findet auf alle vor dem Inkrafttreten desselben
erschienenen Schriften, Kunstwerke, musikalischen Kompositionen und dramatischen oder
dramatisch-musikalischen Werke Anwendung, selbst wenn dieselben nach dem bisherigen
kantonalen Rechte keinen Schutz gegen Nachdruck, Nachbildung oder öffentliche Auf-
führung genossen hatten. — Bei Berechnung der Schutzfristen wird die seit der Ver-
öffentlichung eines Werkes bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes abgelaufene Zeit in
gleicher Weisi angerechnet, wie wenn das Gesetz schon zur Zeit der Veröffentlichung
gegolten hätte. — Wegen Nachbildungen, welche vor dem Inkrafttreten des gegen-
wärtigen Gesetzes stattgefunden haben, findet weder strafrechtliche noch zivilrechtliche
Verfolgung nach Maßgabe dieses Gesetzes statt. Dagegen ist der Verkauf derselben nach
dem Inkr^ttreten des Gesetzes nur gestattet, wenn der Eigenthümer sich hierüber mit
dem Autor verständigt, oder in Abgang einer Verständigung die Entschädigung, welche
vom Bundesgericht festzusetzen ist, geleistet hat
Art. 20. Die durch Art. 2 bestimmte, den bisherigen gesetzlichen Vorschriften
gegenüber verlängerte Schutzfrist kommt dem Urheber und dessen Erben, nicht aber
dem Verleger oder einem andern Cessionaren, zu gut. Ist die Schutzfrist nach gegen-
wärtigem Gesetze kürzer, so bleiben die nach bisherigen gesetzlichen Vorschriften er-
worbenen Rechte gleichwohl fortbestehen.
Literarisches Eigenthum — 350 — Literarisches Eigenihum
Art. 2L Das gegenwärtige Gesetz tritt mit dem 1. Januar 1881 in Kraft. — Durch
dieses Gesetz werden die mit demselben in Widerspruch stehenden Bestimmungen der
kantonalen Gesetze und Verordnungen und im Besondern das Konkordat vom 3. De*
zember 1866 (A. 5., Bd. V, S. 494—497) aufgehoben.
Bestehende Vertragsverhältnisse. Zur Zeit sind folgende in Kraft:
1) Uebereinkuuft mk Belgien zum gegenseitigon Schutze des literarischen
und künstlerischen Eigenthums, vom 25. April 1867 (A. S. 9, p. 114). Die
Dauer dieser Uebereinkunft war nach Art. 31 derselben allerdings an diejenige
des am 18. Okt. 1879 abgelaufenen Freundschafts-, Nieder lassungs- und Handels-
vertrages vom 11. Dez. 1862 geknüpft, indeß gab eine Anfrage Belgiens, ob die
Literarübereinkunft auch in der Schweiz, wie in Belgien, bis zu gegen theiliger
Notifikation von der einen oder andern Seite als fortbestehend betrachtet werde,,
dem Schweiz. Bundesrathe Veranlassung, diese Frage seinerseits ebenfalls zu be-
jahen (29. Sept. 1885; s. B.-B. 1886, 1, p. 256).
2) Uebereinkunft mit Deutschland betr. den gegenseitigen Schutz der Rechte
an literarischen Erzeugnissen und Werken der Kunst, vom 23. Mai 1881 (A. S.
n. F. 5, p. 483). Protokoll, die Bestimmungen der bezüglichen uebereinkunft
mit dem Norddeutschen Bund, vom 13. Mai 1869 (A. S. 9, p. 919), als auch
fernerhin maßgebend erklärend.
3) Uebereinkunft mit Frankreich zum gegenseitigen Schutze des literarischen
und künstlerischen Eigenthums, vom 23. Febr. 1882 (A. S. n. F. 6, p. 418).
4) Art. 14 des Handelsvertrages mit Italien, vom 22. März 1883 (A. S.
n. F. 7, p. 396). Derselbe bestimmt u. A., daß bis zum Abschluß einer neuen
Konvention die bisherigen Vereinbarungen (Uebereinkunft zum gegenseitigen Schutze
des literarischen und künstlerischen Eigenthums, vom 22. Juli 1868, A. S. 9,
p. 680; Protokoll betr. die Vollziehung der Verträge von 1868, vom 1. Mai
1869, Art. 1, A. S. 9, p. 756) in Gültigkeit bleiben.
Es geht aus dieser kurzen Darstellung unschwer hervor, daß die für die
Schweiz ungünstigen Vertragsverhältnisse in Sachen der Autorrechte eigentlich
immer noch fortbestehen; auch der erneuerte Vertrag mit Frankreich ist nur
eine Nachbildung desjenigen von 1864, weil bei seinem Abschluß das Bundes-
gesetz noch nicht erlassen war. Dagegen haben alle diese Vereinbarungen, eben
mit Rücksicht auf die Gesetzgebung, den Charakter des Provisoriums an sich, pnd
die Kündigungsverhältnisse sind derart normirt, daß die Fortdauer jener auf kurze
Termine sistirt werden kann.
Es wird hiebei wohl nur so lange sein Verbleiben haben, bis 5) die inter-
nationale Konvention zum Schutze der literarischen und künstlerischen Werke,
vom 9. Sept, 1886, in Kraft getreten sein wird.^ Diese Konvention, das Seiten-
stück zu derjenigen zum Schutze des industriellen Eigenthums, vom 20. März 1883
(s. Gewerbliches Eigenthum), beruht auf dem universellen Charakter der Erzeug-
nisse der Literatur und Kunst, und auf dem Bestreben, die Ungleichheit, Eng-
herzigkeit und Unzulänglichkeit der verschiedenen nationalen Gesetzgebungen und
interstaatlichen Separatvorträge zu beseitigen. Verschiedene internationale Kongresse
(Brüssel 1858, Antwerpen 1861 und 1877, Paris 1878) sprachen sich zu Gunnten
einer einheitlichen Kodifikation des Urheberrechtes aus Derjenige von Paris be-
schloß am 28. Juni 1878 die Gründung der „Association litteraire internationale",
welche sofort für Erreichung ihres Zieles die regste Thätigkeit entwickelte. In
einer in Bern vom 10. — 13. Sept. 18ö3 abgehaltenen Konferenz wurde von ihr
der Entwurf einer internationalen Konvention aufgestellt und der Schweiz. Bundes-
' 1. Januar 1888.
Literarisches Eigenthura — 351 — Literarisches Eigenthum
rath ersucht, für Gründung einer internationalen Union auf deren Grundlage die
Initiative zu ergreifen. Der Bundesrath nahm das Mandat an; drei von ihm
einberufene diplomatische Konferenzen (8. — 18. Sept. 1884, 7. — 18. Sept. 1885»
6. — 9. Sept. 1886, Bern) führten zum endgültigen Abschlüsse der „Konvention
betr. die Errichtung einer internationalen U. ion zum Schutz der literarischen und
künstlerischen Werke**, vom 9. Sept. 1886; folgende Staaten traten bei: Schweiz,
Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Haiti, Italien, Spanien, Tunis.
Die Konvention ist seitens der vertragsschließenden Staaten im Laufe des Jahres
1887 ratifizirt worden und die Ratifikationen wurden am 5. September 1887
in Bern ausgetauscht (s. Botschaft des Bundesrathes vom 19. Nov. 1886).
Die Konvention hat in der Hauptsache folgenden Wortlaut;
Art. 1. Die vertragschließenden Länder konstituiren sich als Union zum Schutz
der Rechte der Urheber über ihre literarischen und künstlerischen Werke.
Art. 2. Die Angehörigen der Unionsländer oder ihre Rechtsnachfolger genießen
in den andern Ländern für ihre Werke, seien dieselben nun in einem dieser Länder
veröffentlicht, oder seien sie nicht veröffentlicht, die Rechte, welche die bezüglichen
Gesetze den Einheimischen gegenwärtig gewähren oder in Zukunft gewähren werden. —
Der Genuß dieser Rechte wird davon abhängig gemacht, daß die Bedingungen und
Formalitäten, welche durch die Gesetzgebung des Ursprungslandes des Werkes gefordert
werden, erfüllt worden seien; er kann in den andern Ländern die Dauer des in dem
Ursprungslande gewährten Schutzes nicht übersteigen. — Als Ursprungsland des Werkes
wird dasjenige der ersten Veröffentlichung betrachtet, oder, wenn diese Veröffentlichung
gleichzeitig in mehreren Unionsländern stattfand, dasjenige derselben, in welchem die
Gesetzgebung die geringste Schutzdauer gewährt. — Für die nicht veröffentlichten Werke
wird das Heimatland des Urhebers als Ursprungsland des Werkes betrachtet.
Art. 3. Die Bestimmungen der gegenwärtigen Konvention gelten gleicherweise
für die Verleger von literarischen oder künstlerischen Werken, die in einem der Unions-
länder veröffentlicht werden und deren Urheber einem Lande angehört, das der Union
nicht beigetreten ist.
Art. 4. Der Ausdruck , literarische und künstlerische Werke* umfaßt Bücher^
Broschüren oder alle andern Schriftwerke; die dramatischen oder dramatisch-musika-
lischen Werke, die musikalischen Kompositionen mit oder ohne Worte ; die Zeichnungs-
werke, die Werke der Malerei, der Bildhauerei, die Stiche; die Lithographien, die
ülustrationen, die geographischen Karten ; die auf die Geographie, die Topographie, die
Architektur oder die Wissenschaften im Allgemeinen bezüglichen Pläne, Skizzen und
plastischen Arbeiten ; endlich jedes Erzeugniß irgend welcher Art auf dem literarischen,
wissenschaftlichen oder künstlerischen Gebiet, das mittelst eines Druck- oder Verviel-
faltigungsverfahrens veröffentlicht werden könnte.
Art. 5. Die einem Lande der Union angehörenden Urheber oder ihre Rechts-
nachfolger genießen bis nach Ablauf von zehn Jahren, von der Veröffentlichung des
Originalwerkes in einem der Unionsländer an gerechnet, in den andern Ländern das
ausschließliche Recht, ihre Werke zu übersetzen oder Obersetzen zu lassen. — Für die
in Lieferungen erscheinenden Werke ist für die Bestimmung des Zeitpunktes der Ver-
öffentlichung, von welchem an die Frist von zehn Jahren zu berechnen ist, erst das
Erscheinen der letzten Lieferung des Originalwerkes maßgebend. — Von Werken, die
aus; verschiedenen in Intervallen erscheinenden Bänden bestehen, sowie von Berichten
und Heften, die von literarischen oder wissenschaftlichen Gesellschaften oder von Pri-
vaten veröffentlicht werden, wird jeder Band, jeder Bericht oder jedes Heft, was die
Frist von zehn Jahren anbetrifft, als eigenes Werk betrachtet. — In den in diesem
Artikel vorgesehenen Fällen wird für die Berechnung der Schutzfrist als Datum der
Veröffentlichung der 31. Dezember des Jahres, in welchem das Werk erschienen ist,
angenommen.
Art. 6. Die rechtmäßigen Uebersetzungen werden wie Originalwerke geschützt.
Sie genießen demnach, was ihre nicht autorisirte Vervielfältigung in den Ländern der
Union anbetrifft, den in den Art. 2 und 3 bezeichneten Schutz. — Man ist damit ein-
verstanden, daß, wenn es sich um ein Werk handelt, dessen Uebersetzung? recht bereits
Gemeingut ist, der Uebersetzer sich der Uebersetzung des nämlichen Werkes durch
andere Schriftsteller nicht widersetzen kann.
Art. 7. Artikel aus Zeitungen oder aus Zeitschritten, die in einem der Uniou-s-
Literarisches Eigenthum — 352 — Literarisches Eigen thum
länder veröffentlicht werden, können in den andern Ländern der Union im Original
oder in der Uebersetzung wiedergegeben werden, wenn die Urheber oder die Verleger
dies nicht ausdrücklich untersagt haben. Bei Zeitschriften genügt es, wenn das Verbot,
allgemein gefaßt, an der Spitze jeder Nummer der betreffenden Zeitschrift wiederholt
wird. — In keinem Falle aber kann sich dieses Verbot auf Artikel politischer Natur
oder auf die Wiedergabe der Tagesneuigkeiten und der , Vermischten Nachrichten*
erstrecken.
Art. 8. Was das Recht anbetrifft, aus literarischen und künstlerischen Werken in
Pubhkationen, die für den Unterricht bestimmt sind oder die' einen wissenschaftlichen
Charakter besitzen, oder in Chrestomathien, Stellen wiederzugeben, so sind hier die
Gesetzgebungen der einzelnen Unionsländer und die zwischen denselben bestehenden
oder noch abzuschließenden Sonderabkommen maßgebend.
Art. 9. Die Bestimmungen des Art. 2 gelten auch für die öffentliche Aufführung
von dramatischen oder dramatisch-musikalischen Werken, ob diese W^erke veröffentlicht
seien oder nicht. — Die Urheber dramatischer oder dramatisch-musikalischer Werke
oder ihre Rechtsnachfolger sind während der Dauer ihres ausschließlichen Uebersetzungs-
rechtes gegenseitig gegen die nicht autorisirte öffentliche Aufführung der Uebersetzung
ihrer Werke geschützt. — Die Bestimmungen des Art. 2 gelten gleichermaßen für die
öffentliche Aufführung von nicht veröffentlichten musikalischen Werken, oder von solchen,
die veröffentlicht worden sind, bei denen aber der Urheber auf dem Titel oder an der
Spitze des Werkes ausdrücklich erklärt hat, daß er die öffentliche Aufführung derselben
untersage.
Art. 10. Unter die unerlaubten Reproduktionen, auf welche die gegenwärtige
Konvention Anwendung findet, werden besonders die mit verschiedenen Namen, wie:
Adaptationen, musikalische Bearbeitungen (Arrangements) etc. bezeichneten indirekten
nicht autorisirten Aneignungen eines literarischen oder artistischen Werkes gezählt,
sobald sie nur die Wiedergabe eines solchen Werkes sind, sei es in der nämlichen
Gestalt oder unter einer durch unwesentliche Aenderungen, Zusätze oder Weglassungen
entstandenen Form, die aber nicht den Charakter eines neuen Originalwerkes an sich
trägt. — Man ist damit einverstanden, daß bei der Anwendung dieses Artikels die
Gerichte der verschiedenen Unionsländer den Vorbehalten ihrer bezüglichen Gesetze
eintretendenfalls Rechnung zu tragen haben.
Art. 11. Damit die Urheber der durch die gegenwärtige Konvention geschützten
Werke bis zum Gegenbeweis als solche betrachtet werden und demnach das gerichtliche
Verfahren gegen unrechtmäßige Nachahmungen vor den Gerichten der verschiedenen
Unionsländer eröffnen können, genügt es, wenn ihr Name in der gewöhnlichen Form
auf dem Werke angegeben ist. — Für die anonymen und Pseudonymen Werke ist der
Verleger, dessen Name auf dem Werke bezeichnet ist, berechtigt, die dem Urheber
zustehenden Rechte zu wahren. Er wird ohne weitere Beweise als Bevollmächtigter des
anonymen oder Pseudonymen Urhebers betrachtet — Man ist immerhin einverstanden,
daß die Gerichte eintretendenfalls die Vorweisung eines durch die kompetente Behörde
ausgestellten Zeugnisses verlangen können, welches bestätigt, daß die durch die Gresetz-
gebung des Ursprungslandes vorgeschriebenen Formalitäten im Sinne des Art. 2 erfOJlt
worden sind.
Art. 12. Jedes unrechtmäßig nachgeahmte Werk kann bei der Einfuhr in eines
der Unionsländer, in welchem das Originalwerk das Recht auf gesetzlichen Schutz
genießt, mit Beschlag belegt werden. — Die Beschlagnahme findet statt gemäß der
innern Gesetzgebung jedes Landes.
Art. 13. Man ist einverstanden, daß die Bestimmungen der gegenwärtigen Kon-
vention in keinem Falle dem Rechte Eintrag thun dürfen, das der Regierung jedes
Landes der Union zukommt, durch gesetzliche Maßnahmen oder durch die innere Polizei
die Verbreitung, die Aufführung, die Ausstellung jedes W^erkes oder jeder Produktion,
in Bezug auf welche die kompetente Behörde dieses Recht ausüben könnte, zu erlauben,
zu ü})er wachen oder zu untersagen.
Art. 14. Die gegenwärtige Konvention gilt unter den gemeinsam zu bestimmenden
Vorbehalten und Bedingungen für alle W'erke, die im Momente ihrer Inkrafltretung in
ihrem L'rspi*ungslande noch nicht Gemeingut geworden sind.
Art. 15. Man ist einverstanden, daß die Regierungen der Unionsländer gegenseitig
<i(h das Recht vorbehalten, unter sich besondere Vereinbarungen zu treffen, insofern
<Hese Vereinbarungen den Urhebern oder ihren Rechtsnachfolgern ausgedehntere Rechte,
als die durch die Union gewährten, zusichern, oder anderweitige der gegenwärtigen
Konvention nicht zuwiderlaufende Bestimmungen enthalten.
Literarisches Eipenlhum — 353 — Literarisches Eigenthum
Art. 1(). Ein internationales Bureau ist unter ilem Namen , Bureau de TTnion
internationale poui* la protection des ueuvres littöraires et artistiques*^ errichtet. — Dieses
Bureau, dessen Kosten von den Verwaltungen aller Unionsländor getragen werden, wird
unter die Autorität der Zentral Verwaltung der schweizerischen Eidgenossenschaft gestellt
und von derselben in seinen Funktionen überwacht. Die Obliegenheiten desselben werden
von den Ländern der Union gemeinschaftlich festgestellt.
Art. 17. Die gegenwärtige Konvention kann Revisionen unterworfen werden
behufs Einführung von Verbesserungen, welche geeignet sind, das System der Union
zu vervollkommnen. — Fragen dieser Art, sowie solche, die in anderer Hinsicht die
Entwicklung der Union betreffen, werden in Konferenzen behandelt werden, die nach-
einander in den Ländern der Union zwischen den Delegirten der erwähnten Länder
abgehalten werden sollen. - - Man ist einverstanden, daß keine Aenderung der gegen-
wärtigen Konvention für die Union Gültigkeit haben soll, wenn nicht sämmt liehe Lander,
die «lerselben angehören, damit einverstanden sind.
Art. 18. Denjenigen Staaten, welche an der gegenwärtigen Konvention nicht Theil
i^'enommen haben und welche auf ihrem Gebiete den gesetzlichen Schutz der den Gegen-
stand dieser Konvention bildenden Rechte gewähren, soll auf ilir Gesuch der Beitritt
t,'ewährt werden. — Dieser Beitritt soll schrifthch der Regierung der schweizerischen
Eidgenossenschaft, und von dieser allen andern mitgetheilt werden. Derselbe ziehl
mit voller Rechtskraft die Zustimmung zu sämmtlichen Verpflichtungen und den Genuin
aller Vortheile der gegenwärtigen Konvention nach sich.
Art. 19. Die der gegenwärtigen Konvention beigetretenen Länder haben auch das
Recht, jederzeit für ihre Kolonien oder ihre fremden Besitzungen beizutreten. — Sie
können zu diesem Zweck entweder eine allgemeine Erklärung abgeben, nach welcher
alle ihre Kolonien oder Besitzungen in dem Beitritt inbegriffen .sind, oder ausdrücklich
diejenigen nennen, die darin inbegriffen sind, oder sich darauf l^eschränken, diejenigen
zu bezeichnen, die davon ausgeschlossen sind.
Art. ^. Die vorliegende Konvention wird vollziehbar drei Monate nach Aus-
wechslung der Ratifikationen, und wird während einer unbestimmten Zeit bis zum
VerJluß eines Jahres, von dem Tage an gerechnet, an welchem die Kündigung erfolgt
ist, in Kraft bleiben. — Diese Kündigung wird an die Regierung gerichtet, welche be-
auftragt ist, die Beitritterklärung entgegenzunehmen. Ihre Wirkung erstreckt sich nur
auf den Staat, welcher die Kündigung angezeigt hat, indem die Konvention für die
andern vertragschließenden Theile in Kraft bleibt.
Zusatzartikel. Die mit heutigem Datum abgeschlossene Konvention berührt in
keiner Weise die Aufrechthaltung der gegenwärtig zwischen den vertragschließenden
Staaten bestehenden Konventionen, insofern diese Konventionen den Urhebern oder
ihren Rechtsnachfolgern ausgedehntere Rechte, als die durch die Union gewährten,
zusichern oder anderweitige Bestimmungen enthalten, welche dieser Konvention nicht
zuwiderlaufend sind.
Schlußprotokoll. \ ) In Bezug auf Art. 4 ist man übereingekommen, daß diejenigen
Länder der Union, in welchen die photographischen Erzeugnisse unter die künstlerischen
Werke gerechnet werden, sich verpflichten, diese Werke vom Tage der Inkrafttretung
der mit heutigem Datum abgeschlossenen Konvention den Wohlthaten derselben theil-
haftig werden zu hissen. Uebrigens sind sie nur in dem Maße, als ihre Gesetzgebung
es erlaubt, gehalten, die Urheber der erwähnten Werke zu beschützen, es sei denn, daß
internationale Uebereinkommen bestehen oder noch abgeschlossen werden. — Man ist
damit einverstanden, daß die autorisirte Photographie eines geschützten Kunstwerkes
in allen Ländern der Union gemäß dem Sinne der Konvention den gesetzlichen Schutz
eben so lange genießt, als der Schutz der original werke selbst dauert und innert den
Grenzen der zwischen den Berechtigten abgeschlossenen privaten Uebereinkommen.
2) In Bezug auf Artikel 9 ist man übereingekommen, daß diejenigen Länder der
Union, deren Gesetzgebung unter die dramatisch-musikalischen Werke auch die chore-
graphischen Werke (Ballet) zählt, den erwähnten Werken ausdrücklich die Wohlthaten
der Bestimmungen der mit heutigem Datum abgeschlossenen Konvention gewähren sollen.
-~ Man ist einverstanden, daß die Streitigkeiten, die sich bei der Anwendung dieser
Klausel erbeben sollten, dem Entscheid der respektiven (ierichte vorbehalten bleiben. —
Man ist einverstanden, daß die Fabrikation und der Verkauf von Inntnmienten, die zur
mechanischen Wiedergabe von Musikstürken dienen, welche dem Privatbesitz der Ur-
heber entlehnt sind, nicht als unerlaubte musikalische Nachahmung betrachtet worden.
3) Die durch Artikel 14 der Konvention vorgesehene gemeinsame Uebcreinkunft
lautet wie folgt:
Fnrr^r Viilk4wirtIiHclmrtf«*Lexikuii der Schweiz. -V^^
Lithographie — 354 — Lorze verbauung
Die Anwendung der Konvention auf die im Momente ihrer Inkrafttretung dem
Gemeingut nicht angehörenden Werke wird stattfinden gemäß den Bestimmungen, welche
in den speziellen vorhandenen oder zu diesem Zwecke noch abzuschließenden Verein-
barungen enthalten sind. — Mangels ähnlicher Vereinbarungen zwischen Ländern der
Union werden die bezüglichen Länder, jedes für sich selbst, durch die innere Gesetz-
gebung die Art und Weise der Anwendung des in Artikel 14 enthaltenen Grundsatzes
bestimmen.
Lithographie. Nach der Yolkszählungsstatistik vom 1. Dezember 1880
befaßteo sich damal» in der Schweiz 1023 Personen (wovon 170 Ausländer)
mit der Lithographie = 0,8 ®/oo aller erwerbsthätigen Personen. Davon kamen
auf Zürich 252, St. Gallen 137, Genf 90, Bern 87, Baselatadt 83, Scbwyz 62,
Waadt 52, Aargau 43, Solothum 39, Neuenburg 30, Appenzell A.-Rh. 27,
Freiburg 20, Luzem 20, Baäelland 16, Thurgau 15, Glarus 13, Schaff hausen 10,
Tessin 10, auf die übrigen Kantone 17.
Birkhäuser's Adreßbuch (Basel, 1885) verzeichnet 194 Lithographiegeschäfte.
Im Handelsregister waren Ende 1884 67 G^chäfte eingetragen.
Die meisten Lithographien fertigen die gewöhnlichen kommerziellen Arbeiten;
eine kleinere Zahl betreibt die Druck- und Chromolithographie, d. h. die An-
fertigung von farbigen Bildern, Gemälde- Imitationen etc. In großartigem Maßstäbe
vollzieht sich, speziell in Einsiedeln, die Fabrikation von Heiligenbildern und
illustrirten Gebetbüchern etc. in Farben- und Schwarzdruck, die massenhaft in
die Länder mit katholischer Bevölkerung exportirt werden. In dieser Branche
fand die lithographische Schnellpresse, die heute ziemlich allgemein für den
Farbendruck angewendet wird, ihre erste Verwendung in der Schweiz.
Lithographiesteine liefern u. A. die Firmen Hofer & Burger und
Buegg & Schauf eiber ger in Zürich. — Einfuhr von Lithographiesteinen (ohne
Zeichnungen) im Jahre 1883: 1482 q, 1884: 1495 q, 1885: 1713 q ä Fr. 22,
wovon 1631 q aus Deutschland, 82 q aus Frankreich. — Ausfuhr 1883: 14 q,
1884: 29 q, 1885: 20 q a Fr. 41, wovon 15 q nach Frankreich.
Lithoreactiv-Fabrikation. Mit diesem Geschäftszweig befaßt sich u. A.
die Firma E. Weiß & Co. in Basel.
Litzenfabrikation. In Birkhäuser's Adreßbuch (Basel, 1885) sind 7 6«-
Hchäfte dieser Art angegeben: 3 Aargau, 2 Bern, 1 Baselstadt, 1 Zürich.
Liverdon (Yverdoner). Diese Traubensorte, obschon von etwas schwachem
Wuchs, widersteht aller Unbill der Witterung vorzüglich, erträgt Kälte bestens
und kommt auch bei nassem Wetter gut durch die Blüthe. Der Liverdon ist
»ehr fruchtbar, die Trauben sind großbeerig, etwas spät reifend, faulen im Herbste
leicht und liefern einen leichten säuerlichen Roth wein. In Neubruchland gedeiht
der Liverdon besser als jede andere Sorte. Kr.
Loearno-Bellinzona s. Gotthardbahn.
Locle-Neuenburg s. Bernische Jurabahnen; bildet seit 1. Januar 1887
die „ Neuenburgische Jurabahn".
Logisgeberei s. Kostgeberei.
Lohnkutscher s. Fuhrleute.
Lokomobile, Lokomotive s. Maschinen.
liOndon-Biscuits. Die Fabrikation von sog. London-Biscuits wird seit 1886
von einer Aktiengesellschaft in Winterthur sowie von einer Firma in Genf be-
trieben.
Lorzeverbauung (Kanton Zug). Dieselbe bezieht sich auf die 9 km lange
Strecke von der Rämselbachmüudung (unterlialb der Spinnerei ünterägeri) bis
zur Straßenbrücke bei der Spinnerei Baar und bezweckt die Verbauung der
Lotterie — 355 — Lukmanierstraße
Oeschiebsqaellen im obem Laufe der Lorze, zur BeseitiguDg der mißlichen Zu-
stände, welche längs dem ganzen Lorzelaufe bis zum Zngersee bestehen, hervor-
gerufen durch Geschiebsablagerungen, welche das Flußbett theil weise erhöhten.
Bei Hochwasser wurde das anliegende Land nicht nur überschwemmt, sondern
strecken weise mit Geschieben verschüttet. An diese Yerbanung, zu deren Voll-
endung eine Zeitdauer von 8 Jahren vorgesehen, ist dem Kanton Zug ein Bundes-
beitrag zugesichert von 40 ^/o der wirklichen Kosten, bezw. im Maximum
Fr. 116,000 == 40 7© der Voranschlagssnmme von Fr. 290,000. Bundes-
beschluß vom 27. Juni 1884 (A. S. n. F. Bd. 7, pag. 481).
Lotterie. Absatz 3 des Art. 35 der Bundesverfassung von 1874 lautet:
^Der Bund kann auch in Beziehung auf die Lotterien geeignete Maßnahmen
treffen-.
Bin jetzt (Mitte 1887) sind seitens des Bundes keine solchen Maßnahmen
getroffen worden. An Anregungen dazu hat es zwar nicht gefehlt; namentlich
die postalische Beförderung von Lotterie-Offerten war Gegenstand von Berathungen
sowohl im Schooße des Bundesrathes als in der Bundesversammlung. Die Motion
Jooä vom 30. April 1881, lautend: „Der Bundesrath wird eingeladen, zu be-
richten, ob nicht der Postverwaltnng Weisung zu ertheilen sei, offene Lotterie-
Offerten nicht weiter zu befördern*^, bot dem Bundesrath Anlaß zu einer besonderen
Botschaft (B.-BL 1881, Bd. 4), deren Inhalt sich dahin zusammenfassen läßt,
daß zwar die bestehenden internationalen Postvereinsverträge die Unterdrückung
der Beförderung von Lotterieloosen zulassen würden, die Postbeamten aber nicht
in der Lage wären, ohne Verletzung des Postgeheimnisses die Lotterie-Offerten
von den übrigen Korrespondenzen, namentlich den Anlehensloosen, zu unterscheiden.
Ein Postulat der Bundesversammlung vom 30. Januar 1882, lautend: „Der
Bundesrath wird eingeladen, in Ausführung des Art. 35, AI. 3, der Bundes-
verfassung einen Antrag einzubringen über geeignete Maßnahmen gegen das
Lotterieunwesen **, harrt zur Zeit noch der flrledigung.
In den Kantonen ist die Veranstaltung von Lotterien, das Kollektiren für
solche und das Ankündigen derselben entweder unbedingt verboten oder an die
Bewilligung der Behörden geknüpft. Verloosungen zu wohlthätigen Zwecken
werden in der Kegel gestattet.
Lüstrine wird namentlich in Zürich (zum Theil auch in Lyon) hergestellt
und ist ein leichtes zweitrettiges Ganzseidengewebe, das hauptsächlich als Futter-
stoff Vei*wendung findet.
Luftstickerei. Spitzenstickerei in Plattstich auf leichtem Seiden-, WoU
oder Baumwollstoff, der nach dem Besticken weggeäzt wird, so daß nur die
Stickerei als wirkliche Spitze übrig bleibt. Diese Art Stickerei, zu welcher es
besonders geschulter Leute und künstlerischer Leitung bedarf, gelangte um 1880
nach jahrelangen, kostspieligen Versuchen zu größerer Bedeutung.
LiiikenapfeL Zählt als Tafelfrucht zum zweiten, als Wirthschaftsobst zum
ersten Hange. Der Baum ist bei uns noch wenig verbreitet; doch findet man
ihn z. B. in Baselland (Sissach), Herzogenbuchsee, Wynau, auch in den Kantonen
Zürich, St. Gallen und Thurgau, jedoch immer nur in einzelnen Exemplaren.
Obgleich der junge Baum sehr schwachtriebig ist, so wird er doch einer der
allergrößten und ältesten unter den Apfelbäumen. Er trägt auch ohne Pflege
reichlich, wozu wohl wesentlich das sehr späte Blühen beiträgt. Erträge von
20 — 30 Zentner sind von einem Baume öfters gewonnen worden. („Schweize-
rische Obstsorten", Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhorn in St. Galleu.)
Lukmanierstrasse. Eine der interessantesten Alpenstraßen der Sch^^vL\
t
Lustenau — 356 — Luzem
sie führt von Dissentis im Yorderrlieinthal über Coraglia dem Mittelrhein entlang
nach St. Maria, über den Lnkmanierpaß (Pa£h6he 1917 m ü. M.) nach Olivone,
dem Blegnothale folgend nach Biasca, hier in die Grotthardstraße einmündend.
Ihre Länge beträgt 61,3 km, die Fahrbahnbreite 4,8 — 6,0m. Kosten Fr. 1'984,700.
Bauperioden: 1871/77 für das bündnerische Straßenstück von Dissentis bis
zur Grenze von Tessin. Länge 20,5 km, Breite 4,8 m. Kosten Fr. 669,000. —
1877 für die tessinische Strecke von der Grenze bis Olivone im Tessin. Länge
18,4 km, Breite 4,8 m. Kosten Fr. 435,700. Bundesbeitrag laut B.-B. vom
25. Juü 1873 (A. S. Bd. 11, pag. 217) Fr. 133,500. Graubtinden verzichtete
auf Bundesbeitrag. — 1820 für das Straßenstück Olivone-Biasca. Länge 22,4 km,
Breite 6,6 m. Kosten Fr. 880,000. {Bavier, »Straßen der Schweiz-.)
Lustenau-St. Margrethen s. Yorarlbergerbahn.
Luxemburg. Die Schweiz steht mit dem Großherzogthum Luxemburg in
Vertragsbeziehungen durch: 1) den Auslieferungsvertrag vom 10. Febr. 1876
(A. S. n. F. 2, pag. 119); 2) den internationalen Phylloxeravertrag ; 3) die
internationalen Postverträge betreffend den allgemeinen Postverkehr, die Geld-
anweisungen, die Poststücke ohne Werthangabe, die deklarirten Werthbriefe;
4) den internationalen Telegraphenvertrag von 1875. Für die Handelsbeziehungen
mit L. gilt der Handelsvertrag mit Deutschland.
Luzern. Schweizerischer Kanton seit 7. November 1332. Ortsanwesende
Bevölkerung am 1. Dezember 1880 134,806 Personen = 4,7 ®/o der schweize-
rischen Bevölkerung. Flächeninhalt 1500,8 km^; 5 Bezirke, 109 Gemeinden,
109 Zivilstandskreise, 4 Nationalraths Wahlkreise (11./14.) mit 7 Mandaten;
gehört zum II. eidgenössischen Assisenbezirk, in militärischer Beziehung zum
rV. Divisionskreis.
Nach dem Größenverhältniß unter den wirthschaftlichen Ghruppen nimmt
Luzern folgende Rangstufen unter den Kantonen ein : Die 5. hinsichtlich Ur-
produktion, die 10. hinsichtlich Handel, die 10. hinsichtlich persönliche Dienst-
leistungen, die 12. hinsichtlich öffentliche Verwaltung, Wissenschaft und Kunst,
die 15. hinsichtlich Verkehr, die 20. hinsichtlich Industrie und Kleingewerbe.
An den Hauptberufsgruppen sind nämlich als Erwerbende betheiligt:
«/o aU. Beruf- «/o der
PersoDen treibenden gl. Kategorie
des Kantons der Schweiz
an Urproduktion 34,029 56,4 6,1
„ Industrie 17,916 29,7 3,2
„ Handel 4,006 6,6 4,2
Verkehr 1,569 2,6 3,2
öffentl. Verwaltung, Wissenschaft u. Kunst 2,062 3,4 4,4
„ persönlichen Dienstleistungen .... 788 1,3 4,3
60,370 100,0
Die Gesammtbevölkerung (Beruftreibende, Angehörige, Hausgesinde)
ist wie folgt an den Haupterwerbsgruppen betheiligt :
o/o der ^0 der
Personeu Bevölke- gl. Kategorit*
rung der Schweiz
an Urproduktion 71,005 52,7 6,1
Industrie 35,428 26,3 3,3
Handel 8,748 6,5 4,2
Verkehr 4,270 3,1 3,8
öffentl. Verwaltung, Wissenschaft u. Kunst 4,967 3,7 4,3
persönlichen Dienntleistungen . . . . 1,121 0,8 3,7
125,539 93j
n
n
r»
n
Luzern
— 357
Luzern
Die übrigen 9,267 6,9 6,0
sind Personen ohne oder unbekannten Beru£3.
Handel, Industrie und Kleingewerbe.
Folgende Gruppirung umfaßt diejenigen unter diese Rubrik zählenden Beruüs-
Arten, welchen im Jahre 1880 5 ^/oo und mehr aller erwerbsthätigen Personen
des Elantons oblagen (laut eidgenössiBoher Yolkszäblungsstatistik) :
jp -^ ®/iM) aller <*;oo der nämlichen
Beruf thithre" Erwerbathätlgen Bernfskategorie
^ des Kantons d. ganzen Schweiz
Handel, eigentlicher 2333 39,0 42
Stroh- und ßoßhaarflechterei . . 1650 27,3 135
Schneiderei 1574 26,1 45
Schuhmacherei 1407 23,3 47
Hotellerie und Wirthsohaftsbetrieb .1374 22,7 45
Weißnäherei 1003 16,6 37
Leinen- und Halbleinenindustrie . 924 15,3 86
Zimmerei 812 13,4 45
Schreinerei und Glaserei .... 793 13,1 38
Seidenindustrie 790 13,1 12
Wascherei und Glätterei .... 714 11,8 49
Schmiedehand werk 572 9,5 58
Maurerei und Gypserei .... 562 9,3 26
Müllerei 506 8,4 66
Baumwollindustrie 481 8,0 11
Bäckerei 462 7,7 40
Wagnerei und Waggonfabrikation .363 6,0 57
Strumpfwirkerei und -Strickerei . 359 5,9 99
Metzgerei und Wursterei ... 351 5,8 40
Maschinen- und Mühlenbau . . . 325 5,4 33
Dachdeokerei 325 5,4 86
Fabriken.
Dem schweizerischen Fabrikgesetz waren Ende April 1886 62 Etablissements
unterstellt (1,8 ^/o aller unterstellten Etablissements), mit 2406 Arbeitern (1,6 ^o)
und 2050 Pferdekräften (3 7o). 15 Etablissements mit 291 Arbeitern sind ohne
Motoren. Die am stärksten vertretenen Industriezweige sind:
1) Textilindustrie 15 Etebl., 883 Arb., 594 Pf.
2) Metallindustrie 5 „ 580 „ 490 „
3) Papier- und Papierstofffabrikation . 2 „ 223 „ 600 „
4) Tabakindustrie 9 „ 184 „
Die lexiilindusirie umfaßt:
1 Baumwollspinnerei 72 Arb., 170 Pf. (ßeiden.)
2 Baum Wollzwirnereien .... 51 „ 20 „ (Egoltswyl und Wykon.)
1 Buntweberei 38 „ 25 „ (Dagmersellen.)
3 Floretseidespinnereieu .... 494 „ 340 „ (1 Eriens, 2 Littau.)
1 Seidenwinderei 53 „ 5 „ (Sursee.)
1 Seidenzwimerei 55 „ 7 , (Willisau.)
1 Seidenweberei 26 „ (SohUpfheim.)
1 Wollen- und Halbwollenfabrik .15 „ 9 ^ (Altishofen.)
2 Halbleinfabriken 25 „ 15 „ (Entlebuch.)
Luzern — 358 — Luxem
1 RothfÄrberei 16 Arb., 1 Pf. (Reiden.)
1 Strickerei 38 ^ 2 „ (Dagmersellen.)
Die Metallindustrie umfaßt:
1 Eisenwerk 140 Arb., 370 Pf. (Emmenweid.)
1 Kupfer- u. Messingblech- Walzwerk 35 , 16 „ (Kriens.)
1 Schlosserei 32 „ lo „ (Meggen.)
1 Maschinenfabrik 7 „ 4 „ (Luzern.)
1 Maschinenfabrik mit Gießerei .366 „ 85 ^ (£riens.)
Die Papier- und Papierstofffabrikation umfaßt:
1 Papierfabrik 171 Arb., 200 Pf. (Root.)
1 Holzstofffabrik 52 „ 400 , (Buchrain.)
Die Tabakindustrie umfaßt:
5 Cigarrenfabriken 74 Arb. (1 Malters, 3 Triengen, 1 Kul-
merau.)
4 Cigarren- und Tabakfabrikeu . .110 „ (1 Horw, 1 Eickenbach, 1 Sur-
see, 1 Triengen.)
Die übrigen dem Fabrikgesetz unterstellten Fabriken sind:
2 Bierbrauereien (Luzern); 4 Buchdruckereien (Luzern); 1 Kokosmatten-
fabrik (Ebikon); 2 Edelsteinschleifereien (1 Diamantschleiferei in Luzern, 1 Uhren-
Stein- und Edelsteinschleiferei in Sursee); 1 Gasfabrik (Luzern); 1 Glashtitte
(Wauwyl); 1 Holztypenfabrik (Luzern); 1 Leisten- und Holzsohlenfabrik (Luzern);
1 Lithographie (Luzern); 8 Milhlen (1 Alberswyl, 1 Altishofen, 1 Kriens, 1
Langnau, 1 Littau, 2 Luzern, 1 Malters); 1 Schiffsreparaturwerkstätte (Luzern);
3 Schreinereien (1 Kriens, 2 Luzern); 4 Teigwaarenfabriken (1 Horw, 1 mit
Säge in Kriens, 1 Luzern, 1 Wolhausen); 1 Ziegelei (Nebikon).
Industriegeschichtliohes.
Bis auf die jüngste Zeit herab kommt der Stadt und dem Land Luzern alsr
industriellem Gebiete nur eine beschränkte Bedeutung zu. Von den mancherlei
Zweigen, über deren Betrieb bald aus einem frühem, bald aus einem spätem
Jahrhundert etwa Nachrichten vorliegen, haben sich bloß vereinzelte ein längeres
oder besonders gedeihliches Dasein zu sichern vermocht. Die Ursachen des Un-
bestandes oder des geringen Erfolges auf diesem Felde der menschlichen Thätigkeit
alle zu ermitteln, dürfte schwer halten, nicht ebenso die Namhaftmachung einiger
der wichtigsten. £in neuerer G^chichtschreiber sagt, daß strenge Arbeit in
Luzern ehedem nicht sonderlich beliebt gewesen sei; man arbeitete nur so viel
und so lange, als zum Unterhalte durchaus erforderlich war : „Feste, frohe Feste
wollte der Luzemer zu allen Zeiten des Jahres.*^
Vor dem befruchtenden Einflüsse, welchen die fremden Protestanten in
manchen Theilen der Schweiz auf den Gewerbsfleiß ausübten, schützte sich Luzern
durch seinen starren Abschluß gegen die andersgläubigen Flüchtlinge. Seine
Bewohner, soweit sie nicht ihr Heimwesen bestellten, zogen das Reislaufen der
beschwerlichen und eintönigen Arbeit des G^werkmannes vor. Auch galten Handel
und Gewerbe dem regierenden Stande zu einer 2^it noch nicht als ehrenvoll,
als anderorts die angesehensten Bürger sich ihnen widmeten und damit ihre
Städte zu schönster Blüthe brachten. Und als dann verhältnißmäßig spät — wohl
kaum vor dem 16. Jahrhundert — die vornehmen Luzemer in ihren Ansichten
eine Wandlung wollten eintreten lassen, vereitelte das unheilvolle Pensionsweeen
eine ernstliche Bethätigung derselben.
So wurde denn weder von Luzern, noch von den kleinen Landstädteben
Luzem — 359 — Luzern
aus der Sinn für die Industrie geweckt; diese sah sicli vielmehr darauf ange-
wiesen, Vorbilder oder Anlehnung jenseits der Grenzen zu suchen. Der Umstand«
daß nun auch in Folge der Verbesserungen in der Landwirthschaft gegenwärtig
vielen Händen Beschäftigung geboten wird, die bisher für die Industrie verwendbar
gewesen wären, hat diese sich nicht in einem der Grröße des Kantons und seiner
Bevölkerung entsprechenden Umfange entwickeln lassen.
Die Mittheilungen, welche vor den Anfang des 18. Jahrhunderts zurück-
gehen, erscheinen bloß in Form zerstreuter Notizen. Besonderes Gewicht muß
auf die Gerberei gelegt worden sein. Wiederholte Angaben finden sich auch über
Bergwerke, die sich zeitweise lohnten und ohne Zweifel früh die Entstehung
verschiedener Hammerwerke zur Folge hatten. Vor der Mitte des 17. Jahrhunderts
entstand am Kriensbach eine Papiermühle, welche später fortwährend erweitert
worden ist. — Die Wollenmanufaktur war in Luzern schon vor dem 15. Jahr-
hundert eingebürgert, erstarkte jedoch nie recht. Das Nämliche läßt sich bemerken
über das anfangs des 17. Jahrhunderts eingeführt« Leine n<jew erbe und über die
wenige Jahrzehnte nachher begonnene Seidenfabrikation, welche bald wieder
eingestellt wurde. Zu erwähnen bleibt noch, daß in Beromünster im Jahre 1470
das erste Buch in der Schweiz gedruckt wurde ; doch gelangte auch diese Kunst
weder dort, noch sonstwo im Kanton, je zu größerer Entfaltung.
Das 18. Jahrhundert brachte größere Mannigfaltigkeit und Lebhaftigkeit in
das industrielle Schaffen. Im benachbarten Emmenthal und im Oberaargau waren
inzwischen die Leinen- und die Baumwollenindustrie heimisch geworden und
begannen sich allmälig auch in den Aemtem Willisau, Entlebuch und Sursee
anzusiedeln. Es wurde dort Baumwollen- und Leinengarn gesponnen, letzteres
auch ver woben. Die liegierung, den Nutzen erkennend, welche diese neben den
landwirthschaftlichen Arbeiten betriebenen Hausindustrien ihrem Lande bringen
konnten, wollte nun ein Uebriges thun und die Industrie von Staatswegen in
andern Landesgegenden ebenfalls fördern. Sie machte den Anfang mit der aber-
maligen Errichtung einer Seidenmannfaktur in Luzern, welcher sie bald darauf
eine Baum wollen fabrik folgen ließ. Innert wenigen Jahren — 1702 — 1723 —
hatte sie aber derartige Verluste zu verzeichnen, daß ihr eine Wiederholung des
gutgemeinten Versuchs nie mehr räthlich erschienen ist.
Am See, in Wäggis, ließen Basler Häuser Seide kämmein und gegen das
Ende des Jahrhunderts kam im Amte Hochdorf — wo für Zürich gleichfalls
etwas Baumwolle und Seide gesponnen wurde — die Stroh flechter ei in Aufnahme.
Neben den bezeichneten Industrien bestanden in und um Luzem noch etliche
Etablissements: so das staatliche Wollenhaus, welches indessen ebenfalls nicht
gedieh ; eine gegen den Schluß des Jahrhunderts gegründete Seidenbandfabrik ;
bei Kriens die schon genannte Papierfabrik und ein Hammerwerk. Im Lande
herum liefen überdies die nöthigen Mühlen und Sä(jen. Ergänzend mag beigefügt
werden, daß in der Emme und in der Luthem bis in das gegenwärtige Jahr-
hundert hinein Gold gewaschen wurde.
Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts änderte nichts Wesentliches an der
geschilderten Lage. An die Stelle der durch den Maschinenbetrieb verdrängten
Baumwollspinnerei trat die Buntweberei, und die Floretspinnerei gewann an
Ausdehnung. Das wegen der veränderten Produktionsverhältnisse im obern Aargau
bewirkte Weichen der Baumwollspinnerei vor der Buntweberei zeigt deutlich die
Abhängigkeit der Luzerner Industrie von derjenigen der angrenzenden Gebiete.
So begegnet man auch, bald nach dem im Emmenthal und Oberaargau theil weise
erfolgten Uebergang von der ausschließlichen Baumwollen- und Leinenverarbeitung
Luzei-n — 360 — Lmern
auf die Halbwollenbranche, derselben Erscheinung in dem nordwestlichen Theile
des Kantons Luzem.
Ein nicht weniger gutes Beispiel für die geringe Selbstständigkeit der
Luzerner Industrie bietet die Strohflechterei bis auf die heutigen Tage herab.
Anfänglich hatte das Aargauer Freiamt für Luzerner Hutmacher Stroh geflochten
und verschiedene Nachrichten aus den 20er, 30er und 40er Jahren melden ien
Bestand mehrerer Luzerner Strohflechtereien und Hanfknüpfereien. In neuerer
Zeit aber stehen diese vom Hitzkircherthale bis weit in's Entlebuch hinein ver-
breiteten Zweige ganz im Dienste von Aargauer üäusern.
Diese Botmäßigkeit der Lnzerner Industrie nöthigte sie indessen auch nicht,
die Absatzgebiete für ilire Erzeugnisse selbst zu suchen. Das Meiste wurde in\
Lande konsumirt, der Rest ging durch die Vermittlung großer benachbarter
Firmen in den Handel über.
Mit der zweiten Hälfte des laufenden Jahrhunderts ist nun, wie überall,
der eigentliche Fabrikbetrieb mehr und mehr zur Geltung gekommen. Doch
weisen auch in diesem nur die Seiden-, Metall- und Papierbranche größere
Etablissements auf Es ist vorab die Floretspinnerei, welche im Amt Luzem
eine ziemliche Rolle spielt ; ihr stehen die Zwirnerei, Stoff- und Bandweberei
bescheiden zur Seit«. In der Metallbranche sind es die große Maschinenfabrik
und Gießerei in Kriens, die dortige Werkstätte für Kupfer- und Messingartikel,
Gießerei, Walzwerk und Drahtzug bei Luzem, und die Werkstätten der Gotthard-
bahn und der Dampfschifffahrts-Gesellschaft, die in erster Linie zu nennen sind.
Die Papier- und Holzstofffabrik Perlen endlich mißt sich erfolgreich mit den
andern Konkurrenten ihrer Branche in der Schweiz.
Baumwolle, Flachs und Wolle werden in mehreren kleineren, vorzugsweise
in den Aemtern Willisau, Sursee und Entlebuch gelegenen Fabriken gesponnen
und ver woben. Die Handweberei, welche sich hauptsächlich auf die Erstellung
halbleinener und halbwollener Tücher verlegt hat, hält sich ungefähr in den
hergebrachten Grenzen und arbeitet immer noch größtentheils für das Inland.
Von der wichtigen Stroh- und Hanf flechterei war schon oben die Rede.
Außer den behandelten Industrien sind nur noch wenige von untergeordneter
Bedeutung zu erwähnen. Vom Aargau ist die CigarrenfabrikaUon in die an-
grenzenden Aemter herübergekommen. — Der Kanton zählt etliche gut ein-
gerichtete Mühlen und auch an Bierbrauereien fehlt es nicht. — In Wauwyl
betindet sich eine Glashütte, welche Hohl- und Tafelglas liefert, sich aber bei
den bestehenden zollpolitischen Verhältnissen der ausländischen Konkurrenz kaum
erwehren kann. — Die vorübergehend in Schwung gewesene Parqneterie scheint
keine starken Fortschritte zu machen, dagegen ist die Möbelfabrikation in Auf-
nahme gekommen. — Ebenso hat die Bijouterie Fuß gefaßt und es sind Versuche
im Gang, im Kanton noch weitere Industriezweige einzubürgern.
Wie schon bemerkt, beschäftigt sich die Bevölkerung lebhaft mit Ackerbau,
Viehzucht und Käserei. Sie bilden heute noch die wesentlichsten Erwerbsquellen.
Es werden vorzugsweise Käse nach Art der Emmenthaler, daneben aber auch
Spalenkäse gemacht. Großhändler im Entlebuch und aus dem Hemer Emmenthal
kaufen die Waare auf und verhandeln sie in alle Welttheile. — Auch der
Viehhandel bewegt sich in beträchtlichen Summen.
Der Luzemer Markt war vormals gut besucht und namentlich als Korn-
stapelplatz für die innem Kantone wichtig. Im Uebrigen war es der ober-
italienisch-rheinische Transithandel, welcher von Alters her seinen Weg über
Luzern nahm und schon im 14. Jahrhundert Veranlassung gab zu Handelsverträgen
Luzern — 361 — Luzern
mit Mailand und mehreren deutschen Städten. Der Bau der Gotthardbahn hat
Luzern seine bisherige Stellung in dieser Richtung neuerdings gesichert. Die
Yerkehrsverbindungen im Kanton herum haben sich in den letzten Jahrzehnten
fitetig vermehrt und verbessert.
Zum Schlüsse soll noch des vielen Verdienstes gedacht werden, welcher der
prächtig gelegenen Hauptstadt am Vierwaldstätter See und ihrer Umgebung aus
dem Jahr für Jahr wachsenden Fremdenverkehr zufließt.
Urproduktion.
Der Urproduktion widmeten sich im Jahre 1880 laut eidgenössischer Volks-
zählungsstatistik 34,029 Personen, und zwar 33,601 der Landwirthschaft, 137
dem Bergbau, 252 der Forst wirthschaft, 35 der Fischerei, 4 der Jagd.
Der Bergbau
ist nicht ergiebig. Er besteht (laut schweizerischer Rohprodukten karte von Weber
<S; Brosij Verlag von J. Wurster & Co. in Zürich) hauptsächlich in der Aus-
beutung von Steinbrüchen und Torflagern.
Es kommen Sandsteinbrüche vor in oder bei : Adelwil, Altishofen, Buchen-
rain, Dagmersellen, Ennerhorw, Geiß, Großwangen, Horw, Littau, Luzern,
Mauensee, Neuenkirch, Niederwil, Oberkirch, Richenthal, Ruswil, Wiggern.
Tufsteinbrüche in oder bei Ebnet, Pfeffikon, Uffikon.
Torflager bei Meerlischachen, Münster, Müswangeu, Rain, Rüdiswil, Wauwil.
Landwirthschaft liehe Verhältnisse.
Der Kanton Luzern hat 136,900 ha produktives Land, wovon 29,990 ha
Waldboden, 83 ha Rebland, 106,827 ha sonstigen Kulturboden. 7 ^/o des
letzteren = 7500 ha mögen dem Getreidebau, 4 ^/o = 4300 ha dem Kartoffel-
bau eingeräumt sein. Auf den Geldwerth berechnet, wird der Getreidebau (ä
Fr. 500 per ha) ca. Fr. 3^750,000, der Kartoffelbau (a 80 q per ha und
Fr. 5 per q) Fr. 1 '700,000 jährlich abwerfen. Das Hauptgetreide ist Korn
(Spelz); danebst wird auch Weizen, Hafer, Roggen und Gerste gepflanzt. Am
Getreidebau wird das Amt Sursee mit ca. 30 ®/o, das Amt Willisau mit ca. 30 ^o,
das Amt Hochdorf mit ca. 20 ^/o, das Amt Luzein mit ca. 1 5 ^/o, das Amt
Entlebuch mit ca. 5 % partizipiren.
Neben dem Getreide imd den Kartoffeln sind stark verbreitete Ackerfrüchte:
Möhre, weiße Rübe, Kohl, Runkelrübe, Kohlrübe, Bohne.
Der Futter bau ist bedeutend, namentlich im Entlebuch, wo die Milch wirth-
schaft der vorherrschende Zweig des landwirthsohaftlichen Betriebes bt. Die ver-
breitetsten Futterpflanzen sind : Der Klee, die Esparsette, das Raygras (englisch,
italienisch und französisch), das Timothegras, das Ruchgras, der Wiesenschwingel,
<la8 Wiesen rispengras.
Der Jahresertrag der Obstkultur darf auf Fr. 5*520,000 veranschlagt
werden (r380,000 Bäume ä Fr. 4).
Weinbau wird in 9 Gemeinden des Hitzkircherthales betrieben. Areal
ca. «3 ha. Ertrag per ha ca. Fr. 2160, somit Geeammtertrag ca. Fr. 179,000.
Betreffend den Viehstand s. den Artikel „Viehzucht**. Es bestehen im
Kanton zwei Viehversicherungsvereine,
Landwirihscha fluche Konsumgenossenschaften bestehen in Sempach, Hoch-
dorf, Altishofen, Reiden, Meggen, Meierskappel, Root, Udligenschwil.
Die Zahl der Kfisereigesellschaflen beläuft sich auf etwas über 20. Be-
treffend die Käserei s. den Artikel „Milch wirthschaft''.
Literarisches Eigenihum — 352 — Literarisches Eigenthom
länder veröfifentlicht werden, können in den andern Ländern der Union im Original
oder in der Uebersetzung wiedergegeben werden, wenn die Urheber oder die Verleger
dies nicht ausdrücklich untersagt haben. Bei Zeitschriften genügt es, wenn das Verbot,
allgemein gefaßt, an der Spitze jeder Nummer der betreffenden Zeitschrift wiederholt
wird. — In keinem Falle aber kann sich dieses Verbot auf Artikel politischer Natur
oder auf die Wiedergabe der Tagesneuigkeiten und der , Vermischten Nachrichten*
ei*strecken.
Art. 8. Was das Recht anbetrifft, aus literarischen und künstlerischen Werken in
Publikationen, die für den Unterricht bestimmt sind oder die* einen wissenschaftlichen
Charakter besitzen, oder in Chrestomathien, Stellen wiederzugeben, so sind hier die
Gesetzgebungen der einzelnen Unionsländer und die zwischen denselben bestehenden
oder noch abzuschließenden Sonderabkommen maßgebend.
Art. 9. Die Bestimmungen des Art. 2 gelten auch für die öffentliche Au^ührung
von dramatischen oder dramatisch-musikalischen W^erken, ob diese Werke veröffentlicht
seien oder nicht. — Die Urheber dramatischer oder dramatisch-musikalischer Werke
oder ihre Rechtsnachfolger sind während der Dauer ihres ausschließlichen Uebersetzungs-
rechtes gegenseitig gegen die nicht autorisirte öffentliche Aufführung der Uebersetzung
ihrer Werke geschützt. — Die Bestimmungen des Art. 2 gelten gleichermaßen für die
•öffentliche Aufführung von nicht veröffentlichten musikalischen Werken, oder von solchen,
die veröffentlicht worden sind, bei denen aber der Urheber auf dem Titel oder an der
Spitze des Werkes ausdrückUch erklärt hat, daß er die öffentliche Aufführung derselben
untersage.
Art. 10. Unter die unerlaubten Reproduktionen, auf welche die gegenwärtige
Konvention Anwendung findet, werden besonders die mit verschiedenen Namen, wie:
Adaptationen, musikalische Bearbeitungen (Arrangements) etc. bezeichneten indirekten
nicht autorisirten Aneignungen eines literarischen oder artistischen Werkes gezählt,
sobald sie nur die Wiedergabe eines solchen Werkes sind, sei es in der nämlichen
Gestalt oder unter einer durch unwesentliche Aenderungen, Zusätze oder Weglassungen
entstandenen Form, die aber nicht den Charakter eines neuen Originalwerkes an sich
trägt. — Man ist damit einverstanden, daß bei der Anwendung dieses Artikels die
Gerichte der verschiedenen ünionsländer den Vorbehalten ihrer bezüglichen Gesetze
eintretendenfalls Rechnung zu tragen haben.
Art. 11. Damit die Urheber der durch die gegenwärtige Konvention geschützten
Werke bis zum Gregenbeweis als solche betrachtet werden und demnach das gerichtliche
Verfahren gegen unrechtmäßige Nachahmungen vor den Gerichten der verschiedenen
Unionsländer eröffnen können, genügt es, wenn ihr Name in der gewöhnlichen Form
auf dem Werke angegeben ist. — Für die anonymen und Pseudonymen Werke ist der
Verleger, dessen Name auf dem Werke bezeichnet ist, berechtigt, die dem Urheber
zustehenden Rechte zu wahren. Er wird ohne weitere Beweise als Bevollmächtigter des
anonymen oder Pseudonymen Urhebers betrachtet. — Man ist immerhin einverstanden,
daß die Gerichte eintretendenfalls die Vorweisung eines durch die kompetente Behörde
ausgestellten Zeugnisses verlangen können, welches bestätigt, daß die durch die Gesetz-
gebung des Ursprungslandes vorgeschriebenen Formalitäten im Sinne des Art. 2 erfüllt
worden sind.
Art. 12. Jedes unrechtmäßig nachgeahmte Werk kann bei der Einfuhr in eines
der Unionsländer, in welchem das Originalwerk das Recht auf gesetzlichen Schutz
genießt, mit Beschlag belegt werden. — Die Beschlagnahme findet statt gemäß der
innem Gesetzgebung jedes Landes.
Art. 13. Man ist einverstanden, daß die Bestimmungen der gegenwärtigen Kon-
vention in keinem Falle dem Rechte Eintrag thun dürfen, das der Regierung jedes
Landes der Union zukommt, durch gesetzliche Maßnahmen oder durch die innere Polizei
die Verbreitung, die Aufführung, die Ausstellung jedes Werkes oder jeder Produktion,
in Bezug auf welche die kompetente Behörde dieses Recht ausüben könnte, zu erlauben,
zu überwachen oder zu untersagen.
Art. 14. Die gegenwärtige Konvention gilt unter den gemeinsam zu bestimmenden
Vorbehalten und Bedingungen für alle Werke, die im Momente ihrer Inkrafltretung in
ihrem Urspningslande noch nicht Gemeingut geworden sind.
Art. 15. Man ist einverstanden, daß die Regierungen der Unionsländer gegenseitig
sich das Recht vorbehalten, unter sich besondere Vereinbarungen zu treffen, insofern
diese Vereinbarungen den Urhebern oder ihren Rechtsnachfolgern ausgedehntere Rechte,
als die durch die Union gewährten, zusichern, oder anderweitige der gegenwärtigen
Konvention nicht zuwiderlaufende Bestimmungen enthalten.
Literarisches Eigentbum — 353 — Literarisches Eigenthum
Art. IG. Ein internationales Bureau ist unter dem Namen , Bureau de ITnion
internationale poui* la protection des ceuvres litt6raires et artistiques** errichtet. — Dieses
Bureau, dessen Kosten von den Verwaltungen aller ünionsländer getragen werden, wird
unter die Autorität der Zentralverwaltung der schweizerischen Eidgenossenschaft gestellt
und von derselben in seinen Funktionen überwacht. Die Obliegenheiten desselben werden
von den Ländern der Union gemeinschaftlich festgestellt.
Art. 17. Die gegenwärtige Konvention kann Revisionen unterworfen werden
behufs Einführung von Verbesserungen, welche geeignet sind, das System der Union
zu vervollkommnen. — Fragen dieser Art, .sowie solche, die in anderer Hinsicht die
Entwicklung der Union betreflfen, werden in Konferenzen behandelt werden, die nach-
einander in den Ländern der Union zwischen den Delegirten der erwähnten Länder
abgehalten werden sollen. — Man ist einverstanden, daß keine Aenderung der gegen-
wärtigen Konvention für die Union Gültigkeit haben soll, wenn nicht sänimtliche Länder,
die derselben angehören, damit einverstanden sind.
Art. 18. Denjenigen Staaten, welche an der gegenwärtigen Konvention niclit Thcil
{.'enommen haben und welche auf ihrem Gebiete den gesetzlichen Schutz der den Gegen-
stand dieser Konvention bildenden Rechte gewäliren, soll auf ihr Gesuch der Beitritt
gewährt werden. — Dieser Beitritt soll schriftlich der Regierung der schweizerischen
Eidgenossenschaft, und von dieser allen andern mitgctheilt werden. Derselbe zieht
mit voller Rechtskratl die Zustimmung zu sämmtlichen Verpilichtungen und den Genuß
aller Vortheile der gegenwärtigen Konvention nach sich.
Art. 19. Die der gegenwärtigen Konvention beigetretenen Länder haben auch das
Recht, jederzeit für ihre Kolonien oder ihre fremden Besitzungen beizutreten. — Sie
können zu diesem Zweck entweder eine allgemeine Erklärung abgeben, nach welcher
alle ihre Kolonien oder Besitzungen in dem Beitritt inbegriffen sind, oder ausdrücklich
diejenigen nennen, die darin inbegriffen sind, oder sich diirauf beschränken, diejenigen
zu bezeichnen, die davon ausgeschlossen sind.
Art. 20. Die vorliegende Konvention wird vollziehbar drei Monate nach Aus-
wechslung der Ratifikationen, und wird während einer unbestimmten Zeit bis zum
V^erfluß eines Jahres, von dem Tage an gerechnet, an welchem die Kündigung erfolgt
ist, in Kraft bleiben. — Diese Kündigung wird an die Regierung gerichtet, welche be-
auftragt ist, die Beitritterklärung entgegenzunehmen. Ihre Wirkung erstreckt sich nur
auf den Staat, welcher die Kündigung angezeigt hat, indem die Konvention für die
andern vertragschließenden Theile in Kraft bleibt.
Zuaatzartikel. Die mit heutigem Datum abgeschlossene Konvention berührt in
keiner Weise die Aufrechthaltung der gegenwärtig zwischen den vertragschließenden
Staaten bestehenden Konventionen, insofern diese Konventionen den Urhebern oder
ihren RechLsnachfolgern ausgedehntere Rechte, als die durch die Union gewährten,
zu>ichern oder anderweitige Bestimmungen enthalten, welche dieser Konvention nicht
zuwiderlaufend sind.
Schlußprotokoll. \ ) In Bezug auf Art. 4 ist man übereingekommen, daß diejenigen
Länder der Union, in welchen die photographischen Erzeugnisse unter die künstlerischen
Werke gerechnet werden, sich verpflichten, diese Werke vom Tage der Inkrafttretung
der mit heutigem Datum abgeschlossenen Konvention den Wohlthaten derselben theil-
haftig werden zu lassen. Ucbrigens sind sie nur in dem Maße, als ihre Gesetzgebung
es erlaubt, gehalten, die Urheber der erwähnten Werke zu beschützen, es sei denn, daß
internationale Uebereinkommen bestehen oder noch abgeschlossen werden. — Man ist
damit einverstanden, daß die autorisirte Photographie eines geschützten Kunstwerkes
in allen Ländern der Union gemäß dem Sinne der Konvention den gesetzlichen Schutz
eben so lange genießt, als der Schutz der öriginalwerke selbst dauert und innert den
Grenzen der zwischen den Berechtigten abgeschlossenen privaten Uebereinkommen.
2) In Bezug auf Artikel 9 ist man übereingekommen, daß diejenigen Länder der
Union, deren Gesetzgebung unter die dramatisch- musikalischen Werke auch die chore-
gra[)hischen Werke (Ballet) zählt, den erwähnten Werken ausdrücklich die Wohlthaten
der Bestimmungen der mit heutigem Datum abgeschlossenen Konvention gewähren sollen.
— Man ist einverstanden, daß die Streitigkeiten, die sich bei der Anwendung dieser
Klausel erheben sollten, dem Entscheid der respektiven Gerichte vorbehalten bleiben. —
Man ist einverstanden, daß die Fabrikation und der Verkauf von Instrumenten, die zur
mechanischen Wiedergabe von Musikstücken dienen, welche dem Privatbesitz der Ur-
heber entlehnt sind, nicht als unerlaubte musikalische Nachahmung betrachtet wtTden.
3) Die durch Artikel U der Konvention vorgesehene gemeinsame Uebereinkunft
lautet wie folgt:
Fiirr^r Vulktfwirthachnrtti-Lexikon der Schweiz. -v^
Maß und Gewicht — 364 — Maß und Gewicht
oder 4 ZUrcherzoll sei, angenommen worden. Diese Einheit soll „Finger" heißen
und nach dem Dezimalsystem in 10 Zoll a 10 Linien getheilt werden. Die
Vielfachen des Fingers waren : 10 Finger = 1 Elle, 10 Ellen = 1 Kette,
1 0 Ketten = 1 Schnur. Als Einheit für körperliche Maße, und zwar sowohl für
feste als flüssige Körper, wurde vorgeschlagen der „Kuhikfinger oder Fingerich'
(also der heutige Liter). Die Gewichtseinheit ist das Gewicht eines Knbikfingers
des reinsten und destillirten Wassers und heißt „Pfund" (das heutige Kilogramm).
Dasselbe sollte eingetheilt werden in 10 Unzen ä 10 Loth ä 10 Drachmen
(Gramm) ä 10 Scrupel ä 10 Gran ä 10 As (Milligramm). 10 Pfund bildeten
den Stein und 10 Stein den Zentner.
Durch Gesetz vom 4. August 1801 wurde für Helvetien dieses Maß- und
Gewichtsystem eingeführt, mit der Abänderung, daß die Längeneinheit den Namen
„Hand" erhielt, femer lÖ Hand = 1 Stab (statt Elle) und 10 Schnur = 1 Kette
(Kilometer), 10 Ketten = 1 Meile (Myriameter) genannt wurden. Für feste Körper
erhielt die Kubikhand den Namen Becher (Liter), der in 10 Löflel getheilt war.
Die Vielfachen des Bechers waren : 10 Becher = 1 ScheflTel, 10 ScheflTel = 1 Sack
und 10 Sack = 1 Malter. Für flüssige Körper wurden eingeführt: 1 Kubikhand
= 1 Kanne a 10 Glas (1 Deziliter), 10 Kannen = 1 Eimer, 10 Eimer r= 1 Saum,
10 Saum = 1 Faß.
Am 6. September 1801 reichte Tralles seine Vorschläge ein betreffend die
Beschaffenheit der neu zu erstellenden Muttermaße, und aus mehreren Schreiben
ist ersichtlich, daß bereits Verträge mit den Bürgern Bär und Develay über
<lie Lieferung der für 150 Bezirke erforderlichen Muttermaße angebahnt wurden,
lu Folge der Ereignisse kam aber das Gesetz, welches schon im Jahre 1801
der Schweiz nicht nur einerlei Maß und Gewicht, sondern das jetzt bestehende
metrische Maß- und Gewichtsystem gebracht hätte, nicht zur Ausführung und es
blieb während der nun folgenden Mediationszeit Alles im Alten.
Zwar fehlte es nicht an Anregungen, die Verhältnisse in Maß und Gewicht
einheitlich zu ordnen, und es hat sich die Tagsatzung in den Jahren 1803 bis
1^13 wiederholt damit beschäftigt.
Am 18. Juli 1803 wurde der Landammann der Schweiz angewiesen, über
die Einführung eines gleichmäßigen Maß- und Gewichtsystems wissenschaftliche
Untersuchungen zu veranstalten und das Ergebniß derselben den Kantonen mit-
zutheilen.
Am 25. Juni 1807 wurde beschlossen, den durch die helvetische Regierung
am 14. Juli 1801 abgefaßten Gesetzes Vorschlag für die Einführung eines gleich-
mäßigen Maß- und Gewichtsystems durch den Abschied den Kantonen zur Kenntniß
zu bringen, „wobei die Tagsatzung mit Vergnügen sehen wird, wenn die eine
oder andere Regierung mit dem Beispiel eines Versuches in ihrem Kanton voran-
gehen will**.
Wie groß trotz dieses Beschlusses der Widerstand war, geht daraus hervor,
daß Basel und Bern „ein für allemal das Protokoll dieses Gegenstandes entladen
wollten", welchem Vorgehen sich im nächsten Jahre (1808) noch Schwyz, Grau-
bünden, Appenzell und Schaff hausen anschlössen, während Bern nicht mehr unter
den Gegnern einer Reform erscheint.
Am 22. Juni 1811 wurde (mit 17 Stimmen) beschlossen, daß ein eidge-
nössisches Maß- und Gewichtsyiitem aufgestellt, das Verhältniß desselben su den
in der Schweiz bestehenden Maßen und Gewichten ausgemittelt und den Kantonen
überlassen werde, das eidgenössische System bei ihnen einzuführen. Dieser Be-
schluß wurde im nächsten Jahre erneuert, kam aber doch nicht zur Ausführung.
Maß und Gewicht — 365 — Maß und Gewicht
Im Jahre 1813 wurde den Ständen vom Vorort ein ausführliches Gutachten
von Professor Homer in Zürich mitgetheilt, welcher als Längeneinheit die Länge
von 3 dm (weil dieser Fuß sich am meisten den in der Schweiz hisher gebräuch-
lichen nähert), als Einheit für Flüssigkeitsmaße die Maß von 1,5 1 und als
Gewichtseinheit das Pfund = 7« kg vorschlug; als Einheit für trockene Maße
Kchien ihm dagegen das Viertel von 15 1 zu klein zu sein. Wir haben hier den
ersten Vorschlag des spätem schweizerischen Maß- und Gewichtsystems. Auch
einige gelehrte Gesellschaften fingen an, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen,
was die Tagsatzung im Jahre 1813 veranlaßte, zu beschließen, es sei das Resultat
dieser Arbeiten noch abzuwarten.
Auch während der Restaurationszeit (1813 — 1830) blieb das Maß- und
G^wichtswesen der Schweiz noch stationär, obschon von verschiedenen Seiten
Anstrengungen gemacht wurden, einen bessern Zustand herbeizuführen, indem
z. B. im Jahre 1822 die schweizerische naturforschende Gesellschaft auf Vorschlag
von Professor Homer in Zürich eine dreigliedrige Kommission, bestehend aus
dem Antragsteller und den Professoren Pictet in Genf und Trechsel in Bern,
niedersetzte.
Diese Kommission erstattete im Jahre 1823 an die Gesellschaft ausführlichen
Bericht, aus welchem hervorgeht, daß die Anregung zum erneuerten Studium
dieser Frage auf guten Boden gefallen sei. 1 1 Kantone hatten ihre Untersuchungen
über ihre Maße und Gewichte abgeschlossen und aus 2 Kantonen waren bezüg-
liche Arbeiten angekündigt. Die rückständigen Kantone ließen indessen lange auf
sich warten, denn noch im Jahre 1827 lautet der Bericht an die Gesellschaft:
nKs sind mit wenigen Ausnahmen die Angaben von allen Kantonen eingegangen.*"
Bei diesem Anlaß machte Homer das Anerbieten, die Angaben auf ein gemein-
sames Maß (pied de roi und poids de marc) unter seiner Aufsicht reduziren zu
lassen und in eine allgemeine, vergleichende Uebersicht zu bringen, wozu ihm
der nöthige Kredit ertheilt wird. (Leider ist von diesen Arbeiten nirgends mehr
etwas aufzufinden.)
Inzwischen hatte aucb die Regierung von Bern sich der Sache angenommen,
indem sie eine Anzahl von Regierungen eingeladen hatte, an einer Konferenz zur
Besprechung aller dieser Fragen Theil zu nehmen. Dem Konferenzprotokoll vom
5. Mai 1828 welches von den Abgeordneten der 8 Stände Zürich, Bern, Lueern,
Freiburg, Soloihurn, Basel, Aargau und Waadt unterzeichnet ist, ist zu ent-
nehmen, daß als Längeneinheit die Länge von 3 dm angenommen wurde; ferner
einigte man sich noch auf folgende Maße: 1 Elle = 2' (Fuß), 1 Stab =4',
1 Klafter == 6 ', 1 Ruthe = 10'; 1 Juchart =^ 40,000 Quadratfuß und
1 Pfund = 500 g. Ueber die Größe der Hohlmaße kam keine Einigung zu
Stande. 6 Stände einigten sich, für trockene Gegenstände 1 Viertel (Quarteron)
von 500 Kubikzoll, für Flüssigkeiten 1 Maß von 50 Kubikzoll (4 Stände)
anzunehmen, und 4 Stände wollten eine Wegstunde von 16,000' einführen.
£s hatte also auch diese Konferenz noch kein bestimmtes Resultat, indem
nicht einmal 8 Kantone sich auf bestimmte Maße einigen konnten, immerhin
aber bildet dieses Konferenzprotokoll für die Arbeiten der spätem Kommissionen
„eine Vorarbeit, die ihnen in theoretischer und praktischer Hinsicht den Weg
bezeichnete, den sie zu befolgen hatten**.
Wenn auch in der Restaurationsperiode noch keine Einigung in Beziehung
auf Maß und Gewicht in der Schweiz erzielt werden konnte, so findet man doch
in einzelnen Kantonen wesentliche Fortschritte. Vor allen ist hier der Kanton
Waadi hervorzuheben, der durch Gesetz vom 27. Mai 1822 auf seinem ganzen
Maß und Gewicht — 366 — Maß und Gewicht
Gebiet einheitliches Maß und Gewicht einführte, während vorher 20 verschiedene
Stäbe (Aane), 25 Viertel (Quarteron), 26 Maß und 9 Pfunde im Gebranch
waren. Die Ghrundlage des waadtländischen Maß> und Gewichtsystems bildete der
Fuß von 3 dm Länge, mit dezimaler Gliederung; weitere Längenmaße waren
der Stab von 4 ' und die Toise von 10 '. Flächenmaße waren die Quadrattoise
= 100 Quadratfuß, 1 Fossorier = 50 Quadratfuß und 1 Pose = 500 Quadrat-
toisen. Als Hohlmaße für trockene Körper wurden eingeführt: 1 Quarteron
:= 72 Eubikfuß, eingetheilt in 10 Emines ä 10 Copets; Vielfache: 10 Quar-
terons = 1 Sac und 10 Sacs = 1 Muid. Diese Hohlmaße waren zylindrisch
mit einer Höhe = ^jb des Durchmessers. Flüssigkeit^maße waren: 1 Pot
= V20 Kubikfuß (d. h. = 1 Emine), 1 Pot = 10 Verres; Vielfache: 10 Pots
= 1 Broc, 3 Brocs = 1 Setier, 16 Setiers = 1 Char. Die Gewichtseinheit ist
das Pfund gleich dem absoluten Grewicht von Y54 Kubikfuß Wasser bei seiner
größten Dichtigkeit (also = 500 g). Dasselbe wurde eingetheilt in 16 Onces
a 8 Gros ä 72 Grains. Im gewöhnlichen Verkehr wird das Pfund und die
Unze auch nur in halbe, viertel und achtel eingetheilt.
Durch dieses System ward in der Schweiz zum ersten Mal eine dezimale
Gliederung eingeführt, freilich nicht ausschließlich, und es ist femer zu bemerken,
daß die neuen Hohlmaße (Quarteron und Pot) von Ys und Y20 Kubikfuß wirklich
als von der Längeneinheit abgeleitete Größen zu betrachten sind, was bei den
spätem schweizerischen Viertel und Maß nicht der Fall ist.
Dem Beispiel der Waadt folgte bald darauf der Kanton Wallis, der durch
Gesetz vom 15. Dezember 1824 folgende Maße allein als gesetzliche anerkennt:
a, 1 Schuh = 3 dm; 6. 1 Elle = 4'; e. 1 Fischöl, dessen Inhalt gleich
1 Kubikfuß; 1 Fischöl = 2 Bischel ä 2 Quarterons a 5 Emines; d. das Pot
(Maß) = 50 Kubikzoll; e. 1 Sester = 30 Pots {rr= 172 Kubikfuß).
Diese Maße sollten vom 1. Juli 1825 an allein gebraucht werden. Es
scheint aber, daß trotz diverser Straf bestimmungen die alten Maße größtentheils
beibehalten blieben, indem in den im Jahre 1857 publizirten und wohl offiziellen
^Tableaux de conversion des mesures usit^es en Valais en mesures föderales et en
mesures m^triques' bemerkt wird : „L^usage ne sanctionna pas entierement Tadoption
du pied de 3 dm ; chaque localite conserva sa toise pour T^valuation des surfaces
agraires et en general le pied du roi pour les mesures lineaires."
Durch Gesetz vom 14. Mai 1827 wurde als Gewichteinheit das Pfund von
500 g angenommen und es scheint diese Bestimmung größern Anklang gefunden
zu haben. Unwichtige Aenderungen in andern Kantonen Übergehen wir hier.
Größere Fortschritte weist die folgende Periode von 1830 — 1848 auf.
Im Jahre 1832 wurde eine Revision des Bundesvertrages beschlossen und eine
Kommission von 15 Mitgliedern ernannt, welche in Beziehung auf Maß und
Gewicht beantragte:
„Art. 22. Dem Bunde steht das Recht zu, für den Umfang der Eidgenossenschaft
gleiches Maß und Gewicht einzuführen. Die Schweiz. Maße und Gewichte sollen nach
dem Dezimalsystem angeordnet und ihre Größe so bestimmt werden, daß sie mit den
<lurch andere Staaten eingeführten Dezimalsystemen in möglichst einfachen Verhrdtnissen
stehen. — Ein Bundesgeselz wird bestimmen, in welcher Zeit die neuen Schweiz. Maße
und Gewichte jeder Art im Innern der Kantone eingeführt werden sollen.*
Dieser Artikel wurde auch von der Tagsatzung angenommen, der neue
Bundesvertrag aber im Jahre 1833 von der Mehrheit der Stände abgelehnt.
Am 31. März 1834 theilte der Vorort neue Vorschläge mit, nämlich: Bericht
und Anträge der in Angelegenheiten des schweiz. Handels einberufenen Experten-
Kommission an den h. eidg. Vorort hinsichtlich eines in der Schweiz einzuführenden
Maß und Gewicht — 367 — Maß und Gewicht
gleichförmigen Maß- und Grewichtsystems (vom 8. März 1834), nebst einem
Entwurf eines Schweiz. Maß- und Gewichtsystems von Hofrath Homer und
Heinrich Pestaluzz vom 6. März 1834.
Eine besondere Kommission wurde zur Berathung dieser Frage niedergesetzt ;
sie erstattete am 30. August Bericht in Anlehnung an ein weiteres Gutachten der
obgenannten Herren (vom 22. August 1834) und am nämlichen Tage wurde von
zwölf Ständen die neue Schweiz. Maß> und Gewichtsordnung auf dem Wege eines
freiwilligen Konkordats unter Ratüikationsvorbehalt angenommen.
Die Ratifikation wurde am 17. August 1835 von den elf Ständen Zürich,
Bern, Liizern, Ztig, Freihurg, Solothurn, Basel, Schaff hausen, St Gallen,
Aargau und Thurgau ausgesprochen, und im Jahre 1836 schloß sich auch Glarus
dem Konkordat an.
Die wesentlichsten Grundsätze des Konkordates waren:
1) Die Maß-Einheiten werden yon den gleichartigen Einheiten des französischen
metrischen Systems dergestalt abgeleitet, daß sie einerseits dem Bedürtniß des täglichen
Verkehrs Genüge leisten, andrerseits zu den metrischen Maß-Größen in möglichst ein-
fachem Verhältniß stehen.
2) Die Dezimal-Eintheilung in auf- und absteigender Ordnung wird fQr alle Maße
als Regel auftrestellt mit Vorbehalt der fQr den täglichen Verkehr erforderlichen Aus-
nahmen.
3) Die landesüblichen Benennungen sind soviel immer möglich beizubehalten.
4) Die Zahl der Maße soll auf das Unentbehrliche beschränkt und keine unnütze
Vervielfältigung nahe gleicher Maße geduldet werden.
Wir haben es hier noch nicht mit einem besondern, in sich selbst abgeschlossenen
S}^tem zu thun, in welchem aus einer Grundeinheit alle andern Größen direkt
abgeleitet werden, während bei dem waadtländischen System (mit Ausnahme der
Gewichtseinheit) alle andern Maße aus dem Fuß abgeleitet sind. Die Gründe,
warum namentlich die Kohlmaße vom Liter und nicht vom Kubikfuß abgeleitet
wnrden (also das waadtländische System nicht adoptirt wurde) sind in der Kleinheit
der direkten Maße zu suchen, da das waadtländische Sester 500, die Maaß 50
Kubikzoll betragen, während die entsprechenden Konkordatsmaße 555^9 und 55^9
Kubikzoll sind und sich mehr den bisher gebräuchlichen Maßen näherten.
Das Konkordat bildete später die Grundlage der ersten Schweiz. Maß- und
Gewichtsordnung und die eingeführten Maße werden dort aufgezählt werden.
Der Vorort wurde femer angewiesen, dafür zu sorgen, daß die Muttermaße
in der gleichen Werkstätte durch einen geschickten Mechaniker verfertigt und daß
ein vollständiges Exemplar von jedem konkordirenden Stand aus dieser Werkstätte
bezogen werden könne.
Die Vollziehung des Konkordates sollte durch eine besondere Konferenz der
Konkordatsstände angeordnet werden. Die Konferenz, an welcher die Stände
Zürich, Bern, Luzern, Freiburg, Solothurn, Baselstadt, Baselland, Schafifhausen,
St. Gallen, Aargau und Thurgau vertreten waren, und an welche der Vorort
zwei eidg. Experten abgeordnet hatte, versammelte sich in Bern am 1. Februar
1836. Die wichtigsten Beschlüsse derselben sind folgende:
Die im eidg. Archiv (jetzt in der eidg. Eichstätte) deponirten, seiner Zeit durch die
französische Regierung der obersten helvetischen Vollziehungsbehörde offiziell zugestellten
Maße, nämlich ein Meterstab aus Eisen und 1 Kilogramm aus Messing, wurden als
acht anerkannt und als Hauptgrundlagen der Schweiz. Maß- und Gewichtsordnung
erklärt.
Vier durch Mechaniker Oeri in Zürich verfertigte Urmaße (1 Fuß aus Schmiedeisen,
1 Viertel aus Messing, 1 Maß aus Messing und 1 Pfund aus Messing) werden sowohl
der Form als dem Stoffe nach als mit dem Konkordat übereinstimmend anerkannt und
die Experten-Konmiission beauftragt, diese Urmaße genau zu untersuchen und nachdem
sie sich von der vollkommenen Richtigkeit und der vorgeschriebenen Uebereinstimmun^
Maß und Gewicht — 368 — Maß und Gewicht
mit dein Meter und dem Kilogramm überzeugt haben, darüber einen Verbalprozeß aus>
zufertigen und durch den Vorort diese Urmaße beglaubigen zu lassen. (Auch diese
4 Urmaße sind in der eidg. Eichstätte deponirt.)
Jeder konkordirende Kanton soll ein Exemplar einer genauen Nachbildung der
Schweiz. Urmaße unter dem Namen , Muttermaße* übernehmen, nachdem dieselben von
Oeri verfertigt und durch die Experten-Kommission beglaubigt seien. Die konkordaLs-
gemäß verfertigten Maße und Gewichte führen den Namen Schweizermaße und Schweizer-
gewichte; die Muttermaße werden mit dem eidg. Kreuz, die Nachbildungen derselben
(sowohl Probemaße als Verkehrsmaße) mit dem eidg. Kreuz und mit dem Kantonszeichen
bezeichnet.
Als Zeitpunkt der allgemeinen Einführung des neuen Systems wird einstimmig
der 1. Januar 1838 bestimmt, wobei es den einzelnen Kantonen frei steht, die neuen
Maße schon früher einzuführen.
Zur Ausführung der erforderlichen wissenschaftlichen Arbeiten wurde be-
schlossen, eine unter dem Vorort stehende Experten-Kommission von drei Mit-
gliedern aufzustellen, welche die Aufgabe erhielt: 1) die Prüfung der Urmaße
mit möglichster Beförderung vorzunehmen; 2) die Anfertigung der Muttermaße
zu überwachen, dieselben zu prüfen und an die Kantone zu versenden ; 3) Aus-
arbeitung einer speziellen Anleitung über die Verfertigung der Probemaße mit
Beziehung auf ihre Form, Dimensionen und Stoff; 4) Ausarbeitung eines Entwurfs
einer Prüfungsordnung für die Fichter, welche gleichzeitig eine Anleitung für
die Eichmeister sein sollte; 5) Berechnung von Reduktionstafeln über das Yer-
hältniß der neuen Schweizermaße und Grewichte zu denen des Aaslandes (Nachbar-
staaten).
Nachdem diese Kommission ihre Aufgaben gelöst hatte, wurde sie durch
Konferenzbeschluß der konkordirenden Stände am 19. August 1839 wieder aufgelöst.
In Ergänzung des Konkordates wurden ferner folgende Beschlüsse über An-
zahl und Form von Hohlmaßen für trockene Körper gefaßt:
Die Verkehrsmaße erhalten eine Höhe gleich dem halben Durchmesser ; gestattet
werden: 1 Malter = 10 Viertel oder Sester ä 10 Immi, ferner V« und V< Sester. In
Beziehung auf Flüssigkeitsmaße wurde den Kantonen angerathen, die Maß für den
Verkehr nach fortgesetzten Halbirungen zu tlieilen und 100 Maaß den Namen Saum
beizulegen, bei Nonnalgefaßen soll die Tiefe gleich dem doppelten Durchmesser sein.
Bezüglich der Gewichte wui'de den Kantonen empfohlen, die Eintheilung des Pfundes
sowohl in 500 g als in 32 Loth zu gestatten und das Apothekergewicht einstweilen
unverändert zu belassen. Ueber die bei Verkehrsmaßen zu gestattenden Fehlergrenzen
sollten die Vorschläge der Experten-Kommission maßgebend sein.
Im Jahre 1836 beschloß die Tagsatzung, daß die Bestimmungen des Kon-
kordats in allen eidg. Verhältnissen als verbindliche Vorschriften gelten sollen.
Nachdem die konkordirenden Stände (Aargau auf 1. April 1838 und Glaras auf
1. Januar 1839) auf 1. Januar 1838 das Konkordat in Vollziehung gesetzt
hatten, wurden die Bestimmungen desselben auch nach und nach in der eidg.
Militärverwaltung eingeführt. Im Femern wurden die Kantone eingeladen, aus-
ilihrliche Berichte an den Vorort einzureichen über die Einführung der neuen
Maß- und Gewichtordnung und am 23. Juli 1844 betrachtete die Tagsatzung
die Verhandlungen über die Einführung des Konkordates als abgeschlossen.
Die Kantone waren ferner eingeladen worden, ihren Berichten über die Ein-
führung des Konkordates auch die Reduktionstabellen, enthaltend die Vergleichung
der bisher gebräuchlichen Maße und Gewichte mit den Schweizermaßen, beizugeben.
Die Mehrzahl der konkordirenden Kantone kam diesem Wunsche nach und es
sind diese Tabellen im eidg. Archiv niedergelegt worden.
Wie nöthig eine Einigung im Maß- und Gewichtswesen war, geht aus der
folgenden Zusammenstellung der früher gebräuchlichen Maße und Gewichte hervor.
Maß und Gewicht
369 —
Maß und. Gewicht
Die nachfolgenden Tabellen enthalten (so weit es möglich war, das bezüg-
liche Material zu erhalten) für die Eonkordatakantone die vor 1838 gebräuch-
lichen Maße und Grewichte nach den offiziellen Reduktionstabellen, wobei sämmtliche
Reduktionen auf metrische Maße aus den ursprünglichen Definitionen der Maße
neu berechnet wurden, da in einigen der offiziellen Tabellen Fehler enthalten
waren. Für die nicht konkordirenden Kantone wurde das Material (meist auch
offizielle Reduktionstabellen) in freundlicher Weise von den betreffenden kanto-
nalen Behörden zur Disposition gestellt, wofür denselben hiemit der verbindlichste
Dank ausgesprochen wird.
Zur Orientirung sei den Tabellen noch folgende Erläuterung vorausgeschickt:
Der bis zur Einführung des metrischen Systems (10. Dezember 1799, resp.
1. Januar 1800) in Frankreich üblich gewesene Pariserfuß war 0,3248394 m,
der Pariserzoll 0,0270699 m = Via des Fußes, die Pariserlinie 0,00225583 m
^= ^/i2 des Zolles, der Pariser Enbikzoll 19,83648 cm', das livre poids de marc
= 489,5058 g, 1 grain de marc = 53,11478 mg, 1 toise = 2 m, 1 aune
= 12 dm, 1 boisseau = ^/s hl.
Farrer, YolkBwtrthBchafta-Lexlkon der Schweiz.
^V
Maß und Gewicht
370 —
Maß and Gewicht
I. Längenmasse vor 1835/38, verglichen mit den seitherigen.
a. Fuß (überall = 12" i 12'")-
Definition :
Pariaerlinien *
Schweixerfuss
1838—1868,77
Meter
seit 1868/77
Äargau: Bezirk Aarau 130 0,977526 0,293258'
, Baden 133 1,000084 0,300025*
BFemgarten .... 133,13552 1,001103 0,300331
. Bnigg wie Aarau
j, Kulm , „
, Laufenburg 140,13 1,0536979 0,316109*
^ Lenzburg wie Aarau
„ Muri wie Bremgarten
„ Rheinfelden .... wie Laufenburg
Zofingen, Aarburg . . 132,408 0,9956328 0,298690
« Zurzaich wie Baden
Klingnau 133,5816 1,0044577 0,301337
Kaiserstuhl 133,1568 1,0012634 0,300379
Nümberger-Stadtfuß 134,675 1,012679 0,303804*
Alter Pariserfuß 144 1,082798 0,324839»
Appenzell Ä.'Bh 135,97 1,022417 0,306725«
Appenzell L-Bh 136 1,022643 0,306793'
Baselland wie Baselstadt
Basehtadt: Fuß« 135 1,015123 0,304537
Alter Baselfeldschuh 124,7 0,937673 0,281302 •
Bern: Fuß 130 0,977526 0,293258
Steinbrecherschuh 13" bern. Maß 1,058987 0,317696
Pariserfuß (Pied de roi) 144 1,082798 0,324839
Frutigerfuß V«" kurzer als bern. ' 0,916431 0,274929»*
Freiburg: Bernfuß vide Bern
Pied de Gruy^re 146,5 bern. "' 0,994497 0,298349
Genf: Pied de roi 144 1,082798 0,324839
ö/aru«; Fuß 1,02265 0,306795"
Qraubünden^^ : Churerfuß 1 0,3
Jenatzer-Heuschuh 1,01736 0,305208
Jenatzer-Güterschuh 0,79167 0,237501
Luzeinerfuß» 1 Pariserfuß 1,08280 0,324840
Davoserfuß 1,010 0.3030
Oberengadinerfuß 1,080 0,3240
Obertasnerfuß 1,070 0,3210
MQnsterthalerfuß 1,05340 0,316020
2A*2ffrn: Luzerner Stadtfuß 126 0,9474482 0,284234**
Nürnbergerfuß 134,675 1,0126793 0,303804 "
Pariserfuß 144 1,0827979 0,324839"
Neuenburg: Pied 130 0,977526 0,293258 "
Pied de champ 16 = is' 8" neuchAteiois 0,957161 0,287148 *•
Nidwaiden: Pariserfuß 144 1,0828 0,32484
(keine offlsiellen Angaben erh&Itlich; nach Heldmann
wie in Luxem ; nach Meyer, Gemälde der Schweiz, um
V»a kleiner al« in Luzem
5t öaKen; St. GaUer-Stadtfuß . . . . 134,5 1,011364 0,303409
Rorschacherfuß 136 1,022642 0,306793 »•
Rheineckerfuß 137,5 1,033922 0,310177
^ 1 Pariserlinie = 0,00225583 m. — * 1 Bemfüas. — * 1 alter ZOrcherfuBS nach Uteiten Angaben. —
* 1 WienerfuBB. — ^ In mehreren Bezirken. — * Laut Beschluss des Grossen Bathes vom 12. Oktober 1824
— '' Nach Messungen des Mutterfusses durch Mechaniker Zuber ron Btthler, beglaubigt 14. Juli 1823. —
* Der Baselfuss wurde für den Gebrauch bei Handwerkern in 12" k 12"-, bei der Verwendung als Feld-
mass aber in 10" k 10"' abgetheilt — * Seit 1820 abgeschafft. — *<> Vide Bemerkung bei den KUen. —
'* Nach Heer, Gemälde der Schweiz. — ^* In den hier nicht angegebenen Kreisen des Kantons wurde
der Churerfuss gebraucht, im Kreise Trins theils der Luzeinerfuss, theils der deutsche Fuss, welcher aber
nicht näher bezeichnet wird. — *> Auch im Kreise Schams gebräuchlich. — ** FOr Maurer und Feldmesser.
— >^ Fttr Zimmerleute. — ^« Fttr die ttbrigen Handwerker. — " Beruf uss. — " 1 Pied de champ = 16
minutes ä 16 oboles. — ** Auch in Weesen.
Maß und Gewicht
— 371 —
Maß und Gewich
Definition :
Pariaerlinien
St Gallen: Berneckerfuß 136,5
Allstätten 135,5
Grabs und Werdenberg 135
Sargans und Azmoos 132
Rapperschwyl 132,8
Ragaz und Pföffers 133,5
Schaffhausen : Schaffhauser- Werkschuh . 132
Nürnbergerfuß 134,675*
Schafifhauser-Feldmeßfuß 158,40
Steiner-Feldmeßfuß 133
Schwyz: Bezirke Schwyz und Küßnacht
Einsiedeln ^
Gersau
March
Solothum 130
Teasin l ^ ^^° bezüglichen TabeUen kommen
^ j^jg LÄngenmasse vor
Thurgau: Nürnbergerfuß 134,67 1,012640
Uri: Umerfuß 1,116279
TToode : Waadtländerfuß l'3"/i«5'" alt. waadÜ.* 1
Alter Waadtländerfuß
Wallis : Walliserfuß
Alter Walliserfuß
ZüHch: Zürichfuß 133,6
Zug
SchweizerfuBS
1838—1868/77
1,026404
1,018883
1,015123
0,992565
0,998580
1,003844«
0,992565
1,01268
1,191078
1,000084
1,0573
1,0127
1,0505
1,0187
0,9775259
0,977517
1
1,082798
1,0045960
1,012868
b. Elle.
Definition :
Pariserlinie
Äargau: Bezirk Aarau 263,261
, Baden 266,549
„ Breingarten .... 266,271
, Brugg 267,552
, Kulm 268,032
^ Laufenburg 264,888
„ Lenzburg wie Kulm
. Muri wie Bremgarten
. Rheinfelden .... 242,942
Zofingen, Aarburg . . 264,816
„ Zurzach 267,163
Elle von Mellingen 266,436
, ,. Kaiserstuhl 266,314
^ t Pariserstab 263,41666
Appenzell Ä.-Bh,: Wolienelle .... 270,26
Leinwandelle 325,45
Stab für Mousseline 537,26
, Baumwolle 529,36
Appenzell L-Bh.: Kurze Elle .... 271,4
Lange Elle 325,5
Baselland wie Baselstadt
Sohweizorelle
1838—1868/77
0,9897865
1,0021484
1,0011032
1,0059194
1,0077240
0,9959036
0,9133928
0,9956329
1,0044569
1,0017236
1,001265
0,9903718
1,016101
1,223449
2,019946
1,990244
1,020387
1,223788
Meter
•eit 1868/77
0,307921 *
0,305665 «
0,304537 •
0,297770
0,299574
0,301153
0,297770*
0,303804
0,357323
0,300025^
0,31719»
0.30381"
0,31515»
0,30561»
0,293258 "
nur Ellenmasse
0,303793 "
0,334884
0,3»
0,293255
0,3"
0,324839 "
0,301379 »
0,303860 >•
Meter
seit 1868/77
0,593872
0,601289
0,600662
0,603552
0,604635
0,597542
0,548036
0,597380
0,602674
0,601034
0,600759
0,594223 "
0,609661 »•
0,734070
1,211967
1,194146
0,612232 "
0,734273
> Anch in Wyl. — * Auch in Oberriet, 8a3c, Sennwald, Utsnach, Lichtensteig. — * Auch in Gams
(Baselfuss). — * Nach der amtlichen Ausgabe der Bednktionstabellen ist 1' = 1,0025 Schweiserfuss, welche
Zahl aber mit der Angabe 133,5"' nicht übereinstimmt. Auch der fHkhere Inspektor, Herr Prof. Bertsch,
gibt in seiner Geschichte des Mass- und Gewichtswesens des Kantons 8t Gallen 1,00382' an. — 'In der
letsten Zeit nicht mehr gebraucht. — * In der amtlichen Ausgabe der Beduktionstabellen steht 134,87 ; die
Angabe in Bchweiserfuss stimmt aber mit der Angabe des KQmbergerfUsses, Tide Luxem, überein. —
'' idter Zürcherfnss. — * Direkte Vergleiohung der alten und neuen Mnstermasse durch den Fichter Carl
Beichlin in Schwyz. Die hier nicht angeführten Bexirke sollen den Zürcherfuss benütxt haben. — * Ist
wohl der Nümbergerfuss. — ^^ Bemfnss. — ^^ Kleine Abweichung gegenüber der Angabe Tide Luxem. —
** Nach dem Gesetz Ton 1822. — *' Gesetz Ton 1824. — ^* 1 Pariserfuss. — *' Ausserdem waren im Kanton
Zürich mehrere Fuas der benachbarten Kantone im Gebrauch. — ** Wahrscheinlich Nümbergerfuss.
" In mehreren Bezirken. — ** Laut Besohluss des Grossen Bathes Tom 12. Oktober 1824. — ** Nach
Messung durch Mechaniker Zuber Ton Bühler, beglaubigt 14. Juli 1623.
Maß und Gewicht
— 372 —
Maß und Grewicht
Doflnition : Schwcizerellen Meter
Fariserlinien 1838— 18f>8;77 seit 1868y77
BaseUtadt: EUe» 239,3 0,899667 0,539820*
Bern: BernereUe 22" 2"' bern. Maß 0,9028537 0,541712
Langenthalerelle 25V«" bern. 1,0386215 0,623173
Pariserstab 526«^ •'" Pariser 1,980744 1,188446
BielereUe 22" 8*" bern. 0,923219 0,553932*
BurgdorfereUe 99V6= 100 bern. Ellen 0,906480 0,543888*
Erlacherelle 22" 6"' bern. 0,916431 0,549859
SiebenthalereUe 2' bern. 0,977527 0,586516
FrutigereUe 22" 6"' 0,916431 0,549859
Neuenstadterelle 22" 7"* 0,919825 0,551895
Oberhaslerelle 26" 1,058987 0,635392
Saanerelle 2' »/*'' bern. 1,008076 0,604844
Freilmrg: Aune (Stab) de Fribourg . . 1,781948 1,069169^
Aune d'Estavayer et de Romont . . 1,792130 1,075278
, de Morat 1,826072 1,095643
, . Rue 1,853226 1,111936
, . Chätel (la-petite) 1,894892 1,136935
, , Ghätel üa-grande) .... 1,985124 1,191074
„ , Gruy^re 586"' bern. 1,988995 1,193397
, . BuUe 1,995782 "^ 1,197469
, . Paris 1,980744 1,188446
, , Moudon 1,839648 1,103789»
Genf: Aune du roi 1,980744 1,188446
Glarus : Kurze EWe 2' glarn. 1,02265 0,613590'
Lange Elle 27«' glarn. 1,27831 0,766986
Graubünden: Elle in Chur 1,1053558 0,663213«»
Elle in Schanfigg 2 Churerfuß 1 0,6
, , Luzein 1,14446 0,686676
, , Bergün 1,16353 0,698118
„ , Oberengadin 1,220 0,7320
, , Obtasna 1,365 0.8190
r, , Untertasna 1,37656 0,825936
, , Münsterthal 1,18510 0,711060
Braccio di Misocco 1,16667 0,700002
, Roveredo 1,150 0,6900
, Calanca 1,15167 0,691002
Brazzetto di Galanca 0,98833 0,592998
Braccio di Poschiavo wie in Roveredo
, bottega della Bregaglia . . 1,11550 0,669300
Xu5^n; Luzernerelle* 278,458 1,0469227 0,628154**
Neuenburg: Aune 45" 57«"' neuenb. 1,851385 1,110831
7Vr«/2«i)/i7/j!A«i • FIlo / ^*® *° Lnzern (nach gütiger Mittheilting von Herrn
litawaiaen, lliJie J Regiemngsrath Camenitiend in Buochs)
(keine Angaben erhältlich ; auf dem RathhauB war die
sog. Matterelle angebracht, von welcher die Masse ab>
genommen wurden.
St Gallen: Wollenelle in St. GaUen . . 270,8 1,01813 0,610879
Leinwandelle in St. Gallen >^ ... 326 1,22567 0.735401
Elle in Rorschach (kurze) 271 1,01888 0,611330
, , , (lange) »^ .... 325 1,22191 0,733145
« , Rheineck 308,5 1,15987 0,695924
, , Berneck 307,5 1,15611 0,693668
, , Altstatten (für Wolle) . . . 270,5 1,017 0,610202
_ , , , (für Leinwand)" . wie die lange Elle in Rorschach
» Für Wolltücher wurde in Basel der halbe Pariserstab benutzt (vide unter Aargau). — * Urmass
auf der 8afi-anj5unft (Yerglcichung von HofHtth Wild 1810). — » Seit 1816 bemischc Masse. — * Bern hatte
im Jahre 1807 auf seinem ganzen Gebiet einheitliches Mass und Gewicht eingeführt. Nichtsdestoweniger
blieben einzelne der älteren Masse im Verkehr, welche hier auch angegeben werden. — * Die ofäziellen
Tabellen geben direkte Verwandlung der alten Stftbe in Schweizerellen. — <* Stimmt nicht genau mit der
Angabe von Moudon (vide Kanton Waadt). — "> Nach Heer. Gemälde der Schweiz. — • Die hier nicht
fljigegebeneu Kreise haben die Churerelle. — • Wenn der rhciuländische Fuss (nach der eidg. Experten-
kommisuiou) zu 13ü,13"' tnnz. angenommen wird, so ist die Luzemerelle -: O.G'27707 m. — "2 rbein-
IftndiHche Fuss. — » In der amtlichen Beduktionstabelle von 1836 fehlen diese Ellen ; ich verdanke deren
Angabe der gütigen Mittheilung des Herrn Prof. Bertsch, gew. Mass- und Gewichtsinspektor in St. Gallon.
Maß und Gewicht
— 373 —
Maß und Gewicht
Definition :
Schweizerellen
Meter
Fariserlinien
1838—1868/77
seit 1868/77
269
1,01136
0,606818
325,5
1 ,22379
0,734273
284
1,0678
0,640680 •
289
1,08655
0,651935»
295,5
1,111
0,666598
294,5
1,10724
0,6&i342
wie in Rorschach
317,8
1,19484
0,716903
274,5
1,03204
0,619225
269,5
1,01324
0,607946
318
1,19559
0,717354
266
1,00008
0,600051
321
1,20687
0,724122
wie in Altstatten
317
1,19183
0,715098
264
0,992565
0,595539
251,40
0,945193
0,567116*
309,70
1,164385
0,698631 *
100 EU. = 105'/4 Schw.-Bll.
1,0575
0,63450 •
100 - 104«/i -f »/« + V"
1,046875
0,628125«
100 = 101 »A + Va
1,01875
0,61 1250 •
100 = 101 V*
1,0125
0,60750 •
242
0,909851
0,545911
524
1,970091
1,182055
l eingetheilt in 10 oncie
\ k 10 pnnti
0,833333
0,5«
1,129167
0,6775*
0,858333
0,515*^
0,883333
0,53
eingetheilt in 12 oncic.
' l'oncia in 12 punti, il
punto in 12 atomi
0,998333
0,599 ^^
0,873333
0,524
1,218333
0,731
1,198333
0,719
0,99156
0,594936 "
260,6976
0,98015
0,588089
309,15
1,16232
0,697390
269,8
1,01437
0,608623
318,8
1,19860
0,719159
266,6
1,00234
0,601404
326,0
1,22567
0,735401
288
1,082798
0,049679 >*
alte Waadtländerfuß
2
1,2 »^
4' — •' 7"/w'"
1,980727
1,188436 "
4' 2" 10'"
2,070435
1,242261
4' 1** 7*'/
2,019523
1,211714
4' " 9"'
1,985582
1,191349
St Gallen: Elle in Oberriet (kurze) . .
Elle in Oberriet (lange) ^
^ , Sax und Sennwald ....
„ , Grabs und Werdenberg . . .
,. , Sargans
,. „ Azmoos
, , Weesen (kurze)
, , , (lange)*
, « Utznach
, , Rapperschwyl (kurze) . . .
. ,. y, (lange)* . . .
, „ Lichtensteig (für Wolle) . .
„ , , (für Leinwand)* .
, „ Wyl (kurze)
, , , (lange)*
Schaffhausen: Schaff bauserelle . . .
Ordinäre Steinerelle
Lange „
Schwyz: Elle in Schwyz und Küßnacht '^
Elle des Bezirkes Gersau ^
, , , March
„ „ „ Einsiedeln ....
Solothurn: Solothurnerelle
Solothumerstab
Tessin: Braccio legale del Gantone . .
Braccio di Locarno e Vallemaggia . .
„ vecchio Svizzero (Mendrisio e
Lugano)
„ corto di Mendrisio e Lugano .
„ di Bellinzona e Riviera per i
legnami
, corto di Bellinzona e Riviera
, di ßlenio
, di Leventina
, Milanese
Thurgau: Konstanzer-Wollenelle** . .
Konstanzer-Lei nwandelle
Frauen felder-Kränier eile
Frauenfelder-Hauselle
Dießenhofenerelle
Thurgauer-Leinwandelle
Uri: ürnerelle
Waadt: Aune
Aune de roi
„ „ Chateau-d'Oex
, d*Aubonne
"_d'Aigle
* In der amtlichcu Reduktionstabclle von 1836 fehlen diese Ellen; ich verdanke deren Angabe der
gtitigen Mittheiluiig den Herrn Prof. Bertsch, gew. Mass- und GeMrichtsinspektor in 8t. Oallen. — ^1 Feld-
kirchereile. — ' Dito in Garns und Ragaz-Ffüfcrs. — * In den amtlichen Tabellen ist angegeben 0,9451
und 1,1G433 Schweizerellen. — ' Nach Mittheilung des Bezirksrathes Schwyz vom 29. Oktober 1844 an den
Begiernngnrath hält die Elle des Bezirkes Öchwyz 282 Parisorlinien ; wird diese Zahl angenommen, so ist
1 EUe -- 0,036144 ui. — ^ Direkte Yergleichung der alten und neuen Mustermasso durch den Fichter
Herrn f'arl Kcichlin in Schwyz. Wollerau und Pfftffikon brauchten die Ztlrcherelle. — ^ Soll die Luzemer-
elle sein. — * Nach dem Gesetz vom 7. Juni 1826. — ^ FtLr Tuch und Leinwand auch in den Distrikten
Mendrisio, Lugano, Bellinzona und Biviera. — *® Bei Bauten. — *' Für Brennholz. — ** Hauptsächlich
für Seide. — " Die amtlichen Tabellen geben die Länge der Konstanzer-Wollenelle an zu 261,rt5"' Pariser
Mass --. O,.'>90012 m. Damit stimmt aber die Beduktion in Schweizerellen (0,9802) nicht ttberein. Nach
Hofrath Wild (Keber allgemeines Mass und Gewicht, 1809), der mit der Untorsnchung der grossherzogl.
badischen Masse beauftragt war, ist eine Konstanzer- WoUenelle — 1,8104 Pariserfuss oder 260,69776'",
welche Zahl oben angenommen wurde und welche mit der Angabe in Schweizerellen nahe übereinstimmt.
— ** 2 Pariserfuss. — *■* Nach dem Gesetz von 1822. — *•'• Stimmt nicht ganz mit anderen Angaben
(vide Bern;.
Maß und Gewicht
— 374 —
Maß imd Gewicht
Waadt: Anne de Nyon
Aune de Rolle
, Morges
, , Grandson
, Vevey
„ n MoudoD et la Sarraz . . .
, Lutry
, Romainmötier
„ Gossonay
, d'Yverdon
„ d'Orbe et de Lucens ....
, de Payerne
^ , Baulmes
, „ Lausanne
, d^Avenches
TTo««; Walliserstab*
Zürich: Zürcherelle
Zörcherstab
Zug: Zug^relle
3111
914*
5"'
I>efixiition:
Fariterlinien
3' 11"
3' 9"
3' 9"
31 9<i ^itt
3' 8" 11'"
3' 8" 10"
3' 8" 9'"
3' 8" 6"'
31 gl/ 5^.1
31 g/< 3<i,
3'
3'
8" — '"
7" 2"'
2* zürch.
Schweiser«llen
1838—1868/77
1,958428
1,924487
1.863392
1,849815
1,846422
1,839633
1,829450
1,826057
1,822662
1,819268
1,812480
1,809087
1,802297
1,792115
1,758167
2
1,004596
2
1,01819
Meter
seit 1868/77
1,175057
1,154692
1,118035
1,109889
1,107853
1,103780
1,097670
1,095634
1,093597
1,091561
1,087488
1,085452
1,081378
1,075269
1,054904
1,2«
0,602758
1,2«
0,610914
c. Klafter und Ruthen vor 1838.
In den meisten Kantonen wurden als größere Längenmaße Klafter zu 6
oder Ruthen zu 10 Fuß (der betreffenden Orte) gebraucht, deren Werthe in
Meter aus den Angaben der verscbiedenen Fuß demnach leicht ermittelt werden
können. Abweichungen hievon kamen einzig in den Kantonen Bern, Glarus (6
und 7'\ Graubünden, Luzem, Neuenburg, Nidwaiden, St. Gallen und Wallis vor»
worüber folgende Zusammenstellung:
Definition :
Schwei«prfu88
1838—1868.77
Bern : Klafter 8' bem.
Frutigen T 37«" Frutigen
Crratibünden : Ghurerklafter im Baufach 6' Ghur
Ghurer-Guterklafter 7' „
Klafler in RhäzOns 6' 2" Ghur
„ Bergün 3 Ellen Bergün
„ Alvaschein 6V« Pariserfuß*
, Domleschg 1,05930 Seh w.-Klafter 6,35580
, Rheinwald 1 Schweizerklafler 6
„ Disentis, Ilanz und Savien . 3 Ghurerellen 6,632135
, Oberengadin 1,01390 Schw.-Klafter 6,08340
7,82021
6,68231
6
7
6,16667
6,98118
7,03819
, Obtasna (Feldelle) .... 1,06833
„ „ Untertasna (pas da fond) . 1,14671 „
„ „ Münsterthal (Heumaß) . . 6'
Ruthe im Münsterthal 1,89620 Schw.-Ruth.
Pertica di Poschiavo 1,12220
Luzem: Klafter 3 Luzernerellen
Neuenburg: Perche de champ .... 15' 8" neuenb.
Perche de vigne 16' neuenb.
Toise commune 10' ,
Nidwaiden: Klafter 3 Nidwaldnerellen
St Gallen
Wallis'^: Klafler in Gonthey, Nendaz
Klafter in Bourg de St-Pierre . .
Meter
seit 1868/77
2,346064 *
2,004693
1.8
2,1
1,85
2,094354
2,111457
1.906740
1,8
1,989641
1,825020
1,922994
2,064078
1,896120
5,6886
3,3666
1,884362
4,594374
4,692127
2,932580
6,281536 1.884362 •
In den meisten Bezirken hat das Klafler 6 der dort
vorkommenden Fuss, nur in den Bezirken Orabs und
Werdenberg, Sargane, Azmoos, Oams, Kagaz, PftlfeT«
ist das Klafter 7 der in diesen Bezirken gebrftuchl. Fusa
6' 4" Wallis 6,85773 2,057320
5' 9" „ 6,22610 1,867830
6.40998
6,88026
6,32040
18,96200
11,2220
6,281536
15,31458
15,64042
9,77527
* Aeltere Angaben waren nicht erh<lich. — » Gesetz von 1824. — ' Verordnung vom '14. Febr. 1829.
* Ausserdem für Heu das Klafter au 6' welches Klafter auch von den Dachdeckern gebraucht ward«
(Beschreibung und Vergleichuug bemiacher Masse und Gewichte, 1821). — ^1 Pariserfuss = 0,3248394 m.
— ^ Vido Luzem. — ''In den meisten Gemeinden hatte das Klafter (Toise) G alte WalliserfViss.
Ifafi und Gewicht
— 376 —
Maß und Gewicht
Tv^i ... Schweiserfass Meter
i/enmuon: 1838—1868/77 seit 1868/77
Wallis: Klafter in Liddes 5' 7'' Wallis 6,04563 1,813690
Klafter in FuUy. Leytron, SaiUon, Saxon 6' iO" , 7,39913 2,219740
, , Isörables T , 7,57960 2,273879
, , Riddes 6' 8" , 7,21867 2,165600
, im Bezirk Monthey 7' 8" , 8,30147 2,490440 *
, St-Maurice .... 8* „ 8,66240 2,598720*
Walliserklafler 6' , 6,49680 1,949040
d. Geographische Maße (Standen).
In den verschiedenen Redaktionstabellen sind nar folgende geographische
Längenmaße angegeben :
«^ . ... Schweizeratnnden Kilometer
uennmon : 1838—1868/77 seit 186877
Basel: Franz. Lieue 13682 Pariserfuß 0,925926 4,4444448
Bern: Stunde 18000 Bemerfuß 1,099717 5,278643
Zürich: , 15000 ZQrcherfuß 0,941809 4,520685
II. Flächenmasse vor 1838, verglichen mit den seitherigen.
Qnadratfaß, Qaadratklafter und Quadratruthen erhält man leicht aus den
Längenangaben über Fuß, Ruthen and Klafter; es werden hier nur die großem
Flächenmaße angegeben :
T»^Ä_iA,-rt„ . Jucharteu Aren
lienniuon. 1838—1868.77 seit 1868;77
Aargau *; Aarau, Brugg, Kulm, Lenzburg:
Waldjuchart 45000 3' bern. 1,075002 38,70010
Ackerjuchart 40000 „ , 0,955558 34,40010
Mattenjuchart 36000 „ , 0,860002 30,96008
Gartenjuchart 32000 , „ 0,764447 27,52008
Baden: Große Waldjuchart .... 45000 „ zQreh. 1,125191 40,50685
Gemeine Waldjuchart . . . 40000 „ , 1,000169 36,00609
Ackerjuchart 36000 „ „ 0,900152 32,40549
Mannwerk Reben oder Wiesen 32000, „ 0,800135^ 28,80487
Bremgarten, Muri: Juchart .... 40000 □' 1,002206 36,07942*
Laufenburg, Rheinfelden: Juchart . . 36000 Q Wien 0,999252« 35,97307
Zofingen, Aarburg: Größte Juchart . 50000 Q 1,239107 44,60784
MitUere „ 45000 „ 1,115196 40,14706
Kleinere „ . 40000 , 0,991285 35,68627
Zurzach: Juchart 40000, 1,000169 36,00609'
Klingnau: Juchart 40000 , 1,008936 36,32168
Kaiserstuhl: Juchart 40000. 1,002529 36,09106
36000 , 0,902276 32,48195
Äppensell keine Angaben
Baselland wie Baselstadt
Baselstadt: Neue Baseljuchart .... 36000 Q 0,927428 33,38742
Alte , .... 30580 , 0,787799 28,36076
Bern: Juchart 40000 , 0,955558 34,40009
Journal (im Jura) 30000 [J Paris 0,879339 31,05622
Freiburg: Pose 40000 , bern. 0,955558 34,40010
, 50000 „ , 1,194447 43,00011
Genf: Pose 0,75037 27,013
Glarus keine Angaben
Graubünden\ Ghurer-Mal Acker . . . 400 □-Klafter Chur 0,49 17,64
Churer-Mamet Wiesen . 800 , , 0,98 35,28
* Mit Ansnahme von St-Gingolph (8'). — * Mit Aasnahmo von Salvau (6).
* Die hier angeffohonon Zahlen stimmen in der letzten Dezimalstelle nicht immer Uboroiu mit den
Angaben der amtlichen Tabelle; grossere Abweichungen sind angegeben. — * (),8<Mi024. — ^ at>,07961. —
• 0,S>99807. — '» 36,6068. — ' lieber die hier nicht angeführten Kreise des Kantons ist entweder keine
Angabe vorhanden oder es stimmen die Flächenmasse mit denen von Chur überein.
Maß und Grewicht
— 376 —
Maß und Gewicht
Definition :
Jucharten
1838—1868,77
(Jraubünden : Churer-Mal Weingarten . 250 Q-Klafter Chur 0,30625
Maienfelder-Mannsschnitz 100 ^ , 0,1225
Schierser-Mal Acker 240 , , 0,294
Üanzer-Mal Acker 300 , Danz 0,329889
Staggia di Galanca 0,0092133
Staro di Poschiavo ä 64 Quartelli 0,07254
Iru^^cm ; Juchart 45000 Q 1,009866
Neuenbürg : Perche de champ röduite ^ . 0,0938
Ouvrier pour les vignes 4096 „ 0,97849
Faux 1,5
Pose 0,75
Nidwaiden keine Angaben
Obwalden „ „
St Gallen: Juchart: St. GaUen Stadt . 36000 0" 0,920571
Juchart: Rorschach 36000 , 0,941219
, Rheineck keine Angaben
Berneck 32000 0 0,842802
36000 , 0,948153
43500 , 1,145684
Altstätten, für Acker, Reben 36000 „ 0,934311
„ Waldungen . 40000 . 1,038123
Viertel: Oberriet 4058 „ 0,105318
Mitmal: Grabs, Werdenberg .... 11270 „ 0,290337
Mal für Wiesen in Sargans .... 19600 , 0,482741
Rebfuß in Sargans 4900 , 0,120685
Theil Reben in Azmoos* 1800 G' zürch. 0,045415
Garns kein bestimmtes Flächenmaß
Juchart in Rapperschwyl 36000 0 0,897447
„ Lichtensteig 30240 , 0,784821
, Wyl 36000 „ 0,948153
Mal in Ragaz, Pföffers 19600 „ 0,493775
Quadratruthe : Sax und Sennwald . . 36 , 37,372444 0
Quadratklafter: Weesen 49 , 51,244133 0'
Schaff hausen : Juchart 25200 „ 0,893761
Schwye keine Angaben
SolotJturn : Jucliart 40000 O' 0,955558
Tessin: Pertica cantonale 2000braccioquadrate 0,138889
Pertica di Lugano e Mendrisio . . . 0,195455
„ Locarno 0,235623
„ Riviera 0.199334
, Milano 0,181811
Spazza , Locarno 3,932756 0'
fl „ Vallemaggia 62,475850 ,
„ Rlenio 43,697387 ,
„ Leventina 40,833314 „
T/*ur(7rtu; Juchart 36864 O' Nümb. 0,945050
Frauentelderjuchart 30240 , , 0,775236
Uri keine Angaben
Waadt: Fossorier 50 toiscs carr^es 0,125
Pose 10 fossoriers 1,25
Wallis : Bezirke : Toisea carrdes :
Briei,', Gonches; Fischel 156 ii 6' 0,164613
Aren
seit 1868/77
11,025
4,41
10,584
11,876
0,33168
2,61144
36,35518
3,37
3,52257
54
27
33,14057
33,88389
30,34088
34,13349
41,24464
33,63520 »
37,37244«
3,79143
10,45212
17,37868
4,34467
1,63493
32,30810
28,25356 «^
34,1335
17,77590
3,36352 m*
4,61197 m*
32,17538»
34,40009
5^
7,03637 «
8,48244
7,17602
6,54518
0,35395 m*
5,62283 ,
3,93276 ,
3,67500 ,
34,02179
27,90849
4,50«
45
5,92606
' Die oftixiell«' Tabelle gibt an 1 Perche de champ röduite •-= 3,37 ares -- 3752 QuailratfaHs, welche
Zahlen oben eingeifotzt wurden, da die Angaben Über die Definition fehlen ; diese l*erchc scheint demnach
nicht vm Qundrat von der Seite 1 Perche gewesen zu sein. — ' Wo keine bcijoudere Domorkung, sind
Quadrat fiiMM der betreffenden Bezirke zu verstehen. — ' Ebenso in Utzuach. — * Die offizielle Tabelle
enthält 1 Theil Kebeu 1800 Zürcher-Quadratfuss oder 1794,9 Schweizer-Quadrat f ums, was 0,(448725
Jucharten entsprechen würde. Die Angaben stimmen aber auch nicht, wenn der ZlircherfusH zu 133'" oder
der Sarganserfuss zu 132'" der Beduktion zu Grunde gelegt wirtl ; es sind oben ZUrcherfuss angenommen.
— * 3Go' lauft und 84' breit. — * Eingetheilt in Iti Quärtlein oder Miisslein. — " (ie.«eti vom 17. Dezember
1827. --- " Kbenso in Bellinzona. — • Gesetz von 1822.
Haß und Gewicht
HaC uDd Gewicht
Wallis: Bezirice:
Conihey, Härene:
Ardon, Chamoson; Fichelin
Quartaaöe
Seyteur
Peur .
Conthey, Nandaz: Fichelin
Peur .
Entremoat :
Bourg de St-Pieire: Quartanie
Liddes: Quarlanäe ....
Lea a
Loeche :
Tourtemagne : Fischy
Hamat
Lea aulrea
Hamat
Ma<)chDiIt
Martigny ;
Fully, Leytron, Sailloo, Saxon : Quar-
Fossoyer
Is^rables: Quartanfie
Rtddes ; QuarUnie
Lea autres cominuDes: Quartana*.
Hontbey :
Cbampiry. Honthey ; Coupe . . .
Journal . . .
Seyteur . . .
Fosnorier . .
St-GiDgolph ; Journal
TroLstorrens : Jouroal
Fussorier
Val d'iUiei: Journal^
Vionnaz, Vouvry. Fossorier ....
Rarogne occidental: Fischy ....
oriental: , ' . . . .
St-Uaurice :
Collonges. Duruuaz, Evionnaz, Hex :
Bichet
Fossorier
FiDs-HauLs, Sitlvan; Quartana . ,
HassoDgeü, St-Hauricc ; Seyteur . .
Fossorier ,
Sierre, .Sion: Fichelin
Seyteur
Peur
Viege ; Fischel
Zürich: Juchart
140 . 5' 9"
140 , 5' 7"
100 , 6'
100 , 6' 10"
800 , 6' 10"
50 . fi' 10"
100 , 6'
125 , T 8"
500 , T 8"
500 . T 8"
40 , T 8"
400 , 8'
1000 . r 8"
40 . 7- 8"
500 , 7' 8"
62.ä , ü-
30 , 8'
100 , 6'
150 . 6'
28000Q
33000 ,
0,911042 7,53751'
0,105521 3,79876 '
0,844168 30.39005*
= Fichelin*
0,235143 8,46513 '
0,94057 33,86052*
^ Fichelin'
0,135675
0,1979*4
0,105521
0,215357
0,861439
0,8614Ä9
0,068314
0,750370
1.7*2858
0,068914
0,861429
0,103372
0,158282
0,161613
0,117246
0,056278
0,10f)521
0,93796*
0,056277
0,211049
0,844168
= F
0.158282
0,706449
0,807371
0,908292
1,009213
4,88430
7,59751 '
34.18880»
3,79876 '
4,927fö
39,41796'
2,46362 '
5,17053
4,68982
3,79876*
7,75286 '
31,01144'
31,01144'
3,48092*
37,01332
4,32084
2,02600'
3,79876
33,76671 •
3,02600
7,59751 '
35,43217'
29,06534'
32,69850'
36,33167 "
<i Bebni Foii-Ofci
Maß und Gewicht
— 378 —
Maß und Gewicht
III. Kubikmasse vor 1838.
Die bezüglichen Angaben über Kubikfaß, Eabikklafter etc. erhält man leicht
aas den Angaben bei den Längenmaßen. Von den eigentlichen Eubikklaftern (zu
6 oder 7 Faß Länge, also von 216 oder 343 Enbikfuß) abweichend sind hin-
gegen die Brennholzmaße, über welche folgende Tabelle Aufschluß gibt.
Kantone, in welchen entweder keine solchen Maße vorkamen oder deren Reduktions-
tabellen keine bezüglichen Angaben enthalten, sind hier nicht aufgeführt.
Dimensionen
Aargau: Aarau: Holzklafter
Baden: Waldklafler . .
Bremffarten : Holskiafter
Breite BBha Ltnge Inhalt
FoM Fnp« Fass Knbikf.
6 6 3Vi 126
6Va 6 3»;t 136,5
6 6 3i;t 126
Waldklafter { 6Vi 6 3Va 136,5
Brugg:
Laufenburg :
Muri :
Bheinfelden :
Zoflngen :
Zurzach :
Klinguau :
Holzklafter
6
6
6
6
6
6
6
6
6
6
6
6
6
6
6
6
6
6
3»/«
4
4
3
4
3
3»'«
4
4*/a
126
144
144
1()8
144
108
126
144
162
Schweizer*
FuBsmass knbikfutt
1838-68/77
1' = 135,33'" P. 132,773»
Bemer
Zürcher
Bremgarten
Bemer
Bremgarten
Bemer
Zürcher
Bemer
Wiener
Bremgarten
127,502
136,535
126,418
117,694
136,953
Ster
•eil
1868 77
3,5849
3,4426
3,6864*
3,4133
3,1777
3,6977
3,4426
3,6864»
3,1777 ♦
Basel: Holzklafter 6
Berft: Holzklafter 6
.Frei&tiry.* Toiffo oumouledcMorat 6
, Bulle 10
^ Cb&teletRue . . 6
„ PribourgetRomont 5
Olarus ... 6
Neuenbürg: Toiue pour le bois 10
St. Gallen : Kt. »allen : Holzklafter 6
r 6
6 unbestimmt
•1
Wiener
Zofinger
Zurzacher
Klingnauer
n
n
1
Rorschach
Rlieineck :
Berutfck : ., . .
Attstätteu: ^ . .
Grab», Werdenberg : ^
Sargans : ., . .
Weeseu : ., . .
Utznach : ., . .
Rapperschwyl : ^ , .
Solothurn: Holzklafter
Holzbergklafter
Teasin : Moggio di carbonc
Uri: Mesiiburdo fftr Heu
Waadt: Toise ou moulo pour les bois
Moule uncieii
Toise de Lausanne
Zürich : Holzklafter
6
6
6
6
6
7
6
6
6
6
0
6
5
6
5
6
5
6
6
6
6
6
6
6
7
6
6
6
6
6
10
3V«
6
3
3»/t
2V«
3
3
2
2Vs
2
2Va
2
2
2
3»/ti
21/«
2" 4
2V2
2Va
4
4
105
216
150
126
62
10«
150
72
90
72
IX)
72
72
72
171,5
90
09
90
IK)
144
200
127,502
136,535
117,694
lti8,466» 4,5486«
144,477"' .\9009«
108,358 2,9257
168,466» 4,5486 >•
126,349 I* 3,4114
124,357 3,3576
144,037 3,8890 "
164,176 4,4328
kann demnach nicht reduzirt wer-
den. 1 Klafter Bheinholz ist in
Breite und Höhe um Vs6 grösser
Bemer
(^lamcr
Bemer
8t. »aller
Borschaeher
Rheiuccker
Bemeckcr
Altstätten
Grabs
Hargaus
Borschacher
Altstätten
Rapperschwyl
Berner
98,o79
201,762
140,113
117,694
58,380
115,506
140,113
74,483
%,253
77,002
99,473
79,579
77,855
76,156
179,399
88,008
105,878
95,195
89,617
134,508
lh6,817
2,6481
5,4476
3,7830
3,1777
1,5763
3,1187
3,7830
2,0110
2,5988
2,0791
2,6858
2,1486
2,1021 "
2,0562 »♦
4,8438
2,3762 >*
2,8587
2,5703 »•
2,4197
3,6317
5,0441
Kohlenraalter
Torfklafter .
6 6
'.) 9
6« 2" 5'"
36
125
3^3 126
4»,a 364,5
2» a 96,143
3 115,372
3Va 134,600
4 153,829
27,5
72
19,676 0,53125 "
5<l,083 1,3522 >•
125
alter Waadtl.
117,691
340,4<V4
97,475
116,970
136,465
155,960
27,881
72,997
3,375
3,1777
9,1925
2,3632
3,1582
3,6H46
4,2109
0,7528 »•
1,9709 "•
IV. Hohlmasse fUr trockene KOrper (Getreidemasse) vor 1838.
Äargau: Aarau: Getreideviertel
Baden: Kernenviertel . . .
Definition :
Pariserkubikzoll
1135,215
1156,12«
Schweizersester
1838— 1868;77
1,50124
1,52890
Liter
seit 1868/77
22,5187»'
22,9335 "
» Nach der offi/.iollen Tabelle 132,767. — ■ 3,6855. — » 3,6855. — * Ebenso Leiuburg, Kulm. —
• 168,452. — « 4,5482. — "» 144,467. — ' 3,9<K»6- — » 168,452. — »o 4^5482. — »' In der Tabelle 152J}746,
ofTeubar unrichtig. — - " 3,98898. — " Ebenso Wyl. — »• Ebenso Oberriet, Sax, Sennwald, Lichtensteig. —
»* Kheuso Azmoos. — >* In der Tabelle = 88 Kubikfuss, unrichtig. — " Kohlonmaltor. — " \'6 Kubik-
klafter. — »" & 2 Kohlenkörbe. -- •<> & 12 Torf körbe.
"» 1 Malter - 4 Mntt t 4 Viertel. — " 1 Mtttt -- 4 Viertel & 9 Immi.
Maß nnd Gewicht
Haß and Gewicht
PulKTkablkioU
1310,446
1199,368
1188,742
1115,15B
1113,0919
1143,088
1329,493
1136,138
1207,136
1130,511
1941,781
131t
1132,695
1130,31
1290
930,80*
1M8— l»i8/77
1,73997
1,49351
1,57203
1,47472
1,47199
1,69599
1,50345
1,59636
1,49502
1,64317
1,73503
1,48469
1,49476
1,70594
1,23093
1,30921
Aargau: Baden: Haberviertel . ,
Bremgarten : KemenTierlel . .
Haber»iortel , . .
Brugg: Gelreilievierlel ....
Laufenbur^: Getreide viertel . .
Lenztiurg, Kulm : Kernenviertel ,
, Haberriertel .
Muri: Kernenviertel
, Haberviertel
, Zugervierlel "
Hbeinfelden: Getreide viertel . .
ZofiDgen, Aarburg: Gelreideviertel
Znrzach, Klingnaa: Gelreide viertel
Kaiseratuhl : Kernenviertel . . .
, Haberviertel . . .
Appenteü A.-IO».: Viertel . . .
Appmieil I.-ßh. : Viertel b«'
Bagetland wie Baseletadt
fiasehtodt .- KleiDer Sester: Burgerm&a. 17,M3 üd.;rsül,t5 1,13880
Rittermaß . ]6S>ck=^i?s.Burgtrmtii 1,20997
Viertel, Viertelmäß (in Riehen) . , . ais.ck = 3sa.Hurg«miH l,6tX)75
Bern.Uiß 960 bem. KubikzoU 0,93408
Biel: Maß 8 Süberii.MSli 0,99955
Burgdorf: 103Vi=lfX)liern,Mäli 0,9ü578
Erlach : 959Vi bem. KubikzoU 0,92876
Langentbai : 656 frani. KubikzoU 0,K6753
Saaneo: , 1544'7i> bern. Kubikz. 1,50:293
Freiburg: Quarteron de Vevey (Ch&tel) 8 au sac 1.160791
Bichet (Maß) de Fribourg 8 , .r..-..^.
QuarteroD de la Gruyfere 10 .
, Bulle 10 .
, , Romont 10 ,
Bichet de Morat 10 ,
Ancien Quarteron de Moudon ... 13 „
Quarteron de Ruc 19 ,
, d'Estavayer 13 ,
de Ck)rbi«re3 19 .
Emioe d'avoine de Neu<:bätel . . .
. ordiuaire . . ...
Genf: Quart
Glartw; Kornviertel ä 4 Kflpf ii 4 Mässli
Grambänden .- Chur : Viertel
Quartane ....
Klosters: Quartane
ül..-rfQ-aJin:'st6r '. '.'.'.'..'.
Oblasn;. Slär
Unlerlasna Schaffe!
Bemüs Mult
Hanstertbol: Hutt
Nisocco: Lo Stajo
0,8504O3
0,783393
0,73:i6*:i
0,794886
0,655803
l,057!l*
1,01503
1,:)2343
0,5
0,60473
0,56950
0,470
0.40358
0,3749*
Sit 196H/7T
95,9946
99,4027'
93,5805
22,1307'
92,0798"
99,6050*
94,3888*
99,5368*
23,9453'
92,4254 ■
34,63 J6 '
96,0955'
92,3703*
99.431* '
95,5891
18,4639*
19.6381 ■"
17.089"
18,1496
24,9112"
14,0113"
13,8383 "
13,5867
13,9314
13,0127
29,5439
17,4119"
15,9670
13,6317
13,4712
13,2331
13,7560
11,73**"
11,0046
10,8733
9,8370
15,8691
I5,Ä^43
19,83635 "
30,7 '-
7,5
4:1,7138
18,75
iltn PulBfrknblkioIl 1»
ITIcrtflt Mi» k 3
ins Tonllafrftlb Wild.
ro I>ei<m>lil«Uoiiln den
Maß und Gewicht
— 380
Maß und Gewicht
Definition :
PariserkubikzoU
Graubünden: Roveredo: Lo Stajo
Calanca: Lo Stajo
Poschiavo: „ ,
Bregaglia: , ^
Luzem: Luzernerviertel
Willisauviertel
Surseeviertel
Hofmäßviertel
Mflnsterviertel, klein
groß
Zugerviertel
Neuenburg: Emine pour Torge* . . .
Emine pour Tavoine*
Bosse de chaux
Nidwaiden: Viertel
Obwalden
St. Gallen: Stadt St. Gallen : Kornhausviertel
, , , Marktviertel
Rorschach: Komhausviertel . . . .
y. Marktviertel
Rheineck: Marktviertel
, Rauhes Viertel
^ Kleines Viertel
Berneck: Viertel
Altslätten : Kornhausviertel . . . .
„ Marktviertel
Oberriet: Kornviertel
Haferviertel
Grabs, Werdenberg: Viertel . . . .
Sargans: ^ . . . .
Azmoos : ^ . . . .
Weesen :
Uznach :
Rapperschwyl : Kornviertel
„ Haferviertel . . . .
Lichtensteig: Kornviertel
Rauhes Viertel . . . .
Wyl: Kornviertel
, Rauhes Viertel
Schaffhausen: Viertel für glatte Frucht
, rauhe
Stein: Viertel für glatte Frucht
^ rauhe ,
Schwyz: Schwyzerviertel .
Gersauerviertel (Küßnacht)
March: Viertel ....
Solothurn^^: Solothurnmäß ,
Gäuviertel ,
Tessin: Mendrisio, Bellinzona, Riviera,
Blenio : Stajo
Schweiserpfd. WaM«r bei 4* C.
69,27112
53,55906
44,751867
53,0278
44,87698
45,0204368
44,8708
Schweizersester
183»— 1868;77
1,21667
1,25333
0,56667
0,98667
2,30904
1,78530
1,49173
1,76759
1,49590
1,50068
1,49569
1,01562
1,05794
24,37
stimmt mit Luzernerriertel aberein, auch
keine Angaben erhältlich
1041
980
1040
964
1082
1552,5
1207
1360
1041
973
1240
1342
1472
1640
1480
1006
1060
1061
1160
1220
1410
1279
1501
1123,540
1297,280
818,494
945,816
667,6594
1,37665
1,29598
1,37532
1,27482
1,43087
2,05308
1,59617
1,79850
1,37665
1,28672
1,63981
1,77470
1,94662
2,16878
1,95720
1,33037
1,40178
1,40330"
1,53403
1,61337
1,86463
1,69139
1,98497
1,48580»«
1,71557
1,08240
1,25078
2,5
2,301
1,38
0,88293
= 2 Solothurnmäß 1,76586
1 M. = 150,86505 1 1,25721
Liter
seit 1868/77
18,2501
18,8
8,5
14,8
34,6356 >
26,7795 *
22,3759
26,5139
22,4385 «
22,5102*
22,4354 *
15,2343'
15,8691
365,55
in der Eintklg.
20,6498»
19,4397
20,6299
19,1224
21,4631 •
30,7961 »
23,9426
26,9776
20,6498 *
19,3009
24,5972 "
26,6206 •*
29,1993"
32,5318 >'
29,3580 "
19,9555
21,0267
21,0465
23,0104 ""
24,2005
27,9694 »^
25,3709
29,7746 »»
22,2870 »•
25,7335
16,2360
18,7617
37,5 »«
:^,515 »«
20,70 -"
13,2440"
26,4880 "
18,85813 "
» 1 Malter — 4 Mütt & 4 Viertel; 1 Viertel -.. 10 Immi oder 16 Becher. — ^ i Viertel - 12 Becher.
— ' Kernenviertel. — * Komviertel. — ^ Abweichend von den Angaben von Zug. — ** Die offizielle Tabelle
enthalt 1,01 Quarterun - 15,2 1 und 1,05 Quartoron - 15,8 1; es werden daher hier die Angaben von
Freiburg benutzt. — "^ 1 tSac :- 8 Emincs & 8 Pots. — • Nach Bertsch. — ''• In der Tabelle steht 1080
Knbikzull, hoII aber 108.2 sein. — *<> Ebenso Sax und Sennwald. — ^i Ebenso in Garns. Tabelle: 1470
Kubikzoll. — ^' h A Köpf & 4 Mässli. — >> Ebenso Kagaz und Pfäffers. ä 4 Quartane ; 1 Malter -- 6 Viertel.
— >« Tabelle - l,4«y(H». — »» Nach Bertsch. — »^ Tabelle — 1,48979. — '" 1 Mütt _ 4 Viertel, 1 Viert«!
— 4 Viorling h 4 Mässli. — " ä 16 Immi. — *" Soll gleich dem Luzemerviertol sein. 1 Viertel - 10 Immi
oder 16 Becher. — •*» ft 4 Vierling ik 4 Mässli. — ■* Ausserdem wurden noch gebraucht das Aarauermalter
_ It) Aaraiierviertel (A 1135''a Pariserkubiksoll) und der Baselsack k 8 Sester Burgermäss. — ^* 1 Mfttt
12 Miis^ : l Viertel 8 Mass. — " 1 Malter - 4 Mütt h 4 Viertel. — ** 1 Moggia - 8 Stajo A 4 Quarto
äk 4 <^uartiiie.
Maß und Gewicht
— 381 —
Maß und Gewicht
Definition : Schweizerseater
Liter
Pariserkubikzoll
1838— 18C8/77
Reit 1868/77
1 M. = 162,2286 1
1,35191
20,27858
1 , = 238,90296 ,
1,99086
29,86287
1 „ = 135,2865 ,
1,12739
16,91081
1428
1,88843
28,3265 *
1519,8
2,00983
30,1475
1231,8
1,62897
24,4346
1442,5
1,90761
28,6141
1128,6
1,49249
22,3874
1288,5
1,70395
25,5593
1067,6
1,41183
21,1774
821,117
1,08587
16,2881 »
946,846
1,25214
18,7821 »
keine Angaben; nach Heldmann
wie Zürich
500 Schweiz. Kubikzoll 0,9
13.5*
1347 alte waadtl. Kabikz
. 1,31060
19,6590
1271 , ,
1,23665
18,5498
1193 . ,
1,16076
17,4114
1177 , ,
1,14519
17,1779
1124 , ,
1,09363
16,4044
1121 . ,
1,09071
16.3606
1093 , ,
1,06346
15,9519
1078 , ,
1,04887
15,7330
1048 , ,
1,01968
15,2952
1013 . ,
0,98563
14,7844
994 , ,
0,96714
14,5071
991 , ,
0,96422
14,4633
977 , ,
0,95060
14,2590
960 , ,
0,93406
14,0109
939 f> n n
0,91363
13,7044
927 , ,
0,90195
13,5292
879 , ,
0,85525
12.8287
860 , ,
0,83676
12,5514
855 , , ,
0,83189
12,4784
809 n n n
0,78714
11,8071
804 , .
0,78227
11,7341
715 . .
0,69568
10,4352
( = i Bicheta ft 3 Qnarte-
• 1,8
27*
[ rous oder — 10 Emines
7 — ^6 noaveanx Fich
. 1,54286
23,1429
12=- 7
1,05
15,75
8- 5 .
1,125
16,875
15--= 8 ,
0,96
14,4
11-5
0,81818
12,2727
10-7 .
1,26
18,9
11-9 .
1,47273
22,0909
10-11 .
1,98
29,7»
20—11 .
0,99
14,85'
11 7 , .
1,14545
17,1818»
20—13
1,17
17,55
10 6 „ ,
1,08
16.2
1,38
20,7«
Bestimmnng durch
1,39
1,605
20,85
24,075
l Wasserwagnng und
[ Messung mit Samen
1
1,85
27,75
1,531
22,965 >^
Tessin: Lugano: Slajo
Locarno: Stajo
Leventina: „
Thurgau ^ : Konstanzerviertel für glatU Fracht
f, nnhe ,
Frauenfelderviertel für glatte Frucht .
, rauhe
Dießenhoferviertel für glatte Frucht .
„ rauhe
Bischofszellerviertel f. glatte u. rauhe Fr.
Steinerviertel für glatte Frucht . . .
, , rauhe „ ...
Uri
Waadt: Nouveau Quarteron ....
Quarteron de Goppet
d'Aigle
de Vevey et Villeneuve
, Nyon
, Morges
„ „ Romainmötier ....
„ d'Avenches
„ de Rolle
. Bex
, „ Gudrefin
, d'Aubonne
de la Sarraz
d^Orbe
de Payerne
., „ Lausanne et Lutry . .
, Ghäteau-d'Oex ....
d*Yverdon et de Ste-Groix .
, de Gossonay
d'OUon
„ de Lucens
, n Moudon
„ „ Grandson
IFaWt»; Fichelin
Aeltere Maße :
Dixain des Gonches : Fichelin ....
Section de Moerel: „ ....
Dixain de Brigue: „ ....
n ji * *ege I n ....
, „ Rarogne:
„ , Lolche: „ ....
n n oierre i ,1 ....
,1 „ ^lon : „ . . . .
Bourgeoisie de Martigny: Mesure . .
Dixain de St-Maurice: , . .
Bourgeoisie de Monthey: , . .
GommunesdeVouvry et Vionnaz : Mesure
Zürich: Viertel für glatte Frucht . . .
„ . , rauhe „ ...
Winterthur: Viertel für glatte Frucht
, „ , rauhe ,
Zug: Viertel
* Ausserdem wurden auch die beiden Wylerviertel gebraucht (vide unter St. Qallen). — • 1 Viertel
--- 4 Vierling ä 4 Mässli. — * Abweichend von den Angaben unter Schaffhausen. — * Oesets von 1823.
1 Muid -- 10 Sac«, 1 Sac ^ 10 Quarterons h 10 Emines & 10 Copets. — • Gesetz von 1824. — « Ebenso
in Harens und Conthey. — "» Ebenso in Entremont. — • Ebenso Commune de Conthey. — '1 Viertel
^ 4 Vierling k 4 Mässli. 1 Matt fflr glatte Frucht = 4 ViertcL 1 Malter fllr rauhe Frucht = 16 Viertel.
— 10 1 Viertel :^ 4 Vierling ä 4 MttssU.
Uaü und Gewicht
Mafi and Gewicb
V. FlUujgkeitsmBSie vor 1838.
Aargav: Aamu: LautennaaS .... 73,632 0,96037 1,44056'
Schenk- oder Piatmaaß 108 = 100 LautemiaaC 0,S89j4 1,33386
Trflbmaaß 100 = 108 . 1,03721 1,55581
Oel- und Hotuemaaß . 83,17 1,08664 1,63996
Hilchmaaß .... 87,08 1,15157 1,73736
Baden: Landmaaü 90,0937 1,19141 1,78719
Stadt- oder SchenkraaaU . . 81,6595 1,07989 1,61984
Bremgarten: LautermaaS 81,36 1,07461 1,61191
Trflbmaaß 86,09 1,13848 1,70772
Oel- und HilchmaaEl . . 97,99 1,38660 1,93989
Bnigg: Lautermaatt 77,7689 1,038*4 l,B4366
, TrQbmaaß 83,1573 1,08647 1,62971'
KeUer- oder WirUimaaß . . 71,73 0,94844 1,42367
Laufenburg: LandmaaQ 86,658 1,14599 1,71899
Stadtmaaß 67,381 0,88975 1,33462
Oel- u. Branntweininaali 87,99 1,16361 1.74541
Lenzburg, Kulm : Gratschaflsmaaß . . 80,33 1,06239 1,59343
. Lauter- od. ScheDtmaaß 79,1174 1,04637 1,56941
. Trflbmaaß .... 4''egrflßeraULauterm. 1,08812 1,63219
Rlieiüfelden : Landmaaß 73,817 0,96295 1,44443*
Stadtmaal! 63.664 0,84191 1,36987*
Zofingen ; Landmaaß oder Fectraaaß . 77,674 1,09719 1,54078»
Stadt- oder Schenkmaaß 74.438 0,98439 1,47659'
. Hilcbmaali (Hilchschoppea) . = 7 Sechsteli 0.99960 0,44939
Zurzach: LauUnnaaß 77,341 1,09146 1,53319*
Trabraaaß 97 = 38 Lautermaaß 1,05939 1.58894
KaUerstuhl: Lautermaaß 65,3748 0,86454 1,29681*
Appeniell Ä.-}ih.: hlaaü 67,595 0,89596 1,34394'"
viRpenK« /.-ÄA.; Maaß fOr Wein . . 69 0,91348 1,36879"
, Milch . . 88 1,16374 1,74561
Bagelland: Liestal: Saummaaß . . , 81,639 1,07969 1,61943 "
Schenkmaaß . . . 77,597 1,09617 1,53925
FatasburgermaaC 76,838 1,01613 1,59490
BattUladt: Baselmaaß 71,691 0,94807 1,4991 ""
, Schenk- oder neue Haaß '• . 5 = ialleßaselmaaß 0,75845 1,13768"
Oelmaaß 78,44 1,0373 1,556 "
Bern.- Weinmaaß 114,47beni.Ki,tikzoll 1,11380 1,67070"
. Milchmaaß" 100 = lääWeiniiiaaü 1,39335 3,08838"
Waadtlandermaaß siehe unter Waadt
Biel: Haaß 103'/» = 100 bern. M. 1,07874 1,61811"
Burgdorf: , 104V = 100 , . 1,06803 1.60204
Erlach : 104Vi = 120 , , 1,37901 1,91851
FniÜgen: 1 = IV. , , 1,95303 1.87954
Langenthai: 75.2 0,99447 1,49170
Neuenstadt: 39V( = 31 bern. Maaß 1,07929 1,60844
Saanenr , 300 s= 500"/« bern. M. 1,85919 3,78868
Zweisimmen: , 99 =^ 25 bern. Maaß 0,96017 1,4*036
Freiburg": Pot de BuUe 1,825833 9,73876
Pot de Chätel 1,796740 3,69511
PKi.rrknhikioUjr ISJiaMH cm'. — 1 1 SiDiB = 4 Kimtr k IS Mmh. — ' Ancb (Or Orl und
Mui> M^ochnloll. T.b.llo I,»T6S7. "opL- nod Mü'li™«. fl«l^ ™1<"m.w1. - • 1 L.uWI-'
MUm llHMu». TraliMuo. 1,16W>mi. "■ i.Oklobcr 1834. S2 Mmi. Kiomr, — >■ MMmn«
wn^ub«, (ikuni 3ühin 131 Mnun. " xfnn„mr dat Woiolenwn.unn. IBkun^SOha
A .«"•« , M M««.!. Trtb..iim MI» Hun. '• Kor In den WoiMohsnkfii d« bltudi aniuil«:
tU« I.»nd«eniBindi.n und TirirDou-irtho dnrfm. nui Jio n\u Bu.Idum B:oLfii«chfln. ßie BOskü dw
XO-Ter kMPD nKh TrOhmli.. gMÜiai. " U™«. muf doi «»niiennuiifl. " S«um 1» Muu.
" Iji di-B ofniioUdu Tutiellen fnlilt dleMllchmuii. £odul lieh ilw in der BMch™fl,nn»i>od Terrldgliui«
berni.cliM Maus und Orwlclite (18J1). '* Huit & VleiMlt. — '• Viil« H=ni«tkuna bei dsn ÄU™-
-uut^u. » In dta araiislltn Tabellru jind diu alten Miui dirskt In 8chwvijii-niiiu> TPniuidell nnd
ei werden daber bl« ancb (Immtlfsba DtilawliteUui d*t orBiltUtD Tatala urgmonmas.
Maß und Gewicht
— 383
Maß und Gewicht
Definition : Schweizermaass Liter
PariserkubikzoU 183»— 1868/77 seit 1868/77
Freiburg: Pot de Gruydres 1,767939 165191
Pot de Corbi^res 1,517878 2,27682
, , Romainmötier 1,452688 2,17903
, , Morat 1,347603 2,02140
. , Rue 1,109219 1,66383
. d'EsUvayer 1,091928 1,63789
„ de Fribourg, RomontetdelaTour-
de-Peih 1,050839 1,57626
, . Moudon 0,936025 1,40404*
. , Neuchätel 1,26952 1,90428*
Qenf: Pot 0,75186 1,12779«
(?Zar«« : Weinmaaß 1,415566 2,12335*
Milchmaaß [ Z\ JSÄSr «»12335 3,18502
Graubünden: Ghur: Weinmaaß . . . 0,8907202 1,33608 <^
„ Milchmaaß . . . 0,92005 1,38008
Klosters: Weinmaaß 0,84122 1,26183
Oberengadin: , 0,68016 1,02024
Obtasna: 0,83721 1,25582
üntertasna: 0,747 1,1205
Remüs: 0,77938 1,16907
Münsterthal: , 0,79194 1,18791
Misocco: La Pinta 1,00206 1,50309
Roveredo: 1,02778 1,54167«
Calanca: , , 1,01333 1,52000^
Poschiavo: II Poccale 0,55305 0,82958
Bregaglia: . , 1,02604 1,53906«
JLujf«rn; Weinmaaß 3,45738 Schweizer Pfd. 1,15246 1,72869 •
Müchmaaß 5,2314567 , 1,74382 2,61573 «
Neuenburg: Pot 96 1,26954 1,90430 *^
Ntdwaiden: Weinmaaß wie Luzera 1,15246 1,72869
Ausschenkmaaß IVsVo größer als obige 1,17118 1,75678
Aiüchmaaß 100 = 178»' m seh w.M. 1,78531 2,67797
Ohfcalden nach Heldmann wie Luzem
SU Gallen :
Stadt St. Gallen : Ausschenkmaaß . . 58,8 0,77759 1,16638
. , , Stadtmaaß .... 66,15 0,87479 1,31218"
. , „ Maaß f. Leinöl u. Honig 68,4 0,90454 1,35682
Rorschach: Ausschenkmaaß .... 59,4 0,78552 1,17829
. Most- oder Landmaaß . . 67,7 0,89529 1,34293 "
Tablat: Maaß 68,4 0,^0454 1,35682 '*
Rheineck: Ausschenkmaaß .... 62,2 0,82255 1,23383
Branntweinmaaß .... 66,7 0,88206 1,32309 "
Bemeck : Weinmaaß 67,5 0,89264 1,33896
Milchmaaß = IV» Weinmaaß 1,33896 2,00844"
Altstätten: Weinmaaß 65,5 0,86619 1,29929 >»
Müchmaaß = IV« Weinmaaß 1,29929 1,94894 "
Oberriet: Weinmaaß 68,4 0,90454 1,35682"
Milchmaaß = IV« Weinmaaß 1,35682 2,03523 "
Grabs, Werdenberg: Weinmaaß . . 84,3 1,11480 1,67222 '<^
Sargans : Weinmaaß »« 93 1,22985 1,84479"
Azmoos und Ragaz: Weinmaaß" . . 67,3 0,88999 1,33499 *•
Gams: Weinmaaß 66,4 0,87809 1,31714
, Müchmaaß = IV« Weinmaaß 1,31714 1,97571
* Wenig abweichend von der Angabe b«i Waadt. — * Ebenso bei Neuenbürg. — * Tabelle 1,12830.
— * Nach Heer ; 1 Eimer = 30 Kopf & 2 Maass. — » 1 Saum = 90 Haaas ; 1 Zuber = 10 Viertel k
8 Maau. — • 1 Brenta = 5 Sta^o & 12 Pinta. — "> 1 Brenta = 60 Pinta. — • 1 Soma = 80 BoccaU. —
• 1 Saum = 100 Maass. — ^o 1 Setier = 16 pots ; 1 Brante = 20 Pots ; 1 Qerle = 52 Pots ; 1 Bosse
= 480 Pots. — " Nach Bertsch ; 1 Eimer = 32 Maass. — >* Nach Bertoch. — . » 1 Eimer = 32 Maass. —
M Ebenso in Saz und Sennwald. — >» 1 Ohm = 10 Viertel & 6 Maass. — >* Soll die Zttrcherlandmaass
sein ; die Werthe stimmen aber nicht fiberein. — >'' 1 Eimer = 60 lantere oder 64 trfibe Maass. — *■ Soll
die Churerweinmaass sein ; die Werthe stimmen aber nicht fiberein. — ** 1 Saum = 2 LAgel h 5 Viertel
k 8 Maats.
Maß und Gewicht
— 384 —
Maß und Gewicht
St GaJlen : Weesen : Weinmaaß . .
, Zöricherlandmaaß
Uznach: Ausschenkmaaß . . .
f, Züricherlandinaaß . .
Rapperschwyl : Ausschenkmaaß .
„ Züricherlandmaaß
Lichtensteig: Weinmaaß . . .
Wyl: Stadt- Ausschenkmaaß . .
, Landmaaß (Immenhergermaaß)
Schaff hausen* : Ordinäre oder Landmaaß
^ Stadt- oder Schenkmaaß
Stein: Maaß
Schwyz: Wein-, Milch-, Oelmaaß der Be-
zirke Schwyz und Küßnacht . . .
Maaß von Gersau
Schenk- und Milchmaaß der March
Oelmaaß von Einsiedeln und Höfe
Tansenmaaß der March
Milchmaaß von Einsiedeln . . . .
Wein- und Milchmaaß des Bezirks Höfe
Solothurn: Maaß
Tessin :
Mendrisio, Bellinzona e Riviera: Pinta
Lugano : Pinta
Locarno e Valiemaggia: Boccale . .
Blenio: Pinta
Leventina: Pinta
Thurgau: Konstanzer- oder Seemaaß
Frauenfelder lautere Maaß . . . .
n trübe , . . . .
Dießenhofermaaß
Immenberger lautere Maaß . . . .
, trübe n . . . .
Uri: Maaß
Waadt: Nouveau Pot .
Pot de Berne . . .
„ , Chäteau-d'Oex
, , Gudreiin . .
, „ Ste-Croix . .
• , Romainmötier
, Grandson . .
j, La Sarraz
„ , Villeneuve
, d^Orbe ....
« de Morges . . .
„ dTverdon . . .
„ d'Avenches . .
, de Payerne . .
, , Rolle . . .
„ ^ Coppet . . .
Definition :
Pariserknbikzoll
SchweizorraaasB
1838—1868,77
Lit«r
seit 18C8 77
108,2
1,43087
2,14631
92
1,21664
1,82496'
107,5
1,42161
2,13242
Wie
öei Weesen
82
1,08439
1,62659
wie
bei Weesen
84
1,11084
1,66626
59
0,78023
1,17035
64,5
0,85297
1,27945«
66,058
0,87357
1,31036*
55,627
0,73563
1,10344*
58,186
0,76947 *
1,15421
1,2225
1,83375'
1,1525
1,72875 •
1,0875
1,63125
0,9209375
1,38141
1,239375
1,85906«
1,3565625
2,03484
1,201375
1,80206
80,3664
1,06279
1,59419 ^*
IBrenta— 89,8039 1
l 0,93546
1,40319 "
* »
= 91,07063
, 0,94865
1,42298 "
■•■ 11
— 60,48849,
, 0,61099
0,91649 »
*■ r»
— 99,16515,
. 1,03297
1,54946 "
* 1»
— 109,02522
, 1,13568
1,70352 »»
60,7
0,80272
1,20407 "
63,28
0,83683 "
1,25525 '*
67,235
0,88914
1,33371
61,01
0,80682 *«
1,21022
64,5
0,85297
1,27945
68,53125
0,90628
1,35942
91,476
1,20971
1,81456 "
100 =
= 105 luz. Maaß
1,21008
1,81512 "
f 50 Bchw. Kubikzoll = 92,5 a n
1,35 *«
waadtländiBche Kubikzo
11 ^»^
1 14,4 waadtl. Kubikzoll
l 1,11309
1,66963 »•
198,6
ti »
1,93233
2,89850
168,8
W 1»
1,64239
2,46358
161,5
1t n
1,57135
2,35703
149,3
n fl
1,45265
2,17898
145,9
« n
1,41957
2,12936
128,3
1» n
1,26833
1,87249
117,3
ti 11
1,14130
1,71195
116,7
« n
1,13808
1,70712
111,1
n »
1,08097
1,62146
109,0
» fl
1,06055
1,59082
107,4
n n
1,04498
1,56747
106,6
71 »
1,03719
1,55579
106,0
fl 1»
1,03135
1,54703
105,5
n 1»
1,02649
1,53974
1 Nach BerUch ; 1 Eimer = 60 Maass. — ^ Nach Bortsch ; 1 Eimer — 32 Maass. — ^ i Schaffliaater-
eanm trllbc Sinn ist nm 7'*/7oo Maast grösser als der Saum lautere 8inn, also -^^ 71,0343 alte Maass von
Schaffhausen. 1 Stoinersaum trfibe Sinn ist um 7,999 Maass grösser als der Saum lautere Sinn, also
- 71,999 alte Maass von Stein. — ♦ 1 Saum — 4 Eimer k 4 Viertel & 8 Maass. — * 1 Viertel ^ 9» i Maass.
— ^ Nach der Tabelle 0,769425. — '' Auch Weinmaass von Einsiedeln. — ' Soll Luzemermaast sein. —
^ 1 Eimer — 60 Maass. 1 Trübeimer — 64 Maass. — »« 1 Saum — 100 Maass. — " 1 Brenta =■ 8 SUjo
k 8 Piute ü 2 Boccali. — " 1 Brenta = 6 Mine k 11 Boccali. — " 1 Brenta = 64 Pinte. — »* 1 Kimer
= 32 Maass. 1 TrOheimer ■-: 33 Maass. — i* Die offizielle Tabelle hat (offenbar unrichtig) 0,886829 Maas«,
w&brend zu den Reduktionen 0,836832 angenommen wurde. — *^ Nach der Tabelle 0,807098, was mit den
Pariserzoll nicht ttbereinstimmt. — ^"^ Nach Heldmann. — i< 1 Char r .- 16 Setiers k 3 Brocs k 10 Pots. —
*' Stimmt nicht genau mit den Angaben von Bern.
Maß und Gewicht
— 385 —
Mai» und Gewicht
Waadt: Pot de Lucens
Pot de Gossonay
, „ Vevey
, d'Aubonne
, d'Aigle
, d'Ollon
, de Bex
^ , Moudon
y, y, Nyon
« „ Lutry
, , Lausanne
Oelmaße: Pot d'Aubonne . . . .
, de Moudon ....
„ , Vevey, Payerne . .
, , Morges
^ „ Lausanne ....
Wallis: Xouveau Pot
Aeltere Maaße : Dixain des Gonches : Pot
Section de Moerel : „
Dixain de Brigue: „
, Vi6ge:
y, Rarogne: ,
, Lo6che: ,
, Sierre: „
, Sion: „
Bourgeoisie de Martigny: Pot. . .
Gommune de FuUy: Pot . . . .
Bourgeoisie de Serabrancher : Pot .
Dixain de St-Maurice: Pot . . . .
Bourgeoisie de Monthey : Pot . . .
Gommunes de Vionnaz, Vouvry, Port-
Valais: Pot
Gonnnune de St-Gingolph: Mesure .
Zürich: Schenkmaaß
« Landmaaß^
„ Oelmaaß, auch für Honig . .
„ Milch niaaß
Winterthur : Lauteniiaaß **
Zug : Maaß
Definition :
Schweizenuaaas
1838— 18C8.77
Liter
seit 18t>8/77
105,0 waadtl. Kubikzoll
1,02163
1,53244
104,5 ,
n
1,01676
1,52514
103,0 ,
n
1,00217
1,50325
102,9 ,
D
1,00119
1,50179
97,9 ,
•f
0,95255
1,42882
97,7 „
n
0,95060
1,42590
97,5 ,
it
0,94805
1,42298
90,2 ,
n
0,93600
1.40400
91,5 ,
«
0,89027
1,33541
87,3 ,
T»
0,84941
1,27411
79,5 ,
n
0,77174
1,15761
128,8 .
n
1,25319
1,87979
122,9 ,
n
1,19579
1,79368
116,8 ,
n
1,13643
1,70465
115,3 .
n
1,14184
1,08276
89,5 «
it
0,87081
1,30622
50 Schweiz
»
1»
0,9
1,35 '
11 — 15 nouv
. Pots
1,22727
1,84091
10 = 13
n
n
1,17
1,755
10 — 13
«
n
U7
1,755
7—9
T»
m
1,15714
1,73571
11 = 14
II
n
1,14545
1,71818
9 — 11
»
t»
1,1
1,65
28 = 29
»»
n
0,93214
1,39821
16 = 17
»
3
0,95625
1,43438*
23 — 22
n
»
0,86087
1,29130
22 = 23
T
n
0,94091
1,41136
44 = 45
fl
1»
0,92045
1,38068
100 — loo'A
n
n
0,90225
1,35338
12 = 13
«
V
0,975
1,4625
7—9
it
It
1,15714
1,73571
1 la mesuro diff^re
ti pen de la nouvolle du canton, que
[ le tableau de r^duction
i ne (lerait d'aucnno ntilit6
1,046767
1,57015»
1,222619
1,83393 «^
0,920854
1,38128»
1,304989
1,95748^
0,897500
1,34625^
1,21
1,815
VI. Gewichte (Pfund) vor 1838.
Aargau: Pfund in Aarau
Pfund in Laufenburg .
, , Rheinfelden .
, Zofmgen . .
„ fl Zurzach**
„ , Klingnau . .
„ ,. Kaiserstuhl .
„ als Salzgewicht
Eintheilung
32 Loth
32 ,
32 ,
32 ,
36 „
36 ,
40 ,
Definition : Schw<»izeri>fd.
Grain des Parisergew. ^o 1838—1868,77
8972,764
8904.867
9499,44
9066,316
9949,375
9896,502
10805,033
9216
0,953173
0,945960
1,009122
0,963110
1,056918
1,051300
1,147814
0,979012
Kilogramm
seit 18G8 77
0,476586
0,472980
0,504561
0,481555
0,528459
0,525650
0,573907
0,489506
* 1 Setior -. 30 Pot8. — * Kbenao U^>reu8 und ein Theil von Conthey. — • Direkte Bestimmung
xoittelüt Waii«er\i'äguug. — • 1 Saum lautere Sinne _-- 90 Landmaasa ; 1 Saum trübe Sinne =r 1'/« Eim^r
zu &1 Landmaasa - HG Landmaass. — ^1 Saum - iVa Eimer k 60 Maasi». 1 Kopf =z 2 Maass. —
* 1 Honigmaans - 2 Becher. — '1 Maass — 4 Milchmässli. — '1 Saum lautere Sinne in Winterthur
- 4 Eimer & 30 -- 120 Maas« ; 1 Saum trübe Sinne - 4 Eimer ä 32 — 128 Maavs. — '^ 1 Saum - 4 Eimer
& dO Blaass.
>o 1 Li\'re poid» de marc 489,5058 g — 2 Marc» h 8 Onces & 8 Gros h 3 Deniers h 21 Grains
-- 9216 Grains: 1 Grain - 53,11478 mg. — " Das Zurzacher- oder Zürcherpfund wurde auch in den Bezirken
Baden, Bremgarten, Brugg, Lenzburg, Kulm, Muri und Meilingen angewendet ; die betreffenden Muttor-
pfnnde haben aber etwas andere Werthe.
Fnrrer, Volkswirthschafta-Lexikon der Schweiz. <^
Maß und Gewicht
— 38ü —
Maß und Gewicht
Kinthcilunff
Aargau: Pfund in Baden .
Pi'und in Bremgarten . .
^ Brugg ....
Lenzburg, Kulm
, Muri
, Mellingen
Appenzell A.-Bh.: Pfund* .
Appenzell I.-Rh.
36
36
36
36
36
36
40
32
Loth
DcHnitioii :
(Train des Parisergew.
9950,667
9956,703
9955,083
9946,164
9954,26
9960,803
2 Mark 7 Loth 333G
Richti»feniiig köln.
Schweizerpfd. Kilofrnimm
1838— 186«;77 «fit 18ft«,77
1,057055 0,528528
1,057696 0,528848
1,057524 0,528762
1,056576 0,528288
1,057436 0,528718
1.058132 0,529066
1,163854 0,581927'
0,931084 0,465542
»
1»
Baselland
Baselstadt ' ;
Pfund: Handelsgewicht (großes
Eisengewicht) ....
,, Eisengewicht für den
Detailverkehr ....
„ Messinggewicht '^ . . .
„ Silbergewicht ....
Bern : Pfund
„ ,. Markgewicht (franz.)
Burgdorf: Pfund
Erlach :
Langenthai :
Neuenstadt :
Saanen: „
Freiburg: Livre de Fribourg . .
Livre de Bulle
Livre: Poids de fer . . . .
Genf: Pfund
Glarus: Pfund
Grauhünden : Churer-Ladenpfund
Churer-Krinne
Ghurer-Fleischpfund . . . .
Davoser- (kleine) Krinne . . .
Avers: Pfund . . . .
Oberengadin :
Obtasna :
Untertasna :
Munsterthal :
Misocco: Lihbra grossa . .
„ piccola . .
Roveredo: , grossa . .
„ piccola . .
Galanca: „ grossa . .
Libbretta . . . .
Posch iavo : Libbra grossa . .
Libbretta . . . .
Bregagiia: Libbra grossa . .
Libbretta . . . .
Die Gewiohto in Innor-Rliodeu waren offenbar dieselben wie in
AuBser-Rhoden. Mechaniker Zuber suRt in seinem Bericht :
„Alle Landeaprodukte worden zu 40 liuth per Pfund und die
Spezereien meistens zu 32 Loth ausgewogen. Der Zentner s&hlt
100 Pfund, ist aber oft 1 —2 ''/o schwerer als der in Ausser-Rhoden."
wie Baselstadt
Pfund Poids de marc
1,00763
0 9932
32 Loth o!98105
2 Mark ä 8 Unzen 0,95547
32 Loth 17 Unz. Poids de marc
9216 Grains
104^8^ 100 bem. Pfd.
21 -^ 20 Pfd. 2 Loth bem.
8^0 leichter als bem. Pfd.
30 Loth. bern.
17 V* Unzen franz.
17 Onces 1 Gros
17 Onces 5i Grains
17 Onces
16 ,
18 .
36 Loth
32 ,
48 ,
80 ,
0,986482 0,493241
II
die offiziellen
Tabellen enthalten
nur die Reduktion
in Schweizerpfund
0,972354
0,960459
0.935416
1,040200
0,979012
0,991848
0,993763
0,956984
0,975188
1,070794
1,047848
1,045936
1, 040200
0,979012
1,101388
1,056914
0,92534
1,38801
1,73501
1,00<)36
1,85068
0,850
0,86228
0,8.5679
0,89880
1,92308
0,76923
1,83()06
0,73442
1,842
0,73680
1,74259
0,65347
1,85156
0,625
0,486177*
0,480230 «
0,467708 ^
0,520100
0,489506
0,495924 *
0,496881
0,478*92
0,487594
0,535397
0,523924
0,522968
0,520100 •
0,489506
0,550694
0,528457 "
0.46267
0,694005 "
0,86750 >»
0,50468 "
0,92534
0,425
0,43114
0,428395
0,44940
0.96154
0.384615
0,91803
0,36721
0,921
0,36840
0,871296
0,326735
0,92578
0.3125
* Die kOln. Mark ist angenommen zu 233,8556 g (schweizerische Expertenkommission). — * 12. Oktober
1824. — > T)as HandelPKewicht diente im Grosshandel; das Messinggewicht für Zuckerbäcker, OewQn-
händler, Strickwolle-, Nähseide-Dctaillours ; das kleine Eisenguwicht für den ttbrigen DetailhandeL Di«
Kinengewiclitu stimmen nahe mit dem Livre poids de marc -- 0,48951 kg tiberein. Das Hilbergewicbt ttimmt
mit dem kuln. Pfund ganz nahe Uberein. — * Urmasse auf der Schmieden-, Gartnemznnft und im Zeughaot.
— *> Die oftizielle Angabe lautet 0,480235, während 0,981(15 Livre poids de marc sind =. 0,4802297 kg. —
^ Saffrauxunft. — "^ Bäreuzunft. — • Vide Bemerkung bei den Ellenmassen. — ' Bernpfund. — *• Nach
Heer gleich dem ZUrcher-Handelspfund. — "2 Krinnen -. 3 Ladenpfund. — " S Fleischpfund =:: 10
Krinnen. — '' Noch in mehreren Bezirken, neben dem Churer-Ladenpfund.
Maß und Gewicht
— 387 —
Maß und Gewicht
Luzern: Zurzacherpfund
Salzpfund
Neuenburg: Pfund . . .
Nidwaiden : Zurzacherpfund
Obwalden
Pfund
Eintheiliing
36 Loth
32 ,
Definitiou : Schweizerpfd. Kilogramm
Grain des Pariscrgew. 1438— 1868/77 8eitl8G8 77
Angabe in g 1,057796 0,528898*
= franz. Markgew. 0,979012 0,489506
17 Onces 1,040200 0,520100
1,(^7796 0,528898«
hat nach Heldmann ebenfalls Luzernergewicht
*S(. 6=a//en^• Stadt St. GaUen: Pfund 40 Loth 161926 köln. Richtpf. 1,155188 0,577594
, , , , 32 , 130372 „ , 0,930094 0,465047
32 , 128395 „ , 0,916 0,458
32 , 126470 , , 0,902313 0,451156
32 „ 128428 , , 0,916188 0,458094*
hat nach Berttch Zürcborgewicht k 'A(i Loth; ebeuso Azmoot
36 Loth 148050 köln. Richtpf. 1,056188 0,528094*
32
32
48
Rorschach :
Rheineck : ,
Altstätten : „
Sargans
Rapperschwyl : Pfund .
Lichtensteig :
Wyl : . .
Ragaz, PfUtfers: Krinne
Schaff hau8en :
Schaffhausen : Pfund : leicht Gew. 32
,. , schwer , 40
Stein : Pfund : leicht Gewicht . 32
, , schwer „ . 40
Schwyz: Pfund 36
Solothurn"^ 32
Tessin : Mendrisio, Bellinzona
Riviera : Libbra
Lugano : ,. grossa
„ Libbretta . . .12 Oncie
Locarno e Vallemaggia : Libbra 32 „
Blenio : „ .... 36 ^
Leventina: , .... 35 „
Bellinzona: 36 .,
Milano: Libretta ... 12 „
T/ti4r^au^^; Altes Konstanzerpfund 32 Loth
Uri ....
127844
131624
200400
. 02
linzona e| ;^o
. . . .? 241
frossa . .J ^ ^**
8651,5
10814,37
8642
10802,50
9760
Oiicie t
Denan
Orani
Reduktion direkt
in kg angegeben
Waadt: Neues Pfund #
Vevey : Li vre
Nyon :
Yverdon : ,.
Grandson : ,
Romainmötier :
Morges : „
Lausanne : ^
Payeme : „
Wallis: Neues Pfund
Zürich: Handelspfund
8673»7i7
11517,25
nach Heldmann wie in Zürich
IG Onccs k
0.912094 0,456047
0,939 0,4695
1,428125 0,714063«
0,919046' 0,459523
1,148806 0,574403
0,918036 0,459018
1,147544 0,573772
1,056908 0,528454**
1,0368 0,518400
1.583312 0,791656
1,57112 0,78556
0,628448 0,314224
1,740058 0,870029
1,960758 0,980379
1,879058 0,939529
1,899974 0,949987 *^
0,653586 0,326793 "
0,921423 0,460711
1,151778 0,575889
8 Gros ä 72
(Trains oder
9413,575
1 0,5 >»
Va» V«, '.^
10766
1,143668 0,571834
10731
1,139950 0,569975
10111
1,074088 0,537044
10091
1,071962 0,535981
10051
1,068350 0,534175
9526
1,011942 0,505971
9525
1,011836 0,505918
9473
1,006312 0,503156
1 0,5 '*
1,056914 0,528457
36 Loth
durch Wägung
* Abweichend gegenüber den Angaben sab Aargau. — * Wie Lazem. — ' Die hier angegebenen
Zahlen nnter Schweiseriifund und Kilogramm «ind nicht aus den köln. Richtpfeuuigeu abgeleitet, sondern
die Kednktion in Schweizeriifund ist den ofHziellon Tabellen entnommen und daraus die Reduktion in
Kilogramm berechnet. Wird die k(»ln. Mark angenommen zu '233,85.'>G g und daraus die St. Galler-I^nd in
Kilogramm reduzirt, so erhält man folgende Werthe : St. Galler-Piund 0,5778093, 0,4653130, Rorschach
0,458158«, Altstätten 0,4582706, Lichtensteig O,4501i»27, Rheineck 0,4512898, Rapperschwyl 0,5282949, Wyl
0,4696810, Ragaz 0,7150982. Ueber die Gewichte der Bezirke Berneck, Grabs und Werdenberg, Gams, Woesen
und Utznach tinden sich keino Angaben. — '* Ebenso Oberriet, iSax und Seunwald (nach Bertsch). —
' Zarcherpfund (nach Bertwch). — *"' Soll rhurergewicht sein (nach Bertsch). — "^ Tabelle 0,919056. aber
unrichtig. — ■ Zurzacherpfund. — ' Für den Salzverkauf un<l im Verkehr mit edlen MetaUen wurde das
franz. Markgewicht gebraticht (vide Bern). — ^^ Auch in der Riviera, für Brennholz und Heu. — '^ 25 1
-- 1 Rubbo. — " Die oftiziellcn Tabellen geben folgende Verwandlung von alten Pfund in neue Pfund:
100 alte Pfund (k 32 Loth) --. 92 Pfund 4 Loth "m Loth und */io ; 100 alte Pfund (& 40 Loth) - -- 115 Pfund
5 Loth **64 Loth und '/lo. Diese Angaben stimmen mit obigen Ubcrein. — " Gesetz von 1822. — •♦ Gesots
von 1824.
Maü und Gewicht — 388 — Maß un<l Gewicht
EintheUunff Dc-finition- Schweizerpfd. Kilogramm
x^imatuuiip 1/fnniuon. 1838—1868,77 seit 1868/77
Zürich :
Leichtes Pfund (Antorferpfund) 32 Loth durch Wäjning 0,939479 0,469740
(16 Loth ü 4>
gti. 4 4 Pfg. l = V« leichtes Pfd. 0,469740 0,234870 '
k 18 Gran J
Krone (Goldgewicht) .... 0,006731 3,365535 g
Zug: Pfund 36 Loth 1,056918 0,528459-
Außer den hier angegebenen Gewichten wurde noch das sog. Medizin alge wicht
gebraucht; dasselbe war das sog. Nümbergergewicht, aber an verschiedenen Orten
sehr verschieden. In den amtlichen Tabellen finden sich nur folgende zwei Angaben :
Baselstadt: Pfund = 0.35778 kg.
Luzern: „ = 0,357951 ,
Mass und Gewicht von 1838—1868/75.
(Ersten BandosgcRctz über MasH und Gewicht 1851. Vollziehungsverordnung 1853. Auleitnng für dii- Eicb-
meister 1853. Inspcktiou 1860 61. £idg. Eichstätte 1864. Doppelsytom von 18(>8 76 lant liundeoge^etz von
1868. VolIziehungMverordnung 1870. Anleitung für die Eichmeisiter 1871 ; flichmoisterkurs 1871. liumlos-
gesetz von 1875, wirksam seit 1877.)
Art. 37 der Bundesverfassung von 1848 lautet:
„Der Bund wird auf den Grundlagen des bestehenden eidg. Konkordates für die
ganze Eidgenossenschaft gleiches Maß und Gewicht einführen*.
In Ausführung dieser Yerfassungsbestimmung wurde vom Bundesrath unterm
13. März 1851 ein die Maß- und Gewichtsordnung betreffender Gesetzentwurf
definitiv berathen, in welchem die durch das Konkordat festgesetzten Größen
vollständig adoptirt wurden.
Gegen diesen Entwarf wurden hauptsächlich aus den Kantonen Waadt und
Neuenburg herkommende Petitionen (31,198 Unterschriften) eingereicht, welche
um unbedingte Einführung des französischen Maßsystems nachsuchten, und einen
ähnlichen Wunsch sprach die Regierung des Kantons Neuenburg aus.
Die Mehrheit der national räthlichen Kommission hielt den bundesräthlichen
Entwurf allein für verfassungsgemäß, namentlich auch weil bei der Berathung
der neuen Bundesverfassung Anträge, welche die Einführung des metrischen
Systems bezweckten, mit großer Mehrheit abgelehnt worden waren ; der Entwurf
sei aber auch zweckmäßig, weil er sich eher an die bisher gebräuchlichen Maße
anschließe, und er sei auch am leichtesten auszuführen, da in zwölf Kantonen
mit ^/a der gesammten Bevölkerung der Vorschlag des Bundesrathes schon in
Geltung sei.
Die Minorität der Kommission wollte das metrische System annehmen ; dasselbe
sei ebenfalls verfassungsgemäß, indem die Grundlage des Konkordatssystems der
Meter sei; man werde doch später dazu gelangen, das metrische System einzu-
führen. Die Ansicht des Bundesrathes und der Kommissionsmehrheit siegte und
am 23. Dez. 1851 wurde endlich das erste
Bundesgesetz über Maß und Gewicht von beiden Eäthon an-
genommen. Die wesentlichsten Bestimmungen desselben sind :
Art. 2. Der Fuß ist die Grundeinheit der neuen Maßordnung und kommt genau
'/>o des französischen Meters gleich. 1 Fuß = 10 Zoll ä 10 Linien ä 10 Strich; 1 Elle
= 2'; 1 Stab = 4'; 1 Klafter = 6'; 1 Ruthe =10'; 1 Wegstunde = 16,000'; 1 Juchart
=^ 40,000 Quadratfuß.
Ein Holzklafter soll auf der Vorder- und Ilinteriläche ein Quadratklafter halten ;
die Festsetzung der Tiefe bleibt den Kantonen überlassen, jedoch ist die Scheiterlänge
in dem durch das gegenwartige Gesetz aufgestellten Längenmaße auszudrücken.
Hohlmaße für trockene Gegenstände: 1 Maaß (Viertel oder Sester) = 15 Liter.
^ Vm 1,12 K !«rliw*»Ter uU kolu. Mark. — ■ Zurzachorpfnud.
Maß und Gewicht — 389 — Maß uad Gewicht
1 Maaß = 10 Immi oder = 4 Vieriing = 16 Mäßlein. 1 Malter = 10 Maaß (Viertel).
Die Hohlmaße haben die Gestalt eines hohlen Cylinders, dessen Höhe gleich dem Durch-
messer, wenn sie als Urmaß, Mustermaß oder Probemaß gebraucht werden, und dessen
Höhe dem halben Durchmesser gleichkommt, wenn dieselben zu Verkehrsmaßen be-
stimmt sind.
Flüssigkeitsmaße. 1 Maß = 1,5 1, eingetheilt nach fortgesetzten Halbirungen
(1 Schoppen = \'i Maß), 1 Saum = 100 Maß, 1 Eimer = 25 Maß. Die Maß und ihre
Unterabtheilungen erhalten, wenn sie als Normalgetaße dienen sollen, die Gestalt eines
hohlen Cylinders, dessen Höhe dem doppelten Durchmesser gleich ist.
Gewichte: 1 Pfund = V« kg, 1 Pfund = 32 Loth oder 16 Unzen, wird auch
nach fortgesetzten Halbirungen eingetheilt. Das Pfund kann auch eingetheilt werden
in 500 Gramm. 1 Zentner = 100 Pfund.
Das Apothekergewicht kann, wie es in Uebung ist, im Gebrauch bleiben, jedoch
ausschließlich zur Verschreibung ärztlicher Rezepte. 1 Apothekerpfund (= '/* des Civil-
pfundes) ist gleich 12 Unzen oder 24 Loth = 375 g. 1 Unze = 8 Drachmen ä 3 Scrupel
a 20 Gran.
Art. 3 gibt die Oberaufsicht über Ausübung und Handhabung der Maß- und
Gewichtsordnung dem Bundesrath, welcher auch (Art. 4) den Kantonen, die dem eidg.
Konkordat nicht angehörten, die nöthigen Mustermaße und Mustergewichte zustellt,
wählend (Art. 5) die Kantone für Herstellung der Probemaße und Probegewichte zu
sorgen haben. Die Kantonsregierungen haben (Art. 6) die direkte Aufsicht über die
Verkehrsmaße und Gewichte. Art. 9 bis 11 handeln von den gegen Fehlbare zu er-
lassenden Strafen und Art. 12 schreibt vor, daß die neue Maß- und Gewichtsordnung
spätestens bis 31. Dezember 1856 in sämmtlichen Kantonen eingeführt sein soll.
Zur Beschaffung der Mustermaße und Gewichte wurde 1852 mit Mechaniker
Oeri in Zürich ein Vertrag abgeschlossen und die Maße wurden später durch
den eidg. Experten, Herrn Professor Brunner in Bern, geprüft.
Unterm 6. April 1853 erließ der Bundesrath eine
Vollziehungsverordnung über Maß und Gewicht, welche
«peziellere Bedingungen über Material und Form der Verkehrsgewichte und
einige Vorschriften über die Organisation der Eichstätten und ihrer Obliegen-
heiten aufstellte.
Am 18. Mai 1853 wurde vom eidg. Departement des Innern eine
Anleitung für die Schweiz. Eichmeister erlassen, welche laut der
Vorrede als eine ^neue Auflage der im Jahre 1837 erschienenen Anleitung zur
Prüfung , Abgleichung und Bezeichnung der Maße und Gewichte fi*r den ge-
wohnten Verkehr, als Entwurf einer Prüfungsordnung für die Schweiz. Eich-
meister** betrachtet werde; es war den Kantonen anheim gestellt, entweder diese
Anleitung als delinitive Verordnung anzusehen oder den kantonalen Bestimmungen
zu Grunde zu legen.
In Folge von Heklamatiouen , namentlich seitens der Kantone Baselstadt
und Bern, betreffend die Strafbestimmungen wurde unterm 18. Juli 185G durch
Itandesbcsrhlnj.) bestimmt, daß die nöthigen Verfügungen betreffend das Ver
fahren bei Beurtheilung von üebertretung der eidg. Maß- und Gewichtsordnung
den Kantonen übertragen seien.
In der nämlichen Session hatte sich die Bundesversammlung noch eingehender
mit der Frage über Maß und Gewicht zu befassen , indem die Kantone Tessin,
\Vaadt, Neuenburg und Genf das Begehren stellten, die Einführung der eidg.
Maß- und Gewichtsordnung auf unbestimmte Zeit zu verschieben und Waadt
s[)rach den femern Wunsch aus, daß das französische rein metrische System
eingeführt werden möchte. Diesen letztern Wunsch hatte die Regierung des
Kantons Waadt schon im Jahre 1853 an den Bundesrath gerichtet, welcher
aber, gestützt auf die Bundesverfassung und die Berathungen, welche dem Erlaß
des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht vorangegangen waren, das Begehren
Maß und Gewicht — 390 — Maß und Gewicht
von sich aus abgewiesen hatte. Die Bundesversammlung trat der Ansicht des
Bundesrathes bei und wies mit Bundesbeschluß vom 18. Juli 1856 beide Be-
gehren ab.
Bei Behandlung des Geschäftsberichts des Bundesrathes pro 1858 wurde
am 20. Juli das Postulat angenommen:
„Der Bundesrath wird eingeladen, sich in geei^eter Weise zu überzeugen, ob die
Einrichtung der neuen Maß- und Gewichtsordnuniyr nunmehr wirklich überall vorschrift?-
gemäß erfolgt sei".
In Folge dieses Postulates wurden die Kantone eingeladen , ihre Ver-
ordnungen nebst bezüglichen Berichten einzusenden und gleichzeitig wurde be-
schlossen, eine allgemeine Inspektion vorzunehmen, mit welcher im Jahre
1860 Herr Professor Dr. Heinrich Wild betraut wurde. Die Inspektion fand
in den Jahren 1860 und 1861 statt.
Dem sehr ausführlichen Bericht entnehmen wir, daß das Urpfund im
eidg. Archiv sich gegenüber früheren Bestimmungen etwas verändert hatte, daß
die Mustermaße in den Kantonen nur an wenigen Orten gut erhalten waren,
ja daß sogar einige derselben ganz fehlten und daß zwischen dem schwersten
Musterpfund (Appenzell I.-Rh.) und dem leichtesten (^Thurgau) eine Differenz
von 118 mg bestand, während die Musterpfunde bei ihrer Anfertigung sämmtlioh
bis- auf 1 mg richtig gewesen waren. Die Probemaße der Eichstätten waren
in einzelnen Kantonen nicht vollständig vorhanden und in mehreren Kantonen
fehlten die Waagen. Die Aufbewahrung der Probemaße ließ Vieles zu wünschen
übrig und ebenso die Genauigkeit derselben. Dementsprechend zeigten auch die
Verkehi*ömaße bedeutende Abweichungen, welche der Inspektor erklärte aus dem
mangelhaften Zustand der Probemaße, der ungenügenden Instruktion der Eich-
meister, dem spärlichen Nachschauen und der allzu großen Zahl von Kichstätten.
Alte oder fremde Maße fanden sich nur wenige vor.
Es zeigten sich also noch bedeutende Mängel in jeder Beziehung, welchen
nur durch eine durchgreifende Reform abgeholfen werden konnte. Von den
wesentlichen Anforderungen, die an die Urmaße gestellt w^erdeu müssen fUn-
zweideutigkeit und ünveründerlichkeit), erachtete der Inspektor keine als genügend
erfüllt. Es erschien ihm daher noth wendig, eine Reform der Schweiz. Urmaße
durchzuführen, welcher sich dann eine gründliche Prüfung und Verifikation der
Muster- und Probemaße anzuschließen hätte. Um aber auch in den Verkehrs-
maßen die nüthige Uebereinstimniung zu erzielen, müßten auch die Eichmeister-
ap])arate überall vollständig und in guter Beschati'enheit vorhanden sein und die
Eichmeister selbst einer häufigen Kontrole durch kantonale und eidg. Behörden
unterworfen werden. Um die ersten und wichtigsten Reformen durchzuführen,
wurde die Gründung einer
eidg Norm alcichstä tte vorgeschlagen und diese Frage einer Expert^in-
kommis.sion vorgelegt, welche unterm 13. April 18(>2 ein ausführliches Gutachten
abgab, in welchem die Nothwendigkeit einer eidg. Eichstätte unbedingt bejaht
wurde.
Derselben sollten einige Räumlichkeiten im Erdgeschosse des Münzgebäudes
abgetreten werden. Zur Besorgung der Geschäfte wurden vorgeschlagen: Ein
Inspektor der Eichstätte, welchem die eigentlichen wissenschaftlichen Arbeiten
anvertraut würden und ein Direktor, welcher namentlich die Prüfung der Probe-
maße und die Inspektion der kantonalen Eichstätten auszuführen hätte. Im
Weitern wurde beantragt, eine Abordnung nach Paiis zu senden, welche die
Prüfung und allfällige Erneuerung der schweizerischen Urmaße vorzunehmen
Siaß und Gewicht — 391 — Maß und Gewicht
hätte. Der Bundesrath genehmigt« am 18. Juni 1862 diese Anträge (mit kleinen
Abänderungen). Als Abgeordnete nach Paris wurden die HH. Professoren Wild
und Mousson bezeichnet, welche in den Jahren 1863 und 1864 einen Meterstab
ans Messing und ein Kilogramm aus Platin, sowie ein Messingkilogramm mit
den im Conservatoire des arts et metiers zur Verfügung gestellten Kopien der
eigentlichen Urmaße verglichen. Unterdessen waren auch die ersten Arbeiten
zur Einrichtung der cidg. Eichstätte geschehen und am 6. Januar 1864 wurde
vom Bundesrath ein Rer/lement über die Orf/anisation und Verwaitunr/ der-
selben erlassen, das am 25. September 1867 einige kleinere Abänderungen erhielt.
Zur Besorgung der Geschäfte wurde nur ein Experte vorgesehen, welcher
unter seiner Verantwortlichkeit die nöthigen Gehülfen beizieht. Die Arbeiten
in der Eichstätte nahmen ihren ruhigen Fortgang und im Sommer 1868 konnte
der Direktor der cidg. Eichstätte seinen ausführlichen ^Bericht über die Arbeiten
zur Reform der schweizerischen Urmaße" ablegen.
Inzwischen waren erneuerte Anstrengungen zur Einfiihrung des metrischen
Maß- und Gewiclitsystems in der Schweiz gemacht worden. Im Jahre 18 63
waren ans 20 Kantonen Petitionen mit 2814 Unterschriften an die eidg. Be-
hörden gelangt mit dem Gesuch, es möchte das bisherige schweizerische Maß-
und Gewiclitssystem durch das metrische ersetzt werden, oder dasselbe doch
wenigstens neben jenem erlaubt werden. Der Bundesrath erstattete am 8. Sep-
tember 1864 bezüglichen Bericht (nach Einholung der Gutachten der Kantons-
regierungen) und stellte den Antrag, es sei zur Zeit auf die eingelangten Peti-
tionen für Einführung oder gesetzliche Anerkennung des metrischen Maß- und
Gewichts vstems nicht weiter einzutreten.
Unterdessen waren auch Anträge auf theil weise Revision der Bundes-
verfassung vom Jahre 1848 gestellt worden, über welche das Schweizervolk
am 14. Januar 1866 abzustimmen hatte. Der erste Revisionspunkt betraf den
Art. 37, welcher nach den Beschlüssen der h. Räthe abgeändert werden sollte
in; „Die Festsetzung von Maß und Gewicht ist Bundeasache". Dieser Artikel
wurde vom Volke mit 151), 202 gegen 156,306 Stimmen angenommen, von der
Mehrheit der Stände aber verworfen (OVa Stände waren für Annahme, I2V2
für V^erwerfnng).
Trotz der Ablehnung der Revision von Art. 37 war aber damit die Pe-
tition um Einfiihrung des metrischen Systems noch nicht aus den Traktanden
der Räthe gefallen. Die nationalräthliche Kommission über Einführung des
metrischen Maß- und Gewichtsystems befürwortete in ihren vorzüglichen Be-
richten vom 6. Juli und 17. Dezember 1866 die fakultative Einführung dieses
Systems und mit Be^irhlnß der Buifdesccrsamnthinr/ vom 8. Juli 1868 wurde
der Bundesrath eingeladen, „einen Bericht vorzulegen über die Art und Weise,
wie das reine metrische Maß- und Gewiehtsystem in der Schweiz eingeführt
werden könne".
Diesem Auftrag kam der Bundesrath mit Botschaft vom 12. Juni 1^68
nach. Er erwähnte darin der großen Fortschritte, welche das metrische System
in den europäischen Staat(?n gemacht hatte, er verwies auf die Beschlüsse einer
bei Anlaß der Pariser Weltausstellung im Jahre 18()7 zusammengetretenen inter-
nationalen Kommission (von 2 1 Staaten beschickt), welche das metrische System
als universelles empfahl und zeigte, daß die Scliweiz nicht allein hinter den
andern Staaten zurückbleiben könne. Trotzdem glaubte aber doch der Bundesrath
den Zeitpunkt noch nicht gekommen, um das metrische System allein als ge-
setzliches Maß einzuführen, namentlich da auch in einzelnen Nachbarländern diu
Maß und Gewicht — 392 — Maß und Gewicht
Ansichten noch nicht ganz abgeklärt waren. £r konnte aber auch nicht zugeben,
daß daa metrische System (wie es faktisch bisher der Fall gewesen) geduldet
sei, ohne daß die bezüglichen Maße einer amtlichen Kontrole unterworfen seien
und gelangte daher zum Antrag, das rein metrische System neben dem bisherigen
anzuerkennen, gewisse Größen desselben der amtlichen Eichung zu unterwerfen
(also auch den Gebrauch ungeeichter Maße des metrischen Systems zu untersagen)
und die neu erforderlichen Probemaße durch die eidg. Eichstätte erstellen zu
lassen. Am 14. Juli 1808 wurde durch
Bundesgesetz der Antrag des Bundesrathes zum Beschluß erhoben.
Nach Art. 1 dieses Gesetzes wird neben dem durch Gesetz vom 23. De-
zember 1851 eingeführten Maß- und Gewichtsystem auch das rein metrische
System anerkannt und zwar in denjenigen Einheiten, Mehrfachen und Theilen,
welche in den Beilagen zu obigem Gesetz unter Lit. A und B aufgeführt sind.
In der erwähnten Beilage sind aber alle metrischen Einheiten (Meter, Are, Liter,
Gramm) nebst ihren Vielfachen und Theilen nach dem Dezimalsystem angeführt,
so daß die Anzahl derjenigen Maße und Gewichte, welche nach dem neuen Ge-
setz hätten eingeführt werden können, eine außerordentlich große gewesen wäre.
Durch die VollziehumjsoerordnniKj vom 23. Mai 1870 wurde die Zahl
der gestatteten Maße bedeutend beschränkt, indem nur die zwei- und fünffachen
Einheiten oder deren dezimale ünterabtheilungen gesetzlich eingeführt wurden.
Durch zahlreiche Petitionen dazu veranlaßt, beschloß der Bundesrath am
26. Dezember 1871, außer den gesetzlichen Maßgrößen 2 und 5 dl auch noch
die Größe 3 dl für Flaschen und Gläser zu gestatten, ein Beschluß, der vielfach
auf Opposition stieß, obschon der Bundesrath hiezu, nach dem Wortlaut des
Bundesgesetzes vom 14. Juli 1868, vollständig berechtigt war. Dieses Gesetz
bestimmte ferner, daß die metrischen Probemaße den Kantonen durch die eidg.
Eichstätte geliefert werden sollen und es wurden die nöthigen Arbeiten sofort
an die Hand genommen, Modelle für die Probemaße bestimmt und am 14. Januar
1871 erstattete di« Direktion der eidg. Eichstätte (Herr Friedrich Hermann)
Bericht über Vollendung dieser Arbeit. Um bei der Justirung der Verkehrsmaße
ein gleichmäßiges Verfahren zu erzielen, erließ der Bundesrath am 23. Mai 1870
auch eine
AnleltutHj für die svhweiserischcn Eichmeister und außerdem wurde noch
im gleichen Jahre ein erster EichmeiHerknr.a in Bern abgehalten, an welchem
sich alle Kantone durch Absendung eines oder mehrerer Eichmeister betheiligten.
Am gleichen Tag beschloß der Bundesrath ferner, daß mit der allgemeinen Ein-
führung des metrischen Systems mit Eröffnung des Schuljahres 1870 bei der
Schweiz. Armee in allen ihren Dienstzweigen begonnen werden solle und daß
in allen Schulen und Wiederholungskursen das metrische System zu erklären
und die Mannschaft in der Anwendung desselben zu unterrichten sei.
In den Jahren 1871 bis 1874 folgten die Berathungen über die Revision
der Bundesverfassung. Die neue Bundesverfassung vom 2i>. Mai 1874, welche
am 11). April 1874 vom Volke angenommen wurde, sagt in Art. 40:
,Die Festsetzung von Maß und Gewicht i.st Bundessache. - Die Ausführung der
bezüplichon (Jesetze geschieht durch die Kantone unter Aufsicht des Bundes.*
Mit der Annahme dieser Verfassung war das letzte Hinderniß, welches einer
ausschließlichen Anwendung des metrischen Systems noch im Wege stand, weg-
geräumt, und es wurden sofort die njjthigen Schritte gethan, um dasselbe allein
gesetzlicli einzufüliren. Es erschien um so noth wendiger, diese Frage bald einer
Maß und Gewicht — 393 — Maß und Gewicht
endlichen Losung entgegenzuf iihren , als das Nebenein ander bestehen zweier ver-
schiedener Systeme viele Mißbränche veranlaßt hatte.
Am 3. Juli 1875 wurde das neue
Bundesgesetz über Maß und Gewicht
von den Käthen angenommen, und da das Referendum dagegen nicht ergriffen
wurde, vom Bundesrath am 22. Oktober iu Kraft und mit dem 1. Januar 1877
als vollziehbar erklärt. Dasselbe lautet:
Art. 1. Das schweizerische Maß- und Gewichtssystem hat den Meter zur Grundlage.
Art. 2. Als Urmaß für die Längeneinheit gilt der auf der eidgenössischen Eichstätte
deponirte, durch eine Expertenkommission von schweizerischen Gelehrten in den Jahren
1863 bis 1867 mit den Urmaßen der Archive zu Paris verglichene Meterstab ä bout von
Messing, dessen Endflächen durch ebene Goldstilte von 3,5 Millimeter Durchmesser
gebildet werden. Die Distanz zwischen den Mitten der Goldstifte beträgt bei der Tem-
peratur des schmelzenden Eises 0,99999801 Meter : die lineare Ausdehnung für 1 Grad
des hunderttheiligen Thermometers ist 0,0000180870.
Sobald die Schweiz die von der internationalen Meterkommission anzufertigende
identisclie Kopie des neuen internationalen Meterprot otj^js (Strichm.aß) erhalten haben
wird, tritt diese an die Stelle des oben beschriebenen Urmaßes.
Art. 3. Das Urniaß für das Gewicht (ebenfalls durch die genannte Kommission
verglichen und auf der eidgenössischen Eichstätte de))onirt) ist ein fein polirter Cy linder
von Platin. Verglichen mit dem Platinkilogramm der Archive zu Paris ist das wahre
Gewicht dieses Urmaßes im leeren Raum 1000,00088 Gramm, oder es ist dasselbe um
0,88 Milligramme schwerer als das erstere. Das spezifische Gewicht dieses Platinkilo-
j^rammes bei 0 Grad, bezogen auf destillirtes Wasser von 4 Grad des hunderttheiligen
Thermometers, ist 20,5478, die kubische Ausdehnung desselben für 1 Grad 0,0000:2580.
Sobald die Srhweiz die von der internationalen Meterkommission zu erstellende
Kopie des internationalen Kilogramms erhält, tritt diese an die Stelle des obigen Ur-
kilogramms.
Art. 4. Die rein metrischen, in der Schweiz gesetzlich erlaubten Maße und Gewichte
sind folgende:
a. Längenmaße. Der Meter. Er ist die Grundeinheit des ganzen Systems.
Seine Länge wird durch ein von der internationalen Meterkonimission hergestelltes und
im internationalen Maß- und Gewichtsbureau deponirtes Prototyp festgestellt. Dasselbe
ist ein Strichmeter aus Platin-Iridium, welches mit sämmtlichen, den einzelnen Ländern
ausgelieferten identischen rrmaßen. sowie mit dem bisherigen ,metre des archives" in
Paris genau verghchen ist.
Demnach sind «lie Längenmaße : 1 Kilometer 1000 Meter, 1 Hektometer 100
Meter, 1 Dekameter 10 Meter, 1 Meter 1 Meter, 1 Decimeter \/ia Meter, 1 (Zenti-
meter • 10.) Meter. 1 Millimeter V»""' Meter.
b. Flächenmaße. Der Hektar 10,(KX) Quadratmeter, der Ar- 100 Quadrat-
meter, der Quadratmeter 1 Quadrat von 1 Meter Seite.
c. Körpermaße, i. Enummaße. Die Einheit ist der ."^ter. Er ist gleich einem
Kubikmeter. Die Uaummaße sind: 1 Dekaster 10 Kubikmeter, 1 Ster 1 Kubik-
meter, 1 Decister \i'» Kubikmeter.
//. Hohlmaße für trockfiie und flüssige Körper. Die Einheit ist der Liter, welcher
einem Rauminhalt von 1 Kubikdecimeter entspricht und genau 1 Kilogramm destillirten
VVaiSsers bei 4'* Celsius enthält. Folgendes sind die Hohlmaße: 1 Kiloliter lOtKj Liter,
1 Hektoliter 100 Liter, 1 Dekaliter 10 Liter. 1 Liter 1 Liter, 1 Deciliter
Vi'> Lit^r, 1 Centiliter ^'iod Liter, 1 Milliliter - Viooo Liter.
d. Gewichte. Die Gewichtseinheit ist das Gramm. Dasselbe ist gleich dem Ge-
wicht von 1 Kul>ikcentimeter destillirten Wassers im Zustand seiner größten Dichtigkeit
bei 4" Celsius. Die Gewichte sind: 1 Tonne rO(M),0(K) Gramm l 1000 Kiloixramm),
1 metrischer Zentner lOO.^HJO Gramm ( 100 Kilogramm), 1 Myriagranmi - 10,000
Gramm ( lo Kilogramm), 1 Kilogramm lOCX) Gramm, 1 Hektogramm 100 Gramm,
1 Dekagramm 10 Gramm. 1 Gramm 1 Gramm, 1 Decigramm V»« Gramm,
1 Centigramm V»"" Gramm, 1 Milligramm Viofo Gramm.
Art. 5. Die Oberaufsicht über Ausfuhrung und Handhabung der Maß- und Gewichts-
ordnung steht bei dem Bundesratbe. Er veranstaltet durch die eidgenössische Eichstätte
regelmäßige und in vorkommenden Fallen besondere Inspektionen in den Kantonen,
welche jeweilen in einer F*eriode von In Jahren die ganze Schweiz umfassen sollen.
MaL> und (iewichl — a04 — Mati und Gewicht
Art. 6. Der Bundesrath sorgt dafür, daß in der eidgenössischen EichstStte die
erforderlichen Kopien der Urmaße und die geeigneten Hfll&instrumente vorhanden sind,
um damit die Normal-Probematie und Gewichte der schweizerischen Eichstätten möglichst
genau nach den Urmaßen vergleiclien und veriiiziren zu können.
Art. 7. Der Bundesrath läßt ferner l>ehufs möglichst genauer Uehereinstimmung
der Verkehrsma£>e und Gewichte durch die eidgenössische Eichstätte den Kantonen gegen
Vergütung der Erstellungskosten die erforderliche Anzahl von Normal- und Gebrauchs-
Probeinaßen und Gewichten zustellen, welche m«Vlichst genau mit den Uriiiaßen über-
einstimmen sollen.
Art. 8. Die direkte Aufsicht über Maß un<l Gewicht liegt in jedem Kanton der
Regierung ob. Jede Kantonsreirierung l>ezeichnet diejt»ni^'en Behörden und Beamten,
welchen diese Beaufsichtigung' und die Kontrole der Verkehrsmaße übertragen ist. Die
Beamten handeln nach einer gemeinsamen, vom Bundesrathe durch Vermittlung der
Kantone erlassenen Instruktion. Die Regierung überwacht deren Beobachtung, bestimmt
die Zahl der Eichstätten, wählt sachkundige Eichmeister, welche beeidigt werden, und
sorgt dafür, daß wenigstens alle drei .lahre eine allgemeine Nachschau abgehalten werde,
für welche die Eichmeister ein von der Regierung bestimmtes Taggeld erhalten.
Für die amtliche Stempelung von Maßen, Gewichten und Waagen beziehen die
Eichmeister die in der Eichmeisleranleitung festgesetzten Gebühren.
Kantone, in welchen der Amtsei<l nicht mehr in Hebung ist, verhalten ihre Eich-
meister zur Pllichterfüllung nach den Bestimmungen ihrer eigenen Gesetzgebung.
Art. 9. Die Regierungen der Kantone haben mit möglichster Strenge darauf zu
achten, daß im Verkehr keine andern, als mit diesem Gesetze und mit dessen Voll-
ziehungsverordnung übereinstimmende geeichte Maße und Gewichte und nur solche
Waagen gebraucht werden, welclie gehörig gestempelt sind.
Art. 10. Sie sorgen ferner dafür, daß für Materialien, wie Torf, Holzkohle. Kalk.
Gyps u. s. w.. welche nach dem Maße verkauft werden w«>llen, so weit thunlich, in den
verschiedenen Gemeinden die zur Messung erforderlichen geeigneten Kubik- und Hohl-
maße dem Publikum zur Verfügung stehen, und daß beeidigte oder sonst in Pflicht
genommene Personen bestellt werden, welche gegen eine l.testimmte Gebühr diese Messung
vornehmen.
Die gleiche Bestimmung gilt auch für die bereits vorhandenen oder erst noch zu
errichtenden Sinnanstulten zum Eichen der Fasser und dergleichen.
Das Brennholz soll, besondere Vereinbarung vorbehalten, eine S<beiterl5nge von
einem Meter baben. Für den Verkauf desselben auf Molzlegplätzen und in Magazinen
sind besondere Meßralunen erlbnlerlidi, übpr deren (irftUe und Konstruktion die Voll-
ziehungsverordnung die nabern Aufschlüsse ertheilt.
Art. II. Die Gas- und Wa-sormesser (Gas- und Wasserulnen) sollen den Verbrauch
an Leuchtgas und Wasser in Kubikmetern angeben un<i geeicht sein. Der Bundesrath
wird den Zeitpunkt des Beginnes «1er Eiclmng bestimmen unti bekannt machen.
Art. V2. In den Apntheken sollen in Zukunft ans<chliel.'.lich tlie Maße und Gewichte
des metri-cben Sy>tems zur Anwendung kommen.
Art. 1I{. Die von irgend einer sr bweizerischen Eichstälte nach den Vorschriften
der Vüllziehun;rsverordnnng vorgenommene amtiiclie Eichung und Stempelung von
Maßen, Gewiciiten und Waajren hat in allen Kantonen - nachgewiesene Unri<'hligkeit
vorbelialten — gesetzliche Gülli|;keit.
Art. lt. hl neuen V<;rlrä^:en dürfen Angaben über Malö und Gewicht nur nach
den Beslimnnuigen des gegenwiii tij^en Gesetzes gemacht werden.
Art. ir>. Wer im Verkehr un^reei«hte oder unb(^zeichnete Malie. Gewi«-hte und
Waagen gebraucht, verfällt, wenn der Fall ni<-ht durch wissentliche Täuschun}.' und
Schä.iigun^' als Betrug erscheint, in eine Bul.ie von zwei bis zwanzig Franken.
Art. Iß, Der Gebrauch geei«*hler nml l»ezeichneter, aber unrichtiger Maße und
Gewichte. insr)fern die Ueborfretunir nicht ein schwerer zu bestrafende^ Vergehen enthalt,
ist mit einer Bul/ie von zwei bis vierzig: Franken zu bele^'en. Rückfall wir<l als wesent-
licher Krschwernngsj.'rund angesehen und behan«lolt. Kann bewiesen werden, daß die
Unrichti;:keit einzig der S«'hul«l des Kichnieisters beizumessen ist. <o ist nur der Letzlere
zu be-trafen.
I'eberdies sollen Mähe. (Jewichte und Waa^:en. \vel<"lu' diesem Gesetze uuil dessen
Vollziehnng-veronlnun^"^ nicht ent>*j)rechen. weini sie im Verkehre gebraucht werden
-olllen. auf Kdsten de^ Fjgenlhümers berichtiget <Mler. wo diese«; nicht geschehen kann,
konli-'zirt und der zu<tän<lij!en Behörde abi.'elieterl werden.
MaÜ und Gewicht — 395 — Mali und Gewicht
Art. 17. Die Uebertretungen des Gesetzes werden durch die zuständigen kantonalen
Behörden bestraft.
Art. 18. Die Buße fällt demjenigen Kanton zu, in dessen Gebiet die Uebertretung
stiittgefunden und die Untersuchung gewaltet hat.
Art. 19. Die durch gegenwärtiges Gesetz aufgestellte Maß- und (rewichtsordnung
soll unter Vorbehalt der Bestimmungen des Art. 89 der Bundesverfassung am 1 . Jänner
1877 im ganzen Gebiet der schweizerischen Eidgenossenschaft eingeführt und in Wirk-
samkeit sein.
Art. 20. Von diesem Zeitpunkte an sind aufgehoben: a. das Bundesgesetz vom
23. Chru^tmonat 1851 (III, 84); b. das Bundesgesetz vom 14. Heumonat 1868 (IX, 368)
betreffend Abänderung desjenigen über die Maß- und Gewichtsordnung vom 23. Christ-
monat 1851.
Art. 21. Der Bundesrath ist mit der Bekanntmachung dieses Gesetzes, sowie mit
Erlassung aller für die Vollziehung desselben erforderlichen Verordnungen und Regle-
mente beauftragt, welche die Verhältnißangaben der bisherigen Maße und Gewichte mit
den metrischen und die nöthigen Bestimmungen über Organisation des Maß- und Ge-
wichtswesens, Zahl, Kontrole und Zulässigkeit der verschiedenen Arten von Normal- und
Verkehrsmaßen, Gewichten und Waagen zu enthalten haben.
Spezielle Verordnungen über den Verkauf der Lebensmittel, Brennmaterialien etc.
werden dagegen von den Kantonsregierungen erlassen.
Mass und Gewicht seit 1875/77.
(K«.-iii«'<* iiu-rriKche« System l.iut Hundi'KpffHi'tz von IS7.'» ; Vollzioliuiiffsverordiiuiiur Ihl'». Aiiloitnuu fiir ili»*
KichinoidUT l'ST.'i. Aiiitlioh«> HiMluktionsttibolIo iSTit. Jii!»tniktion für (lii.> Plü-hniitf von (lasiiic^Horii. Zweiter
J'licliTHoi*«t«*rk«rs IKTt'». ZwiMflieiimiisur» l.**7**. Oftiziolle nbK*'kilr/.t(' IlpzeielnuiiiK«^*!! l-SM». Verordiiunpt botrctteml
jUp Kii'huiii; von Mo^Hnppaniteii fUr Petroleum ete. \HS'i. Ihi^truktion iilx-r «lie Prüfung; und Stompeliiiiir
von Waa^^oii Iss-J. Ver)>t>t der Kiehnnfr alter (iewichte 1SN4. luiftnikticm betrettend die Kicliuntf von Zeitfer-
\vanK<'ii i» Käsereien etc. l^Hö. I*rä/isionxK'*wiehle untl -Wuaj^en. Finanzen.)
Durch die Annahme dieses Gresetzes war endlich die Schweiz im Maß-
und Gewichtswesen wieder so weit gekommen, als sie im Jahre 1801 gewesen
wäre, wenn das Gesetz vom 4. Augnst 1801 wirklich Kraft erhalten hätte.
Die Vollziehungsverordnung über Maß und Gewicht vom 22. Okt.
1875 setzt im Abschnitt I die Funktionen der eidg. Eichstätte, in Abschnitt II
diejenigen der Eichstätten in den Kantonen fe^st, enthält in Abschnitt III und IV
die nöthigen Vorschriften über Form, Material, Fehlergrenzen etc. der Kopien
der Urraaße, der Kontrol-Normalmaße und der Probemaße der Schweiz. Eich-
stätten, sowie über die zur Ausrüstung der Eichstiitten erforderlichen Gegenstände.
Die Probemaße der Eichstätten zerfallen in Gebrauchsprobemuße^ welche
bei der Justirung der gewöhnlichen Verkehrsmaße verwendet werden und in
Sormalprobemal.k', welche zur Kontrole der erstem dienen sollen.
Im V. Abschnitt sind die Vorschriften über die im öffentlichen Verkehr
geltenden und zur Eichung zuzulassenden Maße und Gewichte enthalten.
Eichfähige LätKjenmaße sind Maße von 20, 10, f), 2, 1 m, 5, 2 und
1 dm, wobei Charniermeßstäbe, Meßbänder (mit Ausnahme der metallenen), über-
haupt Maße, deren Uxwg^. bei längerem Gebrauch oder zufolge Dehnbarkeit nicht
konstant bleibt, von der Eichung ausgeschlossen sind.
Als Hohlmaße für trockene Körper werden eichfähig erklärt Maße von
100, 50, 20, 10, f), 2, 1 1, 5, 2 und 1 dl, welche aus Blech oder Holz an-
gefertigt sein können und eine Höhe gleich dem Durchmesser haben.
Dieselben Maßgrößen werden auch bei den Flüsfit'f/keitsmaßen adoptirt,
wobei Gel- und Milclimaße ebenfalls einen Durchmesser gleich der Höhe, Maßt-
für Wein, Alkohol, ätherische Oele etc. einen Durchmetsser gleich der halben
Höhe erhalten. Fässer, Brenten etc. sind nicht an die oben erwähnten Maßgrößeii
gebunden, doch sollen di»3 Brenten etc. eine durch 5 theilbare Anzahl von Litern
enthalten. Glasflaschen und Gläser sind nur eichfähig, wenn die den Inhalt be-
grenzende Marke wenigstens 3, resp. 1 cm unter die Octtnung fällt.
Maß und Gewicht — 39<] — Maß und Gewicht
Die Eichung der gläsernen Flüssigkeitsmaße wird im Allgemeinen auch
' den Eichmeistern Uhertragen. Die gesetzlich gestatteten Gewichts großen sind
solche von 50, 20, 10, 5, 2, 1 kg, 500, 200, 100, 50, 20, 10, 5, 2, 1 g
u. 8. w. bis zum Milligramm. Der Grebrauch älterer Gewichte mit Pfundbezeichnung,
welche den neuen Gewichten in Größe und Form entsprechen, wurde ebenfalls
noch gestattet.
Im YL Abschnitt werden die wichtigsten Bedingungen, welche die Verkehrs-
waagen erfüllen sollen, erlassen, wobei als eichfähig angesehen werden: Die
gleicharmige uuterschalige Balkenwaage, die oberschalige Waage, die Komaine
und die Dezimal- und (^entesimalwaage.
Am 27. Dez. 1875 erließ der Bundesrath ferner eine
Anleitung für die Schweiz. Eichmeister, welche diesen Beamten
nicht bloß Anleitung gibt, wie sie bei der Kontrole und Justirung der Verkehrs-
maße zu verfahren haben, sondern in welcher weitere Vorschriften über die Art
und Weise der Stempelung, über Material der Verkehrsmaße etc. und außerdem
den Gebührentarif enthält (der letztere wurde im Jahre 1877 einer Kevision
unterworfen). Im Jahre 1870 erschien eine
Amtliche Reduktionstabelle zur Umrechnung der bisherigen Schweiz.
Maße und Gewichte in neue {metrische) und umgekehrt und femer wurde am
11. Sept. 1876 eine
Instruktion für die Eichung von Gasmessern erlassen, in welcher
die nöthigen Vorschriften über die Einrichtung der bezüglichen Eichstätten, die
Anforderungen, welche an Gasmesser zu stellen sind und endlich die Art und
Weise der Prüfung derselben enthalten sind. Bisher waren an den meisten Orten,
namentlich der deutschen Schweiz, Gasmesser verwendet worden, welche die An-
gabe des verbrauchten Gases nach englischen Eiibikfuß registrirten. Durch diese
Instruktion wurde eine Frist bis Ende 1878 gesetzt, bis zu welchem Zeitpunkt
sämmtliche Gasmesser in der Schweiz auf metrisches Maß eingerichtet und ge-
wicht sein KoUten.
Um die Eichmeister mit den neuen Vorschriften genauer bekannt zu machen,
wurde im Juli 1870 ein zweiter
Eichmeisterkurs abgehalten und ferner wurde mit der Anfertigung und
Justirung der Probemaße begonnen und diese bedeutende Arbeit im Frühling 1877
beendigt. Die Kantone wurden eingeladen, die noch nöthigen Vorschriften, speziell
über Lebensmittel und Brennmaterialien zu erlasj^en und so war es möglich, am
1. Januar 1877 die neue Maß- und Gewichtsordnung in Kraft treten zu lassen.
Am 20. Januar 1877 forderte der Bundesrath die Kantonsregierungen auf,
ohne Verzug eine erste Nachschau durch die betreffenden Beamten abhalten
zu lassen, um so dem verkehrtreibendeu Publikum zu zeigen, daß die neue Maß-
und Gewichtsordnung wirklich zu Kraft bestehe und gehandhabt werden solle.
Inzwischen war aufs Neue die Frage der Zulassung von Zwischenmaßen
zwischen 2 und 5 dl wieder aufgetaucht; am 11. Dez. 1870 lehnte der Stande-
rath eine Motion um Zulassung des 7^ 1 und am 14. Dez. der Nationalrath eine
solche um Zulassung des 3 dl ab. Damit war aber diese Frage noch nicht er-
ledigt, indem der schweiz. Bierbrauerverein eine Petition an die h. Bundes-
versammlung einreichte, durch welche solche Zwischenmaße gewünscht wurden.
Der Bundesrath wies in seiner Botschaft vom 10. Juni 1877 darauf hin, daß
nach Art. 21 des Bundesgesetzes die Frage der Zulässigkeit von Verkehrsmaßen
seinem Ent.scheid überlassen sei. Eine bezügliche Anfrage an die Kantonsregierungon
Maß und Gewicht — 397 — Maß und GewicliL
ergab ferner, daß die Mehrzahl derselben keine anderen Hohlmaße einführen
wollte. Trotzdem beschloß die Bundesversammlung am 21. Dez. 1877:
,Der Bundesrath ist eingeladen, den Art. 19 der Vollziehungsverordnung über
Maß und Gewicht vom 22. Okt. 1875 mit thunlicher Beförderung in dem Sinne abzu-
ändern, daß beim Detailverkauf als Flössigkeitsmaß vom Liter abw^ärts 5, 4, 3, 2, 1 dl
gestcittet wird".
Der Bundesrath kam dieser Einladung nach und erließ am 8. Januar 1878
eine Verordnung über die Einführung des 4 und 3 Dezilitermaßes, wonach
diese beiden Maße für alle Flüssigkeiten gestattet wurden. Die Erstellung und
Justirung der nöthigen Gebrauchsprobemaße wurde sofort an die Hand genommen.
Am 30. Sept. 1879 beschloß der Bundesrath, daß auch die Maße, Gewichte
und Waagen, welche in den Fabriken verwendet werden, den allgemeinen Vor-
schriften über Verkehrsmaße unterworfen seien, mit Ausnahme derjenigen Maße etc,
welche nur für die Fabrikation selbst dienen.
Am 1. Juni 1880 wurden vom Bundesrath offizielle abgekürzte Be-
zeichnungen eingeführt, und zwar (mit geringen Modifikationen) diejenigen,
welche er selbst im Jahre 1879 dem Comite international des poids et mesures
vorgeschlagen hatte.
Am 16. Januar 1883 wurde eine
Verordnung betreffend die Eichunf] von MefJapparaten für Petroleum
und andere leicht flüchilf/e FUlssigheiten erlassen und am 4. Januar 1884 eine
ausführliche
Instruktion über die Prilfang und Stempelung von Waof/en^ welche
namentlich den Zweck hatte, dem Ueberhandnehmen schlechterer Verkehrs waagen
(namentlich aus dem Ausland eingeführte) zu steuern und durch welche die Eich-
meister auch mit der Konstruktion der Waagen vertraut gemacht werden sollen.
Durch Beschluß vom 12. Dez. 1884 wurde vom 1. Januar 1885 an
die Eichung aller Gewichte mit der Bezeichnung nach Pfund, welche bisher noch
im Verkehr zulässig waren , untersagt und ebenso die Eichung von Dezimal-
gewichten, welche nie gesetzlich eingeführt und obschon absolut unnöthig, doch
nach und nach sich verbreitet hatten. Es wird aber nicht lange mehr gehen,
bis alle alten Gewichte und damit überhaupt alle alten Maße aus dem öffentlichen
Verkehr verschwunden sein werden.
Endlich wurde am 17. Nov. 1885 eine
Instruktion betreffend die Eichung von Zeigerwaagen für den Milch-
verkehr in Käsereien, Sennereien und ähnlichen Anstalten erlassen. Durch
dieselbe werden zwei Systeme von Zeigerwaagen in Zukunft gesetzlich gestattet,
wenn sie gewisse Bedingungen erfüllen, welche denjenigen entsprechen, welche
an die Komainen gestellt werden.
Die hievor erwähnten Verordnungen, Instruktionen etc. setzen den fähigen
Eichmeister in Stand, sich in allen Fragen des Maß- und Gewichts wesens zu
Orientiren. Nur in einem Punkte sind die Reglemente noch lückenhaft, nämlich
in Beziehung auf die sog. Präeisionsgewichte und PräzisionswacyjeUy welche im
Verkehr mit edlen Metallen und in den Apotheken gebraucht werden. Eine be-
zügliche Verordnung wurde zwar auch entworfen, es zeigten sich aber bei einer
Schlußberathung erhebliche Divergenzen zwischen den Vertretern der Pharmazie
und den Maß- und Gewichtsbehörden, welche nicht gehoben werden konnten.
Früher oder später wird aber auch diese Lücke ausgefüllt werden müssen. Ebenso
ist die in Art. 11 des Bundesgesetzes schon vorgesehene Eichung der Wasser-
messer, weil noch kein eigentliches Bedürfniß vorlag, und weil die Verhältnisse
Mati iiD<l Gewicht _ 398 — Bfaß und Gewicht
unserer städtischen Wasserversorgungen sehr verschieden sind, noch nicht ein-
geführt.
Die in den Jahren 1878 bis 1886 abgehaltenen eidg. Inspektionen,
welche sämmtliche Kantone umfaßten, haben ergeben, daß das neue Maß- und
Gewichtsystem sich nach und nach einlebt. Während in den ersten Jahren noch
häufig alte Maße und Gewichte im Verkehr anzutretfen waren, verschwinden
dieselben mehr nnd mehr und auch im Publikum sieht man die Vortheile der
neuen Ordnung immer mehr ein. Am schlimmsten ist es noch in vielen Kantonen
mit dem Handel mit Brennfiofs, hie und da auch mit Torf und Heu, wo noch
häufig alte Maße gebraucht werden. Doch sind da auch mit jedem Jahre neue
Fortschritte zu verzeichnen und lassen die Bundesbehörden es sich angelegen sein,
den noch vorkommenden Mängeln abzuhelfen.
Blicken wir zurück auf die frühem Zustände im Maß- und Gewichtswesen,
HO dürfen wir uns glücklich schätzen, daß die Zeit gekommen ist, wo keinerlei
eingreifende Veränderungen mehr zu erwarten sind, weil unsere jetzigen Maße
und Gewichte bald in allen zivilisirten Staaten Geltung haben werden.
Das metrische System ist nämlich allein gesetzlich gültig in den euro-
päischen Staaten : Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Norwegen, Oesterreich-
Ungarn, Portugal, Rumänien, Schweiz, Serbien und Spanien, ferner in den ameri-
kanischen Staaten: Argentinien, Peru und Venezuela. Fakultativ ist dasselbe in
Großbritannien und Irland, Schweden, Türkei, ferner in den Vereinigten Staaten
von Nordamerika, während Dänemark, Rußland und Japan, welche ebenfalls der
internationalen Meter-Konvention vom 20. Mai 1875 beigetreten sind, den Meter
noch nicht eingeführt haben. Ihre Adhäsion an diese Konvention läßt aber
wenigstens erwarten, daß auch in diesen Staaten das metrische System in nicht
allzu ferner Zeit sich einbürgern wird.
Zum Schlüsse mag noch erwähnt werden, welche finanziellen Lei-
stungen den Kantonen bei der Adoptirung des neuen Maß- und Gewichtsystems
oblagen. Die Kosten für die Anschaffung der Probemaße betragen für die Nurmal-
probemaße Fr. 300, für die Gebrauchsprobemaße Fr. 7yO, zusammen Fr. 1090.
Da die Zahl der Eichstätten der Schweiz sich auf 149 beläuft, so betrugen die
Gesammtkosten, welche in den Jahren 1870 bis 1878 von den Kantonen zu be-
streiten waren, rund Fr. 150,000. In diesen Kosten sind die Preise der Waagen
und übrigen Geräthschaften der Eichstätten nicht inbegriffen und kommen bei
einer Umänderung auch nicht in Betracht. Nimmt man dazu die Kosten für Nen-
anschafi'ung von Verkehrsmaßen aller Art, deren Betrag sich jeder Berechnung
entzieht, so sieht man, daß eine Umänderung eines Maß- und Gewichtsystems
auch bedeutende finanzielle Opfer fordert.
Resume der gegenwärtig (Mitte 1887) in Kraft bestehenden
Gesetze, Verordnungen etc.
1) Reglement vom 25. Sept. 1867 über die Organisation und Verwaltung
der eidg. Eichstätte (A. S. 9, p. 182).
2) Bundesgesetz vom 3. Juli 1875 über Maß und Gewicht (A. S. n. F. 1,
l>. 752).
3) Vollziehungsverordnung vom 22. Okt. 1875 über Maß und Gewicht
(A. S. n. F. 1, p. 761); Abänderung des Art. 23 (Eichung der Gläser von
2 dl) (A. S. n. F. 2, p. 506); Abänderung des Art, 26 (betr. alte Pfund-
Maß und Gewicht — 399 — Maß und Gewicht
gewichte etc) (A. S. n. F. 3, p. 761) 5 Aufhebung des Art. 24 (Probeflaschen)
(A. S. n. F. *J, p. 288).
4) Anleitung für die schweizerischen Eichmeister, vom 27. Dez. 1875 (A. S.
n. F. 1, p. 822); Abänderung von Art. 24 (Tarif für die Eichgebühren) (A. S.
n. F. 3, p. 146).
5) Bundesrathsbeschluß vom 25. Aug. 1876 betr. Zusatzbestimmungen zur
Vollziehungs Verordnung über Maß und Gewicht (Postgewichte) (A. S. n. F. 2,
p. 485).
6) Instruktion vom 11, Sept. 1876 für die Eichung von Gasmessern
(B.-Bl. 1876, Bd. 3, p. 545).
7) Verordnung vom 8. Jan. 1878 betr. die Einführung des Vier- und
Drei-Dezilitermaßes (A. S. n. F. 3, p. 295).
8) Bundesrathsbeschluß vom 30. Sept. 1879 betr. Maße, Gewichte und
Waagen, welche iu Fabriken verwendet werden (A. S. n. F. 4, p. 345).
9) Bundesrathsbeschluß vom 1. Juni 1880 betr. die Abkürzung für die
Maß- und Gewichtsbezeichnungen (A, S. n. F. V, p. 89).
10) Verordnung vom 16. Jan, 1883 betr. die Eichung von Meßapparaten
für Petroleum und andere leichtflüchtige Flüssigkeiten (A. S. n. F. 7, p. 1).
11) Instruktion vom 4. Jan. 1884 zu den Art. 30 — 35 der Vollziehungs-
verordnung über Maß und Gewicht und zum Art. 19 der Anleitung für die
schweizerischen Eichmeister, die Prüfung und Stempelung der Waagen betreffend
(A. S. n. F. 7, p. 329).
12) Instruktion vom 17. Nov. 1885 betr. die Eichung von 2jeigerwaagen
für den Milchverkehr in Käsereien, Sennereien und ähnlichen Anstalten (A. S.
n. F. 8, p. 333).
13) Meterkonvention, internationale, vom 20. Mai 1875 (A. S. n. F. II, 3).
Vergleichung der schweizerischen Maße und Gewichte von
1835/38—1868/77 mit den metrischen.
Längenmaße. 1 Ruthe = 10 Fuß zt:= 3 Meter = 7*0 Dekameter;
1 Fuß = 10 Zoll = 30 Centimeter = 300 Millimeter; 1 Zoll = 10 Linien
= 3 Centimeter = 30 Millimeter; 1 Linie = 10 Punkte = 3 Millimeter;
1 Punkt oder Strich = 7io Millimeter; 1 Klafter = 6 Fuß = l^/io Meter
= 180 Centimeter; 1 Elle = 2 Fuß = «/lo Meter = 60 Centimeter; 1 Stab
= 2 Ellen == 4 Fuß = l^io Meter = 120 Centimeter; 1 Wegstunde
= 16,000 Fuß = 4800 Meter.
Flächenmaße. 1 Juchart = 400 Quadratruthen = 40,000 Quadratfuß
== 3600 Quadratmeter = 36 Are; 1 Quadratruthe r= 100 Quadratfuß = 9
Quadratmeter = 7ico Ar; 1 Quadratklafter =36 Quadratfuß = 3^25 Quadrat-
meter; 1 Quadratfuß r= 100 Quadratzoll = 7ioo Quadratmeter = 900 Quadrat-
centimeter; 1 Quadratstunde (geogr. Flächenmaß) == 6400 Jucharten = 2304
Hektare.
Körpermaße, a, Baummaße, 1 Kubikruthe = 1000 Kubikfuß = 27
Kubikmeter (Stere) oder 27,000 Kubikdecimeter ; 1 Kubikklafter — 216 Kubik-
fuß = 58^71000 Kubikmeter oder 5832 Kubikdecimeter; 1 Kubikfuß oder 1000
Kubikzoll = *7iooo Kubikmeter oder 27 Kubikdecimeter.
6. Hohlmaße ßr trockene Körper, 1 Malter =10 Sester (Maß oder
Viertel) =r= 172 Hektoliter oder 150 Liter; 1 Sester = 10 Immi =15 Liter;
V2 Sester = 5 Immi = 77« Liter; 7* Sester (Vierling) = 27« Immi = 374
Maß und Gewicht — 400 — ' Maß und Gewicht
Liter; 1 Imrai = Yio Seater = 172 Liter; V2 Ininp = y^o Sester = ®/4 Liter;
1 Mäßlein =-= "/le Sester r^ '^le Liter.
c. Hohlmaße für Flilssif/ketlcn, 1 Saum = 100 Maaß =150 Liter;
1 Eimer (Brente) = 25 Maaß = 3772 Liter; 1 Maaß = Vioo Saum = IV«-
Liter ; 1 Halbmaaß (Flasche) = 7* Liter ; 1 Viertelmaaß (Schoppen) = '^/s Liter ;
1 Halbschoppen = ^/la Liter.
Gewichte. 1 Zentner = 100 Pfund = 50 Kilogramm; 1 Pfund = 32
Loth = 500 Gramm; 1 Halbpfund = IG Loth = 250 Gramm; 1 Viertel-
pfund = 8 Loth =125 Gramm; 1 Achtelpfund = 4 Loth = 6273 Gramm;
1 Unze ^^ 2 Loth = 317* Gramm; 1 Loth rrr^ 4 Quintchen = 15*/8 oder
15,625 Gramm; 1 Uuintchen — 8^^/32 oder 3906 7* Milligramm.
Vergleichung der metrischen Maße und Gewichte mit den
schweizerischen Maßen und Gewichten von 1835/38 — 1868/77.
Längenmaße. 1 Meter oder 1000 Millimeter = 378 Fuß; 1 Decimeter
oder 100 Millimeter -^ 3^^ Zoll; 1 Centimeter oder 10 Millimeter = 37» Linie;
1 Millimeter = 373 Strich; 1 Dekameter = 10 Meter = 3378 Faß; 1 Hekto-
meter = 100 Meter = 33373 Fuß —■ 748 Stunde; 1 Kilometer z= 1000 Meter
= 333373 Fuß = 724 Stunde; 1 Myriameter = 10,000 Meter = 33,3337s
Fuß = 2712 Stunden.
Flächenmaße. 1 Hektar =r^ 100 Are == 10,000 Quadratmeter =: 27»
Juchart = 1111 79 Quadratruthen = 111,11179 Quadratfuß; 1 Ar = 100
Quadratmeter = 7»« Juchart = 1 1 7» Quadratruthen = 1 1 1 1 79 Quadratfuß ;
1 Quadratmeter = 11 7o Quadratfuß = 1111 79 Quadratzoll.
Körpermaße. 1 Kubikmeter (Ster) r= 10 Hektoliter =: 37727 Kubik-
fuß; 1 Hektoliter oder 100 Liter = 6673 Maaß; 1 Halbhektoliter oder 50
Liter = 3373 Maaß; 1 Doppeldekaliter oder 20 Liter — 13 73 Maaß; 1 Deka-
liter oder 10 Liter — 67» Maaß; 1 Halbdekaliter oder 5 Liter ::-= 37.3 Maaß;
1 Doppelliter oder 2 Liter = 1 73 Maaß; 1 Liter = 73 Maaß; 1 Halbliter
= 7» Maaß; 1 Doppeldeci liter = 71» Schoppen; 1 Deciliter = 7^^ Schoppen;
1 Halbdecilittr ^^ 7i5 Schoppen; 1 Doppelcentiliter -^ ^/ib Schoppen; 1 Centi-
liter = ^/ib Schoppen ; 4 Kubikmeter (Brennholzmaß) = 148727 Kubikfuß ;
3 Kubikmeter r-^- III727 (79) Kubikfuß; 2 Kubikmeter = 74727 Kubikfuß.
Gewichte. 1 Kilogramm oder 1000 Gramm ::= 2 Pfund oder 64 Loth;
72 Kilogramm (oder 5 Hektogramm) oder 500 Gramm = 1 Pfund oder 32
Loth; 2 Hektogramm oder 200 Gramm = ^/b Plund oder 127^ Loth; 1 Hekto-
gramm oder 100 Gramm = 7* Pfund oder 675 Loth; 5 Dekagramm oder 50
Gramm = 37b Loth; 2 Dekagramm oder 20 Gramm =- 1725 Loth; 1 Deka-
gramm oder 10 Gramm = *72^ Loth; 5 Gramm oder 5000 Milligramm = 72s
Loth; 2 Gramm oder 2000 Milligramm = ^^/i2b Loth; 1 Gramm oder 1000
Milligramm -— 7126 Loth; 5 Decigramm oder 500 Milligramm = ^/\2b Loth;
2 Decigramm oder 200 Milligramm :^~r 7e25 Loth; 1 Decigramm oder 100 Milli-
gramm rr= 7625 Loth.
Abkürzungen der Bezeichnungen der metrischen Maß- und Ge-
wichtsgrößen, vom schweizerischen Bundesrath angeordnet durch Beschluß
vom 1. Juni 1880 (A. S. n. F. 5, Seite 90).
Läiufenmaße. Kilometer — km., Meter =^ m., Decimeter ^= dm., Centi-
meter =: cm., Millimeter - - mm., Mikron (0,001 mm.) = n,
Fffichenmaße. Quadratkilometer = km'^., Hektare = ha.» Are ^= a.,
Macliia ' — 401 — Majenapfel
Quadratmeter = m^., Quadrat decirneter = dm^., Quadratcentimeter = cm^.,
Quadratmillimeter = mm^.
Körpermaße, Kubikmeter == m"*., Stere = s., Kubikdecimeter = dm*.,
Eubikcentimeter = cm*., Eubikmillimeter = mm*.
Hohlmaße, Hektoliter = bl., Dekaliter = dal., Liter = 1., Deciliter
= dl., Centiliter = cl.
Gewichte. Tonne = t., Metr. Zentner = q., Kilogramm = kg., Gramm
== g., Decigramm = dg., Centigramm = cg., Milligramm = mg.
Machia. Bunter Marmor, der in Arzo (Tessin) vorkommt.
Madapolams. Feines, dicbtes Baumwollgewebe. Exportartikel.
Madeleine angevine. Die früheste weiße Tafeltraube in der Schweiz.
Madeleine royale. Eine frühe weiße Spaliertraube.
Madrastficher (Mouchoirs Madras). Mehrfarbig carrirte BaumwolltUcher,
wozu die Muster ursprünglich vermuthlich aus Madras importirt wurden. Export-
artikel.
Mälzer s. Bierbrauerei, Seite 251 oben, I. Band.
Magdalenebirne, grüne, ein Wirthschaftsobst (Sommerfrucht) dritten
Ranges, auch große Heubirne und Jakobsbirne genannt, ist überall zu finden.
Ungewöhnliche Fruchtbarkeit ist dieser Sorte eigen. („Schweizerische Obstsorten**,
Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhorn in St. Gallen.)
Magenbitter. Ein von Apotheker Aug. F. Dennler in Interlaken 1860
erfundener Liqueur, mit dessen Zubereitung in verschiedenen Qualitäten und Zu-
sammensetzungen sich jetzt ca. 20 Firmen befassen.
Maggiabrücke. An die Wiederherstellung der in den dOer Jahren letzt-
mals konstruirten großen steinernen Brücke über die Maggia (bei Ascona, Bezirk
Locarno) bewilligte die Bundesversammlung durch Beschluß vom 19. Juli 1869
(A. S. Bd. 10, p. 861) dem Kanton Tessin einen Beitrag von Fr. 188,000.
Kostenvoranschlag Fr, 563,650. Der Neubau ist (Mitte 1887) noch nicht in
Angriff genommen.
Magglingen-Biel. Die Drahtseilbahn von Biel nach Magglingen, welche
das Eigenthum einer Aktiengesellschaft ist, wurde am 1. Juni 1887 eröfiPnet.
Die Bahnlänge beträgt, horizontal gemessen, 1640 m, die Maximalsteigung 82 ^/o.
üeber die Betriebsresultate fehlen zur Zeit Angaben. Die Einnahmen im Juni
1887 erreichten im Ganzen Fr. 8487.
Mais 8. Seite 713 und 725 im 1. Band. Einfuhr im Jahresdurchschnitt
1876/84: brutto 280,793 q, 1885: netto 250,026 q ä Fr. 17. 50, 1886: netto
279,046 q ä. Fr. 17, und zwar 91,699 q aus Deutschland, 60,553 q aus Italien,
53,687 q aus Oesterreich, 31,773 q aus den Ver. Staaten von Nordamerika,
15,917 q aus Frankreich, 11,779 q aus Rußland, 7865 q aus Belgien, 3094 q
aus den Donauländem, 1556 q aus Argentinien, 1123 q aus verschiedenen
Ländern. — Ausfuhr 1885: netto 490 q ä Fr. 19 53, 1886: netto 308 q ä
Fr. 20. 30, das meiste nach Deutschland.
Majenapfel, saurer, Wirthschaftsobst ersten Eanges (Winterfrucht), auch
Majech vom Jura, Majecher (Aargau), Maj'cher (Baselland) und Manch' er (Basel-
stadt) genannt, nahm seinen Ursprung wahrscheinlich im Jura ; jetzt ist die Sorte
in den Kantonen Aargau, Solothum, Baselland heimisch. Sie gedeiht fast in jeder
Lage und findet sich z. B. auf dem Hauenstein in einer absoluten Höhe von
2072 Fuß. Der Majenapfelbaum trägt regelmäßig alle zwei Jahre reichlich.
(„Schweizerische Obstsorten**, Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhorn in
8t. Gallen.)
Furrcr, Volkswiith&chafta-Lexikon der Schwel». <^<^
Majolika — 402 — Marchands-Taüleurs
Majolika s. Thonwaaren.
Makobaumwolle. Durch Samen von Sea Island veredelte egyptische
Baumwolle. Dieselbe spielt in der Schweiz. Baumwollspinnerei seit den 20er Jahren
des laufenden Jahrhunderts, d. h. seit die Schweiz. Baumwollspinnerei feinere
Garne erzeugt, die Hauptrolle.
Malerei s. „Flach- und Dekorationsmaler**, sowie ^Kunst**.
Malingre, pr^coce. Frühreifende, überaus fruchtbare weiße Tafeltraube
mit etwas kleinen, leicht faulenden Beeren. Gredeiht auch im freien Weinberge
recht gut. Kr,
Malmkalkstein von bedeutender Festigkeit birgt hauptsächlich der Lägern-
steinbruch bei Regensberg.
Maloja-Chiavenna-Bahn. Konzessionsertheilung in der Wintersession 1885.
Höchstgelegene Bahn Europas.
Malojastrasse s. „Obere Straße über Julier und Maloja**.
Malvasier, rother, italienischer, auch frührot her Veltliner. Vorzüg-
liche, dichtgebeerte, ziemlich früh reifende Tafeltraube. Der Kebstock ist sehr
starktriebig und muß, wenn er regelmäßig tragen soll, mit langem altem Holze
erzogen werden. £r paßt daher am besten an hohe Mauern und Wände und ist
an solchen außerordentlich fruchtbar. Kr,
Malvoisie blanche. Weinsorte, welche bei Martigny im Wallis gedeiht.
Der Stock der Rebe ist von mittlerer Stärke; die Traube ist klein, gelb und
mittelfrüh reifend. Kr,
Malvoisie rose. Im Wallis Bezeichnung für Ruländer und Tokajerwein.
Malz. Die ca. 400 in Betrieb stehenden Bierbrauereien der Schweiz ver-
wenden zu ca. 1 Million Hektoliter Bier jährlich ungefähr 290,000 q Malz,
wovon ca. 45 ^/o oder 130,000 q in den Brauereien selbst bereitet werden.
Im Handelsregister waren Ende 1884 5 Malzfabriken eingetragen, wovon
2 Baselstadt, 1 Aargau, 1 St. Gallen, 1 Zürich.
Einfuhr von Malz im Jahresdurchschnitt 1855/64 : brutto 16, 1 85 q, 1865/74 ;
brutto 46,690 q, 1875/84: brutto 122,713 q; im Jahre 1885: netto 129,161 q
ä Fr. 32; im Jahre 1886: netto 165,550 q ä Fr. 30. 25, und zwar 150,709 q
aus Oesterreich, der Rest aus Deutschland, Frankreich und Italien. — Ausfuhr
im Jahresdurchschnitt 1877/84: brutto 961 q, 1885: netto 113 q, 1886: netto
166 q ä Fr. 30. 70.
Malzextrakte in vielen Varietäten zum diätetisch-medizinischen Grebrauche
werden namentlich in einer Berner Fabrik (Dr. G. Wander, seit 1866) hergestellt,
außerdem auch von einigen Apotheken.
Malzzucker. Birkhäuser's Adreßbuch (Basel, 1885) verzeichnet 4 Malz-
zuckerfabriken, wovon 3 im Kanton Bern, 1 im Kanton Schaffhausen.
Mangan s. Metalle.
Mangansalze, wie das Chlorür, Sulfat und Acetat werden in geringen
Mengen in der Färberei und dem Zeugdruck verwendet und zum Theil auch in
der Schweiz hergestellt.
Manufaktur-, Tuch- und Ellenwaarengeschäfte. Im Handels-
register waren Ende 1884 ca 3000 Geschäfte dieser Art eingetragen. Sie bilden
9,4 ®/o aller eingetragenen Firmen und sind die stärkste Gruppe nach den
Kolonial- und Spezereiwaaren.
Marceline. Ein Hauptartikel der zürcherischen Seidenindustrie. Verwendung
zur Blumenfabrikation, zu Heiltaffet, Schirm- und Hutfutter etc.
Marchands-Tailleurs s. „Kleider*".
Margarin — 403 — Martinsbirne
Margarin 8. Kunstbutter. Als „Margarine** bezeichnet das deutsche Reichs-
gesetz vom 12. Juli 1887 diejenigen der Milchbutter ähnlichen Zubereitungen,
deren Fettgehalt nicht ausschließlich der Milch entstammt. Außer den im Artikel
^ Kunst butter*" erwähnten Kantonen Graubünden und Zürich hat auch der Kanton
Glarus eine Verordnung betreffend die Kunstbutter, d. d. 2, Juni 1886, erlassen.
Auch da darf nur die aus Milch oder Rahm ohne jeglichen Zusatz bereitete
Butter als „Butter" oder „reingesottene Butter" in den Handel gebracht werden.
Marmor. Die südliche Schweiz, speziell das Gebiet der Kantone Wallis
und Tessin, ist reich an herrlichen Marmorsorten, die zwar im Lande selbst noch
lange nicht nach Gebühr verwerthet und ausgebeutet werden. Von ganz hervor-
ragender Schönheit sind folgende Sorten : Schwarze Breccie, Ste-Anne suisse und
Portor aus den Brüchen bei Mnraz (Station Monthey, Wallis), Arvel, Rouge
jaspe und Chable rouge von Doret in Vevey (Waadt), Cipoline von Saillon ;
ferner die bunten Marmore von Arzo, welch' letztere ihr Absatzgebiet bis jetzt
hauptsächlich in Norditalien hatten, aber auch an vielen Gebäuden in Lausanne
und Bellinzona etc. zu finden sind. Auch die brecciosen Marmorsteine des Kantons
Tessin sind von großer Schönheit und werden vermittelst der Gotthardbahn ver-
muthlich sehr bald den Weg in die übrige Schweiz und weiter nördlich finden.
Nach der Rohprodukten kärt6 von Weber und Brosi (Verlag von J. Wurster
& Cie. in Zürich) waren um 1882/83 Marmorbrüche im Betrieb:
im Kt. Graubünden : bei St. Anna, Cresta, Hinterrhein, Präsanz, Savognin
und Vrin ; im Kt. Tessin : bei Meride und Rancate ; im Kt. Uri : bei
Andermatt; im Kt. Waadt: bei St- Triphon und Villeneuve; im Kt. Wallis:
bei la Bätiaz, Evouettes, Leytron, St- Maurice, Monthey, Muraz und Saillon.
Früher besaßen auch Marmorbrüche die graubündnerischen Ortschaften
Inner-Ferrara, Silgin und Splügen, sowie die schwyzerischen Orlschaften Mor-
schach, See wen und Trachslau.
Einfuhr:
JahreRdurch- ,oj.„ -„e^
Hchnitt 1872 81 '^**^'* ^**^^
brutto 7 brutto netto
Marmor und Alabaster, roh, in Blöcken . . . q 6525 10635 13004 ä Fr. 10. —
in Platten, nicht polirt , 3469 2232 3458 , , 19. —
polirt 1333 593 246 , „ 30. —
Steinhauer- u. Sleindrechslerarbeiten aus Marmor , ? ? 671, ,16. —
Ausfuhr:
18H3 1884 1885
bratio brutto netto
Marmor und Alabaster, roh, in Blöcken . . . q 5072 13718 3829 ä Fr. 6. 59
in Platten, nicht polirt ,322 267 461 , , 23. 19
, ' , polirt ......... 588 533 242 . , 67. 05
Steinhauer- u. Steindrechslerarbeiten aus Marmor , ? ? 830 , , 71. 03
Im Handelsregister waren Ende 1884 41 Marmor- und Marmorwaaren-
geschäfte eingetragen, davon 6 als Steinbruchausbeuter (5 Waadt, 1 Freiburg),
30 als Marmoristen und Marmorindustrielle, Rest als Handlungen.
Birkhäuser^s Adreßbuch (Basel, 1885) gibt die Adressen von 34 Marmor-
industriellen.
Maroquinerie. Diesen Geschäftszweig betreiben laut Handelsregister die
Firmen Alb. Marfort in Basel und J. Lambelly in Estavayer.
Martinsbirne, ein Wirthschaftsobst (Winterfrucht) ersten Ranges, ist eine
alte französische Frucht, die bei uns vornehmlich in altem Herrschaftsgärten,
doch auch da und dort ziemlich allgemein in Obstgärten zu treffen is^t« l^^t
k
Marxenbirne — 404 — Maschinenindastrie
Banm wächst mäßig, kommt auch in etwas rauherer Lage und in minder gutem
Boden fort und ist meist sehr fruchtbar. (^»Schweizerische Obstsorten*, A'erlag
der Lithogr. Anstalt J. Tribelhorn in St. Gallen.)
Marxenbirne, Wirthschaftsobst zweiten Ranges (Serbstfrncht) , auch
Schwarzbime, Märxler und Spätler genannt, ist im ganzen Kanton Zürich und
in den angrenzenden Kantonen stark verbreitet. («Schweizerische Obstsorten*' >
Verlag der Lithogr. Anstalt J. Tribelhorn in St. Gallen.)
Marzilibahn in Bern. Die Drahtseilbahn Marzili - Stadt Bern ist das
Unternehmen einer Aktiengesellschaft. Betriebseröffiiung den 18. Juli 1885.
Bahnlänge 105 m. Spurweite 0,750 m. Maximalsteigung 302 ^/oo. Rollmaterial
2 Personenwagen mit zusammen 28 Sitzplätzen. Betriebspersonal im Jahre 1885
5 Mann. Aktienkapital Fr. 60,000.
Verkehr im Jahre 1885: Mit 189,5 täglichen Zügen a 2 Achsen wurden
bis Ende des Jahres 100,874 Personen befördert.
Finanzielles Betriebsergebniß im Jahre 1885: Einnahmen aus
dem Personentransport Fr. 8149; verschiedene Einnahmen Fr. 2379; Gesammt*
einnahmen Fr. 10,528. Betriebskosten im Ganzen Fr. 7570.
Maschinenindustrie. Die Maschinenindustrie hat sich in der Schweiz trotz
des beinahe gänzlichen Mangels der nöthigsten Rohstoffe und Halbfabrikate,
als Eisen, Stahl, Messing, Kupfer, Rohguß etc., im Verlauf eines halben Jahr-
hunderts in wahrhaft glänzender Weise entwickelt. Dieselbe produzirt heute für
ungefähr 35 Millionen Franken jährlich, wovon ca. 19 Millionen für den Export,
und beschäftigt ca. 12,000 Arbeiter,*) welche 13 Millionen Franken Lohn beziehen.
Im Jahre 1860 besaß diese Industrie noch kaum Vs ihres jetzigen Umfanges.
Ihre Größe verdankt sie vor Allem der großartigen Entwicklung der schweize
rischeu Textilindustrie, die denn auch unmittelbar zur Gründung der ersten und
größten schweizerischen Maschinenfabrik, derjenigen von Escher Wyß dt Cie. in
Zürich, Veranlassung gegeben hat, indem sich Joh, Caspar Escher in den ersten
Jahren dieses Jahrhunderts mit Erfolg bemühte, englische Spinnmaschinen
für die Einrichtung einer eigenen Spinnerei selbst zu bauen. Im Jahre 1807
kamen die ersten von ihm konstruirten Maschinen in der ^ Neumühle *" in Zürich
in Betrieb. Nach und nach wurden auch Spinnmaschinen für Andere geliefert.
Sein Sohn Albert führte Ende der 20er Jahre neue Konstruktionszweige ein und
brachte das Etablissement bald zu großer Blüthe. Das Spinnmaschinenfach bildete
später besonders auch eine Spezialität der Firma Johann Jakob liieier (nun
J. J. Rieter & Cie.) in Winterthur, welches Etablissement im Jahre 1826 ebenfalls
mit dem Spinnmaschinenbau eröffnet wurde und sich später mit großem Erfolg
auch auf die übrigen Gebiete der Maschinentechnik warf; heute ist diese
Firma die einzige, welche sich mit der Einrichtung ganzer Baumwollspinnereien
befaßt. Bestandtheile von Spinnmaschinen liefern außer ihr eine Reihe anderer
Konstruktions Werkstätten.
Durch die Konstruktion von Webmaschinen haben sich seit den 40er
Jahren besonders die Firmen Kaspar llonetjger in Rüti und J. J. Bieter dt Cie,
M Die eidg. Berufsstatistik vom 1 Dezember 1860 gibt für den Maschinen- und
MQhlenbau 0893 erwerbsthätige Personen an (387 Maschinen- Ingenieurs und -Techniker
nicht inbegriffen) = 7,6 ^to aller Heruftreibenden. Auf die Kantone trifft es: 3638 Zürich,
839 St. Gallen. 7«>7 Bern, 631 Thurgau, 613 Solothurn, 573 Aargau, 409 Genf, 361
Baselstadt, 351 Schaffhausen, 348 Waadt, 325 Luzern, 282 Neuenburg, 212 Appenzell A.-Rh.,
156 Baselland, 119 Glarus, 98 Freiburg, 55 Graubünden, 49 Schwyz, 43 Wallis, 39 Tessin,
25 Zug, 7 Nidwaldeu, 5 Appenzell I.-Rh., 4 Obwalden, 4 Uri. S. auch am Schluß dieses
Artikels die Fabrikstatistik.
Maschinenindustrie — 405 — Maschinenindustrie
in Winterthur ausgezeiclmet ; außerdem werden solche in zahlreichen kleineren
Werkstätten fabrizirt.
Der Stickmaschinenbau beschäftigt ungefähr ein halbes Dutzend größere
Maschinen Werkstätten ganz oder theilweise, worunter namentlich die Maschinen-
werhsiäiie St. Georgen, Saurer & Söhne in Arbon, F. Martini dt Cie, in
Frauenfeld, Gebrüder Benninger in NiederuzwiK J, J, Rieter dt Cie, in Winter-
thur etc. Obschon von Josua Heilmann in MUhlhausen erfunden (1827) ist die
Plattstich-Stickmaschine doch mehr ein schweizerisches als fremdes Produkt, da
mit den ersten Heilmann 'sehen Maschinen sozusagen nichts anzufangen war. Erst
die viel jährigen, zähesten Bemühungen des Herrn Hange und der Herren Bitt'
meyer in St. Gallen brachten, unter Mithülfe des geschickten thurgauischen
Mechanikers Vogel, eine Reihe der uoth wendigsten Aenderungen und Verbesse-
rungen der Originalmaschine und damit ein brauchbares, allgemein verkäufliches
Handelsprodukt zu Stande. Auch später noch kamen durch ostschweizerische
Mechaniker und Fabrikanten eine Reihe von Verbesserungen und Vervollkomm-
nungen hinzu, bis die Maschine zur heutigen vielseitigen Leistungsfähigkeit ge-
langte. Eis jetzt wurden in der Schweiz über 25,000 Handstickmaschinen im
Werthe von ca. 50 Millionen Franken gebaut. Mit dem Bau von Stickmaschinen
sind in der Ostschweiz gegen 2000 Arbeiter beschäftigt.
Die neueste, von der Spuhle, also mit fortlaufendem Faden stickende sog.
Schifflistickmaschine mit Dampfbetrieb ist in ihrer Grundidee eine Er-
findung des Herrn J. Gröbli in Uzwil, der seine Maschine mit Hülfe von Sticke
fabrikant J. Wehrli in St. Fiden und von J. J, Rieter & Cie, zur vollen Aus-
führung und Leistungsfähigkeit brachte. Eine andere Konstruktion wurde mehr
oder weniger unabhängig von Saurer dt Söhne in Arbon erzielt. Ein drittes*
neuestes System haben F. Martini dt Cie. in Frauenfeld erfunden. Bis End-
1884 sind gegen 800 Schifflimaschinen gebaut worden.
Die Kettenstich-Stickmaschine ist eine Erfindung des Franzosen
Bonnaz und wird in vervollkommneter Form, einnadlig und mehrnadlig, heute
noch vornehmlich von französischen Fabrikanten bezogen.
Strickmaschinen vorzüglicher Art ei-stellt die Schaff hauser Strick-
maschinenfabrik.
Neben der Textilindustrie sind es, abgesehen von reinen Motoren, namentlich
die Mühlenindustrie, die Landwirthschaft, die Papier- und Holzstofffabrikation,
Holzbearbeitungsindustrie, Uhrenindustrie etc., welche einen großen Theil der
schweizerischen Maschinenindustrie beschäftigen. Die Walzenstuhle von
Wegmann, die Dresch- und Futterschneidmaschinen etc. von Johs,
Rauschenbach in Schaffhausen, die Papiermaschinen und Holzschleif-
maschinen von Theod. Bell & Cie. in Kriens und Escher Wyß dt Cie. in
Zürich, die Werkzeugmaschinen der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon
u. s. w., die Dynamomaschinen von Bürgin, Hipp, der Societi genevoise
pour la construction des instrtiments de physique, von Meuron dt Cuenoud,
der Zürcherischen Telephongesellschaft etc. haben im In- und Ausland den Ruf
der Vorzöglichkeit und es bietet deren Fabrikation wiederum mehreren Tausenden
intelligenter Arbeiter Beschäftigung.
Im allgemeinen Fache der Dampf- und Wassermotoren aller Art
weist die Schweiz, das Land der Wasserkräfte, ihre eigenartigsten, zum Theil
bahnbrechenden maschinentechnischen Leistungen auf. Mit dem Bau von Dampf-
kesseln und Dampfmaschinen begannen Escher Wyß dt Cie. gegen
Ende der 30er Jahre, Gebrüder Suleer mit dem Bau der Dampfkessel gegen
MaschineDindustrie — 406 — Maschinenindustrie
Ende der 40er Jahre, mit dem der Dampfmaschinen 1854. Ihnen folgten Th, Bell
dt Cie. in Krieos, Burhhardi & Cie, in Basel, Marcuard in Bern, Socin dt Wich
in Basel (1861), Berchtold in Thalweil (1871), Lohomotiv- und Maschinen-
fabrik in Winterthur (1872) etc.
Unter den eigenartigen schweizerischen Konstruktionen von Dampfmaschinen
ragt namentlich die 1866 erfundene epochemachende Su/xrer^sche Ventil-
maschine hervor, die 1867 in Paris die höchste Auszeichnnng erhielt und
wovon dann viele Hunderte vom Erfinder und von Nachahmern erstellt wurden.
Im Jahre 1875 führte die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik
in Winterthur Ventilmaschinen ein, hei welchen die Ventile durch Hehel statt
Federn geschlossen werden. Außerdem sind von schweizerischen Ingenieuren resp.
Maschinenfabriken eine Reihe von Erfindungen und Verbesserungen ausgegangen.
Turbinen werden seit den 30er und 40er Jahren hauptsächlich von
Escher Wyß dt Cie. in Zilrich, Cr, Roy <& Cie, in Vevey, J. J. Bieter dt Cie.
in Winterthur, Socin dt Wick in Basel etc. gebaut. Zuppinf^er, Konstrukteur
bei Escher Wyß & Cie., baute 1864 das erste Tangentialrad, auch
Znppinger- oder Zupper-Rad genannt, das später von der Girardturbine verdrängt
wurde.
Als Frucht einer Konkurrenzausschreibung der Stadt Zürich im Jahre 1871
erfand A, Schmid in Zürich seinen Kolbenwassermotor, dazu bestimmt»
den Druck des Wassers der neuen Wasserversorgung als Kraft für das Klein-
gewerbe zu verwerthen. Die nützliche Maschine fand rasche Verbreitung und
wird nun auch zum Betrieb großer Fabriken verwendet.
Gaskraftmaschinen nach dem Deutzersjstem liefern seit 1872 Burk»
hardt dt Cie, in Basel, nach eigenem System seit 1880 Martini (t Cie, in
Frauenfeld ; Heißluftmaschinen, nach Rider konstruirt, fabrizirt seit
1878 Schaufelber<jer in Wald (Zürich).
Hydraulische Aufzüge und Pressen, Hebmaschinen etc.
liefert Rud, Rieter in Winterthur, Wassermesser nach eigener Erfindung
A, Schmid in Zürich ; Pumpwerke für Wasserversorgungen führen namentlich
Qebr. Sulzer in Winterthur aus, Transmissionen, besonders für Drahtseile»
in großem Styl J. J, Rieter dt Cie, in Winterthur.
Spezieller Erwähnung bedürfen auch die bedeutenden Leistungen von Escher
Wyß dt Cie, im Gebiete des Schiffsmaschinenbaues. Bis 1883 sind
von dieser Firma für das In- und Ausland über 400 Schiffsmaschinen geliefert
worden.
Eben »o hervorragend sind die Leistungen von Gebrüder Salzer speziell
im Fache der Gießerei.
Eine Hauptschwierigkeit bietet für die schweizerische Maschinenindustrie
einerseits der kostspielige Bezug des Rohmaterials und vieler Halbfabrikat« vom
Auslande, anderseits die Schutzzollpolitik des Auslandes nebst den großen Transport-
spesen für das fertige Fabrikat und die dadurch bedingte nothgedrungene Ein>
schränkung auf das kleine inländische Absatzgebiet. Ihre Konkurrenzfähigkeit im
Auslande beschränkt sich daher in der Regel auf kompUzirtere Konstruktionen,,
bei welchen die Kosten des Rohmaterials, der 2k>ll und die Transportspesen in
kleinerem Verhältnisse zum Werthe stehen, als dies bei gewöhnlichen Maschinen
der Fall ist.
Vorzügliche Bildungsmittel für Maschinen-Ingenieure bietet das eidg. Poly-
technikum in Zürich (s. dieses).
Maschinenindustrie — 407 — Maschinenindustrie
Einfuhr und Ausfuhr. Das Wacbsthum des MaHchinenbedarfes und der
ElrzenguDg von Maschinen in der Schweiz wird auch trefflich durch die Auf-
zeichnungen der Waarenverkehrsstatistik illnstrirt. Die Lokomotive ausgenommen,
welche bis 1877 unter ^Eisenbalinmaterial*' rnbrizirt wurde, betrug die
im Jahresdurchschnitt 1851/59
1860/69
1870/79
1880/84
„ Jahre 1885 63,310
„ 1886 72,148
Der Werth des Maschinenumsatzes mit dem Auslande beziffert sich (Kratzen,
Kratzenbe^chläge und Treibriemen nicht inbegriffen) im Durchschnitt der Jahre
1885 und 1886 auf ca. 21^1% Millionen Fr., wovon ca. Fr. 19'200,000 (70 7o)
Ausfuhr und ca. Fr. 8' 300,000 (30 ^o) Einfuhr. Der Antheil jeder Maschinen-
gattung ergibt sich aus folgender Zusammenstellung .
Einfuhr
Auffuhr
13,734 q
19,739 q
30,677 „
32,068 «
59,467 ,
91,135 „
58,176 „
164,590 .
63,310 „
188,518 ,
72,148 .
156,678 „
Einfuhr Ausfuhr
860,000
209,000
2727,000
3'469,000
26,000
132,000
1*849,000
2*485,000
315,000
112.000
531,000
787,000
38,000
51,000
346,000
471,000
155.000
80,000
334,000
965,000
3,000
7,000
10,000
28,000
1,000
18,000
7,000
100
807,000
754,000
190,000
283,000
1886 1885 188G 1885
Nicht speziell genannte Maschinen und Ma-
schinentheile 6*632,000 6*403,000 11*735,000 12*203,000
Müllerei- u. landwirthschaftliche Maschinen
Webstühle und Webereimaschinen . .
Lokomotive
Dampfkessel
Stickmaschinen
Lokomobile
Eiserne Konstr. für Brücken und Gebäude
Roh vorgearbeitete Maschinentheile . .
8*837,000 7*766,000 17*729,000 20*691,000
Die Differenz zwischen der Ausfuhr von 1886 und derjenigen von 1885
(Fr. 2*962,000) soll, wie der Verein schweizerischer Maschinenindustrieller sich
ausdruckt, mindestens dem Jahresumnatz eines Etablissements gleichkommen das
1000—1500 Arbeiter beschäftigt.
Von der 1886er Ausfuhr trifft es 80 ®/o auf die vier Nachbarstaaten,
nämlich 25,5 7o Italien, 24 7o Deutschland, 1 8 ^o Frankreich, 12,5 »/o Oester-
reich. Hierauf folgt Rußland mit 6 ^Of England mit 3 ^o, Spanien und Belgien
mit je 2 ^o* Der Rest entfällt hauptsächlich auf die südamerikanischen Staaten.
Von der 1886er Einfuhr kommen 88 ®/o auf die vier Nachbarstaaten
(Deutschland 70 7o, Frankreich 14 7o, Italien 2 "/o, Oesterreich 2 7o), 10,5 7o
auf England.
Dem Schweiz. Fabrikgesetz sind Ende 1887 118 Maschinenfabriken und
mechanische Werkstätten mit 8413 Arbeitern und 2216 Pferdekräften unterstellt.
Es macht dies 3,3 7o all^r dem Gesetz unterstellten Etablissemente und 5,7 7o
der Arbeiter. Nicht inbegriffen sind die Werkstätten für Kleinmechanik, sowie
die Reparaturwerkstätten für Eisenbahnmaterial.
Jene 118 Etablissemente und 8413 Arbeiter repartiren sich wie folgt auf
die Kantone :
Kanton
Arb.
KUbl.
Durchschn.
d.Arb. p. Et.
Kanton
Arb.
Etabl.
Durchschn.
d. Arb. p. El.
Zürich . . .
. 4597
31
148
Lnzem . .
. 373
2
186
Thurgau
968
6
161
Bern .
. 296
15
20
St. Gallen .
625
15
41
Schaffhausen .
. 261
4
65
Baselstadt . .
448
10
45
Waadt . .
. 173
6
29
Maschinen-Ingenieure — 408 — Medizinalpfianzen
Solothurn .... 169 3 56
Aargau .... 143 7 20
Genf 91 7 13
Glarus 89 2 45
Graubünden ... 55 3 18
Preibnrg . . .
Tessin . . . .
Appenzell A. Rh.
Neuenburg
Baselland .
42 2 21
26 1 26
20 2 10
20 1 20
17 1 17
Maschinen-Ingenieure und «Techniker. Die eidg. Berufsstatistik von
1880 verzeichnet deren 387, wovon 217 Zürich, 36 Baselstadt, 23 Bern, 19
Luzern, 16 St. Gallen, 13 Thurgau, 12 Waadt, 10 Schaffhausen, 8 Solothurn,
7 Wallis, 6 Genf, 5 Aargau, 5 Glarus, 4 Graubünden, je 1 Appenzell A.-Rh.,
Basel land, Schwyz, Tessin.
Mascliinenstrickerei s. Strickerei. In Bern besteht eine vom Bernischen
Verein für Kleinindustrie gegründete und von der Regierung subventionirte
(1887 : Fr. 500) Maschin enstrickschule.
Matelasse. 1) Ein halbbaumwollenes und halbseidenes Gewebe, das von
den großen einheimischen Schuhfabriken zu Damenschuhen verwendet wird. Wird
in der Schweiz in ungenügenden Mengen fabrizirt. 2) Ein stark importirter
halbseidener, fa^onnirter Damenmantelstoff. In der Schweiz wenig verfertigt.
Matratzenfabrikation. Mit diesem Geschäftszweig befaßten sich im Jahre
1880, abgesehen von den Tapezierern und Sattlern, 759 Personen.
Maulthiere und Maulesel. Ausfuhr im Jahresdurchschnitt 1872/81 :
121 Stk., 1884: 77 Stk., 1885: 40 Stk. ä Fr. 384 nach Italien und Frank-
reich. — Einfuhr im Jahresdurchschnitt 1872/81: 129 Stk., 1884: 37 Stk.,
1885; 47 Stk. ä Fr. 396 aus Italien und Frankreich.
Maurer und Gypser. Am 1. Dez. 1880 wurden in der Schweiz 21,294
Maurer und Gypser gezählt, worunter 5963 Ausländer. Die Zahl 21,294 ver-
theilt sich auf die Kantone wie folgt: 4367 Tessin, 2544 Zürich, 2524 Bern,
1506 Waadt, 1206 Genf, 1177 Aargau, 113« St. Gallen, 841 Baselstadt, 714
Solothurn, 706 Neuenburg, 693 Thurgau, 677 Basellaud, 586 Freiburg, 569
Graubünden, 562 Luzem, 342 Wallis, 305 Schaffhausen, 164 Schwyz, 162
Glarus, 154 Appenzell A.-Rh., 124 Zug, 67 Uri, 62 Obwalden, 55 Nidwaiden,
49 Appenzell I.-Rh.
Maybashseide kommt aus Japan.
Meclianiker. Birkhäuser's Adreßbuch (Basel, 1885) verzeichnet 840 Firmen
von Mechanikern und mechanischen Werkstätten.
Medizinalkonventionen. Konventionen behufs freier Äusübimf/ des äret-
liehen Berufes in den resp. Grenzgebieten hat die Schweiz abgeschlossen :
1) Mit Deutschland am 29. Febr. 1884 (A. S. n. F. 7, p. 446, frz. 402).
Vergl. hiezu Konvention zwischen Elsaß Lothringen und den Kantonen Basel
(Stadt und Landschaft), Bern und Solothurn, vom 20./29. November 1872
(A. S. 10, p. 1069, frz. 1006).
2) Mit Oesterreich am 29. Okt. 1885 (A. S. n. F. 8, p. 220).
3) Mit dem Fürstenthum Liechtenstein am 1. Juli 1885 (A. S. n. F. 8,
p. 226)-
Medizinalpflanzen, Gift- und Spezereipflanzen. (Mitgetheilt von Herrn
F. An der egg.) Medizinal- und Spezereipflanzen werden im Allgemeinen in der
Schweiz sehr wenig angebaut, obschon Boden und Klima für sehr viele Spezies
günstig wären. Fast alle bedeutsamen Arten der gemäßigten Zone kommen in
verschiedenen Gegenden der Schweiz wild vor. VorauFgesetzt, daß Derjenige, der
Arzneipflanzen anbaut, deren Kultur nud die rechte Zeir des Einsammelns kennt,
sowie die geeigneten Trockenapparate besitzt, fehlt ihm der Absatz an Droguisten,
Medizinalpflanzen — 409 — Medizinalpflanzen
Apotheker, Destillateure etc. nicht. Unsere Kleinbauern könnten auf diese Weise
ein hübsches Einkommen flnden, wie denn auch für viele Gegenden des Aus-
landes der Anbau von Arznei- und Spezereipflanzen eine Quelle des Wohlstandes
geworden ist (z. B. fdr Bamberg der Anbau von Süßholz, für Jena der Anbau
von Angelika und Alantwurzel, für Erlangen der Anbau von Eibisch, für
Sacbsen-Altenburg der Anbau von Kamillen, Lavendel, Bertramswurzel, Pfeifer-
münze und Krausemünze, für französische Gegenden der Anbau von Lavendel,
für viele Gegenden Englands der Anbau von Süßholz, Bilsenkraut, Eibisch, Stech-
apfel, Tollkirsche, Krausemünze, Fingerhut etc.).
In der Schweiz haben wir vorzüglich im Kanton Neuenburg den Anbau
von Wermitthj Melisse j Ysop und Krausemünze (meistens zum Zwecke der
Liqueurbereitung), in Rorschach den Anbau von Melissen zum Zwecke der
Syrupbereitung.
Außerdem würden sich zum Anbau in der Schweiz folgende unter diese
Eubrik zählende Pflanzen eignen :
Alant (Inula Helenium), in tiefgründigem, etwas feuchtem Erdreich ge-
deihend.
Althee oder Eibisch (Althete officinalis), in gutem, frachtbarem Sandboden
gedeihend. Alle Theile der Pflanze; Wurzel, Blätter, Stengel und Samen dienen
zu medizinischen Zwecken.
Angelika (Engelwurz; Archangelica officinalis), einen tiefgründigen, etwas
feuchten Boden liebend. Die zweijährigen getrockneten Wurzeln werden medizinisch
und auch zur Liqueurfabrikation verwendet. Auch die Samen werden zu medi-
ziniiüchen Zwecken benutzt.
Arnica oder Wohlverleih (Arnica montana), eine der lohnendsten Kulturen
für Moosboden, wie sie in solchem in höheren Lagen bereits wild vorkommt.
Die dreijährigen Wurzeln kommen zu medizinischen Zwecken in den Handel,
wie auch die Blätter und Blüthen.
Baldrian (Valeriana officinalis), einen etwas feuchten Mittelboden liebend.
Die getrockneten Wurzeln werden sehr gut bezahlt.
Beifuß (Artemisia vulgaris), einen sandigen, sehr trockenen Boden liebend,
wächst wild an Flußufern, Hecken und Schutthaufen. Blätter, Blüthen und
Wurzeln werden als Arzneimittel verwendet.
Belladonna (Tollkirsche 5 Atropa Belladonna), eine in den Wäldern des
Jura und in den Alpen wild wachsende Giftpflanze, welche in lehmigem, humus-
reichem Boden sehr gut gedeiht. Aus den Wurzeln, Blättern und Früchten be-
reitet man das Atropin.
Benediktenkraut (Geum urbanum), einen warmen, geschützten, wenn auch
eher schattigen Standort und tiefgründigen Sandboden liebend. Medizinisch sind
die schwach riechende Wurzel (ein Ersatzmittel des China) und die getrockneten,
mit Beginn der Blüthe abgeschnittenen Blätter.
Bertramswurz (Pyrethrnm Parthenium), fdr welche sich ein trockener,
etwas sandiger Boden eignet. Von dieser stark aromatisch riechenden Pflanze
ist nur die Wurzel offizineil.
Bilsenkraut (Hyosciamus niger), eine Giftpflanze, welche einen mageren
sandigen Boden erheischt. Medizinisch verwendbar sind die getrockneten Blätter
und der gereifte Samen.
Bittersüß (Solanum Dulcamara), am besten in feuchtem Boden längs den
Bach- und Flußufern gedeihend. Die einjährigen Zweige, im Herbste geschnitten
und getrocknet, kommen als Medizinalpflanzen in den Handel.
k
Medizinalpilanzen — 410 — Medizinalpflanzen
Cardobenediktenkraut {CnicvLs benedictus). Kraut und Fr'dchte sind medizinisch.
Eberwurzel (Carlino acaalis), am besten an sonnigen Bergabhängen ge-
deihend. Die Wurzel ist medizinisch und wird per Meterzentner oft mit Fr. 45
bis 60 bezahlt.
Ehrenpreis (Veronica officinalis) wächst auf trockenem Boden. Das Kraut
ist medizinisch.
Eisenhut (Sturmhut; Aconitum Napellus), eine in den höheren Alpen oft
in großen Mengen wild wachsende, medizinisch sehr geschätzte Giftpflanze. Man
bereitet aus ihr das Aconitin.
Enzian (Gentiana) kam früher im Jura und in den Alpen vielfach vor,
wird aber in Folge fleißiger Ausgrabung der Wurzel immer seiteuer, ohne daß
durch Anbau, wozu sich in Berggegenden Halden und Plätze mit feuchtem, tief-
gründigem, eher fettem Boden gut eignen, Ersatz geboten würde. Die Wurzel
wird zur Bereitung des Enzianbranntweins benutzt. Der Meterzentner wird oft
mit Fr. 65 bis 90 und mehr ])ezahlt.
Fingerhut (Digitalis purpurea), eine Giftpflanze, welche einen schattigen
Standort, lockeren und mäßig feuchten Boden liebt. Die offizinellen Blätter werden
im Herbst geemtet und kommen getrocknet in den Handel.
Giftlattich (Lactuca virosa). Der Saft wird unter dem Namen Lactucarium
von Droguerien und Apotheken gekauft.
Crnadenkraut (Gratiola officinalis) liebt einen feuchten Standort. Wurzel
und Blätter, die vor der BlUthe gesammelt werden müssen, sind medizinisch.
Hoflunder, schwarzer (Sambucus niger), der allgemein bekannte HoUunder-
strauch, welcher in Gebirgsgegenden sehr häufig wild vorkommt. Seine Blüthen
und Früchte besitzen eine bedeutende Heilkraft. Die Gemeinde Trimmis, Kt. Grau-
bünden, besitzt große HoUunderst rauchhecken. Die Beeren werden fleißig ge-
sammelt und zu Latwergen vei-wendet, während die Rückstände einen sehr ge-
sunden Hollunderbranntwein geben. Genannte Gemeinde (799 Einw.) vereinnahmt
für ihre Latwergen jährlich zirka Fr. 3000. Der Meterzentner getrocknete
Blüthen wird oft mit Fr. 100 bis 125 bezahlt.
Kalmus (Acorus calamus) liebt feuchten Standort und wächst wild an
Gräben und feuchten Stelleu. Die von den Fasern befreite Wurzel ist' medizinisch
und wird oft per Meterzentner mit Fr. (»0 bis 70 bezahlt.
Kamille y ächte (Matricaria Chamuomilla) , welche in einzelnen Stöcken in
vielen Hausgärten gefunden wird. Die Blüthen sind medizinisch und werden per
Meterzentner mit Fr. 120 bis 150 bezahlt.
Kamille, römische (Anthemis nobilis), gedeiht in humusreichem Sandboden,
kann jährlich per Juchart (36 Ares) 500 kg Blüthen geben, deren Rohertrag
sich auf Fr. 500, ja unter Umständen aufs Doppelte bezifl'ert.
Kirschlorbeer (Pninus Laurocerasus), aus deren Blättern durch Destillation
das medizinische Kirschlorbeerwasser bereitet wird. Obschon eine immergrüne
Pflanze, hält sie auch in der Schweiz, gleich dem Immergrün und der Stachel-
palme, den Winter gut aus.
Könif/skerze (Verbascum Thapsus) gedeiht am besten in leichtem, trockenem
Boden an sonniger Lage. Sie kommt in vielen Gegenden, namentlich an steilen
Abhängen, wild vor.
Lavendel (Lavandule), am besten in leichten Bodenarten an stark geneigten
südlichen Abhängen gedeihend. Sie wird hauptsächlich ihres medizinischen Oeles
halber gebaut. Blätter und Blüthen sind offizineil.
Medizinalpflanzen — 411 — Medizinalpflanzen
Nachtschatten, schwarzer (Solanum nigrum), verlangt einen fetten, gnten»
feuchten Boden in sonniger Lage. Das Kraut ist medizinisch und wird oft per
Meterzentner mit Fr. 90 bis 100 bezahlt.
Nießwurz, schwarze (Kelleborus niger), verlangt guten Boden an schattiger
Lage. Die Wurzel ist medizinisch.
Osterluzei (Aristolochia Clematilis). Wurzeln und Kraut sind medizinisch.
Pfeffermünze (Mentha piperita) gedeiht in fettem, trockenem und sonnigem
Boden. Bei gutem Boden und guter Behandlung kann man jährlich 2 — 3 Schnitte
ernten. Die jungen Triebe und die Blätter sind oflSzinell. Aus denselben läßt
sich ein vorzügliches Oel bereiten, welches bei der Liqueurfabrikation starke
Verwendung findet. Zum Gebrauch im täglichen Haushalt legt man sog. Essenzen
an, wobei man durch Aufguß von Spiritus (ä 90 Tralles) auf die getrocknete
oder grüne Pflanze das ätherische Oel herauszieht und dann diese Essenz zur
Bereitung von Pfeif er milnzwasser benützt.
Rainfarn (Tanacetum vulgaro) gedeiht in jeder Bodenart. Blätter, Blüthen
und Früchte sind medizinisch.
Raute (Ruta graveolens) verlangt einen warmen, lockeren und trockenen
Boden. Blätter und Samen sind medizinisch.
Rhabarber (Rheum) verlangt einen ziemlich thonhaltigen , mit Kalk und
Humus gemengten Boden. Aus dem Saft der Wurzel läßt sich ein in der Medizin
sehr gesuchter Syrup bereiten. Der feine Saft der Rhabarber heißt Rhabarber-
butter. Für den Anbau von Rhabarber wären wahrscheinlich in den Alpen un-l
im Jura viele Lagen sehr günstig.
Salbei (Salvia officinalis) kommt am besten in trockenem Boden an ge-
schützter Lage fort. Aus den getrockneten Blättern läßt sich ein Thee, ähnlich
dem chinesischen, bereiten.
Scharfgarbe (Achillea Millefolium), deren Blätter und Blüthen medizinisch
sind und sehr t heuer bezahlt werden.
Schierling, gefleckter (Con'ium maculatum), kommt in vielen Gegenden der
Schweiz wild vor, besonders in schattigen Lagen bei etwas feuchtem Boden.
Die Blätter sind oflizinell. Aus den Früchten der Pflanze wird das Con'in (ein
Gift) bereitet.
SchöUkraut (Cheledonium majus) wächst an schattigen Orten, namentlich
Hecken und Mauern entlang. Der Saft ist ein ns^rkotisches Gift (Chelidonin), das
medizinisch verwendet wird.
Schwarzkümmel (Nigella sativa) gedeiht in feuchtem, lehmigem Boden und
kann auch mit Vortheil als Nachfrucht von Frühkartoffeln , Roggen , Raps ge-
pflanzt werden. Der Anbau ist sehr lohnend. Der Same ist medizinisch. Die
Schwarzkümmelfelder bieten den Bienen reiche Honigweide.
Stechapfel (Datura Stramonium) verlangt einen sonnigen warmen Standort
mit viel Feuchtigkeit. Blätter und Samen sind medizinisch.
Süßholz (Glycyrrhia glabra) bedarf ein mäßig feuchtes, warmes Klima und
einen lockeren, reichlich gedüngten Boden. In Bamberg gewinnt man aus einer
Jncharte Süßholz in 3 Jahren 4 bis 5 2fentner Wurzeln im Werthe von Fr. 250
bis 300, sowie 2 bis 3 Klafter Brennholz im Werthe von Fr. 70 bis 100.
Tausendguldenkraut (Erythrtea Centaureum), welches sehr gut bezahlt wird.
Die Blätter sind medizinisch.
Thymian (Thymus vulgaris) liebt einen lockeren, nahrhaften Boden und
freien Standort. Zweige und Blüthen sind medizinisch.
Veilchenwurzel (Iris florentina) gedeiht in warmer trockener Lage. Die ein-
Mehl — 412 — MeijeleDseekorrektion
zelnen Wurzelglieder werden, Ton der Rinde befreit, zu medizinischen Zwecken
nnd zur Bereitung von Liqueuren benatzt.
Wasserfenchel (Oenanthe Phellandrinm) gedeiht in fenchtem Boden. Die
Frucht ist medizinisch.
Einfuhr von medizinischen Blüthen, Blättern, Samen, Binden u. s. w. im
Jahre 1883: 1213 q, 1884: 1443 q, 1885: ?. — Ausfuhr 1883: 298 q,
1884: 339 q, 1885: ?.
Mehl 8. Müllerei. Einfuhr im Jahresdurchschnitt 1855/64: 156,876 q,
1865/74: 162,516 q, 1875/84: 258,493 q, 1885 netto 302,392 q, 1886 netto
306,306 q ä Fr. 30. 50 ; beinahe die Hälfte aus Ungarn. Vs der eingeführten
Mehle sollen, nach Angabe der MtÜler, feinere Sorten sein; an gewöhnlichen
Brodmehlen soll die Schweiz, nach der nämlichen Quelle, ca. 820,000 q be-
dürfen, wovon ca. Yio aus dem Ausland komme. — Ausfuhr im Jahresdurcb-
Bchnitt 1855/64: 8674 q, 1865/74: 19,087 q, 1875/84: 39,042 q, 1885 netto
40,831 q ä Fr. 32, 1886 netto 50,748 q ä Fr. 56.
MeistbegünstigUDg s. Handelsverträge.
Meklenburg-Schwerin ist mit der Schweiz vertraglich verbunden : 1) Durch
<lie Genfer Konvention; Beitritt am 9. März 1865 (A. S. 8, p. 545). 2) Durch
die internationalen Post- und Telegraphenverträffe,
Melasse s. Katteesurrogate.
Meleliaa- und Aawasserkorrektion (Obwalden). Diese im Jahre 1879
begonnenen nnd, was die bauliche Ausführung betrifft, im Jahre 1883 vollendeten
Korrektionswerke setzen sich zusammen: \) Aus der Ableitung der Melchaa in
den Sarnersee durch den 1232 m langen, in ganz veränderter Richtung laufenden
Melchaakanal mit einem Gefälle von 9,5 ^j o; Breite des Querprotils in der
Sohle 9 m, in der Höhe 18,6 m.
2) Aus der vollständigen Reglung des Laufes des Aawassers vom Ausflüsse
aus dem Saruersee bis zur Mündung der großen Schlieren, in einer Länge von
5900 m, mit einem Gefälle von 0,5 %o auf der 1350 m langen Strecke vom
Seeausiluß abwärts, und von der frühern Melchaamündung bis zum untern Ende
der Korrektion successive abnehmend 5 **/oo bis 3 ®/oo. Die Breite des nun aus-
geführten Normalprofils beträgt in der Sohle 14 m und in der Höhe 24 m.
3) Aus der Erstellung eines 1 900 m langen Dammes an der großen Schlieren,
um deren Mündung in die Aa weiter abwärts zu verlegen, zur Sicherung des
untersten Theiles des korrigirten Kanals vor Verschüttung.
An die Kosten dieser Korrektion, welche die Entsumpfung der Ebene unter-
halb Samen durch Tieferlegung des Bettes der Aa und Senkung des Sarnersee's,
die Sicherung von Samen gegen die Melchaa durch Ableitung derselben in den
Sarnersee bezweckte und als erreicht betrachtet werden kann, leistete der Bund
einen Beitrag von Fr. 138,400 = 40 ^/o der Voranschlagssumme von Fr. 346,000.
Bundesbeschluß vom 16. Aug. 1878 (A. S. Bd. 3, p. 471).
Melisse s. Medizinalpflanzen.
Mercerie s. Kurzwaaren.
Merinos. Ganz wollener DamenkleiderstofF. Wird seit 1883 von einer
nie(;h. Weberei im Kt. Glarus mit Erfolg fabrizirt.
Merjelenseekorrektion. Der Merjelensee, um dessen Tieferlegung es sich
handelt, befindet sich auf dem Gebiet des Kantons Wallis, einerseits zwischen
dem Eggischhorn und den Strahlhörnern, anderseits zwischen dem Aletsch- und
dem Viescliergletscher, an erstem unmittelbar anstoßend, während er gegen den
letztern hin durch eine, einen flachen Rücken bildende, schwache Bodenerhebung
Merligen-Neuhaus-Straße — 413 — Messersrhmiede
begrenzt ist. Der Wasserspiegel des See's liegt (nach dem Siegfried-Atlas) in
einer Höhe von 2367 m ti. M. ; letztere kann aber der stark wechselnden Wasser-
stände wegen nur approximativ bestimmt werden. Die Veranlassung zur Tiefer-
legung dieses See's findet sich in folgenden Umständen : Der See, der im Westen
durch den Aletschgletscher begrenzt ist, steht dort beim höchsten Wasserstande
ungefähr 50 m hoch an einer fast senkrechten Eiswand. Er entleert sich nun
von Zeit zu Zeit, doch meistens nur theilweise und daher für die Wahrnehmung
im Thale unmerklich, durch den Grletscher und dessen Abfluß in die bei Naters
in die Rhone mündende Massa. Hie und da kommen aber auch gänzliche Ent-
leerungen vor und diese bilden für das Rhonethal eine große Gefahr, da das
Seebecken annähernd 10^000,000 m^ Wasser faßt. Derartige große Entleerungen
haben in neuerer Zeit stattgefunden in den Jahren 1872 und 1878, und die
durch diese Entleerungen beobachtete Steigerung des Wasserstandes der Rhone
bei ßrieg betrug lYa m, zufällig bei ziemlich niedrigem Wasserstande und ohne
Schaden anzurichten. Unter gege ntheiligen Umständen hätten diese Entleerungen
für die Rhonekorrektion (besonders im obern Theile derselben) durch Verdoppelung
der sonstigen maximalen Wassermenge verhängnißvoU werden müssen. Zur Ver-
meidung einer solchen Gefahr soll nun eine Ableitung des See's nach dem tiefer
gelegenen Vieschergletscher hin stattfinden, und zwar durch Vertiefung eines
Ablaufes (vermittelst eines Einschnittes durch den oben erwähnten Rücken in
einer Länge von 540 m), durch welchen das Wasser, wenn das Becken voll ist,
schon jetzt seinen Abfluß nimmt. Durch die vorgesehene Senkung des Wasser-
spiegels um 12,50 m wird eine Verminderung der jetzigen maximalen Wasser-
menge des See's erzielt, die annähernd der Hälfte der letztern entspricht, und
es kann auch mit Bestimmtheit angenommen werden, daß die Entleerungen durch
den Aletschgletscher in Zukunft weniger heftig, also in geringerem Maße in der
Zeiteinheit, stattfinden werden. Laut Bundesbeschluß vom 20. Dezember 1884
(A. S. n. F. Bd. 7, p. 782) wurde dem Kanton Wallis ein Bundesbeitrag zu-
gesichert im Betrage von 50 ^/o der wirklichen Kosten, resp. im Maximum
Fr. 75,000 = der Hälfte der Voranschlagssumme von Fr. 150,000.
Die Korrektionsarbeiten sind zur Zeit (Mitte 1887) noch nicht begonnen.
Meriigen-Neuhaus-Strasse, eigentlich eine Thalstraße, aber von großem
militärischem Interesse, weil dieses Straßenstück als Fortsetzung der seiner Zeit
subventionirten Brünigstraße betrachtet werden muß; dasselbe war noch das
fehlende Verbindungsglied (für eine möglichst kurze und gedeckte Verbindung)
zwischen Bern und Luzern, resp. der West- und Centralschweiz. Die Länge
dieser Straßenstrecke von Merligen, auf dem rechten Ufer des Thunersee's, bis
Neuhaus am oberen Ende des See's, beträgt 8,2 km. Die Straße ist auf ca.
1870 m horizontal und hat im Uebrigen Steigungen oder Gefälle bis 5,8 "/o;
die Fahrbahnbreite beträgt 4,8 m. Offene Felssprengungen über 63,000 m^ und
in Halbgallerie und Tunnel über 22,500 m^ An den Baukosten im Betrage von
Fr. 507,300 dieser im Jahre 1883 begonnenen und 1884 vollendeten Straßen-
strecke betheiligte sich der Bund mit Fr. 168,000. Bundesbeschluß vom 30. Jan.
1882 (A. S. n. F. 6, p. 136).
Messerschmiede und Bandagisten. Die Zahl derselben belief sich am
1. Dez. 1880 laut eidg. Volkszählungsstatistik auf 511, worunter 67 Ausländer,
Es waren im Kt. Bern 167, Waadt 70, Zürich 41, St. Gallen 35, Aargau 27,
Genf 27, Baselstadt 21, Freiburg 20, Schaffhausen 15, Luzern 14, Schwyz 13,
Baselland 12, Neuenburg 10, Solothurn 9, Thurgau 9, Wallis 8, Graubünden 4,
Appenzell A.-Rh. 3, Glarus 3, Zug 2, Tessin 1.
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Frarikf'tich. 21 q 43* Ecziac-i . — J'r«f''«.ir :3i jÄhrw-iirccsraiitt 1^77 84:
hnitto 26 q, im Jihr? I^-^o: ücttv 32 ^ * Fr. 1634. E?stt.4i Ter>ciii<edeiieii
waarrri2rÄ«:hÄftr: riziZ^tra^TQ. woniitcr 5 M-T5fiaz;ririi?rcirn.
Esmfukr At<fmMr
Xe9.»iL?. rJ:, tini Me5*?iiiztnioh q 17V
yL*T-ff^wh\r^:\i and X«>^inzdrAhr ^ 20^2
M-*--inzTrrjAren , 1 *,•;;-'?
In drr WiAF'^nverkrhr&fttAristik pr-^f 1'
l''/-ition mrbr.
Metalle. Das einzige XeuU. das zur Z>^it in der Schweiz, and zvmr im
Jara, eine erhebliche A^b-eate liefert, L-t di-j Eisenerz. Terri. den Artikel
-Elisen-.
Als a*t(itr Btiri»:b ot^fizie Fundorte bezeichnet «üe R*>hpn>iaktenkarte Ton
W'sbf^r und Brosi : Im Kt. Äan/au : Aarau : in B»is^U*in'ii Lausen, R&nenbnrg,
8ls6acb and Wenslicgen: im Kt. B^rn: Baderhom und Matten: im Kt. Grau-
hunden : Bellalnna. Bergan, Birio. Bmsio. £J>.*«ters, Lavin. Minger, Molinis,
Nafenen, Parpan, Laro», Splugen, Sarleg, Tarasp, Tiefenkaaten, Trans, Verkam
und Vnipera: im Kt. S:haff hauten : Osterfingen: im Kt. S.ktctfi: Seewen; im
Kt. S*jlolh>'rn: BaL^thal. Inner Klos und Lanpersdorf: im Kt. Tes.^in: Bogno
und Tarena: im Kt. Fnihurg: MoLtb*>von: im Kt. WalUn Col de Bahne,
Boßwal'l und Sembrancher.
Nebftt dem Eiaen wurden früher n«>ch folgende Metalle gewonnen :
Blei in Traeh.<>ellaaenen, Kt. Bern: in Andeer, Cierfe, Flond. Minger,
Schmitten, Teniger Bad und Wie^n, Kt. Graubündtn: in L'Amone, Broson,
liorenaz, Evionnaz, Gamf^l. Lagert, Prajean und VL»ove, Kt. WallU.
Gold in Sa. Maria ur.d Tamin;«, Kt. Granbünden, nnd Gondo, Kt. Wallis,
Kobalt in Ayer und Fang, Kt. Wallis.
Kupfer am Mürtechen, Kt. Glarus ; in Arosa, Filisar, Flond, Faldera,
Lavin, Marmorera, Mira, Molinis, Monstein. Parpan, Salnx, Schmitten, Safere,
Tinzen, Trunn und Wiegen, Kt. Graubünden : am Col de Balme, in Fang, Lourtier,
Ht. Martin, Prajean und Vissove, Kt. Wallis.
Etwas Kupfer wird zur Zeit noch im Tal d'Annivier (Wallis) aasgegraben.
31augan in Tinzen, Kt. Graubünden.
Nickel in Ayer und Fang, Kt. Wallis.
Silber in Trachsellanenen, Kt. Bern; in Andeer, Cierfe, Rlisar, Flond,
Fnornn, Lavin, Minger, Molinis, Parpan, Schmitten, Semeus, Tamins und Wiesen,
Kt. Graubünden ; in Fang und Vissoye, Kt. Wallis.
Zinn in Monstein, Kt. Graubünden.
Meteorologie «. Witterungsverhältnisse.
Metzf^er und Wurster. Am 1. Dez. 18^0 gab es deren in der Schweiz
74H LJ- 0,f; 'yiK> aller erwerbsthätigen Personen. S69 Ausländer.
Mexiko — 415 — Milchwirthschaft
Mexiko s. Centralamerika.
Mldouble (Mydoubles). Halbdichtes, rohes Baamwollgewebe, das meist
bedruckt und nachher zu tlirkischen Kopftüchern oder „Türkenkappen** verarbeitet
wird. In großen Mengen von den Glamer Druckern aufgekauft, zum Theil in
der Ostschweiz, zum Theil in England.
Milehversuchstationen b. Milchwirthschaft und Musterkäserei.
Milchwirthschaft. (Verfasser: F. Merz in Faido, Redaktor der ,,Schweize-
rifichen Milchzeitung**.)
In der schweizerischen Volks wirthschaft nimmt die Milchwirthschaft eine
hervorragende Stelle ein, indem die jährliche Milchproduktion einen Werth von
über 182 Millionen Franken repräsentirt.
Wie wir im ganzen Welt Organismus, vom unscheinbaren Pflänzchen bis zum
höchsten Wesen der Erde, einen unaufhörlichen Kampf um's Dasein konstatiren
können, so finden wir diesen Kampf auch in den Industrien eines Landes und
speziell in der Benutzung unseres Bodens. Wie einst blühende große Geschlechter
jetzt verschollen sind, so treffen wir heute stundenweite Länderstrecken, deren
Bevölkerung Grasbau und Milchwirthschaft treibt, während die Vorfahren die
Felder mit Korn bestellt hatten.
Schlagen wir z. B. im Kanton Bern die Urkunden aus dem 15. und 16. Jahr-
hundert nach, so begegnen wir einer Menge Regierungsverordnungen und Ausfuhr-
verboten, die Milchprodukte betreffend. Aus jenen Urkunden geht hervor, daß
der tiefer gelegene Theil des Kantons Bern, welcher gegenwärtig mit Käsereien
übersäet ist, vor etwa drei Jahrhunderten noch allgemein mit Korn und Getreide
bebaut wurde. Das Emmenthal und das Berner Oberland mußten damals dem
tiefern Kantonstheil die Milchprodukte, namentlich Butter, liefern, welch' letztere
damals, im Gegensatz zur gegenwärtigen Zeit, eine große Rolle spielte.
Wie in der Bodenproduktion können wir auch in der Milchwirthschaft eine
gewaltige Umwandlung konstatiren. Die gegenwärtig allgemein übliche Fabrikation
von Fettk("ise wurde noch im 16. Jahrhundert als eine Anmaßung bezeichnet
und das Volk wurde von den „fürsichtigen gnädigen Herren und Oberen" an-
gehalten, nur Butter und Maf/erkäse zu fabriziren. Die höher gelegenen Gegenden
des Kautons Bern wurden unter ständiger Androhung der Korn- und Salzsperre
verpflichtet, sämmtliche Butter nach der Stadt Bern zu bringen. Im Jahre 1487
wurde z. B. im Kanton Bern eine schon 1481 erlassene Verordnung erneuert,
daß „keinerlei Nahrung, als Frucht, Futer, Gmüs, Obs, Käs, Zif/er, Anken,
Eyer, Hühner, Vych, Sau, Fleisch, Wyn, Salz. Ysen, Tuch etc." außer Landes
dürfe geführt werden.
Und in dem jetzt so industriellen und verkehrsreichen Appenzell erließ die
Regierung am 18. Mai 1598 folgende Verordnung:
„Die Außerrooder sollen das Molchen (Butter und Käse), das sie in Innerrooden
kaufen, hier (Appenzell) am Wochenmarkt zuerst feil haben. Es sollen auch die Molchen-
Grempler, sowohl Außer- als Innerroodens, die Molchen in unserm Land kaufen, neben
dem, das sie sonst dem Umgang nach in die Waag zu thun schuldig sind, alleweg zwei
unter ihnen in jedem Umgang ein Saum Schmalz (Butter) und Käse auf dem Markt
monatlich feil haben, bei der Büß 5 Pfund Denie (5 Gulden). Es soll auch allen Aus-
ländischen, die auf Fürkauf Molken kaufen wollen, verbotlen sein, Sommerzeit vor 10 Uhr
solches zu kaufen u. s. w.
„Wo etwa ein Landmann oder Hausfrau, die Haushaben (Haushaltungen) haben,
auch gerne 1. 2 oder 3 Molchen kaufen wollten und er gibt dem Bauer das Geld dafür,
so wie es ihm der Grempler bezahlt, alsdann soll jeder Bauer demselben, so viel er
mangelt, zu geben schuldig sein, dem Uebertreter bei 3 Pfund 5 Schilling Straf.*
Wie ganz anders steht es heute, nach drei bis vier Jahrhunderten, wo
Milchwirthschafl — 416 — Milchwirthschaft
unsere eidgenössischen nnd kantonalen Behörden durch Hebung des Käserei-
gewerbes und durch günstige Handelsbeziehungen den Export unserer Milch-
produkte möglichst zu vermehren suchen.
Mit dem allmäligen Bau von Yerkehrsstraßen begann auch der Handel mit
Vieh und Milchprodukten nach dem Auslande, und immer mehr nahm die Ver-
arbeitung der Milch zu Fettkäse überhand. Im Jahre 1622 sah sich die Berner
Regierung wiederum genöthigt, ihre Untergebenen an das Verbot betreflPend Vieh-
und Käseansfuhr zu ermahnen, da täglich solche Waaren an „Lampartern und
Meyländern** etc. verkauft wurden.
Allein alle die strengen Verordnungen und Verbote waren nicht im Staude,
die Fettkäserei und den Handel mit diesem Produkt zu unterdrücken ; die Freiheit
in Handel und Gewerbe brach sich Bahn und namentlich waren es die gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts im Emmenthal entstandenen Handlungshäuser,
welche mit unternehmendem Geiste die aromatischen Fettkäse unserer Schweizer
Alpen in die entferntesten Gegenden brachten und dadurch unserem Produkte
seinen Weltruf begründeten. Daß aber der Export von Käse Anfangs unseres
Jahrhunderts sich noch in engen Schranken bewegte, beweist wohl die Thatsache,
daß die jährliche Ausfuhr der ersten Schweizer Handlungshäuser, welche damc^ls
den Gesammtverkehr besorgten, bis zum Jahre 1810 im Ganzen nur auf 5000
bis 6000 Kilozentner veranschlagt wurde.
Unserem Jahrhundert war es vorbehalten, die schweizerische Milchwirthschaft
als eine großartige Industrie aufblühen zu sehen. Die Eröffnung der Simplon-
und der Gotthardstraße wie der andern Verkehrsstraßen und namentlich der Bau
der Eisenbahnen brachten einen großartigen Aufschwung in die Milchindustrie.
Auf der andern Seite wurde aber die Produktion an Milch und Käse in hohem
Maße gefördert sowohl durch die Einführung des Kunstgrasbaues und der Stall-
fütterung, als auch durch die Bildung von Käsereigenossenschaften in den Thälem
und Ebenen der Schweiz. Wir machen uns durchaus keiner Uebertreibung schuldig,
wenn wir behaupten, daß die Milchproduktion in der Schweiz sich seit dem
Anfang unseres Jahrhunderts zum Wenigsten verdoppelt, in vielen Gegenden aber
verdreifacht hat.
In hunderten von Gemeinden könnte an der Hand bestimmter Zahlen die
Thatsache dieser enormen Steigerung der Milchproduktion nachgewiesen werden ;
denn wo früher der Boden 5 Kühe zu ernähren vermochte, treffen wir heute
10 und mehr Kühe im Stalle, welche durch rationellere Züchtung, Fütterung
und Behandlung ein bedeutend größeres Milchquantum geben als eine gleiche
Anzahl vor einem halben Jahrhundert. Zum Beweise hiefür sei uns gestattet,
wenigstens zwei Beispiele anzuführen.
Direktor Spörri in Düdingen (Freiburg) illustrirt die Vermehrung der
Milchproduktion mit folgenden Zahlen: Die Anglo Swiss, Filiale Düdingen, hat
Milch erhalten von:
Milchwirthschaft
— 417 —
Milchwirthschaft
Jahrgang
1
Düdingen
(Dorfschaft)
Ottisberg
(einige Hofe)
Garmiswyl
(3 Güter)
Filiistorf
(3 Güter)
Rasch und
Wittenbach
(kleine Ortjcb.)
Vogelhaus
(einzelner Hof)
2 1
"1
' q
..
q
H
«1
4
1 'l
! 1873
874
—
782
618
—
'
1874
935
839
989
598
1
1 1875
1083
—
927
997
618
' 3426
! 1876
1093
485
901
—
1020
635
3665
' 1877
1280
568
1053
1078
1124
689
4068
• 1878
1208
730
1086
1095
1343
665
3942
1879.
1368
650
1143
1155
1465
718
] 4228
; 1880
1543
743
1282
1221
1690
744
4756
; 1881
1760
770
1508
1407
1935
901
4740
! 1882
2053
791
1433
1938
1814
1074
4945
1883
2215
820
1552
2296
1951
1023
5488
Wie aus vorstehenden Zahlen hervorgeht, hat sich in der Umgehung von
Dudingen auf den meisten Liegenschaften der Milchertrag in einem Jahrzehnt
verdoppelt.
Im Entlehuch, Kanton Luzem, wurde die erst« Genossenschaftskäserei
um's Jahr 1831 gegründet, in welche Zeit daselhst auch der Anbau des Kunst-
grases und die Einführung der Stallfiitterung fällt. Yen jener erstgegrtindeten
Sennerei Lehn (Gemeinde Escholzmatt) wurden uns die Bechnungen von einem
halben Jahrhundert zur Verfügung gestellt, aus welchen hervorgebt, daß stets
von den f/leichen ca, 33 Liegenschaften die Milch in diese Käserei geliefert
wurde. Trotzdem keine neuen Lieferanten hinzukamen, stieg das Milchquantum
fortwährend, was aus folgenden Stahlen hervorgeht:
Jalir
Milchquantiim
JahreseiDDahmen
Mllchpreis per kg
Biia-
und Venvaltangs-
kosten
1854
49,047
Liter
Fr. 3,923
8,00 Rp.
Fr.
147. 09
1859
89,073
n
r 9,615
8,80 ,
1»
274. 24
1864
99,431
n
« 11,235
11,30 ,
n
368. 70
1869
143,177
n
„ 16,823
11,75 „
r
486. 65
1874
118,031
«
. 17,999
15,25 .
n
70. 85
1879
181,738
r»
„ 23,625
13,00 ,
t*
1293. 54^)
1883
198,982
T»
„ 24,872
12,50 ,
n
966. 25
Diese Zahlen bestätigen gewiß in vollstem Maße unsere Behauptung, daß
durch bessere Düngung und Bearbeitung des Bodens und durch rationellere Vieh-
haltung die Milchproduktion in der Schweiz sich seit Anfang dieses Jahrhunderts
verdoppelt, ja in vielen Gegenden sogar verdreifacht hat.
Hand in Hand mit der Steigerung der Produktion wuchs auch der Absatz
der Milchprodukte, Mit jedem Jahr vermehrte sich die Nachfrage nach denselben
und auch die Anzahl der Käsereien wurde eine immer größere. Im Kanton
Thurgau z. B., wo der ost^chweizerische Käserverein eine genaue Käserei-
statistik aufgenommen hat, wurde die erste Käserei im Jahre 1845 gegründet,
welcher bis zum Jahre 1855 6 weitere folgten ; in den folgenden 10 Jahren
entstanden 47 Käsereien und von 1866 — 1875 wieder 48 neue Käsereien. In
*j Im Jahre 1879 wurde eine neue Sennhütte gebaut, wobei die Kosten von
Fr. 8548 auf die Lieferanten vertheilt wurden im Betrage von Fr. 82—605 yet ^vVs^xsA.
Furrer, Volk(«wirthschaftä-LexikoD der Schweiz. ^
Milchwirthschaft
— 418
Milchwirtlischaft
den letzten 10 Jahren vermehrte sich ihre Zahl wieder um 30 and stieg auf
131, welche per Jahr ca. 40 Millionen Liter Milch verarbeiten.
Im Kanton Aargau wurden 1840—1850 4, 1851—1860 9, 1861-1870
37, 1871—1880 21 und 1881 — 1882 13 neue Käsereien errichtet.
Deutlicher noch als die Errichtung von Käsereien, worüber wir aus andern
Kantonen keine Anhaltspunkte besitzen, geht die Entwicklung der schweizerischen
Milchwirthschaft hervor aus den Ziffern der eidgenössischen Zolltabellen.
a. Käse,
Jahr
Einfuhr
AuHfulir
Jahr
Einfuhr
Ausfuhr
1854
128,950 kg
5*356,150 kg
1871
720,300 kg
20*670,750 kg
1855
137,200 ,
6'546,050 ,
1872
928,850 ,
19^271,600 ,
1856
115,300 ,
7*362,700 ,
1873
921,800 ,
19*607,650 ,
1857
130,650 ,
7*156,500 ,
1874
926,700 ,
20*433,650 ,
1858
192,750 ,
5*305,900 ^
1875
1*088,100 ,
19*875,100 ,
1859
181,550 .
7'044,600 ,
1876
1*259,450 ,
20*095,750 ,
1860
253,500 „
7'339,450 ,
1877
r 368,000 ,
17*799,000 ,
1861
319,800 ,
8*352,450 ,
1878
r337,100 ,
19*579,900 ,
1862
281,850 ,
8*610,550 „
1879
1*211,200 ,
21*017,400 ,
1863
323,850 .
8^360,800 „
1880
r 325,400 ,
21718,900 ,
1864
353,850 ,
9*274,500 ,
1881
1*264,900 ,
24^039,700 ,
1865
472,200 „
ir 684,250 ,
1882
r 125,300 ,
26*025,700 ,
1866
503,600 ,
12*556,300 ,
1883
ri 19,900 ,
26'947,200 ,
1867
437,300 ,
14*842,200 ,
1884
r21 1,800 ,
25*387,000 ,
1868
477,200 „
14^193,000 ,
1885
1*124,900 , 0
24*512,200 ,
1869
492,600 „
16*249,700 ,
1886
1*085,600 ,
27*431,900 ,
1870
588,900 „
16*986,100 „
b, B
uiler.
.fuhr
Killfuhr
Aujifuhr
Jalir
Einfuhr
Ausfuhr
1861
r877,400 kg
107,350 kg
1875
2'977,700 kg
642,650 kg
1862
2'610,900 ,
296,600 ,
1876
4*083,400 ,
437,900 .
1863
2'977,900 ,
463,400 ,
1877
4*611,200 ,
456,200 „
1864
2'081,100 ,
702,500 ,
1878
5*341,700 ,
445,700 ,
1865
r36o,2(X) ,
1*500,500 ,
1879
5'82 1,700 „
441,700 ,
1866
r 644,900 ,
817,500 ,
1880
5*052,000 ,
586,100 ,
1867
2'249,150 ,
515,450 ,
1881
5' 180,200 ,
836,400 ,
1868
r899,700 ,
787,150 ,
1882
4*223.200 ,
672,000 ,
1869
2'048,550 .
1*041,050 ,
1883
5'069,200 ,
764,800 .
1870
1770,200 .
1*107,500 .
1884
4'42 1,600 ,
656,100 ,
1871
2774,150 ,
774,650 ,
1885
r ri50,700 ,
705,000 ,*)
1872
4'250,000 ,
590,550 ,
1 3717,400 .
18,800 ,»)
1873
4'415,550 ,
535,600 „
1886
1*307,400 ,
724,800 ,
1874
3'073,100 ,
792,4a) „
c, Milc
1
hzncker.
.lalir
r.infulir
Ausfuhr
Jahr
Einfuhr
Audfnbr
1878
39()0 kgr
136,000 kg
1882
23(X) kg
133,900 kg
1879
48()0 ,
57,400 ,
1883
1200 ,
122,400 ,
188()
-M) ,
178,400 ,
1884
1000 „
113,900 ,
1S81
800 ,
110,100 „
^) Seit 1885 wird das Nettogncicht in den Zolllabellen notirt, während die früheren
Zahlen das BrultDgewicht repräsent iren. Um mit der Ausfuhr früherer Jahre einen
Verfrleich anstellen zu können, ist es nolhwendig, dem Nettogewicht der zwei letzten
Jahre die Tara von 10 " o desselben hinzuzufügen ; hienach betrug die Bruttoausfuhr
im Jahre 18^5 2r>'%3,i00 kg und 18S0 3()*175,UMJ kg.
■') Butter. — •*') Schweineschmalz. Diese beiden Fette werden seit 1885 getrennt
in der Zolltabelle aufgeführt uml zwar netto.
Milehwirthschafl
—
419
—
Milchwirtlischaft
d. Kondensirte Milch.
Jahr
Einfuhr
Ausfahr
(
Jahr
Einfuhr
Ausfuhr
1877
1878
1879
1880
1881
24,500 kg
20,600 ,
23,000 „
4,600 ,
1,800 ,
5*499,100 kg
6*419,700 ,
7*813,800 ,
9*229,300 „
11*591,400 ,
1
1
i
1
1882
1883
1884
1885
1886
1,100 kg
3,700 ,
200 ,
1,500 .
11*621,500 kg
12*094,300 ,
14*677,900 ,
11*830,400 /)
13*106,600 ,
Wenn auch diese Zahlen schon ohne Kommentar die großartige Entwicklang
des schweizerischen Molkereiwesens veranschaulichen, mag es dennoch nützlich
sein, denselben einige weitere Betrachtungen anzuschließen.
a. Käse. Die Käse-Einfuhr ist von den 5Üer bis Ende der 70er Jahre
fortwährend gestiegen und hat sich in den zwei Dezennien geradezu verzehnfacht.
Seit 10 Jahren ist sich die Einfulir so ziemlich gleich geblieben und bildet
durchschnittlich 4 — 5 "/o unserer Ausfuhr. Die Einfuhr fremder Käse nimmt
eher ab, weil man in der Schweiz mehr Weichkäse, welche hauptsächlich ein-
geführt werden, fabrizirt, und anderseits, weil unsere Bevölkerung den einheimischen
Schweizerkäse 6tet.s in größerem Maße konsumirt.
Fünfjähriger Durchschnitt der Käse-Ein- und Ausfuhr.
Einfuhr Ausfuhr
1854 — 1858 140,990 kg 6^345,460 kg
1859—1863 272,510 „ 8'141,540 „
1864 — 1868 448,830 „ 12*510,050 „
1869 — 1873 730,490 „ 18^557,160 „
1874—1878 1^195,870 , 19^556,680 „
1879—1883 1*209,340 „ 23^949,780 „
1884—1886 1*214,400 „ 27^508,500 „
Bis in die neueste Zeit hat also die Ausfuhr von Käse stetig zugenommen;
indessen werden die bisherigen Absatzgebiete sich nur noch mühsam behaupten
lassen, da einige Länder ihre Zölle erheblich erhöht, andere mit der Käse-
fabrikation selbst begonnen haben.
Und zwar nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ suchen diese Länder
uns zu überflügeln, so daß es hohe Zeit ist, der Fabrikation von Ausschußwaare
in der Schweiz Einhalt zu thun.
In den frühern Jahren betrug die Ausschußwaare 25 — 30 ®/o der Gesammt-
käseproduktion und in den letzten 3 Jahren stieg dieselbe sogar auf 40 und mehr
Prozent. Die Preisdifferenz zwischen Prima- und Ausschußwaare beträgt Fr. 20
bis 40. Veranschlagen wir nun die jährliche Käseproduktion auf nur 300,000
Kilozentner, so ergibt sich bei 40 ^/o oder 120,000 Kilozentner Ausschußwaare
und bei einer mittlem Preisd^ferenz von Fr. 30 per 100 kg ein jährlicher
Ausfall in unserer Käseindustrie von über 372 Millionen Franken,
Es ist aber namentlich die bessere fremde Imitation, welche mit unserer
Export waare einen ernsten Kampf aufgenommen hat. Viele unserer Mitbürger
sind als tüchtige Käser nach Kußland, Deutschland und Frankreich gezogen und
haben dort Käsereien mit den besten Einrichtungen erbaut. In Deutschland wird
nun dem Publikum von unsern Berner Käsern in Ost- und Westpreußen die
Prima Emmenthaler-Imitation zu Fr. 100 — 120 per Kilozentner franko in's Haus
geliefert, während der gleichen Kundschaft unsere Prima Emmenthaler auf
*j Das Bnitlogewicht (Nettogewicht mit 337» 7« Tarazuschlu};) betrug 1885
15773,900 kg und 1886 17*475,500 kg.
Milchwirthschaft — 420 — Milchwirthschaft
Fr. 160 — 170 franko zu stehen kommen. Noch größer ist die Differenz in
Rußland, wo eine gute Emmen thaler- Imitation fabrizirt werden soll; unsere
Prima Waare kostet in Rußland sammt Fracht und Zoll wenigstens Fr. 330 — 360
per 100 kg, während die dortige einheimische beste Imitation zu Fr. 120 — 130
ofiferirt wird.
Wir werden auf die Eäsefabrikation später noch zurückkommen, glauben
aber schon aus vorstehenden Betrachtungen den Schluß ziehen zu dürfen, daß
die schöne Zeit, wo der Schweizerkäse den ganzen Weltmarkt beherrschte, vorbei
ist, und daß sich unser Export nur durch die höchste Vervollkommnung der
Fabrikation aufrecht erhalten kann.
6. Butter, Wenn auch die Zolltabellen an Einfuhr von Butter und Schweine
schmalz stets das fünf- bis zehnfache Quantum der Ausfuhr notirten, herrschte
doch vielfach die Ansicht, die Schweiz produzire für ihren Konsum genügend
Butter. Die im Jahre 1885 zum ersten Mal durchgeführte Trennung von Butter
und Schweineschmalz in den Zolltabellen hat nun ergeben, daß die 705,000 kg
betragende Butterausfuhr von der Einfuhr um 445,700 kg tibertroffen wird.
Trotz dieser beträchtlichen Mehreinfuhr an Butter repräsentiren die ausgeführten
7050 Kilozentner einen Mehrwerth von Y2 Million Franken; nach den Zoll-
deklarationen beträgt der Werth der eingeführten 11,507 Kilozentner Butter
Fr. 1' 530,431, der Werth der ausgeführten 7050 Kilozentner Butter dagegen
Fr. 2*051,589. Während die Schweiz die beste Butter im durchschnittlichen
Werth von Fr. 2. 90 per Kilogramm ausführt, kauft sie vom Ausland um kaum
den halben Preis ein größeres Quantum zurück.
Aus dem billigen Preis der eingeführten Butter von ca. Fr. 1. 40 per
Kilogramm können wir schließen, daß nur ein ganz kleiner Theil derselben ächte
Butter ist und daß wir es hier in den meisten Fällen mit Margarin oder gering-
werthigem Kochfett zu thun haben.
Daß die Schweiz für ihren Konsum zu wenig Fett produzirt, beweisen die
Einfuhrziffern zur Genüge, betrug doch, abgesehen von der obenerwähnten Mehr-
einfuhr an Butter, die Einfuhr von Schweineschmalz 3' 7 17, 400 kg, während die
Schweiz nur 18,800 kg dieses Fettes ausführte. Dieser bedeutende Ausfall an
Butter und Schweinefett bietet der schweizerischen Landwirthschaft noch ein
schönes Wirkungsfeld. Die fremde Konkurrenz ist jedoch auf diesem Gebiete so
drückend, daß wir bei unsern hohen Bodenpreisen kaum konkurrenzfähig sein
werden.
c. Kondensirie Milch, Wohl am großartigsten hat sich die Ausfuhr konden-
sirter Milch entwickelt. Vor 20 Jahren kannte man in der Schweiz die Fabri-
kation kondensirter Milch noch gar nicht und heute führen die Fabriken netto
ir830,400kg im Werthe von Fr. 13*590,751 aus.
#
Nachdem wir nun die Bedeutung der Milchwirthschaft als eine der wich-
tigsten Exportindustrien in kurzen Zügen gezeichnet haben, glauben wir den
Leser am besten in dieses Gebiet einführen zu können, indem wir den Stoff
naturgemäß in folgende drei Abschnitte eintheilen: I. Milchproduktion ; II. Ver-
werihumf der Milch und III. Förder un(ß der schweizerischen Milchwirthschaft.
I. Milchproduktion.
Nach der Viehzählung vom 21. April 1886 besitzt die Schweiz 662,336
Milchkühe und 415,916 Ziegen. Weitere oHizielle Anhaltspunkte zur Bestimmung
Milchwirthschaft — 421 — Milch wirthschafl
der Milchproduktion fehlen, weßhalb es ungemein schwierig ist, dieselbe nur
einigermaßen genau zu bestimmen, namentlich da wir in der Schweiz mit den
verschiedensten Yerhältnissen, Yiehracen und Fütterongsarten zu rechnen haben.
Der Milchertrag der Ktlhe ist je nach Bace, Züchtung und Haltung sehr
verschieden, er varirt zwischen 1600 und 4700 Liter. Thatsache ist, daß das
Braonvieh verhältnißmäßig einen größern Milchertrag liefert als das Fleckvieh,
welches dagegen hinsichtlich Fleischproduktion und Arbeit größere Leistungen
aufweist. Das Braun vieh finden wir in der Schweiz zahlreicher als das Fleckvieh,
und zwar ungefähr im Yerhältniß von 5:3.
Sowohl beim Braun- wie beim Fleckvieh können wir einen großen, mittleren
und kleinen Schlag unterscheiden, welche auch im Milchertrag bedeutend von
«inander abweichen.
Der kleine und mittlere Schlag des Braunviehes findet sich nur in
verhältnißmäßig geringer Zahl im Bündner Oberland wie in andern Thälem
Oraubündens, im Tessin, im Obertoggenburg und Appenzell. Jedes Jahr werden
jedoch eine Anzahl Stiere und Kühe aus dem Kanton Schwyz in diese Thäler
eingeführt, um die Race zu veredeln und namentlich den Milchertrag zu steigern.
Weitaus der größte Theil der Braunviehrace gehört dem großen Einsiedler,
March- oder Schwyzer Schlage an, welcher in den letzten Jahren überall sorg-
fältiger gezüchtet wird, da man an gar vielen Orten darauf ausgeht, den ganzen
Ertrag der Liegenschaft aus dem Euter der Kühe zu ziehen. In den verschiedenen
-Gegenden der Schweiz treffen wir eine Menge von Braunviehschlägen an, wie
den Grlarner, Toggenburger, Appenzeller, Rheinthaler und Zuger Schlag, welche
sich alle durch große Milchergiebigkeit auszeichnen.
Wir haben eine Anzahl Aufnahmen über die Milchergiebigkeit der Braun-
viehrace gesammelt und theilen vorab diejenigen des Generaldirektors Page in
Langrüthi bei Cham mit.
Hilchivirthsi-baft
Milchwirthu'hall
Milcherträge von diverseii Etthen aus der Viehherde des Herrn
Generaldirektor Page in LaugrUthi bei Cham.
:
Geumml-
DlirGltKhnIHL Ertrag
!i = 5
Altw
der Kah
; Anzahl
'■■ MelMM«
Milch-
ertrag
per Meihtm gleich
'§r
Jakrc
!■«
«K
Llltr
1 •.
10
4. November 1885
315
4825
15^
16.8
; 3,38
9
6. April 1886
330
4726
14.3
15.7
3,29
7
1. Februar
972
3390
19,4
13,6
; 3,55
»
7. Juni
! 381
4227
15,0
16.6
1 . 3,07
1- ,
; 273
2758
10.1
n.i
3,78
10
17. November 1885
280
2881
10.3
11,3
3,61
8
25. Hai 1886
266
4364
16,3
17,9
3,31
8
19. April
370
4151
15,3
16,8
3.32
25. September 1885
266
3941
14,8
16.3
3,34
7
15. Mira 1886
273
4276
15,7
17,9
3,17
8
17. November 1885
299
4194
14,0
15,4
3.37
8
4- .
483
3961
14,0
15,4
3,27
6
28. Oktober 1835
300
4308
14.3
15,7
3.35
8
12. April 1886
348
3767
15,2
KJ
3,46
8
37. Mai
270
3148
11,6
12,7
3:45
•J
35. August 1885
285
2877
10,1
11.1
3.65
«
11. ,
284
3073
10.8
11,8
3,33
8
28. Oktober
338
5734
16,9
18,5
3,19
8
29. ,
384
3881
13,6
14,9
3,94
7
11. September .
382
2886
10.2
11,9
4,00
6
28. Otlober
300 ,
3172
10.5
11.5
3.45
8
11. November ,
269
4042
15.0
16,5
3.42
16. Mi 1886
272
2744
10.1
11,1
3,55
6
315
3747
11,9
13,0
3,36
6
%i. Hai 188<;
975
3442
12,5
13,7
3,79
6
18. November 1885
.314
3608
11,4
12,5
3.49
(i
15. JiiDuar 1886
276
4107
14.8
16,9
3,03
1)
30. Mai
975
SAH
11,6
13,7
3.39
5
11. Harz
256
3Ö91
14.4
15.8
3,91
20. NovembiT iSXb
ä95
3474
11,7 12.8
3,99
30. April 1886
363
3097
113
12.9
3.0«
9. Mirz
9Wi
9871 1
13,9
15.2
3,31
7. Okhjber lSt!5
359
3371 ^
9.1
10,0
3,48
28. JuDi 1886
272
2619
9.7
10,6
3,79
15. April 1885
264
2715 .
10,3
11,3
335
8. Xoveinber .
279
3966
11.7
!?•«_.
3.00
Dur<hsdmittl885,s6
283
3626
12,8
14,0
3,39 "
1884/86
288
3745,2
i:i.n
14,3
3.39
Eu ixt dies ein echiiner, koatbarer Yiehatand, welcher allerdinge mehr alü
den Durchschnitt repräaentirt ; allein aus obigem Resultat ist zu ersehen, wie
hoch der Milchertrag auch bei ungekilnutelter Fütterung durch sorgffiltige ZUchtnng
und Haltung de^ Viehes gebracht werden kann. Bei einer anasch ließ) ich natür-
lichen Filttemng von Gras rei^p. Heu und Emd betrug der Jahres -Milchertrag
1886 von 4—8 Jahre alten Kühen 2fj-iy— 482.'i kg oder durchschnittlich
;it;2(; kg gegenüber :(745,2 kg im Jahre 188.').
AuN obiger Tabelle ersieht man auch eine tiufl'allende Ditferenz zwischen
dem Uenultat von Wägen und Me.-nten. Bekanntlich igt 1 Liter kalte Hilch
Milchwirthschaft — 423 — Milchwirthschaft
ca. 30 Gramm schwerer als 1 kg, während 12 Liter warme Milch nur 11 kg
wiegen; dies ist beim Eäsereibetrieb sowohl för die Lieferanten wie für den
Milchkäufer von größter Wichtigkeit. Auch der Fettgehalt der einzelnen Milchen
wurde bestimmt und man fand, daß derselbe bei der Braunviehrace und bei der
natürlichen Fütterung zwischen 3 und 4 ^/o varirte und im Durchschnitt 3,32 %
betrug (im Jahre 1885 3,39 7o).
Einen ähnlichen, sehr schönen Braunviehstand trafen wir bei Gebrüder
Brunnschweiler in Hauptweil, welche uns auch in zuvorkommender Weise
die Melkresultate mittheilten. Von 31 3 — 11 Jahre alten Kühen betrug der
Milchertrag vom 1. Januar bis 31. Dezember des Jahres 1884 5,2 — 12,1 Liter
per Tag oder 1889 — 4436 Liter per Jahr und im Durchschnitt 8,4 Liter per
Tag und 3066 Liter per Jahr. In dem bezüglichen Bericht bemerkte Hauptmann
Brunnschweiler, daß keine milchtreibenden Futtermittel angewendet, sondern fast
ausschließlich Gras, Heu und Emd gefüttert werden. Nach vorgenommenen
Fntterwägungen wurden au eine Euh per Tag verabreicht : 1 5 kg Heu und Emd,
120 g Futtermehl (etwas besser als Kleie) und 100 g Salz.
Im „Strickhof" bei Zürich wurden im Jahre 1883 von 8 Stück Braun-
vieh 6,3 — 11,1 Liter oder durchschnittlich 8,7 Liter Milch per Tag und per
Stück gemolken. Der jährliche Milchertrag auf 100 kg Lebendgewicht varirte
zwischen 367 und 693 kg und betrug im Durchschnitt 536 kg.
In der Strafanstalt Luzern erzielte man im Jahre 1884 folgendes
Resultat :
Milchertrag
_ per Kuh uml
Total ' ^
jier Tag per Jahr
Sedelhof . . 152 Juch. 26 Kühe 77,633 Liter 8,2 Liter 2986 Liter
Müchhof . . 85 „ 21 „ 69,745 „ 9,0 „ 3321 „
Emmenland . 45 „ 19 „ 67,562 „ 9,7 „ 3556
Die Milchkondensations fabrik in Cham (Zug) bezog im Jahre 1886
die Milch von 7600 Kühen, fast ausschließlich der Braunviehrace angehörend.
Der durchschnittliche jährliche Milchertrag per Kuh betrug nach bezüglichen
Aufnahmen von Inspektor Ritter 2735 kg oder 2650 Liter r^ 7,26 Liter per Tag.
Man wird uns vielleicht vorwerfen, daß alle die obigen Zahlen über dem
Durchschnitt, wie er sich in der Schweiz findet, stehen. Auch wir sincl damit
einverstanden, daß der durchschnittliche Milchertrag bedeutend unter 3000 kg
per Kuh steht, was schon die Erhebungen von Ritter im Kanton Zug (Anglo
Swiss) beweisen.
Auf unsere Anregung hat nun Herr Reber, Mi Ichkon troleur des allgemeinen
Konsumvereins Basel, interessante Erhebungen in Arisdorf (Baselland) gemacht.
Im Jahre 1886 lieferten 75 Landwirthe aus Arisdorf mit 275 Kühen an
genannten Konsumverein 634,897 kg Milch.
Der eigene Hausbedarf für 75 Familien, durchschnittlich
täglich zu 4 kg berechnet, macht für das ganze Jahr . . 109,500 „ ^
was zusammen einen jährlichen Milchertrag von . . . 744,397 kg ergibt.
Der Jahresertrag per Kuh stellt sich demnach durchschnittlich auf 2710 kg
und das tägliche durchschnittliche Milchquantum auf 7,42 kg r-^ 7,2 Liter
(1 Liter = 1030 g berechnet).
Milchwirthschaft — 424 — Milchwirthschaft
Aas diesen und vielen anderen Erhebungen glauben wir den Schluß ziehen
zu dürfen, daß der durchschnittliche j&hrliche Milchertrag der Braunyiehrace zu
2500 Liter darf veranschlagt werden.
Die Fleckviehrace ist am meisten vertreten durch den großen Simmen-
thaler und Freiburger Schlag; die mittlem und kleinen Freiberger, Frutiger,
Ghindelwald' und ^alliser Schläge beschränken sich nur auf einige Bezirke.
Auch über die Milchergiebigkeit der Fleckviehrace liegen uns von ver-
schiedenen Gutswirthschaften zuverlässige Zahlen vor. So erzielte z. B. die
landwirthschaftliche Schule Bütti bei Bern von ca. 25 Fleckktthen
während 7 Jahren, 1872 — 78, einen durchschnittlichen Milchertrag von 8,4 Liter
per Kuh und per Tag = 3066 Liter per Jahr. In der gleichen Anstalt betrug
im Jahre 1884 der Milchertrag von 20 Kühen durchschnittlich 8,3 Liter per
Tag oder 3029 Liter per Jahr, und im Jahre 1885 von 25 Kühen durch-
schnittlich 2866 Liter.
Auf dem Gute der Irrenanstalt Waldao bei Bern gaben im Jahre
1876 28 Fleckkühe durchschnittlich 10,7 kg per Tag oder 3920 kg per Jahr.
An der landwirthschaftlichen Schule „Strickhof** bei Zürich
erhielt man im Jahre 1883 von 6 Stück Fleckvieh durchschnittlich 8,9 Liter
per Tag oder 513 Liter per Jahr auf 100 kg Lebendgewicht.
Wir begegnen hier durchweg sehr hohen Milcherträgen, welche 3000 Liter
per Jahr größtentheils übersteigen. Im Allgemeinen aber steht der Milchertrag
der Fleckviehrace unter demjenigen des Braunviehes, und wir werden der
Wirklichkeit wohl am nächsten kommen, wenn wir den durchschnittlichen
jährlichen Milchertrag der Fleckkühe zu 2300 Liter und denjenigen
unseres ganzen schweieeHschen Viehstandes zu 2iOO Liter per Kuh und per
Jahr veranschlagen. Die nach der Viehzählung von 1886 in der Schweiz vor-
handenen 662,336 Milchkühe liefern demnach einen jährlichen Milchertrag von
15'896,064 hl, welche zu Fr. 1 1 per Hektoliter einen Werth von Fr. 174'856,704
repräsentiren.
Eben so sehr wie der Ertrag der Kühe varirt derjenige der Ziegen.
Während diese in einigen Kantonen, wie z. B. im Tessin, zur Winterzeit schlecht
gehalten und meist nur vor dem Verhungern geschützt werden, sucht man in
andern Gegenden der Schweiz den Milchertrag durch rationelle Fütterung der
Ziegen möglichst zu steigern. Bei schlechter Fütterung und Pflege steht dieses
Kleinvieh wenigstens die Hälfte des Jahres trocken und gibt im Sommer auf
der Weide kaum mehr als einen Liter Milch per Tag, während gut gefiitterte
Ziegen einen jährlichen Milchertrag von 400 und mehr Liter zu geben vermögen.
Nach unsern Erfahrungen sind ca. ^/s des Ziegenstandes Milchziegen, so daß von
den 415,916 Ziegen der Schweiz 277,277 Stück Milch geben. Veranschlagen
wir nun den durchschnittlichen Jahresertrag der Milchziegen zu 250 Liter Milch,
60 beträgt die jährliche Milch produktion der Ziegen 6939192 hl, was zu Fr. 11
per Hektoliter die Summe von Fr. 7'62S,112 ausmacht.
Der Gesammtmilchertrag der Kühe und Ziegen beziffert sich demnach per
Jahr auf 16'589,256 hl, welche ä Fr. 11 per Hektoliter einen Werth von
Fr. 182*481,816 repräsentiren.
II. Die Verwerthung der Milch.
Wir treffen in den verschiedenen Theilen der Schweiz hinsichtlich Milch-
konsum, Butter- und Käsefabrikation, Aufzucht und Mästung von Jungvieh so
verschiedenartige Verhältnisse, daß von einer sichern Antwort über die Ver-
Milchwirthschaft
425
Milchwirthschafl
werthnng der Milch Mlbatveretfindlicli nicht die Bede sein kann. Hiebei vermiesen
wir nomeotliob eine schweizeriBcbe milchwirtbschaftliche Statistik, welche uns
wenigstens über die Verarbeitung der Milch xu Butter und Käse Auskunft geben
würde. Eine Anzahl Eantone haben zwar in onerkennenawerthester Weise
ntatistische Aufnahmen Über die milch wirthscbafllichen VerhUltnisde aasgefUhrt,
allein ee mangelt hier vor Allem ein einheitliches Vorgeben, weßbalb nur schwer
Znaammenstellungen und Folgerungen iUr die Schweiz gemacht werden künnen.
In mancher Beziehung werden uns jedoch diese ausgeführten statistischen Er-
hebungen als Grundlage dienen, weßhalb wir dieselben in chronologischer Keihen-
folge hier auffuhren wollen.
Statistisches.
1) Schweieeriüche aipwirlhschaftUche Slaliglik. Im Jahre 1864 wurde eine
schweizerische Alpen atatiiitik aufgenommeD, welche große Opfer an Zeit und Arbeit
forderte und dennoch hinsichtlich Genauigkeit nur von untergeordnetem Werthe ist.
Der Nettoertrag der 45Ö9 Schweizer Alpen wird zu Fr. IO'691,310
berechnet, wovon Fr. 8'182,788 oder ca. */i des Totalertrages auf die Milch-
wirthschaft fallen. Der dnrchschnitt liebe Ertrag der 152,711 AlpkUhe wurde
zu Fr. — . 58 per Tag und auf die durchschnittliche Alpzeit von 92 Tagen zu
Fr. 53. 58 berechnet. Ueher die Verwerthnng der Milch auf den Alpen ent-
nehmen wir der Alpen Statistik von 1864 folgende Zahlen:
und Verwerthung (
Produktion
ir Hilch auf dei
■ Alpe
-ff
-&
t^
ii
II i
6,7
98 1;
'/•.i
127 ;,■
Verwerthung der Milch lu
^J
1^
i'
17,9
1,5
♦,5
1,8
a,7
18.5
l,V
9.6
1,0
3,0
10,0
6.6
(),B
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I,F.
39,4
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S,3
97.8
93,9
33,9
17
49,7
M,;i
2,fi
17,4
7,4
OÜ
(i,a
1,7
60,0
10,3
".'
il ili*^*
Uri . . .
Sthwyz , .
ObwfJden .
Nidwaiden .
Glaruü . .
Zug . . .
Freiburg
Solothum .
Appenz. A.-Rh,
Appenl. I.-Rh.
St. Gallen .
Graubünden
Waadt . .
Wallis . .
Neuen bürg .
Tessin , .
Schweiz
' 39,915''
2,952 ,'
4.33t 'I
0,133
303
5,848
Hl
3,393
90
5,275
3
17K
0,193
l.<föO
38
6*8
93
1.790
11^
2,890
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13,863
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98.890
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14,236
37a
13,425
77fi
5,764
400
16,998
4559
153,711
I: 31.7
i; 80,9
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e- 1
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5::S»s|:!
Milch wirthschaft
— 427
Milch wirthschaft
Zu vorstehender Statistik ist Folgendes zu bemerlten:
1) Ad Schaffhausen. Die erste kantonale Käsereistatistik wurde veröffent-
licht von der Regierung von Schaff hausen im Jahre 1877. Nach dieser Statistik
bestanden damals im Kanton Schaff hausen 13 Käsereien, welche in den Jahren
1864 — 1874 errichtet worden waren. Es kam die Milch von 910 Kühen, im
Ganzen per Jahr 21,537 q, zur Verarbeitung. Dieser Statistik war ein inte-
ressanter Bericht von Direktor Schatzmann beigegeben (vide Alpw. Monatsbl., 1878).
2) Ad Luzern. Hier beauftragte 1881 der Große Rath die Regierung, die
Käsereien anzuhalten, daß sie dem Publikum gegen Bezahlung gesunde Milch
abgeben. Dieser Auftrag gab Veranlassung zu einer Käsereistatistik.
Nach den Angaben der Gemeinderäthe wurden ca. 60 ®/o der Milchproduktion
in den Käsereien verarbeitet, 10 ^/o zur Aufzucht von Jung- und Kleinvieh und
30 % für die Haushaltungen, d. h. zur Nahrung der Menschen, verwendet.
3) Ad Thurgau. Hier wurde ebenfalls im Jahre 1881 eine milchwirth-
schaftliche Statistik aufgenommen, welche die Anzahl Käsereien mit ihrem
bezüglichen Milchquantum aufzählte und Angaben über den Milchpreis und den
Zuschlag auf die ausgeschenkte Milch enthielt, sowie notirte, ob der Abgang
(Schotte) dem Käser oder den Lieferanten gehört. In 117 Käsereien wurden
33'626,891 Liter Milch für Fr. 4'318,964 geliefert. Die Schotte gehörte in
102 Käsereien dem Käser, in 15 dagegen den Lieferanten. Die Milch wurde in
den Käsereien zum Preise von 15 — 17 Rp. per Liter verkauft ; der Zuschlag be-
trug fast durchweg 3 — 372 Rp- per Liter.
In den Jahren 1885 und 1886 hat der Ostschweieerische Käserverein
durch eine Anzahl seiner Mitglieder eine Käsereistatistik des Kantons Thurgau
aufgenommen, welche in ihrer Ausführlichkeit einzig dasteht. Die Resultate dieser
Käsereistatistik sind in folgender Tabelle wiedergegeben:
i
1
Bezirk
1
1- ^ __ , . ___ _
i
; Arbon . . .
'1 2 J
i
1
i Lieferanten
1
Tägliches INilchquantum
im Sommer ' im Winter
1
INilcli-
! vericauf
! Liter
1 per Tag
l!_
ilil
1 «. CO 1
;2._iij
22
l 22
; 778 1
21,650
17,950
1; 698
Bischoffzell .
. ' 26
864 1
; 28,150
23,250
'1 1108
26
Dießenhofen
• ;■ 4
, 240 '
' 3,200
3,000
; 140
4
Frauenfeld .
. i 15
628 ,
10,580
9,630
i; 590
15
, Kreuzlingen
• ', 15
702 1
1
i 11,770
10,050
1 347
15
Steckborn .
. ; 10
519 :
8,150
7,050
' 365
10
Münchweilen
. ' 21
667
13,430
13,430
'! 589
21
Weinfelden .
. '. 18
r
! 989 '
1 .1
I 17,800
15,700
\\ 902
18
Kanton Thurgau
L , 131
1
5387
1 114,730
100,060
4739
131
Die 131 Käsereien wurden in folgenden Zeitperioden errichtet: 1845 — 55:
6 Käsereien, 1856—65: 47, 1866—75: 48, 1876-86: 30.
4) Ad Aargau. Die älteste Käserei ist um das Jahr 1760 vom Kloster
Muri auf dem Sentenhof gebaut worden. Im Jahre 1822 entstand die zweite
Käserei. Von 1840 — 50 wurden 4 Käsereien eröffnet, von 1851 — 60 9, von
1861—70 37, von 1870 — 80 21, 1881—82 13 und für die Jahre 1883—86
darf wohl die Zahl 24 angenommen werden. (Siehe Seite 209/10 im I. Band
dieses Lexikons.
MilcbvirthBchaft
428 —
Hilcbwirthsdiaft
5) Ad Freibnrg, 'Die Regierong veröffentlichte im Staatsverwaltange-
beriebt pro 1884 folgende Statistik Über die Käsereien, wonach 3T'0U,341 Liter
Kilcb ia dieselben und 6'627,060 Liter in die KondenHationsfabrik Dtldingen
geliefert wurden. Leider worde die Zahl der Käsereien nicht angegeben.
Butlerlab rikatton
tabri-
kaliofl
Broye
GreyeK .
See . .
Vivisbach
Kant. Frei bürg
In 7" ...
4'700,5t
5'376,93
7'013,7J
ß'0Sä,9E
185,600
3G7,33ß
342,789
384,954
397.722
324,175
i'334,10ß
37'04i,341 3'236,61
4'357,791
Ö'205,I10
6'61 6,023
5"698,778 1 63;896
1*993,365 ! 24.614
22,741
17.441
11.734
7,871
52,527
19,855
6,1500
46,834
31,939
37,539
)33'313.1S4'): 304.7;
91,3
191,443
6) Ad Zürich. Im Jahre 1885 hat dae statistisohe Bareau eine KSserei-
statixtik anfgenomnien, deren Resultate in folgender Tabelle xoBammengestellt aind.
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1 gclielertes ' ^ ^■b
Davon wird
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Pßfnkön
Winterthur
Kanton , Zürich'
10,315
83.799
103,563
33,155
110,ß65
68.473
66,065
31,293
16,033
14,343 I
20,653
18,931
667,1
198,3
5728,5
1659,7
5243,6
1933,0
774,3
6229,3
2702,9
4863,7
953,0
4573,9
13.^2.7
2357,3
654,4
1193.5
176,4
1717,0
350,4
1469.0
279,9
308 '^1 564,808 ll 79.714
486.394 19,0 I; 35736,9')! 10965,0')
') Es machten nur 292 Käsereien Aneaben. — ') Wovon 15326,8 q feit k
Fr. 118, 6916,8 q halbfett ä Fr. 88, I997I.3 q mager ä Fr. 50. 274,5 q Liinburger
k Fr. 70, 1247.5 (| Zieger ä Fr, 15. - ') Wovon 9153,7 q Raboibutter h Ft. 240,
l8J9,3.i Vi.rljniclibntler a Fr. 220.
Die Statistik führt ferner 29 MUohaammelstellen auf, welche die Milch mm
Konsum nach den Städten und größern Ortschaften fiihren. Der Vertrieb dieser
Uilchsammelstellen bezifferte sich auf 42,674 q, welche zum DarchBchnittspreise
von 12,7 Rp. einen Werth von Fr. 542,193 reprSaentiren.
Milchwirihschaft — 429 — Milcttwirthschaft
7) Ad St. Gallen. Die Begiernog ließ im Jabre 1880 eine Käserei-
Statistik aufnehmen, nach welcher 167 Thalkäsereien existiren. Im Jahre 1864
wurden nach der Alpw. Statistik auf 130 Alpen Butter und Käse bereitet, so
daß, der gleiche Bestand auf den Alpen angenommen, die G^sammtzahl der
Käsereien 297 beträgt. Die drei Bezirke St. Gallen, Werdenberg und Sargans
besitzen keine Käsereien.
8) Ad Z u g. Hier hat Herr Bitter, Milchinspektor der Anglo-Swiss in Cham,
im Jahre 1886 eine milch wirthschaftliche Statbtik aufgenommen, deren Resultat
er in der ^ Schweizerischen Milchzeitung** veröffentlichte.
Punkto Verwerthung der Milch steht obenan die Kondensationsfabrik in
(yham. Dieselbe bezieht ihre Milch von 7600 Kühen, von welchen aber nur
3092 im Kanton Zug stehen. Von diesen sind noch 1000, deren Milch nicht
kondensirt, sondern in der Käserei der Gesellschaft zur Fabrikation von Butter
und Magerkäse, sowie zum Ausmessen verwendet wird, abzuziehen. Der Milch-
preis schwankte im letzten Jahre zwischen 11 — 12 Bp. per Kilogramm.
9) Thalkäsereien in der Schweiz. Die Kantone Schaffhausen,
Luzem, Thurgau, Aargau, Bern, Zürich, St. Gallen und Zug besitzen 12,725 km^
produktives Land und 1689 Thalkäsereien; es trifft somit auf je 7,5 km^ eine
Käserei und auf die ganze Schweiz würde es nach diesem Maßstab ca. 4000
Thalkäsereien treffen, was jedoch auf den ersten Blick zu hoch erscheint.
Ziehen wir die Anzahl der Milchkühe der oben angeführten 8 Kantone in
Betracht, so kommen auf eine Thalkäserei durchschnittlich 262 Stück, wonach
in der Schweiz 2528 Thalkäsereien existiren würden.
Wir werden der Wirklichkeit am nächsten kommen, wenn wir die Zahl
der schweizerischen Thalkäsereien zu 2600 veranschlagen, mit einem jährlichen
Milchquautum von je 2000 hl oder im Gtwzen 5'000,000 hl. Hienach trifft es
auf eine Thalkäserei 1 1 ,4 km^ und 250 Kühe.
Die in den Familien zu Butter und Käse verarbeitete Milch veranschlagen
wir zu 300,000 hl; in den Kantonen Graubünden, üri, Tessin und Wallis ist
die Hauskäserei die fast allgemeine Verwerthung der Milch.
Von dem in die Käsereien gelieferten Milchquantum werden durchschnitt-
lich 7,8 ^/o zum direkten Konsum wieder verkauft und 92,2 ^/o zu Butter und
Käse verarbeitet.
In den acht Kantonen Schaff hausen, Luzem, Thurgau, Bern, Frei bürg,
Zürich, St. Gallen und Zug werden jährlich 299 Millionen Liter Milch verarbeitet,
und zwar 188,4 Millionen oder 63 7o zu Fettkäse, 66 Millionen oder 22 7o
zu Butter und Halbfettkäse und 44,6 Millionen Liter oder 15 ^ja zu Butter und
Magerkäse.
10) Alpkäsereien. Nach der Alpw. Statistik von 1864 existiren 4559
Alpen, wovon ca. 63 ^jo oder 2900 Alpen ihre Milchproduktion zu Butter und
Käse verarbeiten. Es trifft durchschnittlich auf je 10,2 km* oder auf je 228
Kühe eine Alpkäserei.
11) Das in der Schweiz produzirte Milchquantum wird verwerthet:
A, Durch Verarbeiten desselben in Käsereien und Milchkondensationsfabriken ;
B. als direktes Nahrungsmittel der Menschen und
C zur Aufsucht und Mästung von Jung- und Kleinvieh.
Milchwirthschaft — 430 — Müchwirthschaft
A. Verarbeitung der Milch in Käsereien und Kondensationsfabriken.
Seit uralter Zeit, d. h. so lange das Eindvieh dem Menschen als Haasthier
diente, existirt wohl die Bereitung von Käse, beweisen uns doch Geräthe aus
den Pfahl bauresten unzweideutig, daß schon in vorhistorischer Zeit die überflüssige
Milch in eine feste, haltbarere Form, d. h. in Käse, verwandelt wurde. Und
die ältesten griechischen und römischen Schriftsteller erzählen von der Bereitung
von Käse.
Wenn die Grewinuung der Butter aus der Milch auch schon im Alterthum
bekannt war, so darf doch mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden, daß
man schon geraume Zeit vorher die Bereitung von Käse kannte; ebenso ist die
Gewinnung des Ziegers erst später erfunden worden.
Der Milchzucker, welcher den größten Bestandtheil der Milch bildet,
wurde erst im Jahre 1619 entdeckt und im Großen erst vor etwa 100 Jahren
dargestellt.
Der Neuzeit, d. h. der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts, gehört die
Herstellung von kondensirter Milch, von Kindermehl und von Kunst-
butter an.
Der Baum gestattet uns nicht, auf die Entwicklung und Herstellung dieser
Milchprodukte im Speziellen einzugehen; immerhin wollen wir versuchen, den
Leser mit der schweizerischen Milchprodukten-Industrie wenigstens einigermaßen
vertraut zu machen. Ueber den Verkehr mit den verschiedenen Milchprodukten,
deren Ein- und Ausfuhr sind bereits Eingangs dieses Artikels einige Mittheilungen
gemacht worden, auf welche hiemit verwiesen wird.
Ihrer Entwicklung gemäß wollen wir die schweizerischen Milchprodukte in
folgender Reihenfolge betrachten: 1) Käse; 2) Butter; 3) Zieger; 4) Milchzucker;
5) kondensirte Milch; 6) Kindermehl.
1) Die Käsefabrikation
bildet in der kleinen Schweiz die bunteste Musterkarte. Wir beabsichtigten, die
verschiedenen Fabrikationsarten auf einer Karte durch verschiedene Farbentöne
darzustellen, allein die finanziellen Verhältnisse dieses Lexikons gestatteten dies
sowie auch verschiedene graphische Darstellungen nicht; es ist zu hoffen, daß
dies bei einer spätem Auflage des Volks wirthschafts-Lexikons möglich sein wird.
Um dem Leser einen Begriff zu geben von der Mannigfaltigkeit der schwel-
zerisohen Käse-Industrie, fuhren wir hier die wichtigeren Käsesorten mit ihrem
Fabrikationsgebiet an. Auf die Unmasse von Hauskäsen, welche fast in jedem
Dorf wieder verschieden bereitet werden, können wir hier selbstverständlich nicht
eintreten.
1) Emmenihaler (fest, fett und halbfett), Bern, Luzern, Zug, Solothurn, Frei-
burg (Sensebezirk), Baselland, Aargau, Zürich, St. Gallen, Schwyz (March),
Thurgau und Schaffhausen.
2) Spalenkäse (fest, halb- bis dreiviertelfett), Nidwaiden, Obwalden, Bern
('Oberland), Schwyz, Uri (Seegemeinden), Luzeni (Habsburg und zum Theil
Entlebuch).
i)) Greyerzerkäse (fest, fett bis halbfett), französische Schweiz, speziell Frei bürg.
4) Urserenkäse (weich bis fest, fett), Uri.
5) Formaf/f/io dolce (Battelmatt) und Formaqgio della pof/lia (weich bis
fest, fett), Tessin.
G) Saanenkäse (sehr hart, fett), Bern (Simmenthai).
7) Walliserkflse (hart, fett), Wallis.
Milchwirthschaft — 431 — Milchwirthschaft
8
9
10
Cristallina (hart, fett), Graubünden (Medels).
Bellelaykäse (weich, fett), Berner Jura.
Vacherin (weich, fett), Neuenburg, Waadtland (Jura) und Freiburg
(Greyerz).
11) Schabzieger oder GrUnkäse (hart, mager), Glarus, St. Gallen (Toggenburg).
12) Bündner und St, Galler Oherländer-Magerkäse (fest, mager), Graubünden
und St. Gallen (Oberland).
13) Appemellerkäse (weich big fest, mager). Appenzell.
14) Fräitigäuer-Magerkäse (fest, mager), Graubünden (Prättigäu).
15) Waadtländer- und Freibtirger-Magerkäse (fest, mager), Waadtland und
Freiburg.
1 (5) Chamer- oder Pfister-Magerkäse (fest, mager), in den meisten Centrifugen-
molkereien.
17) Limburgerknse (weich, halbfett bis mager), in verschiedenen Theilen der
Schweiz.
18) Sauermilch- (Blöder) Käse (fest, mager), St. Gallen (Rheinthal, Toggen-
burg).
19) Geißkäsli (Ziegenkäse, weich, fett), Bündner, Berner und Waadtländer
Alpenland.
unter den aufgeführten 19 schweizerischen Käsesorten sind wohl die 3
ersten Sorten, Emmenthaler-, Spalen- und Greyerzerkäse, die wichtigsten, und
unter ihnen hat wiederum der Emmenthaler, der „ König*' der Schweizerkäse,
die größte Bedeutung. Diese drei Gruppen liefern weitaus den größten Theil
unseres Exportkäses, während die übrigen Käsesorten, wie Schabzieger, Urseren-,
Appenzeller-, Bellelay- und der Tessinerkäse (Formaggio dolce) als Exportkäse
von nur untergeordneter Bedeutung sind.
Eine der ältesten Thalkäsereien der Schweiz ist diejenige in Muri (Aargau),
welche im Jahre 1760 vom dortigen Kloster errichtet wurde. Die allgemeine
Einführung der Dorf- oder Thalkäsereien fällt jedoch dem Kanton Bern zu, wo
man Anfangs der 20er Jahre in verschiedenen Theilen des Kantons Gesellschafts-
käsereien bildete. Die erste Genossenschaftskäserei im Kanton Bern hat Oberst
Rudolf von Effinger von Wildegg in Kiesen bei Thun gegründet im Jahre 1815
und die zweite in Wangen 1822. Auch in Trubschachen wurden in den Jahren
1826 — 1828 Gesellschaftskäsereien errichtet, welche aber wie überall nur mit
größtem Mißtrauen angesehen wurden. Namentlich die Händler erklärten damals
den Thalkäsereien den Krieg, da diese ein absolut unbrauchbares Fabrikat liefern
und dazu geeignet seien, den „Ruf und Kredit der Emmenthalerkäse in alle
Ewigkeit hinaus zu gefährden**. Es zeigte sich aber bald, daß die in den Niede-
rungen fabrizirten Käse den Alpenkäsen mindestens gleichstanden, wenn nicht
denselben überlegen waren. Auf dem Lager eines der bedeutendsten Handlungs-
häuser machten noch im Jahre 1831 die Bergkäse ca. ^/lo und die Thalkäse
nur Yio des Gesammtvorrathes aus.
Dreißig Jahre später wurde der Werth der Thalkäsereien in vollem Maße
anerkannt und wir lesen diesbezüglich im „Bund" vom Jahre 1859, Seite 247 :
„Die Käsereien sind die eigentliche Quelle des Wohlstandes der Berner Bauern
geworden ; von den Küherbergen haben sich die Sennereien in die Niederungen
verbreitet und überall sichere und bleibende Wurzeln gefaßt. Durch die Bauern-
käsereien ist allerwärts den Berg- oder Küherkäsereien der Rang abgelaufen
worden, und erst, wenn keine guten Bauernmulchen mehr zu haben sind, kommen
die Bergkäse an die Reihe. Mit diesem ist man allgemein zu der Ansicht gela\\^t^
Milchwirthschaft
— 432 —
Milchwirthschaft
daß es nicht sowohl auf das Gras und Kraut, als auf die sorgfältige und
f/eschickte Art der Zubereitung ankomme, um einen feinen, tadelfreien Käse
zu er zeugen, ''^
Id nachstehender Tabelle stellen wir die nns bekannt gewordenen Preise
der drei Hanptsorten zusammen:
Preise vor 1800, per 50 kg.
Emmenthalerkäse : 1580: Fr. 14. 48; 1593: Fr. 10. 86— 18. 10; 1622:
Fr. 28. 96; 1718: Fr. 15. 20—16. 48; 1723: Fr. 11. 15 — 11. 86; 1726:
Fr. 15. 20—16. 27; 1730: Fr. 15. 91 — 17. 24; 1740: Fr. 21. 72—24. 87;
1762: Fr. 23. 53—32. 58; 1771: Fr. 36. 20; 1772: Fr. 31. 11; 1780:
Fr. 30. 39; 1789: Fr. 34. 37; 1791: Fr. 38. 71; 1794: Fr. 46. 30; 1795:
Fr. 54. 30; 1798: Fr. 47. 06; 1799: Fr. 54. 30.
Spalenkäse: 1673: 7 Gl. 20; 1693: 12—13 Gl.; 1698: 10—11 GL;
1702: lOVs Gl.; 1714: 12 Gl. oder 5 Thaler; 1716: IOV2— 11 Gl.; 1718:
9 GL; 1722: 8— 8V2 GL; 1728: 7V2— 8 GL; 1730: 978—10 GL; 1791:
24 GL 20; 1796: 23 GL; 1798: 25 GL
Jahr
Er
nme
1800
Fr.
52.
47
1805
n
56.
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1810
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50.
50
1815
n
47.
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1820
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41.
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1830
n
41.
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45.
1850
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Preise seit 1800, per 50 kg.
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59
1) Der Emmenthalerkäse hat seine ursprüngliche Heimat im Emmen-
Ihal, Kanton Bern, von wo aus schon im 17. Jahrhundert Käse nach ver-
schiedenen Ländern exportirt wurde. Bis in die 30er Jahre unseres Jahrhunderts
hatte der Emmenthaler, welcher damals nur auf den Alpen fabrizirt wurde, ein
Gewicht von 25 — 50 kg; gegenwärtig besitzen diese schleifsteinförmigen Rund-
käse einen Durchmesser von 80 — 100 cm, eine Höhe von 10 — 15 cm und ein
Gewicht von 50 — 100 kg und darüber. An der Ausstellung in Luzern wie an
derjenigen in Zürich waren die Negotianten und das Preisgericht einig, daß ein
Gewicht über 100 kg nicht zu empfehlen sei. Daß kleinere Formen an Feinheit
des Teiges und speziellem Aroma verlieren, kann schwerlich behauptet werden,
denn im Gebiete der Greyerzerkäse, welche 30 — 50 kg wiegen, sind diese Eigen-
schaften häufig vorhanden.
Milchwirthschaft — 433 — Milchwirthschaft
Nach und nach verbreitete sich die Emmenthalerkäse-Fabrikation über einen
großen Theil der Schweiz, namentlich über die nordöstlich von Bern gelegenen
Kantone, indem eine Anzahl Berner Käser sich in diesen Gegenden niederließ
und Sennereien nach Emmenthaler Art gründete. In den 5()er und besonders in
den 60er und 70er Jahren wurden aber auch außerhalb unseres Vaterlandes
Emmenthalerkäsereien errichtet und heute kennen wir für diese Fabrikation keine
Grenze mehr. In Deutschland, speziell in Ost- und Westpreußen, in Rußland,
in Amerika, überall finden wir Emmenthalerkäsereien, welche Alles aufbieten,
ein vollkommenes Produkt herzustellen und dem ächten Emmenthalerkäse eine
erbitterte Konkurrenz zu bereiten.
Hunderte von Beispielen könnten aufgezählt werden, wo ausländische Guts-
besitzer ganze Viehheerden aus der Schweiz bezogen, um die gleiche Qualität
Milch zu produziren; es scheuten dieselben keine Auslagen, um die tüchtigsten
Emmenthaler Käser zu gewinnen und Käsereien nach Emmenthaler Art einzu-
richten, wie wir sie im Emmenthal nicht schöner und vollkommener linden.
Es fehlten also einzig noch unser Klima, das klare Quellwasser und unsere
duftenden Alpen und Wiesen, so wäre ein schöner Theil der schweizerischen
Milchwirthschaft in fremde Länder versetzt worden. Was aber dem Ausland in
diesem Punkte für immer abgeht, das suchte man daselbst durch möglichste
Vervollkommnung der Technik zu ersetzen, und namentlich Deutschland hat es
in der Imitation der Emmenthalerkäse weit, sehr weit gebracht, so daß in jenem
Lande einzig noch die feinste, tadelloseste Emmenthalerwaare konkurrenzfähig ist.
Wenn wir etwa hundert Jalye zurückblicken, so muß konstatirt werden,
daß auch die schweizerische Käsereitechnik großartige Fortschritte gemacht hat.
Am Ende des vorigen und auch Anfangs unseres Jahrhunderts wurde der
Emmenthalerkäse nur auf den Alpen gemacht und die gleiche Ansicht herrschte
dazumal im Kanton Bern wie gegenwärtig noch in der italienischen Schweiz,
daß nämlich ein feiner Käse nur auf den Alpen gemacht werden könne. Durch
die Gründung der Genossenschaftskäsereien im Thale wurde jedoch allmälig das
Gegentheil bewiesen. Die Fabrikation der Emmenthalerkäse vervollkommnete sich
bald in dem Maße, daß auch die Kundsäme im Auslande erhöht« Ansprüche an
den Emmenthalerkäse machte und sich einzig mit einem feinen, zarten, schön
gelochten Laib zufrieden stellte. Einer der ersten Käsehändler im Emmenthal
äußerte sich in den 40er Jahren, mau sollte demjenigen Käser die Finger ab-
schlagen, welcher den ersten Käse mit schönen regelmäßigen Augen fabrizirte,
denn jetzt wolle Jedermann nur solch' schön gelochten Käse, während früher
Alles Absatz fand, was rund war.
Seit den 40er Jahren sind aber die Ansprüche an unsere Exportkäse,
namentlich zufolge der erbitterten fremden Konkurrenz und der Zollmauem,
womit die fremden Staaten ihre eigene Produktion schützen, noch gewaltig ge-
stiegen. An einen Prima Emmenthalerkäse werden heute folgende Anforderungen
gestellt :
1) Ein feiner, zarter, weicher, fetter, ganz kompakter Teig, der beim Ab-
schneiden absolut nicht gläseln, nicht bröckeln, nicht brechen darf.
2) Ein reiner, nußkerniger Geschmack und absolut feines Aroma.
3) Eine gleichmäßige, regelmäßige, schön großgelochte Bohrung.
4) Ein ganz gesundes, reinliches Aussehen, selbst wenn der Käse alt und
vollsaftig ist.
b) Der Emmenthalerkäse soll sich wenigstens 12 Monate aufbewahren lassen,
ohne daß er spaltet oder gläselt oder im Teige geringer wird.
Furror, VolkswirthscliRfts-Lexikon der Schweiz. '^^l^
Milchwirthscbaft — 434 — Milchwirthschaft
Ein Emraenthalerkäse, welcher diese Haupteigenschaften nicht besitzt, wird
nicht als Prima Waare anerkannt und muß mit Verlust als Ausschußwaare
abgesetzt werden.
Wollen wir den Weltruf, welchen sich der Emmenthalerkäse erworben,
aufrecht erhalten und dafür sorgen, daß das Absatzgebiet desselben, welches sich
auf fast alle Länder der Welt erstreckt, sich nicht verkleinere, so ist es unsere
erste Pflicht, Alles aufzubieten, damit die Schweiz eine vollkommene, gleichmäßige
Prima Waare an ihre Kundsame abgeben kann. Vor Allem müssen wir daher
die Ausschußwaare als den größten Feind unserer Käse-Industrie bekämpfen.
Welchen enormen Schaden der Ausschuß der schweizerischen Käse-Industrie ver-
ursacht, haben wir bereit« Eingangs dieses Artikels gesehen. Wir werden nicht
zu hoch greifen, wenn wir den durch Ausschußkäse an unserem Nationaleinkommen
verursachten Ausfall während den letzten 10 Jahren zu 25 Millionen Franken
veranschlagen.
In Anbetracht der Wichtigkeit des Käsereigewerbes und namentlich auch
der Fortschritte, welche unsere Konknrrenzländer auf dem Gebiete der Käserei-
technik machen, zeigen sich die eidgenössischen wie kantonalen Behörden bereit,
für die Förderung der Milchwirthschaft bedeutende Opfer zu bringen.
Vor Allem aber liegt es an den Zunächstbetheiligten, den Landwirthen und
Käsern, das Ihrige zur Vervollkommnung der Fabrikation beizutragen. Die
Landwirthe müssen zur naturgemäßen DUngnng und zur ungekünstelten, natür-
lichen Fütterung zurückkehren, um eine reelle, reine, aromatische Milch in die
Sennerei zu liefern. Der Käser muß sodann sein Gewerbe gründlich kennen und
Alles aufbieten, um ein tadelloses Produkt herzustellen.
2) Der Spalenkäse wurde ursprünglich nur in Unterwaiden und Seh wyz
fabrizirt, nach und nach breitete sich aber diese Fabrikation auch über die
angrenzenden Landestheile aus. In Italien wird dieser Käse „Sbrinz** genannt;
den deutschen Namen Spalenkä^je hat er von seiner Verfrachtung nach Italien in
Fäßchen, sog. Spalen. Das Gewicht der Spalenkäse, welche gewöhnlich das
Produkt von 30 — 35 Kühen sind, varirt zwischen 17 — 24 kg. In früherer Zeit
wurde der Spalenkäse ganz fett, „glattfeiß" gemacht; heute wird jedoch überall
mehr oder weniger Butter gewonnen. Nach einem 15jährigen Durchschnitt
(1867 — 84) einer Unterwaldner Sennerei wurden aus 3'47 1,437 ff Milch
293,159 ff oder 8,44 7o Käse und 25,421 ff oder 0,73 7o Butter erzielt.
In einigen Fällen ist der Buttorentzug bedeutend größer, je nachdem die Butter
im Preise hoch oder niedrig steht.
Die Spalenkäse haben im Alter von 2 — 3 Jahren den größten Werth urid
werden alsdann meistens in Italien zu Maccaroni, Polenta und Reisspeisen ver-
wendet. Es ist klar, daß beim langen Aufbewahren dieser Käsesorte der Butter-
entzug von höchster Bedeutung ist, indem man allgemein annimmt, daß beim
Entzug von 1 kg Butter der Käse 1,6 — 1,8 kg an Gewicht verliert. Wer daher
dem Spalenkäse viel Fett entzieht, verliert am Käsgewicht und an der Qualität
mehr, als Derjenige, der nur in ganz bescheidenem Maße abrahmt.
Nach Urbarien der Klöster Engelberg und Muri wurde schon vor dem
12. Jahrhundert im Kanton Unterwaiden Spalenkäse gemacht und im vorigen
Jahrhundert soll der Käsehandel nach Italien die nidwaldnerischen Geld Verhältnisse
viel mehr beherrscht haben als der Viehhandel. Die Ausfuhr von Nidwaldner
Spalenkäse wurde Ende der 60er Jahre auf 5000 q geschätzt.
Die Fabrikation des Spalenkäses steht derjenigen des Emmenthalerkäsea im
Allgemoinen nach, namentlich mit Rücksicht auf die Käserei -Einrichtungen. Das
Milch wirthscbaft — 435 — Milchwirthschaft
Aufstellen der Milch in schlecht gelüfteten Lokalen, sowie das Aufbewahren der
Käse in kleinen, ungeeigneten Kellern resp. Zimmern wirkt schon sehr nach-
theilig auf die Qualität des Spalenkäses. Der größte Fehler besteht aber in der
Ungleichheit der Waare, sowohl hinsichtlich Fettgehalt wie Fabrikation des Käses.
Diese Ungleichheit in der Fabrikation treffen wir auch bei einer Eeihe
anderer Käsesorten, wie beim Greyerzer- und namentlich beim süßen Tessiner-
käse, mitunter auch beim Emmenthaler. Der Hauptfehler liegt hier entschieden
am Käser, welcher gar oft in seinem schwierigen Berufe, zu wenig Fachkenntnisse
und Erfahrungen besitzt.
i\) Der Greyerzer käse gehört zur Emmenthaler Gruppe, ist aber älteren
Ursprunges als dieser. Seinen Namen hat er von der frei burgischen Stadt Greyerz ;
die Greyerzerfabrikation wurde im 15. und 16. Jahrhundert trotz dem Widerstand
der Behörden aus dem Frei burgischen im Kanton Bern eingeführt. Schon um
die Mitte des vorigen Jahrhunderts existirten in der Umgebung von Pontarlier
eine Anzahl Greyerzerkäsereien und gegenwärtig treffen wir im Jura- und Doubs-
departement sowie in Savoyen eine Unzahl von Käsereien mit Greyerzerfabrikation.
Meistens sind es Freiburger, welche, durch große Löhne gelockt, in die Nachbar-
staaten hinausziehen und Greyerzerkäsereien errichten, welche den einheimischen
die heftigste Konkurrenz machen. Es ist dies übrigens nicht nur bei'r Greyerzer-,
sondern in viel ,s;rößerem Maße noch bei der Emmenthalerfabrikation der Fall.
Wie in der Ostschweiz, so wird auch im Kanton Freiburg im Gebiete der
Greyerzerfabrikation die Milch meistens an Käser verkauft, was aber von vielen
einsichtigen Männern bekämpft wird. Wenn die Genossenschaften die Milch auf
eigene Rechnung verarbeiten, so haben einerseits die Lieferanten ein größeres
Interesse an einer reellen, guten Milchlieferung und anderseits bietet der genossen-
schaftliche Betrieb gi'ößere Garantie für die Fabrikation fetter, vorzüglicher Käse,
welche den alten guten Ruf erhalten.
Während der Greyerzerkäse im letzten Jahrzehnt nicht mehr zu den Fett-
käsen gezählt werden konnte, befürworten heute eine Anzahl Händler ganz
besonders die Fabrikation fetter Käse, denn bei keiner andern Käsesorte bezahlt
sich das Fett im Käse so gut wie beim Greyerzerkäse. Leider stellen sich aber
der Fettkäserei die Pachtverhältnisse auf den Alpen in den Weg, indem ein
Theil des Alpzinses laut Vertrag in Butter geliefert werden muß. Im Allgemeinen
hat sich die Fabrikation, welche bis Ende der 60er Jahre noch auf einer tiefen
Stufe stand, in den letzten Jahren, namentlich hinsichtlich der Käserei-Einrichtungen,
bedeutend verbessert, um den gesteigerten Ansprüchen zu entsprechen.
Die Greyerzerkäse haben einen Durchmesser von 60 — 70 cm, eine Höhe
von 9 — 12 cm und ein Gewicht von 30 — 50 kg. Auf der Jerbseite sind die
Greyerzerkäse etwas eingebogen, während die Spalenkäse gerade und die Emmen-
thaler etwas ausgebogen sind.
Der Verkauf der Greyerzerkäse an die Händler ist von demjenigen der
Emmenthaler vollständig verschieden, indem bei jenen zu verschiedenen Jahres-
zeiten reife Partien gekauft und beim Einwägen gewöhnlich haar bezahlt werden,
während beim Emmenthalerkäse — wenigstens in frühern Jahren — der Ankauf
des gewaltigen Quantums auf einige wenige Tage beschränkt wurde; heutzutage ist
dieses Drängen oder die „wilde verwegene Jagd", wie der Ankauf der Emmen-
thaler mit Recht genannt wurde, weniger fühlbar geworden, da die Produktion
sich immer mehr steigert, die Absatzverhältnisse dagegen stets schwieriger sich
gestalten. Auch die 6 ^/o Eingewicht, welche beim EmmenthakT-"^\v\VÄ\Ä w!cv^
Milchwirthschaft — 436 — Milchwirthschaft
fast allgemein gebräuchlich sind, werden beim Verkauf der Greyerzerkäse nie
gestattet.
Das Hauptabsatzgebiet des Greyei zerkäses ist Frankreich und Italien, in
letzter Zeit auch überseeische Länder. In früherer Zeit genoß der Greyerzerkäse
einen verhältnißmäßig größeren Ruf als jetzt ; er führte das Wappen der Grafen
von Greyerz, einen Kranich, für welchen Stempel die Käser dazumal wahr-
scheinlich eine Steuer bezahlen mußten.
4) Der ürserenkäse hatte seine ursprüngliche Heimat ohne Zweifel auf
der südlichen Seile des Gotthards, von wo aus sich die Fabrikation dieses süßen,
weichen, aromatischen Käses auch im Urserenthal eingebürgert hat. Dieser
spezifische Alpenkäse wird, wie auch der Formaggio dolce, im Tessin nur in
den Sommermonaten Juli und August auf den höchsten Alpen bereitet, und zwar
stets aus frisch gemolkener Milch, weßhalb er sehr fett ist und einen aus-
gezeichneten Geschmack und Geruch besitzt.
In der Form ist der Ürserenkäse vom tessinischen Formaggio dolce wesent-
lich verschieden, indem dieser die Form der Spalenkäse von 60 — 70 cm Durch-
messer und 10 cm Höhe, jener aber einen Durchmesser von 30 cm und eine
Höhe von 30 — 45 cm hat. Es nähert sich der ürserenkäse mehr dem Formaggio
della pnglia und dem Parmesankäse, welche ähnliche Formen haben.
Der größte Theil dieses Käses wird im eigenen Lande konsumirt und ein
Theil nach den oberitalienischen Städten gesandt. Wie der tessinische Weichkäse,
muß auch der ürserenkäse rasch, d. h. innert 6 — 8 Monaten, genossen werden,
denn nachher wird er leicht ranzig, bitter und scharf. Die Fabrikation ist noch
einer großen Verbesserung fähig und es ist nur zu wünschen, daß die kostbare
Alpenmilch, das Hauptprodukt vieler ürner Gemeinden, mit mehr Sorgfalt und
Sachkenntniß verarbeitet werde.
5) Der Formaggio dolce ^) ist gleich dem ürserenkäse ein überaus
fetter, weicher, süßer, aromatischer Kundkäse, welcher auf ca. 150 Alpen des
Kantons Tessin in einer Höhe von 1500 — 2500 m fabrizirt wird. Im Sommer
1886 fand die erste Käsereiprämirung auf den Tessiner Alpen statt, wo alljährlich
während den Sommermonaten für ca. Fr. 600,000 Käse bereitet wird. Der
Verfasser dieser Zeilen traf bei dieser Käserei-Inspektion einige tüchtige Käser,
welche ein ausgezeichnetes Mulchen herstellten; im Allgemeinen aber steht es
mit der Käsefabrikation auf den Tessiner Alpen wie mit der Alpwirthschafb
selbst noch sehr traurig. Die Käser kennen in der Regel ihren Beruf viel zu
wenig, weßhalb wir höchst selten ein durchweg gleichmäßiges Fabrikat antreffen.
Die Klage über bittere, scharfe, geblähte und andere minderwerthige Käse
ist im Kanton Tessin, wie auch im Gebiete der ürserenkäsefabrikation, eine
allgemeine. Auf diesen Alpen liegt der Fehler nicht an der Kunstdüngung und
Kunstfütterung, welche die Emmenthaler Käser beim Mißlingen des Mulchens
stets anklagen, sondern hier liegt die Schuld unbedingt am Käser, welcher seinen
Beruf zu wenig kennt und nicht die nothwendige Sorgfalt und Reinlichkeit
aufwendet.
Der Engros-Preis des Formaggio dolce beträgt Fr. 130 — 135 per 100 kg.
M Dieser Käse wurde früher irrthömlich Battehnattkäse genannt, nach gleichem
Namen einer Walliser Alp. Dieser Name erscheint uns jedoch ganz ungerechtfertigt,
weil der Walliserkäse in einigen Punkten, wie z. B. in der Bohrung, vom Tessiner
Ali)enkase verschieden ist. Mehr gerechtfertigt wäre der Name Gotthard- oder Piorakäse ;
um jedoch aller Rivalität auszuweichen, wählten wir den schon vielfach üblichen Namen
Formaggio dolce.
Milch wirthschaft — 437 — Milchwirthschaft
In Mailand, welches das wichtigste Absatzgebiet dieser Eäsesorte ist, wird das
Kilogramm Tessinerkäse zu Fr. 2 und darüber verkauft, während daselbst für
Ausschußwaare kaum Fr. 1 per Kilogramm erhältlich ist. Eine Verbesserung
der Fabrikation ist hier dringend nothwendig.
Der Formaggio della paglia hat seinen Namen von der Stroh-
verpackung und besitzt die Form des Urserenkäses. Er wird gewöhnlich nur in
-den ersten Tagen der Alpzeit oder bei geringem Milchquantum fabrizirt und ist
nicht so aromatisch wie der Formaggio dolce. Früher wurde der Formaggio
della paglia in bedeutenden Quantitäten ausgeführt und war namentlich in Mailand
sehr gesucht. Heute wird er aber nicht mehr in gleich guter Qualität fabrizirt
und hat als Exportartikel keine Bedeutung mehr. Im Mai 1887 wurden in fast
allen Theilen des Kantons Käserkurse abgehalten, an welchen von Seite der
Bevölkerung und speziell der Käser das größte Interesse an den Tag gelegt
wurde. Schon die Thatsache, daß in dieser Zeit über 80 Thermometer, welche
man früher im tessiuischen Käsereibetrieb noch nirgends kannte, von Käsern
angeschafft wurden, beweist uns, daß man auch im Kanton Tessin die Käse-
fabrikation verbessern will.
(>) Der Saanenkäse ist im Gegensatz zu den beiden Käsesorten von Uri
und Tessin sehr hart, so daß er als Tafelkäse ganz fein geschnitten resp. gehobelt
werden muß; ein eigenes Instrument, der Käsehobel, leistet zu diesem Zwecke
gute Dienste. Die 10 — 20 kg schweren Saanenkäse von 30 — 40 cm Durchmesser
und 8 — 9 cm Höhe werden in den bernischen Thälern von Frutigen, Interlaken
und Obersimmenthal bereitet und lassen sich sehr lange aufbewahren.
Wie der Spalenkäse wird auch der Saanenkäse nicht auf Käsbänke gelegt,
sondern in trockenen, luftigen „Gaden" auf zwei Latten gestellt, so daß er ganz
von Luft umgeben ist und leicht austrocknen kann. Gewöhnlich hat der Saanen-
käse beim Konsum ein Alter von 4 — 6 Jahren; Viele behaupten, er erhalte erst
nach 10 Jahren das feine Aroma und den ausgesprochen nußkernigen Geschmack.
Wie aus den später aufgeführten Analysen hervorgeht, enthält der Saanenkäse
sehr wenig Wasser und ist von ausgezeichnetem Nahrungswerth ; auch ist er
weit verdaulicher als alle übrigen Käsesorten. Es sollen sich Exemplare von
Saanenkäse finden, die ein Alter von 100 — 150 Jahren haben; früher kam es
nicht selten vor, daß Bauern einige Zentner Käse aufbewahrten, und hienach
habe man den Reichthnm derselben beurtheilt.
7) Von ungefähr gleicher Beschaffenheit wie der vorhergehende ist der
W a 1 1 i 8 e r k ä 8 0 , welcher auch 50 — 1 00 und mehr Jahre aufbewahrt zu werden
pflegt. Dieser harte Fettkäse ist außerordentlich fett und nimmt im Alter die
Farbe von gelbem Wachs an. Auch hier wird über viel Ausschußwaare geklagt,
was wiederum der geringen Berufsbildung der Käser zur Last gelegt werden
muß, denn die kuhwarm verarbeitete Milch, welche von den herrlich duftenden
Alpenkräutern stammt, sollte doch einen regelmäßig feinen Käse liefern. In den
70er Jahren sind einige Verbesserungen eingeführt worden; so findet man auf
den Walliser Alpen den für den Käser unentbehrlichen Thermometer, welchen
wir auf den Tessiner Alpen auf der Käserei Inspektion im Jahre 1886 noch
nirgends angetroffen haben.
Das Gewicht des Walliserkäses übersteigt 10 kg niemals. Derselbe wird
im ganzen Kanton Wallis fabrizirt, jedoch nur in unbedeutendem Maße exportirt.
8) Der Cristallinakäse hat seinen Namen von der Alp Cristallina im
Medelser Thale des Bündner Oberlandes und gleicht dem Oberwalliserkäse sehr
gut, wird aber nicht so lange aufbewahrt wie dieser.
Milch wirthscbafc — 438 — Milch wirthschaft
•
9) Der Bellelaykäse, auch Tetes des moines genannt, worde schon im
15. Jahrhundert in den Sennereien des Prämonstratenserstiftes Bellelay im ber-
nischen Jura fabrizirt. Noch im vorigen Jahrhundert war dieser 5 — 6 kg schwere
Fettkäse von 10 — 12 cm Durchmesser und 16 — 18 cm Höhe sehr berühmt,
während dessen Fabrikation jetzt nicht mehr gepflegt wird. Im Jahre 1862
sollen ca. 1500 Stück mit einem Gewicht von ca. 90 q fabrizirt worden sein,
welche mehr in unsern Nachbarstaaten als in ihrer Heimat genossen werden.
Der Preis per Kilogramm betrug vor ca. 60 Jahren 20 Kreuzer =75 Rp. ;
jetzt ist sein Preis auf Fr. 2 gestiegen.
10) Der Vacherin ist ein delikater, fetter Weichkäse und wird theils im
Jura (Neuenburg und Waadtland), theils im Greyerzer Land fabrizirt; in letzterem
wird jedoch nur der Schmelz- Vacherin (Fondu) in Form und Größe der Greyerzer-
käse bereitet, während der in den Jurathälern im Gewicht von 3— 5 kg gemachte
Vacherin {k la main) von Hand gegessen wird und, aufs Brod gestrichen, eine
vorzügliche Delikatesse bildet.
11) Der Schabzieger, auch Grünkäse genannt, hat seine Heimat im
Kanton Glarus, woher auch der Name Glarnerzieger, welcher in allen Welttheilen
als schmackhaftes Nahrunga- und Würzmittel bekannt ist; den Kindern wird er
bei Anhäufung von Spulwürmern mit sicherem Erfolg gegeben.
Wo im Kanton Glarus die Verhältnisse, wie Wasserzuleitung oder natür-
liche Luftzüge, das Aufrahmen der Milch begünstigen, wird diese zu Zieger
verarbeitet. Nationalrath Schindler in Mollis theilte uns mit, daß wenigstens auf
der Hälfte der Alpen die Milch zu Zieger verarbeitet werde, was folgende
Vortheile biete: Der gewonnene Zieger findet zu weiterer Verwendung in den
Ziegerfabriken des Kantons Glarus sicheren und naheliegenden Absatz. Die
Manipulation ist beim Ziegern einfacher als beim Käsen, es gibt viel weniger
Ausschußwaare. Die Verwendung der Milch zu Zieger erlaubt, ohne diesem
Produkt zu schaden, möglichst allen Kahm aus derselben zu gewinnen. Die
Butterproduktion ist daher beim Ziegern größer als beim Käsen und kann die
Butter bei der großen Industriebevölkerung stets gut abgesetzt werden.
Die Glarner Zieger- Industrie ist schon sehr alt und es wurde bereits im
15. Jahrhundert „grüner Zieger** aus Glarus nach Zürich und den benachbarten
Landschaften verhandelt.
Schon im 17. Jahrhundert, schreibt Dr. Tschudi ^), hatte der Ziegerhandel
eine bedeutende Ausdehnung gewonnen. Zu jener Zeit bauten die glarnerischen
Handelsleute an der Ziegelbrücke eigene Schiffe, befrachteten sie mit ihren
Landesprodukten, als: Schahziecfer^ Schiefertafeln, geschnittenen feinen Hölzern
u. s. w., und führten dieselben unter eigener Aufsicht und Leitung nach Rotterdam
und anderen Seeplätzen in Holland, von wo dann der Inhalt der Schilfe nach
England, Rußland, Amerika, Ost- und Westindien etc. verhandelt wurde. Gegen-
wärtig wird der Glarnerzieger nach dem ganzen Kontinent und den meisten
überseeischen Ländern verfrachtet und sind jetzt vorzüglich Bremen und Hamburg
die Seeplätze, von welchen aus der Handel nach außereuropäischen Ländern
vermittelt wird.
Dr. Tschudi veranschlagt die Fabrikation und den Export des Schabziegers
aus dem Kanton Glarus per Jahr auf ca. 10,000 — 13,000 q, welche im Mittel
zu 11,500 q ä Fr. Ö4 per 100 kg einen Werth von Fr. 736,000 repräsentiren.
') Alpw. Monatsblätter 1869. — Wer sich um diese Glarner Industrie interessirt,
iindet in diesen Blättern ausführlichen Bescheid.
Milcbwirthschaft — 439 — Milchwirthschaft
Eine bescheidene Ziifer, sagte Dr. Tschudi, gegenüber der anderen Glarner In-
dustrie, welche nur in Banmwollwaaren, nach der Zusammenstellung des ersten
Fabrikinspektionsbenchtes vom Jahre 1865, einen Handelswerth von 46 Millionen
Franken aufwies.
12) Bündner und Sl. Galler Oberländer-Magerkäse,
Vd) Appenzellerkäse.
14) Prätt ig au er- Magerkäse.
15) Waadtländer- und Freiburger-Magerkäse,
16) Chamer- oder Pßster-Magerkäse.
17) Limburgerkäse,
18) Sauermilch- (Blöder) Käse,
Diese von 12 bis 18 aufgeführten Käsesorten sind mit Ausnahme des Lim-
burgers, welcher auch hie und da halbfett fabrizirt wird, magere Schweizer käse,
wozu sich noch eine Unzahl magerer Hauskäse gesellen. £s würde uns zu weit
führen, auf alle diese Sorten einzutreten, zumal dieselben in unserer Export-
induötrie keine oder nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Von um so
höherem Werthe sind die Magerkäse für unsere Volksernährung, indem dieselben
ca. 33 Vo Proteinsubstanz besitzen, während z. B. mageres Ochsenfleisch nur
21 7o Protein enthält.
Der Schweizer Magerkäse ist, wenn er gut bereitet wird, anerkanntermaßen
ein gutes, sehr haltbares Produkt von angenehmem, pikantem Geschmack, welches
weder leicht austrocknet noch fault. Die Rinde ist sehr dünn und es gibt deßhalb
wenig Abfall beim Detailausschnitt. Dr. von Klenze sagt: „Beinahe kein anderer
Magerkäse vereinigt alle diese Eigenschaften in sich oder besitzt sie in so hohem
Maße, wie der Schweizer Magerkäse. Und doch wird er bis jetzt so selten gut
bereitet, sondern im Gegentheil meist ganz vernachlässigt. Fieischmann hat in
Mecklenburg diese Fabrikation eingeführt und sie ist sehr günstig aufgenommen
worden, so daß die Käse sich eines lebhaften Absatzes erfreuen. **
Es ist eine feststehende Thatsache, daß der Magerkäsefabrikati on in der
Schweiz im Allgemeinen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die bisherige
Fabrikationsweise liefert ein sehr gutes Produkt, wenn mit Sachkenntniß und
Aufmerksamkeit gearbeitet wird. Es existirt aber leider fast allgemein das Vor-
urtheil, es sei nicht noth wendig, besondern Fleiß auf die Magerkäsefabrikation
zu verwenden, da der Magerkäse ja im Lande selbst und meist nur von der
niederen Volksklasse gegessen werde. Wir halten es nicht für nothwendig, die
UnStichhaltigkeit dieser Idee zu beweisen und wünschen nur, daß auch Behörden
und Vereine der Verarbeitung der Milch zu Magerkäse vermehrte Aufmerksamkeit
schenken.
Unter den Magerkäsen verdient noch besondere Erwähnung der Appen-
zellerkäse, welcher in pikanter oder vielmehr räßer Qualität und in Laiben
von 7 — 8 kg (25 — 30 cm Durchmesser und 12 — 15 cm Höhe) in den Handel
kommt. Eine besondere Eigenthümlichkeit des Appenzellerkäses besteht darin,
daß der Senn den frischen Käse nicht preßt und etwa 8 Tage lang liegen läßt.
Dann wird der trockene, ungesalzene Käse an die Händler verkauft, welche den
reifen Käse mit einer „Sulz" (Salzlacke) von Wasser, Wein, Hefe von weißem
Wein, Salz und Pfeffer einbeizen. Die kunstgerechte Bereitung der „Beize**,
welche dem Appenzellerkäse den beliebten Geschmack gibt, wird noch als Ge-
heimniß betrachtet. Der Appenzellerkäse, welcher mitunter auch fett („Fähstkäse")
fabrizirt wird, findet im Appenzeller Lande selbst, im Kanton St. Gallen, Thurgau
und dann auch in Schwaben guten Absatz. Vor einem Preisgericht, sagt der
Milchwirthschaft — 440 — Milchwirthschafl
Bericht über die Landesausstellung in Zürich, wird der Appenzeller-, Saanen-
nnd Walliserkäse schwerlich jemals Gnade finden, denn ihre äußere Form sticht
sehr stark von den Handelskäsen ab (gespalten, unebene Oberfläche), immerhin
finden dieselben ihre Liebhaber.
Der Chamer- oder Pfisterkäse, benannt nach seinem Erfinder Pfister-
Huber, hat namentlich für den Centrifugenbetrieb große Bedeutung, da die Ver-
arbeitung der durch die Centrifuge gewonnenen Magermilch große Schwierigkeiten
bietet. Dieser Pfisterkäse, ein harter, schmackhafter, stark gesalzener Magerkäse,
wird frisch einige Tage in eine zwanzigprozentige Salzlacke und nachher in ein
Dampfzimmer gebracht. Diese Fabrikation hat in zahlreichen Centrifugenmolkereien
der Schweiz und des Auslandes Eingang gefunden.
Schatzmann's Bericht über die Landesausstellung in Zürich von 1883 sagt :
„Aus Centrifugenmilch einen guten Magerkäse zu fabriziren, hat seine großen
Schwierigkeiten, die Pfister überwunden. Er stellt einen Magerkäse in Form und
Größe der „Spalen** her, der theils frisch und jung als Volkskost bei uns verzehrt
wird, theils älter und fest nach Italien als Reibkäse guten Absatz findet. Dieses
günstige Resultat wurde durch viele und verschiedenartige Versuche gewonnen,
sowohl was das Laben (Labpulver), das Salzen (im Wasser) und das Gähren
(Dämpfen) der Käse anbetrifft; Herr Pfister hat mit diesen Versuchen der Milch-
wirthschaft einen großen Dienst geleistet. Die Chamerkäse hatten nicht nur eine
tadellose Form, sondern auch einen sehr guten Geschmack.**
Der Limburgerfabrikation sollte in der Schweiz mehr Aufmerksam-
keit geschenkt werden, denn die Käse-Einfuhr im Werthe von ca. 2 Millionen
Franken betrifft zum großen Theil Limburger käse. Da aber diese Käsesorte
bekanntermaßen in der Schweiz vielerorts in eben so guter Qualität wie in
Deutschland fabrizirt. wird, ist nur zu wünschen, daß unsere Bevölkerung ihren
Bedarf mehr mit einheimischem Produkte decke.
Der Sauermilch- oder B 1 o d e r k ä s e ist der einzige, welcher ohne Zu-
setzen von Lab, einzig durch Gerinnen der Milch, bereitet wird. Dieser Bloder-
käse hat ein Gewicht von 2 — 10 kg und wird wie Ziegerstöcke behandelt. Die
Fabrikation beschränkt sich auf das st. gallische Rheinthal und Toggenburg und
ist von untergeordneter Bedeutung.
19) Die Geißkäsli, welche zur Sommerszeit aus vielen Alpengegenden auf
den Markt gebracht werden, sind die kleinsten Käschen der Schweiz und bilden
den größten Kontrast gegenüber den zweizentnerigen Emmenthalem, mit welchen
wir die Umschau über die schweizeri.Nchen Käsesorten begonnen haben.
Schließlich führen wir hier noch einige Analysen der verschiedenen
Käsesorten an ;
.. . . Wasser Fett Kä-sestofT Salne
Emmenthaler .... 34,9 — 37,4 30,4—31,2 28,5—29,9 3,4—4,0
Greyerzer (ähnlich Spalen) 34,57 — 40,0 24,0—29,0 30,6—32,5 3,0—3,8
Bellelaykäse 37,59 30,05 28,88 3,48
Saanenkäse, alt ... . 12,40 34,35 46,80 6,45
Vacherin 45,87 27,21 25,29 1,63
2) Die Butterfabrikation
spielte, wie wir bereit'« im Eingang dieses Artikels gesehen haben, in früheren
Jahrhunderten bei uns eine viel größere Rolle als gegenwärtig.
Im 16. und 17. Jahrhundert scheint eine beständige Angst vor Buttermangel
geherrscht zu haben, weßhalb die damaligen Behörden den Butterexport möglichst
Milchwirthschaft — 441 — Milchwirthschaft
einschränkten und auch das Fettkäsen zu unterdrücken suchten. Im Jahre 1601
maßte z. B. von allen Kanzeln des Kantons Bern verkündet und das Volk
gewarnt werden, „sich des Verkoufs des Ankens an Ußländische, auch Eidge-
nössische Kouflüt zu mäßigen^.
Und im Jahre 1619 klagt ein obrigkeitliches Mandat über die Vertheuerung
der Butter und sagt alsdann:
, Habend wir keinen Verzug nemen wollen den Hauptursachen nachzuforschen,
und deren fürnemlich Dreyen befunden : Erstlich das hin und wider insonderheit unserer
Oberländischen Unterthanen, sich je lenger je mehr angemaßetj gar feißte Käsen und
andere Molchen zu machen und selbige an ußere Ort zu verkauffen ; die andere Ursach,
das unangesechen unser Mandaten und Verpotten eine große Anzahl Anken um Elsaßer
Wyn, Salz und anders vertuschet und uß unseren Landen gefertiget wird ; drittens daß
unsere Unterthanen Ir Vych mit Schmaal ußeren und frömbden Vychgewerberen und
Mezgeren ußem Land verkoufil habend, und die Kelter , so sy an deren statt ufzestellen
und erzüchen begehrend, etliche Wuchert lang sugen lassend. Hieruf nun zu Abschey-
dung solcher und anderer ursächlichen höchst schädlichen Mittlen sind wir bereit uff
ernsthaftige Verpott und Publikationen zu Abschaffung Mangels und VerthOrung des
Ankens gerichtet ete/
Aehnliche Verordnungen und Mahnungen zur vermehrten Biitterfabrikation
wurden im 17. Jahrhundert in großer Zahl erlassen.
Durch die allmälige Ausdehnung der Fettkäserei und durch den guten Absatz
der Fettkäse wurde aber die Butterfabrikation stets mehr in den Hintergrund
gedrängt, ja in einigen Gegenden, wo jetzt die Fettkäserei so recht zu Hause
ist, hat die vor 2 — 3 Jahrhunderten geherrschte Ansicht vollständig umgeschlagen,
indem man es jetzt oft als eine Anmaßung betrachtet, der Milch das Fett zu
entziehen und Butter zu bereiten.
Die Ansicht, es schade eine vermehrte Butterfabrikation unserer Käse-
Industrie, vermögen wir nicht zu theilen, indem magere oder halbfette Käse doch
nicht als Fettkäse verkauft werden können. Wird aber die „Nidelkelle" auch
bei der Fettkäserei viel gebraucht, so muß dies als ein „unehrliches" Handwerk
bezeichnet werden, welches die schweizerische Fettkäse-Exportindustrie schwer
schädigt.
Deßhalb ist aber die Butterfabrikation an sich durchaus nicht zu verwerfen,
im Gegentheil leistet dieselbe bei einer Ueberproduktion an Fettkäsen resp. bei
gedrückten Käsepreisen, wie sie die letzten Jahre aufweisen, der Land- und
Milchwirthschaft nicht zu unterschätzende Dienste.
Seit 20 Jahren ist der Butterfabrikation in der Schweiz stets vermehrte
Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die früher allgemeine und gewiß berechtigte
Klage, man erhalte in der Schweiz keine gute Butter, ist allraälig verstummt,
wobei namentlich die KonkuiTcnz der Centrifugenbutter große Verdienste hat.
In Hunderten von neuen Käsereien wurde das bewährte Abkühl verfahren
eingeführt, bei welchem ein frischer, süßer Rahm und eine vorzügliche Butter
gewonnen werden. Für das Aufstellen der Milch werden immer mehr luftige
Bäume eingerichtet, denn man beginnt allgemein zu erkennen, daß der Rahm
alle üblen Gerüche in sich aufnimmt und daß in einem dumpfen, schlecht ge-
lüfteten Lokal niemals eine gute Butter kann bereitet werden. Es wäre sehr zu
wünschen, daß an Stelle der porösen Holzgeschirre die allgemein empfohlenen
Blechgepsen eingeführt würden, welche leicht zu reinigen sind und die Milch
weniger ansäuern als die Holzgefäße ; zum Transport der Milch sind die Blech-
gefäße fast tiberall eingeführt und mit der Zeit werden auch die Holzgepsen
verdrängt werden.
Ein Hauptfaktor bei der Butterfabrikation ist sodann die Reinlichkeit, ohne
Milchwirthschaft — 442 — Milchwirthschaft
welche auch mit den besten Geräthen niemals eine feine Prima Butter hergestellt
werden kann. Als einen fast allgemeinen Fehler heben wir speziell das Kneten
mit den landen hervor; hier leisten die Knetmaschinen oder für kleineren Betrieb
die Knetbretter vorzügliche Dienste.
Die Vorbrachbutter spielt bei der vorherrschenden Fettkäserei eine hervor-
ragende Rolle, beweisen doch die Rechnungen der Genossenschaftskäsereien zur
Gentige, daß mit dem Erlös aus der Vorbruchbutter die Betriebskosten vollständig
gedeckt werden können. Das Abkühl verfahren bietet namentlich bei der Bereitung
von Vorbruchbutter große Vortheile, indem es eine bessere Qualität Butter liefert
und bedeutende Ersparnisse an Brennstoff gestattet.
Wenn aber durch sorgfältige Fabrikation und Mehraufwand an Arbeit
und Geld ein wirklich besseres Produkt hergestellt wird, so sollte dasselbe auf
dem schweizerischen Markte auch einen höheren Preis erzielen gegenüber geringer
Butter; ist dies nicht der Fall, so wird der fleißige Arbeiter entmuthigt und
liefert wieder die geringe Qualität Butter wie früher.
Ein epochemachendes Ereigniß in der Butterfabrikation war im Anfang der
80er Jahre die Einführung des Centrifugenbetriebes, welcher es gestattet,
aus der frisch gemolkenen Milch sofort den Rahm zu gewinnen und Butter zu
bereiten. Aus der nachstehenden Tabelle, welche wir behufe dieser Berichterstattung
aufgenommen haben, geht hervor, daß die erste Milchcentrifuge im Jahre 1879
in Cham eingeführt worden ist. Jene erste Lefeldt-Centrifuge arbeitete jedoch noch
nicht kontinuirlich, d. h. nachdem die im rotirenden Kessel befindliche Milch in
Rahm und Magermilch ausgeschieden war, mußte der Betrieb unterbrochen, die
Centrifuge entleert und neuerdings mit ganzer Milch gefüllt werden.
Die Gewinnung des Rahmes vermittelst Centrifugalkraft ist eine spezifisch
deutsche Erfindung. Professor Fuchs in Karlsruhe hat den Gedanken zuerst aus-
gesprochen, die Rahmausscheidung aus der Milch durch Anwendung der Centrifugal-
kraft zu beschleunigen. Seit dem Jahre 1872 verfolgte der deutsche Ingenieur
Wilhelm Lefeldt diesen Gedanken mit unentwegter Ausdauer und machte sich
die Lösung der Frage, ob sich die Centrifugalkraft für die milchwirthschaftliche
Praxis im Großen verwerthen lasse, zur Lebensaufgabe. An der Bremer Aus-
stellung 1874 eregte Lefeldt durch eine Eimer centrifuge das größte Interesse,
und als sich ergab, daß dieselbe in der Praxis nicht brauchbar war, so baute
er die Trommelcentrifugen, ähnlich denen, die bei der Rübenzucker- und Stärke-
mehlgewinnung schon längst im Gebrauche waren. Die zuerst konstruirten Centri-
fugen mit intermittirendem Betrieb wurden allmälig vollständig verlassen, da »lie
Praxis leistungsfähigere Centrifugen mit kontinuirlichem Betriebe verlangte.
Seit den 80er Jahren wurden namentlich vier Centrifugensysteme gebaut,
welche sich in der Praxis und auch in der Schweiz Eingang verschafft haben,
es sind die Systeme Lefeldt, Laval, Burmeister & Wain und H. Petersen. Die
ersten zwei Systeme schleudern bei einer Umdrehungsgeschwindigkeit von 6 — 8000
Touren per Minute die Magermilch und den Rahm aus der Trommel, während
die letztern zwei Maschinen Schälcentrifugen sind, d. h. durch röhrenartige Vor-
richtung Rahm und Magermilch herausschälen und nur 2 — 3000 Touren per
Minute machen. In neuerer Zeit baut auch Maschinenkonstrukteur Seyferth in
Kriens zwei Systeme Centrifugen, Schleuder- und Schälcentrifugen, in welchen
er die Prinzipien der deutschen (Lefeldt), schwedischen (Laval) und dänischen
(Burmeister & Wain) Erfindungen kombinirt hat.
Die Frage: welches ist die beste Centrifuge? wird allgemein dahin beant-
wortet, daß jedes System in gewissen Verhältnissen Vorzüge besitzt und alle
Milchwirthschaft
— 443
Milchwirthschaft
Systeme unter vollster Ausnutzung der treibenden Kraft die Milch möglichst
vollständig zu entrahmen im Stande sind. Das vollständige Entrahmen der Milch
wird aber heute nicht mehr so allgemein verlangt, da die absolut entfettete
Milch für die Käsefabrikation, als Nahrungsmittel der Menschen sowie zur Aufzucht
und Mästung von Jung- und Kleinvieh nur von sehr geringem Werthe ist.
Statistik über den Centrif ugenbetrieb in der Schweiz,
Januar 1887, aufgenommen von F. Merz in Faido.
E
E
Kanton
Freiburg
Luzern
Thurgau
1 I Appenz. A.-Rh.
2!
3 I Baselstadt
4 I Bern . .
5'
6
7
8
9
10 St. Gallen
11
12
13
14
15
16
17
18' Waadt
19 I Zug
20
21
22 Zürich
23
24
25
26!
27
28
29 I
30'
311
32'
33!
Schweiz
Gemeinde
Centrifugen
System
Heiden ....
Gais
Basel ....
Steflisburg . .
Kiesen ....
La Roche . . .
Drognons-Roniont
La Schürra . .
Bulle ....
Wyl-Roßreuti .
Untereggen . .
Sornthal . . .
Rappersweil . .
Luzern ....
Karthaus . . .
Wigoltingen . .
Eppishausen . .
La Sarraz . . .
Zug
Cham
Uster
I Bäretswil . . . .
I Bauma
Illnau-Ottikon . .
I Netschweil . . .
I Oberweil b. Pfaffikon
' Richtersweil . . .
Bubikon . . . .
I Aeugsterthal . . .
1 Bachs
I Spitzen bei Hirzel .
I Riff ers weil . . .
1883 XI
1885 XII
1884 XI
1884
1883 V
18861
1883
1885
1884
1883
1886 V
1886 IX
1883 VIII
1883
1884
1883 III
1886
1885
1882
1884 V
1879
1884
1885Vm
1885
1886 III
1885 VIII
1884 VI
1886 V
1886 V
1884
1883
1886 XI
1885 XI
1
2
2
2
2
2
1
2
3
2
3
Lefeldt
Laval 83
Lefeldt 83
Laval
Lefeldt
Burmeister & Wain
Laval
Burmeister Sc Wain
2Lavalu. 1B.Ä;W.
Burmeister & Wain
Lefeldt
Burmeister & Wain
H. Petersen
Lefeldt
Laval
Lefeldt
Burmeister &: Wain
Lefeldt
Burmeister & Wain
Laval
Burmeister & Wain
Laval
Burmeister &: Wain
Laval
Burmeister Sc Wain
1879/86 145 1 ')
») 22 Burmeister Sc Wain, 10 Lefeldt, 12 Laval, 1 Petersen.
•g-sg
SS«
Litfr
1000
1400
800
800
2000
4500
300
3000
2000
1800
300
1000
2700
800
1400
2700
1500
3000
350
300
6000
650
300
300
750
650
400
600
550
600
550
1500
1750
46250
Außer den in vorstehender Tabelle aufgeführten Centrifugenmolkereien
existiren noch solche in Chätel-St-Denis, Freiburg (2 Burmeister & Wain), in
Yverdon, Aigle, Lausanne, Genf, Bern und Egnach (4 Seyferth- und 2 Laval-
Separatoren). Von diesen Molkereien erhielten wir jedoch keine Antwort. Die-
Zahl der Centrifugenmolkereien beträgt demnach 40, wovon 12 auf den Kanton
Zürich, 5 auf den Kanton Freiburg, je 4 auf die Kantone St. Gallen, Thurgau
Milch wirthschaft — 444 — Milchwirthschaft
und Waadt, je 3 auf die Kantone Zug und Bern, 2 auf den Kanton Appen-
zell A.-Rh. und je 1 auf die Kantone Baselstadt, Luzem und Genf treffen.
Errichtet wurden im Jahre 1879 1, 1882 1, 1883 8, 1884 8, 1885 7
und 1886 8 Centrifugenmolkereien.
In 23 Molkereien arbeiten je 1 Centrifuge, in 8 Molkereien je 2 und in
2 Molkereien 3 Centrifugen. In den 40 Centrifugenmolkereien der Schweiz
(inkl. 7, die keine Angaben machten) sind 53 Centrifugen im Betrieb, wovon
10 dem System Lefeldt, 14 dem Laval, 24 dem Burmeister & Wain, 4 dem
Seyferth und 1 dem H. Petersen (Hamburg) angehören. Die Leistungsfähigkeit,
d. b. das per Stunde zu entrabmende Milchquantum varirt zwiscben 250 Liter
(Laval) bis 600 Liter (Burmeister & Wain).
Die zum Betrieb der Centrifugen noth wendige Kraft wird in 16 Molkereien
durcb Dampf, in 14 durch Wasser, in 2 durch Göpel (Pferd und Ochs) und in
1 durcli Gasmotor erzeugt.
Das durchschnittliche tägliche Milchquantum varirt in den 33 Molkereien
zwischen 300 und 6000 Liter. Im Ganzen verarbeiten die Centrifugenmolkereien
in der Schweiz per Tag 46,250 Liter oder per Jahr 16'881,250 Liter; es trifft
somit durchschnittlich auf eine Centrifugenmolkerei per Tag ca. 1400 Liter Milch.
Obschon keine Klagen über zu geringe Leistungsfähigkeit der verschiedenen
Centrifugensysteme laut wurden, haben sich in unserem Fragebogen doch mehr
als die Hälfte der Centrifugenbesitzer entschieden geyen eine größere Verbreitung
der Centrifuge in der Schweiz ausgesprochen, und zwar
1) weil der Butterabsatz namentlich im Sommer schwierig und unregelmäßig
ist und
2) weil die Magermilch sich nur zu sehr geringem Preise (2 — 4 Rp. per
Liter) verwerthen läßt. Die Käsefabrikation mit Centrifugenmilch ist nach
übereinstimmendem ürtheil sehr schwierig und liefert in der Regel gering-
werthige Produkte.
In Dänemark und Schleswig-Holstein mit 26,000 km* Kulturland sind
gegenwärtig 1600 Burmeister & Wain-Centrifugen in Betrieb, so daß es auf je
16 km* eine Centrifuge trifft; in der Schweiz dagegen mit 29,637 km^ Kultur-
land existiren nur 53 Centrifugen, so daß hier auf je 560 km* eine Centrifuge
kommt. Aus diesen Ziffern erhellt wohl am besten der Kontrast beider annähernd
gleich großen Länder in der Verwerthung der Milch ; Dänemark charakterisirt
sich als vorherrschend Butter, die Schweiz dagegen als vorherrschend Käse
produzirendes Land.
3) Die Ziegerfabrikation
ist in der Schweiz trotz ihrer hohen Bedeutung für die Volksernährung nur von
untergeordneter Bedeutung. Als Exportartikel spielt der Grün-, Glarner- oder
Schabzieger eine nicht unbedeutende Rolle; da derselbe jedoch den Käsestoff
sammt Zieger enthält, haben wir denselben unter den Käsesorten aufgeführt.
Der weiße Zieger wird namentlich bei der Fettkäserei gewonnen, nachdem
der Fettkäse und der Vorbruch schon herausgezogen wurden. In vielen Fett-
käsereien und namentlich in den Magerkäsereien wird die Käsmilch direkt den
Schweinen gefüttert. Bei der Fettkäserei, welche selbstverständlich besseren Zieger
liefert als die Magerkäserei, beträgt die Ausbeute an Zieger IY2 — 2 kg per
100 Liter Milch. Mit Rücksicht auf den Nährwerth sollte dem Zieger eine
höhere Bedeutung beigemessen werden als dies gewöhnlich geschieht, indem
derselbe die eiweißhaltige, blutbildende Substanz der Milch enthält und im Ver-
hältniß zum Preis (20 — 40 Rp. per Kilogramm) eines der nahrhaftesten und
Milch wirthschaft
— 445 —
Milchwirthschal't
billigsten Nahrungsmittel ist. Der Zieger wird namentlich von der Alpenbevölkerung
häufig gegessen, entweder frisch und süß oder dann eingesalzen und getrocknet.
4) Milchzucker.
Als Nebenprodukt der Käserei führen wir noch den Milchzucker an, dessen
Fabrikation eine spezifisch schweizerische genannt werden kann. Der Milchzucker
wurde im Jahre 1619 von Bartoleiti entdeckt, allein erst Ende des vorigen
Jahrhunderts im Entlebuch (Luzern) im Großen dargestellt, und zwar zuerst in
Tafeln und erst seit den 40er Jahren in der schönen, kristallisirten Form.
Wenn aus der Milch das Butterfett, der Käse und Zieger gewonnen sind,
verbleibt eine klare, grünliche Flüssigkeit, Schotte genannt, aus welcher man
durch Eindämpfen den „ Zuckersand •* und aus diesem durch weitere Behandlung
den kristallisirten Milchzucker erhält *). Während jedoch die Milch im Durch-
schnitt 472 ^jo Milchzucker enthält, beträgt die gegenwärtige Ausbeute gewöhnlich
nur 1,2—1,5 7o.
Die eigentliche Heimat der Milchzuckerfabrikation ist die kleine Berggemeinde
Marbach im Entlebuch, wo seit Anfang unseres Jahrhunderts diese Industrie mit
großem Erfolg betrieben wurde. Bis vor einigen Jahren beherrschten einige wenige
Fabrikanten in Marbach die Milchzuckerindustrie auf der ganzen Erde. Die That-
sache, daß seit dem Jahre 1811 die kleine Gemeinde Marbach für ca. 12 Millionen
Franken Milchzucker exportirte, berechtigt uns, in beistehender Tabelle die Ent-
wicklung der Milchzuckerindustrie jener Berggemeinde diesem Berichte beizufügen.
Entwicklung der Milchzuckerindustrie in der Gemeinde jlilar-
bach 1811 — 1883. Aufgenommen von F. Merz.
^S ' Ausgaben fUr Zuckersand , Einnahmen für raffinirten Milchzucker
Periode
l|z 1 Quan-
1 c-S 1 tum
I<i2 jahrlich
1 il_ _ _ _
Preis per q
Ausgabe ii Quantum
jahrlich jahrlich
'1
Preis per q
Einnahme
jahrlich
1
i
M
Fr.
Fr. 'i q
Fr.
Fr.
1811-20
13 ' 2080
60—70
135,200 1; 1250
120-130
156,250
1821—30
3 1 830
70-15
35,275 1, ca. 500
25—50
18,750
1831-40
3 , 830
80-100
74,700 1, ca. 500
150—180
82,500
1841-45
3 1' 830
70—80
62,250 1 ca. 500
140-160
75,000
1846-50
4 ,' 1670
60—70
108,550 i, 1000
130-140
135,000
1851-55
4 |! 1410
35-40
52,875 1, 850
60—70
55,250
1856—60
5 1' 1750
60-70
113,750 1 1050
120—160
147,000
1861—65
5 1 1830
70—80
137,250 '1 1100
160
176,000
' 1866-70
7 ,1 2170
50—60
119,350 ', 1300
120-130
162,500
1871—75
7 ;i 2170
55-130
200,725 ', 1300
150—260
266,500
1876-80
8 '1 2670
130—145
367,125 ', 1600
280-300
464,000
1881-83
8 1 2420
100; 70; 90
209,814 1; 1450
250 ; 180 ; 200
304,500
1811-83
6 , 1605
75,8«
121,794 '1 964
154,82
149,243
Wie überall bei hohen Preisen sich leicht eine Üeberproduktion einstellt,
so war dies auch beim Milchzucker im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts
der Fall. Bei den damaligen schlechten Verkehrsverhältnissen wurden jährlich
1250 q Milchzucker in den Handel gebracht, wodurch das Verhältniß zwischen
Angebot und Nachfrage arg gestört wurde und der Preis für den von den Sennen
*) Näheres über die Fabrikation des Milchzuckers und seine Industrie findet sicli
in: „Entlebuch, seine Viehzucht, Alpen- und Milchwirthschaft**, von F. Merz. Verlag
von Cäsar Schmidt, Zürich, 1887.
^lilchwirthschaft — 446 — Milchwirthachaft
bereiteten Zuckersaiid von Fr. 70 auf Fr. 15 und derjenige für raffinirten Zucker
von Fr. 130 auf Fr. 25 sank. Daher erklärt sich auch die Verminderung der
Zuckerfabrikanten in Marbach, deren Zahl sich in den 20er Jahren von 13 auf
3 reduzirte.
Seit jener Zeit varirte der Preis des Zuckersandes zwischen Fr. 35 und
Fr. 145 per 100 kg und derjenige des raffinirten Milchzuckers zwischen Fr. 60
und Fr. 300. Die durchschnittliche Ausfuhr der Gemeinde Marbach an Milcb-
zucker betrug in den letzten 10 Jahren 1400 — 1600 q im Wert he von
Fr. 300,000—464,000. Bis zum Jahre 1883 betrug die Ausfuhr nach bei-
fstehender Tabelle Fr. 10'894,76(); rechnen wir hiezu noch die Produktion der
letzten 3 Jahre, so erreicht die Milchzuckerproduktion seit den verflossenen 76
Jahren einen Werth von ca. 12 Millionen Franken.
Der Milchzucker kommt im Handel als Traubenzucker, Plattenzucker und
pulverisirter Zucker vor und findet in der Medizin als leicht abführendes Mittel
namentlich in tropischen Ländern in bedeutenden Quantitäten Verwendung. In
der Allopathie wird der Milchzucker wegen seiner geringen Lösbarkeit als sog.
Füllungsmittel und in der Homöopathie als Verdünnungsmittel häufig angewendet.
5) Kondensirte Milch.
Die Fabrikation kondensirter Milch wurde im Jahre 1867 in der Schweiz
und zugleich in Europa zum ersten Mal betrieben, indem im Jahre 1866 die
zwei amerikanischen Brüder Page die ersten Milchkondensirungsmaschinen aus
den Vereinigten Staaten nach Europa brachten und in Cham (Zug) eine Fabrik
für Milchkondensation gründeten.
Es wurde schon wiederholt versucht, die Milch in natürlichem Zustande zu
exportiren, wodurch vielen milcharmen Gegenden eine große Wohlthat erwiesen
würde. Allein die Milch ist namentlich im Sommer ein so vergängliches Wesen,
daß zumal in warmer Jahreszeit an einen weiten Milchtransport nicht gedacht
werden kann. Professor Felder in Lnzern hatte indeß ein Verfahren erfunden,
nach welchem die Milch ohne Zusatz fremder Stoffe (wie kohlensaurer Kalk,
Borsäure, Salicylsäure etc ) 10 und mehr Tage in frischem, unverändertem Zu-
stande sich aufbewahren ließ. Obschon sich das Verfahren bei ununterbrochenen
Sendungen nach Paris seit dem Jahre 1884 ausgezeichnet bewährt hat, vermochte
sich der Export von Schweizermilch noch nicht weiter zu entwickeln.
Anders verliält es sich dagegen mit der Fabrikation kondensirter Milch,
welche seit 20 Jahren großartige Fortschritte gemacht hat, wie aus den Eingangs
dieses Artikels aufgeführten Zahlen über die Ausfuhr hervorgeht. Das Prinzip
der Milchkondensation besteht darin, durch Abdampfen der Milch im luftverdünuten
Räume den Wassergehalt derselben ungefähr auf einen Viertel zu reduziren und
die kondensirte Masse durch Zuckerzusatz haltbar zu machen. Da die Milch in
diesem luftleeren Räume schon bei einer Temperatur von ca. 50^ C. siedet, so
können dabei die einzelnen Milchbestandtheile, namentlich Albumin und Case'in,
noch nicht gerinnen und bleiben also ganz unverändert. Schon viele Versuche
wurden gemacht und große Geldsummen geopfert, um die kondensirte Milch auch
ohne Zuckerzusatz zu konserviren, allein bisher nur mit geringem Erfolg. Die
Fabrik Swiss Dairy Comp, in Uttwyl (Thnrgau), welche ungezuckerte kondensirte
Milch in Handel brachte, wurde im Jahre 1882 gegründet und 1886 geschlossen;
auch andere Fabriken scheinen neben der Chamer Milchsiederei eine schwierige
Existenz gefunden zu haben, da seit Gründung der Chamer Fabrik schon über
-JO Konkurrenzfabriken ihre Existenz aufgegeben haben sollen.
Milchwirthschaft — 447 — Milchwirthscbaft
Die wichtigste Kondensationsfabrik in der Schweiz ist diejenige von Cham
(Zug) mit Filiale in Büdingen (Freiburg), welche im Jahre 1886 die Milch von
ca. 10,000 Kühen verarbeiteten. Außer der Cham er Kondensationsfabrik existirten
Anfangs 1887 noch Anstalten für Milchkondensation in Steffisburg (Franco Suisse),
Romanshorn (Erste schweizerische Alpenmilch-Exportgesellschaft), Gruyere (Fa-
brique de lait condense), Vevey (Nestle und Pauchaud-Lavanchy & Perrier),
Montreux (Societe des Usines de Vevey et Montreux).
Die Anglo Swiss Condensed Milk Co. in Cham wurde am 9. August 1866
durch sechs Theilnehmer in's Leben gerufen, welche 390 Aktien ä Fr. 200
zeichneten, also ein Kapital von Fr. 78,000 zusammenlegten, welches sich suc-
cessive vermehrte, bis es am 1. Januar 1886 auf 9 Millionen Franken ange-
wachsen war. Obschon der Reingewinn per Büchse kondensirte Milch kaum
5 Rp. beträgt, bezifferte sich der Reingewinn der Gesellschaft, welche gegenwärtig
mit 7 Fabriken arbeitet, im Jahre 1885 auf Fr. 2' 102,027.
Nach einer Mittheilung des Generaldirektors G. H. Page beliefen sich in den
letzten 18 Jahren die an die Aktionäre ausgerichteten Dividenden auf 10 Mil-
lionen Franken. In der gleichen Zeit bezahlte die Gesellschaft an ihre Arbeiter
die Summe von 9 Millionen und verausgabte für den Bau der Gebäude und die
Anschaffung der Maschinen weitere 8 Millionen Franken.
Zur Veranschaulichung der Entwicklung dieses Unternehmens mögen folgende
Zahlen dienen :
Verkanrte Büchsen Fakturabetrag
1807 .... 64,704 Fr. 73,9:]9
1872 .
1877 .
1882 .
1884 .
1867/84
3'1 16,355 , 2'485,001
15^847,113 , 10795,295
28'824,285 , 16^695,295
4r32 1,282 „ 23'873,462
247'844,475 , 156'319,678
Im Jahre 1867 lieferten 43 Landwirthe von 263 Kühen die Milch.
. 1877 , 1358 , „ 10,778 ,
. 1884 , 2581 „ . 25,676 „ „ „
Am 15. Dezember 1882 richtete die Anglo Swiss ein Gesuch an die
schweizerische Bundesversammlung behufs Rückvergütung des Zuckerzolles. Der
zur Kondensation verwendete Zucker sei nur als Transit waare zn betrachten,
indem der eingeführte Zucker mit kondensirter Milch vermischt kurze Zeit nachher
wieder über die Grenze spedirt werde. Im Jahre 1881 bezahlte die Charaer
Milchfabrik für den in die Schweiz eingeführten Zucker einen Zoll von Fr. 155,000
und im Ganzen beläuft sich die von 1867 — 1882 bezahlte Summe für Eingangszoll
auf Zucker, Blech, Leim und Blei und der Ausgangszoll auf kondensirter Milch
auf Fr. 1^497,044. Die eidgenössischen Räthe wiesen jedoch das Gesuch dieses
Milchgeschäftes, namentlich mit Rücksicht auf die aus einer Zollrückvergütung
entstehenden Konsequenzen, ab.
Ueber die Produktion und den Absatz der kondeusirten Milch sagt der
Geschäftsbericht der Anglo Swiss vom Jahre 1885:
,Das Geschäft in kondensirter Milch hat in den letzten 10 Jahren häufig mehr
oder weniger an Ueberproduktion gelitten; doch nie in so starkem Maße, wie dies im
Berichtsjahre der Fall gewesen ist. In der Schweiz, in England, Irland, Norwegen,
Holland, Deutschland, Italien und in Amerika bestehen zur Zeit genug Fabriken, um
eine verdoppelte Nachfrage zu befriedigen. Von ungefähr zwölf Firmen hat keine,
soweit es uns bekannt ist, während des Jahres 1885 stets voll fabrizirt. Mehrere haben
nicht einmal die Hältle ihrer Produktionsßhigkeit ausgenutzt, andere haben es nicht
auf einen Viertel derselben gebracht, und trotzdem, glauben wir, Uahew •ä.Ws. tasl n\^
Milch wirthschaft — 448 — Milch wirthschaft
l'ertige Waare auf Lager, wir selbst nicht ausgenommen, wenigstens soweit es Schweizer-
milch betrint."
,Die Ueberproduktion in unserem Geschäfte erklart sich nicht aus einem allge-
meinen Rückgang des Absatzes unseres Produktes. Verschiedene andere Faktoren haben
die Anhäufung eines grollen Lagers von Schweizermilch herbeigeführt.**
,,Die Nachfrage nach unserer englischen Milch hat auf allen Markten zugenommen,
wogegen der Absatz von Schweizermilch an einigen Orten stationär gebheben, an anderen
sogar zurückgegangen ist; immerhin hat sich der Totalabsatz auch im Berichtsjahre
gesteigert.''
Der Gescbättsbericht bemerkt ferner, daß in Folge der stets wachsenden
Milchproduktion die Milchlieferungen in den letzten Jahren um 20 ^/o größer
waren als man zu kaufen begehrte, was ein Hauptgrund des großen Vorrathes
und der Einschränkung des Geschäftsbetriebes ist.
Die Anglo Swiss in Cham und Düdingen hat für die schweizerische Milch-
wirthschaft durch ihre jährliche Verarbeitung von über 26 Millionen Liter Milch
eine eminente Bedeutung erlangt. Leider ist diese schweizerische Industrie, wie
aus dem Geschäftsbericht und der massenhaften Abbestellung der Milchlieferungen
hervorgeht, von einer Krisis bedroht und die Produktion in beiden schweizerischen
Fabriken im Jahre 18H7 bedeutend reduzirt worden.
()) Das Kindermehl
ist ein außerordentlich feines Gemisch von Milchpulver und stickstofFreichem
Weizenmehl und wurde im Jahre 1868 von Henri Nestle in Vevey erfunden.
Diese Fabrik besitzt in der Umgebung von Vevey selbst größere Milchwirth-
schaften, welche das erforderliche Milchquantum liefern. Die genau untersuchte
Milch wird in Apparate gegossen, welche durch Dampf geheizt sind, und ver-
dunstet im luftleeren Räume bei einer Temperatur von 40 — 50**, so daß außer
der Kondensation die Eigenschaften der Milch unverändert bleiben. Das Brod
wird aus dem feinsten Weizenmehl nach einer eigenen Methode bereitet, welche
demselben die stickstoffhaltigen Substanzen erhält, so daß ein an Kleber reiches
Mehl zur Brodbereitung verwendet wird. Da nun zum Mehl in feinster Ver-
theilung nur die Brodkruste verwendet wird, ist dadurch der Stiokstoffreichthum
noch gemehrt.
Das Kindermehl ist bekanntlich ein ausgezeichneter Ersatz der Frauenmilch;
dasselbe enthält auf 1000 Theile rj,5 — 21,5 Theile Stickstoff und 7 Theile
Nährsalze. Kocht man daher 1 Theil Milchpulver in 3 Theilen Wasser, so erhält
man eine Milch, welche eine der Muttermilch ähnliche Zusammensetzung von
4,8 °/oo Stickstoff und 3,7 ^/oo Nährsalze besitzt.
Außer der Kindermehlfabrik von Nestle in Vevey, deren Produkte über
die ganze Erde verbreitet sind, bestehen noch andere Fabriken, welche Kinder-
mehl fabriziren, als: Anglo Swiss in Cham (Zug), Franco-Suisse, Steflisburg
(Bern), Kichner & Schneebeli, Affoltern a. A., Anderegg- Ad 1er, Brunnadern
(St. Gallen), Societe des Usines de Vevey et Montreux in Montreux.
B. Verwerthung der Milch als direktes Nahrungsmittel der Menschen.
In den 70er Jahren, als der Emmenthalerkäse den abnormen Preis von
Fr. li^O und darüber per 100 kg galt und die Käsereien für den Hektoliter
Milch bis Fr. 18 bezahlten, hielten viele Bauern die Milch für ein zu kost-
spieliges Nahrungsmittel, und der Konsum derselben nahm bedeutend ab. Wie
aber in jedem Geschäft auf den Schwindel eine Katastrophe folgt, so zeitigten
auch die enormen Milch- und Käsepreise für viele Familien und Gemeinden die
Milch wirthschaft — 449 — Milch wirthschaft
bittersten Früchte. Für die theuer verkaufte Milch wurden alle möglichen Sur-
rogate angeschafft, namentlich Kaffee, Zucker und Schnaps, welche wohl geeignet
waren, den Körper momentan zu reizen, allein demselben keine neuen Kräfte
zuführten. Den größten Schaden richteten aber diese Surrogate unter der Jugend
an, welche in vielen Familien und Gemeinden geistig wie körperlich verkümmerte.
Dieser enorme moralische und materielle Schaden wurde vielfach den Käsereien
and Milchkondensationsanstalten aufs Kerbholz geschrieben, welche die Milch als
vorzüglichstes Nahrungsmittel der Familie entziehen und in Form von Käse,
Butter und kondensirter Milch nach entfernten Ländern versenden. Dieser Vor-
wurf war bis zu einem gewissen Grade ganz gerechtfertigt, indem das Volk gar
oft sich selbst nicht zu beherrschen vermag und, fast unwissend und seine Freiheit
mißbrauchend, sich den größten Schaden zufügt. Hieraus erklären sich zum Theil
die mehrerwähnten „fürsichtigen" Gesetze und Verordnungen im 16. und 17. Jahr-
hundert, welche jede Ausfuhr von Milchprodukten strengstens verboten.
Unsere Zeitrichtung strebt aber gerade das Gegentheil der angeführten
Verordnungen an, indem die Behörden und Führer des Volkes die Entdeckung
neuer Absatzgebiete erleichtern. In dieser freien Zeit, wo alle Fesseln im Welt-
verkehr gesprengt sind, ist es dem Landwirth vollständig freigestellt, den ganzen
Milchertrag seiner Viehwaare in die Sennerei oder Milchfabrik zu tragen und
seine Familie mit anderen Lebensmitteln zu ernähren. Obschon jedes Käserei-
reglement die Bestimmung enthält, daß der Landwirth nur den Ueberschuß über
seinen häuslichen Bedarf liefern soll, konnten es bei den hohen Milchpreisen doch
viele Landwirthe nicht über sich bringen, dieses beste Nahrungsmittel wenigstens
für die Blinder zurückzuhalten. Solche Familienväter sind der Freiheit, welche
sie genießen, nicht würdig und verdienten mit den strengen Verordnungen früherer
Jahrhunderte gemaßregelt zu werden.
Die Reaktion im Milchgeschäft, d. h. der Preisrückgang der Fettkäse um
Fr. 50 — 60 per Kilozentner und die Reduktion des Milchpreises auf 10 — 12 Rp.
per Liter, hat nun auf den Tisch der meisten Familien wieder die Milchschüssel
gestellt, welche in der milchwirthschaftlichen Schwindelperiode an so manchem
Orte abgeschafft worden war. Der Konsum an Milch und Käse hat in den letzten
Jahren wieder bedeutend zugenommen und man erkennt allgemein, daß die Milch,
namentlich für die Jugend, zum Preise von 13 — 15 Rp., ja selbst bis zu 20 Rp.,
wie er in großen Städten und im Kanton Tessin bezahlt werden muß, im Ver-
hältniß zum Nährwerth das billigste Nahrungsmittel ist. Nach den heutigen
Lebensmittelpreisen kostet 1 kg Eiweißstoffe in der Milch 185, im Magerkäse
195, im Halbfettkäse 290, im Fettkäse 340, im Ochsenfleisch 630, im Schaf-
fleisch 710, im Schweinefleisch 795 und in den Eiern 830 Rp.
Die Milch enthält im großen Durchschnitt 877* V'* Wasser und 12'/* V^
Trockensubstanz (Nährstoffe). In 100 kg Milch erhalten wir 3*/^ kg Butterfett
und 472 kg Milchzucker als fettbildende Stoffe, 372 kg Käse und 72 kg Zieger
als fleisch- und blutbildende Stoffe und ^Ja kg Salze als knochenbildende Stoffe.
Die Milch liefert demnach dem Kinde zum Aufbau seines Körpers und dem
Erwachsenen zur Erhaltung desselben alle uothwendigen Substanzen.
Auch die Magermilch und namentlich die Centrifugen-Magermilch hat für
die Volksernährung eine hohe Bedeutung, da dieselbe bei ihrem billigen Preise
mit Ausnahme des Butterfettes noch alle Bestandtheile der Kuhmilch enthält.
Als Kindemahrung sollte die Magermilch jedoch nicht gestattet werden, da die
Blinder in der Regel für das der Milch entzogene Fett keinen Ersatz erhalten,
daher mangelhaft ernährt werden und sich nur kümmerlich entwickeln können.
Fnrrer, VolkswirtbjichaflB-Lexikon der Schwolz. <^^
Milch wirthscbaft — 450 — Milchwirthscbaft
Für die großen Städte haben die in den letzten Jahren eingeführten Milch-
anstalten einen nicht zu unterschätzenden Werth, indem dieselben dem Publikum
eine gesunde und garantirt unverfälschte Milch liefern. Solche städtische Milch-
anstalten existiren unseres Wissens in Basel, Genf, Bern und Sitten.
Den Milchkonsum in der Schweiz zu bestimmen, ist eine sehr schwierige
Aufgabe, da Anhaltspunkte aus den verschiedenen Gegenden fehlen. Nach einer
großen Anzahl von Erkundigungen, die wir in landwirthschaftlichen und städtischen
Kreisen eingezogen, trifft es per Kopf unserer Bevölkerung (» — 10 oder im Durch-
schnitt 8 Deziliter per Tag oder 292 Liter Milch per Jahr. In Basel werden
gegenwärtig täglich 45,000 Liter Milch verkauft, was auf die Bevölkerung von
65,101 Einwohner täglich per Kopf 7 Deziliter Milch trifft. In Uebereinstimmung
mit dieser Berechnung theilt uns der allgemeine Konsumverein in Basel mit,
daß er bei einem täglichen Mi Ich verbrauch von 7000 Liter einen Konsum von
mindestens ^/a Liter per Kopf berechne.
Ferner hat die von der Luzerner Regierung im Jahre 1881 angestellte
Untersuchung betreffend Milchkonsum und Branntweingenuß ergeben, daß ca.
30 °/o der Milchproduktion direkt zur Xahrung der Menschen verwendet werden;
die Milchproduktion des Kantons Luzern berechneten wir oben zu 119^852,000
Liter; der jährliche Konsum der 134,806 Einwohner des Kantons Luzern beträgt
somit 35' 955,600 Liter oder per Kopf und per Jahr 266 Liter.
Wir glauben, der Wirklichkeit am nächsten zu kommen, wenn wir den
Milchkonsum der schweizerischen Bevölkerung per Jfjir und per Kopf auf 250
Liter oder beinahe 0,7 Liter veranschlagen. Es werden demnach in der Schweiz
per Jahr ca. 7'115,255 hl Milch konsumirt.
Bei der vorstehenden Berechnung wurde der große schweizerische Fremden-
verkehr gar nicht in Betracht gezogen, obschon derselbe auf den Milchkonsum
entschieden einen bedeutenden Einfluß ausübt; es fehlten uns jedoch bestimmte
Anhaltspunkte, weßhalb wir diesen Faktor außer Acht ließen. Immerhin wollten
wir nicht unterlassen, hierauf aufmerksam zu machen und nachzuweisen, daß
unsere Zahlen hinsichtlich Milc.hkonsum in der Schweiz jedenfalls nicht zu hoch
gegriffen sind.
C. -Verwerthung der Milch zur Aufzucht und Mästung von Jung- und Kleinvieh.
Wie in so mancher anderen Beziehung, bietet die Schweiz auch hinsichtlich
Aufzucht und Mästung von Jung- und Kleinvieh die größten Verschiedenheiten.
Während z. B. im Berner Oberland und im Jura fast alle Milch, welche nicht
von den Menschen konsumirt wird, zur Aufzucht und Mästung des Jungviehes
verwendet wird, tragen die Bauern des bernischen Oberaargaues, Mittellandes
und Emmenthales den größten Theil der Milch in die Käsereien. Diese Beob-
achtung linden wir auch bestätigt in der bernischen milchwirthschaftlicheu Statistik
vom Jahre 188H, wonach im bernischen Jura per Kuh 286 und im Oberland
349 Liter Milch in die Käsereien geliefert werden, während man im Oberaargau
1483, im Emmenthal 1015 und im 3littelland per Kuh sogar 1624 Liter Milch
in die Käsereien liefert.
Seit einigen Jahren wird in der Schweiz der Aufzucht von Jungvieh eine
besondere Aufmerksamkeit geschenkt und die eidgenössischen wie kantonalen
Behörden opfern alljährlich einige hunderttausend Franken, um durch Prämirungen
von schönem und ertragreichem Zuchtvieh eine sorgfältige Aufzucht zu begünstigen.
Die Zeiten sind demnach vorüber, wo von Staatswegen dem guten Abtränken
des Viehes, dem „langen Sugenlassen" entgegengetreten wird, wie dies vor
Milchwirthschaft — 451 — Milchwirthschaft
*
272 Jahrhunderten im Kanton Bern der Fall war. Heute sehen die Landwirthe
allgemein ein. daß nur bei einer sorgfaltigen Zucht und einer guten, reichlichen
Nahrung ertragreiche und werth volle Thiere aufgezogen werden können. Die
einsichtigen Viehzüchter werden nicht nur auf den Viehschauen durch Prämien
belohnt, sondern erhalten auch im Stalle und auf dem Markte reichliche Ent-
schädigung für das aufgewendete Milchquantum. Gewöhnlich wird den Kälbern
bei der Aufzucht 8 — 14 Wochen lang 6 — 8 Liter Milch verabreicht oder im
Ganzen 400—700 Liter.
Die Kälbermast betreffend haben wir im Entlebuch (Luzern) genaue Auf-
nahmen gemacht und gefunden, daß im Durchschnitt 8 Liter Milch 1 kg Fleisch
produziren. Die Kälbermast ist für viele Gegenden und namentlich da, wo keine
Käsereien existiren, von hoher Bedeutung und verwerthet bei einem guten Absatz
der Mastkälber, welcher bei dem großen schweizerischen Fremdenverkehr wohl
stets gesichert ist, die Milch bedeutend höher, als dies gegenwärtig bei der
Käserei der Fall ist. Bei einem Preise von Fr. 1 — 1. 10 per Kilogramm Kalb-
fleisch (Lebendgewicht) vervverthete sich die Milch nach unseren Aufnahmen zu
12 — 15 Rp. per Liter.
Es ist sehr schwierig, betreffend Aufzucht und Mästung von Rindvieh sowie
von Schweinen und Ziegen bestimmte Zahlen aufzustellen. Um uns jedoch
wenigstens eine Idee von der Bedeutung dieses Zweiges für die schweizerische
Milchwirthschaft zu machen, wollen wir versuchen, eine flüchtige Berechnung zu
machen.
Nach der Viehzählung vom 21. April 1886 besaß die Schweiz an diesem
Tage 150,380 bis \/j Jahr alte Kälber zur Aufzucht, 32,802 bis V2 Jahr alte
Kälber zum Schlachten, 102,587 Stück Jungvieh von 72 — 1 Jahr, 13,805 Stiere
von 1 — 2 Jahren, 186,864 Rinder über 1 Jahr, 41,251 Ochsen von 1 — 3 Jahren,
662,336 Kühe, 4569 Stiere über 2 Jahre und 17,119 Ochsen über 3 Jahre,
im Ganzen l'2ll,713 Stück Rindvieh; ferner 394,451 Schweine und 415,916
Ziegen.
Die Viehzüchter nehmen im Allgemeinen an, daß eine Kuh in 3 Jahren
zwei gesunde Kälber werfe; demnach würden die 662,336 Kühe alljährlich
*/» X 662,336 = 441,557 Kälber werfen, wovon ca. 45 ^/o zur Aufzucht,
ca. 35 **/o zur Mast verwendet und etwa 20 ®/o sofort geschlachtet werden. Bei
dieser Voraussetzung erhalten wir folgendes Resultat:
4570 r= 198,700 Kälber zur Aufzucht ä 600 Liter = 1' 192,200 hl
35 „ = 154,500 „ „ Mast „ 700 „ = r081,500 „
20 „ = 88,300 „ zum sofortigen Schlachten
2'273,700 hl
Es würden demnach ca. 2,27 Millionen Hektoliter Milch zur Aufzucht und
Mästung von Rindvieh verwendet und wir werden kaum irre gehen, wenn wir
die zur Aufzucht und Mästung der Schweine und Ziegen verwendete Milch zu
630,300 hl veranschlagen.
Gesammt-Produktion und -Verwerthung der Milch
in der Schweiz,
a. Produktion:
662,336 Kühe a 2400 Liter per Jahr = 15'896,064 hl
415,916 Ziegen Va „ 250 „ „ „ = 693,192 „
Total-Produktion = 16' 589,^ 56 h.
«
«
n
Milchwirthschaft — 452 — Milchwirthschaft
b, Venverihunr/ :
1) KSsereien und Kondensationsfabriken:
2G00 Thalkäßereien mit durchschnitt-
lich 2000 hl 5'200,000 hl
Hauskäserei 300,000
2900 Alpkäsereien mit durchschnitt-
lich 300 hl 870,000
Kondensationsfabriken .... 200,000
" 6^570,000 hl = 39,6 7o
2) Konsum der 2^846,102 Einwohner ä 250 Liter 7' 115,255 „ = 42,9 „
3) Aufzucht und Mästung von Jung- und Kleinvieh 2'904,001 „ = 17,5 „
Total wie oben 16'589,256hl
III. Förderung der Milchwirthschaft.
Die guten alten Zeiten, wo man mit dem Ausland nicht zu rechnen brauchte
und durch Ausfuhrverbote die heimische Produktion zu schützen suchte, sind
vorbei und an ihre Stelle ist ein schrankenloser Weltverkehr getreten. Die
einzelnen Nationen suchen sich in der Ausfuhr ihrer Landeserzengnisse zu über-
bieten und die Schweiz steht hinsichtlich Export von Milchprodukten obenan.
Da unser Getreidemarkt seit Jahren mit fremder Waare überfluthet wurde, sind
Viehzucht und Milchwirthschaft die Haupterwerbsquellen der schweizerischen
Landwirthschaft geworden; es bedarf nun einer gewaltigen Ausfuhr von Milch-
produkten und Vieh, um den Ausfall an Getreide und andern landwirthschaft liehen
Produkten zu ersetzen. Die eidgenössischen Behörden richten daher ihr Haupt-
augenmerk auf möglichste Begünstigung der Ausfuhrverhältnisse und Schutz unserer
eigenen Produktion, namentlich der Butter, gegen, fremde Konkurrenz.
Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit, so können wir uns nicht
verhehlen, daß die schweizerische Milchwirthschaft in diesem Jahrhundert großartige
Fortschritte gemacht hat ; gleichzeitig müssen wir aber gestehen, daß dieselbe seit
den 70er Jahren in ihrer qualitativen Entwicklung dem Ausland nicht Stand hielt,
vielmehr, statt mit oifenem Auge vorwärtszustreben, im Bewußtsein errungener
Siege steben blieb.
Wohl eine der wichtigsten Neuerungen war die Bildung von Käserei-
genossenschaften, welche sich in den 30er und 40er Jahren vom Kanton
Bern aus auf die übrigen Kantone der Schweiz ausdehnten. Merkwürdigerweise
wurde in den meisten Gegenden der Schweiz der genossenschaftliche Betrieb der
Käserei allmälig verlassen und der Milchverkauf eingeführt, welcher gegenüber
dem erstem den großen Nachtheil hat, daß beim Milchverkauf das Interesse der
Landwirthe resp. Milchlieferanten am Gelingen des Mulchens ein viel geringeres
ist als beim genossenschaftlichen Betrieb.
Mit der Entwicklung und Förderung der schweizerischen Milchwirthschaft
in den zwei letzten Dezennien, in welchen dieselbe zur höchsten Blüthe gelangte,
steht der schweizerische alpwirthschaftliche Verein und speziell dessen Präsident,
Schatzmann sei., in engster Beziehung.
Eudolf Schatzmann wurde am 5. Juni 1822 zu Saanen im Simmenthai
geboren und widmete sich gleich seinem Vater der Theologie. Neben seinem
Mitschüler Bundesrath Schenk zeichnete sich Schatzmann durch hohe geistige
Anlagen aus und fand in den Jahien 1846 bis 1864 als Pfarrer der Berggemeinden
tiuttannen und Frutigen, sowie in der Gemeinde Vechigen die schönste Gelegenheit,
Milchwirtbschaft — 453 — Milch wirth seh aft
sein Lieblingsfach, die Land- und namentlich die Alpwirthschaft gründlich
zu Btudiren, welcher er sein späteres Leben voll und ganz widmete. Im Jahre
1864 wurde Schatzmano als Direktor der landwirthschaftlichen Schule des Kantons
Thurgau (Kreuzlingen), und als schon nach vier Jahren dieselbe aufgehoben ward,
als Seminardirektor nach Chur berufen, wo er den landwirthschaftlichen Unterricht
einführte.
Wenn Dr. Schild, Professor der Naturwissenschaften in Bern, als der Gründer
des Schweizerischen Alp wirthscha filichen Vereins betrachtet werden muß, so war
Schatzmann seit 20 Jahren die Seele dieses ehrwürdigen, patriotischen Vereins.
Als schon nach dem ersten Lebensjahr des Vereins im Jahre 1865 Dr. Schild
starb, wurde Schatzmann als Präsident erkoren, von welcher Zeit an er sich mit
ganzem Herzen und mit voller Manneskraft seiner neuen Lebensaufgabe, der För-
derung der Schweizerichen Alpen- und Milchwirthschaft hingab.
Wohl selten besaß die Schweiz einen so populären und fruchtbaren Schrift-
steller wie Schatzmann, der im Jahre 1859 mit dem ersten Heft Schweizerischer
Alpwirthschaft in die OefFentlichkeit trat und uns seither die reichste Fülle
alp- und milchwirthsühaftlicher Abhandlungen bot. Es würde uns hier zu weit
führen, auf all' die fast unzähligen Schriften Schatzmann's einzutreten ; den Haupt-
schatz seiner Erfahrungen legte Schatzmann in den sieben Bänden „Schweize-
rische Alpwirthschaft** 1859 — 1866, sowie in den zwanzig Jahrgängen der
^ Alpwirthschaftlichen Monatsblätter** 1867 — 1886 nieder, welche wir Jedem,
der sich um Alpen- und Milchwirthschaft interessirt, aufs Wärmste empfehlen.
An der Wanderversammlung des Alpwirthschaftlichen Vereins im Rathhaus
zu Staus im Jahre 1872 nahm die von Schatzmann lang genährte Idee eine
praktische Form an, es wurde eine schweizerische Milchversuchsstation,
d. h. eine Zentralstelle für Alpen- und Milchwirthschaft geschaffen und Schatzmann
als Direktor dieser vaterländischen Anstalt erkoren. Wie an jeder guten Frucht
sich stets nagende Wespen einfinden, so blieben auch dem Direktor Schatzmann
die heftigsten Anfeindungen nicht erspart, die ihm oft sein Leben verbitterten.
Allein mit eiserner Ausdauer und unerschütterlichem Mannesmuth verfolgte Schatz-
mann bis zum letzten Atherazng sein hehres Ziel, die Förderung der schweize-
rischen Alpen- und Milchwirthschaft. Am 15. Juni 1886 wurde dieser begeisterte
Alpensohn ganz unerwartet aus seinem weit ausgedehnten Wirkungskreis abberufen.
Dieser Pionier der schweizerischen Nationalindustrie hat es verdient, daß wir
auch im volkswirthschaftlichen Lexikon, in welchem er noch den Artikel „Alp-
wirthschaft** verfaßte, sein Andenken ehren, denn selten hat ein Zweiter der
vaterländischen Volkswirthschaft so große Dienste geleistet wie Schatzmann.
Sehr zutreffend sagt Fritz Uödiger in der Alpen- und Jura-Chronik (früher
Alpwirthschaftliche Monatsblätter) vom 15. Januar 1887 :
, Hunderte von Vorträgen, Instruktionen, Prämirungen und sonstige Demonstrationen
gingen von unserm Verein aus, und die Früchte dieser Saaten, im Molkereiwesen und
in der Alpwirthschaft, treten jetzt schon Jedermann befriedigend vor das Auge, der
diese Fächer einigermaßen seiner Aufmerksamkeit gewürdigt hat. Wo noch vor 25 Jahren
Oede und vielfach grelles Unverständniß dem Alpenfreunde entgegentrat, waltet jetzt
bereits hoffenerregende Dämmerung, ja hier an vielen Orten sogar schon wohlthueiides
Licht I — Wer weiß, wie langsam und schwer in unsern Wirkungskreisen der gewerbliche
Foilschritt Feuer ßlngt, der wird sich aufrichtig mit uns freuen und uns zu unaus-
gesetztem Fortarbeiten ermuntern!"
Die Mittel, welche in der Schweiz zur Förderung der Milchwirthschaft in
Anwendung kamen, lassen sich kurz in folgende Punkte zusammenfassen.
1) Ausstellungen;
Milch wirthschaft — 454 — Milchwirtbschaft
2) Prämirungen ganzer Molchen, guter Käserei-Einrichtungen und tüch-
tiger Geschäftsführung;
3} Zentralstelle für Molkereiwesen (Milchversachsstation);
4) Wandervorträge, Käserkurse und Molkereischulen;
5) Käserei-Inspektionen ;
6) Milchwirthschaft liehe Vereine.
7) Schriftliche Arheiten (Literatur).
1) Die erste Milchprodukten-Ausstellung fand im Jahre 1867 in
Bern statt und wurde von Bund und Kantonen mit einem Beitrag von Fr. 4070
unterstützt. Das Preisgericht theilte an 51 Emmenthaler-, 6 Greyerzer-, 6 Halh-
fett-, 3 Mager- und 6 Hartkäse Preise aus im Betrage von Fr. 2000.
Für Weichkäse kamen 8, für verschiedene Milchprodukte 16 und für Milch-
geräthschaften 12 Preise zur Vertheilung.
In seinem Generalbericht über die Milchprodukten-Ausstellung in Bern sagte
Schatzmann :
,Wenn es dem alpwirthschaftlichen Verein gelungen ist, durch diese Ausstellung
eine allseitige Besprechung der Milchwirthschaft anzuregen und Belehrung zu schaffen,
so hat er schon Großes erreicht. Aber damit sind wir nicht am Ziele; wir stehen im
Gregentheil erst an der Stufe der Erkenntniß, Es bedarf des raschen und energischen
Handelns, um ausgezeichnete Leistungen bleibend aufrecht zu erhalten, erkannte Schäden
auszubessern und überhaupt die vermehrte Einsicht nutzbar für das Leben zu machen.
Wir müssen weiter studiren, namentlich die Käse- und Butterfabrikation anderer Länder,
den Geschmack der Abnehmer. Es müssen sich Theorie und Praxis, Wissenschaft und
Kunstfertigkeit die Hand bieten, wenn etwas Tüchtiges geschaffen werden soll."
Diese vor 20 Jahren von Direktor Schatzmann ausgesprochenen Worte be-
halten auch heute noch ihre volle Bedeutung und Wahrheit, und alle seither
veranstalteten Ausstellungen basirten auf dem soeben erwähnten Grundgedanken.
Eine zweite milchwirthschaftliche Spezialausstellung fand im Jahre 1869 in
St. Gallen, eine dritte 1880 in Genf statt. Seitdem aber die Landesausstellungen
in's Leben gerufen wurden, reihte man die Milchwirthschaft in die allgemeine
Produktion des Landes ein. Die ausgestellten Produkte vertheilen sich auf die
verschiedenen Ausstellungen wie folgt:
Weinfelden Freiburg Lu/.ern Zürich
1873 1877 18S1 1883
Käse 67 70 162 185
Butter 16 19 35 57
Zieger 4 2 8 8
Milchzucker 3 — 11 2
Hülfsstoffe (Lab, Farbe) . . 1 1 6 ' 3
Konservirte Milch .... 2 2 6 3
Geräthe 25 27 67 30
Gesammtaussteller .... 119 121 295 288
In Freiburg und Luzern wurde dem Besucher der Ausstellung die Käse-
fabrikation (Greyerzer und Emmenthaler) praktisch vorgeführt, was allseitig die
vollste Anerkennung fand, üeberdies waren an der landwirthschaftlichen Aus-
stellung in Luzern die Produkte und Geräthe in demselben Lokale wohlgeordnet
aufgestellt, wo der Emmenthalerkäser arbeitete. Die milchwirthschaftliche Ab-
theilung an der Landesausstellung in Zürich 1883 muß dagegen als eine vollständig
mißlungene bezeichnet werden, denn es fehlte nicht nur der praktische Molkerei-
betrieb, sondern die Produkte und Geräthe waren so zerstreut aufgestellt, daß
der fremde Besucher der Ausstellung von der schweizerischen Milchwirthschaft
nur einen ungünstigen Eindruck erhalten konnte. An der diesjährigen Ausstellung
Milch wirtbschaft — 455 — Milchwirthschaft
in Nenenbarg 1887 soll die milohwirthschaftliche Abtheilang in einem eigenen
Gebäude untergebracht werden, wo eine moderne Molkerei im Betriebe stehen
wird. Zum ersten Mal wird an dieser landwirthschaftlichen Ausstellung eine
Kosthalle für Milchprodukte eingerichtet, wo sämmtliche ca. 20 schweizerischen
Käseßorten zum Verkaufe ausgestellt werden. Für 50 Rp. wird man je 5 ver-
schiedene Qualitäten Käse zu kosten bekommen.
2) Molchenprämirungen wurden seit dem Jahre 1884 vom frei-
burgischen und ostschweizerischen Käserverein (Thurgau und St. Gallen), sowie
von den Kantonen Lazem, Tessin, Zürich, ünterwalden und Schwyz ausgeführt ;
ein besonderes Verdienst hat sich der Schweizerische Alpwirthschaftliche Verein
erworben, welcher diese Prämirungen anregte und mit namhaften Geldsummen
unterstützte. Einen Schritt weiter ist der Kanton Zürich gegangen, welcher vor-
zügliche Leistungen auf dem ganzen Gebiete der Milchwirthschaft prämirte; er
verabfolgte im Jahre 1886 in 27 Prämien die Summe von Fr. 1200 und zwar
an Milchwirthschaft treibende Landwirthe, an Sennereigesellschaiten und an Käser.
Der Molchenprämimng muß gegenüber der Prämirung von Milchprodukten
an Ausstellungen entschieden der Vorzug gegeben werden, denn bei ersterer
unterliegt dem ürtheil des Preisrichters die ganze Produktion eines Sommers
oder Winters, während auf den Auststellungen oft Solche prämirt wurden, welche
das Glück hatten, einen schönen tadellosen Laib Käse auszuwählen, mit Rücksicht
auf die ganze Produktion jedoch keine Prämie verdient hätten, umgekehrt kam
es häufig vor, daß ein Käser bei der Auswahl eine unglückliche Hand hatte und
trotz seinen ausgezeichneten Molchen bei der Ausstellung leer ausgehen mußte.
3) Im Oktober 1871 beschloß der Schweizerische Alpwirthschaftliche Verein
in seiner Wanderversammlung zu Stuns, eine schweizerische Milchversuchs-
station zu gründen, damals das erste Institut dieser Art in Europa. Direktor
Schalzmann wies darauf hin, daß wir die in den Nachbarländern gemachten Fort-
schritte mit der größten Aufmerksamkeit verfolgen und alle Kräfte aufbieten
müssen, um den ehrenvollen Platz zu behaupten, den die schweizerische Milch-
industrie bisher eingenommen habe. Im August 1872 wurde die Milchversuchs-
station unter der Leitung von Direktor Scbatzmann in Thun eröffrtfet, nachdem
die linanziellen Verhältnisse durch jährliche Beiträge des Bundes (Fr. 2500) und
der Kantone (Fr. 3290) gesichert waren. Im Jahre 1875 wurde die Versuchs-
station nach Lausanne verlegt, wo dieselbe bis zu Schatzmann's Tode verblieb.
Ueber die Thätigkeit der Milchversuchsstation oder der Zentralstelle für
schweizerische Milchwirthschaft geben uns die Jahresberichte 1872 — 1885 genaue
Auskunft; dieselben sind im Organ der Station, den alpwirthschaftlichen Monats-
blättern enthalten.
Seit dem Jahre 1872 hielt der Direktor der Zentralstelle 499 Wandervorträge
und außer den viermonatlichen Winterkursen 66 Käserkurse in den verschiedenen
Theilen der Schweiz.
Mit dem Tode Schatzmann's ist nun die Neugestaltung der milch wirthschaft-
lichen Zentralanstalt in den Vordergrund getreten, und man hat sich in Fachkreisen
in folgenden Punkten ziemlich geeinigt.
Die Verlegung der Zentralanstalt an das schweizerische Polytechnikum, wo
dem Vorsteher derselben das agrikulturchemische Laboratorium zu Gebote stände,
auch könnte derselbe als Lehrer an der landwirthschaftlichen Abtheilung des
Polytechnikums verwendet werden. Vor Allem aber soll diese Anstalt der Zentral-
punkt des schweizerischen Molkereiwesens sein und dieses nach Innen und Außen
vertreten; sie soll ferner eine allgemeine populäre Auskunftsstation und in Ver-
Milch wirthschaft — 456 — Mikhwirtfaschaft
bindang mit den Molkereischalen und den £Lä!$erei-Inspektoren eine Fonchongs-
Station »ein.
4) Wandervorträge, Käserkurse und Molkereischalen. Direktor
Schatzmann sei. ging vom Grandsatz aas, daß das Eäserge werbe nicht in einer
Schole, sondern einzig in der Praxis bei einem tüchtigen Meister richtig erlernt werden
könne. Um aber den jungen Leuten Gelegenheit zu bieten, sich im Fache aus-
zubilden, wurden in allen Theilen der Schweiz Wandervortrage und Easerkorse
abgehalten. Namentlich im Kanton Graubünden erzielte man mit diesen Kursen
vorzügliche Erfolge und es ist zu hoffen, daß die E^serkurse auch inskünftig in
den verschiedenen Landestheilen stattfinden werden.
Im Bundesbeschluß vom 27. Juni 1884 (A. S. n. F. Bd. 7, p. G05) wurde
nun die Subventirung von drei schweizerischen Molkereischulen vorgesehen
und an die Errichtungskosten ein einmaliger, sowie an die Betriebskosten ein
jährlicher Beitrag zugesichert. Der Beitrag soll ungefähr so hoch sein wie die
Aut^gabe des betreffenden Kantons. Die drei Molkereischulen sollen sich auf die
Ost-, Zentral- und die W&stschweiz vertheilen und die verschiedenen Spezialitäten
(Emmentbaler-, Spalen-, Greyerzer- und Mager käsefabrikation), sowie die Butter-
licreituDg möglichst berücksichtigen; diese Schulen sind berufen, tüchtige Käser
sowie Käserei-Inspektoren und Wanderlehrer heranzubilden. Eine sehr
wichtige Aufgabe dieser Lehranstalten wird es femer sein, im Vereine mit der
2Sentralbtation genaue Versuche über die verschiedenen Butter- und Käsefabrikationen
anzuhtellen und neue 3Iaschinen, Geräthe und Hülfsstotfe zu prüfen.
Die erste schweizerische Molkereischule wurde vom Kanton St. Gallen am
1. November 1886 in Sornthal erötinet. Dieselbe wird von 10 Zöglingen aas
H verschiedenen Kantonen besucht. Der Unterricht ist für Schweizerbtlrger
unentgeltlich und das Kostgeld beträgt für den halbjährlichen Kurs Fr. 350.
Für 8t. Gallische Zöglinge hat der Kanton St. Gallen 6 Stipendien von je Fr. 300
per Jahr ausgesetzt. Die Ein rieht angskosten der Molkerei in Sornthal (ohne Bau)
für Maschinen und Geräthe kamen auf Fr. 12,110 zu stehen und die Betriebs-
kosten >ind pro 1887 auf Fr. 7000 veranschlagt, an welch letztere Summe der
Bund einen Beitrag von Fr. 4000 zugesichert hat. Der Molkereischule Sornthal
stehen ein Viehstand von ca. 50 Stück Braunvieh, eine gewöhnliche Dorf käserei
und eine vorzüglich eingerichtete Centrifugenmolkerei zur Verfügung nebst Labora-
torium und Lelirsaa!.
Am 1. Januar 1887 wurde in Treyvaux, Kanton Freiburf/y eine zweite
Molker»jischule für die Westschweiz und am 1. Mai 1887 eine dritte in Rütti
bei Jkrn fiir die Zentralschweiz erötfnet.
5) K ä .s e r e i - 1 n 8 p e k t o r e n. Es ist einleuchtend, daß von den Tausenden
der Schwoizer-Käser nur ein kleiner Theil die halbjährlichen oder jährlichen
Kurse d^^r Molkereischulen besuchen kann. Um aber dem Käsereigewerbe rasch
uufziihelfcn, machte Direktor PUster- Huber in Cham im Sommer 1885 den Vor-
schlag, die Käsereien von Zeit zu Zeit durch tüchtige Fachmänner untersuchen
zu lansen. H(;i solchen Inspektionen, sagte Pfister, werden die Käser wie auch
di<; Küsereigesellschaiteu auf manchen Uebelstand aufmerksam gemacht, und durch
eine vertrauliche Besprechung mit dem ins[>izirenden Fachmanne wird in der
Kegel vi(fl mehr erreicht als durch Streitigkeiten zwischen Käser und Milch-
lieferanteii.
Diese Anregung hat in der ganzen Schweiz Beifall gefunden und auch das
schweizerische Landwirthschaftsdepartement si)richt in einem Kreisschreiben vom
t 5. Juli 18HG an sämmtliche Kantonsregierungen seine Geneigtheit aus, die Ein-
Milch wirthschaft — 457 — Müchwirthschaft
führang dieser Käserei-Inspektionen finanziell zu unterstützen. In diesem Ereis-
schreiben wird darauf aufmerksam gemacht, daß, wenn es auch nicht viel nütze,
alle die vielen Ursachen zu erörtern, denen die gegenwärtige schlimme Lage der
Milch wirthschaft zugeschrieben werden müsse, weil wir die wenigsten derselben
beeinflussen können, doch gleichwohl nicht genug darauf hinwiesen werden könne, daß
Milchprodukte erster Qualität nach übereinstimmendem Urtheil der Fachmänner
immer noch offenen Markt zu lohnenden Preiseyi finden ; es müsse sich daher
hauptsächlich darum handeln, auf bessere Qualität von Butter und Käse (mit
weniger Ausschußwaare) hinzuarbeiten.
Das eidgenössische Landwirthschaftsdepartement glaubt daher, es dürfe von
gutem Erfolg begleitet sein, wenn anerkannte Fachmänner tiberall da, wo es
verlangt, oder wo ihnen der Eintritt nicht verweigert wird, die Käsereien besuchen
und in Bezug auf die vorhandenen Einrichtungen, G-eräthe und Fabrikationsmethoden,
sowohl den Hüttengenossenschaften, als auch den Käsern an Ort und Stelle Rath
ertheilen würden.
Der erste Kanton, der diesen Vorschlag verwirklichte, war Zürich, dessen
Kommission für Land wirthschaft am 17. Dezember 1886 an die Käsereigenossen-
Bchaften, Käser und Milchinteressenten des Kantons Zürich ein Kreisschreiben
erließ, in welchem dieselben eingeladen werden, sich bei allfälligem Bedürfniß
von Kath an die Direktion des Innern zu wenden. Zu diesem Zwecke hat sich
diese Behörde an eine Reihe bewährter Praktiker gewendet, welche geneigt und
im Staude sein werden, mit ihrem Rath da an die Hand zu gehen, wo es an
der Lieferung einer gesunden Milch in die Hütte, an einer entsprechenden Ordnung
und Einrichtung in derselben, an der Herstellung eines richtigen Produktes in
der Fett-, Mager- und Weichkäserei etc. fehlen sollte. Bezügliche Gesuche sind
unter Angabe des Mangels, zu dessen Verbesserung resp. Abhülfe der Rath eines
in der betrettenden Materie Bewanderten gewünscht wird, jeweilen an die zürche-
rische Direktion des Innern zu richten. Die Honorirung der Fachmänner (Reise-
spesen und Fr. 12 Taggeld) übernimmt der Staat unter Beiziehung der vom
Bunde in Aussicht gestellten Subvention.
Es ist zu hoffen, daß auch andere Kantone dem Beispiele Zürichs folgen
und sich diese treffliche Institution zu Nutzen machen werden. Während die
Früchte der Molkereischulen erst nach geraumer Zeit in unserem Molkerei wesen
zu Tage treten werden, wird das Institut der Käserei-Inspektionen auch der
gegenwärtigen altern Käsergeneration von hohem Nutzen und am ehesten geeignet
sein, die bedrohte Milchindustrie in bessere Bahnen zu lenken.
6) Eine Hauptaufgabe in der Förderung der schweizerischen Müchwirthschaft
iällt den Milch wirthschaftlichen Vereinen zu, welche berufen sind, die
Milchproduktion durch rationelle Fütterung, zweckmäßige Stalleinrichtungen und
gute Behandlung der Milch zu steigern und die Qualität der Milch zu verbessern,
durch Belehrung des Volkes die Verwerthung des Rohproduktes günstiger zu
gestalten und namentlich die Interessen dieses Industriezweiges hinsichtlich der
Handelsbeziehungen und Bildungsanstalten zu wahren. Nachdem seit einigen
Jahren der ostschweizerische und der freiburgische Käserverein eine rege Thätig-
keit entfaltet hatten, folgten auch in den Kantonen Bern, Thurgau, Zürich und
St. Gallen Milchinteressentenvereine, welche sich nun zu einem schweizerischen
milchwirthschaft liehen Zentral verein vereinigt haben; ebenso haben
die französischen Kantone einen westschweizerischen milchwirth schaft-
lichen Verein gegründet und auch in der italienischen Schweiz arbeitet der
landwirthschaftliche Verein wacker an der Hebung des Molkerei wesens.
Milchzucker — 458 — Mineralwasser
7) Schriftliche Arbeiten. Die milch wirthschaftliche Literatur in der
Schweiz ist nicht reich auHgestattet. Außer einigen Werken über Milchunter-
suchung (Müller, Dietsch, Gerber, Ambühl, Schumacher etc.) stammt fast unsere
ganze milchwirthschaftliche Literatur aus der Feder von Schatzmann, unter
seinen Arbeiten heben wir speziell die sieben Jahrgänge „Schweizerische Alpen-
wirthschaft**, 1859 — 1866, sowie die „Alpwirthschaftlichen Monatsblätter **,
1867— 1886, hervor, in welchen wir eine Fülle größerer und kleinerer milch-
wirthschaftlicher Arbeiten finden 5 wir erwähnen „Die Milch wirthschaft im Kanton
Bern" ; „Berichte über die Molkereians-stellungen in Bern 1867, Wien 1872,
Hamburg 1877, Portici 1878, Zürich 1883 imd München 1884 '^ ; „Die Milch-
frage im Kanton Bern"; „Die Dorfkäsereien und Volksernährung" ; „Offenes
Sendschreiben an die Käsereigesellschaften •* ; „Anleitung zum Bau einer Käserei" ;
„Ueber Feuernngseinrichtungen der Alp- und Thalkäsereien" ; „Verbesserte Käse-
pressen mit verschiebbarem Gewicht" ; „Die Butterfabrikation" ; „Die Abkühlung
der Milch" ; „Das Blähen der Käse" ; „Die Temperatur und Feuchtigkeit der
Käsekeller" ; „Zubereitung und Verwendung des Labes" ; „Die Käsefabrikation
der Schweiz" ; „Das Milchbüchlein zur Untersuchung gesunder und kranker
Milch" etc.
P>ine Monographie über Alpen- und Milch wirthschaft des Enilebuchs, 1887,
vom Verfasser dieses Artikels, beleuchtet die milchwirthschaftlichen Verhältnisse
dieses Landestheiles wie der ganzen Schweiz.
Milchwirthschaftliche Fachorgane sind; Die ^^Schweizerische Milchzeiiung^y
gegründet 1875, im Verlag der Brodtmann'schen Buchdruckerei, Schaff hausen,
redigirt von F. Merz in Faido; Die „Milchindttsirie^, gegründet 1884, im
Verlag von K. J. Wyß in Bern, redigirt von Anderegg und Gerber in Bern.
Den milchwirthschaftlichen Vereinen und Fachorganen wartet noch eine
große und wichtige Arbeit, indem sie einerseits die vermittelnden Organe zwischen
der Bevölkerung und den Behörden sind und anderseits direkt eingreifen müssen,
um die milchwirthschaftlichen Verhältnisse nach jeder Richtung günstiger zu
gestalten. Eine Hauptaufgabe derselben wird sein, durch Einführung einer ratio-
nellen Fütterung und Pflege des Viehes die Milchproduktion nicht nur zu ver-
mehren, sondern auch deren Qualität zu verbessern, auf daß unsere Milchprodukte
ihren alten, bewährten Ruf nicht einbüßen; ferner den Konsum von Milch und
Milchprodukten im eigenen Lande zu heben, die Fabrikation von Butter und
Käse durch Belehrung und Beispiele zu verbessern und endlich die Handels-
beziehungen zu fremden Ländern günstiger zu gestalten. Wir hoffen, daß es
den vereinten Kräften gelingen wird, die unserer Milchwirthschaft drohende
Gefahr abzuwenden und diese nationale Industrie wieder zur Blüthe emporzuheben
zu Nutz und Frommen des Vaterlandes.
Milchzucker s. Milchwirthschaft.
Militärstrassen s. Alpenstraßen.
Minerale s. Bergbau.
Mineralsäuren. Jährliche Produktion in der Schweiz ca. 90,000 q
rrrr Fr. 900,000.
Mineralwasser. Die Schweiz besitzt einen großen Reichthum an Heilquellen
aller Art. Ks finden sich darunter einige «chun im Alterthum berühmt gewonlene.
Die Badener Thermen werden z. B. schon von Tacitus als vielbesucht erwähnt.
Im Mittelalter übten neben Baden Lenk und Pfäfers eine große Anziehungskraft
aus und selbst nach den damals noch schlecht zugänglichen rhätischen Alpen
pilgerten Bedürftige zum Genuß der kräftigen Sauerbrunnen. Durch die moilerne
Mineralwasser — 459 — Mineralwasser
Entwicklung des Verkehrswesens konnten endlich eine Menge von Heilquellen^
die sich fast auf alle Kantone vertheilen, zur verdienten Geltung gelangen.
Die warmen Quellen sind, mit Ausnahme der chemisch wenig differenten
Pfäferser Therme, meistens mehr oder weniger mit Schwefelverbindungen imprägnirt
und variren hinsichtlich der Wärme von 26^ bis 51®.
Weißenburg im Kt. Bern, Leuk im Kt. Wallis, Lavey im Kt. Waadt,.
Baden und Schimnach im Kt. Aargau gehJiren nebst Pfäfers zu den bekanntesten
Thermalquellen.
Ungleich mannigfaltiger ist die chemische Zusammensetzung der kalten
Quellen, die nach Hunderten zählen, wenn die unbedeutenden oder sonst nicht
benutzten Wasser inbegriffen werden.
Hervorragend sind die kalten Schwefelquellen: Gurnif/elj Heustrich,
Lenk und Schwarzseebad im Kt. Bern, Stachelberr/ im Kt. Glarus, Alveneu
im Kt. Graubtinden, Lostorf im Kt. Solothum, Stabio im Kt. Tessin etc. ; femer
p] i 8 e n s ä u e r 1 i n g e : St. Moritz, Schuls, Fideris, St. Bernhardin, Belvedra
im Kt. Graubnnden, Morf/ins im Kt. Wallis, Brissago, Osasco, Lugano im
Kt. Tessin, Schupf heim im Kt. Luzern, Gonten und Heinrichsbad im Kt. Appen-
zell etc. ; sodann muriatisch-alkalinische (abführende) und Natron-
quellen : Tarasp, Passugg, Tiefencastef ^ Peiden im Kt. Graubtinden, Birmenstorf
und Gyrenbad im Kt. Zürich ; auch manche Eisensäuerlinge gehören hieher.
Ferner kommen in Betracht kalk- und gypshaltige Wasser und jod-
haltige Quellen: Wildegg im Kt. Aargau, Saxon im Kt. Wallis, Solis im
Kt. Graubünden, Rothenbninnen im Kt. Graubünden. Arsenhaltig ist die
Quelle im Val Sinestra, Kt. Graubünden. Soolbäder endlich sind in Bex
im Kt. Waadt, Rheinfelden im Kt. Aargau und Schweizerhalle im Kt. Baselland.
Am reichsten an Mineralquellen ist nach dem Vorstehenden der Kanton
Graubünden. In seiner Gebirgsmasse ist es namentlich der sog. Bündnerschiefer,
ein kalkhaltiger, vielfach mit Schwefelkies, Kalkspath, Gyps, Graphit, Magnesit
u. s. w. durchsetzter, sehr oft Bittersalz, selbst Alaun und kohlensaures Natron
auswitternder Thonschiefer , aus welchem eine ganz bedeutende Menge von
Mineralquellen entspringt. Größtentheils sind es Eisensäuerlinge, sodann natron-
reiche und Schwefelquellen. Bemerkens werth ist der Gehalt an HaloYden, Bor-
säure und Lictin. Ebenso ist das Auftreten verschiedener mineralisirter Quellen
innerhalb eines beschränkten Umkreises (so bei Tarasp und Passugg^ im untern
Albulathal etc.) von Interesse. Eine weitere, doch schon geringere Anzahl Mineral-
quellen entspringen aus Urgebirgsgestein (Gneis, Glimmerschiefer), dolomitischen
Kalken und Verrucano, einige wenige aus, wohl nur in einer andern Formation
gelagertem, Serpentin. Die meisten Quellen zeigen eine gewöhnliche Temperatur
von 8—12** C. ; durch geringere Wärme zeichnen sich namentlich St. Moritz
und die Tarasper Natronquellen aus.
Einige dieser Wasser werden in beträchtlichem Maße exportirt. Der Export
betrug im Jahre 1877 von SL Moritz 96,(500, Tarasp 53 500, Fideris 37,000,
Passugg 30,000, Val Sinestra 3000, zusammen 220,100 Flaschen. (VergL
Dr. Ed. Killias „Rhätische Kurorte und Mineralquellen". Chur 1883.)
Zahlreich sind auch die Fabrikanten kUnstlicher Mineralwasser, deren Ver-
brauch in der Schweiz trotz den vielen und guten Naturwassern ein beträchtlicher
ist. Es existiren in den meisten größeren Ortschaften Miiieralwasserfabrikanten
oder Apotheken mit bezüglichen Einrichtungen, welche namentlich die als Genuß-
mittel konsumirten kohlensauren Wasser und Limonaden, häufig aber auch medi-
zinisch verwendbare Wasser produziren.
Missionäre — 460 — Molkerei
VoiJ fremden Mineralwassem werden am meisten eingeführt: Ungarisches
Bitterwasser (Hunvadi), Selterser- nnd Karlsbaderwasser, und zwar in großem
Maßstabe.
Siehe auch den Artikel „Kurorte der Schweiz".
Missionäre* Als M. bezeichneten sich bei Anlaß der eidg. Volkszählung
von 1880 157 Personen.
Mittelmeerbahn, französische, s. Paris-Lyon-Mediterranee.
Mockenholzbirne, Wirthschaftsobst ersten Ranges (Herbstfrncht), zur Most-
bereitung geeignet, ist im Thurgau seit einem halben Jahrhundert bekannt und
auch in den angrenzenden Gegenden zu finden. Der Baum liebt schweren Boden,
ist in Beziehung auf Lage nicht wählerisch, trägt frühe, beinahe alljährlich and
oft reichlich. Der höchste Ertrag beläuft sich wohl auf 80 — 90 Sester. (Pomo-
logisches Bild er werk.)
Modellschutz s. Gewerbliches Eigenthum und Patentschutz.
Modellstecheroi s. Xylographie.
Modewaaren. Die Einfuhr von fertigen Modewaaren, Putzwaaren und
Schmuckfedern betrug im Jahresdurchschnitt 1855/64: 45 q, 1865/74: 330 q,
1875/84: 1195 q, im Jahre 1885 (Modewaaren, garnirte Damenhllte, künstliche
Blumen und Schmuckfedern): 944 q a Fr. 2500 = Fr. 2'360,000, wovon
511 q aus Frankreich, 351 q aus Deutschland.
Im Handelsregister waren Ende 1884 447 Modewaarengeschäfte eingetragen.
Birkhliuser's Adreßbuch von 1885 verzeichnet ihrer 740.
Modistinnen. Birkhäuser's Adreßbuch von 1885 gibt die Adressen von
etwas über 1200 M.
Möbel. Die durchschnittliche Jahresproduktion von Möbeln in der Schweiz
wird dem Werthe nach auf 372 Millionen Franken geschätzt. Größtentheils sind
es Möbel gewöhnlicher Art. Luxusmöbel werden noch vorwiegend vom Ausland
bezo^^cn, trotz mustergültigen und dabei billigeren Leistungen des Inlandes. Die
Produktionsforin ist noch vorwiegend Handwerk; doch macht die Konzentration
in größeren, fabrikähnlichen Werkstätten Fortschritte. Der Jahresbedarf an Möbeln
wird auf 10 Millionen Franken geschätzt.
Einfu hr im Jahresdurchschnitt 1877/84: Gepolsterte hölzerne Möbel 155 q,
polirte und bemalte hölzerne Möbel G040 q, alte hölzerne Möbel 1208 q.
Ausfuhr im Jahresdurchschnitt 1877/84: Gepolsterte hölzerne Möbel 74 q,
polirte und bemalte hölzerne Möbel 1344 q, alte hölzerne Möbel 2542 q.
Seit 1885 sind in der Waarenverkehrsstatistik die Möbel mit den übrigen
Tischlerarbeiten vermengt.
lieber die eisernen Möbel gibt die Statistik keine Auskunft.
Mohn. Die Kultur dieser Pflanze ist unbedeutend.
Moirag^e. Unter dieser Geschäftsbezeichnung waren Ende 1884 drei Firmen
(Kt. Basidstadt) im Handelsregister eingetragen.
MoiroestolTe (Moire alsacienne, Moire antique, Moire ä r^erve, Moire
franyaiso, Moire rondej sind zweitrettige Ganzseidenstoffe, die von der zürche-
ri.^^chen S«'i«lenintlustrie wohl gewoben, aber nicht ausgerüstet (moirirt) werden.
Zu diesem Zwecke werden sie meistens nach Lyon gesandt. In den Jahren 1881
und lbS2 herrsehte >rroße Nachfrage nach Moiree^totfen.
Wollene Moireestolfe werden in erheblichen Quantitäten aus England bezogen
zur Fabrikation vtm Schürzen etc.
Molkerei s. Milehwirthschaft.
Molkereischulen — 461 — Moreas
Molkereischulen bestehen in Sornthal bei Utzwyl, Rtitti bei Bern, Trey-
vaux im Kt. Frei bürg.
Monopole 6. Staatsmonopole.
Montenegro steht mit der Schweiz in vertraglicher Beziehung : 1 ) Durch
die Genfer Konvention betreffend die Behandlung der Verwundeten im Kriege ;
2) durch den allgemeinen Weltpostvertrag ; 3) durch den internationalen Post-
vertrag betreffend Poststücke ohne Werthangabe.
Moratoriumslinien. Hierunter sind folgende Eisenbahnprojekte verstanden :
1) Koblenz-Stein (Aargau), 2) Eglisau- Schaff hausen, 3) Etzweilen-Schaff hausen,
4) Dielsdorf-Niederwenigen, 5) Thalweil-Zug, 6) Zürich-Meilen-Rapperawyl.
Die Verpflichtung zum Bau dieser Linien war in den Jahren 1872 und
1873 von der Gesellschaft der Schweizerischen Nordostbahn übernommen worden ;
dieselbe sah sich aber zu Anfang des Jahres 1877 veranlaßt, die Erklärung
abzugeben, daß sie sich außer Stande befinde, obige Bauverpflichtung zu erfüllen.
Die Gesellschaft ersuchte hierauf den schweizerischen Bundesrath, seine Ver-
mittlung eintreten lassen zu wollen, damit eine Verständigung zwischen den
Vertragsparteien erzielt werden möge. Der Bundesrath entsprach diesem Gesuche
und es kamen über sämmtliche Linien, ausgenommen Dielsdorf-Nieder wenigen,
Verträge zu Stande, welche in der Hauptsache bedingten, daß der Schweizerischen
Nordostbahn zur Inangrittnahme der Arbeiten an jenen Linien Frist bis Ende
1885 gewährt sei, in dem Sinne, daß dannzumal der Bundesrath zu entscheiden
habe, ob die Nordostbahn wieder genügend erstarkt sei, um diese Arbeiten an
Hand zu nehmen.
Hiemit übereinstimmend faßte die Bundesversammlung am 14. Februar 1878
folgenden Beschluß (Eisenbahnaktensammlung 1878 und 1879, Seite 29):
, Unter Vorbehalt erworbener Rechte werden die für die Bahnkonzessionen
Thalweil-Zug, Etzweilen-Schaffhausen, Bülach-Schafifhausen, Koblenz-Stein, rechts-
ufrige Zürichseebahn und Dielsdorf-Niederwenigen von den kantonalen und Bundes-
behörden für den Finanzausweis, Beginn der Erdarbeiten und Inbetriebsetzung
dieser Linien aufgestellten Fristen um 8 Jahre erstreckt.
, Soweit unter den Betheiligten eine diesbezügliche Vereinbarung besteht, hat
der Bundesrath nach Ablauf des Jahres 1885 zu entscheiden, ob die Nordosthahn-
gesellschaft wieder genügend erstarkt sei, um den Bau der vorgenannten Linien
an Hand zu nehmen (beziehungsweise, was die Linien EtzweUen-SchafThausen
und Koblenz-Stein betrifH, ihre bezog liehen VertragspÜichten zu erfüllen), und in
welcher Reihenfolge dies zu geschehen habe, und er wird dann unvorgreiflich
den gesetzlichen Befugnissen der Bundesversammlung für jede einzelne Linie die
Ausweis- und Bautennine neu festsetzen."
Dem in Alinea 2 dieses Bundesbeschlusses enthaltenen Auftrag ist der
Bnndesrath nachgekommen, indem er am 23. Juni 1887 Folgendes beschloß:
1) Die Gesellschaft der Schweizerischen Nordostbahn ist genügend erstarkt,
um den Bau der linksseitigen Zürichseebahn (Thalweil-Zug), der Eisenbahn von
Bülach nach SchafThausen und der rechtsufrigen Zürichseebahn an die Hand zu
nehmen und, w;is die Linie Koblenz-Stein und diejenige von Etzweilen nach
SchafThausen betrifft, die bezüglichen Vertragsverpflichtungen zu erfüllen.
2) Der Bundesrath wird die Reihenfolge bestimmen, in welcher die Erfüllung
der obigen Verpflichtungen zu geschehen hat, und es erhält das Eisenbahn-
departement den Auftrag, den daherigen Bericht und Antrag ohne Verzug vor-
zulegen.
3) Die gesetzlichen Befugnisse der Bundesbehörden in Bezug auf die Ver-
längerung der für diese Linien ertheilten Konzessionen, den Finanzausweis, sowie
in Bezug auf die Bautermine, bleiben vorbehalten.
Moreas. Der Artikel kam nebst den Printanicres, Cutnies, Hakirs etc. in
den Dreißiger Jahren als ein Hauptexportartikel der toggenburgischen Buntwebevöi
Most — 462 — Bffonaseline
auf und fand in der Levante und in Ostindien während mehreren Dezennien
großen Absatz.
Most 8. Obstwein.
Mostbirne, gelbe, ein Wirthschaftsobst zweiten Ranges (Sommerfrucht),
wird gewöhnlich „Gälmostler"* genannt. Diese in einem großen Theil der Kantone
St, Gallen, Appenzell und Thurgau stark verbreitete Sorte stammt muthmaßlich
von Bemhardszell, Kanton St. Gallen, von wo sie gegen Ende des vorigen Jahr-
hunderts weiter verbreitet wurde. Sie gedeiht in verschiedenen Lagen und Boden-
arten bis zu einer Höhe von 2500 Fuß über dem Meere. Die alljährlich und
oft sehr reichlich tragende Sorte wird von weuigen anderen an Fruchtbarkeit
übertrotfen; auch eignet sie sich sehr gut zum Umpfropfen älterer Bäume, die
dann gewöhnlich schon im dritten Jahre tragen. Die gelbe Mostbirne wird aus-
«chließlich zur Mostbereitung verwendet. (Pomologisches Bilderwerk.)
Mouehoirs. Abgepaßte, glatte, bedruckte, buntgewebte oder bestickte Tücher
von Seide oder Baumwolle, zur Verwendung als Taschen-, Kopf- und Umschlag-
tücher etc.
Die größte Bedeutung für die schweizerische Fabrikation haben die be-
druckten und die buntgewebten baumwollenen Mouehoirs, erstere im Toggenburg,
letztere im Kanton Glarus fabrizirt und in großem Maßstabe vorwiegend in die
südlichen Länder und nach dem Orient ex|)ortirt. Von den einzelnen Sorten haben
oder hatten namentlich die Mouehoirs Madras, Pignas, Balazores, Barocs Bedeutung.
Bestickte leinene und baumwollene Mouehoirs waren namentlich gegen Ende
des vorigen und im Anfang des jetzigen Jahrhunderts gebräuchlich uud bildeten
einen bedeutenden Artikel der ostschweizerischen Stickerei. Die feinen, von Hand
bestickten Tücher von Appenzell L-Rh. waren bis in die Sechziger Jahre in
hohem Grade gesucht und geschätzt ; seit dem Aufkommen der Maschinenstickerei
in Plattstich ist aber diese künstlerische Feinstickerei nach und nach zurückgegangen
und beschäftigt heute nur noch wenige Arbeiterinnen. (Vergl. Handstickerei.)
Seidene Mouehoirs resp. Cachenez (vergl. d.) bilden einen Hauptartikel der
zürcherischen Seidenweberei.
Mousseline. Feines, undichtes Baum woUge webe, glatt, bemustert oder
bestickt, hauptsächlich zu Vorhängen, Kleiderbesatz und Damenroben dienend,
und zwar meistens weiß, seltener mit farbigen Mustern. Die Mousselineweberei
und -Stickerei ist es, durch welche vor 100 Jahren die st. gallisch-appenzellische
Industrie den Weh ruf erneuerte, den sie schon anderthalb Jahrhunderte vorher
durch ihre Lein wandge webe erlangt und bis gegen das Ende des vorigen Jahr-
hunderts bewahrt hatte.
In St. Gallen und Appenzell sowie in Zürich, Glarus etc. war dem Mousseline-
weben die Fabrikation von Druckkattun vorausgegangen. Der Ruhm, die erste
Mousseline zuwege gebracht zu haben, darf nach Wartmann : „Industrie und
Handel des Kantons St. Gallen", ziemlich sicher dem st. gallischen Webermeister
Hans Jakob Kirchhofer in St. Gallen zugeschrieben werden, der solche schon um
IToO gewebt haben soll.
Als die geschicktesten Mousseline weher und als diejenigen, welche „mit ihrer
Ausdauer und ihrem ertinderischen Genie** durch Vervollkommnung der Webstühle
und gewandtere Manipulation diese einträgliche Fabrikation zu ihrem überraschenden
Flore gebracht haben, galten später allgemein die Appenzeller. Das Appenzeller
Land mit seinen Tausenden von Webkellern wurde in kurzer Zeit der eigentliche
Sitz der Mousselineweberei, die von dort aus sich allmälig auch in einige an-
grenzende Gemeinden de» Toggenburgs verpflanzte. Der Geschicklichkeit dieser
Mousseline — 463 — Mousseline
Weber, die ihre Fabrikate rastlos vervollkommneten, und der Rührigkeit der
8t. gallischen und appenzellischen Eaufleute ist es zu verdanken, daß St. Gallen
mit seinem Industriegebiete während der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
in Bezug auf Mousseline und die verwandten leichten Baumwollgewebe, Midoubles,
Jaconats etc., unbestritten an der Spitze der gesamraten europäischen Industrie
stand und hierin sozusagen das Monopol in ganz Europa hatte, bis gegen Ende
des Jahrhunderts England, durch sein Maschinenwesen unterstützt, als über-
wältigender Konkurrent aufzutreten begann. — Die st. gallisch-appeuzellische
Mousseline ging in dieser oder jener Form so ziemlich nach aller Herren Ländern,
am meisten nach den südlichen, nach Frankreich und Spanien, deren Kolonien
und nach Italien. Sie waren öfters so gesucht, daß die eigene lebhafte Fabri-
kation für den Bedarf nicht hinreichte; daim ließen die Kaufleute zur Aushülfe
Mousseline aus dem Kanton Zürich kommen, wo die Mousselineweberei ebenfalls
sehr ausgedehnt war und wo nach amtlicher Zählung im Jahre 1787 4392
Mousseline Webstühle neben 2087 Indienne Webstühlen im Gange waren. Die Zürcher
Mousseline stand indessen der st. gallischen bedeutend nach. Den Grund davon
suchte man vornehmlich darin, daß sie nicht im Keller gewoben wurde, wie die
appenzellische, denn die feuchte Kellerluft erhielt den spröden Baumwollfaden
geschmeidig und verRtärkte die Wirkung des Schlichtens wesentlich.
Die Mousseline wurde von den Fabrikanten gewöhnlich in Stücken von
16 Stab (32 Ellen) Länge und ^/4, zuweilen auch % — ^^ji Breite verkauft,
dann aber zu 8 stäbigen Stücken zerschnitten und so in den Handel gegeben.
Der Preis des Stückes glatter Mousseline gewöhnlicher Länge und Breite schwankte
zwischen 6 — 30 Fl., je nach Qualität. Bestickte Mousseline soll nach den einen
Angaben 12 — CO Fl., nach den andern 20 — 150 Fl. per Stück gegolten haben.
Ostindische Mousselines mit Gold- und Silberstickereien erreichten bisweilen den
Werth von 60 Karolin (ä ca. Fr. 26) das Stück.
Es ist ohne Uebertreibung anzunehmen, daß in der Stadt St. Gallen in den
blühendsten Jahren 100,000 Stück glatte (d. h. nicht bestickte) und 50,000 Stück
bestickte Mousseline umgesetzt worden seien. Was außerdem in Herisau, Teufen
u. s. w. umgesetzt wurde, mag diese Zahl eher übersteigen als bloß erreichen.
Zur Stickerei wurde übrigens lange Zeit nur ostindische Mousseline verwendet,
bis in Folge der zunehmenden Vervollkommnung der einheimischen Weberei das
indische Fabrikat zu Gunsten des einheimischen immer mehr verdrängt wurde.
Französische und italienische Händler brachten die ostindische Mousseline längere
Zeit allein nach St. Gallen etc. zu Markte. Als dann später England in Indien
immer entschiedener die Oberhand behielt, als sich die Beziehungen zu jenem
Lande überhaupt vervielfachten und der ganze st. gallische Handel sich immer
freier entfaltete, wurde das ostindische Gewebe in bedeutenden Quantitäten auch
aus England bezogen. So wird nach Wartmann berichtet, daß der Chef eines
der ersten st. gallischen Handelshäuser schon g^g^n Ende des letzten Jahrhunderts
alljährlich nach England reiste, dort seine Einkäufe ostindischer Mousseline machte,
diese in St. Gallen mit Mustern bedrucken und darnach sticken ließ, die Stickereien
hauptsächlich nach Frankreich und Italien verkaufte und sich damit sein großes
Vermögen erwarb.
Wie bereits erwähnt, setzten die politischen Ereiijcnisse der Neunziger Jahre
und die kommenden kriegerischen Zeiten einerseits, die englische Maschinen -
konkurrenz anderseits dem Fortblühen dieser Industrie große Hindernisse entgegen,
ja führten bisweiligen gänzlichen Stillstand der Fabrikation und im Allgemeinen
ein entschiedenes Rückschreiten derselben herbei. Nur mit Mühe konnte in dsyc^
Mozambique — 464 — Müllerei
ersten Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts weiter praduzirt werden ; der Gewinn
war im Kampf mit der Maschine für ordinäres Gewebe ^ring geworden. Als
Anfangs der Dreißiger Jahre die allgemeine Einführang des Jacquard webst ahls
und später der Broehirlade und Spickplatte, sowie die Erfindung des Plattstich-
webstuhls die Fabrikation (fvmusterttr Mous^elineartikel besonders begünstigte
und die neuen Modeartikel diet^er Ai*t großen Anklang fanden, wurde im St. Gal-
lischen und Appenzellischen dieser neue Zweig allgemein als Rettungsanker er-
griffen, die Weberei gewöhnlicher tjlatter Monsseline aber völlig vernachlässigt
und der englischen Konkurrenz überlassen. Im Kant<»n Zürich blieb man hingegen
der Weberei glatter Mousseline eher treu. In Wald bildete sich dieselbe im
Laufe der Zeit, namentlich durch die Lieferung feiner, halbdichter Gewebe für
die Druckerei der bessern Sorten der sog. Türkenkappen, und feiner Monsseline
für Frankreich und für den Bedarf der st. gallisch-appenzeUischen Vorhang-
stickereiy noch mehr aus. In den Fünfziger Jahren erfolgte im Kanton Zürich
die allgemeine Einfuhrung der mtchanischen Weberei der mousseline^rtigen
Gewebe, während in Appenzell und St. Gallen die Feiuweberei auf einen kleinen
Rest der früheren Weberarmee beschränkt blieb. Die vielen Arbeitskräfte, die
gegen Enile der Fünfziger Jahre in Folge einer allgemeinen Stockung und all-
mäligen Rückgangs der Fabrikation gemusterter Mousselinevorhänge frei wurden,
nahm die eben aufblühende Maschinenstickerei auf.
Zur Zeit wird fast der ganze Mousselinebedarf der einheimischen Stickerei
und Druckerei durch die zürcherischen mechanischen Webereien gedeckt. Der
Export von glatter Mousseline ist nicht mehr bedeutend seit Frankreich seine
Zölle erhöht hat, abgesehen davon, daß der Konsum feiner Gewebe überhaupt
allgemein abgenommen hat.
Gemusterte Mousseline resp. brochirte und damassirte Vorhänge, Plattstich-
gewebe etc. sind in Folge der Konkurrenz der billigen Nottinghamer Vorhänge und
der Billigkeit ähnlicher r/estickter Artikel, nicht am wenigsten aber auch mangels
jr-der technischen und künstlerischen Vervollkommnung, nur noch wenig begehrt.
(Vgl. Geschichtliches bei WarimanHy „Handel und Industrie des Kts. St. Gallen").
Mozambique. Eine Art buntgewebter, baumwollener Mouchoirs, haupt-
sächlich für Afrika.
Müllerei. Es existiren zur Zeit in der Schweiz ca. 2400 Handels- oder
Kunstmiihlen und H{)() Kunden- oder Bauernmühlen. Dieselben umfassen Immo-
bilien im Werthe von ungefähr 150 Millionen Franken, verfügen über 25,000
Pferdekräfte, beschäftigen 7 — 8000 Personen (am 1. Dez. Ib80 nach der eidg.
Volkszählung 7091 Personen, wovon ,325 weiblich "l und 5 — öOOO Pferde, und
vermählen ungefähr 4^2 Millionen metrische Zentner Weizen, Halbfrucht und
Roggen, nicht ganz entsprechend dem Bedarf der schweizerischen Bevölkerung.
Alljährlich werden noch, hauptsächlich für die Grenzbevölkerung, ca. 300,000 q
Mehl eingeführt, hingegen nur ca. 50,000 q in die benachbarten Grenzgebiete
ausgeführt. (Vergl. die statist. Angaben im Fachbericht und Zentralkatalog der
Landesausstellung in Zürich von lH8ii, sowie die Jahresberichte des Schweiz.
Handels- und Industrievereins und der Kaufm. Gesellschaft Zürich).
Der technische Entwicklungsgang der schweizerischen Müllerei bekundet einen
ehrenvollen Antheil an den Fortschritten der Müllerei überhaupt. Noch in den
Vierziger Jahren war die Mehrzahl der größeren Mühlen nach dem primitiven
deutschen System eingerichtet. Daneben bestand aber seit Ende der Zwanziger
Jahre ein anderes, in der Schweiz erfundenes Verfahren : die Walzenmüllerei.
Die Erfinder und Förderer derselben sind : Müller in Luzern, Helfenberger in
Müllerei
4Ü5 —
Müllerei
Rorschach, namentlich aber Suhberr/er in Frauenfeld, nach dessen System eine
Walzmühle in Frauenfeld und je eine Dampfmühle in Venedig, Budapest und
Prag eingerichtet wurden. Die erwarteten großen Erfolge traten nicht ein, weil
kein genügend hartes Walzenmaterial hergestellt werden konnte und die Walzen
sich deßhalb rasch abnutzten, ungleich und unbrauchbar wurden. Ende der
Vierziger Jahre stellte die mechanische Werkstätte St. Georgen bei St. Gallen
eine Walze aus bestem und härtestem Stahl her, welche zum Schroten verwendet
und durch „Meißeln" geschärft werden konnte. Dieselbe lieferte viel und sehr
schöne Griese und wurde namentlich in den ostschweizerischen Mühlen, auch in
zwei Etablissements in Zürich und in einer Mühle in Zug eingeführt, fand aber
sonst wenig Verbreitung. Später, in den Fünfziger Jahren, wurde unter Beihülfe
schweizerischer Mühlenindustriellen in Budapest das „Riffeln" der Hartgußwtilzen
und damit deren ununterbrochene Verwendung ermöglicht, anderseits gelangte
Herr Wegjuann in der Maschinenfabrik Oerlikon bei Zürich dazu, einen vor-
trefflichen Wälzenstuhl mit Porzellan walzen zu konstruiren. Beide Systeme sichern
eine wenigstens eben so gute Ausbeute des Rohmaterials und liefern zudem viel
feineres, weißeres und reineres Mehl als alle andern Mahlverfahren. Anfänglich
verhielten sich die schweizerischen Müller dieser Neuerung gegenüber sehr
reservirt; als aber einige größere Geschäfte das neue System einführten, damit
überraschende Erfolge erzielten und vermöge ihrer bessern Fabrikate den Zurück-
gebliebenen erdrückende Konkurrenz machten, hieß es allerwärts „mitgehen", so
daß nach Verfluß weniger Jahre die wichtige Wandlung überall vollzogen war.
Die schweizerische Müllerei steht damit technisch mindestens auf der Höhe der
besten Mühlen im Auslande.
Die Zahl der im Jahre 1880 bei der Müllerei beschäftigten Personen, unter
denen sich 662 Ausländer befanden, vertheilt sich auf die Kantone wie folgt:
1614 Bern, 693 Zürich, 658 Waadt, 627 Aargau, 617 St. Gallen, 506 Luzem,
465 Freiburg, 436 Tessin, 377 Thurgau, 307 Graubünden, 270 Wallis, 224
Solothuru, 148 Baselland, 129 Appenzell A.-Rh., 116 Genf, 116 Schaffhausen,
98 Neuenbürg, 74 Baselstadt, 74 Zug, 64 Schwyz, 3.9 Glarus, 14 Obwalden,
9 Nidwaiden, 9 Uri, 7 Appenzell I.-Rh.
Gemäß Bundesrathsbeschluß vom 13. April 1886 sind alle Mühlen mit
mehr als fünf Arbeitern unter das Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den
Fabriken zu stellen, und gemäß Bundesrathsbeschluß vom 2. September gleichen
Jahres ist diese Verordnung auf alle jene Mühlen mit mehr als zwei Arbeitern,
welche nicht ausschließlich Familienglieder des Besitzers beschäftigen, auszudehnen.
In Ausübung dieser Verordnungen waren Ende Juni 1887 130 Mühlen mit
867 Arbeitern und 4757 Pferdekräften dem schweizerischen Fabrikgesetz unter-
stellt. Dieselben vertheilen sich auf die einzelnen Kantone wie folgt:
Mühlen
Arbeiter
Pferrtekr. j
Mühlea
Arbeiter
rfcrdek
Zürich .
. 21
193
858 1
Schaff hausen
2
16
80
Bern .
. 11
56
309 i
App. A.-Rh.
. 6
43
172
Luzem
8
46
230 ;
St. Gallen .
. 18
129
729
Schwyz
1
4
30 j
Graubünden
2
8
94
Glarus .
4
26
190
Aargau
8
30
186
Zug . .
4
22
110 1
1
Thurgau .
9
44
345
Freiburg .
1
7
30
Tessin .
2
10
45
Solothurn .
4
16
118
Waadt . .
. 14
92
649
Baselstadt .
6
27
235
Neuenburg
2
23
90
Baselland .
2
12
80 :
Genf
. 5
63
177
Furrer, Volkswirthschafts-Lexikon «1er Schwel/..
*i<^
Mühlcnbau — 46G — Münzwesen
3IiililCiibau. Birkhäu«er'8 Adreßbuch (Basel, 1885) gibt die Adrcßsen von
70 Mühlebauern, wovon 15 im Handelsregister eingetragen. Dem sehweiz. Fabrik-
gesetz sird (Ende Juni 1887) 7 Mühlebauwerkstätten mit 132 Arbeitern unter-
stellt (2 Kt. Zürich, 2 Kt. Solothurn, je 1 Kt. Bern, Kt. Schaffhausen und
Kt. St. Gallen).
Mühlsteine kommen aus Steinbrüchen bei Mels (Kt. St. Gallen), bei Echarlens
und Villard-Volard im Freiburgischen.
Mülierg^aze s. Beuteltuch.
3Iüllerrebe, so genannt von den weißlichen Triebspitzen. Sie ist mit dem
blauen Burgunder verwandt und findet sich häutig mit demselben vermischt,
selten als reiner Satz. Der Stock ist von mittlerem Wuchs, aber sehr robust,
so daß er selten von der Kälte des Winters leidet ; auch im Frühjahr widerstehen
die schon ausgetriebenen Schosse den Spätfrösten besser, als die meisten anderen
Sorten. Die Müller rebe paßt daher sehr gut in niedrige Lagen, wo die Reben
oft von Frösten heimgesucht werden. Die Trauben sind ziemlich groß, reifen
mittelfrüh und liefern einen guten Roth wein, der aber zumeist dem Wein des
schwarzen Burgunders etwas nachsteht. Bei vollständiger Reife hat der Wein
einen Vanillegeschmack. Kr.
Münzwesen. (Verfasser: Herr Edm. Platel, eidg. Münzdirektor.)
I. Theil: Münzwesen der Schweiz vor 1848.
(Nach Esdier's Artikel in Max Wirlh's Statistik der Schweiz.)
Die Schweiz ist vermöge ihrer Größe und geographischen Lage den ver-
schiedenen Wandlungen der allgemeinen Münzverhältuisse gefolgt, und es haben
die angrenzenden Länder meist einen entscheidenden Einfluß auf die schweizerischen
Münzverhältnisse ausgeübt. Die einzelnen Kantone sind je nach ihrer geographischen
Lage und ihren Verbindungen öfters dem einen oder dem andern Münzsystem
von benachbarten Staaten beigetreten.
Es ist indeß kein Leichtes, eine klare Uebersicht über die Münzverhältnisse
der Schweiz in früheren Zeiten zu gewinnen und wiederzugeben, indem, wie
später gezeigt wird, jeder Kanton nach Gutdünken münzte und prägte und sich
oft die verschiedenartigsten Einflüsse geltend machten.
Die ältesten Münzen, die, so weit bekannt, in der Schweiz geprägt wurden,
sind die sogenannten merovinf/ischcn Goldmünzen. Dieselben wurden im VI. und
VII. Jahrhundert in Sitten und in St. Moritz im W^allis, ferner in Genf, Lausanne,
Basel und Windisch im Aargau geschlagen.
In den folgenden Jahrhunderten prägten deutsche Kaiser in ihren Münzstätten
zu Basel, Chur und Zürich, auch burgundische Könige in Basel und die alle-
mannischen Herzoge des X. Jahrhunderts in Zürich. Bald nachher finden wir
aueh viele (icUtll'he Münzherren, so die Bischöfe von Basel, Chur, Sitten, Genf,
Lausanne, St. Gallen und die Aebtissin des Frauenmünsters in Zürich.
Di(j Münzgerechtigkeit, das heißt das Recht, Münzen zu schlagen, bildete
schon seit Anfang des Mittelalters einen Theil des Hoheitsrechtes überhaupt und
gehörte im Deutschen Reiche zu den Regalien des Kaisers, welches er als Reichs-
lehcn nach und nach an eine Menge Fürsten, Städte und sogar Klöster verlieh.
Diese ersten schweizerischen Münzen geben keinen großen Begriff von der da-
maligen Münzkunst. Es sind meistens dünne Silberplättchen mit nur einseitigem
Gepräge und eckiger, unregelmäßiger Form, sogenannte Bracieatcn. Wie ganz
anders waren die antiken römischen und griechischen Münzen geprägt, eigentliche
Denkmäler jener Kunst im Alterthum.
Münz Wesen — 467 — Munzwesen
Gegen Ende des Mittelalter«, al« die einzelnen Theile der Schweiz sich faktisch
vom Deutschen Reiche unabhängig machten, und größere und kleinere Republiken
bildeten, entwickelte sich das Münzwesen in reichster Fülle und Mannigfaltigkeit.
Da gab es keinen Kanton, der nicht sein souveränes Münzrecht ausübte und
sein Standeswappen auf die selbstgeprägten Münzen setzte ^ und es entstand im
X\'. und XVI. Jahrhundert eine erstaunliche Menge von großen und kleinen
Silber- und hauptsächlich Kupfermünzen. Gold wurde, wenn auch in geringer
Menge, von allen Kantonen, selbst den kleinsten geprägt. Daß unter solchen
Umstäntlen bald Reibungen und Streitigkeiten entstanden, ist selbstverständlich.
Jeder Kanlon suchte seiner Münze so viel als möglich Geltung zu verschaffen,
und derjenige, welcher zu einem höher gehaltenen Münzfuß prägte, sah sich bald
übervortheilt durch diejenigen Kantone, die geringhaltige Münzen zum nämlichen
Nennwerthe schlugen. Es gab Zeiten, in welchen Kantone, um sich aus einer
momentanen hnanziellen Klemme zu helfen, eine Menge geringhaltiger Scheide-
münzen prägten und damit die andern Kantone überschwemmten. In solchen Fällen
suchten sich dann letztere durch Verbote und Außerkurserklärungen zu schützen,
was aber neue Mißhelligkeiten herbeiführte.
Indem wir nachstehend die hauptsächlichsten Begebenheiten der im Ganzen
unerquicklichen schweizerischen Münzgoschichte durchgehen, ersehen wir, daß im
Jahre 1387 der erste eigentliche schweizerische
Milnzccrtrnff (Münzbrief) zwischen den Städten Basel, Zürich, Bern, Luzern,
ßurgdorf, Thun, Unterscen, Aarberg, Laupen und Solothurn, ferner den ober-
rheinischen Städten Kolmar, Münster, Kaisersberg u. s. w., zusammen 58 Städte,
mit Herzog Albert zu Oesterreich wegen der vielen zirkulirenden schlechten
Pfennige abgeschlossen wurde, wobei sie übereinkamen, „zu schlagen ein Pfund
für einen Gulden und für eine Mark Silber sechs Pfund derselben Münzen und
zu thun zu je einer Mark sechs Loth Kupfer und sollen schroten auf vier Loth,
ein Pfund, vier Schilling und vier Pfennige und sollen 34 von diesen Pfennigen
sechs Loth wägen".
Auch wurden dabei sehr strenge Verordnungen gegen die Falschmünzerei
erlassen und die Toleranz der Münzen genau festgesetzt.
Außer den schon oben genannten Bracteaten sind in diesem Jahrhundert
hauptsächlich dicke Plapparte und Fünfer geprägt worden. Laut obigem Münz-
brief wurde das Beschroten, d. h. Beschneiden der Münzen mit dem Abschlagen
der Finger und Henken bestraft; wer die neuen Pfennige auslas und einschmolz,
dem war Leib und Gut verfallen. Wer Silber oder gemünztes Geld aus dem
liande führte, dem wurde eine Hand abgeschlagen.
Anfangs des XV. Jahrhunderts vereinigte sich Zürich mit Schaffhausen und
8t. Gallen zu einer neuen Münze, worüber im Abschiede der Tagsatzung in Zürich
1424 steht, daß die Boten der VII übrigen alten Orte die Zürcher ersuchten,
von dieser neuen Münze abzustehen und mit ihnen eine gemeinsame Münze und
AVährung anzunehmen. Allein Zürich erwiederte, daß, da sie gesehen, wie die
schwäbischen Städte das Geld erlasen, das gute einschmolzen, das leichte dagegen
\s4eder in's Land schickten, damit Alles aufkauften und Theuerung verursachten,
so habe Zürich nicht länger zuwarten können und sich mit obigen Städten auf
fünf Jahre verbunden.
Da indeß Zürich seit dem Sempacher Verkommniß von 1393 den Orten
Luzern, Bern, Solothurn, Zug, üri, Schwyz, LTnterwalden und Glarus zu nahe
stand, um sich in dieser Hinsicht zu isoliren, so kam schon im Jahre 1425 mit
denselben, mit Ausnahme von Bern, ein Münz vertrag auf 50 Jahre zu Stande,
enbau — 4GG —
Blülilcnbau. Birkhäuöcr's Adreßbuch (Basel, 1885) gibt die Adresr
MiihlebauerD, wovon 15 im Handelsregister eingetragen. Dem Schweiz,
setz sir'd (Ende Juni 1887) 7 Mühlebauwerkstätten mit 132 Arbeitern
dlt {'2 Kt. Zürich, 2 Kt. Solothurn, je 1 Kt. Bern, Kt. Schaffhaus
t. St. G-allen).
Mühlsteine kommen aus Steinbrüchen bei Mels (Kt. St. Gallen), bei E(
ind Villard-Volard im Freiburgischeu.
Müllergaze s. Beuteltuch.
Müllerrebe, so genannt von den weißlichen Triebspitzen. Sie ist n
blauen Burgundt^r verwandt und findet sich häutig mit demselben vei
selten als reiner Satz. Der Stock ist von mittlerem Wuchs, aber sehr
so daß er selten von der Kälte des Winters leidet ; auch im Frühjahr wide
die schon ausgetriebenen Schosse den Spätfrösten besser, als die meisten i
Sorten. Die Müllerrebe paßt daher sehr gut in niedrige Lagen, wo die
oft von Frösten heimgesucht werden. Die Trauben sind ziemlich groß,
mittelfrüh und liefern einen guten Rothwein, der aber zumeist dem W
schwarzen Burgunders etwas nachsteht. Bei vollständiger Reife hat dei
einen Vanillegeschmack.
Münzweseii. (Verfasser : Herr Edm. Platel, eidg. Münzdirektor
I. Theil: Münzwesen der Schweiz vor 1848.
(Nach Escher's Artikel in Max Wirth's Statistik der Schweiz.)
Die Schweiz ist vermöge ihrer Größe und geographischen Lage dt
schiedenen Wandlungen der allgemeinen Münzverhältuisse gefolgt, und es
die angrenzenden Länder meist einen entjscheidendeu Einfluß auf die schweize
Münzverhältuisse ausgeübt. Die einzelnen Kantone sind je nach ihrer geogray
Lage und ihren Verbindungen öfters dem einen oder dem andern Mür
von benachbarten Staaten beigetreten.
Es ist indeß kein Leichtes, eine klare Uebersicht über die Münzve
der Schweiz in früheren Zeiten zu gewinnen und wiedei-zugeben, in
später gezeigt wird, jeder Kanton nach Gutdünken münzte und prägte
oft die verschiedenartigstt-n Einflüsse geltend machten.
Die ältesten Münzen, die, so weit bekannt, in der Schweiz geprf
sind die sogenannten merovinr/ischen Goldmünzeu. Dieselben wurden
VIL Jahrhundert in Sitten und in St. Moritz im Wallis, ferner in Gen
Basel und Windisch im Aargau geschlagen.
In den folgenden Jahrhunderten prägten deutsche Kaiser in ihren
zu Basel, Chur und Zürich, auch burgundische Könige in Basel
mannischen Herzoge des X. Jahrhunderts in Zürich. Bald nachh
auch viele c/elatliche Münzherren, so die Bischöfe von Basel, Chur,
Lausanne, St. Gallen und die Aebtissin des Frauenniünsters in Zu
Die Münzgerechtigkeit, das heißt das Recht, Münzen zu s(
schon seit Anfang des Mittelalters einen Theil des lioheitsr«'chteg
gehörte im Deutschen Reiche zu den Regalien des Kaisers, welch
Ichen nach und nach an eine Menge Fürsten, Städte und sogar
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Münzweien — 4 68 — Münzwesen
In diesem Vertrag wurde der rheinische Silbergulden als Standart angenommen,
wobei sieben rheinische Gulden auf eine Mark Silber kamen. Auch eine Menge
anderer, fremder Münzen wurden darnach taritirt, so die Mailänder Plapparte,
die böhmischen Lichtstockplapparte, die Mailänder Fünfer u. s. w.
Man kam tiberein, daß Zürich und Luzern mit ihrer Städte Zeichen im
Namen der Vlll alten Orte prägen und ausgeben sollten: 24 Plapparte für einen
rheinischen Gulden halbfeines Silber und sollen 94 Stück auf eine Zürcher Maik
und ein Plappart für 15 Stäblerpfennige genommen werden, femer 15 Schilling
Angsterpfennige (Antlizer) üIt einen rheinischen Gulden ; es sollen 45 derselben
auf ein Loth gehen und halbfein Silber sein. Kleine Pfennige (Stäblerpfennige)
30 Schilling Stäblerpfennige für einen rheinischen Gulden, nnd 62 auf ein Loth
und ^/s Kupfer enthalten. In diesem Vertrage wurden auch gewerthet die Zürcher,
Berner, Schafthauser und St. Galler Plapparte zu 12 Stäbler[)fennigen. Und die
Angster- und Stäbler pfennige, sowie die von Zürich, Schatfhausen und St. Gallen
vorigen Jahres mit einander auf ein Korn geschlagen, sollen auch in dieser Münz-
währschaft heißen und sein. Es wurde auch die Mark Silber auf sieben rheinische
Gulden gewerthet.
Durch die Bündnisse der Schweizer mit den Nachbarstaaten veranlaßt wurden
nach und nach auch die Münzen von Mülhausen, Straßburg und Basel tarifirt.
Bern hingegen hielt sich von diesem Vertrage fern, da es seinen eigenen Münz-
fuß besaß, der mehr mit dem savovschen und burfrundischen Svsteme harmonirte.
Bern prägte seine ersten ^Batzen" um das Jahr 1498, vou dem darauf geprägten
Bären (Bätz) also genannt, nachdem die Eidgenossen darauf gedrungen hatten, daß
Bern die fernere Prägung von Fünfern einstelle, wobei aber die Bemcr bemerkten,
daß sie nur mit Savoyeii, Bnrgund und Frankreich handeln und der Mangel an
Münze sehr groß sei.
Im Jahre 1487, infolge der größeren Anhäufung der zirkulirenden Scheide-
münzen, wurde in Luzern in Verbindung mit den übrigen alten Orten eine neue
Tarilirung d(?r in der Eidgenossenschaft betindlichen Münzen vorgenommen und
Unterhandluugt-n mit Bern, Freiburg und Solothurn angeknüpft, um dieselben
zu g(?meinschaftlichem weitem A'orgehen zu bewegen, jedoch umsonst. Die VI
Orte Zürich, Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Glarus nahmen die definitive Münz-
werthung auf zehn Jahre an.
Es wurde festgesetzt: 1 rheinischer Gulden gleich 2 Pfund Heller, 1 guter
Dukaten gleich 5:5 Schillinge und 4 Heller u. s. w.
Diese Maßregel scheint iiideß keine guten Frücbte getragen zu haben, denn
während einer Reihe von Jahren war das beständige Traktandum auf den Tag-
satzungen, jeder Bote solle heimbringen und berathschlagen. wie man sich der
Münze wegen vereinigen könne. Auch bot die Tarifirung jeder neuen 3[ünze, die
in's Land kam, neue Schwierigkeiten dar.
Im Jahre 1503, da wegen des ungleichen Gehaltes der schweizerischen
Münzi^n viel Verwirrung im Verkehr herrschte, auch Zürich bei seinen Frei-
heiten nnd seinem Münzfuße bleiben wollte, wurde auf dem Tage zu Luzern
beschlossen, daß Zürich und Basel alle in der Scnweiz kursirenden Gold- nnd
Silbermünzen ihrem eigentlichen Gehalte nach untersuchen sollen.
Im Jahre 1500 beschloß die Tagsatzimg, alle Jahre einen Münztag abzuhalten,
um sieh über <len Gehalt der 3Iünzen je nach dem Steigen und Fallen der Silber-
preise zu verständigen, einstweilen soll man das Prägen überhaupt einstellen, da
di<* Verwirrung im Münzwesen son>t immer größer werde. Es kam sogar so
W(?it, daß einige Orte förmlich aufgefordert wurden, kein Silber mehr anzukaufen,
Münzwes?€n — 469 — Miinzwesen
indem der Kaiser 1573 sich über die schlechten schweizerischen Münzen beklagte.
Die Folge davon war, daß 1586 eine große Münzkonferenz in Konstanz zwischen
den Käthen der fränkischen, bayrischen nud schwäbischen Elreise mit Erzherzog
Ferdinand und mit den Gesandten der Eidgenossenschaft abgehalten wurde, ohne
jedoch bedeutende Resultate zu erzielen.
Am auffallendsten zeigte sich die Erscheinung der damaligen allgemeinen
Münzverschlechterung zur Zeit des westphälischen Friedens, wo die, während des
dreißigjährigen Krieges in Menge geprägten geringhaltigen Münzen plötzlich in
Folge des nachherigen Sinkens der Silberpreise heruntergesetzt werden mußten.
So setzte Bern 1652 nicht nur seine eigenen Batzen auf die Hälfte herunter, sondern
tariürte auch die Freiburger und Solothurner Batzen auf 3 Kreuzer. Luzern und
die IV alten Orte Uri, Schwyz, Unterwaiden und Zug folgten nach. Wirklich
zahlte man während des Krieges für einen neuen Thaler in Silber nicht weniger
als 50 Batzen Scheidemünze.
Diese Maßregel erregte ungeheuren Unwillen im Volke und war Mitursache
des darauffolgenden sog. Bauernkrieges. In der revolutionären Bundesversammlung
in Huttwyl 1653 wurde vom Volke das Begehren gestellt, es möchte in Hin-
sicht auf die Münze Gleichheit in allen Kantonen eingeführt und dadurch die
Möglichkeit gegenseitigen Verkehrs wieder hergestellt werden; auch sollte, wenn
die Münzen zu leicht seien, durch die Obrigkeit, von welcher die Münze aus-
gegeben worden, nach der Probe das Mangelhafte vergütet werden, indem die
A'erbüudeten sonst entschlossen seien, uuter einander die Münzen nach bisherigem
Werthe zu nehmen und die Obrigkeit, sofern sie die Münze in solcher Weise nicht
annehmen wolle, mit Waaren zu bezahlen.
Noch im nämlichen Jahre hielten Zürich, Luzern, Schwyz, Unterwaiden und
Zug eine Münzkonferenz, bei welchem Anlasse beschlossen wurde, Bern anzu-
halten, seine un währschaft gemünzten Batzen einzulösen und die übrigen Orte
gemahnt wurden, auf die „ Eigenmünzler und Verwechsler des Gelds** fleißig
Aufsicht zu halten. Es wurde nämlich entdeckt, daß der Berner, Solothurner
und Freiburger Stempel außer der Eidgenossenschaft mißbraucht und dadurch eine
Menge falscher Münzen in Kurs gesetzt wurde. So sollen durch eine Falsch-
münzerbande in Italien ganze Fässer voll falscher Bernbatzen über den Gotthard
in die Schweiz eingeschmuggelt worden sein.
Sichrere Kantone scheinen indessen mit dem Prägen geringhaltiger Scheide-
münzen fortgefahren zu haben, indem sich im Jahre 1658 Abt und Stadt St. Gallen
und Appenzell über die ausgemünzten neuen Zürcher Schillinge, Schaff'hauser
Batzen und A'ierbätzler beschweren und ebenso Luzern seine Mitstände vor den
Berner, Schatl'hauser und Baserschen neuen Münzen warnt. Auf der Tagsatzung
1668 beschlossen die Stände, die Zürcher'sche Silberprobe einzuführen, nämlich
13^2 Loth auf die Mark und 2\/2 Loth Kupferzusatz (843^/4 Milliemes) für die
Silbermünzen.
Einen neuen Zwist verursachte 1673 die Maßregel von Luzern, die neu ge-
prägten Oertli (7^ Gulden) von Schwyz nicht anzunehmen. Schwyz dagegen
verbot seinen Angehörigen den Besuch des Marktes in Luzern, was natürlich
ebenfalls böses Blut machte und zur Folge hatte, daß durch unparteiische Münz-
meister eine Untersuchung veranstaltet wurde, die darthat, daß kein erheblicher
Unterschied zwischen diesen und den andern Münzen bestand.
Im Jahre 1757 hielten die Stände Zürich, Bern, Luzern und Solothurn eine
Münzkonferenz in Baden, wo neuerdings betont wurde, daß die Zerrüttung des
eidg. Münzwesens in der Ueberschwemmung des Landes mit unprobehaltigen
Münzwesen — 470 — Münzwesen
Münzen liege, so daß Gold- und Silbersorteji im Preise sehr gestiegen und fast
aus dem Verkehre verschwunden seien. Um diese Zeit vermehrten sich noch die
geringhaltigen Münzen durch diejenigen von Montfort und Haldenstein. Auch dies-
mal konnte man sich auf keinen gemeinsamen Münzfuß einigen, indem Zürich
nach Reichsgulden, wobei die Mark Silber fein auf 21 Gulden und 45 Kreuzer
gesetzt wurde, Bern hingegen nach Kronen, Batzen und Kreuzern, wobei die
Mark fein Silber 14 Kronen und 15 Batzen, rechnen wollte. Hingegen wurden
die Grenzorte ersucht, die Masse geringhaltiger Reichsmünzen, die um diese Zeit
in die Schweiz eindrangen, nicht in das Innere der Eidgenossenschaft zu werfen^
im Falle sie dieselben überhaupt nicht ganz von der Hand weisen könnten.
Nach jährlich wieder erneuten Versuchen zu einer gemeinsamen Münze kam
man endlich auf der Tagsatzung von 1760 überein: 1) daß jeder Ort, der eine»
Standes neu geprägte oder sonst tolerirte Münze verrufen oder herabsetzen wolle,
dies zwei Monate vorher den übrigen Ständen anzeige ; 2) daß, wenn ein Ort
Münzen schlagen wolle, er gehalten sein soll, den übrigen Orten vorher von
Schrot und Korn derselben Kenntniß zu geben.
Diese zwei Beschlüsse hatten ihre guten Folgen und schon zwei Jahre später
scheinen die geringhaltigen Reichsmünzen sich bedeutend vermindert zu haben.
Nach diesem kurzen Rückblick auf die ältere schweizerische Münzgeschichte
knüpfen wir an das Jahr 1798 an, in welchem im Frühling sämmtliche Kantone
zu einer einzigen untheilbaren helvetischen Republik verschmolzen wurden und
womit auch das Münzrecht an den neu gebildeten Zentralstaat abgegeben wurde.
Die gesetzgebenden Räthe beschlossen am 25. Juni und 10. Dezember, daß
die helvetischen Münzen zu 40, 10, 5 und 1 Batzen, zu 2 und 1 Kreuzer einst-
weilen genau nach dem bernischen Münzfuße ausgeprägt werden sollen. Dabei
wurde der Schweizerfranken gleich Y37 Mark feines Silber als Münzeinheit auf-
gestellt, er theilte sich in 10 Batzen und der Batzen in 10 Rappen, ^Das Gold
unter helvetischem Gepräge soll zu 21^^/32 Karat fein (903/1000) ausgemünzt
werden."
Die helvetische Regierung schien aber dieses Münzregal nur ausgeübt zu
haben, um sich durch die Ausprägung von ungetahr einer halben Million gering-
haltiger Scheidemünze Gewinn zu verschatfen.
Durch die Mediationsverfassung von 1803 ging das Münzrecht an die wieder
souverän gewordenen Kantone zurück, die dasselbe dann wieder, wie in früheren
Zeiten, und ohne Rücksicht auf die Vorschriften der Tagsatzung, in vollem Maße
ausübten. Gemäß Artikel 7 dieser Verfassung nämlich sollten alle Münzen nach
einem von der Tagsatzung zu bestimmenden gleichfcirmigen Gehalte geprägt werden»
allein mit Befolgung von Schrot und Korn haperte es gewaltig. Daher denn auch
der Druck dieser, außer allem Verhältnisse zum Bedarf, in die Zirkulation ge-
worfenen Scheidemünze sich bald sehr fühlbar machte und sich von 1800 an
jährlich Klagen darüber an der Tagsatzung erhoben. Von 1803 bis 1811 wurde
für mehr als zwei Millionen Scheidemünze ausgeprägt, so prägte Zürich Acht-
und A^ier- Batzenstücke, Glarus Stücke zu 15, 3 und 1 Schilling, Uri und Schwj'z
Vier- und Zweibätzier, Basel Dreibätzlcr, St. Gallen Sechskreuzerstücke u. s. w.
Die Tagsatzung aber war, so wenig als in früheren Zeiten, nach ihrer poli-
tischen Bedtiutung im Stande, dem üebel zu steuern, und einzelne Kantone,
namentlich die östlichen, wollten nicht einmal dazu Hand bieten, das übermäßige
Scheideniünzen-Ausprägen einzustellen. So darf man annehmen, daß Anfangs der
Zwanziger Jahre bei 872 Millionen Schweizerfranken in Scheidemünzen in der
Munzwesen — 471 — Münzwesen
•
Schweiz zirkulirten, wovon zwei Dritttheile aus den geringsten Sorten bestanden.
Im Jahre 1819 ward eine Kommission aufgestellt, welche die gröbsten Mißstände
neuerdings nachwies und es wurden keine Anstrengungen gescheut, um der noch
fortdauernden Scheideratinzfabrikation Einhalt zu thun. Im Jahre 1824 gelang es
endlich, ein Verkommniß zwischen sechszehn Ständen zu Stande zu bringen, näm-
lich : Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwaiden, Zug, Freiburg, Solothurn,
Basel, Schaff hausen. Appenzell, Aargau, Waadt, Wallis und Neuenburg, die sich
entschlossen, während zwanzig Jahren die Prägung von Scheilemünze einzustellen.
Thurgau trat jenem Vertrage nachträglich bei, während Glarus, Graubünden,
Tessin, Genf und St. Gallen bei ihrer Weigerung beharrten.
Allein schon im Jahre 1825 sah man ein, daß mit dieser Maßregel dem
Uebel nicht genügend abgeholfen war, und besonders waren es die helvetischen
Scheidemünzen, die Niemand annehmen wollte. So ward ein Münzkonkordat
errichtet zwischen den Ständen Bern, Freiburg, Solothurn, Ba«el, Aargau und
Waadt, welche sich verpflichteten, gemeinschaftlich zur Einziehung des einen
Jeden unt(*r ihnen treffenden skalamäßigen Antheils der helvetischen und über-
dies einer halben Million eigener Scheidemünze zu schreiten. Der normale Scheide-
münzbedarf wurde zu 5 Franken per Kopf der Bevölkerung angenommen und
so ergab sich ein Uebermaß von Fr. 1*600,000, wovon wirklich Fr. 500,000
eingezogen wurden. Die in Zirkulation bleibenden Scheidemünzen der konkor-
direnden Kantone wollte man auf dem Wege kalter ümprägung mit dem gemein-
schaftlichen Konkordatßstempel versehen, was aber nicht vollständig ausgeführt
wurde.
Endlich im Jahre 1828 faßte die Tagsatzung den für die damaligen Ver-
hältnisse wirklich großartigen Beschluß, daß die bereits im Jahre 1819 grund-
sätzlich beschlossene Einziehung und Vernichtung der helvetischen. Scheidemünzen
auszuführen sei, und der Tagsatzung von 1830 wurde die Liquidationsrechnung
vorgelegt.
Die Ausprägung hatte 470,000 Fr. betragen. Eingelöst wurden für den
Nennwerth von Fr. 464,758. 50. Der realisirte Metallwerth betrug Fr. 328,770. 45,
also Verlust, der nach der Geldskala unter die Kantone vertheilt wurde, Fran-
ken 135,988. 05.
Mit diesem Werke war nun wenigstens die Last des Scheidemünzübermaßes
erleichtert; man kann füglich annehmen, daß in den Jahren 1820 bis 1825 eine
Masse von zirka 6 Millionen Franken oder 3 Schweizerfranken per Kopf der
Bevölkerung zirkulirte.
Bei der Bundesverfassungsrevision im Jahre 1832 endlich wurde das Prinzip
der Zentralisation des Münzwesens ausgesprochen. Als Münzeinheit sollte der
Schweizerfranken zu 121 Gramm fein Silber dienen. Bekanntlich trat aber diese
Bundesverfassung nie in's Leben. Später wurde zwar diese Angelegenheit wieder
aufgenommen, allein eine im Jahre 1834 aufgestellte Münzkommission, wenigstens
deren Minderheit, behauptete; „Nicht in der ünvollkommenheit des Vorschlages
liege das Hinderniß gegen dessen Ausführung, sondern in der Hinneigung der
westlichen Kantone zum französischen Münzfuße. Es stehe indeß nicht zu erwarten,
daß die Östlichen Kantone das ihnen in Werthung und Benennung fremde, den
Verkehr mit Deutschland erschwerende französische S3^stem annehmen werden.
Eher möchte ein Doppelsystem sich ausbilden, wenn nicht das überwiegende Ge-
fühl der Nationalität alle Kantone in dem empfohlenen Frankensystem vereinige.**
Im Jahre 1836 berief der Vorort Bern wieder eine Expertenkommission,
ebenso Luzern 1837, allein immer noch ohne thatsächlichen Erfolg.
Münz Wesen — 472 — Münzwesen
Die Münzfrage verschwaml aber dessenungeachtet nicht von den Traktanden
und in Luzern fand schon im folgenden Jahre 1838 wieder eine Konferenz statt,
wobei sich zeigte, daß in der Zwischenzeit die Anhänger des französischen Münz-
fußes hieb vennehrt hatten. Es waren dies die Stände Bern, Luzern, Frei bürg,
Solothurn, Basel, Aargau, Waadt, Wallis und Genf. Bei dieser Konferenz wurde
das französische MUnzgesetz als Grundlage angenommen und bei einer neuen Kon-
ferenz 1839, die in Zürich stattfand, durften elf Stände, mit über l'50t),000
Seelen Bevölkerung, als diesem Münzsystem gewonnen betrachtet werden. Der
daherige Gesetzentwurf enthielt folgende Hauptbestimmungen :
Münzeinheit: der Franken zu 5 Grammen Silber, ^/lo fein, theilbar in
100 Centimes. Errichtung gemeinsamer Münzstätten. Prägung von Goldmünzen
zu 40, 20 und 10 Franken. Prägung von Silbermünzen zu 5, 2, 1 und Y2
Franken. Billonmünzen zu 25, 10 und 5 Centimen. Kupfermünzen zu 2 und 1
Centimen. Der relative Werth zwischen Silber und Gold wurde gleich dem fran-
zösischen Gesetze wie 15 72 zu 1 festgesetzt und die meisten übrigen Bestim-
mungen waren ebenfalls die nämlichen, wie beim französischen Münzgesetze vom
28. März 180:^.
Zur Verwirklichung gelangte dieses Projekt ebensowenig, als seine Vorgänger,
und bis im Jahre 1m48 kam dieser Gegenstand nicht mehr zur Sprache.
Ordnung und Uebereinstinimung in dieses seit Jahren sich hinschleppende
Verhältniß zu bringen, war erst der kommenden Bundesverfassung vorbehalten.
II. Theil: Münzwesen von 1848 bis 1854.
(Erstes eidg. Münzgesetz. Durchgreifende Münzreform.)
Nachdem im Jahre 1848 eine neue Bundesverfassung in Kraft erwachsen
war, und als die daraus hervorgegangenen neuen Behörden zur Verwirklichung
neuer Einrichtungen auf dem materiellen Gebiete schritten, mußte nothwendiger-
weise der ungeregelte Zustand des Münzwesens als erster Stein des Anstoßes im
Wege sicli z(?igon. Bei der Ansarbeitung von Zoll- und Posttarifen bildete die
Verscliiedenartigkeit der Währungen kein geringes Hiuderniß, das man freilich
umging, aber nicht beseitigte. Die Ungleichheit der in den verschiedenen Theilen
der Schw«'iz kursirenden Münzsorteu oder die Abweichung in den Werthungen
derselben drohte für die zu errichtenden eidgenössischen Kassen zu einem gefähr-
lichen Elenu*nte der Verwirrung sich zu gestalten, sowie dadurch auch der Grund-
satz der Gleichtormigkeit der Besteuerung verletzt wurde. Es sah sich daher
die neue Bundesversammlung genöthigt, am *M), Juni 1849 eine provisorische
Münzverfügung zu erlassen, laut welcher bis zur Einführung eines allgemeinen
schweizerischen Münzfußes die eidgenössischen Kassen sich nach den bestehenden
ges(!tzlichen Währungen der betreffenden Kantone zu richten hatten. Zugleich
be^c'lilol.) sie aber, daß bis zum nächsten Zusammentritt der Bundesversammlung
der Bundesrath geeignete Anträge über die Einführung eines allgemeinen schwei-
zerischen Münzfußes an die Bundesversammlung zu bringen habe.
Die absolute Xothwendigkeit einer Münzreform war demnach allgemein an-
erkannt: auch konnte bei der Auswahl des Münzsvstems nicht wohl von einem
ganz neuen, bcjsonderen Systeme die Rede sein. Es wurde als unbestrittener
Grundsatz angenommen, daß die Schweiz in ihren Münzeinrichtungen sich ihren
Nachbarn anpassen müsse und der Hauptstreit beschränkte sich hauptsächlich
darauf, ob die Schweiz den süddeutsclien oder aber den französischen Münzfuß
zu dem ihrigen machen solle.
Nach einer sehr eiuläßlichen und interessanten Begutachtung durch den aus-
Münzwesen — 473 — Münzwesen
gezeichneten Münzexperten Herrn Bankdirektor Speiser und -nach gründlicher
Berathung durch die beiden Käthe nahm die Bundesversammlung das eidgenös-
sische Münzgesetz vom 7. Mai 1850 an, nach welchem der französische Münzfuß
für die Zukunft auch den Münzfuß für die ganze Schweiz bildete.
Dieses Münzgesetz ist seit seinem Erlaß mehrmals abgeändert und ergänzt
worden, zum Theil jedoch noch in Kraft bestehend. Der ursprüngliche Wortlaut
desselben ist folgender (der gegenwärtig, nach allen Abänderungen, gültige Wort-
laut bit am Schlüsse des Artikels mitgetheilt) :
Art. 1. Fiint' Grammen Silber, neun Zehntheile (%o)*) fein, machen die schweize-
rische Münzeinheit aus. unter dem Namen Franken.
Art. 2. Der Franken theilt sich in hundert (100) Kappen (Gentimes).
Art. 3. Die schweizerischen Münzsorten sind:
a. In Silber: Das Fünffninkenstück, das Zweifrankeustück, das Ein frankenstück, das
Halbfrankenstück.
b. In Bülon: Das Zwanzigrapj>enstück, das Zehnrappenstück, das Fünfrappenslück.
c. In Kupfer: Das Zweirappenstück, das Rappenstück.
Art. 4. Die Silbersorten enthalten den Feingehalt der Münzeinheit und so viel Mal
das Gewicht derselben, als ihr Xennwerth es ausspricht.
Das Zwanzigrappenstück wird ausgeprägt im Gewicht von 3V* Grammen und ent-
hält ^^Viooo fein Silber.
Das Zehnrappenstück wiegt S'/s Grammen und enthält ^''V'o^ f^in Silber.
Das Fünfrappenslück wiegt IV« Grammen und enthält "^^/low lein Silber.
Der Zusatz der Billonsorten soll in Kupfer, Nickel und Zink bestehen.
Die Kupfersorten sollen aus Kupfer, mit Zusatz von Zinn bestehen.
Das Zweirappenstück wiegt 2V^ Grammen; das Eiiirappenslück wiegt V,i Grammen.
Art. i\ Die erlaubte Fehlergrenze im Feingehalte der schweizerischen Münzen ist
festgesetzt: für die sämintlichen Silbermünzen auf zwei Tausendlheile (* looo) nach Innen
und nach Außen, d. h. an Minder- oder Mehrgehalt.
Für die Billonmünzen auf sieben Tausendtheile ("/»o'^o) nach Innen und nach Außen.
Vorkommende Abweichungen nach Innen sollen stets durch ent*<prechende Ab-
weichungen nach Außen wieder ausgeglichen werden.
Art. G. Die erlaubte Fehlergrenze im Gewicht nach Innen und nach Außen, d. h.
an Minder- oder Mehrgewicht ist festgesetzt :
a. Bei den Silbersorten: Für das Fünffrankenstück auf drei Tausendtheile ('/looo) ;
für das Zweifrankenstück auf fünf Tausendtheile (V»(»oo); für das Einfrankenstück
auf fünf Tausendtheile (Viuoo); für das Halbfrankenstück auf sieben Tausendtheile
(V>ooo) ;
b. Bei den Billmisorten : Für d;is Zwanzigrappenstück auf zwölf Tausendtheile (*7^ooo);
für das Zehnrappenstück auf fünfzehn Tausendtheile ('Viooo); für das Fünfrappen-
stück auf achtzehn Tausendtheüe {^*^j\(^oq)',
c. Bei den Kupfersorten: Für das Ein- und Zweirappenslück auf fünfzehn Tausend-
lheile CVlOfK)}.
Bei den Silber- und Billonsoilen ist die Abweichung nur auf dem einzelnen Stück
gestattet: bei den Kupfersorten gilt dieselbe für je zehn Franken an Nennwcrth oder
tausend Grammen an Gewiclit.
Alle Abweichungen nach Innen sollen durch entsprechende Abweichungen nach
Außen wieder gut gemacht werden.
Art. 7. Der Durchmesser der Silbersorteii soll mit demjenigen der entsprechenden
französischen Sorten übereinstimmen.
Art. 8. Niemand ist gehalten, andere Münzen anzunehmen, mit Ausnahme solcher
Silbersorten, die in genauer Uebereinstimnmng mit dem durch das gegenwärtige Gesetz
aufgestellten Münzsysteui geprägt und, nach vorheriger Untersuchung, vom Bundesrath
als diesen Bedingungen entsprechende Zahlungsmittel anerkannt sind.
Bezüglich der Geldverträge, die vor Inkrafttretung dieses Gesetzes abgeschlossen
worden, sollen die Kantone noch im Laufe des Jahres 1S50 den Reduktionsfuß für die
Umwandlung theils der in jenen Verträgen enthaltenen Währungen, theils der in den-
*) Im Jahre 1800 auf "^/lo, durch die lateinischen Münzkonventionen von 1865 und
1886 auf '^'V»'>oo abgeändert.
Mönzwesen — 474 — Hünzwesen
selben au.s«chlieC»licb einbedunperien. in Fol^ die<e< (resetzes eingeschmolzenen Münz-
Sorten in die neue Währung unter Genehmigung des Bundesrathes feststellen und die
Anfertigung von angemei?senen Heduktion>tabellen anordnen.
Verträge, die nach InkralUretun;.' die-es Ge?*tze? in bestimmten fremden Mänz-
>orten oder Währungen abger^hk^st-n wt^rden. «ind ihrem Wortlaute nach zu halten.
Jedoch dürfen I»hnTerträge nur auf den gesetzlichen Miinzfuü abgeschlossen, und
Löhnungen nur in gesetzlichen Münzi«orten ausbezahlt werden.
Art. 9. Den «'.ffent liehen K.is.-en der Eidgenossens<hafl ist es untersagt, andere al=
gesetzliche Münz-r^jrten an Zahlun;.' zu nehmen. Nur in aulierordenllichen Zeiten, wo in
Folge eine^ hohen Wech.selkur^es Mangel an gesetzlichen Münzen eintreten könnte, sollen
dierfe Ka--en ermächti;rt sein, andere .Münzsorten anzunehmen. Zu dem Ende hat «1er
Bundesrath, s^jbald und für <o lange al- der dem französischen MünzfuÜ entsprechende
We<hseikurs ein halljes Prozent und mehr über dem Silberpari steht, für die in anderer
als der gesetzlichen Währung geprägten Münzsorten einen ihrem Gehalle entsprechenden
Tarif aufzustellen, womarh sie bei den öffentlichen Kassen der Eidgenossenschaft an-
zunehmen smd.
Art. 10. Es >(A\ Niemrind gehalten sein, mehr als zwanzig Franken an Werth in
Silber-orten unter dem Einfranken^tück. mehr als zwanzig Franken an Werth in Billon-
unil mehr als zwei Franken an Werth in Kupfermünzen als Z^ihlung anzunehmen,
welches auch der Betrag der Zahlung sein mag.
Art. 11. Der Bundesrath bezeichnet in je^lem Kanton diejenigen Kassen, «lenen die
Verpflichtung obliegt, jeweilen schweizerische Billon- und Kupfermünzen einzuwechseln,
jedoch nirht in Beträgen unter lünfzi^r Franken.
Art. \'2. Die Bundesversammlung >etzt jeweilen die Summen und die Sorten der
stattzulindenden Ausprägungen fest.
Art. 13. Die abgenutzten Schweizermünzstürke sollen eingezogen, eingeschmolzen
und dun-lj neue ersetzt werden. Di«.- daherigen Kosten sin«l jeweilen in das Ausgaben-
budget aufzunehmen.
GleichzeitifcT wurde nun auch das Gesetz für die Ausfuhrung dieser MUnz-
reform erlasben, dessen Hauptbestin)niungen folgende sind:
Die vorzunehmende Befonii s«)ll durch «len Bundesrath bewerkstelligt werden. Der
sich ergebende Verlust auf den einzuschmelzemlen Kantonalmünzen lallt den Kantonen
zur l^isf, un«l zwar je«Iem für diejenigen Münzen, die unter seinem Stemi>el geprägt
wr»rden sind.
Der G*fwinn, welchen die neu«jn Prägungen nach Abzug aller und je«ler Unkosten
herausstellen wenlen. soll unter die sämmtliclien Kantone vertheilt werden, nach dem
Maßstabe der eidgenössischen Geldskala von iK^S.
Es s«>llen nachfolgende Summen und Sorten neuer schweizerischer Münzen nach
Vorschrift «les neuen Münzgesetze*^ ausgeprägt und in rmlauf gesetzt werden:
Silbersorten : 5(X),00<) Stück ä Fünffranken Fr. ä'500,00()
75().()(XJ , . Zweifranken r500,CMX)
2'r/J<),(XX) - , Einfranken 2'50O,000
ii'(K)(),(XK) , , f laibfranken rOOO.OOO
Billonsorten : 1()'0()0/KK) . . Zwanzigrappen 2't)CK),0(K>
12'5(H),(HK) , „ Zehnrappen 1*250,000
20'0(X),(XM) , , Fünfrappen r(XX)000
Kuptersorlen: ircXJiMMJO , , Zweirappen 220,000
:nKX),(XX) - , Einrappen 3o,000
(>2'250,(KX) Stück im Ncnnwerth von Fr. 12'000,00()
Die sämmtlichen, gegenwärtig vorhandenen und in l'ndauf l)etindlichen schweize-
rischen Münzen jeder Art sollen innert festzusetzenden Terminen eingelöst und nach
VerlluL» <ler betreffenden Termine einges<hmolzen, s<»wie auUer Kurs gesetzt werden.
Die Einlösung geschielit nach einem bestimmten Tarife.
Der Bundesrath besorgt «lie F'.inlösung und «lie Bundeskasse leistet «He hierzu er-
forderlichen VorM-liüsse.
Es \vnrd«i hierauf eine permanente Münzkommission aufgestellt und derselben
ein Münzwanlein ixngegeben, ferner «'in Konkurs für die Zeichnungen der Müdi-
st«*mp«d eröffnet und di«; folgenden Grav«*ur^ bezeichnet: Hctt Ä. Bov^ in Paris
für Anfertigung der Silbermiiuzstempel, Herr Voif/i in München für Anfertignog
Mfmzwesen — 475 — Münzwesen
der Billonmünzsterapel und Herr Barre in Paris für Anfertigung der Kupfer-
münzstempel.
Als Lokal für die münzreformlichen Arbeiten wurde die kantonale Münz-
stätte in Bern gewählt und für die Ausführung der Prägungen der neuen Münzen
Verträge mit folgenden im Betriebe stehenden Münzstätten abgeschlossen, wobei
die Silber münzen und Kupfermünzen in Paris, die Billonmünzen dagegen in Straß-
burg zu prägen waren. Diese Verträge datiren von den ersten Monaten des
Jahres 1851.
Die Aufsicht über sämmtliche nach dem Münzausführungsgesetz vom 7. Mai
1850 zu prägenden Münzen übte die französische Münzkommission unter ihrer
Verantwortung durch ihre Angestellten so aus, wie für die Münzen des eigenen
Landes und nach denselben Bestimmungen, ferner gemäß den Vorschriften des
erwähnten schweizerischen Münzgesetzes. Für die Fabrikation der Billonmünzen
in Straßburg blieb einem Abgeordneten der Schweiz das Recht vorbehalten, die-
selbe jederzeit und in allen Theilen zu beaufsichtigen.
Nachdem die Prägungs vertrage abgeschlossen worden waren, konnten nun
auch die nöthigen Versuche in größerem Maßstabe für die Ausmittlung der zweck-
mäßigsten Legirung der Billonmünzen in der Straßburger Münzstätte und im
Beisein des eidgenössischen Münzwardeins stattfinden, indem das Münzgesetz be-
züglich der Billonmünzen nur den Silbergehalt angibt und beifügt: „Der Zusatz
besteht aus Kupfer, Nickel und Zink". Der Bundesrath genehmigte alsdann
(25. April) die folgenden, mit möglichster Rücksicht auf geringen Verbrauch an
Nickel ihm gemachten Vorschläge, für die prozentische Zusammensetzung der
Billonmünzen :
SjUmt Kupfer Nickel Zink
Zwanzigrappen 150 500 100 250
Zehnrappen 100 550 100 250
Fünfrappen 50 600 100 250
Die französische Münzkommission ihrerseits erließ im Mai 1851 für ihre
Aufsichtsbeamten und für die beiden Münzdirektoren ein ausführliches Reglement
betreffend die Prägung der schweizerischen Münzen, zur richtigen und genauen
Ausführung der im schweizerischen Münzgesetz aufgenommenen Bestimmungen und
im Üebrigen konform den Gesetzen und Reglementen über das französische Münz-
wesen. Sie bestimmte ferner die Gratifikationen, die für Beaufsichtigung und
Kontrole, für Gehalt«prüfungen etc. an die betreffenden französischen Beamten
von der Schweiz zu entrichten seien: Im Ganzen Fr. 17,000, zu welcher Summe
dann noch, als besondere Unkosten, einige tausend Franken für Bureau- und
Laboratoriumsverbrauchsgegenstände hinzukamen.
Das obige Reglement erlitt indessen in der Folge auf Veranlassung des da-
maligen Münzexperten selbst eine kleine Modifikation, und wurde dadurch auch
von vollständiger Erfüllung des Art. (> des Müuzgesetzes vom 7. Mai 1850 ab-
strahirt, in so weit derselbe auch bei den Billonsorten die angegebene Abweichung
im Gewichte nur auf den einzelnen Stücken gestattet, eine Forderung, welche in
Frankreich nicht einmal für die kleinsten Silbersorten gestellt wird, welche die
Fabrikation unserer Billonmünzen bis in's Unendliche erschwert hätte, und welche
für 80 kleine Theilmünzen ganz unnöthig ist. £s wurde daher im gegenseitigen
Einverständniß festgesetzt, es solle die im Münzgesetz angegebene Toleranz auf
je 40 Stück zusammen beschränkt werden, welcher Bedingung zu genügen immer-
hin eine sehr sorgfältige Fabrikation voraussetzt. Wir bemerken hier beiläufig,
daß bei dem gegenwärtig in Kraft bestehenden Regulativ über die Koi\t^vAvt\i.w>^
Münz Wesen — 476 — Münzwesen
der Münzfabrikation in Beziehung auf das Gewicht und den Feingehalt (vom
20. Januar 1871) die im Münzgesetz angegebene Toleranz sogar auf nur 20 Stück
zusammen beschränkt worden ist.
Um die Einlösung der alten Münzen zu bewerkstelligen, wurde beschlossen,
kantonsweise und zwar in 10 Gruppen von je einigen Kantonen zusammen, im
Südwesten der Schweiz beginnend und nach Nordosten fortschreitend, vorzugehen.
Die Regulirung des Verkehrs zwischen dem Publikum und den Einlösungs-
bureaux blieb den Kantonen überlassen und fand in verschiedener Weise statt,
indem einige Kantone in jedem Bezirk, andere in jeder Gemeinde solche Bureaux
errichteten.
Im Ganzen dauerte diese Einlösungsepoche 12^2 Monate, mit je 2 Monaten
Zeit für die Einlösungsoperation, eine gewiß sehr kurze Zeit, in der dieses
wiclitige Geschäft beendigt wurde.
Am Schlüsse dieser Operation im August 1852 ordnete der Bundesrath noch
einen, für die ganze Schweiz gültigen, nachträglichen Einlösungstermin an,
welcher bis Ende Oktober dauerte.
Noch hatte die Prägung der neuen Münzen in den besagten Münzstätten
von Paris und Straßburg nicht begonnen, so wurde schon die Noth wendigkeit
einer Vermehrung der Prägung von Silberscheidemünzen und von Zwanzigrappen-
stücken erkannt und die Bundesversammlung vermehrte demgemäß (Beschluß vom
7. August 1851) die im Ausführungsgesctze vom 7. Mai 1850 dekretirten drei
Sorten von Silbertheilmünzen, sowie die Zwanzigrappenstücke.
Auch die Prägungen der Zehn- und Einrappenstücke wurden vermehrt, indem
die einzelnen Kantone bis auf dreimal soviel Rai)penstücke verlangten, als ihnen
nach dem ursprünglichen Vertheilungstableau zukamen.
Es sind im Ganzen bei Anlaß der schweizerischen Münzreform in den Jahren
1850 und 1851 folgende Münzen geprägt worden:
5()(),000 Fünffrankenstücke ... Fr. 2'500,000. —
2'500,000 Zweifrankenstücke .
5'75(),(H)() Einfrankenstücke.
4^500,000 Halbfrankenstücke .
1 1 '559,783 Zwanzigrappenstücke
13'v3 10,548 Zehnrappenstücke
20'()12,06(> Fiinfrappenstücke .
iru0O,000 Zweirappenstücke
5'000,000 Einrappenstücke .
5'000,000. —
5^750,000. —
2' 250,000. —
2'311,956. 60
1'331,<)54. 80
l'00O,603. 30
220,000. —
50,000. —
74'138,397 Stücke im Nennwerthe von Fr. 20'414,214. 70
Bis im Juni 1852 waren die sämmtlichen Prägungen beendigt, nicht ohne
zwar zu vielfachen Reklamationen und Unzufriedenheiten von Seite der Münz-
kommission gegen die Unternehmer Anlaß gegeben zu haben, so daß erstere
jetzt schon zur Ansicht kam, es sollten spätere Nachprägungen in einer eigenen
Münzstätte ausgeführt werden.
Bei <Ier Abrechnung ergab die ganze Münzreform schließlich folgendes
Resultat ;
Alte Münzen gingen ein zur Einlösung für ca. Fr. 15^000,000 und mit
Ausschluß der Goldmünzen Fr. 14'8U0,000, von letzterer Summe aber 24®/o grobes
Silbergeld, 41 7o kleine Silhersorteu, 34 *>/o Billon und 0,0021) 7o Kupfergeld,
also von Kupfermünzen fast nichts, indem diese letztere Sorte in über alles Et-
warten starkem Verhältniß verloren geht.
Munzwesen
477 —
Mönzwesen
Der Einschmelzungsverlust auf diesen alten Münzen betrug Fr. 2 '27 5,000.
Der Gewinn auf den neuen Prägungen belief sich dagegen auf Fr. 1' (522,000,
welcher von den Billon- und Kupfermünzen herrührt, während die Silbersorten
einen Ausfall ergaben.
Aus allen diesen Faktoren ergab sich nach Abzug des Gewinnes auf den
neuen Münzen von der oben erwähnten Differenz zwischen Nennweith und Metall-
werth der alten Münzen, ein unter sämmtliche Kantone vertheilter Nettoverlust
von Fr. 1' 160,000.
Mit vollem Rechte durfte daher die Münzkommission in ihren?. Schlußbericht
im März 185ii betonen, daß mit großer Befriedigung gegenüber den gehegten
Erwartungen und Befürchtungen auf die vollendete Münzreform zurückgeblickt
werden dürfe.
Wohl wenige Länder dürften sich rühmen, eine so großartige Operation bei
einem Gesammtgeschäftsverkehr von wenigstens 300 Millionen Franken in so
kurzer Zeit und zu so allgemeiner Zufriedenheit durchgeführt zu haben. Ohne
erhebliche Klagen fügte sich das Publikum in die durch den Einlösungstarif
bedingten kleinen Verluste ; über Erwarten schnell und leicht fand es sich in das
neue System.
Noch mag angeführt werden, daß das aus den Einschmelzungen der alten
Münzen erhaltene Münzgut theils direkt zu den neuen Prägungen benutzt wurde ;
zum größten Theil jedoch wurde dasselbe in ausländischen Scheideanstalten afHnirt
und die ausgeschiedenen Metalle dann zu Neuprägungen verwendet.
Verzeichniß der eingeschmolzenen alten Schweizermünzen nach den
PriU/ungskanionen.
Kanton
Stückzahl
EinlösungHwcrth
Fr.
Kantun
Stückzahl
Einl6siing9worth
Fr.
Zürich . . . .
13'364,861
3*089,353. 95
Graubünden . ,
1*877,371
133,017. 34
Bern . . . .
irot4,98i
3*797,535.61
Aargau . . ,
2*229,270
679,231. 58
Luzern . . . .
5*327,11)5
1*873,489. 89
Thurgau . . .
339,551
42,471.61
Uri
34,27i
4,795. 43
Tessin . . .
1*403,789
159,073. 17
Schwyz . . .
3'544,806
116,706.14
Waadt . . .
. 8*086,019
1*290,824. 31
Obvvalden
48H,8J>r)
128,903. 16
Wallis . . .
. 2*336,974
297,097. 65
Nidwaiden . .
30,715
4,687. 74
Neuenburg . .
760,339
126,739. 32
Glarus . . . .
271,305
31,690. 72
Genf . . .
. 1*882,809
216,831.55
Zuj? ....
33,369
1,112.78
Helvetische Re
Freiburg . .
. 3*186,186
427,707. 63
publik . .
103,542
192,864. 72
Solotliurn . . .
2*460,897
830,832. 87
Bisthum Basel .
47,072
5,944. 43
Basel . . . .
1*355,147
539,053. 79
Abgeschliffene u
Schaffhausen
Appenzell A.-Rh
88,537
554,980
9,285. 24
80,328. 36
Verruf. Mfinzer
\ 211,253
17,221.67
St. Gallen . .
. 4*760,920
915,825. 78
65*823,017
15*012,626. 44
Diese alten, eingeschmolzenen Schweizermünzen bestanden nach den Prägungs-
kantonen aus den nachfolgenden Sorten, denen gleichzeitig der damalige Ein-
lösungHwerth in neuer Währung beigefügt ist.
Münzwesen
— 478 —
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Rp.
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42,2
14
Munzwesen — 480 — Münzwesen
III. Theil: Münzwesen von 1854—1886.
(Revision do8 Münzgeset/.cs von lNi«>; oidtfenüftfliHche Münzstsltto ; lateinische MQnzkonvoution ; Einfühniuff
der (ioldmttnze etc.)
Im Jahre 1854 wurde die Frage der Goldtariiirunß: in der Bundesversammlung
erhoben, hervorgerufen durch die merkwürdige Thatsache des allmäligen Ver-
Kchwindens des Silber geldes in der Schweiz, und dessen Ersetzung durch Gold-
münzen.
Schon seit dem Jahre 1 848 nämlich zeigte sich im Werthverhältnisse zwischen
Gold und Silber, welches laut dem französischen Münzgesetze sich wie 1 : 15 "/s
verhält, ein bedeutendes Schwanken. Die Bedürfnisse des ungeheuer zunehmenden
Handels mit Indien uud China mußten mit dem in Asien beliebten Silber gedeckt
werden, und dagegen trat an seine Stelle das Gold, welches durch die Minen
Kaliforniens und Australiens in solchen Quantitäten geliefert wurde, daß es die-
jenigen des verschwindenden Silbers weit überstieg.
Diese Erscheinung begann die Aufmerksamkeit der Finanzmänner in hohem
Grade in Anspruch zu nehmen, ohne jedoch im Jahre 1854 schon genügend
aufgeklärt zu sein; auch zeigte sich eine gewisse Aengstlichkeit, nach kaum
vollendeter Münzreform im schweizerischen Münzwesen Aenderungen vorzunehmen.
Die Anregung blieb daher in der Bundesversammlung ohne Folgen, d. h.,
man blieb beim bisherigen Systeme. Dagegen beschloß die Bundesversammlung
im gleichen Jahre die Errichtung einer eidgenössischen Münzstätte,
In Folge dieses Beschlusses überließ der Kanton Bern der Eidgenossenschaft,
für so lange, als die Stadt Bern Bundessitz bleibt, das kantonale Münzgebäude
zur freien Benutzung zum Zwecke der Münz- und Medaillenfabrikation, sowie der
Fabrikation der Frankomarken.
Es wurden sofort die nöthigen baulichen Veränderungen vorgenommen,
Maschinen, Werkzeuge und Geräthschaften angeschafft und der bisher funktionirende
Münzwardein als eidgenössischer Münzdirektor bestätigt.
Die Thätigkeit dieser Anstalt begann alsdann mit einer Prägung von 2Y2
Millionen Stück Einrappen, welche 185b durch weitere 2^2 Millionen Stück
derselben Münzsorte vermehrt wurde.
Wie schon oben bemerkt, nahm die Zirkulation der französischen Goldmünzen
immer mehr zu, öffentliche Blätter und Finanzbehörden fingen an, sich damit zu
beschäftigen, und auch der Bundesrath sah sich veranlaßt, im Jahre 1856 wieder
eine eingehende Untersuchung dieser Erscheinung zu veranstalten. Doch auch
jetzt noch vermochte die Thatsache des allmäligen Sieges des Goldes über das
Silber nicht durchzudringen, und die Bundesversammlung beschloß abermals, es sei
an dem bisherigen, auf das Silber basirten Münzsysteme festzuhalten, und in die
Goldtarifirung auch dermalen nicht einzutreten.
Endlich im Jahre 1800, nachdem die Schweiz auf den Standpunkt gekommen
war, beinahe nur noch Gold- und Nickelmünzen zu besitzen, während alle silbernen
Fünffrankenthaler und fast alle vollwichtigen Zwei- und Einfrankenstücke dem
Verkehre entzogen waren, und demnach eine eigentliche Münznoth eingetreten war
(da dem Reisenden oft nicht gewechselt werden konnte), schlug der Bundesrath
vor, den französischen Goldmünzen und allen nach demselben System geprägten
Münzen gesetzlichen Kurs zum Nennwerthe zu geben.
Die durch den Nationalrath gewählte Münzkommission ging aber in ihrer
großen Mtdirheit noch weiter, stimmte nicht nur obigem Antrage vollkommen
bei, sondern schlug der Bundesversammlung vor, um dem Silbermünzmangel
bleibend abzuhelfen, eine neue Silberscheideniünzc zu kreiren, die dem Verkehre
Mönzwesen — 481 — Munzwerfen
nicht mehr entzogen würde, nämlich mit herabgesetztem Feingehalte zu 800
Tausendstel fein.
Dabei war die Kommission der festen Ueberzeugung, daß der reinen Gold-
währung auf die Länge nicht widerstanden werden könne und daß die jetzt
vorgeschlagenen Maßregeln nur den Uebergang zur baldigen Goldwährung mit
dem NapoUon (Tor, beziehungsweise dem Goldfranken als Standard bilden werden,
indem damit einer kulturhistorischen Nothwendigkeit Folge geleistet werde.
Demgemäß wurde unterm 31. Januar 1860 das Bundesgesetz über das
eidgenössische Mttnzwesen vom 7. Mai 1850 theil weise abgeändert.
Der Wortlaut dieses neuen Münzgesetzes ist folgender (vgl. Seite 492):
Art. 1. Die französischen Goldmünzen, welche im Verhältnisse von einem Pfund fein
Gold zu fünfzehn und einem halben Pfund fein Silber ausgeprägt sind, werden für so
lange^ als sie in Frankreich zu ihrem Nennwerthe gesetzlichen Kurs haben, ebenfalls
zu ihrem Nennwerthe als gesetzliches Zahlungsmittel anerkannt. Diese Bestimmung gilt
auch für die, von andern Staaten in ""vollkommener Uebereinstimmung mit den ent-
sprechenden französischen Münzsorten ausgeprägten Goldmünzen.
Der Bundesrath wird nach vorheriger Untersuchung bestimmen, welche ausländische
Goldmünzen vorstehenden Bedingungen entsprechen und als gesetzliches Zahlungsmittel
anzuerkennen sind.
Art. 2. Die Zweifranken-, Einfranken- und Halbfrankenstücke werden fortan als
bloße Silberscheidemüuze ausgeprägt; sie erhalten wie die bisherigen Stücke so viel
Mal das Gewicht von fünf Grammen, als ihr Nennwerth es ausspricht ; dagegen sollen sie
nur acht Zehntheile (7io) feines Silber enthalten.
Art. 3. Die erlaubte Fehlergrenze im Feingehalt, wie im Gewicht der neuen
schweizerischen Zweifranken-, Einfranken- und Halbfrankenstücke ist die in den Artikeln
5 und 6 des Bundesgesetzes über das eidgenössische Münzwesen vom 7. Mai 1850 fest-
gesetzte.
Der Durchmesser dieser Münzen verbleibt der gleiche, wie für die entsprechenden
bisherigen schweizerischen Münzsorten.
Art. 4. Niemand ist gehalten, mehr als zwanzig Franken an Werth in Silberscheide-
münze anzunehmen.
Art. 5. Der Bundesrath wird entscheiden, ob und welche fremde Silbertheilmünzen
im Verkehr zuzulassen seien.
Art. 6. Die nach dem Gesetz über das eidgenössische Münzwesen vom 7. Mai 1850
ausgeprägten schweizerischen Silbermünzen von Zwei-, Ein- und Halbfranken (50 Bappen)
sind in den vom Bundesrath zu bestimmenden Fristen und Formen aus dem Verkehr
zurückzuziehen.
Art. 7. Die gemäß dem gegenwärtigen Gesetze ausgeprägten schweizerischen Silber-
scheidemünzen können bei den hiefür bezeichneten Kassen gegen gesetzliche grobe Munz-
sorten nach Maßgabe von Art. 11 des Bundesgesetzes über das eidgenössische Mönzwesen
vom 7. Mai 1850 umgewechselt werden.
Art. 8. Aus den bei den neuen Münzprägungen sich ergebenden Einnahme-
überschüssen ist ein Reservefond zu bilden, aus dem je nach Erfordernis die Kosten
ganz oder theilweise gedeckt werden sollen, welche die Einlösung abgenutzter Schweizer-
münzen nach Art. 13 des Bundesgesetzes über das eidgenössische Münzwesen zur Folge
haben wird. Die Zinsen dieses Reservefonds sollen zum Kapital geschlagen werden.
Art. 9. Die Menge der zu prägenden Münzen wird jeweilen, wie für die übrigen
schweizerischen Münzsorten, im Voranschlage festgesetzt werden.
Art. 10. Das gegenwärtige Gesetz tritt sofort in Kraft und der Bundesrath ist mit
der Bekanntmachung und Vollziehung desselben beauftragt.
Es muß noch angeführt werden, daß um dem Mangel an NickelmUnzen
einigermaßen zu begegnen, in den Jahren 1858 und 1859 eine größere Anzahl
Zwanzigrappenstücke geprägt wurden, nämlich 4'323,825 Zwanzigrappenstücke
im Nennwerthe von Fr. 864,765. Von den durch das abgeänderte Münzgesetz
neu kreirten ®/io feinen Silbermünzen wurden geprägt 1860 — 1863:
Furrer, VolkawIrthschafUi-LexIkün der Schweiz. *i\
Mönzwesen — 482 — MüDZwesen
3^500,760 Zweifrankenstücke im Nennwertbe von Fr. 7^001, 520
3\517,558 Einfrankenstlicke ^ „ „ „ 3'517,558
7^018,318 Stücke „ „ „Fr. lO'öl 9,078
Dagegen wurden die altern 'lo feinen Zwei , Ein- und Halbfrankenstücke
von den Jahren 1850 und 1851 als der neuen Legirung nicht mehr entsprechend,
allmälig aus dem Verkehr zurückgezogen.
Bis zum Jahre 1865 sind von der Schweiz für ca. 32 Millionen Franken
Silber- Nickel- und Kupfermünzen geprägt worden, nach Maßgabe der beiden
erwähnten MUnzgesetze vom 7. Mai 1850 und vom 31. Januar 1860. Diese
Prägungen wurden sämmtlich für Rechnung der Eidgenossenschaft theils, wie
schon erwähnt, in den Münzstätten von Paris und Straßburg, theils in der neu
eröffneten eidgenössischen Münzstätte in Bern ausgeführt.
Unterm 2. Januar 1865 eröttnete nun ,die französische Gesandtschaft in Bern
dem Bnndesrathe, daß in Folge der letzthin in der Schweiz, in Italien und in
Frankreich zur Verhütung des Exportes und der Einschmelzung zu Industrie-
zwecken der Silberscheidemünzen getroffenen Maßregeln die Gleichförmigkeit des
Münzsystems, welche den Münzen von Frankreich, Italien, Belgien und der Schweiz
freie Zirkulation im Gesammtgebiete dieser Länder gestattete, gestört, und somit
auch der gemeinsame und einheitliche Münzfuß, welcher namentlich den Grenz-
bezirken jener Staaten so große Vortheile darbot, aufgehoben worden sei. Es
wäre daher in hohem Grade wünschbar, daß die betheiligten Regierungen die
Mißstände wieder aufhöben, welche aus den, ohne vorheriges gegenseitiges Ein-
verbtändniß vorgenommenen Abänderungen im Gehalte der Silberscheidemtinzen
entstanden seien. Als zweckmäßigstes Mittel hiezu wurde eine Münzkonferenz
in Paris vorgeschlagen, die dann am 20. November 1865 eröffnet wurde, und
wobei Frankreich, Italien, Belgien und die Schweiz vertreten waren.
In dieser Konferenz wurde beschlossen, zwischen den genannten vier Staaten
einen Münzverein zu bilden. Dieser Münzverein sollte bezwecken, die Münz-
gesetzgebungen, namentlich in Bezug auf Feingehalt, Gewicht, Durchmesser und
Kurs der Gold- und Silbermünzen in vollständigere Uebereinstimmung zu bringen,
die Uebelstände zu heben, welche für den Verkehr und die Geschäftsbeziehungen
zwischen den Bewohnern der resp. Staaten durch die Verschiedenheit in dem Fein-
gehalte ihrer Silberscheidemünzen entstehen, und durch Bildung eines Münz Vereines
unter sich zu den Fortschritten in der Münzeinigung im Allgemeinen beizutragen.
Am 23. Dezember gleichen Jahres wurde nun in Folge dieser Konferenz
von den Vertretern der vier Staaten Frankreich, Italien, Belgien und der Schweiz
in Paris dieser Münzvertrag, die sog. lateinische MUnzkonvention abgeschlossen,
und unterm 5. März 1866 vom schweizerischen Bundesrathe ratifizirt.
Dieser Münzvertrag, dem im Jahre 1868 noch Griechenland beitrat, wurde
vorläufig auf die Dauer von 15 Jahren abgeschlossen, nach Ablauf dieses Zeit-
raumes bih zum 1. Januar 1886 verlängert, und schließlich unterm 6. November
1885 neuerdings für fünf Jahre, also bis zum 1. Januar 1891 erneuert. Die
Bestimmungen dieses Münz Vertrages beziehen sich haupt«»ächlich auf die Fabrikation
der Gold- und Silbermünzen, bestimmen deren Gewicht, Durchmesser und Fein-
gehalt. Bezüglich der Goldmünzen wurde eine Tabelle aufgestellt, die fast genau
dem französischen Gesetze entspricht, dabei wurde vollkommen freigestellt, Gold
zu münzen oder nicht, was der Schweiz erlaubte, das ihren Interessen am besten
tut sprechende Verfahren einzuschlagen.
Bezüglich der Silbermünzen wurde für die Fünffrankeustücke der bisherige
Münz Wesen — 483 — Münzwesen
Feingehalt (^/lo) beibehalten, dagegen die Nothwendigkeit erkannt, für die Zwei-,
Ein- und Halbfrankenstücke den Feingehalt herabzusetzen, und aus dieser Kategorie
nach dem zweckmäßigen Vorgehen der Schweiz, eine Kredit- oder Scheidemünze
zu machen. Dabei entschied man sich für den Feingehalt von ®*Yiooo, und
bewilligte der Schweiz ausnahmsweise einen Termin von 12 Jahren, um ihre
seit 1860 neu geprägten Silberscheidemünzen umzuprägen. Bis zum 31. Dezember
1878 sollten diese Münzen daher im internationalen Verkehre inbegriffen, und
den neuen Münzen der andern konkordirenden Staaten vollkommen gleichgestellt
sein. Der Vertrag regelte ferner die Zirkulation und die Annahme der Konventions-
mttnzen an den Öffentlichen Kassen im Gesammtgebiet der vertragschließenden
Staaten.
Ferner schrieben die letztern einander gegenseitig ein Maximum in der
Menge der auszugebenden Silberscheidemünzen vor, und zwar im Verhältniß von
Fr. 6 auf den Einwohner, in Zwei-, Ein- und Halbfrankenstücken.
Für die Schweiz wurde dieser Betrag erstmals auf 17 Millionen Franken
festgesetzt. Diese Summe wurde, um dem in der Schweiz sehr fühlbaren Mangel
an kleinem Silbergeide abzuhelfen, auf 19 Millionen Franken erhöht, und schließlich
wurde durch den neuen Vertrag vom 6. November 1885 der Schweiz die Aus-
prägung einer weitern Summe von 6 Millionen Franken in diesen Silberscheide-
münzsorten bewilligt, so daß sich der bez. für die Schweiz festgesetzte Betrag
in Zwei-, Ein- und Halbfrankenstücken auf 25 Millionen Franken beläuft.
Die Prägung von silbernen Fünffrankenstücken, im Wortlaute des Vertrages
von 1865 nicht beschränkt, wurde vom Jahre 1874 — 1878 durch Zusatzverträge
in der Weise geregelt und eingeschränkt, daß jedem der Vertragsstaaten ein
Maximum vorgezeichnet wurde, innerhalb dessen auf seinen Prägeanstalten für
das laufende Jahr Fünf frankenstücke geprägt werden durften.
Vom Jahre 1878 an wurden auch diese Prägungen von silbernen Fünf-
frankenstücken, auf Grund der stetig sinkenden Silberpreise, für sämmtliche Vertrags-
staaten der lateinischen Münzkonvention gänzlich untersagt, gleichviel ob dieselben
das ihnen zustehende Quantum dieser Münzsorte ausgemünzt hatten oder nicht.
Von dem, der Schweiz zulässigen Quantum von ca. 29 Millionen Franken
sind bloß 8 Millionen im Jahre 1873/74 und zwar zum größten Theil in der
Brüsseler Münze ausgeprägt worden.
Betreffend den Wortlaut des lateinischen Münzvertrages vom 6. No-
vember 1885 siehe Seite 495 u. ff.
Nach diesen Erörterungen über die lateinische Münzkouvention kehren wir
zu der eigentlichen Münzgeschichte zurück.
Im Münzgesetz vom 7. Mai 1850 waren keine Bestimmungen vorhanden,
welche die Prägung von Goldmünzen betrafen. Ein Gesetz, welches dem
Bnndesrathe das Recht zugesteht, Goldmünzen zu prägen, existirte bis dato noch nicht.
Im lateinischen Münzvertrag vom 23. Dezember 1865 war nur die Ver-
pflichtung aufgenommen, keine anderen Goldmünzen zu prägen, als die im Vertrage
bestimmten. Bis anhin hatte man sich in der Schweiz stets mit ausländischem,
meistens französischem Golde beholfen, und war dessen stets zur Genüge vorhanden.
Im Jahre 1870, nach Ausbruch des deutsch -französischen Krieges, wurde
die Sachlage mit einem Schlage eine andere. In Folge der Unterbrechung des
Verkehres zwischen Frankreich und der Schweiz, welche unmittelbar nach Erklärung
des Krieges eintrat, und wodurch der Münzzufluß von Seite Frankreichs für die
Schweiz nahezu gänzlich abgeschlossen wurde, befand sich letztere in bitterstem
Geldmangel.
Munzwesen — 484 — Münzwesen
In Folge dessen wurde die Frage der Goldprägung in der Bundesversammlung
ernsthaft in Erwäguug gezogen, und schließlich unterm 22. Dezember 1870 das
nachfolgende Gesetz betreffend die Prägung von Goldmünzen an-
genommen :
,Art. 1. Der Bundesrath ist ermächtigt, sowohl für Rechnung des Bundes, als für
Rechnung dritter Personen diejenigen Goldmünzen auszuprägen, welche der Tabelle des
Art. 2 im Münzvertrage vom 23. Christmonat 1865 entsprechen.
Art. 2. Die Größe der Prägungen für Rechnung des Bundes muß jeweilen durch
die Bundesversammlung bestimmt werden.
Die Bedingungen der Prägungen für Rechnung dritter Personen sind durch ein
Regulativ des Bundesrathes festzustellen.
Art. 3. Auf die schweizerischen Goldmünzen ist der Art. 13 des Münzgesetzes vom
7. Mai 1850 nicht anwendbar.
Goldstücke, deren Gewicht durch Abnutzung um V« ^'^ unter die untere Fehlergrenze
(Art. 2 des Münzvertrages vom 23. Christmonat 1865) gesunken ist. gelten nicht mehr
als gesetzliches Zahlungsmittel.
Art. 4. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Gesetzes beauftragt.*
Unterm 15. Januar 1873 wurde hierauf in Vollziehung des Bundesgesetzes
betreffend die Prägung von Goldmünzen, vom 22. Christmonat 1870, vom Bundes-
rathe nachfolgendes Regulativ erlassen :
Regulativ fUr Prä(/nv<f von Goldmünzen für Eechnunr/ dritter Personen,
Art. 1. Die eidgenössische Münzstätte übernimmt Prägungen von Goldmünzen für
Privaten, vorläufig jedoch nur in Zehn- und Zwanzigfrankenstücken, und konform der
Münzkonvention von 1865.
Art. 2. Erfolgt eine Einsendung von Gold, gemünzt oder in Barren, so wird dessen
Gewicht und Feingehalt sogleich durch den Münzdirektor und einen der bestellten Münz-
essayeus genau ermittelt und dem Einsender eine auf die Bundeskasse lautende Empfangs-
bescheinigung zugestellt, womit derselbe auf eine der Hauptzoll- oder Kreispostkassen
angewiesen werden kann.
Art. 3. Bei kleineren Beträgen bis auf die Summe von Fr. 10,000 geschieht die
Entrichtung sofort ; bei größeren Summen dagegen muß eine Frist, die in keinem Falle
20 Tage überschreiten darf, bedingt werden.
Art. 4. Die Preisberechnung geschieht gemäß dem Konventionstarife von Fr. 3100
für 1 Kilogramm Münzgold (900 Milli^mes Feingehalt), und die Münzstätte wird dem
Uebersender bei der Auszahlung einen genauen Rechnungsausweis zustellen.
Art. 5. Als Präglohn wird auf der nach obigem Tarife berechneten Summe ein
Abzug von vorläufig 5 pro mille, also per Kilogramm Münzgold Fr. 15. 50 gemacht.
Art. 6. Außer diesen Kosten ist in folgenden Fällen noch zu entrichten:
a. Bei Gold unter dem gesetzlichen Feingehalt von 900 Milli^mes eine Scheidegebühr
von Fr. 6 per Kilogramm Feingold. Ausgenommen davon ist dasjenige Gold,
welches so viel Silber beigemischt enthält, daß die Scheidekosten damit gedeckt
werden können.
h. Eine außerordenthche Probirgebühr von Fr. 1 per Goldbarre, wenn dieselbe nicht
bereits einen garantirten Feingehalt aufweist.
Art. 7 Transportspesen für Hin- und Hersendungen der Werthe werden den be-
trettenden Personen nur insoweit in Anrechnung gebracht, als die Eidgenossenschatt
selbst dafür belangt wird.
Nachdem alsdann in den Jahren 1871 und 1873 kleine Versuchsprfigungen
von Zwanzigfrankenstücken stattgefunden hatten, jedoch verschiedenen bezüglichen
Vorlagen des Bundesrathes zur Ausführung einer größeren Goldprägung von der
Bundesversammlung nicht entsprochen worden war, war endlich für das Jahr
1883 eine erste eidgenössische Goldprägung in ZwanzigfrankenstUcken budgetirt
und durch die Bundesversammlung genehmigt worden. Dieser ersten Goldprägung,
im Betrage von 6 Millionen Franken, welche allgemein befriedigte, folgte 1886
eine zweite in gleich hohem Betrage, so daß also gegenwärtig die Schweiz ftir
10 3JjJ]ionen Franken Zwanzigfrankenstücke eigenen Gepräges besitzt.
MüDZwesen — 485 — Münzwesen
Privatgoldprägun^n sind bis dato noch keine durch die eidgenössische Münz-
stätte ausgeführt worden.
War nun durch die lateinische Münzkonvention vom Jahre 1865 die Fabri-
kation der Gold- und SilbefmUnzen genau festgestellt und normirt worden, so
enthielt der genannte Vertrag dagegen keine Bestimmungen in Betreff der Billon-
und Kupfermünzen, vielmehr wurden diesbezügliche Bestimmungen jedem Yertrags-
staat anheimgestellt.
Für diese beiden Münzsorten galten stets noch unverändert (bis zum Jahre
1879) die im ersten schweizerischen Münzgesetz vom 7. Mai 1850 enthaltenen
Bestimmungen betreffend die Erstellung der Nickel- und Kupfermünzen.
Nachdem vom Zeitpunkte der Münzreform bis zum Jahre 1870 keine Prä-
gungen von Nickelmünzen mehr stattgefunden hatten (mit Ausnahme der Zwanzig-
rappen-Prägungen von 1858 — 1859), wurden dieselben, um dem stets fühlbarer
hervortretenden Mangel an Kleingeld zu begegnen, im Jahre 1871 wieder auf-
genommen.
In den folgenden Jahren von 1871 — 1877 sind für Fr. 762,905 Fünf-
und Zehn rappenstücke geprägt worden.
Betreffend die Zwanzigrappen stücke waren weitere Prägangen in dieser
Münzsorte unterblieben. £s zeigte sich nämlich im Laufe der Jahre, daß die
Zwanzigrappenstücke in größerem Maßstabe nachgemacht wurden, indem deren
zur Zeit der Münzreform gewählte Legirung so hart ausfiel, daß mit gut er-
haltenen, ächten Stücken durch Reproduktion auf weichen Stahl Prägstempel
geschaffen werden konnten, mit welchen man dann im Stande war, beliebige
Mengen von Zwanzigrappenstücken zu prägen. In Folge dieses Uebelstandes
wurden vorläufig die Prägungen von Zwanzigrappenstücken nicht wieder auf-
genommen.
Mittlerweile war das Aussehen der bei Grelegenheit der Münzreform in den
Jahren 1850 und 1851 geprägten Nickelmünzen nach 25jähriger Zirkulation ein
derartiges geworden, daß ein Um- oder Neuprägen derselben dringend noth wendig
erschien. Nach vielfältigen Präg versuchen, Botschaften und Berichten wurde endlich
aus technischen Grründen beschlossen, für die Nickelmünzen eine neue Legirung,
ohne Silberzusatz, zu wählen, und wurden demgemäß die im ersten schweizer.
Mtlnzgesetz vom 7. Mai 1850 enthalteneu Bestimmungen betreffend die Erstellung
der Nickelmünzen durch die Bundesgesetze vom 29. März 1879 und 30. April
1881 über das eidgenössische Münzwesen dahin abgeändert, daß in der Folge
die kleineren Münzsorten, d. h. die Fünf- und Zehnrappenstücke, aus einer
Legirung von Kupfer und Nickel, die Zwanzigrappenstücke dagegen nur aus
Nickel, mit oder ohne einen Zusatz von Kupfer ausgeprägt werden sollen.
Für sämmtliche drei Münzsorten wurde gleichzeitig das Gewicht etwas
erhöht, nämlich für das
Fünfrappen stück von 1,666 Gramm auf 2 Gramm
Zehnrappenstück „ 2,500 „ „ 3 „
Zwanzigrappenstück ^ 3,250 „ „ 4 „
In Ausführung dieser neuen Bestimmungen wurde im Jahre 1879 mit der
Neuprägung der schweizerischen Nickelmünzen begonnen.
Für die Fünf- und Zehn rappenstücke wurde die früher schon von der deutschen
Reichsregiernng angenommene zweckmäßige Nickellegirung von 25 ®/o Nickel und
75 7o Kupfer gewählt.
Für die Zwanzigrappenstücke wurde nach vielen sorgfältigen Untersuchungen
und Prägungsversuchen als Metall Reinnickel bestimmt und, nachdem eine erste
Mänzwesen — 486 — Münzwesen
Yersachsprägong von 1 Million Stück, iin Jahre 1881 ausgeführt, dessen Zweck-
mäßigkeit dargethan hatte, mit den eigentlichen Neuprägungen der Zwanzigrappen-
stücke im Jahre 1883 begonnen. Beiläufig möge erwähnt werden, daß die Schweis
bis jetzt der einzige Staat ist, der Yerkehrsmünzen /aus reinem Nickel besitzt.
Zur Unterscheidung der neuen Nickelmünzen von denjenigen der früheren
Periode wurden erstere in allen drei Sorten mit einem neuen Aversstempel
(Helvetiakopf) geprägt. Für die Kupfermünzen ist an den ursprünglichen Be-
stimmungen des ersten schweizerischen Müuzgesetzes vom 7. Mai 1850 nichts
geändert worden, und haben Prägungen von Kupfermünzen seit der Münzreform
bis in die jetzige Zeit je nach Bedürfniß alle 2 — 3 Jahre stattgefunden.
Noch bleibt zu erwähnen eine der Schweiz eigenthümliche Münze, die zwar
keine Verkehrsmünze, vielmehr eine Medaille mit Werthbezeichnung ist. Es betrifft
dieses die silberoen sog. eidgenössischen Schützenthaler, oder richtiger
Schützenmedaillen, welche bei Gelegenheit der alle zwei Jahre abgehaltenen
eidgenössischen Schützenfeste von dem jeweiligen Organisationskomite als Schieß-
prämien verabfolgt werden. Diese in Gewicht, Größe und Feingehalt den Fünf-
frankenstücken analogen Schützenmedaillen erhielten bis dato bei jedem Schützen-
feste eine neue Stempelzeichnung mit dem Namen und dem Wappen des Festortes.
Dieselben wurden bis anhin unter staatlicher Kontrole in der eidgenössischen
Münzstätte geprägt und erhielten demzufolge die Werthbezeichnung 5 Fr., haben
jedoch bloß fakultativen Kurs und werden von den eidgenössischen Kassen nicht
angenommen.
Diese Schützenthaler liegen übrigens meistens in Privataammlungen und
kommen im Verkehr nur selten vor. Von nun an werden dieselben nicht mehr
unter staatlicher Aufsicht geprägt und deßhalb auch nicht mehr mit Werth-
bezeichnung versehen.
Das alljährlich zu prägende Münzkontingent wird jeweilen vom Bundes-
rathe in der eidgenössischen Budgetvorlage bestimmt und unterliegt der Ge-
nehmigung der Bundesversammlung.
Die eidgenössische Münzstätte gehört zum Geschäftskreis des eidgenös-
sischen Finanzdepartementes. Dieselbe wurde in Bern am 1. September 1855 im
ehemaligen kantonalen bernischen Münzgebäude als solche eröffnet. Ursprünglich
nur zur Erstellung von Kupfermünzen und zur Prägung von Medaillen eingerichtet,
ist dieselbe jetzt im Stande, sämmtliche Münzsorten zu prägen. Seit deren Er-
öffnung, resp. schon vom Jahre 1853 an bis heute, sind mit Ausnahme der im
Jahre 1874 in Brüssel geprägten Fünffrankenstücke sämmtliche Prägungen für
die Schweiz in dieser Anstalt ausgeführt worden.
Die Kontrole über die geprägten Münzen wird von einem Münzkommissär
und zwei Essajeurs ausgeübt; der erstere ist ein Beamter des schweizerischen
Finanzdepartementes, die letzteren werden jeweilen vom Bundesrathe gewählt.
Die Münzprägungen geschehen für Rechnung des Bandes. Aus den auf den
Prägungen sich ergebenden Gewinnsten ist ein eigener Fond, der sog. Münz-
reservefond, gebildet worden. Aus demselben werden dann wieder die durch
das Einziehen der außer Kurs gesetzten Münzen sich ergebenden Verluste gedeckt.
Dieser Münzreservefond ist bis Ende 1886 auf Fr. 3^513,610. 30 ange-
wachsen.
Die geprägten Münzen werden von der eidgenössischen Münzstätte nicht
direkt an das Publikum abgegeben, dieselben werden vielmehr an die eidgenös-
Münzwesen — 487 — Mönzwesen
sische Staatskasse abgeliefert, welche dann darch Vermittlung der Kreispost- und
Zollkassen den Abfluß in den Verkehr besorgt. Ebenso vermittelt oder vollführt
die eidgenössische Münzstätte keinerlei MUnzaustausch oder MUnzauswechslung.
Genaue Bestimmungen hierüber enthält folgendes vom Bundesrathe aufgestellte
Betflement vom 10. Märe 1869
über die Zirkulation und den Austausch der Silberscheidemümen, der Nickel-
und Kupfermüneen :
I. Zirkulation der Silberschetdemü^een. Art. 1. Nach Art. 6 des internationalen
Münzvertrages vom 23. Christmonat 1865 ist Jedermann gehalten, schweizerische Silber-
scheidemönzen (Zwei-, Ein- und Halbfrankenstücke) bis auf fünfzig Franken an Zahlungs-
statt anzunehmen.
Hinsichtlich der Silberscheidemünzen (Zwei , Ein- und Halbfranken und Zwanzig-
centimesstücke) derjenigen Staaten (bis jetzt Belgien, Frankreich, Italien und Griechen-
land), welche mit der Schweiz im Münzverbande stehen, ist die Annahme für Privaten
freigestellt.
Art. 2. Die Bundeskässe, die Hauptzoll- und Kreispostkassen, sowie die Kassen
der eidgenössischen Pulververwaltung, die Grenzzoll-, Post- und Telegraphenbureaux und
die ÖfTentlichen Kassen in den Kantonen sind gehalten, die schweizerischen Silberscheide-
münzen in unbeschränktem Maße an Zahlungsstatt anzunehmen, dagegen sind sie zur
Annahme einer höhern Summe als hundert Franken nicht verpflichtet, wenn fremde
Silberscheidemüiizen an Zahlung gegeben werden wollen.
Den Kantonen bleibt überlassen, auf ihrem Gebiete diejenigen Kassen naher zu
bezeichnen, welche innert den Schranken dieser Bestimmung sich zu bewegen haben.
Bei Zahlungen, welche die obgenannten schweizerischen Kassen an Privaten zu
machen haben, gilt hinwieder die Vorschrift des Art. 1 hievor.
IL Austausch der Süher Scheidemünzen im AUgetneinen. Art. 3. Die schweizerischen
Silberscheidemünzen können zu jeder Zeit bei der Bundeskasse, bei den Hauptzoll- und
Kreispostkassen, sowie bei den verschiedenen Kassen der Pulververwaltung gegen grobe
gesetzliche Sorten (Gold- oder silberne Fun ffran kenstücke) ausgetauscht und umgekehrt
von diesen Kassen Silberscheide münzen gegen grobe gesetzliche Sorten bezogen werden.
Die Summe eines einmahgen solchen Bezuges darf jedoch nicht weniger als fünfzig
Franken betragen. Die zu diesem Zwecke ein- und ausgehenden Gelder genießen der
Portofreiheit, sofern dabei die von der Postverwaltnng diesfalls erlassenen Vorschriften
beobachtet werden.
Art. 4. Fremde Silberscheidemünzen werden von den eidgenössischen Kassen behufs
bloßen Austausches nicht angenommen.
Für den Fall, daß Privaten oder öffentliche Kassen von der Bestimmung des Art. 8
des Münzvertrages sollten Gebrauch machen und fremde Silberscheidemünzen gegen
grobe gesetzliche Sorten direkt austauschen wollen, sind hiefür folgende Kassen im
Auslande bezeichnet:
1) Die Nationalbank in Brüssel für die belgischen Münzen.
2) Das Greneral-Sehatzamt in Lyon (Tr^sorerie g6n6rale) \ fürdiefranzösi-
3) Die Partikular-Einnehmerstelie in Mülhausen (Recette particuli^re) ) sehen Münzen.
4) Das Provinzial-Schatzamt in Corao (Tr^sorerie provinciale) für die italienischen
Münzen.
Die zum Umtausch bestimmte Summe darf jedoch nicht weniger als hundert Franken
betragen (Art. 8 des Münz Vertrages) und in Bezug auf Verpackung und Ausscheidung
der Münzen sind im Allgemeinen die in Art. 5, Lemma 3 und 4 aufgestellten Vorschriften
zu beobachten.
Art. 5. Privaten welche vorziehen sollten, den Umtausch mit den im Art. 4
genannten auswärtigen Kassen, statt direkt, durch Vermittlung der Bundeskasse zu be-
werkstelligen, ist dies zu folgenden Bedingungen gestattet.
Die betreffenden Münzen sind in Summen von wenigstens tausend Franken frankirt
an die eidgenössische Staatskasse zu senden.
In jeder Sendung sind die Münzen nach ihrer Herkunft und ihrem Werthe genau
zu ordnen, so daß jede Rolle oder jedes Paket nur Stücke einer und derselben Sorte
und eines und desselben Werthes enthält.
Wenn größere Summen als fünftausend Franken auszutauschen sind, so ist für
jede einzelne Sorte ein besonderes Paket zu machen, oder ein besonderer Sack zu ver-
Münzweäeo — 488 — Münzwesen
wenden. Die ganze Summe soll jedoch schließlich in einer und derselben Sendung ent-
ballen sein.
Die Münzen werden bei ihrer Ankunft von der Staatskasse gezählt, und das Resultat
dieser 2^hlung ist für den Versender ma(»gebend.
Art. 6. Spätestens dreißig Tage nach Empfang des Geldes richtet die Bundeskasse
den Gegenwerth frankirt und auf Verlangen in groben, gesetzlichen Sorten aus, unter
Abzug folgender Spesen als Vergütung für gehabte Portoauslagen:
80 Rappen per 100 Franken für belgische Münzen
50 „ , , , „ französische ,
80 , , , , , italienische ,
Die Spesen für frankirte Zusendung des Gegeqwerthes sind in obigen Taxen in-
begriffen.
III. Zirkulation upid Ätistausch der Nickel- und Kupfermünzen. Art. 7. Zur
Annahme von Nickel- (Zwanzig-, Zehn- und Fünfcentimesstücken) und Kupfermünzen
(Zwei- und Eincentimesstücken) sind Private in folgendem Maße verpflichtet:
a. an Nickelmüozen zwanzig Franken i welches auch der Betrag
SLS*vZTMarr85or° •" \ ^^'' ^*'^"°* ^^ "^
Den in Art. 2 hievor bezeichneten eidgenössischen Kassen und Bureaux, mit Aus-
nahme der kantonalen Kassen, können dagegen diese Münzsorten in behebigen Quantitäten
an Zahlungsstatt gegeben werden. Fremde Nickel- und Kupfermünzen sind vom Verkehr
in der .Scliweiz ausgeschlossen.
Art. 8. Den Umtausch der Nickel- und Kupfermünzen bewerkstelligen die in Art 2
hievor genannten Kassen : die Bundeskasse gegen Einsendung von wenigstens Fr. 100,
und die übrigen Kassen gegen Einsendung von wenigstens Fr. 50.
Die zu diesem Zwecke ein- und ausgehenden Gelder genießen der Portofreiheit,
sofern dabei die von der Postverwaltung diesfalls erlassenen Vorschriften beobachtet
werden.
Art. 9. Gegenwärtiges Reglement tritt vom Tage seiner Bekanntmachung an in
Kraft ; alle frühem mit dem gegenwärtigen im Widerspruch stehenden Reglemente und
Beschlüsse werden außer Kraft gesetzt. j^ B ..ijif .
Fälschungen schweizerischer Münzen sind mit Ausnahme der schon er-
wähnten Fälschungen der Zwanzip^appenstticke der ersten Emission keine von
Beiang oder in größerem Maßstabe vorgekommen. Fälschungen von Silbermünzen,
jedo(;h nur durch Guß, kommen jeweilen von Zeit zu Zeit vor. Da solche Stücke
jedoch nur vereinzelt auftreten und gewöhnlich leicht erkennbar sind, so wird
denselben keine Wichtigkeit beigemessen.
Wir führen schließlich noch einen Bundesrathsbeschluß an vom
17. Juni 1867, betreffend
Zcifilnruiifi falscher und Ersatzlelstunf/ für zerschnittene ächte Münzen.
Art. 1. Die eidgenössischen Finanzbeamten sind angewiesen und die öffentlichen
kantonalen Kassabeamten ermächtigt, falsche Münzen, wenn ihnen dieselben an 2^ahlungs-
statt angeboten, oder sonst vorgewiesen werden, vermittelst Zerschneidens zur Zirkulation
untauglich zu machen und sie dem Träger oder Einsender zurückzustellen.
Vorbehalten bleiben selbstverstundlich die bestehenden gesetzlichen Vorschriften
nber polizeiliche Maßnahmen, wenn die betreffende Person oder Firma der Falschmünzerei
oder des Munzbetrugs verdächtig ist. In diesem Falle ist der zuständigen Polizeibehörde,
unter Zustellung der Münze, sofort Anzeige zu machen.
Art. 2. Wenn ein Geldstück, oder mehrere solche, auf die im iVrt. 1 bezeichnete
Weise unbrauchbar gemacht worden sind, und Zweifel darüber erhoben werden, ob die
betreffende Münze falsch sei, so kann dieselbe der eidgenössischen Münzstätte zur maß-
gebenden Untersuchung fibermittelt werden.
Geht durch die Untersuchung die Aechtheit der unbrauchbar gemachten Münze
hervor, so leistet fVir deren Nennwerth die Eidgenossenschaft in diesem Falle vollen Ersatz.
Art. 3. Gegenwärtiger Bescliluü tritt vom Tage seiner Bekanntmachung an in
Kiatt. Das Finanzdepartenient ist mit dessen Vollziehung beauftragt.
Münzwesen
489 —
Münzwesen
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MüDzwesen
— 491 —
Münzwesen
Silbermünzen Fr. 23'520,848. —
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Dem Verkehre sind entzogen worden durch Rückzug und Außerkurserklärung
der betreffenden Münzsorten :
Silbermümen: Die Emissionen der Zwei-, Ein- und Halbfrankenstücke von
1850, 51, 57, 60—63. Letzter Termin der Einlösung: 31. Dezember 1881.
Billonmümen: Die Emissionen der Zwanzig-, Zehn- und Pünfrappenstücke
von 1850, 51, 58, 59, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78. Letzter Termin der
Einlösung: 30. Juni 1886.
Kupfermünzen sind keine zurückgezogen worden.
Es sind also im Ganzen aus dem Verkehr zurückgezogen worden:
2 Fr. = 6W1,382 Stück =- Fr. 12'002,764. —
1 Fr. = 9^268,084 . --- , 9^268,084. —
V« Fr. = 4'500,000 . = ^ 2'250,000. —
20 Rp. = 15*883,608 , =- , 3*176,721. 60
10 Rp. = 17*694,848 , ^ , 1*769,484. 80 } Billonmünzen , 6*271,884. 70
5 Rp. -- 26*513,566 , = , 1*325,678. 30
Total der Rückzüge und Außerkurssetzung Fr. 29*792,732. 70
Aus der vorliegenden Tabelle der Münzrückzüge ergibt sich, daß bei den
Silbermünzen im Durchschnitt 20 — 25 ^/o der ausgegebenen Münzen beim Rück-
zuge nicht mehr einlangten. Bei der ersten Emission der Zweifranken von 1850 — 57
steigt die Zahl der nicht wieder eingelangten Stücke sogar bis auf 45,8 ^/o ; es
mag dieses wohl daher rühren, daß von dieser Sorte bei den früheren, hohen
Silberpreisen ein ziemlich ansehnliches Kontingent eingeschmolzen und zu Industrie-
zwecken verwendet worden ist.
Die durch die Zirkulation hervorgebrachte Abnutzung betrug bei den aus
dem Verkehr zurückgezogenen Silbermüneen, bei den Zwei- und Einfrankenstücken
durchschnittlich zwischen 1 und 2 ^/o vom ursprünglichen Normal gewicht, bei
den kleinen Halbfrankenstücken zwischen 4 und 5 ^/o. Von den Billonmünzen
sind ca. 30 ®/o von den Zehn- und Zwanzigrappensiücken, von den Fünfrappen-
stücken sogar gegen 70 ^/o der ansgegebenen Münzen nicht mehr zum Rückzuge
gelang^. Die Abnutzung, durch die Zirkulation hervorgebracht, betrug bei den
zurückgezogenen Billonmünzen zwischen 4 und 6 ^/o vom Normalgewicht.
1
Münzprägungen und Münzrückzüge,
Stückzahl.
Prägungen
Rückzüge
In Zirkulation
1850—1886
1850—1886
1886
20 Fr. . . . 500,000
500,000
5 Fr. .
2*126,000
2*126,000
2 Fr. .
11'001,382
6*001,382
5*000,000
1 Fr.
17^268,084
9*268,084
8*000,000
Va Fr. .
10*500,000
4*500,000
6*000,000
20 Rp. .
26*383,608
15*883,608
10*500,000
10 Rp. .
34*694,848
17*694,848
17*000,000
5 Rp. .
42*513,566
26*513,566
16*000,000
2 Rp. .
16*513,300
16*513,300
1 Rp. .
27*046,097
27*046,097
Nennwert]
1
F
r. 76*623,459. 67
29*792,732. 70
46*830,726. 9'
Die Zusammenstellung der Münzprägungen und der Münzrückzüge von
1850 — 1886 ergibt nach vorliegender Tabelle als im Verkehr bleibend ein
schweizerisches Münzkontingent von Fr. 46*830,726. 97.
Mfinzwesen — 492 — Münzwesen
Wir dürften kaum zu tief geben, wenn wir dasselbe gegenwärtig (Apiil
1887) nocb auf rund 42 Millionen Franken veranscblagen, da von den in den
Jabren 1850/51 emittirten Fünf frankenstücken eine erbeblicbe Anzabl zu Industrie-
zwecken eingescbmolzen wurde, und, wie wir aus der Tabelle der Münzrückztige
geseben baben, von den kleineren Münzsorten stets ein verhältnißmäßig bedeutender
Prozentsatz sieb ziemlicb rascb aus dem Verkebr verliert. Bei einer Bevölkenmgs-
zabl von 3 Millionen Einwobnem für die Scbweiz würde sieb somit per Kopf ein
Betrag von ca. Fr. 14 ergeben. Hiezu gesellt sieb nocb eine gewisse Menge
fremden Geldes, dessen Betrag aber unmöglicb anzugeben ist.
Zusammenstellung der gegenwärtig (Anfangs 1887) in Kraft bestehenden
Gesetzesparagraphen des eidgenössischen MUnzgesetzes von 1850 mit seinen
verschiedenen Zusätzen und Abänderungen,
wie solcbes im Zusammenbange lauten würde (abgesehen vom Bundesgesetz be-
treffend die Prägung von Goldmünzen, vom 22. Cbrüitmonat 1870, Seite 484):
(Lat. Münzvertrag vom 6. November 1885. Bundesgesetz vom 7. Mai 1850.)
Fünf Grammen Silber achtbundertfünfunddreißig Tausendtbeile fein {^^^l\oao) machen
die scbweiz. Münzeinheit aus, unter dem Kamen Franken.
(B.-G. v. 7. Mai 1850.) Der Franken tbeilt sich in hundert (100) Bappen
(Centimes).
(B.-G. V. 7. Mai 1850.) Die schweizerischen Münzsorten sind:
a. In Silber:
Das Fünffrankenstück,
das Zweifrankenstück,
das Einfrankenstück,
das Halbfrankenstück.
h. In Billon
c. In Kupfer:
Das Zwanzigrappenstück,
das Zehnrappenstück,
das Fünfrappenstück.
Das Zweirappenstück,
das Happens tück.
(B.-G. V. 31. Jan. 1860.) Die französischen Goldmünzen, welche im Ver-
bältnisse von einem Pfund fein Gold zu fünfzehn und einem halben Pfund fein
Silber ausgeprägt sind, werden für so lange, als sie in Frankreich zu ihrem
Nennwertbe gesetzlichen Kurs haben, ebenfalls zu ihrem Nennwerthe als gesetz-
liches Zahlungsmittel anerkannt.
Diese Bestimmung gilt auch für die von andern Staaten in vollkommener
Uebereinstimmung mit den entsprechenden französischen Münzsorten ausgeprägten
Goldmünzen.
Der Bundesrath wird nach vorheriger Untersuchung bestimmen, welche aus-
ländischen Goldmünzen vorstehenden Bedingungen entsprechen und als gesetzliches
Zablungs i ittel anzuerkennen sind.
(B.-G. V. 31. Jan. 1860; Münzvertrag v. 6. Nov. 1885.) Die Zweifranken-,
Eiufranken- und Halbfranke .^stücke werden fortan als bloße Silberscheidemünzen
ausgeprägt; sie erhalten so viel Mal das Gewicht von fünf Grammen, als ihr
Nennwerth es ausspricht. Sie enthalten achtbundertfünfunddreißig Tausendtbeile
feines Silber.
(B.-G. v. 30. April 1881.) Das Zwanzigrappenstück wird ausgeprägt im
Mönzwesen — 493 — Münzwesen
Grewichte von vier Grammen und besteht aus Nickel mit oder ohne einen Zu-
satz von Kupfer.
(B.-G. V. 29. März 1879.) Das Zehnrappenstück wird ausgeprägt im Ge-
wichte von drei Grammen. Das Fiinfrappenstiick wird ausgeprägt im Gewichte
von zwei Grammen. Beide Münzsorten werden aus einer Legirung von Kupfer
und Nickel hergestellt.
(B.-G. v. 7. Mai 1850.) Das Zweirappensttick wiegt 272 Grammen; da»
Einrappenstück wiegt 1 Y2 Grammen. Die Kupfersorten sollen aus Kupfer, mit Zu-
satz von Zinn bestehen.
(Münzvertrag v. 6. Nov. 1885.) Die erlaubte Fehlergrenze im Feingehalte
der schweizerischen Münzen ist festgesetzt :
Für die Fünffrankenstücke auf zwei Tausendtheile (^looo).
Für die Zwei-, Ein- und Halbfrankenstücke auf drei Tausendtheile (Yiooo)
nach Innen und nach Außen, d. h. an Minder- oder Mehrgehalt.
Vorkommende Abweichungen nach Innen sollen stets durch entsprechende
Abweichungen nach Außen wieder ausgeglichen werden.
(B.-G. V. 7. Mai 1850; Regulativ v. 20. Jan, 1871.) Die erlaubte Fehler-
grenze im Gewicht nach Innen und nach Außen, d. h. an Minder- oder Mehr-
gewicht ist festgesetzt:
a. Bei den Silbersorten : für das Fünffrankenstück auf drei Tausendtheile (7iooo),
für das Zweifrankenstück auf fünf Tausendtheile (Vi 000), für das Einfranken-
stück auf fünf Tausendtheile (*/iooo), für das Halbfrankenstück auf sieben
Tausendtheile (Viooo).
6. Bei den Billonsorten ; für das Zwanzigrappenstück auf zwölf Tausendtheile
(^Viooo), für das Zehnrappenstück auf fünfzehn Tausendtheile (^^i^oo), für
das Fünfrappenstück auf achtzehn Tausendtheile (^V^^oo).
c. Bei den Kupfersorten: für das Ein- und Zweirappenstück auf fünfzehn
Tausendtheile {^^/i 000).
Bei den Silbersorten ist die Abweichung nur auf dem einzelnen Stück ge-
stattet; bei den Billonsorten gilt dieselbe für je zwanzig Stück zusammen ge-
wogen, und bei den Kupfersorten für je hundert Stück zusammen gewogen. Alle
Abweichungen nach Innen sollen durch entsprechende Abweichungen nach Außen
wieder gut gemacht werden.
(B.-G. V. 7. Mai 1850.) Der Durchmesser der Silbersorten soll mit dem-
jenigen der entsprechenden französischen Sorten übereinstimmen.
(B.-G. V. 7. Mai 1850.) Niemand ist gehalten, andere Münzen anzunehmen,
mit Ausnahme solcher Silbersorten, die in genauer Uebereinstimmung mit dem
durch das gegenwärtige Gesetz aufgestellten Münzsystem geprägt und, nach vor-
heriger Untersuchung, von dem Bundesrathe als diesen Bedingungen entsprechende
Zahlungsmittel anerkannt sind.
(B.-G. V. 31. Jan. 1860.) Der Bundesrath wird entscheiden, ob und welche
fremde Silbertheilmünzen im Verkehre zuzulassen seien.
(B.-G. V. 22. Christm. 1870.) Den öffentlichen Kassen der Eidgenossenschaft
ist es untersagt, andere als gesetzliche Münzsorten an Zahlung zu nehmen.
In außerordentlichen Zeiten jedoch, und wenn Mangel an gesetzlichen Münzen
eintreten sollte, behält sich die Bundesversammlung vor, für Münzen, die in
anderer Währung geprägt sind, eine ihrem eigentlichen Gehalte entsprechende
Werthung aufzustellen. Diese Werthung ist sodann für alle öffentlichen und
Privatkassen auf Schweizergebiet verbindlich, und die so gewertheten Münzen
sind den gesetzlichen Münzen gleichgestellt, so lange die Tarifirung dauert.
Munzwesen — 494 — Hünzwesen
(Lat. Münivertrag v. 6. Nov. 1885; B.-G. v. 7. Mai 1850; B.-G. v.
29. März 1879.) Niemand ist gehalten, mehr als fünfzig Franken an Werth in
Silherscheidemünze, mehr als zehn Franken an Werth in Billon, nnd mehr als
zwei Franken an Werth in Kupfermünzen als 2^h]ung anzunehmen, welches aach
der Betrag der Zahlung sein mag.
(B.-G. V. 7. Mai 1850.) Der Bundesrath hezeichnet in jedem Kanton die-
jenigen Kassen, denen die Verpflichtung obliegt, jeweilen schweizerische BiUon-
und Kupfermünzen einzuwechseln, jedoch nicht in Beträgen unter fünfzig Franken.
(B.-G. V 31. Jan. 1860.) Die gemäß dem gegenwärtigen Gesetze ausge-
prägten schweizerischen Silberscheidemünzen können bei den hiefür bezeichneten
Kassen gegen gesetzliche grobe Münzsorten umgewechselt werden, jedoch nicht
in Beträgen unter fünfzig Franken.
(^B.-G. V. 7. Mai 1850.) Die Bundesversammlung setzt jeweilen die Summen
und die Sorten der stattzufindenden Ausprägungen fest.
(B.-G. V. 7. Mai 1850.) Die abgenutzten Schweizermünzstücke sollen ein-
gezogen, eingeschmolzen und durch neue ersetzt werden. Die daherigen Kosten
sind jeweilen in das Auügabenbudget aufzunehmen.
(B.-G. V. 31. Jan. 1860; B.-B. v. 1. Juli 1875.) Aus den bei den neuen
Münzprägungen sich ergebenden Einnahme-Ueberschüssen ist ein Reservefond zu
bilden, aus dem je nach Erforderniß die Kosten ganz oder theilweise gedeckt
werden sollen, welche die Einlösung abgenutzter Schweizermünzen zur Folge
haben wird. Der Bundesversammlung wird vorbehalten, über die Verzinsung
dieses Reservefonds bei der jeweiligen Berathung des Budgets auf Antrag des
Bundesrathes weitere Schlußnahmen zu fassen.
Uehersicht der (Anfancfs 1887) in Kraft bestehenden Gesetze, Verordnungen,
Recflemenie etc. betreffend das Münzwesen der Schweiz.
Neue Bundesverfassung (v. 29. Mai 1874) Art. 38. A. S. n. F. I, 13.
Bundesgesetz über das eidgenössische Münzwesen (v. 7. Mai 1850), A. S.
a. F. I, 305. Abänderungsgesetze : 31. Januar 1860, A. S. a. F. VI,
442; 22. Dezember 1870, A. S. a. F. X, 342; 29. März 1879, A. S. n. F. IV,
217; 30. April 1881, A. S. n. F. V, 453.
Bundesbeschluß betreifend Errichtung einer eidgenössischen Münzstätte
(v. 28. Januar 1854). A. S. a. F. IV, 19.
Verordnung über die Organisation der eidgenössischen Münzstätte (vom
17. März 1860). A. S. a. F. VI, 463. Abänderungsbeschluß des Bundes-
rathes: 20. Januar 1871. A. S. a. F. X, 372.
Uebereinkunft zwischen dem schweizerischen Bundesrath und der Regiernng
des Kantons Bern, betreffend die nutzuugsweise Abtretung des Münzgebäudes
(v. 4. November 1854). A. S. a. F. V, 44.
Bundesrathsbeschluß betreffend Zerstörung falscher und Ersatzleistung für
zerschnittene ächte Münzen (v. 17. Brachmonat 1867). A. S. a. F. IX, 760.
Reglement über die Zirkulation und den Austausch der Silberscheide-
münzen, der Nickel- und Kupfermünzen (v. 10. März 1869). A. S.
a. F. IX, 640.
Bundesgesetz betreffend die Prägung von Goldmünzen (v. 22. Dezember
1870). A. S. a. F. X, 346.
Regulativ über die Kontrolirung der Münzfabrikation in Beziehung
k Auf das Gewicht und den Feingehalt (v. 20. Januar 1871). A. S. a. F. X, 373.
Münzwesen — 495 — Münzwesen
Regulativ über Prägung von Goldmünzen für Rechnung dritter
Personen (v. 15. Januar 1873). A. S. a. F. XI, 96.
Bundesbeschluß betreflFend NichtVerzinsung des Münzreservefonds (vom
1. Juli 1875). A. S. n. F. I, 585.
Münzvertrag zwischen der Schweiz, Frankreich, Griechenland und Italien
(v. 6. November 1885). A. S. n. F. VIII, 425.
Zusatzakt zu obigem Münzvertrag. Beitritt von Belgien (v. 12. Dezember
1885). A. S. n. F. VUI, 456.
Münzvertrag vom 6. November 1885 (vergU Seite 48?):
Art. 1. Die Schweiz, Frankreich, Griechenland und Italien halten ihren Münz-
verband in Bezug auf Feingehalt, Gewicht, Durchmesser und Kurs ihrer Gold- und
Silbermünzsorten aufrecht.
Art. 2. Als Typen der das Gepräge der hohen Vertragsstaaten tragenden Gold-
münzen sind anzusehen: Die Stücke von 100 Franken, von 50 Franken, 20 Franken,
10 Franken und 5 Franken, deren Feingehalt, Gewicht, Fehlergrenze und Durchmesser
wie folgt festgestellt werden:
Feingehalt Gewicht
Münzen Richtiger Fehlergrenze des Richtiffen Fehlergrenze des ^^u*^"
GohMlt ^*'***'^» °*c*^ ^°"*^" Gewicht Gewichts nach Innen messer
und nach Aussen und nach Aussen
Franken Tausendstel Tausendstel Gramm Tausendstel Millimeter
j . 35
f 100 I ( 32,258.06 \
50 16,129.03 1 •
: 20 900 1 ( 6,451.61 \ ^ ) 21
3,225.80 1 ^ 19
J I 1,612.90 3 I 17
10
5
Die vertragschließenden Regierungen werden an ihren öffentlichen Kassen die in
dem einen oder dem andern der vier Staaten nach vorstehenden Normen geprägten
Goldstücke ohne Unterschied annehmen, jedoch unter Vorbehalt des Ausschlusses solcher
Stücke, deren Gewicht durch Abnutzung um V« 7o unter die obbezeichneten Fehler-
grenzen herabgesunken oder deren Gepräge verschwunden sein sollte.
Art. 3. Der Typus der das Gepräge der hohen Vertragsparteien tragenden Silber-
mflnzen von 5 Franken wird mit Bezug auf Feingehalt, Gewicht, Fehlergrenze und
Durchmesser wie folgt festgestellt:
. ^^«'°g«'"^'t ^ ^_ 2^i±i ^ Durch-
Richtiger Fehlergrenz«> des Gehalts Richtiges Fehlergrenze des Gewichts messer
Gehalt ' nach Innen und nach Aussen Gewicht nach Innen und nach Aussen
Tausendstel Tausendstel Gramm Tausendstel Millimeter
900 2 25 3 37
Die vertragschließenden Regierungen werden gegenseitig an ihren öffentlichen
Kassen die erwähnten Silbermünzen von 5 Franken annehmen. Jeder der Vertragsstaaten
verpflichtet sich, von den öffentlichen Kassen der andern Staaten diejenigen silbernen
Fünffrankenstücke zurückzunehmen, deren Gewicht durch Abnutzung um 1 V*» unter die
gesetzliche Fehlergrenze herabgesunken ist, unter dem Vorbehalte jedoch, daß keine
betrügerische Alterirung solcher Stücke stattgefunden habe, oder daß deren Gepräge
nicht verschwunden sei. In Frankreich werden die silbernen Fünffrankenstücke an den
Kassen der Bank von Frankreich für Rechnung des Staatsschatzes angenommen, wie
dies aus den zwischen der französischen Regierung und der Bank von Frankreich am
31. Oktober und 2. November 1885 gewechselten und dem gegenwärtigee Vertrage
angefügten Schreiben erhellt. *) Diese Verpflichtung erstreckt sich auf die in Art. 13,
Alinea 1, festgesetzte Dauer des gegenwärtigen Vertrages, ohne daß die Bank über
dieselbe hinaus durch die in Alinea 2 des gleichen Artikels enthaltene Bestimmung
betreffend die stillschweigende Vertragserneuerung gebunden wäre.
Für den Fall, daß die Bestimmungen betreffend den gesetzlichen Kurs der in den
andern Staaten der Münzunion geprägten silbernen Fünffrankenstücke während der
^) Hier, weil überflüssig, nicht abgedruckt
F<>h!«rfreDZ« d«
Gewicht« nx'h Itmeo
ubd nach Aaw^'O
Durch-
messer
Gramm
Taa^^dbtel
MillimettT
10. 00 1
5. 00 1
-2. 50
1. 00
i
10
27
23
18
16
\y!ktxM,r Atzt '.Oft «1er Bsiak t.^ü Frackreich ein/e^.AiL,:eaTii VcrpJiohtony. sei es von
^/rie^henUo'l ^f^er tod luiiea f-»«ler von der Sriiwelz. aui^eh-oben werden sollten, wird
Ofi «ler H^u'iti fA^r T^,a den Jlächten. welche diese Anfhebnn;? aosäpreehen. die Ver-
pflichtuci;r 0 bermj mxnen. ihre EioIasionfLanktrn Z3 TerhaiUrn. •iie sil^iemen Fünffranken-
<;tiV:ke der andern Unio.'iäätaateQ za den giei'^hen Bedin^ngen anzunehmen, wie die
^iJl/ernefi Ftjnffranken»t'V:ke einheimischen Gepri,?^. Zwei Monate vor Eintritt des für
die Knndiifunir des Vertrag Ifezeichneten Zeitpunktes hat die fninz^'-sische Re^ernng
den L'nion^laaten kundzugeben, ob die Bank von Frankreich die oberwähnte Ver-
fiflirhtunir weiter Qbemimmt oder nichL Unterbleibt diese Mittheilung, so gilt für die
Verpfli/thtanir der Bank Ton Frankreich die Bestimmung Ober die stillschweigende
Vertrajfrerneuerun^.
Art. 4. Die vertragb^hlieCenden Regierungen verpflichten sich, SilbermQnzen von
i Franken. 1 Franken, 50 Rappen und 20 Rappen nur mit Einhaltung folgender Normen
in Bezug auf Feingehalt, Gewicht, Fehlergrenz*; und Durchmesser zu prägen:
Feingehalt Crewicht
Mllnzen Kihti«« F|-bl.^r^r«2^ Ir«
/• w 1. Gehait4 nach Iva^n
un<l bar.'i \n9**-tt
Yt. R|« Tai.ft«^iiil«tel Tanten i4t-I
± 00 I
I. 00 I ^OT o
0. 50 ^' ^
0. 2K) '
Die?»e Münzen sollen von den Regierungen, die sie ausgegeben haben, einge-
H^rhrnolzen werden, s^ibald ihr Gewicht durch Abnutzung um 5 "/o unter obbezeichnete
Fehlergrenzen heral>gesunken oder ihr Gepräge verschwunden sein sollte.
Art. 5. Die naMi den Vorschriften des Art. 4 geprägten Silbenuünzen sollen füi-
die f'rivaten def>jenigen Staates, der sie ausgegeben bat, bis zum Belaufe von Fr. 50
auf jed^r Z^ihlung gesetzlichen Kurs haben. Der Staat, der sie in Umlauf gesetzt hat,
wird -tie von Meinen l^nde^^angehörigen ohne Beschränkung des Betrags annehmen.
Art. 0. Die «iffentlii-hen Ka.ssen jede>- der vier Staaten werden die von einem
oder HH.'hreren «ier anderen Vertragsstaaten gemal» Art. 4 geprägten Silbermünzen bis
zum Belauf«; von Fr. 100 auf jeder Zahlung, die an genannte Kassen geleistet wird.
iinnf?hni(;n.
Art. 7. Jede der vertragschließenden Regierungen verpflichtet sich, von Privaten
in\tr den ßlTentlichen Ka.ssen der andern Staaten die von ihr ausgegebenen Silberscheide-
nirinzim :inzunehmen und gegen einen gleichen Betrag kurrenter Gold- oder SilbermQnzen,
<lie n.'uh den Vorschriften der Art. "1 und 3 geprägt sind, auszuwechseln; jedoch darf
die auszuwechselnde Summe nicht weniger als Fr. 100 betragen. Diese Verpflichtung
bleibt noch ein Jahr über den Ablauf des gegenwärtigen Vertrages hinaus in Kraft.
Art. 8. Die Ausprägung von Goldstöcken nach Maßgabe des Art. 2, mit Ausnahme
derjenigen von goldenen FunlTrankenstucken, welche vorläufig eingestellt bleibt,- ist jedem
der V«!rtrags.--taaten freigestellt. Die Ausjiragung von silbernen Funffrankenstöcken bleibt
vorläufig ein^'estcllt. Sie darf nur auf Grund einstimmigen Einverständnisses aller
Vertnigsstaaten wied<;r aufgenommen werden. Sollte jedoch einer der Staaten die freie
PräKUiig der silbernen Funffrankenstficke wieder aufnehmen wollen, so ist ihm solches
unbciioniiiien, unter der Bedingung, daß er während der ganzen Dauer des gegenwärtigen
Vertrages <Umj andern Vertra^'sstaateu auf ihr Verlangen die von ihm geprägten, auf
ihrem ({««biete zirkulirenden silbernen Funffrankenstöcke in Gold und auf Sicht aus-
werhsb* o«It;r rückzahle. Im Weitern stünde es den andern Staaten frei, die Fönffranken-
^tückc des Staates, «Ier jene Prägung wieder aufnähme, nicht mehr anzunehmen. Will
ein Staat diese Au-^pragung wie<ier aufnehmen, so hat er, derselben vorgängig, eine
Kniilrnnz mit den andern verbündeten Staaten zu veranlaßen, um die Bedingungen
dieser Wiederaufnahme festzustellen, ohne daß jedoch die im vorhergehenden Alinea
erwähnte Hdugniß an das Zustandekommen eines Einverständnisses geknöpft wäre,
und oline daß die im gleichen Alinea über Austausch und Rückzahlung stipulirten
l|edin^;ungen modifizirt werden dürften. Kommt es zu keiner Verständigung, so behält
-ich die Schweiz, unbeschadet der Vergünstigung, welche ihr durch vorstehende Be-
slinniinngen gegenül»i*r einem die freie Pnlgung von silbernen Funffrankenstöcken wieder
aul'nelinienden Staate eingerrmmt ist, die FVeiheit vor, vor Ablauf des gegenwärtigen
V^rt^a^M"• ,\\\< dein Münzverbande auszutreten. Diese Freiheit ist jedoch an die doppelte
BediiiKunK geknüpll: 1) daß Wilhrend vier Jahren, vom Inkrafttreten des gegenwärtigen
Mfinzwesen — 497 — Munzwesen
Vertrages an gerechnet, der Art. 14 und die angehängte Spezialvei einbai ung nicht
anwendbar sein sollen gegenüber denjenigen Staaten, welche die freie Prägung silberner
Fünffrankenstücke nicht aufgenommen haben; und 2) daß die Silbermünzen der ge-
nannten Staaten während des gleichen Zeitraumes in der Schweiz auch femer gemäß
den Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages zirkuliren dürfen. Ihrerseits verpflichtet
sich die Schweiz, während des gleichen Zeitraumes von vier Jahren die freie Prägung
silberner Fünffrankenstücke nicht wieder aufzunehmen. Die schweizerische Bundes-
regierung ist ermächtigt, die Umschmelzung der frühem Emissionen schweizerischer
Fünffrankenstücke, bis auf den Betrag von 10 Millionen Franken, vornehmen zu lassen,
wobei ihr jedoch obliegt, die alten Stücke auf ihre Kosten zurückzuziehen.
Art 9. Die hohen Verlragsstaaten dürfen Silbermflnzen von 2 Franken, 1 Franken,
.50 Rappen und 20 Rappen, die nach den Vorschriften des Art. i geprägt sind, nur bis
zum Betrage von 6 Franken auf jeden Einwohner ausgeben. Mit Rücksicht auf die
neuesten, in jedem Staate vorgenommenen Volkszählungen und die normale Bevölkerungs-
zanahme werden diese Beträge wie folgt festgestellt: für die Schweiz auf Fr. 19*000,000,
für Frankreich, Algier und die Kolonien auf Fr. 256*000,000, für Griechenland auf
Fr. lo 000,000, für Italien auf Fr. 182*400,000. In obigen Summen sind die Beträge
inbegriffen, welche durch die Vertragsstaaten bis zum heutigen Tage bereits ausgegeben
sind. Die italienische Regierung ist ausnahmsweise ermächtigt, Silberscheidemünzen im
Betrage von 20 Millionen Franken prägen zu lassen. Diese Summe ist dazu bestimmt,
die Ersetzung der alten Münzen durch solche zu sichern, welche den Vorschriften von
Art. 4 des gegenwärtigen Vertrages entsprechend geprägt sind. Die schweizerische Bundes-
regiemng ist ausnahmsweise ermächtigt, mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Landes-
bevölkerung, Silberscheidemünzen im Betmge von 6 Millionen Franken ])rägen zu lassen.
Die franz<ysische Regierung ist ebenfalls ausnahmsweise ermächtigt, zur Umprägung der
früher aus der Zirkulation zurückgezogenen päpstlichen Münzen in silberne Scheide-
münzen bis auf den Beirag von 8 Millionen Franken zu schreiten.
Art. 10. Die Jahreszahl soll auf den in den vier Staaten geprägten Gold- und
Silbermünzen in genauer Uebereinstimmung mit dem Datum der Aus{)rägung angemerkt
werden.
Art. 11. Die Regierung der französischen Republik übernimmt den Auftrag, alle
auf die Emission von Münzen, auf die Produktion und Konsumtii)n von Edelmetallen,
aul den Münzumlauf, die Falschmünzerei und Alterirung von Münzen bezüglichen ad-
ministrativen und statistischen Dokumente zusammenzustellen. Sie wird dieselben den
andern Regierungen mittheilen, und es wird erforderlichenfalls von Seite der Vertrags-
staaten im gegenseitigen Einverständniß auf Vorkehrungen Bedacht genommen werden,
die geeignet sind, diesen Aufschlüssen alle wünschbare Genauigkeit zu geben, sowie der
Falschmünzerei und Münzverschlechtemng vorzubeugen und deren Unterdrückung zu
ifichern.
Art 12. Verlangt ein Staat den Beitritt zum gegenwärtigen Vertrage, indem er
die demselben zu Grunde liegenden Verpflichtungen zu übernehmen und das Münzsystem
des Verbandes zu adoptiren erklärt, so kann diesem Begehren nur mit einstimmiger
Einwilligung der hohen Vertragsparteien entsprochen werden. Diese letztem verpflichten
sich, den silbernen Fünffrankenstücken der nicht zum Münzverbande gehörenden Staaten
den gesetzlichen Kurs zu entziehen oder zu verweigern. Es dürfen diese Stücke weder
an den öffentlichen Kassen, noch bei den Emissionsbanken angenommen werden.
Art 13. Der gegenwärtige, mit dem 1. Januar 1886 vollziehbare Vertrag bleibt
bis zum 1. Januar 1891 in Kraft. Wenn er nicht ein Jahr vor Ablauf dieser Frist ge-
kündet worden ist, so gilt er als stillschweigend um ein Jahr, und so fort von Jahr zu
Jahr verlängert. Nach geschehener Kündigung bleibt er noch ein Jahr, vom 1. Januar
an gerechnet, der auf die Kündigung folgt, in Kraft.
Art 14. Im Falle der Kündigung des gegenwärtigen Vertrages ist jeder der Ver-
lragsstaaten gehalten, die von ihm ausgegebenen silbernen Fünffrankenstücke, wenn
sich solche bei den andern Staaten im Umlauf oder in den öffentlichen Kassen derselben
befinden, zurückzunehmen, und dafür an diese Staaten einen Betrag auszuzahlen, der
dem Nennwerth der zurückgenommenen Münzen gleichkommt; Alles gemäß den Moda-
litäten, wie sie in einer besondern, dem gegenwärtigen Vertrage beigefQgten Vereinbarung
des Xähem festgesetzt sind.
Vereinbarung betreffend die Aufführung von Artikel 14 des Vertrages, Art. 1 :
Während des Jahres, welches auf das Erlöschen des Vertrages folgt, ist zur Auswechslung
und zur Heimsendung der sill)ernen Fünffrankenstücke zu schreiten, welche in den
verschiedenen Staaten in gleichen Quantitäten vorhanden sein mögen.
Fnrrer, Yolktwirthiebafti-Lexikun der Schweiz. *^^
Münzwesen — 498 — Munzwesen
Art. 2. Die zur Ausführung der gegenwärtigen Vereinbarung nöthigen Lieferungen
von i)aarem Gelde oder Werthpapieren sind zu bewerkstelligen: In der Schweiz: in
Bern, Basel, Genf oder Zürich ; in Frankreich : in Paris, Lyon oder Marseille ; in Griechen-
land: in Athen; in Italien: in Rom, Genua, Mailand oder Turin.
Art. 3. Jeder der Vertragsstaaten wird die das Gepräge der andern Unionsstaaten
tragenden silbernen Fünffrankenstücke aus der Zirkulation zurückziehen. Diese Zurück-
ziehung muß am L Oktober des Jahres, welches auf das Erlöschen des gegenwärtigen
Vertrages folgt, beendigt sein. Von diesem Datum an können alle oberwähnten Silber-
münzen von den öffentlichen Kassen außerhalb des Ursprungslandes dieser Münzen
zurückgewiesen werden. Sollte ein Staat sie ferner annehmen, so könnte dies nur für
seine eigene Rechnung geschehen und nicht für Rechnung des Staates, der sie aus-
gegeben hat. Am 15. Januar des folgenden Jahres ist, nach vollzogener Ausgleichung,
die Rechnung betrefifend die aus der Zirkulation gezogenen Münzen nach Nationalitäten
in jedem der Staaten abzuschließen und gegenseitig mitzutheüen. Der Ueberschuß, wenn
zu dieser Zeit ein solcher besteht, ist von dem Staate, der ihn besitzt, demjenigen Staate,
der die Münzen geprägt hat, zur Verfügung zu halten. Letzterer wird diese Münzen
zurückziehen und deren Betrag nach ihrem Nennwerthe vergüten.
Art. 4. Die im vorhergehenden Artikel stipulirte Rückzahlung soll in Gold oder
in silbernen Fünf&ankenstücken vom Gepräge des als Gläubiger figurirenden Staates,
oder in Tratten geschehen, die in diesem Staate, sei es in gleichen Münzen, sei es in
Banknoten, die daselbst gesetzlichen Kurs haben, zahlbar sind. Diese Rückzahlung kann
in Raten geschehen, die sich von drei zu drei Monaten folgen, so daß die Rechnung in
spätestens fünf Jahren, vom Tage des Erlöschens des Vertrages an, zur Bereinigung
gelangt. Diese Verfallzeiten können stets ganz oder theilweise antizipirt werden. Die
zurückzuzahlenden Summen sind im 2., 3. und 4. Jahre mit 1 ^/o und im 5. Jahre mit
V/i '7^ per Jahr zu verzinsen. Diese Zinsen sind vom 15. Januar, d. h. von dem Tage
an zu berechnen, an welchem der zurückzuziehende Saldo festgestellt worden ist; im
Falle einer Antizipation der Verfallzeiten tritt eine verhältnißmäßige Zinsreduktion ein.
Art. 5. Alle Transportkosten, sowohl diejenigen der Saldos der heimzusendenden
Silbermünzen, als diejenigen der zur Ausgleichung bestimmten Werthpapiere oder Baar-
Schäften, sind von jedem Staate bis zu seiner Grenze zu tragen.
Art. 6. In theilweiser Abweichung von vorstehenden Bestimmungen und in Be-
rücksichtigung der ausnahmsweisen Lage der Schweiz ist Nachfolgendes vereinbait
worden :
1) Die von Frankreich emittirten und aus der Zirkulation in der Schweiz zurück-
gezogenen silbernen Fünffrankenstücke werden von der eidgenössischen Regierung der
französischen Regierung zugestellt, welche letztere sie in folgender Weise der Schweiz
zurückzahlen wird: Die französische Regierung wird alle Sendungen von silbernen
Fünffrankenstücken, die von Frankreich ausgegeben und aus der Zirkulation in der
Schweiz zurückgezogen worden sind, von welchen Sendungen keine weniger als eine
Million und keine mehr als zehn Millionen Franken ausmachen darf, successive, auf
Sicht, in schweizerischen silbernen Fünffrankenstücken oder in Goldstücken von Fr. 10
und darüber, welche nach den Vorschriften des Vertrages geprägt sind, rückzahlen, und
zwar vom Beginne des Jahres an gerechnet, welches auf das Erlöschen des Vertrages
folgt Nur der Restbetrag darf weniger als eine Milhon Franken ausmachen. Immerhin
dürfen die von der französischen Regierung an die eidgenössische Regierung für den
Rückzug der französischen silbernen Fünffrankenstücke in Gold zu leistenden Vergütungen
die Summe von 60 Millionen Franken nicht übersteigen.
2) Die von Italien emittirten und aus der Zirkulation in der Schweiz zunick-
gezogenen silbernen Fünffrankenstücke sind von der eidgenössischen Regierung der
italienischen Regierung zuzustellen, welche letztere dieselben, vom Beginne des auf das
Erlöschen des Vertrages folgenden Jahres an gerechnet, successive nach Sicht in schwei-
zerischen silbernen Fünffrankenstücken und in Goldstücken von Fr. 10 und darüber,
die nach den Vorschriften des Vertrages geprägt sind, oder in Sicht-Tratten auf Bern,
Basel, Genf oder Zürich, die nach den Vorschriften von Art. 4, Alinea 1, der gegen-
wärtigen Vereinbarung zahlbar sind, vergüten wird. Reine dieser Sendungen darf in-
dessen weniger als Fr. 500,000 betragen, außer bei der Regelung des Restbetracres, noch
dürfen solche Sendungen zwei Millionen Franken übersteigen. Die von der italienischen
Regierung an die schweizerische Regierung zu leistenden successiven Rückzahlungen
sollen in der Regel jeweilen mindestens zu zwei Dritttheilen aus Goldstücken und
schweizerischen silbernen Fünffrankenstücken bestehen, und für den Rest aus nach den
Vorschriften des vorstehenden Alinea ausgestellten Tratten. Im Falle einer Abweichung
Mönzwesen — 499 — Münzwes^en
von dieser Regel ist das Verhäitnili hei Anlaß der folgenden Rückzahlung wieder lier-
zustellen. Immerhin ist die italienische Regierung nicht verpflichtet, der eidgenössischen
Regierung in Gold oder schweizerischen silbernen FQnffrankenstücken eine im Total
^ Millionen übersteigende Summe zurückzuzahlen, und es darf daa Total der von ihr
<ler eidgenössischen Regierung in Baarschaft oder Tratten zu leistenden Rückzahlungen
für die Gesammtoperation des Rückzuges und des Austausches der in der Schweiz
zirkulir enden italienischen silbernen Fünf frankenstücke die Summe von 30 Millionen
Franken nicht übersteigen.
ZusatZ'Äkt, Art. 1. Die belgische Regierung tritt der am 6. November 1885 in
Paris zwischen der Schweiz, Frankreich, Griechenland und Italien unterzeichneten Kon-
vention bei, ebenso der derselben beigefügten Deklaration und Vereinbarung. Die
Regierungen der Schweiz, von Frankreich, Griechenland und Italien ihrerseits nehmen
Akt von der Beitritterklärung Belgiens und geben derselben ihre Zustimmung.
Art. 2. Die belgische Nationalbank wird während der Dauer der Konvention die
silbernen Fünffrankenstücke der Unionsstaaten zu den nämlichen Bedingungen annehmen,
wie die belgischen silbernen Fünffrankenstücke, gleich wie dies im Art. 3 der Münz-
konvention für die französische Bank bestimmt ist.
Art. 3. Das Kontingent von Silberscheidemünzen von Zwei- und Einfrankenstücken
Fünfzig- und Zwanzigcentimesstücken, welches Belgien nach den Bestimmungen der
Art. 4 und 9 der Münzkonvention zu prAgen und auszugeben gestattet ist, wird auf
35'800,000 Franken festgesetzt, in welcher Summe die bis auf den heutigen Tag von
der belgischen Regierung ausgegebenen Quantitäten begriffen sind. Ausnahmsweise ist
Belgien ermächtigt, bis auf fünf MiUionen Franken dieser Münzgattung aus einzuschmel-
zenden silbernen Fünffrankenstücken auszuprägen.
Art. 4. In theilweiser Abweichung von den Bestimmungen der Art. 3 und 4 der der
Konvention beigefügten Vereinbarung werden folgende Vorschriften aufgestellt : Wenn am
15. Januar — nämlich an dem im Art. 3, AHnea 3, der genannten Vereinbarung bezeichneten
Datum — die französische Regierung, nach vollzogener Ausgleichung, sich noch im
Besitz eines Restes belgischer Fünffrankenstücke befindet, so soll derselbe in zwei gleich
große Theile geschieden werden. Die belgische Regierung ist alsdann gehalten, die
Hälfte dieses Restes nach Maßgabe des Art. 4 der Vereinbarung zurückzubezahlen. Sie
verpflichtet sich, an ihrem Münzwesen keinerlei Veränderung vorzunehmen, welche die
Zurückleitung dei andern Hälfte auf kommerziellem Wege und vermittelst Austausch
hemmen könnte. Diese Verpflichtung dauert fünf Jahre, vom Zeitpunkte der Auflösung
der Union an gerechnet. Belgien kann sich dieser Verpflichtung entheben durch Ueber-
nahme der andern, die darin besteht, die zweite Hälfte nach Maßgabe des Art. 4 der
Vereinbarung zurückzuzahlen. Jedenfalls behält sich die belgische Regierung die Befügniß
vor, in ihrer Münzgesetzgebung diejenigen Aenderungen vorzunehmen, welche in der
französischen Mpnzgesetzgehung eingeführt würden. Die belgische Regierung garantirt
dafür, daß der {Restbetrag zweihundert Millionen Franken nicht übersteigen wird. Sollte
sich ein Ueberschuß erzeigen, so würde derselbe nach Maßgabe des Art. 4 der Verein-
barung zunickbezahlt werden. Wenn dagegen die belgische Regierung im Zeitpunkt der
Auflösung der Union im Besitz eines Restes französischer silberner FünfTran kenstücke
sein sollte, so behält sich die französische Regierung die Befügniß vor, gegenüber Belgien
die Anwendung der in diesem Artikel enthaltenen Vorschrift in Anspruch zu nehmen.
Art. 5. Die Regierungen Frankreichs und Italiens behalten sich die Befügniß vor,
zur Zeit der Auflösung der Union die Anwendung der im vorhergehenden Artikel ent-
haltenen Vorschrift für ihre gegenseitige Abrechnung in Anspruch zu nehmen, da das
Maximum des Saldo zwischen ihnen ebenfalls auf 200 Millionen Franken festgesetzt
worden ist.
Art. 6. Belgien verpflichtet sich, der Schweiz successive bei Sicht, in schweize-
sischen silbernen Fünffrankenstücken oder in Goldstücken von 10 Franken und darüber,
welche nach den Vorschriften der Münzkonvention geprägt sind, und zwar von Beginn
des auf die Auflösung der Konvention folgenden Jahres an, alle Sendungen belgischer,
in der Schweiz zurückgezogener silberner Fünffrankenstücke zurückzuzahlen. Keine dieser
Sendungen soll weniger als eine Million oder mehr als zwei Millionen Franken betragen ;
einzig die Schlußzahlung darf weniger als eine MiUion Franken ausmachen. Indessen
sollen die von der belgischen Regierung an die schweizerische Regierung gegen die
zurückzuziehenden belgischen silbernen Fünffrankenstücke in Gold oder in schweizerischen
silbernen Fünffrankenstücken auszurichtenden Rückzahlungen die Summe von sech«
Millionen Franken nicht übersteigen. Wenn der zu liquidirende Saldo die Summe voiv
Münz Wesen — 500 — Musikdosen
sechs Millionen Franken übersteigen würde, so verpflichtet sich Belgien, an seiner Münz-
gesetzgebung keinerlei Aenderung vorzunehmen, welcbe die Zurückleitung des benannten
Saldo auf kommerziellem oder auf dem Wege der Auswechslungen hemmen könnte,
und zwar während einer Dauer von fünf JaLren, von der AufKVsung der Union an
gerechnet, oder während derjenigen Periode, welche zu gleichem Zwecke zwischen
Frankreich und Belgien vereinbart worden wäre.
Art. 7. Im Falle der Auflösung der Union sollen die Lieferungen an Baarschatl
oder Valoren, welche in Vollziehung der der Konvention vom 6. November beigefügten
Vereinbarung zu machen sind, für Frankreich in Paris, Lille, Lyon und Marseille, für
Belgien in Brüssel und Antwerpen bewerkstelligt werden.
Murgkorrektion. Diese im Jahre 1886 begonnene und noch in Aasführung
begriffene Korrektion betrifft den Lauf der Murg von Fischingen bis zur Mündung
in die Thur bei Rohr. Länge der Eorrektionsstrecke 19 km. Angenommen ist
ein Doppelprotil, bestehend in doppelten Parallelen, verbunden mit Traversen in
Abständen von 60 m. Die das innere Proül begrenzenden Leitwerke bestehen
aus einer Sink walze ohne Faschinenunterlage, aber mit vorgeschlagenen Pfählen.
Breite des Mittelprofils 6 — 12 m, des ganzen Profils 15 — 27 m, bei einem
Gefälle, welches von 9,2 ®/oo sich successive auf 4,2 ^/oo vermindert. Kosten-
Voranschlag für diese Korrektion Fr. 1' 21 5,000. Siehe Bandesbeschloß vom
28. Juni 1882 (A. S. n. F. VI, pag. 218).
Museatcloths. Eine Art buntgewebter, baumwollener Mouchoirs für Afrika.
Muschelsandstein. Mittelharter Baustein aus dem Kanton Aargau, welcher
bei sehr großer Festigkeit fast unbegrenzte Wetterbeständigkeit besitzt.
Museen s. Seite 271, I. Bd., d. Lexikons. Außer den daselbst erwähnten
M. besteht noch das Kunstgewerbemuseum in Genf (im Gebäude der ührmacher-
scbule) seit November 1885. Betreffend die Kunstmuseen s. im Artikel ^iKunst*^
Seite 196/201, IL Bd.
Musikdosen. Die Fabrikation von Musikdosen und Spielwerken gehört zu
den wenigen Industriezweigen, die ein quasi Monopol der Schweiz bilden oder
wenigstens daselbst ihren Hanptsitz haben, wie die Uhrenindustrie, Maschinen-
Stickerei, Plattstichweberei, Seidenbandweberei, Holzschnitzerei etc. Sie ist
eigentlich aus der Fabrikation der Repetir- oder Spieluhren (montres ä c^rillon)
hervorgegangen, die am Anfang des laufenden Jahrhunderts beliebt waren und
namentlich in G«nf fabrizirt wurden. Musik und Uhrwerk wurden bei denselben
vom gleichen Motor getrieben. Später wurden ähnliche Musikwerke mit eigener
Triebfeder und Walze in Spazierstöcken, Petschaften etc. angebracht. Bald folgten
Werke mit mehreren Melodien, größerem Gehäuse und mehreren Walzen, bis
schließlich die eleganten Spielwerke und Orchestrions mit 30 — 40 Mnaikatüokon
aller Art entstanden. Zur Zeit werden in G^nf in der Hauptsache nur noch
Spiel werke größeren Kalibers gemacht; die gewöhnlichen kleineren Dosen etc.,
wie auch alle anderen Arten von Spielwerken, bis zu den größten, werden jetzt
in Ste-Croix, einem Bergdorf im waadtländischen Jura, fabrizirt, wo fiüher die
Spitzenklöppelei die Hauptbeschäftigung der Bewohner bildete, in den Jahren
1811 — 181 5 aber von Genf aus zuerst die Uhrenfabrikation, dann die Fabrikation
von Musikdosen eingeführt wurde. Ca. 2000 Personen beschäftigen sich daselbst
»owie in dem benachbarten Auberson mit diesem Industriezweig, wobei eine
äußerst weitgehende Arbeitstheilung stattfindet. Vorwiegend ist noch die Ver-
fertigung der einzelnen Theile in der Wohnung des Arbeiters, wo auch Franen
und Kinder mithelfen, in neuerer Zeit sind aber auch fabrikähnliche Ateliers
entstanden. Es gibt ungefähr 40 Fabrikanten. Jährlich werden ca. 100,000 kleine
Drehdosen (Manivelles) und eben so viele kleinere Musikdosen (Tabatieres) fabrixirt.
Musikdosen — 501 — Muskateller
Von größeren Musikwerken (Cartels) werden ca. 30,000 per Jahr gemacht. Die
gesammte Jahresproduktion mag den Werth von üher 3 Millionen Franken erreichen.
Die Fahrikate werden in alle Länder exportirt. Die wichtigsten Absatzgebiete
sind Deutschland, Frankreich, England und die Vereinigten Staaten, welche zu-
4^ammen ca. ^b der Produktion aufnehmen.
Außer in Grenf und Ste-Croix wird die Musikdosenfabrikation auch in
Teufenthai (Aargau), von einer Firma in Chaux-de-Fonds, von zwei Firmen in
Bern und einer Firma in Luzem betrieben.
Eine Menge von Rohmaterialien und Bestandtheilen werden ausschließlich
vom Auslande bezogen, wie Metalle, Guß, Messingröhren, Glas, Beschläge,
Zähnungen, auch Maschinen etc.
Der hauptsächlichste ausländische Eonkurrentsort fUr gewöhnliche Musikdoser
ist Ste-Suzanne in Frankreich.
Ausfuhr von Musikdosen und Spielwerken im Jahre 1885: 274,855 Stk.,
1886: 212,868 Stk. = Fr. 3^015,000 (Fr. 1'064,000 Ver. Staaten von Nord-
amerika, Fr. 607,000 Deutschland, Fr. 530,000 England, Fr. 328,000 Frank-
reich). — Einfuhr 1885 : 3842 Stk., 1886 : 2588 Stk. = Fr. 103,000.
Masikinstrumente. Die Produktion solcher Instrumente in der Schweiz
wird, vielleicht zu hoch, auf 5 — 6 Millionen Franken geschätzt (Klaviere 1 Million,
Musikdosen 37^ — 4 Millionen, Orgeln und Harmoniums ^2 Million). In großem
Maßstab wird nur die i[/at;ierfabrikation (vergl. Klaviere) und diejenige von
Musikdosen (vergl. d.) betrieben, — jene hauptsächlich in Zürich, diese meistens
in Ste-Croix (Waadt) und, was größere Werke betriflPk, auch in Genf. Auch für
Orgeln und Harmoniums befinden sich ausgezeichnete Werkstätten in der Schweiz.
(Haas in Basel, Kuhn in Männedorf, Goll in Luzem, Klingler in Rorschach,
Gallmann in Horgen, Tschann in Genf ete.) Streichinstrumente werden in be-
scheidenem Maßstabe, aber von anerkannter Güte, in Bern, Basel, Zürich ge-
macht; ebenso befinden sich verschiedenen Orts Werkstätten für Blech- und Hals-
Blasinstrumente, Der größte Theil des Bedarfs an Blas- und Streichinstrumenten,
Zithern etc. wird von Deutschland und Oesterreich eingeführt.
Spezifisch national ist das Alphorn, das aber bei seiner Primitivität nur
ganz beschränkte Verwendung findet (vergl. d.).
Gar nicht vertreten ist die Fabrikation von sog. Mundharmonikas, wohl abei
werden in zahlreichen kleineren Werkstätten Handharmonikas gemacht.
Hinsichtlich der Saiten, Klaviaturen und zahlreichen anderen typischen
Bestandtheilen der verschiedenen musikalischen Instrumente ist die Schweiz fast
gänzlich auf den Bezug vom Ausland angewiesen.
Besondere Erwähnung verdient die schweizerische Glockengießerei (vergl. d.),
deren Produkte seit vielen Jahrzehnten im In- und Auslande Berühmtheit haben.
Die eidg. Berufsstatistik gibt die Zahl der Musikinstrumentenmacher auf
1859 an, wovon 204 Ausländer. Auf Waadt entfallen 1173, Genf 232, Zürich
182, Aargau 75, Bern 71, St. Gallen 35, Luzem 26, Neuenburg 11, Baselstadt
10, Solothnm 10, übrige Kantone zusammen 32.
Miisiklehrer und Musiker. Die Zahl derselben betrug im Jahre 1880 (laut
«idg. Berufsstatistik) 1315, wovon 395 weiblichen Geschlechts.
Muskateller. 1) Muskateller, gelber, findet sich in der ganzen Schweiz,
doch meistens nur an Spalieren, wo die Traube etwas spät reift. Im Wallis
kommt diese Sorte unter dem Namen Muscat jaune vor. Dort wird sie im
offenen Weinberge gepflanzt und liefert gute weiße Weine. Im Tessin heißt sie
Moscato bianco.
Muskateller — 502 — Nationalbahn
2i Muskateller, rother und schwarzer, ^mA gebchätzte, aber nicht früh
reitende Tafeltraoben.
3} Mnscat rouf^e, im Wallis, eine Varietät des gelben Moskateller.
4) Muskai'GntedeL Der Stock ist ziemlich schwach, die Tranben locker.
Beeren weißgelb nnd vom feinsten Mnskatgesohmack. Als Tafeltranbe ganz aus-
gezeichnet, eignet sich aber anch in den Weinberg, wo sie allerdings einen
ge«icbtitzten Standort verlangt.
Musseline s. Moosseline.
Xusterlager. So viele Anregungen betreifend Errichtung von Musterlagem,
ähnlich demjenigen in Stuttgart, in der Schweiz schon gefallen sind, so wenige
haben sich bisher verwirklicht. In eigenem Namen und auf eigenes Risiko er-
öffnete Herr Architekt Ernst in Hottingen bei Zürich im September 1886 ein
permanentes Muster lager von schweizerischen Bauartikeln.
Master und Modelle s. Erfindungsschatz und Patentschutz.
Musterkäserei s. Milchwirthschaft, Seite 456.
NSgeliapfel (Palmapfel). Wirthschaftsfrncht zweiten und Tafelfmcht dritten
Ranges, kommt am häufigsten in den Kantonen Thurgau, St. Gallen, Zürich und
Schafi'hausen vor. Der Baum kommt in allen Bodenarten fort und gedeiht noch
in der Höhe von 3200 Fuß ü. M. (Pomologisches Bilderwerk.)
Nähmaschinen werden in der Schweiz von einigen Fabrikanten ganz gut
tabrizirt, aber in viel zu kleinem Maßstabe, als daß der deutschen und ameri-
kanischen Konkurrenz in irgend merklicher Weise dadurch Abbruch geschähe.
Nagelsehmiede und Drahtstififabrikanten gab es im Jahre 1880 nach der
eidg. Berufsstatistik 1020.
Nanzoucs. Feines, halbdichtes Baum wollge webe nach Art von Jacconat
(s. d.), welches hauptsächlich zu feinen Plattstichstickereien Verwendung findet.
Das Gewebe wird in bescheidenem Umfange schon seit dem vorigen Jahrhundert
in der Ostschweiz fabrizirt, wurde aber stets mit Vorliebe von Frankreich be-
zogen.
Napoleons Butterhirne« Tafelfrucht ersten und Wirthschaftsfrncht vierten
Ranges, ist überall da heimisch, wo man edles Tafelobst zieht. Der Baum ist
sehr fruchtbar, trägt frühzeitig, wird aber nicht alt. (Pomologisches Bilderwerk.)
Nationalhahn« Unter diesem Namen bestand von 1875 bis 1880 ein
Cisenbahnuntemehmen mit Verwaltungssitz in Winterthur. Die schweiserische
Nationalbahn umfaßte die Linien Winterthur-Etzwylen -Singen, Etzwylen-Konstanz,
Emmishofen-Kreuzlingen, Winterthur-Otelfingen-Baden-Lenzbnrg-Zofingenund Suhr-
Aarau. Ihre bauliche Länge (eigene Bahn) war 156,667 m und die Betriebslänge
rund 164 km.
Die Betriebseröffnung hat wie folgt stattgefunden: Am 17. Juli 1875: Die
Linien Winterthar- Singen (43,965 m), Konstanz- Etzwylen (29,584 m) und
Emmishofen Krenzlingen (693 m); am 6. September 1877: die Linien Baden-
Lenzburg-Zofingen (39,336 m) und Suhr-Aarau (2999 m); am 15. Oktober 1877
die Linie Winterthur-Otelfingen-Baden (40,346 m). Am 16. Juli 1879 ist der
südliche Theil des Bahnhofes Konstanz infolge Grenzverlegung an die badische
Staatsbahn übergegangen, wodurch die Linie Etzwylen-Konstanz (Grense) um
256 m kürzer wurde.
Am 18. Februar 1878 wurde über die Nationalbahngesellschaft durch das
Schweiz. Bundesgericht die Zwangsliquidation erkannt, infolge welcher am 1. Juni
Nationalbahn — 503 — Neuenburg
1880 die Linien Winterthur-Zofingen und Suhr-Aarau und am 1. Oktober gl. J.
die Linien Winterthur-Singen, Etzwylen-Eonstanz und Emmishofen-Kreuzlingen
in's Eigenthum und in Betrieb der Schweiz. Nordostbahn übergegangen sind (vide
Nordostbahn).
Nationalbergamotte, deutsche. Tafelfrucht zweiten und Wirthschafts-
^ucht vierten Banges (Herbstbime) , ist vereinzelt in vielen Baumgärten der
Schweiz auf Zwerg- sowohl als auf Hochstamm zu finden. Der Baum gedeiht
in schwerem, gutem Thonboden, z. 6. im obem Thurgau, sowie in leichtem,
humusreichem Kalkboden in Grraubünden, vortrefflich. Der Baum blüht ziemlich
früh, träg^ erst, wann er ausgewachsen ist, dann aber alljährlich und oft reichlich.
Er wird nicht alt. (Fomologisches Bilderwerk.)
Neckware. Uebliche englische Benennung für gestickte Kragen, Halstücher
und ähnliche Spezialitäten in Plattstich und Kettenstich, deren Fabrikation gegen
Ende der 70er Jahre in der Ostschweiz aufgekommen ist.
Neuenbürg. Schweizerischer Kanton seit 6. April 1815. Flächeninhalt
807,8 km*. Ortsanwesende Bevölkerung am 1. Dez. 1880 103,732 Personen.
6 Bezirke, 67 Gemeinden, 45 Civilstandskreise. Bildet einen einzigen National-
rathswahlkreis (48.) mit 5 Mandaten. Gehört zum 1. eidg. Assisen bezirk, in
militärischer Beziehung zum IL Divisionskreis.
Nach den Größen Verhältnissen unter den wirthschaftliohen Gruppen nimmt
Neuenburg folgende Eangstufen unter den schweizerischen Kantonen ein: Die 3.
hinsichtlich persönliche Dienstleistungoii, je die 4. hinsichtlich Industrie und
Handel, die 6. hinsichtlich Verwaltung, Wissenschaft und Kunst, die 8. hin-
sichtlich Verkehr, die 21. hinsichtlich Urproduktion.
An den Hauptberufsgruppen sind nämlich als Erwerbende betheiligt:
ö/o all. Beruf- o/o der
PorHuneii treibeuden gl. Kategorie
• den Kantoni der Schweiz
an Urproduktion 9,236 20,4 1,6
„ Industrie 27,465 60,6 5,0
„ Handel 3,844 8,5 4,0
„ Verkehr 1,623 3,6 3,4
„ öffentl. Verwaltung, Wissenschaft u. Kunst 1,870 4,1 4,0
„ persönlichen Dienstleistungen .... 1,261 2,8 7,0
45,299 100,0
Die Gesammtbevölkerung (Beruftreibende, Angehörige, Hausgesinde)
ist wie folgt an den Haupterwerbszweigen betheiligt:
^0 iler **/o der
Personen Bevölke- gl. Kategorie
rang der Schweiz
an Urproduktion 20,760 20,0 1,8*
, Industrie 56,028 54,0 5,3
„ Handel 8,819 8,5 4,3
„ Verkehr 4,144 4,0 3,7
„ öffentl. Verwaltung, Wissenschaft u. Kunst 4,857 4,7 4,2
„ persönlichen Dienstleistungen . . . . 2,127 2,0 7,1
Ohne oder unbekannten Berufs nebst An-
gehörigen und Hausgesinde .... 6,997 6,8 4,5
103,732 100,0
Neuenburg
— 504 —
Neoenbarg
Handel, Industrie und Kleingewerbe.
Folgende Gruppirang umfaßt diejenigen unter diese Rnbrik zählenden fiemfd-
arten, welchen im Jahre 1880 5 ^/oo und mehr aller erwerbsthätigen Personen
des Kantons oblagen (laut eidg. Bemüsstatistik) :
|, .^ . ^00 aller <*,o»der nimlicben
Bernf th*tl " Erwerbsthntigen B^rnfAkategdHe
tnatige ^^^ Kantou» <l. ganten Seh weis
Uhren- und Uhrenwerkzengfabrikation 16352 361,0 372
Handel, eigentlicher 2336 51,6 42
Schneiderei 1682 37,1 48
Gasthof- und Wirthschaftsgewerbe 1155 25,5 38
Weißnäherei 922 20,3 34
Wascherei und Glätterei .... 867 19,1 59
Schuhmacherei 792 17,5 27
Maurerei und G^'pserei .... 706 15,6 33
Schreinerei und Glaserei .... 650 14,3 31
Zimmerei 491 10,8 27
Bäckerei 385 8,5 33
Metzgerei und Wuroterei . . 312 6,9 36
Chocokdefabrikation etc 306 6,8 113
Maschinen- und Mühlenbau . . . 282 6,2 29
Bank-, Agentur- u. Versicherungswesen 261 5,8 44
Strumpf Wirkerei und -Strickerei . . 222 4,9 61
Fabriken.
Dem Schweiz. Fabrikgesetz waren £nde Juni 1887 57 Etablissements unter-
stellt (1,6 ^/o aller unterstellten Ftablissements der Schweiz), mit 2423 Arbeitern
(l,Y 7o) und 1522 Pferdekräften; 5 Eteblissements mit 157 Arbeitern haben
keine Motoren.
Die am stärksten vertretenen Industriezweige sind :
1) Die ührenindustrie .... mit 26 Etabl., 1321 Arb., 178 Pf.
2) Die Baumaterialienindustrie . . ^ 7 r- 355 r 412 ^
3) Das Baugewerbe r 5 ^ 113 „ 46 ,.
Die Uhrenindustrie umfaßt: 11 Uhrenfabriken ohne nähere Bezeichnung
mit 1082 Arb., 123 Pf. (1 Les Brenets, 2 Chaux-de-Fonds, 1 Cortaillod, 1
Couvet, 1 Fontainemelon, 1 Landeron, 4 Locle, 2 Neuenburg, 1 Travers);
2 Uhrwerkzeug- und Uhrfournitürenfabriken mit 28 Arb., 7 Pf. (Chez-le-Bart,
Cortaillod); 2 Uhrbügel- und Couronnesfabriken mit 42 Arb., 12 Pf.; 3 Uhr-
schal enfabriken mit 84 Arb., 22 Pf. (2 für Goldschalen iu Chanx-de-Fonds,
1 Noiraigues); i Uhrenstein fabriken mit 35 Arb., 10 Pf. (1 Couvet, 3 St-Sulpice);
1 Echappementsfabrik mit 50 Arb., 4 Pf. (Locle).
Die Baumaterialienindustrie umfaßt : 3 Fabriken für Cement und h^drau-
lisc)ien Kalk mit 144 Arb., 310 Pf. (2 Noiraigues, 1 St-Sulpioe); 3 Ziegel-
und Backsteinfabriken mit 166 Arb., 70 Pf. (1 Couvet, 1 Fontaines, 1 Neuen-
bürg); 1 Asphaltbergwerk mit 45 Arb., 32 Pf. (Travers).
Das Baugewerbe umfaßt: 1 Säge mit 8 Arb., 28 Pf. (Chaux-de-Fonds);
2 Baugeschäfle mit 57 Arbeitern, 14 Pf. (Neuenburg); 1 Schreinerei mit 9
Arb., 4 Pf. (Chaux-de-Fonds); 1 Möbelfabrik mit 39 Arb. (Cemier).
Die übrigen dem Gesetz unterstellten Fabriken sind: 4 Bnchdruckereien
(2 Neuenburg, 2 Chaux-de-Fonds); 2 Chocoladefabriken mit 217 Arb., 190 Pf.
(1 Locle, 1 Serrieres); 1 Cigarrenfabrik in Cormondreche; 1 Fabrik elektrischer
Neuenbürg — 505 — Neuenimrjjf
Kabel in Cortaillod ; 1 Werkstätte für Kleinmechanik in Neuenbürg ; 1 Maschinen-
fabrik in Couvet; 2 Mtthlen in Serrieres; 1 , Papierfabrik in Serrieres; 1 Papier-
^tofffabrik in St-Snlpice; 1 Soheideanstalt in Locle; 1 Stahlwalzwerk in Les
Brenets; 2 Strohhatfabriken in Boudry und Neuenburg; 1 Telegraphenwerkstätte
in Neuenburg.
Industriegeschichtliches.
{Mitgetheilt, wie bisher alle industriegeschichtlichen Abschnitte der Kantone, von Herrn
Alfred Frey, Sekretär des Schweiz. Handels- und Industrievereins.)
Die zwischen dem Neuenburgersee und der französischen Grenze gelegenen
Uochthäler des Jura und das am See sich hinziehende Gelände selbst haben im
Zeitraum der zwei letzten Jahrhunderte einen geradezu staunenswerthen indu-
striellen Entwicklungsgang durchgemacht. Die Geschichte wird es nicht müde,
auf das seltene Beispiel mit verdientem Lobe stets wieder hinzuweisen, doch
wirft leider die Ungunst der jüngsten Zeit auch auf dieses erfreuliche Bild ihren
«törenden Schatten.
Bis gegen das Ende des XVU. Jahrhunderts bauten die Bewohner der
mildem Landstriche vorzüglich Wein und Getreide; die der rauhern Gegenden
gaben sich beinahe ausschließlich mit Viehzucht ab. Nebenbei spannen die Weiber
leinene und wollene Gume, aus welchen während der Winterszeit Wirkwaaren
und Tücher gefertigt wurden. Die Männer halfen mit und schufen sich überdies
-die nöthigen Geräthe, wie Sicheln, Hacken, Kübel und dergleichen.
Refugianten aus Frankreich brachten auch in diese Gegenden lebhaftere
Bethätigung; sie lehrten die Verarbeitung der Metalle zu den verschiedensten
Zwecken und verschafften der Spitzenklöppelei Eingang. Binnen kurzer Frist
gelangte letztere, namentlich im Traversthale, zur Blüthe und verbreitete sich
von da aus im ganzen Kanton herum. In dem Maße, wie sich die Klöppler
in ihren Arbeiten vervollkommneten, erweiterten sieh auch die Absatzgebiete;
4ie anfänglich etwas groben Spitzen gingen meist nach Lyon, die spätem feinem
Stücke fanden hauptsächlich in Frankreich, Spanien, Italien und in andern
-europäischen, sowie in überseeischen Ländern Käufer. Den flandrischen Spitzen
vermochten es die Neuenburger freilich nie gleich zu thun, doch stellten sie
sich eben auch bedeutend billiger im Preise und erfuhren mannigfache Ver-
wendung. Der benöthigte Zwirn kam zum besten Theil aus Flandern ; es wird
nämlich berichtet, daß das von einer eigens erbauten Zwirnerei in Brevine
gelieferte Gram beim Waschen sich nicht eben so gut gehalten habe wie jenes.
Mit dem Beginn des zweiten Dezenniums des gegenwärtigen Jahrhunderts
gerieth die Klöppelei in allmäligen Verfall. Die durch hohe Zölle geschützte
fremdländische Konkurrenz, der rasche Wechsel der Mode, welchem die einiger-
maßen vernachlässigte Technik nicht mehr genügend Bechnung zu tragen im
Stande war, sowie die Ueberhandnahme der Uhrenindustrie sollen die vor-
nehmsten Ursachen des Rückgangs gewesen sein. Es fehlte nicht an mehrmaligen
Versuchen zur Wiederbelebung des Grewerbes, auch nicht an solchen zur Er-
setzung desselben durch die Handschuhfabrikaiion ; allein nennenswerthe Erfolge
wurden nicht mehr erreicht und die Spitzenklöppelei fällt zur Zeit kaum noch
in Betracht. Ebenso erlag die Handsohuhmacherei — in den dreißiger Jahren
eingeführt — nach kurzem Kampfe wieder der französischen Uebermacht.
Es ist die Uhrenmachereif welcher schon lange die Führung unter den
Neuenburger Industrien zugefallen ist und die sie voraussichtlich noch geraume
Zeit behaupten wird. Im Jahre 1679 reparirte Daniel JeanRichard in La Sagne
•eine Taschenuhr, die ein Pferdehändler jener Gegend ans England mitgebracht
NriuTifiur;/ — 506 — Xeuenbuiy
hatte, nn<l im Jahre KiSl »teilte der jnnge Mechaniker seihst seine Erstlingsnhr
fertig. Das war der sichthare Anfang einer Industrie, die wegen der VoUendong
ihrer Werke und einer bald aufs Hinnreichste gegliederten Arbeitstheilnng überall
^ererbte Bewunderung geerntet hat. Indessen ist nicht zu übersehen, daß die
Nnienburger sich damals schon recht eigentlich zu Meistern in Metallarbeiten
aller Art herangebildet hatten und wesentlich deßhalb nachher mit so großem
Hifer darauf Bedacht nahmen, durch fortgesetzte Erfindung geeigneter Werkzeuge
sich die Kunst des Uhrenmachens zu erleichtern. Die für jeden Arbeiter vor-
handene Möglichkeit, sich der Erstellung derjenigen Bestandtheile zuzuwenden,
Hilf die ihn Veranlagung und Geschicklichkeit hinwiesen und die eben durch
ununterbrochene Uebung bis auf das höchste Maß gesteigerte Meisterschaft, sowie
der angeborne Sinn fUr ein musterhaftes Sichindiehändearbeiten verhalfen den
Neuenburger Uhren zu dem Weltrufe, dessen sie genossen haben.
Ernt als der vermehrte Begehr eine überaus und zu unvermittelt starke
Vergrrißerung der Produktion erheischte, und Neuenburg trotzdem die Konkurrenz
nicht wollte aufkommen lassen, ging man dort zeitweise und theil weise von der
Erzeugung der Primaqualitäten ab und büßte damit für die Folge mehr ein
als Vorübergehend gewonnen wurde. Vollends seit der Errichtung eigentlicher
Uhrenfabriken, welche, mit Mitteln überreich ausgestattet, die Befriedigung des
Massenbedarfs mit billigen und dennoch tüchtigen Uhren bezwecken, hat sich
•lie Sachlage fl\r die Neuenburger Industrie noch schwieriger gestaltet. Auch
• lie Zoll Verhältnisse haben hiezu ein Uebriges beigetragen, obwohl sie fiir die
/.um Schmuggel geeigneten Erzeugnisse bis jetzt nicht gerade von ausschlag-
gebender Bedeutung gewesen sind.
Unter der Einwirkung der berührten und anderer Umstände hat die
>[euen burger Uhrenmacherei mit Bezug auf ihre Einträglichkeit viel eingebüßt,
weiohalb sie ni(rht grundlos auf Mittel und Wege sinnt, nach dieser Richtung wieder
vortheillmftere Zustände herbeizuführen. Inwieweit ihr dies gelingen wird, hängt
nicht zum wenigsten davon ab, ob die vielfach ungesunden Grundsätze bei der
Fabrikation \\\u\ im Haudel — deren Anwendung namentlich dem israelitischen
Element zuzuHchreiben ist — wieder können verlassen werden. Einstweilen sind
Löhne \ind Gewinn gering und eine Wendung zum Bessern thut Noth.
JeanKichard siedelte im Jahre 1705 von La Sagne nach Locle über, von
wo sich die Uhrenimlustrie nach La Chaux-de-Fonds, in's Traversthal und in
<lie andern Bergthäler verpflanzte. Ph'st kurz vor der zweiten Hälfte des laufenden
Jahrhunderts wunle sie auch in der Stadt Neuenburg selbst und am See heimisch,
nie Neuenburger Uhrenmacher verlegten sich anfänglich — wie schon ange-
deutet — vorzugsweise auf die Herstellung bester Uhren; mit der Zeit aber
ist gerade die Vielfältigkeit der Fabrikation bemerkenswerth geworden. Alle
Arten von ganzen Uhren, von Werken, Schalen und der hunderterlei einzelnen
Bestandtheile gehen Jahr für Jahr in solchen Massen aus den Fabriken und
Werkstätten hervor, daß sich ihr Werth nach vielen Millionen bemißt. Die
Neuenburger Chronometer und andern Präzisionsuhren sind ihrer Vortrefflich keit
halber el>enso bekannt wie die verschiedenen Systeme wohlfeiler Fabrikate, für
welehe die Bewohner jener Jurathäler ebenfalls bahnbrechend geworden sind.
Ueber den Werth der Produktion liegen etliche neuere Schätzungen vor.
Kine solche vom Knde der dreißiger Jahre berechnet den Werth der Uhren
ohne «lie Sehlaguhi*en und Werkzeuge auf etwa sieben Millionen Franken alter
Währung : eine S<*häty.ung vom Jahre 1878 veranschlagt den Produktenwerth
Huf rund fünfzig Millionen Franken: eine letzte vom Jahre 1883 endlich geht
Neuenbur^j — 507 — Neuenbürg
auf mindestens achtzig Millionen Franken, welche Summe auch den heutigen
Verhältnissen noch entsprechen dürfte.
In alle Länder der Erde haben die Neuenburger Uhren ihren Weg
gefunden. Die wichtigsten Abnehmer waren von jeher die umliegenden Staaten
und England, ferner Rußland, Spanien, der Orient und später Nordamerika.
Mit der Uhrenindustrie in engem Znsammenhange stand und steht noch
die Fabrikation von Uhrmacherwerkzeuf/en und von allen möglichen Präzisions-
instrumenten. Dazu hat sich in neuerer Zeit die Erstellung elektrischer Apparate
gesellt. Jn allen diesen Gebieten wird Gediegenes geleistet.
Schon JeanRichard selbst erfand eine Anzahl von Werkzeugen, doch wurden
deren noch mehrere eine Zeit lang zu hohen Preisen aus Fans und London
bezogen. Bald genug freilich versahen dann die Neuenburger ihrerseits diese
und alle übrigen uhrenmachenden Städte mit ihren neuerfundenen oder ver-
besserten Erzeugnissen.
Von großer Bedeutung war filr Neuenburg seit dem Anfang des XVII L
bis weit in die erste Hälfte des XIX. Jahrhunderts hinein die Indiennedruckerei.
Ihre Entstehung geht auf das Jahr 1715 zurück. Damals wurde im Val-de-
Ruz eine Bleicherei eingerichtet, deren Besitzer bald Nastl\cher und dann ganze
Stücke zu bedrucken begannen. Die rege Nachfrage ermuthigte zur Gründung
weiterer Druckereien, so daß man ihrer am See und in den nordwestlich des-
selben gelegenen Ortschaften schon vor 1770 ein Dutzend zählte. Die hervor -
tragendsten befanden sich in Cortaillod und Boudry. Auch die VortrefFlichkeit
dieser Druckereiprodukte war allgemein anerkannt, weßhalb sie schon früh nicht
nur auf den Messen in Basel und Frankfurt, sondern auch in Frankreich und
Italien, später — nach Ueberhandnahme der fremdländischen Konkurrenz —
auf den Märkten aller Erdtheile Käufer fanden. Die Eingangs des gegenwärtigen
Jahrhunderts von Frankreich getroffenen Sperrmaßregeln, dann die nach und
nach auch von den übrigen besten Abnehmern aufgerichteten Zollschranken,
das gewaltige Anwachsen der ausländischen Konkurrenz, die Entrichtung höherer
Löhne von Seiten der Uhrenindustrie und vielleicht noch andere, weniger ge-
wichtige Faktoren haben die Baumwolldrnckerei in die Bedeutungslosigkeit
zurückgedrängt, in welcher sie heutzutage erscheint. Zuerst wurden vorwiegend
ostindische, später hauptsächlich schweizerische Gewebe zum Bleichen, Bedrucken,
Färben und Appretiren verwendet.
Unter den Erwerbszweigen, die sich von früher her erhalten und selbst
weiter entfaltet haben, sind namentlich die Strumpfwirkereif die Absynth-
fabrikation, die Äsphal({;ewinnunf/ und auch die Papier fabrikat ton zu nennen,
welch letztere — in Serrieres ansässig — besonders gutes Handpapier lieferte.
Die Wirkwaarenproduktion wird als Hausindustrie und in einem mechanischen
Etablissement betrieben.
In die neuere Zeit fedlen Versuche mit der Hand- und Mf^schinenstickerei,
welche Erfolge versprechen. Auch die Strohhutmacherei hat au Umfang ge-
wonnen. Im Allgemeinen jedoch halten die textilen Industrien keinen Vergleich
aus mit der Metallverarbeitung, denn auch die Wollenspinnerei und Tuch-
fabrikation trat nie aus einem bescheidenen Rahmen heraus.
Dagegen sind noch etliche Betriebe zu erwähnen, deren Produkte sich zum
Theil ebenfalls eines weitverbreiteten Rufes erfreuen*: vorab die Chokolade-
fabrikation, die Zementfabrikation, die einst bedeutende Gerberei, die Zigarren-
^macherei und die Möbel Schreinerei.
Neuenburg — 508 — Neuenburg
Hält man sich bei alledem gegenwärtig, welche Sorgfalt von jeher auf den
Weinbau, auf die Käserei und andere landwirthschaftliche Gewerbe verwendet
worden ist, so fügt sich ein für das theilweise so liebliche, theils so unwirthliche
Ländchen recht günstiges Zeugniß zusammen , welches durch eine richtige
Würdigung des emsigen Handels noch erheblich gewinnt. Früher wurde fast
ausschließlich mit Vieh, Käse, Wein und Holz gehandelt, seit dem Aufblühen
der Industrien aber ist natürlich auch der Handelsverkehr weit mannigfaltiger
und wichtiger geworden. Gute Straßen und Schienenstränge, mit großen Kosten
erbaut, durchziehen das Land und auch der See wird als Handelsweg benutzt.
Urproduktion.
Es widmeten sich im Jahre 1880 der Landwirthschaft 8462 Personen, der
Forstwirthschaft 451, dem Bergbau 290, der Fischerei 32, der Jagd 1.
Der Bergbau
ist, von der Asphaltgewinnung bei Travers abgesehen, unbedeutend. Betreffend
Asphalt 8. Seite 74 im L Band. Andere Bergbauprodukte sind:
Hydraulischer Kalk und Cement bei Convers, Noiraigue und St-Sulpice.
Kalksteine bei Boinod, Les Brenets, Chaux-du-Milieu, Hanterive, Les Loges
und Neuenburg.
Töpfer- und Ziegelthon bei Boudry, Fontaines und Marin.
Torf bei ßr^vine, Le Cachot, Les Cceudres, Martel-dernier, Les Fonts,
Fonts- Martel, La Sagne, La Yarconne.
Landwirthschaft.
Die Haupt getreidearten sind Weizen, Gerste, Hafer und Koggen. Bline
Froduktionsstatistik besteht noch nicht, da die Katastralvermessung noch nicht
in allen Gemeinden durchgeführt werden konnte.
Andere Acker fruchte als Getreide sind: Futterpflanzen, Kartoffeln, etwas
Gemüse, Erbsen und Bohnen, wenig Flachs, Raps und Mais.
Die verbreitetsten Futterpflanzen sind: Klee, Luzerne und Esparsette.
Zahl der Obstbäume unbekannt.
Der Weinbau umfaßt 1242 ha. Die Weinproduktion betrug:
1884 8139 hl Rothen und 63,355 hl Weißen = Fr. 4^678,555
1885 6894 , , , 70,490 , „ = „ 2^994,194
1886 3527 „ „ , 53,510 , ^ = „ 2^576,709
Es gibt keine Yiehversicherungsgesellschaften; dagegen 53 Käserei- und
Sennereigesellschaften, 6 landwirthschaftliche Vereine (welche Ausstellungen ver-
anstalten) und 3 Weinbauvereine. Diese trachten die Rebenkultnr durch Prämi-
rungen zu fördern.
Verkehr.
Eisenbahnen.
Bestand Ende 1886: 4 Bahn Unternehmungen mit 123,689 m Bahn und
32 Stationen. Die Bahnlänge vertheilt sich auf die einzelnen Unternehmungen
und nach den Konzessionen wie folgt:
Jura-Bern-Lueern-Bahn : Konzession vom 18. Mai 1870 für die Strecke
von Convers bis zur neuenburgisch- bemischen Grenze bei Convers gegen Renan
1995 m.
Jura neuchatelois (Eigenthum des Staates Neuenburg) : 1 ) Konzession vom
23. November 1853 für die Strecke von der französisch-schweizerischen Grenie
bei Col-des- Koches bis Convers 13,806 m. 2) Konzession vom 20. Oktober 1855
Neuenbürg — 509 — Ni<lwalden
für die Strecke von Convers bis Neuenburg 24,264 m. 6esammtlänge der Sirecken
des Jura neuchatelois im Kanton Neuenbürg 38,070 m.
Siiisse Occidentale-Simplon : Konzession vom 29. November 1853 für die
Strecken: a. von der bernisch-neuenburgischen Grenze bei Neuenstadt bis zur
Bchweizerischen Grenze bei Verrieres 55,090 m; b, von Auvernier bis zur neuen-
burgisoh-waadtländischen Grenze bei Vaumarcus 15,498 m; zusammen 70,588 m.
Traversthalbahn (Val-de-Travers) : 1) Bundeskonzession vom 21. Juni 1881
fdr die Linie Travers-St-Sulpice 9890 m. 2) Bundeskonzession vom 13. Dezember
1884 für die Zweiglinie Fleurier-Buttes 3146 m. Länge der Traversthalbahn
im Kanton Neuenburg 13,036 m
Neuenburg-L 0 c 1 e s. «Bernische Jurabahnen ** und „Jura neuchatelois".
Neuenburg-Yerrieres s. „Suisse occidentale** ; Neuenburgische Jura-
bahn und Neuenburgische Staatsbahn s. „Jura neuchatelois**.
Neuenstadt-B i e 1 s. Bemische Jurabahnen.
Nicaragua ist mit der Schweiz vertraglich verbunden durch den Welt-
]>08tverein8vertrag. Beitritt Nicaragua's am 20. Juni 1881. (A. S. n. F. VI, 288.)
Nickel kommt im Kanton Wallis (Thal d^Anniviers) vor, doch sind die
Adern ganz unregelmäßig, die Abbauverhältnisse daher außerordentlich schwierig.
Einfuhr im Jahre 1886 für Fr. 363,000, wovon für Fr. 341,000 rein oder
legirt (683 q ä Fr. 500), das meiste aus Deutschland und Frankreich; Ausfuhr
für ca. Fr. 29,000. Einfuhr von Nickel- und Neusilberwaaren im nämlichen
Jahre für Fr. 90,000 (103 q a Fr. 875), das meiste aus Deutschland; Ausfuhr
für Fr. 5000.
Nidaü-Biel-Bözingen s. Tramways suisses.
Nidwalden bildet mit Obwalden Jen Kanton Unterwaiden. Bundesglied
seit 1. August 1291. Ortsanwesende Bevölkerung am 1. Dezember 1880 11,992
Personen = 0,42 ^/o der gesammten Bevölkerung der Schweiz. Flächeninhalt
290,5 km^ = 0,7 ^/o des gesammten Flächeninhaltes der Schweiz. Nicht in
Bezirke eingetheilt. 11 Gemeinden. 6 Civilstandskreise. 1 Nationalrathswahlkrei»
(18.) mit 1 Mandat. Gehört zum 3. eidg. Assisenbezirk, in militärischer Be-
ziehung zum lY. Divisionskreis.
Nach dem Größenverhältniß unter den wirthschaftlichen Gruppen der Kantone
nimmt Nidwalden folgende Rangstufen unter den Kantonen ein : Die 3. hinsichtlich
öffentliche Verwaltung, Wissenschaft und Kunst, die 5. hinsichtlich Handel, die
9. hinsichtlich Urproduktion, die 11. hinsichtlich persönliche Dienstleistungen, die
17. hinsichtlich Industrie, die 20. hinsichtlich Verkehr.
An den Hauptberufsgruppen sind nämlich als Erwerbende betheiligt:
o/o all. Beruf- «/o der
PerfMoen treibendeD gl. Kategorie
den Kantons der Schweix
an Urproduktion 2420 48,9 0,4
„ Industrie 1724 34,8 0,3
., Handel 396 8,0 0,4
Verkehr 103 2,1 0,2
öifentl. Verwaltung, Wissenschaft und Kunst 250 5,0 0,5
persönlichen Dienstleistungen .... 61 1,2 0,3
4954 100,0
4 1 ,3 ^/o der ganzen Bevölkerung
Die Gesammtbevölkerung (Beruftreibende, Angehörige, Hansgesinde)
ist wie folgt an den Haupterwerbsgruppen betheiligt:
Nidwaiden — 510 — Xidwalden
•*o der *>o der
Personen Berölko* gl. Kat«g^oiie
rang der Schweix
an Urproduktion 5988 49,9 0,5
„ Industrie 3307 27,6 0,2
„ Handel 93iS 7,9 0,4
„ Verkehr 245 2,0 0,2
„ öffentl. Verwaltung, Wid8enschaft und Kunst 481 4,0 0,4
„ perBÖnlichen Dienstleistungen .... 72 0,6 0,2
Bernfslose nebst Angehörigen etc 961 8,0 0,6
11992 100,0
Handel, Industrie und Kleingewerbe.
Folgende Grappirung umfaßt diejenigen unter diese Rubrik zählenden Berufe-
-arten, welchen im Jahre 1880 7« V® ^^^ mehr aller erwerbsthätigen Personen
^es Kantons oblagen (laut eidg. Bernfsstatistik) :
Prw ri« °® ****'* *•* *^^' niml.
Beruf .Kit- ErwerbrtbÄtlgen Kategorie
mange ^j^^ Kanton« der Schw^-ii
Seidenspinnerei und -Weberei . . 357 7,2 0,6
Handel, eigentlicher 222 4,5 0,4
Gasthof- und Wirthschaftsgewerbe . 158 3,2 0,5
Schreinerei and Glaserei .... 130 2,6 0,6
Schneiderei 129 2,6 0.4
Schuhmacherei 103 2,1 0,4
Leinen- und Halbleinfabrikation .88 1,8 0,8
Cementfabrikation 86 1,7 10,4
Zimmerei 76 1,5 0.4
Weißnäherei 70 1,4 0,3
Strohflecht«rei ....... 67 1,3 0,5
Maurerei und Gypserei .... 55 1,1 0,3
Glasfabrikation 49 1,0 11.2
Wascherei und Glätterei .... 45 0,9 0,3
Bäckerei 3^ 0,8 0,3
Metzgerei 32 0,6 0,4
Dach deckerei 29 0,6 0,8
Schmiede 25 0,5 0,3
Fabriken.
Es bestehen Ende 1887 in Nidwaiden 4 Cementfabriken, 4 Ziegelhütten,
-3 Gerbereien, 5 Bierbrauereien, 13 Sägemühlen, 4 Gretreidemühlen, 1 Teigwaaren-
fabrik, 2 Tabakstampfen, 2 Gypsfabriken, 1 Glashütte, 1 Cartonfabrik, 2 Par-
queterien, 1 Floretspinnerei, 1 Seidenzettelei und 1 Liqueurfabrik.
Dem Schweiz. Fabrikgesetz waren Ende Juni 1887 7 Etablissements mit
195 Arbeitern und 458 Pferdekräften unterstellt, nämlich: 2 Cementfiabriken in
Beckenried und Stansstad (erstere zugleich Kalkfabrik), 1 Glashütte in Hergiswyl,
1 Parqueterie in Buochs, 1 Floretspinnerei in Buochs, 1 Seidenzettlerei in Buoohs,
1 Teigwaarenfabrik in Ennetbürgen.
Industriegeschichtliches über Ob- und Nidwaiden.
(Mi Iget heilt von Herrn Jos. Durrer, Adjunkt des eidg. statistischen Bureau.)
Die Kleinheit des Gebietes und die Spärlichkeit der Materialien hat es als
gut erscheinen lassen, diese Notizen für Nid- und für Obwalden in einen Artikel
zusammenzufassen.
Nidwaiden 511 NidwaUlen
Unter den Aeußerungen über die Erwerbsthätigkeit der Bevölkerung Unter-
waldens in früheren Zeiten wird wohl eine der geschichtlich am weitesten zu-
rückgreifenden diejenige sein, welche uns Schiller in den Worten übermittelt hat,
das Volk der Urkantone sei „zu Nichts anstellig, als das Vieh zu melken und
faul herumzuschlendern auf den Bergen'*. Darnach wären denn auch die Unter-
waldner im Anfange des 14. Jahrhunderts ausschließlich ein Hirtenvolk gewesen.
Neuere Studien (P. Martin Kiem im „Geschichtsfreund", Band 21, und C. Oder-
matt in den ,,Beiträgen zur Geschichte Nidwaldens**, 3. Heft) lassen aber diese
Anschauung als eine zu einseitige erscheinen und haben dargethan, daß im 13.
und 14. Jahrhundert ^) in Unterwaiden auch der Ackerbau eine Ausdehnung
und Bedeutung hatte, welche vielleicht derjenigen der Vieh- nnd Milchwirthschaft
gleichkam, oder dieselbe sogar überragte. £s geht dieses daraus hervor, daß die
in den damaligen Urkunden erwähnten Abgaben und Naturalzinsen an Klöster
und andere Grundherren kaum seltener in Erzeugnissen des Land- und Acker-
baues (Weizen, Dinkel, Hafer, Flachs, Bohnen, Nüsse) als in solchen der Vieh-
und Milchwirthschaft (Käse, Zieger, Castratos, Ziegenfelle, Eier) bestehen und
daß in damaliger Zeit Aecker an Halden und Berghängen in einer Höhe er-
wähnt werden, wo jetzt schon lange nur mehr Naturwiesen und Alpweideu be-
stehen. — Der Umschwung in diesen Verhältnissen trat im 15. (wenn nicht
schon Ende des 14.) Jahrhundert ein und setzte sich auch im folgenden derart
fort, daß die beiden Regierungen von Ob- und Nidwaiden in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts den nunmehr eingetretenen Rückgang des Ackerbaues als
Uebelstand zu betrachten anfingen und durch obrigkeitliche Verfügungen auf-
zuhalten versuchten. Aber kategorische Gebote zu vermehrter Pflege des Acker-
baues, wie aufmunternde Unterstützungen desselben, welche sich in den beiden
Staatsprotokollen ungefähr zwei Jahrhunderte lang wiederholen (siehe Kiem und
Odermatt a. a. 0.), erwiesen sich auf die Dauer gleich machtlos. Der Pflug ver-
schwand aus Unterwaiden so gründlich, daß der Schreiber dieses einen solchen
zum ersten Male in einer theatralischen Aufführung der Geschichte Arnold Ander-
halden's zu sehen bekam (wahrscheinlich mußte das Exemplar zu diesem Zwecke
importirt werden).
Es wäre schwierig, ausreichend zu erklären, welchen Ursachen dieser Ueber-
gang des Ackerbaues zur Viehzucht und Milchwirthschaft zuzuschreiben sei und
warum derselbe hier 2 — 3 Jahrhunderte früher als in andern Gegenden der
Schweiz eintrat. Thatsache ist, daß Unterwaiden schon in der ersten Hälfte des
14. Jahrhunderts sich um einen möglichst vortheilhafteu Absatz seiner Erzeugnisse
nach Italien — und dahin wohl nichts anderes als Vieh und Käse — interessii*te
(siehe z. B. Eidgen. Abschiede, 1335) und für denselben energisch, wenn
nöthig mit dem Schwerte in der Hand, eintrat; sein erster Feldzug über den
Gotthard soll durch eine solche Frage veranlaßt worden sein. So ist es möglich,
daß die durch £jrieg nnd Politik eroberten und befestigten Absatz Verhältnisse,
dabei der Mangel einer größeren Konkurrenz, Wesentliches zu diesem Umschwünge
beigetragen haben. — Ein anderer Faktor möchte in Folgendem zu finden sein.
In den früheren Jahrhunderten die so zahlreichen eigenen, später die fremden
Kriegsdienste, dann wenigstens vom 17. Jahrhundert an sonstige starke Aus-
wanderung (nach dem Elsaß, in's Wallis, um 1760 auch einmal nach Rußland,
wovon im Gouvernement Samara eine damals entstandene Kolonie bis heute den
^) Nach dem -Liber Heremi*' hätte das Kloster Einsiedeln schon im Jahre 1018
in Buochs eine Mühle erworben, aber im Ganzen sind die Quellen ftlr die Zeit vor dem
13. Jahrhundert doch gar zu selten.
NuiwaUlen — 512 — Nidwaiden
Namen nUnt^i'^^ld^^'* erhalten haben soll; dann nach Amerika, in die Rhein-
jL^egenden Deutschlands) entführten dem Lande sozusagen in stetiger Weise eine
holche Menge von Arbeitskräften, daß dadurch die Bewirthschaftung des eigenen
Bodens, sowie überhaupt die gewerbliche Entwicklung des Landes kaum un-
beeinflußt bleiben konnten.
Zu immer ausgedehnterer Benützung des Thalgrundes als Weide und Wiese
und damit zur Einschränkung des Getreidebaues muß auch das folgende Ver-
hältniß mitgewirkt haben. Gegenwärtig gehören mehr als ^/4 sämmtlicher Alp-
weiden Unter waldens den dortigen Gemeinden oder Korporationen, nicht ganz
74 sind im Eigenthume von Privaten. Das war nicht von jeher so. Ein ganz
großer Theil dieser Alpen ist nachweisbar erst seit Ende des 14. Jahrhunderts
in den Gemeindebesitz übergegangen und es ist dieser Uebergang aus Privat-
händen mehr oder weniger ein bis heute fortdauernder. Nun galt für die Be-
nützung von Gremeindealpen seit Jahrhunderten die Beschränkung, daß dieselben
nur mit solchem Vieh befahren werden durften, welches in derselben Gemeinde
„gewintert", d. h. den Winter über ausschließlich mit in derselben Gemeinde ge-
wachsenem Heu gefuttert worden war. Ist nun auch die Benützung der Gemeinde-
alpen keine unentgeltliche, so ist sie doch eine so billige, daß deren genannte
Verkettung mit der Winterfütter nng im Thale ganz nothwendig, wie eine Prämie,
Huf die Ausdehnung des Grasbaues und damit auf Einschränkung der Getreide-
kultur wirken mußte. — Dann haben überhaupt und nicht bloß in der angeführten
Richtung, wie früher so auch heute noch, die Rechtsverhältnisse an dem hier
noch sehr ausgedehnten Gemeineigenthum so viel Beetimmendes für den Betrieb
der unterwaldnerischen Landwirthsohaft, daß ein hinreichendes Verständoiß der
letztem ohne Kenntniß der erstem nicht wohl möglich ist. Indem es an diesem
Orte nicht erlaubt ist, ausführlicher darauf einzutreten, sei wenigstens auf fol-
gende zwei Schriften verwiesen, von denen die erstere vorwiegend die rechtlichen,
die zweite die wirthschaftlichen Seiten dieser Verhältnisse behandelt. ,jDie Rechts^
cerhältnisse am Gemeinland in Unierwalden^ y von A, Heusler, in Band 10
der „Zeitschrift für Schweiz. Recht**, und „D/c Schweiz. Allmend in ihrer gt-
schichtlichen Entwicklung^ , von A. Miaskowski, in Band 2 von Schmoller:
„Staats- und sozial wissenschaftliche Forschungen^.
* *
*
Nach diesen Erörterungen über ihre allmälige Ausdehnung in unserm Lande
bieten Viehzucht und Alpen wirthschaft mit ihrem konservativen Charakter nur
Beltene Momente, welche besonders zu erwähnen wären. Doch seien ans der Gre-
Kchichte der unterwaldnerischen Bodenkultur zwei Erscheinungen angeführt, von
denen allerdings die eine nur noch mit ihrem Anfange in das vorige Jahrhundert
zurückreicht, die andere zum Theil schon in unsere Tage hineinlangt : die Tiefer-
legung des Lungernsee's und die „AUmendvertheilungen". — Der Anblick de»
erstgenannten Werkes vermag heutigen Tages nur mehr mäßigeres Staunen zu
erregen; zur Zeit seiner Vollendung, im Jahre 1836, dagegen schrieb ein Fach-
mann: „Die Tieferlegung des Lungernsee's ist ohne Zweifel eines der größten
und interessantesten Werke seiner Art, das vielleicht nur durch den prachtvollen
Kanal für den Abfluß des Lago Fucino bei Rom übertroffen wird". Ueber das
Technische des Werkes sei hier bloß angeführt, daß das Wesentliche desselben
in einem 420 m langen, ungefähr 2 m hohen und wohl 1 72 m breiten, durch
Kalkfelsen getriebenen Tunnel besteht, durch welchen die Wasserfläche des See's
ungefähr um 40 m tiefer gelegt wurde. Die Arbeit war im September 1790
begonnen worden, in Folge öfterer und längerer Aussetzungen aber wurde die
Nid Waiden — 513 — Nidwalden
Mündang des Tunnels in den See erst den 9. Januar 1836 mittels einer Pulver-
mine bewerkstelligt; die sämmtlichen Kosten des Werkes, einschließlich der
Frohnarbeiten, werden auf ungefähr Fr. 220,000 (heutiger Währung) berecliuet.
— An diesem Orte ist aber das namentlich anzuführen, daß dieses Werk in
seinem von Anfang beabsichtigten und schließlich auch befriedigend erreichten
Zwecke ein ausschließlich landwirthschaftliches war. Dem fühlbaren Mangel an
knitnrfähigem Boden und speziell dem Mißverhältnisse zwischen hinreichend vor-
handener Sommemahrung filr das Yieh auf den Alpen und ungenügender Winter-
nahrung für dasselbe im Thale sollte durch Gewinnung des Seegi'undes ab-
geholfen werden. Das Resultat in dieser Beziehung war die Eroberung eines
Areals von 90 Hektaren pflanzbaren Lande» und 21 Hektaren gerölliger Halden,
welches dann an die ungefähr 150 Lungerer, welche seit 1831 die „ Seegesell-
schaft ** bildeten, vertheilt wurde. (Schriften: Technisch „2>*e Tiefer legunt/ des
Lun(fem-See*s, Mit mehreren Plänen^. [Anonym, aber von einem Faohmanne.
Zürich, 1836.] Geschichtlich „Die; Tieferleef^iiig des Lunf/ernsee^s^, Von
A. Küchler, Samen, 1886.)
*
Noch vor fünfzig Jahren (im „Gemälde der Schweiz. Der Kanton Unter-
waiden **, von A. Businger, 1836) berechnete man, daß in Unterwaiden jährlich
über 1200 Kühe (in Obwalden 812, in Nidwalden 431) in gemeinsamer Weide
auf der AUmend, d. L dem im Thale, zunächst den Dörfern gelegenen Theile
des G^meiueigenthums, gesommert werden. Gegenwärtig ist diese Benützungsweise
zum großem Theile (in einzelnen Gemeinden ganz) verschwunden. Die Allmend
ist unter die Genossen „vertheilt" worden. Währenddem diese Vertheilung bei-
spielsweise in Stans für den einzelnen Genossen die Zuweisung eines Grundstückes
von nahezu einer halben Hektare zur Folge hatte, ist das Betreffniß in andern
Gemeinden bedeutend unter solchem Maßo zurückgeblieben. Schon durch derartige
Zerstückelung des Bodens, dann auch durch ausdrückliche Vorschriften, ist die
weitere Benützung desselben als Weideland ausgeschlossen und das letztere der
Acker- und Gartenkultur oder dem Grasbaue gewidmet worden. Neben der land-
wirthschaftlichen Bedeutung dieses Wechsels ist aber auch der eigenthümliche
rechtliche Charakter desselben zu erwähnen. Die genannte Vertheilung bedeutet
keineswegs einen Uebergang des Gem eineigen th ums in Privateigenthum ; den Ge-
nossen ist bloß die landwirthschaftliche Benützung der Grundstücke zugestanden
worden, allerdings eine lebenslängliche und selbst vom Vater auf den Sohn ver-
erbliche, aber das Eigenthumsrecht der Gemeinden und Korporationen ist dabei
vorbehalten und könnte durch Beschluß derselben jederzeit in beliebiger (über-
haupt gesetzlicher) Weise geltend gemacht werden. Selbstverständlich ist durch
dieses Verhältniß für die Nutznießer auch die Belastung des ihnen zugetheilten
Landes mit Hypotheken, ebenso diejenige mit Gebäuden, ausgeschlossen; die
Allmend wird auch den Nachkommen als freier Grund und Boden erhalten werden.
Ueber die neben der Landwirthschaft vorhandene Erwerbsthätigkeit der
Unterwaldner in früheren Zeiten sind die Notizen so seltene und zerstreute, daß
sie sich nicht wohl zu abgerundeten und erschöpfenden Darstellungen vereinigen
lassen. Was die der Befriedigung der gewöhnlichen Landesbedürfnisse obliegenden
Handwerke betrifft, so finden sich wohl seit ungefähr der Mitte des 16. Jahr-
hunderts Zünfte erwähnt (im BathsprotokoU von Obwalden zum ersten Male 1566).
Indessen hat man sich hierunter für unser Land nur ein schwaches Abbild der
gleichnamigen städtischen Korporationen vorzustellen. In Obwalden waren, wie
Fnrrer, Volkiwirthachafta-Lexikon der Schweiz. ^J^»
NMJwal'Jfrn — 514 — 3^iw^iea
6» ftcheint vom Anfiui^ mo, «äinmtliche Handwerke in eine einsge Zunft
eiai|^« in Nidwaiden bestanden deren mehrere: eine Pdicht zum Eintritte in
die>y; Ziln!te wird ab^r beiden Ort« kanm je bestanden haben und von n^— K^ft^i
Zwe':;k«m nnd Erfolgen kann wahracheinlich aach nicht gesprochen werden. Man
findet wohl dann and wann Aeaßemngen dieser Zönfte erwähnt, wekhe auf die
gewerbliche Tbätigkeit ihrer Angehörigen Bezug haben (wie Anastellong Ton
Lehrbriefen and AehnHche»), aber lieber and mit mehr Eifer aeheiaen die Znnft-
genojHien ihre Za«ammengehdrigkeit in trinkender Geselligkeit gepflegt zn haben.
(„Die Ton den Handwerk^lenten aufgerichtete Brnderschaft ist gutgeheißen, doch
sollen tat an Jahrzeiten sich nicht Tolkanfen, auch Niemanden in die Bruder-
gchaft zwingen.* Bath^beachlaß von Obwalden vom 24. Juni 1596.) Dire Fort-
dauer biA heute haben ««ich diese Zönfte wohl nur dadurch erhalten, daß de sich
bald nach ihrem Entstehen auch zu kirchlichen Bruderschaften konstituirten.
Weit ober die Stufe eines bloß der Nützlichkeit dienenden Handwerks
*<;heint «ch seit Jahrhonderten die Schreinerei erhoben zu haben. Eine aus der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhundertä stammende, bb zur Stunde wohl erhaltene
2^merTertäferang mit Plafond und Buäet in der Bosenburg in Stans (neaestans
in das Eigenthum des Bundes übergegangen) wird von Sachverständigen ab eine
der känstleri^h werth vollsten Arbeiten dieser Art erklart, welche äch in der
Schweiz erhalten haben. Aus derselben Zeit and aus der Nachbarschaft, dem
Winkelriedhause in Stans, stammten zwei reich eingelegte Thären, welche an
der Landesausstellung in Zürich ausgestellt waren. Noch älter (von 1503} ist
der k anstreiche, aus Holzmosaik and Schnitz werk zusammengesetzte Plafond der
Fried hofkapelle in Samen und derjenige in der Müslikapelle am Eingange in*s
Melchthal, jünger dagegen die durch ihre Mannigfaltigkeit anziehende Intarsien-
arbeit des JPlafoids der Flüelikapelle ob Sachsein. Zwar ist kein Anhaltsimnkt
vorhanden, daß diese angeführten Werke durch einheimische Künstler verfertigt
worden seien; aus heimischen Werkstätten aber stammen offenbar jene , Büffet *",
Wandkästen und ähnlichen Möbel, mit ihren Jahrzahlen aus dem 17., 18. und
dem Anfange des 19. Jahrhunderts, mit eingelegten Figuren, denen wir jetzt
noch so häufig in einfachen Privathänsem begegnen und auf deren Kunstwerth
in neuerer 2^it zuerst wieder durch spürende Kunstjuden auftnerksam gemacht
wurde. — P^iner ähnlichen künstlerischen Ausbildung scheint sich keines der
übrigen Handwerke jemals erfreut zu haben.
Als ältente Werkstätte eigentlicher Großindustrie in Unterwaiden ist das
Kisenbergwerk im Melchthal anzuführen. Die erste noch erhaltene Erwähnung
desselben datirt von 1439, eine folgende von 1453; doch scheint das Werk,
wenn nicht schon früher, so doch bald darauf eingegangen zu sein. Hoch oben
auf der Melchseealp, an der sog. Erzegg, wurde das Erz gebrochen, durch Ochsen
bis zur „Frntt** befXirdert und von dort weg, wie es scheint auf offener Holz-
bahn, eine Stunde weit über den steilen Abhang in das Thal hinnntergeleitet.
Bei der Keselenalp befand sich das sog. Erzhaas, wahrscheinlich die Schmelze,
und eine Stunde weiter vom im Thale, unter der Ortschaft Melchthal, die
Schmiede. 1551 wird vor der Landsgemeinde von Obwalden erklärt, „daß bj
den hundert Jaren ein ysenschmitten im Melchthal gewesen, als nochmalen wohl
kundbar nyge. Darnach durch mittel des dodt« vnd absterben fille des volks die
isen Schmitten sich geendet.*" Es wurden nunmehr von der Landsgemeinde neuer-
dings ^die gaben gott^^s vnd die bergwerkh vnd ärtze, so in allem dem gebirg
dcM Melchthal vnd Melchsee liegt** an eine Gesellschaft der angesehensten Bürger
Nidwaiden — 515 — Nidwaiden
des Landes als Erblehen ertbeilt; von den verschiedenen Bedingungen sei hier
bloß angeführt, daß den Unternehmern verboten war, mehr als 20 landesfremde
Arbeiter anzustellen. Aber nach ungefähr 15 Jahren war das Unternehmen schon
wieder eingestellt. Die dritte Eröffnung des Eisenwerkes fand nach einem Lands-
gemeindebeschluß von 1620 statt. Unter wechselnden Besitzern (alle Landes-
einwohner) dauerte der Betrieb dieses Mal bis 1689. Auch ein Versuch der
Regierung, das Unternehmen unter obrigkeitlicher Verwaltung weiter zu führen,
hatte nur dessen Todeskampf verlängert; Knappen und Schmiede blieben seit
jener Zeit aus dem Melchthale verschwunden. („Chronik von Kerns** v. A. Küchler,
1885.)
An biegsamerem Stoffe als im Melchthale arbeitete die unterwaldnerische
Industrie in Rotzloch am Vierwald stättersee. Hier bestand eine Papierfabrik, und
zwar wenigstens seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts; schon ein Regierungs-
mandat von 1602 schreibt vor, daß dort Papier mit den Landesschlüsseln ver-
fertigt werde. Ueber die Ausdehnung und sonstigen Geschicke dieser Fabrik in
früheren Zeiten ist uns nichts bekannt, ihre größte Entwicklung scheint dieselbe
seit den 30er Jahren des laufenden Jahrhunderts gewonnen zu haben; um 1860
wurde angegeben, daß sie 100 Pferdekräfte in Maschinen und daneben bei
130 Arbeiter beschäftige und eine der bedeutendsten Papierfabriken der Schweiz
sei. Seit ungefähr einem Jahrzehn ist sie als solche eingegangen und in den
Gebäuden eine Cementfabrik eingerichtet worden. — Eine kleine Papierfabrik
mit Handbetrieb bestand bis in die neuere Zeit auch am jenseitigen Seeufer, in
Hergiswil. Aber bedeutender als diese war die am gleichen Orte im Jahre 1818
als Filiale von Flüeli im Entlebuch gegründete Glasfabrik, bis heute fortbestehend
und in halbjährlichem Betriebe je bei 50 Arbeiter beschäftigend. — Bloß bei
einem Jahrzehn bestand eine 1829 in Kerns erbaute Baumwollenspinnerei. Da-
gegen erfreute sich wenigstens einige Zeit lang besserer Geschäfte die später und
als Ableger von Gersau entstandene Seidenspinnerei und Käromlerei in Buochs,
bis auch diese nach 1870 das Loos ihrer Mutterfabrik theilten.
Industrielle Unternehmungen, welche erst in neuester Zeit entstanden sind
und gegenwärtig fortbestehen, bleiben in diesen geschichtlichen Notizen absichtlich
unberücksichtigt, dagegen mögen noch jene verschiedenen Zweige von Haus-
industrie genannt werden, welche man je zeitweise erwähnt findet. Wann das
Baumwollenspinnen als häusliche Beschäftigung eingeführt wurde und welche
Ausdehnung dasselbe jemals hatte, ist uns nicht bekannt; erwähnt wird es 1799
in Lungern, wo die Schulkinder durch diese Beschäftigung an fleißigem Schul-
besuche verhindert wurden. — »Um den dortigen Thalleuten ein vortheilhaftes
Nebengewerbe zu verschaffen," richtete der von 1769 — 1798 regierende Abt
Leodegar von Engelberg „in dem Kloster eine Werkstatt zum Seidenspinnen,
Waschen und Krempeln ein, womit jetzt (1796) viele Leute beschäftigt werden,
die sich sonst nur kümmerlich nähren können; er errichtete auch eine Wollen-
weberei, um alle im Lande gewonnene Wolle zu den nöthigen Zeugen für die
Einwohner verfertigen zu lassen*" (Norrman). Diese mehr fabrikmäßige Schulung
(deren Dauer wir nicht kennen) mag die Bewohner von Engelberg befähigt haben,
sich später mehr und geschickter als andere im häuslichen Seidenweben zu be-
schäftigen; letztere Industrie ist in Engelberg auch jetzt noch eine sehr ver-
breitete und zählte in neuester Zeit bei 160 Webstühle, alle andern Gemeinden
Obwaldens deren bei 300 ; in Nidwaiden scheint diese Industrie nie die gleiche
Verbreitung gewonnen zu haben. — Schneller Zu- und Abnahme war jeweilen
die Beschäftigung mit Stroh- und Roßhaararbeiten unterworfen. Die EinrichtisÄ^
Nidwalden — 516 —
einer Flechtscbule wird in Ken» 1828 erwälint; eine bedeutende Aosdehnong
gewann diese Indostrie einmal in den 50er Jahren, aber noch größere und tof-
tiieilhaftere nm 1865. In einzelnen Gegenden soll damals het in der Hüfte der
EUlnser «gehütelf worden sein (Verfertigang von StrohhOten för Wohlen). Der
Tagesverdienst erreichte auch fdr jange, kaam der Schule entwachsene Personen
bis Fr. 1. 20 nnd 1. 40, nnd man berechnete während der besten Zeit in einer
einzigen Gremeinde den Gresammtverdienst per Woche auf etwa Fr. 1200. So
vortheilhafte Verhältnisse daaerten allerding« nicht lange nnd in wenigen Jahren
war das Httteln wieder fast ganz verschwunden. — In den 50er Jahren fanden
auch einmal Bestrebangen statt, die ostscbweizerische Stickerei einznflihren, doch
scheint dieselbe in nnserm Lande niemals größere Bedeatnng erlangt za haben.
— Eine nm 1865 in Sachsein errichtete und mehrere Jahre im Gange erhaltene
Schale für die Holzschnitzerei fiel gerade in die Zeit, in der diese kunstgewerb-
liche Handtim ng auch in ihrer nahen Heimat schwerer Knsis entgegenging; es
wurde darum dem gemeinnützigen Unternehmen nicht möglich, im Lande dauernde
Erfolge zu erzielen.
Urproduktion.
Der Landwirtbschaft widmeten sieh im Jahre 1880 2343 Personen, der
ForKtwirthschaft 51, dem Bergbau 15, der Fischerei 8, der Jagd 3.
Bergbau.
Nach der Rohproduktenkarte von Weber und Brosi (Verlag von J. Wurster
& Cie. in Zürich, 1883) werden in Nidwalden folgende Bergbauprodnkte gt-
Wonnen :
Gjfps bei Rotzloch.
Hydraulischer Kalk und Cemeni bei Hergiswyl und Rotzloch, ehemals
auch bei Beckenried und Büren.
Kalksteine bei Stansstad.
löpf'er- und Ziegelthon bei Hergiswyl, ehemals auch bei Beckenried.
Torf bei Bürgen.
Tu f stein bei Büren.
Landwirthschaft.
(Mit(retheilt von Herrn Landanimann D u r r e r in Staus.)
Nidwalden besitzt 231 Alpen. Von diesen sind 83 Eigenthnm der
Bürger- oder Korporationsgemeinden, 78 gehören den sog. Gemeinalpen nnd 70
den Privaten.
In der letzten Zeit wird von Behörden die Verbasserung der Alpen an-
gestrebt und ihre Bemühungen finden günstigen Boden, da besonders die Privat-
alpbesitzer sich befleißen, ihre Alpen in bessern Stand zu bringen.
Sämmtliche Alpen ertragen ca. 7000 Kuhschweren und der Preis des
Alpzinses \^t Kuhschwere bei einer Alpzeit von durchschnittlich ftlnf Monaten
erreichte Fr. 45 — 55.
Auf den Alpen werden nur Spalen-Sbrinskäse gemacht, ca. 20 — 25,000
Stücke oder Laibe im GcKammtgcwichte von 4 — 5000 q und im Werthe von
ca. Fr. f)00,000. Sie werden exportirt.
Der Magerkäse, haui)tsächlirh im Winter l'abrizirt, wird zum Theil auch
exportirt, jedoch großentheiles im Lande selbst konsumirt.
Der Zieger, als alpwirthschaftliches Nebenprodukt betrachtet, hat keinen
P^xport, sondern wird im Lande selbst verbraucht.
Entsprechend dem Ertrage des Käses ist auch der Viehexport. Nidwalden
besitzt einen mittleren Viehschlag, der als gutes Milchvieh sehr gesohitzt
Nidwaiden — 517 — Nidwaiden
wird. Das Jungvieh findet großentheils nach Italien und Frankreich Ahsatz,
aber auch in mehreren Schweizerkantonen wie Luzem, Aargaxi und St. Gallen
ist dasselbe beliebt und wird daher gesucht. Aeltere Milchkühe gehen vorzugs-
weise nach Spanien und Sttdfrankreich. Unsere Alpen eignen sich besonders für
Aufzucht von Jangvieh, weßhalb die Landesbehörden für Hebung der Viehzucht
jährlich bedeutende Opfer bringen. (Vergl. auch den Artikel „Viehstand der
Schweiz".)
Die Liegenschaften, d. h. Bauerngüter im Thale, sind geschlossene
Grundstücke. Wenn dieselben auch nicht groß sind (in der Regel mag die
Durchschnittsgröße bloß 5 — 10 Jucharten betragen), so gelten dieselben doch
wegen ihrer £rtragsfähigkeit große Verkaufiapreise. Der infolge der hohen Güter-
preise in Aufschwung gekommene Wiesenbau hat den Eornbau, welcher übrigens
nie bedeutend war, verdrängt, so daß sehr wenig Korn mehr gepflanzt wird
und das Gepflanzte bei weitem nicht für den Hausbrauch reicht. Ebenso ist
auch die Kartoflelproduktion gering und für die Bedürfnisse der Einwohner
Nidwaldens ungenügend.
Nidwaiden mit einer Gesammtbodenfläche von 29,050 ha hat 6925 ha
gleich 24 ^/o Wal d. Der Holzexport ist sehr bedeutend, was um so unbe-
denklicher ist, weil bei nur et welcher Pflege kein Holzmangel für Nidwaiden
in Aussicht steht.
Die Jagd ist unbedeutend. Dagegen gewährt die Fischerei nicht
unbedeutende Erträgnisse. Die Fischzucht selbst wird gefördert. Wir besitzen
drei Fischbrutanstalten, welche jährliche Aussetzungen in die für die Fischzucht
besonders geeigneten Bäche machen. Beispielsweise wurden in den letzten Jahren
über 200,000 junge Fische ausgesetzt.
Sehr bedeutend wird die Obstbaumzucht betrieben und es verdient
alle Anerkennung, daß von Seite der Standesbehörden diesem wichtigen Zweige
unserer Landwirthschaft viel Aufmerksamkeit und Unterstützung gewährt wird.
Laut einer im Jahre 1886 aufgenommenen Obstbaumzählung besitzt Nidwaiden
41,515 Birnbäume, 17,078 Aepfelbäume, 11,937 Kirschbäume, 15,882 Nuß-
bäume, 14,533 Pflaumen- und Zwetschgenbäume und 295 Pfirsich- und Apri-
kosenbäume und 8347 Eebstöcke. Dazu kommen noch 674 Feigenbänme. Nicht
gerechnet sind dabei die mehrere tausend Bäume in angelegten Baumschulen,
deren es mehrere gegenwärtig in Nidwaiden gibt.
Von diesem Obstertrage werden die Birnen gedörrt, namentlich aber ge-
mostet und als Getränk im Lande verwendet. Von Kirschen und Zwetschgen
wird ebenfalls etwas gedörrt, das Meiste aber gebrannt. Das meiste Obst
und seine daraus gewonnenen Erzeugnisse wird im Lande konsumirt mit Aus-
nahme der Nüsse, welche einen beliebten und theuer bezahlten Ausfuhrartikel
bilden.
Der in letzter Zeit in's Leben gerufene Bauernverein wirkt mit
Eifer und Geschick für Hebung der Land- und Alpwirthschaft sowie der Vieh-
zucht. Er ordnet alljährlich mehrere Wandervorträge an, welche anregend und
belehrend auf die landwirthschaftliche Bevölkerung wirken
Nidwaiden hat auch der Erhaltung und Kultur des Bodens seine
Aufmerksamkeit geschenkt. Die durch den Zahn der Zeit in Verwitterung
kommenden Berge und die bei schweren Gewittern gefährlichen Wildbäche sollten
nämlich mit Hülfe des Art. 24 der Bundesverfassung und durch das Bundesgesetz
vom 22. Juni 1877 betrefl^end die Wasserpolizei im Hochgebirge sicher gestellt
werden. Die Gemeinde Stans hat in den letzten zwanzig Jahren forstliche und
Ni<lwaUlen — 518 — Xiederlande
andere YerbauDngen zam Schatze des Fleckens vorgenommen und im Verein
mit Stanestad und Oberdorf große Dammbauten längs der Aa zum Schatze den
Stanserthales ausgeführt, deren Erstellung, wenn man alles rechnet, die Summe
von Fr. 100,000 erforderte.
In Beckenried werden gegenwärtig Bäche verbaut mit einem Kosten-
aufwände von Fr. 250,000 und HergiswA-l verwendet für Verbauung seines
,,Steinibaches" Fr. 105,000, woran die Eidgenossenschaft 50 ^o ^^^ ^^ Staat
Nidwaiden 20 K beiträgt.
Auch die Gremeinde Buochs macht Verbauungen zum Schutze des Dorfes
und der Güter. Die daherigen Opfer beziffern sich auf Fr. 50,000.
Nidwaldens Behörden wollen weder durch den äußern Feind, noch durch
die Schrecknisse der Natur vom Schweizerboden etwas verloren gehen
lassen.
Verkehr.
Straßen.
Der Halbkanton hat Straßen erster und zweiter Klasse. Länge der erstem
34 km. Baukosten für 28,3 km Fr. 675,800. Die übrigen 5,7 km, auf die
Straße von der Kantonsgrenze Luzern bis zur Kantonsgrenze Obwalden entfallend,
wurden von Obwalden erstellt; Nidwalden bestreitet aber die Unterhaltungskosten.
Länge der Straßen zweiter Klasse 38,7 km. Baukosten Fr. 290,600.
Keine Eisenbahnen.
Niederglatt-Wettingen s. Nordostbahn.
NiederlagSY erkehr. Die Niederlagshäuser haben den Zweck, den Zwischen-
handel zu erleichtem, indem sie unverzollte Waaren aufnehmen, welche innerhalb
Jahresfrist entweder zur Einfuhr, zur Durchfuhr oder in ein anderes Niederlags-
haus abgefertigt werden müssen. Mit Bewilligung des eidg. ZoUdepartementes,
welche jedoch nur ganz ausnahmsweise ertheilt wird, können auch verzollte Güter
in die Niederlagshäuser aufgenommen werden. Ausgeschlossen sind die anderen
Gegenständen gefährlichen, die explodirbaren, der Selbstentzündung fähigen, der
Fäulniß oder Gehrung ausgesetzten Waaren. Die Niederlagsgebühr beträgt per
Monat und per 100 kg 10, M oder 30 ßp., je nach der Waarengattung. Hiezu
kommt eine einmalige Einschreibgebühr von 15 Ep. und eine einmalige Waag-
gebühr von 6 — 10 Rp. per 100 kg.
Die Zollverwaltung ist für die den Niederlagshäusern anvertrauten Güter
verantwortlich, soweit ein Verschulden von Beamten in Betracht kommt.
Die Bestimmungen über den Niederlagsverkehr linden sich im Zollgesetz
von 1851 (A. S. II, 541) und in der bundesräthlichen Vollziehungsverordnong
vom 18. Weinmonat 1881 (A. S. n. F. 5, Seite 608).
Eidg. Niederlagshäuser bestehen zur Zeit (Mitte 1887) in Aarao, Basel,
Buchs (Rheiuthal), Chiasso, Genf- Bahnhof und Genf-Freihafen, Lausanne, Locarno,
Lugano, Luzern (nur für Weine), Morges, Rolle (^nur für Weine), Romanshom,
Rorschach, St. Gallen, St. Margrethen, Schaffhausen, Vevey und Zürich, insge-
sammt 19.
Die eidg. Niederlage im Genfer sog. Freihafen und diejenige in Laasanne
stehen unter den Bestimmungen spezieller Reglemente und unterscheiden sich von
den übrigen Niederlagshäusern dadurch, daß in letzteren das ^ru^/ogewicht der
Waaren, in ersteren für gewisse Waaren das .Ve//ogewicht nebst Tarazaschligen
als Grundlage bei der Verzollung dient.
Niederlande s. Holland.
Xiederlassungsverträge — 519 — Nordostbahn
NiederlassungSTerträge bestehen mit Belgien, Dänemark, Deutschland,
Frankreich, Großbritannien, Hawaii, Japan, Italien, Lichtenstein, den Nieder-
landen, den Vereinigten Staaten von Nordamerika, mit Oesterreich-Ungarn, Ruß-
land, Salvador, Spanien.
NoUa-Yerbauung. Die Nolla, ein zeitweise geföhrlicher Bergfluß, fließt
bei Thusis in den Hinterrhein. Sie machte zum Theil die Korrektur des Hinter-
rheins nothwendig und es knüpfte der Bund, als er die Subvention filr die
Korrektur des Hinterrheins bewilligte, die Bedingung daran, daß auch die Nolla
unschädlich gemacht werde. Es werden daher an derselben Verbauungsarbeiten
vorgenommen, die mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Der Bund trägt 50 ^/o
der Kosten bis zum Maximum von Fr. 100,000 (Bundesbeschluß vom 7. De-
zember 1883, A. S. n. F., Bd. VII, pag. 306).
Nonnen. Ihre Zahl betrug im Jahre 1880 1372. Vertheilung auf die
Kantone: 224 St. Gallen, 222 Freiburg, 127 Zug, 120 Luzern, 119 Schwyz,
116 Appenzell I.-Rh., 88 Solothum, 81 Nidwaiden, 78 üri, 70 Graubünden,
62 Wallis, 33 Tessin, 26 Aargau, 4 Obwalden, je 1 Appenzell A.-Rh. und Bern.
Nordbahn. Unter diesem Namen bestand von 1847 bis 1853 eine be-
sondere Gesellschaft für die Linie Zürich-Baden (bauliche J^änge 23,333 m, Be-
triebslänge 23,120 m oder rund 24 km), welche am 9. August 1847 eröffiiet
wurde. Am 1. Juli 1853 ging diese Linie infolge Fusion in's* Eigenthum der
Schweiz. Nordostbahn über (vide Nordostbahn).
Nordostbahn. (Vgl. auch „ Moratoriumslinien *".) Die Schweiz. Nordostbahn
ist das unternehmen einer Aktiengesellschaft, deren Verwaltungssitz in Zürich ist.
Die allgemeine Geschäftsführung und die Betriebsleitung wird durch eine „Direk-
tion'* besorgt. Das Netz der Nordostbahn umfaßt die in der nachfolgenden Dar-
stellung der BetriebserÖtfnungen genannten Linien. Die
Betriebseröffnung hat wie folgt stattgefunden : Zürich Baden (23,333 m
bauliche Länge) am 1. Juli 1853 von der Nordbahn erworben (von dieser am
9. August 1847 eröffnet); Komanshorn-Winterthur (57,492 m) den 16. Mai %
1855, Winterthur-Oerlikon (20,399 m) den 27. Dezember 1855, Oerlikon-Zürich '
(4566 m) den 26. Juni 1856, Baden-Brugg (9034 m) den 29. September 1856,
Winterthur- Schaff hausen (29,858 m) den 16. April 1857, Brugg-Aarau (17,843 m)
den .15. Mai 1858, Turgi- Waldshut (Grenze Mitte ßhein, 15,509 m) den
18. August 1859, Rorschaoh-Roraanshom (14,389 m) den 15. Oktober 1869,
Komanshom-Konstanz (18,706 m) den 1. Juli 1871, Zürich-Ziegel brücke-Näf eis
(59,536 m) den 20. September 1875 mit gleichzeitigem Beginn der Mitbenutzung
der Strecke Nafels-Glarus (Eigenthum der Vereinigten Schweizerbahnen), Winter-
thur-Koblenz (47,233 m) den 1. August 1876, Oerlikon-Bülach (16,270 m) und
Oberglatt-Dielsdorf (4126 m) den 1. Januar 1877, Niederglatt - Wettingen
(18,293 m; den 1. Oktober 1877. Gleichzeitig Verkürzung der Linie Zürich-
Baden um 593 m infolge Verlegung der Bahn bei Wettingen. Glarus-Linththal
(15,752 m) den 1. Juni 1879. Am 16. Juli 1879 Verkürzung der Linie
Komanshom-Konstanz um 245 m infolge Grenzverlegung in Konstanz.
Am 1. Juni 1880 hat die Nordostbahn die bis dahin einen Bestandtheil
der Nationalbahn bildenden Linien Winterthur-Zofingeu (79,682 m) und Suhr-
Aarau (2999 m) erworben und gleichzeitig das mit den Linien Winterthur-
Effretikon und Otelfingen -Wettingen parallel laufende Geleise der Nationalbahn
abgebrochen (13,002 m). Am 1. Oktober 1880 Uebernahme der Ostsektion der
Nationalbahn, bestehend aus den Linien Winterthur-Singen ("43,965 m), Etzwylen-
Konstanz (29,328 m) und Emmishofen-Kreuzlingen (693 m).
Nonlostbahn — 520 — Nordostbahn
Am 1. April 1881 hat die Nordostbahn die Linie Zofingen-Sahr (16,193 m)
und die ideelle Hälfte der Strecke Suhr-Aarau (1748 m) an die Schweiz. Central-
bahn abgetreten. Am 1. Jani 1881 Eröffnung des VerbindangsstUokes Oerlikon-
Seebach (465 m). Im Jahre 1882 bat sich die Bahnlänge der Nordostbahn in-
folge von Geleiseverlegnngen etc. im Ganzen um 240 m verkürzt, im Jahre
1883 aus demselben Grunde um fernere 63 m.
Am 31. Juli 1885 hat die Nordostbahn die Linie Sulgen-Goßau (22,670 m)
und am 31. Dezember 1885 schließlich die Linie EfPretikon-Hinweil (22«157 m)
käuflich erworben.
Das ganze im Eigen th um der Nordost bahngesellschaft befindliche Bahnnetz
hatte Ende 1885 eine Ausdehnung von 542,214 m. Die Betriebslänge der durch
die Nordostbahn für eigene Rechnung betriebenen Linien betrug, ebenfSalls Ende
1885, rund 564 km (genau 563,054 m). Die nächsten
Ruckkaufstermine für den Bund sind auf Grund der Konzessionen
folgende: 1. Mai 1895 für die Linien Oerlikon-Bülach und Oberglatt-Dielsdorf
(20,071 m); 26. Februar 1903 für die Linien Winterthur-schweizerische Grenze
bei Rielasingen und Etzwylen-Eonstanz mit Emmishofen-Kreuzlingeu (zusammen
67,670 m); 9. September 1903 für die Linie Sulgen-Goßau (22,670 m);
22. Dezember 1903 für die Linie Winterthur-Koblenz (47,233 m); 23. Dezember
1903 für die Linie Niederglatt- Wettingen (18,293 m); 20. Juli 1904 für die
Linie ZUrich-Richtersweil (zürcherische Grenze) (26,928 m); 30. Dezember 1904
für die Linie EfFretikon-Hinweil (22,157 m); 1. Februar 1905 für die Strecke
Richtersweil- (zürcher. Grenze) Näfels (32,608 m) und 1. Mai 1903 für sämmt-
liche übrigen in der Schweiz gelegenen Linien (278,272 m). Der Rückkaufs-
termin für die auf badischem Gebiet gelegene Strecke Rielasingen- (Grenze) Singen
(6312 m) ist uns unbekannt.
Bauliche Verhältnisse: Bauliche Länge mit einem Hauptgeleise
423,905 m, mit zwei Hauptgeleisen 118,309 m. Auf 1000 m Bahn entfallen
durchschnittlich 1525 ra Geleise. Von der ganzen Bahn liegen 338,893 m auf
Dämmen, 195,123 m in Einschnitten 3370 m in Tunneln (größter Tunnel
1790 m) und 4828 m auf Brücken (größte Brücke 327,5 m lang). Von der
Betriebslänge liegen 186,106 m in der horizontalen, 376,948 m in Steigungen
oder Gefällen bis zu 20^00, 375,089 m in der Geraden und 187,965 m in
Kurven bis zu 172 m Minimalradius. Mittlere Steigung der ganzen Bahn 4,73 ^/oo;
mittlerer Krümmungshalbmesser für die ganze Bahn 1579 m.
Stationen Ende 1885: 1357*2 eigene und 12*72 in Mitbenutzung. Die
wichtigsten sind: Zürich, Aarau, Winterthur, Romanshorn, Schaffhausen, Ror-
schach, Konstanz, Singen, Brngg, Turgi, Baden, Waldshut, Koblenz, Bülach,
Ziegel brücke, Glanis.
Rollmaterial: Ende 1885 hat die Nordostbahn für den Betrieb des
eigenen Netzes und der Bötzbergbahn (zusammen 622 km) besessen : 138 Loko-
motiven von durchschnittlich 254 Pferdekräften und einem mittleren Leergewicht
von 30,6 Tonnen, 470 Personenwagen mit 20,210 Sitzplätzen und 2432 Güter-
wagen mit 26768,5 Tonnen Tragkraft.
Betriebspersonal im Jahre 1885: 3764 Personen für den Betrieb von
689 Bahnkilometer oder 5,46 per km.
Verkehr s(ni an titäten : 1884 1885
Tägliche Züge über die ganze Bahn . . . n 12,93 13,35
Mittlere Zahl der Wagenachsen per Zug . ^ 26,61 25,1 s
Reisende per Jahr 5^497,024 5^696,776
Nordostbahü — 521 ^-* Normalbahnen
Gepäck, Thiere und Güter per Jahr . . . t 1^530,828 1*545,383
Personenkilometer im Gknzen n 108^899,084 114^394,569
Tonnenkilometer (Gepäck, Thiere, Güter) im
Ganzen 79784,585 80^432,847
Fersonenkilometer per Bahnkilometer ... « 201,292 211,450
Tonnenkilometer per Bahnkilometer . . . „ 147,476 148,674
Betriebseinnahmen :
Ertrag des Personentransportes Fr. 4^898,604 5^125,485
Ertrag des Gepäck-, Thier- und Gütertransportes ^ 7'983,337 7'773,b37
Verschiedene Einnahmen ^ 1'030,409 1^322,610
Gesammteinnahmen , 13^912,350 14*221,132
Einnahmen per Bahnkilometer , 25,716 26,287
Einnahmen per Nntzkilometer „ 5. 28 5. 22
Einnahmen per Achskilometer Cts. 20,63 20,74
Betriebsausgaben :
Reine Betriehskosten Fr. 5'852,681 6*188,596
Verschiedene Ausgahen „ 962,301 1'260,002
Gesammtausgaben ^ 6*814,982 7*448,598
Aasgaben per Bahnkilometer 12,597 13,768
Nutzkilometer „ 2.59 2.73
Achskilometer Cts. 10,11 10,86
r in Prozenten der Einnahmen . . ^/o 48,99 52,38
Mittlerer Zinsfuß der Anleihen .... , 4,39 4,38
Dividende für Prioritätsaktien . (6,00)») 6,00
„ „ die sämmtlichen Aktien . . ^ (1,25)^) 1,25
Biiam auf Ende 1885: ^*^«;'«" P^ssbien
Bankonto 14 11 70,204 —
EmissionsverluHte auf den Aktieu .... 696,467 —
Zu amortisirende Verwendungen .... 24*494,471 —
Betheiligung an Gemeinschaftsbahnen . . 27^612,322 —
Verwendungen auf Nebengeschäfte . . 2*295,849 —
Verfügbare Mittel 19*855,964 —
Aktien (Fr. 1 1 *000,000 Prioritäten) . . . — 53*000,000
Consolidirte Anleihen — 147*850,000
Schwebende Schulden — 4*432,027
Spezialfonds — 7*255,945
Aktivsaldo der Gewinn- und Verlustrechnung — 3'587,305
Total 216*125,277 216*125,277
Baukonto Ende 1885 : ''" ?5"^«" ^^^ Bahnkm.
* r. r r.
Bahnanlagen und feste Einrichtungen. . 116*955,331 215,700
Rollmaterial 22*217,187 35,719
Mobiliar und Geräthschuften .... 1*997,686 3,684
Total 141*170,204 255,103
Normalbahnen. In der schweizerischen Eisenbahnstatistik werden die
Eisenbahnen eingetheilt in die vier Kategorien; A. Normalbahnen, B. Spezial-
bahnen, C. Drahtseilbahnen und D. Tramways.
»J Im Jahre 1886 bezahlt Fr. 660,000.
r>ie in <ier .*^.hweiz jp^lefeimn yonnalhahnen hacten Ende 1«85 emen Um-
fviif^ von '2 lln^hll m hanlicher T^n«*^ tiiul 2'7*)5.034 m oder nuid 2766 km
F>trmbfllüniii^f^. Za den Normal bahnen werden folgende üntemehmnngen Kerediiiet:
f>ntral>rfihn inkl. Etaler Verbindnng»balin}, Aarganüche Sadbaho, Wohien-Brem-
garten, Kmmenthalbahn., Gonhardbahn, Jara-Bem-Laxem-Bahn inkl. Jura nea-
ehAteloiA, Bern - Lnzem - Bahn, B^deiibahn. NordrjHftbalin. Zorich - Zog • Luent,
B<;tssKergbahn , HeetbalKahn , Snuite ^Jncidentale . Balle - Rom ont , TSfiduklbahn,
Traver»-Ht. Hnlpice. Vereinig Sehweizerbahnen, ToggenbargerbaluL, Wald-Rftti,
Rappernweil 'Ffäf fikon, Wädenaweil-Eini^iedeln. r^wie die Strecken aoälandii-cher
KiRenbahnnntemebmnngen, welche anf Schweizergebiet gelegen sind, nämlich:
Hn Theil der Grh, Badiücben Suatabahnen >fin den Kantonen Ba^ektadt und
HehafT hangen j, ein Theil der K. K. OeAterr. Staat«bahnen im Kanton St. Gallen)
nnd die der Pari«-Lyon-llediterranee gehörende Strecke GenM^ Plmine; die
KlAa(^(>>thnng. Bahnen nnd die italienischen EiÄcnbahnen kommen hier nar mit
Be9!ng atif die BetriehAJänge in Betracht. Nähere Mittheilnngen über die oben
genannten Bahnen tinden »ich nnter den enU^prechenden Schlagwörtern.
Notenbanken« Zn den aof Seite 5^i4 I. Band) erwähnten Emiasionsbanken
hat. »ich, an Stelle ^tr Solothnmiflchen Bank, am 1. Jannar 1886 die Solothnmer
Kant/inalbank mit «-inem einbezahlten Kapital von Fr. 5*000,000 und einer vom
Bnridefirath t>ewiliigten EmiMiion von Fr. H'OW,000 ge«ellt. Dadurch ergibt
Hieh pro IHHO filr die FlmiiMionübanken folgender Status:
KrniHrtionnbanken 553. Kinbezahltes Kapital Fr. 12r774,000. Notenemission
Fr. i;57 HH0,^HlO. Notenzirkulation Fr. 127'064,(X>0 = 92,1% der Emission.
Genetzlir.he }5aarHchaft Vr. f>ü'723,(X»<) = :>'2,:}^o der Zirkulationssumme.
(Mitral pHtraMse (MiiitärHtraße). F>baut in den Jahren 1863/64, fühi-t diese
Htraüe von Ariderinatt, von der Gotthardhtraße abzweigend, über die Oberalp
(VuüiDhi- 2052 m Ü.M.), dem Oheralpsee (20.31 m ü. M.) entlang in das Vorder-
rhcinthul, dem Rheine folgend über Sednin nach Dirssentit«, wo sie sich mit der
Jiijkiii«ni«rMtra(i<; v<T(;iriigt.. Die Länge l)eträgt 31,7 km, die Fahrbahnbreite
1,H rn. \U'r iJiind Hubvmtionirte den Bau diener Straße, deren Erstellungskosten
Hul' eil. Fr. r.:jH,<K)0 kamen, mit Fr. :550,000. Bundesbeschluß vom 26. Juli
\H{\\ (A. S. IM. VII, piig. 70).
iM»nr<^ HtniHH« IIb er Julier und Maloja. Die Straße führt von Chur
naeh Tir.frnknHt('n und über den Julier (Paßhöhe 2287 m ü. M.) nach Silvaplana
im Obrrengadin, Irrncir Ul)er den Maloja (Paßhöhe 1811 m ü. M.) nach Castasegna
nn der ÜaliriiiNehen (Ininzr. Ihre Länge beträgt 103 km, die Fahrbahnbreite
h m. Die KrH^'Hun^Hkostcn betragen Fr. 1'384,000. Die Julierstraße wurde
IH20 begonnen und lH2r) vollendet. Die Straße über den Maloja, resp. die
StrfM'ke Silvnplurui-i/UHaeciji wurde in den Jahren 1827 und 1828 ausgeführt.
\\\H Knde «leM Jahres 1H40 gelangten auch die übrigen Straßenstrecken (Chur-
Htnllii und ('aMiieeia-italieniHdie Grenze) zur Vollendung. (Vgl. „Bavier, Straßen
iler SrhwtMX», Verlag von Grell Füßli v-t Co.)
ilborglutt-DiüUdorf s. Nordostbahn.
ilboritulioiiischo Itahnon a. Alta Italia.
iHiNttmii. (Mitgetheilt von Herrn Heinzelmann, Obstbaulehrer am
Seminar Mariulu^rg in UorNtdinch.) Nach den neuesten Zählungen und Schätzungen
boHitxt flie Sehw(MX ea. 11 Millionen Obstbäume. Bei einem jährlichen Durchschnitts-
iTting von Fr. 2 pi*r Baum ergibt sich ein Gesammtnutzen von 28 Millionen
FrankiM» oder ein Kapital ^erth des Obstbaumbestandes von 700 Millionen Franken.
^H. aueh den Sehluß des Artikels.)
Obstbau — 523 — Obstbau
Der Obstbau zerfällt in den Wirthschafts- und in den feinen Obstbau.
Ersterer bestebt im Anbau von Most-, Kocb- und Dörrobst, letzterer im Anbau
von Tafelobst. Der Wirtbscbafts-Obstbau beschäftigt sich mit den hochstämmigen-,
letzterer mit den Zwergobcbäumen. Erstere finden wir hier zu Lande auf Wiesen,
Feldern und Gärten, seltener an Landstraßen, Wegen, Eisenbahndämmen,
Böschungen etc., letztere finden sich hauptsächlich in Gärten, an Grebäuden,
Mauern und Zäunen. Für die Schweiz ist besonders der wirthschaftliche Obstbau
von großer Bedeutung, weil es sich um Massenproduktion von Most-, Dörr- und
Eochobst und um intensive Aasnützung des Kulturlandes handelt. Von Obstarten
werden hauptsächlich angebaut : Birnen, Aepfel, Kirschen, Pflaumen, Zwetschgen,
Nässe, Aprikosen, Pfirsiche. Bei der Anpflanzung von Obstbäumen muß man
hauptsächlich darauf Rücksicht nehmen, daß jede Baumart den richtigen Standort
und Boden erhält.
Der Apfelbaum ist in Bezug auf den Boden sehr genügsam. Er geht
mit seinen Wurzeln mehr in die Breite, eignet sich daher auch noch für flach-
grundiges Terrain. Kiesiger, hitziger Boden sagt ihm aber so wenig zu als Nässe
im Untergrund, in beiden Bodenarten ist er sehr dem Krebs unterworfen. Bei
richtiger Sortenauswahl gedeiht er auch in hohen Lagen noch gut.
Der Birnbaum verlangt, weil seine Wurzeln mehr in die Tiefe gehen,
eine große Bodentiefe und einen lockeren Untergrund, wenn derselbe auch nicht
gerade reich an Nährstoffen ist. Die Wirthschaftssorten kommen in ziemlich
feuchtem Boden noch fort, Kalkboden sagt ihnen besonders gut zu. Die Tafel-
sorten verlangen warme geschützte Lagen und guten Boden. Bei richtiger Aus-
wahl des Standortes und der Sorten kommen die Birnen bis zu einer Höhe von
1000 m über Meereshöhe noch fort.
Von dem Kirschbaum läßt sich sagen, daß er in allerlei Boden fort-
kommt oder besser gesagt, in neuerer Zeit in allen Bodenarten kränkelt. Am
besten sagt ihm trockener Boden zu, Nässe kann er nicht ertragen. Gut gedeiht
er au sonnigen, trockenen Abhängen. Sauerkirschen sind in Bezug auf den Boden
weniger anspruchsvoll ; sie gedeihen am besten in den Hausgärten mit kräftigem
Boden. Der Kirschbaum findet sich noch in einer Höhe von 1100 bis 1200 m
über Meer.
Die Zwetschgen- und Pflaumenbäume verlangen fruchtbaren Boden
und können sehr viel Feuchtigkeit ertragen. Die Zwetschgen tragen die größten
und saftigsten Früchte an Wasserläufen; die Edel pflaumen in Gärten.
Der Nußbaum verlangt einen freien sonnigen Stand und warmen Boden.
Er leidet oft von Frühjahrsfrösten. Paßt, weil er viel Schatten wirft, nicht auf
Felder und Wiesen.
Pfirsiche und Aprikosen gedeihen in der Scweiz am besten an süd-
licher oder ostlicher Lage eines Spaliers. Doch können dieselben in den Wein-
gegenden auch als Hochstämme, in geschützten Gärten und namentlich in sonnigen
Weinbergen angebaut werden. Zu diesem Zwecke sind besonders die Pfirsich-
sämlinge geeignet.
Die Eßkastanie verlangt einen geschätzten Standort und guten, warmen
Boden.
Die Quitte, weichein neuerer Zeit immer mehr angepflanzt wird, verlangt
einen nahrhaften, mäßig feuchten Boden. Man pflanzt sie als Hochstämme und
Halbhochstämme am besten in den Garten.
Die Zwergbaumzucht (Spalierzuchl). Zwergbäume werden solche Bäume
genannt, die einen kurzen Stamm von 30 — 40 cm Höhe haben, von dem aus
Obstbau — 524 — Obstbau
sich die Aeste in einer bestimmten Form ausbreiten. Die Zwergbaumzuoht ist
schon alt; sie hat sich von Frankreich aus auch bei uns eingebürgert, erfreut
sich aber erst seit neuerer 2jeit einer allgemeinen Verbreitung. Gegenüber den
Hochstämmen gewähren die Zwergbäume folgende Vortheile : 1) Sie tragen größere,
bessere und schönere Früchte, als die Hochstämme; 2) sie beanspruchen wenig
Kaum, so daß es auch demjenigen möglich wird, Obst zu pflanzen, der nur ein
kleines Grärtchen hat oder nur über eine Wandfläche verfügt; 3) sie tragen
schon 3^-4 Jahre nach der Anpflanzung und liefern dann eine lange Reihe von
Jahren fast ununterbrochen reichliche Ernten, und da die Früchte gut bezahlt
werden, liefern die Bäume einen verhältnißmäßig hohen £rtrag ; 4) da die Bäume
nieder sind, kann man sie leicht überwachen, alle Arbeiten leicht ausführen, sie
vor Frost, Wind und Ungeziefer und andern nachtheiligen Einflüssen schütz^i.
Seit einer Reihe von Jahren ist man allseitig bemüht, die Zwergbaumzucht
zu fördern. Die Erfahrung hat gezeigt, daß in der Schweiz Klima und Boden
sich für diese Kultur größtentheils ganz vorzüglich eignen. Die Obstausstellongen
in Luzern, Zürich, Weinfelden und andere haben zur Evidenz bewiesen, daß
man in der Schweiz ebenso schöne Spaliere und ebenso schöne Früchte ziehen
kann, wie anderswo. Soll jedoch die Zwergbaumzucht befriedigende Resultate
liefern, so verlangt dieselbe auch die genaueste Kenntniß der dabei vorkommen-
den Verrichtungen und die aufmerksamste Pflege der Bäume. Die fehlerhafte
Behandlung der Bäume und die falsche Wahl der Unterlagen und Sorten ist die
Ursache der vielfach anzutreffenden unbändigen Holztriebe und daherigen Un-
fruchtbarkeit der Gartenobstbänme.
Man theilt die Zwergbaumformen ein in freistehende und solche, welche
an •Gestellen (Trillagen, Spalieren) gezogen werden. Zu erstem zählt man die
Pyramiden und Spindeln, zu letzteren Palmetten (Spaliere), wagrechte, senkrechte
und schräge Cordons, belgische Cordons (sogenannte Obsthecken) und die Kessel.
Alle Obstsorten mit Ausnahme der Pfirsiche und Aprikosen können im Freien
angepflanzt, Pfirsiche und Aprikosen können nur in mildem Lagern, an süd-
lichen, südöstlichen oder südwestlichen Wänden, wo sie die nöthige Wärme und
den nöthigen Schutz vor der Ungunst der Witterung finden, mit Vortheil ge-
zogen werden.
Die Pyramide. Sie eignet sich vorzugsweise für Birnen und Aepfel; es
können jedoch auch Kirschen und feine Zwetschgen in dieser Form erzogen
werden. Ihren besten Standort findet sie auf den Gartenrabatten oder in den Ecken
der Gemüseländereien ; man pflanzt sie ca. 1 m vom Weg entfernt. Die Pflanzen-
weite auf den Rabatten beträgt ca. 3 m.
Die Spindel. Sie eignet sich besonders für kleine Hausgärten, weil sie
wenig Raum einnimmt und somit mehr Bäume und mehr Sorten auf einem kleinen
Raum kultivirt werden können. Ihre Erziehung ist eine viel leichtere als die der
ihr nahe verwandten Pyramide. Birnen und Aepfel können mit Vortheil als
Spindeln gezogen werden. Namentlich der Birnbaum eignet sich für diese Form.
Die l*flanzweite beträgt 1 — IV2 m.
Die Palmetten. Ueber den vielen Palmettenformen verdient die Palmette
mit schrägen Aesten und die Verrierpalmette den Vorzug. Letztere ist besonders
empfehlenswerth, weil man mit ihr im Stande ist, die Wandflächen vollständig
auszunützen. Auch ist das Gleichgewicht am leichtesten zu erhalten, weil die
untersten Aeste die längsten und somit auch die stärksten sind.
Die Palmetten oder Spaliere eignen sich für Kern- und Steinobstbänme.
Die Pflanzenweite beträgt für die gewöhnliche Palmette 3-4 m, bei der Verrier-
Obstbau — 525 — Obstbau
palmette richtet sich die Entfernung der Bäume nach der Anzahl der Etagen ;
80 beansprucht z. B. eine Verrierpalmette mit zwei Etagen einen Raum von
1,20 m, für jede weitere Etage beträgt die Entfernung 60 cm mehr.
Wagrechte Cordoyis. Ihre Form eignet sich gut für tragbare, nicht zu
stark triebige Aepfel- und Bimsorten; ferner zur Einfassung von Rabatten und
Wegen in den Grärteu. Man pflanzt sie 2^1% — 3 m auseiander.
Senkt ecJite Cordons, Diese eignen sich besonders gut für Birnen auf
Quitten veredelt, wenn es sich darum handelt, eine hohe Wand in kürzester
Zeit zu bedecken. Man pflanzt nur Sorten von ziemlich gleichem Wüchse und
gibt dem Bäumchen einen Abstand von 50 cm.
Doppelte senkrechte Cordons (Ü-Form). Diese kleine Form eignet sich für
schwachtriebige Birnen-, Aepfel- und Pflrsichsorten und zur Bekleidung hoher
Wände. Die Pflanzweite beträgt 60 cm.
Schräge Cordons (Cordon oblique). Zur schnellen Bekleidung hoher Wände
und Spaliere ist diese Form gut geeignet. Man kann alle Obstsorten in dieser
Form erziehen. Die Pflanzweite beträgt für Kernobst 50 cm, für Pfirsiche 1 m.
Zweiarmige schräge Cordons. (Belgische Obsthecken). Dieselben eignen
sich zur Umfriedigung von Gemüsegärten und zur Bekleidung niederer Wände.
Es eignen sich nur mäßig wachsende, tragbare Birn- und Apfelsoii;en für diese
Form. Die Pflanzweite beträgt 50 cm.
Der Kesselhaum. Die Kesselform eignet sich am besten für den Apfelbaum ;
es können jedoch auch Birnen, Pflaumen, Kirschen, Stachel- und Johannisbeeren,
in dieser Form erzogen werden.
Beerenobstzucht. Die Kultur des Beerenobstes verdient von Seite der
Landwirthe und Gartenbesitzer die größte Beachtung, weil die Früchte sich auf
mannigfache Art und Weise verwerthen lassen, weil das Beerenobst jedes Jahr
bedeutende und sichere Erträge liefert und somit die Kultur desselben eine nicht
zu unterschätzende Einnahmequelle bietet. Zudem macht das Beerenobst in Bezug
auf Boden, Klima und Lage keine großen Ansprüche. Hier zu Lande kommen
hauptsächlich in Betracht die Himbeeren, Stachel- und Johannisbeeren, die Brom-
beeren und die Erdbeeren; namentlich sind es die Johannisbeeren, welche in
neuester Zeit massenhaft zum Zwecke der Weinbereitung angepflanzt werden.
Die Himbeere. Dieselbe gedeiht am besten in einem mäßig feuchten Boden
und in einer halbschattigen Lage ; sie kommt auch in ganz schattiger Lage noch
gut fort. Man pflanzt im Herbst oder Frühling kräftige Setzlinge in 3 — 4 Fuß
von einander entfernten Reihen, die Pflanzen in der Reihe 1 Ya Fuß voneinander.
Vor dem Einpflanzen muß die Erde gut gelockert werden. Man erzieht sie ent-
weder am Draht oder am Pfahl. Drahterziehung ist die billigste und beste.
Die Stachel' und Johannisheersträudter gedeihen in jedem Boden, ver-
langen aber viel Dünger. Man pflanzt dieselben entweder als Hecken, auf Ra-
batten oder zusammen auf Beete 1 m weit von einander im Verband. Die beste
Pflanzzeit ist der Herbst. Man pflanzt kräftige zweijährige Stöcke, schneidet sie
an der Wurzel und an den Zweigen etwas zurück. Die erträglichste Form ist
die Buschform, auf den Rabatten in Gärten erzieht man sie mit Vorliebe als
kleine Hochstämme. Um große Früchte zn erziehen, müssen die Stöcke von Zeit
zu Zeit verjüngt werden. Die besten Sorten Johannisbeeren sind die rothe und
gelbe holländische und die rothe Kirschjohannisbeere. Von Stachelbeeren empfehlen
sich folgende großfrüchtige Sorten: Ringer, größte, gelbe; Stockwell, grüne;
London, lange, rothe; Antogonist, lange, weiße.
Obstbau — 526 — Obstbau
Auch die Brombeere wird in der Scweiz in neuerer Zeit mehr angebaut.
Sie eignet sich gut zur Bekleidung von Mauern und Wänden, zur Umfriedigung
von Grundstücken und zu Anpflanzungen im freien Lande, ähnlich den Himbeeren.
Ihre Behandlung ist dieselbe wie bei den Himbeeren.
Die Erdbeere verlangt eine sonnige Lage und starke Düngung. Die beste
Anpflanzungszeit ist der Monat August. Man pflanzt sie entweder als Einfassung
den Rabatten entlang oder auf besondere Beete. Die Pflanzweite beträgt 30 — 40 cm.
Die großfrüchtigen Sorten (Ananas) vermehrt man durch Auslaufe, die Mouats-
erdbeeren durch Theilung, seltener durch Samen. Gute Sorten sind ; Margueritte,
Helvetia, Juranda, Duc de Malakoff, Mai-Königin, White pine apple (weiß),
König Albert.
Obstsorten.
Man theilt die Obstarten ein in Kernobst, Steinobst, Schalenobst and
Beerenübst.
Zum Kernobst zählen: Aepfel, Birnen, Quitten, Mispeln und Speierlinge.
Zum Steinobst: Aprikosen, Pfirsiche, Pflaumen, Zwetschgen, Kirschen und
AVeichseln.
Zum Schalenobst : Mandeln, Wallnüsse, Haselnüsse und die ächten Kastanien
(Maronen).
Zum Beerenobst: Johaunis-, Stachel-, Erd-, Him-, Brom-, Heidel- und
Preiselbeeren.
Nach der Art der Verwendung theilt mau das Obst ein in Tafelobst (Eß-
obst)^ und Wirthschaßsobst ; letzteres zerfällt wieder in Koch-, Dörr-, Most-
und Konservenobst. Unter Tafelfrüchten versteht man solche, welche durch ihr
feines Fleisch und ihren guten Geschmack zum Rohgenuß sich eignen. AU
Wirthschaftsobst bezeichnet man dasjenige, welches seines groben Fleisches und
minder guten Geschmackes wegen weniger gut zum Essen als zum Kochen und
Dörren sich eignet. Mostobst ist solches, welches rauh, herb und hart ist und daher
weder zum Rohgenuß noch zum Kochen taugt. Je nach der Vorzüglichkeit der
einzelnen Sorten für diesen oder jenen Gebrauch macht man innert den Klassen
wieder Abstufungen und sagt z. B. Tafelsorte ersten, zweiten und dritten Ranges
oder Mostsorte ersten oder zweiten Ranges etc.
Nach der Reifezeit theilt man das Obst ein in; Sommer-, Herbst- und
Winterobst. Als Sommerfrüchte bezeichnet man solche, welche bis Mitte September
völlig reif sind und vom Baum weg genießbar sind. Die Sommerfrüchte sind
nach eingetretener Reife bald vorüber, sie werden bald mehlig und geschmacklos.
Zu den Herbstfrüchten zählt man diejenigen Sorten, welche von Ende September
bis Ende Nobember genießbar werden. Direkt vom Baume sind in der Regel die
Herbstfrüchte nicht genießbar, erst durch das Lagern erreichen sie ihre volle
Güte. Als Winterfrüchte werden solche bezeichnet, welche vom Monat Dezember
an ihre Lagerreife erlangen. Man läßt die Winterfrüchte bis zum Eintritt des
Frostes an den Bäumen hängen (bei früher Abnahme werden die Früchte welk).
Die Lagerreife tritt je nach der Sorte verschieden ein. Bei guter Aufbewahrung
halten sich manche Birnsorten bis April und Mai und manche bessern Apfel-
sorten bis in den Sommer,
Die Auswahl der Obstsorten spielt bei der Obstkultur eine ganz bedeutende
Rolle, denn es hängt die Rentahilität derselben hauptsächlich davon ab, daß man
hier das Richtige trifft.
Die Zahl der in der Schweiz angebauten Obstsorten ist eine sehr große,
ja leider viel zu große. Die hervorragendsten Sorten werden in zu kleinem
Obstbau — 527 — Obstbau
Maßstabe angepflansst, um zu einem größeren Renomm6 zu kommen. Es sollte
daher das Bestreben aller Vereine, welche als Devise die Förderung des Obst-
baues auf ihre Fahne geschrieben haben, in erster Linie darauf gerichtet sein ;
die Zahl der anzubauenden Sorten möglichst zu beschränken. Denn nur bei dem
Anbau weniger aber erprobter Sorten findet man seine Rechnung. Bäume von
gleicher Sorte reifen zu gleicher Zeit, können gleichmäßig bewacht, geerntet und
verwendet werden.
Wie schon gesagt, besitzt die Schweiz eine große Zahl von Obstsorten.
Der landwirthschaftliche Verein der Schweiz hat mit Hilfe der Pomologen
des Landes ein Werk geschaffen, ^) welches die in der Schweiz vorzugsweise
gepfianzten und theil weise werth vollen Obstsorten beschreibt und sie in natur-
getreuen Abbildungen darstellt. Da das Lexikon von den in diesem Obstbilder-
werk beschriebenen Sorten theils schon Notiz genommen, theils noch nehmen
wird, haben wir von der Aufzählung dieser Sorten Umgang genommen. ^) Wir
führen nachstehend diejenigen Sorten auf, welche in der Schrift, betitelt: „Be-
schreibung schweizerischer Obstsorten", ") in der Monatsschrift für Obst und
Weinbau, Organ der schweizerischen Obst- und Weinbauvereine, sowie in andern
schweizerischen Schriften über Obstbau enthalten sind.
Da aber von Jahr zu Jahr zum Theil werthvoUe Sorten gefunden und auch
von den Nachbarländern eingeführt werden, so sind selbstverständlich viele Sorten
noch nicht beschrieben und daher auch in weiteren Kreisen noch nicht bekannt.
Diese sogenannten Lokalsorten sind nicht selten vorzügliche Wirthschaftssorten,
so daß es sich wohl der Mühe lohnt, dieselben aufzusuchen und weiter bekannt
zu machen. £s sind:
Aepfel:
Ahuser. Ein im Kt. Schwyz verbreiteter guter Koch- und Dörrapfel. Der
Baum ist sehr tragbar.
Albisser (Welscher Grünach). Im Kt. Zürich heimisch. Chroße, hochgebaute
Wirthschaftsfrucht ersten Ranges. Reifezeit Oktober. Der Baum wächst langsam,
ist aber «ehr fruchtbar.
AWiäitserapfel (Luzern). Eine kleine vorzügliche Wirthschaftsfrucht, welche
im November reift. Der Baum wächst kräftig und ist sehr tragbar.
Astrakan, rother und weißer. Zwei gute Sommertafeläpfel, welche häufig
in den Gärten als Zwergbäume angepflanzt sind.
August Ramhur (Kt. Zürich). Großer und schöner Frühapfel, guter Eß-
und Kochapfel. Baum wüchsig und tragbar.
Bernhardzeller- Holzapfel (Kt. St. Gtillen). Kleiner plattrunder Winter-
apfel, gut zum Kochen, Dörren und Mosten. Reifezeit November, hält bis iu den
Sonuner. Baum mittelgroß, reichtragend.
Bernhauser-Apjel (Rothapfel), (Kt. Thurgau). Gute mittelgroße Wirth-
schaftsfrucht. Reifezeit November. Baum mittelgroß, ziemlich tragbar.
Bemhardsapfel (Kt. Unter walden). Frucht groß und schön. Gut für die
Tafel und die Wirthschaft. Reifezeit November.
Brodbecks ' Liebling (Kt. Baselland). Mittelgroßer Tafelapfel. Reifezeit
Oktober. Baum kräftig, wohlgebaut, tragbar.
*) , Schweizerische Obstsorten", audi «pomologisches Bilderwerk* j^enannt, Verlag
der lithographischen Aostalt von J. Tribelhorn in St. Gallen.
^ Eine Rekapitulation derselben findet sich am Schlüsse dieses Abschnittes.
*) Beschreibung schweizerischer Obstsorten, bearbeitet von der Kommission für
Obstbescheibung Frauenfeld. Druck und Verlag von J. Huber.
Obstbau — 528 — Obstbau
Bläiiler (Blauapfel). Unter diesem Namen kommen fast in jeder Gregend
Sorten vor. Sie zählen durchgebends zu den Mostsorten.
Callvill vmi Yverdon (Kt. Waadt). Großer schöngefärbter Tafelapfel.
Reifezeit Janaar bis März. Baam starkwtlchsig nnd sehr tragbar.
Casperap/el (Kt. Appenzell). Ein kleiner, rothgestreifter, reinettenartiger
E£- und Wirthsühaftsapfel. Reifezeit November. Der Baum ist starkwttchsig und
sehr fruchtbar.
Cardinal, rother. Eine im St. Gallischen Rheinthal verbreitete große Apfel-
Horte, welche sich gut zum Kochen eignet. Reifezeit Oktober. Der Baum wird
groß und ist tragbar.
Cellini, Mittelgroßer, schöner Tafelapfel, welcher im September reift. Der
Baum ist sehr tragbar. Diese neuere Sorte wird vielfach in den Gärten angepflanzt.
Eierapjel (Kt. Appenzell). Ein kleiner eirunder Mostapfel, welcher im
September reift. Der Baum ist gesund und trägt reichlich.
Frenndapjel (Kt. St. Gallen). Ein im St. Gallischen Rheinthal vielver-
breiteter, sehr guter Streifling.
Frequin, rother. Vorzüglicher, süßer Mostapfel. Baum sehr starkwüchsig.
Gut zur Zwischenveredlung.
Fraurothacher, neuer (Kt. St. Gallen). Eine dem alten Fraurothacher sehr
ähnliche Sorte, ohne jedoch dessen Gute zu erreichen. Der Baum wird etwas
größer als der der alten Sorte.
Oöttif/hofet' (Kt. Thurgau). Eine sehr alte, haltbare Wirthschaftssorte. Der
Baum wird mittelgroß und ist sehr tragbar.
Gruniker (Granacher), (Kt. Zürich). Frucht klein, Schale gelbgrün und
etwas gestreift. Guter Dörr- und Mostapfel, welcher im Dezember reift, sich aber
sehr lange hält. Der Baum wird ziemlich groß und ist sehr ergiebig.
Haldenapfel von Zug (Kt. Zug). Dieser schöne und gute Wirthschaftsapfel
reift im Oktober und hält bis zum Frühjahr. Der Baum wird mittelgroß, trägt
bald und sehr reichlich.
Hordapfel (Kt. St. Gallen). Frucht klein. Sehr gut zum Mosten. Baam
kräftig und sehr reich tragend.
Hed in (/er- Apfel (Kt. Zürich). Schöner Koch- und Mostapfel. Reifezeit Oktober.
Baum mittelgroß und tragbar.
Hermanns Goldreinette (Obwalden). Frucht mittelgroß. Gut für Tafel- und
Wirthschaft. Reifezeit November. Baum mittelgroß, sehr fruchtbar.
Honifjapjel (Kt. Graubünden), (Romanisch Meila-Mel). Kleiner rothgestreifter
Apfel mit honigsüßem Fleisch, welcher im Oktober reift und sehr lange hält.
Der Baum ist sehr fruchtbar.
Kappeier- Apfel (Kt. Luzern). Ein kleiner Streifling, der sich gut zum Mosten
eignet. Reifezeit November. Baum klein, sehr fruchtbar.
Kaiser Alexander, Sehr großer, schöner und guter Oktoberapfel. Baam
mittelgroß, sehr tragbar.
Kernaeher (Kt. Zürich). Diese gute Wirthschaftssorte ist von mittlerer
Größe. Sie reift im Oktober und hült bis zum Frühjahr. Der Baum wird groß
und ist ziemlich tragbar.
Klinf/ler (Kt. Zürich). Frucht klein. Schale hellgelb, Sonnenseite roth gestreift.
Reifezeit Oktober bis März. Gute Most- und Dörrfrucht. Baum groß und tragbar.
Kleiner Zärvhe)' Nathapfel (Quittenapfel), (Kt. Zürich). Man nimmt an,
es sei diese Sorte identisch mit dem Baarapfel. Frucht mittelgroß, Schale gelb.
Reifezeit November. Baum mittelgroß und tragbar.
Obstbau — 529 — Obstbau
Kuyelapfel (Kt. ZUi-icb). £iD großer Apfel, der sich gut zum Mosten uud
Kochen eignet. Baum wüchsig.
Kupferschmid, saurer. Ein dem Franrothacher ähnlicher kleiner Mostapfel.
Der Baum wird groß und ist ziemlich tragbar.
Langstieier (Kt Schaffhausen). Mittelgroße Wirthschaftsfrucht, welche im
November reift. Der Baum wächst kräftig, ist sehr anspruchslos und sehr tragbar.
Margaler (Kt. Zürich). Guter Tafelapfel, welcher sich bis in den Sommer hält.
Mailänder (Rossiker). Eine in den Kantonen Bern, Aargau und Zürich
stark verbreitete große Wirthschaftssorte. Der Baum wächst rasch, wird groß
und ist auch ziemlich tragbar.
Mötteliapjel (Kt. St. Grallen). Ein kleiner Mostapfel, welcher im Dezember
reift. Der Baum wächst schnell und ist tragbar.
Pflasterapfel (Kt. Zürich). Mittelgroße vorzügliche Wirthschaftsfrucht. Baum
stark wüchsig und sehr tragbar.
Räbenapfel oder Rübenapfel . (Kt. Appenzell). Frucht mittelgroß, gut zum
Kochen.. Reifezeit Oktober.
Rofhenhattser-HolzapfeL Im Kt. Thurgau einer der gesuchtesten Mostäpfel.
Der Baum wächst langsam, bildet eine schöne Krone und trägt alljährlich.
Rother und weißer Heidenapfel (Obwalden). Beide Sorten, nur durch die
Farbe verschieden, sind vorzügliche Wirthschaftsfrüchte. Die Bäume sind spät-
blühend und daher regelmäßig tragbar.
Rother Holzapfel (Kt. Appenzell). Frucht klein, Schale dunkelroth. Reifezeit
Oktober. Vorzüglich zur Mostbereitung. Der Baum bleibt klein, er ist sehr fruchtbar.
Rothapfel (Kt. Appenzell). Diese für die Tafel und Wirthscbaf t gute Ge-
birgsfrucht ist von mittlerer Größe und gelber Farbe. Der Baum wächst kräftig
und trägt fast alljährlich.
RotJier und weißer Sprüngler (Kt. Appenzell). Zwei nur durch ihre Farbe
von einander verschiedene Gebirgssorten von mittlerer Größe. Beide Sorten eignen
sich zum Essen und Kochen.
Röslerapfel (Kt. Appenzell). Diese für hohe Lagen geeignete Wirthschafts-
sorte ist mittelgroß. Sie reift im November und hält bis in den Sommer. Der
Baum ist mittelgroß und sehr fruchtbar.
Rodler Mai'gretfienapfeL Kleiner, sehr früher Tafelapfel. Baum gut wachsend
und sehr fruchtbar.
Saurer Usterapfel (Kt. Zürich). Diese Tafel- und Wirthschaftsfrucht ist
mittelgroß und hellgelb gefärbt. Sie reift im Oktober. Der Baum ist dauerhaft
und sehr tragbar.
Salomonsapfel (Kt. Thurgau). Dieser dem Franrothacher ähnliche vor-
zügliche Wirthschaftsapfel reift im Dezember und hält bis in's Frühjahr. Der
Baum wird nur mittelgroß und ist überaus fruchtbar.
Seegäßler, Diese in den Kantonen Zürich, Thurgau und St. Gallen ziemlich
stark verbreitete Sorte ist klein bis mittelgroß, vorzüglich geeignet zur Most-
bereitung. Reifezeit November. Baum mittelgroß und sehr tragbar.
Saueracher (Kt. Zürich). Guter Most-, Koch- und Dörrapfel mit gelbgrüner,
auf der Sonnenseite etwas gerötbeter Schale. Reifezeit Dezember, hält bis in den
Sommer. Der Baum wird groß und ist tragbar.
Södliapfel (Kt. Zug). Frucht mittelgroß. Gut zunf Dörren und Mosten.
Reifezeit Januar. Baum mittelgroß, gedeiht in jeder Lage und ist sehr fruchtbar.
Süßer Majenapfel (Jura). Kleine Wirthschaftsfrucht. Reifezeit November.
Baum langsam wachsend und tragbar.
Fwrrer, VoIkawirthaohafU-Lexikon der Sohweis. ^^
Obstbau — . 530 — Obstbau
Schqfnase. Guter Wirtbschafts- und Marktapfel. Reifezeit Dezember. Der
Baum wird groß und trägt ziemlich reichlich.
Schneller apfel (Kt. St. Gallen). Ein mittelgroßer Streifling, welcher eich
vorzüglich für den Rohgenuß und für die Wirthschaft eignet. Der Baum wird
groß und ist sehr fruchtbar.
Torhelapjel (Kt. Appenzell). Kleiner beliebter Mostapfel. Der Baum wird
sehr groß und ist fruchtbar.
Verenacher, später saurer (Kt. Luzern). Eine beliebte Wirthschaftssorte,
welche aber einen geschützten Standort verlangt. Der Baum bleibt klein ; er ist
sehr fruchtbar.
Virginischer TtosenapfeL Ein in unsern Gärten vielfach angepflanzter
Sommertafelapfel. Der Baum wächst kräftig und ist fruchtbar.
Weina2JfeL Unter diesem Namen kommen verschiedene, einander jedoch
nicht ähnliche Sorten vor. Sie zählen, wie ihr Name sagt, zu den Mostäpfeln.
Wildimg von Oherhußnnng (Kt. Thurgau). Frucht klein. Reifezeit Ende
September. Guter Mostapfel. Baum wüchsig und sehr tragbar.
Wildling von Märstetteti (Kt. Thurgau). Dieser gute Dörrapfel ist von
mittlerer Größe. Er hält bis März. Der Baum ist sehr fruchtbar.
Wildling von Rputhe, Ein im Appenzellerland verbreiteter schöner Kochapfel.
Wildling von Oberefitfelden (Kt. Aargau). Mittelgroße gestreifte Wirth-
schaftefrucht. Reifezeit Winter. Baum starkwüchsig und fruchtbar.
Zeienap/el (Kt. Appenzell). Ein vorzüglicher Markt- und Wirthschaftsapfel,
der eine weitere Verbreitung verdient. Frucht groß, Schale grüngelb. Reifezeit
Dezember.
Zürcher Transparent (Kt. Zürich). Frucht mittelgroß^ Schale weiß und
durchsichtig. Beliebt wegen seiner Schönheit. Reifezeit September. Baum mittel-
groß, ziemlich tragbar.
Birnen :
Aeschener- Hohhirne (Kt. Zürich). Eine uralte, vorzügliche Mostbirne. Reife-
zeit Oktober. Der Baum wird mittelgroß und ist sehr tragbar.
Affelirangerbirne oder Letteubirne. Nach Boßhard identisch mit der Schäfler-
birne. Diese kleine, beliebte Dörrfrucht ist im Kt. Thurgau heimisch. Sie reift
Mitte September. Der Baum wird groß und trägt alljährlich.
Appenzeller- Lang sterh. (Kt. Ai)penzell). Die Frucht hat viele Aehnlichkeit
mit der alten Langstielerin. Der Baum ist jedoch gesünder \md tragbarer als
der der alten Sorte.
Bartel'Roths-Mosthirne (Kte. Zug und Schwyz). Mittelgroße Scheidmost-
birne. Reifezeit Ende Oktober. Baum rasch wachHcnd, ziemlich tragbar.
Bocks 'Mosthirne (Kt. Thurgau). Frucht klein, unansehnlich. Reifezeit Ende
September. Sehr gute Mostbirne. Der Baum ist stark wüchsig und sehr tragbar.
Brmmenbirne (Kt. St. Gallen). Eine gute Dörr- und Kochfrucht. Der Baum
ist jedoch nicht ergiebig.
Büschelihirne (Kt. Beni). Eine kleine Wirthschaftsbirne, welche im Oktober
zur Reife gelangt. Der Baum, welcher eine schöne Krone bildet, wird sehr groß
und alt. Er ist sehr fruchtbar.
Bründler (Kt. Thurgau). Eine kleine Sommermostbirne. Der Baum wird
groß und ist sehr früchtbar.
Bünduer 'Prinzessinbirne (Kt. Graubünden). Frucht mittelgroß, gut zum
Essen und Kochen. Der Baum wächst kräftig und ist ziemlich tragbar.
Bießcnhojer- Holzbirne (Kt. Thurgau). Diese im obern Thurgau sehr ge-
Obstbau — 531 — Obstbau
schätzte, kleine Hiostbirne liefert Bäume von enormer Größe. Dieselben werden
100 — 150 Jahre alt und sind sehr tragbar.
Dombirne (Kt. Thurgau). Neuere, sehr empfehlenswerthe Koch- und Dörr-
bime. Reifezeit September. Baum tragbar.
Frauenbirne (Kt. Appenzell und Rbeinthal). Diese gute Most- und Dörr-
birne ist eine Gebirgsfrucht. Sie reift Ende Oktober und hält bis Dezember.
Der Baum wird groß und ist ziemlich tragbar.
Gelbbirne (Kt. Bern). Gute Koch- und Dörrbime. Reifezeit Oktober.
Ooldhime von Quarten (Kt. St. Gallen). Frucht groß und sehr schön.
Reifezeit Oktober. Vorzügliche Koch- und Dörrbirne. Baum sehr tragbar.
OoldbäMer (Rothlängler). Diese gute Koch- und Dörrbime ist wegen ihrer
Schönheit und Größe schon weit verbreitet. Der Baum ist sehr fruchtbar. Reife-
zeit Oktober bis November.
Outersbirne (Kt. Appenzell und Rbeinthal). Kleine, vorzügliche Mostbirne.
Reifezeit Anfangs Oktober. Baum sehr groß und sehr tragbar.
0er zier (Kt. Thurgau). Eine kleine, vorzügliche Mostbirne.
Häleyger (Kt. Appenzell). Eine Gebirgsfrucht ersten Ranges Kleine, sehr
gute Mostbirne. Der Baum wird sehr groß, bildet eine schöne pyramidale Krone
und ist sehr fruchtbar.
Heulampenhirne (Muottathaler-Bime). Eine gute Markt- und Wirthschafts-
sorte von ziemlicher Größe. Reifezeit Oktober. Der Baum wird groß und ist
sehr tragbar.
Holzbirne x^on Eppishaiisen (Kt. Thurgau). Eine uralte, kleine, gute Most-
birne. Der Baum erreicht eine bedeutende Größe, wird sehr alt und ist sehr
tragbar.
Holzbirne, rothe (Kt. Appenzell). Frucht mittelgroß, länglich, auf der
Sonnseite geröthet. Gut zum Kochen, Mosten und Dörreu. Reifezeit Anfangs
Oktober. Baum mittelgroß und sehr fruchtbar.
Heubirne, schweizerische. Diese kleine Frühbirne ist im ganzen Lande ver-
breitet. Reifezeit Ende Juli. Gute Marktsorte. Baum gut wachsend, ziemlich tragbar.
Kattenkopf, kleiner (Kt. Graubünden). Vorzügliche Mostbirne Reifezeit
Mitte Oktober. Baum groß und tragbar.
KalchbVüüer (Kt. Zürich). Empfehlenswerthe Mostbirne. Reifezeit Mitte
Oktober. Baum groß und sehr tragbar.
Kemptenbirne (Kt. Zürich). Mittelgroße Eß- und Marktfrucht. Reifezeit
Mitte Oktober. Baum mittelgroß, ziemlich fruchtbar.
Knollbirne (Kte. Thurgau und Schaffhausen). Mittelgroße, vorzügliche Most-
bime. Reifezeit Oktober.
LudiS' Holzbirne (Ostschweiz). Mittelgroße Mostbirne. Reifezeit Ende Sep-
tember. Baum mäßig wachsend, sehr fruchtbar.
Legibirne (Kt. Zürich). Mittelgroße, gute Dörrbirne. Reifezeit Ende Sep-
tember. Der Baum ist wuchsig und ziemlich tragbar.
Melonenhirne oder Mailänderbirne (Kt. Bern). Frucht groß und länglich.
Schale grüngelb, etwas geröthet. Reifezeit Ende September. Gut zum Kochen.
Baum groß und tragbar.
RäggiliS' Birne (Kt. Bern). Kochbime. Reifezeit Winter; hält bis in's
Frühjahr. Baum langsam wachsend, sehr fruchtbar.
Riedter-Holzbirne, Eine uralte thurgauische, kleine Mostsorte.
Rothk ellers- Mostbirne (Kt. Thurgau). Diese alte Mostsorte ist klein, rundlich
und dunkelroth. Reifezeit Oktober. Der Baum wird groß und ist ziemlich ergiebig.
Obstbau — 532 — Obstbau
Reinholzbirne (Kte. Zug und Luzern). Frucht mittelgroß. Reifezeit Oktober.
Gute Scheidmostbirne. Der Baum wird groß und ist tragbar.
Stadelbirne (Kte. Appenzell und St. Gallen). Frucht klein und randlich,
berostet. Gute Mostsorte. Eeifezeit Ende Oktober. Baum ziemlich groß und tragbar.
Speckbirne (Kte. Appenzell und St. Gallen). Große Dörr- und Mostbime.
Beifezeit Ende September. Baum stark wüchsig und fruchtbar.
Sträzlerbirne (Kt. St. Grallen). Gute Mostbirne. Reifezeit Oktober.
Schiebler, Im Kt. Appenzell und im st. gallischen Rheinthal kommen dreierlei
Schiebler vor, nämlich Ruch-, Glatt- und Frtihschiebler. Sämmtliche drei Sorten
sind beliebt zur Mostbereitung. Die erstere Sorte verdient jedoch den Vorzug.
Der Baum wächst rasch, bildet eine schöne Krone und ist sehr tragbar.
Schützenbirne (Gebirgsfrucht). Klein bis mittelgroß, je nach dem Standort.
Reifezeit Oktober bis November. Gute Koch- und Dörrbirne. Der Baum bildet
eine schöne, mittelgroße Krone und ist sehr tragbar.
Sutersbirne (Kte. St. Grallen und Thurgau). Alte, vielverbreitete Herbst-,
Koch- und Dürrbirne. Baum mittelgroß und tragbar.
Strickbirne. Diese weitverbreitete Sorte wird ihrer großen Fruchtbarkeit
wegen neuerdings wieder mehr angebaut. Die Frucht wird mittelgroß, länglich
und goldgelb. Reifezeit Mitte September. Gute Frtlhmostsorte, eignet sich auch
zum Dörren. Der Baum wird ziemlich groß und ist alljährlich mit Früchten
beladen.
Theilerbirne^ saure (Kt. Zürich). Gute Mostbirne. Reifezeit Ende September.
Großer, sehr tragbarer Baum.
Wettinger- Holzbirne (Kt. Aargau). Frucht mittelgroß und rundlich. Sehr
gute Mostßorte. Reifezeit Oktober. Der Banm wird sehr groß und schön und
ist sehr fruchtbar.
Welsche Bimolte (Kt. Graubünden). Gute Koch- und Dörrbirne. Reifezeit
Oktober.
Weißbirne. Man kennt eine „Große" und eine „Unter waldner- Weißbirne".
Beide sind geschätzte Sorten zur Mobtbereitung.
Weißkellers- Mostbime (Kt. Thurgau). Die Beschreibung der Rothkellers-
bime paßt auch für Weißkellers Motbirne.
Wintetbirue (Ostschweiz). Frucht klein, länglich, schmutzigroth. Reifezeit
Oktober. Gute Scheidmostbirne. Baum mittelgroß und tragbar.
Miistersortiment von Aepfeln und Birnen,
Zusammengestellt von der Schweiz, pomologischen Kommission bei Anlaß der
Schweiz. Landesausstellung in Zürich (1883).
Tafeläpfel: Oberrieder-Glanzreinette, Hans Uli, Champagner-Reinette, Gold-
parmäne, Danziger- Kantapfel, rothe Baumanns-Reinette, Kasseler-Reinette, Pariser-
Rambour-Reinette, Breitacher, Wintercitrone, Fürstenapfel, Grafensteiner, Cellini,
Reinette von Damason, graue portugiesische Reinette, Kaiser Alexander, Frau-
rothacher, Ananas-Reinette, königlicher Kurzstiel, Nonpareille, Wildmauser, 2^ien-
apfel, Küttiger-Dachaj)fel, Jägerapfel, englischer Kantapfel, weiße Reinette von
Brngg.
Wir th Schaftsäpfel : Waldhöfler, Spätlauber, Nägeliapfel, Salamonsapfel,
Schafnase, Spitzwissiker, Hediger, Maienapfel oder Räuchliapfel, Kugelapfel, üster,
Blauapfel, gelber und rother Stettiner, Sauergrauech, Rheinischer Bohnapfel.
Tafelbirnen : Souvenir du Cougres, William, deutsche Nationalbergamotte,
gute Louise von Avranches, Amanlis-Butterbirne, Soldat laboureur, graue Herbst-
Obstbau
— 533 —
Obstbau
Butterbirne, weiße HerbBt-Butterbirne, Herzogin von Angouleme, Hardys-Butter-
bime, bolzfarbige Butterbirne, Napoleons-Butterbirne, General Tottieben, Espöranoe-
Herrenbime, ClairgeauB-Butterbime, Hofrathsbirne, Diels-Butterbirne, Eegentin,
St. Germain, Bergamotte Esp^rance, Doyenne d^hiver, Colmar d'Aremberg, Wildling
von Motte, Crassanne, Liegels-Winter-Butterbirne.
Dörr- und Kochbirnen: Pastorenbime, Chaumontel, englische Sommer-
Butterbirne, Schweizer-Bratbime, Dorubirne, Längler, Legebirne, frtlhe Stuttgarter-
Weinbime, Langstielerin, Bärikerbirne.
Mostbirnen : G^lbmöstler, Grümnöstler, Marxenbirne, Schweizer- Wasserbime,
Theilersbime, Winterbirne, saure Theilersbirne, Champagner- Bratbirne, Wettinger-
Holzbime, Eeinholzbirne, Rothbartier, späte Weinbime, Weißbime, EnoUbirne,
Rebenbirne, KalchbUhler.
Mustersarten von Aepfeln und Birnen, *)
Bezeichnet am ersten interkantonalen Baumwärterkurs, Strickhof, 1886.
(Erklftrnng der Zahlen: 1 = mittelmässig, 2 = gut, 3 = tebr gut.)
L Tafeläpfel,
a. Sommeräpfel.
Name der Frucht Qualität
Haltbar-
keit der
Frucht
Tragbar-
keit
Wuchs in
der Baum-
schule
Wuchs
im
Freien
Summa
1. Englischer Kantapfel .
2. Virginischer Rosenapfel
3. Rother Astrachan .
2
3
3
3
2
2
1
3
2
3
3
1
9
11
8
h, He)'bstäpfeL
1. Grafensteiner
3
2
2
3
3
13
2. Danziger- Kantapfel . . .
3. Cellini
3
3
3
1
3
3
2
2
3
2
14
11
4. Kaiser Alexander .
2
1
3
3
3
12
5. Transparent
2
c. Wi
1
nteräp/el.
3
1
3
10
1. Oberrieder-Glanzreinette
3
3
3
2
3
14
2. Hans Uli -Apfel ....
3
3
3
2
2
13
3. Winter- Goldparmäne
4. Baumanns-Reinette .
3
3
2
3
3
3
3
3
2
2
13
14
5. Kasseler-Reinette
3
3
3
2
3
14
6. Goldreinette von Blenheim
3
3
3
2
2
13
7. Champagner-Reinette
8. Winter-Citronenapfel . .
3
3
3
3
3
2
2
3
1
3
12
14
9. Boikenapfel
10. Reinette von Damason .
3
3
3
3
3
3
3
2
2
2
14
13
11. Wellington
1 2. Graue portngiesischeReinette
13. Königlicher Kurzstiel . .
14. Breitacher
2
3
3
3
3
3
3
3
2
2
2
2
3
3
1
1
3
3
2
2
13
14
11
11
15. Osnabröcker-Reinette
3
3
2
2
2
12
16. Winter-Taffetapfel . . .
17. Zeienapfel
3
3
3
3
2
2
2
3
3
3
13
14
*) Der Monatsschrift für Obst- und Weinbau, Verlag von J. Huber in Frauenfeld,
entnommen.
U. MoBt- nnd Dörräpfel.
. Ueterapfel 3
. SchafosM 3
. Spätlanber .... 3
. Nägeli-Apfel 3
. Sauergrauecli 3
. Bohnapfel 2
. Waldhöfler 3
. äaIamoDsa.pfel .... 2
. Hedinger .... 3
. Thurgauer-Weinapfel . . 3
. Kotbenbauser-Huliapfel. . 3
. WeiDrothacher .... 3
. Sadli-Apfel 3
. SpifKwiHBÜer 3
. Gninilter (großer) . . . '2
. Kugelapfel 2
. Seegäßler 2
. Belle fiUe de Normandie . 2
. Saarer Uaieiiapfel ... 3
. AhoBer (Sohwyz) ... 3
III. Koch- nod Dörrb
1. Engl. Sommer-Butterbirne
2. Scbweizer-Bratbime
3. Welsche Bimolte .
4. Wildling von Sargane
6. Holländische Feigeobime
6. Büschelibirne. . .
7. Grelbbirne von Bern
8. Healampe ....
9. Große Goldbime v. Quarten
10. Affeltrangler . .
11. Dombime . .
12. Poire deCurÄ (Faatorenbirne)
. (relbmSstler . .
. Theilersbirne . . .
. Marxenbime . . .
. Kleiner Eatzenkopf .
. Grünuiij-tler . .
. Mockenhohbirne . ,
. Champagner- Brat bime ,
. Wettinger-HolEbirne
. Kalchbtihler
. Sobweizer-WasBerbirne .
Obstbau — 535 — Obstbau
Außer den scbon aufgezählten Sorten finden sieb noch häufig in den Gärten
als Zwergbäume angepflanzt :
a. Tafelhimen, Alexandrine Douiliard, Butterbirne Bacheliers, Giffards-
Butterbime, Hartenponts-Winterbutterbirne, hochfeine Butterbirne, Six's-Butter-
bime, Sterkemanns Butterbirne, Clapps Liebling, Juii-Dechantsbirne, Vereins-
deohantsbirne, Forellenbime, Stuttgarter • Geishirtle, Jaminette, Josephine von
Mecheln, Madame Bonnefods, Madame Favre, Neue Poitau, Olivier des Serres,
Philippsbime, Triumph von Jodoigne, Williams-Herzogin, Winter-Meuris, Zephirin
Grregoire, Himmelfahrtsbirne, Hofrathsbirne.
6. TafeläpfeL Alantapfel, Alfriston, Calvill Saint Sauveur, Calvill rother,
Charlamowsky, Langtons -Sondergleichen, Margare thenapfel, Ribstons - Pepping,
Harberts-Reinette, Ober dieks- Reinette, Moringer Rosenapfel, gelber Richard, Früh-
apfel von Rouens, Fraas-Sommercalvill, Königsfieiner, gelber Bellefleur.
Pflaumen:
Aprikose npßautne. Ist eine große und schöne Augustpflaume.
Eierpflaume, rothe und gelbe. Reifezeit Anfangs September. Baum tragbar.
Herrenpflaunw, Mittelgroße Frucht. Reifezeit Mitte August. Baum sehr
tragbar.
JeffersonS'Pflaume. Frucht gelbgriln, groß, fruchtbar. Reifezeit Anfangs
September.
Kirkes- Pflaume. Frucht groß und dunkelblau. Reift Ende August. Baum tragbar.
Mirabelle von Nancy. Frucht gelb, wohlschmeckend. Reifezeit September.
Reineclaude von OuUin. Frucht gelb, groß. Baum tragbar. Reifezeit August.
Reineclaude, große, grüne. Reifezeit Ende August, sehr empfehlenswerth.
Kirschpflaume {Mirabolan). Frucht mittelgroß, dunkelbraunroth. Baum
kräftig wachsend, tragbar. Tafelfrucht zweiten Ranges, dient haupsächlich als
Unterlage für Pfirsiche, Aprikosen und bessere Pflaumen.
Washingtonspflaume. Frucht groß, gelb. Reifezeit Anfang September. Gute
Tafel- und Marktfrucht. Baum starkwüchsig, sehr fruchtbar.
Hajerpflaume oder Krieche. Frucht sehr klein, ungenießbar. Nur zum
Brennen tauglich.
Zahlreich verbreitet finden sich aus Samen oder Ausläufern stammende blaue,
rothe und gelbe minderwerthige Pflaumen- und Zwetschgensorten, welche man
mit bessern Sorten umpfropfen sollte. Zum Anbau im Großen eignen sich: die
Augustzwetschge, die italienische Zwetschge, die grüne Reineclaude, die Mira-
belle, die Washingtons- und die Kirkspflaume.
Zwetschgen:
August-Zwetschge (Zucker zwetschge) . Sehr große, schöne, zum Rohgenuß
und Kochen sich vortrefflich eignende Sorte.
Basler-Zwetschge. Mittelgroße Frucht. Reifezeit August. Sehr fruchtbar.
Hausei vetschge, gewöhnliche. Frucht klein, gut zum Dörren. Reifezeit
September. Baum tragbar.
Italienische Zwetschge (Fellenbergzwetschge). Frucht sehr groß, empfehlens-
werth. Reifezeit Mitte September. Baum mittelgroß, tragbar.
Oelbe Zwetschge. Frucht klein. Reifezeit Mitte August. Baum sehr tragbar.
Kirschen:
Carflifischkirsche (Kt. Graubünden). Mittelgroße, schwarze Kirsche. Reife-
zeit JulL Baum sehr tragbar.
Obstbau — 536 — Obstbau
Baslerkirsche (Baselland). Frühreifende, empfehlenswerthe Sorte.
Ehnaterkirsche. Lokalsorte des Toggenburgs.
Helena-Kirsche (Kt. Schwyz). Frucht roth, groß, sehr früh tragbar, gute
Tafel- und Marktsorte.
Herzkirsche, frühe. Reifezeit Ende Mai und Anfangs Juni. Mittelgroß,
dunkelbraun.
Herzkirsche Eltons. Reift Anfangs Juli, ist groß und bunt. Baum tragbar.
Knorpelkirsdie Napoleon. Reift im Juli, große und schöne Frucht.
Knorpelkirsdie Hedelfinger. Reift im Juli, ist sehr groß und sohwarzroth.
Baum sehr tragbar.
Knorpelkirsche Zuger, schwarze. Reift im Juli. Baum sehr tragbar.
Königin Hortefisia. Reift Anfangs Juli. Wird sehr groß und schön. Ziem-
lich tragbar.
Lowerzer-Kirsdie (Kt. Schwyz). Frucht schwarz. Baum schön wachsend,
tragbar, sehr gut zum Brennen. Der Kirschkrankheit nur wenig unterworfen.
Küßnachter-Kirsche (Kt. Schwyz). Die Frucht ist groß und süß, eignet
sich sowohl zur Marktfrucht als auch zur Destillation ganz vorzüglich. Die Sorte
hat, weil sie spät treibt, von den Frühlingsfrösten wenig zu leiden. Der Baum
ist kräftig und tragbar.
Weichsein:
Amorelle, königliche (Royal). Reifezeit Juni. Frucht groß und schön. Baum
tragbar.
Seh atienmor eile (Lange Lothkirsche). Reifezeit Juli; tragbar. Frucht groß
und schön.
Weich sei 'Ostheimer. Reifezeit Juli. Sehr tragbar, rothbraun, sehr em-
pfehlenswerth.
Aprikosen (Marillen):
Ananas, Reifezeit Anfangs August. Große Frucht. Baum tragbar.
Ambrosia. Reifezeit Juli. Wird sehr groß.
Oroße Frühaprikose. Reift Mitte Juli. Baum sehr fruchtbar.
Pßrsichapriiwse (de Nancy). Reift Mitte August. Große und gute Frucht.
Baum tragbar.
Königliche (JßogalJ, Reift Anfangs August. Wird groß und gut.
Viard. Reift im August; ist mittelgroß und wohlschmeckend. Baum sehr
tragbar.
Ungarische Besta. Reifezeit Anfangs Juli. Wird mittelgroß bis groß. Gut
zum Einmachen, sehr süß.
Breda. Reift Mitte Juli. Wird mittelgroß und ist würzig.
Pfirsiche:
Amsdcn. Reifezeit Juli. Wird groß und schön. Ist eine der allerfrühesten Sorten.
Baron Dfifonr. Reifezeit August. Sehr groß und tragbar.
Botirdine. Reift Ende September. Groß.
Earlg Beatrice, Reift Anfangs August. Sehr tragbar. Empfehlenswerth.
Magdalena, rothe (Madeleine rouge). Reift Ende August. Sehr tragbar.
Malteser 'Pfirsich. (Peche de Malte). Reift Anfangs September. Sehr tragbar.
Früher von Haie (Precoce de Haie) Reift Anfangs August. Sehr tragbar.
Mi gnan- Pfirsich (Große Mignonne ordinaire). Reift im September. Groß
und schön, sehr tragbar, taugt für Hochstamm.
Obstbau — 537 — Obstbau
Albertsohen (Pfirsiche mit glatter Haut):
Ananas, Keift im September. Mittelgroß.
Gallopin. Reift Anfangs September. Eine der größten und schönsten Früchte
dieser Gattung.
Victoria, Reift Ende September. Frucht groß und schön.
Wallnüsse :
Johannisnuß, Frucht mittelgroß. Baum spättreibend, fruchtbar.
Welsche Wallnuß. Frucht sehr groß. Baum ziemlich tragbar.
Angiistnuß. Frucht mittelgroß, frühreifend, tragbar.
Zwergnuß, Frucht mittelgroß, frühreifend. Baum zwergartig, eine schöne
Pyramide bildend, zur Anpflanzung in Gärten geeignet.
Quitten:
Portugiesische, Frucht sehr groß, Baum tragbar.
Bimquitte. Frucht groß. Baum tragbar.
Apjelqiiitte, Frucht mittelgroß, schwachwüchsig.
Stachelbeeren (Großfrüchtige) :
Antagonisten weiß; Australia, gelb; Leveller, gelb; London, roth; Ringer,
tiefgelb; Stockwell, grün; Telegraph, dunkelgrün; Abraham Lincoln, roth; Diana,
grün; Globe Jellow, gelb.
Johannisbeeren:
i2o(/}e; Holländische; Fox; NeueRothe; Kirschjohannisbeere. Weiße: Kirsch-
johannisbeere; Macrocarpa; Holländische. Sciuvarze: Blac Naples; Mutabilis.
Himbeeren :
1) Einraaltragende : a, Rothe: Fastolff, Hörnet, Paragon. 6. Gelbe: Ant-
werpener, Malteser.
2) Zweimaltragende: a, Rothe: Surpasse Fastolff; Merveille. h. Gelbe: Sur-
passe Merveille; Surprise d'automne.
Brombeeren :
Lawton ; Kittatin y ; Armenische ; Philadelphia Minners Trailing.
Verzeichniß der im pomologischen Bilderwerk illustrirten und beschriebenen
100 Obstsorten,
1) A e p f e 1 : Aarganer Herrenapfel, Ananas-Reinette, Api, kleiner (Kampänerli),
Baumann's Reinette, Bohnapfel, großer, Bovarde (Pomme Bovarde), Breitacher,
Carmeliter Reinette, Champagner Reinette, Christ's gelbe Reinette, Danziger Kant-
apfel, Edelborsdorfer, Etlin's Reinette, Fraurothacher, Gäsdonker Reinette, Ge-
strickte Reinette, Glanz-Reinette, Goldzeugapfel, Graven stein er, Hans-Ülrichsapfel,
HomußeSher, Jakobsapfel, gelber (Gelb- Jakober), Jägerapfel, Kasseler Reinette,
große, Königl. rother Kurzstiel, Küttiker Dachapfel, Luikenapfel, Maienapfel,
saurer, Nägeli- oder Palmapfel, Oster-Calville, rother, Pariser Rambour- Reinette,
Pfaffenapfel, süßer. Portugiesische Reinette, graue, Rümlicher Chrüslicher, Sauer-
graueoh, Sauerkläusler, Schdfnase, Schinzenapfel, gestreifter, Schuhmacherapfel,
Sommer-G^würzapfel, Sonntagsapfel, Spätlauber, Spitzwissiker, Stettiner, rother,
Usterapfel, Van Mons Reinette, Wagnerapfel, Waldhöfler Holzapfel, Winter-
Goldparmäne, Winter-Calville, weißer.
2) Birnen : Arenberg's Colmar, Bergbirne, Champagner Bratbirne, Clairgeau's
Butterbirne, Deutsche Nationalbergamotte, DieFs Butterbirne, Esperen's Bergamotte,
J
Obstbau — 538 — Obstbau
Französischer Eatzenkopf, Gelbe Mostbirne (GelmoBtler), St-Germain Gunters-
hauser, Hardenpont's Winterbutterbirne, Herbstgütler, Herbstbirne, lange grüne
(Schweizerhose), Herbstbutterbirne, weiße, Herbstbutterbirne, graue, Herzogin
AngoulSme, LiegePs Winterbutterbirne, Längler, Langstieier (Kriesibime), Mag-
dalene, grüne, Martin, trockener, Marxenbirne, Mockenholzbirne, Napoleon's
Butterbirne, Poire de Rance (Hardenponts, späte), Pastorenbirne, Regentin, Rousselet
von Rheims, Schmalzbirne, römische, Schwarzrädler, Schwärzibirne, Schweizer-
bratbirne, Sommer- Apothekerbirne, Sommer-Eier birne, Sparbirne, Spitzbirne, Stutt-
garter Gaishirtel, Sülibirne, Theilersbirne, Wasserbirne, Weinbirne, frühe, Wein-
bime, späte, William's Christbirne, Wildling von Motte, Wildling von Sargans^
Winter- Dechantsbirne, Zuger Röthelerbirne, Zuckerbirne, Zweiäugler.
Staatliche Maßnahmen zur Förderung des Obstbaues.
Dieselben bestehen seitens der Kantone beinahe ausschließlich in der An-
ordnung und Subventionirung von Kursen und Vorträgen über Obstbau,
sowie in der Subventionirung von Obstbau-Ausstellungen und anderer
von Vereinen angestrebten Unternehmungen.
Ueber die Leistungen des Bundes für die Förderung des Obstbaues vergl.
Tabelle I, Ziffer 5, ad Seite 320 ra IL Bd. dieses Lexikons.
Unterricht über Obstbau wird auch an den theoretisch -praktischen Acker-
bauschulen, an den landwirthschaftlichen Winterschulen und an der landwirth-
schaftlichen Abtheilung des eidgenössischen Polytechnikums ertheilt. Mit der
letztern Anstalt ist seit dem Jahre 1887 ein Versuchsfeld für Obstbaumzucht und
für Rebbau verbunden.
Die Frage der Gründung einer Versuchsstation für Obst- und
Weinbau in Verbindung mit einer Obst- und Weinbauschule bildet seit
längerer Zeit den Gegenstand eingehender Berathungen. Eine im April 1888
in Zürich abgehaltene Konferenz von Abgeordneten der Kantone Aargau, St.
Gallen, Schaff hausen, Thurgau und Zürich erklärte sich mit der Errichtung einer
solchen Anstalt prinzipiell einverstanden und stellte das fdr dieselbe geltende
Programm fest. Es lautet :
A. Versuchsstation für Obst- und Weinbau, Art 1. Zweck: Ununterbrochene
sorgfältige Beobachtungen und Versuche betreffend den Obst- und Weinbau und die
Verwerthung der Erträgnisse dieser Zweige der Landwirthschaft. Bekämpfung der dem
Obstbaume und dem Weinstocke schädlichen Einflüsse. Nutzbarmachung der Erfahrungen
in den Uuterrichtskursen der Obst- und Weinbauschule, durch Wandervorträge, durch
Veröffentlichungen, durch Auskunftsertheilung.
Art. 2. Einrichtung: Grundstücke und Gebäulichkeiten nach Maßgabe des erfor-
derlichen Bedürfnisses. 1) Versuchsfelder für Obstbau (Obstgärten), a. Anpflanzung und
Behandlung der verschiedenen Arten von Obstbäumen und Beerensträuchern und Berück-
sichtigung neuer Obstsorten, b. Versuche mit Düngmitteln und Art und Weise der An-
wendung derselben, c. Bekämpfung der Krankheiten und Feinde des Obstbaumes.
d. Baumschule. 2) Versuchsfelder für Weinbau (Rebanlagen), a. Anpflanzung und Be-
handlung einheimischer und fremder Rebsorten, b. Versuche mit Düngmitteln und Art
und Weise der Anwendung derselben, c. Bekämpfung der Rebkrankbeiten und Reb-
feinde, d. Versuche gegen Frostschaden und andere Witterungseinflüsse. «. Rebschule.
3) Kelter- und Kellerwirthschafl. a. Most- und Weinbereitung, b. Versuche betreffend
Gährung, Weinbildung und Schulung der Weine, c. Krankheiten des Mostes und
Weines, sowie Mittel gegen dieselben, d. Veredlung, e. Verwerthung der Rückstände.
f. Kelter- und Kellerwirthschafl. 4) Dörren und Konserviren von Obst und Trauben.
5) Physiologisches I^ahoratorium. Studium über Lebenserscheinungen des Obstbaumes
und des Weinstockes. 6) Chemisches Laboratorium, a. Studium über die Gährung,
namentlich mit Bezug auf den Einfluß der Temperatur, der Luftzufuhr, des Zucker-
gehaltes, der Weinsäure, des Gerb- und Farbstoffes, sowie der Extraktivstoffe, b. Most-
und Weinanalysen. 7) Witterungst)eobachtungen. 8) Verkehr mit anderen in- und aus-
Obstbau — 539 — Obstbau
ländischen Versuchsanstalten. 9) Bibliothek, Sammlungen, Zeitschriften, a. Anschaffung
von Zeitschriften und Fachwerken, b. Sammlung von Präparaten, c. Wissenschaftliche
Arbeiten ; Mittheilungen und Veröffentlichungen über Versuche und Verlauf von Kursen ;
Sprechsaal.
B, Obst' und WetnbatMchüle. Art. 1. Zweck: An der Obst- und Weinbauschule
wird Unterricht ertheilt in allen Zweigen des Obstbaues und des Weinbaues ffir an-
gehende Ijandwirthe, Berufsleute, Wanderlehrer und solche, die sich für den einen oder
andern Zweig auszubilden wünschen.
Art. 2. Unterricht : Kurse von kürzerer oder längerer Dauer in den verschiedenen
Jahreszeiten, theoretischer Unterricht in Verbindung, soweit immer thunlich, mit prak-
tischen Arbeiten in allen Zweigen des Obstbaues (Baumzucht, Baumpflege, Obstkunde,
Obstverwerthung), sowie des Weinbaues (Aufzucht und Pflege der Reben, Most- und
W^einbereitung, Kellerwirthschatt). 1) Aufnahmsbedingungen : Zurückgelegtes 17. Alters-
jahr, Ausweise über genügende Erfolge beim Besuche der gesetzlichen Volksschulen und
über mindestens einjährige praktische Bethätigung in der Landwirthschafl. 2) Bei der
Klasseneintheilung wird auf gleichartige theoretische und praktische Vorbereitung mög-
lichst Rücksicht genommen, indem Kurse für Anfiinger und solche für Vorgerücktere
im einen oder andern oder in beiden Zweigen gemeinsam veranstaltet werden. 3) Die
Kurstheilnehmer sollen nicht nur die für Erreichung des Lehrzieles erforderlichen Kennt-
nisse und hinreichende Handfertigkeit sich erwerben, sondern sie sollen auch befähigt
werden, ihrerseits Anleitung zu beruflicher Ausbildung zu geben.
C. Getneinaame Bestimmungen. Art. 1. Eine Aufsichtskommission, in welche
die am Unternehmen betheiligten Kantone je einen, und jeder Kanton, der mehr als
100,000 Einwohner zählt, einen weiteren Vertreter abordnet, übernimmt die Verwaltung
und Aufsicht der Anstalt. Diese interkantonale Kommission wird in ihrer Aufgabe von
einem engern Komite unterstützt. Ein Reglement bestimmt die anzuwendenden Grund-
sätze und besondern Verliältnisse. Die Oberaufsicht steht dem schweizerischen Land-
wirthschaftsdepartement zu.
Art. 2. Programm und Unterrichtspläne, Voranschlag und Rechnung, Jahresbericht
und Veröffentlichungen über besondere Gegenstände sind dem schweizerischen Land-
wirthschaflsdepartement, den Kantonen, welche die Anstalt unterstützen, und weiter
betheiligten Kreisen zuzustellen.
Art. 3. Die erforderlichen Räumlichkeiten und Versuchsfelder sollen vom Schul-
ort beziehungsweise Kanton, in welchem die Anstalt ihren Sitz hat, zur Verfügung ge-
stellt werden. Ferner hat je nach Umständen der betreffende Kanton eventuell Schul-
ort einen gewissen Voraus an die ersten Einrichtungskosten der Anstalt und an die
jährlichen Betriebsausgaben zu leisten. Das nach Abzug eines all fälligen Bundesbei*
träges noch zu deckende Defizit an die gesammten Anlagekosten und die Betriebsmittel
der Anstalt, sowie die jährlichen Ausgaben derselben werden unter Abrechnung der
vom Bunde für Lehrkräfte und Lehrmittel rück vergüteten Beträge nach einem zu er-
mittelnden Vertheilungsplan pro rata (im Verhältniß zum Rebareal und der Zahl der
Obstbäume) auf die vertragenden Kantone verlegt.
Ein- und Ausfuhr von Obst.
a. Frisches Obst. Ein- und Ausfuhr vor 1885 sind unbekannt, denn die
schweizerische Waarenverkehrsstatistik verschmolz frisches Obst mit frischen Feld-
und Gartengewächsen in eine Position. Erst im Jahre 1885 hat eine Trennung
der Position stattgefunden, immerhin nur so, daß das Obst noch mit frischen
genießbaren Beeren (Weinbeeren ausgeschlossen) zusammengewürfelt ist. In dieser
Kombination weist die Statistik pro 1885 — 87 folgenden Verkehr auf:
Einfuhr :
Ausfuhr :
Die auffallende Thatsache, daß trotz größerer Mengenausfuhr seitens der
Schweiz der Werth der Ausfahr viel geringer ist als der Werth der Einfuhr,
erklärt sich dadurch, daß hauptsächlich theures Tafelobst ein- und billiges Mo8t>
1885
1886
18H7
Menge
q
62,445
q 53,783
q 60,671
Werth
Fr.
2*497,800
Fr. 4^034,000
Fr. 4^550,325
Menge
q
77,467
q 258,623
q 70,688
Werth
Fr.
646,682
Fr. 2'9 18,460
Fr. r046,828
Obstbau
— 540 —
Obwalden
ob«t auftgeht. Haapttheil der fanfiihr aoB Oeeterreieh, Haapttheil der Ausfdlir
nach S&ddeatschlaDd.
b. Gedörrtes Obst, Aas äbnlicbem Grande wie beim frischen Obst kann
aach hier die Ein- and Aasfahr vor 1885 nicht mitgetheilt werden. Seither
(1885/7) betrog dieselbe jährlich darchschnittlich : Einfuhr 31,747 q im Werthe
von 1*833,000 Fr., großtentheils aas Oesterreich-Ungam ; Ausfuhr 1991 q im
Werthe von 108/XK) Fr.
Zahl der Obstbäame in verschiedenen Kantonen.
Apfel-
biame
bäam«
n. Zwetocben-
bÄQine
Kincb-
KOM-
binme
Gajten-
obatbÄuii«
ZQrich (1886| . .
. 727,880
564,574
164,213
106,353
24,958
8,232
Obwalden (1885) . .
24.770
34,715
63,267
14,619
14,745
6,598
Mdwalden (1886) .
17,078
41,515
14,533
11,937
15,882
295
GlariLs (1886) . .
24.277
15,220
5,837
7,814
3,565
13,786
ScbafiTbausen (1886) .
76,840
35,520
86,926
36,213
6,800
8,145
St. Gallen . . . .
551,000
443,000
12L000
72,000
38,000
82,000
Thur^u (1884). .
488,089
318,267
118,728
28,763
14,992
30,093
In folgenden Kantonen hat, soweit dem eidg. Landwirthschaflsdepartement bekannt,
nur eine Zählung der Apfelbäume stattgefunden, und es haben : Aargau 531,594, Basel-
land 100,640, Baselstadt 17,242, Freiburg 152,970, Luzern 372,876, Schwvz 17,363, Solo-
thurn 257,942. Waadt (1886) 461,448, Wallis 57,659, Zug 95,334.
Bt^treffeiid den Obstbau s. ferner das Kapitel „Landwirthschaft*, besonders
Seite 295/y6 im IL Bd.
Obstwein (Most) .* Weil einige Grenzkantone, besonders Thnrgau, viel Most-
obst an das Ausland abgeben, genügt die Obstweinproduktion nicht für den
Konsum der Bevölkerung, sondern es werden jährlich netto 700 — 800 q Most
eingeführt (Ausfuhr nur ca. 60 q).
Obwalden bildet mit Nidwaiden den Kanton Unterwaiden. Bnndesglied
neit 1. August 1291. Ortsanwesende Bevölkemng am 1. Dezember 1880
15,356 Personen -^ 0,54 /o der gesamroten schweizerischen Bevölkerung.
Flächeninhalt 474,8 km^ = 1,15 ®/o des gesammten Flächeninhaltes der Schweiz.
Nicht in Bezirke eingetheilt. 7 Gremeinden. 7 Zivilstandskreise. 1 Nationalraths-
Wahlkreis (17.) mit einem Mandat. Gehört zum 3. eidg. Assisenbezirk, in mili-
tärischer Beziehung zum 4. Divisionskreis.
Nach dem Größenverhältniß unter den Hanptberufsgruppen der Kantone
nimmt Obwalden folgende Rangstufen unter den Kantonen ein : Die 4. hinsichtlich
Urproduktion, die 11. hinsichtlich öffentliche Verwaltung, Wissenschaft und Kunst,
je die 19. hinsichtlich Industrie, Verkehr und persönliche Dienstleistungen, die
24. hinsichtlich Handel.
Die Zahl der erwerbenden Personen betrug im Jahre 1880, laut eidg.
BerufsRtatistik
•/o der
gl. Kategorie
der SchweiB
0,7
0,3
0,3
0,5
0,2
G857 100,0
44,7 ^0 der ganzen Bevölkerung
des Kantons oder 0,5 ®/o aller Erwerbsthätigen der Schweiz.
Personen
bei d. Urproduktion 4033
r , Industrie 2092
. „ Handel 294
r Verkehr 154
r r öffentl.Verwaltg., Wissenschaft u .Kunst 237
r r persönlichen Dienstleistungen ... 47
«/o *U. Beruf-
treibendeD
des KantoDs
58,8
30,5
4,3
2,2
3,5
0,7
Obwalden — 641 — Obwalden
Die Gesammtbevölkeruüg (Erwerbende, Angebörige, Haasgesinde) ist
wie folgt an den Hauptberufsarten betbeiligt:
•/o der 0,0 der
Personen Bevölke» gl. Kategorie
rung der Schweiz
an Urproduktion 9043 58,9 0,8
Industrie 3713 24,2 0,3
Handel 659 4,2 0,3
Verkebr 316 2,1 0,3
öffentl. Verwaltung, Wissensi^haft u. Kunst 544 3,5 0,5
persönlicben Dienstleistungen .... 74 0,5 0,2
Beruflose nebst Angehörigen etc 1007 6,6 0,6
Totalbevölkerang 15356 100,0
Handel, Industrie, Kleingewerbe.
Folgende Gruppirung umfaßt diejenigen unter diese Rubrik zählenden Berufs-
arten, welchen im Jahre 1880 Y2 ®/o und mehr aller erwerbsthätigen Personen
des Kantons oblagen (laut eidg. Berufsstatistik) :
„ . ^ ®/ö aller °/o der nämlichen
Erwerbnzweig ttT^i e* Erwerbsthätigen BerufBkHtegorie
mal g ^^^ Kantons d. ganzen Schweix
Seidenindustrie 399 5,8 0,6
Leinen- und Halbleinenindustrie . . 215 3,1 1,9
Schneiderei 196 2,8 0,6
Scbnbmacberei 159 2,3 0,5
Gasthof- und Wirthschaftsgewerbe . . 154 2,2 0,5
Handel, eigentlicher 132 1,9 0,2
Schreinerei und Glaserei 130 1,9 0,6
Stroh- und Roßhaarflecbterei ... 115 1,7 0,9
Parqueterie 110 1,6 16,4
Weißnäberei 96 1,4 0,4
Wascberei und Glätterei 94 1,3 0,6
Maurerei und Gypserei 62 0,9 0,3
Zimmerei 59 0,8 0,3
Bäckerei 37 0,5 0,3
Küferei 36 0,5 0,7
Dacbdeckerei 33 0,5 0,9
Fabriken.
Dem Schweiz, Fabrikgesetz waren Ende Juni 1887 drei Etablissements mit
82 Arbeitern und 98 Pferdekräften unterstellt. Sämmtliche Etablissements sind
Parqueterien , eine liegt in Sarnen, zwei in Alpnacb. Eine der letzteren ist mit
Säge verbunden.
Industriegeschichtliches s. Nidwaiden.
Urproduktion.
(Bericht des Herrn Dr. Ming in Sarnen.)
Im Jahre 1880 widmeten sieb der Landwirthschaft 3977 Personen (58 ®/o
aller Erwerbsthätigen), der Forstwirthschaft 52, der Fischerei 3, der Jagd 1,
dem Bergbau Niemand.
Obwalden ist vorwiegend auf Alpwirthschaft und Viehzucht ange-
wiesen. Die Alpen, 205 an der Zahl, ertragen ca. 8000 „ Kuhschweren ", von
denen aber die schlechtem nie vollständig besetzt werden. 149 Alpen gehören
Obwalden — 542 — Obwalden
<len Bürger- und Korporatious Gemeinden; 56 sind Eigenthum von Privaten. Bis
vor wenigen Jahren wurde für Verbesserung der Alpen nur Unwesentliches ge-
leistet; immerhin waren die Privatalpen in viel besserem Zustande als die Kor-
pora tions- und Gemeindealpen. In den letzten Jahren hat ihre Pflege bedeutenden
Aufschwung genommen. Nach der Alpwirthschaft richtet sich in Obwalden die
ganze übrige Landwirthschaft. Der geschlossene Grundbesitz der Bauern ist klein ;
Grundstücke von 20 Jucharten bilden eine Seltenheit, die Durchschnittsgröße mag
5 — 6 Jucharten betragen. Nebst den Alpen bilden auch die Allmenden der Bürger-
gemeinden gleichsam eine Zubehörde der Sondergüter. Sie werden, soweit die
besseren Strecken den Bürgern nicht als Pflanzland sur Sonderung ausgetheilt
sind, abgeweidet und ihr Streueertrag dient als „Auffuhr" der Sondergüter. Der
Alpzins schwankt zwischen unbedeutenden Vergütungen und Fr. 40 — 50 Alpsins
per Kuhschwere bei einer Alpzeit von durchschnittlich 5 Monaten. Da nur das
Vieh, welches mit innert den Marken der Gemeinde gewachsenem Heu „ ge-
wintert ** wurde, Atzungsrecht auf den Bürgeralpen besitzt, so richten sich die
Boden- und Futterpreise im Thale sehr nach dem Verhältnisse zwischen der Aus-
dehnung der Thalgüter und der Alpen in der nämlichen Gremeinde und das Augen-
merk der meisten Landwirthe richtet sich vorzüglich auf Erzeugung von Dürr-
futter. Man findet deßhalb durchschnittlich nur in dem Maße Stallfütterung, als
«ie zur Gewinnung der für den täglichen Konsum noth wendigen Milch erforder-
lich ist. Auf den Alpen wird durchgehends Shrinzkäse fabrizirt, wovon jährlich
€a. 30,000 Laibe im Gesammtgewichte von .0000 — 6000 q und einem Werthe
von ca. Fr. 700,000 exportirt werden. Unbedeutend sind die Einnahmen für
Milchzucker. Butter wird nur während dem Winter exportirt. Der zu dieser
Zeit bereitete Magerkäse deckt einen Theil des Landesbedarfes, wofür noch ein
großes Quantum importirt wird. Auch der als alpwirthschaftliches Nebenprodukt
gewonnene Zier/er wird im Lande konsuniirt. Dem Ertrage des Käseexport^s
rlürfte derjenige des Viehexportes nicht nachstehen.
Da die Alpen zur Jungviehzncht sich vorzüglich eignen und die Kantons-
und Gemeindebehörden, in letzter Zeit auch durch Bundeszuschüase unterstützt,
sich Mühe und Opfer kosten ließen, die Viehzucht zu heben, so besitzt Ob-
walden einen sehr schönen Schlag mittelschwercn Braunviehes. Das exportirte
Jungvieh geht vorzüglich nach Italien. In beträchtlicher Zahl werden auch
ganz schöne Stücke von Luzerner-, Aargauer-, Zürcher- und rheindeutschen Land-
wirthen angekauft. Aeltere Milchkühe gehen nach Frankreich und Italien. — Die
Sckweineeucht ist erheblich. Es werden viel junge Schweine nach den Kantonen
Luzern, Zürich und Aargau verkauft. — Die l^erdeeucht war in Obwalden von
jeher nicht unbeträchtlich. — Die Sf'hafzucht ist eher zurückgegangen. — Die
Zahl der Zier/en hat zugenommen. Es sind aber nicht sowohl die Armen als
vielmehr die Bauern des Mittelstandes, denen diese Vermehrung zu Gute kommt.
— Die Bienenzucht beginnt sich zu entwickeln. Ein von der Landesgemeinde
im Jahre 1886 erlassenes Gesetz sucht diesen Zweig zu heben und zu schützen
(Mehe auch das Kapitel „Viehstand der Schweiz**).
Obwalden besaß im Mittelalter bedeutenden Korn bau. Wohl in Folge des
mit Erwerbung der italienischen Vogteien sich vermehrenden Käseexportes nach
Italien gewann von da an der Wiesenbau mehr die Oberhand, so daß die
jetzige Kornproduktion bei weitem nicht einmal dem Bedarfe an Kochmehl ent-
spricht. Es wird vorwiegend Spelzkorn, wenig Weizen und Gerste, fast kein
Hafer, in der Thalsohle aber etwas Mais gebaut.
Auch die K a r t o f f e 1 p r o d u k t i o n ist unzureichend. Die zu weit getriebene
Ob Waiden — 543 — Obwalden
Parzellirung des Privatgrand besitzes und des zum Anbau vertheilten Gemeinde-
landes, wodurcb die Anwendung des Pfluges sebr besobränkt wird, läßt den
Ackerbau wenig rentabel erscheinen . In Folge dessen bleibt viel zum Bepflanzen
geeignetes Gemeindeland gänzlich ertraglos. In Folge des geringen Ackerbaues
hat die Kunstwiese sich noch keine Geltung verschafft; man begegnet bloß hie
und da einer Kleegrassaat. Die früher als Futterpflanze ziemlich beliebte Espar-
sette ist beinahe verschwunden. In einigen Gemeinden wird eine ansehnliche
Menge Wildheu gesammelt.
Sehr bedeutend sind die Einnahmen aus der Forstwirthschaft, obwohl
sich gemäß Zählung von 1880 nur 118 Personen mit derselben berufsgemäß be-
schäftigen. Nebst den Summen, für welche man zu Parquet und anderen Bau-
artikeln, Möbeln, Küferwaaren u. dgl. Holz im Lande verarbeitet, werden jährlich
große Parthien Nutz- und Brennholz exportirt. Wenn trotz diesen Nutzungen
die Forstwirthschaft sich noch nicht vollständig popularisirt hat, so liegt wohl
der Grund darin, daß der Holzvorrath das Landesbedürfniß noch bedeutend über-
wiegt und die wenigsten Gemeinden für die nächste Zukunft einen wirklichen
Holzmangel zu befürchten haben. Das Gesammtwaldareal des Kantons beträgt
12' 195 ha, wovon 906 ha Privaten, das übrige den Bürgergemeinden und nur
ganz wenig dem Staate zugehört.
Die Erträge der Jagd und der Fischerei sind unbedeutend. Obwohl die
Gewässer der Fischzucht günstig wären, wurde bis jetzt noch wenig hiefür ge-
than. — Sehr bedeutend idt die Obstbaumzucht. Gemäß Zählung von 1885
besitzt der Kanton an Uochsläramen über 10 Jahre : Birnen 22,940, Aepfel 14,765,
Kirschen 10,554, Nüsse 13,075 und 37,745 ältere Zwetschgenbäume. An Nach-
wuchs: Kernobst unter 10 Jahren 21,780 Stämme und 29,587 Steinobstbäume.
Dazu kommen 4277 jüngere und ältere Zwerg Kernobststämm eben. Der Birnen-
ertrag wurde im Jahre 1882 (Mitteljahr) auf 14,000 Säcke oder einen Geldwerth
von ca. Fr. 70,000 berechnet. Es wird viel grünes und gedörrtes Obt, beson-
ders Nüsse, exportirt. Der größte Theil des Obstes wird im Lande verbraucht,
gemostet, gebrannt und gedörrt.
Da Obwalden keinen Weinbau besitzt, ist der Getränke-Import ein sehr
bedeutender — nicht zum geringen Theil wegen des Fremdenverkehres
Der „Obwaldner Bauernverein" zählt annähernd 400 Mitglieder. Er
hat in den letzten Jahren durch Wandervorträge über Milchwirthschaft, Alpen-
wirthschaft, Düngerwesen, Viehpflege, Gemüsebau, landwirthschaftliches Kredit-
wesen, sowie durch Spezialkurse über Viehzucht, Milchwirthschaft, Obst- und
Gemüsebau Wesentliches zur Hebung der Landwirthschaft beigetragen. Er hat
auch eine Genossenschaft zum Bezüge von Dünger und Futtermitteln gebildet.
In 5 Gemeinden bestehen 11 indviehversicherungsge Seilschaften
auf Gegenseitigkeit. Die jährlichen Einzahlungen betragen ca. 1% des Werthes.
Eine kantonale Seuchenkasse ist in Entstehung begriffen.
Im Jahre 1885 beschloß die Landesgemeinde die Gründung einer Kantonalbank,
welche vorzüglich die Unterstützung der Gültenamortisation und des land-
wirthschaftlichen Meliorations- und Genossenschaftswesens zum Ziele hat.
Für Straßenbau und Korrektion von Wildbächen wurde mit Beihülfe
von Bundessubventionen in den letzten 20 Jahren viel verwendet.
Verkehr.
Straßen.
Die Kantonsstraßen sind eingetheilt in Straßen I. und II. Klasse. Länge
Obwalden — 544 — Oekonomische Gesellschaft
der erstem 33,5 km, Breite 6,3 m, Baukosten Fr. 438,100. Länge der Straßen
II. Klasse 78,9 km. Breite 3,6—4,8 m, Baukosten ca. Fr. 419,500. Länge
und Kosten der Yicinalstraßen unbekannt.
Eisenbahnen.
Obwalden ist durch die BrUnigbahn mit dem Berner Oberland verbanden.
Eröffnet wurde sie am 14. Juni 1888. Die bauliche Länge beträgt zwischen
Alpnachstad (Obw.) und Brienz 44,709 m, die Betriebslänge rund 45 km. Spur-
weite 1 m (Schmalspur). Theilweise Zahnradbetrieb. Die Strecke Alpnachstad-
Luzern, zur Zeit (Herbst 1888) im Bau begriffen, wird eine Länge von ca. 13,300 m
haben. Maximalsteignng der Ba)in 120 ^/oo. Die Bahn wurde im Sommer 1888
sehr gut frequentirt.
Octroi s. Ohmgeld.
Oeffentliche Beamte und Angestellte. Zahl derselben im Jahre 1880
laut eidg. Berufestatistik 6317 = 4,8 ®/o aller erwerbsthätigen Personen.
Oekonomische Gesellschaft des Kantons Bern. (Mitgetheilt von Herrn
Häni, Mitglied des Schweiz. Nationalrathes.) Diese älteste, noch lebende landwirth-
schaftliche Gesellschaft Europas verdankt ihren Ursprung einer Anzahl edelmüthiger
Männer, welche um die Mitte und in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
auf den Gebieten der Wissenschaft, des Staatswesens und der Yolkswirthschaft
in hervorragender Weise thätig waren. Den Anstoß zur Vereinigung dieser vor-
züglichen Kräfte gab zunächst Joh. Rudolf Tschiffeli, ein Kechtsgelehrter und
begeibterter Landwirth, indem er 1758 im Wochenblatt der Stadt Bern einen
Aufruf erließ, in welchem er alle Patrioten und Freunde der Landwirthschaft
aufforderte, durch Subskription eine Summe Geldes zusammenzubringen, um daraus
die beste Lösung einer zu stellenden landwirthschaftlichen Preisfrage zu belohnen.
Rasch war eine größere Zahl von Unterschriften beisammen und aus ca. sechzig
Unterzeichneten wählte Tschifreli sechs Mitglieder aus, welche am 3. Februar 1759
als engere Kommission ihre erste Sitzung hielten und damit die Thätigkeit der
Oekonomischen Gesellschaft erötfneten. Neben dem Stifter Tschiffeli wirkten in
dieser Kommission Samuel Engel, berühmter Geograph und Landwirth, Gabriel
Herbart, Mitglied der Regierung und Direktor des Salzamtes, Niki, von Dießbach,
Rathsmitglied, Sigm. Fried. König, Franz Ludw. von Tavel und Niki. Em. Tscharner,
den Pestalozzi in „Lienhard und Gertrud" unter dem Namen „Arner" als Vorbild
eines edeln Staatsmannes verewigte. Mit Beiziehung noch weiterer vorzüglicher
Kräfte begann nun diese Kommission ohne Verzug ihre Arbeit. Die Gesellschaft
wurde organisirt und bestand aus einem engern Ausschuß, einem weitem Aus-
schuß und der großen, allgemeinen Gesellschaft. Sämmtliche Mitglieder mußten
sich über einen gewissen Bildungsgrad ausweisen und hatten bedeutende finanzielle
Opfer zu leisten. Preisfragen über land- und volkswirthschaftliche Gegenstände
wurden ausgeschrieben und Prämien ausgerichtet für hervorragende Leistungen,
wie z. B. für ausgeführte Meliorationen, für Flachs- und Seidenbau, für Leistungen
auf dem Gebiete der Gerberei, des Geräthe- und Maschinenbaues, der Literatur etc.
Lehrreiche Abhandlungen, welche zum Theil ihrer Gediegenheit wegen einen
bleibenden Werth besitzen, wurden in beiden Landessprachen gedruckt und ver-
breitet. Zuerst unter dem Titel „Der Schweiz. Gesellschaft in Bern Sammlung
von landw. Dingen**, später als „Abhandlungen und Beobachtungen** erschienen
über 25 größere Bände, die Zengniß ablegen von der Arbeitskraft und Begeisterung,
welche die Glieder der jungen Gesellschaft beseelten. Aber auch an denjenigen
Gliedern, welche die Lehren in die Praxis übertrugen, fehlte es nicht, denn eine
Oekonomische Gesellschaft — 545 — Oekonomische Gesellschaft
aasehDÜche Zahl hochgestellter Männern in verschiedenen Landestheilen beschäftigte
sich mit Eifer nnd Liebe in der auf einmal zur Mode gewordenen Landwirthschaft.
Es konnte nicht fehlen: durch eine solche intensive Thätigkeit vieler vor-
züglicher Kräfte mußte die neue, einzig dastehende Gesellschaft Aufsehen erregen.
Ihr Ansehen und Euf verbreiteten sich rasch nicht nur über die Schweiz,
sondern über ganz Europa. Berühmte Staatsmänner und große Gelehrte rechneten
es sich zur Ehre an, einer solchen hochangesehenen Gesellschaft anzugehören.
Wir finden anter den damaligen Mitgliedern und Mitlei tem unter andern aus
dem Inlande: die Gebrüder Bertrand, Albrecht Stapfer, der die erste Preisfrage
vorzüglich löste, Sigmund Grüner, den Arzt Zimmermann aus Brugg, Joh. Er.
Herrenschwand von Greng bei Murten, Hans Kaspar Hirzel von Zürich, den
großen Albrecht Haller, den Eathsschreiber Isaak Iseli und den Mathematiker
Bemoulli von Basel, Prof. Fellenberg, den Vater des Gründers von Hofwyl,
Nicol. de Saussure, Kathsherr Micheli Ducret aus Genf u. s. w., und aus dem
Auslande: Linne, von Upsala, Mirabeau, Elie de Beaumont, Voltaire, den Mark-
grafen von Baden, den Herzog von Württemberg, den Grafen von Zinzendorf, den
Minister Münchhausen, den Grafen von Dohna, Arthur Young, den berühmten
Italiener Filanghieri, den großen Naturforscher Graf von Buffaro u. a. m.
Diese Zeit der höchsten Blüthe der Oekonomischen Gesellschaft dauerte aber
nicht lange. Schon Ende der 70er Jahre wurden Stimmen laut, welche über
Abnahme der Thätigkeit und Erlahmung des Eifers sich beklagten. Die Heraus-
gabe gemeinnütziger Werke wurde zwar noch bis 1798 fortgesetzt, aber sowohl
der Verlust der mit Feuereifer beseelten Stifter, die durch Tod abgingen, wie
die allgemeinen ungünstigen und stürmischen Zeitverhältnisse bewirkten, daß eine
Zeit der Ruhe und des Stillstandes eintrat, Avährend welcher nur vereinzelte
Leistungen vom Leben der Gesellschaft Zeugniß ablegten. Wegen Mangel an
sog. ^land verständigen" Mitgliedern beschäftigte man sich mehr mit Kunst und
Industrie und die Landwirthschaft trat mehr in den Hintergrund. Von 1804 bis
1807 wurde eine Knust- und Industrieausstellung in Bern angeordnet, und man
betheiligte sich auch an der trigonometrischen Vermessung des Kantons durch
Prof. Tralles. Von 1814 bis 1822 schweigt die Geschichte und es scheint,
die einzige Thätigkeit der Oekonomischen Gesellschaft habe darin bestanden, das
Archiv und die Fonds der Gesellschaft zu hüten und zu verwalten, was durch
Sigmund Wagner und Notar Bitzius auch gewissenhaft geschehen ist.
Eine Periode neuer Thätigkeit und Anstrengung beginnt mit dem Jahre 1822,
und man kann sagen, von diesem Zeitpunkte an macht sich das Bestreben immer
mehr geltend, die Landwirthschaft als Hauptarbeitsfeld zu betrachten und die
Kräfte auf dieses Gebiet zu konzentriren. In der Umgebung von Bern wurden
mehrere — wohl die ersten — Ptlugproben abgehalten; unter der Leitung des
Försters Kasthofer führte man im Oberlande die tibetanische Ziege ein und im
Jahre 1825 wurde eine schweizerische Hagclversicherungsgesellschaft in's Leben
gerufen, die einige Jahre später wieder einging. Große Opfer brachte man für
die Einführung der Parniesankäsefabrikation und der Seidenzucht; man bemühte
sich auch um die Auffindung von Steinkohlen und um die Verwerthung der
Dachschiefer im Oberamt Frutigen. Besonders erwähnt zu werden verdient die
Gründung der schweizerischen Gesellschaft zu gegenseitiger Versicherung des
Mobiliarvermögens gegen Brandschaden, den 25. Februar 182G, die als große
Wohlthat begrüßt wurde, rasch sich ausdehnte und heute zu unsern wichtigsten
und wohlthätigsten Instituten gehört. Daß man sich zu dieser Zeit mit Verständniß
und Fachkenntniß der Landwirthschaft annahm, mögen die im Jahre 18*21 aus-
Fnrrer, VülkBWirth»chafts-L«'xikoii der Schweiz. ^^
( )ekonomische Gesellschaft — 546 — Oekonomische Gesellschaft
geschriebenen zwei Preisfragen beweisen. Sie lauteten: 1) „In welchem Yerhältniß
stehen die Ausdehnung und der Ertrag des Waldes gegen diejenigen des andern
Landes in den verschiedenen Theilen des Kantons und inwiefern ist die Menge
von Waldungen, ihre Benutzung und Kultur gegen anderes Land zu begünstigen
oder nicht; nach welchen Grundsätzen rUcksichtlich der Staats-, Gemeinde- und
l*artikular Waldungen?** 2) „Wie könnte die Fütterung der Ziegen, statt der an
einigen Orten so schädlichen Weide in Waldungen, Privatgütern und Alpen, auf
eine der Kultur weniger nachtheilige Weise, sei es im Freien oder in Ställen,
geschehen?" — Aber auch diese Periode eifrigen Schaffens dauerte nicht lange,
der Eifer erkaltete nur zu bald und viele Aufgaben blieben ungelöst. Die Stürme
der Julirevolution 1830 brachten wieder einen Stillstand, der bis zum Jahre
1838 dauerte.
Vom letztem Jahre an datirt für die Oekonomische Gesellschaft eine neue
Epoche. Von sämmtliclien Mitgliedern des Großen Käthes von Bern wurde eine
schriftliehe Aufforderuug au dieselbe gerichtet und in diesem Gesuch eine Statuten-
revision gewünscht. Die vt^ränderten politischen Yerhältnisse verlangten auch eine
Neugestaltung der Ookonomischen Gesellschaft und diese Neukonstituiruiig fand
wirklich auch nach einiger Weigerung statt. Aus einer gelehrten und geschlossenen
Gesellschaft wurde eine freie und volksthüniliche geschaffen, die ihr Hauptaugen-
merk auf div praktische Landwirt hschaft richtete und ihre Basis im Volke suchte.
Noch mehr konzentrirte man die Thätigkeit auf rein landwirthschaftliche Gegen-
stände, suchte daher Anknüpfungspunkte mit der Bauernsame und kultivirte vor-
herrschend das Feld der Praxis. Entfernt liegende Arbeitsgebiete, wie Kunst,
Lidustrie, Gewerbswesen etc., überließ man andern Vereinen. Besonderes Gewicht
legte man auf Verbesserung der Ackergeräthe und es wurden zu dem Zwecke
größere Pthigproben abgehalten, so in Kirohberg (1846), Münsingen (1847),
Kr»niz (l^<48) und Seedorf (184'.)). Auch <ler neuen Drainirmethode wendete man
große Allfnlerk^*amkeit zu, ließ einen eigenen Drainirmeister heranbilden und
maelite auf der Hiitti ilie ersten Drainanlagen in der Schweiz. Nicht minder
wur<le das Ausstelluugswest»u kultivirt nu«l die großen Ausstellungen in den
Jahren 1847, 18ö3 und 18.')7 in Bern haben viel zur Förderung der gesammten
Landwirthschaft beigetragiMi. Einen groß'^n Erfolg erzielte die Oekonomische Ge-
sellschaft durch die Gründung der landwirthsehaftliehen Schule auf der Bütti,
deren Eröffnung IS^U) mit der hundertjährigen Bestamlesfeier der Gesellschaft
verbunden wurde.
Trotz der neuen Organisation und der regen Thätigkeit fand die Gesellschaft
tluoh nur sehr langsame Verbreitung und der eij:entliehe Bauernstand hielt sich
ihr gegenüber längen* Zeit ziemlich passiv. Im Jahre 184(J, als ein eigenes
Vereinsorgan gi'irrUndrt wurzle, zählte der Verein bloß 48 Mitglieder und auch in
dt*n folgenden Jahren nahm die Mitgliedevzahl nicht in der Weise zu, wie es von
i-iner Gesellschaft, dir ihre Schwerkraft ins Volk verlegte, erwartet werden konnte.
lUihor s«^hen wir vom Jahre 18<il an das Bestreben sieh geltend machen, im
ganz^'u K;tnton herum Zwrigvrreine zu gründen und durch Hauptversammlungen
in drn ver>ehie«leni-n Landesire«::enden eine v<dksthümlichere Wirksamkeit zu ent-
falten. l)a«lureh irewann die Arbeit der (7est'll>chaft auch immer mehr eine
j>raktisehere Kichtung. Wir seilen demiremäß aueh diejenigen Gebiete vurzüglieh
bearbeit»*t, di«' in Wirklichkeit zt'itgemäß waren und den besten Erfolg versprachen,
si» di«' Vii'hzueht und Milehwirthschaft, den ()h>tbau und die Mostbereitung, Ver-
h '>M'rung Lnidwirthschaülieher Geräthe und Maschinen, ilen Pflanzenbau und das
DiiniTtTwesen ete.
OekoDomische Gesellschaft — 547 — Oesterreich
Da auch alle diese lobenswerthen Bemühungen nicht ausreichten, so recht
in alle Schichten des Volkes einzudringen und einen durchschlagenden Erfolg zu
erzielen, so wurden diejenigen Stimmen immer zahlreicher und lauter, welche
eine neue Statutenrevision verlangten. Man wünschte eine den neuen Zeitverhält-
nissen angepaßte Vereinsorganisation auf demokratischer Grundlage. Nach längerer
und mühsamer Arbeit wurde diese Reorganisation im Jahre 1880 auch vollzogen
und damit der gegenwärtig größte Kantonal verband landwirthschaftlicher Vereine
in der Schweiz geschaffen, dessen Organe über alle Theile des Kantons sich aus-
breiten. Die Oekonomiöche Gesellschaft zählt gegenwärtig mit ihren 25 Zweig-
vereinen über 2500 Mitglieder und ihr Organ, die „Bernischen Blätter für Land-
wirthschaft"*, wird in einer Auflage von 1600 Exemplaren gedruckt. Durch diese
Neugestaltung des Vereinsverbandes ist es jedem Bürger möglich gemacht, als
Glied demselben sich anzuschließen, und dem Grundsatze: „die Lokalvereine vor
allen sind die Träger des landwirthschdftlichen Fortschrittes", treu, sucht man durch
die kleinen und kleinsten Vereine bis in die entlegensten Orte zu wirken und dabei
namentlich auch dem zahlreichen Kleinbauernstand gebührend Rechnung zu tragen.
Oele theilen sich in fette und ätherische. Fette Oele, namentlich Olivenöl,
Rüböl, Leinöl und viele andere werden in der Schweiz nicht aus den Natur-
produkten hergestellt, sondern in sehr großen Mengen importirt; zum Theil werden
sie durch Rafftnirung veredelt und als Speiseöl, zur Beleuchtung, zum Schmieren
u. dgl. verwendet; zum Theil dienen sie als Ausgangsmaterialien für andere
Industrien, nämlich für die Fabrikation von Seifen, Firnissen, Lacken, Schmier-
fetten u. dgl. mehr.
OelmttUerci und Oel presserei. Mit diesem Erwerbszweig befaßten
sich im Jahre 1«80 188 Personen: Bern 96, Waadt 16, Solothurn 12, Zürich
12, Freiburg 10. Birkhiinser's Adreßbuch (Basel, 1885) enthält die Adressen
von 106 Oelfabrikanten. 1 Oelraftinerie in Außersihl unter dem Fabrikgesetz.
Oelpflauzeii werden in der Schweiz wegen der Einfühlung des Petroleums,
des Leuchtgases etc., seit 15 — 20 Jahren fast gar nicht mehr angebaut.
Oerlikon-Bülach s. Nordostbahn.
Oosterreich-Üngarn. Dieser Staat hat für die schweizerische Volks-
wirthschaft nicht diejenige Bedeutung, die derselbe vermöge seiner Nahe, seines
großen territorialen Umfanges und seiner Bevölkerungszahl haben könnte. Zwar
nimmt er in der Schweiz. Waaren Verkehrsstatistik hinsichtlich Höhe des Waaren-
umsatzes den fünften Rang ein (nach Deutschland, Frankreich, Italien und Groß-
britannien), allein in Wirklichkeit kommen ihm die Vereinigten Staaten zuvor,
denn ein großer Theil der Güter, welche in der Statistik auf das Konto von
Oesterreich-Üngarn gesetzt sind, haben eine andere Bestimmung oder Herkunft
(insbesondere die unteren Donauländer und die Balkanstaaten).
Die schweizerische Waarenverkehrsstatistik vom Jahre 1887 verzeichnet in
der Rubrik „Spezialhandel** einen Waarenumsatz mit Oesterreich-Ungarn im
Werthbetrage von Fr. 126\')57,;5o5 (Einfuhr Fr. 88'388,798 , Ausfuhr
Fr. 8' 168,507), oder 8,3ü ^/o des gesammten auswärtigen Spezialhandels der
Schweiz (10,56 ^/u der Einfuhr, 5,69 ^/o der Ausfuhr). Im Jahre 1885 betrugen
die entsprechenden Summen: Fr. 103'362,00O Totalumsatz, Fr. 65^606,000
Einfuhr, Fr. 37'756,000 Ausfuhr; im Jahre 1886: 127^605,000 Totalumsatz,
Fr. 91^775,000 Einfuhr, Fr. 35^830,000 Ausfuhr. Ueber die früheren Jahre
sind Werthangaben unmöglich.
Die wichtigsten Posten der Schweiz. Ausfuhr nach Oesterreich-Ungarn
waren in den Jahren 1887 und 1886:
1667 1886 1667
Ulireii nnd Dhrentbeile 9'447,938 9061,191 11,0
Baumwollgewebo 3'536,00O 3'918,94'? 7,3
BaamwDllgarne 3'104,600 3'169,663 16.3
Seidengewebe (Ganzeeide) 2'016,515 2'394,060 3,2
Mawchinen und -Theile 2*835,763 2'289,521 14,*
RohecideiiKwirii 1'985,362 2'051,971 6,7
Käse 2'085,471 1'672,146 5,0
Kammgarne 1'912,785 1'161,245 24,3
Floretwidenzwirn 1'229,618 874,672 4,0
Baumwollene Stickereien 829,804 799,616 1,0
Chocolade 278.063 420,664 15,3
Seiden-' atid HalbseidcDMnder .... 598,568 371,908 1,6
Seidenbeuteltiicii 485,125 ? 11,7
Steinkohlentheerfarben 378,526 352,280 5,4
Rindvieh (Nutzvieh) 526,036 319,211 7,7
Güia-n..SiiberBelimiBdwaaren,Bijouterie,ächt 239,828 284,097 5,8
HSute und Felle, nngegerbt 352.943 281,955 5,7
ElMtische Gewebe 182,535 263,831 8,2
Str„hy,-lK-<-litr 205,588 202,577 7,1
Hulbseid^iigewtbc 127,457 94,000 1,0
Mercerie 148,753 123,044 18,4
Die wichtigateo Posten der aobweizeriacben Einfuhr aus Oesteireich-Ungani
waren :
Weizen 25*236,939 31'478,236 41,5
Rindvieh (Schlachtvieh) 8*273,000 11'015,500 37,4
Weiu in FäsBem ö'455,415 6'224,415 23,5
Malz 5'241,780 4'558,947 94,0
Mehl 4,276,450 4,017,000 48,1
Eindvieh (Nutzvieh) 3"080,000 3"7.i2,700 28,4
Stampftucker 3748,710 2'926,920 53,0
Hafer 3.867,622 2'448,032 62,3
Eier 2,682,360 2'3y 1,360 59,4
Gerste 1'755,292 1'492,155 53,4
Weingeist, Alkohol, Branntwein in Fässern ri85,185 1'433,664 19,7
Obst, genießbare Beeren, friHch . . . 2'517,375 r482,525 55,0
Obet, gedörrt oder getrocknet . . 1,525,425 1'280,435 72,0
Mftis 489.024 912,679 11,1
Bretter, weich hölzerne 789,022 757,991 40,5
Schweine l'269.32ü 734,930 20,5
Mercerie 4 14,800 524,640 4,7
Schafe und Ziegen 542,160 519,930 26,0
Weingeist, Sprit etc., denatiirirt . . . 509,35(j 173,000 50,0
Butter 5H5.125 490,920 33,5
GraH- nnd Klee»aat 408,;i30 337,500 26,0
Felle, ungegerbte 23«.9.')0 312,000 21,0
Schuhwaaren, feine, lederne .... 459.900 310,800 10,6
Hand=.chahe, lederne ...... 156,000 168,000 13,3
Oesterreich — 549 — Oesterreich
Oesterreich-Üngarn ist Schatzzollstaat and ihm ist es wesentlich zazaschreiben,
daß das gegenwärtige Jahrzehnt so reich an Zollerhöhangen in Europa ist. Es
gestaltete seine 2^11e, soweit es die im schweizerisch-österreichischen Verkehr
wichtigeren schweizerischen Aasfahrartikel betrifiPt, in den Jahren 1878, 1882
und 1887 folgendermaßen: ^^3 ^332 ^^^
kg. fl. fl. fl
Für Käse ») 100 9 10 20
, Ghocolade 35 50 60
, Baumwollgame
a. einfach roh , 6—12 6—16 6—16
ft. doublirt roh « 6-12 6—16 8—18
c. gebleicht oder gefärbt , 10—16 10--24 12—24
d. für den Detailverkauf hergerichtet . . , 20 30 35
, Baumwollgewebe
a. gemeine glatte , 32—60 32—60 34-70
b. , gemusterte , 40—70 40—70 45—80
c. , dichte , 50—80 50—80 55—90
d. feine (aus Garn Nr. 50— 100) . . . , 60-90 70—100 80-120
e. feinste (aus Garn über Nr. 100) .. . , 150 160 160
gestickte Webewaaren , 150 200 300
Seidenwaaren, gestickt oder mit Metallfäden . . ^ 300 400 500
Seidengewebe (GanzseideJ, glatte *) „ 300 400 500
, Halbs. Sammet und Sammetbänder , 150 200 400
„ andere Halbseidewaaren ^ 200 200 250
, Kammgame , 8 8 12
, Maschinen „ 2—8 3-20 3—30
, Taschenuhren ')
mit goldenen oder vergoldeten Gehäusen , 200 p. StL 1 1
j, silbernen oder versilberten ^ , 200 „ 0.50 0.50
„ anderen Gehäusen 200 , 0.30 0.50
Taschenuhrgehäuse *)
goldene oder vergoldete , 200 , 0.70 0.70
silberne oder versilberte 200 , 0.20 0.20
Bijouterie , 200 300 300
, Strohbänder (bandartige Strohgeflechte) . . . . ^ 2 15 15
»
1«
Verträge.
Die mit Oesterreich- Ungarn seit 1848 abgeschlossenen und noch in Kraft
befindlichen Verträge sind:
Armenrechisvertrag vom 8. Januar 1884 (A. S. n. F. 7, 491).
Auslieferumfsverirag vom 17. Juli 1855 (A. S. 5, 188).
Vertrag vom 16. März 1880 betreffend die Beurkundung von Gehurts-
und Sterbefällen auf dem Bodensee (A. S. n. F. 5, 25).
Verträge betreffend die Anschlüsse von Eisenhahnen : a. der Bodenseegürtel-
bahn, 5. August 1865 (A. S. 8, 664), b. Lindau-St. Margrethen und Feldkirch-
Buchs, 27. August 1870 (A. S. 10, 380), c. Vorarlbergbahn.
Genferkonvention, welcher Oesterreich Ungarn am 21. Juli 1866 beigetreten
ist (A. S. 8, 819).
Gremregulirungsverträge vom 14. Juli 1868 (A. S. 9, 570) und vom
13./14. September 1859 (A. S. n. F. 6, 508/9).
Handelsvertrag vom 14. Juli 1868 (A. S. 9, 576).
Metervertrag vom 20. Mai 1875 (A. S. n. F. 2, Seite 3).
1) Bis Ende 1887 galt fQr den Kftse der österreichisch - italienitche VertragszoU von fl. 4. 40.
2) Durch den österreichisch-italieniBchen Handelsvertrag zu 200 fl. gebunden.
3) Das durchschnittliche Gewicht einer Taschenuhr wird su 100 Gramm angenommen, somit wurde
1882/7 der Zoll per 100 kg. auf 300—1000 fl. erhöht.
4) Das durchschnittliche Gewicht eines Gehäuses wird zu 42 Gramm angenommen, somit wurde
1882/7 der ZoU per 100 kg. auf 476—1667 fl. erhöht.
Oesterreich — 550 — Ofenfabrikation
Vertrag vom 26. Mai 1857 betreffend die Erledigang des Neuenburf/er-
konflikies (A. S. 5, 546).
Niederlassunf/s vertraf/ vom 7. Dezember 1875 (A. S. n. F. 2, 147).
Fhylloteraoerlrofj vom 3. November 1881 (A. S. n. F. 6, 228).
Postverträge : a. Allgemeiner Weltpostvertrag vom 1. Juni 1878 (A. S.
n. F. 3, 673); 6. Geldanweisungsvertrag vom 1. Juni 1878 (A. S. n. F. 3,
728); c. Fabrpoötverkebr-Uebereinknnft vom 2. Februar 1879 (A. S. n. F. 4,
17); d. üebereinkunft vom 4. Juni 1878 betreffend deklarirte Werthbriefe
(A. S. n. F. 3, 711); e. Üebereinkunft vom 3 November 1880 betreffend Post-
stücke ohne Werthangabe (A.S.n. F. 5,881).
Vertrag vom 19. September 1871 betreffend die Rheinkorrektion (A. S.
10, 548).
Vertrag vom 22. September 1867 betreffend die Bodenseeschifffakrt
(A. S. 9, 240).
Erklärung vom 16. April 1856 betreffend das europäische Seere'M
(A. S. 6, 348).
Vertrag vom 29. November/11. Dezember 1868 betreffend die Nichtan-
wendung von Sprenfftjefichossen im Kriege (A. S. 9, 597).
Ttlef/rapheriverträf/e vom 10./22. Juli 1875 (A. S. n. F. 2, 296), vom
11. Juli 1875 (A. S. n. F. 1, 850), vom 22. Juli 1879 (A. S. n. F. 4, 377)
und vom 17. September 1885 (A. 8. n. F. 8, 492).
Viehseuchenkonvention vom 31. März 1883 (A. S. n. F. 8, 142).
Vertrag vom 31. August 1857 betreffend den Was s er ab flu /S des Boden-
see's (A. S. 6, 25).
Üebereinkunft vom 2. August 1872 betreffend den ZoUdienst in Buchs
und St. Margrethen (A. S. 10, 1055).
Fabrik- und Handelsmarkenkonvention vom 22. Juni 1885 (A. S. n. F.
9, 29).
Vertrag vom 23. Juni 1886 betreffend die an der Grenze domizilirten
Medizinal per so neu (A. S. n. F. 9, 219).
Oesterreichisehe Staatsbahnen, Die im Jahre 1872 eröffneten Bahn-
strecken ßuohs-schweiz. Grenze (1066 m) und St. Margrethen-schweiz. Grenze
(1298 m), welche einen Bestandtheil der Vorarlberger Bahn (s. diese) ausmachten,
sind am 1. Januar 1886 den K. K. Oesterr. Staat>»bahnen einverleibt worden.
Der Betrieb der Vorarlbergerbahn wurde bereits am 1. Juli 1882 durch die
K. K. Oesterr. Staatsbahnverwaltuiig übernommen, jedoch bis Ende 1885 noch
für Rechnung der alten Bahngesellschaft besorgt.
Ofenberg-Strasse, zum graubündneri>ichen Straßennetz gehörend, verbindet
das Engadin mit dem Münsterthal und Tyrol; führt von Zernetz (Unterengadin),
von der Unterengadinerstrtiße abzweigend, über den Ofenberg (Paßhöhe 2148 m
ü. M.) nach St. Maria und Münster bis an die Tyrolergrenze. Die Straße wurde
in den Jahren 1871 und 1872 erbaut. Ihre Länge beträgt 40,8 km und die
Fahrbahnbreite 3,6 — 4,2 m. An den Kostenaufwand von Fr. 402,300 leistete
der Bund einen Beitrag von Fr. 181,100. Bundesbeschluß vom 26. Juli 1861
(A. S. Bd. VII, pag. 70).
Ofenfabrikation und andere Heizeinrichtungsfabrikation. Diesen Erwerbs-
zweigen widmeten sich im Jahre 1880 539 Personen, wovon in Genf 88, Waadt
82, Baselstadt 71, Zürich 67, Tessin 65, Neuenburg 38, Luzern 21. — Dem
Schweiz. Fabrikgesetz waren Ende Juni 1887 4 Kachelofenfabriken mit 102 Ar-
beitern unterstellt (1 Aarau, 1 Nidau, 1 Riesbach, 1 Wiedikon).
Ofensteine — 551 — Ohmgeld
Ofensteine. Solche finden sich : im Kt. GraubUnden bei Disentis, Perdatsoh,
Pontresina, Sedrun und Surrhein; im Kt. Uri bei Andermatt, Bristen, Hospen-
thal und Zum Dorf; im Kt. Wallis bei Bonatchesse, Mühlebach, Oberwald, Ried,
Roßwald, Stalden, Ulrichen, Val d'Anniviers, Val d'Herens und Visp.
Ohmgeld und Octroi. (Mitgetheilt von Herrn Cuttat, Sekretär der
eidg. Alkoholverwaltung.) Unter dem allgemeinen Namen Ohmgeld begreifen
wir hier, obschon dieser Ausdruck in den Kantonen Aargau und Baselstadt eine
abweichende Bedeutung hat, die Konsumsteuer oder vielmehr den Eingangszoll,
welchen die Mehrzahl der Kantone bis zum 1. September 1887 aut der Einfuhr
von geistigen Getränken erhob. Das Ociroi ist eine Verbrauchssteuer, die von
einzelnen Städten nicht bloß auf Getränken, sondern auch auf anderen Konsura-
gegenständen, und zwar ebenfalls beim Eintritt in das Weichbild der Stadt,
bezogen wird.
Der Ursprung des Ohmgeldes, früher „Umgelf* geheißen, reicht bis in's
Mittelalter zurück. In Bern z. B. wurde es seit Gründung der Stadt bezogen
und das Recht zu diesem Bezüge durch die Handfeste des Kaisers Friedrich von
Hohenstaufen ertheilt. Im 15. und 16. Jahrhundert waren eine Menge kleiner
Städte, wie Zofingen, Büren, Nidau, Aarberg, Burgdorf, Yverdou, Moudon, Morges,
Nyon etc., ohrageldberechtigt. Zur Zeit der Helvetik aufgehoben, kam die Steuer
bald wieder zu Ehren, und im Jahre 1809 wurde die Ohmgeldgerechtsame der
Stadt Bern von der Berner Regierung um Fr. 470,000 erworben.
Im Jahre 1830 machten sich im Schöße der Tagsutzung Tendenzen zur
Aufhebung des Ohmgeldes geltend; aber diese Tendenzen konnten nicht einmal
1848 durchdringen, wo die neue Bundesverfassung dasselbe wieder sanktiouirte,
dabei allerdings untersagend, es zu erhöhen oder neu einzuführen.
Die Verfassungsrevision von 1H72 hob endlich das Ohmgeld prinzipiell auf,
und nach der ablehnenden Volksabstimmung von 1872 wurde die Aufhebung
durch die neue Bundesverfassung von 1874 bestätigt; immerhin wurde der Fort-
bezug der Steuer bis Ende 1890 zugestanden, um den Kantonen Zeit zu lassen,
sich nach neuen Finanzquellen umzusehen.
Die am 25. Oktober 1885 vom Volke angenommene Revision der Bundes-
verfassung zum Zwecke der Einführung des Alkoholmonopols beschleunigte den
Wegfall des Ohmgeldes, welches nach dem neuen Artikel 32 bis ') der Verfassung
\) Art. 32Ws' hat fol^'enden Wortlaut:
Art. 32 bU. Der Bund ist befugt, im Wej^e der Gesetzjj'ebunjr Vorschriften über
die Fabrikation und den Verkauf gebrannter Wasser zu erlassen. Bei dieser Gesetz-
gebung sollen diejenigen Erzeugnisse, welche entweder ausgeführt werden oder eine den
Genuß aufschließende Zubereitung erfahren haben, keiner Besteuerung unterworfen
werden. Das Brennen von Wein, 01)st und deren Abfällen, von Enzianwurzeln, Wach-
holderbeercn und ähnlichen Stoffen fällt betreffend die Fabrikation und Besteuerung
nicht unter die Bundesgeselzgebung. (Dieser letzte Satz bezieht sich laut Bundesbeschluß
vom 20. Dez. 1887 nur auf Stoffe inländischer Herkunft.
Nach dem We^^fall der in Art. 32 der Bundesverfassung erwähnten Eingangs-
gebühren auf geistigen Getränken kann der Handel mit solchen, welche nicht gebrannt
sind, von den Kantonen keinen besondern Steuern unterworfen werden, noch andern
Beschränkungen als denjenigen, welche zum Schutze vor gefälschten oder gesundheits-
schädlichen Getränken nothwendig sind. Jedoch bleiben hiebei in Betreff des Betriebes
von Wirthschaften und des Kleinverkaufs von Quantitäten unter zwei Liter die den
Kantonen nach Art. 31 zustehenden Kompetenzen vorbehalten.
Die aus der Besteuerung des Verkaufs gebrannter Wasser erzielten Heineinnahmen
verbleiben den Kantonen, in welchen sie zum Bezüge gelangen.
Die Reineinnahmen des Bundes aus der inländischen Fabrikation und aus dem
entsprechenden Zollzuschlag auf eingeführte gebrannte W'asser werden unter die
Ohmgeld — 552 — Ohmgeld
mit dem Inkrafttreten des erwähnten Gesetzes dahinfallen sollte. Das Alkohol-
gesetz wurde am 15. Mai 1887 vom Volke angenommen und am 27. Mai prinzipiell
in Kraft erklärt. Ein Bundesbeschluß vom 15. Jali dekretirte daraofhin den
Wegfall von Ohmgeld und Octroi auf 1. September 1887.
Die Kantone Aargau, Baselland, Bern, Freihurg, Glarus, Graubünden,
Lueern, Nidwaiden, Obwalden, Solothurn, Uri und Zug erhoben das Ohmgeld
sowohl auf einheimischen, wie auf fremden Getränken, die Kantone BaseUtadt^
lessin, Waadt und Wallis bloß auf fremden Getränken; die übrigen Kantone
bezogen kein Ohmgeld.
Das Octroi bestand nur in den Städten Genf und Carouge,
Wir geben nachstehend eine üebersicht der in diesen Kantonen und Ge-
meinden bezogenen Ohmgeld- und OctroigebUhren :
I. Kantone, welche das Ohmgeld auf fremden und auf ein-
heimischen Getränken bezogen.
1) Aargau. Wein, Obstwein und Bier Schweiz. Ursprungs, in Fässern oder
andern Gefäßen, 1 Rp. per Liter. — Wein, auHländischer, in Fässern oder andern
Gefäßen, 4 Rp. — Obstwein, ausländischer, in Fässern oder andern Gefäßen,
2 Rp. — Bier, ausländisches, in Fässern oder andern Gefäßen, 2 Rp. — Ge-
brannte Wasser Schweiz. Ursprungs 5 Rp. — Gebrannte Wasser fremden Ur-
sprungs 10 Rp.
Trauben, Trusen und Trester waren nach folgendem Maßstab zu versteuern:
Trauben 1 Hektoliter ■--= 80 Liter Wein (20 % Abzug). — Trusen 1 hl = 8 1
Branntwein (92 ®/o Abzog). — Trester 1 hl = 5 1 Branntwein (95 ^/o Abzug).
2) Basel l and. Wein und Obstwein Schweiz. Ursprungs waren steuerfrei.
— Wein nicht Schweiz. Ursprungs, in Fässern, Fr. 1 per hl. — Wein nicht
Schweiz. Ursprungs, in Flaschen, 15 Rp. per Flasche. — Idem 20 Rp. per 1.
— Branntwein, Schweiz., 7 Rp. — Branntwein, ausländischer, 10 Rp. — Wein-
geist 20 Rp. — Extrait d' Absinthe, Rhum, in Fässern, 20 Rp. — Idem und
Liqueurs, in Flaschen, 40 Rp. — Bier, Schweiz., 50 Rp. per hl. — Bier, aus-
läncÜKches, 70 Rp.
3) Bern. /. Vo7i Getränken Schweiz. Herkunft: Wein in einfachen und
Düppelfässern (Gebinden über 1 1) 4,5 Rp. per 1. — Wein in Flaschen 9 Rp,
— Obstwein 1 Rp. — Bier in Flaschen und in Fässern 2 Rp. — Liqueurs und
Branntwein in Flaschen, auch versüßte und versetzte Liqueurs in großem Ge-
schirren, 20 Rp. — Weingeist und alle andern gebrannten geistigen Getränke,
welche auf der Probe gemessen werden können, bis auf 32 Grad des TrallesVchen
Alkohülm. per 1 12 Rp., auf je 2 oder 3 weitere Grade je 1 Rp. mehr, bis
99/100 Grad 39 Rp.
//. Von Getränken nicht Schweiz. Herkunft : Wein in jeder Art von Ge-
fiißen, die größer sind als 1 1, 5,3 Rp. per 1. — Wein in Flaschen 40 Rp. —
Obstwein 2 Kp. — Bier 2,5 Rp. — Liqueurs und Branntwein in Flaschen, auch
versüßte und versetzte Liqueurs in größern Geschirren, 40 Rp. — Weingeist
und alle andern gebrannten geistigen Getränke, die auf der Probe gemessen werden
können, gleich so leben Schweiz. Herkunft mit 10 ^/o Zuschlag.
4) Freiburg. Freiburger Weine und alle im Kanton fabrizirten Getränke
Fr. 1. 20 per 500 1. — Bier Schweiz. Ursprungs 2 Rp. per 1. — Bier fremden
säiiuntliclion Kantone nach Verhältnis der durch die jeweilige letzte eidg. Volkszählung
eriiiit leiten faktischen Hevnlkerung vertheilt. Von den daherigen Einnahmen haben die
Kantone wenigstens 10 " o zur Hekämpfung des Alkoholismus in seinen Ursachen und
Wirkungen zu verwenden.
Ohmgeld — 553 -^ Ohmgeld
Ursprungs 8 Rp. — Wein und Obstwein Schweiz. Ursprungs 4,8 Rp. — Idem
fremden Ursprungs 8 Rp. — Branntwein, unter 20 G-rad, Schweiz. Ursprungs
9,« Rp. — Idem fremden Ursprungs 13,8 Rp. — Extrait d^ Absinthe, Weingeist
und zusammengesetzte Liqueurs Schweiz. Ursprungs 19,s Rp. — Idem und feine
Weine fremden Ursprungs 23,s Rp.
5) Glarus. Wein Schweiz. Ursprungs, in Fässern, Fr. 1. 45 per hl. —
Wein fremden Ursprungs, in Fässern, Fr. 2. 90 (auch sog. Luzuswein in Fässern,
französischen, österreichischen, italienischen und deutschen Ursprungs). — Luxus-
weine und geistige Getränke aller Art, andere als obige, in Fässern oder Flaschen,
20 Rp. per 0,75 1. — Obstwein 20 Rp, per hl. — Branntwein und Weingeist,
ob eingeführt oder im Kanton fabrizirt, zahlt, wenn er fiir den innern Konsum
bestimmt ist, 15 Rp. per 1.
6) GraubUnden. Bier, Schweiz., Fr. 1. 20 per 100 Kilogramm. — Bier,
ausländisches, Fr. 1. 70. — Branntwein, Schweiz., Fr. 4. 30. — Branntwein,
ausländischer, Fr. 5. — Liqueurs Schweiz. Ursprungs, in Fässern, Fr. 8. 90. —
Idem, in Flaschen, Fr. 14. — Liqueurs fremden Ursprungs, in Fässern, Fr. 9. 60.
— Idem, in Flaschen, Fr. 14. 80. — Wein, gemeiner, fremden Ursprungs,
Fr. 2. 40. — Wein, feiner, fremden Ursprungs, in Fässern, Fr. 9. 60. — Idem,
in Flaschen, Fr. 14. 80. — Weingeist Schweiz. Ursprungs Fr. 9. 80. — Wein-
geist fremden Ursprungs Fr. 13. 50. — Weintrauben, ausländische, zur Wein-
bereitung eingeführt, bezahlen die Steuer wie für Wein, wobei 140 kg Trauben
= 100 kg Wein berechnet werden.
7) Luzern. 1. Getränke schtveiz, Umprungs : Wein 9,3 Rp. per 1. —
Geistige Getränke und gebrannte Wasser 14 Rp. — Weingeist 28 Rp. — Wein
und andere geistige Getränke in Flaschen 21 Rp. per Flasche. — Idem 28 Rp.
per 1. — Bier 1,3 Rp. — Obstwein 2 Rp.
II, Getränke fremden Ursprunifs: Wein, gewöhnlicher, 10,6 Rp. per 1. —
Lnxuswein und gebrannte Wasser 20 Rp. — Weingeist 33,8 Rp. — Wein und
andere geistige Getränke in Flaschen 30 Rp. per Flasche. — Idem 40 Rp. per 1.
— Bier, gewöhnliches, 2 Rp. — Bier in Flaschen 4 Rp. per Flasche. — Idem
5 Rp. per 1. — Bier in Doppelfäösern 5 Rp.
8) Nidwaiden. Weingeist 10 Rp. per l. — Branntwein 6 Rp. — Wein
Schweiz. Ursprungs 2 Rp. — Wein, ausländischer, 4 Rp. — Idem, feiner, 25 Rp.
— Bier 2 Rp. — Most 2 Rp.
9) Obwalden. Wein Schweiz. Urprungs 2*/6 Rp. per 1. — Wein nicht
Schweiz. Ursprungs 3*7*5 ^V- — Luxusweine und gebrannte Wasser, die in
Kisten oder Körben verpackt sind, 46 Rp. per 5 kg brutto. — Most oder Bier
**/i5 Rp. per 1. — Gebrannte Wasser Schweiz. Ursprungs«: von 18 Grad Cartier
oder darunter 4^/i5 Rp. Für höhere Gradhaltigkeit steigt dieser Ansatz allmälig
bis: 38 Grad 10 '*/»•'> ^P« — Gebrannte Wasser nicht Schweiz. Ursprungs: von
18 Grad Cartier oder darunter Ö'/s Rp. Für höhere Gradhaltigkeit steigt dieser
Ansatz allmälig bis: 38 Grad 16 Rp.
10) Solothurn. Weine Schweiz. Ursprungs b^j^ Rp. per 1. — Wein und
Most nicht Schweiz. Ursprungs 6^/3 Rp. — Bier und Obstwein (Most) Schweiz.
Ursprungs V» ^P- — ^^®^ fremden Ursprungs 2^8 Rp. — Branntwein und
Liqueurs in Flaschen, auch alle Liqueurs in großem Geschirren, Schweiz. Ur-
sprungs 13 Rp. — Idem fremden Ursprungs 20 Rp. — Branntwein und Wein-
geist, welcher auf der Probe nach Tralles gemesseu werden kann: bis auf 35
Prozent 10 Rp. per 1. Für höhere Gradhaltigkeit steigt dieser Ansatz allmälig
bis: 95/96 Prozent 27 Rp.
Ohmgeld — 554 — Ohmgeld
11) üri. Weingeist scbweiz. Ursprungs 15 Rp. per 1. — AVeingeist fremden
Ursprungs 20 Kp. — Wein oder Branntwein schweiz. Ursprungs 5 ßp. — Idem
fremden Ursprungs 6 Ep. — Bier oder Most 2 Rp.
12) Zug. Wein, ausländischer, in Fässern, 373 Rp. per 1. — Idem, in
Schlegelflaschen, 15 Rp. per Stück. — Wein, schweiz., lYs Rp. per 1. — Bier
173 Rp. — Obstwein ^/s Rp. — Auf Weingeist und Branntwein wird keine
Steuer erhoben.
IL Kantone, welche das Ohmgeld nur auf fremden Getränken
bezogen.
13) Baselstadt. Wein, ausländischer, in Fässern, 65 Rp. per hl. — Idem,
in Flaschen, 10 % vom Werth der Faktur. — Bier, ausländisches, 65 Rp. —
Gebrannte Wasser und Liqueurs, ausländische, 10 ^/o vom Werth der Faktur.
14) T es sin. Weingeist Fr. 5. 70 per 100 kg. — Branntwein Fr. 4. 50.
— Bier, Obstwein und Meth Fr. 4. 80. — Wein aller Art und Wermuth in
Fässern Fr. 2. 60. — Liqueurs: Arrac, Absinthe, (.oguac, Kirschwasser etc. in
Fässern oder Flaschen Fr. 16, — Wein aller Art in Flawchen Fr. 1<).
15) Waadt. Bier in Fässern Fr. 2 per 100 kg. — Wein in Fässern Fr. 3.
— Werrauth in Fässern Fr. 6. — Bier in Flaschen Fr. 6. — Wein und Wer-
muth in Flaschen Fr. 9. — Branntwein und Kirschwasser Fr. 9. — Liqueur-
weine in Fässern oder Flaschen Fr. 12. — Weingeist Fr. 12. — Liqueurs in
Fässern oder Flaschen Fr. 12. — Rhum Fr. 12.
16) Wallis. Wein und Bier in Fässern Fr. 4. 40 per 100 kg. — Brannt-
wein, Liqueurs, Wein in Flaschen und andere geistige Getränke Fr. 20. —
Weingeist Fr. 12.
m. Octroi-Städte.
17) Stadt Genf. Wein aus dem Kanton Genf, aus den andern Schweizer
Kantonen und ab genferischen Liegenschaften in den Zonen von Savoyen und der
Landschaft Gex Fr. 2. 33 |)er hl. — Weine, ausländische, Fr. 3. 26. — Liquenr-
weine Fr. 8. 13. — Wein und Essig in Flaschen 12 Rp. per Flasche. — Idem
6 Rp. per 7^ Flasche. — Essig and verdorbener Wein Fr. 2. 33 per hl. —
Weindruse (vom l.'). September bis 31. März) Fr. 2. 33. — Weindruse (vom
1. April bis 15. September) Fr. 1. — Bier Fr. 3. 70. — Bier in Krügen oder
in Flaschen 5 Rp. per Krug oder Flasche. — Obstwein Fr. 2 per hl. — Brannt-
wein und Weingeist in Fässern Fr. 20 für jeden hl darin enthaltenen Alkohol.
— Liqueurs aller Art in Fässern Fr. 14. 83 per hl. — Branntwein und Liqueurs
aller Art in Flaschen von 1 72 l und weniger 20 Rp. per Flasche.
BemerkuHf/en. Yon der Weinernte an bis zum 15. November wurde die
Gebühr für den neuen, mit der Hefe eingeführten Wein im Verhältniß von 106
zu 100 berechnet. Mit Alkohol angemachte Firnisse mit mehr als 45 ®/o Alkohol-
gehalt bezahlten wie Alkohol.
18) Stadt Carouge. Weine schweiz. Ursprungs 2 Rp. per 1. — Weine
fremden Ursprungs 3 Rp. — Bier 3 Rp. — Obstwein 1 Rp. — Branntwein
6 Rp. — Liqueurs in Flaschen 15 Rp. per Flasche.
Wir lassen nun hienach eine Uebersicht des Reinertrages des Ohmgeldes
und Octrois während der 37jährigen Periode 1850—1886 folgen; es war un-
möglich, weiter zurückzugreifen, weil früher viele Kantone keine detaillirten
Verwaltungsberichte oder Staatsrechnungen publizirten und überdies die Ver-
schiedenheit der Geldwährungen sehr mühsame und unsichere Umrechnungen
erfordern würde
Ohmgeld
— 555 —
Ohmgeld
Zu dieser Uebersicht bemerken wir zur Erläuterung Folgendes : 1) Für den
Kanton Uri war der Reinertrag der Jahre 1850 — 1852 nicht erhältlich, so daß
die bezüglichen Angaben nur 34 Jahre umfassen. 2) Für den Kanton Tessin
und die Städte Genf und Carouge, welche auch Eingangsgebühren auf anderen
Konsumgegenständen hatten, sind nur diejenigen auf Getränken in Kechniing
gebracht.
Reinertrag von Ohmgeld und Octroi in den 37 Jahren 1850 — 1886.
Total
Durchschnitt-
lich per Jahr
1
Total
DurchHchnitt-
lich per Jahr
Aargau
4^81,097
113,003
Obwalden .
492,441
13,309
Baselland .
1'362,622
3G,828
Solothurn .
7'582,429
204,931
Baselstadt .
. r472,394
39,524
Tessin . . .
4'012,816
108,454
Bern .
. 39^044,814
1'055,265
Uri ... .
r334,419
39,248
Freiburg .
9'03 1,414
244,092
Waadt . .
6'509,528
175,933
Grlarus .
1 '097,088
29,651
Wallis . . .
689,493
18,635
Grraubündeii .
. 3'630,481
98,121
Zug ....
397,1)26
10,747
Luzern
9\')2(i,37Ü
257,470
Stadt Genf .
15'791,877
426,807
Xidwaldeu
338,5(>7
9,150
„ Carouge .
1^074,051
29,028
Bis Ende 1890 werden den Ohnigeldkantonen und Octroigemeindeu gemäß
Art. 32^''^ der Bundes veifa.ssung und Art. 6 der Uebergangsbestimmungen zu der-
selben *) die dahingefallenen Eingangsgebühren auf Wein und anderen geistigen
Getränken nach dem Durchschnitt der fünf Jahre 1880/84 aus den Einnahmen
der Alkoholverwaitung ersetzt, wobei für das Jahr 1887 der Ertrag der acht
ersten Monate, während welchen das Ohmgeld noch bestand, in Abzug ge-
bracht wird.
Ergibt das Alkoholmonopol eine größere Netto-Einnahme, als zur Ent-
schädigung der Alkoholkantone nöthig ist, so wird der Rest auf alle Kantone
nach ihrer Volkszahl vertheilt. Pro 1888 ist keine Mehreinnahme zu erwarten,
dagegen ist pro 1889 eine solche im Betrage von rund Fr. 630,000 budgetirt,
bei einer muthmaßlichen Totaleinnahme von Fr. 4^210,000.
Nach der dato (September 1888) noch nicht definitiv abgeschlossenen Ab-
rechnung mit den Ohmgeldkantonen und Octroigemeinden beziffern sich die Ver-
gütungen wie folgt :
') Der Wortlaut dieses Art. 6 ist :
Art. 6 der Uebergangsbe.stimiuungen zur Bundesverfassung. Wenn vor Ende des
Jahres 1890 ein Bundesgesetz im Sinne des Art. 32 bis einjj'efnhrt wird (ist durch das
Alkoholgesetz von 1887 geschehen. — Die Red.), so fallen schon mit dessen Inkraft-
treten die von den Kantonen und Gemeinden nach Art. 32 bezogenen Eingangsgebuhren
auf geistigen Getränken dahin.
Wenn in diesem Falle die auf die einzelnen Kantone und Gemeinden berechneten
Antheile an der zur Vertheilung kommenden Summe nicht hinreichen würden, um die
dahingefallenen Gebühren auf geistigen Getränken nach dem durchschnittlichen jahrlichen
Nettoertrage in den Jahren 1880 bis und mit 1884 zu ersetzen, so wird den betroffenen
Kantonen und Gemeinden bis Ende des Jahres 1890 der daherige Ausfall aus derjenigen
Summe gedeckt, welche den übrigen Kantonen nach der Volkszahl zukommen würde,
und erst der Rest auf die letztern nach ihrer Volkszahl vertheilt.
Außerdem ist auf dem Wege der Bundesgesetzgebung zu bewirken, daß denjenigen
Kantonen oder Gemeinden, für welche das Inkrafttreten dieses Beschlusses eine fiskalische
Einbuße zur Folge haben kann, diese Einbuße nicht auf einmal in ihrem vollen Um-
fange, sondern nur allmählig bis zum Jahre 1895 erwachse. Die hiezu erforderlichen
Enlschädigungs-summen sind vorweg aus den in Art. 3^ bis, Alinea 4, bezeichneten
Reinneinnahmen zu entnehmen.
Ohm(
jeld
— 556 —
■
Orbe-Sflmpfe
Jihrl. bis 1890, gemlu
Ertrag pro
Janaar bis August 1887
Kanton und G«melnde
Dnrchschnittcertrag
Ton 1880/84
Ersats pro 1887
1) Kanton Aargan .
Fr.
186,400. 85
56,685, 64
129,715. 21
2)
»»
Baselätadt
r
47,373. 40
33,028. 74
14,344. 66
3)
»1
Baselland
Tl
51,454. 52
18,420. 91
33,033. 61
4)
n
Bern ») .
n
1'074,191. 83
568,770. —
505,421. 83
ö)
»1
Freiburg .
f»
356,151. 75
200,625. 11
155,526. 64
6)
V
Glams ^) .
n
45,897. 50
13,900. —
31,997. 50
7)
n
Graubilnden*'
f K
155,382. 99
124,433. 33
30,949. 66
«)
f
Luzorn . .
f»
375,521. 54
157,156. 93
218,364. 61
9)
»♦
Nidwaiden
n
13,678. 11
4,995. 14
8,682. 97
10)
n
Obwalden
Tl
19,359. 50
18,591. 30
768. 20
11)
V
Solothurn
n
240,270. 43
<^1,976. 37
148,294. 06
12)
»
Tessin*) . .
r»
161,109. 67
35,377. 60
125,732. 07
13)
t»
üri«^). . .
Tl
62,321. 02
25,942. 55
36,378. 47
14)
t«
Waadt . ,
»♦
326,381. 40
120,038. 04
206,343. 36
15)
1»
Wallis «) . .
«
36,781. 76
17,930. —
18,851. 76
16)
n
Zug . .
Tl
17,710.
11,210. 16
6,499. 84
17)
Stadt
Carouge ')
n
23,994. 61
8,063. 34
15,931. 27
1«)
ff
Genf») .
• »»
387,627. 36
218,588. 15
169,039. 21
Total Fr. 3'581,608. 23 1*725,733. 31 1,855,874. 92
S. aucb das Kapitel „Staatsmonopole", Abschnitt Alkohol.
Olivenöl. Der Verbrauch beträgt jährlich ca. 8000 q. Mehr als die Hälfte
kommt aus Italien, ca. 7» aus Frankreich.
Olten-Aarau, Olten-Basel, Olten-Bern, Olten-Biel, Ölten *Lazem, siehe
„Centralbahn'*.
Optiker und Kleinmechaniker. Zahl derselben im Jahre 1880 302,
wovon 51 Bern, 49 Neuenburg, 49 Zürich, 29 Genf, 29 Waadt, 28 Aargau,
25 Baselstadt.
Orbe-Sümpfe. Sanimng derselben. Dieses Unternehmen bezweckt, die
Orbe Ebene, welche sich vom Neuenburgersee bis zum Mauremont erstreckt, zu
entwässern, sowie dieselbe vor weiteren Ueberschwemmungen zu schützen. Hiezu
Beinerkunj^en: ^) Bern ist mit der Abrechnung für die Einfuhr einverstanden,
verlangt aber nocli Ersatz seiner pro 1880/84 im Durchschnitt jährlich Fr. 90,270 be-
tragenden Fabrikations^'ehühren lür Sprit und Branntwein. *) Glarus ist mit seinem
Ohmgeldpächler für den Ertrag pro 1887 im Prozeß, der noch schwebend ist. ') Grau-
bünden verlangt Ersatz seiner durchschnittlich jährlich Fr. 14,0()2 betragenden Steuer
auf im Kanton gebrautem Bier und für das Jahr 1887 die Anwendung eines andern
Abrechnungsverfahrens, wonach ihm pro 1887 ein Ersatz von Fr. 63,210 zukäme.
*) Tessin: dessen Abrechnung ist noch provisorisch. ^) Uri verlangt Einstellung seiner
Fr. lOOi jährlich betragenden Fahrikationsgehühren in die Abrechnung. *) W€Uli8 : die
Abrechnung ist noch hängig und sind obige Angaben nicht defmitiv. ^ Carouge ver-
langt Aufnahme seiner jährlich im Durchschnitt Fr. 1670 betragenden Fabrikations-
gebühren auf Bier und Essig. ") Genf beanstandet mit Graubünden das Abrechnungs-
verfahren für den Ersatz pro 1887 und verlaugt Berücksichtigung seiner Steuer auf dem
im Octroi-Kayon fabrizirten Bier. Diese Steuer betrug im Durchschnitt der Jahre lÄO/84
brutto Fr. 4927, nach Abzug der Bezugskosten netto Fr. 3948. (An Octroi-Gebühren
bezog Genf im Durchschnitt der Jahre 1880 84 jährlich: Auf Getränken Fr. 487,174,
auf Eßwaaren (comestibles) Fr. 149,002, auf Viehfutter Fr. 64,898, auf Brennmaterialien
Fr. 15,500, dazu Fr. 581 sogenannte Abfertigungsgebühren, macht insgesammt pro Jalu
durchschnittlich Fr. 665,230. Hie von ging nun freilich wieder eine schöne Summe als
Bezugskosten verloren, so daß z. B. die Netto-Einnahme auf Getränke sich auf die oben
in Rechnung gestellte Summe von Fr. 386,619 reduzirte.)
Orbe-Sümpfe — 557 — Ost-West-Baha
ist die Korrektion des Flusses, sowie die Anlegang von Entsumpfungs-Kanälen
nCthig. Die Ausführung dieser Werke hängt ab von der Juragewässer-Korrektion,
durch welche der Wasserspiegel des Neuenburgersees gesenkt worden ist. Durch
diese Senkung wurde auch die Senkung der Grewässer in der Orbe- Ebene ermöglicht.
Das hauptsächlichste dieser Grewässer ist die Orbe selbst. Sie erreicht bei der
Stadt gleichen Namens die Ebene und wird durch eine gänzliche Verlegung des
alten Laufes in eine neue Richtung korrigirt. Die Tieferlegung der Orbe bringt
eine Senkung des Grundwassers der ganzen Ebene mit sich und bildet daher
die erste Bedingung für die Entsumpfung der letztem. Außer diesem Wasserlauf
umfaßt das unternehmen ein ganzes System von Gewässern. Im obersten Theile
tritt von der rechten Thalseite bei Chavomay der Talent in die Ebene ein, ein
Wildbach, dessen Hochwasser bedeutende Ueberschwemmungen verursachten. Durch
die Korrektion desselben wird nicht nur den üeberschwemmungen gesteuert, son-
dern durch die Tieferlegung seines Bettes wird auch dem Nozon, der bei Omy
von der linken Seite in die Ebene tritt und dessen Mündung in den Talent
weiter abwärts verlegt wird, ein größeres Gefäll gegeben, wodurch die Ent-
wässerung des vom Nozon durohflossenen Theiles der Ebene bewerkstelligt wird.
Zwei Entsumpfungskanäle, der Canal occidental auf der linken und der Canal
oriental auf der rechten Seite, gleichlaufend mit dem neuen Bett der Orbe,
fließen direkt in den See, wobei letzterer die Fortsetzung des schon früher aus-
geführten Canal d'Entreroches bildet. Der Canal occidental nimmt den Mujon
auf, dessen Korrektion ebenfalls Entsumpfungszwecken dient. Fernere Korrek-
tionen sind diejenige des Bei/ und diejenige der Brinnaz. Beide, auf der linken
Seite der Orbe gelegen, fließen direkt in den See ; ebenso der Wildbach Buron^
der bei Gressy, etwa^ oberhalb Yverdon, auf der rechten Seite in die Ebene
eintritt und wie die Brinnaz den dortigen Theil der Ebene mit üeberschwem-
mungen bedroht.
An die Kosten dieser Korrektions- und Entsumpfungsarbeiten (welche sich
bereits in Ausführung befinden) erhält der Kanton Waadt einen Bundesbeitrag in
der Höhe von 3378 ^jo der wirklichen Kosten, bezw. ein Maximum von 334,000
Franken (Dritttheil der Voranschlagssumme von Fr. 1 '000,000) mit der Bestimmung^
daß die Ausführung obgenannter Arbeiten innert zehn Jahren, vom Datum des
Beschlusses an gerechnet, stattzufinden habe. Bundesbeschluß vom 19. Juni 1885.
(A. S. n. F. Bd. VIII, pag. 132.)
Organzin. Gezwirnte Seide, die in den Seidengeweben die Kette bildet.
Wird in der Schweiz viel weniger fabrizirt als die Einschlagseide ^Trame);
kommt hauptsächlich aus Italien.
Orgelbau. Zur Zeit (1888) liegen demselben ca. 2 Dntzend Geschäfte ob.
Ortlieber, gelber. Die unter diesem Namen bekannte Traube kommt
in der Schweiz nur vereinzelt vor. Der Rebstock ist kräftig, genügsam und
gedeiht in allen Bodenarten. Er trägt sehr reich, ist unempfindlich in der
Blüthe, die Trauben reifen ziemlich früh, faulen aber außerordentlich leicht. Kr.
Ostbahn, franz., s. Basel-St. Ludwig.
Osterbutterbirne s. Winter-Dechantsbime.
Oster-Calvill, rother Apfel, Wirthschaftsfrucht zweiten- und Tafelfrucht
dritten Ranges, hat durch inländische Baumschulen vielfache Verbreitung gefunden.
Ost- West-Bahn, unter diesem Namen bestand früher eine Eisenbahn-
gesellschaft mit Sitz in Bern. Dieselbe war Inhaberin der Konzessionen für
den Bau und Betrieb der Linien Neuenstadt-Biel-Bern-Langnau-Luzern- Kantons-
grenze in der Richtung nach Zürich. Von diesen Linien hat die Gesellschaft
Ost -West-Bahn — 558 — Papierindustrie
jedoch nur die Strecke von der neuenburgischen Grenze bei Neuenstadt bis
Biel (15,390 m) gebaut. Dieselbe wurde am 3. Dezember 1860 eröffnet und
durch die schweizerische Centralbahn pachtweise betrieben. Am 1. Juni 1861
ist die Linie Neuenstadt-Biel infolge Auflösung der Ost- West-Bahngesellschaft
in das Eigenthum des Kantons Bern übergegangen (vide Bernische Staatsbahn).
Otelfingen-Effretikon s. Nordostbahn.
Ouest-Siiisse. Die unter diesem Namen bestandenen Eisenbahnen umfaßten
die Linien : a. von der neuenburgischen Grenze bei Vaumarcus über Yverdon
nach Lausanne, b. von Lausanne bis zur genferischen Grenze bei Versoix, mit
Ausnahme der genferischen Enclave bei Celigny und c. von Lausanne bis zum
Anschluß an die Walliserbahn bei St- Maarice. Die bauliche Länge betrug
147,809 m, die Betriebslänge dagegen 148,510 m oder rund 149 km. Die
Betriebseröffnung hat wie folgt stattgefunden: Am 7. Mai 1855 die Strecke
Yverdon- Bussigny (31,566 m); am 1. Juli 1855 die Strecke Bussigny-Renens-
Morges (10,598 m); am 5. Mai 1856 Renens-Lausanne (4701 m) und die
Verbindungslinie Morges- Bussigny (962 m); am 10. Juni 1857 Villeneuve-Bex
(18,63v/ m); am 14. April 1858 Morges-Coppet (excl. Enclave bei Celigny;
(32,866 m); am 1. August 1858 Coppet-Grenze bei Versoix (2752 m) ; am
7. November 1859 Yverdon-Grenze bei Vaumarcus (14,623 m); am 1. November
lö60 Bex-St. Maurice (2334 m) und am 2. April 1861 Lausanne- Villeneuve
(2<S,774 m). Am 1. Januar 1865 vereinigten sich die Bahngesellschaften Ouest
Suisse, Franco-Suisse und Lausanne-Fribourg-Berne und Geneve-Versoix (Frei-
burgische Staatsbahn) zum gemeinschaftlichen Betriebe unter dem Namen „Suisse
occidentale". Am 1. Januar 1872 wurde die Fusion auch auf das Eigenthum
der drei Gesellschaften ausgedehnt (vide Suisse ocoidentale).
Palezieux-Fräschels s. Suisse Occidentale-Simplun.
Papierindustrie, Das eidg. Fabrikreglsler verzeichnet im September 1888
43 Etablissomente für die Herstellung von Papier, Cartou und Papierstoff, nämlich:
Kuntou J'apier Carton Papierstoff Total Eiabl.
Aargau 2 1 — 3
Appenzell A. Kh. . . 1 *) — — 1
Baselland .... ',- 7^ — 1
Baselstadt .... 2 '/j V2 — 3
Bern '2 2 (j 10
Freiburg .... — 3 — 3
Genf 1 - — 1
Glarus 1 1 — 2
Graubünden . . '/- — *- 1
Luzern 1 — 1 2
Neuenburg .... 1 — — 1
St. Gallen .... — 2 — 2
Solothurn .... 1 — 2 3
Tessin — 1 - 1
Thurgau V'a '/- — 1
Waadt 1 1 — 2
Wallis V2 V2 — 1
Zürich . . . . • 2 — 1 3
Zug 1 1 — 2
IH\U U 10 V2 43
*l Bunlpapior.
Papierindustrie — 559 — Papierindustrie
In diesen 43 Etablissementen werden ungefähr 2000 Arbeiter beschäftigt.
Die Papier- und Cartonfabrikation wird dem Werthe nach auf ca. 10 Millionen
Franken geschätzt. Dieselbe wäre, ohne die Schutzzollpolitik und gewaltige Kon-
kurrenz des Auslandes, weit bedeutender. Die zwei letzteren Faktoren nöthigen
in neuerer Zeit schweizerische Etablissemente, ihren Betrieb zu reduziren oder
einzustellen.
Von der Mitte des 15. Jahrhunderts an waren Papiermühlen in der Schweiz
zu treffen. Das Bemer und Freiburger Wappen findet sich von 1519 an sogar
auf Archivpapieren in Straßburg und Mainz. Im 16. Jahrhundert bezogen einige
Buchdrucker, welche in Genf und Lyon gleichzeitig Geschäfte hatten, ihren Papier-
bedarf theilweise aus Genf. Ein Theil der Kupferstiche von Van Dyck (1630 bis
1650) sind auf Basler Papier gedruckt. Fr ei bürg hatte im 15. Jahrhundert
Papiermühlen in Belfaux (1440 — 1444), an der Gläne im Gebiet des Klosters
Hauterive (1445 — 1515), und in Marly, welch' letztere heute noch prosperirt,
nachdem dieselbe unzählige Male den Besitzer gewechselt hat, 1837 an die
Familie Landerset übergegangen und 1876 von derselben in eine Maschinen-
papierfabrik umgewandelt worden war. Bern besaß zwei Papiermühlen ; Worb-
laufen und Thal. Letztere wurde im 13. Jahrhundert wahrscheinlich von einem
Lombarden, Antonio di Novara, gegründet und im Jahre 1466 an Job. Jacki
und dessen Sohn Antonio verkauft. Diese Jacki hatten große Privilegien für
den Einkauf der Lumpen und den Papierverkauf, waren zugleich Besitzer des
Geschäfts in Worblaufen und verkauften letzteres anno 1470 an die Herrschaft
Bern für 150 Gulden. Um 1747 finden sich beide Mühlen im Besitze des
Banquiers David Grüner in Bern, in dessen Familie dieselben verblieben, bis die
Aktiengesellschaft „Papierfabrik Worblaufen** im Jahre 1860 ein Etablissement
nach modernen Anforderungen erstellte, das zeitweise ca. 200 Arbeitern zu be-
schäftigen vermochte. Ferner befanden sich Mühleu in St. Sulpice und Serrieres
(Neuenburg), letztere nachweislich seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts;
in Gösgen (1558) und Mümliswyl ( Solo t hur n). In Basel wurde die älteste
Mühle anno 1440 beim Riehenthor von Hans Halbysen etablirt. Demselben
folgten eine Reihe anderer „Bappirimacher'*.
Eine Urkunde von 1576 erwähnt deren 8. Im Jahre 1770 veranstalteten
in Basel 50 l^apierer eine Jubiläumsfeier und gründeten eine Unterstützungskasse.
1725 zählte Basel 6 Papiermühlen, 1826 19 ßütteu, 1857 noch deren 11.
Im Kt. Zug arbeitete die Mühle in Baar (heute (yartonfabrik von Ph. Meyen-
berg), eine zweite entstand 1658 in Cham; in dieser wurden zum ersten Mal in
der Schweiz die alten Stampfwerke durch den „Holländer** ersetzt; sie existirt
heute noch als modern eingeiichtete Papierfabrik.
Die Papiermühle Rotzloch im Kt. Unterwaiden, anno 1 600 von Nicolas
Rieser, früher Ammann in Bellinzona gegründet, hat bis vor Kurzem fortbestanden.
Die Luzerner Mühlen in Horw (seit 1685) und Kriens (seit 1781) existirten
bis um 1870; in letzterer wurden seiner Zeit die vorzüglich festen, rostgelben
sog. Bankpackj)apiere fabrizirt.
In Zürich erwarb 1470 Heinrich Walchweiler von Zug die Mahl- und
Sägemühle von Otto im Werd und erbaute daselbst auf der später „ Papierer werd**
genannten Limmatinsel am untern Mühlesteg eine Papiermühle. Dieselbe gelaugte
später an den Rath der Stadt Zürich und wurde von diesem renovirt, um 1535
dem Papiermacher Eustachius Froschauer und dessen Bruder Christoph, dem
berühmten Buchdrucker der Reformiitionszeit, als obrigkeitliches Handlelien über-
geben. Der letzte Besitzer, Johann Vügeli z. Finken, loste das Erblehens-
Papierindustrie — 560 — Papierindustrie
verhältniß zum Fiskus im Jahre 1837 durch Auskanf, nachdem er schon 1832
eine Papiermaschine aufgestellt hatte. Heute bildet das Etiiblissement einen
integrirenden Bestandtheil der sehr bedeutenden Papierfabrik an der Sihl.
Papiermühleu befanden sich ehedem auch in Schaffhausen, Goldach (1582
von Leonhard Straub, dem ersten Buchdrucker St. Gallens gegründet), Ober-
krätzeren (1604 durch den Abt Bernhard IL erbaut), Lübel (Appenzell, 1669)
und Herisau, Cannobbio (Tessin) und Vouvry (Wallis, seit 1639 bekannt).
Die alte mühevolle Papiermacherei erlitt von 1799 an successive eine voll-
ständige Umwandlung auf Grund der Maschine für die Herstellung endlosen
Papiers, die in ihren Grundzügen im genannten Jahre von Louis Robert, einem
Arbeiter in der Papierfabrik von Fran^ois Didot zu Essonnes bei Paris, erfunden
wurde.
In der Schweiz fanden die neuen Papiermaschinen in den dreißiger Jahren
Eingang; die damals noch junge Firma Escher Wyß & Cie. in Zürich war eine
der ersten Maschinenfabriken, die sich mit voller Energie auf den Bau von ver-
besserten Papiermaschinen verlegten; sie erwarb sich damit in wenig Jahren
europäischen Ruf, wie später auch Tb. Bell & Cie in Kriens bei Luzern.
Roh- und Hülfttstoffe zur Papierfabrikation sind u. A. : Hadern, weiße (zu
60 ^/o aus Leinen, zu 40 ^/o aus Baumwolle), Zwilch (Sack lumpen), farbige Baum-
wolle, Bast, Halbwolle (Schranz), Papierspähne, Fichtenstoff, Aspenstoff, Strohstoff,
Cellulose.
Einfuhr und Ausfuhr von Erzeugnissen der Papierindustrie
(ohne Holzstoff). Einfuhr im Jahresdurchschnitt 1851/59 brutto 3412 q,
1860/69 brutto 6770 q, 1870/79 brutto 19,453 q, 1880/84 brutto 15,041 q,
1885 netto 35,138 q, 1886 netto 39,339 q im geschätzten Werthe von
Fr. 4^357,000; hievon entfallen ca. 60 7o auf Deutschland, ca. 21% auf
Oesterreich, ca. 11 ^o auf Frankreich oder 22 ^o (des Werthes) auf Buchbinder-
und Cartonnagearbeiten, ll^li^JQ auf Buntpapier, Papiertapeten etc., Ib^l^^JQ
auf Drnck- und Schreibpapier, ^^l^^ja auf Pappendeckel, 9^0 auf Papierwäsche,
^^l^^jo auf Pack- und Löschpapier, l^li^ja auf Etiq netten etc., 4^0 auf ein-
farbiges Seidenpapier, S^/i^/o auf Porzellan- und Kreidepapier etc., 2^0 auf
Glas-, Rost- und Schmirgelpapier. Einfuhr im Jahre 18b7 : 39,653 q im geschätzten
Werthe von Fr. 4^552,380.
Ausfuhr im Jahresdurchschnitt 1851/59 brutto 410 q, 1860/69 brutto
5024 q, 1870/79 brutto 14,723 q, 1880/84 brutto 13,461 q, 1885 netto
24,086 q, 1887 netto 27,893 q im deklarirten Werthe von Fr. 2^171,876.
Ca. 30 ^/ü der 1887er Ausfuhr bestand in Pack- und Löschpapier, ca. 62%
in Druck- und Schreibpapier; das Meiste ging nach Frankreich, Italien, Deutsch-
land und Belgien. — Bis 1857 blieb die schweizerische Papierausfuhr unter
500 q jährlich, dann stieg sie zunächst auf 1000 und bis zum Jahre 1865 auf
2888 q; in den folgenden 4 Jahren machte sie Sprünge auf 5900, 8900,
10,807 und 11,9U0 q, und gelangte von da an auf die oben angegebene Höhe.
Als kleinere Zweige der Papierindustrie sind hier noch zu erwähnen :
Die Papier Säcke fabri hat fon^ die von ca. 2 Dzd. Firmen als Spezialität be-
trieben wird und sehr viele Hände in Privathäusern und Anstalten beschäftigt;
ferner die PapiertüHsotfabrikation mit ca. 7^ Dzd. Firmen ; die Papierwäschc-
t'ibrikaiion, soweit bekannt von 3 Firmen in Zürich und Baselstadt betrieben;
die Papieriaternenfabrtkati'on als Spezialität einer Firma in Außersihl und endlich
— last uüt least — die Geseßiüflsbüc/ier- und die Briefcoiioertfabrikation, jede
Branche durch hehr uamliai'te Firmen betrieben. S. auch -Buchbinderei**.
Paraguay — 561 — Patentbureaux
Paraguay steht seit April 1881 mit der Schweiz im Yertragsverhältniß
durch den Weltpostvereinsvertrag. Den Waarenverkehr betreffend siehe Argen-
tinien auf Seite 830 im I. Band.
Parfumerie. Die Fabrikation von Parflimerien hat in neuerer Zeit auch
in der Schweiz Boden gefaßt und es sogar zu einem Export gebracht, der dem
Import (früher viel stärker) ungefähr gleich kommt. 1887 Export Fr. 138,000,
Import Fr. 126,000. Buchmann & Cie. in Winterthur, Fabrik parfiimirter Seifen,
unter dem Fabrikgesetz.
Paris-Lyon-Mediterranee. Am I.Januar 1862 hat die Gesellschaft der
französischen Mittelmeer bahn die bis dahin der Gesellschaft Lyon- Gene ve ge-
hörende Strecke von der Schweiz. Grenze bei la Plaine bis Genf (16,250 m)
dorch Fusion mit der alten Gesellschaft erworben (vide Lyon-Geneve).
Pariser Tambour-Reinette. Fast in allen obstbauti-eibenden Gegenden
der Schweiz heimischer Tafel- und Mostapfel 1. Ranges.
Parquetbodenwichse. Nach Birkhäuser 8 Fabr. (5 Zürich, je 1 Baselstadt,
Genf, Thurgau).
Parquetfabrikation. Diesem Geschäftszweig lagen im Jalire 1880 (laut
eidg. Berufsstatistik) 672 Personen ob, wovon 150 im Kt. Bern, 110 in Ob-
walden, 73 im Kt. Solothurn, 71 im Kt. St. Gallen, 57 in der Waadt, 37 im
Kt. Zürich, 30 im Kt. Uri u. s. w. Die erste Schweiz. Parquetfabrik wurde
im Jahre 1852 von Alt-Nationalrath Seiler in Verbindung mit den HH. Weyer-
mann und Stehler in der jetzigen alten Brauerei in Interlaken gegründet, später
nach ünterseen verlegt und 1859 einer Aktiengesellschaft mit einem Gründuugs-
kapital von Fr. 700,000 abgetreten. Später entstanden der Keihe nach Kon-
knrrenzfabriken in Tour-de-Trerae bei Bulle, in Grenchen, Aigle, Goldbach bei
Burgdorf, Carouge, Luzern, Biberist, Kerns, Komont. Noch später folgten auch
Geschäfte in Basel, Zürich, Neuenburg, Lausaune, Rolle, Winterthur, Bern,
St. Gallen, Unter walden, Uri etc., zum Theil jedoch in ganz unbedeutenden
Dimensionen, von Ziniraerleuten, Schreinern etc. betrieben. Viele davon sind wieder
eingegangen, doch gibt es, nach Birkhäuser's Adreßbuch (Basel, 1885), immer
noch etwa 70 Geschäfte dieser Art. Das Adreßbuch von Hans Schwarz (Zürich,
1888) verzeichnet ihrer 49, wovon 10 Kt. Bern, 6 Ob walden, 6 Genf, 5 Kt.
St. Gallen, 4 Kt. Zürich etc. 19 Etabl. unter dem Fabrikgesetz.
Die heutige Parquetproduktion wird auf 300,000 m^ im Werthe von zwei
Millionen Franken geschätzt, wovon ungefähr 20 ^/o exportirt werden, und zwar
hauptsächlich nach Frankreich und Italien. Die Industne hatte ihre Blüthezeit,
was den Erwerb anbetrifft, in den 60er und 70er Jahren. Mit der Parqueterie
steht in der Schweiz auch die Chaletfabrikation (s. diese) und die Bauschreinerei
in Verbindung.
• Die Schweiz. Waaren Verkehrsstatistik verzeichnet für rohe Parqueterie eine
Einfuhr von 363 q brutto im Jahresdurchschnitt 1877/79, von 22 q brutto
im Jahresdurchschnitt 1880/84; eine Ausfuhr von 1253 q brutto im Jahres-
durchschnitt 1875/79, von 3030 q brutto im Jahresdurchschnitt 1880/84. Seit
1885 bildet die Parqueterie keine eigene Position mehr in der Waaren Verkehrsstatistik.
Pastorenbirne. Tafelobst 2. und Wirthschaftsobst 4. Ranges, seit Jahren
in allen Baumschulen.
Patentbureaux. Mit der Vermittlung von Erfindungspatenten befassen sich,
nach Wissen des Lexikons, die Firmen E. Blum & C' in Zürich, Bourry-Sequin
in Zürich, Imer - Schneider in Genf, Fr. Marti in Winterthur, Kühne in Basel
(Herausgeber des Schweiz. Patentblattes).
Furrer, Volkawirthschafta-Lexlkon der Schweiz. 3(i
Patentschulz — 562 — Patentschutz
Patentschutz« (Mitgetbeilt von Herrn Dr. Kaufmann, eidg, Gewerbe-
sekretär.) Im Artikel ^ Erfindungs-, Muster- und Modellschatz " ist die Geschichte
des Erfindungsschutzes in der Schweiz bis zum 26. Mai 1885 dargestellt worden,
und es dürfte hier der Ort sein, ihre bedeutungsvolle Fortsetzung zn skizziren.
In einer Botschaft an die Bundesversammlung, vom 1. Juni 1886, betreffend
Förderung von Landwirthschaft, Industrie und Gewerbe, sowie betr. den Schutz
des gewerblichen Eigenthums, formulirte und begründete der Bundesrath, an-
knüpfend an die Motion Grosjean vom 10. Dezember 1883, den Antrag:
«Die Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 erhält folgenden Zusatz:
«Art. 64 ^''». Dem Bunde steht die Gesetzgebung zu über den Schutz der Er-
findungen auf dem Gebiete der Industrie, der Landwirthschaft und der Gewerbe,
sowie über den Schutz der Muster und Modelle.*
Diesen Antrag empfahl der Bundesrath nochmals nachdrücklich in einer
Botschaft vom 5. November 1886, betreffend die Ratifikation von Zusätzen zur
internationalen Konvention über den Schutz des gewerblichen Eigenthums (siehe
„ Gewerbliches Eigen th um " ).
Der Nationalrath beschloß am 18. Juni 1886 mit 76 gegen 45 Stimmen
Eintreten auf die Vorlage und am 24. Juni mit 88 gegen 16 Stimmen folgende,
einem die Opposition der chemischen Industrie beseitigenden Yermittlungsantrag
von BUhler-Honefff/er entspringende Fassung derselben :
„In Art. 64 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 wird nach den Worten :
ȟber das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst* ein Zusatz ein-
geschaltet folgenden Inhaltes: Dem Bunde steht die Gesetzgebung tu über den
Schutz neuer Muster und Modelle, sowie solcher Erfindungen, welche durch
Modelle dargestellt und gewerblich verwerthbar »tnd.*
Das Traktandum ging hierauf an den Ständerath. Noch einmal trafen die
Gegensätze vor der herannahenden Entscheidung des vierzigjährigen Kampfes ')
in seiner Kommission auf einander. In ihrer Sitzung vom 18./20. Oktober 1887
trennte sie sich in zwei gleich starke Fraktionen (je drei Mitglieder), von welchen
die eine für, die andere gegen Eintreten auf die Vorlage stimmte. Die beidseitigen
Anschauungen sind in den gedruckten Berichten der Fraktionsberichterstatter
(A, Gavurd, April 1887, und Rieter, 18. April 1887) niedergelegt. Der Stände-
rath schloß sich jedoch am 28. April 1887 dem oben erwähnten Nationalraths-
beschluß an und es wurde somit der „Bundesbeschluß betreifend Ergänzung des
Art. 64 der Bundesverfassung vom 28. Mai 1874** perfekt.
Diese Vorgänge waren begleitet von einer ziemlich bewegten Agitation der
an der Einführung des Erfindungsschutzes interessirten Kreise, welche sich zu
Gunsten des Erfindungsschutzes namentlich in einer Reihe von Petitionen an die
Käthe, worunter solche mit Tausenden von Unterschriften, kundgab. Die haupt-
sächlichsten dieser Eingaben gingen aus vom Schweiz. Erfindungs- und Muster-
schutzverein, Schweiz. Gewerbeverein, der Gesellschaft ehemaliger Polytechniker,
dem Schweiz, landwirthschaftlichen Verein, dem Schweiz. Ingenieur- und Architekten-
verein, den Grütlivereinen, den zahlreichen Vereinigungen der ührenindustrie, des
Gewerbes etc. etc.
Der genannte Bundesbeschluß vom 28. April 1887 wurde am 10. Juli 1887
der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet (siehe Botschaft des
Bundesrathes vom 16. August 1887), welche das Resultat hatte, daß sich für
Annahme der Vorlage die Mehrheit des Volkes (203,506 gegen 57,862 Stimmen)
*) Die Angabe auf Seite 572, I. Band, betreffend den ersten Anstoß zur Einführung
des Erfindungsschutzes, wolle man nach der Ausführung auf Seite 343,44 («Literarisches
und künstlerisüches Eigenthum*), II Band, berichtigen.
Pateotschutz — 563 — Patentschutz
iu allen Kantonen und Halbkantonen, außer in Uri und Appenzell I.-Kh., aus-
sprach. Mit Bundesbeschluß vom 20. Dezember 1887 wurde daher die erwähute
thoil weise Abänderung der Bundesverfassung als angenommen erklärt und damit
die endliche Einführung des Erfiudungs-, Muster- und Modelischutzes in der
Schweiz proklamirt.
Daraufhin ist vom eidg. Uandelsdepartement der Entwurf zu einem j^Bundes-
f/eseie betreffend die Erfindunf/spatente^y unter Beiziehung einer Expertenkommis-
sion, ausgearbeitet und vom Bundesrathe den eidg. Käthen mit Botschaft vom
20. Januar 1888 unterbreitet worden. Das aus den Berathungen der Räthe
hervorgegangene, vom Volk nicht beanstandete Gesetz, d. d. 29. Juni 1888, lautet:
I. Allgemeine Bestimmungen. Art. 1. Die schweizerische Eidgenossenschaft ge-
währt, in der Form von Erfindungspatenten, den Urhebern neuer Erfindungen, welche
gewerblich verwerthbar und durch Modelle dargestellt sind, oder deren Rechtsnachfol-
gern die in vorliegendem Gesetze bezeichneten Rechte.
Art. 2. Erfindungen gelten nicht als neu, wenn sie, zur Zeit der Anmeldung, in
der Schweiz schon derart bekannt geworden sind, daß die Ausführung durch Sachver-
ständige möglich ist.
Art. 3. Ohne die Erlaubniß des Patentinhabers darf Niemand den Gegenstand
der Erfindung darstellen oder damit Handel treiben. — Bildet ein Werkzeug, eine
MiCschine oder eine sonstige Betriebsvorrichtung den Gegenstand der Erfindung, so
ist der Gebrauch dieses Gegenstandes zu einem gewerblichen Zwecke ebenfalls nur
mit Erlaubniß des Patentinhabers gestattet. Letztere gilt als ertheilt, wenn der paten-
tirte Gegenstand ohne irgend welche einschränkende Bedingung in den Handel ge-
bracht wird.
Art. 4. Die Bestimmungen des vorhergehenden Artikels sind nicht auf solche Per-
sonen anwendbar, welche zur Zeit der Patentanmeldung die Erfindung bereits benutzt
oder die zu ihrer Benutzung nöthigen Veranstaltungen getrofien haben.
Art. 5. Das Patent ist durch Erbfolge übertragbar. Auch kann es den Gegenstand
einer gänzlichen oder theilweisen Abtretung, beziehungsweise Verpfandung, bilden, oder
denjenigen einer Licenz, die einen Dritten zur Benutzung der Erfindung ermächtigt.
Uebertragungen von Patenten und Licenzertheilungen sind Dritten gegenüber nur wirk-
sam, wenn sie nach Art. 19 dieses Gesetzes einregistrirt sind.
Art. 6. Die Dauer der Patente ist fünfzehn Jahre, vom Tage der Anmeldung an.
— Für jedes Patent ist eine Hinterlegungsgebühr von Fr. 20 und eine in folgender
Weise zunehmende Jahresgebühr zu entrichten: Für das erste Jahr Fr. 20, für das
zweite Jahr Fr. 30, für das dritte Jahr Fr. 40 u. s. w. bis zum 15. Jahre, für welches
die Gebühi Fr. 160 beträgt. — Diese Gebühr ist zum Voraus, am ersten Tage des be-
treffenden Patentjahres, zu entrichten. Der Patentinhaber kann dieselbe auch für meh-
rere Jahre vorausbezahlen. Wenn er vor Ablauf der Zeit, für welche er bezahlt hat,
auf das Patent verzichtet, so werden ihm die dannzumal noch nicht verfallenen Jahres-
gebühren zurückvergütet.
Art. 7. Der Inhaber eines Patentes, welcher an der durch dasselbe geschützten
Erfindung eine Verbesserung anbringt, kann durch Bezahlung einer einmaligen Gebühr
von Fr. 20 ein Zusatzpatent erhalten, das mit dem Hauptpatent sein Ende erreicht.
Art. 8. Einem in der Schweiz niedergelassenen Patentbewerber, welcher nach-
weisbar unvermögend ist, kann für die drei ersten Jahresgebühren Stundung bis zum
Beginn des vierten Jahres gewährt werden. Wenn er alsdann seine Erfindung fallen
läßt, so werden ihm die verfallenen Gebühren erlassen.
Art. 9. Das ertheilte Patent erlischt: 1) wenn dor Inhaber in schriftlicher Eingabe
an das eidgenössische Amt für gewerbliches Eigenthum auf dasselbe verzichtet ; 2) wenn
die Jahresgebübren nicht spätestens innerhalb drei Monaten nach der Fälligkeit (Art. 6)
bezahlt werden. — Das eidgenössische Amt für gewerbliches Eigenthum wird, immer-
hin ohne Verbindlichkeit für dasselbe, den Inhaber unverzüglich vom Verfall der Jahres-
gebühr verständigen ; 3) wenn die Erfindung nach Ablauf des dritten Jalires, vom Datum
der Anmeldung an gerechnet, nicht zur Anwendung gekommen ist ; 4) wenn der paten-
tirte Gegenstand vom Ausland in die Schweiz eingeführt wird, und der Inhaber des
Patentes gleichzeitig schweizerische Licenzbegehren, welche auf billiger Grundlage be-
ruhen, abgelehnt hat. — Die Klage auf Hinfölligkeit des Patentes in den Fällen von
Ziffer 3 und 4 kann von Jedermann, welcher hiefür ein rechtliches Interesse nach-
PatenUchutz — 504 — Patentschutz
weist, bei dem für die Nachjihinungsklage zustündij^en Gerichte (Art. 30) angehoben
werden.
Art. 10. Ein erth<;ilte3 Patent ist al< niciitig zu erklären: 1) wenn die Erfindung
nicht neu oder gowerbhch nicht verwerthbar ist ; 2) wenn der Patentinhaber weder
Krheher der Eründung noch dossen Kechtsnacht'olger ist, wobei jedoch bis zum Beweise
des Gej^'entheils der Patentnehmer als Urheber der betretTendeii Ertindung gilt; 3) wenn
der Titel der Ertinduug, unter welchem das Patent nachgesucht worden ist, einen an-
dern als den wirklichen Ge^renstand der Ertindung angibt und dem Patentbewerber
dabei die Absicht, Andere zu tauschen, zur Last fällt; 4) wenn die mit dem Gesuche
eingereichte Darlegung der Erfindung (Beschreibung und Zeichnungen) nicht jrenügt,
um Sachverständigen die Ausführung der Ertindung möglich zu machen, oder mit dem
Modell (Art. 14, Ziffer .*{) nicht übereinstimmt. — Die Nichtigkeitsklage steht Jeder-
mann zu, der dafür ein retrhtliches Interesse nachweist, und ist bei dem zuständigen
Gerichte anzuheben.
Art. 11. Wer nicht in der Schweiz wohnt, kann den Anspruch auf die Ertheilung
eines Patentes und die Rechte aus dem letztern nur geltend machen, wenn er in der
Schweiz einen Vertret«'r bestellt hat. Der Letztere ist zur Vertretung in den nach Maß-
gabe dieses Gesetzes stattfindenden Verfahren, sowie in den das Patent betreffenden
Keclitsstreitigkeiten befugt. — Für die in solchen Hechtsstreitigkeiten gegen den Palent-
inhaber anzustellenden Klagen ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Vertreter
seinen Wuhnsitz bat, in Ermangelung oine< solchen das Gericht, in dessen Bezirk das
eidgenössische Amt seinen Sitz hat.
Art. 12. Der Inhaber eines Patentes für eine Erfindung, welche ohne Benutzung
einer früher patentirten Ertindung nicht verwerlhet werden kann, ist berechtigt, vom
Inhaber der letztem die Ertheilung einer Licenz zu verlangen, wenn seit der Einreichung
des Gesuchs für das frühere Patent drei Jahre verflossen sind «nd die neue Erfindung
von erheblicher gewerblicher Bedeutung ist. — Wenn die Licenz bewilligt ist. so ist
der Inhaber des früheren Patentes berechtigt, auch seinerseits vom nachfolgenden Er-
linder eine Licenz zu verlangen, welche ihn zur Benutzung der neuen ErtindunK er-
mäclitit^t : unter der Voraussetzung jedoch, dali diese letztere ihrerseits mit der frühern
Erfindung in einem thatsächlichen Zusammenhange stehe. - In Streitfallen entscheidet
das Bundesgericht und setzt die zu leistenden Entscliädigungeu und Sicherheit fest.
Art. IH. Wenn das öffentliche Interesse es erheischt, kann die Bundesversamm-
lung auf Verlan^ren des Bundesratlie< oder einer Kantonsregierung die Expropriation
eines Patenies auf Kosten des Bundes oder eines Kantons aussprechen. — Der Bundes-
beschluLi wird bestimmen, ob die Erfindung: das ausschlieLiliche Eigenlhum des Bundes
oder ob sie Gemeingut wird. — Den Betrag der ileni Patentinhaber zu leisten den
Entschädigung bestimmt das Bumiesgoricht.
IL Anmildumj und Krihrilung der Patente. Art. lt. Wer für eine Erfindung
ein Patent erwerben will, hat hiefür beim eidgenössischen Amte für gewerbliches Eigen-
thum ein Gesuch nach MaL^abe eines sachbezüjrlichen Fornmlai-s einzureichen. —
Dieses (Jesuch darf sich nur auf einen Hauptg(?genstand mit den zu demselben gehöri-
gen Details beziehen. Dasselbe hat den Titel der Erfindung, welcher das Wesen des
erfundenen Gegenstandes klar und besthnmt bezeichnen soll, anzuK'eben.
Dem Gesuche ^<ind beizufü>:en: 1) eine Beschreibung der Eiiindun^. welche in
einer besonderen Abtheilung der Schrift die wesenthclien Merkmale der Ertindung ge-
drängt autTühren mulö: 2i die zum VerständniL» der Beschreibung erforderlichen 2kjich-
nun;-'en: 3» der Beweis, dalö ein .Modell des erfundenen Gegenstandes, oder der Gegen-
stand selbst, vorhanden i^t: als M()dell gilt die Ausführung der Ertindung oder eine
andere körperliche Darstellung' derselben, welche deren Wesen klar erkennen läüt; 4) die
Summe von Kr. 40, als Ilinlerlegungs^rebühr und als erste Jahresgebühr des Patentes
(Artikel r»': ."»i ein Verzeichnis der ein;:creichlen Aktenstücke und Gegenstände.
Das Ge.«-ucli und »lie schriftlichen Beilagen müssen in einer der drei Landessprachen
abgefaßt sein. — Im Falle der Versagun^' de- Patentes wird dem Hinterlegenden die
JahreNj.'ebühr von Fr. !2<> mit >ämmtlichen j:euiaclilen Eingaben zurückerstattet.
Art. !.'>. Der Bundesrath kann für einzelne Klassen V(»n Erfindungen die Hinter-
lejruntr von .Modellen fttrdern. l'eber die Ausfiibruni: dieses und lies vorstehenden
Artikels hat der Bundesrath eine Verordnunj: zu erlassen, un«! es soll derselbe «labei ins-
be>oridere über da- KrtorderniU der Zitier 3 im Art. 14 nähere Bestimmungen tretTen.
Art. D». Einem Patentbewerber i»^l ;iHj:en Krfüllun'j der in den Ziflern l, ä, 4
und T) ile- Artikel- 1 1 iiufjieslillten Kotjui-ite ein j»rnns(>rtSfftfs]*nttnt zu erlheilen. —
Die-e- jiiovisoriM-lie Patent sichert dem Inhaber desselben während der Dauer von
Patentschutz — 565 — Patentschutz
zwei Jahren, vom Datum des Gesuches an gerechnet, einzig das Recht auf ein defini-
tives Patent, ohne Rucksicht darauf, ob die Erlindung inzwischen in die Oeffenthchkeit
gedrungen sei. Ein Klajjrrecht wegen Nachahmung oder Betiutzung der Erlindung steht
jedoch dem Inhaber nicht zu. — Der Inhaber eines provisorischen Patentes hat vor
Ablauf dieser zwei Jahre durch Leistung des in Ziffer 3 des Art. 15 geforderten Aus-
weises ein definitives Patent auszuwirken, widrigenfalls jenes Patent dahinfälit. — Das
definitive Patent ist nicht rückwirkend. Die Dauer desselben whd vom Datum des pro-
visorischen Patentes bereclmet.
Art. 17. Jedes Gesuch, in welchem die durch die Artikel 14, 15 und 16 vorge-
scfiriebenen Bedingungen nicht erfüllt sind, Lst vom eidgenössischen Amte für gewerb-
liches Eigenthum zurückzuweisen; gegen eine solche Verfügung kann innerhalb der
Nothfrist von vier Wochen an die vorgesetzte Verwaltungsbeliördc rekurrirt werden. —
Wenn das eidgenössische Amt vermöge eines der in Art. 10 aufgeführten Gründe die
Erfindung nicht für patentirbar hält, so soll es den Gesuchsteller vorgängig und in
konfidentieller Weise darauf aufmerksam machen, ihm überlassend, ob er seine Anmel-
dung aufrechthalten, abändern oder zurückzielien will.
Art. 18. Die Patente (provisorische und definitive), deren Anmeldung in gehöriger
W^ise stattgefunden hat, werden unverzüglich ausgefei tigt, und zwar auf Verantwort-
lichkeit der Gesüchsteller und ohne Gewährleistung des Vorhandenseins, der Neuheit,
oder des Werthes der Erfindung. — Das eidgenössische Amt übermittelt dem Gesuch-
steller ein Attest, welches die Erfüllung der vorgeschriebenen Bedingungen beurkundet
und webhem die Doppel der in Art. 14 erwähnten Beschreibung und Zeichnungen bei-
zufügen sind. Dieses Attest bildet das (provisorische oder definitive) Erfindungspatent.
Art. 19. Das eidgenössische Amt für gewerbliches Eigenthum führt ein Register,
welches folgende Angaben enthalten soll: den Gegenstand der erlheilten Patente, Namen
und Wohnort der Patentinhaber und ihrer Bevollmächtigten, das Datum des Gesuches
und der Leistung des Ausweises über die Existenz des Modelies, sowie alle Aenderungen,
welche sich auf die Existenz, den Besitz und den Genuß des Patentes beziehen. —
Rechtskräftige Urtheile über Verfall, Nichtigkeit, Expropriation und Licenzertheilung
sind auf Begehreu der obsiegenden Partei einzutragen.
Art. 20. Jeder Inhaber eines definitiven Patentes hat die nach demselben herge-
stellten Gegenstände an einer sichtbaren Stelle mit dem eidgenössischen Kreuz, sowie
mit der Nummer des Patentes zu versehen. — Wenn dies vermöge der Beschaffen-
heit der Gegenstände nicht thunlicii ist. so ist die Bezeichnung auf deren Verpackung
anzubringen. — Der Patentinhaber verliert sein Klagrecht wegen Nachahmung, wenn
er die hier vorgeschriebene Bezeichnung seiner Erzeugnisse unterlassen hat.
Art. 21. Der Inhaber eines definitiven Patentes kann verlangen, daß die in Art. 4
erwähnten Personen die betreffenden Gegenstände ebenfalls mit dem eidgenössischen
Kreuz, sowie mit der Nummer des Patentes versehen.
Art. 22. Jedermann kann auf dem eidgenössischen Amte mündliche oder schrifl-
liche Auskunft über den Inhalt des Patentregisters erhalten. — Der Bundesratli ist er-
mächtigt, für diese Mittheilungen einen mäßigen Gebührentarif aufzustellen.
Art. 23. Die Titel der (provisorischen und definitiven) Patente mit deren Num-
mern, sowie dem Namen und W^ohnort der l*atentinhaber und ihrer Bevollmächtigten
werden sofort nach Ertheilung der Patente vom eidgenössischen Amte veröfientlicht. -
Das Amt veröffentlicht in gleicher Weise die Erlöschung der Patente und jede im Be-
sitze derselben eingetretene Aenderung. — Außerdem veröffentlicht das eidgen. Amt
die Beschreibungen und die den Patentgesuchen beigefügten Zeichnungen und gibt sie
zu einem mäßigen Preise ab. Diese Publikation wird an folgende Stellen gratis ver-
sandt : an die Departemente des Bundesrathes, an das Bundesgericht, an die kantonalen
Regierungen - speziell für die Gerichte, welche berufen sind, in Klagesachen wegen
Nachahmung zu urtheilen — an die höhern öffentlichen Unterrichtsanstalten und an
die Gewerbemuseen der Schweiz. Ferner wird man obige Publikation mit den ähn-
lichen Veröffentlichungen anderer Länder austauschen. - Um dem Erfinder die Er-
werbung von Patenten im Auslande zu ermöglichen, kann auf dessen Gesuch hin die
Veröffentlichung der Beschreibung der Erfindung um 6 Monate verschoben werden. In
diesem Falle kann der Patentinhaber gegen Nachahmer erst nach erfolgter Veröffent-
lichung Klage anheben.
///. Von der Nachahmung. Art. 24. Gemäß den nachstehenden Bestimmungen
kann auf dem Wege des Civil- oder Strafprozesses belangt werden: 1) wer patentirte
Gegenstände nachahmt oder sie unerlaubter Weise benutzt; 2) wer die nachgeahmten
Gegenstände verkauft, feilhält, in Verkehr bringt oder auf schweizerisches Gebiet ein-
frihrt. : %• w«r t^i <ii*w^n HAniilnnj^.ti wiA-^ntlich mif^-wirlLr» Oii*r derea AifesfOhrao^
l'y^lnHtitrt fidftr *^rt«ÄhtATt uAf. ; !■ w<r -icn wri^rt. iie H'iritaaft toq in 5eixL«iii Besitze
t^H^fin<ilt^ii^n n;k<^h;r«ä^imtAn (w*^^:x^^3kn.<i^ii Anzainsben.
Art. 25, W>T fr in* der im Tor*tfthenilen Artikel erwihntca Handlun^rra Torsätz-
lir.h \t^*t\\i, wird zum .^had«o^r«Atz venirth^tlt ami Hb^rdies mit einer GeMboLe im
H*rtra(rft ?on Fr. ^i - ä^J^j';. '■Kler mit •'JefAniniiii in der fmaer von Z Tigen bis za einem
Jahr, '^^r mit OUihuUe nnd Gefän/niL; innertialt> der anjre^beoen Begrenzung bestrafL
Ofrirefi Hrit|[f;<ili;re kennen di**se ^.r-*fen bl* aaf daiä I>oppeIte erhöht werden. —
h\(>L fsiUr\Jt.^\'/(i O^/ertretang wird oioht bei^traft. Die Civilentäehädi^ng bleibt in-
de^*Ti in den in Art. i^l erwähnten Fällen vorbebuiten.
Art. m. Die Civilkla;re ^teht Jedermann zu. welf^her ein rechtliches Intere^*?«
dar;kn nachweirt. - liie Ber-trafiinjr eriVjljrt nur auf Antra? des Verletzten, nach «ler
HtrAfprnzedfiTflnnnit de^jenijren Kanton^, in welchem die KU;f»r an^e9tren;?t wini. Diese
kann entwe*ler ;iim Domizil de« An;reschnldijrten. oder an dem Orte, wo das Vergehen
befr^n/en worden i?**. erhoben werden. In keinem Falle dürfen für das gleiche Ver-
jf*!hen mehrere «trafrerhtlirhe Verfolpun^ren eintreten. Wenn seit der letzten Ueber-
tretunif mehr al-i zwei Jahre verfl^ri--en :»ind, *^> tritt Verjährung der Klage ein.
Art. ^ Die Gerichte halien auf Grund erfolgter Ciril- oder Strafklage die als
nAthij( er>i/:hteteri vorsorglichen Verfrtgnngen zu treffen. Namentlich kOnnen sie nach
Vorweisung de-» pAtent^ eine ^renaue Beschreibung der angeblich nachgeahmten Gegen-
stände, */»wie der au.^-^rhliei«lich zur Nachahmung dienenden Werkzeuge und Geräthe,
und n/ythi/eri falls auch die B-^chlagnahme erwähnter Gegen«tän«le, Werkzeuge und Ge-
räthe vorn'rhmen langen. Wenn (irund vorhanden ist, eine Beschlagnahme vorzu-
nehmen, ^o kann da.'^ Gericht d^m Klfiger eine Kaution auferlegen, welche er vor der
BeH<-h)a^nahme zu hinterlegen hat.
Art. ^. f>a.-4 Gericht kann auf Hechnung und bis zum Belaufe der dem ver-
letzten Theile zuge<tprochenen Knti^rhädigungen und <ler Buüen die Konfiskation der mit
He^chlag belegten Gegenstände verfügen. — Es s<jll, selbst im Falle einer Freisprechung,
wenn n^thig, die Vernir-htung der au.-»s«:hliei>lich zur Nachahmung bestimmten W>rk-
zeijg^r und Geriithe anordnen. - Es kann auf Kosten der Verurtheilten die Veröffent-
lirhurifT des FlrkeriritniioeM in einer oiler mehreren Zeitungen anordnen.
Art. ^\). Wer recliLswidrigerweise seine Geschäflspapiere, Anzeigen oder Erzeug-
niHMe mit einer Bezeichnung versieht, welche zum Glauben verleiten soll, daß ein Pa-
tent henteht, wird von Amtes wegen oder auf Klage hin mit einer Geldbut»e von 30
hin TAH) Franken, orler mit (ref;ingni(« in der Dauer von 3 Tagen bis zu 3 Monaten,
oder mit (ieldhuüe und GetTingnit* innerthalh der angegebenen Begrenzung bestraft. —
Geg*ri hO/rk fallige kann diese Strafe bis auf das Doppelte erhöht werden.
Art. 'Mk l)ie Kanlone haben zur Etehandlung der civilrechtlichen Streitigkeiten
we^'eri \aeli;ihmung f>atentirter Gegenstfinde eine GericIiLsstelle zu }>ezeichnen, welche
den Pro/^rti als einzige kantonale Instanz entscheidet. — Die Berufung an das Bundes-
gerifht int rdine BdekHicIit auf den Werthl>etrag der Streitsache zulässig.
Art. 31. Der Ertrag der Bußen tlieUt in die Kantonskasse. Bei Ausfallung einer
(JeldHtnite hat der Hirhter für den Fall der Niehteinbringlichkeit derselben eine ent-
Mprerhende (teldstrafe foMtzusirtzen.
/ V. VrrHchu'deneH und SrhlunHhestimmutufen. Art. 32. Die Angehörigen der
liMiider, welrhe mit der Schweiz eine heziigliche Konvention abgeschlossen haben, kön-
nen innerhalb einer Frist wnn 7 Monaten vom Datum des Patentgesuches in einem der
genannten Länder, und unter Vorbehalt der Rechte Dritter, ihr Gesuch in der Schweiz
hinterlegen, ohne daü durch inzwischen eingetretene Thatsachen, wie durch ein anderes
PjitentgesiK'h oder ein«; VeröfTentlichung, die Gilltigkeit ihres Patentgesuches beeinträch-
tigt werden könnte. Das ^deiche Hecht wird denjenigen Scliweizerbürgem gewährt,
welche in erster Linie ein Patentgesuch in einem der oben bezeichneten Länder ein-
gereicht haben.
Art. 33. Jedem Erfinder eines patentirbaren, in einer nationalen oder interna-
tionalen Ausstellung in der Schweiz au.sgestcllten Erzeugnisses wird, nach Erfüllung der
vom HundcHratli zu bestimmenden Formalitaten, ein Schulz von sechs Monaten, vom
Tage der Zulassimg des Erzeugnisses zur Ausstellung, gewährt. Während der Dauer
dieHM" letzteren sollen etwaige Patentgesuche seitens Dritter oder Veröffentlichungen den
Erfinder nicht verhindern, innerhalb der genannten Frist, das zur Erlangung des de-
tiven Schutzes erforderliche Patentgesueh rechtsgültig zu stellen. — Wenn eine inter-
nale AusMtellung in einem I^inde stattfindet, das mit der Schweiz eine bezOglichc
•iition abgeschlossen hat, so wird der zeitweilige Schutz, welcher durch das fremde
Patentschhutz — 567 — Peru
Land den an der betreffenden Ausstellung befindlichen patentirbaren Erzeugnissen ge-
währt worden ist, auf die Schweiz ausgedehnt. Dieser Schutz darf eine Dauer von sechs
Monaten, vom Tage der Zulassung des Erzeugnisses zur Ausstellung, nicht Obersteigen
und hat die nämlichen Wirkungen, wie die in vorstehendem Absätze beschriebenen.
Art. 34. Die Ueberschüsse der Einnahmen des eidgenössischen Amtes für gewerb-
liches Eigenthum sind in erster Linie zur Anlage von Fachbibliotheken in den in-
dustriellen Centren der Schweiz und zur wirksamen Verbreitung der Publikationen des
genannten Amtes und in zweiter Linie dazu zu verwenden, die in Art. 17, Absatz 2
dieses Gesetzes vorgesehenen Nachforschungen zu fördern.
Art. 35. Der Bundesrath ist beauftragt, die zur Ausführung dieses Gesetzes er-
forderlichen Keglemente und Verordnungen zu erlassen.
Art. 36. Durch vorüegendes Gesetz werden die in den Kantonen geltenden Be-
stimmungen über den Schutz der Erfindungen aufgehoben. — Erfindungen, die in dem
Zeitpunkt, in welchem dieses Gesetz in Kraft tritt, vermöge der kantonalen Gesetze noch
Schutz genießen, verbleiben gleichwohl in den betreffenden Kantonen bis zum Ablaut
der gesetzlichen Schutzdauer geschützt.
Auch über den Schutz der Muster und Modelle besteht bereits (Mitte 1888)
ein Gesetzesentwurf.
Patronen eidg. Ordonnanz werden nur in der eidg. Munitionsfabrik in
Thun hergestellt ^Bundesregal). Nicht ordonnanzmäßige, wie Patronen für Kadetten-
gewehre und für Schießmasken, dürfen von der Privatindustrie fabrizirt werden.
Fabrik in Dübendorf, Kt. Zürich.
Pedometer (Schrittzähler), für Militär und Touristen sehr zweckmäßig, iHt
in den 70er und 80er Jahren nach und nach ein ansehnlicher Artikel der west-
schweiz. Uhrenindustrie geworden. Ausfuhr im Jahre 1887 2022 Stk. ä Fr. 9. 70.
Pekin. Wichtiger Artikel der Züricher Seidenindustrie.
Peluche. Auf die Fabrikation dieses Artikels haben sich erst in den letzten
Jahren einige Schweiz. Fabriken eingerichtet. Als „Pelucheschneidereien'* sind
in Basel 3 Geschäfte und als „Peluchekonfektion** ist in Bischofszell 1 Greschäft
dem Fabrikgesetz unterstellt.
Pelzwaaren« Der Konsum von Pelzwerk wird auf 3 Millionen Fr. ge-
schätzt, wovon mehr als 7* importirte, fertige Waare, hauptsächlich aus Deutschland
und Frankreich. Ej^portirt werden für Fr. 100,000—200,000, hauptsächlich nach
Frankreich, Italien und Deutschland. Birkhäuser (Basel, 1885) gibt die Adressen
von ca. 160 Kürschnern und Pelzwaarenhandlungen.
Percale. Feines dichtes Baum wollge webe, wovon die Glamer Druckerei jährl.
ca. 5000 Stk. ä 80 m kon.snmirt; zur Hälfte inländ., zur Hälfte engl. Fabrikat.
Persien. Verträge mit diesem Lande: Die Genfer Konvention, welcher Persien
am 5. Dezember 1884 beigetreten ist; der Handelsvertrag vom 23. Juli 1873
(A. S. n. F. I, 195); der Weltpostvertrag vom 1. Juni 1878 (A. S. n. F. III,
673); der Vertrag vom 3. November 1880 betrefiFend die Poststücke ohne Werth-
angabe (A. S. n. F. V, 881); der Vertrag vom 29. November/11. Dezember
1868 betreffend die Nichtanwendung von Sprenggeschoasen im Kriege (A. S. IX,
597); der Telegraphenvertrag vom 10./22. Juli 1875 (A. S. n. F. II, 295).
Der Waarenverkehr mit Persien ist unbekannt.
Persiennes. Mit großen, reichen Mustern bedruckte Baumwollstoffe, deren
Fabrikation in Genf und Neuenburg von französischen Flüchtlingsfamilien schon
Ende des 17. Jahrhunderts betrieben wurde und sich später, wie der Zeugdruck
überhaupt, auch in anderen Kantonen, namentlich in Zürich, ausbreitete.
Pern ist mit der Schweiz vertraglich verbunden durch die Genfer Konvention,
den Metervertrag vom 20. Mai 1875 (A. S. n. F. II, 3) und den Weltpost-
vertrag vom 1. Juni 1878 (A. S. n. F. III, 673). Betreffend den Waaren-
verkehr mit Peru siehe Seite 837 im I. Band.
Petroleum — 568 — Pfkndleihgewcrbe
Petroleum« Die Einfuhr von P. ist von ca. 140,000 q in den 70er
Jahren auf ca. »f)0,000 q ini Werthe von ca. Fr. 7'000,000 gestiegen (1^<87).
Petroleumherde« Fabrik laut Handelsregister: \V. Haber, Zürich.
Pfaffen apfel. Wirthschattj^obist 2. Hangen, hauptii. im Soloth. Gäa heimisch.
Pfandleihg;ewerbe. (^litgetheilt von Herrn Dr. Hans Balmer in Bern.)
DüH gewerbriniäL'ige Leihen auf Werthuach^-n, Schmuck, Waffen u. 8. w. ist ohne
Zweifel auch in der Schweiz ko weit zuriickzu verfolgen, wie das Darleihen auf
Grundbesitz. So ünden wir, um nur einen Punkt zu berühren, in der berniächen
Gr'Kcbichte die lang dauernden Verhandlungen, welche im Jahre 1294 ihren Ab-
Hchluß fanden. Die angeklagten Juden hatten alle hinterlegten Briefe (Titel) and
PHinder herauKzugeben und dazu noch, weil nie mit dem Wucher großen Gewinn
getrieben (wenn .sie ihrer dick genossen haben), 1500 Mark Silber zu bezahlen.
Aehnliclic Btuspiele wären viele anzuführen. Ueberall int, sofern in früheren Zeiten
von gew(jrbMmäßigem Geldleihen (auf Grund- oder Faustpfand) die Hede ist, auch
der Wucher verbunden, und umgekehrt befaßten sich die Wucherer gewerbsmäßig
häufig auch mit dem Geldleihen gegen hohe Zinse auf hinterlegte bewegliche
Gegenstände. Die Zeit und den Ort der Errichtung der ersten Pfandleihgeschäfte
in der Schweiz hat das Lexikon nicht in Erfahrung gebracht. Immerhin scheint
der ^ewrrl)sniäßig geregelte Betrieb des Pfandleihgewerbes ein Erzeugniß der
Nenztjit zu sein. So schreibt in der Schweiz. Zeitschrift für Gemeinnützigkeit
(Jahr;C**ng IHül, Seite 236) Pfarrer Sptfri in Altstetten in einem Aufsatz über
die Pfand- und Leihhäuser:
^rn.s(tn' Freunde in Hrusel (welche 1863 das Thema angeregt) scheinen nun an-
zunehmen, daß in unserem Vaterlande bu^her wenig oder keine Leih- und Pfandhäuser
vorhanden gewissen s<*i('ii, und formell haben sie gewiß recht, denn es sind auch uns
nur zwei .solche Institute, licide in St. Gallen, bekannt: die dortige Kreditanstalt, die
zugUiich Sj)arkassr ist, um! eine ähnliche Anstalt im Toggenburg."
Das Pfand k-ihgeschäft der Kreditanstalt führte den Namen „Kleine Mobiliar-
leihkaHse". dieselbe führte sich am 13. April 1854 mit einer Ankündigung beim
Publikum ein, welche den Charakter der Institution folgendermaßen skizzirte*):
I)it5M(* Worte bekunden die ehrbare Absicht und den guten Willen, dem
Bedrängten in der Nothlage dienstbar zu sein, ohne zu der Armuth aach die
Demilthigung zu fügen. Die Anstalt hatte also offenbar gemeinnützigen Charakter.
Sie bestand bis 1H75.
Nach Hirkhäuscr's Adreßbuch (Basel, 1885) bestehen nun in der Schweiz
mindestens 7<> private Pfandleibgeschäfte. (28 Kt. Genf, 15 St. Grallen, 7 Baselstadt,
5 Bern, 4 Zürich, 3 Sehatfhausen, 3 Thurgau, 2 Solothurn, je 1 Graubünden,
Ntiuenburg, Waadt, Zug.) Neben diesen Privatgewerbeu wirken einige Anstalten
gtjmeinnützigen (-harakters, wie die Mobiliarleihkasse der zürcherischen Kantonal-
bank, di(^ ( aisse publique de prets sur gages in Genf (seit 1872 unter staatlicher
Kontrole stehend), die Basler Pfandleihanstalt (seit 1885, auf Aktien gegründet
von der üesellsehaft des Guten und Gemeinnützigen), die städtische Mobiliarleih-
kasso in St. (iiiUen, seit 1884, entstanden durch Vermittlung der Gemeinnützigen
(leselUehaft der Stadt St. Gallen.
M IWriehl von Dr. W. SchmidUn an der Jahresversammlung der Schweiz, gemein-
nützigen ({esellsiliafl in l^ascl (1864). (Vergl. Schweiz. Zeitschrift für Gemeinnützigkeit,
1865. Seite 60.)
p Keine Bankanstalt, keine Bettelunslalt, kein Zufluchtsort für den Leichtsinn und
die Schieehtigkeit, sondern ein ehrbares Haus, ilesseu Thürschwelle von Jedermann ohne
Scheu soll betreten werden dürfen, nicht bloß bei der Abenddämmerung, sondern am
llen, heitern Tajre."
Pfandleihgewerbe — 569 — Pfandleihgewerbe
Gesetzliche Regelung des Pfaudleihgewerbes. Gesetze und Ver-
ordnungen bestehen in den nachfolgenden Kantonen :
Schaffhausen. (Verordnung, die Pfaiidleih- und Rückkaufsanstalten betretfend,
vom 23. August 1879.) Die Anstalten stehen unter der Aufsicht der Polizei-
direktion. Zur Etablirung derselben bedarf es der Genehmigung des Regieruiigs-
rathes. Die Aastalten haben eine ihrem Umfange entsprechende Konzessiousgebühr
zu entrichten.
Zürich. (Gesetz betreffend die Gewerbe der Pfandleiher, Feilträger und
Gelddarleiher, vom 21. Mai 1882, sowie Reglement vom 15. Februar 1883
betreffend die Mobiliarleihkasse der Kantoualbank.) Die Bewilligung wird von
der Direktion der Polizei auf das Gutachten des Gemeinderathes und des Statt-
halteramtes hin ertheilt. Der Pfandleiher darf an Zinsen nicht mehr als 1 ®/o
pro Monat beziehen. Das Darlehen darf nicht vor sechs Monaten zurückgefordert
werden. Eine Einschreibegebühr bis auf 20 Rp. darf bezogen werden. Eine Ver-
steigerung nicht zurückerhobener Pfänder darf erst vier Wochen nach Ablauf der
Verpfändungsfrist stattfinden und ein Ueberschnß des Erlöses ist dem Pfand-
eigenthlimer auszuliefern, bezw. für ihn auf der Kantonalbank zu hinterlegen.
Verjährt der Anspruch, so fällt der hinterlegte Betrag zur Hälfte in das Armengut
der Gemeinde, zur Hälfte in den Kantonalaimenfond.
Basel. (Gesetz über das Hausirwe^en, die Wanderlager, den zeitweiligen
Gewerbsbetrieb, die öffentlichen Aufführungen und Schaustellungen, das Trödel -
und Pfundleihgewerbe. 13. November 1882.) Zur Betreibung des Gewerbes ist
die polizeiliche Bewilligung nothwendig. Dieselbe ist nur Niedergelassenen und
gut beleumdeten Personen zu ertheilen. Die Gebühr ist per Jahr Fr. 5. Die
Pfandverträge müssen mindestens auf sechs Monate lauten. Der Zins darf für
Darlehen unter Fr. 50 nicht über 2 ^/o und bei Darlehen über Fr. 50 nicht
mehr als 1 ^/o per Monat betragen. Für Ausstellung des Pfandscheines dürfen
20 Rp. berechnet werden. Die Erneuerung ist wie ein neues Geschäft zu betrachten.
Ein Mehrerlös bei Vergantung der nicht eingelösten Pfänder ist dem Pfandschuldner
auszubezahlen. Pfandleihern, welche wiederholt wegen Gesetzesübertretung bestraft
worden sind, ist der Batrieb des Gewerbes zu untersagen.
Neuenburr/. (Loi sur les preteurs sur gage et les fripiers, du 15 fevrier
1883.) Verboten wird, Ausrüstungsgegenstände der Soldaten, der Landjäger,
Sicherheitswächter in Versatz zu nehmen. Diejenigen, welche gewerbsmäßig das
Pfandieihgeschäft betreiben wollen, haben dies zuvor auf der Präfektur anzuzeigen,
welche dem Polizeidepartement Mittheilung maclit. Verboten ist, Pfänder, wie
ührenschalen ohne das Werk oder Werke ohne die Schalen, wie auch unvollendete
Bijouteriegegenstände oder der IJhreumacherei, anzunehmen, es sei denn, der
Fabrikant selbst hinterlege dieselben oder der Ueberbringer sei von dem Fabri-
kanten schriftlich autorisirt. Desgleichen ist es nicht gestattet, Pfänder von Aus-
läufern, Lehrlingen und Dienstboten anzunehmen, wenn sie nicht einen schriftlichen
Aasweis von den Meisterleuten vorweisen können, daß sie hiezu Befehl gegeben.
Die Strafen für Widerhandlungen .steigen von Fr. 5 — 500 und von vier Tagen
G^fängniß zu sechs Monaten.
Si. Gallen, (Gesetz betreffend Mobiliarleihgeschäfte. Erlassen am 21. Mai
1881. In Kraft getreten am l. Juli 1884. In Wirksamkeit getreten am 7. No-
vember 1884.) Wer ein Mobiliarleihgeschäft betreiben will, bedarf eines Patentes,
das der Regierungsrath ausstellt. Die Gesuche prüft der Gemeinderath und sein
Gntachten geht an den Bezirksamtmann und zur Regierung. Der Geschäftsinhaber
ist verpflichtet, die Namen der Schuldner geheim zu halten. Der Geschäftsverkehr
Pfandleihgewerbe — 570 — Pfandleihgewerbe
mit Minderjährigen und die Belehnung von Militäreffekten ist untersagt. Zins für
Darlehen bis Fr. 50 nicht über iVs 7o, von über Fr. 50 nicht über 1 7© per
Monat. Das Darlehen darf nicht vor Ablauf von drei Monaten zurückgefordert
werden. FUr jedes Darlehen, wie auch Erneuerung, Einschreibegebtihr bis 20 Kp.
Die Dauer eines Patentes beträgt fHnf Jahre. Dasselbe kostet Fr. 20 — 50.
Eine Erneuerung Fr. 5 — 10. Eine Kaution ist zu leisten, deren Höhe der
Regierungsrath bestimmt nnd die beim Gemeindeammann hinterlegt wird. Bußen,
insofern nicht Verbrechen vorliegt, verhängt der Gemeinderath gegen Fehlbare im
Betrage von Fr. 5 — 150, in schwereren Fällen das Bezirksgericht bis auf Fr. 500.
Thurgau. (Gesetz betreffend die Pfand leihanstalten, angenommen vom thur-
gaui^chen Volke am 24. Januar 1886.) Der Pfandleiher bedarf eines Patentes,
das vom Polizeidepartement ausgestellt wird. Jährliche Taxe Fr. 30 — 100. Das
Gtjsuch wird wie bei St. Gallen an den Gemeinderath gestellt. Der Pfandleiher
darf an Zinsen nicht mehr als 1 ^/o per Monat beziehen. Das Darleihen darf
nicht vor Ablauf von sechs Monaten zurückgefordert werden. Mehrerlös im Falle
der Vergantung des Gegeuhtandes fällt an den Verpfänder, im Falle der Ver-
jährung in den kantonalen Httlfsarmenfond. Straf bestimmnngen Fr. 20 — 200,
event. 4—40 Tage Gefängniß.
Bern, (Gesetz betreffend den Gewerbebetrieb der Gelddarleiher, Darlehens-
vermittler, Pfandleiher und Trödler, sowie betreffend den Wucher, 26. Februar
1888.) Wer das Gewerbe eines Pfandleihers betreiben will, bedarf einer staat-
lichen Bewilligung, welche die Polizeidirektion ertheilt. Der Bewerber muß
bürgerlich ehrenfähig und gut beleumdet sein. Das Geschäftslokal muß leicht
zugänglich sein. Der Pfandleiher hat eine Geschäftkordnung der Polizeidirektion
zur Genehmigung zu unterbreiten und eine Kaution von Fr. 2000 zu leisten.
Der Regierungsrath bestimmt den Höchstbetrag des Zinsfußes, per Monat berechnet.
Das Darlehen darf nicht vor sechs Monaten zurückverlangt werden. Die Strafen
im Falle der Gesetzesübertretung betragen Fr. 50—1000. Bei Abänderung der
Bestimmungen in den amtlichen Formularen Fr. 50 — 500; ebenso bei Austtbong
des Gewerbes ohne staatliche Bewilligung oder vor Genehmigung der Geschäfts-
ordnung oder Sicherheitsbestellung.
Lueern besitzt keine gesetzlichen Bestimmungen, das Pfandleihgewerbe be-
treffend, dagegen wurden die Statuten der dortigen Anstalt von dem Regiernngs-
rathe genehmigt. Im Kanton Waadt sind die Pfandleihanstalten keinerlei besondern
Gesetzesbestimmungen unterworfen. Ebenso bestehen keine derartigen Gesetzes-
bestimmungen im Kanton Solofhurn. Im Kanton Freiburg finden einzelne Be-
stimmungen des Civilgesetzbuches, soweit sie nicht durch das schweizerische
Obligationenrecht Abänderungen erfahren, sowie einige andere Gesetzesbestimmungen
auf das Pfandwesen Anwendung, ein eigenes Gesetz besteht nicht.
Oenf, Gesetz vom 22. Juni 1872 und Reglement vom 28. Mai 1886
betreffend die Caisse publique de prets sur gages. Diese arbeitet unter folgenden
Bedingungen :
Die Darleihen werden auf bewetj^liche Gegenstände oder Waaren gemacht, doch
kann die Anstalt diejenigen Gegenstände zurückweisen, welche bei der Aufbewahrung
verderben oder die einen zu großen Raum beanspruclien. Das kleinste Darleihen ist auf
Fr. i2, die Dauer auf ein Jahr festgesetzt. Es wird kein Darleihen an Personen verabfolgt,
die weniger als 18 Jahre alt oder die im Zustand der Trunkenheit sind. Nicht ange-
nommen wird Handwerkszeug des Borgers, ebenso w^erden nicht angenommen Barren
edler Metalle, Gold- und Silbergegenstände im Zustand der Bearbeitung und neue Waaren,
von denen der Borger nicht den rechtmäßigen Besitz nachweisen kann. Es wird geliehen :
*ß des Schatzungswerthes von Gold- und Silhergegenständen, V* auf edle Gesteine, V*
auf andere Gegenstände.
Pfandleihgewerbe — 571 — Pferdehaar
Diese gedrängte Uebersicht der bestehenden Gesetzesbestimmnngen, das Pfand-
leihwesen betreffend, zeigt die großen Unterschiede, welche hierin hervortreten.
Der Zins, welchen die Darleiher fordern dürfen, steigt bis auf 2 ^/o per Monat
(fllr Darleihen bis auf Fr. 50, Kanton Basel), in andern Kantonen (so in Zürich^
Thurgau) darf er 1 ^/o per Monat nicht übersteigen, wieder in andern (wie in Bern)
wird der Zins durch regierungsräthliche Verordnung bestimmt. Bern ertheilt an
geeignete Bewerber eine staatliche Bewilligung zur berufsmäßigen Betreibung des
Geschäftes und fordert eine Kaution von Fr. 2000, Basel eine jährliche Gebühr
von Fr. 5 nach ertheilter polizeilicher Bewilligung, St. Gallen ertheilt ein Patent
auf die Dauer von 5 Jahren (Gebühr Fr. 20 — 50) und gegen eine vom Regierungs-
rathe festzustellende Kaution. Thurgau ertheilt ebenfalls Patente. Taxe Fr. 30 - 100.
Die Gesetzesbestimmungen von Neuenburg und Genf sind besonders detaillirt in
der Aufführung derjenigen Gegenstände, welche nicht als Pfänder angenommen
werden dürfen, und der Vorschriften, welche bei Annahme von Pfändern aus der
Hand von Dienstboten, Lehrlingen u. s. w. zu beobachten sind.
Geschäftliche Resultate. Eine Statistik über die Zahl Derer, welche
zum Pfandleihhaus ihre Zuflucht nehmen. Über die versetzten Gegenstände, die
geliehenen und verlorenen Summen wird leider nicht geführt und so entbehren
wir eines Streiflichtes, das mehr als manches andere die sozialen Verhältnisse in
ihrer wahren Gestalt erkennen lassen würde. Was die Geschäftsberichte der
öffentlichen Anstalten verzeichnen, ist selbstverständlich nur ein Bruchtheil des
ganzen Umsatzes, und da dieser Bruchtheil hier kleiner, dort größer ist, fehlt
auch jede Grundlage zu einer Vergleichung. Die Caisse publique de preis de
G^eneve lieh im Jahre 1886 auf 27,034 Pfander Fr. 519,672, die Basler Pfand-
leihanstalt im Geschäftsjahre 1886/87 auf 7078 Pfänder Fr. 168,746, die
Mobiliarleihkasse der Zürcher Kantonalbank im Jahre 1886 auf 14,225 Posten
Fr. 271,763, die st. gallische Mobiliarleihkasse im Jahre 1887 auf 11,381
Posten Fr. 137,352.
Pferdebahnen s. Tramways.
Pferdehaar, Pferdehaarspinnerei. (Nach Mittheilungen von Herrn
Isler, Pf erdehaarsp inner in Pfäffikon, Kt. Zürich.) Der weitaus größte Theil
der rohen Pferdehaare, welche in der Schweiz zur Verarbeitung gelangen, kommt
aus Südamerika (La Plata-Staaten, Montevideo, Buenos- Ay res), aus Rußland und
Sibirien. Für die südamerikanischen Haare ist Antwerpen der Hauptstapelplatz,
fdr die russischen und sibirischen Haare Leipzig. Die sibirischen Haare sind lang
(Schweifhaare) und eignen sich deßhalb zur Roßhaarflechterei. Amerika liefert
kürzere, aber weit reinlichere Haare.
Inländische Pferdehaare sind unter dem Namen „Sammelroßhaare" bekannt;
ihre Produktion ibt aber von geringer Bedeutung.
Schon gegen Ende des vorigen Jahrhunderts wurden Pferdehaare gesponnen
zu Betten und Polstern ; einen größeren Aufschwung brachte diesem Gewerbe in
der Schweiz en^t die starke Ueberhandnahme der Gasthöfe in den 50er Jahren.
Das gute Pferdehaar wird meistens ohne jede Beimischung gesponnen ; ge-
ringere Sorten dagegen werden mit Schweinshaaren oder Pflanzen haaren (mexi-
kanische Fiber) gemischt. Aus der letzteren Mischung entsteht aber eine so
geringe Waare, daß sie nur für Polster, nicht auch für Betten Verwendung
finden kann.
Es bestehen in der Schweiz ca. 1 Dutzend Spinnereien und Knüpfereien,
wovon 7 dem Fabrikgesetz unterstellt sind. Sie befinden sich in folgenden Kan-
tonen und Ortschaften : Ki, Bern : Wangen a. A. ; Kt. Schaffhausen : Thayngen ;
Pferdehaar — 572 — Pferdezucht
Kt. Thurgau: Emmishofen und Gottlieben; Kt, Zürich: Pfäffikon, Marthalen
und Wädensweil.
Pferdehaarflechterei. Die Fabrikation von Pferdebaargeflechten und -Litzen,
vermischt mit Hanf, Baumwolle, Seide etc., wurde im Jahre 1841 eingeführt
und verbreitete sich, große Proportionen annehmend, über die Kantone Aargaa,
Luzern und Zürich. Um l^GO beschäftigten sich ca. 20 Fabrikanten fast aus-
schließlich mit den betretfenden Artikeln, unter Verwendung von ca. 2500 fran-
zösischen Litzen- (Lacet-) stuhlen. Die Produktion betrug jährlich ca. 750,000
Stück im Werthe von 372 — '^ Millionen Fr. Ungefähr 2500 Arbeiter waren an
den Stühlen, fast eben so viele mit dem Knüpfen beschäftigt. 1867 existirten
circa 4550 Stühle (Aargau 3200, Luzern 750, Zürich 600), wovon aber ein
Dritttheil stillstanden, da inzwischen der Begehr bereits zurückgegangen war,
wohl nicht zum geringen Theil deßhalb, weil mit der Zeit das Pferdehaar immer
mehr durch alle möglichen Surrogate (andere Thierhaare, Eisengarn, Gräsere tc.)
ersetzt wurde, die man durch Färben und ßeitzen dem Pferdehaar ähnlich
machte. Seit 1870 hat sich die Pferdehaarflechterei reduzirt und es bethätigen
sich damit nur noch ca. 1 Dzd. Geschäfte, zur großen Mehrzahl im Aargau.
7 Erabl. sind dem Fabrikgesetz unterstellt und zwar 3 in Fahrwangen, je 1 in
Lupfig, Meisterschwanden, Mellingen und Wohlen.
Einfuhr und Ausfuhr von Pferdehaaren. Ein fahr im Jahresdurchschnitt
1855/64: brutto 734 q, 1865/74: brutto 1908 q, 1875/84: brutto 2193 q,
1885/87 (Pferde- und Bü f Feihaar e) : netto 2423 q. — Ausfuhr im Jahres-
durchschuitt 1877/84: brutto 512 q, 1885/87: netto 487 q.
Einfuhr und Ausfuhr von Pferdehaar(jeioeben und anderen Artikeln aus
Pferdehaaren. Einfuhr im Jahresdurchschnitt 1875/84: brutto 9 q, 1885/87:
netto 3 q. — Ausfuhr im Jahresdurchschnitt 1885/87: netto 4 q.
Pferdehändler. Zahl derselben mindestens 300.
PfordckrUfte. Die mechanische Betriebskraft der dem Fabrikgesetz unter-
stellten Ktublissemente repräsentirt 150,000 Pferdekräfte; 74 — 7* ^*^®'' Summe
darf wohl für die Betriebskraft der Kleinindustrie in Anschlag gebracht werden,
so daß sich für die gesammte Industrie der Schweiz ein Total von vielleicht
200,000 Pf. ergibt. Der Löwenantheil entfällt auf die Textilindustrie.
Pferdezucht. (Mitgetheilt von Herrn Oberst Wehrli in Zürich.) Die in
der Schweiz gezüchteten Pferde gehören mit wenigen Ausnahmen dem Schwyaer
oder Einsiedler, dem Erlenbacher und dem Freiberger Schlage an. Sehr wahr-
scheinlich haben zu ihrer Veredlung orientalische Pferde, welche aus den Kreuz-
zügen in die Schweiz gebracht worden sind, wesentlich beigetragen, wie das
auch in Frankreich, z. B. beim Percheron und Ardenner Pferd, der Fall sein solL
Das Svhwyzer oder Einsiedler Pferd ist in der Regel hellbraun mit keinen
oder nur kleinen Abzeichen; es hat elegante Formen und einen schönen, gut auf-
gesetzten Hals und Kopf, hie und da ist es aber im Rücken etwas zu lang und
eher hoch- als kurzbeinig. Es hat ein gutes Temperament und die bessern eignen
sich zum Reit- und Kutschendienst. Seine Heimat ist zunächst das Stift Einsie-
deln, von da hat sich dessen Zucht in den Urkantonen, in Luzern, Zug und
8t. Gallen verbreitet. Eine bedeutende Verbesserung und Veredlung haben drei
spanische, im Anfang diese.s Jahrhunderts von den Herren Marschall und Oberst
von Reding in das Land Schwyz gebrachte Zuchthengste bewirkt.
Die meisten Erlenhacher Pferde sind rabenschwarz, wenige dunkelbraun,
Abzeichen sind selten. Sie haben einen schönen trocknen Kopf mit ausdrucks-
vollen Augen und oft einen schwanenartig gebogenen Hals. Da manche derselben
Pferdezucht — 573 — Pferdezucht
etwas tiberbaut sind, so findet man darunter mehr Kutschen- als Reitpferde.
Das Erlenbacher Pferd soll der Sage nach von andalusischen Hengsten ab-
stammen, welche beim Zug einer spanischen Armee nach den Niederlanden zu-
rückgelassen worden seien. Es wird im Simmen- und Saanenthal gezilchtet, ist
aber au«jh theils rein, theils mit Freibergern vermischt, in anderen deutschspre-
ohenden Gegenden des Kantons Bern, in Freiburg, Solothiirn, Waadt und Basel-
land verbreitet.
Die Freiberger Pferde, in der Mehrzahl hellbraun, sind von gedrungenem,
kräftigem Körperbau, ausdauernd, genügsam und gutmUtbig. Sie eignen sich ganx
besonders zum Post- und Artilleriedienst, sowie für die Landwirthschaft, seltener
zu Reitpferden, weil sie in der Regel einen kurzen Hals und niedern Widerrist
haben. Der Freiberger Schlag, dem beliebten Ardenner sehr ähnlich und wie
dieser orientalischen Ursprungs — das Kloster Bellelay soll einst arabische und
spanische Hengste gehalten haben — wird in den Freibergen (dem nordwest-
lichen Theil des Kantons Bern), aber auch in Solothurn, Freiburg, Waadt und
Neuen bürg gezogen.
Im Kanton Wallis existirt der früher sehr beliebte Charrat-Pferdeschlacf,
dessen Stammvater ein im Jahre 1799 zurückgebliebener österreichischer Hengst
sein soll, nur nur noch in wenigen Exemplaren. In neuerer Zeit sind mit Hengsten
aus dem eidgenössischen Fohleuhof manche gute Pferde erzeugt worden. Mittelst
des Eselhengstes und der Pferdestute wird das wegen seines sicheren Ganges,
seiner Genügsamkeit und Ausdauer zum Säumen sehr geeignete Maulthier ge-
züchtet.
Bis zum Jahre 1804, wo zum ersten Male durch den sächsischen Major
Tennecker ein Transport deutscher Pferde in Zürich importirt worden ist, be-
gnügte man sich im Aligemeinen für jede Dienstleistung mit dem im Inlande
gezogenen Pferde.
Seit aber die schweizerische Pferdezucht durch das Zusammenwirken ver-
schiedener Umstände, wie z. B. das Aufblühen der Rindviehzucht und die Jahr-
zehnte hindurch unterlassene Blutauffrischung quantitativ und qualitativ abge-
nommen hat und der Verkehr durch die Eisenbahnen in früher ungeahntem Maße
erleichtert worden ist, werden für den Reitdienst orientalische, Araber, Berber
und Ungarn, auch ostpreußische Pferde, für den Dienst a deux mains nament-
lich ostfriesische, Hanoveraner, Holsteiner und Meklenburger, in der Westschweiz
auch französische, besonders Percherons, und in der Ostschweiz oft bayerische
und österreichische Pferde verwendet. Schwere Zugpferde werden aus Belgien
und Frankreich, aber auch besonders in der Ostschweiz aus Oesterreich — dem
Pinzgau und Steiermark — bezogen. England liefert der Schweiz Voll- und
Halbblutpferde, theils zur Verbesserung der inländischen Schläge, theils auch zum
Gebrauch als Reit- und ^^'agenpfcrde.
Nachdem eine vom Schweiz, landwirthschaftlichen Verein im Jahre 1865 in
Aarau angeordnete allgemeine Pferdeausstellung den nahenden Verfall der Schweiz.
Pferdezucht und namentlich die beginnende Ausartung der früher wegen ihrer
guten Dienstk'Lstungen so beliebten Einsiedler, Erlenbacher und Freiberger Schläge
dem pferdefreundlichen Publikum zum Bewußtsein gebracht hatte, wurde als
erstes Mittel zur Abwendung der drohenden Gefahr die Importation von eng-
lischen Halbbluthengsten und -Stuten in der Absicht beschlossen, durch Kreuzung
der inländischen Stuten mit englischen Hengsten eine Verbesserung unserer Schläge
allmälig zu bewirken und aus den englischen Hengsten und Stuten einen neuen
Schlag zu bilden. Die Ausführung dieses Beschlusses fällt in die Jahre 18GS/72.
Pferdezucht — 574 — Pferdezucht
Die Wahmehmang , daß die besten Produkte dieser Zucht iu's Augland
wanderten, hatte im Jahre 1874 die Gründung des üengstfohlenhofes in Thuu
zur Folge, welcher im Jahre 1880 bei der damaligen Aussicht, in der Normandie
3 ' /«jährige Zuchthengste von englischem Halbblut iu besserer Qualität und wohl-
feiler als die im Lande geborenen, zu erwerben, aufgelöst worden ist. Aus dem-
selben sind immerhin 20, in der Mehrzahl gute Beschäler hervorgegangen. Von
1877 bis Herbst 1887 sind aus der Normandie 124 und aus Norddeutschland
5 Zuchthengste mit Bundessubvention von 20 — 40 ^fo der Ankaufs- und Trans-
portkosten importirt worden.
Die Bandessubventionen für Hebung der Pferdezucht richten sich nach fol-
gender Verordnung d. d. 23. März 1887:
Der schweizerische Bundesrath, in Vollziehung des Art. 6 des Bundesbeschlusses
betreffend die Förderung der Landwirtlischaft durch den Bund, vom 27. Juni 1884
(s. S. 3:20 A; im iL Bd.), auf den Antrag seines Landwirthschaftsdepartements, beschließt:
/. Ankauf von Zuchtliengsten. Artikel 1. Der Bund übernimmt den Ankauf von
Zuchthengsten nach Maßgabe der seitens der Kautone bei ihm eingegangenen Anmel-
dungen. — Es sind vorzugsweise Hengste der anglo-normannisohen Race zu wählen. —
Sollte der Ankauf von Hengsten anderer Racen verlangt werden, so entscheidet über
die Zulässigkeit dieser Begeliren der Bundesrath.
Art. 2. Mit dem Ankauf betraut das eidgenössische Landwirthschaftsdepartement
jeweilen die erforderlichen Experten. E^ gibt denselben die nöthigen Instruktionen.
Art. 3. Allfallig in der Schweiz aufgezogene oder importirte und zum Ankauf
oder zur „Anerkennung* angemeldete Hengste, sofern dieselben nachweisbar in Abstam-
mung und Qualität resp. Haee den importirten nicht nachstehen, müssen durch die
gleichen Experten (Art. 2 und 4) erworben, beziehungsweise „anerkannt' und gef'chätzt
werden.
Art. 4. Die angekauften Hengste sind jeweilen am Orte der Abgabe an die
Kantone einer Schätzung zu unterwerfen, in dem Sinne, daß die Aukaufssumme inkl.
Kosten auf die einzelnen Thiere nach Maßgabe ihres Werthes zur Zeit der Abgabe
verlegt wird. Zu diesem Zwecke ist die .\nkaufskommission durch weitere vom schwei-
zerischen Landwirthschaftsdepartement zu ernennende Experten zu verstärken.
Art. 5. Die Vertheilung der Pferde geschieht auf dem Wege der freien Verstän-
digung zwischen den Kantonen, und wenn eine solche nicht erzielt wird, durch Ent-
scheid der verstärkten Expertenkommission, eventuell auf Wunsch der Betheiligten durch
dus Loos. Jeder Kanton, welcher sich zur Uebemahme eines Hengstes angemeldet hat,
ist gehalten, sich diesem Entscheide zu unterziehen.
Art. 6. An die nach Art. 4 festgestellte Schatzungssumme leistet der Bund einen
Beitrag von 40 "o. — Ein weiterer Beitrag von 10 "/o ^^ obige Sunmie wird nach
seclisj ähriger befriedigender ZuchtleLstung verabfolgt, wenn die betreffenden Thiere in
gutem Zustande den eidgenössischen Experten vorgeführt werden. — Unter den gleichen
Bedingungen wird ein fernerer Beitrag von 20 "o nach zehnjähriger befriedigender
Zuchtleistung ausbezahlt. — Für die vor Inkrafttreten dieser Verordnung im Jahre 1883
und seither importirten, beziehungsweise in das eidgenössische Verzeichniß aufgenom-
menen Zuchthengste kann die gleiche Vergünstigung nachgesucht werden. Solche Ge-
suche sind durch Vermittlung der Kantonsregierungen an das schweizerische Landwirth*
Schaftsdepartement zu richten. Dasselbe wird die betreffenden Hengste und deren Lei-
stungen durch Experten prüfen und, falls diese Prüfung ein günstiges Ergebniß liefert,
die Zuchthengste einschätzen lassen. 10 " <> des geschätzten Werthes werden nach sechs-
jähriger und weitere 20 ''o nach zehnjähriger befriedigender Zuchtleistung ausbezahlt
Art. 7. Die Kantone, welche an diesen Pferdeankäufen betheiligt sind, überneh-
men die Verpflichtung, dafür zu sorgen: a. daß die importirten Zuchthengste wenigstens
6 Jahre lang zur Züchtung im Lande verwendet werden ; &. daß die eingeführten Thiere
von den Uebernehmern derselben in Nahrung und 'Pflege gut gehalten und weder in
Arbeit noch Zucht überanstrengt werden; c. daß in dem Falle, wo ein mit Bundes-
subvention erworbenes Pferd innerhalb der sechs Jahre durch die Schuld des Ueber-
nehmers umsteht oder zur Zucht untauglich wird, dem Bund die geleistete Subvention
unter Zugrundelegung einer sechsjährigen Gebrauchsfahigkeit im Verhältniß zu der seit
der Uehergabe verflossenen Zeit zurückbezahlt wird ; d. daß von den betreffenden
Hengsthaltern nach einem vom Bunde aufzustellenden Formular Stammregister geführt
Pferdezucht — 576 — Pferdezucht
werden, aus denen die Verwandung der Thiere ersichtlich ist und an deren Hand die
erzielten Resultate mit Sicherheit verfolgt werden können.
II. Pi'ämirung von Stutfohlen und Zuchtstuten. Art. 8. Es dürfen nur Stut-
fohlen prämirt werden, welche nachweisbar mit Bundessubvention importirte oder vom
Bunde als gleichwerthig mit denselben anerkannte Hengste zu Vätern haben und sich
durch korrekte Körperformeu, Stellungen und Gangarten auszeichnen.
Art. 9. Die Auswahl der zu prämirenden Stutfohlen geschieht an den Orten
und an den Tagen, welche vom schweizerischen Landwirthschaflsdepartement auf An-
trag der Kantonsregierungen festgesetzt werden. — Der von demselben Departement
fQr den einzelnen Sammelplatz zu bezeichnende Experte wird die Auswahl nach An-
hörung der von den Kantonsregierungen ihm allfällig beigegebenen Sachverständigen
vornehmen.
Art. 10. Von jedem ausgewählten Fohlen soll ein genaues Signalement angefer-
tigt werden, welches auch die Abkunft des Fohlens von väterlicher und mütterlicher
Seite und den Betrag der zuerkannten Prämie enthalten soll. Formulare zur Eintragung
dieser Angaben werden den Experten durch das schweizerische Landwirthschafls-
departement eingehändigt. Das letztere übermittelt den Kantonsregierungen zu Händen
der Eigenthümer der prämirten Fohlen entsprechend den Angaben der eidgenössischen
Experten ausgefertigte Gutscheine. — Die prämirten Fohlen sind am linken Hinter-
schenkel mit dem eidgenössischen Brand zu zeichnen.
Art, 11. Die Höhe der Prämie beträgt: a. für Fohlen im Alter von 1—2 Jahren
Fr. 30, b. für Fohlen im Alter von 2—3 Jahren Fr. 50, c. für Stuten im Alter von
3—5 Jahren Fr. 200. — Ein Fohlen kann in jeder diaser drei Kategorien nur einmal
prämirt werden. — Die Prämiensumme, welche für ein und dasselbe Thier zuerkannt
werden kann, beträgt sonach Fr. 280. — Die Auszahlung der Prämien sub a und h
erfolgt nach Ablauf eines Jahres vom Tage der Prämirung an gerechnet, auf den amt-
lich beglaubigten Ausweis hin, daß die betreffenden Fohlen innert dieser Zeit der in-
ländischen Zucht nicht entzogen worden sind. — Die Auszahlung der Prämien sub c
erfolgt auf den amtlich beglaubigten Ausweis hin, daß die betreffende Stute als drei-
bis fönQährig von einem mit Bundessubvention importirten oder demselben als gleich-
werthig anerkannten Hengste bedeckt worden sei und innert 12 Monaten nach dem
Tage der Beschälung ein lebendes Fohlen geboren habe. — Dieser Ausweis soll ent-
halten: den Namen des Hengstes, dessen Geburtsjahr, das genaue Signalement der
Stute, Name und Wohnort ihres Besitzers, das Datum der Beschälung und der vom
Viehinspektor bescheinigten Geburt des Fohlens, sowie das genaue Signalement des letztern.
Art. 12. Die Ausweise sind von den Kantonsregierungen dem schweizerischen
Landwirthschaftsdepartement einzusenden, welches, wenn es dieselben richtig findet,
den Betrag der Prämien dem Kanton, in welchem der Eigenthümer der betreffenden
Stute oder des Stutfohlens seinen Wohnsitz hat, zur Auszahlung an diesen zukom-
men läßt.
III Beiträge für Pferdeausstellungen. Art. 13. Pferdeausstellungen und Lei-
stungs- oder Dressurproben, von Kantonen oder Vereinen angeordnet können in Jahren,
während welchen keine allgemeinen schweizerischen Ausstellungen stattfinden, unter
folgenden Bedingungen Bundesbeiträge erhalten: a. Die bezüglichen Begehren müssen
je weilen vor dem 15. August des der Ausstellung vorangehenden Jahres beim schwei-
zerischen Landwirthschaftsdepartement gestellt werden und Angaben über Ziel und Um-
fang der beabsichtigten Ausstellung oder der Leistungsprobe enthalten : h, das betref-
fende Programm ist rechtzeitig dem schweizerischen Landwirthschaftsdepartement zur
Genehmigung einzureichen; c. es dürfen aus dem Bundesbeitrage nur Pferde prämirt
werden, welche von Hengsten abstammen, die mit Bundesunterstützung erworben oder
vom Bunde anerkannt worden sind. — Ausgenommen von letzterer Bestimmung sind
nur Zuchtstuten, welche entweder trächtig oder von einem Fohlen begleitet aus dem
Ausland eingeführt worden sind.
IV. Beiträge für Fohlenweiden. Art 14. Die Höhe der Bundesbeitrage für
Fohlenweiden, auf welchen mindestens 10 Fohlen gesommert werden, richtet sich innert
dem verfügbaren Kredit : a. nach der Qualität der Weide : h. nach dem Grad der Für-
sorge, welche den Fohlen auf der Weide zu Theil wird (Stallung, Wasser, Beigabe von
Heu und Hafer etc.) ; c. nach der Zahl der mehr als einjährigen Fohlen, welche zweck-
mäßig gesommert werden können.
Weiden, auf welchen gleichzeitig Rindvieh, namentlich Kühe, gesommert werden,
sind zu bevorzugen. — Der Beitrag darf in der Regel nicht mehr als Fr. 20 pro Fohlen,
berechnet nach der Zahl der über ein Jahr alten Thiere, betragen.
Pferdezucht — 576 — Physikalische Apparate
Art. 15. Die Kantone sind gehalten, dem schweizerischen Landwirthschaftsdeparte-
ment von den in Erfüllung der ni»ernommenen Verpilichtungen getrogenen Maßnahnnen
Kenntnis zu geben und ihm alljährlich Ober die Entwicklung der Pferdezucht und die
erzielten liesultate Bericht zu erstatten.
Art. 16. Der Bundesrathsbeschluß, betreffend die Hebung der schweizerischen
Pferdezucht, vom 27. Februar 1883 (A. ö. n. F. VII, pag. 37), das Reglement, betreffend
die PrJlmirung von Slutfolden durch den Bund, vom 27. Februar l'^SS (A. S. n. F. VII,
pag. 41), sowie die hierauf bezüglichen Abiinderungsbeschlüsse, vom 6. Februar 1885
(A. S. n. F. VIII, pag. 35 und 30) sind aufgehoben.
Die Kantone ihrerseits, besonders Bern, Waadt, Freiburg, St. Gallen und
Lnzern unterstützen die Pferdezucht in ihren. Gebieten durch jährliche Prämirung
der Zuchthengste und Zuchtstuten und durch Beiträge an die Ankaufs- und
Trausportkosten der erstem, sowie durch Aufmunterung und Belehrungder Züchter.
Der Bund und die Kantone linden rege Unterstützung von Seite verschie-
dener Pferdezuchtvereine, von denen der hervorragendste derjenige der romani-
schen Schweiz „La societ6 pour Tamelioration de la race chevaline dans la Suiase
romande'* ist. Derselbe, im Jahre 1872 gegründet, ordnet alljährlich auf seine
Kosten eine Ausstellung von Zuchtstuten und Fohlen und ein Rennen in Yver-
don an.
An der laudwirthschaftlichen Ausstellung in Neuenburg im Jahre 1887 sind
bedeutende Fortschritte in der (Qualität der Fohlen beider Geschlechter, nicht nur
im Vergleich mit der Pferdeausstellung in Aarau im Jahre 1865, sondern auch
mit denjenigen in Luzern im Jahre 1H81 und in Zürich im Jahre 1883 konstatirt
worden. Es ist nicht daran zu zweifeln, dalo hei ununterbrochener Fortsetzung
der gegenwärtig vom Bunde, den Kautonen und den Vereinen der Pferdezucht
gewährten Unterstützung das Zuchtziel, gute Pferde a deux mains in viel größe-
rer Anzahl, als bisher, zu erzeugen, erreicht werden wird.
Vergl. auch den Artikel „Landwirthschaft", besonders den Geschichtlichen
Theil und Seite 317/18.
Pfirsiche s. Obstbau.
Pflaumen s. Obstbau.
Pharmazeutisch-chemische Präparate, d. h. Chemikalien, welche für
den Gebrauch und Verkauf in den Apotheken dienen, werden in der Schweiz
von einigen Firmen, namentlich Siegfried in Zofingen (unter dem Fabrikgesetz),
Hausmann in St. Gallen, Sanier in Genf (speziell komprimirte Medikamente),
Wander in Bern etc. fabrikmäßig dargestellt, größtentheils jedoch aus dem Aus-
lände eingeführt.
Philippinen. Die Schweiz exportirt dahin ziemlich bedeutende Posten
Baumwollgewebe, dann auch Seiden waaren, Strohhüte, Rothgarne, Wollwaaren,
Käse und Papier.
Pliospliate und Phosphorite sind stark phosphorsäurehaltige Düngmittel
aus dem Thier- und Mineralreich. Mindestens 90 ®/o der in der Schweiz verwendeten
künstlichen Düngmittel sind Ph., wie Guano, Knochenmehl, Thomasschlacke etc.
Photographie. Die Schweiz. Photographie zählt vermöge ihrer Leistungen
mit Recht zu den Kunstgewerben. Ks bestehen über 200 Geschäfte mit ca. 600
Arbeitern. Die eidg. Berufsstatistik vom 1. Dezember 18^0 gibt die Zahl
der Photographen und Retoucheurs auf lV?t\) an. Geschiiftsumsatz ca. 3 Millionen
Fr. Ca. 20 Etablis.sements gehören zu den größern ihrer Art, indem sie je 6
bis 10 Arbeiter beschäftigen. Im Jahre IHIJO wurden erst ca. 4») Photographen gezählt.
Phylloxera s. Reblaus.
Physikailische Apparate« Die Fabrikation solcher Apparate ist in der
Schweiz bedeutend.
Pianofabrikation — 577 — Plattstich Weberei
Pianofabrikation s. Klaviere.
Pilleufabrikatiou« Eich. Brandt in Schaffhaasen unter dem Fabrikgesetz.
30 Arbeiter.
Fino-Belliuzona s. Gotthardbahn.
Plauimeter. Wurde vom Thurganer J. Oppikofer erfunden, unabhängig von
der gleichartigen, fast gleichzeitigen Erfindung des Toskaners Gonella (1825).
Plattstichstickerei s. Stickerei.
Plattstichweberei« (Unrichtige Schreibweise: Blattstich.) Die Plattstich-
weberei ist ein Industriezweig, welcher vor etwa 50 Jahren in Appenzell und
St. Gallen gegründet wurde und im Wesentlichen stets ein Monopol der Schweiz
geblieben ist. Bedauerlicherweise ist derselbe heute nur noch ein Schatten dessen,
was er in den 30er, 40er und 50er Jahren war. Um 1820 brachte J. C. Alt-
herr von Teufen, der sich mit Blattmachen und Webstuhl einrichten beschäftigte,
nach längerem Pröbeln eine Verbindung der Weberei und Stickerei an ein und
demselben Instrumente zu Stande, indem er um Webstuhl die sogenannte Platt-
stichplatte anbrachte. An dieser befindet sich eine Reihe von Stickspuhlen, die
durch einen einfachen Mechanismus gleichzeitig hin- und hergeführt werden und,
mit dem Eintrag des eigentlichen Gewebes abwechselnd, auf dieses die kleinen
Muster einflechten, die sonst mit der Nadel eingestickt wurden. Der erste Stuhl,
den Altherr im Jahre 1823 für den Fabrikanten Tobias Oertli „im Bächli** in
Teufen anfertigte, zählte 47 Spuhlen; jetzt geht die Zahl der letztern auf den
auch sonst in mannigfacher Beziehung wesentlich verbesserten Plattstichstühlen
bis weit über 100. Die ersten Stühle beschränkten sich darauf, die einfachsten
Stickmuster, die sogenannten Nullen, mit grober Stickbaumwolle nachzubilden;
nachher bemächtigte sich der neue Industriezweig in Verbindung mit der Jacquard-
methode der verschiedensten Artikel und trat selbst mit der feinen Maschinen-
btickerei, namentlich durch gelungene billige Nachahmung der Einsätze (Entre-
deux und Bandes) bis zu einem gewissen Grade in Konkurrenz. Der genannte
erste Fabrikant, dem Altherr seinen Plattstichstuhl übergab, wußte in Folge der
feindseligen Haltung der Stickfabrikanten, die den Erfinder sogar beschuldigten,
er habe mit seiner Erfindung den an der Landsgemeinde geschworenen Eid, „des
Landes Nutzen zu fördern", gebrochen, mit dem Instrumente nicht viel anzu-
fangen. Die Ausnützung der neuen Erfindung erfolgte erst durch die Verbindung
des st. gallischen Handelshauses Vinnaesa & Cie. mit J. C. Altherr, welcher
dadurch die Mittel erhielt, seine Stühle in größerem Maßstab arbeiten zu lassen.
Als dann einmal der günstige Erfolg vor Augen lag, verbreiteten sich die Platt-
stichstühle in kürzester Zeit über Appenzell I.-Rh. und bildeten eine wahre Zu-
flucht der Mousselineweber, deren Verdienst durch die englische Maschinenkonkurrenz
auf ein Minimum zusammengeschrumpft war. Die Löhne, die geschickten Platt-
stichwebern damals bezahlt wurden, überstiegen alles was man seit der blühendsten
Zeit der Mousselineweberei gehört hatte. — Der gute Fortgang des neuen In-
dustriezweiges dauerte, wie bereits bemerkt, bis gegen Ende der öOer Jahre,
wo er durch die große amerikanische Krisis von 1857 zu stocken begann. Seit-
her hat die Plattstichweberei auch zum Theil unter dem Einfluß der billigen
Maschinenstickereien und der Nottinghamer Gewebe, zum Theil in Folge gänzlicher
Stabilität der Fabrikation, resp. der Gewebe, in Muster, mechanischen Ein-
richtungen etc., beständig an Boden verloren. Ein neuer Aufschwung, den sie
um 1880, hauptsächlich unter dem Einfluß uordamerikanischer Nachfrage nahm,
dauerte nicht lange und wurde noch wesentlich durch sofortige Ueberproduktion
erstickt. Im Jahre 1880 waren nach den Ermittlungen des kaufmännischen
Furrer, VolkawirthHclmfts-Lexikuu der Schweiz. ^\
Plattstichweberei — 578 — Polytechnikum
Direktoriums in St. Gallen noch 4204 PlattstichsttQile im Grang. In der Blüthe>
seit mag deren Zahl wohl das Dreifache betragen haben.
Die Plattstich Weberei, die ihrem Erfinder, J. C. Altherr, wenig mehr ein-
gebracht hat als das Bewußtsein, den Landsgemeindeeid, ^des Landes Nutzen zu
fördern '^f den frtlheren Anfeindungen zum Trotz, wie wenige seiner Landsleute
Yor und nach ihm, gehalten zu haben, wurde seiner Zeit auch in Sachsen in
beträchtlichem Umfange heimisch, vermochte sich aber dort eben so wenig als
in ihrer Heimat vor allmäligem Rückgang zu bewahren. In England ist in den
letzten Jahren eine Plattstichwebmaschine konstruirt worden, die aber noch sehr
unvollkommen arbeitet. SoUte sich dieselbe schließlich dennoch bewähren, so
würde dadurch die appenzellische Plattstichweberei wahrscheinlich gänzlich unter-
drückt. (Vergl. Dr. Hermann Wartmann: „Industrie und Handel des Kantons
St. Gallen auf Ende 1866 •*.)
Piazirungsbureaux. Birkhäuser's Adreßbuch (Basel, 1885) verzeichnet
162 Plazirungs- und Vermittlungsbureaux.
Pluviometer. Selbstregistrirender Regen- und Schneemesser, von Dr. Jul.
Maurer (auf der Schweiz, meteorologischen 5Sentralanatalt) erfunden.
Polizei. Nach der eidg. Berufsstatistik von 1880 standen damals 3060
Personen im Dienste der Polizei, das ist 1 auf je 930 Einwohner.
Polytechnikum, eidgenössisches. (Mitgetheilt von Herrn Dr. Hans
Balmer in Bern.)
I. Die Gründung des Polytechnikums.
a, Vorgeschichte. Die Neuordonug der Dinge, welche die helvetische
Kepublik brachte, gab dem Bürger nicht allein seine ßechte, sondern sie legte ihm
auch Pflichten auf. Sollte jeder Einzelne befähigt werden, diesen Pflichten genügen
zu können, so mußte die gesammte Volkserziehung zum Tbeil auf einen andern
Boden gestellt, zum Theil auch erst angebahnt werden. Die Schwierigkeit dieser
Arbeit ließ vor Allem aus den Minister der Künste und Wissenschaften, Philipp
Albert Stapfer, nicht mnthlos werden. Es reifte vielmehr zum ersten Male der
Gedanke, über den höhern Bildungsstätten des Landes, gleichsam als Schlußstein
des ganzen Gebäudes, eine Zentralbchule für Künste und Wissenschaften zu schafien.
Die „Botschaft des Vollziehungsdirektoriums an die Gesetzgeber" '), vom 18. No-
vember 1798 (mitunterzeichnet von Labarpe und Mousson, wohl unter Mitwirkung
von Stapfer verfaßt oder von ihm selbst redigirt), sagt: „Allein neben diesem
allgemeinen bürgerlichen Unterricht (es wird vorher von der Volksschule ge-
sprochen) ist eine gelehrte Bildung zur Erhaltung und Vervollkommnung der
gesellschaftlichen Verhältnisse nothwendig. Der Staat kann es nicht aufs Gerathe-
wohl und auf die Privatindustrie seiner Bürger ankommen lassen, ob sich geschulte
Baumeister und Ingenieure, einsichtsvolle und sorgfältige Aerzte, gewissenhafte
und aufgeklärte Sittenlehrer, helldenkcnde Gesetzgeber, fähige Regenten, sach-
kundige Richter und in außerordentlichen Umständen erfindungsreiche Künstler
oder sinnvolle Gelehrte vorfinden werden, die dem jedesmaligen Bedürfniß auf
eine befriedigende Art abhelfen oder den Staat aus der Verlegenheit durch neue
Inventionen und passende Vorkehrungen ziehen."
Diese Schule wurde aufgefaßt als ein allumfassendes Institut, worin alle
nützlichen Wissenschaften und Künste in möglichster Ausdehnung und Vollständig-
keit gelehrt und durch die vereinten Nationalkräfte mit den reichsten Hülfsmitteln
»s-
V) Anhang' zu dem ^Entwurf der Instruktionen für die neuerrichteten Erziehungs
räüio*. Luzern. 17i*'.*.
Polytechnikum — 579 — Polytechnikum
aasgestattet würde. Yon hier sollten nach den Jahren der Belehrung und der viel-
fachen Pflege frenndschaftlicher Beziehungen die herangereiften Männer Grundsätze
und Entschlüsse nach Hause tragen, welche bald in den entlegensten Theil des
Vaterlandes Einheit der Absichten und Gesinnungen verbreiten mußten. Die Nation
wird bei Wahlen öffentlicher Beamten nicht mehr verlegen sein. — „Dieses
Institut wird der Brennpunkt der intellektuellen Kräfte unserer Nation und der
Stapelort der Kultur der drey gebildeten Völker seyn, deren Mittelpunkt Helvetien
ausmacht. Es ist vielleicht bestimmt, deutschen Tiefsinn mit fränkischer Gewandt-
heit und italienischem Geschmack zu vermählen.** Das Institut, welches in der
Botschaft vorgesehen war, wird sowohl Zentralschule, als auch polytechnische
oder encyklopädische Schule genannt. Die helvetische Regierung war an Mitteln
zu arm, ihre Aufgabe war zu groß, sie stand alF den eingelebten Vorurtheilen
zu fremd gegenüber und es wurden ihr theilweise auch absichtlich zu viele Hinder-
nisse in den Weg gelegt, als daß sie in der kurzen Zeit ihrer Herrschaft die
Begründung des großartig gedachten, völkerverbindenden Institutes hätte an die
Hand nehmen können.
Die Mediationszeit gestattete dies ebenfalls nicht und in der Eestauration
wäre wahrscheinlich auch ein schon begründetes derartiges Institut, vermuthlich
aus Mangel an Mitteln, als auch durch Angriffe von Innen wie von Außen, zu
einer kantonalen Anstalt zurückgesunken. So wenig Baum zu der Zeit der mög-
lichsten Wiederherstellung früherer Zustände für den Gedanken einer eidgenössischen
wissenschaftlichen Anstalt auch vorhanden zu sein schien — erstarb derselbe doch
nie mehr vollständig. Kaum war der Sturm der Dreißigerjahre vorübergebraust,
so trat die Gründung einer eidgenössischen Zentralschule wiederum mit Macht
hervor. Die Anhänger mehrten «ich so rasch, daß sich die Tagsatzung mit der
Frage zu befassen beginnen mußte. Der Bundes vertrag gestattete allerdings nicht
die Gründung einer eidgenössischen Lehranstalt. Eine Lösung konnte nur durch
interkantonale Vereinbarung erzielt werden. Im Jahre 1832 wurde eine Kom-
mission (bestehend aus Monnard, Heß, Tavel, Heußler und Rossi) beauftragt, die
Frage zu prüfen und ein Gutachten auszuarbeiten. Die Kommission fand, es sei
eine größere, mit den ausländischen i-ivalisirende Hochschule zum Bedürfniß ge-
worden. Die Begründung sollte auf dem Wege des Konkordates erzielt werden.
Die Folge war einzig und allein der Ausbau der bestehenden kantonalen Anstalten.
Erst die Verfassung vom Jahre 1848 bot zu einer schweizerischen Lehranstalt
den gesicherteren Boden, indem Art. 22, lautend: „Der Bund iit befugt, eine
Universiläi und eine polytechnische Schule zu errichten^, aufgenommen wurde
und in der Folge zu stetem Drängen Anlaß bot.
b, Ausführung des Art. 22 der Bundesverfassung von 1848. Am
25. November 1848 wurde der Bundesrath vom Nationalrath eingeladen, Gut-
achten und Antrag über Ausfährung des Art. 22 vor die Käthe zu bringen. Das
Departement des Innern sammelte zu diesem Zwecke auf die hohem Schulen des
Auslandes bezügliche Gesetze, Reglemente etc. und stellte an die verschiedenen
Kantone eine Reihe einschlägiger Fragen. Auf Grundlage der eingelangten Ant-
worten wurde vom Departement des Innern dem Bundesrath ein Bericht unter-
breitet und am 7. Mai 1850 eine Kommission *) ernannt, welche ^über die
Universität und die polytechnische Schule ihr Gutachten abzugeben und, sofern
*) Die Kommission bestand aus den Herren: He^erungspräsident Alfred Escher ,
General Dufour, Nationalrath Casimir Pft/ffer, Prof. Peter Merian, Erziehungsdirektor
Aug. Moschard, Prof. Rauchenstein, Erziehungsrath Rud. Blanchet, Prof. Alex. Schutizef,
Pfarrer Federer, Pfarrer Troxier und (als Vorsitzender) Bundesrath Franscini.
Polytechnikum — 5Ö0 — Polytechnikum
sie für diese Anstalten sich auszusprechen geneigt sein sollte, einschlagende Ge-
setzetjentwUrfe auszuarbeiten" hatte. Schon bei der ersten Versammlung (26. Mai
1851) wurden die allgemeinen Funkte rasch erledigt und hierauf die £in£el-
behandlung und die Ausarbeitung der Spezial berichte und der Gesetzesentwürfe
an einzelne Mitglieder tiberwiesen. Nach einer nochmaligen Versammlung wurden
die Ergebnisse der Verhandlungen am 1. Juli dem Bundesrathe vorgelegt. Die
GesetzesentwUrfe betreffend eidgenössische Universität und eidgenössisches Poly-
technikum wurden sowohl von der Majorität wie von der Minorität (Merian,
Dufour und Moschard) angenommen, dagegen glaubte die Mehrheit, wenn auch
beide Anstalten zeitgemäß seien, so hätte dennoch die Universität dem Poly-
technikum voranzugehen. Im Gegensatz hiezu erklärte sich die Minderheit für
die Errichtung eines Polytechnikums vor der Begründung einer eidgenössischen
Hochschule; dies besonders aus dem Grunde, weil die gleichzeitige Errichtung
beider nicht wohl möglich sein dürfte und weil eine eidgenössische Hochschule
den bestehenden kantonalen den Untergang bereiten mußte.
Der Gesetzesentwurf betreffend eine eidgenössische polytechnische Schule
besagt in seinen ersten Paragraphen : i j Es wird eine eidgenössische polytechnische
Schule errichtet. 2) Die Aufgabe der polytechnischen Schule besteht darin,
Techniker erstens filr den Straßen-, Eisenbahn-, Wasser- und Brückenbau, zweitens
für industrielle Mechanik, drittens für die industrielle Chemie — unter steter
Berücksichtigung der besondern Bedürfnisse der Schweiz — theoretisch und, soweit
thunlich, praktisch auszubilden. Die polytechnische Schule kann auch zur theil-
weisen Ausbildung von Lehrern für technische Lehranstalten benutzt werden.
3) An der polytechnischen Schule beginnt der Unterricht mit der Stufe, bis auf
welche die Schüler der meisten kantonalen und städtischen Industrie- und Gewerbe-
schulen gefordert werden. 4) Die i)oly technische Schule zerfallt nach den drei
Hauptberufsarten, für welche sie ausbilden soll, in drei Abtheilungen, nämlich:
1) in eine erste Abtheilung für die Ausbildung von Civilingenieuren, 2) in eine
zweite Abtheilung für die Ausbildung von industriellen Mechanikern, 3) in eine
dritte Abtheilung fiir industrielle Chemiker. — Es kann übrigens der Unterricht
an zwei oder allen drei Abtheilungen soweit gemeinsam ertheilt werden, als da-
durch dem speziellen Zwecke jeder einzelnen Abtheilung kein Eintrag gethan
wird. — Für das Polytechnikum waren 10 Professoren in Aussicht genommen
(für die eidgenössische Universität 83). Die Professoren des Polytechnikums sollten
mit dem Kektor eine Lehrerversammlung bilden, über welcher ein eidgenössischer
Schulrath, bestehend aus Präsident und* zwei Mitgliedern, stehen sollte. Die
Jahresausgabe für das Polytechnikum Avurde auf Fr. 80,000 veranschlagt. Diese
Hüllten zum Theil von der Kidgenosseuschaft, zum Theil aus den Erträgnissen des
Schulfonds gedeckt werden.
Die Berichte, Vorschläge und Entwürfe wurden vom Bundesrath entgegen-
g«'nommen und von demselben mit seiuer Botschaft vom 5. August 1851 (Em-
pfehlung der eidgenössischen Universität) den Käthen übermittelt. Die national-
räthliche Kommis.sion (Hungerbühler, Dr. A. Escher, Castoldi, Blanchenay, Stämpfli,
Trog, Steiger, Piuda, Dr. Kern) beantragte, in Anbetracht der größern Wichtigkeit
anderer VerhandluiigHgegenstände, doch in voller Würdigung der Wünschbarkeit
einer eidgenössischen Hochschule, Vertagung.' Diesem Antrag stimmte der Ratb
bei. Fast zwei Jahre später (4. August 1H53) wurden von Herrn Dr. Kern als
Brnohterstatter der Majorität der Konnnission Bericht und Anträge zu den G^-
sftzestjnt würfen hrtreffend polytechnische Seiiule und eidgenössische Universität
Vorgelegt. Die Minorität, welche nur über eine eidgenössische Universität be-
Polytechnikum — 581 — Polytechnikum
richtete, langte mit ihren Anträgen erst im Januar 1854 ein. Nach einer heftigen
Dehatte fdr und gegen die Eintretensfrage wurde dieselbe am 19. Januar mit
64 gegen 43 Stimmen bejaht und endlich am 29. Januar beschlossen, Universität
und Polytechnikum in Zürich zu vereinigen.
Nun gelangte die Frage vor den Ständerath. (Kommission des Ständerathes :
Fazy, Rud. Merian, Fomerod, Blumer, Riltimann, Reding und Kappeier.) Es
wurde dem national räthlichen Beschlüsse nicht zugestimmt, dagegen besclilossen :
Grundsätzlich für eine in Zürich zu errichtende polytechnische Schule einzutreten.
Die Kommission wurde beauftragt, der Versammlung einen Gesetzesentwurf mit
Kostenberechnung zu hinterbringen. Schon am 3. März konnte Kappeier als
Berichterstatter dieselben dem Rathe vorlegen. Nachdem ein erneuter Antrag auf
Nichteintreten abgewiesen nnd ein Antrag von Sailer, das Polytechnikum sei zu
begründen, wenn die jährlichen Beiträge des Bundes zu einem Fond von vier
Millionen Franken angewachsen seien, ebenfalls zurückgewiesen worden war,
gelangte das Gesetz am 4. Februar zur Abstimmung und Annahme (mit 27 gegen
1 2 Stimmen). Der Nationalrath stimmte diesem Beschluß auf Antrag von Dr. Kern
schließlich mit 63 gegen 25 Stimmen bei. Der Berichterstatter des Nationalrathes
bemerkte in seiner Rede: „Es ist dies (das Polytechnikum) eine Anstalt, durch
deren Errichtung, wenn sie auch nicht dasjenige leisten kann, was eine eidge-
nösbische Hochschule in Verbindung mit einem Polytechnikum hätte leisten können
und auch geleistet hätte, doch ein großer, sehr bedeutender Schritt zur Ausführung
des Art. 22 der Bundesverfassung geschieht".
Das Gesetz, welches nach der Annahme durch beide Riithe dem Bundesrathe
zur Vollziehung übergeben wurde, lautet:
Bundesf/efietz betreffend die Errichtung einer eidg. polytechnischen Schule.
(Vom 7. Hornung 1854.)
/. Allgemeine Bestimmungin. Art. 1. Es wird eine eidg. polytechnische Schule
in Zürich errichtet.
Art. 2. Die Aufgabe der polytechnischen Schule besteht darin: 1) Techniker für
den Hochbau, 2) Techniker für den Straßen-, Eisenbahn-, Wasser- und Brückenbau,
3) Techniker für die industrielle Mechanik, 4) Techniker für die industrielle (Chemie,
5) Fachmänner für die Forstwirthschaft, unter steter Berücksichtigung der besondern
Bedürfnisse der Schweiz, theoretisch und, soweit thunlich, praktisch auszubilden. — Es
sollen mit der polytechnischen Schule philosophische und staatswirtlischaftliche Lehr-
fächer verbunden werden, soweit sie als Hülfswissenschalten für höhere technische
Ausbildung Anwendung finden, wie namentlich die neuern Sprachen, Mathematik, Natur-
wissenschaften, politische und Kunstgeschichte, schweizerisches Staatsrecht und National-
ökonomie. — Die polytechnische Schule kann auch zur Ausbildung von Lehrern für
technische Lehranstalten benutzt werden.
Art. 3. An der polytechnischen Schule beginnt der Unterricht mit der Stufe, bis
auf welche die Schüler der meisten kantonalen und städtischen Indastrie- und Gewerbe-
schulen gefördert werden.
Art. 4. An der Anstalt besteht Lehrfreiheit. — Der Unterricht wird nach freier
Wahl der angestellten Lehrer in der deutschen, französischen oder italienischen Sprache
ertheilt.
Art. 5. Die jährlichen Gesammtausgaben der Anstalt für die Eidgenossenscliaft
dürfen die Summe von Fr. 150,000 nicht übersteigen.
Art. 6. Für die Anstalt wird ein Fond errichtet. In denselben fällt jedes Jahr,
von der Eröffnung der Anstalt an gerechnet, falls auf dem Voranschlage der Einnahmen
und Ausgaben für dieselbe ein Vorschlag gemacht worden ist, eine diesem Vorschlage
entsprechende Summe aus der Bundeskasse. — Die Bundesversammlung kann jcweilen
nach dem Stande der Jahresrechnung besondere Zuschüsse zu dem Fund beschließen.
— Schenkungen und Vermachtnisse, welche der Anstalt gemacht werden, sind dem
Fonde einzuverleiben. Wenn dieselben mit spezieller Zweckbestimmung gemacht und
angenommen werden, so sind sie abgesondert von dem Fonde zu verwalten.
Polytechnikum — 582 — Polytechaikum
II, Von €hn Studirmden, Art. 7. Das Reglement wird die Bedingungen, welche
erfQllt werden müssen, um in die polytechnische Schule aufgenommen werden zu können,
sowie die obligatorischen Unterrichtsfächer an derselben festsetzen. Der Besuch der
Vorlesungen über die andern wissenschaftlichen Fächer steht gegen Bezahlung der durch
das Reglement zu bestimmenden Gebühren Jedem frei, der ein genügendes Sittenzeugniß
vorweist.
Art. 8. Alle Zuhörer von Vorlesungen stehen unter der Polizei der Anstalt
Art. 9. Den vorgerückten Studirenden der polytechnischen Schule soll behufs ihrer
praktischen Ausbildung bestmögüch Gelegenheit gegeben werden, je nach ihrem Bildungp-
zwecke wichtige Bauwerke, Werkstätten oder industrielle EtabUssemente, die für die
Berufsarten, auf welche die polytechnische Schule vorbereitet, von Bedeutung sind,
gründlich kennen zu lernen.
Art. 10. Zur Weckung und Beförderung des wissenschaftlichen Lebens der Studi-
renden, sowie zur Aufmunterung ihres Fleißes werden periodisch Preise für die Lösung
passender Aufgaben ausgesetzt.
Art. 11. Es soll an der Anstalt Gelegenheit gegeben werden, die nöthigen Prüfungen
in den verscliiedenen Fächern bestehen zu können.
Art. 12. Unbemittelten tüchtigen Studirenden wird die Entrichtung der Honorare
für die Vorlesungen der besoldeten Professoren, sowie die Bezahlung von Gebühren
erlassen.
IIL Von der Lehrerschaft. Art. 13. Die Professoren beziehen in der Regel eine
fixe Besoldung. Es kann jedoch der Titel eines Professors auch ohne gleichzeitige Aus-
setzung eines Gehaltes verliehen werden.
Art. 14. Die Erlaubniß, über einzelne Zweige der Wissenschaft Vorlesungen zu
halten, kann auch Denjenigen ertheilt werden, die durch schriftliche Arbeiten oder
Vortrage Ober die betreffenden Materien oder durch eine besondere Prüfung hinlänghche
Beweise ihrer Befähigung gegeben haben. Diese Glieder der Lehrerschaft haben den
Titel „Privatdozenten ". - Die Privatdozenten beziehen keine fixe Besoldung ; es können
aber denjenigen unter ihnen, welche durch ihre Vorträge eine bestehende Lücke aus-
zufüllen oder auch, abgesehen davon, sich durch ausgezeichnete Leistungen eine an-
sehnliche Wirksamkeit an der Anstalt zu begründen vermögen, Gratifikationen verab-
reicht werden.
Art. 15. Die Professoren werden in der Regel auf eine Amtsdauer von 10 Jahren
ernennt. - - Ausnahmsweise kann eine Berufung auf Lebenszeit stattfinden.
Art. 16. Die Benutzung der Sammlungen, Bibliotheken und Laboratorien soUsämmt-
lichen Lehrern möglichst freigestellt werden. Das Reglement wird hierüber die nähern
Bestimmungen aufstellen.
Art. 17. Es bleibt dem Reglemente vorbehalten, die nöthigen Bestimmungen be-
treffend die Organisation der Lehrerschaft behufs Verständigung über die anzukündigenden
Vorlesungen, Veranstaltung der Prüfungen, Handhabung der Disziplin unter den Studi-
renden u. s. w. aufzustellen.
IV. Von dem Bundesrathe, als Oberhehörde der eidg, polytechnischen Schule,
wid dem Schulrathe, Art. 18. Der Bundesrath steht der Anstalt als oberste leitende
und vollziehende Behörde vor.
Art. 19. Unter dem Bundesrathe steht zur unmittelbaren Leitung und Ueberwachung
der Anstalt ein Schulrath.
Art. 20. Der Schulrath besteht aus einem Präsidenten und vier Mitgliedern. Für
die letztem werden überdies drei Ersatzmänner aufgestellt. — Der Schulrath wird sammt
den Ersatzmännern vom Bundesrathe aus allen Schweizerbürgern, die bei den Wahlen
in den Nationalrath stimmberechtigt sind, gewählt. Unter den Mitgliedern dürfen nicht
zwei oder mehr Bürger desselben Kantons sich befinden.
Art. 21. Die Amtsdauer eines Mitgliedes des Schulratlies und eines Ersatzmannes
beträgt fünf Jahre.
Art. 22. Blutsverwandte oder Verschwägerte, in auf- und absteigender Linie un-
bedingt und in der Seitenlinie bis und mit dem Grade von Geschwisterkindern, sowie
Ehemänner von Schwestern können nicht gleichzeitig Mitglieder des Schulrathes sein.
Ein solches Verwandtschaflsverhältniß darf auch nicht zwischen einem Mitgliede des
Bundesrathes und einem Mitgliede des Schulrathes bestehen.
Art. 23. Der Schulrath kann nur gültig verhandeln, wenn wenigstens drei Mit-
glieder anwesend sind.
Art. 24. Der Schulrath hält seine Sitzungen in der Regel in Zürich, woselbst aach
der Präsident seinen bleibenden Wohnsitz zu nehmen hat.
Polytechnikum — 583 — Polytechnikum
Art 25. Der Präsident des Schulrathes bezieht einen Jahresgehalt von Fr. 4500.
Die Mitglieder des Schulrathes werden durch Taggelder und Ersatz der Reisekosten
entschädigt
Art. 26. Der Sekretär des Schulrathes, welcher als solcher auch Sekretär des
Präsidenten dieser Behörde ist, wird jeweilen unmittelbar nach der Gresammtemeuerung
des letztem auf eine Amtsdauer von fünf Jahren gewählt. Er hat seinen Wohnsitz in
Zürich aufzuschlagen. Er bezieht eine Besoldung, die nach Beschaffenheit der Umstände
bis auf Fr. 3000 betragen kann und je im einzelnen Falle von dem Schulrathe fest-
gesetzt wird.
Art 27. Der Bundesrath wird betreffend die Besorgung der Kasse der Anstalt,
sowie in Beziehung auf die Verwaltung der Fonds die nöthigen Anordnungen
treffen.
Art. 28. Der Bundesrath wird jeweilen, bevor er über wichtige, die Anstalt be-
treffende Gegenstände Beschlüsse faßt, ein Gutachten des Schulrathes ; der letztere, bevor
er wichtigere, bleibende Anordnungen über den Gang des Unterrichtes und die DiszipUn
an der Anstalt trifft, ein Gutachten der Lehrerschaft, bezw. einer Abtbeilung derselben
einholen.
Art. 29. Der Bundesrath erläßt auf den Vorschlag des Schulrathes die Reglemente
wichtigem Inhaltes, welche zur Vollziehung der die Anstalt betreffenden Bundesgesetze
und Beschlüsse der Bundesversammlung erforderlich sind.
Art. 30. Die Ernennung der Professoren, die Bestimmung des ihnen auszusetzenden
Gehaltes und die Entscheidung über die der Lehrerschaft zu verabreichenden Gratifika-
tionen stehen, auf Bericht und Antrag des Schulrathes, dem Bundesrathe zu. — Es kann
Niemand, über welchen der Schulrath nicht sein Gutachten abgegeben hat, vom Bundes-
rathe zum Professor ernannt werden.
Art 31. Der Bundesrath erledigt, auf den Antrag des Schulrathes, Entlassungs-
begehren der Professoren.
Art. 32. Falls ein auf Lebenszeit gewählter Professor ohne seine Schuld, also z. B.
wegen Alter, Sjrankheit u. s. w. andauernd außer Stand ist seinen Verrichtungen gehörig
obzuliegen, so kann er auf sein Gesuch hin, oder auch ohne dieses, von dem Bundes-
rathe, auf den Antrag des Schulrathes, in den Ruhestand versetzt werden. Dabei ist
einem besoldeten Professor ein Theil seiner Besoldung als Ruhegehalt auszusetzen.
Art. 33. Wenn ein Professor sich in Erfüllung seiner Amtspflichten oder in seinem
Verhalten überhaupt in dem Grade fehlbar gemacht hat, daß sein weiteres Wirken an
der Anstalt mit dem Wohle der letztern unvereinbar erscheint, so kann er von dem
Bundesrathe, auf den motivirten Antrag des Schulrathes, von seiner Stelle entfernt
werden. — Zu einem derartigen Antrage des Schulrathes ist die absolute Mehrheit seiner
sänimtlichen Mitglieder erforderhch, und der Bundesrath hat den Art. 38 des Gesetzes
über die Verantwortlichkeit der eidg. Behörden und Beamten, vom 9. Ghristmonat 1850
(Neue ofßz. Samml. II, 157), in Anwendung zu bnngen.
Art. 34. Das Reglement wird bestimmen, bis auf welchen Betrag der Bundesrath,
und ebenso der Schulrath, über die für die Zwecke der Anstalt ausgesetzten Kredite zu
verfügen haben.
Art. 35. Der Vorschlag zu dem Jahresbudget für die Anstalt wird der Bundes-
versammlung als ein Theil des Entwurfes zu dem Gesammtvoranschlage der Einnahmen
und Ausgaben des Bundes von dem Bundesrathe, auf den Antrag des Schulrathes,
vorgelegt.
Art. 36. Der Bundesrath entscheidet, so viel an ihm liegt, über die Abnahme der
sämmtlichen die Anstalt beschlagenden Jahresrechnungen, auf den Antrag des Schul-
rathes.
Art 37. Der Bundesratli entscheidet, auf den Antrag des Schulrathes, über die
Annahme von Schenkungen oder Vermächtnissen, welche der Anstalt mit spezieller
Zweckbestimmung gemacht werden.
Art. 38. Der Schulrath erstattet alljährlich einen Bericht über den Gang der An-
stalt an den Bundesrath.
Art. 39. Der Präsident des Schulrathes besorgt, während der Schulrath nicht ver-
sammelt ist, die laufenden Geschäfte. — Das Reglement wird seine diesfällige Kompetenz
näher bestinmien.
F. Von dem Sitze der eidg, polytechnischen Schule, Art. 40. Dem Kanton, bezw.
der Stadt Zürich, hegt ob :
1) die ihnen gehörenden wissenschaftlichen Sammlungen der eidg. Anstalt zu freier
Benutzung unentgeltlich zur Verfügung zu stellen;
Polytechnikum — 584 — Polytechnikum
2) so viel an ihnen liegt, darauf hinzuwirken, daß auch die im Eigenthume von
Korporationen befindlichen wissenschaftlichen Sammlungen von der eidg. Anstalt
ungehindert benutzt werden können;
3) einen botanischen Garten, der von dem Bundesrathe als genügend anerkannt
worden ist, der eidg. Anstalt unentgeltlich anzuweisen;
4) die ihnen zugehörigen Waldungen behufs forstwirthschaftlich-praktischer Studien
unentgeltlich benutzen zu lassen und, so viel an ihnen liegt, darauf hinzuwirken»
daß auch die im Eigenthum von Korporationen befindlichen Waldungen zu gleichem
Zwecke der Anstalt geöffnet werden;
5) im Einverständnisse mit dem Bundesrathe die erforderlichen Grebäulichkeiten un-
entgeltlich zur Verfügung zu stellen, gehörig einzurichten und zu unterhalten:
a. für den Schulrath, h. für die Versammlung der Lehrerschaft und ihrer Ab-
theilungen, c. fdr die Begehung der Feierlichkeiten der Anstalt, d, für die Ab-
haltung der Vorlesungen, e, für die verschiedenen Arbeiten der Studirenden an
der Anstalt, f. für chemische und physikalische Laboratorien, g, für die Bibliothek, '
h. für die sämmtlichcn Sammlungen und Apparate, f. falls es für nothwendig
gehalten wird, für Werkstätten zu praktischen Uebungen der Studirenden der
polytechnischen Schule, k. für die Bedienung der Anstalt;
6) dafür zu sorgen, daß die für körperliche Uebungen erforderlichen Lokalitäten
der Anstalt ohne Entschädigung offen stehen;
7) dem Bunde einen jährlichen Beitrag von Fr. 16,000 an die Au.sgaben der Anstalt
zu leisten.
Art. 41. Die Beamten, Lehrer und Angestellten der Anstalt sind in Beziehung auf
ihr Verhältniß zu den Gesetzen und Behörden des Kantons, in welchem die Anstalt
ihren Sitz hat, nach den gleichen Grundsätzen zu behandeln, wie die übrigen eidg.
Behörden und Beamten.
Art. 42. Die Studirenden haben keinen privilegirten Gerichtsstand. — Die be-
sonderen, für die Studirenden zu erlassenden Disziplinarvorschriften gehen von den
Behörden der Anstalt aus, und ihre Uebertretung wird auch ausschließlich von diesen
Behörden bestraft.
Am 13. Februar 1854 wurde dieses Gresetz den Kantonsregierungen bekannt
gegeben. Die am 17. März zur Ausarbeitung des Reglementes ernannte Kom-
mission*) hatte ihre Arbeit am 21. Juni beendigt und legte Reglement, Normal-
budget und Normalkreditbegehren für die Anschaffungen, unter Begleit von ein-
gehenden Berichten, dem Bundesrathe vor.
Der „Budgetentwurf für den Normalzustand der polytechnischen Schule*,
vom 21. Juni 1854, setzte die Ausgaben auf Fr. 173,700 an Diese vertheilen
sich wie folgt: Besoldung von 32 Professoren Fr. 103,000; Besoldung von 9
Hülfs- und 2 Zeichnungslehrern Fr. 12,000; für die verschiedenen Sammlungen
und wissenschaftlichen Anstalten zusammen Fr. 34,000 ; für Preise und Auslagen bei
Ausarbeitung von Preisarbeiten Fr. 1200; Beamtungen und Verwaltung Fr. 20,500;
Unvorhergesehenes Fr. 3000; zusammen Fr. 173,700. Hieran ans der Bundes-
kasse zu decken Fr. 150,000, vom Sitz der Anstalt Fr. 1H,000, ein Dritttheil
des Schulgeldes etc. Fr. 7700, zusammen Fr. 173,700. Die Kommission bemerkte
zu diesem Entwürfe, daß sie trotz aller auf diesen Gegenstand verwendeten Sorg-
falt nicht in der Lage gewesen sei, alle kleinern Ausgaben mit einiger Sicherheit
aufzuführen, weßhalb solche in größern Posten zusammengefaßt wurden.
Es wurden folgende sechs Abtheilungen vorgesehen : I. Die Bauschule, II. die
Ingenieurschule, III. die mechanisch-technische Schule, IV. die chemisch-technische
Schule, V. die Forstschule, VI. die philosophisch-staatswirthschaftliche Abtheilung.
Für jede dieser Fachschulen wurde ein Professor, nur für Abtheilung IV wurden
zwei mit einem Gehalt von durchschnittlich Fr. 4000 vorgesehen. Vier Professoren
M Diese Kommission bestand aus den Herren : St. Franscini, Präsident, Dr. P. Bolley»
Prof Dolabar, Dr. A. Escher. Direktor Hujjrendubel, Dr. J. K. Kern, Nationalrath L. Wenger,
Nationairath Tourte, Prof. Doschwanden, Berichterstatter (der letztere an Stelle des ab-
ehnenden Oberst Stehlin ernannt).
Polytechnikum — 585 — Polytechnikum
sollten gleichzeitig an andern zürcherisclien Instituten lehren, während fdr ein-
undzwaniig Professoren die Besoldung Fr. 3200 im Mittel betragen sollte.
Mit Rücksicht darauf, daß nur ein Theil der für den Unterricht nothwendigen
Sammlungen and Anstalten sich in einer für den Anbeginn nahezu hinreichenden
Reichhaltigkeit vorfand, stellte die Kommission ebenfalls am 21. Juni ein Nach-
tragskreditbegehren. Da der jährliche Normalkredit von Fr. 166,000 noch nicht
in Anspruch genommen werden konnte, so wurde die für die ersten Einrichtungen
noth wendige Summe auf Fr. 140,000 festgesetzt. Da einzelne der zu beschaffenden
Einrichtungen nicht sofort erstellt werden konnten, so trug die Kommission darauf
an: „Der Nachtragskredit von Fr. 140,000 fiir das Jahr 1854 möge in dem
Sinne bewilligt werden, daß derjenige Theil dieser Summe, der während des
Jahres 1854 nicht verwendet werden kann, außer dem Kredit von Fr. 150,000
für die laufenden Ausgaben auf das Budget der Schule für das Jahr 1855 ge-
nommen werde" *). Der Bundesrath genehmigte in seiner Sitzung vom 31. Juli
1854 die von der Kommission eingebrachten Vorschläge. Einzig das Schulgeld
wurde von Fr. 80 auf Fr. 50 hinabgesetzt (im Jahre 1863 indessen auf Fr. 100
erhöht).
c. Die Eröffnung der eidg. polytechnischen Schule war auf
den Herbst 1855 angeordnet worden. Unmittelbar nach der ordentlichen Eröffnung
hatten die Vorlesungen zu beginnen. Dem Beginn des ersten Schuljahres hatte
ein Vorkurs voranzugehen, der im Frühjahr 1855 eröffnet wurde. Zu diesem
Vorkurs hatten sich eingefunden 50 eigentliche Schüler und 19 Zuhörer. Am
1. Mai 1855 wurde mit dem Unterricht begonnen und am 8. Oktober der Vorkurs
geschlossen. Die Wahlen in den Schulrath ') wurden am 2. August getroffen.
Wir geben in den Anmerkungen zu den einzelnen Mitgliedern des ersten schwei-
zerischen Schulrathes die Veränderungen, welche derselbe bis 1880 erfahren hal*^):
Priisident : Nationalrath Dr. Kern von Frauenfeld ^) ; Vizepräsident : Nationalrath
Dr. A. Escher von Zürich; MiUßieder: Nationalrath A. Tourte von Genf*),
Prof. B. Studer von Bern*), Dr. med. Robert Steiger von Luzern*); Suppleanten:
Ständerath J. J. Blumer von Glarus ^), Ständerath A. Hurabert von Chaux-de-
Fonds •*), Prof. P. Merian von Basel *).
Die feierliche Eröffnung des Polytechnikums '®) fand am 15. Oktober 1855
statt. Zu dieser Feier hatte der Bundesrath die Mitglieder Frey-Herosee und
Franscini abgeordnet. Im Namen des schweizerischen Bundesrathes übergab Frey-
Herosee dem Schulrathe die Stiftungsurkunde der schweizerischen polytechnischen
*) Die Bundesversammlung bewilligte einen Kredit von Fr. 144,000. Amtliche
Gesetzessammlung Nr. IV, Seite 243.
*) Im Jahre 1881 wurde das Grund ungsgesetz der Anstalt in einzelnen Punkten
abgeändert. Die Zahl der Schulrathe wurde auf sieben Mitglieder erhöht, die Ersatz-
männer jedoch weggelassen und das technische Element verstärkt. — Die Veränderungen
in dem neuen Schulrath werden wir später mittheilen.
■) 1857 folgte Ständerath Karl Kappeier von Frauenfehl.
*) 1863 Prof. Pictet Delarive, Genf, 1869 Prof. Desor, Neuenburg.
^) 1869 Regierungsrath Weber, Bern, 1878 Nationalrath Bavier, Chur, 1879 National-
rath Ldetler, Solothurn, dann Regierungsrath Fr. v. Tschudi, St. Gallen.
*) 1854 Seminardirektor Keller, Wettingen (bisher Suppleant).
^) Erst A. Keller, Seminardirektor, sodann, als Keller Mitglied wurde, (Ihorherr
Ghiringhelli, Bellinzona, 1879 Regierungsrath Rohr, Bern.
*) 1869 Prof. L. Dufour, Lausanne, 1879 Ehe Wartmann, Genf.
*) Nationalrath A. v. Planta, 1880 Überingenieur J. Meyer, Lausanne.
*") Wir folgen hierin der vorzüglichen Arbeit von Prof. Dr. Rudolf Wolf: Das
schweizerische Polytechnikum, historische Skizze zur Feier des ffin fundzwanzigjährigen
Jubiläums im Juli 1880.
Polytechnikum — 566 — Polytechnikum
Schule zur weiteren Vollziehung. „Der EröffnuDgefeier des Polytechnikums folgte
unmittelbar der Beginn der Vorlesungen und Uebungen, sowohl der größtentheils
für die Schüler obligatorischen an den fünf Fachschulen, als der freien Vorlesungen
an der sog. sechsten Abtheilung, bei welch' letzteren auch einige Privatdozenten
mitwirkten. Immerhin muß in Beziehung auf die Fachschulen bemerkt werden,
daß für das erste Schuljahr nur die chemische Abtheilung mit ihren zwei Jahres-
kursen vollständig erötfnet werden konnte, während bei der Bau- und Ingenieur-
schule je der für sie vorgesehene dritte Jahreskurs, bei der mechanischen Schule
sogar der zweite und dritte und bei der Forstschule ihr zweiter Jahreskurs noch
wegfiel, weil die Vorkenntnisse kaum vorhanden sein durften."
II. Die Bauten des Polytechnikums.
Das schweizerische Polytechnikum ist auch in seinen zur Verfügung stehenden
Bauten aus sehr bescheidenen Verhältnissen herausgewachseu. In den Jahren
1855/56 und 1856/57 betrug die Zahl der Schüler und Zuhörer 231 resp. 286.
Die Räumlichkeiten, welche der Schule vorübergehend augewiesen worden waren,
lagen in beiden Stadttheilen zerstreut in fünf verschiedenen Grebäuden. Diese
Gebäude dienten zum Theil auch noch andern Zwecken und waren weit von
einander entfernt. Eine einheitliche Leitung, Ausnutzung der Zeit und Anlage
und Benutzung der Sammlungen waren nothwendig in hohem Maße erschwert.
Es zeigte sich bald, daß die Uebelstände nur durch einen geräumigen, zweck-
en tsprecheuden Neubau beseitigt werden konnten. Nach einigen Vorarbeiten wurde
das Programm von Abgeordneten des Schulrathes und der Kantonsregierung ent-
würfen; später setzte der Bundesrath noch eine eigene Kommission ein, welche
die Frage genau und an Ort und Stelle zu prüfen hatte. Diese Kommission war
in den Hauptpunkten in Uebereinstimmung mit dem Schulrathe. Eine Verständigung
wurde noch im Jahre 1857 erzielt und die Direktion der Bauten des Kantons
Zürich eröffnete am 30. November eine Preisbewerbung mit Plänen zu dem Bau
des eidgenössischen Polytechnikums. Unter den eingelangten neunzehn Plänen
wurde keiner mit dem ersten Preis bedacht, dagegen diejenigen von W. Kubli
und Tritschler (St. Grallen) und Jeuch (Baden) mit dem zweiten Preis und der-
jenige von Ferd. Stadler (Zürich) mit dem dritten Preis ausgezeichnet. Die drei
gekrönten Pläne wurden nun nebst den eingelangten Gutachten der Fachschul-
vorsteher den Herren Prof. Semper und Bauinspektor Wolf übergeben und den
Beiden die Aufgabe gestellt, endgültige Pläne zu erstellen, die Kostenberechnung
durchzuführen und endlich die Erstellung des Baues zu überwachen. Bis Mitte
Oktober 1858 war der erste Theil der Aufgabe gelöst. Der Regierungsrath
bemerkte zu den Plänen: „^icht nur veitiient die allgemeine Anordnung des
Projektes, die Benutzung des Terrains, die Anlage des Grundrisses und die innere
Ausführung alle Anerkennung, sondern es gilt dies auch in vorzüglichem Maße
von der äußern Gestaltung, welche der Bau erhalten soll, indem, in richtiger
Erkenntniß der Aufgabe, jeder Luxus vermieden und nur durch Anwendung
schöner Formen und Verhältnisse eine Wirkung erreicht wurde, die dem Bau-
werke das Zeugniß eines wahrhaft schönen bleibend »icbert.^ Sowohl der Bauplan,
als der Kredit von Fr. r700,000 wurden vom Großen ßath im Dezember 1858
genehmigt. Im Februar de» folgenden Jahres wurde die Genehmigung auch vom
Bundesrath ertheilt, mit der Bemerkung : Ea habe Zürich durch des^^en Annahme
bewiesen, daß es der gegen die neue Anstalt und die Eidgenossenschaft über-
nommenen Verpflichtung in großartiger Weise nachzukommen gedenke. Im August
1859 begannen die ersten Bauarbeiten, am 6. November 186P wurde im n5r<I*
Polytechnikum — 587 — Polytechnikum
liehen Flügel die erste Vorlesung gehalten und auf Ostern 1861 dieser ganze
Bau bezogen. Die Experten des Bundesrathes (Merian und Eiggeubaoh) erklärten
den Bau als in allen Theilen wohlgelungen.
Im November 1865 wurde durch die Bundesräthe Schenk und Dubs, unter
Begleitung der technischen Experten Merian, Architekt in Basel, und Bychuer
in Neuenbürg, die EoUaudation vorgenommen. Die Experten erklärten: „Daß
der Bau nicht nur dem vereinbarten und iti der Folge bedeutend erweiterten
Programme und den genehmigten Plänen entsprechend ausgeführt, das Gebäude
seinem Zwecke entsprechend und gehörig eingerichtet, sondern daß überdies auch
die äußere Ausstattung des Gebäudes mit einer Liehe und einem Kunstsinn aus-
geführt sei, welche für künftige öffentliche Bauten in unserem Vaterlande als
nachzuahmendes Beispiel aufgestellt werden dürfe. *^ Der Bundesrath sprach dem
Kanton Zürich seine volle Anerkennung für die ausgezeichnete Erfüllung seiner
übernonunenen Baupflicht aus. Für den Hauptbau beliefen sich die Kosten auf
Fr. I'836,d72 statt der vorgesehenen Fr. 1^347,336 und die Gesammtkosten auf
Fr. 2'260,016 statt auf Fr. 1'700,000. Durch einen Beitrag des Bundes an
die Kosten der Erstellung der Aula und durch den Mehrerlös aus den durch den
Bau frei gewordenen Gebäulichkeiten stellten sich die Mehrkosten auf ungefähr
Fr. 180,000, was ca. 8 ^/o der Bausumme ausmacht.
Für die ersten astronomischen Uebungen wurde die kleine Feer'sche Stern-
warte benutzt. Diese konnte bei der wachsenden Schülerzahl um so weniger
genügen, als die Astronomie für die Ingenieurschüler zum obligatorischen Fach
erklärt wurde. Schon im März 1857 wurde vom schweizerischen Schulrath Prof.
Jßudolf Wolf eingeladen, „ein Gutachten sammt Kostenberechnung betreffend Er-
stellung und Einrichtung eioer Sternwarte für den Fall, daß bloß das dringendste
Bedürfniß für den Unterricht an der Anstalt befriedigt werden wollte, und hin-
wieder für den Fall, daß dem Fache der Astronomie eine weitergehende Beachtung
eingeräumt würde, beförderlich vorzulegen**.
Nachdem ein Legat von Fr. 25,000 „an den Bau einer Sternwarte" ver-
macht worden, konnte eher an die Erstellung eines über das nächstliegende
Bedüifniß der Schule hinausgehenden Baues gedacht werden. Ende Mai wurde
ein Vertragsentwurf vereinbart, laut welchem der Stand Zürich den Bauplatz zu
hcBchaffen und den Beobachtungskreis frei zu halten sich verpffichtete, der Bund
aber den Bau übernahm. Die Kostenberechnung stellte sich auf Fr. 90,000. Die
eidgenössischen Räthe bewilligten die nöthigen Gelder. Die Bauzeit dauerte vom
März 1862 bis Ende Juni 1863. Die Vorlesungen begannen daselbst im April
1864. Bau sammt Ausrüstung kamen auf die Summe von Fr. 250,000 zu stehen.
Im Jahre 1869 wurde die Erweiterung der fünften Abtheilung beschlossen,
durch Einfügung einer „höhern landwirthschaftlichen, besondere üebungssäle und
Laboratorien für Botanik, Agrikulturchemie etc. erfordernden Schule". Hiezu
wurde ebenfalls ein Neubau nothweudig. Nach verschiedenen Verhandlungen,
welche besonders die Platzfrage und den Bauplan betrafen, wurde der Bau im
Jahre 1872 begonnen und gelangte im Herbst lb74 zur Vollendung. Die Bau-
kosten beliefen sich auf Fr. 348,130. Der Bund verausgabte für die innere
Einrichtung und Ausrüstung Fr. 132,000. Der eidgenössische Bauinspektor v. Salis
fand das Gebäude „in völliger Uebereinstimmung mit dem Bauprogramme erstellt
und im Einzelnen sehr hübsch ausgeführt"*. — Zu dieser Erweiterung hatte
besonders die Petition des schweizerischen landwirthschaftlichen Vereius, vom
5. Dezember 1864, erneuten Anstoß gegeben. Dieselbe besagte: „Es möchte die
forstliche Abtheilung des Polytechnikums zu einer land- und furstwirthschaftlichen
Polytechnikum — 588 — Polytechnikum
erweitert werden, und zwar dadurch, daß die landwirthschaftlichen Fächer in
den Lehrplan desselben eingereiht, zwei Frofesporen für die Landwirthschaft nebst
einem Assistenten angestellt und mit der so reorganisirten Schule eine agrikultur-
chemische Versuchsstation in Verbindung gebracht werde.** Ueber die Ausführung
dieser begründeten Forderung werden wir später berichten.
Im Jahre 1879 wurde das Gebäude für die FestigkeitsprUfungsmaschine für
Baumaterialien etc. fertig erstellt. Damit waren aber die „baulichen Fragen*
noch lange nicht zum Abschluß gekommen. In den folgenden Jahren reiften
Verwicklungen zwischen dem Kanton Zürich und dem Bunde, die schädigend auf
den Gang der Schule einwirkten. Besonders das chemische Laboratorium und die
physikalischen Arbeitsräume erwiesen sich als viel zu eng. Nicht allein der
mangelnde Raum, sondern auch die Unmöglichkeit, diese Laboratorien den An-
forderungen der Gegenwart entsprechend einzurichten, wirkten lähmend, und die
Versuche, den jeweiligen schroffsten Uebelständen in etwas abzuhelfen, verschlangen
bedeutende Suuiuien. Selbst bei einer Abnahme der Gesammtfrequenz war eine
solche in diesen Arbeitsräuraen nicht zu bemerken. So fanden sich noch im Jahre
1882 141 chemische Laboranten in Räumen, die nur auf 72 berechnet waren.
Auch die als physikalisches Laboratorium bezeichneten Räume im Souterrain
waren überfüllt und boten nicht allen sich Anmeldenden Zutritt.
Sobald Aussicht vorhanden war, daß ein Vergleich zu Stande kommen werde,
beschäftigte sich der Schulrath, im Ein verstand n iß mit dem schweizerischen Depar-
tement des Innern, mit der Baufrage für Chemie und Physik. Es wurden vorerst
Pläne und Kostenvoranschläge für das Chemiegebäude aufgestellt, damit dem
Bundesrathe sofort nach getroffenem Vergleich solche unterbreitet werden konnten.
Hierin wirkten mit dem Schulrath die Fachmänner der Chemie und die Architekten
Bluntschli und Lasius. Berichte wurden dem Bundesrathe unterbreitet über diese
Vorarbeiten am 24. .Juni und 31. Juli 1883. So war der Bundesrath in der
Lage, in seiner Botschaft vom 30. November 1883 den Räthen „Plan und Kosten-
berechnung des Neubaues für Chemie in geprüfter und wohlerwogener Ausfühning
vorzulegen und den K)'edit für den Rohbau dieses Gebäudes zu verlangen. In
diesem Plan haben dann auch die für die Landwirthschaft so höchst nützlichen
Institute der Düngeranalyne und SamcTikontrole, sowie die eidgenössische Probir-
anstalt für Gold und Silber in vortheilhafter Art untergebracht werden können.**
Der Beschlußantrag des Bundesrathes wurde im Dezember 1883 genehmigt. Die
Führung und Leitung des Baues wurde den Professoren Bluntschli und Lasius
übertragen.
Das physikalische Institut erhielt in demselben Jahre etwas erweiterte Arbeits-
räume im Hauptgebäude, die aber immer nur als provisorisch ausreichend betrachtet
werden konnten.
Im Jahre 1883 wurde deßhalb der Schulrath beauftragt, vorläufig ein
Lokalitätenprogramm für ein besonderes Gebäude für Physik vorzulegen. Dieses
Auftrages erledigte sich der Schulrath gleichzeitig mit seinem Berichte bezüglich
der Baute für Chemie (24. Juni 1883).
Im Jahre 1886 wurden von den eidgenössischen Räthen die nothwendigen
Mittel für den Bau eines dem Chemiegebäude würdig zur Seite stehenden Physik-
gebäudes bewilligt.
Der Neubau für Chemie war fertig geworden. Die Aufgabe lautete im Wesent-
lichen: „Eine allen unnützen Luxus streng vermeidende, aber die Brauchbarkeit
des Gebäudes zu seinen Sj)ezialzwecken im allerbesten Sinne des Wortes sichernde
Ausführung zu erstreben". Dieser Aufgabe wurden die Leiter des Baues im
Polytechnikum — 589 — Polytechnikum
vollsten Maße gerecht. Es ist ein nur für seinen Zweck geplanter Bau, der in
jedem seiner Theile nur dem Hauptzwecke dient. Die Schule konnte zu Beginn
des Schuljahres 1886/87 (Oktober 1886) in den Neubau übersiedeln, „Auch die
landwirthschaftlichen Annexe (DUngeraualyse und Samenkontrole) sind ebenfalls
daselbst einlogirt.*"
Nach der Erstellung der Gebäude für Physik und Chemie werden die Bauten
des eidgenössischen Polytechnikums für eine größere Reihe von Jahren sämmtlichen
Anforderungen zu genügen vermögen. Dies sowohl in Hinsicht auf die Zahl der
Studirendoi und Laboranten, als in Berücksichtigung der verschiedenen Lehr-
anstalten und der Anforderungen, welche die Gegenwart in wissenschaftlicher
Beziehung an ein Institut, wie das eidgenössische Polytechnikum, stellen muß, —
welche erfüllt sein müssen, sollen die Lehrkräfte zur Geltung gelangen, die Ar-
beiten der Studirenden gefördert werden und die Anstalt würdig im Kreise der
übrigen dastehen.
III. Sammlungen und wissenschaftliche Anstalten.
Die Stetsfort anwachsenden, sehr bedeutenden Sammlungen des eidgenössischen
Polytechnikums zerfallen in 30 XJnterabtheilungen, deren jele unter der Leitung
eines Professors steht. Die Mehrung dieser Sammlungen erfolgt sowohl durch
Aufkauf entsprechender Gegenstände, wozu die Mittel durch bestimmte Jahres-
kredite fließen, als durch Schenkungen. Sowohl die naturhistorischen Sammlungen,
als diejenigen der mechanischen Schule, die Kupfersticbsammlung u. a. haben auf
diesem Wege wichtige Vermehrung erhalten. Zu wichtigen Erwerbungen werden
auch Nachtragskredite bewilligt. Für die verschiedenen Sammlungen sind Jahres-
kredite ausgesetzt, die im Durchschnitt zwischen Fr. 3U0 — 1000, im Minimum
Fr. 50 und im Maximum Fr. 3000 betragen. Die 30 Unterabtheilungen, welche
neben der reichhaltigen, 1880 22,000, 1886 28,485 Bände umfassenden Biblio-
thek bestehen, faßt Prof. Wolf in folgende 12 Nummern zusammen. (Siehe auch
„Bericht über die Organisation und das Wirken der polytechnischen Schule",
von Schulrathspräsident Kappeier.)
1) Sammlungen für die Bauschule. Spezialsammlungen von Baumaterialien,
Modellen in Gips, Holz, Stein und Eisen, antiken Vasen (im Jahre 1871
durch außerordentlichen Kredit von Fr. 3000 und Fr. 1500 Beitrag von
Zürcher Kunstfreunden erworben), Vorlagen für architektonisches, sowie für
Figuren- und Landschaftszeichnen.
2) Sammlungen der mechanischen Schule. Hierunter begreifen sich drei ge-
sonderte Abtheilungen: a. Eine ausgedehnte Sammlung von Wandtafeln
zum Unterricht in Maschinenlehre und Maschinenbau; b. eine Sammlung
von Maschinenmodellen und theil weise großen und kostbaren Versuchs-
apparaten; c. eine Sammlung von Vorlagen, Waaren und Werkzeugen für
den mechanisch-technischen Unterricht.
3) Sammlungen der chemischen Schule. „Dieselben bestehen theils aus den
für die beiden von einander ganz unabhängigen Laboratorien nöthigen
Utensilien und Materialien, theils aus den für die Vorträge an der tech-
nischen Abtheiluug (namentlich für die Vorlesungen über Glas- und Thon-
waaren, über Metallurgie, über Heizung und Beleuchtung, über Nahrungs-
gewerbe, über chemische Produkte, über Färberei und Druckerei etc.)
angelegten Sammlungen von Wandtafeln, Modellen, Rohmaterialien, Droguen,
Produkten, Mustern etc."
Nebst dem Jahreskredit werden zu ihrer Aeufuung auch die Gebühren
der Praktikanten verwendet.
Polytechnikum — 590 — Polytechnikum
4) Sammlungen der forst- und landwirthschaftlichen Abtheilung. Dieselben
sind ebenfalls getrennt : a. Sammlung der Forstschule) bestehend in Greräthen
und Instrumenten für die Forstkultur und die Bodenentwässerung, in den
für sie wichtigsten Mineralien und Bodenproben, nützlichen und schädlichen
Thieren, ferner in Früchten und Samen, sowie in Quer- und Längsschnitten
in- und ausländischer Holzarten ; b. der landwirthschaftlichen Schule :
Maschinen und Geräthe, sowie Apparate, Modelle und Pläne, die sich auf
die Bodenkultur und die Bearbeitung der Erzeugnisse beziehen; femer
Herbarien, Sammlungen nützlicher und schädlicher Thiere.
5) Die physikalische Sammlung. Neben den Instrumenten und Apparaten
für die Yorlesungs versuche besitzt dieselbe bereits werthvolle Hülfsmittel
zu wissenschaftlichen Untersuchungen und praktischen physikalischen Ar-
beiten.
6) Die astronomische Sammlung enthält außer den für die Uebungen
nothwendigen Instrumenten und den zu den Vorträgen dienlichen Dar-
stellungen „den Anfang einer für die Geschichte der Instrumente, ja für
die Geschichte der Astronomie überhaupt ganz interessanten historischen
Sammlung«.
7) Die zoologische Sammlung. Dieselbe wurde von der zürcherischen natur-
forschenden Gesellschaft gegründet und ging dann zur Benutzung an das
Polytechnikum über. Sie wurde besonders vermehrt durch die Schenkungen
der £scher-Zollikof er 'sehen und der Bremi'schen Sammlung.
8) Die mineralogisch-geologische Sammlung. Das Eigenthnmsrecht ist hier eben
so getheilt wie bei der vorhin erwähnten Sammlung. Durch Ankauf der
viele seltene Exemplare enthaltenden Sammlung von Oberst Lardy wurde
dieselbe 1859 wesentlich bereichert. Dies geschah in gleichem Maße
durch die von Dr. David Wiese seiner Vaterstadt tibergebene Samm-
lung von Schweizer Mineralien. Die geologische Sammlung dagegen
erlangte ihre Bedeutung durch die Schenkungen von Escher v. d. L. und
Heer. Daselbst befindet sich auch das Gemälde Holzhalb's: „Oeningen zur
Tertiärzeit* .
9) Die botanische Sammlung besteht aus zwei Abtheilungen, einem allgemeinen
und einem speziell helvetischen Herbarium. Femer enthält sie, zur Ver-
gleichung mit den Alpenpflanzen, ein Herbarium arcticum und das historisch
wichtige Geßner'sche Herbarium.
10) Die archäologische Sammlung enthält Gypsabgüsse nach Antiken und
Kenaissance-Skulpturen.
11) Die Kupferstichsammlung wurde sozusagen erst im Jahre 1870 gegründet.
Damals wurde die Sammlung des Malers Kudolf Bühlmann (20,000 Blätter)
für Fr. 40,000 angekauft. Seither wurde die Sammlung durch Kauf und
Schenkung um mehrere tausend Blätter bereichert.
Wissenschaftliche Anstalten und Annex- Anstalten : 1) Das physikalische
Institut; 2) chemisch-analytiKche und technische Laboratorien; 3) das agrikultur-
chemische Laboratorium; 4) die Sternwarte.
Unter den Annex- Anstalten sind zu nennen : a. Die Anstalt zur Prüfung
der Festigkeit von Baumaterialien ; b. die Samenkontrolstation ; c, die landwirth-
schaftlich-chem ische Untersuchungsstation.
Da wir später die Frequenz der gesammten Schule von ihrer Eröffnung an
mittheilen w^erden, so soll hier nur der Besuch der Laboratorien vom Jahre 1880
bis 1886 dargestellt werden.
ytechnib
:um
— 591 -
-
Polytechnikum
Jahr
Physikalisches
Institut :
Winter Sommer Ztisammen
Chemisches
Tiahoratorium :
analytisches techniBches
Agrikultur-chemisches
liahoratorium :
Winter Sommer Znsammen
1880
18
22
40
154
70
4
17
21
1881
22
22
44
140
81
5
16
21
1882
22
22
44
151
86
4
15
19
1883
37
31
68
152
122
4
14
1«
1884
35
36
71
186
113
7
16
23
1885
29
22
51
157
117
6
15
21
1886
47
39
86
163
124
7
13
20
Besonders die Zunahme im chemisch-technischen Institnt zeigt, wie noth-
wendig die Erstellung des Chemiegebändes war; gleichzeitig weist die Besucher-
zahl des physikalischen Institutes darauf hin, daß mit jeder Erweiterung des zur
Verfügung stehenden Eaumes auch die Zahl der Praktikanten in diesem Fache
wuchs.
Ueber einen Theil der Thätigkeit der Annex- Anstalten mögen uns folgende
Zahlen einigen Aufschluß geben:
Jahr
•
Samenkontrole :
Firmen Samenmnster
Landwirthschaftlich-chemische
Station :
Firmen Ein«euduhgeu (Jntersnchungen
Festigkeits-
messung :
Proben
1879
31
1056
13 180
-
1880
36
1343
16 254
525
1881
46
1465
23 604
2090
829
1882
53
1745
24 690
2800
6124
1883
53
1809
27 642
2762
6426
1884
55
1883
27 803
4419
7959
1885
55
1877
34 900
5005
7370
1886
56
2247
34 1140
6250
11663 »)
Diese Zusammenstellung zeigt schon, welche große Bedeutung in diesen nach
und nach entstandenen Annex- Anstalten des eidgenössischen Polytechnikums liegt
und in wie hohem Maße diese Bedeutung auch überall anerkannt wurde. Die
Wichtigkeit der Samenkontrolstation ist auch für den Nichtlandwirth leicht be-
greiflich. Wenn wir bedenken, daß früher vielfach nicht keimfähiger Same,
verunreinigter und selbst theilweise gefälschter Same zum Verkaufe gelangte,
wobei der Betrug erst längere Zeit nach der Aussaat, nach Verlust von Zeit,
Ajrbeit und Geld entdeckt wurde, nun aber die Samenhändler zumeist nur kon-
trolirten Samen zum Verkaufe anbieten können, so ist der hohe Werth für die
schweizerische Land wir thschaffc in die Augen springend. *)
Geben wir noch durch zwei Einzeldarstellungen eine detaillirtere Uebersicht
der Arbeiten in der landwirthschaftlich-chemischen Versuchsstation und der Station
für Festigkeitsprüfungen.
Landwirthschaftlich-chemische Versuchsstation :
') Von 1882 bis 1886 wurden 39,542 Untersuchungen ausgeführt und es hat sich
in diesem kurzen Zeiträume die Arbeit nahezu verdoppelt.
') Die landwirthsc-haftlichen Vereine senden zumeist Kollektivmuster von einer
großen Zahl ihrer Mitglieder ein. Im Jahre 1886 betheiligten sich unter 263 Auftrag-
gebern 53 landwirthschattliche Vereine, und die Gesammtzahl der Einsendungen betrug
2247. Von 655 Nachuntersuchungen hatten 90 ein Ergebniß, das mit der geleisteten
Garantie nicht stimmte, in welchen Fällen von den Verkäufern Ersatz zu leisten ist.
(Vergl. Jahresbericht 1886.)
Polytechnikum
— 592 —
Polytechnikum
A-» ^«« 1?;«^««^» ^« Zalil der Einsendungen :
Art der Emsendungen : ^^^ ^^ jg»gg
Düngmittel 544 673 1027
Futtermittel 127 244 64
W^eine und Diverses . . 132 106 49
Ausgefülirte Bestimmungen
1884 1885 1886
2930
1489
4056
518
431
5575
590
85
Der Hauptzuwachs zeigt sich in den zur Untersuchung eingesandten Düng-
mitteln. „Dieser Umstand findete seine Erklärung in dem jetzt mehr in Aufnahme
gekommenen genossenschaftlichen Ankauf der Düngmittel nach Gehaltprozenten,
wobei jede Wagenladung zur Untersuchung gelangen muß.** (Jahresbericht über
das eidgenössische Polytechnikum 1886.) Mehr als ^/e aller Untersuchungen ent-
fallen auf die kostenfreien Nachuntersuchungen. Die steigende Anzahl der letzteren
zeigt am deutlichsten, daß diese Anstalt des Polytechnikums unmittelbar die
Interessen der Landwirthschaft wahrt. Es entfielen in den letzten drei Jahren auf
1884
1885
1886
457
652
926
3184
ca. 4000
ca. 5186
Einsendungen
Kostenfreie Nachuntersuchungen .
Die Betriebsthätigkeit der Anstalt zur Prüfung der Festigkeit von Bau-
materialien stellen wir nach den frühern allgemeinen Angaben nur für die Jahre
1885 und 1886 nach Art und Zahl der untersuchten Objekte dar:
Vertheilung der Versuche
Zahl der
Versuche
1885
Auftrag-
geber
1885
Zahl der
Versuche
1886
Auftrag
geber
1886
Künstliche und natürliche Bausteine
460
86 ]
Bindemittel
5849
10783
Bauhölzer
Metalle
25
915
^ 49
716
58
Seile und Treibriemen
81
29
Chemische Analysen .....
40
49
Summa
7370
11663
Hier sind es demnach insbesondere die Bindemittel^ welche die gewaltige
Zunahme der Einzelversuche bedingten. (1883 entfielen von 6426 Versuchen
3718 auf hydraulische Bindemittel, 1886 aber 92 ®/o.) Für die polytechnische
Schule selbst erwuchs eine bedeutende Quelle praktischer und theoretischer Be-
lehrung (vorzüglich für die Bauschule) aus der Anstalt für Festigkeitsprüfungen.
Es können jeweilen Samstag Nachmittags von 2 — 6 Uhr die Schüler der obern
Abtheilungen unter Leitung des Vorstandes die „technisch wichtigsten Eigen-
schaften der moderneu Baumaterialien aus eigener Anschauung kennen lernen*.
Den Werth, welcher aus dieser Anstalt für das Baugewerbe der Schweiz erwuchs,
brauchen wir nicht insbesondere noch weiter auszuführen ; es ist die Bedeutung
derselben schon hinreichend illustrirt durch die wachsende Zahl von Aufträgen,
welche derselben übertragen wurden. — Was wir in Bezug auf die technische
Ausbildung der Schüler durch die in der letztgenannten Anstalt gebotene Ge-
legenheit gesagt haben, gilt natürlich in gleicher Weise auch für die Samen-
kontrolstation und die landwirthschaftlich-chemische Versuchsanstalt.
IV. Frequenz und Leistungen seit der Eröffnung,
Die Bewegungen in der Frequenz der polytechnischen Schule erhellen über-
sichtlich aus folgender Zusammenstellung:
Polytecimiknm
—
593
—
1
Polytechnikum
Jahr
Bau-
schnle
iii-
genienr-
schnle
Mcch.«
techn.
Schule
Cheni-
techn.
Schule
Forft-
achule
Land-
wirthflch.
Schule
Fach-
lehrer-
abthlg.
Vor-
kurs
Total
tier
.Schäler
Schweiur
Aus-
lander
1855/56
9
20
16
13
4
—
9
*
71
68
3
1856/57
9
27
22
17
7
16
98
91
7
1857/58
8
36
27
7
6
14
98
86
12
1858/59
10
31
25
13
10
20
—
109
94
15
1859/60
19
49
51
14
11
—
21
?()
195
137
58
1860/61
27
90
89
29
14
—
32
336
193
143
1861/62
26
126
117
47
19
—
32
67
434
230
204
1862/63
35
140
147
51
22
45
^
510
265
245
1863/64
34
138
188
61
20
—
47
72
560
266
294
1864/65
51
118
125
56
21
30
78 «479
244
235
1865/66
41
138
155
70
21
—
29
94
548
235
313
1866/67
52
146
159
59
24
30
81
551
243
308
1867/68
42
159
168
62
27
—
43
88
589
250
339
1868/69
41
150
169
72
16
42
98
o8S
248
340
1869/70
37
193
161
86
14
37
104
632
233
399
1870/71
25
230
141
76
17
—
36
123
648
232
416
1871/72
22
262
135
91
18
7
33
121
689
242
447
1872/73
22
260
124
94
17
9
20
129
675
270
405
1873/74
25
287
138
88
14
14
26
84
676
277
399
1874/75
28
300
150
69
22
16
34
92
711
322
389
1875/76
35
296
161
64
24
19
35
91
725
330
395
1876/77
38
253
157
80
39
16
^8
79
710
361
349
1877/78
38
198
145
84
53
17
51
54
640
331
309
1878/79
31
161
134
69
54
12
60
43
564
300
264
1879/80
26
135
126
81
48
16
64
45
541
297
244
1880/81
25
115
107
86
43
14
61
37
488
261
227
1881/82
27
113
89
89
35
16
60
—
429
240
189
1882/83
31
101
88
92
33
12
51
408
232
176
1883/84
30
92
88
119
19
19
46
—
413
224
189
1884/85
24
90
97
122
19
18
42
412
220
192
1885/86
21
87
119
119
17
17
34
—
414
198
216
1886/87
25
152
133
19
26
104
37
—
496
211
285
1887/88
22
172
161
16
28
133
48
—
580
226
354
Total der Schüler 16017 7657 8360
7o 47,8 52,2
Außer diesen Schülern freqaentirten das Polytechnikum jährlich 160 — 390
Zuhörer.
Diplomirt wurden seit Beginn der Schule his 1887/88 1435 Schüler = 9 7o,
nämlich :
Schweizer Ausländer Schwei«er -Vusländer
74 23 Förster .... 165 8
. . 183 239 Landwirthe ... 18 11
Förster
Landwirthe
Fachlehrer
Architekten .
Ingenieure
Maschineningenieure 171 149 Fachlehrer ... 159 12
Chemiker ... 139 84
Nehen den Diplomen und Promotionen dienen jährliche Preisaufgaben zur
besondem Belebung des Fleißes. Es wurden deren während 1855/88 60 ertheilt.
Flirrer, Vollwwirthschafts-Lexikon der Schweiz.
^'^
Polytechnikum — 594 — Polytechnikum
V. Gesetzgeberisches.
Das Gründuiigsgesetz vom 7. Februar 1854 ist bereits im Kapitel über die
Gründung des Polytechnikums erwähnt und seinem Wortlaute nach wiedergegeben
(p. 581). Es ist im Verlaufe der Zeit in einzelnen Punkten abgeändert worden
und eine Reihe von gesetzgeberischen Akten der Bundesversammlung qualifiziren
sich als Ergänzungen.
Abänderungen haben insbesondere erfahren :
Artikel 5 (p. 581), indem der daselbst auf Fr. 150,000 normirte Jahres-
beitrag der Eidgenossenschaft successive auf Fr. 192,000, 250,000, 285,000,
300,000, 332,000, 447,000 (auf dem Budgetwege sogar bis auf mehr als
Fr. 500,000) erhöht wurde.
Artikel 20 (p. 582), indem 1881 der Schulrath um zwei Mitglieder ver-
stärkt wurde.
Artikel 25 und 26 (p. 583); das Jahresgehalt des Schulrathspräsidenten
stieg 1859 auf Fr. 6000, 1873 auf Fr. 8000; die Besoldung des Sekretärs
wurde nur um Fr. 500 erhöht.
Im Uebrigen gibt die folgende chronologische Aufzählung summarische Aus-
kunft über die bis Ende 1888 stattgehabten gesetzgeberischen und behördlichen
Akte. Unter den 34 Nummern begegnen wir 11 Mal dem Budget oder Jahres-
kredit (Ziff. 1, 7, 12, 14, 16, 18, 20, 23, 24, 33, 34) 7 Mal den Verträgen
zwischen Bund und Stadt oder Kauton Zürich (Z. 8, 9, 10, 15, 17, 28, 29),
4 Mal dem Forstwesen (Z. 13, 14, 30, 31), 4 Mal der Landwirthschaft (Z. 14,
19, 20, 32), 4 Mal dem Schulreglement (Z. 4, 13, 19, 21), 2 Mal der
Festigkeiisprilfungsanstalt (Z. 23, 34), 2 Mal den Militärwissenschaften (Z. 21,
22), 2 Mal dem Chemiegebäude (Z. 28, 29), 2 Mal den Prüfungen (Z. 22, 25)-
2 Mal dem Vorkurs (Z. 7, 26), je 1 Mal der Anstellung französischer Lehr,
kräfte (Z. 33), der Aufnahme von Schülern und Zuhörern (Z. 27), den Be-
soldungen des Lehrpersonals (Z. 11, 18), dem Physikgebäude (Z. 31), dem
Rechnungswesen der Anstalt (Z. 5), der Sternwarte (Z. 10), dem Schulrath (Z. 26),
der meteorologischen Zentralanstalt (Z. 31), der Yersicherungsstiftung der Lehrer-
schaft (Z. 11).
1) Bundesbeschluß betreffend dm Budget für die im Jahre 1855 in Zürich
zu eröffnende polytechnische Schule. (17. Juli 1854. Amtl. Samml. IV. Bd.,
p. 241.) Nach Einsicht eines Berichtes des Bundesrathes, vom 12. Heumonat
1854, wird für die in Zürich zu eröffnende polytechnische Schule für Rechnung
desselben Jahres dem Bundesrathe ein Gesammtkrcdit von Fr. 127,000 aus der
Bundeskasse bewilligt.
2) Bundesbeschluß betreffend die erste Einrichtung der eidg. polytech-
nischen Schule in Zürich. (19. Juli 1854. Ges.-Samml. IV. Bd., p. 243.) Für
die erste Einrichtung des eidg. Polytechnikums wird von der Bundesversammlung
die Summe von Fr. 144,000 bewilligt. Dies in dem Sinne, daß ein nicht ver-
ausgabter Betrag auf Rechnung von 1855 übertragen werden müßte.
3) Bundesrathsbeschluß betreffend die Eröffnung der eidg. polytechnischen
Schule. r31. Juli 1854. Ges.-Samml. 1854, IV. Bd., p. 274.) üie Eröffnung
hat im Herbste 1855 stattzufinden. Der ordentlichen Eröffnung geht ein halb-
jähriger Vorbereituugskurs voran.
4) Beglemeni für die eidg. polytechnische Schule. (21. Juli 1854.
Ges.-Samml. IV. Bd., p. 275.)
5) Uegulatiü für das Rechnungswesen des eidg. Polytechnikums. (8. Ja-
nuar 1857. Amtl. Ges.-Samml. V. Bd., p. 531.) Der Schulrath hat die jährliche,
Polytechnikum — 595 — Polytechnikum
von der Eidgenossemjohaft budgetirte Summe je nach den Bedürfnissen der Anstalt
aus der Bundeskasse zu beziehen. Die Jahresrechnung ist mit einer Nachweisung
zu begleiten, woraus das Inventar nebst Zuwachs und Abgang und der Etat am
Jahresschlüsse ersichtlich ist. Die Direktoren der einzelnen Sammlungen haben
Spezialrechnungen über die Verwendung der ihnen überwiesenen Kredite bis
31. Dezember einzureichen. Kasse und Buchführung stehen unter der direkten
Aufsicht des Schulrathes. Wenn am Ende des Jahres ein Ueberschuß der budge-
tirten Summe verbleibt, so ist derselbe in einen unter eidgenössischer Verwaltung
stehenden Schultbnd zu überweisen.
6) Am 30. März 1858 erließ der Schweiz. Schulrath ein Regulativ über
Ertheilung von Stipendien an dürftige Schüler des eidg, Folytechnikums, Ver-
mächtnisse werden zu Stipendien von nicht unter Fr. 200 und nicht über Fr. 700
vergeben ; Reisestipendien können diesen Betrag überschreiten. Wit dem Stipendium
fallen Schulgelder, Honorare und Entschädigungen dahin. Die Aspiranten müssen
eine Jahresprüfung mit Auszeichnung bestanden haben. Die Sti))endiaten stehen
in Bezug auf Fleiß, Fortschritt und Betragen unter besonderer Aufsicht der Vor-
stände der betreffenden Abtheilung und des Direktors. Mit den Reisestipeudien
ist die Verpflichtung verbunden, daß der Stipendiat eine wissenschaftliche Arbeit
dcjm Schulrathe einzureichen hat. (Amtl. Samml. VI. Bd., p. 33/3G.)
7) Das Nachtragsgesetz beireffend die eidg. polytechnische Schule, vom
29. Januar 1859 (Amtl. Samml. VI. Bd., p. 152) enthält vornehmlich die folgenden
Bestimmungen: Zur Vorbereitung solcher Schüler, deren mangelhafte Vorkennt-
nisse den Besuch einer der Abtheilungen unmöglich machen, oder die mit Sprach-
schwierigkeiten kämpfen, wird ein einjähriger Vorbereitungskurs eröffnet. Der
jährliche Bundesbeitrag an das Polytechnikum wird auf Fr. 192,000 festgesetzt.
Dadurch ist Art. 5 des Gesetzes vom 7. Februar 1854, welcher besagt, daß die
Ausgaben für die Eidgenossenschaft Fr. 150,000 nicht übersteigen dürfen, auf-
gehoben. Ebenso wird die Besoldung des Schulrathspräsidenteu von Fr. 4500
(Art. 25 des Gesetzes vom 7. Februar 1854) auf Fr. 6000 erhöht und die Ent-
schädigung der Mitglieder gleichgestellt derjenigen der Kommissionsmitglieder der
Bundesversammlung.
8) Durch Vertrag zwischen dem Stadtrath der Stadt Zürich und dem eidg.
Schulrath (genehmigt vom Stadtrath am 22. Mai, vom Bundesrath am 8. Juni
1860; A. S. VI. Bd., p. 493 u. ff.) wird die Frage des Eigenthums, der Be-
nutzung, des Unterhalts und der Aeuffnung der städtischen naturhistorischen
Sammlungen und der Stadtbibliothek entschieden. Eine Sammlung von wirbellosen
Thieren, eine solche von Mineralien, ferner eine geologische und Petrefakten-
sammlung und der biologische Theil der Bremi'schen entomologischen Sammlung
werden inventarisirt, bleiben Eigenthum der Stadt Zürich, stehen aber zur freien,
unentgeltlichen Benutzung des Polytechnikums offen. Für Konservirung und
Mehrung leistet Zürich jährlich Fr. 1000 an die eidg. Schulkasse. Was neu zu
den Sammlungen gefügt wird, ist Eigenthum von Kanton, Stadt und Eidgenossen-
schaft im Verhältuiß der geleisteten Beiträge (abzüglich der Unterhaltungskosten).
Die Stadtbibliothek in der Wa-sserkirche steht der eidg. polytechnischen Schule
zu freier Benutzung unentgeltlich zur Verfügung. Dauer des Vertrages 10 Jahre.
9) Ein weiterer Vertrag betreffend die Sammlungen im Universitätsgebäude
und botanischen Garten Zürichs wird zwischen Zürich und dem Schweiz. Schul-
rathe am 14. Oktober 1860 abgeschlossen. (Genehmigt von der Regierung am
2, Juni, vom Bundesrathe am 18. Juni 18(;)U. Amtl. Samml. VI. Bd., p. 519 u. ff.)
Direktion und Unterhaltung des botanischen Gartens bleiben Sache des Kantons
Polytechnikum — 596 — Polytechnikum
Zürich. Die Eidgenosseuechaft bezahlt aus der Schulkasse des Polytechnikums
jährlich Fr. 4200, wovon mindestens Fr. 1200 für Besorgung und Aeuffnung
der botanischen Sammlungen zu verwenden sind. Die hieraus entstehende Yer*
mehrung der Sammlungen bleibt Eigenthum des Polytechnikums. Der Rest der
Summe ist gleichfalls direkt auf den botanischen Grarten zu verwenden. Die im
zürcherischen Universitätsgebäude untergebrachten, dem Kanton Zürich gehörenden
Sammlungen (geologisches Museum, Petrefakten- und geognostische Sammlung)
werden inventarisirt und mit Eigenthumszeichen versehen. Dasselbe geschieht
seitens des eidg. Polytechnikums mit den aus eidg. Mitteln gemachten An-
schaffungen. Der Kanton Zürich leistet an die Kosten der Erhaltung, Besorgung
und Aeuffnungen der erwähnten Sammlungen, inbegriffen die bisherigen Leistungen
des Kantons an die im Universitätsgebäude aufgestellten städtischen Sammlungen,
jährlich eine Summe von Fr. 2500 an die eidg. Schulkasse. Die letztere schießt
die weiteren zur Erhaltung und Aeuffnung nöthigen Beiträge nach freiem Er-
messen zu und dirigirt die Verwendung. Was vom Zeitpunkt des Inkrafttretens
des Vertrages an neu den Sammlungen zukommt (Aeffnung), wird gemeinsame«
Eigenthum.
10) Ueber den Vertrof/ mit der Stadt Zürich betreffend die Errichtung
einer neuen Sternwarte (25. Mai 1861 ; Amtl. Samml. VII. Bd., p. 38) ver-
weisen wir auf das betreffend diese wissenschaftliche Anstalt im IL Abschnitt
(p. 587) Gesagte.
11) Am 13. Juni 1862 kam zwischen der Schweiz. Rentenanstalt (private
Lebensversicherungsgesellschaft) einerseits und der Lehrerschaft des Polytechnikums
sowie dem eidg. Schulrathe anderseits ein Vertrag über eine Versicherungs^
Stiftung zu Gunsten der Lehrerschaft zu Stande (Amtl. Samml. VII. Bd., p. 397).
Nach diesem Vertrag tritt die gesanimte gegenwärtige und zukünftige, definitif
auf mindestens zehnjährige Amtsdauer gewählte Lehrerschaft des Polytechnikums
für jedes einzelne Mitglied in die Versicherungsstiftung ein. Der Schulrath kann
hieven Ausnahmen bewilligen, aber nicht so viele, daß die Gesamratzahl der
Versicherten unter ^U der bezeichneten Lehrerschaft sinkt. Jedes Mitglied hat
jährlich von seinem fixen Gehalte in der Regel 3 ^/o als Versicherungsprämie
zu entrichten und der Schulrath legt für dasselbe ebenfalls mindestens 3 ®/o ein.
Die Gesammtprämie für den Einzelnen darf jedenfalls nicht unter 4 ®/o seiner
Besoldung sinken. Die Rentenanstalt hinwiederum fertigt für jedes Mitglied eine
Versicherungspolice aus, welche nach Verhältniß der Prämie und des individuellen
Eintrittsalters des Versicherten bemessen wird. Die Police sichert jedem Mitgliede
nach seiner freien Wahl beim Eintritte entweder eine Kapitalsumme aufs Ab-
leben oder eine frühestens mit dem 60. Altersjahre beginnende Altersrente zu.
Ferner sind Bestimmungen getroffen für den Fall des Austrittes aus dem Lehr-
körper u. a. m. Dieser Vertrag, vom Bundesrathe genehmigt am 9. Januar 1863,
ist noch heute (April 1889) in Kraft.
12) Durch das Nachtragsgesetz vom 22. Dezember 1863 betreffend die
eidg. polytechnische Schule (Amtl. Samml. VIII. Bd., p. 23) wird der jährliche
Beitrag der Eidgenossenschaft für die polytechnische Schule auf Fr. 250,000
erhölit. Diese Bestimmung trat mit 1. Januar 1864 in Kraft.
1 3) Der Schulrath legte dem Bundesrathe einen Entwurf zu einem revidirten
liet/lemfnt vor. Dieses am 2S. Februar 1866 vom Bundesrathe in Kraft erklärte
revidirte Reglement (Amtl. Samml. VlII. Bd., p. 766 u. ff) stellt folgende acht
Abtheilungen des Polytechnikums auf: I. Hochbauschule; IL Ingenieurschule;
III. Mechanisch-technische Schule ; IV. Chemisch-technische Schule; V.Forstschule;
Polytechnikum — 597 — Polytechnikum
VI. FachlehrerahtheiluDg ; YII. Philosophische und staatswirthschaftliche Ab-
theiluDg; YIU. Mathematischer Yorbereitungskurs.
Es wird festgestellt, daß nur dann die nach einem besondern Regulativ im
Einzelnen zu bestehende Vorprüfung dem Eintretenden erlassen werden könne,
wenn die Ausweise über seinen bisherigen Bildungsgang volle Gewähr geben, daß
er die erforderlichen Vorkenntnisse besitze. Das Schulgeld wird auf Fr. 100 per
Jahr (einschließlich der Beiträge an die Krankenkasse) angesetzt. Die Bauschule
ertheilt Diplome eines Architekten (statt eines Baumeisters), die Ingenieurschule
nur noch diejenigen eines Ingenieurs (statt solche eines Straßen-, Brücken ,
Wasserbau- und eines topographischen Ingenieurs). An der 'mechanisch-technischen
Schule werden nicht mehr Diplome eines Mechanikers, sondern solche eines
Maschineningenieurs ertheilt. Es ertheilt auch die Abtheilung für Bildung von
Fachlehrern in mathematischer oder naturwissenschaftlicher Eichtung Diplome.
Entsprechend den gesteigerten Anforderungen, ibt die Zahl der vorgesehenen Lehrer
vermehrt und in Aussicht genommen, bei einem Bedürfniß in Bezug auf die
schweizerischen Nationalsprachen Abhülfe zu schaffen.
14) Die Erweiterung der Forstschule des eidg. Polytechnikums zu einer
land- und forstwirthschaftlichen Schule erfolgte durch das Bundesgesets vom
23, Dezember 1869, (Amtl. Samml. X. Bd., p. 10.) Die höhere landwirthsi;haft
liehe Schule bildet mit der Forstschule die fünfte Abtheilung als land- und forst-
wirthschaftliche Schule. Mit dem Zeitpunkt der Eröffnung wird der ordentliche
Jahreskredit um Fr. 35,000 erhöht, also auf Fr. 285,000 festgesetzt. Dem Kanton
Zürich wurde die Aufgabe zugewiesen, der landwirthschaftlichen Schule die er-
forderlichen Eäumlichkeiten und mindestens 72 Juchart Landes in der Nähe des
Polytechnikums zur Verfügung zu stellen, femer in der Nähe des Strickhofs ein
Areal von mindestens 4 Jucharten als Versuchsfeld anzuweisen und endlich die
Betriebsgüter und Sammlungen im Strickhof sowie die Institute der Thierarznei-
schule unentgeltlich benutzen zu lassen. Der zürcherische Eantonsrath verpflichtete
sich darch Beschluß vom 28. Februar 1870 zur Uebemahme dieser Leistungen.
Deßhalb wurde
15) Durch Bundesratksbeschluß vom 1, Juli 1870 das eidg. Departement
des Innern beauftragt, die vorbereitenden Maßregeln zur Vollziehung des vor-
genannten Gesetzes zu treffen. Die Folge war eine formelle Uebereinkunft,
d. d. 28. Juni 1871, betreffend die obgenannten Räumlichkeiten (Amtl. Samml.
X. Bd., p. 635) und ein Vertrag, abgeschlossen am 25. Mai 1872, betreffend
das obgenannte Versuchsfeld (Amtl Samml. X. Bd., p. 807).
16) Durch Bunde.^bcschluß vom 10. Juli 1871 wird von der Bundes-
versammlung der jährliche Beitrag der Eidgenossenschaft für die polytechnische
Schule auf Fr. 300,000 festgesetzt. Dieser Beschluß trat mit 1. Januar 1872
in Kraft. (Amtl. Ges.-Samml. X. Bd., p. 4:^9.)
17) Mit der Finanzdirektion von Zürich wird unterm 30. Oktober 1869 eine
Uebereinkunft betreffend Verpflegung erkrankter Studirender des Polytechnikums
abgeschlossen (Bundesblatt 1869, III. Bd., p. 123).
18) Eine weitere Erhöhunr/ des Jahreskredites für das Polytechnikum
wurde am 26. Juli 1873 beschlossen. (Amtl. Samml. XI. Bd., p 254.) Die
Erhöhung betrug Fr. 32,000 und wurde in dem Sinne gewährt, daß aus der-
«elben insbesondere bisherige Gehalte und Besoldungen erhöht werden sollten.
Dem Bundesrathe wurde gleichzeitig ein außerordentlicher jährlicher Kredit von
Fr. 15,000 zu dem Zwecke eröffnet, „um in Fällen, wo es sich um Erhaltung
ausgezeichneter Lehrkräfte der Schule handelt, nöthigenfalls eine angemessene
Polytechnikum — 598 — Polytechnikum
Erhöhung der ordentlichen Besoldung eintreten zu lassen". Das Jahresgehalt des
Schulrathspräsidenten wurde auf Fr. 8000, dasjenige des Sekretärs auf Fr. 3500
fixirt. Der Beschluß trat mit dem 1. Januar 1873 in Kraft.
19) Durch Beschluß vom 11. JuH 137 3 ivird das Reglement vom 28, Fe-
bruar 1866 neuerdings revidirt. (Reglement für die eidg. polytechnische Schule.
Ges.-Samml. XL Bd., p. 301 u. ff.) Die Zahl der Abtheilungen bleibt die näm-
liche (8). Nach dem oben sub 14 erwähnten Gesetz wird die Abtheilung 5 zu
einer land- und forstwirthschaftlichen Schule erweitert und bedarf für die land-
wirthschaftliche Abtheilung eines besondern Planes. Dementsprechend werden an
der landwirthschaftlichen Schule nach absolvirten mindestens zweijährigen Studien
und bestandenem Examen Diplome eines Landwirthes ertheilt. Die Hauptparthien
des Reglementes werden am Schlüsse dieses Abschnittes wörtlich mitgetheilt.
20) Der Bundesbeschhiß vom 17. März 1877 betreffend Errichtumf einer
Stelle für landwirthschaftliche Untersuchungen an der eidf/. polytechnischen
Schule (Ges.-Samml. n. F. III. Bd., p. 62) bestimmte (Art. 1) ; Es wird an der
eidg. polytechnischen Schule, in der land- und forstwirthschaftlichen Abtheilung,
eine Stelle für landwirthschaftliche Untersuchungen errichtet zur Kontrole der
landwirthschaftlichen Stoffe und Produkte (Erdarten, Düngerarten, Futtermittel,
Sämereien u. s. w.). Diese Station wird die von Behörden oder P]inzelnen ver-
langten Analysen liefern und diejenigen Ergebnisse veröffentlichen, welche ein
allgemeines Interesse für die Landwirthschaft bieten. Für 1877 wurde ein Kredit
von Fr. 6000 hiefür bewilligt.
21) Am 3. Brachmonat 1854 hatte die Schweiz. Militärgesellschaft eine
Petition eingereicht, dahin gehend, es möchte an der eidg. polytechnischen Schule
ein Lehrstuhl für Militärwissenschaften errichtet werden. Dieses Gesuch wurde
der eidg. polytechnischen Kommission überwiesen zur Berichterstattung und Antrag-
stellung. Die Kommission gelangte zu einem negativen Ergebniß ; sie beantragte
(am 21. Juli 1854): „Der hohe Bundesrath möge einstweilen der Zuschrift der
Schweiz. Militärgesellschaft keine Folge geben". Die Militär-Organisation vom
13. Wintermonat 1874 (Art. 94) dagegen förderte Vorlesungen über militär-
wissenschaftliche Fächer am eidg. Polytechnikum. In Vollziehung des Art. 94
der Militär-Organisation und in Ergänzung des Reglementes von 1873 (s. oben
Nr. 19) wurde durch
Bundesrathsbeschluß vom 26, Weinmonat 1877 festgestellt, daß über fol-
gende Fächer Vorlesungen am Polytechnikum zu halten seien; Kriegsgeschichte,
Strategie, Taktik, Heeresorganisation und Heeresverwaltung, Waffen lehre und
Schießtheorie, Fortifikation. Für die militärischen Wissenschaften werden ein bis
zwei Lehrer angestellt. Militärdepartement und Schulrath haben sich über die
Vorschläge zur Wahl dieser Lehrer zu verständigen. Das Ausgaben bedürfniß für
die Militärabtheilung wird im Budget den Militärdepartements ausgesetzt. Im Jahre
1879 (4. Herbstmonat 1879; Amtl. Samml. n. F. IV. Bd., p. 340) wurde
22) das Reffulativ fiXr die Prüfungen an der militnr-wissenschaftlichen
Abtheilunf/ des eidg. Polt/technikum^ aufgestellt. Die Prüfungskommission be teht
aas dem Vorstand der Abtheilung, einem Abgeordneten des Militärdeparteraent«
und einem Abgeordneten des eidg. Departements des Innern. Die Lehrer der
Abtheilung nehmen mit berathender Stimme au den Konferenzen Theil. Wird bei
der Prüfung von einem schon brevetirten Offizier die Note „gut** oder „sehr
gut" erworben, so ist zur Empfehlung beim Avancement dem Waffeuchef des
Offiziers und der Wahlbehörde durch das Militärdepartement Kenntniß zu geben.
Polytechnikum — 599 — Polytechnikum
23) Der Bundesbeschluß betreffend den ref/elmäßif/en Betrieb der eidr/,
Anstalt zur Prüfung der Festigkeit von Baumaterialien^ am 3. Christmonat 1880
gefaßt, statuirt, daß der Bund zur Deckung der Betriebskosten, je nach Maßgabe
des Bedürfnisses, einen Jahresbeitrag bis auf Fr. 7000 leiste. (Ges.-Samml. n. F.
5. Bd., p. 263.)
24) Im Juni 1881 erfolgte wiederum ein Bundesbeschluß betreffend
Erhöhung des Jahreskredites. (Gres.-Samml. 5. Bd., p. 428.) In diesem Be-
schlüsse, der am I.Oktober 1881 in Kraft trat, wurde der jährliche ordentliche
Beitrag der Eidgenossenschaft filr die polytechnische Schule auf Fr. 447,000
festgesetzt.
25) Ein eigenes Regulatio für die Diplomprüfungen, mit speziellen Be-
stimmungen für die einzelnen Fachschulen, wurde unterm 23. März / 26. April
1881 vom Schweiz. Schulrathe erlassen und vom Bundesrathe am 5. Mai 1881
genehmigt. (Ges.-Samml. n. F. 5. Bd., p. 497 u. ff.)
26) Das Bundesgesetz vom 23, Juni 1881 (Ges.-Samml. n. F. 5. Bd., p. 560)
erhöhte die Zahl der Mitglieder des Schulrathes und hob den Vorbereitungsskurs
am Polytechnikum auf. „Der Schulrath besteht aus einem Präsidenten und sechs
Mitgliedern. Er wird vom Bundcbrathe aus allen Schweizerburgern unter ange-
messener Berücksichtigung der technischen Berufsrichtung gewählt. Er kann
nur gültig verhandeln, wenn außer dem Präsidenten oder dessen Stellvertreter
wenigstens drei Mitglieder anwesend sind."
27) Am 24. November 1881 folgte ein Begulutiv für die Aufnahme von
Schülern und Zuhörern am eidg. Polytechnikum. Zum Eintritt in die ersten
Jahreskurse aller Fachschulen berechtigen (ohne Aufnahmsprüfung) die Reife-
zeugnisse derjenigen schweizeriFchen Mittelschulen, welche zu diesem Zwecke mit
dem Schweiz. Schulrathe Verträge abgeschlossen haben, sowie die durch den
Präsidenten in Verbindung mit dem Direktor als gleichwerthig anerkannten Zeug-
nisse auswärtiger Schulen. Aspiranten, welche keine anerkannten Reifezeugnisse
vorweisen können, haben zu Beginn des Schuljahres ein Examen zu bestehen.
In diesem Regulativ werden sowohl bezüglich der allgemeinen Bildung, als der
Fachkenntnisse spezielle Bestimmungen aufgestellt. (Amtl. Samml. n. F. 5. Bd.,
p. 853.)
28) Durch Bundesbeschlu ß betreffend die Rtgulirung der Baupflicht des
Kautons Zürich gegenüber der eidg. polytechnischen Schule, vom 7. Juli 1883,
wurde der am 1. März 1883 zwischen den Vertretern des Bundesrathes und den
Abgeordneten der Zürcher Regierung abgeschlossene Vertrag genehmigt. (Anitl.
Samml. n. F. 7. Bd., p. 253/54.") Nach diesem Vertrage verzichtet der Bund
auf die im Kollaudationsakte vorbehaltenen und noch nicht ausgeführten vier
baulichen Ergänzungen. Das bestehende Nebengebäude für Chemie wird an den
Kanton Zürich zurücktradirt. Diese Zurückgabe findet erst htatt nach Erstellung
des neuen Cheraiegebäudes. Der Baugrund wird (9600 m'^ haltend) vom Kanton
Zürich unentgeltlich abgetreten. Die Pflicht der Unterhaltung des Hauptgebäudes
und des Gebäudes für Laudwirthschaft verbleibt dem Kanton Zürich. Sollten für
die gemeinsamen naturwissenschaftlichen und künstlerischen Sammlungen neue
Gebäude nothwendig werden, so tritt auch hiefiir Zürich den Baugrund unent-
geltlich ab. Für die ferneren Baubedürfnisse tibernimmt der Bund die Sorge im
Umfange der Gesetze vom 7. Februar 1854 und 23. Dezember 1869. Für diese
Entlastung hat der Kanton Zürich die Summe von Fr. 450,000 an den Bund
zu bezahlen. Sollte die polytechnische Schule jemals aufgehoben werden, so bleibt
der Bund Besitzer der von ihm erstellten Bauten, suforn er den dannzumaligen
Polytechnikum — 600 — Polytechnikum
Preiswerth des Baugrundes und von der Loskaufssumme Fr. 200,000 an den
Kanton Zürich zurückerstattet.
29) Diesem Vertrage folgte der Bundesbeschluß betreffend den Bau eines
Chemief/ebäudes fiir das eidg, Polytechnikum in Zürich (17. Dezember 1883).
Für den Bau desselben wird eine Summe von Fr. 1*337,000 bewilligt (Amtl.
Samml. n. F. 7. Bd., p. 320.)
30) Der Bundesbeschluß vom 27, Märe 1885 wird nach Weisung der
Bundesversammlung am 4. April 1885 öffentlich bekannt gemacht und am 14. Juli
dessen Yollziehbarkeit vom 1. Januar 1886 au erklärt. Nach demselben wird eine
Zentralanstalt für das forstliche Versuchswesen (vorläufig eine forstlich-meteoro-
logische Anstalt) zu dem Zwecke errichtet, durch wissenschaftliche Versuche,
Untersuchungen und Beobachtungen der Forstwirthschaft in ihrem vollen Umfange
eine sichere Grundlage zu verschaffen und zur Lösung wichtiger forstlich-meteoro-
logischer Fragen beizutragen. (Amtl. Samml. n. F. VIII. Bd., p. 154.)
31) Am 30. Juni 1886 erfolgte der Bundesbeschluß betreffend die Er-
Stellung eines Gebäudes für Physik und für die forstliche Versuchsstation der
polytechnischen Schule^ nebst Lokalitäten für die meteorologische Zentralstation.
Für den Ankauf des Baute rrains und die Erstellung der Baute wird die Summe
von Fr. r050,000 bewilligt. (Amt. Samml. n. F. IX. Bd., p. 64.) In dem zu
erstellenden Gebäude für Physik (wofür erst nur noch die unzureichenden Räum-
lichkeiten im Souterrain des Hauptgebäudes nothdürftig hergerichtet waren) wurde
gleichzeitig beschlossen, die forstwirthschaftliche Versuchsstation und die meteoro-
logische Zentralstation unterzubringen.
32) Jm Juni desselben Jahres wird, nach Einsicht der bundesräthliohen Bot-
schaft vom 5. Juni 1886, noch ein Beschluß gefaßt, den wir hier anzuführen
haben. (Amtl. Samml. n. F. IX. Bd., p. 272.) Es betrifft derselbe die Et^eiterung
der landwirthschaftlichen Abtheiluny am eidg. Polytechnikum, Diese Erweiterung
erfolgte in dem Sinne, daß zur Bildung von Kulturtechnikern und Landwirthschafts
lehrern am Polytechnikum eigene Spezialkurse eingerichtet wurden. „Zu diesem
Zwecke, sowie zum Betriebe eines Versuchsfeldes für Obstbaumzucht und Rebbau
in Verbindung mit der landwirthschaftlichen Abtheilung, wird das jeweilige ordent-
liche Jahresbudget der polytechnischen Schule um den Betrag von Fr. 17,000
jährlich erhöht."
33) Behufs größerer Berücksichtigung der framösischen Sprache am Poly-
technikum wurde am 25. Juni 1886 der Bundesbeschluß gefaßt, daß bis zur
gesetzlichen Neuordnung des Schulbudgets und zum Zwecke der Anstellung fran-
zösischer Lehrkräfte jährlich ein Extrakredit von Fr. 20,000 auszusetzen sei.
(Amtl. Samml. n. F. 10. Bd., p. 98.)
34) Durch Bundesbeschluß vom 23. Dezember 1887 wurde der oben sub
Ziffer 24 erwähnte Bundesbeschluß betreffend den regelmäßigen Betrieb der
eidg. Anstalt zur Prüfung der Festigkeit von Baumaterialien in dem Sinne
abgeändert, daß der Bund „je nach Maßgabe des Bedüi'fnisses'* einen alljährlich
auf dem Budgetwege festzusetzenden Beitrag gewähre.
Auszug aus dem Schulreglement.
I. Allgemeine Bestimmungen. Art. 1 . Die eidg. polytechnische .Schule
zerfallt in folgende Abtheilungen : 1) Eine Hochbauschule. 2) Eine Ingenieurschule. 3)
Eine mechanisch-lechnische Schule. 4) Eine chemisch-technische Schule. 5) Eine land-
und forstwirthschaflliclie Schule. G) Eine Abtheilung für Bildung von Fachlehrern in
mathematischer und naturwissenschaftlicher Richtung. 7) Eine allgemeine philosophische
und staatswirtlipchaftliclie Abtheilung (Freifächer).
Polyteclimkum — 601 — Polytechnikum
Art. 2. Der gesammte Unterricht an der Anstalt zerfällt: 1) in obligatorische
Lehrfächer; 2) in Freifächer,
Art. 3. Der Unterricht wird nach freier Wahl der Lehrer in der deutschen,
ft'anzösischen oder italienischen Sprache ertheilt.
Art. 4. Der Unterricht in sämmtlichen Abtheilun^ren der polytechnischen Schule
soll mit steter Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse der Schweiz ertheilt
werden.
Art. 5. 1) Der Unterricht an der Hochbauschule ist mindestens dreijährig,
und begreift in sich die folgenden Lehrgegenstände : Diirerential- und Integralrechnung ;
Darstellende Geometrie; Steinschnitt und Perspektive; Mechanik; Technische Physik;
Petrographie ; Chemische Technologie der Baumaterialien ; Ornamentenzeichnen ; Figuren-
zeichnen ; Landschaftzeichnen ; Architektonisches Zeichnen ; Modelliren ; Vergleichende
Baukunde und Baugeschichte ; Kompositionslehre mit Uebungen ; Baukonstruktionslehre
mit Uebungen ; Straßen- und Wasserbau ; Kunstgeschichte ; Rechts- und Verwaltungslehre.
2) Der Unterricht an der Ingenieurschule ist mindestens dreijährig, und
erstreckt sich auf die nachfolgenden Fächer: DifTerential- und Integralrechnung; Geo-
metrie der Lage; Darstellende Geometrie; Steinschnitt und Perspektive; Graphische
Statik; Technische Mechanik und Maschinenlehre; Technische Physik; Petrographie;
Chemische Technologie der Baumaterialien ; Geologie; Topographie; Geodäsie; Astronomie
mit Uebungen auf der Slernwarle; Planzeichnen; Feldmessen; Baukonstruktionen;
Erdbau, Straßen-, Eisenbahn-, Tunnel-, Wasser- und Brückenbau mit Konstruktions-
Obungen ; Rechts- und Verwaltungslehre.
3) Der Unterricht an der mechanisch-technischen Schule ist mindestens
dreijährig, und umfaßt folgende Fächer: Differential- und Integralrechnung mit An-
wendungen; Analytische Geometrie; Darstellende Geometrie; Steinschnitt; Technische
Physik; Technische Mechanik; Analytische Mechanik; Theoretische Maschinenlehre;
Maschinenbaukunde mit Konstruktionsübungen; Zivilbau mit Uebungen; Metallurgie;
Chemische Technologie der Baumaterialien; Mechanische Technologie; Bau eiserner
Bnlcken und Eisenbahnbau.
4) Der Unterricht an der eh emisch- technisch en Abtheilung ist für die
technische Richtung mindestens zweijährig, und umfaßt die folgenden Fächer : Unorganische
Chemie; Organische Chemie: Analytische Chemie; Analytisches Praktikum; Chemische
Technologie; Technisch-chemische Uebungen; Mechanische Technologie; Beschreibende
Maschinenlehre; Krystallographie ; Mineralogie; Geologie; Allgemeine, ökonomische und
technische Botanik : Zoologie ; Technisches Zeichnen.
Der Unterricht für die pharmazeutische Richtung erstreckt sich auf
mindestens drei Semester, und begreift nachfolgende Fächer in sich: Unorganisclie
Experimenlalchemie : Organische Chemie ; Analytische (^ihemie ; Analytisches Praktikum ;
Fabrikation chemischer Produkte ; Metallurgie ; Technisch-chemische Uebungen ; Pharma-
zeutische Chemie ; Experimentalphysik ; Mineralogie ; Geologie ; Allgemeine, spezielle
und pharmazeutische Botanik; Zoologie; Pharmakognosie.
5) Der Unterricht an der land- und fors t wirthschaftlichen Schule ist
mindestens zweijährig, und umfaßt folgende Fächer: a. Land wir thsc haftliche
A b t h e i 1 u n g. Mathematik ; Praktische Geometrie mit Uebungen ; Experimentalphysik ;
Unorganische Experimentalchemie ; Organij^ciie Chemie; Agrikulturchemie ; Uebungen
im chemischen Laboratorium : Landwirthschaftlich-chemiM-he Technologie ; Zoologie ;
Anatomie und Physiologie der Haus-Säugethiere ; Allgemeine Botanik; Spezielle Botanik,
mit besonderer Berücksichtigung der land- und forstwirth.schafllich wichtigen Gewächse;
Pflanzenphysiologie mit Experimenten: Mikroskoj)ische Uebungen und pflanzenphysio-
logische Versuche ; Petrographie und Geologie : Allgemeine Volkswirthschaflslehre,
Finanz Wissenschaft : Rechts- und Verwaltungslehre ; Landwirthschaftliches Recht und
Kulturgesetzgebung ; Geschichte und Literatur der Landwirthschatt ; Betriebslehre,
Güterabschätzung, Ertragsanschläge, Buchhaltung; Allgemeiner Acker- und Pflanzenbau;
Ent- und Bewässerung; Garten-, Obst- und Weinbau: Spezieller Pflanzenbau mit
besonderer Berücksichtigung der Wiesen und Weiden ; Allgemeine Thierproduktionslehre ;
Rindvieh-, Pferde-, Schaf- und Schweinezucht : Gesundheitspflege der Hausthiere: Krank-
heiten der Hausthiere, besonders Seuchen, Geburtshülfe, Hufl>esclilag; Landwirthschaft-
liche Gerätlie- und Maschinenkunde: Agronomische Uebungen.
b, Forstschule. Mathematik; Praktische Geometrie mit Uebungen: Feldmeß-
übungen; Planzeichnen: Theodolithverfahren mit Uebungen; Straßen- und Wasserbau;
Experimentalphysik: Unorganische Experimentalchemie; Organische (Chemie ; Agrikultur-
chemie ; Uebungen im chemi^-chen Laboratorium ; Zoologie ; Allgemeine Botanik ;
Polytechnikum — 602 — Polytechnikum
Spezielle Botanik mit hesonderer Berficksichtigunj? der land- und forstwirthsohaftlich
wichtigen Gewächse ; Pllanzenphysiologie mit Experimenten ; Botanisch-mikroskopische
Uebungen: Petrographie ; Allgemeine Geologie: Rechts- und Verwaltungslehre; Allgemeine
Volkswirthschaftslehre, Finanzwissenschatt ; Forstliche Klimalehre und Bodenkunde;
Grundzuge der Forstwissenschaft ; Forstschutz mit angewandter Zoologie ; Waldbau ;
Taxationslehre; Forslbenutzung ; Betriebslehre und Waldwerthberechnung; Staatsforsl-
w irthschaflslehre und Statistik ; Geschäftskunde ; Exkui-sionen mit L'ebungen.
6) Die Abtheilung für Bildung der Fachlehrer hat einen mindestens zweijährigen
Kurs für solche, die sich der naturwissenschaftlichen und einen mindestens dreijährigen
für solche, die sich der mathematischen Richtung widmen. Für die erstere Richtung
sind wesentlich die naturwissenschaftlichen Fächer der chemisch-technischen Abtheilung
vorgezeichnet. Für die zweite Richtung sind während der ersten zwei Jahre wesent-
lich die matliematischen Fächer der Ingenieur- und meclianisch-technischen Abtheilung
als Richtschnur zu nehmen. Daran schließen sich die höheren Partien der Mathematik,
Physik und Astronomie. Während der letzten 2—3 Semester finden seminaristische
Uebungen statt.
7) Au der allgemeinen philosophischen und staatswi rth schaftliche n
Abiheilung werden zur Förderung der allgemeinen Bildung der Schüler und Zuhörer
und vom rein wissenschaftlichen Standpunkte aus Vorlesungen über die nachfolgenden
Fächer gehalten : Die mathematischen und Naturwissenschaften, so weit es sich nicht
um Disziplinen handelt, die ihrem Wesen nach vorherrschend in das Gebiet einer
Fachschule fallen; Deutsche Literatur; Französische Literatur; Italienische Literatur;
Englische Literatur: Allgemeine Geschichte: Schweizergeschichte; Allgemeine Kunst-
geschichte und Archäologie; Staatsrecht; Handelsrecht; Verwaltungsrecht; National-
ökonomie; Statistik.
Art. G. Die Vermehrung oder Verminderung der Fächer in den einzelnen Ab-
theilungen bleibt spezieller Schlußnahme der Behörden vorbehalten. So können auch
weitere obligatorische Fächer den Zuhörern zur freien Benutzung geölTnet werden, so
weit es ohne Gefährdung der Disziplin und ohne Umgehung der Aufnahmsbedingungen
an (he Schule geschehen kann. Ebenso ist nicht ausgeschlossen, daß auch Freifacher,
ohne den Charakter als solche zu verlieren, für einzelne Abtheilungen obligatorisch
erklärt werden, sofern sich dies in der Folge als durch die Interessen dieser Abtheilung
geboten herausstellen würde.
Art. 7. Die Fächer der sechs ersten Abtheilungen werden theils in einjährigen,
tlifils in halbjährigen, die Freitacher an der siebenten Abtheilung in der Regel in
halbjährigen Kursen vorgetragen.
Art. S. Joweilen vor Ikginn der Kurse erscheint ein Prograuim, welches ohne
Ausnahme alle an der Anstalt abzuhaltenden Kurse und Uebungen enthalten muß.
Das Abhalten von Vorlesungen oder Uebung^kursen an der Anstalt, welche im Pro-
gramm nicht aufgeführt sind, ist untersagt.
Art. 9. Das Schuljahr der Anstalt beginnt jeweilen im Oktober, das Sommer-
seniester im April.
Art. 10. Ferien sind im Herbst acht Wochen und im Frühling drei Wochen vor
dem Anlange der Kurse und zu Weihnachten eine Woche.
Art. II. Als Hültsmittel für den Unterricht dienen: l) Eine Bibliothek. 2) Samm-
lungen von Vorlagewerken, sowie von Figuren und architektonischen Ornamenten aus
Gyps für die vei-schiedenen Zweige des Zeichnungsunterrichtes. 3) Eine Sammlung von
Baumaterialien un<l von Bjiukoustruktionsmodellen. 4) Eine Maschinenmodellsammlung.
5) Eine Sammlung geometrischer Meßinstrumente. 0^ Eine Sammlung von Werkzeugen
und von Waaren für «len mechanisch-technologischen Unterricht. 7) Eine Sammlung
vr»n Modollen und von Waaren für den chemisch-technologischen und pharmazeutischen
Unterricht. S) Fj'ne Sammlung wichtiger Gegenstän<le, Modelle und Werkzeuge, von
Maschinen und Geräthen, Sämereien für den land- und forstwirthscha filichen Unterricht.
\)) Eine zoologische, botanische, mineralogische, geologische und paläonlologische Samm-
lung, mit den nöthigen Spezialitäten der beiden ersten für Land- und Forstwirthschaft.
10) Eine entomologische Sammlung. 11) VAne archäologische Sammlung und eine
Sammlung antiker Va<en. 12) Eine Kupfersfichsammlung. L3) Eine Werkstätto zum
Modelliren in Ihon \uu\ Gyps. li) Eine Werkstälte für Arbeiten in Holz. 15) Eine
Werkstätte für Arbeiten in Metall. 16) Ein chemisches Lal)r)ratorium für analytische
Arbeiten. 17) Ein chemisches Laboratorium für technische und pharmazeutische Ar-
beiten. Is) Ein chemisches Laboratorium für land- und Ibrstwirthschaftliche Arbeilen.
J9) Ein pilanzenphysiologisches Laboratorium. "20) Ein physikalisches Kabinet mit
Polytechnikum — 603 — Polytechnikum
physikaHschem Laboratorium. 21) Eine Sternwarte. 22) Ein botanischer Garten.
23) Ein botanischer Garten speziell für Laml- unrl Forstwirthschaft. 2i) Die vom
Kanton und von <ler Stadt Zürich der Schule zum Zwecke des Unterrichts nach Maß-
gabe der hierüber abgeschlossenen Verträge zur Verfügung zu stellenden Waldungen,
Versuchsfeld, Sammlungen und Bibliotheken.
II. Von den Studirenden. a. Aufnahme, Verpflichtungen und Berechtigungpu.
Art. 12. Die Studirenden der polytechnischen Schule sind entweder Schüler oder Zu-
hörer. Das regelmäßige Verhältniß ist das des Schülers, welcher sich eine vollständige
Berufsbildung in einer der sechs ersten Abtheilungen der Schule verschaflen will. Das
ausnahmsweise Verhältniß ist dasjenige des Zuhörers, dem einzelne Vorlesungen an
der Anstalt zu hören gestattet wird.
Art. 13. Die Anmeldungen zur Aufnahme als Schüler werden nur im Anfange
jedes Jahreskurses angenommen. Ausnahmen finden nur aus ganz besondern Gründen statt.
Art. 14. Jeder Bewerber um Aufnahme als Schüler an das eidgenössische Poly-
technikum hat vor Beginn der Aufnahmsprüfungen der Direktion folgende Anmeldungs-
sehriften einzu.senden : 1) Eine schriftliche Anmeldung, welche enthalten soll: Name
und Heimat>«ort des Aspiranten, die Bezeichnung der Abtheilung und des Jahreskui-ses,
in welche er eintreten will, die unterschritl liehe Bewilligung von Eltern oder Vormund,
sowie die genaue Adresse derselben. 2) Einen Altersausweis, in dem in der Regel das
zurückgelegte 18. Altersjahr als Bedingung zur Zulas.«?ung in den ersten Jahreskurs
gefordert wird. 3) Möglichst vollständige Zeugnisse über seine Vorstudien, sofern der
Aspirant nicht im Besitze eines Maturitä^zeugnisscs einer der schweizerischen Mittel-
schulen, welche zu diesem Zwecke mit <lem schweizerischen Schulrathe Verträge ab-
geschlossen haben, oder eines als gleichwerthig anerkannten Maluritätszeugnisses aus-
wärtiger Schulen ist, welches in ihren respektiven Ländern zur Zulassung an technische
Hochschulen berechtigt. 4) Ein befrie<ligendes Sittenzeugniß, insofern dasselbe nicht
in den Studienzeugnissen enthalten ist. o) Einen Heimatschein (acte d'origine) oder
einen mit demselben gleichbedeutenden Ausweis über Heimatszuständigkeit. Ein
besonderes Regulativ ordnet das Aufnahmsverfahren und die diesfälligen Prüfungen.
Art. 15. Die im Rahmen einer Abiheilung aufgeführten Vorlesungen, Repetitorien
und Uebungskurse sind für die Schüler der betrelTenden Abtheilung in der Regel
obligatorisch. Dispensationen von einzelnen Fächern oder Austausch gegen Fäclier
anderer Abtheilungen in den gleichen Jahreskursen sind mit Beginn der respektiven
Kurse beim Vorstand der betretenden Fachschule nachzusuchen und sollen, sofern die
Begehren in dem Bildungszwecke der Schüler begründet sind und der Kenntnißausweis
geleistet ist, ohne Anstand gewährt wenlen. An rlen Fachschulen ist vom dritten
Jahre an die Auswahl des Unterrichtsstolfes innerhalb des Rahmens ihrer Jahreskui*se
für die Schüler frei. Die gewählten Kurse erhalten für sie obligatorischen Charakter.
Die Schüler der F a c h 1 e h r e r a b t h e i l u n g werden je im Anfange eines Semesters
mit Rücksicht auf die gewählte Studienrichtung individuelle Studienpläne mit tlem
Vorstande vereinbaren. Der Vorstand hat das Kecht absoluter Verweigerung nur hin-
sichtlich Fächern höherer .lahreskurse, für deren Verständniß der nothweudigo Kenntniß-
ausweis noch fehlt. Betreffend den Besuch der la nd wir't h scha ftl ichen Ah-
theilung können Landwirthe von reiferem Alter, welche, ohne an die Jahn-sfolge
gebunden zu sein, eine individuelle Studienrichtung an clieser Abtheilung verfolgen
wollen, von strikter Einhaltung der Jahresfolge dispensirt und es kann denselben eine
individuelle Auswahl der Vorlesungen gestattet werden. Der l^'bertritt aus einer Fach-
schule in eine andere kann niemals im Laufe eines Semesters, sondern nur im Anfange
der Monate Oktober und April und auch daim nur gestattet werden, wenn für diesen
Wechsel der Berufsrichtung die elterliche Bewilligung vorliegt und der bisherige Studien-
gang und die Zeugni.sse des Gesuchstellers den Uebertritt als zulässig erscheinen lassen.
Jeder Schüler hat in jedem Semester min«lestens eine Vorlesung aus der Freifächer-
Abtheilung anzuhören.
Art. 16. Der als Schüler Aufgenommene hat jährlich 100 Franken als Schulgeld
für den Unterricht, sowie den zur Zeit auf 5 Franken festge.^etzten Beitrag in die
Krankenkasse und 5 Franken Beitrajj für die Benutzung der Bibliothek und des Lese-
zimmers zu entrichten. Die Honorirung für sämmtliche obligatorische und Freifächer
ist in obiger Summe inbegriffen. Nur für nicht obligatorische Vorträge von Titular-
professoren und von Privatdozenten ist ein besonderes Honorar von durchschnittlich
5 Franken für die Wochenstunde pro Seme.^^ter zu entrichten. ^Nußerdem ist für die
Benutzung der Laboratorien und der Werkstätten eine im Programm zu erwähnende
Taxe zu bezahlen.
Polytechnikum — 604 — Polytechnikum
Art. 17. Die Aufnahme der Zuhtfrer findet im Anfanjye jedes Semesters statt
Ausnahmen werden nur aus ganz besonderen Gründen bewilhgt.
Art. 18. Der Besuch der Fächer der siebenten Abtheilung ist gegen Ent-
richtung der Taxen ohne weitere Einschränkungen Jedem gestattet, der das zum Eintritt
als Schüler verlangte Alter besitzt und ein genügendes Sittenzeugniß vorweisen kann.
Nur dringende Rücksichten der Disziplin können hievon eine Ausnahme rechtfertigen.
So soll z. B. Schülern, über welche Ausweisung verfügt, oder welchen dieselbe schon
angedroht ist, nicht gestattet werden, als Zuhörer sich wieder in einzelne Kurse einzu-
drängen.
Art. 19. Zuhörer, die Kurse der ersten sechs Abtheilungen zu besuchen wünschen,
haben eine A u f n a h m sp r ü f u n g zu bestehen. Ihre diesfalligen Gesuche sind während
der jeweilen im Programm angegebenen Schüleranmeldungsfrist schriftlich beim Direktor
einzureichen. Von dieser Prüfung werden dispensirt: a. Wer den Besitz der nöthigen
Vorkenntnisse befriedigend nachweisen kann ; b. Männer von reiferm Alter, die sich in
ihrem Berufe in einzelnen Richtungen theoretisch noch weiter ausbilden wollen. Wer
auf Grund ungenügender Aufnahmsprüfung als Schüler in eine der Fachschulen nicht
aufgenommen worden ist, kann in der Regel auch für obligatorische Fächer derselben
Abtheilung nicht als Zuhörer zugelassen werden.
Art. 20. Zuhörer, welche in Kurse der sechs ersten Abtheilungen zugelassen
worden sind, haben mit Bezug auf Repetitorien, Examinatorien und schriftliche Arbeiten
alle Verpflichtungen der Schüler im gleichen Kurse zu erfüllen; ausgenommen von
diesen Verpflichtungen sind: a. Bewerber, die anderwärts höhere technische Studien
vollständig absolvirt haben und hierüber befriedigende Zeugnisse vorlegen; b. Männer
von reiferm Alter, die sich in ihrem Berufe in einzelnen Richtungen theoretisch noch
weiter ausbilden wollen.
Art. 21. Das Honorar, welches die Zuhörer zu leisten haben, beträgt halbjährlich
für die wöchentliche Stunde 5 Franken. In Hinsicht auf die Benutzung der Bibliothek,
der Werkstätten und Laboratorien werden sie den Schülern gleich gehalten.
Art. 22. Schulgeld, Honorare und Taxen werden zum Voraus und vor dem
Empfang der Legitimationskarte bei der Schulkasse bezahlt.
Art. 23. Unbemittelten tüchtigen Studirenden kann auf ihr Gesuch die Ent-
richtung des Schulgeldes, der Honorare für <lie Vorlesungen, sowie die Bezahlung der
übrigen Taxen ganz oder theilweise erlassen werden. Die Dürftigkeit ist durch ein
Zeugniß von kompetenter Beliörde zu konstatiren.
Art. 24. Bei der In.<?kriplion haben Schüler wie Zuhörer ihre Wohnung in Zürich
anzugeben und im Lauf ihres Aufenthaltes jede Veränderung derselben innerhalb der
nächsten drei Tage auf der Kanzlei anzuzeigen.
Art. 25. Den Studirenden ist, so weit thunlicli, zu gestatten, in den Zeichnungs
Sälen, Laboratorien und Werkstätten der Schule auch neben den eigentlichen Unter-
richtsstunden zu arbeiten.
Art. 26. Das Hospitiren ist höchstens auf die Dauer von acht Tagen gestattet.
In den obligatorischen Fächern darf es nur mit Erlaubniß des betrefl*enden Lehrers
geschehen.
Art. 27. Schüler, welche durch Krankheit oder durch andere Umstände an der
Tlieilnahme am Unterricht länger als einen Tag verhindert werden, haben hievon dem
Vorstände der Abtheilung Anzeige zu machen.
c. Die Preise. Art. 35. Zur Weckung und Beförderung des wissenscliaflhchen
Lebens der Schüler, sowie zur Aufmunterung ihres Fleißes werden jährlich, das eine
Mal von drei, das andere Mal von vier der Abtheilungen (1—7) der polytechnischen
Schule je eine Preisaufgabe gestellt.
Art. 36. Für jede Preisaufgabe wird ein Haupt- und ein Nahepreis ausgesetzt
und dafür ein entsprechender Kredit angewiesen : überdies wird zur Entschädigung für
Au.*fgat)en, welche die Lösung der Aufgaben wegen damit verbundener Versuche oder
anderer praktischer Arbeiten nothwendig erfordert, jährlich ein Kredit ausgesetzt.
Solche Entschädigungen werden jedoch nur Denjenigen geleistet, welche Preise erhallen.
Art. 37. Jeder, der zur Zeit der Bekanntmachung der Preisaufgahen oder zu der
für die Ablieferung der Arbeiten vorgeschriebenen Zeil Studirender an der polytechni-
schen Schule ist, hat das Hecht, sich um die Preise derjenigen Abtheilungen zu be-
werben, an denen er Unterricht erhielt.
Art. 38. Zur Lösung der Aufgaben wird jeweilen ein Zeitraum von anderthalb
Jahren festgesetzt.
Art. 39. Die Preisvertheilung findet zwei Jahre nach Stellung der Aufgaben
Polytechnikum — 605 — Polytechnikum.
gleichzeitig mit der Bekanntmachung der Promotionen und Diplome auf feierliche Weise
statt. Die Namen der mit Preisen Gekrönten werden im Bundesblatt veröffentlicht.
d. Die Diplome, Art. 40. Alle Fachschulen ertheilen Diplome. Die Bauschule:
Diplome eines Architekten. Die Ingenieurschule: Diplome eines Ingenieurs. Die
mechanisch-technische Schule: Diplome eines Maschineningenieurs. Die chemisch-
technische Schule: Diplome eines technischen Chemikers oder eines Pharmazeuten.
Die landwirthschaftliche Schule: Diplome eines Landwirthes. Die Forstschule: Di-
plome eines Forstwirthes. Die Äbtheilung für Bildung von Fachlehrern: Diplome für
Fachlehrer in mathematischer oder naturwissenschaftlicher Richtung.
Art. 41. Die Bewerbung um ein Diplom setzt in der Regel voraus, daß der Be-
werber den an der betreffenden Abtheilung der polytechnischen Schule ertheilten
theoretischen Unterricht vollständig und mit Erfolg besucht habe. Zur Erlangung eines
Diploms ist durch eine Prüfung der Nachweis vollständiger Kenntniß des nach dem
ünterrichtsplan der betreffenden Fachschule gegebenen wissenschaftlichen Stoffes in den
theoretischen und angewandten Fächern zu leisten; ferner ist von dem Bewerber dar-
zuthun, daß er die an der Schule gelehrten praktischen Arbeilen mit Sicherheit und
Fertigkeit auszuführen im Stande sei. Diplome können nur an solche Studirende
ertheilt werden, die eine durchweg tüchtige Fachbildung erreicht haben und deren
Kenntnisse unbestritten über die Linie der mittlem Leistungen stehen. Das Diplom
soll eine verdiente Auszeichnung sein.
Art. 42. Ein besonderes Regulativ wird die nähern Bestimmungen betreffend die
Anordnung der Diplomprüfungen festsetzen.
Art. 43. Der Bewerber um ein Diplom hat bei seiner Anmeldung als Beitrag
für die der Anstalt erwachsenden Kosten 50 Franken zu bezahlen.
VL Schulrath.
Die gesetzlichen Bestimmungen betreffend den eidg. Schulrath finden sich
im Grlindungsgesetz des Pol}i;echnikum8 (p. 582/83). Einige Bestimmungen sind
im Laufe der Zeit modifizirt worden, wie es im Abschnitt „Gesetzgeberisches"
(p. 594) mitgetheilt worden ist. Ausfuhrlicher als das Gesetz handelt das
lieglement vom Schulrath. Dasselbe findet sich in Band XI der eidg. Gesetzes •
Sammlung, alte Folge, and (einige Bestimmungen betreuend) im Bundesblatt I,
1881 (14. Februar 1881).
Der personelle Bestand des Schulrathes seit 1855 ergibt sich aus der
dieser Abhandlung beiliegenden Tabelle. Dieselbe ist auf Grund des eidg. Staats-
kalenders und direkter Mittheilungen angefertigt worden. Es geht aus ihr unver-
kennbar hervor, daß der Bundesrath, obwohl vollkommen frei in der Wahl der
Schulräthe, sowohl die am Polytechnikum kultivirten Wissenschaften als auch die
verschiedenen Landestheile der Schweiz gleichmäßig zu berücksichtigen sucht.
yil. Lehrpersonal.
Die stetige Entwicklung des Polytechnikums als Lehranstalt bedingte auch
eine successive Vermehrung des Lehrkörpers. Innerhalb dem Dritteljahrhundert,
das die Anstalt nun zurückgelegt (1855/S8\ hat sich der Lehrkörper fast ver-
dreifacht. Es wirken jetzt (Anfangs 1889) am Polytechnikum 113 Lehrkräfte,
nämlich 49 besoldete Professoren,
6 Honorarprofessoren,
8 Hülfslehrer,
17 Assistenten,
42 Privatdozenten.
Die Hülfslehrer sind der Bauschule, der Ingenieurschule und der mechanisch-
technischen Schule zugetheilt; die Assistenten den Laboratorien, Sammlungen und
der Sternwarte.
Wer das schön gelegene imposante Polytechnikumgebäude je gesehen hat,
begreift, daß der Lehrer, der dort seinen Einzug gehalten, gerne der inneren
Polytechnikum — 606 — Polytechnikum
Stimme folgt, die ihm sagt: „Hier ist's gut sein, hier laßt uns bleiben**. In der
That folgt Mancher keinem anderen Rufe, als dem, gegenüber welchem es keine
Ablehnung gibt. Fünfzehn-, zwanzig- und mehrjährige Amtsdauer ist keine Selten-
heit, vielmehr Ret fei unter den Lehrern des Polytechnikums, Der Leser kann
sich hievon an der Hand der Tabelle, welche den Schulrath und die Professoren
verzeichnet, überzeugen. Er wird dort ca. einem Dutzend Professoren begegnen, die
sozusagen mit dem Polytechnikum verwachsen sind, d h. seit 30 — 33 Jahren an
demselben wirken. Mehrere andere Professoren blicken auf 20 — 29 Jahre er-
sprießlicher Lehrthätigkeit zurück. Ausc/eschieden sind u. A. : Stocker nach
34jähriger Wirksamkeit, Kopp (Forstschule) nach 29 J., Scherry Geschichts-
lehrer, nach 27 J., Culmann von der Ingenieurschule nach 26 J., //cer, Ortlli
und Miquel von der Fachlehrerabtheilung nach 26 J., RUitimann, Staatsrechts-
lehrer, nach 25 J., Moussonj Lehrer der Physik, nach 24 J., Rambert und
Arduini von der Freifächerabtheilung nach 21 J., Keller nach 20 J.
Allein nicht nur unter den Profestsoren lebt diese Anhänglichkeit an das
Schweiz. Polytechnikum. Viele Pn'vatdozenten thun es ihnen gleich, namentlich
wenn sie gleichzeitig eine Assistentenstelle zu verwalten haben. Seit 1857 ist
Dr. Karl Mai/er von St. Gallen Konservator der palfiontologischen Sammlung
und seit 1867 Privatdozent für Paläontologie. Ulrich Stutz von Pfäffikon dozirt
seit 1860 Geologie und hat somit punkto Geduld seinen ehemaligen Kollegen
Ihi(/ von Bubikon, der 29 Jahre lang Mathematik vortrug, zum mindesten erreicht.
Klassiiizirt man die ca. 110 Professoren, welche im Laufe de^ ersten Drittel-
jahrhunderts der Existenz des Polytechnikums an diesem gewirkt haben oder noch
wirken, nach ihrer Nationalität, so entfallen auf die Schweiz 49 °/ , auf Deutsch-
land 40 7o, auf Frankreich 6 7o, auf Italien 3 "/o, auf Oestcrreich 2 ^/o, auf
das Ausland insgesammt 51 ^/o. Bei diesem Verhältniß ist zu berücksichtigen,
daß mehrere aus dem Ausland berufene Professoren sich in der Schweiz natura-
lisiren ließen (so Semper, Culmann, Zeuner, Tetmajer, Fritz) und somit als
Schweizer gezählt sind.
Nach Art. 49 des Schulreglementes (A. S. 10, p. 321) sind die Lehrer
entweder ^angestellte" Lehrer oder Privatdozenten; die ersteren entweder Pro-
fessoren oder llülfslehrer. Die Stellung der ersteren entspricht derjenigen der
„ordentlichen" Professoren an den Universitäten. Titularprofessuren sind gemäß
Art. 13 des Gründuug>gesetzes (s. \). 582} ebenfalls zulässig. Endlich zählen zum
Lehrkörper auch die Assistenten.
Jeder Professor ist verpflichtet, die Stelle eines Direktors dos Polytechnikums
oder eines Abtheilungsvorstaudes anzunehmen. Die Wahl geschieht durch den
Schulrath. Amtsdauer 2 Jahre mit Wiederwählbarkeit.
YJIl. Finanzielles.
Eine Anstalt von der Bedeutung des Polytechnikums bedarf natürlich Eur
Unterhaltung bedeutender ökonomischer Hülfsmittel. Wir verfolgen hier nur die
ordentlichen jährlichen Einnahmen und Ausgaben. Neben denselben warden, wie
schon im Kapitel über die Bauten bemerkt ist, von Zeit zu Zeit außerordentliche
Kredite zu ersten Einrichtungen, zur Anlage von Sammlungen, zum Ausbau der
verschiedenen wissenschaftlichen Anstalten vom Bunde ausgesetzt. Als ordentliche
Einnahmeposten sind zu nennen :
1) Der Jahresbeitrag der Eidgenossenschaft. 2) Ein jährlicher Beitrag des
Kantons Zürich von Fr. 16,000. 3) Ein Beitrag von Kanton und Stadt Ztlrich an
die naturhistorischen Sammlungen; anfänglich Fr. 3500, 1888 Fr. 4100. 4) Die
Polytechnikum
— 607 —
Polytechnikum
Einnahmen an Schulgeldern, Taxen für Benutzung der Lahoratorien u. 8. vv. Die
daherige Einnahme zeigt bedeutende Schwankungen mit der Zahl der Schiller
und wird durch die so wohlthtätigen Schulgelderlasse gegenüber armem Studiren-
den herabgemindert.
Die hauptsächlichsten Ausgabeposten sind :
1) Die Lehrerbesolduugen. 2) Unterhalt und Mehrung der Sammlungen.
3) Die Beamtung und Verwaltung (Besoldung des Präsidenten und des Sekretärs
des Schulrathes, der Mitglieder desselben, des Direktors etc.).
Wir geben in der folgenden Tabelle eine Uebersicht der Haupteinnahmen
und ebenso der wichtigsten Ausgabeposten vom Jahre 1854 an bis und mit
1888. Posten wie: Beitrag des Kantons Zürich (der Stadt und des Kantons)
Unvorhergesehenes, lassen wir zur Vereinfachung weg.
Talir
Schulg«ldor
Subvention der
Total der
Lehrer-
Samiuluugeu
Total der
•IHIIl
u. Gebühreu
Biiiideskaseie
Einnahmen
beüolduugen
u. Auütalti'U
Ausgaben
54 u. 5£
•
>
115,643
127,643
42,893
84,924
145,660
1856
15,569
183,320
214,893
111,634
67,943
207,491
1857
16,143
179,791
211,976
115,674
57,027
202,443
1858
17,981
154,985
188,998
113,899
39,767
185,233
1859
19,046
167,784
202,864
126,510
37,941
202,8(i4
1860
19,227
175,720
210,989
132,010
40,363
210,989
1861
29,047
245,331
293,968
148,599
48,46^;
293,261
1862
35,391
290,693
346,113
160,418
50,342
346,113
lö63
40,489
340,275
410,822
162,059
50,926
410,822
1864
44,958
429,890
514,424
189,969
60,980
514,424
1865
51.491
318,960
393,398
192,088
61,906
377,342
1866
59,076
281,322
362,808
198,463
66,090
350,484
1867
71,486
256,535
351,129
200,200
54,431
339,381
1868
71,997
250,000
345,420
207,616
56,657
341,992
1869
74,676
250,000
347,511
207,610
55,498
340.182
1870
79,300
267,69iS
370,134
209,437
75,297
363,(M)7
1871
83,022
295,000
401,516
224,761
91,844
401,144
1872
93,617
300,000
418,050
244,660
84,620
412,753
1873
92,760
492,000
608,487
268,172
78,221
584,032
1874
88,609
317,000
459,648
279,914
72,171
444,226
1875
88,191
347,000
460,983
289,710
69,831
455,983
1876
94,855
347,000
466,077
274,707
84,821
455,106
1877
94,383
353,000
472,088
275,568
87,613
458,.%9
1878
87,508
367,800
480,499
277,866
81.532
477,683
1879
75,937
348,000
450,263
278,501
80,308
448,745
1880
76,154
363,504
464,435
285,010
83,H44
465,835
1881
72,297
387,181
483,557
305,334
81,959
484,543
1882
69,502
4r)3,000
562,807
331,146
100,855
530,976
1883
70,497
484,150
588,317
342,294
128,570
568,028
1884
76,405
462,000
582,959
346,321
113,316
560,368
1886
74,880
462,000
576,787
354,414
112,652
560,78:1
1886
78,381
462,000
587,339
353,905
108,128
667,257
1887
84,990
509,000
630,501
35.^219
118,501
609,273
1888
102,095
542,000
675,769
3jsO,702
126,383
643.677
Dies sind in gedrängter Uebersicht die hauptsächlichsten Einnahme- und
Polytechnikum — 608 — Port
Ausgabeposten. Zur Unterstützung dient der Zins des Re-servefonds und zu
sondern Zwecken das Erträgniß verscniedener Stiftungen.
Der Reservefond betrug Ende 1871 Fr. 205,050. Ende 1876 erreicht«
die Summe von Fr. 343,034 und stieg bis Ende 1888 auf Fr. 587,118.
Mit dem Reservefond führen wir hier auch die verschiedenen Stiftung
an, welche dem Polytechnikum neben zahlreichen Schenkungen zur Aeuü^ung
Sammlungen zuflössen. Bei jedem einzelnen Legat fügen wir seinen Bestanc
den Jahren 1871, 1876 und 1888 bei.
1) Schenkung des Herrn Job. Schoch, Kaufmann aus Fischenthal
(10. Oktober 1862). Die Schenkung ist bestimmt, durch das
Zinserträgniß dem Polytechnikum ausgezeichnete Lehrkräfte
durch Zulage von mindestens Fr. 1000 zu deren Besoldung zu
erhalten. Bestand 1871 : Fr. 68,395, 1876 : Fr. 42,744, 1888 Fr. 88,
2) Legat Chätelain. Der Ertrag wird zu Stipendien armer und
tüchtiger Studirender verwendet. Bestand 1871: Fr. 61,236,
1876: Fr. 78,327, 1888 102,
3) Schenkung von Dr. Geßner für militär-wissenschaftliche Vor-
träge. Bestand 1871: Fr. 2000, 1876: Fr. 2500, 1888 . „ 3,
4) üeberschttß der Subskription für die Monument« von Bolley
und Kopp. Bestand 1871: Fr. 460, 1876: Fr. 2000, 1888 . 3,
5) Escher- Legat zur Unterstützung armer Studirender auf geolo-
gischen Exkursionen. Bestand 1871 : Fr. 10,000, 187() :
Fr. 12,000, 1888 18,
6) Zeller-Stiftung. Bestand 1876: Fr. 3000, 1888 5,
7) Culmann-Stiftung. Bestand 1888 „ 10,
Der Totalbetrag des Reservefonds und der Legate belief sich 1888
Fr. 811,831, im Jahre 1871 erst auf Fr. 347,143.
P> hat sich demnach dieses Kapital mehr als verdoppelt. Damit ist z
gleichzeitig die Befähigung gewachsen, den Bestimmungen der verschiede
Stiftungen in immer umfassenderer Weise gerecht zu werden.
Die wenigen gebotenen Zahlen bedürfen keines weitern Kommentars,
zeugen von der Opferwilligkeit Einzelner wie des ganzen Volkes und bewei
daß die Bedeutung des Polytechnikums in weitesten Kreisen anerkannt und ric
gewürdigt wird.
Porrentruy-Dello. Für die am 23. September 1872 eröffnete, 11,75!
lange Strecke Porren truy -Delle bestand bis im Jahre 1877 eine besondere Akt
gesellschaft. Der Betrieb der Linie wurde jedoch durch die Organe der fn
Mittelmeerbahn für Rechnung der Eigenthümerin besorgt. Am 13. August II
ist die Linie in's Eigenthum der Bernischen Jurabahnen übergegangen (v. die
Portefeuillewaarenfabrikation. Zwei Firmen: Zürich und Oerlikou.
Portugal. Der direkte Waarenverkehr zwischen der Schweiz
Portugal ist nicht bedeutend. Die Schweiz. Statistik verzeichnet in den Jal
1885— H8 einen Totalumsatz von jährlich 750,000 bis 1^550,000 Fr., zerfall
in eine Ausfuhr von 65^^,000 — 1'502,000 Fr. p. a., und in eine Einfuhr
50,000—91,000 Fr. p. a. (Vergl. den Artikel „Waarenverkehr-). Hauptausfi
artikel sind Uhren und ührentheile , Bijouterie, bedruckte Baumwollgew
Maschinenstickereien. Die Einfuhr aus P. beschränkt sich fast ausschließlich
Cacaobohnen und Wein.
Seit 1848 sind zwischen der Schweiz und Portugal folgende, Juni 1)
noch in Kraft bestehende Verträge abgeschlosHcn worden: AuH/ieferungsveri
Landolt
MiTchud
1»
T
1t
H
1»
T
1
Jt
H
m
f
m
it
«
m
«
Kopp
»•
n
n
«
1855
1856
1857
1858
1859
1860
1861
1862
1863
1864
1865
1866
1867
1868
1869
1870
1871
1872
1873
1874
1875
1876
1877
1878
1879
IQon
itlscUi
fkinil
»
r6ge
•ym
Weker
Tov«
1»
•ttkj
f^op ?|!iioiiB[)i!t| \i .inj nii(s,u}| uoa 1)o3uuo>|
puu yn|0|siipo>^ jijj i|.)joj?fuiUji snv nojjY!}^
FviTtr, Volkflwlrthschafta-Tiexikon der Schweiz.
v-rJ
1 Sta)in
odn
nbergion
offeldwi
Dedlwij
Rheiirer
Orely 1
Versfcha
186;V6 lii.
^^
Adwirthschaftliche Abtheilung^
an stalten
Jahr
Uki
Schulze
Kohler
n
»
n
1»
1«
n
Fritz Zwicky
tcr von Darmstadt für Betriebslehre und
iktion. Novacki von Halle für Pflanzen-
I und Ackerbau. Schulze von Göttingen
rthschaftliche Chemie. Fritz von Zürich
laftl. Maschinen und Geräthe (seit 1859
iT mechanisch-technischen Abtheilung).
>llis für Kulturtechnik. Für die Hfilfs-
len jeweilen von Jahr zu Jahr be-
Stehler Grete
r
m
n
1»
Tcinajer
9
BOhler
1855
1856
1857
1858
1859
1860
1861
1862
1863
1864
1865
1866
1867
1868
1869
1870
1871
1872
1873
1874
1875
1876
1877
1878
1879
1880
1881
1882
1883
1884
1885
1886
1887
1888
1889
1890
Stehler von Seedorf bei
Aarberg, Chef der Samenkon-
trolstalion, welche als Privat-
anstalt von 1876 bis 1. Januar
1878 bestanden hatte. Grete
aus Hannover, Chef der land-
wirthschafll.-chemischen Unter-
suchungsstation seit Beginn, d. i.
fvr ■»iijy» Wf wr ui^
Portugal — 609 — Post
vom 30. Okt. 1873, vide A. S. n. F. 1, 161. Handelsvertrag vom 6. Dez. 1873,
vide A. 8. n. F. II, 328. Konsular vertrag vom 27. Aug. 188.3, vide A. S. n. F. 10,
443. Internationaler Metervertrag vom 20. Mai 1875, vide A. S. n. F. II, 3.
Internationaler Phylloxeravertrag vom 3. Nov. 1881, vide A. S. n. F. VI, 228.
Internationale Postverträge ^ als: a, Weltpostvertrag vom 1. Juni 1878;
6. Uebereinkunft vom 1. Juni 1878 betreffend den Austausch von Briefen mit
deklarirtem Werth; c. Uebereinkunft vom 4. Juni 1878 betreffend den Austausch
von Geldanweisungen; d, Vertrag vom 3. Nov. 1880 betreffend die Auswechslung
von Poststücken ohne Werthangabe; e. üebereinkommen vom 21. März 1885
betreffend Zusätze zum Weltpostvertrag von 1878, Werthbriefe, Geldanweisungen,
Poststücke bis 5 kg, Einzugsmandate, Identitätsbücher. Vide A. S. n. F. III,
673, 711, 728, V 881, IX 134, 160, 166, 173, 191, 203. Internationaler
Telegraphenvertrag vom 22. Juli 1875, vide A. S. n. F. II, 296. Internationaler
Vertrag vom 11. Dez. 1868 betreffend Nichtanwendung von Sprenggeschossen
im Kriege, vide A. S. IX, 597. Internationale Uebereinkunft vom 22. Aug. 1864
behufs Verbesserung des Looses der im Kriege Verwundeten^ vide A. S. VIII,
520 und 889.
Portug^ieser, blauer. Diese Rebsorte, welche in Niederösterreich die be-
kannten rothen Vöslauerweine liefert, findet sich da und dort in der Schweiz
vereinzelt oder in kleinen Beständen. Der Stock ist kräftig, leidet aber leicht
von der Winterkälte und vom schwarzen Brenner. Die Trauben sind früh reifend
und geben bei uns einen süßen, jedoch etwas leichten Wein. Gute Tafeltraube.
Porzellan. Jährlicher Verbrauch 4200—4400 q im Werthe von 400,000
biß 500,000 Fr. Nach Birkhäuser ca. 900 Porzellan- und GeschiiThändler, sowie
ca. 2 Dzd. Porzellanmaler, die meisten in Genf.
Posamentwaaren werden in der Schweiz meistens handwerksmäßig und
in ungenügenden Mengen verfertigt, weßhalb eine bedeutende Einfuhr davon
stattfindet. — Die eidg. Bernfsstatistik von 1880 gibt die Zahl der Posamenter
auf 376 an, wovon 94 Zürich, 87 Aargau, 64 Bern, 32 Solothurn. Birkhäuser's
Adreßbuch von 1885 verzeichnet 78 Posamenteriegeschäfte. Dem eidg. Fabrik-
gesetz sind Ende 1888 2 Etabl., Huber & Bryner in Zürich und Jakob Bach-
ofen in Horgen, unterstellt.
Post« Bei den Mitteln aller Art, über welche die schweizerische Bundes-
verwaltung verfügt, ist vorauszusehen, daß eines Tages ein des Gegenstandes
würdiges Spezialwerk an die Stelle der fragmentarischen literarischen Bearbei-
tungen treten wird, welche dem schweizerischen Postwesen bis heute zu Theil
geworden sind. Ein gutes Spezialwerk hätte nicht bloß fachgeschichtlichen, sondern
hohen kulturgeschichtlichen Werlh, denn die Post ist ein wahrer Barometer der
Kultur.
Während es leicht ist, seit 1848 die Entwicklung des Postwesens zu ver-
folgen, indem es seit jenem Zeitpunkt eidgenössisches Regal ist und regelmäßig
amtliche Berichte darüber erstattet werden, auch die gesetzlichen Erlasse, die
administrativen Verordnungen leicht zugänglich sind, hält es um so schwerer,
sich in den früheren Postverhältnissen znrecht zu finden, denn vor 1848 war
(eine kurze Periode ausgenommen) die Post ein mehr oder weniger undisziplinirtes
Gewerbe.
Zwei sehr werthvoUe, auf zeitraubenden Nachforschungen beruhende Dar-
stellungen früherer Postverhältnisse sind gegen Ende der 70er Jahre im Druck
erschienen. Die eine, betitelt „Das schweizerische Postwesen", stammt aus der
Feder des damaligen Ingenieurs und Nationalraths (späterem Bundesrath und
Flirrer, Volkswirthschafts-Tiexikon der Schweiz. ^f^
Post — 610 — Post
Gesandten) Bavier und bildet einen Anhang za dem größeren Werke dedselben
Verfassers über „Die Straßen der Schweiz** (Verlag von Orell Ftlßli & Co. in
Zürich 1878). Herr Bavier greift in seinen Nachforschungen zurück bis auf den
Ursprung des Postwesens im Allgemeinen und des schweizerischen Postwesens im
Speziellen. Er führt seine Aufzeichnungen über das letztere fort bis zur Zeit
der Helvetik, erwähnt ganz kurz der helvetischen Centralisationstendenz im Post-
wesen und wird wieder einläßlicher für die folgende 70jährige Periode.
In die über die Helvetik offen gelassene Lücke greift nun glücklich Herr
Postsekretär (jetzt eidg. Kursinspektor) Stäger ein mit seiner 1879 hei K. J. Wyß
in Bern erschienenen Brochure ,tJ)eLa schweizeri'^che Postwesen zur Zeit der Helvetik,
nach offiziellen Quellen bearbeitet*. Der nämliche Postbeamte hat werthvoUe
Notizen über die Postverhältnisse der Mediations- und Restaurationsperiode gesammelt.
Auf Grund des hievor erwähnten Materials und gefl. Mittheilungen seitens
der Oberpostdirektion bezüglich der neueren Postverhältnisse ist das Lexikon im
Stande, eine für den gewöhnlichen Bedarf genügende Skizze des schweizerischen
Post Wesens zu entwerfen.
L Die Post vor der Helvetik.
Nach Bavier hießen die in der Schweiz anfönglich im Postdienst thätigen
Organe ,, Stadtboten** oder „Stadtläufer**, „Landboten" oder „Landläofer", je
nachdem sie ihre Dienste in den Städten oder auf dem Lande verrichteten. In
bedeutenden Orten gab es ihrer mehrere, welche, soweit sie nicht für den Boten-
dienst verwendet wurden, den Aemtern als Diener beigegeben waren. Sie hatten
sich aber stets reisefertig zu halten, um jeden Auftrag der Obrigkeit sofort voll-
ziehen zu können. Ihre Aufgabe bestand zunächst und wesentlich darin, obrig-
keitliche Schreiben zu vertragen. Sie erhielten dafür eine fixe Besoldung und
mußten einen Amtseid leisten. Neben diesen amtlichen Funktionen war ihnen
aber auch gestattet. Privaten ähnliche Dienste zu leisten ; doch durfte dies stets
nur nach eingeholter spezieller Bewilligung der Obrigkeit (des Bürgermeisters,
Landammanns u. s. w.) und ausschließlich auf Unkosten des den Dienst ver-
langenden Privaten geschehen. Bei größerer Entwicklung des Handels konnte
diese Einrichtung nicht mehr genügen, und da in älterer Zeit von Inanspruch-
nahme eines Postregales von Seiten der Obrigkeiten noch keine Bede war, so
wurde die Sorge für Beförderung von Handelsbriefen und Valoren den Kaufleuten
selbst überlassen.
Schon im 15. Jahrhundert wurde über Lindau, Ravensburg und Ulm ein
Botenritt nach Nürnberg von Eanfleuten in St. Gallen organisirt, welchem
sich auch Kauf leute aus andern Theilen der Schweiz anschlössen. Die Betheiligten
trugen die Unkosten mit bestimmten, auf sie verlegten, jährlichen Beiträgen,
wählten die Boten, nahmen sie in Pflicht, ließen Bürgschaft für gehörige Aus-
führung ihrer Aufträge leisten und wirkten ihnen in unruhigen Zeiten die Er-
laubniß der Obrigkeit aus, den Mantel mit der Stadtfarbe und dem Wappenschild
zu tragen Dieser Botendienst war sehr einträglich und trotz der Gefahren, mit
denen er zeitweise umgeben war, und der Verantwortlichkeit, welche stets auf
den Boten lastete, sehr gesucht. Nachdem im Jahre 1595 die Freiherrn von
Thum und Taxis von Kaiser Rudolf II. mit dem Regal des Postwesens im Reiche
belehnt worden waren, wurde die Fortführung des Nürnberger Ordinaris, wie
man den Botenritt nannte, häufig angefochten.
Im Jahre 1(181 wurden die daherigen Streitigkeiten vor eine kaiserliche
Kommission zur Untersuchung und Beilegung gewiesen und sodann vom Kaiser
Post — 611 — Post
noch im gleioheo Jahre die Fortsetzung des Botenrittes, jedoch in hedeatend
beschränkterem Umfange, gestattet. Da diese BewiUigang aber mißbraucht worden
zu sein scheint, wurde auch dieser beschränktere Botenritt definitiv untersagt,
lu Folge dessen wurden am 2. April 1685 die vier Nürnberger Boten für immer
entlassen.
Ein ähnlicher Botenritt fand von St. Gallen über Zürich, Aarberg, Murten
•und Genf nach Lyon statt und wurde das Lyoner Ordinari genannt. Im 16. Jahr-
hundert waren während einiger Zeit auch Handelshäuser von Nürnberg und Augs-
bürg bei demselben betheiligt. Als im Jahre 1585 die Schaffhauser Kauf-
leute einen Botenritt nach Frankreich und Deutschland einrichteten, schlössen sich
-die deutschen Kauf leute demselben an, die St. Graller betrieben aber das Lyoner
Ordinari gleichwohl fort.
1630 wurde auch von Zürich aus ein Botenritt nach Genf organisirt,
welcher dem st. gallischen Unternehmen Konkurrenz machte und deßhalb (1649)
zu einer Verständigung zwang, in Folge derer die St. Galler und Zürcher Boten
nach Genf altemirten Mit der Zeit errichteten und unterhielten die Zürcher
Transitbureaux im Thnrgau, Aargau, in Zug, Luzern, Schwyz, Uri, Glarus,
OraubUnden und in den italienischen Landvogteien. Dies geschah, nach S tag er,
ohne Entschädigung an die betreffenden Kantone. 1669 führte (nach Bavier) die
iranzösische Regierung einen Postkurs zwischen Lyon und Genf ein, sc daß die
4schw. Boten nur noch bis Genf gelangen konnten. Eine gewaltige Störung in diese
Einrichtung brachte die von der Regierung von Bern im Jahre 1675 erfolgte
erblehensweise Verleihung des Postwesens im ganzen Umfang der Bepublik an
•die Familie Fischer von Reichenbach in Bern. Von nun an sollten die Post-
sachen auf dem Gebiete der letztern ausschließlich der Fischer'schen Post über-
leben werden. In einem Vergleiche von 1677 wurde indessen den Zürchern und
St. Grallern gestattet, ihre Kurse noch bis Bern fortzusetzen. Sie hatten aber die
obrigkeitlichen Briefe gratis zu befördern und die Unkosten selbst zu tragen.
Durch weiteren Vergleich von 1680 wurde diese Berechtigung dann noch mehr
beschränkt. Jene hatten die Postsachen schon in Aarau dem bernischen Postamte
•abzugeben und dort die aus dem Westen kommenden Briefe und Pakete für
Zürich und St. Gallen in Empfang zu nehmen. Gleichzeitig mußten sie auf den
bis dahin noch betriebenen Botenritt über Brugg durch das Frickthal verzichten,
indem sich die bernische Postverwaltung nun auch dieses Kurses bemächtigte.
Nach Stäger hatte die bemische Familie Fischer von Reichenbach das
Recht der Postdienstbesorgung auch in den Kantonen Freiburg, Solothurn,
Luzern, Wallis, für vereinzelte Kurse auch in den Urkantonen, Zug
«nd Glarus erworben. Bern verlangte Fr. 75,000 a. W., Freiburg Fr. 500,
Solothurn Fr. 1000 Pachtzins per Jahr, und beide Kantone außerdem kostenfreie
Beförderung ihrer amtlicheu Schreiben. Die übrigen Kantone beanspruchten keine
Geldentschädigung, doch mußte Wallis gegenüber das Aequivalent geleistet werden,
daß die aus dem Kanton stammenden oder dahin bestimmten Briefe unentgeltlich
zu befördern waren. Fischers verstanden sich hiezu, weil sie nicht bloß via
Ootthard (nach Bavier von 1693 an und von Luzern aus), sondern auch via
Simplon (nach Stäger mindestens seit 1768) mit Mailand Postkurse unterhielten
und somit Wallis für sie als Transitlinie Bedeutung hatte.
Das neuenburgische Postwesen gehörte, wie Bavier berichtet, eben-
falls zu der Fischer'schen Unternehmung.
Was für die Republik Bern die Postmatadoren Fischer waren, das war für
Schaff hausen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts der Bürger Klingen-
Post — 612 — Post
fuß. Er besorgte erst für die Basler Kauf lente einen Botenritt von Sehaffhansen
nach St. Gallen und organisirte sodann auf eigene Kosten eine Fuhrstation, von
welcher alle Durchreisenden nach Basel, Solothurn, Bern, Luzem, Lausanne,
Genf weiter befördert wurden, verwandelte dieselbe nach einigen Jahren in ei»
förmliches Postfuhrwesen und erhielt endlich letzteres von der Thum- und
Taxischen Postverwaltung als Erblehen. An der Organisirung eines Postkurses
über Zürich und Bern nach Genf wurde er durch die zürcherischen und st. gal-
lischen Inhaber des Lyoner Ordinaris gehindert, stand aber im Einverständniß'
mit dem bernischen Postinhaber Fischer, als dieser nachher einen zweimaligen
Postkurs von Genf über Bern, Aarau, Lenzburg und Baden nach Schaff bansen
einrichtete. Im Interesse jenes Postkurses suchte Klingenfuß auch den Transport
der Briefe aus dem Reich nach der Schweiz über Schaffhausen zu leiten, und
bemühte sich daher, durch das Mittel der Thum- und Taxischen Zürcher Post-
verwaltung das st. gallische Nürnberger Ordiuari zu untergraben, was, wie bereits
angeführt worden, schließlich gelang. Unmittelbar vor der Helvetik scheint, nach
Stäger, das schaff hausische Postwesen im Besitz von drei Familien gewesen
zu sein, die dem Fiskus keine Entschädigung leisteten.
In Baselstadt war es, wie in Zürich und St. Gallen, die Kaufmannschaft^
welche den Postdienst betrieb und daraus großen pekuniären Gewinn erzielte, so-
daß sie der Stadt und gemeinnützigen Vereinen Schenkungen machen konnte.
In Thurgau und Glarus vermittelten bis Ende des 18. Jahrhundert*
Fußboten (in seltenen Fällen reitende Boten) den Briefverkehr. Ebenso bestanden
im Tessin und in Graubtinden keine ordentlichen Posten.
Ein recht alterthümliches idyllisches Bild von der Post verschafft uns Meyer
von Knonau durch eine Aufzählung der Postkurse, die 1698 und 1798 von
Zürich ausgingen:
Im Jalire 1Ö98 ging am Montag 1) der Basler Fußbote mit den Briefen nach dem
Rhein; 2) «1er St. Galler Fußbote nach St. Gallen ; 3) der Schaffhauser Bote; 4) der
Berner Bote mit den französischen Briefen ; 5) der Luzerner Bote. Am Dienstag 1) der
Schaffhauser Bote; 2) der Luzerner Bote. Am Mittwoch 1) der Berner Bote (der einzige
fahrende Bote) ; 2) der SchafTliauser Bote. Am Donnerstag der Berner Bote. Am Freitag
1) der Bergamo-Bote mit Briefen nach Italien; 2) der St. Galler Bote; 3) der Luzerner
Bote. Samstags 1) dir Schaff hauser Bote; 2) der Ghurer Bote mit Briefen nach Italien;
3) der St. Galler Bote mit dem ^Ordinäri** nach St. Gallen und dem Reich.
1798: Sonntag 1) Messagerie (ein Packwagen mit blechernem Deckel) nach Basel ;
2) Post (zweirädrige Cabriole) nach St. Gallen. Montag 1) Diligence (in Ketten statt in
Federn hängend) nach Konstanz und dem Reich ; 2) Messagerie (wie oben) nach St. Gallen
und Lindau; 3) Reiter nach Schaffhausen mit Briefen und schweren Sachen, so viel
als sein Pferd tragen konnte; 4) Messagerie nach Bern und Genf; 5) Glarner Bote.
Mittwoch 1) Briefpost (zweirädrige Cabriole) nach Aarau; 2) Fußbote nach Schaff hausen;
3) Fußbote nach Lugano. Donnerstag 1) Post (zweirädrige) nach St. Gallen; 2) Reiter
nach Schaff hausen. Freitag 1) Waldshuter Bote mit Personen und schweren Sachen;
2) Glarner Bote. Samstag 1) Briefpost (zweirädrige) nach Aarau; 2) Fußbote nach
Schaffhausen ; 3) Geldsack nach Basel durch die Iselinische Fuhre ; 4) Ghurer Bote ;
5) Fußhote nach Lugano.
Außer den gewöhnlichen Verwalturgen bethatigten sich in den Kantonen
Bei'n, Basel, Zürich und St. Gallen noch mehrere hundert Privatboten. Stäger^
der diese Thatsache relevirt, folgert daraus, daß die regelmäßigen Postverwaltungen
nicht allen Verkehrsbedürfnissen Rechnung getragen haben. Vermuthlich kamen
dabei die Kleingewerbetreibenden und die Bauern zu kurz. Noch schärfer stellt
Stäger die Un Vollkommenheit des damaligen Systems in's Licht, indem er schreibt:
«Ein Brief von Ciliur nach Zürich mußte oft über St. Gallen wandern. Baden,
obwohl an der Route von Zürich nach Bern, mußte seine Briefe in Brugg abholen
und halte kein Distributionsl>ureau. Das Greyerzerthal im Freiburgischen, eine handel-
Post — 613 — Post
treibende Gegend, hatte keine Posten. Im Allgemeinen waren die Gegenden, die abseits
von den gro^n Heerstraßen liegen, postalisch sehr schlecht oder gar nicht bedient/
Ferner :
,Auch über die Unzulänglichkeit des Beisendentransportea wurde viel geklagt.
Ein Reisender steigt z. B. in Coppet (Waadt) in den Wagen; sein Reiseziel ist Zürich.
In Bern angekommen, theilt man ihm mit, daß kein Wagen für Zürich da sei, wohl
aber einer für Basel. Er wartet in Bern zwei Tage auf den Abgang des nächsten Wagens
nach Zürich, in der Hofifnung, seinen Platz zu finden. Der Wagen ist jedoch schon
besetzt und er kann demnach wieder nicht abreisen. Dergleichen Fälle soll es damals
viele gegeben haben.*
Und in Bezag auf die Posttaxen:
«Ein Brief von Appenzell nach Lausanne, der durch St. Gallen, Thurgau, Zürich,
Aarau, Bern und Freiburg transitirte, wurde mit 6 Transittaxen und 7 Auslagebeträgen
belastet. In Freiburg kostete der Brief von Zürich 9 Kreuzer, in Zürich-Stadt der Brief
von Freiburg 4 Kreuzer, auf dem Lande 8 Kreuzer. Ein Brief von Frankreich via Pon-
tarlier nach einem Theile der Westschweiz machte den Umweg über Neuchätel-Bern,
•damit die Pächter den Vorwand hatten, eine höhere Taxe anzuwenden.*
II. Die Post während der Helvetik (1798—1803).
Wie vorhin beschrieben, sah es im schweizerischen Postwesen aus, als der
Einheitsstaat begann. Nun hätte vielleicht die mit poUtischen Dingen so sehr
beschäftigte Centralregierung nicht so schnell an die prosaische Post gedacht,
wenn sie nicht vom Vertreter Frankreichs alsobald auf die in seinen Augen
•ordnungswidrige Thatsache aufmerksam gemacht worden wäre, daß die fahrenden
Postknechte trotz der proklamirten Einheit die kantonalen Farben trugen. Solchem
Greuel mußte im Interesse des Weltfriedens ein Ende gemacht werden. Das
einfachste Mittel war ohne Zweifel, das fernere Tragen von kantonalen Farben
kurzer Hand zu untersagen; daß aber das helvetische Ministerium sich nicht
hierauf beschränkte, sondern ein Reglement über die Dienstkleidung der Post-
knechte (zu Wagen und zu Fuß) ausarbeiten ließ und als Tbeil dieser Dienst-
kleidung die helvetische dreifarbige Kokarde am Hut vorschrieb, beweist wohl,
^aß es selbst sehr rasch die hohe wirthschaftliche und politische Bedeutung
einer centralisirten Post erfaßte und die Gelegenheit, sich in den Besitz dieses
Instrumentes zu setzen, energisch auszunützen gewillt war. Bereits am 30. Juni
1798 erschien ein Erlaß des Direktoriums, welcher die Inbetriebsetzung neuer
Posten, Messagerien oder Landkutschen im ganzen Umfang der Eepublik unter-
-sagte beziehungsweise von der Genehmigung des Direktoriums abhängig machte.
Und am 3. September 1798 wurde folgender Beschluß gefaßt:
,Die Gesetzgebenden Räthe, in Erwägung, daß das Postwesen in allen polizirten
Staaten ein natürliches und nothwendiges Slaatsregale seie, verordnen: 1) Das Post-
wesen soll ein Staatsregale der helvetischen einen und untheilbaren Republik sein.
2) Das Gesetz soll das Nähere über die Organisation des Postwesens bestimmen.*
Nun handelte es sich zunächst darum, zu entscheiden, ob das Postwesen
vom . Staate verpachtet oder in Regie betrieben werden solle. Der Entscheid
fiel zu Gunsten des letzteren Systems aus. Es verflossen aber 15 Monate, bevor
•das bezügliche Gesetz entstand. Es lautete, mitsammt den dazu gehörigen Er-
wägungen, wie folgt :
Die gesetzgebenden Räthe, in Erwägung, daß die mannigfaltigen in die
Postverwaltung eingeschlichenen Mißbräuche sobald als möglich aufhören müssen
und es nur dann möglich ist, diesen Mißbräuchen abzuhelfen, wenn man die
genaueste Kenntniß der außerordentlich großen Details dieser Verwaltung besitzt
und diese ungehindert und nach Gutfinden leiten und verbessern kann; in Er-
wägung, daß es bei der durch die neue Ordnung der Dinge auch in vielen
Punkten nothweudig gewordenen neuen Einrichtung der Posten von der höchsten
Post — 614 — Post
Wichtigkeit ist, daß dieser interessante Zweig der Staateeinktlnfte nnd der öffent-
lichen Wohlfahrt, entfernt von allem Privateigennutze, mit der größten Un-
parteilichkeit und nur mit Rücksicht auf das allgemeine Interesse verwaltet
werde ; in Erwägung, daß es für die Republik vortheilhaft ist, daß die Regierung^
sich die genaueste Kenntniß von dem Ertrage der Posten erwerhe, ehe daa
System der Pacht angenommen wird, wenn man es auch je in Zukunft annehmen
wollte; in Erwägung, daß bei einer weisen und zweckmäßigen Bestellung dieser
Verwaltung gar nicht wahrscheinlich ist, daß die Nation auch nur die Summen
dabei aufopfere, welche bisher die Pächter als reinen Gewinn hinwegnahmen
nnd die doch, auch wenn sie schon die Nation aufopfern sollte, unter Hunderte
von Staatsbürgern bei einer Verwaltung vertheilt würden, da diese Summen
hingegen bei einem Pachte einigen Wenigen zufließen könnten und bis dahin
immer nur einer Familie zugeflossen sind; in Erwägung endlich, daß es den
Grnndsätzen der Konstitution angemessen ist, daß die so unverhältnißmäßige
und ungleiche Taxe in eine verhältnißmäßigere und gleiche verwandelt wer<Ie
— nachdem sie die Urgenz erklärt, verordnen (6./15. November 1798):
1) Die Posten sollen in Zukunft von der Regierung durch eine dazu niedergesetzte
Verwaltung besorgt werden ; 2) die Posttaxen sollen in ganz Helvetien auf einem
gleichen und bloß nach Verhältniß der Entfernung und des weiteren Laufes der Briefe,
Gepäckc, Groups und dgl., bestimmten Fuß festgesetzt werden; 3) das Vollziehungs-
direktorium einzuladen, den gesetzgebenden Käthen zu seiner Zeit die Tabelle der
Posttaxen zur Sanktion vorzulegen.
In der Folge wurde nun ein Organisationsgesetz geschaffen und eine Central-
verwaltung ernannt, welcher fünf Kreisverwaltungen untergeordnet werden sollten
mit Sitz in Basel, Zürich, St. Gallen, Schaffhausen und Bern.
Diene Organisation ließ sich aber wegen dem kurzen Bestand der Helvetik
nur theilweise durchführen. In Schaffhausen und Bern verblieb die Post in den
Händen der bisherigen Privatunternehmer, an letzterem Orte gegen Entrichtung
einer Pachtsunime von Fr. 76,500 a. W. (d. i. die Gesammtsumme dessen, was
ehedem an die Kantone Bern, Solothurn und Freiburg hatte bezahlt werden
müssen) und gegen die Verleihung gewisser Rechte an die Helvetik bezüglich
Ernennung und Absetzung von Postan gestellten. Die Schaff hauser hingegen
pochten, wie es scheint, stark auf ihre bisherigen Privilegien und ließen sich
nichts abmarkten. In Basel, Zürich nnd St. Gallen wurden Postbeamte ein-
gesetzt, in jenen beiden Städten mit fixen Besoldungen, während der Postver-
walter in St. Gallen eine „Gratifikation" von der Kaufmannschaft bezog.
Vier Jahre nur stand die Post unter der Einwirkung der helvetischen
Centrnlisationsbestrebungen und doch hat sie dem Staate die Summe von netto-
Fr. 641,783 a. W., d. i. jährlich durchschnittlich Fr. 160,000, eingebracht.
Eine Hauptaufgabe der helvetischen Centralpostverwaltung war selbstver-
ständlich die Ausarbeitung eines einheitlichen Tarife s. Sie lehnte sich hiehei
zumeist an die Taxen, welche im Fischerschen Postkreis bestanden. An diese
Taxen war sich schon fast die halbe Republik gewöhnt und es war also kein
großer Widerstand zu gewärtigen, wenn man sie verallgemeinerte, üehrigens
wurden sie theilweise reduzirt, so daß die Postkommission im gesetzgebenden
Rath sagen konnte, die helvetischen Taxen seien weit niedriger als diejenigen
Frankreichs und anderer Länder.
Für den Brief-, Valoren- und Paketverkehr wurden 8 Distanzenzonen k 6,
18, 30, 42, 54, 69, 84 und über 84 Stunden normirt. Das Minimalgewicht
eines Briefes war ^/s Unzen = 11,7 Gramm. Ein solcher „einflBLcher* Brief
kostete nun je nach der Entfernung seines Bestimmungsortes in der Schweift
Post — 615 — Post
Va, 1, IV«, 2, 27«, 3, 3 Vi, 4 Batzen; war der Brief mehr als Vs und
weniger als V» Unzen schwer, so kostete er 1—6 Batzen; bei V» Unzen 1 — 8
Batzen, und so fort fUr jede Y» Unze mehr, so daß z. B. ein 50 Gramm schwerer
Brief, der heute mit 10 Rappen frankirt wird, damals 3 — 26 Batzen, das
ist 45 — 390 Rappen nach heutigem Gelde (den damaligen Mehrwerth des Geldes
nicht in Betracht gezogen), kostet«.
Viel billiger als die Briefporti waren die Taxen für den Reisendentransport,
Sie betrugen 4 — 6 Batzen pro Wegstunde, somit ungeföhr so viel wie heute.
Für Tagbläiter, Zeitschriften, periodische Schriften und hrochirte Bücher
betrug das Porto im Maximum und ohne Unterschied der Entfernung 3 Rappen
für die halbe Druckseite und 5 Rappen für die ganze Druckseite. Die Post-
verwaltung war berechtigt, besondere Taxbegünstigungen eintreten zu lassen und
die Regierung machte hievon gerne Gebranch, um den nach ihrer Ansicht nütz-
lichen Preßorganen eine angemessene Verbreitung zu ermöglichen.
Die Post von 1803 — 1848.
lieber diese Periode geben wiederum Stäger (dem wir während der Helvetik
ausschließlich gefolgt sind) und Bavier einige Auskunft. Von der Helvetik
ging die Oberhoheit im Postwesen zunächst an den Landammann der Schweiz
über. Dieser ließ die helvetische Central postdirektion im Amte, bis die Tag-
satzung über das fernere Schicksal der Post entschieden haben würde. Mittler-
weile gab sich jene redlich Mühe, für die Beibehaltung der Centralisation
Stimmung zu machen, allein ihre Stimme verhallte im SouveränetHtstaumel der
Kantone. Am 2. August 1803 beschloß die Tagsatzung Folgendes:
1) Die schweizerische Tagsatzung erklärt das Postwesen als Regal und Eigenthum
der Kantone in ihrem ganzen Umfang.
2) Mit Ende August soll die Centraladministralion aufgelöst sein ; dagegen werden
die von den Kantonen aufzustellenden Postverwaltungen die Besorgung dieses Gegen-
standes übernehmen, weßwegen auch den betreffenden Kantonen die Originaltraktate
wieder zurückgegeben, das übrige Archiv der Gentralpostverwaltung aber dem gemein-
schaftlichen Archiv einverleibt werden soll, und da die r4entraladministration ihre
Rechnungen mit dem 4. Juli abschloß, so soll für den Ertrag von dieser Zeit an den
betreffenden Kantonen Rechnung gehaJten werden.
3) Um den Uebergang von der Central- zur Kantonalverwaltung zu erleichtern
und Unordnungen zu verhüten, wird den Kantonen Bern, Basel, Zürich, Schaffhausen
und St. Gallen die Verwaltung des Postwesens, sowohl der Briefpost als der Messagerie
und allem dem, was hierauf Bezug hat, in ihren Arrondissements einstweilen überlassen,
jedoch so, daß jeder integrirende Kanton dieser Arrondissements sich sowohl in Hinsicht
auf die Benutzung als Verwaltung des Postwesens von denen mitintegrirenden Kantonen
zu trennen und dies Recht selber auszuüben befugt ist, insofern sie sich nicht gütlich
mit einander vereinigen können, mit dem ausdrücklichen Vorbehalt aber, daß durch
diese Trennung weder an den Postrouten noch Taxen irgend etwas zum Nachtheil der
anderen Kantonen geändert werde.
4) Die Postarrondissements sind daher befugt, die mit den angrenzenden fremden
Staaten sowohl als mit den einheimischen Kantonen bestehenden Traktate und Vor-
kommnisse fortdauern zu lassen oder nöthigenfalls wieder zu erneuem, jedoch daß sie
keinem Kanton nachtheilig seien, zu welchem Ende sie der Tagsatzung vorgelegt werden.
Auch mögen sie ihr seit der Revolution hin und wieder abgeändertes Interesse nach
Grundsätzen der Billigkeit und vormals bestandenem Verhältniß freundschaftlich aus-
einander setzen.
5) Zur Erzielung eines wo nicht überall, so doch annähernden gleichförmigen
Posttarifs für die ganze Schweiz sollen von den neu aufzustellenden Postverwaltungen
gutachtliche Vorschläge der nächstkünfligen Tagsatzung eingereicht werden.
6) Obrigkeitliche, offizielle Briefe sollen durchaus frei sein; von Posten und
Messagerien sollen keine Weggelder noch Zölle bezogen werden.
7) Die Kantone garantiren sich wechselseitig die Sicherheit des Postgeheimnisses
und werden die Postbeamten darüber in Püicht und Eid nehmen.
Post — 616 — Post
8) Sie leisten dea Kurrieren und Messagerien allen Schutz und verpflichten sich
wechselseitig gegen einander, unter keinem Vorwand den Postenlauf weder hemmen
noch verspäten zu lassen.
9) Alle Posten-Bureaux sind für den Werth des ihnen Anvertrauten verantwortlich
unter Gewährleistung des betreffenden Kantons, jedoch unter Vorbehalt der Uebermaeht
und Gottes Gewalt.
10) Bei Beschwerden über die Post soll in jedem Kanton den Fremden wie den
Einheimischen auf Vorlegung der Thatsachen unentgeltlich und summarisch Recht
gehalten werden.
Man sieht: So wenig lang die Centralisation gedauert hatte, so tiefe Wurzeln
hatte sie dennoch geschlagen, um die Gesetzgeber der neuen Epoche zu ver-
mögen, die Post mit allerlei Schutz- und Sicherheitsmaßregeln zu umgeben.
Man gewinnt den Eindruck, daß die Verfasser obigen Dekretes eher mit Be-
dauern denn mit Freudigkeit die Axt an den jungen vielversprechenden Baum
gelegt, den die Helvetik gepflanzt hatte.
Die Kantone nützten nun ihre neue Macht in Postsachen auf verschiedene
Weise aus.
In Zürich verzichtete die Vorsteherschaft der Kaufleute auf ihr früheres
Eigenthumsrecht ; die Post wurde vom Staat übernommen und die Oberaufsicht
einer Postkommission übertragen.
lu Bern verblieb die Post der Familie Fischer bis zum Jahre 1832. In
diesem Jahr zog sie der Staat an sich, indem er für sämmtlicbes Material,
51 Pferde und alle bestehenden Postkontrakte Fr. 120,000 a. W. zahlte.
St. Gallen überließ die Poitver waltung zunächst wieder dem Kauf-
männischen Direktorium, das sich schon von 1675 — 1799 darin geübt hatte,
und richtete erst 1836 eine eigene Verwaltung ein.
Aargau und Waadt thaten dies schon 1804.
Thurgau machte sich die Sache leichter, indem es Zürich als Pächter
annahm, der jährlich fl. 1500 zahlte und in Frauenfeld ein Postamt unterhielt.
Zug, Obwalden und theil weise üri folgten dem Beispiel Thurgaus,
vermuthlich ohne Entschädigung von Seiten Zürichs.
Luzern schuf eine eigene Postverwaltung und nahm sich noch eines
Theiles von Uri an
Glarus verpachtete sein Regal bis 1832 dem Meistbietenden und Irüste
dafür fl. 1200 — 1600. Später betrieb es die Po.st in Regie.
In Schaffhausen blieb es zunächst wie vor und während der Helvetik.
Graubünden richtete namentlich im Interesse des Reisenden Verkehrs den
Postdienst auf Rechnung des Staates ein.
Die baselstädtische kantonale Postverwaltung besorgte auch die Ge-
schäfte von Baselland.
Schwyz und ein Theil von Appenzell A -Rh. (Herisau, Speicher und
Trogen) lehnten sich an St. GuUen an. In den übrigen Theilen beider Appenzell
bcborgten Private das Botenwesen.
T es sin verpachtete seine Post um ein kleines Jahrgeld bald an Luzern,
bald an Zürich, und scheint erst gegen Ende der Periode eine eigene Verwaltung
(in Lugano) gehabt zu haben.
Im Neuenburgisch en behauptete sich bis 1806 die Fischer' sehe Post-
verwaltnng; dann übertrug der Franzose Berthier das Postwesen an vier Neuen-
burger, die es bis zum Sturze Napoleon's beibehielten.
Graubünden behalf sich anfänglich damit, daß es „Postreiter** anstellte,
die ihre bestimmten Touren machen mußten. Diesen Postreitern konnten sich
Post — 617 — Post
die Reisenden zu Pferde anschließen und es bildeten sich auf diese Weise förm-
liche Gebirgskaravanen. Man sieht sie nicht mehr, seit breite Bergstraßen an-
gelegt sind, auf welchen bequeme Postwagen kursiren. 1847 bestanden schon
folgende Kurse : 1 Engadinerkurs, 1 Oberländerkurs, 1 Zürcherkurs, 1 St. Galler-
kurs (diese beiden Tag- und Nachtkurse), 1 SplUgnerpost, 1 Bernhardinerpost,
1 Engadin-Bergellerpost. 1847 passirten 14,540 Reisende diese Routen.
Was nun die Posttaxen betrifft, so waren die Verhältrisse wenig besser
als vor 1799. Das Porto eines „einfachen" Briefes innerhalb der Schweiz und
nach leicht erreichbaren Ortschaften variirte von 5 — 60 Rappen und war oft
nicht eiumal das Gleiche für den Hinweg wie für den RUckweg. So bezahlte
man von Appenzell nach Sitten 50 Rappen, umgekehrt 60 Rappen, von Appen-
sell nach Yevey 30 Rappen, in umgekehrter Richtung 45 Rappen. Für abseits
gelegene Ortschaften gab es willkürliche Zuschlagstaxen.
Für die Briefe galten in der Regel drei Gewichtsstufen: ^/s Unzen (11,7
Gramm) = einfacher Brief, % Unzen = doppelter Brief, ^/s Unzea = drei-
facher Brief.
Die Taxen für Pakete und Valoren unterlagen komplizirten Berechnungen.
In der Regel wurde ein solcher Gegenstand mit so viel Taxen beschwert, als
er Kantone respektive einheitliche Postgebiete zu durchlaufen hatte. So erklärt
es sich leicht, daß ein Paket von 25 kg Gewicht und Fr. 100 Werth von
Genf nach St. Gallen Fr. 10. 15, von Bern nach Aarau Fr. 1. 70 kostete.
Trotz diesen ungünstigen Verhältnissen nahm der Postverkehr bedeutend zu
und ergab nach jeder Richtung stetig wachsende Resultate. So erzielte
Zürich 1832 eine Brutto - Einnahme von Fr. 201,701 a. W., 1837:
Fr. 373,096, 1842: Fr. 429,664, 1844 eineu Reingewinn von Fr. 124,496.
1831 gingen Posten nach allen Richtungen. 1832 wurden 12,000 Postreisende
befördert, 1837: 43,897, 1842: 61,017.
St. Gallen machte folgende Brutto-Einnahmen : 1822: fl. 40,241, 1827:
fl. 58,027, 1832: fl. 65,881, 1837: fl. 120,916.
Aargau erzielte folgende Reingewinne: 1805: Fr. 22,224, 1815:
Fr. 26,617, 1825: Fr. 33,540, 1835: Fr. 45,001, 1845: Fr. 96,043. Es
bestanden dort 1845 22 Lokalpostämter, 58 Postablagen und 63 Postbotenkurse.
So waren es also ziemlich günstige Auspizien, unter denen die letzte Periode
zersplitterten Postwesens ihrem Ende nahte. Als dieses kam (1848), hatten 14
kantonale Postverwaltungen (Aargau, Baselstadt, Bern, Frei bürg, Genf, Glarus,
Graubünden, Luzern, Neuenburg, St. Gallen, Solothurn, Tessin, Waadt, und Zürich)
ihre Befugnisse an den Bund abzutreten.
Die Post seit 1848.
Nach den Freischaarenzügen und Sonderbundswirren sehnte man sich nach
dauernder Einigkeit und friedlichem Zusammenwirken. Man verwandelte den
Staatenbund in einen Bundesstaat, der große gemeinsame Aufgaben lösen sollte.
Zu diesem Zwecke mußte man ihn mit Finanzen, resp. laufenden Einnahmequellen
ausrüsten und die besten Mittel hiezu waren die Zölle und die Post. Man erklärte
sie somit als Bundessache und zwar die Post mit folgenden Worten (Art. 33 der
Bundesverfassung) :
^Das Postwesen im j-ranzen Umfange der Eidjjfcnossenschaft wird vom Bunde über-
nommen unter folgen<ien Vorschriften :
1) Die gegenwärtig bestehenden Postverbindungen dürfen im Ganzen, ohne Zu-
stimmung der betreffenden Kantone, nicht vermindert werden. 2) Die Tarife werden
im ganzen Gebiet der Eidgenossenschaft nach den gleichen, möglichst billigen Grund-
Post — 618 — Post
Sätzen bestimmt. 3) Die Unverletzbarkeit des Postgeheimnisses ist gewährleistet 4) FQr
Abtretung der Postregale leistet der Bund Entschädigungen, und zwar nach folgenden
Bestimmungen: a. Die Kantone erhalten jährlich die Durchschnittssumme des reinen
Ertrags, den sie in den drei Jahren 1844, 1845 und 1846 vom Postwesen auf ihrem
Kantonalgebiet bezogen haben. Wenn jedoch der reine Ertrag, welchen der Bund vom
Postwesen bezieht, nicht hinreicht, so wird dem Kanton das Mangelnde nach Verhältniß
der festgesetzten Durchschnittssumme in Abzug gebracht; b. wenn ein Kanton vom
Postwesen unmittelbar no<:h gar nichts, oder in Folge eines mit einem anderen Kanton
abgeschlr>ssenen Pachtvertrages betleutend weniger bezogen hat als die Ausübung des
Postregals auf seinem Gebiete demjenigen Kanton, der dasselbe gepachtet hatte, er-
weislichermaßen rein ertragen hat, so sollen solche Verhältnisse bei Ausmittlung der
Entschädigungssumme billige Berficksichligung linden; c, wo die Ausübung des Post-
regals an Privatpersimen abgetreten worden ist, fibemimmt Jer Bund die diesföllige
Entschädigung; d. der Bund ist berechtigt und veriiflichtet, das zum Postwesen gehörige
Material, soweit dasselbe zum Gebrauche tauglich und erforderlich ist, gegen eine den
Eigenthfimern abzureichende billige Entschädigung zu übernehmen; die eidgenössische
Verwaltung Ist berechtigt, die gegenwartig für das Postwesen bestimmten Gebäuliclikeiten
gegen Ent<cha«ligung entweder als Eigenthum oder aber nur miethwelse zur Benützung
zu übernehmen."
Nachfolgende P^ntschädigungen wurden, nach Maßgabe eines sachbeziiglicben
Bundesbeachlnsses vom 24. Jnli 1852, festgesetzt und betragen, nachdem die vom
Bund bewilligte Summe flir die Kantone üri, Baselland, Schalf hausen, Gran-
blinden und Neuenbürg durch das Bundesgericht etwas abgeändert worden war:
rr. cu.
für Zürich :>32,138. 46
, Bern 249,25:2. 48
, Luzern .... 58,958. 16
Fr. Ct8.
Uebertrag 752,806. 62
füi Schafitiausen . . 3,181. 82
, Appenzell A.-Rh. . 14,285. 71
, Uri 29,778. 10 j , .Appenzell l.-Rh. . 342. 86
, Schwvz .... 2,857. 14 ' „ St. Gallen . . . 89,084. 76
, Untefwalden o.;W. 342. 86 . „ Graubünden . . 32,594. 19
, Unterwaiden n./W. 228. 57 j , Aargau .... 146,694. 43
, Glarus 10,329. 83 , Thurj^u .... 25,454. 55
, Zug 3,285. 71 i „ Tessin 14,908. 96
„ Freiburg .... 20,320. 52 ' „ Waadt .... 207,812. 91
„ Solothurn . . . 10,490. 93 \ , Wallis 26,488. 07
„ Baselstadt . . . 119,065. 25 i , Neuenburg . . . 74,676. 33
, Baselland . . . 16,758. Ol ' , Genf .... . 97,281. 71
Uebertrag 752,806. G2 | Total 1*486,560. 92
Die Bundesverfassung von 1874 (Art. 36) erklärte wiederum das Postweseit
im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft als Bundessache. Sie bestimmte ferner,
daß der Ertrag der Postverwaltnng in die eidg. Kasse falle, daß die Tarife im
ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft nach den gleichen, möglichst billigen Grund-
sätzen normirt werden sollen und die ünverletzlichkeit des Postgeheimnisses ge-
währleistet sei.
Der Postdienst erstreckt sich auf:
a. Den Personen- und Gepäcktransport durch die regelmäßigen Postknrse,
sowie durch Extraposten auf den Routen Simplon (Brieg-Domo-d'Ossola), Furka
(Brieg-Gletsch-Andermatt-Göschenen), Oberalp (Göschenen- Andermatt - Disentis),.
Bündner Oberland (Disentis-Ilanz Chur, via Films oder Versam), Splügen (Chur-
Chiavenna), Bernhardin (Chur-Bellinzona, via Splngen-St. Bernhardin), Schyn
(Thusis-Tiefenkasten- Alveneu), Julier (Cbur-Samaden, via Tiefenkasten-Silvaplana),
Maloja (Samaden-Cliiaveuna), Bernina (Samaden-Tirano), Albula (Chur-Samaden»
via Bergiin- Ponte), Unter enyadin (Samaden-Schuls-Nauders), Präitigau (Land-
quart-Davos), Flüela (Davos SUs-SchuLs), Landwasser (Chur- Wiesen- Daves);
6. Die Beförderung 1) von Briefpust gegenständen, d. i. von gewöhnlichen
und rekommandirten Briefen, Postkarten, Drucksachen, Waarenmustem, G^sch&fts
Post — 619 — Post
papieren, kleinen verschlossenen oder nnverschlossenen Paketen, abonnirten Zei-
tungen; 2) von Fahrpoetstücken, d. i. von Paketen mit und ohne Werthdekla-
ration (die Briefe mit angegebenem Werth werden im Innern der Schweiz als
Fahrpostgegenstände, im Verkehr mit dem Auslände als Briefpoetgegenstände
behandelt) ;
c. Die Bestellung von gerichtlichen Akten aller Art, als Vorladungen, Noti>
fikationen, Betreibnngsvorkehren etc. ;
d. Abonnemente auf Zeitungen;
e. Den £inzug von Geldern, sei es durch Nachnahme auf Brief- und Fahrpost*
gegenständen, oder durch Einzugsmandate ;
f. Die Auszahlung von Geldbeträgen durch Postanweisungen.
Dem Postregal nicht zuwider ist das Versenden und Vertragen von Briefen^
Paketen und Geldern aus bloßer Gefälligkeit, sowie die Beförderung von Gewicht-
stücken über 5 kg und von solchen Sendungen unter 5 kg, welche der Be-
schaffenheit ihres Inhaltes wegen der Post nicht übergeben werden dürfen (ex-
plodirbar, der Fäulniß ausgesetzt etc ).
Der BegriflP des Postgeheimnisses ist auf folgende Weise definirt (Post-
regalgesetz vom 4. Juni 1849, Art. 10);
„Das Postgeheimniß schließt die Pflicht in sich, keine der Post anvertrauten Gegen-
stände zu öffnen, ihrem Inhalt auf keine Weise nachzuforschen, über den Verkehr der
einzelnen Personen unter sich keine Mittheilungen an Dritte zu machen und Niemandem
Gelegenheit zu geben, das Postgeheimniß zu verletzen".
Ausnahmen hie von sind zulässig auf Grund des Art. 3, Ziff. 3 der Transport-
ordnung vom 7. Okt. 1884, indem es dort heißt:
,Auf schriftliche Requisition der zuständigen Behörden können Gegenstände, welche
der Post zur Beförderung anvertraut wurden, mit Beschlag belegt werden. Ebenfalls
kann die Post auf schriftliches Verlangen einer hiezu berechtigten Gerichts- oder Polizei-
behörde derselben Ober den Postverkehr zwischen bestimmten Personen Auskunft ertheilen**.
Folgendes ist die gegenwärtige (1889) Organisation der Postverwaltung :
Oberste vollziehende und leitende Behörde ist laut Bundesgesetz vom 25. Mai
1849 der Bundesiath. Dieser hat die unmittelbare Oberaufsicht und Oberleitung
seinem Postdepartement übertragen (der Geschäftsgang ist durch Verordnung
vom 26. November 1878 geregelt). Nächstes Verwaltungsorgan ist die Oberpost-
direktion mit Sitz in Bern. Ihr unterstellt sind 11 Ereispostdirektionen, ent-
sprechend den 11 Postkreisen, in welche das schweizerische Gebiet eingetheilt
ist, als:
J. Posikreis Genf, bestehend aus dem Kanton Genf und dem waadtländischen
Bezirke Nyon.
IL Postkreis Lausanne, bestehend aus den Kantonen Freiburg, Waadt,.
mit Ausnahme des Bezirkes Nyon, und Wallis.
HL Postkreis Bern, bestehend aus dem Kanton Bern, mit Ausschluß der
den Postkreisen IV und V zugeschiedenen Gebietstheile.
IV. Postkreis Neuenbürg, bestehend aus dem Kanton Neuenburg und dem
auf dem linken Ufer des Bielersee^s nnd der Zihl gelegenen Theile des Kantons
Bern, mit Ausnahme des Amtsbezirkes Laufen.
F. Postkreis Basel, bestehend aus dem Kanton Solothurn, mit Ausnahme
der dem VI. Postkreise zugetheilten Gemeinden ^ aus den Kantonen Baselstadt
nnd Baselland, und aus den auf dem linken Ufer der Aare liegenden Gemeinden
der bemischen Amtsbezirke Wangen und Aarwangen, nebst dem Amtsbezirke Laufen.
VL Postkreis Aaran^ bestehend aus dem Kanton Aargau und den auf dem
rechten Ufer der Aare liegenden Gemeinden des solothurnischen Amtes Ölten.
Post — 620 — Post
VII. Postkreis Lusern, bestehend aus den Kantonen Luzern, Uri, ünter-
walden ob and nid dem Wald, und den schwjzerisohen Bezirken Sohwyz, Grersaa
and Küßnacht.
VIII. Postkreis Zürich, bestehend aus den Kantonen Zürich, Zug, Schaff-
hausen, Thurgau.
IK. Postkreis St. Gallen, bestehend aus dem Kanton St. Grallen, mit
Ausnahme des Bezirkes Sargans; aus den schwyzerischen Bezirken Einsiedeln,
March und Höfe; ferner aus den Kantonen Glarus und Appenzell beider Rhoden.
X. Postkreis Chur, bestehend aus dem Kanton Grraubünden (mit Ausschluß
des Hochgerichtes Misox und Calanca) und aus dem st. gallischen Bezirke Sargans.
XJ. Postkreis Bellenz, bestehend aus dem £lantoii Tessin und dem grau-
btindnerischen Hochgerichte Misox und Calanca.
PosttHxen«
Die internen Posttaxen wurden successive geregelt darch:
1) Posttaxengesetz vom 4. Juni 1849 (A. S. I, 110).
2) YoUziehungsverordnung betr. die Zeitungstaxen, vom 13. Juni 1849
<A. S. I, 118).
3) Verordnung über die Nachnahmen bei Postsendungen, vom 14. Aug. 1849
(A. S. I, 160).
4) Bundesrathsbeschluß über den nämlichen Gegenstand, vom 17. Sept. 1849
<A. S. I, 164).
5) Bundesrathsbeschluß betr. den Taxenbezug von Postreisenden auf Alpen-
pässen, vom 28. April 1851 (A. S. U, 291).
6) Posttaxengesetz vom 25. Aug. 1851 (A. S. II, 373).
7) Vollziehungsverordnung betr. die Zeitungstaxen, vom 3. Nov. 1851
(A. S. II, 577).
8) Abänderung des Art. 33 des Posttaxengesetzes vom 25. Aug. 1851,
vom 6. Aug. 1852 (A. S. lU, 227).
9) Verordnung über die Portofreiheit, vom 10. Nov. 1651 (A. S. 1, 591).
10) Verordnung betr. die Posttaxen auf Alpenpässen und Lukalkursen, vom
12. Nov. 1851 (A. S. II, 588).
11) Modifikation dieser Verordnung, vom 17. Juli 1854 (A. S. IV, 257).
12) Extrapostreglement vom 1. Mai 1852 (A. S. III, 480 und 5, 435).
13) Bundesbeschluß betr. Portofreiheit für die Akten des Civilstands, vom
14. Dez. 1854 (A. S. 5, 49).
14) Bundesrathsbeschluß betr. die Posttaxen für Alpenpässe, vom 16. Okt.
1857 (A. S. 5, 670).
15) Bundesrathsbeschluß betr. die Portofreiheit für die Korrespondenz der
Eisenbahn- Verwaltungen, vom 15. Nov. 1858 (A. S. VI, 80).
16) Beschluß betr. Abänderung der Fahrpodttarlfe, vom 22. Dez. 1859
(A. S. VI, 365).
17) Verordnung betr. Nachnahmen bei Postsendungen, vom 27. April 1860
(A. S. VI, 474).
18) Posttaxengesetz vom 6. Febr. 1862 (A. S. VII, 139).
19) Weisung vom 19. April 1862 betr. Einführung von Bückscheinen
(Postamtsblatt Nr. 34 von 1862).
20) Verordnung betr. postamtliche G-eldanweisuugen, vom 24. April 1862
(A. S. VII, 279).
21) Verordnung betr. Portofreiheit, vom 13. Juni 1862 (A. S. VII, 285).
Post — 621 — Post
22) Gesetz betr. die Posttaxen von Drncksachen and abonnirten Zeitangen,
vom 25. Jnli 1862 (A. S. VII, 321).
23) Verordnung über die AusfUbrung des Posttaxengesetzes vom 6. Febr.
1862, vom 13. Juni 1862 (A. S. VII, 361).
24) Verordnung betr. die internen postamtlichen Geldanweisungen, vom
6. Dez. 1865 (A. S. VIII, 654).
25) Verordnung betr. die Taxe der internen Geldanweisungen, vom 10. April
1867 (A. S. IX, 45).
26) Bundesrathsbeschluß vom 22. Nov. 1867 betr. die Expreßbestellung
von Briefen (A. S. IX, 200).
27) Bundesrathsbescbliiß vom 17. Aug. 1868 betr. Expreßbestellung von
Postsendungen (A. S. IX, 432).
28) Verordnung über den näml. Gegenstand, vom 12. Okt. 1868 (A. S. IX, 490).
29) Bundesges. betr. dieTaxenvouFahrpostst., v.27. Julil869(A.S.IX,880).
30) Bundesrathsbeschluß betr. den neuen Fahrposttarif, vom 28. Jan. 1870
(A. S. X, 81).
31) Bundesbeschluß betr. Einführung der Po&t(Korre8pondenz)-Earten, vom
23. Juli 1870 (A. S. 10, 255).
32) Verordnung betr. Einführung von Korrespondenzkarten für portofreie
Korrespondenzen, vom 26. Dez. 1870 (A. S. 10, 361).
33) Bundesgesetz betr. interne Brief posts., vom 13. Juli 1871 (A. S. 10, 451).
34) Extrapostreglement vom 26. April 1872 (A. S. 10, 776).
35) Bundesbeschluß betr. Erhöhung der Gewichte der Drucksachen und
Waarenmuster, vom 10. Juli 1872 (A. S. 10, 896).
36) Extrapostreglement vom 3. Febr. 1873 (A. S. XI, 145).
37) Extrapostreglement vom 1. März 1875 (A. S. n. F. I, 387).
38) Posttaxengesetz vom 23. März 1876 (A. S. n. F. II, 339).
39) Rev. Transportordnung f. d. Schweiz. Posten, vom 10. Aug. 1876
(A. S. n. F. II, 401).
40) Abänderung der Transport Ordnung in Bezug auf Abonnementsbillete,
vom 3. Jan. 1877 (A. S. n. F. III, 1).
41) Abänderung der Transportordnung betr. den nämlichen Gegenstand, vom
25. Mai 1877 (A. S. n. F. III, 95).
42) Bundesgesetz betr. die Transporttaxe für Zeitungen, vom 11. Febr. 1878
(A. S. n. F. m, 417).
43) Verordnung betr. Zuschlagstaxe für Fahrpoststücke über Alpenpässe
vom 26. März 1878 (A. S. n. F. IH, 391).
44) Abänderung der Transport Ordnung (Personentaxen) vom 6. Sept. 1879
(A. S. n. F. IV, 344).
45) Abänderung der Transportordnung (Anwendung der Sperrguttaxe; Ge-
bühr für i^achnahmescheine) vom 14. Juni 1880 (A. S. n. F. 5, 92).
46) Abänderung der Transportordnung (Aufhebung der Sperrguttaxe ; Nach-
nahmeprovision; Geldanweisungstaxe) vom 8. Mai 1883 (A. S. n. F. VII, 107),
47) Poflttaxengesetz vom 26. Juni 1884 (A. S. n. F. VII, 584).
48) Transportordnung vom 7. Okt. 1884 (A. S. n. F. VII, 619, 716).
Aus der vorstehenden langen Aufzählung von Gesetzen, Verordnungen und
Beschlüssen geht hervor, daß die Taxen unsere Postbehörden vielfach beschäftigt
haben. In der That haben seit 1848 so viele Aenderungen der Taxen stattge-
funden, daß das Lexikon es sich versagen muß, sie alle zu erwähnen. Es wird
sich deßhalb auf die Hauptsachen beschränken.
Post
— 622 —
Poet
Brief^sttaxen.
Das erste eidg. Posttaxengesetz, datirt Tom 8. Jani 1849, setzte
folgende Porti für die Briefpostgegenstfinde (Briefe, Schriftenpakete, Drucksachen,
Waarenmoster) fest:
Iinxweit«aBri«r- Im dritten Brief- Im riertea Brief-
Briefe
Im erat«« Bvief-
kreifftEDtfemaag kreis; Entfernuag kreit<Eotfemung kreit( Entfemoi^
bia 10 StuDden) ftber 10— U Sl) über 35 — 10 St) über 40 Standen)
bis »
Über
Loth einschließlich
5 Rappen
10
Rappen
15 Rappen
20 Rappen
»1-1 Loth
7*« ,
15
»
22V^ ,
30
1-lV« -
10
20
•
30
40
\*-2 .
Wt ,
25
r
37»/f .
50
2 4
15
30
^
45
60
4-8
20
40
m
60
80
8-16 .
25
50
T
75
100
16 bis 1 Pfund
30 ,
60
W
90
1»
Das Gesetz räumte dem Bundesrath die Befngniß ein, an Orten mit be-
deutendem Briefwechsel eine «Ortspost " einzurichten, fdr welche folgende Brief-
taxen aufgestellt wurden: bis auf 2 Loth einschließlich 2^/t Rappen, von 2 — 4
Loth 5 Rappen, von 4 --8 Loth 10 Rappen. Diese ermäßigten Taxen fanden
indessen nur auf frankirte Briefe Anwendung.
Schriflenpakete ohne Werthangabe kosteten, insofern sie anfier einem all-
fälligen Begleitschreiben keine Briefe enthielten, bis zu 1 Pfund Gewicht: 10
Bappen im ersten Briefkreis, 20 Rappen im zweiten Briefkreis, 30 Rappen im
dritten Briefkreis, 40 Rappen im vierten Briefkreis.
Ftkr einr/eschriebene (rekommandirte) Briefe und Schriftenpakete wurden
obige Taxen verdoppelt.
Drucksachen bezahlten:
bis auf 2 Loth einschließlich
übtfr 2—4 Loth
-48,
. 8 Loth bis 1 Pfund
Im ersten
briefkreis
2^ i Rappen
5
7»«
10
Im Kweiten
Briefkreis
5 Rappen
10 .
15
20
Im dritten
Briefkreis
7V< Rappen
15
22*1
30
Im Tieften
BrieHLrels
10 Rappen
20
30
40
Waartnmuster wurden hinsichtlich der Taxen wie Schriftenpakete behandelt,
mit der Ausnahme, daß der Bundesrath Befugniß hatte, an Orten, die einen
lebhaften Verkehr mit Waarenmustern aufwiesen, die Taxe für derartige Sendungen,
bis zum Gewicht von IG -Loth und für den ersten Briefkreis von 10 auf 5 Rappen
zu ermäßigen.
Das Posttaxengesetz von 1^49 blieb nur etwas über 2 Jahre in Kraft.
Schon im August 1S51 gab es nur noch 3 Briefkreise und die bloß 7* l^th
schweren Briefe kosteten : 5 Rp. im ersten Briefkreis (bis 2 Stunden Entfernung),
10 Rp. im zweiten Briefkreis (^2 — 10 Stunden Entfernung), 15 Rp. im dritten
Briefkreis, d. i. auf mehr als 10 Stunden Entfernung. Für schwerere Briefe
wurden für je ^Jz Loth 5 Rp. zugeschlagen.
1 1 Jahre später ( 1862 ) reduzirte man die Zahl der Briefkreise auf 2. Der
erste, 2 Stunden Entfernung iu gerader Richtung umfassend, hieß nun «Orts-
rayon*" und die Taxe innerhalb desselben war 5 Rp. für Briefe mit nicht mehr
als 10 Gramm Gewicht. Ueber den Ortsrayon hinaus kosteten die höchstens
10 Gramm schweren Briefe, wenn frankirt 10 Rp., wenn unfrankirt 15 Rp.
Bei 11 — 250 Gramm Gewicht betrug die Taxe das Zweifache. Schwerere Briefe
kamen als Pakete zur Fahri)Ost.
Das Posttaxengesetz von 1S76 schuf den seither üblichen „Lokalrayon*
(10 km; und erhölite das Minimalgewicht der Briefe auf 15 Gramm bei gleichen
Post — 623 — Post
Taxen wie oben für frankirte Briefe. Ünfrankirte Briefe mußten doppelt taxirt
werden, ebenso die ungenügend frankirten, docb kamen hier die verwendeten
Wertbzeioben in Abzug. Rekommandationsgebübr fix 20 Cts.
Seit dem letzten Posttaxengesetz (26. Juni 1884) gelten nun folgende
Taxen.
Briefe: a. im Lokalrayon (10 km) bis 15 Gramm 5 Cts.; über 15 bis
250 Gramm 10 Cts.;
b. größere Entfernungen: bis 250 Gramm 10 Cts. im Frankofalle, ün-
frankirt kosten Briefe bis 15 Gramm im Lokalrayon 10 Cts., auf größere Ent-
fernungen ohne Unterschied des Gewichts 20 Cts.
Postkarten (im Juli 1870 eingeführt): einfache 5 Cts., solche mit bezahlter
Antwort 10 Cts.
Drucksachen: bis 50 Gramm 2 Cts., über 50 bis 250 Gramm 5 Cts.,
über 250 bis 500 Gramm 10 Cts. Schwerere Sendungen werden der Fahr-
post zugewiesen.
Waarenmuster : bis 250 Gramm 5 Cts., über 250 bis 500 Gramm 10 Cts.
Schwerere Sendungen werden als Fahrpoststücke betrachtet.
Die Bekomm andationsgebühr ist auf 10 Cts ermäßigt.
Pakete und Gelder.
Das erste Posttaxengesetz (8. Juni 1849) bestimmte: Für Pakete
und Geldsendungen wird für je 5 Wegstunden und von jedem Pfund des Ge-
wichts, bei Geldsendungen und andern Werthstücken für je Fr. 50 des Werthes
eine Transportgebühr von 1 Ct. berechnet. Zu dieser Transporttaxe tritt noch
eine feste Einschreibgebühr welche beträgt, für Bendungen im ersten Briefkreis
5 Rappen, im zweiten Bri^ikreis 10 Bappen, im dritten Briefkreis 15 Rappen,
im vierten Brief kreis 20 Rappen.
Werthsendungen werden in der Regel nach dem Werth, wenn sich aber
nach dem Gewicht eine höhere Taxe ergibt, nach dem Gewicht taxirt.
Die Minimalta,xe für ein Paket beträgt: im ersten Briefkreis 10 Rappen,
im zweiten Briefkreis 20 Rappen, im dritten Briefkreis 30 Rappen, im vierten
Brief kreis 40 Rappen. Pakete und Geldsendungen können für die doppelte Taxe
rekommandirt werden.
Revisionen obigen Gesetzes und Neuordnungen der Taxen, in Verbindung
mit neuen Zoneneintheilungen fanden statt in den Jahren 1851, 1859, 1869,
1«76, 1878 und 1884; ferner wurden Extra-Taxen aufgestellt für die Fahrpost
über die Alpenpässe. Die jetzt (1889) geltenden Fahrposttaxen sind (gemäß
Gesetz vom 26. Juni 1884):
a. Gewichtstaxen
1) Für alle Sendungen bis 20 kg Gewicht oh)ie Rücksicht auf die Ent-
fernung
frank irt nnfrankirt
bis '/s kg Fr. 0. 15 Fr. 0. 30
über '/a kg bis 2 '/» kg ,0.25 , 0. 40
r 2V2 - . 5 , , 0.40 , 0.60
«6 „ „ 10 , ,0.70 , 1.—
,10 , „ 15 , „1.— ,1.50
,15 „ , 20 , „1.50 , 2.—
2) Bei Sendungen mit mehr als 20 kg Gewicht beträgt die Frankotaxe für
je 5 kg oder einen Bruchtheil von 5 kg:
Post — 624 — Po^t
bis anf eine Entfernung von 100 km 30 Bp.
, , « , , 200 „ 60 ,
... . . 300 . 90 ,
, . . . über 3CK) , 120 ,
Bei unfrankirten Sendungen erfolgt ein Portozu^cblag von 50 Rp. per Stück.
b. Wertbtaxen ;
Für Sendungen mit nicbt mehr ala 1000 Fr. Werth 3 Rp. per 100 Fr.
Für Sendungen mit mehr alu 1000 Fr. Werthdeklaration 30 Rp. für das erste
Tausend und je 6 Rp. für jedes weitere Tausend.
Reisetaxen.
Von 1849 — 1876 betrug das Postfahrgeld per Wegstunde: 1) auf den
Alpenpässen : Fr. 1 für einen Platz im Innern oder auf den Anßensitzeut
Fr. 1. 15 für einen Platz im Coupe; 2) auf den übrif/en Siraßen: 65 Rp.»
im Innern oder Außensitz, 80 Rp. im Coupe.
Von 1877 — 1884 waren per Kilometer auf Alpenstraßen 30 Rp. für Coupe,
25 Rp. für Platz im Innern, auf den übrigen Straßen 20 und 15 Rp. zu be-
zahlen.
Auch seit 1884 gelten die nämlichen Taxen, nur findet diejenige von 30 Rp.
nicht mehr bloß auf Fahrten über Alpenstraßen Anwendung, sondern auch bei
allen anderen Kursen, deren Betrieb besondere Schwierigkeiten bietet oder be-
deutende Kosten verursacht.
Retour- und Abonnementsbillete kamen im Jahre 1867 in Gebranch. An-
fänglich hatten erstere eine Gültigkeitsdauer von 24 Stunden, dann (1874 — 1877)
Gültigkeit für 3 Tage, hierauf (1877 — 1884) für 2 Tage und endlich, seit
1884, wieder für 3 Tage, bezw. 72 Stunden. Diese Billete genossen stets einen
Rabatt von 10 ^/o. Die Abonnementsbillete galten bis 1874 für 30 Tage und
lauteten auf 20 Fahrten zwischen 2 bestimmten Punkten. Seit 1874 ist die
Gültigkeitsdauer 3 Monate, und seit 1877 können solche BiUets schon für zehn
Fahrten gelöst werden. Preisrabatt stets 20 ^/o.
Geldanweisungstaxen.
Das Posttaxeuf/esetg vom 25. Aug. 1851 ermächtigte den Bundesrath, den
Geldanweisungsdienst einzuführen und die bezüglichen Taxen festzusetzen. Dem-
gemäß verordnete der Bundesrath unterm 24. April 1862, daß die TaXe einer
Anweisung derjenigen einer Werthsendnng im entsprechenden Betrage gleich sei
und der Absender überdies 5 Rappen ftir das Anweisungsformular (Couvert) zu
bezahlen habe.
Durch neue Verordnung vom 10. April 1867 (A. S. IX, 45) stellte der
Bundesrath für die Geldanweisungen folgende Taxen fest:
Für Beträge bis Fr. 100 = 20 Rp., für Beträge über Fr. 100 bis 200
= 30 Rp., für Beträge über Fr. 200 bis 300 = 40 Rp., u. s. f., für je
weitere Fr. 100 10 Ct. mehr.
Die rev. Transporiordnunf/ vom 10. Aug. 1876 brachte höhere Ansätze, näm-
lich für Beträge bis Fr. 100^= 30 Rp., für Beträge über Fr. 100 bis 20 0
=1 40 Rp., für Beträge über Fr. 200 bis 300 == 50 Rp., u. s. f., ftir je
weitere Fr. 100 10. Ct. mehr.
Durch Bundes rathsb es Muß vom 8. Mai 1883 wurde für Anweisungs-
beträge bis Fr. 20 die Taxe auf 20 Rp. ermäßigt und durch das Posttazen-
für die ganze Schweiz.
Post — 625 — Post
geseie vom 2G. Juni 1884 kamen die Ansätze der Verordnung vom 10. April
1867 wieder zur Geltung.
Zeitungstaxen,
Das Posiiaxenyeseie vom 8. Juni 1849 normirte die Porti wie folgt:
Y2 Rp. per Exemplar bis zum Gewicht von 1 Loth
1 „ „ „ über 1 Loth
Für Besorgung der Abonnemente auf inländische Blätter bezog die Post
eine Gebühr von 1 Balzen, auf ausländische Blätter eine solche von 2 Batzen.
Durch Vollzug sverordnung zu obigem Gesetz (A. S. I, 118) wurde be-
stimmt, daß Beilagen zu Zeitungen oder Extrablätter wie Druckschriften zu be-
handeln seien, sobald sie das Gewicht von 2 Loth überschreiten.
Das Positaxengeseis vom 25. Aug. 1851 fixirte das Porto fUr ein 2jeitungs-
exemplar bis zum Gewichte von 2 Loth und ohne Unterschied der Entfernung
auf */* Rp. Jedes weitere Loth kostete wiederum ®/4 Rp. Für Besorgung der
Abonnemente bezog die Post eine Gebühr von 20 Rp. für inländische und von
50 Rp. für ausländische Blätter.
Das Posttaxengesetz vom 6. Febr. 1862 brachte folgende Aenderung:
Transporttaxe : für je 30 Gramm oder Brnchtheil dieses Gewichtes V* Rp»
Diese Portoreduktion galt nur für solche Zeitungen oder periodische Druck-
schriften, welche hei der Post abonnirt wurden — eine Beschränkung, die erst
durch Bundesgesetz vom 25. Juli 1862 (A. S. VII, 321) aufgehoben wurde.
Das Posttaxengesetz vom 23. März 1876 erhöhte das Gewicht auf 50 Gramm
und beließ das Porto auf Y* Rp»
Durch Bundesgesetz vom 11. Febr. 1878 wurde das Porto von */4 Rp.
auf 1 Rp. per 50 Gramm erhöht, durch Posttaxengesetz vom 26. Juni 1884
dagegen die Post- Abonnementsgebühr für inländische Zeitungen von 20 auf 10 Rp.
ermäßigt.
Nachnahmen.
Die Einführung der Nachnahmen wurde durch bnndesräthliche Verordnung
vom 14. Aug. 1849 (A. S. I, 160) bewirkt. Außer der gewöhnlichen Trans-
porttaxe unterlagen die Nachnahmengegenstände einer Provision von 10 Rp.
für je Fr. 10. — oder Bruchtheil des Nachnahmebetrages.
Schon am 17. Sept. gl. J. (A. S. I, 164) beschloß der Bundesrath, die
Minimalprovision auf 5 Rp. herabzusetzen , allein durch Verordnung vom
27. April 1860 (A. S. VI, 474) wurde sie wieder auf 10 Rp. erhöht.
Eine weitere Erhöhung der Minimalpro vision, und zwar auf 30 Rp., fand
statt für Fahrpostseudxmgeny gemäß Verordnung vom 10. Aug. 1876. Am
8. Mai 1883 erfolgte aber wieder Ermäßigung auf 10 Rp.
Gebühren,
Außer den „Porti" und „ Taxen** erhebt die Postverwaltung auch ver-
schiedene „Gebühren"*, nämlich:
1) Die Bestellgebühr für die Zustellung von Fahrpoststücken im Ge-
wichte von mehr als 5 kg Gewicht oder mehr als 1000 Fr. Werth. Sie wurde
eingeführt durch das Postt^xengesetz vom 6. Februar 1862 und geändert durch
die Transport Ordnung von 1876.
2) Die Expreßgebühr, welche für rekommandirte Briefe seit dem
Bundearathsbeschluß vom 22. November 1867 und für Fahrpoststücke, Geld-
anweisungen und Nachnahmen seit dem Bundesrathsbeschluß vom 17. August 1868
Fnrrer, Volkswirthschafts-Lexlkon der Schweii. \^
Poj?t — 626 — Post
in Anwendung kommt. Die gegenwärtigen Grebtihren (Mitte 1889) bernheu aaf
der Transportordnung von 1^584.
3) Die Lagergebühr, in Kraft seit 1869, nen normirt dnrch die TraoB-
port Ordnungen von 1876 und 1884. Sie wird erhoben von Gewicht- und Werth-
gegentitänden, welche mehr alt) 24 Stunden lagern und sofern der Adressat zur
Abholung verpflichtet ist.
4) Die Eückscheingebühr. Die Transportordnnng von 1869 brachte
die Einrichtung der Rückscheine für rekommandirte Briefe und für Fahrpoststücke ;
das Posttaxengesetz von 1876 dehnte die Einrichtung auf die Geldanweisungen aus.
5) Die Fachgebühr. Schon durch das Posttaxengesetz vom 25. Aug. 1851
wurde es Jedermann möglich gemacht, sich auf der Post ein sog. „Fach** zu
halten, um die Korrespondenzen nach Belieben abholen zu können. Die Gebühr
betrug damals 6 — 18 Fr. jährlich für Denjenigen, der sich zugleich die Porti
aufschreiben ließ und 4 — 10 Fr. jährlich für Denjenigen, der baar bezahlte.
1862 fand Erhöhung der Gebühr statt auf 6—24 Fr., resp. 8—12 Fr.; seit
der Transport Ordnung von 1876 gibt es „gewöhnliche Fächer" ä 1 Fr. per
Monat und „ Schloßfächer " a Fr. 1. 50 per Monat. Hiezu gesellten sich 1888
noch „Fahrpostfächer* k 7^ — 1 Fr. per Monat.
6) Die Laufzeddelgebtihr oder Gebühr für Reklamationen (20 Cts.) ist
die niedrgste, aber die älteste von allen, denn sie datirt von 1849.
Portofreiheit.
Im internen Verkehr ist Portofreiheit gestattet: 1) den Mitgliedern der
Bundesversammlung und deren Kommissionen während der Dauer der Sitzungen,
wenn sie sich am Sitzungsorte befinden; 2) den Behörden und Beamtungen der
Eidgenossenschaft, der Kantone, der Bezirke und der Kreise für die ein- und
ausgehende Korrespondenz, jedoch nur in Amtssachen ; 3) den Gemeindebehörden,
Pfarrämtern, Kirchenvorständen, Civilstandsbeamten, den Kontrolämtem für den
Handel mit Gold- und Silberabfällen für die unter sich und mit den Oberbehörden
in Amtssachen zu wechselnde Korrespondenz; 4) dem im eidgenössischen Dienst
stehenden Militär; 5) für die Korrespondenz an Arme und für Arme, sofern
dieselbe von kompetenter Behörde als Armensache bezeichnet ist.
Diese Portofreiheit dehnt sich auf alle Postgegenstände aus, die mit der
Briefpost versendet werden, nicht rekommandirt sind und das Grewicht von 2 kg
nicht übersteigen. Ein höheres Gewichtsmaximum ist für Sendungen der Tele-
graphenverwaltung und der Bundeskanzlei vorgesehen.
Portofrei sind auch die Geldsendungen, die an eidgenössische Behörden gehen
oder von denselben versendet werden, sowie Geldsendungen an Militärs im eidg.
Dienst, an Arme und für Arme, wenn von kompetenter Behörde als Armensache
bezeichnet.
Der Bnndesrath ist außerdem eimächtigt, für besondere Zwecke wohlthätiger
oder gemeinnütziger Art zeitweise Portofreiheit zu gewähren.
Im Verkehr mit dem Auüande werden nur auf den Postdienst bezügliche,
von Postverwaltungen ausgehende und für solche bestimmte Korrespondenzen
portofrei befordert.
Vertpfige.
Auf keinem Verwaltungsgebiete wie auf demjenigen der Post hat eine so
große Produktion von internationalen Verträgen stattgefunden. Es muß indeß
dem in der Einleitung erwähnten Spezialwerk überlassen bleiben, sich tiefer in
die Materie einzulassen, namentlich in Bezug auf die Zeit vor 1848. Die seit-
Post — 627 — Post
herige Periode kann füglich eingetheilt werden in eine Periode der internationalen
Einzelverträge (Vertragsabschlüsse von Land za Land) und in eine solche der
Weltpostverträge. Letztere Periode nahm ihren Anfang im Jahre 1874 und fiel
somit für die Schweiz in die Zeit des großen Fortschrittes, den ihr die revidirte
Bundesverfassung brachte.
Der erste Weltpostvertrag, d. d. Bern, 9. Okt. 1874, schuf aus 22 Staaten, unter
welchen auch die Schweiz, ein einziges Postgebiet („ Postverein ") für den gegen-
seitigen Austausch von Briefen, Korrespondenzkarten, Büchern, Zeitungen, Druck-
sachen, Waarenproben und Greschäftspapieren. Die Porti in diesem Vereinsverkehr
wurden einheitlich gestaltet, so daß die frühere Mannigfaltigkeit und Verschieden-
heit der Taxen im internationalen Postaustausch dahinfiel. Die Brieftaxe wurde
für das ganze Vereinsgebiet grundsätzlich auf 25 Cts. per 25 g festgesetzt, mit
der Bestimmung jedoch, daß die Vereinsländer berechtigt seien, für die See-
beforderung, wenn sie innerhalb des Vereinslandes 300 Seemeilen übersteige, einen
Zuschlag bis auf die Hälfte der einfachen Brief frankatur eintreten zu lassen. (Die
Schweiz bezog in der That bis 1. Juni 1883 für derartige Briefe 40 Cts. per
einfachen Portosatz; seitdem ist der Zuschlag fallen gelassen worden.) Damit war
der Grund zu einem ungeheuren Wachsthum des Vereins gelegt und er umfaßt
daher auch jetzt, anstatt wie anfänglich nur 22 Staaten, die gesammte zivilisirte
und halbzivilisirte Welt. Dementsprechend ist auch der Kreis der Vertragsmaterien
erweitert worden. Es wurden im Verlaufe der Zeit, theils für alle, theils nur für
einen Theil der Vereinsstaaten verbindlich, in die einheitliche Begulirung einbe-
zogen der Austausch von Werthbriefen, von Geldanweisungen, von Poststücken bis
b kg, von Waarenmusterpaketen, die Besorgung von Einzugsmandaten, die Identitäts-
nachweise (A. S. u. F. lU, V, VI, IX).
Eine besondere Stellung erhielt die Schweiz in diesem Postconcert dadurch,
daß ihr die Ueber wachung des auf ihrem Gebiete etablirten internationalen Post-
bureau (die gemeinsamen Angelegenheiten des Weltpostvereins vermittelndes
Organ) zufiel.
Entwicklung des Schweiz. Postyerkelirs seit 1848.
Folgende Tabelle zeigt, wie sich das sohweizerische Postwesen unter der
Leitung des Bundes entwickelt hat.
Post
— 628 —
Post
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Post
— 630 —
Post
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Schweiz
. . 13,4
Großbritannien
. . 184
Niederlande
. . 26,1
Deutschland
. 27,7
Belgien ....
. . 35,1
Dänemark .
. . ol,2
Italien ....
. . 57,5
Vers. Briefe
und Korr.-
Karten per
Einwohner
Um das Bild von der Bedeutnng der schweizerischen Post zu vervollständigenf
ist es nöthig, zu zeigen, wie sich letztere in einigen wesentlichen Punkten zu
der gleichen Institution anderer Länder verhält. Zu diesem Vergleich ziehen wir
nur europäische Länder und zwar die wirthschaftlich entwickeltsten herbei. Die
Daten beziehen sich auf das Jahr 1887 und stützen ^ich theils auf die Statistik des
interaationalen Postbureaus, theils auf die Statistik der Schweiz. Postverwaltung.
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arten i
inwohc
28,3
45,8
18,1
21,4
16,1
19,2
6,6
13,3
15,1
Oesterreich (ohne Ungarn) 67,7
Frankr. m. Algier u. Tunis 151,7
Einnahmen
p. Einw.
Ansgaben
p. Einw.
Reingewinn
p. Einw.
Fr.
Fr.
Fr.
7. 19
6. 67
0. 52
5. 85
4. —
1. 85
2. 82
2. 18
0. 64
5. 70
4. 90
0. 80
2. 60
1. 65
0 95
3. 20
3. 20
1. 47
1. 24
0. 23
3.
2. 50
0. 50
4. 22
3. 28
0. 94
Haftpflicht der Postverwaltung.
Gemäß Postregal vom 2. Juni 1849 haftet die Postverwaltung für den
Verlust und die Beschädigung der ihr mit Werthangabe anvertrauten Gegenstände,
ebenso für die ihren Eeisenden zustoßenden Postunfälle, ferner bis zum Betrage
von 50 Fr. für den Verlust eines rekommandirten Briefes, theilweise für den
Abgang von Reisendengepäck und von Sendungen ohne Werthangabe, ganz oder
theilweise für Nachnahmen und Einzugsmandate. Für die Verspätung von ein-
geschriebenen Postgegenständen und gerichtlichen Akt«n bestehen ebenfalls Ent-
schädigungöbestimmungen. Für das Postpersonal besteht seit 1. Jan. 1877 eine
Unfallkasse, gemäß Unfallverordnung vom 29. Sept. 1876 (ersetzt durch Ver»
Ordnung vom 30. Dez. 1881; vide A. S; n. F. 5, p. 920 und IX, 27) und in
Erwartung eines diese Materie ordnenden Bundeshaftpflichtgesetzes.
Die auf Grund der bisherigen Haftpflichten der Postverwaliung von letzterer
ausbezahlten Entschädigungen sind, soweit die Verwaltung darUber Statistik ge-
führt hat, in folgender Tabelle verzeichnet:
An oder {Wr Heisende .„ ^,^. ^. ri/^„-#..^-»^..-i Für Verluste, BeschAdi-
in FO.K. T».|t,.nK o. ^„»„^''J.r "'voriSn^n «^"^ ,?• y^T"""« ^'"
kOrperl. \orletzung. '* «ugcj» Postsendtmgtn
Fr. Fr. Fr. Fr.
Jahr
Total
1871
187^
1873
187i
1875
1876
1877
1878
1879
1880
1881
1882
1883
1884
1885
1880
1K87
1888
20,015. —
1,277. 25
1,971. 70
14,550. 25
0,751. 35
8,937. 06
2,02(). —
9,152. 00
3,510. —
4,191. —
9,912. 10
5,797. 15
9,003. .50
018. 05
497. 70
3.088. 90
220. 50
2,482. 80
5000.—
1,300. —
n22. —
1,328. 43
1,104. —
870. -
4,480. 30
4,090. 70
2,449. 59
5,239. 20
0,992. 90
7,970. 00
10,290. 20
21,521. 75
8,521.44
17,113. 03
08,505. 13
20,877. 75
15,105. 13
13,12.5.05
25,897. 90
23,035. 02
17,935. 53
15,228. 58
1,791. 98
11,942.35
4,811. 74
2,775. 55
12,420. 90
6,535. 30
10.991. 22
Fr.
41,536. 75
9,798. 69
19,085. 33
83,121.38
27,629. 10
24,042. 19
16,451. 05
35,872. 50
27,879. 45
23,230. 53
20,016. 68
12,075. 43
25,696. 55
7,879. 98
8,512. 45
22,502. 70
14,726. 4o
28,770. 22
Postsparkassen — 631 — Eh-eßbefefabriken
Postsparkassen« Die Anregung zur EinfUbrung der P. in der Schweiz ist
von Herrn Nationalrath Morel (Neuenburg) ausgegangen, indem derselbe im De-
zember 1880 im Nationalrathe folgende Motion stellte :
„Der Bundesrath ist eingeladen, Bericht zu erstatten über den Nutzen, welcher
dem Schweizervolke aus der Einrichtung einer Bundessparkasse, welcbe sanimt-
liche Postbureaux zu Filialen hätte, oder aas der Einhlhrung irgend eines andern
Systems, welches die Postbureaux dem Publikum zum Zwecke von Sparkassen-
Einlagen zugänglich machte, erwachsen würde**.
Die Motion wurde am 11. Juni 1881 erheblich erklärt und der Bundesrath
beauftragte in der Folge den Motionsateller, sowie den Sekretär des eidg. Finanz-
departementes, Herni Schneider, die Postjsparkasseneinrichtungen Belgiens (seit
1865 bestehend) zu studiren und darüber einen Bericht zu verfassen. Zu dem m
Zwecke verfügten sich die genannten Herren im September 1886 nach Brüssel.
Ihren Bericht erstatteten sie am 16. Febr. 1887. Das eidg. Finanzdepartement
will seinen Antrag in Sachen erst vor die eidg. Räthe bringen, nachdem das zur
2ieit (Mitte 1889) im Entwürfe liegende neue Banknotengesetz zur Reife gediehen
sein wird. Außer in Belgien besteht die Institntion der Postsparkassen auch in
England seit 1861/62, in Italien seit 1875/7(), in Holland seit 1880, in Frank-
reich seit 1881, in Oesterreich, Japan und in einigen englischen Kolonien. (Vgl.
die Schrift Morels „Die Postsparkassen". Bern, Dalp'sche Buchhandlung, 1882.)
Postzolldienst. Nur 36 Postbureaux sind mit der Verzollung von Post-
gegenständen betraut, nämlich: Im 1. ZolUftbiet Aarau, Basel, Luzern und
Pruntrut, Im 2. Zollfftbiei Dießenhofen, Kreuzungen, Romanshorn, SchafFhansen,
Winterthur und Zürich. Im 3. Zollf/ebiet Au, Buchs, Campocologno, Castasegna,
Chur, Martinsbruck, Puschlav, Rorschach, Rheineck, Samaden, Samnaun, St. Gallen,
St. Margarethen, St. Moritz-Bad, St. Moritz- Dorf, Schuls, Splügen, Vicosoprano.
Im 4. Zoll(febiet Chiasso und Luino. Im 5. Zollf/ebiet Chaux-de-Fonds, Lausanne
und Neuchätel. Im 6. Zollf/ebiet Bouveret, Genf- Bahnhof und Genf-Stadt.
Zollfrei sind die Gegenstände, für welche der Zollbetrag 5 Cts. nicht über-
steigen würde, ferner bei der Einfahr alle Poststücke von nicht mehr als Ya kg,
bei der Ausfuhr diejenigen unter 25 kg Gewicht. Von der ersteren Zollausnahme
profitiren namentlich ühren, Bijouterien und Uhrensteine. Es ist vom Schweiz,
handelsstatistiöchen Bureau berechnet worden, daß der zollfreie Post verkehr über
Basel allein eine Werthsumme von 1' 500,000 Fr. jährlich involvire. An Be-
deutung folgt Genf, über welches viele Postsendungen mit Seide zum Färben nach
Lyon gehen. Insgesammt wird der zollfreie Postverkehr auf 5 Millionen Franken
veranschlagt. Die Postzolleinnahmen beliefen sich 1885—88 jährlich auf 805,000
bis 985,000 Fr.
Poult de soie bildet eine Spezialität der zürch. Seiden waarenfabrikation.
Präzisionsinstrumente. Die Fabrikation physikalischer Präzisionsinstru-
mente hat in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten bedeutende Ausdehnung
erlangt. Sie vermag nicht bloß den inländischen Bedarf zu decken, sondern
exportirt noch in beträchtlichem Maße. Von ca. 60 Firmen sind dem Fabrikgesetz
Ende 1888 3 Etabl. (2 Schaifhausen, 1 Genf) unterstellt.
Pratteln-Sehweizerhalle s. Centralbahn.
Preise der Lebensmittel. Eine dem Lexikon zugesagte Arbeit ist nicht
eingetrotFen. Eine ausführliche Bearbeitung der Materie steht auf dem Arbeits-
programm des eidg. statistischen Bureau.
Presse s. Zeitungen und Zeitschriften.
Presshefefabriken. Dem eidg. Fabrikgesetz sind (Juni 1889) 3 Etabl.
unterstellt: Außersihl, Angenstein und Laufen (Kt. Bern).
Printaniferes — 632 — Pulver
Printanieres. Aas gefärbtem Garn dreischäftig (croisirt) in mannigfaltigen
Farben gewobene Baumwollgewebe, die arsprünglicb vermutblich eine Nacb-
abmung bedruckter Artikel waren. Die Fabrikation derselben kam im Anfang
dieses Jahrhunderts im Toggenburg (St. Grallen) auf und entwickelte sich später,
nach Einführung des Jacquardstahles, der eine mannigfaltigere Musterung ge-
stattete, zu großem Umfang für den Export nach der Levante, als billige Imi-
tation der halbseidenen Gewebe der Orientalen.
Pruntrutergeschirr. Dasselbe wird in Bonfol (Berner Jura) gemacht, wo
sich hiefür seit langer Zeit eine ziemlich ausgedehnte Klein industrie gebildet bat.
Trotz äußeret primitiver Einrichtungen (gemeinsame Oefen, die in bestimmtem
Turnus benutzt werden etc.) und trotz nur einmaligem Brennen ist das Pruntruter-
geschirr für gewisse Zwecke ohne jede Konkurrenz. Die vorzügliche Thonerde
ermöglicht die Erstellung eines für gewöhnliche Kochzwecke äußerst feuerfesten
Geschirrs.
Pulver. (Mitgeth. vom eidg. Pulververwalter, Herrn Welti.) 1) Gesetze
und Verordnungen. Das Bundesgesete vom 23.30. April 1849 erklärt
Fabrikation, Verkauf und Einfuhr des Pulvers als ausschließlichen Recht der
Eidgenossenschaft, regelt den Pulverhandel, bezeichnet die Strafen für Zuwider-
handlungen und bestellt zur Leitung des Regales einen Palververwalter.
Durch bundesräthliche VoUziehungsverordnung vom 7. Mai 1849 wurde die
Aufhiebt über das Pulverregal dem eidgenössischen Finanzdepartement tiberwiesen.
Zur unmittelbaren Leitung der Fabrikation und des Verkaufs waren dem Pulvcr-
verwalter Magaziuverwalter beigegeben, deren Obliegenheiten hauptsächlich be-
standen iu der Prüfung, Magazinirung und dem Verkaufe des Pulvers, sowie der
daherigen Rechnungsstellung. Femer wurden die Erfordernisse zur ßrlangnng
der Pulververkaufspatente und die Provisionen an die Verkäufer festgesetzt.
Die bundesräthliche Verordnung vom 9. Juli 1849 über den Verkauf des
Schießpulvers schreibt für die ganze Schweiz die gleichen Pulverpreise vor. Für
die Kantonsregierungen, welche das Pulver direkt aus den eidgenössischen Maga-
zinen beziehen, wird ein ermäßigter Preis bewilligt.
Den Pulverpreis betretfen ferner die bundesräthlichen Verordnungen vom
9. Dezember 1851, 23. Juni 1856, 23. Januar 1857, 29. September 1865,
19. Oktober 1872 und 23. August 1877. Gegenwärtig (1889) beträgt der Ver-
kaufspreis des an Private abzugebenden Pulvers per kg offen je nach der Nr.
Fr. 1. 60, 2. 60, 2. 80 (Sprengsatz 80 Cts. per kg).
Durch weitere Verordnung des Bundesrathes vom 5. Juni 1850 wurden
die Besoldungen der Magazinverwalter und die Provisionen der Pulver Verkäufer
neu regulirt.
Das Bundesgeseiz vom 30. Juni 1850 über die Reorganisation der Pulver-
verwaltung erweiterte diese durch die Anstellung eines Adjunkten des Pulver-
verwalters, eines dem Militärdepartement unterstellten Pulverkontroleurs und eines
weitern Magazin- respektive Bezirksverwalters, welchem die dem Pulververwalter
bis dahin direkt unterstellten Pulvermühlen und der zugehörige Pulververkauf
übertragen wurde. Die vordem theilweise auf ProviBionen angewiesenen Magazin -
Verwalter erhielten nun als Bezirksverwalter fixe Besoldungen.
Die bezügliche Voll Ziehung;^ Verordnung des Bundesrathes vom 17. Christ
monat 1858 bestimmte die Obliegenheiten und Kompetenzen sämmtlicher Beamten
und Angestellten.
Der Bundesraihsbeschluß vom 26. Weinmonat 1862 über die Abänderung
der Organisation der Pulververwaltung beseitigte die bisher im Akkord betriebene
Pulver — 633 — Pulver
Palverfabrikation durch die Einführung des Regiebetriebes und enthielt die dies-
falls nöthig werdenden Organisationsvorschriften, welche ergänzt wurden durch
die Verordnung vom 23. Weinmonat 1863 betreffend die nähere Einrichtung
nnd die Geschäftsführung der Pulver Verwaltung.
Durch das Bundesgeseiz vom 26. Heumonat 1873 wurde der Begriff des
Palverregals in der Weise eingeschränkt , daß Explosivstoffe , welche zum
Schießen untauglich sind, nicht unter das Regalgesetz fallen.
Die Verordnung vom 14. Juli 1885 über die Einrichtung und Geschäfts-
führung der Pul verver waltung ändert die Kompetenzen und Besoldungen einzelner
Beamten und Angestellten, sowie die Löhnungen der Pulvermühle- Arbeiter.
Durch das Bundesgesetz vom 8. Juli 1887 betreffend die Neuorganisation
des Bundesrathes ist das Pulverregal dem Militärdepartement unterstellt worden.
2) Pulvermühlen. Von den kantonalen und Privat-Pulvermühlen, welche
in Folge der Einführung des Pulverregals von der Eidgenossenschaft übernommen
oder abgelöst werden mußten, wurden acht beibehalten, nämlich diejenige von
Echandens (später nach Aubonne verlegt), Langnau, Thun, Worblaufen, Kriens,
Altstetten bei Zürich, Goßau (St. Gallen) und Chur. Diese Mühlen waren
sämmtlich nach dem System der Stampfwerke eingerichtet und hatten eine jähr-
liche Leistungsfähigkeit von je zirka 50,000 bis 60,000 kg Pulver. Um ein
möglichst einheitliches Fabrikationsverfahren zu erreichen, wurde auf die successive
Reduktion der acht Mühlen auf drei Werke Bedacht genommen. Im Jahre 1861
wurde die Mühle zu Altätetten, die überdies wegen ungenügender Betriebskraft
zur Winterszeit nicht arbeiten konnte, aufgehoben ; es folgten Langnau und Thun
1864, Goßau 1873, Kriens 1885. Die drei noch bestehenden Fabriken zu
Aubonne, Worblaufen und Chur wurden inzwischen nicht nur der quantitativen
Leistungsfähigkeit entsprechend erweitert, sondern auch in Betreff der Einrich-
tungen von Grund aus umgeändert. Die alte Methode der Eohlenbereitung in
offenen Kesseln wurde durch die Destillation des Holzes in geschlossenen Cylindern
ersetzt und an die Stelle der Stampf werke traten zur Bearbeitung des Pulver-
satzes die Meugetonneu und die schweren Läuferwerke.
3) Material. Die Materialien zur Pulverfabrikation müssen mit Ausnahme
des Holzes vom Auslande bezogen werden. Bis 1868 wurde ein verhältnißmäßig
großer Antheil des Salpeterbedarfes von inländischen Produzenten geliefert. Es
war dies Rohsalpeter, der in den eidgenössischen Rafiinerien zu Bern, Luzern
und Goßau nebst ostindischem Rohsalpeter rafiinirt wurde. Seit der Entdeckung
der Staßfurter Kalisalze wird der meiste Kalisalpeter durch Zersetzung des
Salpetersäuren Natrons (Chilisalpeters) durch Chlorkalium hergestellt und zwar
zu so billigem Preise, daß das Rafüniren des natürlichen Kalirohsalpeters, weil
kostspieliger, aufgegeben werden mußte. Ein Versuch, die künstliche Salpeter-
fabrikation auch in unser n Raffinerien einzuführen , scheiterte an den hohen
Frachten und Eingang^zÖlIen und dem Umstände, daß bei der Umsetzung der
genannten Salze außer Kalisalpeter in großer Menge als Nebenprodukt auch
Kochsalz entsteht, dessen Verkauf des kantonalen Salzregales wegen unthunlich
war. Die letzte Salpeterraffinerie am Saudrain bei Bern wurde 1869 aufgehoben
und es wird der Kalisalpeter seither in raffinirtem Zustande vom Auslande bezogen.
Zur Bereitung der Pulverkohlen wurde früher ausschließlich Haselholz
gebraucht. Seit einer Reihe von Jahren wird statt dieser Holzart da^ weichere
Faulbaum- und Erlenholz verwendet und zwar in geschälten Stäben von höchstens
4 cm Dicke. Die Verwaltung bezahlt dafür 9 Fr. für 100 kg franko auf die
dem Lieferanten nächstliegende Eisenbahnstariou geliefert.
Pulver — 634 — Pulver
Der Schwefel wird in reinem Zustande und fein gemahlen aus den italieni-
sehen Raffinerien bezogen. Das Pulverisiren wurde aufgegeben, nachdem durch
wiederholte elektrische Entladungen der Mahltonnen sich ergeben hatte, daß diene
Operation in den Pulvermühlen nicht ohne Gefahr ausgeführt werden kann.
4) Organisation der Fabrikation und des Verkaufs vgn
Pulver. Von 1849 bis 1862 wurde die Pulverfabrikation von patentirten Pulver-
müllern in Akkord betrieben. Das Material lieferte ihnen die Verwaltung, mit
Ausnahme des Kohlenholzes, welches sie selbst zu beschatten und stets in einer
für zwei Jahre hinreichenden Menge vorräthig zu halten hatten. Das erforderliche
Arbciterpersonal stellten die Pulvermüller in ihren Kosten an. Als Bezahlung
erhielten sie für 50 kg vom Magazin Verwalter (von 1859 an auch vom Pulver-
kontroleur) als gut deklarirtes Pulver 10 Fr. ; schlechtes Fabrikat hatten sie
auf eigene Kosten umzuarbeiten, wogegen ihnen sowohl als den Arbeitern fllr
besonders gute Leistungen Extravergütungen ausgerichtet wurden. Dieses Ver-
hältniß änderte sich mit dem Uebergange zum Regiebetrieb im Jahre 1863.
An die Stelle der am finanziellen Erträgniß persönlich betheiligten Pulvermüller
traten fix besoldete Contremaitres und ein von der Verwaltung bezahltes Arbeiter-
personal. Die Lieferung des sämmtlichen Fabrikationsmaterials Übernahm die
Verwaltung, ebenso den Unterhalt der Gebäude und Apparate, der vorher in
gewissen Fällen den Pulvermüllern oblag. Die Leitung und Beaufsichtigung der
Pulverfabrikation steht seither direkt unter den Bezirksverwaltern, deren Obliegen-
heiten bis dahin mehr den Pulverhandel als die Fabrikation betrafen. Für den
Palververkauf war das Gebiet der Kidgenossenschaft anfangs in sechs Bezirke
eingetheilt mit je wenigstens einer Pulvermühle als ungefähren Mittelpunkt. An
der Spitze von fünf Bezirken standen Magazin Verwalter, denen für die Lagerung
und Spedition des Pulvers je ein Magazinwärter beigegeben war. Der zweite
Bezirk umfaßte drei Pulvermühlen und stand unter der direkten Leitung de*
Pulververwalters. Anläßlich der lleorganisation vom Jahre 1858 erhielt auch
dieser Bezirk eine eigene Verwaltung Mit der allmäligen Konzentration der
Pulverfabrikiition auf drei Mühlen trat eine Reduktion der Bezirke ein, so zwar,
daß die Magazine der aufgehobenen Mühlen zu Kriens, Altstetten und Goßau
bestehen blieben und andern Verwaltungen zugetheilt wurden. Der Pulverhandel
des III. und IV. Bezirks (ehemals Luzern und Altstetten) wird zur Zeit unter
Mitwirkung eines Magazin Wärters zu Luzern von der Zentralverwaltung in Bern,
derjenige des ehemaligen V. Bezirks von der Verwaltung des nunmehrigen
IV. Bezirks in Chur besorgt. Die Verwaltungen des I. und II. Bezirks befinden
sich in Aubonne und Worblaufen.
5) Resultate. Die Leistungen des Pulverregals in Bezug auf Fabrikation
und Absatz der Produkte, sowie die Nettoerträgnipse seit 1850 ergeben sich
aus der mitfolgenden Zusammenstellung, aus welcher ferner ersichtlich ist, daß
der Bedarf an Pulver zur Zeit der großen Eisenbahnbauten so bedeutend war,
daß die eigene Produktion demselben nicht zu genügen vermochte. Seither ist
der jährliche Bedarf auf dem normalen Betrag von iJ 50,000 bis 400,000 kg
stehen geblieben.
Einfuhr Verkauf N«tto-Ertr»g
kjc kff Fr.
— 14i,411 10,840
— 153,2(>J 61,789
— 143,095 85,773
30,0(K) 197,093 98,646
61,303 -219,837 86,338
7r,,460 tJ93.4s5 135,915
Jahr
Fabrikatiou
kyr
1850
151,396
1851
144,725
1852
160,141
1853
154,767
1854
172,900
1855
200.0.55
Pulver — 635 — Pulver
Jahr
Fabrikation
Einfuhr
Verkauf
NtttO'Ertrag
V wut
kg
kK
kK
Fr.
1856
332,273
57,519
376,539
138,640
1857
345,052
187,955
439,162
54,458
1858
353,910
206,447
562,420
238,211
1859
323,208
339,814
495,632
169,579
1860
319,787
86,075
393,010
96,908
1861
428,476
370,805
124,027
1862
410,872
158
302,616
111,900
1863
249,178
—
347,525
105,985
1864
264,574
—
333,107
127,700
1865
293,570
—
285,709
43,426
1866
299,963
—
575.505
92,666
1867
290,619
263,881
105,251
1868
292,570
306.222
100,550
1869
311,726
289.590
109,495
1870
246,164
331,690
115,592
1871
245,474
—
338,578
101,915
187-2
314,054
239,000
434,710
154,902
1873
322,463
373,000
583,521
92,503
1874
363,002
313,500
866,558
140,814
1875
546,303
305,873
701,646
155,411
1876
538,293
70,000
615,059
151,765
1877
437,447
—
404,296
94,942
1878
291,338
—
358,876
97,884
1879
340,258
—
365,ai.4
78,790
1880
358,937
—
444,H84
138,975
1881
393,039
—
410,725
148,oi07
1882
429,448
—
310,360
88,738
1883
440,135
—
324,850
87,425
1884
428,118
350,186
88,002
1885
372,3 13 .
—
378,399
125,439
1886
340,036
363,167
151,310
1887
415,436
421,401
134,891
1888
393,135
—
417,756
165,905
6) Wiederverkänfer. Diese bedürfen eines Patentes. Um ein Rolche»
zu erlangen, muß das bezügliche Begehren an die zuständige Kantonsregierung
gerichtet werden, welche es nebst Bemerkungen über die Requisite des Petenten
der eidgenössischen Behörde übermittelt. Die Zahl der Wiederverkäufer beträgt
(Sept. 1888) 282, d. i. im Kt. Aargau 14, Appenzell A.-Rh. 6, Appenzell L-Rh. 2,
Baselland 5, Baselstadt 2, Bern 50, Freiburg 6, Genf 10, Glarus 6, Grau-
bünden 26, Luzern 10, Neuenburg 10, Nidwaiden 3, Obwalden 2, St. Gallen 22,
Schaffhausen 4, Schwj^ (>, Solothurn 6, Tessin 20, Thurgau 7, Uri 2, Waadt 27,
Wallis 9, Zürich 26, Zug 1.
7) Zündkapseln und Patronenhülsen. ■ Unter Leitung des Pulver-
verwalters stand seit 1849 auch die eidg. Zündkapseifa brik. Gegründet 1841
zu Deißwyl bei Bern, wurde die Fabrik im Jahre 1054 in einen Neubau nach
Eönitz verlegt. Die Betriebskraft lieferte der Sulgenbach. Ihre quantitative
Leistungsfähigkeit war längere Zeit ungenügend, so daß, um dem Bedarfe Genüge
zu leisten, zu wiederholten Malen Zündkapseln vom Auslande bezogen werden
mußten. Nach entsprechender Erweiterung der Einrichtungen im Jahre 1862
war die Produktion in der Folge ausreichend. Die größte Jahresproduktion betrug
10^500,000 Stück Zündkapseln, das höchste Erträgniß 10,416 Fr.
Mit der Einführung der Hinterladungswatfen im »Tahre 1867 erreichte die
Zttndkapselfabrikation ihr Ende und es trat an deren Stelle die Anfertigung der
metallenen Patronenhülsen. Da Erfahrungen und Spezialm aschinen zur Herstellung
solcher Hülsen vorerst nicht zu Gebote standen, wurde getrachtet, die vorhandenen
Pidver — 636 — Räthe
Apparate zu diesem Zwecke umzuändern. Es gelang dies mit den Prägmaschinen,
während die Hülfsapparate, theilweise vom Pei*sonal der Fabrik, neu angefertigt
wurden. Die Hülsenfabrikation stand in vollem Betriebe, als deren Leitung im
Jahre 1869 an die Verwaltung des eidgen. Kriegsmaterials überging. Seither ibt
die Fabrik eingegangen ; die Gebäulichkeiten dienen gegenwärtig der Telegraphen-
Verwaltung als Materialdepot.
Pumpwerkfabriken. 6 Firmen (5 Genf. 1 Zürich) im Handelsregister.
PutzfadeDwascherei. ö Firmen in den Kantonen Zürich, Glarus, Thnrgau.
Putzmacherei« Diesem über die ganze Schweiz verbreiteten Erwerbszweig
lagen im Jahre 1880 3370 Personen ob = 0,26 ^/o aller Erwerbsthätigen oder
0,6 ^/o der Gruppe Industrie. Die Blumenmacherei mit 336 Personen ist hievor
nicht inbegriffen.
Putzpulverfabrikt. 3 Firmen: Rheinfelden, Chaux-de-Fonds, Frauenfeld.
Pyrit (zur Schwefelsäurefabrikation dienend) kommt vereinzelt im Wallis
(Val de Terr6), im Jura und im Tessin vor, ist aber zu wenig schwefelreich
um mit dem südspanischen und französischen Pyrit konkurriren su können.
Schweizerischer Bedarf jährlich 3000—3500 t.
Pyrotechnische Präparate (Feuerwerkerartikel) werden in 3 größeren
Laboratorien (Bauen bei Isleten, Emmishofen, Oberried am Brienzer See) und in
ca. 10 kleineren Geschäften hergestellt. Einfuhr und Ausfuhr gering. Der Ge-
schäftszweig ist hauptsächlich von den Festlichkeiten abhängig. Jährliche Pro-
duktion-durchschnittlich Fr. 100,000—120,000.
Quarzsand: Fundorte sind Bellelay, Fuet, Montier und Souboz, sämmtliche
Ortschaften im Kt. Bern.
Quincaillerie s. Kurzwaaren.
Räthe, gesetzgebende der Eidgenosselischaft. (Für die Zeit vor
1848 mitgetheilt von Herrn Dr. Strickler in Bern.) Der Natur der alten
Eidgenossenschaft gemäß hatte diese keine Räthe in unserem Sinne, sondern nur
Boteriy Gesandte der „Orte'* (Stände, Kantone, Bundesglieder etc.) ; ganz ebenso
war es ja im Alterthum bei ähnlichen Staatskörpern gewesen, und ganz das
Gleiche finden wir im Mittelalter bei den mannigfaltigsten Bünden von Städten
oder anderen Ständen, ja selbst bis in unsere Zeit hinein. Man kann dabei be-
tonen, daß es die Ohrufkeiten waren, die solche Boten wählten und versandten ;
daß die vornehmsten oder einflußreichsten, gelegentlich aber auch die mit einer
schwebenden Frage am besten vertrauten Mitglieder der Stadt- oder Landräthe
verwendet zu werden pflegten, und daß hierin einige Abwechslung sichtbar ist,
die freilich nicht durchwegs erklärt werden kann; daß die Obrigkeit dem oder
den Boten eine Instruktion^ bisweilen eine mehr oder weniger bedingte Vollmacht
mitgab, zuerst wohl nur mündlich, aber mehr und mehr auch schriftlich, daß
endlich sie den Boten bezalille resp. ihm die Kosten vergütete, was sich in
jedem „Ort-* nach einem gewissen Maßstab richtete. Die Reise war ein JRitt;
in einzelnen Städten erhielt der Bote das uöthige Pferd aus einem öffentlichen
Marstall; auch die etwa erforderliche Begleitschaft wurde aus öffentlichen Mitteln
freigehalten. In älterer Zeit schickte jeder Ort in der Regel einen Boten; die
Obrigkeit des Ortes, wo „der Tag geleistet *", d. h. die Zusammenkunft gehalten
wurde, ließ sich aber oft stärker vertreten.
Die Namen der bisher ermittelten Gesandten verzeichnen die eidgenössischen
^»Abschiede**. Zur Erklärung der folgenden Daten muß bemerkt werden, daß die
2^hl der ^Tage'' in älterer Zeit, besonders vor 1415 und noch lange nachher,
nicht tixirt war; man trat eben zusammen, wie und wo es die Umstände
I
Räthe — 637 — Rüth&
erforderten, da sich nicht alles durch Eorre8iK)ndenz erledigen ließ; aach ver-
bandelten oft nur zwei, drei oder vier Orte in ihren besonderen Angelegenheiten
miteinander. Die Sitzungen dauerten in manchen Fällen kaum einen halben Tag}
in schwierigen Geschäften aber, besonders wenn Gresandte von auswärtigen Mächten
widersprechende Anträge stellten, oder wenn ernste Zerwürfnisse vorlagen, dehnte
sich die Verhandlung auf mehrere Tage aus. Seit 1415, d. h. seit der ersten
Errichtung gemeiner Vogteien (Baden, dann Freiämter etc.) mehrten sich die Geschäfte
bedeutend, da die Amtsführung der Vögte geprüft und mancherlei Streitsachen
entschieden werden mußten; es wurde daher für die betheiligten Orte alljährlich
eine „ Jahrrechnung " gehalten, womit dieselben gerne auch andere Dinge ver-
banden. Daß sodann Kriegszeiten häufige Berathungen erforderten, ist selbstver-
ständlich. So finden wir in der Periode von 1421 — 1477 (Bd. II der Abschiede)
einzelne Jahre mit 19 — 21 eidgen. Tagen besetzt, das Jahr 1477 zählt deren
sogar 60. Als Sitzungsorte waren bevorzugt Baden, Bern, Zürich und besonders
Luzern. Was die Zahl der Boten betrifft, die ein bestimmter Ort in der genannten
Periode neben- oder nacheinander verwendete, so ergibt die Zählung für Zürich 58
Personen, Bern 53, Luzern 52, üri 36, Schwyz 42, Glarus 44 u. s. w. Von
den Genannten erscheinen die Meisten selten, während andere 10 — 30 oder auch
mehr als 50 Mal vorkommen. Dies gilt auch für spätere Zeitabschnitte und be-
darf keiner weitläufigen Darstellung.
Wie das politische Leben der Schweiz sich später noch steigerte, folglich
auch eine große Zahl von Männern auf eidg. Tagen beschäftigte, mögen folgende
2iahlen andeuten. Für die Jahre 1500 — 1520 sind im Ganzen 845 Tagleistungen
verzeichnet; auf das Jahr fallen also durchschnittlich 40. In den 12 Jahren von
1521 — 1532 sind 1395 Tage konstatirt, was per Jahr 116 ausmacht. Die 4
letzten Jahre dieses Abschnittes verzeigen mit 780 Nummern eine förmliche
Springflut, und zwar fallen auf 1529 allein 244 Tage, so daß man zu behaupten
versucht ist, es sei damals kein Kalendertag ohne irgend eine eidg. Verhandlung
verflossen, da eben viele mehr als einen Tag dauerten.
Ein Jahrhundert überspringend, in dem die Geschäftsführung der Tagsatzung
sich formell etwas entwickelt, die innere Harmonie der Stände aber sich nicht
gebessert hatte, gelangen wir zu dem Zeitraum von 1649 — 1680, der im
Gkmzen 732 Tage aufweist, von denen das Jahr 1658 nicht weniger als 43 in
Beschlag nimmt, während 1657 noch 36, 1655 35, 1056 31, 1674 34 ver-
zeigt, und die kleinste Zahl — 10 — auf 1669 fällt. Von diesen zahlreichen
Tagleistungen sind aber nur je 1 — 3 als gemeineidgenössische zu betrachten,
d. h. als solche, an denen alle XIII Orte oder diese nebst den „Zugewandten**
theilnahmen; die übrigen fallen unter die Kategorien von „ Jahrrechnungen *",.
„ Konferenzen ** oder „Parteitagen'*. Die Zahl der Gesandten, die da auftreten, mag
einen Fingerzeig bilden für die Bewegungen in einzelnen Ständen. Appenzell (in
Außer- und Inner - Boden getheilt) hatte auf vielen Tagen nichts zu thun
und erscheint dementsprechend mit der kleinsten Zifier : 1 8 ; es folgt Schalfhausen
mit 25, Luzern, Glarus und Basel mit je 37, Zürich mit 39, Freiburg mit 43,
Solothurn mit 45, Bern mit 50, Unterwaiden mit 59, üri mit 60, Zug mit 65,
Schwyz mit 78 i?).
Bis zur letzten Periode der Xlll-örtigen Eidgenossenschaft (1778 — 1798)
hatte sich die Geschäftsordnung für die Tagsatzung völlig festgesetzt. Die Regel
bildete für jede Gruppe von Ständen, die eine oder mehrere gemeine Vogteien
besaßen, ein Jahrrechnungstag ; daneben gab es alljährlich einen gemeineidgenössischen
Tag, wo auch diejenigen Stände erschienen, die keine „Mediatlande** hatten»
Räthe — 638 — Räthe
Uebung (aber nicht Vorschrift) war ferner, daß zu diesem Tag jeder der XIII
Orte ewei Boten sandte, die freilich nur eine Stimme führen konnten. Aas den
Boten waren „Ehrengeeandte** geworden, und wenn zur Vorberathuug irgend
•einer häkligen Frage ein Ausschuß bestellt wurde, so war dies eine ^Ehren-
kommission'^ u. s. w. Die Gesandten entfalteten mehr oder weniger Pomp und
hatten, besonders in Baden und Frauenfeld, gute Tage, deren Genüsse sie zu
schätzen wußten. ')
Diese Herrlichkeit nahm im Frühjahr 1798 ein jähes Ende. Die Tagsatznng
verdrängte jetzt eine vorwiegend bäurische Volksvertretung, die in zwei Kammern
gelheilt war und samthaft den „gesetzgebenden Körper *" (Corps legislatif etc.)
bildete; die eine hieß Senat, die andere Großer Ruth; für jenen hatte jeder
der 18 Kantone der „einen und untheilbaren helvetischen Republik** 4, fUr diesen
8 Mitglieder zu wählen, deren Amtsdauer auf 8, resp. 6 Jahre bestimmt war,
jedoch mit Partialerneuerung. Die erste verfassungsmäßig gültige Sitzung fand
am 12. April in Aarau statt, wo die neuen Behörden bis zum 20. Sept. blieben.
Am 4. Oktober vereinigten sie sich in Luzern; Ende Mai 1799 zogen sie nach
Bern, das nun die längst gesuchte Ehre genoß, den Mittelpunkt der umgemodelten
Schweiz zu bilden. Die „Repräsentanten** bezogen ein Jahrgehalt, das sie an-
fänglich auf 275 Louisd'or bemessen hatten, bald jedoch, der Finan/noth wegen,
herabsetzen mußten nnd nur in spärlichen Vorschüssen genossen. Im Herbst 1799
wurde ein Vierttheil des Senats ausgeloost und durch Neuwahlen ersetzt. Bald
hernach traten tiefer greifende Aenderungen ein, die man kurz als Parteikämpfe
und Verfassungswirreu bezeichnen kann ; sie fanden ihren Abschluß durch das
Einschreiten Konsul Bonaparte's, der sich die Rolle des Vermittlers anmaßte und
in der „ Mediationsakte ** vom 19. Febr. 1803 die Eidgenossenschaft als Staaten-
bund wieder herstellte, dabei aber die Unterthanenverhältnisse beseitigte und 6
neue Kantone schuf. In wenig veränderter Ordnung wurden seitdem die allge-
meinen Angelegenheiten durch eine Taysaieaiuß besorgt, der allerdings ein „Land-
ammann der Schweiz** vorstand. Die Verfassung schrieb die Abordnung je eines
Gesandten vor, dem aber 1 oder 2 andere beigegeben werden konnten ; die Ver-
treter von 6 größeren Kantonen hatten übrigens Doppelstimmen. Selbstverständlich
wurden alle von den Kantonen bezahlt; indes sollte der „ Direktorialkanton ** fUr
die Wohnung der Deputirten sorgen. Erst 1812 wurde festgesetzt, daß die Mit-
glieder der Kommission, die zur Prüfung der Rechnung des Landammanns berufen
wurde, die Reisekosten und 8 Fr. (a. W.) Taggeld erhalten sollten. Ein Blick
auf den Personalbestand der Gesandten bestätigt die früher gemachten Wahr-
nehmungen; einzelne Rathsherren schienen unentbehrlich oder unzertrennlich ver
bunden zu sein. Neben 11 ordentlichen Tagsatzungen, die etliche Wochen zu
dauern pflegten, mußten 4 außerordentliche abgehalten werden.
Die letzte Periode der Tagsatzungsherrschaft, die von 1814 — 1848 reicht,
brachte auf Grund des Fünfzehner- Vertrages wenig Neues. Die Stelle des Land-
ammanns war indes mit Ende 1813 untergegangen; dagegen hat die Chronik
der nächstfolgenden Jahre eine Erweiterung des Gebietes, namentlich den Anschluß
der Kantone Wallis, Genf und Neuenburg zu verzeichnen. Von 1815 — 1830
fand keine außerordentliche Zusammenkunft statt; von da an folgten 7 solche,
wogegen die ordentlichen mehrmals lange dauerten. Rechtlich hatte jeder der
22 Kantone nur 1 Stimme, die Halbkantone nur halbe Stimmen; die Regel war
indes, daß sich ^lle durch je zwei Gesandte vertreten ließen; wenige fügten einen
*j Von den Bestechungen, die das alte Regime entehrten, braucht hier nicht weiter
^'osprocheu zu werden.
Räthe — 639 — Räthe
dritten bei. Bemerkenswerth i^t vorzüglich, daß die „Repräsentanten'*, die ungefähr
die Stellang von eidg. Kommissären einnahmen, aus der Bundeskasse entschädigt
werden sollten; sie waren jedoch eine seltene Erscheinung.
Einzelne Züge dieser Ordnung haben sich in dem „Ständerath*" erhalten;
das Prinzip der Einheit und der Volksvertretung, das in der „Helvetik" herrschte,
ist im „Nationalrathe" wieder aufgelebt.
Diese beiden Räthe wnrden durch die Bundesverfassung von 1848 geschaffen.
Als Ganzes bilden sie die „ Bundesversammlung**, welche sich erstmals am 6. Nov.
1848 konstituirte. (An diesem Tage hörte die Kompetenz der Tagsatzung auf.)
Die Verfassung von 1848 überträgt der Bundesversammlung die Ausübung der
obersten Gewalt; die Verfassung von 1874 ebenso, jedoch unter Vorbehalt der
Rechte des Volkes und der Kantone. Beide Verfassungen schreiben für den
Nationalrath je ein Mitglied auf 20,000 Einwohner vor, für den Ständerath je
2 Abgeordnete per Kanton, resp. 1 per Halbkanton.
Während beim Nationalrathe alle 3 Jahre Gesammterneuerung stattfinden
muß, wobei Wieder Wählbarkeit erlaubt, ist der Ständerath als Ganzes an keine
Wahlperiode gebunden, sondern es richtet sich die Dauer des Mandates eines
jeden Mitgliedes nach dem Willen des Kantons, welchen es repräsentirt. Die
13 Kantone Aargau, Appenzell I.-Rh., Baselland, Bern, Genf, Luzern, Neuen-
bürg, Nidwaiden, St. Gallen, Tessin, Uri, Waadt und Wallis wählen ihre Stände-
rathsabgeordneten auf 1 Jahr, die 11 Kantone Appenzell A. -Rh., Baselstadt,
Glarns, Graubünden, Obwalden, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Thurgau, Zürich
und Zug auf 3 Jahre , Freiburg auf 2 Jahre. Der in einigen Kantonen für
kantonale Beamtungen bestehende AmUzwang wird nicht auf die Ständeraths-
wahlen ausgedehnt.
In den Kantonen Aargau, Appenzell I.-Rh., Baselland, Baselstadt, Bern,
Freiburg, Genf, Luzein, Neuenburg, St. Gallen, Schwyz, Tessin, Waadt und
Wallis ist es der gesetzgebende Rath (Kantonsrath, Großer Rath, Landrath),
welcher die Ständeräthe wählt. In den Kantonen Appenzell A.-Rh., Glarus,
Graubünden, Obwalden, Nidwaiden, Schaffhausen, Solothurn, Thurgau, Uri, Zürich
und Zug trifft das Volk selbst die Wahlen.
Wählbar in den Nationalrath ist jeder stimmberechtigte Bürger weltlichen
Standes und stimmberechtigt ist jeder Schweizerbürger, der das 20. Altersjahr
zurückgelegt hat und in dem von ihm bewohnten Kanton nicht vom Aktiv
bürgerrecht ausgeschlossen ist. Für den Ständerath besteht seitens der Bundes-
verfassung die Ausschließung des geistlichen Standes nicht, nichtsdestoweniger
hat noch kein aktiver Geistlicher seinen Einzug in den Ständeratlissaal gehalten.
Zu den Aufgaben und Befugnissen der Bundesversammlung gehören haupt-
sächlich (Art. 85, B.-V. 1874):»
1) Der Erlaß von Gesetzen über die Organisation und die Wahlart der Bun»les-
behörden. 2j Der Erlaß von Gesetzen und die Beschlußfassung über diejenigen Gegen-
stände, zu deren Regelung der Bund nach Maßgabe der Bundesverfassung befugt ist.
3j Besoldung und Entschädigung der Mitglieder der Bundesbehörden, Errichtung bleibender
Beamtungen und Bestimmung ihrer Gehalte. 4) Walil des Bundesrathes, des Bundes-
gerichtes, des Bundeskanzlers, des Generals der eidg. Armee. * 5) Die Ratifikation von
' Ueber diese Materie differiren die Verfassungen von 1848 und 1874 nur wenig.
Die erstere geht etwas weiter und etwas mehr in's Detail.
' Die 18i8er Verfassung reservirte der Bundesversammlung auch die Wahl des
Generalstabschefs und eidgenössischer Repräsentanten, sowie die Anerkennung aus-
wärtiger Staaten und Regierungen. Die eidgtMiössischen Repräsentanten het rettend, traf
nichtsdestoweniger der Bundesrnih die Wahlen fnr die Gesanjltschal'tsjjosten im Aus-
lande. Vgl. diosbezflglich Seite 76, im Artikel „Interessenvertretung der Schweiz*.
Räthe
— 640 —
Räthe
Bündnissen und Vertrauen mit dem Auslände, sowie von Yertrapen der Kantone unter
sich, sofern Einsprache seitens eines dritten Kantons oder des Bundesrathes vorliegt.
6) Die Anordnung von Maßregeln für «iie äußere Siclierlieit, sowie zur Behauptung der
Neutrfiiität und Tnabhangigkeit der Schweiz; Kriegserklärungen und Friedensschlüsse.
7) Garantie der Verfassungen und des Gebietes der Kantone. Intervention in Folge der
Garantie, Maßregeln für die innere Sicherheit, für die Handhabung von Ruhe und
Ordnung; Amnestie und Begnadigimg. 8) Maßregeln, welche die Handhabung der Bundes-
verfassung, die Garantie der Kantonalverfassungen, die Erfüllung der bundesniftßigen
Verpflichtungen zum Zwecke haben. 9) Verfügungen über das Bundesheer. 10) Auf-
stellung des jährlichen F^iunahmen- und Ausgaben-Voranschiagas des Bundes, Abnahme
der Staatsrechnung, Beschlüsse ül)er Aufnahme von Anleihen. 11) Oberaufsicht über die
eidg. Verwaltung und Hechtsj)llege. 12) Erieiügung von Beschwerden gegen Entscheidungen
des Bundesrathes über Administrativst reit igkoiten. 13) Erledigung der Kompetenz-
streitigkeiten zwis<.*hen Bundesbeliürden. 14) Revision der Bundesverfassung.
Nationalrath und Ständerath tagen gleichzeitig. Verfassungsgemäß rnttssen
sie sich jährlich wenigstens ein mal versammeln. Dies ist die sog. „ordentliche'
Session.
Außerordentliche Sitzungen oder Sessionen finden statt nach Belieben der
beiden Räthe selbst, dann auch in Folge von Einberufungen durch den Bundes-
rath und wenn ein Viertheil des Nationalraths oder fdnf Kantone den Zusammen-
tritt der Räthe verlangen. Von 184^< — 1H89 hat selten nur eine Session jährlich
stattgefunden (1852, 1855, 1858, 1861>, es waren ihrer in der Regel 2 — 3,
mehrere Male auch 4, im Revisionsjahr 1874 sogar 5 Sessionen. Die Dauer einer
Session beträgt in der Regel nicht weniger als 2 und nicht mehr als 4 Wochen.
Um gültig verhandeln zu können, ist die Anwesenheit der absoluten Mehr-
heit der Mitglieder des betreffenden Rathes erforderlich. In beiden Käthen ent-
scheidet die absolute Mehrheit der Stimmenden. Für Bundesgesetze und Bundes-
beschlüsse ist die Zustimmung beider Räthe erforderlich. Im Gegensatz zu den
Gesandten der ehemaligen Tagsatzungen stimmen die Mitglieder des Ständerathe»
gleich den Nationalräthen frei, d. i. ohne Instruktionen der Stände (Kantone).
Wenn es sich um Begnadigungsgesuche, um Kompetenzstreitigkeiten zwischen
Bundesbehörden, um die Wahl von Bundesräthen, Bundesrichtern oder des Generals
handelt, ßnden gemeinsame Sitzungen im Nationalrathssaale und unter der Leitung
des Nationalrathspräsidenten statt, sonst aber verhandelt jeder Rath abgesondert.
Die Natioiialräthe erhalten aus der Bundeskasse Reise- Entschädigungen und
Taggelder (1848—51 8 Fr. a. W., bis April 1875 12 Fr. n. W., seither
20 Fr.); die Ständeräthe werden von den Kantonen entschädigt. MUssen «e
außerhalb der Sessionen an Kummissionssitzungen Theil nehmen, so remnnerirt
sie der Bund.
In Folge Vermehrung der Bevölkerung seit 1848 hat sich anch die Zahl
der Nationalräthe vermehrt. Indessen partizipirten an dieser Vermehrung nicht
alle Kantone. Es hatten bisher und haben 181:)0 Nationalräthe zu wählen:
der Kanton
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187281
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13
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1
1
1
1
1
1
Total 111 120 128 135 145 147
Zum Zwecke der Nationalrathswahlen ist die Eidgenossenschaft seit 1850/51
Wahlkreise eingetheilt. (Vor 1850/51 konnten die Kantone nach Belieben
en oder mehrere Wahlkreise bilden.) Die bezüglichen Bundesgesetze datiren
n 21. Dezember 1850, vom 23. Juli 1863, vom 20. Juli 1872 und vom
Mai 1881. Zur Zeit (Mitte 1889) ist ein neues Wahlkreisgesetz bei der
nfdes Versammlung anhängig. Mit Rücksicht hierauf hält es das Lexikon für
;ezeigt, das Nähere über die Materie erst unter dem Schlagwort „Wahlkreise,
^enössische'', mitzutheilen. Es ist übrigens in Bezug auf diese Wahlkreise
cits einiges aus der beiliegenden
Tabelle I (Mitglieder des schweizerischen Nationalrathes seit 1848) er-
itlich, nämlich 1) wie viele Wahlkreise jeder Kanton bildete; 2) wie sie
nmerirt waren und wie sich die Zahl der Vertreter per Wahlkreis gestaltete.
Fernern soll aus der Tabelle zu ersehen sein, welche Persönlichkeiten neben-
ander und nacheinander dem Rathe angehörten. In Bezug auf das Präsidium
Käthes ist Folgendes zu bemerken. Länger als 1 Jahr kann verfassungs-
näß Niemand Präsident sein. Dieser wird in der Regel der herrschenden
rtei des Rathes entnommen, wobei ein gewisser Turnus unter den Kantonen
l Landestheilen beobachtet wird. Der Minderheit des Rathes wird der Präsi-
itensitz hin und wieder aus Billigkeits- und Opportunitätsrücksichten überlassen,
r Vizepräsident rückt in der Regel zum Präsidenten vor. Die Wahlen des
isidenten und Vizepräsidenten finden jeweilen in der Junisession statt und,
nn Gesammternenerung des Rathes stattgefunden hat, in der ersten darauf-
jenden Session (Dezember). Im Ständerathe herrscht dieselbe Uebung.
Räuschling, großer (Thuner, weißer Welscher, Zürichrebe, Kneller).
3inrebe, welche den Hauptsatz am Zürichsee, im zürcherischen Limmatthale
i am Thunersee bildet, findet sich auch in den übrigen Weingegenden der
rdostschweiz. Der Stock ist kräftig und gedeiht vorzüglich gern in schweren
ienarten. Die Fruchtbarkeit ist groß, der mittlere Ertrag mag sich auf circa
— 65 Hektoliter pro Hektare belaufen. Die Trauben reifen spät und geben
en etwas säuerlichen Wein. Kr,
, Rappersweil-Pfäfflkon. Die Eisenbahn von Rappersweil nach Pfäffikon
das Unternehmen einer Aktiengesellschaft, deren Sitz in Rappersweil ist. Die
Fu»-*5r, Vnlkswirthachafts-Lexikon der Scbweiz.
Vl
Rappersweil-Pfaffikon — 642 — Rapperswiler Seedainm
Firma lautet eigentlich ^Zilrichaee-Gotthardbahn'*, weil beabsichtigt war, die Bahn
von Pfafldkon über Biberbruck nach Brunnen behufs Verbindung des obern ZüKch-
seegjländeä mit der Gotthardbahn zu erstellen. Da die Konzession Pfäfükon-Brunnen
aber erloschen ist, so ist die örtliche Bezeichnung „llappersweil-Pfäffikon"* einzig
zutreffend. Der Betrieb wurde am 2V. August 1^78 eröffnet. Derselbe wird- fü»
Rechnung des Konzessionsinhabers durch die Gesellschaft der Ver. Schweizerbahnen
besorgt. Nächster
Rückkaufstermin für den Bund: 1. Mai 1903.
Bahnlänge Ende 1886: Baulänge 3510 m; Betriebslänge 3978 m oder
rund 4 km.
Bauliche Verhältnisse: Die ganze Bahn ist einspurig angelegt.
Von der Bahulänge liegen 2171 m auf Dämmen, 1102 m in Einschnitten und
237 m auf Brücken, von denen die größte 141,3 m mißt und mit einer Dreh-
brücke zum Durchlaß von Schiffen versehen ist. Von der Betriebslänge liegen
1763 m in der Horizontalen, 2215 m in Steigungen bezw. Gefällen bis zu 672^00,
2970^ in der Geraden und 1008 m in Kurven bis zu 260 m Minimalradius.
Mittlere Steigung der ganzen Bahn 1,25 ^/oo; mittlerer Krümmungtshalbmesser fUr
die ganze Bahn 1898 m. Eigene Stationen hat die Bahn nicht. Mitbenutzte
Stationen: Rappersweil und Pfaffikon. Das Rollmaterial und das Betrieb s-
personal wird durch die Gesellschaft der Ver. Schweizerbahnen beigestellt.
Betriebsergebnisse im Jahre 1 886 : Mit durchschnittlich 8,74 täglichen
Zügen k 7,05 Wagenachsen wurden während des ganzen Jahres befördert: 47,370
Reisende uni 5296 Tonnen Güter, welche die ganze Bahn befahren haben.
Betriebseinnahmen: Für Reisende Fr. 16,040; für Güter Fr. 7244;
für Verschiedenes Fr. 50. Gesammteinnahmen Fr. 23,344 im Ganzen oder Fr. 5833
per Bahnkilometer.
Betriebsausgaben: Reine Betriebskosten Fr. 24,398; verschiedene Aus-,
gaben Fr. 5763. Gesammtausgaben Fr. 30,161 im Ganzen oder Fr. 7540 per
Balinkilometer.
RapporsM'eil-Sargans und Rappersweil-Zürich s. Ver. Schweizer-
bahuen.
RapporsM'iler Soedamm. Er verbindet die Stadt Rapperswii auf dem
rechten Zürichsee-Ufer niit dem Fischerdorfe Hürden auf dem linken Zürichsee-
L'fer und war eine der schwierigsten Eisenbahn- und Straßenbauteu der Schwei*.
Der Damm befindet sich ca. 150 m unterhalb der alten hölzernen Brücke, welche
in den Jahren 1818/20 mit einem Kostenaufwand von fl. 45,289 erbaut wurde.
Die Arbeiten am Damme begannen am 1. Februar 1876 und wurden beendigt
im Juli 1878. Die Totallänge dieses Bauwerkes beträgt 1100 m, wovon auf den
Rapperswiler iiwai 175, die Rapperswiler Brücke 140, die mittlere Dammstrecke
43n, die Hurdener Brücke lOO und den Hurdener Damm 255 m kommen. Die
Kronenbreite beträgt 10,80 m, wovon 3,65 m auf das normalspurige Bahngeleiite
(an der obern Seite), 4,80 m auf die Fahrbahn für gewöhnliche Fuhrwerke und
2,35 m auf die Trottoirs für Fußgänger (an der untern Seite) entfallen. Die
eisernen Brücken ruhen auf eisernen Pfeilern, diese ihrerseits auf Pfahljochen, die
FunJationen des übrigen Dammkörpers ruhen theils ebenfalls auf Pfählen, theils
auf Steinwürfen und theils auf versenkten Betonkörpern. Die Drehbrücke Eum
Durchlassen der Dampfschiffe, in einer Länge von 40 m, mit einem Gewicht von
gegen 4000 Zentner, kann von einem einzigen Manne bedient werden. Die Total-
kosten, Vorarbeiten, Expropriationen etc. inbegriffen, beliefen sich auf Fr. 1 '462,000,
woran der Bund sich mit einer Summe von Fr. 100,000 betheiligte. (Bundes-
Rapperswiler Seedaiiun — 643 — Reblaus
beschluß vom 2. August 1873. A. S. Bd. XI, pag. 290.) Vgl. auch «Souvenir
•der 'Eröffnung des Seedammet»^, Rapperswil, Buohdruckerei F. Steiner, 1878.
Baps wird seit 15 bis 20 Jahren, namentlich wegen der Einbürgerung von
Petroleum, Leuchtgas etc. statt des Pflanzenöls, in der Schweiz fast gar nicht
anehi' gepflanst«
Rasiermesserfabrikation. Winzig klein im Vergleich zu England. Drei
Firmen im Kanton Waadt.
Reblaus. Geschichtliche Darstellung ihres Auftretens und ihrer Verbreitung
*iu der Schweiz, sowie der zu ihrer Bekämpfung getrotfenen Maßnahmen. Von
J. Dreifuß, eidg. Beamter.
I, Naturf/eschichtliches, Die Eeblaus (Phylloxera vastatrix Planchen) spielt,
wenn auch eine negative, so doch nicht zu unterschätzende Rolle in der Volks-
wirthschaft der Weinbau treibenden Staaten. So klein sie ist, so großes Unheil
richtet sie in den das köstlichste Produkt der Land wirthschaft liefernden Kulturen
an. Es kann nicht die Aufgabe eines volkswirthschaftlichen Lexikous sein, eine
einläßliche Beschreibung der Reblaus, ihrer Verwandlungen und ihrer Lebensweise
zu geben. Es genügt hier anzuführen, daß die Reblaus ein winzig kleines Insekt
ist von ungefähr 1 mm Körperlänge. Dire drei Stechborsten steckt sie in die
feinern Wurzeln der Rebe, den Saft der letztern saugend und dabei einen giftigen
Speichel in das Gewebe der Rebenwurzel spritzend. Hiedurch schwillt die letztere
an, verkrümmt sich, um hernach abzusterben. Die so entstehenden krummen,
knotenförmigen Anschwellungen der feinern Saugwurzelu der Rebe nennt man
Nodositäten, und sie sind die auffallendsten Erscheinungen, die wir an der an-
gegriffenen Pflanze zu suchen haben. Sie sind es, welche die Zirkulation der
Säfte hindern und die Rebe nach und nach zum Absterben biingen.
Als Insekt besitzt die Reblaus einen Kopf mit einem Paar Fühler und
. Freß Werkzeugen, ein Bruststück mit drei Paar Beinen und in gewissen Phasen
ihrer Verwandlungen zwei Paar Flügeln, einen Hinterleib mit den Verdauungs-
und Fortpflanzungsijrganen ohne äußere Anhängsel. Diese drei Körperabtheilungen
sind aber so fest mit einander verwachsen, daß das ganze Thier ein einfaches
Oval bildet, etwa wie eine Mandel geformt ist, wobei der breitere Theil die
Kopfspitze, der spitze das Hinterleibende darstellt. Die Reblaus, wie sie in aus-
gewachsenem Zustande die feineren Fuserwurzeln bewohnt, ist gelblich-grün, von
bloßem Auge noch zur Noth als feines Pünktchen zu erkennen, und sitzt gewöhn-
lich auf der konkaven Seite einer gekriimmten Nodosität fest, ohne sich von der
Stelle zu bewegen. Stirbt sie ab, so bleibt sie daselbst haften mit ihren ins
Holz getriebenen Stechborsteu und wird braun. Das so festgesogene Thier
legt nun im Verlaufe seines Saugens 50 — 60 Eier, ohne sich von der Stelle
zu bewegen; es ist ein flügelloses Weibchen, das ohne vorherige Begattung ent-
wicklungsfähige Eier produzirt. In acht Tagen kriechen aus diesen Eiern schlankere,
schwefelgelbe junge Larven, die mit einigen seitlichen Punktaugen und längeren
Beinen versehen sind, am Wurzelwerke herumkrabbeln, hie und da saugen, aber
keine Geschwülste oder Nodositäten erzeugen ; ^) in weiteren fünf bis acht Tagen
häuten sich diese Jungen, werden etwas größer und dies wiederholt sich in den
folgenden acht bis zehn Tagen noch zweimal, bis sie endlich die definitive Form,
Größe und Farbe des Mutterthieres angenommen haben und mit Saugen und
Eierlegen ganz die Stammmutter nachahmen.
*) Meist setzen sich die jungen Rebläuse an die vom Multerlbier erzeugte Nodosität
an und verbreiten sich erst alhtiälig über das andere Wurzchverk.
Reblaus — 644 — Reblausr
Während die Mehrzahl der Insekten ihre geeammte EBtwicklnng in einem
Sommer durchmacht, erzeugen die parthenogenethischen Rebläuse fünf bis acht
Generationen in der wärmeren Jahrettzeit, vermehren sich sho viel stärker, zumal
sie als winzige, unterirdische Thiere sozusagen gar keine Feinde haben, die ihnen
mit £rfolg nachstellen würden. ') Im Herbst gehen die jungem Rebläuse aa
tiefere Wurzelfasem oder setzen sich kolonienweise unter der absterbenden Wurzel-
rinde an, ohne zu saugen, und fallen in eine Art Erstarrung oder Winterschlaf.
Ob die altem Thiere absterben oder auch überwintern und dann im nächsten
Jahr wieder mit Eierlegen fortfahren können, darüber sind die Gelehrten noch'
nicht einig. Die überwinternden Larven verfärben sich bräunlieh. Im nächsten
Frühling beim Eintreten wärmerer Witterung beginnen dieselben den gleichen
Lebenscyklus wiederum. So verbreitet sich die Krankheit unterirdisch langem,,
aber sicher, von Stock zu Stock, bis das ganze Weingelände inüzirt ist. In warmen
Lagen oder lockerem oder zerklüftetem Boden mag diese Verbreitung und Ver-
mehrung rascher vor sich gehen, als in kälteren Lagen mit zähem thonigem
Boden. Neben dieser langsamen unterirdischen Ausbreitung, die wie ein Oeltropfeu
auf Löschpapier immer weiter um sich frißt (daher im Französischen „tache**),.
kommt aber eine noch raschere oberirdische Verbreitungsart vor. Es sprechen
nämlich mehrere neuerdings beobachtete Thatsachen dafür, daß jüngere Wurzel-
läuse, deren Beweglichkeit eine größere ist, wohl meist während der Nacht, arv
die Oberfläche gelangen und dort umherkriechen, wodurch die Infektion von Stock
zu Stock viel rascher vermittelt wird, als wenn sie dem unterirdischen Wurzel-
werk folgen müßten.
Aber nicht alle Phylloxeren nehmen diesen Entwicklungsgang. Unter uns-
noch ganz unbekannten Verhältnissen werden einige der im August geborenen
Rebläuse in der zweiten Häutung schon schlanker und zeigen in der dritten
deutliche schuppenförmige Flügelchen, die dem Leibe fest anliegen. Man nennt,
sie Nymphen. Sie kommen an die Oberfläche und häuten sich nochmals. Daa
Produkt ist ein geflügeltes Thier, das zwei große Netzaugen, drei auf der Stirne
stehende Punktaugen besitzt und vier sehr zarte Flügel, die dem Rücken flach
aufliegen, trägt. An warmen Tagen erbeben sich diese geflügelten Rebläuse in '
die Luft, werden von leichten Winden überall hin zerstreut und ein Theil der-
selben wird eben wieder irgendwo auf Reben niederfallen. Sie sind die Kolonisten,
welche die Infektion von Weinberg zu Weinberg verbreiten, und werden in ihrer
Wirkung um so gefährlicher sein, je ausgedehnter und zusammenhängender die
Rebgelände einer Gegend sind. *)
Der Grund dieser abweichenden Verwandlung wird von einigen Gelehrten
in einer Verminderung des Nahrungsmaterials gesucht, so daß ein Herd um so
mehr geflügelte Emissäre liefern würde, je älter er ist. Wie weit durch Winde
solche Thiere lebend transportirt werden können, ist nicht festgestellt. Früher
glaubte man, daß sie Tagereisen weit entführt würden, heute neigt man sich
allgemein der Ansicht zu, daß sie nur auf kurze Strecken (höchstens etwa einen
Kilometer weit) Verbreitung finden. Ihre Flügel sind viel zu schwach, als daß^
M Zwar scheint diese Vermehrung nicht progressiv stattzufinden; denn während
ein Mutterthier im Frühling ca. 60 Eier produzirt, legt die zweite Greneration nur etwa
40—50, die dritte ca. 30 und so jede spätere etwas weniger. Indessen genügt das
immerhin zur Erzeugung einer Nachkommenschaft von vielen Millionen in einem Sommer.
*) Neuerdings wird behauptet, es gebe zwei geflügelte Formen der Reblaus, eine
langgeflügcite, die langst bekannte Kolonistin, und eine kurzflüglige, die nicht fliegt,
höchstens vom Wind erjrrifTen wird, aber um so lebhatler an der Bodenoberfläche
herumläuft, um von Stock zu Stock zu gelangen.
Reblaus — 645 — Heblaus
sie selbstständig die Richtung des Fluges bestimmen könnten, und die Thiere zu zart,
^m einem heftigeren Winde lebensfähig zu widerstehen. Fallen sie aber wieder auf
Heben nieder, so legen sie bald einige (2 — 4) Eier (eiförmige Puppen) von ungleicher
Größe. Ars den kleinen schlüpfen in kurzer Zeit ungeflügelte Männchen, aus den
größeren ungeflügelte Weibchen aus. Diese ächten Geschlechtsthiere unterscheiden
sich auch äußerlich von den übrigen Rebläusen durch den gänzlichen Mangel von
Mund Werkzeugen. Sie leben nur sehr kurze Zeit, paaren sich, und das Weibchen
Jegt nur ein einziges großes £i, das fast seinen ganzen Leib ausfüllt, in eine
Rindenritze des Rebstockes. Dieses Ei ist zum üeberwintern bestimmt (Winterei),
4ind im nächsten Frühling kriecht daraus wieder eine Reblaus hervor, die am
Stamm herunterläuft, in den Boden ans Wurzel werk kriecht und die Stamm-
jnutter einer neuen Kolonie wird. *)
In Amerika erscheint die Phylloxera noch in andern Formen, die uns für
liiesige Verhältnisse indeß wepiger interessiren.
Durch das Saugen der Reblaus an zarten Wurzeln schwillt die Wurzelfaser
knotig an und biegt sich um, bildet eine Nodosität. Der untere Theil der Wurzel
stirbt ab, und zudem scheint die Rebe gleichsam vergiftet zu werden, denn im
Yerhältniß der wenigen Nodositäten leidet sie sehr stark. Sie treibt meist schon
im zweiten Jahre kürzere Triebe, das Laub wird kleiner, bleibt aber grün, nur
welkt es früher im Herbst. Im dritten Jahre mehren sich diese Erscheinungen
4iuffallender, im vierten Jahre stirbt die Rebe meist ganz ab.
Die Wirkung auf den Weinberg erzeugt nun oft ein ganz eigenthümliches
•Bild. Im Zentrum eines Infektionsherdes stehen einige ganz abgestorbene Stöcke, es
■sind das die zuerst befallenen. Um diese herum betindet sich eine Zahl von in der Ent-
wicklung stark zurückgebliebenen Reben mit ganz kurzen Schößen und sehr kleinen
Blättern ; in weiterem Kreis solche, die wenig im Wachsthum zurückgeblieben
-sind und noch ordentliche Trauben angesetzt haben, und im äußersten Kreis ganz
^sund aussehende, die aber doch an den Wurzeln schon Nodositäten tragen.
Von weitem gesehen sind diese beckenförmigen Vertiefungen im Weinberg kenntlich ;
sie haben von den Franzosen den Namen Cuvettes bekommen. Man würde sich
aber sehr täuschen, wenn man die Cuvette als etwas Charakteristisches ansehen
wollte. Nicht nur kann durch eine andere schleichende Ursache dieselbe Er-
Jkrankungsform im Rebberg entstehen, z. B. durch den Wurzelpilz der Rebe,
sondern die regelmäßige Beckenform wird öfters durchbrochen durch lokale Um-
fitände, wie sie besonders bei uns vorliegen, wo reine, runde Becken geradezu
«ine große Seltenheit bilden. Es scheint besonders da die typische Beckeuform
vorzuherrschen, wo die Infektion vom Einfall einiger geflügelter Kolonisten
herrührt, während in den neuen Herden die Infektion ottenbar darauf
zurückzuführen ist, daß hie und da einzelne von anderswoher bezogene Reben
aum Ersatz alter oder zufällig absterbender Stöcke eingesetzt wurden. Auch
«cheint, so viel man bis heute sagen kann, in unserm schweren und lettigen
Boden die Horizontalverbreitung der Phylloxera etwas langsamer vor sich zu
^ehen, als im Westen, und die gutbewurzelten, tiefgründigen Reben scheinen
länger zu widerstehen, als im zerklüfteten, trockenen Steinboden.
Es sind indeß noch große Lücken in der Kenntniß des individuellen Ver-
laufes der Krankheit vorhanden, die eben in jeder Lage und in jeder Gegend
*) Nach den neuesten Untersuchungen von Donnadieu soll die sog. gallikole Form
-der Reblaus, welche nur die Blätter, nicht die Wurzeln, bewohnt, gar nicht in den Ent-
wiJklungscyklus der Phylloxera vastatrix gehören, sondern eine eigene und weit un-
•schädlichere Art sein, die als Phylloxera pemphigoides bezeichnet A\ird.
Reblaus — 646 — Reblau»
qtwas Abweichendes zeigen wird. Besonders in kaltem Lagen und in zähem
Boden ist die Horizontalausbreitnng der Krankheit und das Absterben der tief-
wnrzelnden Reben viel langsamer, so daß erst im fünften oder sechsten Jahre
oder noch später die Reben der Infektion erliegen. Auch die chemische Beschatfen-
heit des Bodens hat nach den interessanten Beobachtungen von Dejardin einerr
wesentlichen Einfluß auf die Resistenzföhigkeit der Reben. Er hat dargethan,
daß in magnesiumhaltigem Terrain die Rebe am längsten der Invasion widersteht,
also in Dolomiten, Graniten, Gneißen, während sie auf reinem Kalkstein anv
raschesten abstirbt. Daß die physikalische Beschaffenheit ein Einderniß für das
Prosperiren der Reblaus sein kann, wußte man schon lang; in sandigem Terrain
gedeiht der Parasit sehr wenig, und hält der Boden 50 — 60 **/o Sand, so sind
selbst unsere europäischen Reben gegen die Angriffe der Phylloxera geschlitzt,
vorausgesetzt natürlich, daß sie genügende Düngung erhalten. (Nach einer Publi-
kation des Herrn Dr. G. Schoch, eidg. Phylloxera -Experten, in Zürich.)
//. Auftreten und Ausdehnung der Beblaus in der Schweiz. Das erste
Auftreten der Reblaus in der Schweiz erfolgte im Jahre 1874 zu Pregny im
Kanton Genf. Eine am 23. November jenes Jahres in den Reben -Treibhäusern
des Herrn von Rothschild zu Pregny vorgenommene Untersuchung führte zur
Entdeckung des Insektes auf den Rebstöcken daselbst, deren Setzlinge in den
Jahren 1868 und 1869 in Töpfen aus England eingeführt worden waren..
In den kaum 300 m von jenen Treibhäusern entfernten Weinbergen war difr
Reblaus schon in den Monaten September und Oktober vorher au drei Punkten
koustatirt worden. Die Regierung des Kantons Genf hatte sich schon in den
Jahren 1872 und 1873 vom Großen Rathe die nöthigen Vollmachten ge'ben
lassen, zur Verhinderung der Einschleppung und Verbreitung der Reblaus alle
geeignet scheinenden Maßnahmen zu ergreifen. Im Jahre 1874 kam sie in den
Fall, von diesen Vollmachten Gebrauch zu machen, indem sie die Eigenthütoer*
der intizirten Rebparzellen expropriirte und die Zerstörung der angegriffenen
Weinberge verfügte. Der Gesammtumfang des im Herbst 1874 und im Winter
1875 zerstörten Rebgebietes betrug 70,919 Are. Selbstverständlich wurden,
auch die Rebstöcke im Treibhaus des Herrn von Rothschild zerstört. Die Stellen,
auf welchen die Reben ausgerissen worden waren, wurden mit frischem Gaskalk
überdeckt, um allfällig im Boden zurückgebliebene Wurzeln zu verhindern, im
Frühjahr neue Triebe anzusetzen.
Im Jahre 1875 vorgenommene Untersuchungen im Kanton Genf führten
zur Entdeckung einer ganzen Reihe infizirter Stellen. Auch jetzt wurde die voll-
ständige Zerstörung aller angegriffenen Reben, sowie aller derjenigen gesund
gebliebenen angeordnet, welche sich in einem Umkreis von 100 m um die äußei'sten
Angriffspunkte herum befanden. Der Flächenraum des auf diese Weise zerstörten
Weinberges betrug 285 Are und die Zahl der Stöcke, welche in verschiedenen
Theilen der Gemeinde zu zerstören waren, ca. 5000. Bei dieser Zerstörung wurde
folgendermaßen verfahren ; Alle phylloxerirten Weinstöcke wurden über der Erde
abgeschnitten und das Rebholz verbrannt, nachdem jeder Stock mit einer Lösung
von 20 cm^ KaliumHulfocarbonat in 10 1 Wasser begossen worden war. Dann
wurde der Boden festgestampft und mit einer Schicht Gaskalks bedeckt. Die neuen
Triebe der im Jahre 1874 zerstörten Reben wurden mit einer Mischung ^on
375 cm^ Schwefelsäure und 500 cm^ Wasser begossen und der Boden neuerdings
mit einer Schicht Gaskalks und fettem, mit Calcium-Polysulfid besprengtem Kalk
bedeckt.
Im Jahre 1870 führten die in einem Umkreis von 1500 m vorgenommenen
Reblaus — 647 — Reblaus
UntersuchuDgen der Weinberge in der Nähe der in den vorangegangenen Jahren
konstatirten Herde zu keiner Entdeckung neuer Angriffspunkte.
Dagegen zeigte pich das Insekt im Jahre 1877 wieder, und zwar in Cham-
b6sy, unterhalb Pregny in einem offenen Weinberg. Der Herd war von «ehr
^rioger Ausdehnung; nur auf ungefähr 150 Weinstöcken fanden sich Insekten,
aber in ziemlich großer Anzahl, vor. Bereits gestatteten die gemachten Erfahrungen,
die anfänglich auf 100 m angesetzte Sicherheitszone auf 20 m zu reduziren.
Diese Zone betrug mit dem phylloxerirten Theil des Weinbergs ca. 15 Are.
Diese ganze Fläche wurde mit wasserfreier schwefliger Säure ilbergossen. In den
Boden wurden ca. 3600 40 cm tiefe Löcher gegraben und in jedes Loch des-
jenigen Theils, auf welchem die Phylloxera konstatirt worden, ungeföhr 60 und
in die Löcher der Sicherheitszone etwa 24 g schweflige Säure gegossen. Alle
auf diesem Räume stehenden Rehpflanzen wurden abgeschnitten und verbrannt
und der Boden sofort 10 cm hoch mit einer dichten Schicht Gaskalks bedeckt.
Im Januar 1878 wurden die Rebstöcke vermittelst Umgrabens bis auf die
letzten Wurzeln auf einer Fläche von ca. 54 Aren ausgerissen. Diese 54 Are
umfaßten jene 15 Are, auf welchen im August 1875 die Reben abgeschnitten
worden waren, nachdem man sie zuvor mit schwefliger Säure behandelt hntte,
und die 39 Are, auf denen eine einfache Injektion mit dieser Substanz ans;e-
wendet worden war. Die Rebstöcke wurden sammt den Wurzeln verbrannt und
der Graben mit drei Schichten von Caiciumoxysnifld bedeckt.
In den Jahren 1878 und 1879 blieb der Kanton Genf von der Reblaus
verschont.
• Im Jahre 1880 wurde ein neuer Herd zu Grand- Saconn ex entdeckt; 22,8941
Are wurden mit Schwefelkohlenstoff behandelt und im Winter 1881 zerstört.
Im Jahre 1881 wurden 6,2943 Are zu Pregny und im Jahre 1882 1 Hektar
. 38,8270 Are in den Gemeinden Genthod, Pregny und Grand-Saconnex behandelt.
Im Jahre 1883 zeigte sich die Reblaus in denselben Gemeinden wieder; die Zahl
der in denselben krank befundenen Rebstöcke betrug 467, in der Sicherheitäzone
befanden sich 2322. Auch im Jahre 1884 verbreitete sich die Reblaus nicht über
die genannten vier Gemeinden, die Zahl der phylloxerirten Reben betrug 699, in der
Sicherheitszone betfanden sich 30,651, welche zusammen eine Fläche von 13,382 m'^
eingenommen hatten. Im Jahre 1885 wurden mehrere neue Herde entdeckt, und
zwar in den Gemeinden Vernier, Contignon und Bernex; die Zahl der in diesen
sowie in den bereits früher verseuchten Gemeinden zerstörten Reben belief sich
in diesem Jahre auf 60,000. Im Jahre 1886 wurde die Reblaus im Kanton
Genf wieder konstatirt, und zwar in Verhältnissen, welche die Lage des genfe-
rischen Rebgeländes als sehr bedenklich erscheinen lassen müssen. Zwar betrug
die Zahl der zerstörten Rebstöcke kaum etwas mehr als die Hälfte der im Jahre
1885 zerstörten, aber es bildeten dieselben eine weitaus größere Summe von
Punkten und Herden und befanden sich zum Theil in Gemeinden, in welchen
bislang die Reblaus nicht konstatirt worden war. Ende 1886 waren nämlich
im Kanton Genf nicht weniger als zwölf Gemeinden verseucht; nämlich von
früher die Gemeinden Petit- und Grand-Saconnex, Pregny, Vernier, Contignon
und Bernex, und nun zum ersten Mal die Gemeinden Chancy, Dardagny, Russin,
Satigny, Onex und ThGnex. In diesen zwölf Gemeinden wurden 30,502 Rebstöcke
au 2186 Punkten zerstört, gegen 60,000 Rebstöcke im Jahre 1885. Die be-
handelte Fläche hat eine Ausdehnung von 16,049 m* und gehörte 56 Eigenthümern.
Iifi Jahre 1887 wurden in den Gemeinden Pregny, Petit -Saconnex, Vernier,
Satigny, Dardagny, Russin, Chancy, Cartigny, Bernex, Contignon, Onex, Thonex,
Reblaus — 648 — Reblaus
Choalex und Cologny 2947 Rebstöcke infizirt befunden; die behandelte Fläche
hat eine Ausdehnung von 18,740 m' und enthielt 36,011 Stöcke. Im Jahre f888
wurde die Reblaus in folgenden, bis dahin verschont gebliebenen Gremeinden konstatirt :
Avusy, Aire-la-Ville. Laconnex, C^ligny, Collonges-Bellerive, Plan-les-Ouates,
Bardonnex, Chenes-Bougeries und Bellevue, dagegen wurden keine Infektityne»
mehr vorgefunden in den Gremeinden Petit-Saconnex, Cologny und Thonex. Im
Ganzen sind sonach im Kanton Grenf 1 9 Gemeinden infizirt. In den bereits heim-
gesuchten Gremeinden wurden um die alten Angriffspunkte herum 79^) neue Punkte^
entdeckt, die 638 ^) kranke Stöcke enthielten; neue Angriffe zählte man 19 mit
12,631 kranken Stöcken. Zerstört wurden im Ganzen 48,336 Rebstöcke. Die
behandelte Fläche hat eine Ausdehnung von 27,361,26 m^.
Hier folgt eine Uebersicht der Verheerungen, welche die Reblaus im Kanton
Genf seit ihrem ersten Auftreten angerichtet hat, wobei wir noch bemerken, daß
das Rebareai des Kantons Genf 1902,29 Hektaren beträgt.
Im Jahre 1874 |
1875 l 3,734143 Hektare
1876 j
Im Jahre
1882
1,388270
Hektare
r f»
1883
0,126870
1»
n r
1884
1,301000
p
r f
1885
3,471800
r
« 1*
1886
1,604900
p
r p
1887
1,874000
p
p »•
1888
Total
2,736156
P
16,7163961
lektare*)
„ 1877 0,270000
. 1878 —
p 1879 —
, 1880 0,146314
„ 1881 0,062943
Im Kanton Neuenburg wurde das Vorhandensein der Reblaus erstmals am
20. Juli 1877 konstatirt und zwar zu Colombier und am 22. Juli desselben Jalires
zu Trois-Rods. Eine daraufhin angeordnete Untersuchung sämmtl icher Reben des
Kantons führte zu der Annahme, daß der Ausgangspunkt der Infektion in den wäh-
rend der Jahre 1868 und 1869 angepflanzten amerikanischen Setzlingen zu suchen*
sei. Eine spezielle Untersuchung der Mutterstöcke in den Anlagen eines Gärtners
zu Neuenburg, wo das Insekt vorgefunden wurde, bestätigte die Annahme der
Einschleppung der Krankheit durch den Handel. Die amerikanischen, im Jahre ,
1876 importirten Reben waren aus der Rebschule zu Annaberg bei Bonn bezogen
worden, wo die meisten Setzlinge einige Jahre später als phylloxerirt erkannt
and auf Anordnung des preußischen Ministeriums für Landwirthschaft zerstört
worden waren. Die angegriffenen Stöcke, sowie die gesunden, in einem Umkreis
von 100 m um den Herd befindlichen, wurden ungefähr 10 cm unterhalb der Erd-
oberfläche abgeschnitten, in Haufen gesammelt, mit Petroleum begossen und dann
verbrannt. In den Boden wurden vermittelst eines Pfahles Löcher von 40 — 50 cm
Tiefe gebohrt und in dieselben mit Wasser stark verdünntes Caliumsulfocarbonat
gegossen. Der Boden wurde sodann festgestampft, geebnet und mit einer 5 cm
hohen Schicht Gaskalks bedeckt. Die der Behandlung unterworfene Fläche betrug
6,52 Hektare. Im Augast desselben Jahres wurde die Reblaus auch zu Coroelles
entdeckt und daselbst eine Fläche von 30,22 Aren behandelt.
Im Jahre 1878 wurde in einem zwischen dem Bahnhof von Boudry und
dem Dort'e Trois-Rods gelegenen Weinberge ein vollständig neuer Herd entdeckt.
M Amtlicher Bericht SO, richlijre Addition 79. '
-) Aintliclior Bericht 648, richtiyre Addition 638.
") Der amtliche Genfer Bericht pro 1888 gibt nur 15,610396 ha an; der Unter-
schied rnlirt daher, daß die amtlichen Genfer Berichte pro 1886 und 1887 nicht richtijre
A«l«litionen enthalten. Die für jedes Jahr ^^emachten Angaben stimmen ganz genau mit
den ohi^ron Zahlen.
Reblaus — 649 — Reblaus
Da sich die Wirkung der im vorbergeheDden Jahre auf das Insekt angewendeten
Vergiftung durch Sulfocarbonat nicht in dem Maße kräftig erzeigt hatte, wie
man es gewünscht hatte, wurde diesmal als vergiftende Substanz Neolin und
flüssige schweflige Säure angewendet. Auf den kurze Zeit nach der Behandlung
untersuchten Pflanzen konnte kein lebendes Insekt aufgefunden werden, aber die
Wirkung auf das Wachsthuni der Pflanzen war vernichtend Die eine Hälfte des
Weinberges, auf welcher jeder Stock mit einer Dosis von 300 g Neolin, gesättigt
mit 30 g flüssiger schwefliger Säure, behandelt worden, wies im Frühjahr 1879
auf 800 Stöcke nur einen lebenden auf; in der andern Hälfte, wo dieselbe Dosis
auf je einem Quadratmeter angewendet worden, kam auf 120 untersuchte Stöcke je
eiu lebender. Der Umfang der im Jahre 1878 im Kanton Neuen bürg behandelten
Flächen beläuft sich auf 4560 m*. Im Jahre 1879 wurden 0,1050 Hektare,
im Jahre 1880 0,6913 Hektare und im Jahre 1881 8,018 Hektare behandelt
und zerstört. Die Gemeinden, in denen sich Keblausherde befanden, waren:
Boudry, Trois-Rods, Neuchätel, Corcelle«, Champreveyres, la Favarge, Haute- Rive,
BGle, Colombier: Seither wurde als Vergiftungssubstanz ausnahmslos Schwefel-
kohlenstoff angewendet.
Im Jahre 1881 verbreitete sich die Krankheit nicht über die bereits inflziiten
Gemeinden hinaus, die Zahl der inflzirten Rebstöcke belief sich auf 4639. Im
Jahre 1882 wurde die Reblaus in den Gemeinden Serrieres, Neuenburg, la Coudre,
Haute-Rive, St-Blaise, Trois-Rods, Boudry, Colombier und Auvernier koustatirt.
Die Zahl der infizirt befundenen St(>cke belief sich auf 3537 ; das Umgraben
fand auf einer Fläche von 13 119 m* statt. Im Jahre 1883 trat die Reblaus
wieder auf, ohne indessen ihre Verwüstungen über andere Gemeinden, als die
bereits betroffenen, auszudehnen. In Boudry fanden sich 300, in Bole 8, in
Colombier 406 Stöcke. Die Sicherheitszone umfaßte 5500 Stöcke; die ganze zu
behandelnde, umgegrabene Fläche maß 2288 m^. In Serrieres waren 96, in
Neuenburg 13, in Auvernier 4, in la Favarge 98, in Champreveyres 121 und
in St-Blaise 86 Stöcke infizirt. Die Zahl der im Kreise la Coudre, Haute-Rive
und St-Blaise behandelten Stöcke (die der Sicherheitszone inbegriffen) belief sich
auf 5850, die umgegrabene Fläche maß 3228 m^
Im Jahre 1884 traf man die Reblaus zu la Coudre an 112, in Haute-Rive
an 68, in St-Blaise an 35, in Neuenbürg und Auvernier an 1108 und in
Colombier, Boudry und BGle an 371 Stöcken. Die behandelte Fläche umfaßte
11,647 m«.
Im Jahre 1885 trat die Reblaus auch in Ortschaften auf, in denen sie bis
anbin nicht konstatirt worden war oder in denen die Krankheit als erloschen
betrachtet werden konnte. In den Jahren 1886 und 1887 dagegen dehnte sich
die Krankheit nicht weiter aus. Die Zahl der kranken Stöcke belief sich im Jahre
1885 auf 5202, im Jahre 1886 auf 4214 und im Jahre 1887 auf 6983 >);
dieselben vertheilen sich auf die nachfolgenden Gemeinden wie folgt:
Im Jahre 1885 Im Jahre 1886 Im Jahre 1887
Boudry . . . 2685 921 1861 infizirt befundene Stöcke.
BGle .
Colombier
Auvernier
Corcelles
66 65 168
168 1424 2093
9 234 50
273 139 104
') Der amtliche Bericht gibt zwar 7045 an, aber die richtige Addition der einzelnen
Posten ergibt nur 6983.
Reblaus
— 650 —
Reblaus
Im Jahre 1885 Im Jahre 1886 bn Jahre 1887
Peseux . .
754
Neuchätel .
365
Serrieres
487
la Coudre .
69
Favarge
66
Haute-Rive
58
Cham pr^vey res
28
St-Blaise .
174
Total
l 5202
220
282
553
69
53
54
123
77
555 infizirt befanilene Stöcke,.
5^2 n 1, «
1010
144 „
20 . . .
50
346
n
4214 6983 intizirt befundene Stöcke.
Im Jahre 1888 wurde die Reblaus außer in den bereits verseuchten Ge-
meinden auch in Cortaillod entdeckt. Das Resultat der Untersuchungen dieses
Jahres ist folgendes:
Neuenbürg
La Coudre
Hauterive
St. Blaise
Boudry .
Colombier
AugritTs-
pnnkte
56
7
1
19
126
93
Kranke
Stöcke
293
67
11
78
1,071
571
Vn) gegrabene
Fläche m*
3,177
309
36
592
3,137
1,737
Büle .
Cortaillod
Corcelles .
Peseux
Auvernier
Angriffs«
pnnkte
20
6
62
15
33
Kranke
Stöcke
232
548
565
63
376
Umgegrabene
Fl&cbe m'
578
1,453
3,234
625
1,206
Zusammenfassend notiren wir.
438 3855 16,024
daß von dem 1247,94* Hektaren betragenden
Rebareai des Kantons Neuenburg in Folge der Reblauskrankheit behandelt wurden :
Im Jahre 1877
n , 1878
n n 1879
n 1880
. n 1881
1882
1883
»
65,154 m*
4,640 „
7:ö1 „
5,979 „
8,017 .
13,048 ,
7,183 ,
Im Jahre 1884
n 1885
„ 1886
n 1887
» 1888
11,647
19,153
12,948
17,174
16,024
m*
Total 181,698 m^
Zürich. In diesem Kanton, dessen Rebland 5551,92 Hektare mißt und
einen Schatznngswerth von Fr. 48'400,686 hat, wurde die Reblaus im Jahre
1886 in sieben Gemeinden konstatirt, und zwar war die Zahl und Bedeutung
der Herde so groß, wie sie in keinem Jahre in den Kantonen Neuenburg und
Genf war. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß das Alter einiger Herde sehr
hoch ist, und der Umstand, daß die Reblaus nicht früher in denselben vorgefunden
wurde, nur dadurch erklärlich, daß das schlechte Aussehen der Reben anderen
Ursachen (Fröste, Wurzelpilz, häufige naßkalte Witterung und für gewisse Reben-
sorten ungünstige Lage und Bodenbeschaffenheit) zugeschrieben wurde.
Die Ausdehnung, welche die Reblauskrankheit im Kanton Zürich im Jahre
1886 erlangt hat, ist aus folgenden Tabellen ersichtlich:
Gemclmlcu
Höngg
Oberstraß
Dielsdorf
Oberweningen 21
Regensberg 147
Schöfflisdorf und Steinmaur .
Winkel
Total 331
ifektions-
Iiifizirte
Tm Ganzen wurden dee»
herde
Stöcke
inßsirt und anegethan
11
658
5,935
59
4,240
23,339
69
2,062
13,998
21
295
3,907
147
13,574
37,043
14
332
4,704
10
1,369
4,761
22,530
93,687
Reblaus
— 651 —
Reblaus
Verb
rancbter
Ausgehe
bene Erde
Terbraiiobtes Petroleum
_ . , ^CIlweIeiKOIllen8TotI M
Gemeinden ^^ Genien
Flächen-
inhnlt
Knbik-
inhult
im Gsnsen
kg
Fr.
iUIlHIV
m»
kg Fr.
Höngg . . . 2,850
1,225. 50
3,966
5,240
1,278 281.2^
Oberstraß . . 9,600
4,128.
15,069
9,538
2,130 468. 75
Dielsdorf . . 6,300
2,709.
10,019
7,657
3,479 765. 65
Oberweningen . 1,800
774.—
2,681
2,310
1,207 265.65
Regensberg . . 23,700
10,191.—
28,904
18,494
6,390 1406. 25
Schöffiisdorf und
Steinmaur . 1,400
602.
2,541
2,282
994 218. 75
Winkel . . . 1,475
634. 25
3,144
2,830
745,5 164. OS
Total 47,125
20,263. 75
66,324
48,351
16,223,5 3570. 35
Ueber die Verbreitung, welche die
Reblauskrankheit
im Jahre 1887 im
Kanton Zürich erlangt hat,
gibt folgende
' Tabelle Auskunft
•
•
Inflzirte Gemeinden
Infiziito Stücke
Stöcke «l«r
Sicherheitezone
Im Ganxen wurden Stocke
desinflzirt und ausKcthan
Höngg
24
544
806
Oberstraß . .
81
1551
2774
Dielsdorf .
338
4720
8043
Oberweningen .
202
3126
4487
Regensberg
503
7726
12131
Schöfflisdorf .
10
154
297
Steinmaur .
40
658
999
Winkel . . .
85
889
1772
Boppelsen .
172
3134
4056
Buchs
42
662
760
Oberglatt .
652
499
1237
Total 2149 23663 37362
In den drei zuletzt aufgeführten Gemeinden ist die Reblaus erst im Jahre
1887 konstatirt worden, es läßt aber namentlich der Umfang der Krankheit in
Oberglatt mit Sicherheit darauf schließen, daß die aufgefundenen Herde altern
Datums sind. Die bedeutende Differenz zwischen der Rubrik 4 und der Summe
der Rubriken 2 und 3 erklärt sich dadurch : a, daß 1886 außerhalb der Sicherheits-
zone sich befindende Reben durch die Schwefelkohlenstoff-Einspritzungen zu Grunde
gingen; 6. daß 8732 gesunde Reben, welche nach der Zerstörung der Infektions-
herde als vereinzelte Gruppen stehen blieben, aus praktischen Gründen ebenfalls
vernichtet wurden, und c daß 932 Reben in Folge der Vertilgungsarbeiten des
Jahres 1886 im Frühjahre 1887 nicht mehr ausgetrieben haben. Das Rebareal
des Kantons Zürich ist im Jahre 1887 um 27,567 m^ zurückgegangen.
Im Jahre 1888 ist die Reblaus in den Gemeinden Boppelsen und Buchs
nicht mehr konstatirt worden; dagegen wurde ein Infektionsherd in der bisher
verschonten Gemeinde Kloten (Bezirk Bülach) entdeckt. Die Zahl der Herde in
den verseuchten 10 Gemeinden beträgt 268, davon 104 in Regensberg und 6^
in Dielsdorf. Krank befunden wurden 927, zerstört 23,793 Stöcke. In 'die
eigentliche Sicherheitszone waren nur 8786 Stöcke gefallen, dagegen starben außerhalb
derselben ab 2191 und 11,889 wurden anläßlich der Umgrabung der infizirten
Flächen aus praktischen Gründen zerstört. In der Gemeinde Kloten betrug di&
Zahl der Herde 10, die der infizirten Stöcke 314; in die Sicherheitszone fielen
^) Ein Gebinde von 100 kg Schwefelkohlenstoff kostete netto Fr. 43.
Reblaus — 652 — Reblaus
2332, zerstört wurden da 7781 Stöcke. Die im Jahre 1888 gerodete Fläche
hat eine Ausdehnung von 14,209 m^. Verbraucht wurden 6372 kg Schwefel-
kohlenstoff und 22,017 kg Petroleum.
Das Rebareal des Kantons Zürich ist zurückgegangen
im Jahre 1886 um 66,324 m*
. . 1887 „ 27,567 „
. 1888 , 14,209 ,
Total 108,100 m^
Im Kanton Waadt wurde die Reblaus Anfangs Juli 1886 in drei Reb-
bergeu der Gemeinden Founex und Myes, Bezirk Nyon, vorgefunden. Folgendes
ist das Resultat der Untersuchungen in den Rebbergen der beiden Gemeinden:
Gemeinde Fläche des Herdes Sicherheitszone
Founex .... 187 ra^ 1217 m^
Myes 25 „ 225 „
Total 212 m^ 1442 m^
Behandelt wurde sonach eine Fläche von 1654 m^ auf der sich 387 phyl-
loxerirte und 2287 gesunde, im Ganzen 2674 Reben befunden haben.
Im Jahre 1887 haben die Untersuchungen zu Myes keine neuen Erkrankungen
konstatirt; dagegen wurde in Vieh (Nyon) ein ziemlich bedeutender Herd ent-
deckt. Derselbe umfaßte auf neun verschiedenen Punkten 504 kranke Stöcke;
in die dazu gehörige Sicherheitszone fielen 3885 Stöcke. In der Nähe des alten
Herdes zu Founex wurden noch 1 8 kranke Stöcke gefunden ; die hiedurch nöthige
Sicherheitszone umfaßte 553 Stöcke. In beiden Gemeinden fielen sonach im Ganzen
4438 Stöcke der Reblaus zum Opfer. Die zu desinfizirende Fläche beträgt 2239 m^
Im Jahre 1888 wurde die Reblaus konstatirt: in Myes an 2 Punkten auf
26 Rebstöcken, in Essertines sur Rolle an 4 Punkten auf 58 Stöcken und in
Founex an 4 Punkten auf 44 Stöcken: Total an 10 Punkten auf 128 Reben.
Eine in dem zur genferischen Gemeinde Celigny gehörenden Weiler La Coudre
entdeckte Infektion machte eine Sicherheitszone nöthig, die auf das Gebiet der
waadtländischen Gemeinde Chavannes-de-ßogis hinübergreift. In Myes mußten
1062, in Chavannes-de-Bogis 195, in Essertines 1731 und in Founex 2517 Reben
ausgethan werden. Die Fläche, auf welcher diese 5505 Reben gestanden und
welche demgemäß behandelt werden mußte, hatte ein.e Ausdehnung von 1703 m*.
Das waadtländische Rebgelände erlitt im Jahre 1886 eine Abnahme von
1654, im Jahre 1887 von 2239 und im Jahre 1888 von 1703 m^ in den drei
Jahren seit dem Auftreten der Reblaus sonach eine Abnahme von 5596 m^.
Seit 1874 sind sonach vom schweizerischen Rebareal von der Reblaus infizirt
und zur Verhütung einer größeren Ausbreitung der Reblauskrankheit im Ganzen
ca. 46 Hektare zerstört worden, nämlich im Kanton Genf 16,7163,96 m^, Neuen-
burg 18,1699,80 m'S Zürich 10,8100,00 m^ Waadt 5596 m^
IIL Maßnahmen der Behörden eur Verhinderung der Einschleppuuf/ der
ItcblaiiH und zur Bekämpfanf/ derselben. Die Bundesbehörde befaßte sich schon im
Jahre 1872 mit der Reblausfrage, indem sie auf die Anregung des Staatsrathes des
Kantons Waadt und der landwirthschaft liehen Gesellschaft des Kantons Genf zwei
Delegirte mit dem Auftrage nach Frankreich abordnete, eine Darstellung des
Wesens und der Verbreitung der daselbst herrschenden Rebenkraukheit zu liefern,
über den Grad der Gefahr, die von daher dem schweizerischen Rebgelände drohe,
Aufschluß zu ertheilen und hinsichtlich der zur Abwehr und zur Bekämpfung
derselben geeigneten Maßregeln sich gutachtend zu äußern. Bald darauf
Reblaus — 653 — Reblaus
(9, Februar 1872) verbot der Bundesrath die Einfuhr von Wurzelreben und Rebholz.
aus Frankreich und beschränkte die Einfuhr von Obstbäumen aus diesem Lande
(22, Dezember 1873). Im Jahre 1874 wurden die Herren Demoie und Schneieier
an den Weinbaukongreß in Montpellier abgeordnet, nachdem schon vorher (11. August
1874) eine eidgenössische Zentral kommission eingesetzt worden war, welcher die
Aufgabe zugewiesen worden, die Natur und den Gang der Rebenkrankheit an
Ort und Stelle zu studiren, Ortsbesichtigungen in der Schweiz vorzunehmen, das
Volk zu belehren, Gutachten abzugeben, Reglemente, Programme und Gesetzes-
vorschläge auszuarbeiten.
Nachdem sodann im Jahre 1874 im Kanton Genf die Reblaus aufgetreten
war und die Maßnahmen zum Zwecke der Ausrottung derselben diesem Kanton
eine Auslage von mehr denn Fr. 100,000 verursacht hatten, glaubte die Bundes-
versammlung eine Untersuchung darüber veranlassen zu sollen, ob nicht die
Kantone, welche zur Bekämpfung der Reblaus größere Opfer zu bringen in den
Fall kommen, vom Bunde unterstützt werden sollten, und lud den Bundesrath
ein, diese Frage zu prüfen.
Unterm 7. Dezember 1876 legte dieser der Bundesversammlung einen
Gesetzesentwurf über die gegen das Eindringen und die Ausbreitung der Reblaus
in der Schweiz zu ergreifenden Maßregeln vor, welcher Entwurf sowohl von den
Vorbeugungsmaßregeln handelte, als auch das Verfahren vorschrieb, welches beim
Auftreten der Reblaus angewendet werden sollte, und die Grundsätze feststellte,
nach welchen die Eigenthümer der von der Krankheit heimgesuchten Reben ent-
schädigt werden sollten. Ehe indessen die gesetzgebenden Räthe sich über den
Entwurf hatten einigen können, hatte der Bundesrath (am 14. März 1877) den
Weinbau treibenden Staaten Europas die Veranstaltung eines internationalen
Kongresses zur Berathung von Maßnahmen vorgeschlagen, welche gemeinsam
gegen die Ausbreitung und für die Zerstörung der Reblaus getroffen werden
könnten. Infolge dessen erachtete es die Bundesversammlung für angezeigt, die
Berathung des bundesräthlichen Gesetzesentwurfes vom 7. Dezember 1876 zu
verschieben. Sie zog jedoch in Betracht,
,daß, wenn die Reblaus neuerdings in der Schweiz sich zeigen würde, es zu
bedauern wäre, wenn, weil ein Bundesgesetz noch nicht besteht, die Seuche aus
Mangel an vorsorgenden Maßregeln weiter um sich greifen könnte; ferner, daß
es im öffentlichen Interesse liege, die Kantone einzuladen, keine Vorkehrungen
zu versäumen, welche eine erfolgreiche Bekämpfung des Uebels versprechen, und
ihnen hiefür die materielle Unterstützung des Bundes zu sichern,*
und beschloß deßhalb am 15. Juni 1877:
„Den Kantonen, welche sich genöthigt sahen oder künftig genöthigt sehen
werden, Vorsichtsmaßregeln gegen die Reblaus zu ergreifen, bevor ein sachbezOg-
liches Bundesgesetz erlassen ist, sollen — rückwirkend — die eidgenössischen
Entschädigungen zu gut kommen, welche im gedachten Gesetze vorgesehen werden
können; unter der Bedingung, daß sie bei den betrelTenden Vorkehrungen sich
an die Weisungen der Bundesbehörde halten. Diese Entschädigungen dürfen nicht
weniger als ein Drittel der von den Kantonen gemachten Auslagen betragen."
Die internationale Konferenz fand vom 6. — 18. August 1877 in Lausanne
statt. Beschickt hatten dieselbe Deutschland, Oesterreich- Ungarn, Spanien, Frank-
reich, Italien, Portugal und die Schweiz. Die Konklusionen, zu welchen dieser
Kongreß gelangte, wurden allen europäischen Staaten mit der Einladung zum
Abschlüsse eines internationalen Vertrages auf Grundlage jener Konklusionen mit-
getheilt. Infolge dessen fand vom 9. — 17. September 1878 eine internationale
Konferenz in Bern statt, au welcher Vertreter der bereits genannten Staaten
theilnahmen. Das Ergebniß der Berathungen derselben war der am 17. September
Reblaus — 654 — Reblaus
1878 zu Staude gekommene internationale Vertrag betreffend die gegea
die Phylloxera vastatrix zu treffenden Maßregeln. Die Bundes Versammlung er-
theilte demselben mit Schlußnahme vom 17. Dezember 1878 die Genehmigung.
Nachdem derselbe sodann auch von den Regierungen von Deutschland, Frankreich,
Portugal und Oester reich- Ungarn ratifiziit worden war, trat er für diese Staaten
«m 15. Januar 1880 in Kraft. In der Folge traten demselben noch bei: Luxem-
burg und Belgien. Italien und Spanien, deren Vertreter den Vertrag mitunter-
zeichnet hatten, ratifizirten jedoch denselben nicht, in dem Glauben, durch eine
strengere autonome Gesetzgebung sich besser gegen den Rebenfeind schützen zu
können.
Wir müssen indessen hier zu den von dem Vertrage unabhängigen Schluß-
nahmen der Bundesversammlung und des Bandesrathes zurückkehren. Unterm
21. Februar 1878 beschloß die Bundesversammlung:
1) Der Bundesrath ist eingeladen, den Gesetzesentwurf vom 7. Dezember 1876 einer
erneuerten Prüfung zu unterbreiten und Bericht zu erstatten.
2) Der Bundesrath ist inzwischen ermächtigt, im Einverständniß mit den Kantonen
bei den Verhütungs- und Heilversuchen gegen das drohende Uebel sich angemessen
zu betbeiligen. Insbesondere ist er ermächtigt, eine angemessene Ueberwachung
und Untersuchung der Weinberge, sowie die erforderlichen Schutzmaßregeln gegen
die weitere Verbreitung der Reblaus anzuordnen, die Einfuhr, ZirkuhUion und
Ausfuhr von Pflanzen, Stoffen und Produkten, welche Träger der Reblaus sein
können, zu verbieten und die Uebertretungen dieses Verbotes mit entsprechenden
Bußen zu belegen. Zu diesem Behufe ist er ermächtigt, von sich aus die nötbigen
Auslagen bis zum Betrage von Fr. 50,000 (fünfzigtausend) aufzuwenden.
3) Der Bundesrath ist eingeladen, der Bundesversammlung über die Festsetzung der
zugesicherten Entschädigungen nach Maßgabe des Bundesbeschlusses vom 15. Brach-
monat 1877 Bericht und Antrag vorzulegen.
In Ausführung dieses Beschlusses, sowie desjenigen vom 15. Juni 1877,
«rließ sodann der Bundesrath unterm 18. April 1878 ein Vollziehungs-
reglement, welches einerseits die Kantone anhielt, eine genaue Ueberwachung
ihrer Weinberge zu organisiren, andrerseits allgemeine Normen betreffend die
Einfuhr von gefährlichen und verdächtigen Erzengnissen au&tellte und die Be-
strafung von Uebertretungen der Einfuhrverbote regelte. Dieses Vollziehungs-
reglemeut wurde nach Inkrafttreten der Reblauskonvention durch dasjenige vom
6. Februar 1880 ersetzt, welches mit den Bestimmungen des Vertrage« in Ueber-
einst!mmung gebracht wurde.
Die Vollziehung dieses Vertrages begegnete bald großen Schwierigkeiten.
Es war namentlich die Bestimmung in Art. 3, AI. 3, daß die Wurzeln der zur
Versendung gelangenden Obstbäume, Gresträuche und verschiedenen Erzeugnisse
der Baumschulen, Grärten und Treibhäuser vollständig von Erde gereinigt sein
müssen, welche zu lebhaften Beschwerden der Handelsgärtner in sämmtlichen
Vertragsstaaten und anderswo, namentlich der belgischen, die bekanntlich mit
Garten bauprudukten, insbesondere Zierpflanzen, einen lebhaften Exporthandel be-
treiben, Anlaß gab. Es wurde mit Hecht geltend gemacht, daß für die immer-
grünen Pflanzen jene Vorschrift einem absoluten Verbote, sie von einem Ort zum
andern zu bringen, d. h. der gänzlichen Unterdrückung des Handels mit den-
selben, gleichkomme.
Da auch noch andere Punkte der Konvention vom Jahre 1878 revisions-
bedürftig schienen, lud der schweizerische Bundesrath, welcher nach Art. 7, AI. 3,
der Konvention die Vermittlung zwischen den kontrahirenden Staaten übernommeD
hatte, die Regierungen der dem Vertrage beigetretenen Staaten zu einer Konferenz
nach Bern ein. Dieselbe fand vom 3. Oktober bis 3. November 1881 statt. Das
Rehlaus — 655 — Rel)Iaus
Resultat der Berathungen derselben ist nachfolgende am 3. November 1881 von
-den Vertretern der Schweiz, Deutschlands, Frankreichs, Oesterreich -Ungarns und
Portugals unterzeichnete
Internationale Phylloxera-Uebereinkunft:
Art. 1. Die vertragschließenden Staaten treten von der internationalen Ueberein-
kuntl vom 17. September 1878 zurück, um eine neue abzuschließen, und vei-ptlichten
sicli, ihre innere Gesetzgebung, falls sie es nicht schon gethan haben, dahin zu ver-
vollständigen, daß dadurch eine gemeinschaftliche und wirksame Bekämpfung der Ein-
schleppung und Verbreitung der Reblaus gesichert wird. — Diese Gesetzgebung soll sich
insbesondere auf folgende Punkte beziehen: 1) die Beaufsichtigung Jer Weinberge,
Pflanzschulen aller Art, der Gärten und Treibhäuser, die zur Auffindung der Reblaus
erforderlichen Untersuchungen und Ermittlungen und endlich die behufs möglichster
Ausrottung derselben zu entwickelnde Thätigkeit : 2) die Abgrenzung der von der Krank-
heit befallenen Flächen und des Umfanges der durch die Nachbarsi'hafl von Infektions-
herden verdächtig gewordenen Bezirke, und zwar je im Verhältniß zum Auftreten und
zur Verbreitung des Uebels im Innern der Staaten: 3j die Regelung des Transportes
und der Verpackung der Rebensetzlinge, der Theile und Produkte der Rebe, sowie der
Setzlinge, Gesträuche und aller andern Erzeujprnisse des Gartenbaues, um zu verhindern,
daß die Krankheit ihren Herd im Innern des Landes überschreite oder in andere Staaten
Eingang finde; 4) die Verfugungen betrelTend die Uebertretungen der angeordneten
Maßregeln.
Art. 2. Zmn ungehinderten internal ionalen Verkehr werden zugelassen: Wein,
Trauben, Trester, Traubenkerne, abgeschnittene Blumen, Geninseprodukte, Samenkörner
und Früchte aller Art. — Tatoltrauben dürfen nur in fest verpackten, aber dennoch
leicht zu untersuchenden Kisten, Schachteln oder Körben zur Versendung gelangen. —
Weiulesetrauben dürfen nur gekeltert und in wohkerschlossenen Gebinden zirkuliren.
— Weintrester dürfen nur in Kisten oder wohlverscldosseneu Fässern zirkuliren. —
Jeder Staat hat das Recht, in den Grenzdistrikten beschränkende Maßnahmen gegenüber
den Gemüsen zu erlassen, die als Zwischenkulturen in phylloxerirten Weinbergen gezogen
worden sind.
Art. 3. Setzlinge, Gesträuche und alle andern Vegetubilien außer der Rebe, die
aus Pflanzschulen, Gärten oder Treibhausern konmien, werden zum internationalen
Verkehr zugelassen, können jetloch in einen Staat nur über die von demselben zu be-
zeichnenden Zollbureaux eingeführt werden. — Die j?enannten Gegenstände sollen fest
verpackt sein, jedoch immerhin nur so, daß die noth wendigen Untersuchungen leicht
möglich sind. Sie müssen von einer Deklaration des Versenders und einer Bescheinigung
der kompetenten Behörde des Landes, aus welchem sie kommen, begleitet sein, welche
Bescheinigung besagen soll: a. daß sie aus einem Grundstück (einer Anpflanzung, einer
Einfriedigung) kommen, welches von jedem Rebstock wenigstens 20 Meter entfernt oder
von den Wurzeln desselben durch ein von der kompetenten Behörde für genügend
erachtetes Hinderniß getrennt ist; b. daß dieses Grundstück selbst keinen Rebslock ent-
hält; c. daß auf demselben keine Rebstöcke abgelagert sind; d. daß, wenn mit der
Reblaus behaftete Reben in demselben sich befunden haben, die Ausrodung der Wurzeln,
wiederholte Behandlung mit Gilt und während drei Jahren Untersuchungen stattgefunden
haben, die die vollständige Vernichtung des Insekts und der Wurzeln sichern.
Art. 4. Hinsichtlich der Zulassung von Weinlesetrauben, Weinlreslern, Kompost,
Düngererde, schon gebrauchten Schutzpfahlen und Rebstecken in die Grenzgebiete
werden sich die Nachbarstaaten ins Einvernehmen setzen, mit dem Vorbehalte jedoch,
daß die genannten Gegenstände nicht aus einer von der Reblaus heimgesuchten Gejrend
kommen.
Art. 5. Ausgerissene Reben und trockenes Rebholz sind von dem internationalen
Verkehr ausgeschlossen. — Indessen können sich die aneinander grenzenden Staaten
hinsichthch der Zulassung dieser Gegenstände in den Grenzgebieten ins Einvernehmen
setzen, unter dem Vorbehalte, daß dieselben nicht aus einer von der Reblaus heim-
gesuchten Gegend kommen.
Art. 6. Rebensetzlinge, Rebenschößlinge mit oder ohne Wurzeln und Rebholz
dürfen in einen Staat nur mit dessen förmlicher Einwilligung und unter Kontrole der
Regierung, und nachdem sie desinfizirt worden sind, eingeführt werden. Die Einfuhr
darf nur über die besonders bezeichneten Zollbureaux stattfinden. - Die genannten
Gegenstände dürfen nur in hölzernen, vollständig mit Schrauben verschlossenen, aber
Reblaus — 656 — Reblaus
dennoch leicht zu untersuchenden Kisten zirkuliren. Das Packzeug muß ebenfalls des-
inlizirt worden sein.
Art. 7. Die zum internationalen Verkehr zugelassenen Sendungen, welcher Art sie
immer sein mögen, dürfen weder Rebenabgänge, noch Rebenblätter enthalten.
Art. 8. Die Gegenstände, welche bei einer Zollstätte angehalten worden sind, weil
sie den Vorschriften in den Art. % 3, 6 oder 7 nicht genügen, müssen an den Versandtort
auf Kosten dessen, den es angeht, zurückgewiesen oder nach der Wahl ihres Eigenthümers,
wenn derselbe gegenwärtig ist, durch Feuer vernichtet werden. — Die Gegenstände»
an denen die zugezogenen Sachverständigen die Reblaus oder verdächtige Anzeichen
gefunden haben, sollen sofort und an Ort und Stelle sammt ihrer Verpackung durch
Feuer vernichtet werden. In einem solchen Falle soll ein Protokoll aufgenommen und
der Regierung des Herkunftlandes übermittelt werden.
Art. 9. Die vertragschließenden Staaten verpflichten sich, behufs der Förderung
des Zusammenwirkens sich regelmäßig und mit der Erlaubniß, davon für die von ihnen
zu machenden und wechselseitig auszutauschenden Veröffentlichungen Grebrauch zu
machen, mitzutheilen : 1) die von jedem derselben hinsichtlich des Gegenstandes erlassenen
Gesetze und Verordnungen; 2) die in Vollziehung dieser Gesetze und Verordnungen,
sowie der gegenwärtigen Uebereinkunfl getroffenen Maßregeln; 3) die Art und Weise,
wie sowohl im Innern als an den Grenzen die Dienststeilen zur Bekämpfung der Reb-
laus organisirt sind, sowie die Berichte über den Verlauf der Reblauskrankheil ; 4) jede
Entdeckung eines neuen Reblausherdes auf einem bisher für verschont gehaltenen Gebiete,
mit Angabe der Ausdehnung und wenn möglich der Ursachen der Ansteckung (diese
Mittheilung soll stets ohne Verzug gemacht werden); 5) eine Karte mit Maßstab, die
jedes Jahr zur Bezeichnung der Abgrenzung der infizirten Flächen und der durch die
Nachbarschaft von Infektionsherden verdächtig gewordenen Bezirke erstellt werden soll ;
6) auf dem Laufenden gehaltene Listen der Anlagen, Pflanzschulen und Gärten, welche
in passender Jahreszeit regelmäßigen Untersuchungen unterworfen und amtlich als den
Vorschriften der gegenwärtigen Uebereinkunft entsprechend erklärt werden; 7) jede neue
Ermittlung einer Ans-teckung in Anlagen, Rebschulen und Gärten aller Art, unter mög-
lichst vollständiger Angabe der in den letzten Jahren vorgekommenen Versendungen
(diese Mittheilung soll stets ohne Verzug gemacht werden) ; 8) die Ergebnisse der wissen-
schaftlichen Forschungen und praktischen Erfahrungen und Verfahren in Bezug auf die
Phylloxenifrage ; 9) alle sonstigen Schriftstücke, welche für den Weinbau von Interesse sind.
Art. 10. Die durch gegenwärtige Uebereinkunft verbundenen Staaten werden die
nicht kontrahirenden Länder nicht günstiger behandeln als die kontrahirenden Staaten.
Art. 11. Wenn es für nöthig erachtet wird, werden die vertragschließenden Staaten
sich an einer internationalen Versammlung vertreten lassen, welche die Aufgabe hat,
die aus der Vollziehung der Uebereinkunft sich ergebenden Fragen zu prüfen und die
durch die Erfahrung und die Fortschritte der Wissenschaft gebotenen Abänderungen
vorzuschlagen. - Besagte internationale Versammlung wird ihre Sitzungen in Bern halten.
Art. 12. Die Auswechslung der Ratitikationen soll binnen sechs Monaten nach dem
Datum der Unterzeichnung der gegenwärtigen Uebereinkunft oder, wenn es möglich ist,
noch früher in Bern stattfinden. Die Uebereinkunft wird 15 Tage nach der Auswechslung
der Ratifikationen in Kraft treten.
Art. 13. Jeder Staat kann jederzeit dei gegenwärtigen Uebereinkunft beitreten
oder von ihr zurücktreten mittelst einer Erklärung zu Händen des hohen schweizerischen
Bundesrathes, welcher die Vermittlung zwischen den vertragschließenden Staaten hin-
sichtlich der vorstehenden Art. 11 und 12 übernimmt. — Zur Urkunde dessen haben
die betreffenden Bevollmächtigten diese Uebereinkunft unterzeichnet und derselben ihr
Wappensiegel beigedrückt.
(Unterschriften.)
Schlußprotokofh
Die Unterfertigten, zur Unterzeichnung der internationalen Phylloxera- Uebereinkunft
Versammelten erklären sich einverstanden über den Sinn und die Geltung der folgenden
erklärenden und ergänzenden Anmerkungen:
Zu Art. 1, Ziff. 1. Unter dem Ausdruck „serres" ist jede Einrichtung zu verstehen,
welche zur Vermehrung und Erhaltung von Pflanzen dient (Treibbeete, Treibhäuser,
Orangerien etc.).
Zu Art. 1, Ziff. 2. Jeder Staat bestimmt die Ausdehnung der durch die Nachbar*
Schaft von Infektionsherden verdächtig gewordenen Bezirke, nach den besonderen Ver-
hältnissen eines jeden Falles.
Reblaus — 657 — Reblaus
Zu Art. 1. Ziff. 3. Die Konferenz macht die Regierungen auf die Postsendungen
aufmerksam.
Zu Art. 2, Abs. 1. Die vertragschließenden Staaten, in Berücksichtigung der eigen-
thümlichen Lage der Schweiz, gestehen diesem Staate das Recht zu, die Einfuhr von
Tafeltrauben nach den weinbautreibenden Gegenden zu verbieten, nicht aber deren
Durchfuhr zu unte^^agen.
Zu Art. 2, Abs. 3. Die Gebinde müssen einen Gebalt von wenigstens fünf Hekto-
liter haben. Dieselben müssen so gereinigt sein, daß sie keine Erd- oder Rebbestand-
theile an sich haben.
Zu Art. 3, Abs. 3. Die Deklaration des Versenders, welche die mit der Rebe nicht
verwandten Pflanzen zu begleiten hat, muß 1) bescheinigen, daß die gesammte Sendung
aus seinen Anlagen kommt; 2) den Ort des definitiven Empfangs und die Adresse des
Empfängers angeben; 3) die Versicherung enthalten, daß sich in der Sendung keine
Reben befinden; 4) angeben, ob die Sendung Pflanzen mit Erde an den Wurzeln ent-
hält; 5) mit der Unterschrift des Versenders versehen sein.
Zu Art. 3, Abs. 2, a und d. Die Bescheinigung der kompetenten Behörde muß
stets auf der Erklärung eines amtlichen Sachverständigen beruhen.
Zu Art. 6, Abs. 1. Die vertragschließenden Staaten werden in den Grenzdistrikten
m Bezug auf fremde Reben oder solche verdächtigen Ursprungs, soweit es möglich ist,
zu Gunsten ihrer Nachbarstaaten beschränkende Maßnahmen trefifen.
Zu Art. 6, Abs. 2. Die Wahl eines Desinfektionsverfahrens, das von der Wissen-
schaft als wirksam anerkannt ist, ist jedem Staate überlassen.
Zu Art. 8, Abs. 1. Was die mit der Rebe nicht verwandten Pflänzchen, die Topf-
pflanzen, die Tafeltrauben ohne Blätter und Rebholz anbetrifft, so wird jeder Staat
seinen Zollbureaux besondere Instruktionen für den Fall ertheilen, daß jene Gegenstände
von Reisenden als Handgepäck eingeführt werden.
Zu Art. 9, Zif!'. 5. Ein oder mehrere infizirte isolirte Rebstöcke außerhalb einer
mit Pflanzen Handel treibenden Anlage und außerhalb einer W^einbau treibenden Gegend
sollen nicht zur Folge haben, daß ein ganzer Verwaltungsbezirk mit dem Banne belegt
werde, wenn amtlich konstatirt wird, daß die im Art. 3, Abs. 2, litt, d^ vorgeschriebenen
ZerstOrungsarbeiten genau vorgenommen worden sind. — Jeder Staat soll in diesem
Falle die Ausdehnung der verdächtigen Zone um diesen Punkt bestimmen, und die
Dauer des auferlegten Bannes soll nicht weniger als drei Jahre betragen. — Ein auf
diese Weise mit dem Banne belegter Ort soll wo möglich auf der Karte durch einen
Punkt und seinen Namen bezeichnet werden ; jedenfalls soll die Bedeutung des Angriffs-
punktes oder die Ausdehnung des unter Sequester gestellten Grundstückes genau an-
gegeben werden.
(Unterschriften.)
Für diese Staaten trat die Konvention 15 Tage nach der am 29. April 1882
erfolgten Auswechslong der Ratifikationen, d. i. den 14. Mai 1882, in Kraft.
In der Folge traten der Konvention noch bei: 1) Belgien am 8. Juni 1882,
2) Luxemburg am 11. August 1882, 3) Serbien am 10. Oktober 1884, 4) die
Niederlande am 8. Dezember 1883, und schließlich nach langem Sträuben Italien,
Ende Dezember 1887 ; die dieser Konvention beigetretenen Staaten repräsentiren
sonach den weitaus größten Theil des europäischen Weingebietes.
Wie man sich durch den Text llberzeugen kann, regelt die Konvention fast
ausschließlich den internationalen Verkehr in landwirthschaftlichen Produkten und
beim Weinbau zur Verwendung gelangenden Geräthschaften.
Im Interesse des Grenz Verkehrs ist dann noch, in Ausführung der Konvention,
vom Bundesrath, in Uebereinstimmung mit der kaiserlich deutschen Regierung,
unterm 25. September 1884 folgende Schlußnahme getroffen worden:
Art. 1. Setzlinge, Gesträuche und alle andern Vegetabilien außer der Rebe dürfen
aus einem nicht mehr als 15 Kilometer von der deutsch-schweizerischen Grenze ent-
fernten Orte Elsaß-Lothringens nach einem nicht mehr als 15 Kilometer von jener
Grenze entfernten Orte der Schweiz eingeführt werden, ohne von den im Art. 3 der
internationalen Phylloxerakonvention vorgeschriebenen Bescheinigungen begleitet zu sein,
vorausgesetzt, daß die betrefl'ende Sendung aus einer von der Heblaus nicht heim-
gesuchten Gegend herrührt. — Dieselbe Erleichterung wird der Ausfuhr der genannten
Furrer, Volkttwirthschafts-Lexikon der Schweiz. 42
Reblaus — 658 — Reblaus
Gegenstände aus der Schweiz nach Elsaß-Lothringen gewährt, falls dieselben aus einem
nicht mehr ab? 15 Kilomeier von der schweizerisch-deutschen Grenze entfernten Orte
herkommen und nach einem nicht mehr als 15 Kilometer von derselben Grenze ent-
fernten Orte Elsaß-Lothringens bestimmt sind.
Art. 2. Weinlesetrauben, Trester, Kompost, Düngererde, schon gebrauchte Schutz-
ptähle und Rebstecken, welche aus einem nicht mehr als 15 Kilometer von der deutsch-
schweizerischen Grenze entfernten Orte des Großherzogthums Baden oder Elsaß-Lothringens
herrühren und nach einem nicht mehr als 15 Kilometer von derselben Grenze entfernten
Orte der Schw^eiz bestimmt sind, unterliegen, vorausgesetzt, daß sie aus einer von der
Reblaus nicht heimgesuchten Gegend kommen, bei ihrer Einfuhr den Bestimmungen im
Art. 2, Abs. 3 und 4, der internationalen Phylloxerakonvention nicht. — Dieselbe Er-
leichterung wird der Ausfuhr der genannten Gegenstände aus der Schweiz nach dem
Großherzogthum Baden und Elsaß-Lothringen gewährt, falls dieselben aus einem nicht
mehr als 15 Kilometer von der schweizerisch -deutschen Grenze entfernten Orte der
Schweiz herrühren und nach einem nicht mehr als 15 Kilometer von derselben Grenze
entfernten Orte des Großherzogthums Baden oder Elsaß-Lothringens bestimmt sind.
Art. 3. Die Grenzzollbehörden sind, wenn im einzelnen Falle über die Herkunft
einer Sendung Zweifel waltet, befugt, den durch die kompetente Behörde zu leistenden
Nachweis zu verlangen, daß die betreffende Sendung aus einem nicht von der Reblaus
infizirten oder der Infektion verdächtigen Orte herrührt.
Art. 4. Das eidg. Landwirlhschafts- und das Zolldepartement sind mit der Voll-
ziehung des gegenwärtigen Beschlusses beauftragt, ein jedes, soweit es seinen Geschäfts-
kreis betrifft.
In gleicher Weise, wie in Art. 1 dieses Beschlusses der Verkehr in mit
der Rebe nicht verwandten Pflanzen zwischen der Schweiz und Elsaß-Lothringen,
wurde mit Schlußnahme vom 20. Oktober 1885 der Verkehr in denselben Pflanzen
mit dem Großherzogthum Baden geregelt.
Eine besondere Regelung erheischte auch der Verkehr mit der zollfreien
Zone der Landschaft Gt*x und IlochsavoyenSj weil die französische Zolllinie in
der Nähe der südwestlichen Grenze der Schweiz nicht mit der französischen
Landesgrenze zusammenfallt und die dazwischen liegenden Gegenden einer den
landwirthschaftlichen Verkehr kontrolirenden Behörde entbehren. Um diese Gegend
gegen das Eindringen der Reblaus von «ler Schweizer Seite her zu schützen,
verpflichtete sich die Schweiz, über die Zollstätten an der genferischen, waadt-
läudischen und Walliser Grenze kein als gefährlich erachtetes Produkt nach der
freien Zone exportiren zu lassen und verdächtige Produkte dem nämlichen Ver-
fahren für die Ausfuhr zu unterstellen, welches die Konvention für die Einfuhr
vorschreibt, und die Zahl der für die Ausfuhr zu bezeichnenden Bureaux zu
beschränken. (Schlußnahmen des schweizerischen ßundesrathes vom 8. und 26. Fe-
bruar 1884 und vom 21. April 1885.) Die französische Regierung ihrerseits
schrieb für den Fall des Auftretens der Reblaus in den freien Zonen diejenigen
Maßnahmen vor, welche laut französischem Gesetz vom 21. März 1883 im Falle
des Auftretens der Reblaus in Algier ergriffen werden müssen und weit energischer
sind, als die im Mutterlande zur Anwendung gelangenden.
Nach Besprechung der die internationalen Beziehungen regelnden Schluß-
nahmen kehren wir zu den die innern Verhältnisse berührenden Maßnahmen zurück.
Mehrere Bestimmungen des Vollziehungsreglements vom 6. Februar 1880
standen mit der inzwischen in Kraft getretenen Phylloxera-Üebereinkunft vom
3. November 1881 im Widerspruch. In der Zwischenzeit hatte die Bundes-
versammlung anläßlich der Berathung des Bundesbeschlusses betreffend die För-
derung der Land wir thschaft durch den Bund, vom 27. Juni 1884, auch der
Frage der F^ntschädigung der von der Reblaus heimgesuchten Kantone wieder
ihre Aufmerksamkeit zugewendet, indem sie auf den Antrag des Bundesratbes in
den Beschluß folgenden Artikol (10) aufnahm:
Heblaus — 659 — Reblaus
«Der Bundesrath ist ermächtigt, eine gehörige Ueberwachung der Weinberge,
sowie die erforderlichen Schutzmaßregeln gegen die Verbreitung der Reblaus und
anderer Schädlinge anzuordnen, die Einfuhr, Zirkulation und Ausfuhr von Pflanzen,
Stoffen und Produkten, welche Träger der Reblaus öder eines andern dieLand-
wirthschaft bedrohenden Schädlings sein können, zu verbieten und Strafbestim-
mungen aufzustellen, welche für Uebertretungen dieses Verbotes Bußen bis zum
Betrage von Fr. 1000 vorsehen. — Der Bund kann denjenigen Kantonen, welche
zur Bekämpfung von Schädlingen und Krankheiten der landwirthschaftlichen
Kulturen Maßregeln ergreifen, Unterstützungen bis zum Betrage von 40 7» <ier
von ihnen gemachten Ausgaben zukommen lassen. — Die zur Ausrichtung dieser
Entschädigungen erforderlichen Summen sollen alljährlich auf dem Budgetwege
verlangt werden. — Der Bundesrath wird die Bedingungen feststellen, unter denen
Entschädigungen beansprucht werden können.**
Um das Reglement vom 6. Februar 1880 mit der Konvention und diesem
Artikel in Uebereinstimmung zu bringen, unterzog der Bundesrath dasselbe einer
Revision. Das neue, revidirte
Reglement
datirt vom 29. Januar 1886 und lautet folgendermaßen:
I. Allgemeine Bestimmungen. Art. 1. Zum Zwecke geeigneter Vorkehrungen gegen
•die Reblaus wird dem eidg. Landwirthschafts-Departement eine Expertenkommission
beigegeben.
Art. 2. Die Kantone sind beauftragt, die Ueberwachung ihrer Weinberge, Gärten,
Baumschulen und Treibhäuser zu organisiren, sowie für die zur Auffindung der Reblaus
•erforderlichen Untersuchungen und Ermittlungen, gemäß den Anleitungen des eidg.
Landwii'thschafts-Departements, zu sorgen. — Sie sollen insbesondere darüber wachen,
daß in den Weinbergen oder deren Nähe keine Anpflanzung von Setzlingen irgend
welcher Art, welche für gefährlich oder verdächtig gehalten werden, stattfinde, ohne
daß diese Setzlinge vorher von Experten untersucht worden sind. — Die Erziehung oder
Vermehrung amerikanischer Reben vermittelst Samen, Pfropfung oder Setzlingen darf
nur mit Einwilligung des eidg. Landwirthschafls-Departements stattfinden.
Art. 3. Die Kantone haben anzuordnen, daß in jeder Weinbau treibenden Gemeinde
«ine Kommission von Sachverständigen bezeichnet werde, welche die Rebenpflanzungen,
•Gärten, Baumschulen und Treibhäuser ihrer Gemeinde regelmäßig zu besichtigen haben,
insbesondere während der Zeit von Anfang Juni bis 15. August.
Art. 4. Beim Auftreten der Reblaus wird der Bundesrath, im Einverständniß mit
•den betroffenen Kantonen und nach Anleitung der eidgenössischen und kantonalen
Experten, die zur Bekämpfung des Uebels erforderlichen Maßnahmen anordnen.
Art. 5. Die Kantone haben gegen Ende jedes Jahres dem Bundesrathe über die
Ton Behörden, Lokalkommissionen und Experten während des Jahres zum Schutze der
Reben gegen die Reblaus entfaltete Thätigkeit, sowie über sämmtliche damit zusammen-
hängende Vorkommnisse einen Bericht zu erstatten. — Diesem Bericht soll ein Ver-
zeichniß derjenigen Anlagen, Pflanzschulen und Gärten beigefügt werden, welche in
passender Jahreszeit regelmäßigen Untersuchungen unterworfen und amtlich als den
Vorschriften der internationalen Phylloxerakonvention entsprechend erklärt worden sind.
Art. 6. Den Kantonen, welche sich genöthigt sehen, zur Unterdrückung der Reb-
lauskrankheit Maßnahmen zu ergreifen, wird eine Entschädigung bis auf den Betrag von
40 % derjenigen Ausgaben gewährt, welche den öffentlichen Organen durch die Unter-
suchungen in unmittelbarer Nähe der Reblausherde, die Vertilgungsarbeiten und die
Anschafl'ung von Vertilgungsmitteln erwachsen sind. — Die Auszahlung der Entschädi-
gungen erfolgt nur, wenn die betroffenen Kantone sich bei ihren Vorkehrungen zur
Unterdrückung der Reblauskrankheit an die Weisungen der Bundesbehörde gehalten,
und nachdem sie eine spezifizirte und mit Belegen versehene Rechnung ihrer sach-
bezüglichen Aaslagen eingereicht haben.
Art. 7. Nach Anhörung der Regierungen der von der Reblaus heimgesucliten
Kantone wird der Bundesrath den Umfang der angesteckten Bodenflächen und die Aus-
dehnung des wegen der Nähe von Ansteckungsherden als verdächtig erscheinenden
Gebietes bestimmen.
Art. 8. Die Ueberwachung der Vollziehung derjenigen Vorschriften des gegen-
wärtigen Reglements, welche sich auf den Post- und Eisenbahnverkehr beziehen, ist
:Sache des Bundes. Die Kantone haben für die Ueberwachung der übrigen Transport-
Reblaus — 660 — Reblau»
Unternehmungen und -Mittel, einschließlich der Dampi'boofe, zu sorgen, soweit es sich
hiebei nicht um Postsendungen handelt.
II. Vorschriften, die Einfuhr betreffend. Art. 9. Es ist untersagt : Rebenpflänz-
linge, Schnittlinge, Rebholz, Rebblfitter und Rebenabgänge, nicht gekelterte Weinlese-
trauben, gebrauchte Schutzpfähle und Rebstecken, Kompost und Düngererde in die
Schweiz einzuführen. — Vorbehalten bleiben die in Gemäßheit von Art. 4 der inter-
nationalen Phylloxerakonvenlion in Bezug auf die Einfuhr von Weinlesetrauben, Wein-
trestern, Kompost und Düngererde, schon gebrauchten Schutzpfählen und Rebstecken
in die Grenzbezirke zu treffenden Vereinbarungen. — Auch kann das eidg. Landwirth-
schafts-Departement, wenn ihm die Gefahrlosigkeit davon nachgewiesen wird, ausnahms-
weise Bewilligungen ertheilen, welche von dem in Alinea 1 dieses Artikels enthaltenen
Verbote theilweise abgehen.
Art. 10. Tafeltrauben und Weinlese tra üben, Trester, Obstbäume, Setzlinge und
Gesträuche welche aus Staaten kommen, die der internationalen Phylloxerakonvention
nicht beigetreten sind ^), dürfen nur mit Bewilligung des eidg. Landwirthschafls-Departe-
ments eingeführt werden.
Art. 11. Tafeltrauben dürfen nur dann an den Grenzen der Schweiz angenommen
werden, wenn sie nicht mit Blättern oder Rebholz versehen sind, und in wohlverschlossenen,,
aber dennoch leicht zu untersuchenden Schachteln, Kisten oder Körben verpackt sind.
Das Gewicht einer gefüllten Kiste, Schachtel oder eines gefüllten Korbes darf 10 Kilos
nicht übersteigen. — Weinlesetrauben dürfen nur gekeltert und in gutverschlossenen
Fässern von wenigstens 5 Hektoliter Gehalt eingeführt werden; die Fässer müssen so
gereinigt sein, daß sie keine Erd- oder Rebbestandtheilc an sich tragen. Die Anbringung
von Transportspunden ist gestattet. — - Trester dürfen nur in wohl verschlossenen Kisten
oder Fässern eingeführt werden.
Art. 12. Tafeltrauben ohne Blätter und ohne Rebholz, gekelterte Weinlesetrauben
und Trester, die aus Staaten kommen, die der internationalen Phylloxerakonvention
beigetreten sind, der Wein, getrocknete Trauben und Traubenkerne, abgeschnittene
Blumen, Gemüseprodukte, Samenkörner aller Art und Früchte, woher sie auch kommen
mögen, dürfen frei in die Schweiz eingeführt werden.
Art. 13. Setzlinge, Gesträuche, Obstbäume und alle anderen Vegetabilien außer
der Rebe, die aus Pflanzschulen, Gärten oder Treibhäusern kommen, dürfen nur über
folgende Zollstätten eingeführt werden: a. aus Frankreich: über die Zollstatten von
Pruntrut, Verri^res, Vallorbes und Genf (Bahnhof) ; b. aus Deutschland : über die Zoll-
stätten von Basel (Central- und badischer Bahnhof), Waldshut, Schaffhausen, Erzingen,
Thayngen, Singen, Konstanz, Romanshorn und Roischach ; c. aus Oesterreich : über die
Zollstätten von St. Margarethen und Buclis. — Das eidg. Landwirthschafts-Departement
ist ermächtigt, falls das Bedürfniß dafür sich geltend macht, noch andere ZoUbureaux
für die Einfuhr der oben genannten Gegenstände zu öffnen. ^
Art. 14. Diese Gegenstände müssen fest, jedoch nur so, daß die nothwendigen
Untersuchungen leicht möglich sind, verpackt und von einer Deklaration des Versenders
und einer Bescheinigung der Orlsbehörde begleitet sein. — Die Erklärung des Absenders
muß 1) bescheinigen, daß der Inhalt der Sendung vollständig aus seiner Gartenanlage
kommt; 2) den letzten Bestimmungsort und die Adresse des Empfilngers angeben;
3) die Versicherung enthalten, daß die Sendung keine Reben enthält; 4) angeben, ob
die Sendung Pflanzen mit Erde an den Wurzeln enthält; 5) mit der Unterschrift
des Absenders versehen sein. — Die Bescheinigung der Ortsbehörde muß auf der Er-
klärung eines Sachverständigen beruhen und besagen : a. daß die Gegenstände aus einem
Grundstück (einer otTenen oder umfriedigten Anpflanzung) kommen, welches von jedem
Rebstock wenigstens 20 Meter entfernt oder von den Wurzeln desselben durch ein von
der kompetenten Behörde für genügend erachtetes Hinderniß getrennt ist : b. daß dieses
Grundstück selbst keinen Rebstock enthält ; c. daß auf demselben keine Rebstöcke ab-
gelagert sind ; d. daß, wenn mit der Reblaus behaftete Reben sich in demselben befunden
\) Folgende Staaten sind bis heute der internationalen Phylloxerakonvention bei-
getreten : Belgien, Deutschland. Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Oester-
reich-Untrarn, Portugal, die Schweiz und Serbien.
^ Seit Erlaß dieses Reglements sind noch folgende Zollstätten für den Pflanzen-
verkehr geöffnet worden: Locle. Kreuzungen, Emmishofen, Tägerweilen, Martinsbruck,
und nach dem Beitritt Italiens zur Reblauskonvention : Luino (Bahnhof), Ghiasso (Bahn-
hof und Straße), Stabio, Ponte Tresa, Lugano, Locarno, Splögen, Castasegna, Campoco^
logno und Gondo.
Heblaus — 661 — Reblaus
haben, die Ausrodung der Wurzeln, wiederholte Behandlung mit Gift und während drei
Jahren Untersuchungen stattgefunden haben, die eine vollständige Vernichtung des Insekts
und der Wurzeln verbürgen.
Art. 15. Das eidg. Landwirthschafts-Departement ist ermächtigt: 1) in Betreff der
mit der Rebe nicht verwandten Pflanzen, Blumen in Töpfen, Tafeltrauben ohne Blätter
und RebhoLz, welche von Reisenden als Handgepäck oder als Passagiergut (eingeschriebenes
Gepäck) eingeführt werden, Ausnahmen von den Bestimmungen der Art. 11, 13 und 14
zu gestatten ; 2) die Einfuhr von Tafeltrauben nach den Weinbau treibenden Gegenden
der Schweiz zu verbieten, nicht aber deren Durchfuhr zu untersagen; 3) hinsichtlich
der Einfuhr von Erzeugnissen des Gemüsebaues, welche zwischen infizirten Rebpflanzungen
gewachsen sind, beschränkende Maßnahmen zu treffen.
III. Vorschriften, die Ausfuhr betreffend. Art. 16. Nach den der internationalen
Phylloxerakonvention beigetretenen Staaten dürfen o. Tafeltrauben nur in fest verpackten,
aber dennoch leicht zu untersuchenden Schachteln, Kisten oder Körben, b. Weinlese-
trauben nur gekeltert und in wohlverschlossenen Gebinden von mindestens 5 Hektohter
Gehalt, c. Weintrester nur in wohlverschlossenen Kisten oder Fässern ausgeführt werden.
— Die Ausfuhr von ausgerissenen Reben, trockenem Rebiiolz, Rebenpflänzlingen und
Schnittlingen nach den genannten Staaten ist verboten, falls der betreffende Staat die
Einfuhr derselben nicht ausdrücklich bewilligt hat. — Vorbehalten bleiben die in Ge-
mäßheit von Art. i der internationalen Phylloxerakonvention in Bezug auf die Ausfuhr
von Weinlesetrauben, Weintrestern, Kompost und Düngererde, schon gebrauchten Schutz-
ptUlilen und Rebstecken in die Grenzbezirke zu treffenden Vereinbarungen.
Art. 17. Die Ausfuhr von Setzlingen, Gesträuchen und allen anderen Vegetabilien
außer der Rebe, die aus Pflanzschulen, Gärten oder Treibhäusern kommen, nach einem
der internationalen Phylloxerakonvention beigetretenen Staate ist nur über die von dem
betreffenden Staate hiefür bezeichneten Zollstätten gestattet. — Die Sendungen müssen
von einer Bescheinigung der kompetenten Behörde und einer Erklärung des Absenders
versehen sein, wie solche in Art. 14 für die Einfuhr vorgeschrieben sind.
IV. Vorschrift, den Transit betreffend. Art. 18. Setzlinge, Gesträuche und alle
anderen Vegetabilien, die nicht zur Kategorie der Rebe gehören, werden zum Transit
durch die Schweiz an den ZoUbureaux angenommen, ohne daß die bezüglichen Sendungen
von den in Art. 14 geforderten Bescheinigungen begleitet sind, vorausgesetzt, daß die
Durchfuhr in Kollis erfolge, welche fest und derart verpackt sind, daß sie bei ihrem
Eintritt in die Schweiz von der Zollbehörde verbleit werden können. — Hinsichtlich
der übrigen in diesem Reglemente namhaft gemachten Gegenstände gelten für den
Transit dieselben Vorschriften, die für die Einfuhr aufgestellt sind.
V. Vorschriften betreffend die Zirkulation im Innern. Art. 19. Die Ausfuhr von
Rebenpflänzlingen, Rebholz, Rebstöcken, Hebblättern und Rebenabgängen, nicht ge-
kelterten Weinlesetrauben und Trestern, von schon gebrauchten Schutzpfählen und
Rebstecken, Kompost und Düngererde aus den angesteckten Zonen der Schweiz ohne
Einwilligung des eidg. Landwirthschalts-Departements ist verboten.
Art. 20. Der inländische Verkehr in den in den Art. 12 und 13 aufgezählten
Gegenständen darf von den Kantonen weder verl>oten noch beschränkenden Maßnahmen
unterworfen werden. — Indessen ist das eidg. Landwirthschafts-Departement ermächtigt,
von den ihm durch Art. 15 in Bezug auf die Einfuhr eingeräumten Ermächtigungen
auch hinsichtlich des Verkehrs im Innern Gebrauch zu machen.
Art. 21. Rebenpflänzlinge, l^ebenschnitllinge, Wurzelstöcke und Rebhölzer, welche
im Innern der Schweiz zirkuliren, müssen mit einem Ursprungszeugnisse versehen und
in vollständig, und zwar mit Schrauben, verschlossenen und trotzdem leicht zu unter-
suchenden und wieder zu verschließenden hölzernen Kisten verpackt sein. — Schon
gebrauchte Schulzpfahle und Rebstecken, Kompost und Düngererde, welche aus einem
Kanton in den andern ausgeführt werden, müssen ebenfalls von einem Ursprungszeugniß
begleitet sein.
Art. 22. Keine Sendung von Gegenständen, deren Zirkulation im Innern gestattet
ist, darf Weinblätter enthalten.
VI. Verfahren bei Uebertretungen und Strafbestimmungefi. Art. 23. W^enn bei
einer Zollstätte Gegenstände anlangen, deren Einfuhr in die Schweiz unbedingt verboten
ist (Art. 9), so sollen dieselben sofort und an Ort und Stelle sammt ihrer Verpackung
durch Feuer zerstört werden. — Die Gegenstände, welche bei einer ZoUstatle angehalten
worden sind, weil sie den Voi-schriften in den Art. 11, 13 und 14 nicht genügen, sollen
an den Versandtort auf Kosten dessen, den es angeht, zurückgewiesen oder nach der
Wahl ihres Eigenthümers, wenn er anwesend ist, durcli Feuer vernichtet werden. Die
Reblaus — 662 — Reblaus
Zerstörung durch Feuer muß unbediugt erfolgen, wenn die zugezogenen Sachverständigen-
die Reblaus oder verdächtige Anzeichen gefunden haben. — In einem solchen Falle ist
ein Protokoll aufzunehmen und behufs Mittheilung an die Regierung des Ursprungs*
landes dem Bundesrathe zuzustellen.
Art. 24. Die im Innern der Schweiz deßhalb mit Beschlag belegten Gegenstände,
weil sie mit der gegenwärtigen Verordnung im Widerspruch stehen, sollen konfiszirt
werden, lieber die konfiszirten Gegenstände hat der Kanton zu verfügen, in welchem
die Konfiskation erfolgt ist; falls es sich aber um Rebenpflänzlinge, Rebenschößlinge».
Rebholz. Rebblätter und Rebenabgänge handelt, die aus den angesteckten Zonen (Art 7
und 19) kommen, so sollen sie sofort und an Ort und Stelle sammt ihrer Verpackung
durch Verbrennung zerstört werden. Verbrannt müssen auch solche andere Gegenstände
werden, auf denen das Vorhandensein der Reblaus konstatirt wird. — Die Beförderungs-
mittel, durch welche diese Gegenstände transportirt wurden, sind nach einem vom eidg.
Landwirthschafts-Departement vorzuschreibenden Verfahren zu desinfiziren. — Die kan-
tonale Polizei soll jedesmal, wenn sie es für nöthig erachtet, die in gegenwärtigem
Reglemente namhaft gemachten Gegenstände durch amtliche Experten untersuchen lassen,
welche für den Fall, daß sie das Vorhandensein der Reblaus konstatiren sollten, darüber
ein Protokoll aufzunehmen haben. Dieses Protokoll soll wem Rechtens übermittelt
werden, damit die Uebertreter zur Verantwortung gezogen werden können.
Art. 25. Die Transportunternehmungen sind gehalten, die Beförderung von Gegen-
ständen, die den von gegenwärtigem Reglemente vorgeschriebenen Bedingungen nicht
entsprechen, zu verweigern. Wenn sich diese Gegenstände bereits im Verkehr befinden,
so haben jene Unternehmungen die Zuwiderhandlungen der zuständigen Polizeibehörde
anzuzeigen. — Die Desinfektion der Beförderungsmittel, durch welche Gegenstände, auf
denen das Vorhandensein der Reblaus konstatirt worden ist, transportirt wurden (Art. 22,.
AI. 2), hat durch die Transportanstalt und unter Aufsicht der kantonalen Behörde zu
geschehen, gegen eine Gebühr, welche vom Bundesrathe genehmigt sein muß und voa
der kantonalen Polizei zu entrichten ist.
Art. 26. Das Zoll-Departement sowie das Post- und Eisenbahn-Departement werden
in Verbindung mit dem Landwirthschafts-Departement die Instruktionen für die mit der
Vollzieiiung des gegenwärtigen Reglements beauftragten eidgenössischen Beamten auf-
stellen.
Art. 27. Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften dieses Reglements, soweit sie
in den Bereich schweizerischer Gerichtsbarkeit fallen, sollen mit einer Buße von Fr. 50-
bis Fr. bOO belegt werden. — Wer einen der in diesem Reglemente aufgefOhrten Gegen-
stände vermittelst eines falschen Ursprungszeugnisses oder Frachtbriefes oder durch Ver-
heimlichung des Inhalts einer Sendung, oder auf irgend eine andere betrügerische W^eise
eingeführt oder in Verkehr gebracht hat, soll mit Gelangniß von acht Tagen bis sechs
Monaten bestraft und mit einer Buße von Fr. 100 bis Fr. 1000 belegt werden, unbe-
schadet der Strafen, welche ihn wegen Urkundenfälschung in Gemäßheit der kantonalen
Strafgeselzgebuug treffen können. -- Ein Drittel der Buße föllt dem Beamten oder
Angestellten zu, der die Zuwiderhandlung zur Anzeige bringt, die zwei übrigen Drittel
dem Kanton. — Für nicht bezahlte Bußen gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes
vom liO. Juni 1849, betreffend das Verfahren bei Uebertretungen fiskalischer und polizei-
licher Bundesgesetze.
Art. 28. Das Landwirthschafts-, Zoll-, Post- und Eisenbahn-Departement sind mit
der Vollziehung des gegenwärtigen Reglements beauftragt, ein jedes, soweit es seinen
Geschäftskreis betrifft.
Art. 29. Das Reglement vom 6. Februar 1880, der Bundesrathsbeschluß vom
18. Augus^t 1880, sowie die Bestimmungen der kantonalen Gesetze und Verordnungen,
welche mit gegenwärtigem Reglemente in Widerspruch stehen, sind aufgehoben.
Nach Art. 3 der internationalen Phylloxerakonvention vom 3. November
IB^l werden Setzlinge, Gesträuche und alle anderen Vegetabilien außer der
Rebe, die aus Pflanzschulen, Gärten oder Treibhäusern kommen, nur dann zum
internationalen Verkehr zugelassen, wenn sie von einer Bescheinigung der
kompetenten Behörde des Ursprungslandes begleitet sind, zufolge welcher Be-
scheinigung in den internationalen Verkehr gebrachte Sendungen von Vegetabilien
gedachter Art aus einem Grundstück kommen müssen, welches von jedem Rebstock
wenigstens 20 m entfernt oder von den Wurzeln desselben durch ein von der
Jiompetenten Behörde für genügend erachtetes Hinderniß getrennt sein muß. Das.
Reblaus — 663 — Reblaus
Grondsttick selbst darf keinen Rebstock entbalten und es dürfen auf demselben
keine Rebstöcke abgelagert sein. Wenn mit der Reblaus bebaftete Reben in dem
Grandstticke sich befunden haben, muß die Bescheinigung des Fernern besagen,
daß die Ausrodung der Wurzeln, wiederholte Behandlung mit Gift und während
drei Jahren Untersuchungen stattgefunden haben, welche die vollständige Ver-
nichtung des Insektes und der Wurzeln sichern.
Die Yertragsstaaten sind nun im Jahre 1889 übereingekommen, daß PHanzen-
Sendungen, welche aus Anlagen kommen, die einerseits regelmäßigen Untersuchungen
unterworfen und amtlich als den Vorschriften der Uebereinkunft entsprechend
erklärt werden, andrerseits in den Listen figuriren, welche nach Art. 9, Ziff. 6,
der Uebereinkunft die Vertragsstaaten sich gegenseitig mitzutheilen sich verpflichtet
haben, im internationalen Verkehr auch dann zugelassen werden sollen, wenn sie
von der in Rede stehenden Bescheinigung nicht begleitet sind. Dem neuen
Uebereinkommen liegt die Erwägung zu Grunde, daß die Aufnahme einer gärtne-
rischen Anlage in jene amtlichen Verzeichnisse den Besitzer solcher Anlagen von
der mit erheblichen Kosten und Umständen verknüpften Beibringung behördlicher
Unverdächtigkeitszeugnisse für die einzelnen zur Ausfuhr bestimmten Pflanzen-
sendungen befreien solle, weil sonst die — mindestens gleiche Gewähr bietende
— Herstellung und Veröft'entlichung der Verzeichnisse Werth und Bedeutung
überhaupt nicht haben würde. Dem Art. 3 der internationalen Phylloxera-
konvention wurde dementsprechend als drittes Alinea folgender Zusatz beigefügt :
,In dem Verkehr zwischen den Vertraj^sstaaten bedarf es der in Absatz 2
vorgesehenen Bescheinigung der zuständigen Behörde des Ursprungslandes hin-
sichtUch derjenigen Pflanzensendungen nicht, die aus einer Anlage stammen,
welche in die nach Art. 9, ZifF. 6, der Konvention veröffentlichten Verzeichnisse
aufgenommen ist.**
Die bezügliche, von den Vertretern der Vertragsstaaten unterzeichnete Er-
klärung datirt vom 15. April 1889; von der Schweiz. Bundesversammlung wurde
dieselbe den 13./20. Juni 1889 ratifizirt.
IV, Vorkehren betreffend die Untersuchung von Rebenpflanzumjen auf
das Vorhandensein der Reblaus und Art und Weise der Bekämpfung derselben.
Da der Erfolg im Kampfe gegen die Reblaus hauptsächlich davon abhängt, daß
dieser Rebenfeind entdeckt wird, bevor es ihm gelungen ist, eine gewisse Aus-
breitung zu erlangen, da ferner das Vorhandensein der Krankheit an den ober-
irdischen Theilen der Rebe erst ersichtlich wird, nachdem das Insekt bereits einige
Zeit an den Würzelchen sein Unwesen getrieben, ist es von höchstem Werthe,
daß die sämmtlichen Rebenpflanzungen alljährlich zu wiederholten Malen genau
untersucht werden, und es hat die Bundesbehörde die Kantone durch verschiedene
BLreisschreiben dringlich eingeladen, in allen Weinbau treibenden Gemeinden eine
strenge Ueberwachung aller Weinberge zu organisireu. Die Kantone ihrerseits
haben nicht verfehlt, überall Lokaliuspektionen aufzustellen, denen die Aufgabe
zugewiesen ist, den Gesundheitszustand der Reben alljährlich einige Male zu
untersuchen, insbesonders während der Monate Juni bis September, die Neu-
pflanzungen und die Herkunft von Dünger, Rebpfählen und Rebstöcken zu über-
wachen und beim Vorhandensein verdächtiger Anzeichen an Reben ihrer Ober-
behörde sofort Anzeige zu machen. Eine besondere Aufmerksamkeit wurden die
Behörden ersucht, dem Vorkommen von amerikanischen Reben zu schenken, denn
es ist heute eine unbestrittene Thatsache, daß, sowie die Reblaus selbst ameri-
kanischen Ursprungs ist, auch das erste Auftreten derselben in der Schweiz auf
die Einfuhr amerikanischer Reben, wenn auch nicht direkt aus Amerika bezogener.
Reblaas — 664 — Reblaus
zur Uokzuf Uhren ist. Dank der rastlosen Thätigkeit der Bundesbehörde auf diesem
Grebiete, der mannigfachen Ermahnungen der kantonalen Behörden, insbesondere
aber dem geradezu patriotischen, opferbringenden Vorgehen der Kantone Grenf
und Neuenburg, kann der Kampf gegen die Reblaus in sämmtlichen Weinbau
treibenden Gegenden der Schweiz als wohlorganisirt betrachtet werden.
Was nun die Maßnahmen anbetrifft, welche beim Auftreten der Reblaus
ergriffen worden sind, so lag es in der Natur der Sache, daß dieselben viel-
fachem Wechsel unterworfen waren. Es handelte sich um eine Materie, deren
Wesen und Natur bei Beginn der Krankheit in der Schweiz noch sehr unge-
nügend und auch heute noch nicht in einer abgeschlossenen Weise erforscht sind.
Es schien daher den Behörden angezeigt, diese Maßnahmen Schritt für Schritt
den alljährlich gemachten Erfahrungen anzupassen. Es würde zu weit führen,
alle die Phasen aufzuzählen, welche die Bekämpfung der Reblaus in der Schweiz
durchgemacht hat. Wir müssen uns darauf beschränken, das jetzige Verfahren
anzugeben. Ein Kreisschreiben des Schweiz. Land wirthschafts- Departements vom
7. Juli 1881 an die Regierungen der Weinbau treibenden Kantone gibt denselben
für dieses Verfahren folgende Instruktionen :
,Im Falle das Auftreten der Reblaus konstatirt wird, muß sofort zur Anwendung
von Insektengiften geschritten werden. Bisanhin sind verschiedene Mittel angewendet
worden. Heute ist man im Stande, die Wirksamkeit die^scr Gifte mit nahezu vollständiger
Sicherheit zu heurtheilen. Es haben hiczu namentlich auch die Erfahrungen in den
Kantonen Neuenburg und Genf beigetragen. Im Hinblick hierauf glauben wir Ihnen für
den Fall des Auftretens des Schädlings empfehlen zu düifen, den Schwefelkohlenstoff
in Anwendung bringen zu lassen, und zwar in der Weise, daß unter geeigneter Ver-
theilung in je mehrere Löcher auf den einzelnen Stock mindestens 300 Gramm oder
auf den Quadratmeter 350 Gramm entfallen. Die Apphkation erfordert indessen eine
Trennung in zwei Operationen mit je der Hälfte des genannten Quantums, von welchen
die erste sofort nach der Entdeckung der Krankheit und die zweite nach Verfluß eines
Zeitraumes von etwa zehn Tagen zu erfolgen hat. Für die zweite Desinfektion empfiehlt
es sich, wenn irgend möglich den Zustand der Witterung wahrzunehmen, da die Wirkung
des Schwefelkohlenstoffes durch Feuchtigkeit begünstigt wird, und es daher, um dieselbe
auszunutzen, rathsam werden kann, die Wiederholung des Verfahrens um einige Tage
früher eintreten zu lassen oder hinauszusrhieben.
Dieser eigentlichen Sommer-Maßregel sollte man im Winter das Ausreißen der
behandelten Reben mittelst eines gleichmäßig tiefen Umgrabens des Rebberges folgen
lassen, bei welcher Prozedur alle, selbst die kleinsten Wurzelstücke möglichst sorgfältig
zu sammeln und durch Feuer zu zerstören sind. Je vollständiger dies geschieht, desto
mehr ist Aussicht vorhanden, daß später keine Triebe nachwachsen, die allfällig verschont
gebliebenen Rebläusen zur Nahrung dienen können, um so sicherer kann das betroffene
Land schon nach vier Jahren wieder der Neubepflanzung mit Reben übergeben werden.
Wird aus irgend einem Grunde diese Radikalmaßregel nicht beliebt, so bleibt nichb«
anderes übrig, als das intizirte Rebstück im Frühjahr von neuem mit Schwefelkohlenstoff
— etwa der Hälfte der ursprünglich angewendeten Dosis - zu behandeln und dieses
Verfahren so oft zu wiederholen, bis neue Triebe nicht mehr wahrgenommen werden
und die Stöcke als völlig abgestorben zu betrachten sind, von welchem durch besondere
Expertise genau festzustellenden Zeitpunkte an die Berechnung der Frist zu datiren ist,
nach deren Ablauf die Wiederanptlanzung von Reben gestattet werden kann.
Ist der Herd der Krankheit genau bestimmt, so sollen die äußersten Punkte durch
besondere Kennzeichen markirt und die Zerstörung^arbeiten in einem weiteren Umkreise
von drei bis fünf Meter um sämmtliche Angriffspunkte ebenfalls ausgeführt werden. Es
ist in den ersten Jahren des Auftretens der Krankheit diese Sicherheitszone auf hundert
Meter von den äußersten angegriffenen Punkten angesetzt worden. Heute, wo die Unter-
suchungen mit bedeutend größerer Sicherheit vorgenommen werden können, erscheint
jene Reduktion ungefährlirh.'*
Diese Instruktionen sind nun nicht absolut verbindlicher Art, indem unter
Umständen in verschiedenen Punkten, so namentlich hinsichtlich der Ausdehnung
der Sicherheitszone und des Umgrabens der infizirten Fläche, hie und da von
Reblaus — 665 — Reblaus
-denselben abgewichen wurde ; ohne Einwilligung der Bundesbehörde aber dürfen
die Kantone davon nicht abweichen, wenn sie nicht der eidg^össisohen Subven-
tionen verlustig gehen wollen.
So wurde schon mit Sohlußnahme vom 16. September 1882 dem Kanton
Oenf die Erlaubniß ertheilt, vom Umgraben der behandelten Flächen Umgang
zu nehmen ; seither wird in diesem Kanton nicht mehr rigolt. Zufolge einem
Berichte des Staatsrathes von Genf wurden die unterirdischen Eeste der in einem
Jahre untersuchten Stöcke im folgenden Jahre mehrmals untersucht, und die
Untersuchung hat außer der vollständigen Abwesenheit von Insekten eine rasche
2iersetzung des Wurzelholzes dargethan, so daß nach Verlauf von drei Jahren
kein solches mehr im Boden verbleibt.
Im Kanton Waadt wird folgendermaßen verfahren: Die infizirte Stelle
wird reichlich mit Petroleum Übergossen und die Rebstecken der infizirten Reben
auf der Stelle verbrannt. Vermittelst des Injektionspfahls werden um jeden infi-
zirten Stock 200 g und um jeden in der Sicherheitszone befindlichen Stock 150 g
Schwefelkohlenstoff injizirt. Nach Verlauf von acht Tagen wird die Injektion
mit denselben Dosen wiederholt. Die Sicherheitszone beträgt im Minimum 5 m.
Das in den Kantonen Neuenburg und Zürich geübte radikalere Verfahren
unterscheidet sich hinsichtlich seines Zweckes nicht erheblich von dem in den
Kantonen G^nf und Waadt eingeführten; es sind beide nur Modalitäten der
Exstinktivmetbode, welche ihrerseits sich allerdings wesentlich von dem in Frank-
reich geübten Kulturverfahren unterscheidet. Mit diesem wird nnr beabsichtigt,
die Rebläuse zu vernichten, dagegen die Rebe am Leben zu erbalten, während
die erstere, bei uns und auch in Deutschland angewendete Methode sowohl die
Rebläuse, als auch die infizirten Reben zu vernichten bestimmt ist. Es mag noch
beigefügt werden, daß Frankreich das Exstinktivverfahren übrigens auch in Algier
und in den zollfreien Zonen von Hochsavoyen und der Landschaft Gex einge-
führt hat.
F. Kosten der Kantone G-enf^ Neuenburg, Zürich und Waadt für die
Bekämpfung der Btblaus, Subventionen des Bundes an diese Kantone:
Jahr
i Q7vl 1
Genf
Neuenburg
Zürich
Waadt
1875
► Fr.
107,174. 40
1876
.
1877
1878 ]
f»
1,200. 80
Fr.
166,991. 83
—
1879
t»
288. 20
n
9,214. 96
•
1880
«
18,863. —
n
19,509. 62
—
1881
«
10,581. 60
r
27,528. 95
1882
fi
30,943. 90
»»
40,087. 57
1883
fi
17,955. 85
r
45,541. 12
—
—
1884
fi
35,305. 50
n
47,714. 70
—
—
1885
p
53,789. 75
f
66,811. 79
1886
fi
45,227. 20
n
40,943. 70
Fr.
122,980.
15
Fr. 6,827.
20
1887
»
48,905. 60
T
43,104. 60
«
71,082.
64
. 11,814.
41
1888
if
58,547. 75
«
44,376. 02
n
59,434.
61
„ 20,230.
35
Fr. 428,782. 55 Fr. 551,824. 86 Fr. 253,497. 40 Fr. 38,871. 96
In diesen Auslagen sind die den Eigen tbümern der zerstörten Reben aus-
bezahlten Entschädigungen inbegriffen. Beispielsweise führen wir an, daß im
Reblaus — 666 — Reblai»
Kanton Zürich den Rebgrandbesitzern als Entschädigung bezahlt wurden: Im
Jahre 1886: Fr. 23,720.79, 1887: Fr. 9301. 19 *), 1888: Fr. 8658. 09; im
Kanton Neuenburg 1885 : Fr. 6605. 40, 1886 : Fr. 3684. 35, 1887 : Fr. 4069. 25,
1888: Fr. 4507. 55; im Kanton Genf von 1874 bis 1885 inkl.: Fr. 65,169,
1886: Fr. 6040, 1887: Fr. 6920. 50, 1888: Fr. 1278. 60; im Kanton Waadt
1886: Fr. 679. 40, 1887: Fr. 1075. 46, 1888: Fr. 11,194. 65.
Wir haben oben bereits ausgeführt, daß die Bundesversammlung schon im
Jahre 1877 es als Pflicht des Bundes betrachtet hat, denjenigen Kantonen, welche
sich genöthigt sehen, Maßnahmen zur Unterdrückung der Reblauskrankheit zu
treffen, Unterstützungen zu theil werden zu lassen, und die bezügliche Schlaß-
nähme rückwirkend erklärt hatte. In Ausführung dieser Schlußnahme, sowie
derjenigen vom 21. Februar 1878 und 27. Juni 1884 (s. o.) hat der Bundesrath
den von der Reblaus heimgesuchten Kantonen bis heute folgende Subventionen
gewährt :
Jabr
Genf
Neuenburg
ZQrich
Waadt
Total
UCLUl
Fr.
Fr.
Fr.
Fr.
Fr.
1880
2,234. 08 (pro 18711)
—
2,234. 08
1881
3,916. 98 (pro 1880)
5,830. 04 (pro 1880)
9,747. 02
1882
2,470. 57 (pro 1881)
8,634. 05
11,104.62
1883
36,124. 90 (pro 1874-78)
55,744. 24 (pro 1877/78)
—
91,869. 14
1883
7,583.-- (pro 1882)
12,593. 60 (pro 1882)
—
20,176. 60
1884
5,120. — (pro 1883)
10,339. 04
—
—
15,459.04
1885
10,974. 70 (pro 1884)
17,543. —
—
28,517. 70
1886
15,572. 68 (pro 1885)
18,(X)1. 70
33,574. 38
1887
14,561.38 (pro 1886)
14,173.80
35,981. 30
1,463. 84
66.180. 32
1888
15,711. 68 (pro 1887;
16,226. 74
25,120. 48
3,623. 72
60,682. 62
112,035.89 161,320.29 61,101.78 5,087.56 339,545.52
Es ist hiebei Folgendes zu beachten : 1) daß die Bundessubventionen für die
Jahre 1874 — 1883 inkl. 3373 V "^^ ^^^ ^* ^"> i° Gemäßheit des Bundes-
beschlusses vom 27. Juni 1884, 40 ^/o der Auslagen der Kantone repräsentiren ;
2) daß bei Berechnung der Bundessubvention nur diejenigen Auslagen der Elantone
in Berücksichtigung gezogen wurden, welche denselben durch die Untersuchungen
in unmittelbarer Nähe der Reblausherde, durch die Anschaffung von Desinfektions-
mitteln und Apparaten, durch die Desinfektion und die Umgrabung der infizirten
Flächen erwachsen sind, daß jedoch dabei die Kosten der allgemeinen Ueber-
wachung ihrer Eebpflanzungen, welche von allen Weinbau treibenden Kantonen
gleichmäßig geübt werden muß, sowie die Entschädigung der betroffenen Reben-
eigenthümer außer Betracht fielen. Nur bei der Entschädigung für die Jahre
1874 — 1878 sind alle Auslagen der Kantone Genf und Neuenburg berücksichtigt
worden. In Gemäßheit einer Schlußnahme der Bundesversammlung vom 23. De-
zember 1886 wurden bei Berechnung der den Kantonen pro 1887 auszurichtenden
Buudessubventionen auch die Beträge berücksichtigt, welche in Folge der Zer-
stöning von hängenden Ernten an die Rebbesitzer bezahlt worden sind.
Es wäre aber ein Irrthum, zu glauben, daß der Theil der Ausgaben der
genannten Kantone, welcher nach Abzug der Bundessubvention verbleibt, gans
von dem kantonalen Fiskus getragen worden sei. Es muß vielmehr hier des
überaus interessanten und unseres Wissens in keinem anderen der von der Reb-
laus heimgesuchten Staaten vorkommenden Institutes der obligatorischen gegen-
seitigen Versicherung aller Rebenbesitzer gegen Reblaus.
*) Im Bericht pro 1888 wird die Kntschädigungssumme pro 1887 mit Fr. 9491
auf^'ct'ührt.
Reblaus — 667 — Reblaus
schaden Erwähnung gethan werden. Solche Institute bestehen heute in den
Kantonen Genf, Neuenburg, Wallis, Waadt und Zürich. Auch der Große Rath
des Kantons Aargau hat unterm 12. November 1886 ein für die Rebeobesitzer
des Kantons eine gleicherweise einzurichtende Versicherung schatfendes Gesetz,
erlassen. In der Volksabstimmung vom 12. Juni 1887 ist dasselbe jedoch ver-
worfen worden. Ein gleiches Schicksal hatte ein vom Großen Rathe des Kantons
Thurgau den 5, März 1888 erlassenes Gesetz betrefifend Versicherung gegen
Reblausschaden. Ein Dritttheil der Auslagen der Kantone zur Bekämpfung der
Reblaus wurde dem durch jene Versicherungen geschaffenen Fond entnommen
und nur der Rest (ca. ein Dritttheil) wurde vom kantonalen Fiskus getragen.
Das erste diesbezügliche Gesetz warde im Kanton Genf erlassen, und wir glauben,,
hier die Hauptbestimmungen dieses vom 21. Januar 1880 datirenden, sowie des
jüngsten dieser Gesetze, desjenigen des Kantons Zürich vom 12. Juni 1881, revidirt
den 24. November 1884. reproduziren zu sollen.
A. Genfe|risches Gesetz.
Art. 1. Es wird für den Zeitraum von 10 Jahren eine obligatorische Genossenschaft
unter sammtlichen Eigenlhumern der im Kanton gelegenen Weinberge gebildet. Diese
Genossenschaft hat zum Zweck, für Deckung der Kosten zu sorgen, welche aus der
Bekämpfung der Phylloxera entstehen, unter Vorbehalt der in Art. 10 vorgesehenen
Bestimmungen.
Art. 5. Sobald die Anwesenheit der Phylloxera festgestellt ist, bezeichnet der
Staatsrath auf den Vorbericht der kantonalen Expertenkommission und der Vertreter
des Bundesrathes für diese Angelegenheit die zum Schutze der Weinberge auszuführenden
Arbeiten und erklärt die Sequestration sowie die temporäre Be^^itzergreifung der W'ein-
berge und Weinbergabschnitte, in welchen diese Arbeilen ausgeführt werden müssen.
Art. G. Die Eigenthümer der Weinberge, in denen Nachsuchungen anbefohlen sind
oder die Ausführung von Arbeiten, als Aufgraben, Behandlung mit Gift, Ausreißen und
anderes, haben auf die erste Aufforderung des Staatsrathes vorübergehend deren Nutz-
nießung aufzugeben.
Art. 7. In den in Art. 6 vorgesehenen Fällen empfangen die Eigenthümer eine
Entschädigung, die durch drei Sachverständige festgesetzt wird, welche ernannt werden :
Einer vom Staatsrath, einer von dem oder den zu entschädigenden Eigenlhümern,
einer von der Kommission der Genossenschuft. Keiner der Sachverständigen darf unter
den Personen gewählt werden, welche in der Gemeinde, in der die Immobilien liegen,
für welche die Entschädigung festgesetzt werden soll, wohnen oder daselbst Eigen-
thümer sind.
Art. 8. Wenn die als nothwendig erkannten Maßnahmen die Zerstörung von Wein-
bergen in einer gewissen Ausdehnung herbeiführen oder dem Eigenthümer irgend einen
Schaden verursachen, so haben die Sachverständigen bei Feststellung der Entschädigung
in Betracht zu ziehen : n. den Werth der hängenden Weinlese ; b. den mittleren Ertrags-
werth dieser Weinberge und ihrer Klasse ; e. die Ausdehnung der von der Phylloxera
heimgesuchten Stellen und die Größe des Uebels; d. den Werlli der Rebhöizer und der
Rebstecken, die auf dem Platze selbst vernichtet werden. Beim Verbot jeden Anbaues
wird eine jährliche Entschädigung geleistet, die der mittleren Paclitsumme entspricht,
welche während der Dauer des Verbotes bezogen werden könnte: doch darf diese Ent-
schädigung zwei Franken pro Are nicht überschreiten.
Art. 9. Im Falle, daß Zwistigkeiten über die Höhe der angebotenen Entschädigung
entstehen, wird die Frage den kompetenten Gerichten überwiesen; der Rekurs des
Eigenthümers hat jedoch keine aufschiebende W^irkung.
Art. 10. 1) Die Ausgaben für die vom Staatsrath gemäß Art. 5 des gegenwärtigen
Gesetzes augeordneten Arbeiten und Operationen, sowie die laut Art. 7 und 8 zu zahlenden
Entschädigungen werden gedeckt: a. durch einen Bezug vom verfügbaren Ertrage der
jährlichen Einzahlungen der Eigenthümer, welcher ein Dritttheil des Betrages dieser
Kosten nicht übersteigen darf; b. durch Betheiligung des Bundes gemäß den Bestim-
mungen des Bundeshesthlusses vom 15. Juni 1877 ; c. durch einen Beitrag des Kantons.
— 2j Sollten in Folge einer plötzlichen Invasion und Ausdehnung der Phylloxera die
Ausgaben für die in einem Jahre auszuführenden Entschädigungen und Arbeiten die in
Reblaus — 668 — Reblaus
der Kasse der Genossenschaft verfügbare Summe um drei Viertel übersteigen, so hat
der Große Rath über die dann zu ergreifenden Maßregeln zu entscheiden.
Art. 11. Vom I.Januar 1880 ab hat jeder Weinbergbesitzer einen wie folgt fest-
gesetzten jährlichen Beitrag zu entrichten: Die I. Klasse, Werth 80 Fr. der Are und
darunter, zahlt 5 Cts. pro Are. Die II. Klasse, Werth 81— 140 Fr. der Are, zahlt 10 Cts.
pro Are. Die III. Klasse, Werth 141 Fr. der Are und darüber, zahlt 15 Cts. pro Are. —
Die Kosten der Ueberwachung der Weinberge sollen in erster Linie aus dem Ertrag der
Einzahlungen gedeckt werden. Der Bezug der Einzahlung für das Jahr 1880 findet im
Jahre 1881 statt.
Art. 12. In Ermangelung eines Beschlusses des Großen Rathes, die weitere Dauer
der Genossenschaft betre£fend, wird die Summe, welche am Schlüsse des Verwaltungs-
jahres 1889 aus den Beitragen der Mitglieder zur Verfugung steht, den Eigen thümern
der Weinberge im Verhältniß zur Gesammtheit der von ihnen entrichteten Beiträge
zurückgezahlt.
Art. 13. Die Vorschriften des Gesetzes über den Bezug der direkten Steuern sind
auf den Bezug der in Art. 10 und 11 vorgesehenen Beiträge anwendbar. — Die Listen
für den Bezug der Beiträge werden für jede Gemeinde gemäß den Erklärungen der
Weinbergbesitzer festgestellt. Diese Erklärungen müssen die Ausdehnung und die Klasse
jeder mit Reben bepflanzten Bodenparzelle angeben. Sie sind der Kontrole der Ver-
waltungskommission der Genossenschaft unterbreitet. -- Vor der Einziehung der Beiträge
wird die Liste jeder Gemeinde in der Mairie aufgelegt, wo sie von den betreffenden
Eigenthümern während eines Zeitraumes von 20 Tagen eingesehen werden kann.
Art. 14. Die Eigenthümer, welche nicht die in Art. 13 vorgesehene Erklärung oder
eine unrichtige Erklärung abgegeben haben, werden von Amtswegen und auf ihre Kosten
auf Grund eines Berichts des vom Departement des Innern hiezu bezeichneten Sach-
verständigen taxirt.
Art. 15. Die Gelder der Genossenschaft werden in die Staatskasse abgeliefert. Sie
sind Gegenstand eines znstragenden Spezialkontos. Die jährlichen Rechnungen der Ge-
nossenschaft werden durch den Staatsrath gleichzeitig mit dem allgemeinen Bericht über
die Rechnungen des Kantons veröffentlicht.
Art. lö. Die Eigenthümer, welche ausländische Weinfechser sowie verbotene Gegen-
stände eingeführt und die durch die eidgenössischen und kantonalen Gesetze und Ver-
ordnungen vorgeschriebenen Maßregeln zur Bekämpfung der Phylloxera nicht befolgt
haben, können der Gesammtheit oder eines Theils der Entschädigung, zu der sie be-
rechtigt wären, verlustig gehen, unbescliadet der in obgenanuten Gesetzen und Ver-
ordnungen angedrohten Bußen und anderen Strafen.
Art. 17. Jeder Weinbergbesitzer und jeder Rebmann, welclier der Behörde die
Anzeielien von der vermuthlichen Anwesenheit der Phylloxera nicht meldet, sobald er
Kennlniß von derselben hat, soll mit einer Buße von 20—200 Fr. belegt werden. — •
Der Weinbergbesitzer, welcher die Anwesenheit der Phylloxera kennt und die kompetente
Behörde nicht davon in Kenntniß setzt, soll mit derselben Strafe belegt werden und
kann außerdem jedes Anrecht auf eine Entschädigung verlieren, unbeschadet der Civil-
ansprüche, die gegen ihn erhoben werden können.
Art. 18. Die in Art. 16 und 17 vorgesehenen Bußen fallen in die Kasse der Ge-
nossenschaft.
B. Zürcherisches Gesetz (vom 12. Juni 1881).
§ 8. Ist das Vorhandensein der Reblaus an irgend einem Orte des Kantons oder
in unmittelbarer Nähe desselben festgestellt, so ordnet der Regierungsrath, auf Antrag
der Direktion des Innern, bezw. nach Anhörung der kantonalen Rebkommission und
ullfalli^'er Beauftragter des Bundesrathes, sofort die Abschließung derjenigen Grundstücke
an, in welchen weitere Nachforschungen anzustellen oder Arbeiten auszuführen sind.
Es nberninimt alsdann die lokale Rebkommission unter der Oberaufsicht eines Mitgliedes
der kantonalen Kommission die gesammte Verfügung über das Grundstück in dem Sinne,
daß weder der Eigenthümer noch ein dritter Berechtigter ohne Erlaubniß der Kommission
irgend welche Besilzeshandlungen in demselben ausüben darf.
§ 9. Der Regierungsrath ist befugt, nöthigen falls die gänzliche Beseitigung aller auf
dem al)geschlos-enen Grundstucke vorhandenen Pflanzen anzuordnen und die Wieder-
bepfliinzung desselben mit Reben für längere Zeit zu untersagen.
§ 10. Der Regierungsrath hat dafür zu sorgen, daß die für Wiederanpllanzuog
gfrodetor Grundstücke erforderlichen Reben in einer ausreichenden Zahl von Rebschuleo
jederzeit vorhanden seien.
Reblaus — 669 — Rehlaus
§ 11. Sowohl die Kosten der in Ausführung dieses Gesetzes vorgenommenen Ar-
beiten, als auch die gemäß §§24 u. iT. zu leistenden Entschädigungen werden folgender-
maßen getragen: a. Ein Drittel ist aus dem von den Rebenhesitzem zu gründenden
Rebfond zu bestreiten (§§ 17 u. ff.); b. mindestens ein Drittel ist aus dem laut Beschluß
der Bundesversammlung vom 15. Juni 1877 zu er^vartenden Beitrage des Bundes zu
bezahlen ; c. der Rest wird durch einen Beitrag aus der Staatskasse gedeckt.
§ 12. In jeder Weinbau treibenden Gemeinde hat der Gemeindcrath einen Kataster
anzulegen, in welchen die Grundfläche sowie der Verkehrswerth der mit Reben be-
pflanzten Grundstücke jedes einzelnen Eigenthümers unter dessen Namen einzutragen
sind ; Veränderungen in den Eigenthums Verhältnissen sind fortwährend nachzutragen. —
Je nach Ablauf von vier Jahren ist eine gänzliche Revision der Verzeichnisse vorzunehmen.
§ 13. Sowohl die erste Anlage des Katasters, als auch die späteren Revisionen
desselben, erfolgen auf Grundlage von Selbsttaxationen der Eigenthümer, welche hin-
sichtlich der Maß- und Werthangaben durch den Gemcinderath geprüft und nöthi^enfalls
ergänzt und berichtigt werden. Unterläßt ein Grundeigenthümer die Einreichung einer
Selbsttaxation binnen angesetzter Frist, so hat der Gemeinderath die Taxation von sich
aus vorzunehmen.
§ 14. Von dem in dieser Weise erstellten Kataster ist je weilen ein Doppel der
Direktion des Innern zuzustellen. Ergeben sich Mißverhältnisse in den Schätzungen der
einzelnen Gemeinden, so hat die Direktion durch Vermittlung der kantonalen Reb-
kommission auf die Ausgleichung derselben hinzuwirken.
§ 15. Hierauf hat der Gemeinderath den Kataster den Betheiligten zur Einsicht
aufzulegen und in der diesfälligen Bekanntmachung anzuzeigen, mit welchem Tage die
Frist zur Erhebung alltalliger Beschwerden zu laufen beginne.
§ 16. Rekurse gegen Beschlüsse des Gemeinderathes werden ei'stinstanzlich durch
den Bezirksrath, zweitinstanzlich durch den Rcgierungsrath entschieden. Die Rekursfrist
beträgt in beiden Fällen 14 Tage. — Wird ein Rekurs als unbegrün<let abgewiesen, so
hat der Rekurrent die Kosten des Verfahrens sowie einer allfiilligen neuen Taxation
zu tragen.
Der Titel III des Gesetzes, umfassend die §§17 bis 23, datirt vom
24. November 1884 und enthält einige wesentliche Abänderungen gegenüber
dem Titel III des Gesetzes vom 12. Juni 1881. Diese Abänderungen wurden
in Folge einer Volksinitiative für Aufhebung de« Gesetzes vorgenommen.
§ 17. Der in § 11 bezeichnete Rebfond wird gebildet: a. aus den im Jahre 1883
von den Rebenbesitzern zusammengelegten Beiträgen ; b. aus weiteren Beiträgen, soweit
solche nach Maßgabe dieses Ciresetzes eingefordert werden können.
§ 18. Die Einforderung solcher weiterer Jahresbeiträge darf nur erfolgen, wenn
Schädigungen durch die Reblaus eintreten und der Fond zur Bestreitung der daherigen
Ausgaben voraussichtlich nicht ausreicht. — Die Beschlußfassung hierüber steht auf
Antrag des Regierungsrathcs dem Kantonsrathe zu.
§ 19. Bei Erhebung eines Beitrages hat jeder im Kataster aufgeführte Eigenthümer
von Reben einen Franken vom Tausend des eingetragenen Werthes zu bezahlen. Bruch-
zahlen unter einem Rappen werden hiebei für voll berechnet. — Reicht alsdann der
Rebfond zur Bestreitung des auf ihn entfallenden Antheiles an den Ausgaben (§ 11,
litt, a) nicht aus, so hat der Kantonsrath zu beschließen, auf welche Weise der Ausfall
zu decken sei.
§ 20. Der Bezug der Beiträge erfolgt im Monat November durch den Gemeinde-
rath, welcher dieselben, nach Abzug von 1 7»» spätestens bis zum 15. Dezember franko
an die Staatskasse abzuliefern hat.
§ 21. Dem Rebfontl steht für die ausstehenden Beitrage ein stillschweigendes
Pfandrecht an dem betreffenden Grundstücke im Sinne des § 777 des privatrechtlichen
Gesetzbuches zu. Diesem Pfandrechte geht jedoch dasjenige zu Gunsten des Staates und
der Gemeinden für ihre Auslagen bei der Korrektion und dem Unterhalt der öffentlichen
Gewässer vor (§ 29 des Gesetzes vom 10. Dezember 1876). — Das Pfandrecht erlischt,
sofern dasselbe nicht bis zum nächstfolgenden 1. Mai von der Verfallzeit an aufprotokollirt
wird. Auf diese Aufprotokollirungen linden die Bestimmungen der §§ 793 und 801 des
privatrechtlichen Gesetzbuches keine Anwendung, und es darf für dieselbe auch keine
Staatsgebühr berechnet werden.
§ 22. In der Wintersitzung des Jahres 1893 hat der Kantonsrath darüber Beschluß
zu fassen, ob der Rebfond zu liquidiren oder beizubehalten sei. Der diesfalli^e Beschluß
ist der Volksabstimmung zu unterwerfen. — Im Falle der Liquidation des Rebfondes
Reblaus — 670 — Reblaus
ist der vorhandene Aktivsaldo nach dem Verhältniß der sämraüichen für ein Gruudstflck
bezahlten Beiträge unter diejenigen Personen zu vertheilen, welche am Tage der Be-
schlußfassung notarialische Eigenthümer der betreffenden Grundstücke sind.
§ 23. Die Staatskasseverwaltung besorgt die Verwaltung des Rebfondes, ohne daß
dafür besondere Kosten zu verrechnen sind. — Die Rechnungsstellung erfolgt alljährlich
mit der Staatsrechnung unter dem Titel „Separatfonds zu besonderen Zwecken*.
§ 24. Wenn Reben zerstört werden, so ist der Werth der in Aussieht gestandenen
Ernte vollständig zu ersetzen. — Wird überdies die Wiederbepflanzung des Grundstückes
mit Relien für einstweilen untersagt, so sind für das zwei e und die lolgenden Jahre
bis nach Ablauf von drei Jahren nach ertheilter Bewilligung zur Wiederanpflanzung
jährlich 6 '7o des Katastcrwerthes als Entschädigung zu bezahlen. Hievon ist jedoch,
wenn das Grundstück während der Zeit des Verbotes der Wiederbepflanzung anderweitig
benutzt wird, der diesfallige Reinertrag in Abzug zu bringen. — Von dem Zeitpunkte
an, wo die Wiederanpflanzung von Reben gestattet wird, ist die Entschädigung nur
noch nach Verhältniß desjenigen Theiles der Grundfläche zu vergüten, auf welchem die
Wiederanpflanzung wirklich ausgeführt worden ist. — Diese Entschädigungen sind je
im Anfang des Monats November auszurichten.
§ 25. Die für die Wiederanpflauzung erforderlichen Kosten, mit Einschluß der
Auslagen für neue Reben und Rebstickel, sind dem Eigenthümer vollständig zu ersetzen.
Diese Entschädigung wird nach Ablauf von zwei Jahren vom Zeitpunkt der ertheilten
Bewilligung an ausbezahlt. Unterbleibt die Wiederbepflanzung, so ist der Betrag gleich-
wohl auszurichten, soll aber, wenn das Grundstück verpfändet ist, der Notariatskanzlei
zugestellt werden, welche denselben den grundversicherten Gläubigern nach der Rang-
onlnung ihrer Pfandrechte auszuhändigen hat.
§ 26. Für andei*weitigen Schaden an Grundstücken, welcher durch Ausführung
dieses Gesetzes zugefügt wird, ist ebenfalls Ersatz zu leisten.
§ 27. Die Ent<5cbädigungen werden durch eine Schätzungskommission von drei
Mitgliedern festgestellt. Eines der Mitglieder wird vom Obergericht, eines vom Regierungs-
rath und eines von dem zu entschädigenden Eigenthümer gewählt. — Das vom Ober-
gericht gewählte Mitglied fülirt den Vorsitz. — Der Entscheid dieser Kommission ist
einem Schiedssprucli gleich zu achten.
8 28. Unterlassung der in «^ 7 vorgeschriebenen Anzeige wird mit Polizeibuße von
20 — UKX) Franken bestraft. Vorbehalten bleit)en überdem die Straf bestimmungen des
eidgenössischen Vollziehungsreglements betreflend Vorkehrungen gegen die Reblaus, vom
18. April 1878.
S 29. Wer den Bestimmungen dieses Gesetzes absichtlich oder fahrlässigerweise
zuwiderhandelt, insbesondere wer die Anzeige von dem ihm bekannten Vorhandensein
der Reblaus unterlaßt, kann zum Ersatz des durch seine Handlung verursachten Schadens
vorurt heilt werden und ist nicht berechtigt, für denjenigen Schaden, welchen er selbst
durch eigenes VerschuMen erlitten hat, Ersatz zu verlangen.
Wir können diese Abhandlung nicht schließen, ohne mit Genugthuung auf
<len Erfolg hinzuweisen, welchen die in der Schweiz zur Anwendung gekommenen
Maßnahmen zur Bekämpfung der Reblaus gehabt haben. Schon seit 15 Jahren
herrscht die Reblaus im Kanton Genf, seit 12 Jahren im Kanton Neuenburg
und seit 3 Jahren in den Kantonen Zürich und Waadt, und im Ganzen waren,
wie wir oben gezeigt haben, Ende 1887 nicht mehr als 46 Hektare dee
schweizerischen Kebgeländes verwüstet. Es ist aber zu beachten, daß von diesen
40 Hektaren der weitaus größere Theil, zwei Dritttheile, wenn nicht darüber,
in die sog. Sicherheitszone fällt, also Reben enthielt, die nicht von der Reblaus
infizirt waren, sondern zur großem Sicherheit für das Übrige Rebgeläude zerstört
wurden. Es folgt daraus, daß von der Reblaus selbst nur ein ganz minimer
Brnchtheil jenes Geländes zerstört worden ist. Eines so glänzenden Erfolges kann
bich keiner der von dem Insekt heimgesuchten Staaten rühmen, indem sogar
Länder, in welchem dasselbe später als in der Schweiz aufgetreten ist, schon
weit größere Verheerungen aufzuweisen haben. Um in dieser Hinsicht nur ein
Beispiel anzuführen, erwähnen wir, daß schon Ende 1884 in Italien, wo die
Keblaus 5 Jahre später als in der Schweiz konstatirt worden ist, 642,55 Hektaren
Reblaus — 671 — Reißzeuge
von der Eeblaus verwüstet wareo, die Sicherheitszonen nicht einmal inbegriffen.
Diese Anerkennung hat das schweizerische System der Bekämpfung der Reblaus
im Auslande vielleicht noch in höherem Grade gefunden, als bei uns selbst.
Allerdings berechtigt auch dieser Erfolg nicht zu der Hoffnung, daß wir in
naheliegender Zeit von diesem schlimmsten aller Rebenfeinde werden befreit werden,
vielmehr weisen alle Anzeichen darauf hin, daß derselbe nach und nach sich
immer mehr Terrain erobern wird. Die zunächst liegende Aufgabe einer Be-
kämpfung kann sonach nur dahin gehen, die Ausbreitung der Krankheit mit allen
Kräften zu verhindern. Eine vollständige Vertilgung der Reblaus wird wohl noch
lange ein unerreichtes Ziel bleiben, weil eben bei der verschwindend kleinen
Ausdehnung ihres Körpers eine Kontrole darüber, ob von dem Insecticid alle
Individuen erreicht worden sind, einfach unmöglich ist, und damit fällt jede
Kritik gegen das Grundsätzliche des bisherigen Verfahrens dahin.
Wir dürfen auch nicht unerwähnt lassen, daß bereits von verschiedenen
Seiten die Anregung gemacht wurde, es solle jetzt schon für Ersatz der dem
Tode geweihten Reben gesorgt werden, und zwar durch Einführung von Samen-
rebschulen solcher Sorten, welche sich als stark genug erwiesen haben, der Reblaus
Widerstand zu leisten (amerikanische Reben). Da indessen die Frage dieser Ein-
führung noch kontrovers ist, so nehmen wir davon Umgang, dieselbe hier zu
besprechen.
Bechtsagenten. Birkhäoser's Adreßbuch (Basel, 1885) verzeichnet 418
Rechts und Geschäftsagenturen, wovon 202 im Handelsregister eingetragen. Luzern
weist die größte Zahl auf: 102, dann Zürich 42, Genf 35, Waadt 33, Neuen-
burg 32, Freiburg 28, Solothurn 22, St. Gallen 21, Bern 18, Aargau 17 u. s. w.
Rechtspflege s. Verwaltung und Rechtspflege.
Reformtarif* Unter Reformtarif versteht man dasjenige Eisenbahntarif-
system, bei welchem die Taxen theils nach dem Raum, theils nach dem Werth
der Waaren berechnet sind. Dieses System ist seit Mitte der 1870er Jahre
bei den deutschen Bahnen, seit 1882 bei der schweizerischen Nordostbahn und
seit 1883 bei den übrigen Schweizerbahnen („Suisse occidentale** erst seit März
1886) in Kraft. Das bei den schweizerischen Bahnen vorher bestandene Tarif-
system (von 1803 an für die centralschweizerischen, von 1872 an für die ost-
schweizerischen Linien) beruhte im Wesentlichen auf der Taxation der Transport-
güter nach ihrem Werth, auf der reinen Werthklassifikation ; ebenso in Deutschland,
wo aber auf einigen Bahnen auch das reine Raumtarifsystem Übergangs weise ein-
geführt worden war.
Reiseartikel • Der Umsatz in dieser Geschäftsbranche ist bedeutend. Soweit
bekannt etwas über 30 Fabrikationslirmen und ca. 70 Handlungen. Unter dem
Fabrikgesetz J. H. Landis & Co. in Oerlikon mit ca. 50 Arbeitern.
Reisszeuge, Die Reißzeugfabrikation hat ihren Haupt^itz in Aarau, wo
dieselbe 1801 durch Louis Esser aus Straßburg eingeführt wurde. Die Aarauer
Reißzeuge haben sich durch ihre Vorzüglichkeit den Weg in alle Länder gebahnt.
Etwas über 200 Arbeiter sind in diesem Geschäftszweig engagirt. Dem Fabrik-
gesetz sind 1889 unterstellt die Aarauer Firmen Kern & Co., Fr. Gysi, F. Hommel-
Esser. Jährliche Produktion nach fachmännischer Schätzung ca. Fr. 300,000.
Starke ausländische Konkurrenz, namentlich in Nürnberg, wo billige Reißzeuge
massenhaft fabrizirt und sogar unter dem aufgedruckten Titel „Aarau" in die
Schweiz verkauft werden. In Bayern sind ferner Zirkelfabriken in München und
Pfronten. Dann ist Paris ein Platz, wo das Gros der Compassiers sich befindet;
die größten Pariser Firmen haben ihre Fabriken in Lothringen. Für England .
Reißzeuge — 672 — Rheinkorrektioa
liefert' Birmingham die Reißzeuge ; Wien hat ebenfalls seine Reißzeugfabrikanten
und Mailand fournirt Italien. Kurz, die Zirkelfabrikation ist sehr verbreitet und
unter dem Titel Schweizer Zirkel werden Unmassen verkauft. Die ganz enormen
Eiugangszölle, mit welchen ein Staat nach dem andern die schweizerischen Fabrikate
belastet hat, erschweren ihren Absatz sehr.
Beliefdruck für Blinde wird von der Imprimerie du Yal-de-Ruz in Cernier
betrieben.
Belief kartenfabrikation. Jos. Bürgi in Allschwyl, Baselland.
Rentiers und Pensionirte gab es im Jahre 1880 (laut eidg. Berufsstatistik)
26,694, wovon 5604 Waadt, 3761 Bern, 3046 Genf, 1717 Zürich, 1630 Neuen-
burg, 1613 Baselstadt, 1300 Aargau, 1026 Luzern, 1025 St. Gallen, 861 Frei-
bürg, 841 Graubünden, 624 Thurgau, 542 Wallis, 494 Tessin, 439 Solothurn,
392 Schaff hausen, 317 Glarus, 293 Schwyz, 218 Appenzell A.-Rh., 195 Basel-
land, 191 Zug, 144 Uri, 126 Obwalden, 125 Nidwaiden, 70 Appenzell I.-Rh.
— 16,6 ®/o der Rentiers und Pensionirten sind Ausländer.
Das Yerhältniß der Rentiers und Pensionirten zu den Erwerbsthätigen ist
wie 1 : 49, und zwar im Et. Genf wie 1 : 15, Baselstadt 1:18, Waadt 1 : 19,
Neuenburg 1 : 28, Nidwaldeu 1 : 40, Schaffhausen 1 : 42, Graubtlnden 1 : 53,
Obwalden 1 : 54, Glarus 1 : 55, Zug 1 : 58, Bern 1 : 59, Luzern 1 : 60, Frei-
burg 1:61, Aargau 1 : 71, Thurgau 1 : 74, Schwyz 1:81, Solothurn 1 : 82,
Uri 1 :85, Wallis 1 : 85, Zürich 1 : 95, St. Gallen 1 : 101, Appenzell L-Rh. 1 : 105,
Appenzell A.Rh. 1 : 124, Tessin 1 : 137, Baselland 1 : 145.
Reparaturverkehr s. Veredlungsverkehr.
Retourverkehr. Schweizerische Retourwaaren aus dem Auslande dürfen
zollfrei wieder eingeführt werden, wenn der schweizerische Ursprung der Waare
und deren Ausfuhr amtlich beglaubigt ist. Ebenso ist die Rücksendung ans-
ländischer Waaren zollfrei. Die Wiedereinfuhr schweizerischer Waaren ist weit
bedeutender als die Wiederausfuhr ausländischer Waaren. Soweit der Retonr-
verkehr zolldienstlich koutrolirt werden kann, betrug derselbe dem Werthe nach :
1880 1887 1888
vom Auslande .... Fr. 4^455,344 6^127,718 4*163,298
^0 der Ausfuhr . . 0,7
nach dem Auslande . . „ 901,043
7ü der Einfuhr . . 0,1
Schweiz. Retourartikel sind haupts. die Uhren und die Seidenw. Auch jene
Taschenuhren, welche zur „Einfuhr** deklarirt und verzollt werden, sind meistens
Retour- und Reparatur waare, aber man verzollt sie lieber (k durchschnittlich
3 (Jts. per Stück), als daß man den Zeitverlust des Retourverfahrens riskirt. —
Der Retourverkehr ist hauptsächlich von den Solvenzverhältnissen der Waaren-
bezüger abhängig. Von überseeischen Gebieten kommt wenig zurück, denn man
zieht vor, dort die zur Disp. gest. Waaren zu Schleuderpreisen loszuschlagen.
Reusskorrektion* Sie bestand in einer Kanalisirung der Reuß von ober-
halb Attinghausen bis zum Vierwaldstättersee. Durchgeführt vom Et. Uri in den
Jahren 1849 — 1864 unter der Oberleitung von Ingenieur (zugleich Landammann)
Müller. Bundesbeitrag Fr. 15,000.
Reze ist der Name einer weißen Walliser Traube, welche vorzüglichen
Wein gibt. Kr,
Rheinkorrektion. (Mitgetheilt von Herrn J. Wey, Ingenieur der Rhein-
korrektion.) Wenn man in der Schweiz von der Rheinkorrektion spricht, so
wird darunter zunächst diejenige im Kanton St. Gallen beziehungsw. längs dessen
0,9
0,6
r266,948
1^247.840
0,1
0,1
Rheinkorrektion — 673 — Rheinkorrektion
östlicher Grenze verstanden, und zwar soweit sie vom Staate ausgeflihrt wird.
Sie erstreckt sich von der st. gallisch-htindnerischen Grenze, 600 m unterbalh der
Tardis-, auch untere Zoll-£rücke genannt, bis zur Bheinbrücke bei St. Murgrethen,
der österreichischen Yorarlberger-, nun Staatsbahn. Diese Längenausdehnung be-
trägt 63,5 km. Die Korrektion wurde im Jahre 1862 begonnen.
Lange vorher, nämlich schon in den Dreißigerjahren, wurde am Rhein im
Kanton Graubünden, namentlich im Domletschg, mehr oder weniger planmäßig
gebaut. Zeitweise wurden an diesen Regulirungsbauten Zerstörungen angerichtet,
erstere aber wieder aufgenommen und fortgesetzt, so daß heute zwischen Thusis
und Tardisbrllcke bezw. der st. gallischen Grenze von einer Gesammtlänge von
annähernd 40 km, wovon jedoch ein Theil keiner Regulirung bedarf, mehr als
ein Drittel verbaut ist.
Die totale Durchführung der Rheinkorrektion im Kanton Graubünden ist
ans dem Grunde weniger dringend als längs der st. gallischen Landesgreuze,
weil dorten der Fluß mehr in das Terrain versenkt ist als auf letzterer Strecke,
mithin Debordirungen, verbunden mit großen Ueberschwemmungen und Ver-
heerungen, weniger zu befürchten sind als im Gebiet unterhalb TardisbrUcke.
Es ist selbstverdtändlich, daß die st. gallische Rheinkorrektion sich nur auf
das linke Ufer beschränkt. Rechtsseitig sind Anstößer: der Kanton GraubUnden
auf 9,8 km, das Fürsten thum Liechtenstein auf 27,4 km und das Land Vor-
arlberg auf 26,3 km. Letztere Länge bezieht sich ebenfalls nur auf die Strecke
bis zur St. Margrethen- Eisenbahnbrücke. Die unterhalb gelegene Partie, bis zur
Ausmündung des Rheins in den Bodensee, in einer Länge von 12 km, kommt
hier aus dem Grunde nicht in Betracht, weil der Fluß von der mehrerwähnten
Rheinbrücke in St. Margrethen in gerader Linie (via Brugg-Fussach) in den
Bodensee hinaus geleitet werden soll. Die Unterhandlungen diesbezüglich, sowie
wegen dem Abschneiden der Krümmung bei Diepoldsan, sind mit Oesterreich seit
Jahrzehnten anhängig ^). Durch die Ausführung dieser beiden Durchstiche würde
der Rheinlauf um 10,25 km abgekürzt und dadurch in hohem Grade auf die
Vertiefung des Flußbettes hingewirkt.
Auf der untern Strecke, von St. Margrethen bis zum Bodensee, wird in
Erwartung der Ausführung des erwähnten Durchstiches Brugg-Fussach vorder-
hand von einer regelrechten Korrektion Umgang genommen. Um indeß Ueber-
schwemmungen, wie sie am 28. September 1885 und 11. September 1888 vor-
gekommen, vorzubeugen, werden einstweilen die Ufer durch Ergänzung und
Ausbau der vorhandenen Dämme und andere Schutzwerke bestmöglichst gesichert.
Zur Korrektion selbst übergehend, muß hier darauf hingewiesen werden,
daß der Umstand, daß auf der zu verbauenden Strecke von 63,5 km vier Staaten
an den Fluß anstoßen, von denen quasi jeder sein eigenes Schutzbausystem hatte,
und davon, sowie von den vorher eingehaltenen Linien und Richtungen nicht
oder möglichst wenig abweichen wollte, eine Ert«chwemiß für eine regelmäßige
Korrektion war.
Um von derselben ein anschauliches Bild zu geben, erscheint es am zweck-
mäßigsten, wenn die Entstehung der gegenwärtigen Flußregulirung geschichtlich
verfolgt wird.
*) Im September 1871 kam endlich ein Präliminarvertrag zu Stande. Nach dem-
selben sollten die beiden Durchstiche {gemeinsam und gleichzeitig ausgeführt werden :
der Diepoldsauer Durchstich, weil auf scliweizerischem Gebiet, von der Schweiz; der
andere, weil auf österreichischem Boden, von Oesterreich. Ein definitiver Vertrag liegt
nun zur Stunde (Mitte 1889) zur Unterzeichnung in Wien und in Bern l)ereit.
Farrer, VolRnwIrthuchafts-LexikoD der Schweiz. 43
Rheinkorrektion — 674 — Rheinkorrektion
Ed sind betreffend die Flaßstrecke von der Bucbs-Haager-Grrenze bis zum
liodensee Pläne aus den Jahren 1769/70 vorbanden. Diese sind also bald 120
Jahre alt und geben ein deutliches und interessantes Bild von dem damaligen
Flußlauf und dessen Verbauung.
Hienach bestanden zu jener Zeit gar keine fortlaufenden und zusammen-
hängenden Wuhre, sondern nur sogenannte Wuhrköpfe oder Sporen. Dieselben
wurden stets dort angebracht, wo der Rhein das Terrain am meisten bedrohte
und manchmal auch, wo sie den Nachbarn den möglichst großen Schaden zu
verursachen im Stande waren. Während die Wuhrköpfe oder Sporen angelegt
wurden, um die Ufer vor Kolkungen zu schützen, waren mehr landeinwärts
Dämme aus Erde, Lett etc. erstellt, deren Zweck war, das hinterliegende Land
bei Hochwassern vor Ueberschwemmungen zu bewahren. Diese Dämme hatten
damals und bis vor drei bis vier Jahrzehnten eine Höhe von wenigen Fuß und
waren meistens so schmal, daß auf deren Krone nur Fußgänger zirkuliren konnten.
Zu jener Zeit war eben das Rheinbett zirka 2 bis 3 m tiefer als es heute ist.
Die ganze Verbauung, wie sie soeben geschildert wurde, war auch sehr
unregelmäßig. Während nämlich auf der obern Strecke, von der Buchs-Haager-
Grenze bis Büchel zwischen den links- und rechtsseitigen Wnhrköpfen (Sporen)
eine Entfernung von 200 — 300 m und zwischen den Hinterdämmen eine solche
von 500 — 1000 m war, hatten zwischen Büchel und Bodensee die Sporen nur
Abstände von 100 — 200 m und die Dämme solche von 300 — 500 m.
Bei solchen Sohlenbreiten — die jetzige beträgt, wie wir sehen werden,
nur 120 —150 m — konnte der Rhein nur selten das ganze Bett okkupiren,
es entstanden Kiesbäuke, zwischen denen er hin- und herschlängelte, manigfaltige
Serpentinen bildend.
In Folge dieser uuregelmäßigen Anlage, sowie wegen der im BUndnerlande
vorgenommenen Entwaldung und daheriger vermehrter Gaschiebszufuhr erhöhte
sich das Rheinbett allmälig und gestalteten sich die Verhältnisse stets unhaltbarer.
Von dem eben skizzirten Wuhrsyst^m kam man successive (in den Dreißiger-
jahren) ab und baute an Stelle der isolirten Wuhrköpfe einzelne zusammen-
hängende Wuhrstrecken. Solche weisen wenigstens die in den Fünfzigerjahren
aufgestellten Rhein-Karten auf.
Nach denselben sind die Wulirlinien beidseits des Flusses nicht parallel und
auch nicht in derselben Richtung fortlaufend, sondern nach unten konvergent
und bilden eine Reihe einzelner Trichter.
Dort, wo Seitangewässer in den Rhein sich ergossen, wurden sie von den
Wuhren eingefaßt, also in die Trichter hereingezogen. An den Stellen, wo sich
die Wuhre links- und rechtsseit^ am nächsten rückten, betrug die Sohlenbreite
etwa 120 m, während sie wiederum bis auf mehr als 300 m sich ausdehnte.
Aehnlich wie früher hinter den Wuhrköpfen, befanden sich nun, jedoch in
verschiedenen Distanzen, hinter den zusammenhängenden Wuhren Binnendämme.
Die Bodenstreifen zwischen diesen und den erste ren waren gewöhnlich mit Erlen
oder andern geeigneten Holzgattungen bewachsen.
Nachdem in den Jahren 1817 und 1H34 große verheerende üeberschwem«
mungen stattgefunden, bei denen das ganze Thal unter Wasser gewesen sein soll,
und ähnliche Ereignisse, wenn auch in geringerem Maßstabe, sich wiederholten,
so daß anno 1848 im Werdenberg allein mehr als 30 Wuhrbrüche erfolgten,
lag es nicht mehr im Vermögen und in der Macht der rheinthalischen Gemeinden,
dem Wildwasser Widerstand zu leisten. Einzig in der Periode von 1838 bis
1855 betrugen die Wuhrauslagen der Gemeinden Ragaz bis Altenrhein Über swei
Rheinkorrektion — 675 — Rheinkorrektion
Millionen Franken und die Beiträge von Kanton und Eidgen OHsenschaft 170,000
Pranken. In Rücksicht hierauf, sowie auf vielseitige Petitionen der rheinthalischen
Bevölkerang beschloß der Große Rath des Kantons St. Grallen im Dezember 1H61,
•daß der Staat die Rheinkorrektion zwischen der Bündner Grenze und dem Mon-
stein ob St. Margrethen zu übernehmen habe und dieselbe gemäß dem Plan von
Oberingenieur Hartmann auszuführen sei.
Nach dessen Aufstellung erreichte ein Hochwasser bei einer Plußbettbreite
von 120 m in Geraden eine Höhe von 3,30 m bis 3,60 m über Niederwasser
und in konkaven Kurven eine solche von 4,80 m bis 5,10 m. Die Verbauung
be^jtand nun darin, daß in einem Abstände von 120 m parallele Wuhre (Leit-
werke) erstellt wurden. Dieselben hatte man zum Theil aus Faschinen, zam Theil
•aus Kies gebaut und mit Steinen verkleidet. Ihre Höhe war so bemessen, daß
die Hochwasser dieselben in der Regel überfluthen mußten. Nur an solchen
Stellen, wo wegen den Terrain Verhältnissen oder nahe liegenden Ortschaften
Hinterdämme nicht angelegt werden konnten, waren insubmersible Wuhre in
Aussicht genommen. Die Kosten waren zu S^/i Millionen Franken veranschlagt
und sollten wie folgt repartirt werden : Eidgenossenschaft 2^800,000 Fr., Kanton
St. Gallen 2^000,000 Fr., wuhrpflichtige Gemeinden, Korporationen etc. 1'400,000
Franken, Perimeter ( mit Einschluß der wuhrpflichtigen Gemeinden) 2'300,000 Fr.,
total 8^500,000 Fr.
Der Perimeter umfaßt 12,246 ha = rund 34,000 Jucharten und ist nach
der Höhenlage in drei Klassen eingetheilt, deren Beitragi^verhältniß sich wie
1 ; 3 : 6 verhält.
Die erste Baucampagne fiel in die Jahre 1862/63. Wie die Schutzbauten
schon weit vorgerückt waren, traten anno 1868 und 1871 große und ver-
heerende Ueberschwemmungen ein. Durch dieselben wurde ein Theil der Bauten
wieder zerstört; überdies stellte sich heraus, daß die Hochwasser wesentlich zu
niedrig angenommen waren und man statt der supponirten Höhen von 3,30 m
bis 3,60 m solche von ca. 6 m annehmen mußte.
Nach langen Untersuchungen und Erörterungen ging man insoferne definitiv
vom Bausysteme ab, als auf der Strecke von Tardisbrücke bis Oberriet die Wuhre
-durchgehends insubmersibel angelegt wurden, wo dies nicht schon geschehen war.
Von dort abwärts behielt man das Doppelliiiiensystem bei, d. h. es wurden
überfluthbare Leitwerke mit hinterliegenden Binnen- (Hochwasser-) Dämmen er-
stellt und dazwischen Traversen angelegt, um die Hauptströmung des Flusses
von dem Vorland, das 20 bis 250, im Mittel über 100 m breit ist, abzuhalten
und in das eigentliche Flußbett hinaus zu dirigiren.
Da in Folge dieser Abänderungen in der obern Abtheilnng die Wuhre, nun
Hochwuhre genannt, und in der untern die Binnendämme annähernd um die
Hälfte zu niedrig bemessen und auch entsprechend zu schmal waren, was ein
kubisches Manco von über 200 ^/o ergibt, so ist selbstverständlich, daß auch
der Kosten Voranschlag nichts ausreichte. Es wurden daher zwei Nachtragsvor-
lagen aufgestellt, die erste anno 1874/75 und die letzte anno 1883. Hienach
beziffern sich die Totalkosten auf Fr. 14'400,000 und werden dieselben nicht
^anz, jedoch annähernd gleich repartirt wie beim ersten Devis von 8^/2 Millionen.
Hievon sind bis Ende 1888 rund Fr. 12^500,000 verbaut worden. Bis wann
•die Korrektion ganz vollendet sein wird, kann mit Sicherheit nicht gesagt werden,
es hängt dies einerseits vom Baufortschritt am rechten Ufer, anderseits von dem Ans-
ang der gegenwärtig mit Oesterreich gepflogenen Unterhandlungen bezüglich
Erstellung der Durchstiche ab. Sollten letztere bald zur Ausführung gelangen
Rheinkorrektion — 676 — Rheinkorrektion
und dadurch die Vertiefung von 2 — 3 m des Flußbettes eintreten, so wären
dann die gegenwärtigen Bauten nicht nur hinreichend, sondern viel zu hoch und
zu stark dimensionirt. Bei diesem Anlasse muß nämlich darauf hingewiesen
werden, daß das Kheinbett, wie aus dem bisher Gesagten hervorgeht, nicht in
den Boden eingeschnitten ist, wie dies bei andern Flüssen in der fiegel zutrifft^
sondern dessen Sohle liegt auf der größten Ausdehnung ungefähr so hoch wie
das hinterliegende Land und muß die große Wassermasse durch die den Fluß,
flankirenden Dämme gehalten werden.
Was die Quantität des abfließenden Wassers anbelangt, so beträgt dieselbe
nach vorgenommenen Messungen und angestellten Berechnungen bei
Tardiabrücke Eheineck
für Niederwasser 20 m^ 60 m^
fUr Hochwasser ca. 3000 m" 3800 m' pro Sekunde.
Das absolute Gefall des Rheins beträgt zwischen der bündnerisch-st. gallischen
Grenze und der St. Margrether Eisen babnbrücke 110,50 m, das relative im Mittel
1,74 ^/oo, maximal 3®/oo und minimal 0,8 ^/oo.
Zwischen Tardisbrücke und Bodensee existirt ein totales Gefälle von 115,70 m»
das mittlere relative beträgt 1,54 ®/oo; oberhalb dem Bodensee, wo es am kleinsten
ist, hat es noch ca. 0,5 ®/oo.
Vermöge der eigenthüm liehen Verhältnisse des Rheins, welche darin be^
stehen, daß, wie gezeigt wurde, die Flußsohle ungefähr so hoch liegt, wie da*
anstoßende Terrain, muü noch auf zwei Faktoren aufmerksam gemacht werden^
die mit der ganzen Korrektion in engem Zusammenhang stehen. Fs betrifft dies
die Kolmatirung oder Vorlandung und die Binnengewässerkorrektion.
In Folge dessen, daß bei der Regulirung des Rheins das ehemalige Fluß-
bett wesentlich reduzirt wurde, sind zwischen den neuen, im früheren Rheinbett
stehenden und den alten, hinterliegenden Wuhren resp. Dämmen tiefe Schachen
entstanden. Es war daher angezeigt, dieselben durch Vorlandung auszufüllen, zu
erhöhen. Dies bringt einestheils den Vortheil, daß die relative Höhe der Wuhre
und Dämme über dem angrenzenden Hinterland reduzirt, anderseits daß der ohne-
dies sterile Boden, der ca. 540 ha = 1500 Jucharten mißt, für die Kultur ge-
wonnen wird.
In Anbetracht daß der Rhein zur Zeit seiner Anschwellungen viel, bis zu
50 ^/oo, fruchtbaren Schlamm führt, lag der Gedanke nahe, denselben zur Vor
landung, Kolmatirung des hinterliegenden Bodens zu verwenden. Es geschah
dies, indem die Hochwuhre an mehreren Stellen durchbrochen und Schleusen
erstellt wurden, die mit eisernen Schiebern abgesperrt werden können. Wie
der Rhein nennenswerthe Quantitäten — z. B. 2 — 3 ^/oo — Schlamm führt»
werden die Schleusen geöffnet, das Wasser eingelassen und durch das Hinter-
land hinab und an geeigneter Stelle, z. B. wo ein Binnenwasser ausmündet«
wieder in den hein geleitet. Unterwegs wird das Kolmationswasser durch kleine
Querdämme gestaut, damit es den Schlamm deponiren muß.
Nach den für einige Jahre angestellten Berechnungen und Messungen beträgt
die jährlich durch das Rheinbett abfließende Wassermenge 7 — 10 Milliarden und der
niitgeflihrte Schlamm 7 — 30 Millionen Kubikmeter, somit der mittlere Schlamm-
gehalt ca. 1 — 4 ^/oo. Selbstverständlich wechseln diese Zahlen von Jahr zu Jahr.
Von großer Bedeutung für die Rheinkorrektion und das gesammte Rheinthal
sind die Binnengewässer. Früher, als das Flußbett noch '2 — 3 m tiefer war^
hat sich quasi jeder einzelne Bach direkt und fast auf kürzestem Weg in den
Rhein ergossen. Wie sich dessen Sohle allmälig erhöhte, mußten deren Mündungea
Rheinkorrektion — 677 — Rhonekorrektion
weiter thalabwärts verlegt werden. Bevor dies geschehen konnte, staute der
Rhein bei seinen höhern Ständen darch die Binnengewässer hinauf, manchmal
viele Kilometer weit, und um förmliche Einbrüche zu vermeiden, mußten auf
der untern Seite dieser Bäche, an den Rheindamm anlehnend, ebenfalls Schutz-
dämme erstellt werden, die sich soweit hinauf erstreckten, als der Rückstau
stattfand. Ungeachtet dieser Schutzmaßregeln bildeten die Ausmündungen der
Binnengewässer in den Rhein die gefährlichsten Punkte und sind dorten faktisch
auch mehrmals und verheerende Einbrüche erfolgt. Die Sicherstellung des Landes
«rheischte daher Schluß der gefährlichen Mündungsstellen resp. Reduktion und
Verlegung derselben an solche Punkte, wo keine Gefährde waltet, z. B. wo der
Fluß von höher liegendem Terrain, Hügeln etc. flankirt ist. Bis jetzt sind mit
Ausnahme des Wildbaches Tamina bei Ragaz die sämmtlichen Wasser vom Bezirk
Sargans in dem Saarkanal zusammengefaßt und bei Trübbach, mit dem Wildbach
gleichen Namens in den Rhein geleitet.
Im Bezirk Werdenberg wurden in den Jahren 1883/84 die letzten gefähr-
lichen Ausmündungen geschlossen, sämmtliche Bäche in einen Kanal geleitet und
letzterer in einer Länge von 22 km durch das ganze Gelände hinab und bei Rüthi
in den Rhein gefühlt. Die Kosten für diese letztere Korrektion betragen rund
eine Million Franken (s. den Artikel „Binnengewässerkorrektion im Bezirk W.**).
Heute (1888) steht die Erstellung des Kanals von Rüthi bis St. Margrethen
noch aus. Derselbe würde seinen Ursprung oberhalb der Ausmündung des Werden-
bergerkanals, jedoch mehr bergsei ts und ebenfalls eine Länge von ca. 25 km
erhalten. Die Kosten werden sich analog dem Werdenbergerkanal auf ca. ly«
Million Franken beziffern.
Der Vollständigkeit wegen muß noch angeführt werden, daß die beiden
Durchstiche, von welchen weiter oben die Rede war, laut den Yoranschlägen auch
ca. 20 Millionen kosten würden.
Es wäre interessant zu erfahren, welche Auslagen der Rhein zwischen
Tardisbrücke und Bodensee z. B. seit Anfang dieses Jahrhunderts verursacht hat.
Leider fehlen hierüber die nöthigen Aufschreibungen. Nachdem aber für die
Rheinbauten im Kanton St. Gallen seit 1838 wenigstens 15 Millionen verausgabt
wurden und angenommen werden darf, die gegenüberliegenden Anstößer, nämlich
Graubünden, Liechtenstein und Vorarlberg, haben zum mindesten ebensoviel ge-
opfert, so kann füglich behauptet werden, daß die Totalkosten sich auf über
30 Millionen Franken beziffern. Ja es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, daß die
Gesammtsumme diesen Betrag wesentlich übersteigt.
Der Bund votirte drei Mal Subventionen für die Rheinkorrektion, nämlich :
a, St. gallisches Gebiet:
am 24. Juli 1862 Fr. 2'800,000 = ca. Vs de« Voranschlages von Fr. 8'öOO,000
r 16. Aug. 1876 ^ 870,000 = , , . , „ 2'500,000
, 23. Dez. 1886 , r360,000 r:r:r 40^0 , . . „ 3^400,000
b, Bündnerisches Gebiet :
, 24. Juli 1 862 Fr. 350,000= »/a . . . „ 1*050,000
„ 16. ^ 1878 „ 100,000 — ^ . . , . 300,000
Fr. 5480,000 Fr. 15'750,0ü0
Vgl. auch den Artikel „Hinterrheinkorrektion**.
Rhonekorrektion* Vor der Rhonekorrektion war die Ebene von Wallis
sozusagen jedes Jahr von Ueberschwemmungen heimgesucht, deren Gewässer sich
Rhonekorrektion — 678 — Rhonekorrekliott
oft von einem Berge zum andern ausdehnten. Unter diesen Eataetrophen mögea
die folgenden hervorgehoben werden :
1) Die IJeberschwemmung der Ebene von Monthey im Jahre 1855, die sich
so weit ausdehnte, daß man von Illarsaz nach Youvry mit dem Schiffe fahren
konnte.
2) Diejenige von 1857 in der Ebene von Martinach welche die Postwagen
und andere Fuhrwerke zwang, während mehreren Tagen durch die alte Straße
längs dem Berge von Ridda nach Martinach zu fahren.
3) Jene von 1860, die verhängnißvollste von allen, indem sie das Thal-
becken von Brig nach Leuk und von Sider nach Ridda überflnthete, so daß die
Gewässer auf der Landstraße bei Raron 1 72 m über die Wuhren stiegen.
Diese und andere Ueberschwemmungen konnten stattfinden, obwohl seit einer
Reihe von Jahren wichtige Arbeiten auf dem Ufergebiete des Flusses ausgefülu-t
worden waren: so in Vouvry, Collombey, Monthey, Massongex, St. Moritz,
Martinach (Dranse), Sitten, St. Leonhard, Sider, Raron, Yisp und Brig. Aber
diese Arbeiten, wenn auch fest und auf gewisse Strecken in großem Maßstabe
durchgeführt, waren im Allgemeinen zu vereinzelt und boten Unterbrechungea
dar, die beständig von Ueberschwemmungen bedroht waren. Und doch waren
dieselben sehr kostspielig und verursachten den Gemeinden bedeutende und schwere
Leistungen. Es genüge, beispielsweise zu erwähnen, daß vor 1860 die durch die
Wuhrarbeiten bedingten Gemeindeabgaben in Collombey auf 18 — 25 *^/oo stiegen»
in Saillon auf 10, in St. Leonhard auf 15, in Gradetsch auf 10, in Raron auf 24,
in Niedergestein auf 48, in Lalden auf 35 u. s. w. Die gewöhnlichen Dämmungs>
ausgaben beliefen sich jährlich für Gemeinden und Staat auf die durchschnittliche
Summe von Fr. 25u,000.
Die durch die Ueberschwemmung von 1860 an Boden und Verkehrsstraßen
angerichteten Verheerungen, die Schwierigkeiten, neuen Verwüstungen vorzubeugen,
sowie die für sichere Schutzarbeiten vorauszusehenden Ausgaben veranlaßten die
Regierung von Wallis, kraft Art. 21 der Bundesverfassung für die Eindämmung
der Rhone und ihrer Zuflüsse eine Bundesunter^tützung zu verlangen. Eine ähnliche
Unterstützung war früher den Kantonen St. Gallen und Graubünden für die Rhein -
korrektion bewilligt worden.
Das Begehren der Regierung von Wallis wurde dem Bundesrathe am 4. De-
zember 1860 eingereicht. Demselben waren Pläne und Kostenentwürfe mit einem
besondern Berichte beigelegt, um einen möglichst genauen Begriff von der
Wichtigkeit des Projektes zu geben. In Erwägung der mit dieser Frage ver-
bundenen hochwichtigen Interessen verordnete der Bundesrath, durch Beschluß
vom 11. Jan. 1861, eine Prüfung an Ort und Stelle vorzunehmen und beauf-
tragte damit die HH. Hartmann, Oberingenieur in St. Gallen, und Blotnitzky»
Ingenieur in Genf. In einem ersten Berichte schätzten diese Sachkundigen die
Kosten der beantragten Arbeiten auf Fr. 6'01 0,000, in einem zweiten Bericht
aber auf die Summe von Fr. 7'906,000.
Nun wurde die Angelegenheit vor die Bundesversammlung gebracht und diese
bewilligte, auf Antrag des Bundesrathes, eine Subvention von Fr. 2'640,000^
gleich einem Drittheil des Kosten Voranschlages.
Gleichzeitig wurde eine Frist von 12 Jahren zur Ausführung der Korrektion
bestimmt und der Beginn der Arbeiten auf das Jahr 1863 festgesetzt. Ernstlich
wurden diese aber erst 2 Jahre später unternommen, von wo an sie konsequent
fortgesetzt werden konnten, bis neue Ueberschwemmungen einen Theil des Voll-
brachten zerstörten, so am 26./27. September 1866 und im Juli/ August I868.
Rhonekorrektion — 679 — Rigibahn
Der Schaden der letzteren Ueberschwemmungen wurae auf Fr. 520,000 ermittelt.
Das einmal begonnene Werk mußte indeß trotz Ueberschwemmungen, Ungewittern
und anderen störenden ZwischenföUen fortgesetzt und zu Ende geführt w^erden,
und es bewilligte denn auch der Bund neue Subventionen, als : Fr. 300,000
am 22. Dez. 1870, Fr. 338,900 am 16. Aug. 1878, Fr. 466,600 am
13. Dez. 1884, Fr. 290,000 am 18. Juni 1886. Es macht dies ein Total von
Fr. 4'035,500, welche der Rund speziell für die Korrektion des Rhoneflusses
votirte (Fr. 590,000 für die Strecke auf waadtländischem, Fr. 3^445,500 für
den Lauf auf wallis'schem Gebiet) --r=: Ya der devisirten Gesammtkosten (Fr.
12^106,000). Weitere Fr. 350,000 verabfolgte der Rund für die Erstellung
von Entsumpfungskanälen in der von der Rhone durchschnittenen Ebene.
Ohne ^solche EntsumpfungskanSle wäre die Rhonekorrektion nur ein halbes Werk
geblieben, denn die von früher her vom Wasser durchtränkten Landstriche hätten
sich nicht von selbst entwässert und urbar gemacht. Das bei der Rhone an-
gewandte Korrektionssystem ist das System der rechtwinkelig an die
Längsdämme angesetzten, nach unten sich neigenden Sporen (Buhnen), deren
Spitze sich im Flußbette verliert, so zwar, daß die Wasser, welches immer ihr
Volumen sein mag, stets gegen die Axe des Thalweges zurückgeführt werden,
wohin gewöhnlich die größte Strömung und die stärkste Wassermasse sich drängt.
Hiedurch bilden sich natürlicherweise zwischen den Sporen Anschwemmungen,
welche die Längenwehren verstärken, indem nie dem Bette eine konkave, nämlich
die Kegelschnitt form geben und so das FortspUhlen des Geschiebes nach den
erwünschten Bedingungen fördern. Daher findet man selbst beim niedrigsten
Wasserstande zwischen den Sporenköpfen weder Sandbänke noch Geschiebe. Mag
der Wasserstand noch so niedrig sein, so dehnt das Wasser sich dennoch in
regelmäßiger Fläche hin und fließt fort, ohne irgend welche Windung im Bette
zu zeichnen. Der vom Baudepartement des Kts. Wallis 1877 herausgegebene
Bericht Über die Ebonekorrektion, welchem obige Mittheilungen entnommen sind,
oitirt für die Trefflichkeit des Korrekt ionssystems die Aussagen mehrerer Au-
toritäten.
Riemenfabrikation. Ca. 30 Geschäfte in 9 Kantonen. Riemenfett-
fabrikation 2 Firmen, Schaff hausen und Eorgen*.
Riesling, weißer, ist diejenige Traubensorte, aus welcher die berühmten
Rheinweine erzeugt werden. Bei uns findet sie sich in den meisten Gegenden
nur sporadisch. Einzig im Wallis wird sie an einigen Orten unter dem Namen
Plant du Rhin und Jobannisberg im Großen kultivirt. Sie gibt einen süßen,
feurigen Wein, der jedoch an Blume den Rheinweinen nachsteht. Kr,
Rigibahn (Rigi-Yitznau). Die Rigibahn ist eine normalspunge Zahnradbahn
nnd das Unternehmen einer Aktiengesellschaft, deren Sitz in Luzern ist. Die
Betriebsdirektion befindet sich jedoch in Vitznau. Der Bahnbetrieb wurde wie
folgt eröffnet: Am 2'6, Mai 1872 die Strecke Vitznau- Staffelhöhe und am 27. Juni
1873 die Strecke Statfelhöhe-Rigikulm. Letztere Strecke ist Eigenthum der Arth-
Rigibahngesellschaft und von dieser an die Rigibahngesellschaft verpachtet.
Bahnläuge: Bauliche Länge der eigenen Bahn (Vitznau-Staffelhöhe) 51 55 m ;
Betriebslänge (Vitznau-Rigikulm) 6858 m oder rund 7 km. Nächster
Rückkaufstermin für den Bund: 23. Mai 1901.
Bauliche Verhältnisse: Bauliche Länge mit einem Hauptgeleise
3275 m, mit zwei Hauptgeleisen 1880 m. Auf 1000 m Bahnlänge entfallen
durchschnittlich 1479 m Geleise. Von der ganzen eigenen Bahn liegen 1848 m
auf Dämmen, 3136 m in Einschnitten, 67 m im Tunnel und 104 m auf Brücken.
Rigibahn — 680 — Rigi-Scheidegg-Bahn
Die ganze betriebene Bahn von Yitznan bis Rigikulm hat eine darchsohniitliche
Steigung von 191,03 ^/oo und Maximabteigungen von 250 ^/oo; der mittlere
Krümmungshalbmesser für die ganze Bahn beträgt 428 m und der MinimalradioB
120 m. Die Rigibahn zählt 7 Stationen, wovon die wichtigsten sind: Vitznau,
Kaltbad und Rigikulm. Auf der gepachteten Strecke Staifelhöhe-Rigiknlm liegen
2 Stationen. Das Rollmaterial besteht aus 10 Zahnradlokomotiven von durch-
schnittlich 150 Fferdekräften, 12 Personenwagen mit 636 Sitzplätzen und 5 Güter-
wagen. Betriebspersonal: 71 Mann. Beförderte Reisende im Jahre
1887:98,337, 1886:102,021, 1885:98,911. Beförderte Güter im Jahre
1887: 1635 t, 1886: 1249 t, 1885: 1286 t.
Reinertrag (wie er bei einem allfälligen Rückkauf durch den Bond in
Betracht fällt) im Jahre 1887 : Fr. 155,910, 1886 : Fr. 152,631, 1885 :
Fr. 141,612. Verhältniß des Reinertrages zum Anlagekapital 1887: 6,98 7o,
1886: 6,82 ^o, 1885: 6,31 ^o.
Kapitalbestand 1887: Fr. 2*232,000, wovon Fr. 1*250,000 Aktien,
Fr. 979,000 konsolidirte Anleihen.
Zinse und Dividenden 1887: Fr. 150,440 = 6,74^0 des KapitaU,
1886: Fr. 150,087 =: 6,73 7o, 1885: Fr. 144,775 = 6,45 7o.
Baukonto per Ende 1887: Kosten der Bahnanlagen und festen Ein-
richtungen Fr. 1*770,410 = Fr. 343,436 per Bahnkil: des Rollmaterials
Fr. 446,500 = Fr. 63,786 per Bahnkil.; des Mobiliars und der Geräthschaften
Fr. 18,387 = Fr. 3567 per Bahnkil. Totalkosten Fr. 2*235,297 = Fr. 410,789
per Bahnkil.
Rigikulm-Arth s. Arth-Rigibahn.
Rigi-Scheidegg-Bahn. Die schmalspurige (Im) Adhäsionsbahn von Rigi-
Kaltbad nach Rigi-Scheidegg wurde wie folgt eröffnet: Am 14. Juli 1874 die
Strecke von Kaltbad bis Unterstetten (3450 m); am 1. Juni 1875 die Strecke
von Unterstetten bis Scheidegg (3297 m). Die Bahn gehörte zu dieser Zeit der
Aktiengesellschaft „Regina montium**. Am 1. Januar 1876 ging die Bahn an
eine neue AktiengeseÜHchaft über. Am 1. Januar 1879 fand abermals ein Besitz-
wechsel statt, indem an Stelle der zweiten eine dritte Aktiengesellschaft getreten
ist, welche die Bahn seither besitzt. Der Baukonto der ersten Gesellschaft (Regina
montium) bezifferte sich auf Fr. 1*560,863, derjenige der zweiten Gesellschaft
auf Fr. 353,225. Die gegenwärtige Gesellschaft bezahlte für die Bahn Fr. 62,500.
Der Sitz der gegenwärtigen Gesellschaft befindet sich in Luzem, die Betriebs-
direktion dagegen in Vitznau (mit der Rigibahn vereinigt). Nächster
Rückkaufstermin für den Bund: 23. Mai 1901.
Bahnlänge Ende 1886: Bauliche Länge 6747 m, Betriebslänge 66 19 m
oder rund 7 km.
Bauliche Verhältnisse: Von der baulichen Länge entfallen 2692 m auf
Dämme, 3920 m auf Einschnitte, 70 m auf einen Tunnel und 65 m auf Brücken.
168 m der Bahn sind zweigeleisig. Von der Betriebslänge sind 379 m horizontal,
6240 m liegen in Steigungen, 3057 m sind gerade und 3562 m bilden Kurven.
MaximaUteigung 50 ^/oo, mittlere Steigung der ganzen Bahn 31,86 Voo. Minimal-
radius 105 m, mittlerer Krümmungshalbmesser der ganzen Bahn 232 m. Die
Bahn zählt 4 Stationen. Das Betriebsmaterial besteht aus 2 Lokomotiven
von je 130 Pferdekräften, 3 Personenwagen mit 165 Sitzplätzen und 3 Güter-
wagen. Betriebs personal: 21 Mann. Beförderte Reisende im Jahre
1887: 14,800, 18H6: 13,253, 1885: 14,609. Beförderte Güter im Jahre
1887: 432 t, 1886: 315 t, 1885: 322 t.
Rigi-Scheidegg-Bahn — 681 — Rorschach -Heiden
Reinertrag (wie. er bei einem allfälligen Rückkauf dorch den Bund in
Betracht fällt) im Jahre 1887: Fr. 3009, 1886: Fr. 85, 1885: Fr. 2012.
Yerhältniß des Reinertrages zum Anlagekapital 1887 : 3,78 7o, 1886 :
0,11 >, 1885: 2,53 ^o.
Kapitalbestand 1887: Fr. 79,500, wovon Fr. 74,500 Aktien.
Zinse und Dividenden 1887: Fr. 2980 = 3,75 7o des Kapitals,
1886: Fr. 2980 = 4 «/o, 1885: Fr. 3725 = 4,69 7o.
Baukonto per Ende 1887: Kosten der Bahnanlagen und festen Ein-
richtungen Fr. 44,500 = Fr. 6596 per Bahnkil. ; des Rollmaterials Fr. 20,300
— Fr. 2900 per Bahnkil. ; des Mobiliars und der Geräthsohaften Fr. 700 = Fr. 104
per Bahnkil. Totalkosten Fr. 65,500 = Fr. 9600 per Bahnkil. (Die Kosten
erscheinen hier nur deßhalb so gering, weil die Bahn von der jetzigen G-esell-
schaft sehr billig ersteigert wurde.)
Rindviehzucht s. Viehzucht.
Roggen 8. Getreidebau.
Roggenstroh bildet im Aargau den Hauptrohstoff für die Fabrikation
farbiger und melirter Strohgeflechte ; für weiße Artikel ist dasselbe nicht geeignet.
Rohproduktion s. Bergbau, Landwirthschaft, Forstwirthschaft, Fischerei,
Jagd. Eine «Karte der Fundorte von Rohprodukten in der Schweiz" ist für die
Schweiz Landesausstellung in Zürich (1883) auf Veranlassung des Schweiz. Handels-
und Landwirthschaftsdepartements von den Herren Ingenieur Julius Weber und
Alt- Oberförster Brosi bearbeitet worden (Verlag von J. Wurster & Co. in Zürich).
Dieser Karte hat das Lexikon seine Angaben über die Fundorte von Gesteins-
arten entnommen.
RolIIadenfabrilcation. Nach Schwarz 7 Geschäfte in 5 Kantonen. Unter
dem Fabrikgesetz steht das Etablissement von Fritz Ganger in Unterstraß.
Romanshorn-Winterthur s. Nordostbahn.
Romont-BuIIe s. Bulle-Romont-Bahn.
Rorsehaeh-Chur und Rorschach-Winterthur s. Ver. Schweizer-
bahnen; Rorschach-Konstanz s. Nordostbahn.
Rorschach-Uetden, Die Rorschach-Heiden-Bergbahn ist eine normalspurige
Zahnradbahn. Dieselbe gehört einer Aktiengesellschaft, deren Sitz in Basel ist.
Die Bahnverwaltung befiudet sich jedoch in Heiden. Der Bahnbetrieb wurde am
6. September 1875 eröffnet.
Bahn länge: Bauliche Länge der eigenen Bahn 5726 m, Betriebslänge
7108 m oder rund 7 km, wovon 1 km Adhäsionsbahn Eigenthum der Ver.
Schweizerbahnen ist und von der Rorschach -Heiden-Bahn mitbenutzt wird. Nächster
Rückkau fstermin für den Bund: 1. Mai 1903.
Bauliche Verhältnisse: Bauliche Länge mit einem Hauptgeleise
6649 m, mit zwei Hauptgeleisen 77 m. Auf 1000 m Bahn entfallen 1155 m
Geleise. Von der eigenen Bahn liegen 2337 m auf Dämmen, 3372 m in Ein
schnitten und 17 m auf Brücken. Von der Betriebslänge liegen 1048 m in der
Horizontalen, 6060 m in Steigungen, 4764 m in der Geraden und 2344 m in
Kurven. Maximalsteigung 90 ®/oo; mittlere Steigung der ganzen Bahn 53,95 ®/oo;
Minimalradius 120m; mittlerer Krümmungshalbmesser der ganzen Bahn 695 m.
Die Bahn zählt 5 Stationen, wovon die wichtigsten sind : Rorschach (mitbenutzt)
und Heiden.
Rollmaterial Ende 1887: 3 Zahnradlokomotiven von je 155 Pferde-
kräften und 16 Tonnen Leergewicht per Maschine; 9 zweiachsige Personenwagen
mit zusammen 434 Sitzplätzen, 8 Güterwagen mit zusammen 52,5 Tonnen Tragkraft.
Rorschach-Heiden — 682 — Rückzölle
Betriebspersonal im Jahre 1887: 15 Hann im Ganzen oder 2 per
Babnkil.
. Beförderte Reisende im Jahre 1887: 42,155, 1886: 44,910, 1885
47,837.
Beförderte Güter im Jahre 1887: 13,601 t, 1886: 14,692 t, 1885
13,973.
Reinertrag im Jahre 1887: Fr. 19,527, 1886: Fr. 26,430, 1885
Fr. 22,813.
Verhältniß des Reinertrages zum Anlagekapital 1887 : 0,79 ^/o, 1886
1,20 7o, 1885: 1,04 7o.
Kapital bestand 1887: Fr. 2'440,000, wovon Fr. r400,000 Aktien
und Fr. 1*040,000 Anleihen. Das Aktienkapital besteht aus Stammaktien a
Fr. 500 = Fr. 900,000 und aus Aktien IL Ranges a Fr. 500 = Fr. 500,000.
Das Anleihenskapital besteht aus einem 4 ®/o Anleihen von Fr. 500,000 und
aus einem Anleihen II. Ranges von Fr. 540,000. Das letztere hat nur dann ein
Anrecht auf Verzinsung (bis zu 3,7 ^o), wenn der Ertrag hiezu vorhanden ist.
Zinse und Dividenden 1887: Fr. 20,000 = 0,82^0 des Kapital»,
1886: Fr. 40,000 = 1,82 7o, 1885: Fr. 40,000 = 1,82 7o.
Baukonto per Ende 1887: Kosten der Bahnanlagen und festen Ein-
richtungen Fr. 1'982,512 = Fr. 346,230 per Babnkil.; des Rollmaterials
Fr. 209,200 = Fr. 29,886 per Babnkil. ; des Mobiliars und der Geräthschaften
Fr. 8288 = Fr. 1448 per Bahnkil. Total der Baukosten Fr. 2'200,000
= Fr. 377,564 per Bahnkil.
Rosshaarwaaren. Birkhäuser's Adreßbuch verzeichnet 22 Roßhaarwaaren-
fabrikationsgeschäfte (6 Aargau, 6 Luzern, 5 Zürich, 3 Thurgau, 1 Bern, 1 Schaff-
hausen). S. auch „Pferdehaar".
Rother, großer (Gros rouge du Pays) ist der Name einer blauen Savoyer
Traube „Mondeuse**. Eine äußerst fruchtbare, jedoch sehr spät reifende Sorte mit
großen, blaurothen Trauben, kommt in den Kantonen Wallis, Waadt und Genf vor.
Rothgipfler, weißer, ist eine niederösterreichische Traubensorte, welche
vereinzelt auch in der Schweiz angebaut wird. Der Rebstock ist stark, gedeiht
in allen Lagen und Bodenarten, ist Überaus fruchtbar und in der Blüthe un-
empündlich. Die Trauben reifen indessen sehr spät und es ist diese Sorte daher
nur für die frühesten, besten Lagen zu empfehlen. Kr,
Rotliklee. Die Schweiz verdankt die Einführung des Kleebaues dem Be-
gründer (1759) und Präsidenten der weithinbekannten ökonomischen Gesellschaft
des Kantons Bern, Johann Rudolf Tschiffeli. Der Rothkleebau war zwar in der
Schweiz sporadisch schon früher vorhanden, wozu der Same von den spanischen
Provinzen in den Niederlanden herstammte (deßhalb holländischer oder spanischer
Klee), eine größere Ausdehnung erlangte derselbe aber erst durch die Bemühungen
der erwähnten Gesellschaft und ihrer Zweigvereine. Später war es auch Emanuel
V. Fellenberg, welcher den Kleebau forderte.
Roth kreuz« Aarau s. Aargauische Südbahn.
Rouge de Fully ist der Name eines Walliser Weines.
Rückkauf der Eisenbahnen s. Staatsbahnen.
Rückzölle. Hierunter versteht man die für Exportfabrikate gewährte
Rückvergütung des Zolles, den die betreffende Exportindustrie für die aus dem
Auslände bezogenen und zur Herstellung jener Fabrikate verwendeten Rohstoffe
zu entrichten hatte.
Rückzölle — 683 — Rückzölle
Die Frage, ob BUokzölle aaoh in der Schweiz einzuführen seien, hat die
schweizerische Bundesversammlnng wiederholt beschäftigt.
In der bundesräthlichen Botschaft betreffend Aufstellung eines neuen Zoll-
tarifs, vom 16. Juni 1877, finden dieselben zum ersten Male Erwähnung. Im
Prinzip erklärte sich der Bnndesrath als Gegner dieses Systems, weil Hir die
wenigsten Industrien praktisch durchführbar. In Anbetracht jedoch der damals
beantragten Erhöhung des Spritzolles von Fr. 7 auf Fr. 20 war in den neuen
Tarifentwurf die Bestimmung aufgenommen, daß für Sprit, der zur Herstellung
von andern geistigen Getränken verwendet worden, bei der Ausfuhr der letztern
die Hälfte des bezahlten Eingangszolles zurückzuvergUten sei.
Die Aufnahme dieser Bestimmung in das Tarifgesetz wurde jedoch abgelehnt,
nachdem die ständeräthliche Kommission ihr Gutachten dahin abgegeben, daß bei
Anlaß der Revision des Zollgesetzes die Frage der Rückvergütungen im Allge-
meinen und nicht bloß hinsichtlich des Sprits in's Auge gefaßt und erledigt
werden sollte. Die Kommission des Nation alrathes hatte in dieser Richtung keine
bestimmt lautenden Anträge gestellt; sie beschränkte sich bloß darauf, die Auf-
merksamkeit der Verwaltung auf die Rückzölle zu lenken. In der Kommission
selbst war indessen auch die Ansicht vertreten, daß das Fallenlassen des Ausfuhr-
zolles bei einzelnen Fabrikaten genügen sollte.
Vor Abschluß der Tarifberathungen stellt« sich die Frage der Herstellung
des Gleichgewichtes in den Bundesfinanzen in den Vordergrund. Es folgte die
Vorlage des Bundesrathes vom 3. Juni 1879 betreffend Erhöhung des EingangH-
zoUes auf eiuzelnen Waarengattungen und der Bundesbeschluß vom 20. Juni
gleichen Jahres, durch welchen die Eingangsgebühren für Tabak und Tabak-
fabrikate sowie für Branntwein und Sprit erhöht wurden. Bei diesem Anlaß
wurde von der Bundesversammlung das Postulat angenommen, es sei der Bundes-
rath eingeladen, zu untersuchen, ob und in welchem Verhältnisse Rückzölle auf
denjenigen schweizerischen Fabrikaten gewährt werden können, welche durch die
erhöhten Eingangsgebühren auf Tabak und Sprit berührt werden.
In seiner Botschaft vom 27. November 1879 beantragte hierauf der Bundes-
rath die Einführung eines Rückzolles zu Gunsten des Exports von Cigarren; die
Vorlage wurde jedoch an den Bundesrath zurückgewiesen in dem Sinne, daß die
Behandlung dieses Gegenstandes anläßlich der Zolltarifrevision (zweite Berathung)
wieder aufzunehmen sei
Aliein am 5. März 1881 wurde der Bundesrath vom Ständerathe neuerdings
eingeladen, beförderlichst Anträge im Sinne der Gewährung von Rückzöllen für
die schweizerische Industrie im Allgemeinen und für Tabakfabrikate insbesondere
vorzulegen. ,
Der Bundesrath entsprach dieser Einladung mit seiner Botschaft vom 24. Mai
gleichen Jahres nuter Vorlage eines Beschlußentwuffes, in welchem ein Rückzoll
sowohl für Cigarren als auch für Rauchtabak vorgesehen war. Der Ständerath
stimmte dem Entwürfe mit unwesentlichen Aenderungen bei; der Nationalrath
hingegen beschloß, mit Rücksicht auf die vielen Komplikationen, die das Gesetz
für die Verwaltung zur Folge haben würde, sowie von der Ansicht ausgehend,
daß die Frage am besten bei Anlaß der Berathung des 2k)lltarifs gelöst werde,
auf den Vorschlag zur Zeit nicht einzutreten, welchem Beschlüsse der Ständerath
nachträglich ebenfalls beitrat.
Die Rückzollfrage kam demgemäß bei der zweiten Berathung der Tarif-
revision zur nochmaligen Behandlung. Diesmal hatte der Bundesrath seinen Stand-
punkt geändert. In der Botschaft vom 3. November 1882 bezeichnete er geradezu
RückzöUe — 684 — RückzöUe
4ie Vermeidung des Systems der Rückzölle als einen der Haaptzielpnnkte der
Tarifrevision. In der Begründung wurde darauf hingewiesen, daß eine solche
Maßnahme einen komplizirten Yerwaltungsapparat erfordern wUrde, gegen den sich
andererseits eine begreifliche Abneigung kundgegeben hätte. Die nationalräthliche
Kommission erklärte sich auch diesmal grundsätzlich gegen das System, fUr welches
fiie keinen volkswirthschaftlichen Grrund finden konnte
Dagegen sagt die ständeräthliche Kommission in ihrem Berichte vom 19. Juni
1883:
„Die Ruckzölle wurden grundsätzlich abgelehnt und die Eventualität,
darauf zurückzukommen, nur für den Fall in^s Auge gefaßt, als die end-
gültige Feststellung der Einfuhrzölle auf einzelnen Waarengattungen, welche
als Halbfabrikate für Exportartikel dienen und vom Auslande bezogen
werden miJIssen, konstatiren würde, daß die Konkurrenzverhältnisse eine
solche Maßregel im Interesse unseres Ausfuhrhandels gebieterisch fordern."
Die Geneigtheit, auf die Rückzollfrage je nach Grestaltnng der Verhältnisse
zurückzukommen, findet sich hierin in unzweideutiger Weise ausgesprochen,
während der Bundesrath in seiner Botschaft vom 3. November 1882 den Stand-
punkt vertreten hatte, daß diesen Verhältnissen eher durch Ermäßigung der
bezüglichen Eingangszölle Rechnung getragen werden könnte und sollte.
Rückzölle waren damals beansprucht zu Gunsten der Tabak-, Maschinen-
und Schuh waarenindustrie, der Absinthe- und der Chokoladefabrikation. In der
Folge langten alsdann gleiche Begehren ein von einer Anzahl Liqueurfabrikanten
der romanischen Schweiz, sowie von Seite der Milchsiederei Cham.
Für einmal hatte nun die Bundesversammlung entschieden. Allein schon
am 8. Mai 1885, also kurz nach Inkrafttreten des Zolltarifgesetzes vom 26. Juni
1884, wendete sich die Genfer Handelskammer mit dem Ansuchen an den Bundes-
rath, es möchte diese Frage mit Bezug auf den Export von Tabakfabrikaten
neuerdings in Erdauerung gezogen werden. In einer spätem Petition der schwei-
zerischen Tabak- und Cigarrenfabrikanten, d. d. 12. Oktober 1885, wurde dann
das Postulat der Genfer Handelskammer unter dem Vorbehalte fallen gelassen,
daß an Stelle des Rückzolles eine Zollerhöhung auf importirten Tabakfabrikaten,
sowie eine Zollermäßigung für den Rohtabak zu treten habe.
Daß nämlich bei Einführung des Rückzolles die Ausübung einer Kontrole
mit großen Schwierigkeiten verbunden wäre, haben die Petenten selbst unum-
wunden zugegeben.
Die Rückzollfrage erhielt endlich ganz bestimmte Fassung durch Annahme
des oben erwähnten, sowie eines weitern Postulats, lautend:
„Der Bundesrath wird eingeladen, Bericht und Antrag vorzulegen für
Erleichterung der Ausfuhr von Tabakfabrikaten**,
das gleichzeitig mit dem eratern aufgestellt worden war.
In Folge dieser beiden Postulate erließ der Bundesrath unterm 20. November
1888 eine Botschaft, in welcher die verschiedenen bei Einführung von Rückzöllen
in Betracht kommenden Industrien einer nähern Besprechung unterzogen werden.
Die Schlußanträge des Bundesrathes an die Bundesversammlung lauten :
1) Es sei für cxportirte, mit Zuckerzusatz kondensirte Milch vorläufi^f auf die Dauer
von drei Jahren eine Köckzollvcrgrrilunjr für den Zucker zu leisten, und zwar im
Verhnitniß von Fr. 5 auf 100 kg Zucker l)erechnet ;
iJ) es sei die Behandlung der Rückzollfrage mit Bezug auf die Tabakfabrikate zu
verschieben ;
3) auf «lie RnckzoUvergiitung an andere Industrien sei zur Zeil nicht einzutreten.
Rückzölle — 685 — Rumänien
unterm 27. März 1889 beschloß der Nationalrath die Annahme des bandes-
räthlichen Beschlußentwurfes mit einigen wenigen Modifikationen. Der Ständerath
dagegen beschloß am 3. April 1889, zur Zeit nicht einzutreten und den Bundes-
rath einzuladen, in der nächstfolgenden Session Bericht und Antrag auch Über
die Frage einzubringen, ob es nicht vorzuziehen sei, den Export von kondensirter
Milch, statt durch einen RUokzoll, durch Herabsetzung des Zolles auf der bei
der Milchsiederei zur Verwendung kommenden Zuckerart zu begünstigen. Dieser
Einladung kam der Bundesrath nach, indem er den eidgenössischen Räthen einen
vom 24. Mai 1889 datirten Bericht unterbreitete, der dahin schließt, daß die
durch das ständeräthliche Postulat gestellte Frage zu verneinen sei.
In der Junisession 1889 wurde endlich der vom Bundesrathe modifizirte
Beschlußentwurf angenommen, und zwar vom Nationalrathe unterm 7., vom
^Ständerathe unterm 27. Juni. Der Beschluß lautet:
Art. 1. Für die in schweizerischen Fabriken mit Zuckerzusatz kondensirte und in
ein fremdes Zollgebiet ausgeführte Milch ist auf 100 kg netto Zucker eine Riickzoll-
vergutung von Fr. 5 zu leisten. Anspruch auf diese Vergütung haben jedoch nur solche
Fabriken, welche ausschließlich Milch schweizerischer Produktion verwenden, und nur
insoweit, als sich solche über direkte Einfuhr des entsprechenden Quantums Zucker
durch Vorlage bezüglicher, seit 1. Januar 1889 ausgefertigter Verzollungsbelege aasweisen
können. Sie beschränkt sich überdies auf solche Zuckerstoffe, die unter Nr. 244 — 246
des Tarifs aufgeführt sind (Roh-, Krystall-, Malz-, Trauben-, Stampf- (Pil6-) Zucker, ferner
raffinirter Zucker in Hüten, Platten, Blöcken, Abfallen, geschnitten oder fein gepulvert).
Art. 2. Alle Handlungen, welche die Erlangung einer unrechtmäßigen Zollrück-
vergütung bezwecken, werden als Zollübertretungen behandelt und nach Analogie von
Art. 51 des Zollgesetzes bestraft. Im Wiederholungsfalle wird dem Schuldigen die Be-
rechtigung zum Bezug des Rückzolles für die Zukunft entzogen.
Art. 3. Die Gültigkeit dieses Beschlusses wird, vorbehaltlich der Bestimmungen
eines neuen Zolltarifgesetzes, auf die Dauer von drei Jahren festgesetzt.
Art. 4. (Referendumsklausel.)
(NB. Wir hielten eine ausführlichere Darstelhmg der geschichtlichen Daten über
das Kapitel der Rückzölle deßhalb für geboten, weil letztere bei der weitern Entwicklung
des Schweiz. Zollwesens aller Voraussicht nach eine nicht unbedeutende Rolle spielen
werden.)
RulEnder, eine Weinrebe, welche in der deutschen Schweiz meistens mit
den schwarzen Burgundern gemengt vorkommt. Der Stock ist von mittlerer
Stärke, in der Fruchtbarkeit dem Burgunder gleich. Die Trauben reifen ziemlich
früh und liefern einen vorzüglichen Wein. Kr,
Rumänien. Rumänien versieht die Schweiz mit großen Quantitäten Getreides ;
mit weit größeren als in der oftiziellen Statistik angeschrieben. (Immerhin gehen
Ungarn und Rußland voran.) Umgekehrt ist Rumänien ein guter Abnehmer
schweizerischer Fabrikate, besonders bedruckter Baumwollgewebe. Seit einigen
Jahren führen Oesterreich- Ungarn und Rumänien einen wirthschaftspolitischen
Kampf, der Seitens des letzteren Staates den Zweck hat, innerhalb seiner Grenzen
Gewerbe und Industrie zu fördern. Rumänien schuf deßhalb 1885/86 einen
Schutzzolltarif par excellence.
Die Rückwirkung jenes Kampfes bedrohte auch die Schweiz, als es noch
rechtzeitig möglich wurde, mit Rumänien einen Handelsvertrag abzuschließen
(7. Juni 1886 [A. S. n. F. 9, 119]; schweizerische Unterhändler: Minister Aepli
in Wien und Generalkonsul Staub in Bukarest), der nur die unbedeutenderen
Ausfuhrartikel der Schweiz dem rumänischen Protektionstarif unterstellte und so
die Fortdauer der wichtigeren schweizerLsch-rumänischen Handelsbeziehungen er-
möglichte. Ja dieselben haben sich, was den Gesammt verkehr anbetrifft, wesentlich
vermehrt, denn von 3'4.33,'I45 Fr. Schweiz. Ausfuhr nach den Donauländern
Rumänien — 686 — Salmiakgeist
(unter welchen Rumänien die erste Stelle einnimmt) im Jahre 1885 und
ü'777,964 Fr. im Jahre I8ö6 hat sich dieselbe gehoben auf 5'146,809 Fr. im
Jahre 1887 un.i auf .V536,932 Fr. im Jahre 1888,
Yortibergehend profitirte der schweizerische Fiskus aus dem österreichisch-
rumänischen Zollkrieg dadurch, daß Oesterreich einen Theil seines nach Rumänien
bestimmten Exportes durch die Schweiz gehen ließ und hier den entsprechenden
Zoll entrichtete
Zwischen der Schweiz und Rumänien bestehen folgende Verträge: 1) Die
sog. Genfcrkonveniionf welcher Rumänien im November 1874 beigetreten ist;
2) der Handelsvertrag vom 7. Juni 1886, vide A. S. n. F. IX, 119); 3) der
Konsularvertrag vom 14. Febr. 1880, vide A. S. n. F. 5, 282); 4) der inier-
nationale Meter vertrag, Beitritt Rumäniens 1882 ; 5) der Weltpostoertrag von
1878, sowie die internationalen Postverträge betreffend Werthbriefe, Geldan-
weisungen, Poststücke bis 5 kg, Einzugsmandate, Identitätsbücher, vide A. S.
n. F. Iir, V, IX und X.
Russland. Rußland ist im Verhältniß zu seiner territorialen Größe und
seiner Bevölkerungszahl ein sehr kleiner Kunde der Schweiz. Es erklärt sich
dies aus den abnormen Zoll Verhältnissen Rußlands und den übrigen Schwierig-
keiten aller Art, von welchen der Einfuhrgütertransport, sowie die Greltend-
machung von Guthaben umgeben ist. Bewegt sich demnach die schweizerische
Ausfuhr nach R. in recht bescheidenen Grenzen (1885 — 1888 jährlich nur
8 — 11 Millionen Franken), so hat umgekehrt die Einfuhr freies Spiel. Sie ist
in der Schweiz. Waarenverkehrsstatistik seit 1885 mit 16 — 25 Millionen Franken
jährlich beziffert, allein diese Zahlen sind unter der Wirklichkeit, weil ein Theil
der Einfuhr aus R. als deutsche Waare deklarirt wird. Wir beziehen aus Rußland
hauptsächlitjh Getreide und Petroleum, und geben an dasselbe ab Uhren, Textil-
WJiaren, Käse, Steinkohlentheer färben, Maschinen etc.
Zwischen der Schweiz und Rußland sind seit 1848 folgende, Mitte 1889
noch zu Kraft bestehende Verträge abgeschlossen worden: 1) Erklärung betr.
die gegenseitigen Abzugsrechte, d. d. 15. Juli 1864 (A. S. 9, p 189). 2) Aus-
lieferungsvertrag vom 5./17. Nov. 1873 (A. S. 11, p. 409). 3) Die sog.
Genfer Konvention betr. Verbesserung des Looses der ira Kriege Verwundeten,
d. d. 10. Aug. 1864, Beitritt Rußland« 1867. 4) Handels- und Niederlassungs-
vcrtrag vom 14. /26. Dez. 1872 (A. S. 11, p. 376). 5) Internationaler Meter-
vertraf/ vom 20. Mai 1875 (A. S. n. F. 2, p. 3). 6) IniernsitionBlQ Postverträge :
a. Weltpostvertrag von 1878, nebst Zusätzen von 1885; b. Uebereinkommen
betr. den Austausch von Briefen mit deklarirtem Werth (A. S. n. F. 3 u, 9).
7) Internationaler Telegraphen vertrag vom 10./22. Juli 1875 (A. S. n. F. 2,
p. 296). 8) Erklärung betr. das europäische Seerecht in Kriegszeiten (A. S. 6,
p. 348). 9) Erklärung betr. die Nichtanwendung von Sprenggeschossen im Kriege.
10) Neticnburger Vertrag vom 26. Mai 1857 (A. S. 5, p. 547).
Sämerei ist in allen Kantonen, verhältuißmäßig am stärksten im Kt. Frei-
burg, verbreitet. Von 3188 Arbeitern im Jahre 1880 (2,4 ^oo aller Erwerbs-
thätigen) waren Ende 1888 623, somit ca. 7^» ^° ^^ Etablissementen und
16 Kantonen unter dem Fabrikgesetz.
Säinischgerberoien bestehen in der Schweiz nicht mehr, nachdem ein in
Schaffhausen bestandenes Etablissement außer Betrieb gesetzt worden ist.
Salmiakgoist, Die schweizerischen Farbenfabriken konsumiren jährlich ca.
70,500 kg S.
Salpetersaures Natrium — 687 — Salz
Salpetersaures Natrium. Die schweizerischen Farbeufabriken konsumiren
jährlich ca. 53,000 kg s. N.
Salvador. Zwischen S. und der Schweiz bestehen folgende Verträge : Ans-
lieftrungsveHrarf vom 30. Okt. 1883 (A. S. n. F. VII). Internationale Genfer
Konvention betr. die Verwundeten im Kriege; Beitritt S. im Dezember 1874.
Handels- und Niederlassungs vertrag vom 30. Okt. 1883 (A. S. n. F. VII, p. 744).
Internationaler Weltpostvertrag von 1878 und die internationalen Postverträge
betr. die Werthbriefe, die Geldanweisungen, die Poststücke bis 5 kg Gewicht,
die Einzugsmandate und die Identitätsbiicher. Der internationalen üebereinkunft
betr. den Schutz des gewerblichen FAgenthums gehörte S. nur bis 17. Aug. 1887
an. In der Waarenverkehrsstatistik ist S. keine spezielle Rubrik eingeräumt. Es
ist inbegriffen im Titel ^Centralamerika".
Salvagnin du Jura ist im Wallis die Bezeichnung für den unter dem
deutschen Namen „rother Traminer" bekannten Weinstock. Salvagnin noir für
„schwarzer Burgunder**. Kr.
Salz. Der Salzverkauf an das Publikum ist in sämmtlichen Kantonen
Staatsregal; die bergmännische Gewinnung jedoch ist Privatsache. Die erste
Entdeckung schweizerischen Salzes wurde 1544 bei Bex im Kt. Waadt gemacht.
Durch wen ursprünglich die Ausbeutung des Fundes stattfand, ist dem Lexikon
nicht bekannt geworden ; auch an Ort und Stelle selbst war diesbezüglich nichts
in Erfahrung zu bringen. Von 1630 — 1684 soll es eine augsburgische Familie
Namens Zobel gewesen sein, welche ihr Glück bei diesem Salzgeschäft suchte
und fand. 1684 kaufte der Staat Bern die Salzquellen. Er ließ im Innern der
Erde Tiefgänge bauen, in der Hoffnung, in der Tiefe salzhaltigeres Wasser zu
gewinnen, als an der Oberfläche. In der That erzeigte sich eine Differenz von
7 ® (11 anstatt 4). Wie nichts unerschöpflich und unveränderlich ist, so auch
diese Salzquellen. Im Verlauf der folgenden 150 Jahre schwächten sich dieselben
oder verloren sich ganz im Innern der Erde, so daß, bald nachdem der Kt.
Waadt EigenthUmer und Ausbeuter der Quellen geworden war, neue Nach-
forschungen und Studien gemacht werden mußten. Der Erfolg lohnte die That!
Bürger Charpentier fand (1823) einen Theil der Salzfelsengruppe (1 72 — 2 Stunden
von Bex), in welche heute Galerien in einer Länge von 35 km gehauen sind.
Als Charpentier seine Entdeckung gemacht hatte, schlug er vor, Stücke des
Salzfelsens abzulösen und in Süßwasser zu bringen, das den Salzgehalt aus jenen
ausziehen würde. So geschah es, und die Salzproduktion war größer, zugleich
auch konstanter, als diejenige vermittelst der Quellen. Diese wurden nun, bis
an eine, welche heute noch benützt wird, aufgegeben.
Das neue, aber kostspielige Verfahren (die Räume für das Süßwasser mußten
im Innern von Felsen durch Sprengungen geschaffen werden) that seine Dienste,
bis die Eisenbahnen eine allgemeine Reduktion der Salzpreise uud zugleich eine
Vertheaerung des Holzes, auf welches Bex noch ausschließlich angewiesen war,
herbeiführte. Der Staat arbeitete nun unter Detiziten, die sich bis auf Fr. 75,000
per Jahr steigerten. Eine Aenderung erwies sich deßhalb als gebieterische Noth-
wendigkeit und — die Noth machte auch diesmal wieder erfinderisch. Es bildete
sich eine Aktiengesellschaft, welche dem Staat (1866) den Betrieb abnahm uud
das Salzgewinnungsverfahren vereinfachte.
üeber das jetzige (Mitte 1889) Verfahren schrieb die Salinendirektion dem
Lexikon Folgendes : „ üne vaste salle est creus^e au fond d'un massif de roc
sale. On y fait ensuite venir de l'eau douce qui prend peu ä peu le sei du
massif. D'autre part en entasse dans un reservoir du roc sale cass6 en petits
Salz — 688 — Salz
morceaux. On amene ensuite Teau du masßif sal^ dans ce röservoir ou eile acheve
de se salurer, puls on Texp^die par une canalisation jusqu'ä la saline de Bävienx
oü 86 fait Tevaporation et la r^colte du sei purifie."
Die zweite erfolgreiche Salzentdeckung begab sich in Schweizerhalle
(Baselland) anno 1836 durch den hessischen Oberbergrath v. Glenck. Viele Mtthen
gingen diesem Funde voraus, denn derselbe Unternehmer hatte jahrelang in ver-
schiedenen Kantonen nach Steinsalz und Salzquellen bohren lassen, so bei Sitten
im Kt. Wallis, bei Eglisau im Kt. Zürich, bei Schieitheim und Beggingen im
Et. Schaffhausen, bei Biel und bei Cornol im Kt. Bern. Auch seine erste Bohrung
auf basel landschaftlichem Gebiet, bei der Mühle in Oberdorf, war erfolglos. Da
wies ihm endlich ein Schweizer, der Basler Professor und Naturforscher Peter
Merlan^ die Stelle, welche den lange gesuchten Schatz beherbergte. Am 30. Mai
1836 lag derselbe zu Tage bei einer Tiefe von nur 128,7 m.
Ein Jahr später, d. i. am 7. Juni 1837, wurde das Salzwerk von Schweizer-
halle feierlich eingeweiht und offiziell eröffnet — „offiziell**, weil der Landraths-
präsident von Baselland selbst, vor versammeltem Volke und nach einer passenden
Ansprache, den ersten brennenden Span unter den Feuerherd legte, der seitdem
nie mehr erkaltet ist.
Das Eigenthumsrecht an der Saline war schon 1834, als es sich um die
staatliche Erlaubniß zu den Bohrungen handelte, für den Fall des Bohrerfolgea
dem Herrn Glenck „für «ich und seine Erben" zugesichert worden, unter dem
Vorbehalt der Erfüllung gewisser Bedingungen, wie : gewissenhafte Respektirung
des staatlichen. Salzmonopoles ; Entrichtung des Zehntens vom reinen Salzertrag
der Saline nach Ablauf von 10 Frei jähren an den Staat Baselland ; Kaufsvorrecht
für den Staat, wenn die Saline je verkauft werden sollte, etc. etc.
70 Jahre lang, von Juni 1837 an gerechnet, wird die Regierung von
Baselland keine weitere Konzession zur Anlegung von Salinen gewähren, noch
eine eigene Saline anlegen lassen.
Das von der ganzen Schweiz freudig begrüßte Ereigniß der Salineneröffuung
in Schweizerhalle ließ den Salzbohrer noch nicht zur Ruhe kommen. In den
40er Jahren stieß derselbe auf verschiedene Salzlager im Aarr/au, wo nach-
einander die drei Salinen Kaiseraugst (1844), Rheinfelden (1845) und
Ryburg (1848) entstanden. Kaiseraugst war von 1848 — 1865 außer Betiieb.
Ueber den geschichtlichen Hergang verdankt das Lexikon dem Herrn
Kantonsstatistiker Xa'f folgende Mittheilungen :
^Im Jahre 1774 entdeckte der k. k. Sanitätsrath Dr. Rodecker einen Salzbrunnen
zu Blitz bei Sulz (im damals noch österreichischen Frickthal). Stadtarzt Marin zu Laufen-
])urg untersuchte den Gehalt der Quelle und sandte ein Muster des gewonnenen Salzes
nebst Bericht durch den Übervogt Scholl an die Regierung in Freiburg. Diese verlangte
vom landstüdtischen Gonseß eine Vernehmlassung, was zur Ausbeutung unternommen
werden wolle. 8 Jahre später (1782) war vom Gonseß noch kein Gutachten abgegeben :
dem Oberamt wurde befohlen, 6 Maaß des Wassers der Akademie in Freiburg zu über-
schicken. Dtibci blieb es. Erst 1830 ließ die aargauische Regierung einen Stollen in
den Berg treiben und die Quelle prüfen. Sie erwies sich bei 3—12 "/o als zu wenig
salzhaltig.
„Wahrscheinlich ermuntert durch die Salzentdeckung bei Schweizerhalle, verlangten
1843 Kym ufid Müliafte vom aargauischen Großen Rathe eine Konzession, das im
Bezirk Rlieinlelden entdeckte und noch zu entdeckende Salz auszubeuten. Die ersten
Bohrversuche wurden zu Kaiseraugst gemacht.
^ISii erhielt eine zweite Gesellschaft (L'Orsa und Mithafte) eine gleichlautende
Bewill ijrung.
„1846 wurde Kym lO Co. gestattet, die Saline bei Kaiseraugst, deren Sole nicht
ergiebig genug war, zu verlassen un<l eine neue bei Ryburg, AbOO' von derjenigen
Salz — 689 — Salz
der Gompagnie L*Orsa entfernt, zu errichten. 1857 wurde für beide Gesellschaften die
Konzession bis 1880 verlängert.
,1863 verlangte Johann Lüteehchwab die Konzession zu einer dritten Saline,
deijenigen in Kaiseraugst.*
Seit diesen Vorgängen im Aargau hat sich keine neue Salzquelle mehr
erschlossen, obwohl die Nachforschungen darnach nicht ganz geruht haben. Solche
fanden statt in den 60er Jahren bei Naglar (Solothum) und in neuerer Zeit
(Mitte 1889 noch nicht abgeschlossen) bei Bettingen, Baselstadt.
Von früheren Bohrstellen sind -^ nach den Berichten kantonaler Salz-
verwaltungen — noch zu erwähnen: Siblingen im Kt. SchafiPhausen (1845),
ohne Erfolg; Qranges (50er Jahre) und Bezirk Harens (zur Zeit der Bischöfe
von Riedmatten) im Kt. Wallis, dort wie hier ohne Erfolg.
Die aargauischen Salz werke sind seit 1874 im Besitze einer Aktiengesell-
schaft, welche vom Staate Aargau bis zum Jahre 1907 konzessionirt ist. Sie
steht mit den Besitzern der Saline Schweizerhalle in einem Yereinsverhältniß,
das die Ausschließung verderblicher Konkurrenz und gemeinsame Bewerbung um
die kantonalen Salzlieferungsverträge zum Zwecke hat. Auf Grund dieser Ab-
machung liefert jede Saline denjenigen Theil, der ihrem vor der Abmachung
behaupteten Absatzgebiet entspricht. Auch dem Ausland gegenüber wappneten
sich die vereinigten Bheinsalinen, indem sie mit auswärtigen Salzwerken Verträge
abschlössen in dem Sinne, daß diese kein Salz nach der Schweiz und jene kein
Salz nach dem Ausland liefern sollen. Vorbehalten blieb nur die Bedienung der
Grenzgebiete. Diese Verträge gehen zwischen 1888 und 1892 zu Ende. In
Folge dessen hat denn auch bereits Baselstadt mit dem Salzwerk Heilbronn einen
günstigen Salzlieferungsvertrag abschließen können und haben daraufhin die Rhein-
salinen ihi'e Preise erheblich reduzirt.
Die Gewinnung des Salzes geht in Schweizerhalle und im Frickthale sehr
einfach vor sich. Durch die in den Boden getriebenen Bohrlöcher wird das salzige
Wasser heraufgepumpt. Hierauf wird es in großen Bassins verdampft, wobei das
Salz zurückbleibt.
Die Kantone machen ihre Salzbezüge wie folgt:
Aargau: Aus den aargauischen Salinen, unentgeltlich. Die Konzessionäre
haben außerdem seit 1886 jährlich noch eine Abgabe von Fr. 45,000 in Baar
zu leisten.
Baselland: Von Schweizerhalle, in Form des Zehntens (10 ®/o) vom Rein-
ertrag des Salzwerkes. Wenn dieser Zehnten den Salzbedarf des Kantons über-
steigt, haben die Konzessionäre den Rest in Baar zu entrichten (1888 Fr. 18,036).
Baselstadt: Von Heilbronn; Koch-, Vieh-, Tafel-, Stein- und Meersalz.
Bern : Theils aus den Rheinsalinen, theils aus Frankreich ; Koch-, Düng-,
Gewerbe-, Tafel- und Meersalz.
Genf: Aus Frankreich und aus dem Aargau ; Koch-, Tafel- und Gewerbesalz.
Neuenburg : Von Salins (Frankreich); nur Kochsalz.
Tessin: Das raffinirte Salz von den Rheinsalinen, das unraffinirte von der
italienischen Regierung. Bis 1873 bestand in Muralto-Locarno eine staatliche
Salzraffinerie.
Waadt: Den größten Theil aus Bex, einen kleinen Theil aus Frankreich;
Koch- und Meersalz.
Wallis : Aus Südfrankreich das Meersalz (V^), a^s dem Aargau das feine
Salz (Vs).
Farrer, Volkswirthschafts-Lexikon der Schweiz. 44
Salz
690 —
Salz
Zürich : Aus den Rheiosalinen das Koch-, Tafel- and Abgangsais ; vom
Salz werk Stetten- Hohen zollern das Steinsalz.
Sämmtliche übrigen Kantone: Aus den Rheinsalinen.
Der Verkaufspreis des Kochsalzes ist in den deutsch -seh weizerischen
Salinen Fr. 5—57« per 100 kg; letztes Jahr (1888) Fr. 1 mehr.
Folgende Statistik, auf das Jahr 1888 bezogen, zeigt summarisch die finan-
zielle Seite des kantonalen Salzmonopols :
Verbrauch
Verkaufspreia de«
Kochtalse« per q
Beingewinn aas
dem Salsmonopol
Kanton
Kochsalx
anderes *)
Total
p.Kopf d.BeTkg.
q
q
Fr.
Fr.
Fr,
Aargau .
29,986
10.
245,105
1.26
App. A.-Rh. .
5,450
21
11.50
23,846
—.44
App. I.-Rh.
1,100
16. —
4,969
.38
Baselland .
. 4,474
4,699
20. —
135,216
2. 17
Baselstadt
. 12,996
17,136
20. --
108,484
1.46
Bern . .
. 84,908
5,916
20.
1^024,601
1.90
Freiburg . .
21,524
606
20.—
253,727
2.12
Genf .
3,821
9,181
20.
84,112
—.80
Grlarus
3,656
168
20.
40,470
1. 19
Graubünden
. 12,950
22. 20
167,000
1.73
Luzern
. 24,702
1,059
16.—
215,907
1.59
Neuenburg
. 11,587
20.
142,147
1.30
Nidwaldeu
2,062
12.—
9,357
—.75
Obwalden
2,377
—
18.—
26,321
1.75
St. Gallen
. 26,573
3,545
12.
103,804
—.45
Scn äff hausen
4,927
4
10.—
15,223
.40
Schwyz .
6,131
839
18.
68,074
1.35
Solothum
16,175
402
14.
108,975
1.27
Tessin
7,860
3,961
20. —
190,000
1.50
Thurgau . ,
16,043
2
12.
57,990
.55
Uri . . .
3,014
20.—
34,988
2.02
Waadt . .
. 30,921
195
20. —
365,400
1.45
Wallis . .
12,981
24.
188,269
1.85
Zürich . .
40,920
16,935
10.—
126,000
0.37
Zug . . .
3,520
106
14. —
20,717
— .90
390,658 64,775
3^760,702
Da in mehreren Kantonen das Kochsalz auch zur YiehfÜtterung dient, läßt
sich der zur menschlichen Nahrung verwendete Theil nicht bestimmen.
Nach Angaben, welche im Jahre 1882 die kantonalen Salzverwaltungen
dem Centralbureau des Salinenvereins gemacht haben, werden für industrielle
Zwecke 11,6 ^/o, zur Düngung 2,4 ®/o, zur menschlichen und thierischen Nahrung
86 "/o des gesammten Salz Verbrauches verwendet.
Die Einfuhr und Ausfuhr von Salz aller Art gestaltete sich seit 1850
folgendermaßen :
Einfuhr
Ausfuhr
1851/59
durchschnittlich per Jahr
157,433 q
4,610 q
1860/69
T» n n
107,292 „
9,822 „
1870/79
« « T»
134,531 „
40,413 ,
1880/84
« « «
119,683 „
18,849 „
1885/88
n n 1»
94,899 r,
6,993 ,
Salz — 691 — Salz
Zieht man vom schweizerischen Salzverbrauch pro 1888 (455,433 q) die
auf das nämliche Jahr entfallende Salzeinfuhr (85,945 q) ab uod addirt man
zum Resultat die Ausfuhr (6673 q), so ergibt sich der ungefähre Absatz, den
die fünf schweizerischen Salinen gehabt haben, nämlich 376,161 q. Wir sagen,
der , ungefähre** Absatz, denn weil Sahverbrauch nicht identisch ist mit Salz-
bezug, so läßt sich das Absatzquantum der Salinen nicht genauer berechnen.
Nach eigenen, in Druckschriften niedergelegten Angaben der Eheinsalinen
betrug ihr Absatz im Jahre 1871 332,600 q
« . 1876 280,600 „
. „ 1877 259,350 ,
die Produktion aller 5 Salinen i. d. Jahi-en 1880/83 je 418,755 .
wovon Bex nur 5,3 ®/o
„ Schweizerhalle 37,5 „
„ aargauische Salinen 57,2^
Seitdem ist Baselstadt mit ca. 30,000 q abgefallen, so daß die schweize-
rische Salzproduktion zunächst kaum 400,000 q erreichen oder überschreiten wird.
Anläßlich der Aargauer Verfassungsrevision von 1885 wurde u. A. die
Frage aufgeworfen, ob die Salinen zu verstaatlichen seien. Man entschied
sich indeß nur für eine höhere Besteuerung der Salinengesellschaft. Während sie
vorher nur den Salzbedarf des Kantons unentgeltlich zu bestreiten hatte (ja
anfänglich und bis 1872 nur bis zum zehnten Theil der Produktion), wurde ihr
jetzt auch (von 1886 an) eine jährliche Baarabgabe von Fr. 45,000 auferlegt.
Keine Verstaatlichung, aber doch die Unterstellung der Salzwerke und ihres
Betriebes unter die Oberaufsicht des Bundes erstrebte vor bald 20 Jahren
der damalige zürcherische Kegierungsrath Gottlieb Ziegler. Als Mitglied des
National rathes stellte er in dieser Kammer, anläßlich der Berathungen über die
Verfassungsrevision, am 21. November 1871 den Antrag, einen Artikel 39 "*
folgenden Inhalts in die Verfassung aufzunehmen:
„Der Bund wird im Wege der Gesetzgebung allgemeine Vorschriften
für den Bergbau aufstellen".
Die Begründung dieses Antrages, soweit dieselbe im Verhandlungsprotokoll
des Nationalrathes wiedergegeben ist, lehrt, daß es Herrn Ziegler hauptsächlich
darum zu thun war, zu verhüten, daß die Salzgewinnungsgesellächaften die Kantone
in ihre Gewalt bekommen, mit andern Worten, daß sie den letztern nach Belieben
die Salzpreise diktiren können.
Die Zeit, da ähnliche Besorgnisse mit Recht oder Unrecht von neuem auf-
tauchen, mag wiederkehren, und es dürfte alsdann zur willkommenen Belehrung
dienen, was wir hienach aus den Voten Ziegler' s und seiner Opponenten wieder-
geben.
, Verschiedene Kantone*, sagrle Herr Ziegler u. A., , haben sich zunächst aus patrio-
tischen Rucksichten für ihren Salzbedarf an die einheimischen Salinen gewendet und
zu deren Gunsten auf den bisherigen Bezug des Salzes aus dem Ausland verzichtet.
„Die Rheinsalinen haben aber, nachdem sie meljr und mehr zur Kraft gelangt,
sich koalisirt und mit den benachbarten auswärtigen Salzverwaltungen, namentlich mit
der französischen Ostgesellschaft, mit Baden, Württemberg und Bayern Verträge ab-
geschlossen, um der Schweiz diese Bezugsquellen zu verschließen und die Kantone zu
zwingen, ihr Salz ausschließlich von den inländischen Salinen zu beziehen. Nachdem
es den Rheinsalinen auf diese Weise gelungen, sich ein Monopol zu schaffen, haben sie
ihre bisherige Haltung gegenüber den einheimischen Abnehmern total geändert: sie
haben mit dem Preise aufgeschlagen und die bisherigen Konventionalstrafen für nicht
gehörige Lieferung einfach wegdekretirt. Hiedurch ist den schweizerischen Kantonen
Salz — 692 — Salz
eine eben so demüthigende als nachtheilige Stellung bereitet worden. Der materielle
Schaden, auf die ganze Schweiz berechnet, darf auf wenigstens V' Million Franken
jährlich veranschlagt werden, sofern man erwägt, daß die lothringischen Salinen den
Zentner rafßnirten Salzes zu Fr. 1, Baden zu Fr. 1. 26 verkauften, während letzteres
sowohl als Württemberg den Zentner an die Schweiz zu Fr. 1. 15 zu liefern im Stande
wären, wenn die Rheinsalinen es nicht verstanden hätten, eine solch' unbequeme
Konkurrenz zu beseitigen und damit die Kantone in erheblichem Maße zu schädigen.
Neue mit dem Auslande angeknüpfte Verbindungen sind durch das Dazwischentreten
der diesseitigen Salinenverwaltungen wieder zu nichte gegangen und es ist daraus
einem einzelnen Kanton allein ein jährlicher Schaden von Fr. 40—50,000 zugefügt worden.
Ein solcher Zustand erscheint eben so unerträglich als unwürdig. Im Gefolge desselben
steht der Salzpreis um etwa Fr. 1 per Zentner höher, als wenn auf dem Boden der
Konkurrenz gearbeitet werden könnte. Läßt man unter Beseitigung des jetzigen Quasi-
monopols eine wirkliche Konkurrenz eintreten, so werden gleichwohl die Salinen, welche
17 — 60 7o verdienen, ferner bestehen, wenn sie sich gehörig einrichten."
Den aargauischen und basellandschaftlichen Mitgliedern des National rathes
kam diese Kritik ihrer Salinen angelegen. Sie wußten, daß ihre Kantone aus
den Salinen einen schönen Nutzen zogen (in Form des Zehntens) und daß dieser
dahinfallen könnte, wenn dem Ziegler'schen Antrage Folge gegeben würde. Sie
suchten daher darzuthun, einerseits, daß der Salzring der Schweiz nicht schade,
und anderseits, daß die von Herrn Ziegler geforderte Konkurrenz immer noch
vorhanden sei.
Einer der Redner machte bei diesem Anlasse folgende Mittheilungen über
die Salzpreise: Bis 1867 bezahlte der Aargau für das Salz des eigenen Bodens
per Zentner Fr. 2. 90 mit Fracht und Fr. 2. 41V2 ohne Fracht. Die andern
Kantone bezahlten Fr. 2. 90 V2 resp. Fr. 2. 41. Seit 1870 stelle sich der Preis
für den Aargau auf Fr. 2. 70 mit Fracht und auf Fr. 2. 22 ohne Fracht, für
zehn der übrigen Kantone durchschnittlich auf Fr. 2. 76 mit Fracht und für
den Kanton Zürich auf Fr. 2. 09 ohne Fracht.
Mit diesen Preisen war ohne Zweifel das Kochsalz gemeint, das nach Mit-
theilungen der Kantone im Jahre 1888 Fr. o. 80 — 6. 00 per Sack von 100 kg-
kostete = Fr. 2. 90 — 3. 00 per Zentner, wie 1867. Mit dem jetzigen Preise
(1889) von Fr. 5. — , fast oder ganz franko Fracht, ist ungefähr das Verhältniß
von 1870/71 wieder hergestellt.
Der Ziegler'sche Antrag wurde für einmal in folgender erweiterter Fassung
mit 56 gegen 47 Stimmen angenommen ;
„Der Bund wird im Wege der Gesetzgebung allgemeine Vorschriften für den
Bergbau aufstellen, unter Beobachtung der im Artikel 30 gegenüber der Handels-
und Gewerbefreiheit gemachten Vorbehalte bezuglich des Ertrages*,
aber schon am folgenden Tage reute es wieder Mehrere, Ja gesagt zu haben>
und mit der Motivirung, daß man die Abstimmung mehr als Erheblichkeits-
erklärung aufgefaßt habe, kündigte man Wiedererwägung des Gegenstandes an.
Diese erfolgte wirklich am 15. Januar 1872 und führte zur definitiven Ab-
lehnung. Herr Ziegler selbst beharrte nicht mehr auf einer Regulirung der
Bergwerksfrage durch den Bund, weil ihm die Abgeordneten von Aargau und
Baselland erklärt hatten, daß ob jener in ihren Kantonen die Bundesrevision
sicher scheitern würde. Der mit Herrn Ziegler befreundete Geologe Desor aus
Neuenburg deckte den Rückzug. Er hielt Heerschau über sämmtliche Zweige
des sog. Bergbaues, und da, abgesehen von der Salzgewinnung, von Bergbau in
der Schweiz wirklich kaum gesprochen werden kann, war es ihm leicht, zu der
Schlußfolgerung zu gelangen, „daß der Mineralreichthum in der Schweiz nicht
bedeutend genug sei, um Gegenstand der Bundesgesetzgebung zu werden**.
Salz — 693 — Sak
Die BefÜrcbtangen wegen zu hoher Salzpreise wurden bei einem großen
Theile der Volksvertreter zerstreut durch die Thatsache, daß einen Mouat vorher
(im Dezember 1871) zwischen dem Kanton Aargau und den aargauischen Salinen
ein Vertrag abgeschlossen worden war, durch welchen letztere sich verpflichtet
hatten, bei künftigen Vertragsabschlüssen weder von den Kantonen, noch von
andern schweizerischen Abnehmern mehr als Fr. 1. 75 für den Zentner Kooh-
oder Viehsalz, unverpackt im Salinenmagazin genommen, zu fordern. Auch war
den Salinen aufgetragen, sich in die Lage zu setzen, jederzeit den Salzbedarf
der Schweiz vollständig decken zu können.
Dieser Vertrag war lediglich die Folge des Vorgehens des Herrn Ziegler in
der Bundesversammlung, und somit hatte dieser indirekt doch einen Theil dessen
erreicht, was er angestrebt hatte. Gleichwohl gab er sich nicht zufrieden. Herr
Ziegler wollte durchaus seinen Heimatkanton von den schweizerischen Salinen
unabhängig machen und ihm gleichzeitig zu billigem Salz verhelfen. Ein Komplex
Land im aargauischen Salzrevier (das 172 Stunde in der Länge und 1 Stunde
in der Breite einnimmt) war schon vor einiger Zeit angekauft, um darauf eine
Saline für den Kanton Zürich zu errichten. Da indessen die Regierung von Aargau
die Konzession verweigerte und der Appell an die Bundesversammlung, wie wir
oben gesehen, resultatlos war, richtete Herr Ziegler sein Augenmerk auf das
Ausland. Er veranlaßte die Gründung einer neuen Saline in Miserey, Frank-
reich, und bewog diese, dem Kanton Zürich das nötbige Salz zum Selbstkosten-
preis zu liefern unter der Bedingung, daß der Kanton Zürich sich in einem
gewissen Maße finanziell an dem Unternehmen betheilige. Dies geschah und
Zürich erhielt sein Salz von 1874 an nicht mehr aus den Rheinsalinen, sondern
von Miserey. Wie bei jedem üebergang die Gewohnheit eine gewisse Rolle spielt,
so auch bei diesem neuen Salz, das noch nicht auf Vollkommenheit Anspruch
machen konnte und somit nicht durchweg befriedigte. Außerdem bediente sich
Miserey eines geringen Verpackungsmaterials, so daß auf dem Transport durch
Berührung mit andern Waaren Verunreinigungen des Salzes vorkamen. Die
Reklamationen Zürichs hatten zur Folge, daß Miserey die Rheinsalinen 1878
bewog, wiederum die Salzlieferungen an den Kanton Zürich zu übernehmen,
jedoch zu den nämlichen Preisen, um welche Miserey zu liefern verpflichtet war.
Die Rheinsalinen gingen auf diese Bedingungen für die Dauer von 10 Jahren
ein und es ist wahrscheinlich, daß sie Miserey gegenüber selbst eine gewisse
Vergütung zu leisten tibernahmen. Der Kanton Zürich seinerseits hatte keinen
Grund, sich gegen jenes Arrangement aufzulehnen; er acceptirte es unter dem
Vorbehalte, daß Miserey sich keineswegs seinen Verpflichtungen gegenüber Zürich
als entbunden erachte, sondern jederzeit wieder auf Verlangen dieselben zu er-
füllen habe. Miserey war mit dieser Auffassung einverstanden.
Nach Ablauf jener 10 Jahre (1888) wurde das Verhältniß unter Zustimmung
aller drei Kontrahenten für weitere 10 Jahre erneuert und dabei der Preis per
Sack (^102 kg) von Fr. 5. 10 franko Magazine Zürich und Winterthur auf
Fr. 4. 45 franko nicht nur nach denselben Magazinen, sondern auch nach den
übrigen 18 in Eisenbahnstationen eingerichteten Niederlagen, herabgesetzt, was
dem Kanton eine weitere Erspar niß von Fr. 28 — 30,000 jährlich einbrachte.
Nach Ablauf des Vertrages tritt Miserey wieder in die ursprüngliche Obligation
ein ; es haftet subsidiär auch für richtige Lieferung durch die Rheinsalinen.
So besitzt der Kanton Zürich, Dank der einsichtigen und energischen Für-
sorge eines seiner frühern Regierungspräsidenten, vortreffliche Salzverhältnisse, und
gleichzeitig ist dem Volke eine sehr bedeutende jährliche Ersparniß erwachsen.
Salz -. 694 — Samen
Das Obligatiooenkapital von Fr. 200,000, mit welchem sich der zürcherische
Fiskus an der Gründung von Miserey betheiligte, ist stets zu 5 ^/o verzinst und
anno 1885 zurlickbezahlt worden. Diese Rückzahlung blieb vertragsgemäß ohue
Einfluß auf die Verpflichtung der Saline Miserey, dem Kanton Zürich um die
Fabrikationskosten im engern Sinne, plns 52 Ep. per 100 kg für Verzinsung,
Administration, Reparatur und Amortisation, das Salz zu liefern, welche Ver-
pflichtung, so lange Zürich daran festhält und davon Grebrauoh macht, eine fort-
dauernde ist.
Samen, Samenkon trolstation. In größerm Maßstabe wird die Samen-
zucht nur von einigen Handelsgärtnern betrieben. Viele Landwirthe ziehen für
ihren Eigenbedarf die nöthigsten Gremüse- und Grarsaaten. Das üebrige kommt
aus dem Auslande (1888 für Fr. 1733,800 gegen Fr. 111,395 Ausfuhr).
Seit 1876 besteht eine Samen kon trolstation. Von Dr. Stehler als Privat-
institut gegründet, wurde dieselbe am 1. Januar 1878 Annexanstalt des eidg.
Polytechnikums und kam dadurch unter die Obhut des Bundes (Bundesbeschluß
vom 17. März 1877 betr. die Errichtung einer Centralstelle für landwirthschaft-
liche Untersuchungen und Reglement vom 20. September 1877). Zweck der
Station ist, durch Untersuchung von Samenmustem sowohl den Verkäufer, als
den Käufer über den Werth seiner Waare zu unterrichten. Zur Untersuchung
sind mindestens erforderlich: von Gräsern 40 g, von Klee- und ähnlichen Samen
100 g, von Getreide, Mais, Esparsette u dgl. 250 g. Die eingesandten Proben
werden innerhalb 2 Tagen bezüglich Reinheit etc. vorläuflg begutachtet ; das
endgültige Gutachten folgt nach beendigter Keimung, bei Hanf nach 6 Tagen,
bei Rothklee, Lucerne, Getreide u. dgl. nach 10, bei Esparsette, den feinen
Kleearten, den Raygräsern, Timothe, Wiesenschwingel n. dgl. nach 12, bei den
feinen Grassamen, den meinten Nadelhölzern nach 20 Tagen. Mit der Station
stehen viele Samenhandlungen im Vertragsverhältuiß. Diese Handlungen („Kontrol-
firmen**) sind verpflichtet, dem Land- und Forst wirth für bestimmte Prozente der
Reinheit und Keimfähigkeit und bei Kleesamen für Reinheit von Kleeseide (Cuscuta)
Garantie zu leisten. Unter „Reinheit" ver^iteht man den Prozentsatz der in einer
Waare enthaltenen reinen Samen nach dem Gewicht, unter „Keimfähigkeit** den
Prozentsatz dieser reinen Samen, welche keimen (nach der Zahl). Läßt der Käufer
ein vorschriftsgemäß gezogenes Muster nachuntersuchen und ergibt sich, daß der
Prozentsatz der reinen und keimfähigen Samen mehr als 5 ®/o hinter der Garantie
zurückbleibt, so hat der Lieferant diese Ueberschreitung der Latitude haar zu
vergüten, wenn der Käufer es nicht vorzieht, die Waare zurückzugeben. Eine
garantirt kleeseid efreie Waare kann vom Käufer unter Anspruch von 5 ^/o Ent-
schädigung ebenfalls zurückgegeben werden, wenn sich dieselbe bei der Nach-
untersuchung als kleeseidehaltig herausstellt. Die vom Käufer zur Nachunter-
suchung bestimmten Muster sind innerhalb 8 Tagen nach Empfang der Waare
vor unparteiischen Zeugen zu entnehmen und mit dem mitgebrachten Siegel eines
Zeugen sofort zu versiegeln. Reklamationen sind innerhalb 8 Tagen nach Empfang
des von der Station ausgestellten definitiven Gutachtens zu erheben. Die meisten
Kontroifirmen gestatten dem Käufer bei Abnahme von 20, 25 bis 100 kg einer
Samensorte eine unentgeltliche Nachuntersuchung bei der Samenkontrolstation.
Die Zahl der untersuchten Proben betrug 1876/77 406, 1880/81 1465,
1883/84 1883, 1887/88 3150. Nach der Zahl der jährlichen Untersuchungen
ist die Schweiz. Samenkontrolstation die größte derartige Anstalt.
Die Samenkontrolstation besitzt Versuchsfelder bei Zürich, auf der Pfahlbaute
Samen — 695 — St. Gallen
in Bobenhausen am Pfäffikersee and auf der FUrstenalp (1782 m ü. M.) ob
Trimmis, Et. (^raabündeo.
Sammetweberei. Die S. wurde in den 40er und 50or Jahren im Kanton
Zürich einigermaßen betrieben, scheint dann aber schon Anfangs der 60er Jahre
gänzlich erloschen zu sein. Niemand verstand mehr die Fabrikation von Sammet,
ab dieselbe Anfangs der 80er Jahre von der Firma J. Schwarzenbach-Landis in
Thal weil angesichts der Stagnation der zürcherischen Seidenweberei und der
günstigen Konjunktur für Sammet versuchsweise wieder eingeführt wurde. Die
zürcherische Seiden webschule war andern Fabrikanten behülflich, den neuen
Artikel ebenfalls an die Hand zu nehmen. Sie ließ zn diesem Zwecke einen
geschickten Arbeiter aus Crefeld kommen; auch schaffte sie für sich selbst vier
Handwebstühle und einen mechanischen Webstuhl an, der vier Stücke Sammet
zugleich wob. An der Landesausstellung in Zürich (1883) fignrirten bereits
Sammetstoffe und Peluche, welche in zürcherischen Bauernstuben gewoben worden
waren.
St. Bernhards-Strasse. Im Jahre 1853 wurde zwischen den Begierungen
der Kte. Wallis und Waadt einerseits und dem damaligen Königreich Sardinien
anderseits ein Vertrag abgeschlossen, welchem zufolge eine Fahrstraße gebaut
werden sollte von Martigny Über den großen St. Bernhard nach Aosta. Die
Kosten der schweizerischen Strecke waren auf Fr. 943,700 veranschlagt, wovon
Fr. 200,000 für die angefangene Strecke Martigny-St. Pierre (an welche von
Wallis bereits Fr. 400,000 verausgabt worden), Fr. 250,000 für die Strecke
von St. Pierre bis zur Einmündung in den Tunnel im Col de Menouve und der
Best für den Tunnel selbst. Der Bund verpflichtete sich zu einem Beitrag von
Fr. 300,000, laut Bundesbeschluß vom 21. Juli 1854 (A. S. Bd. IV, p. 265).
Der Bau kam aber nicht zur Ausführung und wurde im Jahre 1860 definitiv
aufgegeben, da die Bedeutung einer Straße über den St. Bernhard durch die
veränderte Situation in Italien eine wesentlich andere geworden. Das vollendete
Straßenstück von Martigny bis zur Cantine von Proz, in den Jahren 1830 bis
1855 gebaut, 43 km lang und 4,2 — 6 m breit, hatte einen Kostenaufwand von
Fr. 850,000 erfordert.
Sanct Gallen, Kanton. Areal 2019 km^ = 4,9 7o des gesammten Flächen-
inhaltes der Schweiz.
Bevölkerung:
1837 : 158,853 Einwohner = 7,25 ®/o der gesammten Bevölkerung der Schweiz.
1850: 169,625 „ =7,09 « . „ n n .
1860: 180,411 , =7,18 , „ , n n n
1870: 191,015 , =7,16 „ , . « « „
1880: 210,491 „ =7,40 « « « . . n
1888: 229,367 „ =7,82 , , „ n n .
Erwerbsthätige Personen (für die Zeit vor 1860 sind dem Lexikon
keine amtlichen Erhebungen bekannt, diejenigen von 1888 sind im Moment der
Drucklegung dieses Artikels noch nicht abgeschlossen):
1860 : 86,379 = 47,9 7o d. Kantonsbev. od. 8,0 7o all. Erwerbsth. d. Schweiz.
1870: 90,836 = 47,5 „ , „ , 7.7 „ , , , ,
1880: 104,215 = 49,5 , „ , , 8,0 , , „ , .
1888 : 0
*) Der Raum mag später, wann die Resultate bekannt sind, von den Besitzern
des Lexikons handschriftlich ausgefüllt werden.
St. Gallen
— 696 —
St. Gallen
Von den erwerbstbätigen Personen entfallen auf die Haupterwerbsgrappen :
jj Verwaltung, PanOnL
.^i^ u«j Industrie Handel Verkehr Wiaieniohaften Dienst-
produktion ^^ KünMUi leistungen
1860: absolut 34933 41890 4484 1510 2592 970
7o 40,4 48,5 5,2 1,7 3,0 1,1
1870: absolut 34632 45237 5467 1732 2748 1020
7o 38,2 49,8 6,0 1,9 3,0 1,1
1880: absolut 31405 58507 7506 2762 2765 1270
7o 30,1 56,1 7,2 2,7 2,7 1,2
1888 : 0
Obige Zahlen beweisen: 1) daß im Et. St. Gallen die Erwerbstbätigkeit
vollauf Schritt hielt mit der Erwerbstbätigkeit in der übrigen Schweiz; 2) daß
Industrie, Handel und Verkehr in erstaunlicher Progression gewachsen sind im
Zeitraum 1870/80; 3) daß die Urproduktion mit der Zeit einige Tausend Hände
entbehren konnte — leicht erklärlich dadurch, daß einerseits der Boden nicht
vermehrbar ist und anderseits die vervollkommneten Arbeitswerkzeuge ihren Dienst
im st. gallischen Acker eben so gut gethan haben werden wie anderwärts. Die
nämliche Erscheinung tritt übrigens in allen großindustriellen Kantonen zu Tage.
Noch allgemeiner als im Kt. St. Gallen ist die Betheiligung an der Industrie
nur in sechs Kantonen. Es widmeten sich nämlich derselben am 1. Dez. 1880
von je 1000 erwerbsthätigen Personen: In Appenzell A.-Bh. 721, im Kt. Glarus
682, in Baselstadt 631, im Kt. Neuenbürg 606, in Appenzell I.-Rh. 598, in
Baselland 569, im Kt. St. Gallen 561.
Handel, Industrie und Kleingewerbe.
Folgende Gruppirung umfaßt diejenigen unter diese Bubrik zählenden Berufs-
arten, welchen zur Zeit der eidg. Volkszählung von 1880 Y2 ®/o und mehr aller
erwerbsthätigen Personen des Kantons oblagen.
-, . »/o aUer «/o der Dämlichen
Erwerb«r-welg *'r^JJ"""" Erwerbsthätigen Berufskategorie
iiiaiige j^^ Kantona d. gan«en Schwei«
Stickerei 20696 19,9 56,4
Baumwollindustrie, ohne Stickerei . 10103 9,7 24,0
Handel, eigentlicher 4670 4,5 8,4
Weißnäherei 3429 3,3 12,6
Gasthaus- und Wirthschaftsge werbe . 2252 2,2 7,4
Schuhmacherei 1912 1,8 6,4
Schreinerei und Glaserei .... 1892 1,8 9,1
Schneiderei 1716 1,6 4,9
Seidenindustrie 1688 1,6 2,7
Zimmermannsgewerbe 1636 1,6 9,1
Bäckerei 1165 1,1 10,0
Maurerei und Gypserei .... 1138 1,1 5,3
Wascherei und Glätterei .... 989 1,0 6,8
Metzgerei . . . . 850 0,8 9,7
Maschinen- und Mühlenbau . . . 839 0,8 8,5
Bleicherei und Appretur .... 672 0,6 32,0
Mullerei 617 0,6 8,0
Schmiedehand werk 539 0,5 5,5
^) Der Raum mag später, wann die Resultate bekannt sind, von den Besitzern
des Lexikons handschritllich ausgefüllt werden.
St. Gallen
697 —
St. Gallen
17379 Arb.
10546 ,
3666 ,
1719 ,
271 ,
16 .
737 ,
177 ,
257 ,
714 Etabl. 5300 Pf.
Fabriken.
In der ersten Hälfte des Jahres 1889 waren dem sohweiz. Fabrikgesetz ca.
21,000 Arbeiter in 859 Etablissementen unterstellt. Mechafüsche Betriebskraft
der letztern = ca. 8000 Pferdekräfte, wovon ca. ^jz Wasser, öa. '/* Dampf,
30 Gas. (Die vielen ? in diesem Abschnitte erklären sich dadurch,' daß das
eidg. Fabrikregister zur Zeit, als dasselbe für diesen Artikel benützt wurde, eine
gewisse Anzahl unvollständiger Angaben enthielt. Die Aufnahtne des Fäbriketats
hatte erst kürzlich vorher stattgefunden.)
Die am stärksten vertretenen Industriezweige sind:
1) Die Baumwollindustrie und ihre
Hülfsindustrien
wovon Stickerei
Weberei
Spinnerei
Zwirnerei .
Zettlerei imd Schlichterei . . .
Bleicherei, Appretur, Sengerei . .
Färberei
Druckerei
2) Die Metallindustrie 1238
3) Die Seidenindustrie 534
Die übrigen Industrien weisen auf. ... 1725
Die Stickerei vertheilt sich auf folgende 81 Gemeinden:
Arb. Etabl. Pf. Arb
619
26
12
21
1
26
6
2
22
6
117
Straubenzell
Degersheim
Goßau
Gaiserwald
Flawyl .
Mogeisberg
Altstätten
Tablat .
St. Gallen
Witten bach
Buchs
Kirchberg
Rbeineck
Oberriet .
Rorschach
Quarten .
Bütschwyl
Kappel .
Oberhelfenschwyi
Henau
Waldkirch
Diepoldsau
Oberuzwyl
Jonschwyl
Au
Balgach .
Kebstein .
587
506
501
480
426
403
400
379
307
290
275
268
259
243
234
211
207
179
175
169
166
161
152
152
135
133
131
14
22
24
17
26
27
29
21
17
1
6
25
11
14
3
8
10
9
10
12
13
12
6
10
9
12
10
24
16
12
19
?
8
?
4
29
7
16
6
8
13
Sennwald
Ebnat
Sevelen .
Grabs
Wartau .
Krummenau
Marbach .
St. Margrethen
Mosnang .
Hemberg
Berneck .
Thal . .
Wyl . .
Zuzwyl
Wallenstadt
Brunnadern
Widnau .
Rüthy .
Wattwyl
Peterzeil .
Niederbüren
Häggenschwil
Garns .
Eichberg
Goldach .
Benken .
Bronschhofen
127
122
113
111
108
101
95
90
87
86
86
82
79
79
78
78
77
70
70
65
61
59
58
57
56
56
50
ca. 300
1347
2736
284
6
489
108
65
416
83
1968
Etabl.
10
9
4
9
7
10
8*
6
8
10
7
5
7
10
1
5
9
3
5
5
6
3
8
5
1
4
1
pt
8
12
5
8
4
IV«
st Gallen
. 698 —
St. Gallen
Arb.
EUbl.
Pf.
Arb.
Etabl. Pf.
Lütisburg
Mörschwyl .
Niederhelfenschis
Vilters . . .
. . 50
. . 50
vj\ 49
. , 48
5
5
7
4
V«
Wild haue . • .
Steinach . . . ,
JBsctietiinicii .
Mnolen . . . .
28
fl
26
24
4
2 10
2
4
Neßlau . . .
. . 47
3
Alt-St. Johann . ,
21
Jona . . . ,
Andwyl .
Oberbtiren . .
. 46
. 44
. 43
1
3
6
Goldingen
Gommiswald
Ernetswil
20
16
14
üntereggen .
Ealtbrnnn . .
Stein . . . .
Lichtensteig . .
Ganters wyl .
. . 42
41
. 39
. . 37
. . 31
. 28
5
4
3
1
3
2
Schännis . . . ,
Rapperswil .
Maseltrangen
Sargans . . . .
Mels ....
13
10
. 10
6
6
2
Eggersried .
lO.Siiß
filQ 9997
In Bezag auf die mechanischen Betriebskräfte (227 Pf., wovon 130 Wasser ,
95 Dampf, 2 Gas) ist zu bemerken, daß solclie nur bei den Schifflimaschinen-
stickereien und bei den Kettenstichstickereien angegeben sind. Als Schifflimaschinen-
Stickereien sind nur 42 Etabl. mit 800 — 900 Arb. und 199 Pf. bezeichnet, als
Eettenstichstickereien nur 5 Etabl. mit 224 Arb. und 28 Pf., nämlich :
Schifflitnaschinensiickereien :
1 Rorschach .
4 Diepoldsau
3 St. Gallen . . .
1 Straubenzell .
5 Altstätten .
2 St. Margrethen
1 Rebstein
1 Oberhelfenschwyl .
2 Krummenau .
1 Henau . . . .
2 Quarten
1 Goßau . . . .
2 Mörschwyl
1
mit 189 Arb.
n 94 „
. 76 „
n 50 ,
n 50 ,
r, 42 ,
. 34 „
« 31 „
n 27 ,
n 24 „
r, 23 ,
« 22 ,
. 22 ,
• 20 .
1 An ....
1 Marbach . . .
1 Steinach . . .
2 Balgach . . .
1 Rheineck .
1 Niederhelfensch wyl
1 Brunnadem .
2 Sennwald . .
2 Gams ....
1 Bern eck .
1 Tablat . . .
1 Grabs ....
mit
18 Arb
18 «
17 .
17? ,
12? „
10 .
9 .
9? „
8? ,
6 n
? .
? .
42
828?
mit
Elawyl „
Kettenstichstickereien :
1 Straubenzell . . . mit 151 Arb.
1 Tablat ^ 34 ^
Die Baumwollweberei umfaßt:
17 Buntwebereien mit 2900 Arb., 1063 Pf., in 17 Gemeinden,
1 Rheineck
2 Oberriet
29 Arb.
10 ,
2 Plattstichwebereien
1 Tüllweberei . . . . .
6 andere Baum Wollwebereien
Buntwebereien :
1 Wallenstadt
1 BütKchwyl
1 Wartau
1 Henau .
1 Lichtensteig
383 Arb. 130 Pf.
318 „ 150 „
263 „ 80 ^
257 , 50 „
236 « 130 «
51
12
703
1
1
1
1
1
2
?
282
Rorschach,
5 Gemeinden.
Altstätten .
Wattwil .
Oberuzwyl
Ebnat . .
Kappel
208 Arb.
205 „
176 „
154 ,
151 .
90 Pf.
75 ,
40 ,
50 .
60 .
St. Gallen
— 699 —
St. Grallen
1 Wyl .
1 Peterzeil
1 Eircliberg
1 Erinaa .
132 Arb.
121 .
^ ,.
74 .
35 Pf.
80 ,
25 „
1J2 .
1
1
1
Gkmterswyl
Erammenaa
Degersheim
17
67 Arb. 20 Pf.
38 „ 10 ,
26 , 6 ,
5900 Arb. 1063 Pf.
Platistichwebereien :
1 Fla wyl, ohne Motor, 39 Arb ; 1 mit Spohlerei in Degersheim, 12 Arb.
Uebrige Baumwollwebereien :
1 Mels ... 253 Arb. 90 Pf.
2 Eischenbach
1 Flawyl .
Baum wo
1 Flums . .
1 Mels
1 Uznach
1 Quarten
1 Bütschwyl
1 Bapperswyl
Banm wo
4 St. Gallen .
1 Lichtensteig
2 Altstätten .
1 Flawyl .
1 Brunnadern
1 Goldach
1 Thal . .
1 Steinach .
1 Quarten
234
118
115
45
Uspinnereien:
406 Arb. 600 Pf.
241 , 430 „
226 „ 250 „
181 „ 300 „
153 , 290 „
136 „ 237 .
Izwirnereien:
66? Arb. 82 Pf.
1
1
Mogelsberg
Henaa
77 Arb. 32 Pf.
21 . — n
—
703 Arb. 282 Pf.
1 Jona .
2 Tablat
1
1
1
Henau
Brunnadem
Eirchberg '
134 Arb.
134 ,
83 «
->0 .
5 .
250 Pf.
260 ,
104 „
10 .
5 .
42
30
16
14
12
12
11
11
50
19
10
27
10
8
10
13
12
1
1
1
1
1
1
1
1
21
1719 Arb. 2736 Pf.
Wittenbach
Rebstein .
Lütisburg
Neßlau .
Straubenzell
Ebnat
Buchs
Diepoldsan
10 Arb.
10 .
8 n
7 r,
6 .
6 „
5 .
5 «
14 Pf.
7 .
7 n
5 ,
7 n
5 .
10 „
? -
271? Arb. 284 Pf.
Hülfs Industrien der Baumwollindustrie:
Bleichereien bestehen in folgenden Gemeinden: Peterzeil 1 mit 52 A., Strauben-
zell 1 mit 25 A., Wattwyl 2 mit 30 A., St. Gallen 1 mit 16 A., Flawyl
2 mit 9 A., Tablat 1 mit 8 A., Altstätten 1 mit 2 A. Femer in Verbindung
mit 2 Sengereien in Straubenzell und einer solchen in Flawyl.
Eines der Etablissemente in Wattwyl ist Bobinenbleicherei; das andere
ist mit Appretur verbunden.
Sengereien: 2 in Gde. Straubenzell mit 79 A., 1 in Gde. Flawyl mit 39 A.,
1 in Gde. St. Gallen mit 9 A., 1 in Gde. Tablat mit 8 A. Die 2 Sengereien
in Straubenzell sind gleichzeitig Bleichereien und 1 zudem noch Appretur.
Appreturen außer den sub Bleichereien und Sengereien genannten : 3 St. Gallen
mit 182 A., 4 Straubenzell mit 158 A., 1 Bütschwyl mit 36 A., 1 Henau
mit 36 A., 1 Flawyl mit 21 A., 1 Rorschach mit 21 A., 1 Wattwyl mit 6 A.
Färbereien: 1 Oberulzwyl mit 37 A., 1 Uznach mit 33 A., 1 Wattwyl mit
32 A., 1 Kappel mit 30 A., 1 Ebnat mit 17 A., 1 Henau mit 16 A.,
1 Bütschwyl mit 12 A.
Druckereien : 1 Groldach mit 233 A., 1 Goßau mit 24 A.
1 Baumwolleettlerei und -Schlichterei in Bütschwyl mit 16 A.
Metallindustrie:
2 Gießereien und Maschinenfabriken in Gde. Henau mit 497 A., 1 idem Tablat
(St. Georgen) mit 138 A., 1 idem Eapperswil mit 38 A., 1 Eisenbahn-
St. Gallen — 700 — St. Gallen
• reparaturwerkstatt in Rorschaoh mit 155 A., 1 Gießerei und mechanische
Werkstatt in Rorschach mit 134 A., 1 idem Wattwyl mit 10. A. Weitere
mechanische Werkstätten: 2 Straubenzell mit 96 A«, 2 Fluma mit 34 A.«
je i Tahlat, Wyl, Rorschach, Goldach, St. Gallen, Fläwyl. 2 Maschinen-
fabriken in Rorschach mit 31 A., 1 Metall waarenfabrik in Rappers wil mit
21 A., 1 elektrische Werkstätte in Schännis mit 15 A., 1 Zinkomamenten-
fabrik in St. Gallen mit 20 A.
Seidenindustrie:
Webereien: 1 üznach mit 227 A., 1 Ealtbrann mit 89 A., 1 Benteltnch-
Weberei in Thal mit 95 A., zusammen 3 Etabl. mit 411 A: und 65 Pf.
Zwirnerei: 1 Thal mit 49 A., 12 Pf
Windereien: 2 Diepoldsau mit 74 A., 6 Pf.
Üebrige Industrien:
Ziegeleien: 1 Balgach mit 54 A., 2 Oberriet mit 41 A., 1 Tablat mit 40 A.,
1 Diepoldsau mit 16 A., 1 Schännis mit 12 A., 1 Widnau mit 6 A., 1 Watt-
wyl mit 5 A., zusammen 8 Etabl. mit 174 A., 130 Pf.
Lithographien: 4 St. GuUen mit 143 A., 5 Pf. ,
Buchdruckereien: 5 St. Gallen mit 117 A., 19 Pf., 1 Rorschach mit 9 A.,
1 Buchs mit 12 A, zusammen 7 Etabl. mit 138 A., 21 Pf.
Mühlen: 3 Goßau mit 27 A., 3 Goldach mit 25 A., 2 St. Gallen mit 16 A.,
2 Tübach mit 15 A., 3 Thal mit 12 A., 1 Ebnat mit 7 A., 1 Grabs mit
7 A., 1 Mogeisberg mit 6 A., 5 Peterzeil mit 5 A., 1 Steinach mit 4 A.,
1 Oberhelfenschwyl mit 4 A., 1 Flawyl mit 3 A., zusammen 24 Mühlen mit
131 A. und 924 Pf., wovon 619 Wasser, 305 Dampf.
Bierbrauereien: 2 St. Gallen mit 45 A., 2 Tablat mit 26 A., 1 Wyl mit 8 A.,
1 Rorschach mit 7 A., 1 Buchs mit 7 A., zusammen 7 Etabl. mit 93 A.,
66 Pf.
Schuhfabrik: 1 Oberutzwyl mit 82 A., 4 Pf.
Marmorgeschäfte: 1 Goldach mit 64 A., 1 Rheineck mit 15 A.
Schreinereien: 1 Tablat mit 30 A., 1 Ragaz mit 17 A., 1 Rorschach mit 12 A.,
2 Buchs mit 9 A., 1 Eschenbach mit 8 A., zusammen 6 Etabl. mit 76 A.
und 79 Pf., wovon 62 Dampf, 13 Wasser, 4 Gas.
Gas fabrik und Wasserwerk : 1 St. Gallen mit 51 A. und 5 Pf.
Teig w aar enfabriken : 1 Gde. Ebnat mit 24 A., 1 Rorschach mit 14 A., 2
St. Gallen mit 13 A., zusammen 4 Etabl. mit 51 Arb.
Konftklion ohne nähere Bezeichnung: 1 Geschäft in St. Gallen mit 49 A.
Chocoladefabrik : 1 Tablat mit 42 A., 60 Pf.
Carionnage : 1 Eichberg mit 13 A., 1 Rapperswil mit 12 A., 1 Rorschach mit
8 A., 1 St. Gallen mit 6 A., zusammen 4 Geschäfte mit 39 A. und 42 Pf.
Goldleisten- und Uahmenfabrik : 1 Wyl mit 39 A.
Süffereien: 2 Quarten mit 17 A., 1 St. Gallen mit 12 A., ferner je 1 in den
Gemeinden Ebnat, Flums, Goßau, Mogeisberg, Oberhelfenschwyl, Peterzell, zu-
sammen 9 Etabl. mit 38 A. und 170 Pf., wovon 131 Wasser, 39 Dampf.
Damenmäntelfabrik : 1 St. Gallen mit 35 A.
Lederfabrik: 1 Wallenstadt mit 27 A.
Wirkwaarengeschäft : 1 Gde. Tablat mit 27 A.
Konservenfabrik : 1 Rorschach mit 27 A.
Schieferverarbeihmg : 1 Pfäffers mit 13 A., 60 Pf., 1 Scliiefertafelfabrik mit
14 A., 35 Pf., in Ragaz.
Bottinenschäfiefabriken : 2 Lichtensteig mit 25 A.
St. Gallen — 701 — St. GalleÄ
Parqueierie: 1 Gde. Tablat mit 25 A., 26 Pf.
Tabakfabriken: 2 Borschach mit 18 A., 1 6-oldach mit 6 A.
Kachelofenfabrik : 1 St. Gallen mit 21 A.
Mühlenbaugeschäfle : 1 Rorschach mit 12 A., 1 Goldach mit 7 A.
Tapetenfabrik: 1 Goßan mit 11 A., 1 St. Gallen mit 8 A.
Bonneterie: 1 Tablat mit 18 A.
Waschereien: 1 St. Gallen mit 11 A., 1 Tablat mit 7 A.
Gerbereien: 1 Wattwyl mit 9 A., 1 Weißgerberei in Oberuzwyl mit 9 A.
Hutfabrik: 1 Rapperswil mit 18 A.
Baugeschäft: 1 Flawyl mit 17 A.
Lacklederfabrik: 1 St. Gallen mit 17 A.
Schirm- und Stockfabrik: 1 St. Gallen mit 16 A.
Corsetienfabrik : 1 St Gallen mit 15 A.
Cichorienfabrik : 1 An mit 14 A.
Stärkefabrik: 1 Mels mit 11 A., 50 Pf.
Milchkondensirung : 1 Goßau mit 11 A., 16 Pf.
Seifen- und Kereenfabrik : 1 Straubenzell mit 8 A.
Hafnerei: 1 Altstätten mit 8 A.
Weberschiffchenfabrik: 1 Flums mit 7 A.
Zündhölßchenfabrik : 1 Tablat mit 7 A.
Holespalterei : 1 Straubenzell mit 6 A.
Schlosserei: 1 Bronschhofen mit 3 A.
Wollspinnerei: 1 Grabs mit 2 A.
Industriegeschichtliches.
(Mitgetheilt von Herrn Dr. H. Wartmann, Actuar des Kaufm. Direktoriums.)
Die st. gallische Industrie hat ihren Ausgangspunkt in der Webergasse der
Stadt St. Gallen. Hier, in der nächsten Nähe der großen Elosteranlage, saßen
die Weber bei einander, welche mit fleißigen Händen den Bedarf des ausgedehnten
Hanshaltes an einheimischem Linnenzeag, der festen „Leinwaf, anfertigten.
Je mehr sich der klösterliche Haushalt zur fürstlichen Hofhaltung erweiterte,
nm so rascher hob sich auch die Zahl und die Bedeutung unserer Leineweber,
die hier keine vornehmeren Woll weher neben sich hatten. Im 13. Jahrhundert
treffen wir auf die ersten städtischen Einrichtungen für das Leinwandgewerbe;
im 14. klagen die klösterlichen Chronikschreiber über den bürgerlichen lieber-
muth, den das frische Aufblühen dieses Gewerbes erzeuge; im 15. mehren sich
die Privilegien, weiche dem st. gallischen Kaufmann für den Besuch auswärtiger
Märkte gegeben werden; das 16. Jahrhundert berichtet mit Stolz über den weit
ausgebreiteten Handel: in's Reich, nach Polen und Ungarn, nach Frankreich^
Spanien und Italien ; über die fremden Sprachen, die man in St. Gallen finde,
wie nicht bald an einem andern Ort; über die öffentlichen Bleichen, für welche
der ebene Ghmnd im Thale nicht mehr genüge, so daß man auch die ansteigenden
Höhen für sie in Anspruch nehmen müsse; über die Tausende von Händen auf
dem Lande im weiten Umkreise um die Stadt, welche für die großen Handels-
häuser spinnen und weben.
In der Zeit von 1250 — 1350 hat sich also die ursprüngliche klösterliche
Hansweberei zum kräftigen städtischen Handwerk und dieses sich zur wirklichen
Landesindustrie entfaltet.
Das Hauptprodukt dieser Industrie waren die dicken Leinwandtücher, welche
in „dem welschen Gewerbe**, d. h. bei der Ausfuhr nach den Ländern wälscher
St. GaUen — 702 — St. GaUen
Zunge, unter dem Namen ^Tela di Costanza" gingen, ein Name, der deutlich
genug darauf hinweist, wo zuerst in unserer Gegend der Hauptsitz der Leinwand-
weberei war und von wo aus diese Tücher zuerst ihren Weg Über das Gebirge
fanden. Neben der schweren „Leinwat** wurden aber auch feine, leichte Leinen-
gewebe, die sog. „ Stauchen **, angefertigt, diese hauptsächlich auf den Höhen des
unmittelbar benachbarten, aus dem Leibe der Abtei St. Gullen geschnittenen
Appenzeller Landes, wo die ausschließliche Beschäftigung mit Viehzucht die Hand
leichter und beweglicher erhielt, als der Ackerbau in dem tiefer liegenden ost-
«chweizerischen Hiigellande. Als dritter Artikel von Bedeutung wäre noch die
gefärbte Leinwand („ Farblein wat**) zu erwähnen, wohl meist für Futterstoffe
oder dann für Taschentücher („Fatzanetlin**).
Der Hauptsitz der Bleicherei und Färberei war in St. Grallen. Gesponnen
und gewoben wurde für den St. Galler Markt bis weit in das Rheinthal hinauf,
bis weit in den Thurgau hinunter und' bis weit in das Thurthal oder die Land-
schaft Toggenburg hinein. Hier bildete das Städtchen Lichtensteig einen kleinern
gewerblichen Mittelpunkt. In dem sog. ^ Fürstenlande **, d. h dem unmittelbar
abtischen Gebiete, kamen Wil und Rorschach als solche in Betracht; doch ver-
mochten sie trotz aller künstlichen Unterstützung durch ihren Herrn und trotz
ihrer bevorzugten natürlichen Lage der rührigen Bürgerschaft im rauhen und engen
Steinachthaie niemals den Yorsprung abzugewinnen, ja ihr nur nahe zq kommen.
Leinwand tücher leichterer und geringerer Sorte ließ sich der st. gallische
Kaufmann zur Wiederausfuhr vom Auslande liefern: von Schlesien, Böhmen und
Schwaben.
Es ist begreiflich, daß hiebei sein Interesse zuweilen nicht gar sanft mit
demjenigen des einheimischen Webers zusammenstieß. Allein dieser befand sich
bei dem obrigkeitlich streng geordneten Marktverkehr im Allgemeinen noch gut
genug und war in der Regel auch zu einsichtig, um in einer Beschränkung der
freien Bewegung des Handels sein Heil zu erblicken. Und kamen der Weber-
iijchaft in knappen Zeiten hin und wieder solche Gelüste, so ließ sich das städtisc^he
Regiment, obschon es ausschließlich und direkt aus der Wahl der Handwerker-
zünfte hervorging, gleichwohl von der nicht offiziellen Vertretung der Kauf-
mannschaft, dem sog. Kaufmännischen Direktorium, besser berathen.
Gänzlich außerhalb des städtischen Zunftwesens, nach dessen Satzungen sich
die Leinwandproduktion und der Leinwandverkauf richten mußten, nahm um das
Jahr 1720 die B an mw oll web er ei in St. Gallen ihren Anfang, und zwar mit der
Fabrikation von Barclient, halb Leinen, halb Baumwolle. Peter Bion, ein fran-
zösischer HugenottenflUchtling aus Metz, begann mit dieser neuen , freien Kunst"
und hatte Alles in seiner Hand : den Einkauf der rohen Baumwolle, das Aus-
geben des Rohstoffes zum Yerspiunen und des Garnes zum Verweben, die Ver-
sendung des Fabrikates in aller Herren Länder. Die außerordentlich günstige
Aufnahme, welche der halbleinene Barchent fand, führte in kurzer Zeit zur An-
fertigung ganzbaumwollener Tücher. Schon in den 40er Jahren hatte diese eine
solche Ausdehnung gewonnen, daß die eifersüchtige Weberzunft beim Rath Klage
darüber erhob, und im folgenden Jahrzehnt veranlaßte die eben so rasch um sich
greifende Mousselineweberei einen neuen Ansturm, der wohl in beschränkenden
Rathsbeschlüssen einen gewissen Erfolg aufwies; allein die frische Lebenskraft
der neuen Industrie schritt über die papiernen Satzungen hinweg. — Eben damals
machte das Haus Gonzenbach seine ersten glücklichen Versuche mit dem Besticken
von Mousseliue, angeblich nach türkischen Mustern, und auch diese Stickereien
wurden alsbald ein überall gesuchter Handelsartikel.
Sl. Gallen — 703 — St. Gallen
Baum Wolltücher („Baaelstücke'*), meist für den Druck bestimmt, Moosseline
nnd Stickereien erlangten schon in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
eine Bedeutung, die weit über diejenige der langsam absterbenden Leinwand-
weberei hinausging, und vereinigten eine Summe von Interessen auf sich, gegen
welche keine Weberzunft mehr aufkommen konnte. Tansende von Händen
arbeiteten in ihrem Dienste. Gesponnen wurde sozusagen tiberall für st. gallische
und appenzellische Händler und Fabrikanten, bis in die Alphütten des Glarner
Landes und bis weit hinaus in 's Schwabenland. Gewoben wurden die „Bauel-
stücke** oder -Tücher meist im Toggenburg, das nun seinen ausgeprägten indu-
striellen Charakter annahm; die Mousseline als leichtes Gewebe, und wohl auch
die „gemüggelte** oder ^geblümelte** Leinwand, d. h. ein Leinengewebe mit
baumwollenen Mücken oder Blümchen, vornehmlich im Appenzeller Land; die
Stickerei für die gewöhnliche Handels waare hatte von Anfang an, durch die
Vermittlung von sog. Ferggern, ihr Hauptquartier im Vorarlberg aufgeschlagen ;
nur die feinen und kostbaren Seiden- und Goldstickereien wurden in St. Grallen
und Umgebung unter der unmittelbaren Anleitung und (Teberwachung des Auftrag-
gebers angefertigt.
Unter solchen Verhältnissen ging die st. gallische Textilindustrie den Revo-
lutionsstürmen entgegen, welche gegen das Ende des Jahrhunderts vom westlichen
Himmel heraufzogen. In ihrem Hauptquartier herrschte eine gewisse materielle
Ueppigkeit, und ringsum auf dem Lande, soweit sich ein reichlicher Hausverdienst
verzweigte, erschreckte wachsende Genußsucht und Leichtlebigkeit ernstere Ge-
müther und tieferblickende Beobachter.
Freilich machten zuerst die Assignatenwirthschaft in Frankreich, dann der
Einfall der Franzosen in die Schweiz und die Kämpfe ft'emder Heere auf ihrem
Boden, endlich die Gewaltherrschaft Napoleon*s mit ihrem Kontinental- und Ab-
sperrungssystem jener Herrlichkeit ein gründliches Ende. Aber was noch eine
bleibendere und durchgreifendere Umwälzung in den Verhältnissen unserer In-
dustrie und unseres Handels hervorbrachte als staatliche Umwälzungen und Völker-
kriege, war der Uebergang von der Handarbeit zur Maschineninduslriey der sich
eben in diesen Jahrzehnten, vorläufig auf dem Gebiete der Spinnerei, anbahnte,
und waren die Schutz- und Prohibitivzölle, welche die einen Festlandstaaten als
unmittelbares Erbe der napoleonischen Zeit, andere sonst früher oder später, in
mehr oder weniger scharf ausgeprägter Form aufnahmen. Diese Hemmungen
zwangen den st. gallischen Handel, sich mit aller Macht auf den überseeischen
Markt zu werfen ; die gewaltig heranwachsenden Vereinigten Staaten wurden
sein Hauptabsatzgebiet. Jener Uebergang zur Maschinenindustrie führte schon in
den Tagen der acblimmsten Bedrängniß (1803 — 1817) zur Errichtung einer Reihe
von mechanischen Spinnereien auf st. gallischem Boden, und zwar sowohl in dem
an den Kanton Zürich angrenzenden Gebiet, als im toggenburgischen Tharthal
und vor den Thoren der Hauptstadt. Der Abgang der überall verbreiteten Hand-
und Hausspinnerei leistete der weitern Verbreitung der Haiidweberei und der
allgemeinen Aufnahme der Stickerei auch auf schweizerischem Boden Vorschub.
Das Hauptquartier der schweizerischen Stickerei wurde der Kanton Appenzell,
der Feinstickerei insbesondere Appenzell L-Rh. ; das Hauptquartier der st. gal-
lischen Baum Wollweberei in weißen und bunten Tüchern wurden immer mehr
die toggenburgibchen Bezirke von Wildhaus bis an die Thurgauer Grenze; die
last ausschließlich weißen Produkte der Feinweberei in undichten und halbdichten
Artikeln lieferte vorzugsweise Appenzell A.-Kh. auf den st. gallischen Markt.
St. Gallen — 704 — St GaUen
Die Leinwandweberei schrampfte Jabr fdr Jabr ncbtlicb zusammen und ging
Bcbließlicb als Aosfabrindustrie gänzlicb ein (ca. 1840).
Die Stickerei tbeilte sieb in Kettenstieb- oder Grob- und in Plattsticb-
oder Feinstickerei. Die erstere war zumeist Vorbangstickerei und gewann eine
wacbsende Bedeutung und Ausdebnung. Zu den Arbeitskräften des österreicbiscben
Vorarlbergs zog sie aucb diejenigen der deutscbeu Landscbaften nördlicb des
Bodensees, von den Allgäuer Alpen bis in den Scbwarzwald binunter, in ibre
Dienste. Die innerrbodiscbe Feinstickerei verscbaffte durcb ibre Moucboirs von
wirklieb künstleriscbem Gepräge der Zeicbnung und Ausfäbrung in der Verbindung
verscbiedener Stiebarten den st. galliscb-appenzelliscben Stickereien ibren Weitrubm.
Die Handweberei sab sieb alsbald genötbigt, mit der vordringenden mecba-
niscben Weberei zu reebnen und scbrittweise selbst auf sie überzugeben oder
ibr gewisse Artikel zu überlassen. Sie wäblte zunäcbst das letztere. Das
Toggenburg gab die weißen Tücber preis und warf sieb ganz auf die Bunt-
weberei, deren mecbaniscber Wecbselstubl nocb lange nicbt in Siebt war. Italien,
die Sklavenstaaten Nordamerikas, das spaniscbe Mittel- und Südamerika und
Brasilien, dann die Levante bescbäftigten unsere Handweber des Tburtbals voll-
auf, besonders seit der Einfübrung des Jacquardstuhles (ca. 1835). Als aber in
den 50er und 60er Jabren aucb die Buntweberei sieb vor die Wabl gestellt sab,
entweder zum mecbaniscben Betrieb überzugeben oder aber auf den Wettbewerb
in ihren wichtigsten Artikeln binnen Kurzem zu verzichten, da waren die Fabri-
kationsbäuser des Toggenburgs gezwungen, in großen Fabrikgebäuden Wechsel*
Stühle zu Hunderten an Wasser oder Dampf zu stellen und die Hausweberei da-
neben nur nocb ergänzend und immer mehr zurücktretend für die komplizirteren
Gewebe beizubehalten. Der Hauptübergang von der Hand- zur mecbaniscben
Weberei erfolgte in den Jahren 1861 — 1866. Mit ihm vollendete sich die
Emanzipation der toggenburgiscben Buntweberei von den Märkten St. Gallen und
Winterthur. Sie bedurfte der Vermittlung des exportirenden Kaufmanns nicht
mehr. In dem toggenburgiscben Großindustriellen vereinigten sich Fabrikant und
Exporteur. Von seiner Fabrik aus ging deren Erzeugniß in alle Welt binaus.
Die größten Massen nahmen nun ' Hinterindien und Ostasien auf, neben welcben
später nur noch Japan für eine kurze Zeit und die West- und Ostküste Afrikas
eine gewisse Bedeutung erlangt haben
Gleichzeitig wie für die Buntweberei, erwies sich aucb für die Mousseiine-
Weberei der Uebergang zum mechanischen Betrieb als unbedingte Notbwendigkeit.
Da dieser Industriezweig aber auf st. gallischem Boden nie große Verbreitung
erlangt hatte, entstanden auf ihm auch nur vereinzelte mechanische Weißwebereien
für halbdicbte und undichte Gewebe.
Eine Ausnahmestellung in unserer mecbaniscben Weberei bat seit ihrer
Gründung im Jahre 1866 die halb für farbige, halb für leichte weiße Artikel
eingerichtete Jacquardweberei Azmos behauptet.
Die appenzellische Mousselineweberei von Hand übersiedelte nur zum ge-
ringsten Theil in geschlossene Fabrikräume; sie hatte einen Ersatz in der
Plattsiirhweberei gefunden, die in den 40er Jahren rasch in allen Gemeinden
Eingang fand.
Inzwischen waren die schon seit längerer Zeit im Stillen gepflegten Keime
einer neuen st. gallischen Industrie, die in Kürze alle andern überflügeln sollte^
lebens- und entwicklunersfähig geworden. Der mechanische Stickstuhl für Platt-
stich war durch die unablässigen Bemühungen der Firma J. B. Rittmeyer & Co.
in St. Gallen so weit vervollkommnet worden, daß seine Produkte auf den großen
St. Gallen — 705 — • St. Gallen
Markt gebracht werden konnten. Schon in den 50er Jahren entstand hie und
da in unserm Lande eine „ Stickfabrik -". Ein wirklich fieberhafter Aufschwung
ergriff aber die junge Industrie, *als nach dem Abechlusse des nordamerikanischen
Bürgerkrieges die Vereinigten Staaten die gehtickten Streifen (Bandes und Entre-
deux) der mechanischen Weißstickerei in einer bisher ganz unerhörten Massen-
haftigkeit zu verwenden begannen und Bestellungen einsandten, zu deren Be-
wältigung Fabrik auf Fabrik neu errichtet und ausgerüstet werden mußte. Das
ganze Land überdeckte sich im Laufe eines Jahrzehnts mit solchen Etablissements
kleinern und größern Umfangs ; daneben verbreiteten sich auch die Einzelmaschinen
immer zahlreicher, so daß die MaschinensUckerei schließlich wenigstens eben so
sehr den Charakter einer Hausindustrie, als einer Fabrikindustrie angenommen bat.
So ungeahnte Ausdehnung indeß der Absatz ihrer Produkte über die ganze
Erde gefunden hat, wo nur deren Bewohner in abendländischen Formen leben,
80 bewunderungswürdig sich ihre Leistungsfähigkeit vervollkommnet und — be-
sonders auch unter Beihülfe der seit etwa 1880 in größerem Maßstabe zur Ver-
wendung kommenden Schifflimaschi ne — vermannigfaltigt hat, führte die ganz
maßlose Vermehrung der Maschinen, gefördert durch den Niedergang anderer
Industriezweige in unserm Kanton und in den Nachbarkantonen, doch allmälig
im höchsten Grade bedenkliche Zustände herbei, die mit einer großen Krise für
unser Land und Volk abzuschließen drohten. Daß es bis heute trotz mannigfacher
Bedrängniß nicht dazu gekommen ist, verdankt die Maschinenstickerei wesent-
lich dem großen Stickerverband, der sich unter dem Druck der Verhältnisse
im Jahre 1884 gebildet und in bisher unbekannter Weise Eiiizelsticker, Fabri-
kanten, Kauf leute und Fergger zu gemeinsamer Wahrung und Ausgleichung ihrer
Interessen zusammengeführt hat. Dieser Staat im Staate umfaßt bis an wenige
alle 22,000 Maschinen, welche heute in der Ostschweiz und im Vorarlberg
arbeiten, und seinen Gesetzen unterziehen sich sozusagen alle Diejenigen, welche
den Vertrieb ihrer Erzeugnisse besorgen. Sein Gedeihen und seine segensreiche
Wirksamkeit wird in erster Linie davon abhängen, ob er stets, wie bisher, mit
feinem und >«icherm Urtheil zu unterscheiden weiß, was sich überhaupt in dem
so komplizirten und empfindlichen Organismus von Industrie und Handel regle-
mentiren läßt und was nicht; in zweiter Linie davon, daß jeweilen die richtige
Form der Reglementirung gefunden werde.
Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, daß auch für den Kettenstich in
neuerer Zeit mehrnadlige Stickmaschinen verschiedener Konstruktion erfunden
worden, aber fast überall nur versuchsweise zur Anwendung gekommen sind.
Um so größere Bedeutung erlangte die einnadlige Kettenstichmaschine für die
Grobstickerei, freilich nicht mit veredelnder Wirkung. Sehr empfindlichen Ab-
bruch hat dieser Industrie in den letzten Jahrzehnten die englische Vorhang-
weberei gethan.
Die feine Handstickerei in Plattstich wird durch die vervollkommnete
Maschinenstickerei immer mehr verdrängt und scheint ihrem baldigen gänzlichen
Ende entgegen zu gehen.
Neben der aus dem „ Lein watge werbe" erwachsenen Baumwollin dustrie
fand auch die Seidenweberei in einzelnen Kantonstheilen Eingang. Das Weben
seidener Stoffe und noch weit mehr das Spinnen von Floretseide soll schon im
17. Jahrhundert durch einzelne italienische Familien in Rappers wil und Umgebung
eingeführt, dann aber wieder gänzlich in Abgang gekommen, bezw. von hier an
den Vierwaldstättersee verpflanzt worden sein. Erst in den 40er Jahren unseres
Jahrhunderts griff die aufblühende zürcherische Seidenindustrie auch in die be-
Farrer, Volkswirthscharta-Lexikon der Schweiz. 4^
St. Gallen — 706 — St. Gallen
nachbarten st. gallischen Gebiete hinüber und veranlaßte — zameist im Seebezirk
und Gasterland — die Aufstellang von ein paar hundert Webstühlen. Bei besonders
lebhaftem Geschäftsgang suchte sie vermehrte Arbeitskräfte bis in's Sarganserland,
das Thurthal und das Werdenbergische. In den 70er Jahren hat die Firma
E. Schubiger in Uznach zwei mechanische Seidenwebereien in Betrieb gesetzt.
Ganz am andern Ende des Kantons, in dem lieblich gelegenen Dorfe Thal
bei Bheineck, wurde im Jahre 1830 durch Pierre Dufour, gebürtig von Lyon,
aber damals im Dienste einer Zürcher Firma stehend, die Fabrikation von Seiden-
gaze für die Müllerei oder die sog. Beuteltuchweberei eingeführt. Sie verbreitete
sich auch über die benachbarten Höhen des appen zellischen Yorderlandes und
brachte ihren Arbeitern schönen Verdienst. Zum mechanischen Betriebe im Großen
ist dieser Industriezweig seiner Natur nach nicht geeignet.
Die Wollweberei hat es im Kanton St. Gallen nie zu industrieller Be-
deutung gebracht. Für den Hausbedarf wurde im obem Bheinthal — Sax,
Werdenberg — und etwa im obem Thurthal von jeher in bescheidenem Umfang
Wolle gesponnen und gewoben. Der Bezirk Werdenberg hat sogar ein paar
kleine Fabriketablissements für Landtuch aufzuweisen, doch mit einer ganz ge-
ringen Anzahl von Arbeitern.
Daß die Hülfsindustrien der Textilindustrie — Bleicherei, Färberei, Ap-
pretur, Zwirnerei — sich nach Bedarf an die Hauptindustrien der Spinnerei,
VVeberei und Stickerei ansetzten und sich mit ihnen entwickelten, versteht sich
wohl ohne Weiteres von selbst. Die Obsorge für die Bleichen und Walken, deren
die Leinwandindustrie bedurfte, lag bei der Obrigkeit bis in das erste Jahrzehnt
unseres Jahrhunderts hinein.
Auch die Eisenindustrie unseres Kantons ist zum größten Theil als Htilfs-
industrie der Textilindustrie zu betrachten. Freilich nicht diejenige, die sich
im Sarganserlande schon im Mittelalter, wenn nicht noch weit früher, an die
Gewinnung der dortigen Eisenerze angesetzt hat: nicht der Schmelzofen in Plöns
und nicht die Schmitten in Flums, die den Grafen und Landvögten recht hübsche
Einkünfte brachten, heute jedoch völlig der Vergangenheit angehören. Aber die
verschiedenen Gießereien und mechanischen Werkstätten, welche in neuerer Zeit
in der Nähe der industriellen 2ientren entstanden sind. Diese fanden ihre Haupt-
beschäftigung von Anfang an in der Ausrüstung unserer Spinnerei, Weberei and
Stickerei mit den zum Betriebe erforderlichen Maschinen, von dem Dampfkessel
und der Turbine bis zum Spinn-, Web- und Stiokstuhl. Einzelne richteten sich
daneben oder auch vorzugsweise für die Bedienung der Müllerei ein und brachten
es darin durch die Trefflichkeit ihrer Leistungen zu einem recht beträchtlichen
Absatz im Ausland.
Urproduktion.
Es widmeten sich
im Jahre 1860 1870
der Landwirthschaft . . 34154 33585
dem Bergbau .... 551 662
der Forstwirthschaft . . 150 338
der Jagd und Fischerei . 78 43
Forst- und Landwirthschaft,
(Mitgetheilt von Herrn Reallehrer G. Schmid in St. Gallen.)
Der politisch aus den heterogensten Elementen zusammengesetzte Kanton
bietet auch vom Standpunkte der Landwirthschaft aus eine äußerst interessante
1880
1888
30359
Personen
562
n
457
n
27
«
Sl. Gallen — 707 — St. Gallen
Physiognomie: Musterhaft verwaltete Staats- und KoTportLiionnwaldungen nehen
Privatwaldungen, in welchen besonders in den letzten Jahren die Wohlthat der
genauesten Koutrole sichtbai-er als je zu Tage trat; vortreffliche Alpwirihschaft,
gute Alpenstraßen, Wege, rationelle Entwässerung und genaueste Eigenthnms-
bereinigungeu in den Grenossenschaftsalpen neben offenbarer Mißwirthschaft, un-
zweckmäßiger Sennerei, vernachläbsigsten Wegen und Mangel an der nöthigsten
Amelioration des Bodens; die ergiebigste übsthaumpflege in geschützten Lagen
und sehr exponirten Gegenden mit kalten Nordwinden neben der heutzutage
kaum begreiflichen Vernachlässigung einer der leichtesten Einnahmsquellen unserer
Landwirthschaft. Und endlich die größte Verschiedenheit auch in der Kultur des
übrigen Bodens und die daherigen großen Unterschiede bezüglich des Ertrages
aller andern so wichtigen Zweige der Landwirthschaft. #
Die Forstwirthschaft erfreut sich eines kräftigen Aufschwunges, seit
die Staats-, Gemeinde- und Korporationswaldungen als Schutzwald bezeichnet
sind. Einen günstigen Einfluß auf die Schutzwaldungen übte die amtlich an-
geordnete Ablösung von Dienstbarheiten aus, z. B. der Holzbezugsrechte, der
Streue-, Laub- und Fahrrechte. Verschärfte Forstpolizei, Vermehrung der Forst-
gärten, Entwässerungsarbeiten und Verkehrsverbesserungen gehören ebenfalls zu
den ervvähnenswerthesten Fortschritten.
Das gesammte Waldareal (mit Weglassung der im Kanton gelegenen
Waldungen der Stadtgemeinde Bischofszell) umfaßt nach den neuesten Ver-
messungen und Schätzungen: Staatswald 768 ha, Gemeinde- und Korporations-
wald 24,077 ha '), Privatschutzwald 12,321 ha, andere Privatwaldungen 1455 ha,
Total 38,621 ha. Der Gesammtertrag der Staats-, Gemeinde-, Korporations- und
Privatschntzwaldungen beträgt: An Hauptnutzung Fr. 1*091,638, an Zwischen-
nutzung Fr. 167,347, an Nebennutzung Fr. 46,227, Total Fr. 1*305,212.
Obstbau. Seit zwei Dezennien werden. Dank der Initiative der landwirth-
schaftlichen Vereine und der Unterstützung von Seite des Staates, sehr viele
Obstbaukurse abgehalten, welche diesen landwirthschaftlichen Betriebszweig all-
mälig bedeutend zu heben vermochten. Im Jahre 1886 wurde eine Obstbau-
statistik aufgenommen. Sie lieferte folgendes Ergebniß: Obstbäume auf Acker-
uüd Wiesland 1'225,794, Gartenobstbäume 82,672, Bestand in Baumschulen
1' 102,061, Gesammtzahl der im Kanton vorhandenen Obstbäume 2*410,527.
Die Baumschulen abgerechnet, trifft es auf die Hektare Kulturland 9,5, auf den
Einwohner 6,1 Obstbäume.
Von den 1*225,794 Obstbäumen auf Acker- und Wiesland sind 550,994
oder 44,95 7o Apfelbäume, 443,408 oder 36,18 7o Birnbäume, 121,424 oder
9,90- ^0 Zwetschgen- und Pflaumenbäume, 71,757 oder 5,86 ^o Kirschbäume,
38,211 oder 3,11 **/o Nußbäume. Nur in vier Bezirken sind die Birnbäume
zahlreicher als die Apfelbäume.
Der Obstertrag belief sich
auf 89,372 q Aepfel ä Fr. 13. 75 = Fr. 1^173,159 od. Fr. 2. 10 per Baum,
, 89,478 „ Birnen , ,15.10= , r420,810 „ , 3. 20 „
1,508 , Kirschen „ , 30. — = , 45,240 „ „— . 63 ,
, 2,481 , Zw. u.Pfl.„ „24. — = „ 59,524 « „—.49 ,
739 , Nüsse „ „ 30. — = , 22,070 , ,— . 60 ,
auf 183,578 q im Ganzen = Fr. 2' 7 20,803 od. Fr. 2. 22 per Baum.
Die Statistik scheidet die Bäume in zwei Altersstufen, d. i. unter 10 Jahren
und über 10 Jahren. Nur die letztere wird als ertragsfähig bezeichnet. Repartirt
^) Davon 914 ha außer dem Kanton.
St. Gallen — 708 — St Gallen
man nan logischerweise das Ernteprodukt auf die tragbaren Bäamef so ergibt
sich per Birnbaum 26,64 kg = Fr. 4. 23, Apfelbaum 24,42 kg = Fr. 3. 20,
Kirschbaum 2,90 kg =^ Fr. — .87, Pflaumen- und Zwetschgenbaum 2,87 kg
= Fr. — . 67, Nußbaum 2,55 kg = Fr. — . 76, tragbarer Baum überhaupt
Fr. 3. 13. Zur richtigen Würdigung dieser Zahlen muß berücksichtigt werden,
daß vielfach gar keine Ertragsangaben gemacht wurden und daß das Jahr 1886
ein schwaches Obstjahr war. Von den 93 politischen Gemeinden des Kantons
X bezeichneten nämlich 48 den Obetertrag als gering, 30 als mittelmäßig, 12 als
gut und 3 als sehr gut.
Wie in den übrigen Theilen der Schweiz, ist auch im Kanton St. Ghilien
die Zahl der kultivirten Obstsorten sehr groß. Es hängt dies zum Theil zu-
sammen mit der Mannigfaltigkeit der klimatischen und der Bodenverhältnisse^
zum Theil mit der frühern Unkenntniß vom wirthschaftlichen Werth der ver-
schiedenen Obstsorten. Um nun in dieser Beziehuug eine Besserung herbeizuführen,
sind anläßlich der Materialsammlung zur Obstbaustatistik die Landwirthe über
die Eigenschaften ihrer Apfel- und Birnbäume sowie der Früchte befragt worden.
Die Auskünfte dienten zur Anfertigung eines Stammregisters der empfehlens-
werthesten Obstsorten des Kantons St. Gallen. Es wurde der Obstbaustatistik
angefügt und umfaßt 40 Sorten Aepfel, sowie 41 Sorten Birnen.
Ein wichtiger Träger des Fortschrittes in der Obstbaumzucht mag der noch
junge kantonale Baumwärterverein werden, der durch Vorträge, journalistische
Thätigkeit, unentgeltliche Abgabe von Reisern etc. die Interessen der Banm-
besitzer zu fördern sucht.
Das kräftigste Salz aber für die fortschrittlichen Bestrebungen auf dem
Gebiete der Landwirthschaft überhaupt bilden die landwirthschaftlichen
Vereine, deren Zahl sich stets mehrt und deren Thätigkeit sich immer inten-
siver und allseitiger gestaltet. Alimentirt wird diese in wohlthätigster Weise
durch die Initiative der kantonalen landwirthschaflUchen Gesellschaft, die
beispielsweise im ersten Semester des Jahres 1889 nebet 57 Vorträgen 14 Kurse
veranstaltete über Obst- und Gemüsebau, über Forst-, Koch-, Viehbehandlungs->
Näh- und Haushaltungskunde, über Rebbau- imd Bienenkurse. Im „Landwirth-
schaftlichen Wochenblatt** hält sich die Gesellschaft ein sachkundiges Preßorgan.
Der Staat subventionirt die landwirthschaftlichen Vereine mit Fr. 5000
jährlich. Weit beträchtlicher sind seine übrigen finanziellen Leistungen für die
Land- und Forstwirthschaft. Sie bezifferten sich im Jahre 1888 auf Fr. 152,740,
wovon Fr. 44,286 für die Thierzucht und die Milchwirthschaft, Fr. 19,773 für
die Beforstung von Privatschutz Waldungen, Fr. 17,900 für Bodenverbesserungen
und Güterzusammenlegung, Fr. 16,358 für die Verbesserung und den Unterhalt
der Staatswaldungen, Fr. 15,743 für die Besoldung der Bezirksförster, Fr. 9000
für eine kantonale landwirthschaftliche Ausstellung, Fr. 500 als Prämien fUr
Alpverbesserungen u. s. w. u. 8. w.
Behufs durchgreifender Verbesserung der Alpen finden Inspektionen statt,
und zu dem nämlichen Zwecke wurde jüngst ein kantonaler Lehrkurs abgehalten,
an welchem 27 Zöglinge theilnahmen.
Bergbau.
Die Zahl der hiebei beschäftigten Personen (s. oben) steht in &ehr geringem
Verhältniß zu der Zahl der Fundorte von Gesteinsarten aller Art. Es erklärt
sich dies daraus, daß nur wenige der letzteren eine permanente Ausbeutung
lohnen. Konstantem Betrieb sind wohl nur die Schieferbrüche bei Pföfi^ers-Ragaz
unterworfen. Außer diesen Ortschaften verzeichnet die Rohprodukten karte von
St. Gallen — 709 — St. Gallen
Weber & Brosi (Verlag von J. Wurster & Co. in ZfLrich) folgende Fandorte
von Gresteinsarten etc.: Für Schleifsleine: Baoried; fUr Mühlsteine: Mels; fdr
hydraulische Kalke und Cement: Flnms, Quinten, Staad bei Wallenstadt; für
Töpfer- und Zlegelihon: Bußkirch; für Kalksteine: Büchel, Buchs, Hirschen-
«prung, Klein-Mels, Montlingen, Murg, PfUifers, Quarten, Eagatz, Sevelen, Trüb-
bach, Weesen; für Sandsteine: Abtwil, Bauried, Bildhaus, BoUigen, Buchen,
Dornach, St. Gallen, St. Josephen, St. Margarethen, Monstein, Oberdorf, Peterzell,
Schmerikon, Staad, Wattwil; für Tufstein: Batzenheid, Flawyl, üelfenschwyl,
Libingen und Mosnang; grauitische Gesteine: eine Kette solcher Steinlager zieht
sich durch den ganzen Kanton von Südwest nach Nordost ; für Eiseners : Plöns
bei Mels; für Braunkohle: Maseltrangen; für Schieferkohle: Eschenbach, Mör-
schwil, Uznach; für Torf: Altstetten, Bildhaus, Diepoidsau, Goßau, Mörschwil,
Niederwil, Rüti.
Verkehr.
Durch diesen Zweig der Volkswirthschaft fanden Erwerb
im Jahre 1860 1870 1880 1888
beim Straßenwesen 171 362 622 Pers.
n Eisenbahnwesen 645 553 1181 „
„ Post- und Telegraphendienst . . 151 250 436 „
„ Speditions-, Fuhr- und Botenwesen 1 _ . ^ 286 395 „
bei der Schifffahrt und Flößerei . . J 281 128 ^^
1510 1732 2762 Pers.
Eisenbahnen
bestehen im Kanton seit 1859. Gegenwärtig arbeiten auf seinem Boden 8 Bahn-
unternehmungen, welche über 220,437 m Bahngeleise und 49 Stationen verfügen.
Die Bahnlänge vertheilt sich auf die einzehien Unternehmungen und nach den
Konzessionen wie folgt:
Nordostbahn: 1) Konzession vom 12. Okt. 1865 für die auf st. gallischem
Gebiet gelegenen Theile der Linie Rorschach-Komanshom; 3911 m; 2) Konzession
vom 30. Nov. 1872 für die im Kanron St. Gallen gelegenen Theile der Linie
Bischofszell-Goßau, 10,762 m; 3) Bundeskonzession vom 23. Sept. 1873 für den
4st. gallischen Theil der Linie Zürich- Glarus (bei Ziegel brücke), 628 m. Länge
der Nordostbahnlinien auf st. gallischem Gebiet 15,301 m.
Vereinif/te Schweizerbahnen: 1) Konzession vom 14. Juni 1852 für den
im Kanton St. Gallen gelegenen Theil der Linie Rorschach-Winterthur, 46,050 m;
2) Konzession vom 15. Jan. 1853 für die Linien Rorschach-Kantonsgrenze bei
Bagatz und Sargans-Wallenstadt, 84,288 m; 3) Konzession vom 19. Jan. 1853
für den st. gallischen Theil der Linien Wallenstadt-Bappersweil und Weesen-
Glarus, 38,256 m; 4) Konzession vom 9. Juni 1856 für den auf st. gallischem
Gebiet gelegenen Theil der Linie Rappers weil- Uster, 3984 m. Länge der Ver-
einigten Schweizerbahnen im Kanton St. Gallen 172,578 m.
Togg en bürg erb ahn : Konzession vom 18. Juni 1866 für den st. gallischen
Theil der Linie" Wyl-Ebnat, 23,807 m.
Rappersweit-Pfäflikon : Bundeskonzession vom 25. Juni 1874 für die Strecke
von Rappersweil bis zur Kantonsgrenze bei Pfäffikou, 539 m.
Appemellerbahn : Bundeskonzessiou vom 23. Sept 1873 für den im Kanton
St. Gallen gelegenen Theil der Linie Winkeln- Herisau, 2014 m.
Frauenftld'Wyl : Bundeskonzession vom 27. Juni 1884 für die Theilstrecke
von Wyl bis zur Kantonsgrenze bei Münchwylen, 1015 m.
St. Gallen-Chur
96,a km Ge
ibaut 1820/76
1
Goikiu-Jona
50,4 ,
, 1834/64
Wattwyl-Grams
43,5 ,
„ 1826/62
Rappersweil- W eesen
34,5 „
„ 1835/74
St. Gallen- VVyl
32,7 „
1780/1876
W allenstadt-Sargans
14,7 ,
n 1834
St. Peterzeller-Straße
14,1 .
„ 1841/65
Wyl Botsberg
12,0 ,
„ 1834/73
St. GttUen-Lömiswyl
10,8 „
„ 1837/66
St. Gallen — 710 — St. Gotthard-Straße
Rorschach-Heiden : Bundeskonzession vom fi6. Jannar 1874 für den auf
St. Guller Gebiet gelegenen Theil der Linie, 2819 m.
Oesierr. Siaaisbahnen : Eonzession vom 1. Dez. 1869 für die Strecken:
a. von Buchs bis zar Schweiz. Grenze (Mitte Rbeinbrücke) gegen Scbaan, 1066 m ;
b, von St. Margrethen bis zur Landesgrenze (Mitte Rheinbrücke) gegen Lostenan^
1298 m; zusammen 2364 m.
Straßen.
Die Straßen sind entweder „Staatsstraßen**, 5,4 — 6,6 m breit, oder „ Ge-
meindestraßen ** , 3 — 4,2 m breit. Die Gemeindestraßen I. Klasse (Länge 450 km)
dienen zur Verbindung der Gemeinden mit den Staatsstraßen und zur Verbindung'
der Gemeinden unter sich ; diejenigen II. Klasse (Länge 200 km) dienen dem
Lokal verkehr im Innern der Gemeinden.
Das gegenwärtige Netz von Staatsstraßen^ 21 Strecken in einer Gesammt-
länge von 370 km umfassend, ist seit 1780 angelegt worden. Es erforderte eiu
Baukapital von ca. Fr. 5^700,000. Die längsten Strecken sind:
Baukosten ca. Fr. 1*700,000
, , 605,000
« , 650,000
^ „ 410,000
„ „ 490,000
, , 220,000
, „ 210,000
, . 145,000
, „ 330,000
Die übrigen 12 Straßenstrecken sind weniger als 10 km lang. lieber 130
Brücken, theils eisern, theils steinern, theils hölzern, ergänzen das Straßennetz.
11 derselben (10 über den Rhein, 1 über die Thur) sind je 120 m lang. Der
Unterhalt der Staatsstraßen und Brücken kostet jährlich ca. Fr. 300,000. (Vgl.
Bavier, „Die Straßen der Schweiz% p. 93/95; Verlag von Orell Füßli & Co.
in Zürich.) Siehe auch den Artikel „Rapperswiler Seedamm •*.
St. gallisch-appenzellische Bahn. Unter diesem Namen bestand früher
eine Bahngesellschaft, welche die Linie Winteithur-Rorschach baute und wie folgt
eröffnete: Am 14. Okt. 1855 die Strecke Winterthur-Wyl (26,925 m) ; am
25. Dez. 1855 die Strecke Wyl-Flawyl (15,142 m); am 15. Febr. 1856 Flawyl-
Winkeln (9039 m); am 25. März 1856 Winkeln-St. Gallen (6092 m) und am
25. Okt. 1856 St. Gallen-Rorschach (16,544 m). Am 1. Mai 1857 ist die
st. gallisch- appenzellische Bahn infolge Fusion in das Eigenthum der Vereinigten
Schweizerbahnen tibergegangen.
St. Gotthard-Strasse (internationale Alpenstraße), führt von Flüelen am
obern Ende des Vierwaldstättersee's als Fortsetzung der Axenstraße über Altorf^
dem Reußflusse entlang, nach Andermatt (Einmündung der Oberalpstraße aus
dem Vorderrheinthal), über Hospenthal (Einmündung der Furkastraße aus dem
Oberwallis), den St. Gotthard (Paßhöhe 2114 m ü. M.), nach Airolo, Biasca (hier
die Lukmanierstraße aufnehmend), nach Bellinzona. Ihre Länge beträgt 123,7 km, die
Fahrbahnbreite 6—7,5 m. Kosten Fr. 4^400,000. Bauperioden; 1) Das 47,8 km
lange Straßenstück auf Umer Boden wurde in den Jahren 1819 — 1830 gebaut.
Kosten Fr. 1 '700,000. 2) Die auf Tessiner Gebiet liegenden Straßenstrecken :
a. Urner Grenze bis Airolo, 18 km, Fr. rOOO,000, im Jahre 1828; 6. Airolo-
Biasca, 37,7 km, Fr. 1^100,000, im Jahrzehnt 1810/20; c. Biasca-Bellinzona,
20,2 km. Fr. 600,000, im Jahre 1810. (Vgl. Bavt'er: „Straßen der Schweiz",
Verlag von Orell Füßli & Co. in Zürich.) Bis zur Eröffnung der Gotthardbahn
St. Golthard-Straße — 711 — Schaff hausen.
im Jahre 1881 herrschte auf der Gotthardstraße ein sehr großer Personen- nnd
Waare n verkehr .
St. Laurent. Dieser mit dem schwarzen Bargnnder nah verwandte, ur-
sprünglich ans Frankreich stammende Weinstock wird seit einigen Jahrzehnten
auch in der Schweiz da und dort versuchsweise gepflanzt. Er ist sehr fruchtbar,
die Trauben sind groß und großbeerig, reifen ziemlich früh (vor dem großen
Burgunder) und liefern einen sehr dunkeln Rothwein von guter Qualität. Kr.
Sandsteine. (Vgl. den Artikel „Bausteine*", p. 182, I. Bd.) Am leichtesten
zu bearbeiten und bei angemessener Verwendung dennoch von großer Dauer-
haftigkeit sind die weichen Bemer Sandsteine von Ostermundigen, Stockem,
Bolligen, Oberburg. Aehiiliches Material liefern einige Brüche in den Kantonen
Freiburg und Schaff hausen. Mittelharte Sorten besitzen Luzern, Zug, die Gegenden
am obern Zürichsee und verschiedene Brüche im Kanton St. Gallen. Mittelhart
sind auch die aargauischen Muschelsandsteine. Ganz harte Sandsteine finden sich
bei Bühler, im Hengarten bei Herisau, bei Attalens und Vaulruz.
Sarongs. In Hinterindien gebräuchliche bunte Schärpen; worden von den
Buntwebern des Toggenburgs in den 40er und 50er Jahren aus farbigem Baum-
wollgarn zu imitiren begonnen. Waren dann bald ein Hanptexportartikel des
Toggenburgs, der während einem Jahrzehnt Tausende von Webern beschäftigte
und auch heute noch von großer Bedeutung ist.
Satin. Seidenstofl^ von ausgezeichnetem Glanz. Zuerst in Lyon und Crefeld
fabrizirt, kam er in den 70er Jahren auch in Zürich auf, reduzirte die Taffet-
weberei, nahm 1881 10,000 Handwebstühle (^/s) in Anspruch und spiele immer
noch die Hauptrolle. Zwei Hauptgattungen und viele Untergattungen. „Satin de
Chine" in den 50er und 60er Jahren sehr gewinnbringend gewesen.
Schalfhausen, Kanton. Areal 294,2 km^ = 0,7 ^/o des gesammten
Flächeninhaltes der Schweiz.
Bevölkerung : 1837 : 32,582 Einwohner -= 1,5 «/o aller Einw. der Schweiz.
1850 : 35,300 „ = 1,5 , ,
1860: 35,571 , = 1,4 „ ,
1870: 37,721 , = 1,4 , ,
1880 : 38,348 „ = 1,4 , ,
„ 1888 : 37,876 „ = 1,3 ^ ^ „ „ „
Erwerbsthätige Einwohner :
1860: 13,786 = 38,8^0 der Bev. oder 1,3^0 all. Erwerbsth. d. Schweiz.
1870 : 15,010 = 39,6 „ , , , 1,3 , „ , , „
1880: 16,351 = 42,6 „ , « , 1,2 , , , „ ,
1888 : *)
Die Zahl der erwerbsthätigen Personen vertheilt sich folgendermaßen auf
die Hauptberufsgruppen :
1860:
1870:
1880:
1888 : ^)
*) Der Raum mag später, wann die Resultate bekannt sind, von den Besitzern
des Lexikons handschrifUicb ausgefüllt werden.
Ur-
produktion
Indaatrie
Handel
Verkehr
Verwaltung,
Wissenschaften
und Kflnste
Persönliche
Dienst-
leistungen
absolut
6954
5389
541
187
572
143
7o
50,5
39,1
3,9
1,4
4,1
1,0
absolut
7151
5716
969
377
645
152
7o
47,7
38,0
6,5
2,5
4,3
1,0
absolut
8003
5945
1129
382
639
253
7o
49,0
36,3
7,0
2,3
3,9
1,5
Schaff hausen — 712 — Schaff hausen
Aus dieser Aufstellung müßte man den Schluß ziehen, daß von 1860 his
1880 eine kleine Verschiebung von der Urproduktion und der Industrie zum
Handel stattgefunden hätte. Daß der Handel sich proportional mehr entwickelt
habe, als die Urproduktion, ist mit Rücksicht auf den gesteigerten Fremden-
verkehr wohl denkbar und sehr wahrscheinlich, denn die Vermehrung des
Fremdenverkehrs rief sowohl einer Vermehrung des Kleinhandels, als auch des
Gasthofgewerbes, welches ebenfalls zum Handel klassifizirt wird; nicht wahr-
scheinlich aber ist die proportionale Verminderung der Industrie, und es ist eher
anzunehmen, daß das statistische Bild der absoluten Genauigkeit entbehre, indem
im Jahre 1860 1123 Personen, im Jahre 1870 958 Personen, im Jahre 1880
nur 133 Personen keine Berufsangaben machten.
Handel, Industrie und Kleingewerbe.
Folgende Gruppirung umfaßt diejenigen unter diese Eubrik zählenden Berufs-
arten, welchen zur Zeit der Volkszählung vom 1. Dez. 1880 5 ®/oo und mehr
aller beruflich thätigen Personen des Kantons oblagen:
■Q . <>'oo aller Bemf- ^}w> der gleichen
Berofeart tmih^de treibenden Beraftkategorie
des Kantone d. ganz. Schweiz
Eigentlicher Handel (exkl. Bank-, Agentur-,
Versicherungs-, Hotel-, Wirthschaftsgew.) 663 40,4 12
Weißnäherei 380 23,2 14
Schuhmacherei 361 22,0 12
Hotel- und Wirthschaftegewerbe .... 360 21,9 12
Maschinen- und Mühlenbau 351 21,4 36
Schneiderei 314 19,2 9
Wollindustrie 308 18,8 9
Maurerei und Gypserei 305 18,6 14
Wagnerei und Waggonfabrikation . . 263 16,1 4
Schreinerei und Glaserei 253 15,4 12
Leinenindustrie 248 15,1 23
Schmiedehandwerk 221 13,5 22
Uhrenindustrie 182 11,1 4
Zimmermannshandwerk 181 11,1 10
Metzgerei 165 10,1 19
Wascherei und Glätterei 159 9,7 11
Bäckerei 157 9,6 13
Hafnerei 154 9,4 53
Küferei 136 8,3 25
Baum Wollindustrie 127 7,7 3
Müllerei 116 7,1 15
Eisengießerei 105 6,4 41
Waffenfabrikation, Büchsenmacherei ... 92 5,6 104
Schlosserei 92 5,6 17
Strumpt'wirkerei und -Strickerei .... 91 5,6 25
Bank-, Agentur- und Versicherungswesen . 84 5,1 14
Fabriken.
Dem Schweiz. Fabrikgesetz waren im ersten Semester 1889 55 Etablisse-
ments mit 2723 Arbeitern und über 1500 Pferdekräften unterstellt. Sie ver-
theilen sich auf folgende Ortschaften :
Schaffhausen
- 713
Schaffhansen .
. 39
Etabl.
1760
Arb.
932
Nenbausen
5
n
655
n
438?
Stein . . .
5
w
151
»
12?
Scbleitheim
2
T»
56
1»
35
Thayngen .
2
fl
16
n
18
Höfen . . ,
1
H
75
1»
62
Neunkirch . ,
1
n
10
VI
4
Schaffhausen
Pf. (W. 661 D. 269 Gas 2)
(
(
(
(
(
(
435
4
35)
8
12
3)
8)
10)
50)
4)
55 Etabl. 2723 Arb. 1501?Pf. (W. 1155 D. 344 Gas 2)
Die Fabriken in Schaff hausen sind:
Arb.
2 Kammgarnspinnereien . .524
1 Gußstablfabrik . . . .194
3 Maschinenfabriken . . .172
1 Maschinen- u. Waffenfabrik 34
1 Uhrenfabrik 98
78
Baumwollspinnerei .
Thür- u. Fensterbeschläge-
fabrik 60
Kinderwagenfabrik . . 55
Möbelnagelfabrik ... 50
1 Baugeschäft 45
1 Silberwaarenfabrik ... 43
1 Pillenfabrik . . . . . 41
1 Gießerei 38
1 Strickmaschinenfabrik .
Spielkarten- u. Billetfabrik
Verbandstofffabrik .
In Neuhausen:
Waggonfabrik ....
Waffenfabrik ....
Thonwaarenfabrik .
In Stein :
Schuhwaarenfabrik
ührenschalenfabrik
Stickerei 23
In Schleüheim:
Hanf- und Flachsspinnerei
In Thayngen :
Schläuchefabrik
In Höfen:
Ziegelei
Pf. Arb.
480 3 Buühdruckereien . . . 25
30 1 Instrumentenfabrik . . 24
78 1 Maßstäbefabrik .... 20
6 1 Etuisfabrik 19
6 1 Elastiquefabrik .... 18
65 2 Mühlen 17
1 Mühlen bau werkstätte . . 14
1 Schreinerei 12
1
1
1
1
1
1
1
1
38
37
28
362
117
82
56
52
8
4
8
12
4
3
5
4
20
100
?
35
1 mechanische Werkstätte . 11
1 Teigwaarenfabrik ... 11
1 Wollencarderie . . . . 11
1 Zeicbnungswerkzeuggeschäft 10
1 Wattenfabrik .... 7
1 Sesselfabrik 7
1 Sägerei 7
1 Blei weiß- u. Farbenfabrik 7
1 Bierbrauerei 5
1 Wirkwaarenfabrik . . . 79
1 Aluminiumfabrik ... 15
1 Graveur- und Guillocheur-
geschäft 13
1 Teigwaarenfabrik ... 7
46 30 I 1 Leinen Weberei
10
9 14
1'-
1 ftoßhaarfabrik .
In Neunkirch :
5 62 I 1 mechanische Werkstätte
I
10
Pf.
2
3
2
2
3
80
6
5
1
5
7
6
8
6
36
22
5
3
300
Industriegeschichtliches.
(Mitgetheilt von Herrn Dr. Carl Henking in Schaffhausen.)
Die ausgedehnte und durch die Mannigfaltigkeit ihrer Produkte auegezeichnete
Industrie, durch welche Schaffhausen an die Seite der gewerbsthätigsten Plätze
der Schweiz tritt, hat im Wesentlichen ihren Ursprung erst in den 60er Jahren
unseres Jahrhunderts. Noch 1853 konnte der Verfasser zweier beachtenswerther
Schriftchen über die „Auswanderung im Kanton Schaff hausen, ihre Ursachen und
Schaff hausen — 714 — Schaff hausen
Gegenmittel" and „Armuth und Yolkswirthschaft im Kanton Schaffhausen*' das
allerdings etwas zu scharfe Urtheil aussprechen : ^Eine Quelle materiellen Wohl-
hefindens ist dem Schaff hauser Volke verschlossen, die Quelle Industrie und
Gewerhsthätigkeit** .
Die Landschaft Schaffhansen hatte his in unser Jahrhundert hinein und
größtentheils bis auf den heutigen Tag als fast einzige Ernährungsquelle ihrer
Bevölkerung den Ackerbau, und zwar den in jüngster 2ieit durch die fremde
Einfuhr sehr geschädigten und deswegen zurückgegangenen Getreidebau, und den
seit vielen Jahrhunderten blühenden Weinbau. Die Stadt Schaffhausen aber trieb
ausgedehnten Handel. Schon vor der Gründung des Klosters Allerheiligen in
der Mitte des 11. Jahrhunderts war sie ein ansehnlicher Flecken, für den sein
Besitzer, Graf Eberhard von Nellenburg, 1045 das Münzrecht erhielt. Dem
Umstand, daß der Rhein vom Bodensee her bis zu diener Stelle schiffbar ist,
verdankte die Ortschaft Entstehung und Namen, dem Kloster ihr schnelles Auf-
blühen. Doch löste sich die Stadt ziemlich rasch von der Herrschaft des Klosters
los und erwarb sich nach verschiedenen Wechselfällen die Stellung einer freien
Reichsstadt. Vor Allem der Handel mit Wein und Getreide, den Hauptprodukte.n
der umliegenden fruchtbaren Landschaft, und mit aus Deutschland auf uralten
Straßen, die hier den Rheiu berührten, eingeführtem Getreide und Salz bildete
bis in unser Jahrhundert hinein eine wichtige Ernährungsquelle der Bevölkerung;
sowohl rheinaufwärts zum Bodensee, als rheinabwärts vom Rheinfall bis Basel
führten die gewandten Schaflfhauser Schiffer ihre schwer beladenen Fahrzeuge.
In ganz ähnlichen Verhältnissen wie Schaff hausen lebte das erst im Jahre 1803
durch die Vermittlungsakte dem Kanton Schaff hausen zugetheilte Städtchen
Stein a. Rh., das ebenfalls erst in jüngster Zeit mit Rührigkeit und Umsicht
begonnen hat, verschiedene Industriezweige bei sich einzubürgern.
Das älteste Gewerbe, welches sich am Rhein ansiedelte, ist die Müllerei.
Schon zu den frühesten Schenkungen an das Kloster gehören zwei Mühlen zu
Schaff hausen und eine zu Neuhausen. Schließlich ist das Kloster im Besitz von
vier Mühlen, einer Walch, von Schleifen, einer Papier- und einer Pulvermühle,
sowie einer Mühle für Wollweber. Noch im 14. Jahrhundert behauptete das
Kloster das Privilegium, daß die Pfarrgenössigen von Schaffhausen nur in des
Klosters Mühlen mahlen lassen durften. Schon in der Mitte des 13. Jahrhunderts
werden „diu fülli** erwähnt. Dämme zur Regelung des Rheinlaufes, wohl auch
zur Verwendung eines kleinen Theils der bedeutenden Wasserkraft des Rheins zu
gewerblichen Zwecken. Noch heute bezeichnet man mit dem Namen ^.Füllenen**
zwei große, in sehr alte Zeit zurückgehende und erst durch die neuen Wasser-
werke in ihrer Verwendung veränderte Wehrdämme, vom rechten Ufer in den
Rhein hinein gezogen. Sie leiteten einen Theil des Rhein wassers auf die Mühlen
und andere industrielle Unternehmungen.
Nach dem Muster von Zürich wurde auch in Schaflfhausen das bürgerliche
Gewerbe zunftmäßig organisirt. Vor Allem die Gerberei, für welche, wie für
das Miihlenge werbe, im Flußwasser des Rheins eine vorzügliche Lebensbedingung
geschaffen war, gelangte frühzeitig zu einer großen Entwicklung, während die
Weberei in Schaff hausen nie eine bedeutende Rolle spielte und voraussichtlich
niemals dem eigenen Bedarf der Stadt und ihres Gebietes zu genügen vermochte.
Vom Jahre 1387 ist ein in verschiedener Beziehung erwähnenswerther Vertrag
erhalten, abgeschlossen zwischen acht Meistern und zwölf Knechten des „Hand-
werks der Weber, Leinens, Wollens und Wollenschlagens**, der unter anderm
die Unterstützung erkrankter Angehöriger des Gewerbes regelte. Auf dem Lande
Schaff haiisen — 715 — Schaff hausen
wurde schon frühzeitig Leinwand gewoben; doch zog die Stadt vollständig
das Monopol an sich, indem es den Landlent«n verboten war, „ihr selbstmachendea
Tuoh und Zwilchen in den Dörfern selber zu verkaufen".
Im Reformationszeitalter blühten auch in Schaffhausen die Gewerbe, vor-
nehmlich das Kunstgewerbe. Schaffhausen hatte eine Reihe hervorragender
Künstler hervorgebracht; einige seither verschwundene Kunstgewerbe waren hier
heimisch. Die Glasmalerei des 16. und 17. Jahrhunderts ist durch nicht
weniger als 50 Schaffhauser vertreten, von denen einige zu den hervorragendsten
Meistern der Kunst gehörten. Von Anfang de« 14. Jahrhunderts schon bis in
unser Jahrhundert hinein erhielt sich, in Verbindung mit dem Gewerbe der
Kupferschmiede, die Glockengießerei. Schaffhauser Glocken finden sich viel-
fach in der Schweiz und im südlichen Deutschland ; bis über den Gotthard trieben
die Schaffhauser Gießer ihre Geschäfte. Hier darf wohl auch erwähnt werden,
daß der Schaffhauser Habrechi in den Jahren 1572 — 1574 die berühmte Uhr
des Straßburger Münsters verfertigte, welche bis zum Tode des letzten Habrecht
1732) von den Nachkommen des Erbauers in Stand gehalten wurde.
Was verschiedenen Schweizer Städten zu einer mächtigen Förderung dea
Gewerbes, zur Einführung neuer Industriezweige verhelfen hat, die Einwanderung
französischer Hugenotten zur Zeit Lndwig^s XIV., hat für Sohaffhausen einen
kaum merklichen Einfluß ausgeübt. Es ist dies um so auffallender, als Schaff-
hausen sich an der hochherzigen Unterstützung, welche die evangelischen Städte
der Schweiz den verfolgten Glaubensgenossen zu Theil werden ließen, in ganz
hervorragender Weise betheiligte. Der Versuch verschiedener hieher Einge-
wanderter, sich industriell zu bethätigen, scheint größten theils an der abweisendea
Engherzigkeit und dem Brodneid der Schaffhauser Gewerbetreibenden gescheitert
zu sein. Am 1. Oktober 1686 wurde laut Rathsprotokoll der französische Exulant
Frert mit seinem Gesuche um die Nieder la«>8ung und die Erlaubniß zum Zwirnen
und Färben von ^aden vom Rathe „gänzlich ab- und zur Ruhe gewiesen **. Einem
anderen, offenbar sehr unternehmenden Franzosen, Aureillon, der nacheinander
die Fabrikation von Hüten, wollenen und seidenen Strumpfen und die Färberei
zu betreiben versuchte, wurde auf die Klagen der Kaufleute, Hutmacher und
Färber Schaffhausens befohlen, seine Werkstatt zu schließen und die Färberei
einzustellen. Ein dritter, Moyse Bastier, der seit einiger Zeit in dem Schaff-
hausen gegenüberliegenden Feuerthalen die Fabrikation von spanischem Wachs
und Handschuhen betrieb, durfte das genannte Gewerbe auch in Neuhausen ein-
führen, aber unter sehr einschränkenden Bedingungen. Glücklicher scheint ein
vierter gewesen zu sein, den wir noch 1727 mit einem Schaffhauser zur Fabri-
kation von floretseidenen Strümpfen associrt linden. Ob die nicht unbedeutende
Schaffhauser Strumpffabrikation, die im vorigen und noch zu Anfang
unseres Jahrhunderts vor Allem rothgefärbte Waare in's Schwabeuland ausführte,
auf die Thätigkeit von Hugenotten zurückzuführen ist, vermag ich nicht nach-
zuweisen.
In den Anfang unseres Jahrhunderts fällt das Aufkommen zweier industrieller
Unternehmungen, durch welche Schaffhausen in weitern Kreisen bekannt wurde^
des Eisenwerkes Laufen und der Fischer'schen Gußstahl fabrikation.
Nachdem seit dem 16. Jahrhundert am Rheinfall neben- und nacheinander Eisen-
Bchmieden, Schleifen, Kupferhämmer, Nagel- und Pfannenschraieden, Eisendraht-
fabrikation, Farbholzschneiderei, Tabakfabrikation u. a., aber ohne dauernden
Erfolg, versucht worden waren, wurde 1705 eine Eisenschmelzerei ein-
gerichtet, die ihr Erz aus dem benachbarten Laufenberg und den Waldungen
Schaffhausen — 716 — Scbaffhausen
von Neunkirch bezog. Aber gegen Ende des vorigen Jahrhunderts wurde der
Betrieb des Hochofens wieder vollständig eingestellt; das Eisenwerk war in
gänzlichen Verfall gerathen, als es 1809 in den Besitz der Gebrüder Neher
überging, welche 1^10 den Hochofen wieder in Betrieb setzten und mit der
Regierung einen Vertrag Über die Erzlieferung schlössen. Das Geschäft kam vor
Allem durch seine Gußwaaren zu industriellen Zwecken in Aufschwung, fugte
ein Walzwerk bei und bemühte sich mit Erfolg, mit ähnlichen Werken konkur-
riren zu können. Namentlich war sein Holzkohleneisen als Schmiedeisen weit
herum berühmt. Es beschäftigte zu Ende der 30er Jahre gegen 200 Personen;
der vom Staate durch einen Administrator betriebene Bergbau gab 60 Berg-
leuten unter einem ^Grubenvogte** lohnende Arbeit. Das Erz selbst fand sich
in Bohnerznestern vor; es lieferte bis 35 ®/o Eisen; jährlich wurden 8—10,000
Kübel Erz im Werthe von 20—30,000 Gulden zu Tage gefördert. Aber die
gesteigerten Holz- und Eohlenpreise und die Zähigkeit, mit welcher der Staat
an den Preisen des Erzes festhielt, bewirkten, daß 1850 der Hochofen für immer
außer Betrieb gesetzt und nur noch das Eisen des ebenfalls der Familie Neher
gehörenden Hochofens in Plöns bei Mels verarbeitet wurde. Damit war
<lenn auch die Gewinnung von Eisenerz auf Schaffhauser Boden vollständig auf-
gegeben worden. Die drückende auswärtige Konkurrenz beeinträchtigte später
auch die Eisenindustrie am Laufen, so daß gegenwärtig die Ersetzung derselben
durch eine andere Metallindustrie (Aluminium) versucht wird. Dem Streben,
die fast unvergleichlich starke Wasserkraft des Rheinsturzes ausgibig für den
Gewerbefleiß dienstbar zu machen, steht das wohlberechtigte Streben, die Schön-
heit dieses großartigen Naturschauspiels unentstellt zu erhalten, feindselig gegen-
über. Ob eine glückliche Lösung zwischen diesen einander widerstrebenden
Tendenzen gefunden werden kann, bleibt der nächsten Zukunft vorbehalten.
Da vorstehend der Bergbau berührt wurde, darf hier die Gewinnung und
Verarbeitung von Gyps nicht unerwähnt bleiben. Noch Ende der 30er Jahre
wurde in Schieitheim, Beggingen und ünterhallau Gyps gegraben nnd damit
etwa 400 Arbeiter beschäftigt. Von Schaffhausen wurden damals gegen 20,000
Fässer gemahlener Gyps nach Süddeutschland ausgeführt, während die Ausfuhr
für Südwestdeutschland direkt von Sehleitheim ausging. Die später bedeutend
verminderte Gypsindustrie hat sich in jüngster Zeit wieder neu belebt, aber auf
Sclileitheim, das den besten und dichtesten Gyps besitzt, beschränkt und vor-
nehmlich auf gemahlenen Gyps für landwirthschaftliche Zwecke geworfen, während
Bau- und Stukkaturgyps zurückgingen.
Die größte Berühmtheit erlangte in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts
das jetzt noch blühende Fischer'sche Eisenwerk im Mühlenthal bei Schaff-
hausen. In der Familie Fischer hatte sich die Beschäftigung mit Metallarbeit
Jahrhunderte laug erblich erhalten. Der Kupferschmied Johann Konrad Fischer
konstruirte in der Mitte des vorigen Jahrhunderts Feuerspritzen mit doppeltem
Strahl, die wiederholt die höchste Anerkennung von Behörden erhielten und von
denen zwei noch heute im Kanton Schaffhausen benutzt werden. Zu Anfang dieses
Jahrhunderts erwarb sich Oberst Fischer das Heimwesen im Mühlenthal, welches
früher als Tabakfabrik verwendet worden war, und gab sich nun seiner Lieblings-
beschäftigung hin, Proben guten Stahls herzustellen, und zwar mit solchem Erfolg,
daß er das bisher nur von den Engländern gekannte Geheimniß der Herstellung
von Meteorstahl selbstständig erfand. Da dies in die Zeit der Kontinentalsperre
fiel und englischer Stahl deswegen nicht nach dem Kontinente kommen konnte,
so hätte diese Erfindung in großartiger Weise ausgebeutet werden können; Fischer
SchafThausen — 717 — Schaff hausen
aber begnügte sich mit der Freude über das Grelingen nnd der ihm gespendeten
Ehre; ohne an eine materielle Aasbentung in größerem Maßstabe za denken.
Daß aber seine Erfindung großes Aufsehen machte, beweist der persönliche Be-
such Kaiser Alexanders I. von Rußland im Mühlenthal, der sich von dem genialen
Manne in seinem Geschäfte herumführen ließ und ihn mit einem prachtvollen
Diamantringe beschenkte.
Fünf Söhne Fischer's widmeten sich ebenfalls der Metallindustrie und wurden
die Begründer noch jetzt blühender Etablissements in Oesterreich, zu Hainfeld
(Gußstahl und Feilen) und Traisen (Weichguß) bei Wien, femer zu Salzburg.
Mit dem zunehmenden Alter des Oberst Fischer war das Schaffhauser Ge-
schäft zurückgegangen; der einst so gesuchte ^ Fischerstahl ** fand keine Abnehmer
mehr. In dieser schwierigen Lage übernahm der 22jährige Enkel nach dem Tode
des Großvaters das Geschäft. Der 1887 verstorbene G^org Fischer brachte es
durch eisernen Fleiß und unermüdliche Umsicht allmälig wieder in die Höhe.
Neben Gußstahl begann er die Feilen fabrikation. Von 15 Arbeitern im
Jahre 1863 stieg es bis zum Tode Fischer's auf 170. Fischer selbst war ihr
Lehrmeister. Da die ursprünglichen Erzeugnisse, Gußstahl und Feilen, wegen der
deutschen Konkurrenz sich immer weniger lohnten, ging das Geschäft schließlich
auf den Weichguß über. Neben Maschinenbestandtheilen, Instrumenten und Hand-
werkszeug aller Art werden vor Allem Verbindungsstücke für Röhrenleitungen
in vorzüglicher Qualität geliefert. Das Geschäft ist noch heute in voller Blüthe.
Unbedeutend und nur für die Bedürfnisse der nächsten Umgegend arbeitend
war früher die Ziegel- und Kalkbrennerei, bis im Jahre 1828 der unter-
nehmende Jakob Ziegler-Pellis von Winterthur die städtische Ziegel brennerei
erwarb. Aus ihr entwickelte sich die rasch zu wohlverdientem Rufe gelangende
Ziegler'sche Thonwaarenfabrik in Schaft'hausen, indem bald die Fabrikation
von chemischen Gefäßen und Kochgeschirr eingeführt wurde. Neu in der Schweiz
war vor Allem die Herstellung von unter Druck gepreßten und inwendig glasirten
Röhren. Die rasche Ausdehnung des Geschäftes machte die Erwerbung von Wasser-
kräften uothwendig, die durch die Anlegung eines Kanals und durch die Durch-
stechung des sog. Rheinfelsens auf dem linken Rheinufer in so reichlichem Maße
gewonnen wurden, daß Ziegler zu deren Verwendung zeitweise eine mechanische
Weberei, eine Oelmühle mit hydraulischen Pressen, eine Fourniersäge, eine
Kundenmühle, eine Bleistiftfabrik und eine Pulvermühle einrichtete; doch gingen
die meisten dieser Unternehmungen nicht über das Versuchsstadium hinaus. Um
so erfreulicher entwickelte sich die Geschirr fabrikation. Das Schaff hauser
Geschirr erfreut sich bis auf den heutigen Tag eines wegen seiner Dauerhaftigkeit,
Feuerfestigkeit und Billigkeit wohlerworbenen Rufes. Auch die übrigen Fabrikate:
Röhren, Falzziegel, architektonische Verzierungen, Vasen, Büsten, Gruppen in
Terracotta u. s. w., erwarben sich die Anerkennung weitester Kreise und Aus-
zeichnungen auf zahlreichen Welt- und Industrieausstellungen. Gegenwärtig sind
einzelne Zweige aufgegeben, dafür ist aber in sehr ausgedehntem Maße und mit
rühmlichstem Erfolge die Fabrikation von feinem Tafelgeschirr in Stein-
gut aufgenommen worden. Das bedeutende Geschäft befindet sich noch heute ir>
den Händen der Enkel des Begründers.
Von den übrigen Ziegeleien des Kantons hat sich eine Ziegelhütte zu Höfen
ebenfalls zu einer ausgedehnten Thonwaarenfabrik, gegenwärtig vor Allem in
Thonröhren und Falzziegeln, emporgeschwungen.
Ueber die Ausdehnung des Gewerbes zu Ende der 30er Jahre gibt der
12. Band der Gemälde der Schweiz (Der Kanton Schaff hausen, von Im Thurn)
Schaffhausen ' — 718 — Schaff hausen
«in Verzeichniß, nach welchem im Kanton vorhanden waren: 38 Getreidemühlen,
14 Sägemühlen, 22 Hanfreiben, 3 SchleitmUhlen, 6 Lohmühlen und 2 Walken,
21 Oelmühlen, 8 Bierbrauereien. Schon damals war die Weißgerberei sehr
heruntergekommen und auch die Rothgerberei genügte dem Bedarf nicht mehr.
Dagegen blühte die Färberei. Vom Textilgewerbe wird eine mechaniöche
Baumwollspinnerei mit über 100 Arbeitern und eine Eattundruckerei mit 160
Arbeitern, beide in der Stadt, erwähnt. Dagegen vermochte sich die Wollen-
tuchfabrikation nur vorübergehend gegen die deutsche Konkurrenz zu behaupten.
Auf dem Lande war noch die jetzt vollständig eingegangene Lein wand weberei
als Hausindustrie heimisch ; das kleine Dorf Barzheim hatte beispielsweise allein
über zwanzig Leinwandweber. Nennenswerth war auch die Seifen- und Kerzen-
fabrikation.
Im Winter 1829/30 waren zur Gewinnung neuer Wasserkräfte die seit
alter Zeit bestehenden „Füllenen'', Wehrdämme im Rhein, bedeutend verlängert
worden. In den 40er Jahren erfolgten die ersten Versuche zur Hebung der
Industrie durch gemeinsames Vorgehen der Interessenten. 1844 bildete sich als
Abtheilung des schweizerischen Gewerbevereins ein Gewerbeverein Schaff-
hausen zur „Entwicklung und Förderung von Handel und Gewerbe, sowohl auf
dem allgemein schweizerischen, als dem besondern kantonalen Gebiete, Ausdehnung
und Vervollkommnung der bestehenden und Einführung neuer Industriezweige,
welche sich für den Kanton eignen". An Stelle dieses bald wieder eingehenden
Vereins entstand 1846 ein „technischer Verein**, aus welchem sich im folgenden
Jahre ein neuer, lebensfähigerer Gewerbeverein entwickelte, der 1848 eine Ge-
werbesonntagsschule einrichtete und die in der Schweiz lebhaft behandelte Frage
über Einführung von Schutzzöllen mit Eifer aufnahm ; an der damals betriebenen
Unterschrifteuhammlung betheiligte sich Schaffhausen mit der großen Zahl von
2278 Unterschriften.
Zu den Zwecken des Vereins gehörte auch die Abhaltung von Industrie-
ausstellungen. Die erste, welche sämmtliche Handwerks- und Gewerbs-
erzeugnisse des Kantons vor Augen fuhren sollte, fand vom 5. Augist bis
2. September 1850 statt. Sie war, wenn auch bescheiden, von Staat und Stadt
Schaffhausen unterbtützt und hatte guten Erfolg. Von den ausgestellten Gegen-
ständen wurde etwa die Hälfte direkt oder in die mit ier Ausstellung verbundene
Verloosung angekauft. 157 Aussteller, darunter 133 aus der Stadt Schaffhau^«en,
hatten etwa 1200 Erzeugnisse von 67 Gewerbszweigen ausgestellt. Der Katalog
gibt ein deutliches Bild des damaligen Standes der Schaffhauser Industrie. Be-
nierkensweith ist, daß von Löhningen und Schaffhausen Seidencocons, Rohseide
und schon verarbeitete, im Lande selbst erzeugte Seide ausgestellt waren. Wie
andei*swo, hoffte man eine Zeit lang auch hier, die Seide nkultur einführen
zu können, aber, wie überall nördlich der Alpen, schließlich mit negativem Erlolg.
Auch andere damals versuchte Industriezweige sind bald wieder eingegangen
oder erst später unter günstigeren Voraussetzungen erfolgreich betrieben worden.
Immerhin zeigt es sich, daß man im Stadium eines lebhaften Versuchens und
Wagens angekommen war. Von neuen Industriezweigen, deren Einführung bei
der Prämirung besonders berücksichtigt wurde, werden genannt ; Stahlfabrikation,
Drahtzieherei, Drahtstiftfabrikation, Möbelnägel- und Werkzeugfabrikation, Musik-
instrument^nfabrikation, feinere Mechanik, Maschinen-, Uhrgehäuse-, Schmelztigel-,
Thonwaarenfabrikatiou, Porzellanmalerei, Herstellung technischer und chemischer
Produkte, mechanische Zwirnerei, Baumwollen- und Seidenweberei, Baumwollen-
wattelabrikation, Wollenspinnerei, Tricoterie, Litzenfabrikation, Schlauch weher ei.
Schaff hausen — 719 — • Schaff hausen
künstliche Blumenfabrikation, Fourniersägerei, Tabak- und Cigarrenfabrikation.
Der Berichterstatter der Ausstellung konnte mit den Worten schließen, daß die
Industrie in Schaffhausen zwar noch darniederliege, aber im Werden und rascher
Entwicklung begriffen sei. Größere Etablissements, welche viele Hände beschäftigten
und fabrikmäßig betrieben wurden, waren vertreten in Eisengießerei, Mec)^anik,
Thonwaarenfabrikation, in der Textilindustrie und der Tabak- und Cigarren-
fabrikation. Die noch zu Ende der 30er Jahre ansehnliche Leinwandweberei des
Landes ist vollständig verschwunden und nicht durch einen einzigen Aussteller
vertreten. Erst später siedelte sich dieses Gewerbe, nun fabrikmäßig betrieben,
wieder in Schieitheim an, wo heute eine mechanische Leinenspinnerei und
-Weberei auch für den Export erfolgreich arbeitet.
Aber ein Faktor zur Uebung der industriellen Verhältnisse war bisher
immer nur in bescheidenem Maßstabe verwendet worden: die vorzügliche be-
wegende Kraft, die der Ehein zu leisten vermochte, die in andern Schweizer
Städten wahrscheinlich schon längst zur Ausbeutung gelangt wäre. Der Mann,
dessen Bürgersinu und Thatkraft Schaffhausen die wohlgelungene Durchführung
seiner berühmten Wasserwerke zu verdanken hat, war Heinrich Moser auf
Charlottenfels bei Schaffhansen, dessen Name auch in der Geschichte der Schweiz.
Uhrenindustrie genannt zu werden verdient. Aus bescheidenen Verhältnissen empor-
strebend, hatte er als Jüngling sich nach Locle begeben und sich dort durch
bewunderungswürdigen Fleiß in seinem Beruf, der XJhrenmacherei, zur höchsten
Vervollkommnung emporgearbeitet. Später gelang es ihm, durch eiserne Ausdauer
und unermüdlichen Kifer in Petersburg ein blühendes Geschäft zu begründen und
schließlich mit bcinen Uhren den gesammten russischen Markt unbestritten zu
beherrschen. Schon damals gedachte er, die Uhrenmacherei nach seiner Vaterstadt
zu ziehen und Schaffhausen zum Mittelpunkt seiner russischen Unternehmungen
zu machen, wie er es dann später für Locle that; aber viele Hindernisse ver-
eitelten zu seinem größten Schmerze diesen Plan. Seitdem Moser, zu fürstlichem
Reichthume gelangt, in seine Heimat zurückgekehrt war (1848), richtete er seine
Thätigkeit zur Hebung der Schaffhauser Industrie vornehmlich auf zwei Punkte :
1) Ausgiebigere Benutzung der Wasserkräfte des Bheins; 2) Heranziehung tüchtiger
einheimischer und auswärtiger Industriellen, um diese Kräfte zum eigenen und
allgemeinen Nutzen und zum Wohl der Vaterstadt zu verwerthen. Schon 1850/51
ließ er mit großen Kosten einen neuen Kanal am Rheine herstellen, in welchen
er die erste, noch heute thätige Turbine mit 80 Pferdekräften setzte. Schon
dieses Werk ermöglichte die Einrichtung einer großen Säge, Wagnerei, Schlosserei,
mechanischen Werkstätte, einer Drahtzug- und Stiftenfabrik, einer mechanischen
Zwirnerei und Wattenfabrik und vor Allem der bald in glänzender Weise sich
ausdehnenden mechanischen Werkstätte für Herstellung landwirthschaft-
licher Maschinen der Gebrüder Eauschenbach, die zu einem der ersten
Etablissements dieser Art in Deutschland und der Schweiz sich emporschwang.
Auch die Uhrenschalenmacherei wurde durch Moser in Schaffhausen ein-
geführt. Sie hat sich bis heute erhalten und auch auf Stein a. Eh. übertragen.
Auch für die Hebung des Verkehrs durch bessere Verbindungswege war
Moser besorgt. An der Einführung der Dampf schiff fahrt auf dem Rhein
und dem Zustandekommen der Rheinfallbahn Schaff hausen- Win terthur hat er einen
hervorragenden Antheil, wenn auch der letztere Bau in seiner Ausführung nicht
ganz seinen Wünschen entsprach. Auf seine Initiative erfolgte die Gründung der
schweizerischen Waggonfabrik zu Neuhausen, welche sich später zu einem
Aktieuunter nehmen ausbaute und durch die Einführung der Gewehrfabri-
Schaff hausen — 720 — Schaff hausen
kation bedeutend erweiterte. Als „schweizerische Industriegesellschaft Neu-
hausen ** erfreut sie sich noch heute eines wohlverdienten Rufes. Bei allen diesen
Unternehmungen erwarb sich Moser das Verdienst der durchgreifenden, von großen
Geldmitteln unterstützten Energie in der Ausführung.
Im Winter 1857/58 trat ein so niedriger Wasserstand des Rheins ein, daß
ein schon früher zeitweise hervortretender üebelstand der bisherigen Waaeer-
anlagen sich bis zur Unerträglichkeit steigerte: der Betrieb der Etablissements
mußte wegen mangelnder Wasserzufuhr eingestellt werden. Die Besitzer be-
stürmten nun den Stadtratb, geeignete Maßnahmen zu treffen, damit den bis-
herigen Kanälen mehr Wasser zufließe. Sofort kam nun der Gedanke anf, nicht
bloß die bisherigen Anlagen in ihrem Bestände zu sichern, sondern gleichzeitig
durch Neuanlage neu zu verwendende bewegende Kraft zu erlangen. Nach ver-
schiedenen Verzögerungen gelang es, Moser für die Angelegenheit ganz zu ge-
winnen, und mit der ihm eigenen, durch Hindernisse nur gesteigerten Energie
übernahm er die Ausführung des großartigen Werkes. Durch einen gewaltigen
Wehrdamm quer über den ganzen Rhein wurde das Wasser gestaut und gleich*
zeitig der am linken Ufer errichteten Turbinenanlage zugeführt. Moser selbst
gründete die Wasserwerkgesellschaft als Aktienunternehmen und ver-
pflichtete sich der Stadt SchafFhausen gegenüber vertraglich, ein Werk herzu-
stellen, welches nicht bloß die frühern Geschäfte mit einer beständigen bewegenden
Kraft versehen, sondern 500 neue Pferdekräfte zur Verwerthung liefern sollte.
Unter den größten Schwierigkeiten, bei der eingreifendsten persönlichen Thätigkeit
Moser's, wurde dieses Werk in den Jahren 1863—1866 zu Ende geführt. Im
April 1866 konnte es als vollendet gelten; im folgenden Jahre wurde die erste
Turbine mit etwa 200 Pferdekräften eingestellt and in Betrieb gesetzt. Die Kraft
wurde vom linken Ufer zum rechten hinüber und von diesem rheinaufwärts durch
Drahtseiltransmission geleitet und dann vermittelst Kombination von Drahtseil-
und Wellentransmission in die schon vorhandenen und neu entstehenden indu-
striellen Betriebe vertheilt. Außer Moser, dessen Verdienste nun endlich von
Seite seiner Mitbürger die gebührende Anerkennung fanden, war das Gelingen des
Werkes vor Allem dem Ingenieur der bekannten M aschinen werkstätte J. J. Rieter
in Winterthur, D. H. Zieglerj zu verdanken, dem die durchaus gelungene Anlage
dieser damals großartigsten Drahtseiltransmission im folgenden Jahre 1867 die
goldene Medaille der Pariser Weltausstellung eintrug.
Hand in Hand mit der Erstellung der Wasserwerke ging die Erbauung
eines Indutitriegebäudes durch Moser, damit die nach Schafl'bausen zu ziehende
Industrie passende Räumlichkeiten vorfinde. Auch für gesunde und billige
Arbeiterwohnungen wurde frühzeitig gesorgt. Bei dieser umsichtigen Für-
sorge, bei der vorzüglichen und zu sehr billigen Preisen gelieferten bewegenden
Kraft und bei der leichten Verbindung durch die schweizerische Nordostbahn und
die badische Bahn ging die Hoffnung auf rasche Hebung des industriellen Lebens
vollständig in Erfüllung. Nicht bloß hatten die frühern Anlagen ihre Wasser-
kräfte vermehrt und vom jeweiligen Wasserstande des Rheins sich unabhängig
gemacht, sondern es waren auch statt der versprochenen 500 neuen Pferdekräfte
etwa 750 gewonnen, nachdem allmälig drei Turbinen eingesetzt worden waren.
Schon 1876, nach bloß zehnjährigem Bestände, konnte die Wasserwerkgesellschaft
sagen, daß sie alle verfügbare Kraft vergeben habe. Bei dem glänzenden Auf-
schwung der Industrie in diesem Zeitraum und bei dem Umstände, daß die
Gesellschaft noch über geeignete Bauplätze zur Herstellung neuer industrieller
Anlagen verfügte, mußte die Frage, ob die Gesellschaft ihre Aufgabe als erfüllt
Schaff hausen — 721 — Schaff hausen
betrachten oder auf neue Vermehrung der Wasserkräfte bedacht sein solle, in
letzterem Sinne sich lösen. Gegenwärtig (1888) werden die Werke, die nach
ihrer Vollendung an Großartigkeit der Anlage in weitestem Umkreise einzigartig
dastehen werden, in der Weise erweitert, daß durch Einsetzung von fünf neuen
Turbinen zu den alten noch 1500 frische Pferdekräfte zur Verfügung stehen
sollen. Rühmenswerth darf vor Allem hervorgehoben werden, daß das Aktieu-
unternehmen bis zum heutigen Tage seiner Aufgabe, billige Kraft zu liefern,
unwandelbar nachgekommen ist und niemals daran gedacht hat, seinen Antheil-
habern einen hohen Gewinn zu verschaffen. In einzelnen Jahren verzichteten die
Aktionäre auf jeden Gewinn; in den übrigen schwankt die Rendite meistens
zwischen 3 und 4 ^/o und hat die letzteiii nie überschritten.
Sehen wir zu, welchen Industrien diese reichliche Wasserkraft zu gute
gekommen ist. Zunächst konnte einer Reihe von Handwerkern und Kleingewerbe-
treibenden, die bisher ausRchließlich auf Handarbeit angewiesen waren, die nQthige
Kraft, meistens wenige Pferde, zur Ausdehnung des Betriebes geliefert werden»
so Waffenschmieden, Schlossern, Kleinmechanikern, Schreinern, Glasern, Drechslern,
Schleifern, Mühlenmachern, Hafnern u. s. w. Von größern industriellen Unter-
nehmungen, die entweder ganz neu herangezogen wurden oder eine wesentliche
Ausdehnung ihres Betriebes erlangten, ist in erster Linie die kürzlich in eine
Aktiengesellschaft umgewandelte SchöUer'sche Kammgarnspinnerei zu nennen,
ein Etablissement, welches, im Anfangsjahre 1867 mit 50 Pferdekräften betrieben,
schon lö73 nicht weniger als 266 Pferde verwendete und gegenwärtig nicht
bloß annähernd 300 Kräfte vom Wasserwerk bezieht, sondern gleichzeitig Dampf-
betrieb eingeführt hat. Nach neuesten Verträgen soll die Wasserwerkgesellschaft
nach Beendigung ihrer Neuanlagen der Kammgarnspinnerei eine konstaute Kraft
von 600 Pferden liefern. Das genannte Etablissement steht in Bezug auf Vor-
trefflichkeit der Einrichtungen und Leitung, sowie auf vorzügliche Qualität seiner
Produkte, Kammgarn in den feinsten Gespinnstnummern, unübertroffen da.
Dazu kamen eine Kamm Wollspinnerei und -Zwirnerei, eine WoUenspinnerei,
eine mechanische Baumwollzwirnerei und -Bleicherei, eine durch die ausgezeichnete
Qualität ihrer Produkte bekannte Tricotfabrik mit Bleicherei, Appretur und Kon-
fektion, eine Wattenfabrik, die internationale Verbandstofffabrik, die große mecha-
nische Bindfadenfabrik auf dem linken Rheinufer, die ebenfalls 200 Pferdekräfte
durch Wellentransmission von den Turbinen erhält, eine Riemenfabrik, Silberwaaren-
und Uhrenschalenfabriken, dann eine internationale Uhrenfabrik, welche aus einem
mißglückten Aktienunternehmen später in Privathandel! wieder aufblühte, eine
sehr ausgedehnte Kinderwagenfabrik und eine sich immer mehr entfaltende Etuis-
und Cartonnagefabrikation. Eigenartig ist auch die schon zu Anfang unseres
Jahrhunderts in Schaff hausen nachweisbare, 1828 nach Dießenhofen verlegte und
seit 1861 wieder nach Schaff hausen zurückgekehrte Spielkartenfabrikation, die
nun, auf Maschinenbetrieb übertragen und durch Billetsfabrikation erweitert, im
Müller'schen Etablissement in höchster Blütbe steht.
Weltruf hat durch ihre Planimeter und andern Apparate zur mechanischen
Integration, zu hydrometrischen und dynamometrischen Messungen und andere
Erfindungen auf dem Gebiete der feinsten Mechanik die Amsler'sche mechanische
Werkstätte erlangt.
Die Drahtseiltransmission brachte auch die schon lange in Schaffhausen an-
sässige Seilerei zu neuem Aufschwünge und erweiterte sie durch die Verfertigung
vorzüglicher Drahtseile.
Furrer, Volkswirthschafra-Lexikon der Schweiz. 4^
1870
1880
7100
7933
38
47
9
16
4
7
Schaffhausen — 722 — Schaff hausen
Es kann nicht die Aufgabe einer Greschichte der Schaffhaaser Industrie sein,
die gesammte industrielle Thätigkeit, wie sie heutigen Tages in Schaffhausen zu
linden ist, zu schildern ; doch war es unerläßlich, wenigstens das Hauptsachlichste
davon zu erwähnen, um damit nachzuweisen, wie Schaffhausen durch seine Wasser-
werke plötzlich von einer industriell wenig bedeutenden Stadt in die Reihe der
ersleu schweizerischen Industriestädte eintrat.
Gegenüber diesem gewaltigen Aufschwung der Stadt blieb die Landschaft aus
nahe liegenden Gründen zurttck. Neben der schon erwähnten Uhrgehänsefabrikation,
ferner einer Schuhfabrik und mechanischen Werkstätte in Stein, einer mechanischen
Weberei und einer Roßhaarfabrik in Thayngen, einer mechanischen Werkstätte
zur Herstellung von Oamp-, Luft- und Wasserheizungen, Kocheinrichtungen,
Feldküchen etc. in Neunkirch, einer mechanischen Werkstätte in Löhningen für
Pumpen, Ventile etc., sind die industriellen Betriebe im ländlichen Theile des
Kantons, soweit sie nicht früher schon berührt wurden, ohne großen Belang
geblieben. (Vgl. auch den Abschnitt „Fabriken**, Seite 711.)
Urproduktion.
Es widmeten sich
im Jahre 1860 1870 1880 1888
der Landwirthschaft . . 6905 7100 7933 Personen
der Forst wirthschaft . . 36
dem Bergbau .... 2
der Jagd und Fischerei . 11
L ai- n d w i r t h s c h a f t .
Schaffhausen ist einer der ersten agnkolen Kantone der Schweiz. £r hat
zunächst nach Appenzell A.-Eh., Baselland und Aargau den Vorzug vor den
übrigen Kantonen und Halbkantoneu, verhältnißmäßig am meisten produktiven
Boden (95,5 ®/o des gesammten Areals) zu besitzen; ferner wird er in Bezug
auf die verhältnißmäßige Ausdehnung des Weinbergareals nur vom Kanton Genf
übertrotfen und in Bezug auf den verhältnismäßigen Waldreichihum steht er an
der Spitze aller Kantone.
Dieses Verständniß für die Ausnützung jeder Scholle urbaren Landes war
nicht immer vorhanden. Vor 50 Jahren erinnerte man sich noch wohl der Zeit,
wo hochgelegene Aecker nach nur 1 — 2jähriger Benützung 6 — 12 Jahre lang
brach lagen, weil man sie nicht zu düngen verstand. „Jetzt aber", schreibt
Eduard Im Thuin 1839 in seinem musterhaften .Beitrag zum „Gemälde der
Schweiz** (Verlag von Huber & Co., St. Gallen und Bern), „ist dieses alles
anders. Auf dem Banden hat man die grüne Düngung eingeführt und so den
Weg gebahnt, daß einige tausend Jucharten, welche früher nicht mehr ertrugen,
als in den Thälern 150 Jucharten, einen ihrer Größe angemessenen Ertrag
lieferten. Ganz unfruchtbare Randenäcker hat man mit Wald anfliegen lassen,
und wenn einmal der Futterbau größere Ausdehnung erhalten haben wird, dürfte
der bisher, so gering geschätzte Randen noch mehrere tausend Menschen ernähren,
ohne daß die Bevölkerung der Thäler abnähme.**
Diese Prophezeiung hat sich vollständig bewahrheitet, und zwar ohne daß
im Kanton Schaffhausen ein so auffallender Uebergang vom Ackerbau zum Wiesen-
bau stattgefunden hätte, wie in vielen andern Kantonen der Schweiz. Wohl hat
von 1839 — li!<84 das Ackerland um ca. 3700 ha ab- und das Wiesland um
ca. 2400 ha zugenommen; allein trotzdem verblieben dem Ackerbau immer noch
33 ^/o des Kulturbodens, d. i. 13 ®/o mehr als im Nachbarkanton Zürich.
Scha£t hausen
— 723 —
Schaffhausen
Der Schaff haaser Landwirth legt eben großen Werth darauf, in Bezug auf
<ias Getreide nicht vom Ausland abhängig zu sein — und als Bewohner eines
(jrenzkantons thut er wohl daran. Eine gewisse Dosis Gewohnheit mag allerdings
auch bei der Sache mitwirken, denn die Väter der jetzigen Generation zogen
Getreide niclit bloß für den Eigenbedarf, sondern auch für den Export. Der
Kanton Schaff hausen galt als Kornkammer.
Nicht weniger große Bedeutung hatte er als Weinprodueenty welche Be-
<leutuiig er sich übrigens bis auf den heutigen Tag erhalten hat, nur mit dem
Unterschied, daß die Weinberge das ihnen noch in den 30er Jahren beigelegte
Attribut „Fundament des schaff hauserischen Nationalreichthums** (um dessentwillen
«ie in sehr hohem Preise standen) heute mit der gesammten Bodenkultur theilen
müssen. Zum Beweise hiefür mag die seh äff hauser ische Agrarstatistik von 1884
«elbst sprechen. Sie enthält u A. folgende Daten:
5106 ha Wiesen .
Geld werth des Futter-Ertrages von! o^r^o
„ der Getreide-Ernte „ 4798
„ „ Weinernte „ 1118
„ „ Wurzelgewächse „ 1870
, „ Industriepflanzen „ 96
Ackerland
n
Rebgelände
Ackerland
Rechnet man hiezu den Ertrag
15096 ha . . .
11744 „ Wald .
, 1 54200 Stk. Obstbäumen
der Gärten
Fr. 2221,825
„ 1'924,071
„ r646,060
„ 1^078,231
86,009
ca.
ca.
Fr. 6'956,196
„ 720,000
, 300,000
24,000
fio kommt man zu einem Bodenkultur- Ertrag von rund . . .Fr. 8'000,000
Gute Jahre mögen höhere Ergebnisse aufweisen. Daß dies wenigstens in
Bezug auf den Wtinbau der Fall ist, ergibt sich aus der seit vielen Jahren
geführten Schaff hauser Weinbaust^tistik. Sie verzeichnet pro 1887 ein Erträgniß
von Fr. 2'815,000, pro 1885 von Fr. 2'570,800. Die schlimmen Jahre sind
gezeichnet durch Summen wie: Fr. 512,800 (1861), Fr. 543,000 (1860),
Fr. 855,572 (1882) u. s. w. Das jährüche Mittel der 27jährigen Periode
1858/85 belief sich auf Fr. 1^568,387, das immerhin nach Abzug von 4'/2 7o
Zins des auf Fr. 9'000,000 taxirten Grundwerthes der Weinberge und nach
weiterem Abzug von Fr. 1 '000,000 Betriebskosten ein Netto- Erträgniß von
Fr. 163,387 (Fr. 146 per Hektar) oder i,81 7o des Grundwerthes übrig ließ.
Während der 29jährigen Periode 1858 — 1888 (zwei Male wurde keine
Statistik aufgenommen) variirte der jährliche
Weinertrag p. ha zwiscb. lO'^hi u. 106 hl (1861 u. 1875). 29j. Durchschn. 51 hl
Geld werth , , , Fr.522. — „ Fr.2728. - , , . , , Fr.l418.—
Weinpreis , hlR. , , 19.98, , 57.36 (1858 u. 1873). . , „ . 37.50
, , W. . . 10.66 . , 45. . , . , . , 24.-
, 15.32. . 49.10 .... . . 30.-
f, r, Om. ,
Bedeutendste Weinbaugemeinde ist ünterhallau mit 192,4 ha Rebgelände.
Ihr am nächsten stehen die Gemeinden Oberhallau und Schaff hausen mit je
74,7 ha. Den höchst taxirten Rebboden hat dagegen die Gemeinde .üdlingen:
Fr. 139 per Hektar ; ihr folgen Neuhausen mit Fr. 128, Unterhallau und Buch-
berg mit je Fr. 101, die übrigen Gemeinden mit Fr. 30 — 99 per Hektar.
Der oben angegebene Bodenkultur-Ertrag von Fr. 8'000,000 ist selbst-
verständlich nicht zu verwechseln mit Gesammt-Einkommen oder gar Netto-
Einkommen der Landwirthschaft. Die drei Dinge repräsentiren sehr verschiedene
Schaffhausen
— 724 —
Schaffhausen
Von der Gerste
Vom Hafer
Vom Roggen
16,7 q Kömer h Fr. 20. — und 31,9 q Stroh k Fr. 3. 40
17,7 „ ^ „ „ 18. 55 „ 30,7 , „ , . 3. 25
1» 18,6 „ „ „ „ 2. 95
n 21,6 r» n » n 3.
60 , 32,8 , , . . 4. 30
17. 15
16. 65
Größen, welche zu ermitteln ohne Eenntniß der Betriebskosten, des Nutzens aus
der Milch- und Fleischproduktion, der hypothekarischen Lasten etc. nicht mög»
lieh ist.
Zu der sehr nützlichen schatfhanserischen Agrarstatistik von 1884 zurtlok-
kehrend, entuehmen wir derselben ferner, daß unter den Getreide-Arten
der Weizen die erste Stelle einnimmt (1542 ha), Dinkel die zweite (1278 ha)^
Gerste die dritte (915 ha), Hafer die vierte (631 ha), Boggen die fünfte (365 ha).
Die Ernte ergab per Hektar:
Vom Weizen
Vom Dinkel
17,1
16,5
14,9 , r, „ n 17.
Die Wurzelgewächse sind zu ca. Vs Kartoffeln (1666 ha), dann folgen
WeißrUben mit 54 1 ha, Runkelrüben mit 2 1 7 ha, Mohrrüben mit 6 ha, Cichorien
mit 0,26 ha. Die Kartoffelernte ergab per Hektar 125 q ä Fr. 4. 11, die
Cichorienemte per Ar 42 kg ä 32 Rp.
Als Futtersorten verzeichnet die Statistik Wiesenheu, Klee, Kleegras»
Esparsette, Luzerne, wenig Wicken, Futterroggen und GrUnmais. Das grüne
Wiesenfutter wurde nicht in Betracht gezogen. Die Ernte ergab per Hektar :
an Wiesenheu 54 q k Fr. 5. 20, an Futterkräutern 69 q ä Fr. 5. 20.
Als Industrie- und Handelspflanzen werden aufgeführt: Hanf mit
53,7 ha, Flachs mit 14,2 ha, l^ewat mit 10,3 ha, Hopfen mit 5,9 ha, Mohn mit
5,8 ha, Haiidelsgarten pflanzen mit 4,6 ha, Tabak mit 0,9 ha, Weiden mit 0,4 ha.
Die Ernte ergab per Hektar: vom Hanf 584 kg Samen k 36 Rp. und
640 kg Bast ä Fr. 1. 20; vom Flachs 522 kg Samen ä 50 Rp. und 485 kg^
Bast 8 Fr. 1. 40; vom Hopfen 606 kg k Fr. 2. 80; vom Tabak 2145 kg a
72 Rp.; vom Mohn 2172 kg a 43 Rp.
Die Größe der land wirthschaftlichen Heimwesen betreffend,
enthält die Statistik Angaben aus 8 Gemeinden. Es erhellt daraus die interessante
Thatsache, daß von 2829 Heimwesen 54 ®/o weniger als 1*/* ha umfassen, 24 "/o.
174 -272 ha, 167a 7u 272—5 ha, 5^0 5—10 ha groß sind. Nur 24 Heim-
wesen umfassen 10 — 20 ha, 8 Heimwesen 20 — 40 ha, nur 2 Heimwesen über 40 ha.
Die Statistik sagt es nicht, aber es ist dennoch in Betracht zu ziehen, daß-
die Waldungen zu 87 ®/o Staats-, Genleinde- oder Genossenschaftsgtiter sind und
daher nur zum kleinsten Theil. wahrscheinlich gar nicht, in den obigen Größen-
angaben der Heimwesen inbegriffen sind. Dies vorausgesetzt, ergibt sich fllr
obige 8 Gremeinden und 2829 Heimwesen ein durchschnittlicher Heimwesenumfang^
von 1,4 ha ohne Wald. Material zur Vergleichung mit anderen Kantonen ist
leider nicht vorhanden.
Eine auffallende Vermehrung hat im Kanton Schaffhausen seit 50 Jahren
der Viehstand erfahren. Die Statistik gibt darüber Aufschluß:
Die Zählung von
1838
1866
1876
1886
ergab an Rindvieh .
. . Stk.
4077
8901
9060
10505
Pferden
«
737
1316
1044
878
Ziegen
> • n
833
3166
4232
4710
Schafen .
• n
339
176
57
35
Schweinen
• • »»
178
5096
5948
7746
Esehi .
"stk7
17
2
—
6181
18657
20341
23874
Schafifhausen — 725 — Schaff hausen
Daß der Pferdebestand vor 50 Jahren fast so groß war wie heute, beruht
darauf, daß damals noch keine Eisenbahnasüge zlrkulirten und viele Reisende,
welche bei Schaffhausen in die Schweiz trateti, dort Pferde zur Weiterreise
mietheten.
In der zweiten Hälfte der SOer Jahre begann die staatliche Förderung der
JRind Viehzucht durch Geldprämien fdr Zuchtstiere. Die ersten hiefur (vom Staate
und von der landwirthschaftlichen G-esellschaft gemeinsam) ausgesetzten Beträge
beliefen sich auf 330 GuMen; heute sind es jährlich Fr. 7000, die allein der
Staat für die Förderung der Landwirthschaft ausrichtet. Der größte Theil wird
flir Viehprämirungen, der Rest fdr Wander vortrage und Spezialkurse verausgabt.
Die regierungsräthliche Verordnung (25. Mai 1887), in welcher die staat-
lichen Leistungen umschrieben sind, könnte wohl in manchem Punkte anderen
Kantonen als Rathgeber dienen. Aus diesem Grunde gelangt sie hier theilweise
zum Abdruck:
Art. 4. Von Seite der Gemeinderäthe ist für die Anschaffung und für den Unter-
halt der Zuchtstiere in den Gemeinden in der Art zu sorgen^ daß sie entweder:
a. die erforderlichen Zuchtstiere selbst ankaufen und auf Kosten der Gemeinden in
eigenen Stallungen unterhalten lassen, oder b. mit einem Wucherstierpächter auf Grund-
lage dieser Verordnung fflr Anschaffung und Unterhalt der Stiere einen Pachtvertrag
abschließen. Die Pachtverträge mQssen der Landwirthschaftskommission zur Genehmigung
eingesandt werden. In beiden Fällen sind die Gemeinderäthe lür Haltung der erforder-
lichen Zahl Zuchtstiere, sowie für die richtige Fütterung und Pflege derselben verant-
wortlich.
Art. 5. Die Gemeindei äthe haben ferner dafür zu sorgen, daß in jeder Gemeinde
für die Beschälung des Viehes geeignete, geschlossene Lokale vorhanden sind. Es ist
bei einer Buße von Fr. 10 untersagt, Vieh in andern als in den hiezu bestimmten
Lokalen beschälen zu lassen.
Art. 6. Die Gemeinderäthe haben alle zw^ei Jahre eine genaue Zählung der vor-
handenen Kühe und zuchtHlhigen Rinder vorzunehmen und der Direktion, der Land-
wirthschaft die Resultate der Zählung mitzutheilen. Rinder, welche zur Zeit der Zählung
das Alter von 15 Monaten erreicht haben, sind als zuchtföhig aufzunehmen.
Art. 7. In jeder Gemeinde soll auf höchstens 80 Stück Kühe und zuchtfähige
Rinder je ein Zuchtstier gehalten werden. Wenn in einer Gemeinde weniger als 40 Stück
Kfilie oder zuchtfähige Rinder sich befinden, so kann sich dieselbe bezüglich der Haltung
eines Zuchtstieres mit einer Nachbargemeinde vereinigen. In diesem Falle hat der be-
treffende Gemeinderath den bezüglichen Vertrag der Landwirthschaftskommission zur
Prüfung und Genehmigung vorzulegen.
Art. 8. Die Zuchtstiere müssen einer der beiden schweizerischen Hauptviehrassen
(sciiweizcrische Fleckvieh- oder schweizerische Braunviehrasse) angehören. Mischlinge
sind ausgeschlossen. Eine Gemeinde, die zur Haltung mehrerer Zuchtstiere verpflichtet
ist, kann beide Rassen halten.
Art. 9. Die Zuchtstiere sollen in Körperbau und Färbung die ausgesprochenen
Merkmale ihrer Rasse an sich tragen, vollkommen gesund und zuchtfähig sein. Zucht-
j^tiere unter l'/« und über 5 Jahren dürfen nicht zur Zucht verwendet werden.
Art. 10. Zur Erleichtenmg der Beschaffung vorzügliclier Zuchtstiere wird durch
<lie Landwirthschaftskommission alljährlich eine Anzahl solcher angekauft. Diese An-
käufe finden in der Regel im Spätjahr (September) statt. Die Direktion der Landwirth-
schaft erläßt jeweils im Monat Juli im Amtsblatte eine Einladung an sämmtliche Ge-
meinderäthe, ihren Bedarf an Zuchtstieren, nach Rasse, Alter und Schlag (schwerer
oder mittlerer) genau bezeichnet, der Landwirthschaftskommission mitzutheilen. Die
du roll die Kommission angekauften Stiere werden unter die bestellenden Gemeinden
(resp. Pächter) versteigert. Die Gemeinden (resp. Pächter) sind verpflichtet, die bestellte
Zahl zu übernehmen.
Art. IJ. Die Versteigerung geschieht unter folgenden Bedingungen: 1) Die Hälfte
der Ankaufs-Unkosten wird voriveg auf Rechnung des Staates übernommen. 2) Die
andere Hälfte der Kosten nebst dem Ankaufspreise muß erlöst werden. Wird ^iese
Sunune nicht angeboten, so wird der Rest prozentualisch auf die Steigerungssunime
geschlagen ; wird mehr angeboten, so findet ein prozentualischer Abzug bis auf die
Schaffhausen — 726 — Schaffhausen
angebotene Summe statt. Für die zwei letzten zur Abgabe kommenden Stiere mul^
wenigstens der Ankaufspreis bezahlt werden. Die Gemeinden haften für die Kaufsumme
der von ihren Pächtern ersteigerten Zuchtstiere.
Art. 12. Es dürfen nur solche Stiere zur öffentlichen Zucht verwendet werden^
welche von der Landwirthschaflskommission untersucht und als zulässig befunden worden
sind. Es haben daher die Gemeinderäthe von jeder Neuanschaffung eines Zuchtstieres
dem Präsidenten der Landwirthschaflskommission unverzüglich Anzeige zu machen^
welcher die Untersuchung durch ein Mitglied der Kommission anordnet.
Art. 13. Für die Vornahme einer besonderen Untersuchung von Zuchtstieren,
welche direkt von den Gemeinden oder deren Pächtern angekauft worden sind, und
welche nicht bei der ordentlichen Wucherstierschau untersucht werden können, hat die
betreffende Gemeinde bezw. der Pächter eine Gebuhr von Fr. 5 an die Kasse der Land-
wirthschaflskommission zu bezahlen.
Art. 14. Die Gemeinderäthe haben dafür zu sorgen, daß die Zuchtstiere kräftig
genährt, gut gepflegt und in geräumigen, reinlich gehaltenen Stallungen untergebracht
werden. Die Verwendung derselben zu leichten landwirthschaftlichen Arbeiten ist im
Interesse der guten Entwicklung und der Dauer der Zuchtfähigkeit zu empfehlen ; jedoch
darf diese Verwendung nie im Uebermaße geschehen.
Art. 15. Jeweils in der zweiten Hälfte des September wird die Landwirthschafts-
kommission eine Zuchtstierschau vornehmen, um zu untersuchen: 1) ob die Zuchtstiere
in Bezug auf ihre Eigenschaften zur Zucht zulässig seien ; 2) ob dieselben richtig genährt
und gepflegt werden; 3) ob die vorgeschriebene Anzahl Zuchtstiere wirklich gehalten
werde. Kann ein Zuchtstier wegen Krankheit nicht vorgeführt werden, so ist für den-
selben ein thierärztliihes Zeugniß beizubringen.
Art. 16. Hofbesitzer, die ihre eigenen Zuchtstiere halten, sie aber nicht nur
speziell für ihren eigenen Viehstand, sondern auch anderweitig zur Zucht verwenden,
haben dieselben ebenfalls bei der Schau vorzuführen, und es finden auch für diese
sämmtliche Bestimmungen gegenwärtiger Verordnung Anwendung.
Art. 18. Um sowohl zur angemessenen Haltung als auch zur Anschaffung von
schönen, zweckentsprechenden männlichen Zuchtthieren zu ermuntern, kann die Kom-
mission alljährlich bei der Zuchtstierschau Prämien bis auf die Höhe von Fr. 1800
verabreichen.
Art. 19. Die Beurtheilung der Zuchtstiere geschieht nach einheitlichen Grund-
sätzen, welche mit Berücksichtigung der vom Schweiz. Departement der Landwirthschaft
erlassenen Vorschriften durch ein l)esonderes Reglement festzustellen sind. Das Verfahren
der Viehmessungen und des Punktirens soll hiebei Anwendung linden.
Art. 20. Unter 17^ Jahre alte und abgeschaufelte Zuchtstiere werden nicht prämht.
Art. 21. Die Prämirung geschieht nach drei Klassen, und zwar die erste Klasse
mit Fr. 100, die zweite Klasse mit Fr. 60 und die dritte Klasse mit Fr. 40. Die Prämien
werden den Eigenthümern der Zuchtstiere bei der Schau selbst oder unmittelbar nach
derselben in Form von Gutscheinen zugestellt. Die Gutscheine können nach Verlauf
von 10 Monaten, vom Tage der Prämirung an gerechnet, zur Einlösung gelangen, sofern
der amtliche Nachweis geleistet wird, daß die prämirlen Thiere innert dieser Frist der
Zucht im Kanton nicht entzogen worden sind. Wer innert genannter Frist einen prä-
mirten Zuchtstier durch Verkauf oder Abschlachten der Zucht im Kanton entzieht, ist
nicht nur der Prämie verlustig, sondern hat außerdem noch eine Buße im Betrage der
halben kantonalen Prämie zu bezahlen. Die Landwirthschaflskommission kann nur dann
eine Ausnahme gestatten, wenn durch tliierärzlliches Zeugniß nachgewiesen wird, daß
der betreffende Zuchtstier wegen Krankheit abgeschlachtet werden mußte.
Art. 26. Für die Prämirung von vorzüglichem weiblichem Zuchtmaterial
wird alle zwei Jahre eine Summe von Fr. 1000 festgesetzt, und zwar werden Prämien
nach zwei Klassen im Betrage von Fr. 40 und 20 verabreicht.
Art. 27. Um prämirt werden zu können, müssen die betreffenden Thiere einer
der beiden schweizerischen Hauptrassen angehören; Mischlinge werden nicht berück-
sichtigt, auch wenn ihre übrigen Eigenschalten sie hiezu befähigen würden. Neben
Rassenfeinheit und Foriiienschönheit sollen hauptsächlich noch Milchergiebigkeit, W^uchs-
und Masttahigkeit in Betracht gezogen werden.
Art. 28. Prämirt werden nur zuclitfahige, unter 4 Jahre alte Kühe und solche
Rinder, die nicht unter 18 Monate alt shid.
Art. 31. Die Prämien werden bei der Schau selbst oder unmittelbar nach der-
selben in Form von (Tutscheinen verabfolgt. Diese Gutscheine können nach Verlauf von
10 Monaten, vom Tage der Prämirung an gerechnet, zur Einlösung gelangen, sofern
Schaffhausen — 727 — Schaff hausen
der amtliche Nachweis j^eleistet wird, daß die prämirten Thiere noch im Kanton zur
Zucht verwendet werden.
Art. 32. Die vom Bunde zur Pramirung von Zuchtfamilien alle zwei Jahre aus-
gesetzten Prämirungsbeiträge gelangen jeweils unter den vom Schweiz. Landwirthschafts-
departement aufgestellten Bedingungen zur Verwendung.
Art. 34. Jede Gemeinde, in der wenigstens 10 Mutterschweine gehalten werden,
ist zur Haltung eines eigenen Zuchtebers verpflichtet. Gemeinden mit einer kleineren
Anzahl ist es gestattet, sich behufs Haltung eines Zuchtebers mit einer Nachbargemeinde
zu verständigen. Wenn zwischen zwei Gemeinden ein solches Verabkommniß stattfindet,
so ist eine Kopie des bezüglichen Vertrages an die Direktion der Landwirthschaft ein-
zusenden.
Art. 35. Auf je 40 Stück der in einer Gemeinde gehaltenen Mutterschweine muß
wenigstens ein Zuchteber gehalten werden.
Art. 36. Es steht den Gemeinden frei, die Zuchteber selbst auf eigene Refchnung
zu halten oder mit einem Pächter betreffend Anschaffung und Unterhalt derselben einen
Vertrag abzuschließen. Die Zuchteber müssen gut und angemessen gefüttert und sauber
und trocken im Stalle gehalten werden.
Art. 37. Die Wahl der Schweinerasse ist den Gemeinden freigestellt; immerhin
ist es aber wünschenswerlh, daß da, wo mehrere Zuchteber gehalten werden, einer
derselben englischer Rasse sei.
Art. 38. Es dürfen nur kräftige Thiere zur Zucht verwendet werden. Die Zucht-
eber sollen wenigstens V* und nicht über 5 Jahre alt sein.
Art. 39. Jeweils im Monat Mai findet durch eine Abordnung der Landwirthschafts-
komniission eine Zuchteberschau an drei verschiedenen Orten des Kantons statt.
Art. 40. Diejenigen Gemeinden resp. Pächter, deren Zuchteber bei der Schau
tauglich erklärt, aber nicht prämirt worden sind, erhalten für das Vorführen der Thiere
per Kilometer der Entfernung vom Schanorte ein Weggeld von 40 Rp. per Stück. Für
die prämirten Thiere und diejenigen vom Schauorte fallt das Weggeld weg.
Art. 41. Behufs Aufmunterung sowohl zur angemessenen Haltung, als auch zur
Anschaffung von schönen, zweckentsprechenden Zuchtebern werden jährlich Prämien im
Betrage von Fr. 400 verabreicht.
Art. 43. Die Präminmg geschieht nach zwei Klassen, und zwar mit Prämien
erster Klasse von Fr. 30 und Prämien zweiter Klasse von Fr. 20. Zuchteber, die den
Anlorderungen nicht entsprechen, können von der Landwirthschaftskommission abge-
schätzt werden,
Art. 44. Alle zwei Jahre findet eine Schau und Pramirung vorzüglicher Mutter-
schweine statt. Zu diesem Zwecke wird die Summe von ca. Fr. 400 verwendet. Die
Pnämining geschieht nach zwei Klassen, und zwar mit Prämien erster Klasse von Fr. 15
und mit Prämien zweiter Klasse von Fr. 10. Die Beurtheilung und Pramirung findet
nach dein Prämirungsreglemente statt. (Art. 19 der Verordnung.)
Art. 45. Wer innert drei Monaten ein Zuchtschwein der Zucht im Kanton entzieht,
hat unter Rückzahlung der Prämie der Landwirthschaftskommission Anzeige zu machen,
bei Vermeidung einer von der Kommission zu bestimmenden Buße.
Art. 46. Bei Einführung von Exemplaren vorzüglicher fremder Schweine kann die
Landwirthschaftskommission Beiträge bewilligen.
Art. 47. Die Landwirthschaftskommission ist die vorberathende Stelle der vom
Kanton Schaff hausen zur Hebung der Pferdezucht zu treffenden Maßnahmen. Die-
selbe begutachtet im Fernern alle vom eidg. Departement der Landwirthschaft hinsichtlicli
Hebung der Pferdezucht erlassenen, an die Kantone gewiesenen Fragen, Voi-schrillen etc.
Art. 48. Neben Förderung der Viehzucht sind auch die anderen Zweige der
Landwirthschaft durch die Landwirthschaftskommission im Auge zu behalten und
durch geeignete Anordnungen zu fördern. Es kann dies z. B. geschehen: beim Obst-,
Wein- und (Gartenbau durch von Zeit zu Zeit auf Kosten des Kredites für Landwirth-
schaft abzuhaltende Spezialkurse und Wandervorträge; durch Beiträge und durch An-
leitung zu Bodenverbesserung, Güterzusammenlegung und durch rationelle Weganlagen ;
durch Anleitung (eventuell auch durch Leistung von Beiträgen) zur Bekämpfung von
Schädlingen der Landwirthschaft; beim Ackerbau durch Veranstaltung von Samen-
märkten mit Pramirung des besten Saatgutes; durch Einführung von für unsere Gegend
passenden neuen Handels- und Kulturgewächsen ; beim Futterbau durch Abhaltung von
Futterbau- und Fütterungskursen, sowie durch Wandervorträge; durch erleichterte Be-
schaffung von tüchtigen gemeinverständlichen Werken über alle Zweige der Landwirth-
schaft : durch Pramirung von ganzen Musterwirthschaften und einzelner Zweige solcher etc.
Sohaffbausen — 728 — Scheufikorrektion
Art. 49. Die Landwirthschaftskommission setzt sich hinsichtlich der in Art. 47 ge-
nannten landwirthschaftlichen Fragen mit den Gemeinderäthen bezw. örtlichen Flur-
kommissionen und Rebkommissionen in Verbindung und vermittelt den Verkehr zwischen
denselben und dem RegierungsraÜie.
Viehveräicherungsgesellschaften bestehen in 22 Gremeinden« 14
Gemeinden sind ohne diese nützliche Institution. Es besteht ferner ein kanto-
naler land wirthschaftlicher Verein, der in 12 Gemeinden Sektionen bat.
Bergbau.
Es gibt viele Fundorte von industriell verwendbaren Steinen und Erden,
aber nur ganz wenige werden ausgebeutet. Es sind, nach der Bohproduktenkarte
von Weber & Brosi (Verlag von J. Wurster & Co. in Zttrich), folgende Ort-
schaften: Für Gyps: Beggingen, Schieitheim, Unterballan. Für l^pfer- und
Zieg elthon : Altdorf, Bibern, Blittenhard, Lohn, Nennkirch, Opfertshofen, Schaff-
hausen. Für Kalksteine: Altdorf, Beringen, Hemmenthai, Herblingen, Löhningen,
Neuhausen, Osterüngen, Sohaffbausen, Schieitheim, Siblingen, Thayngen, Unter-
hallau. Für Sandsteine: Beggingen und Unterballan. Für Eisenerz: Außer
Betrieb: Osterfingen.
Verkehr.
Eisenbahnen.
Es arbeiten auf dem Gebiete des Kantons zwei Bahnnntemehmungen mit
38,025 m Bahn. 10 Stationen. Die Bahnlänge vertheilt sich auf die einzelnen
Unternehmungen und nach den Konzessionen wie folgt:
Nordoslbahn : 1) Konzession vom 6. Januar 1853 für die Strecke von
Sohaffbausen bis zur Kantonsgrenze bei Dachsen, 3654 m; 2) Konzession vom
11. Januar 1872 für die auf Schaffhauser Gebiet gelegenen Theile der Linien
Etzwylen -Singen und Etzwylen-Konstanz, 5403 m; zusammen 9057 m.
Badische Slaatshahnen: Konzession (Staatsvertrag) vom 11. August 1852
für den auf Schaffhauser Gebiet gelegenen Theil der Linie Basel-Konstanz,
28,968 m.
Straßen
8. den Artikel „Straßen**.
Schafhaltung s. p. 319 im IL Bd.
Sc'happe s. „Floretseidenspinnerei**.
Schatzmaiin, liudolf, f, s. p. 452/53 im IL Bd.
Seheideanstalten. 3 Etablissemente mit 42 Arbeitern unter dem Fabrik-
gesetz; ßiel. Lüde, Genf.
Scheukenberger (Weinstock). Im Aargau Bezeichnung für den Gutedel.
Scheusskorrektion. Umfaßt die ca. 4 km lange Strecke von Bözingen
oberhalb Biel bis ßieler See. Die Korrektion bezweckt, den zeitweilig eintretenden
Ueberbchwemmungen und Belästigungen durch das Grundwasser, hervorgerufen
durch die ungünstigen Abflußverhältnisse der Scheuß, Abhülfe zu verschaffen.
Die vorgesehenen Arbeiten bestehen. 1) In der Erhöhung des Proüls mittelst
beidseitig anzulegenden Dämmen in der obern Partie, d. i. von Bözingen bis zum
Wehre von Mett; 2) in einer für die größten Hochwasser genügenden Erweiterung
des Wehres bei Mett und der sog. Theilschleuse ; 3) in der Tieferlegung der
Sohle des bereits im Jahre 1825 und später ausgeführten Hauptkanals, d. h. von
der sog. Th<dls(;hl iise bis Bieler See. Der Kosten Voranschlag für die Ausführung
obgcnannter Arbeiten beträft Fr. 274,000. Der Bund leistet laut Beschluß vom
7. Dezcml)er IHM einen Beitrag von Fr. 109,600 (A. S. Bd. 10).
Schiedsgerichte _ 729 — Sc^dedsgericfate
Schiedsg^rickte, gewerbliche. (Verfasser: Herr W. Krebs, Sekretär
des Schweiz. Grewerbevereins.) Gewerbliche Sehiedsgerichie oder Gewerbegerichte
haben allgemeiD den Zweck, Streitigkeiten eu enteoheiden, welche zwischen d^i
Gewerbetreibenden unter sich oder zwischen Arbeitgebern (Fabrikanten und Hand-
werkern) und Arbeitnehmern (Angestellten. Gehülfen, Gesellen, Handlangem,
Lehrlingen) aus dem Werk-, Dienst- oder Lehrvertrag entstehen.
Nach Zweck und Organisation gibt es yerschiedene Arten : Prud^ hommes (in
Prankreich, Belgien, der Bheinprovinz, Elsaß, den Kantonen 6«nf, Neuenburg
und Waadt) ; sie sind nach Berufsgruppen eingetheilt und beruhen auf besondem
Staatsgesetzen; Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind einander vollständig gleich
gestellt und wählen die Bichter aus ihrer Mitte; ihre Befugnisse beschränken
sich auf Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Dienst- oder
Lehrvertrag; charakteristisch ist ferner: Ausschluß der Anwälte; mündliches,
summarisches Verfahren ; unentgeltliche Rechtsprechung. — Gewerbegerichte zahl-
reicher deutscher Städte, auf Ortsstatuten beruhend, für alle Gewerbegruppen
gemeinsam amtend, durch die Arbeitgeber und Arbeitnehmer getrennt gewählt,
Vorsitzender ein ordentlicher Richter oder Stadtbeamter. — Innungsger ichie
gemäß der deutschen Gewerbeordnung ; Konstituirung durch die Innungsgenossen ;
sie entscheiden Streitigkeiten aus dem Lehrvertrag, sowie aus dem Arbeitsvertrag
zwischen J nnung^gliedern und ihren Arbeitern. — Schiedsgerichte der Btrafs-
genossenschaften gemäß dem deutschen ünfallverHicherungsgesetz ; Entscheide
über Haftpflicht und daraus entstehende Entschädigungen. — Schiedsgerichte der
Berufsgenossenschaften in Oesterreich gemäß dortiger Gewerbeordnung; ent-
scheiden Streitigkeiten aus dem Arbeits- und Lehrvertrag endgültig. — Einigungs-
ämter in England, Amerika und vereinzelt in Frankreich und Deutschland ;
beruhen auf freiwilliger Verständigung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer des-
selben Berufes zur Vereinbarung eines einheitlichen Arbeitsverhältnisses (Lohntarif,
Arbeitszeit etc.) oder zur Schlichtung von Streitigkeiten aus demselben ; in Eng-
land genießt die ürtheilavoUziehung gesetzlichen Schutz.
Allen diesen so verschiedenartigen Organisationen sind folgende Hauptzwecke
eigenthümlich : Fachmännische Beurtheilung in jedem Falle, Raschheit und Billig-
keit des Verfahrens, volksthümliche Organisation.
In der Schweiz sind die g. Seh. verhältnißmäßig noch wenig verbreitet.
Zwar besaßen schon im Mittelalter die Zünfte ihre besondere Gerichtsbarkeit; so
erließen z. B. am 8. Juni 1475 die eidgenössischen Gesandten auf der Tagsatzung
zu Baden auf Anrufen der Meister des Schmiedehandwerks eine Verordnung über
das \ erfahren bei vorkommenden Streitigkeiten zwischen Meistern und Gesellen.
Seit 40 Jahren ist unter den Gewerbetreibenden und Arbeitern vieler Kantone
der Ruf nach Einführung von g. Seh. wiederholt gehört worden. Zur Zeit (Mitte
1^89) sind sie jedoch nur in den Kantonen Genf Neuenbürg^ Waadt und
BaneUtadt gesetzlich eingeführt. ,
Genf besaß seit 1874 die „Tribunaux d^arbitrage industriell^ bestehend
aus dem Friedensrichter als Vorsitzenden und zwei „Arbitres** (Schiedsrichtern),
deren jede Partie einen ernanute. Sie entschieden unweiterzüglich und ohne Be-
Kchränkung im Streitbetrag Streitigkeiten zwischen den Arbeitgebern und den
Arbeitern, Angestellten, Lehrlingen aus dem Arbeitsverhältniß. Diese Institution
bewährte sich nicht, weil die Arbitres sich als Anwälte ihrer Partei betrachteten
uud weil von 1881 an auch Advokaten zugelassen wurden. Sie wurden deßhalb
mit den I^ud'hornmes-Gcrichten vertauscht.
Schiedsgerichte — 730 — Schiedsgerichte
Aul eine Petition von 17 Arbeitervereinen erh'eß der Große Rath ein Vtr-
fassuugsgesetz (Loi constitutionnelle), welches vom Volke am 29. Oktober 1882
angenommen wurde. Seine G-rundbestimmungen sind folgende:
Streitigkeiten zwischen Gewerbetreibenden, Fabrikanten oder Kaufleuten und ihren
Arbeitern, Angestellten oder Lehrlingen wegen Arbeitsleistungen und Lehrverträgen
werden von Prud'hommes-Gerichten entschieden. Die Prud'hommes werden durch Arbeit-
geber, Gehülfen und Angestellte in getrennten Versammlungen und nach Gruppen gleicher
oder verwandter Berufsarten gewählt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer wählen in jeder
Gruppe eine gleiche Anzahl Prud'hommes. Wahlfähig und wählbar sind alle ihre poli-
tischen Rechte genießenden schweizerischen Meister, Arbeiter und Angestellte. Das Gesetz
ordnet die Wahlart, die Zahl der Gruppen und die Organisation der Prud'hommes-
Gerichte.
Das Aus führ UTif/sfjeseig (Loi organique) trat am 13. November 1883 in
Kraft. Im Allgemeinen ist es dem framöstschen Gesetz nachgebildet. Als wesent-
liche Merkmale der Genfer Prud'hommes sind hervorzuheben : Dieselben sind
ständige beeidigte Richter; Arbeitgeber und Arbeitnehmer verkehren auf dem
Fuße vollständiger Gleichberechtigung; die Vertretung der Parteien kann nur
durch Berufsgenossen stattfinden ; Advokaten sind ausgeschlossen. Jede Streitig-
keit kommt zuerst vor das Sühnamt (Bureau de conciliation) ; mißlingt hier der
Sühnversuch, so entscheidet das Gericht (Tribunal de prud'hommes); eine Appel-
lationskammer endlich endscheidet endgültig alle einen Streitwerth von Fr. 500
tibersteigenden Falle. Das ganze Gerichtsverfahren ist kostenfrei; Richter und
Gerichtsscbreiber werden vom Staate besoldet und entpchädigt.
Außer den richterlichen Funktionen haben die Prud'hommes noch die Auf-
gabe, durch eine Spezialkommission die Ausführung der Lehrverträge und den
Berufsunterricht der Lehrlinge, ferner die sani tarischen Verhältnisse der Arbeit«-
lokale zu überwachen. Endlich sollen die Prud'hommes auf Verlangen der Staats-
behörden in gemeinsamer Versammlung Fragen begutachten, welche Industi'ie und
Handel des Kantons Genf berühren. Die Prud'hommes bilden demnach zugleich
eine Art Gewerhekammtr.
Die Prud'hommes sind nach folgenden B er tifsg nippen organisirt:
I (Ulirenindustrie) : Uhrwerkarbeiter, Schalenmacher, Zifi'erblatt- und Zeiger-
macher, Feder- und Secretmacher etc.
II (EdtlinetaUbtarbeUnnfi) : Bijoutiers, Juweliere, Gold- und Silberarbeiter,
Graveurs, Guillocheurs, Ciseleurs, Dessinateurs und Decorateurs für Bijouterie und
Uhren ; Sertisseurs ; Emailleurs und Emailmaler ; Diamantsclmeider, ^'ergolder,
Versilberer; Vernickler; Schleifer, Gießer; Futteralmacher.
III (Bau) : Gypser, Tapezierer, Flachmaler ; Maurer ; Dachdecker, Ziegler,
Backsteinbrenner ; Asphalter, Cementer, Mosaikarbeiter ; Erdarbeiter, Karrer,
Pflasterer; Steinbauer, Marmorarbeiter, Steinbildhauer; Ofensetzer, Hafner, Kamin-
feger; Dekorirer, Bau vergolder ; Glaser, Rahmen- und Spiegelfabrikation, Glas-
fabrikatiun und Glasspinner ; Schild- und Kutschenmaler; Töpfer; Ziegelformer.
IV (Ilolzbcarbcitunff) : Schreiner, Ebenisten, Tüfeler; Holzschnitzler ; Billard-
fabrikation ; Zimmerleute, Säger ; Partjueteurs und Mosaikarbeiter ; Schiffbauer ;
Küfer, Böttcher, Siebmacher; Brunnengräbei* (Fontainiers) ; Korb- und Sessel-
flechter; Kort'er- und Kistenmacher, Leistenschneider; Mobeltapezierer, Matratzen-
macher; Holzgittermacher; Stören fabrikation ; Drechsler; Wagner und Stellmacher.
V (Metall bearbeitu Hfl) : Mechaniker, Hammer- und Zeugschmiede; Verfertiger
von Uhreumacherei-Ütensilien, Feilen, Meißeln, Grabsticheln; von physikalischen
Instrumenten, Telegraphen- und Tele])honapparaten ; von Klavieren und Musik-
dosen, Orgeln, Musikinstrumenten ; Optiker, Waagenmacher ; Waffen- und Messer-
Schiedsgerichte — TBl — Schiedsgerichte
schmiede; Schlosser; Eisen- und Kupfergießer; Medaillengießer; MetaTldrelier ^
Huf- und Grobschmiede; Kupferschmiede; Spengler, Lampisten; Bleigießer; Gas-
arbeiter ; Fabrikation von Heizapparaten und Metallöfen ; Eisengittermacher \
Velocipedfabrikation .
VI (Bekleidungsgewerbe) : Schneider ; Hutmacher, Blumen- und Federn-
arbeiter; Weber; Wagendeckenmacber (Bachiers), Seiler; Färber; Posamenter,.
Broderie- und Spitzenfabrikation; Kürschner; Hemden-, Kravatttn- und Corsets-
fabrikation; Schirmmacher, Bandagisten und Orthopädisten ; Bürstenbinder; Schuh-
macher; Rothgerber; Weißgerber; Holzschuhmacher; Sattler, Polsterer; Leder-
zurichter; Handschuhmacher; Saffianarbeiter.
VII (Nahrangs- und Gtnußmitttly Chemie): Milch- und Fruchthändler;
Bäcker, Pastetenbäcker; Zuckerbäcker; Chocoladenfabrikation ; Metzger, Wurster,
Kuttler; Limonaden- und Liqueurfabrikation ; Cafetiers, Bierbrauer; Restaurateurs^
Köche; Müller; Droguisten, Apotheker, Chemiker, Farben , Firniß-, Wachs- und
Tintenfabrikatiön ; Kerzen- und Seifenfabrikation; Coiffeurs, Parfumeurs.
VIII (VeroielfälUgufig, Papierindustrie, Bautecknik): Buchdrucker; Litho-
graphen ; Photographen ; Cartonnagear heiter, Buchbinder, Papierhändler, Buch-
händler; Linirer; Architekten, Ingenieure, Geometer, Zeichner.
IX ( Verkehr y Pflanzenbau) : Kutscher, Fuhrleute, Kondukteure, Ange-
stellte der Eisenbahnen, Tramways und Schifffahrt ; Gärtner, Blumen- und
Baumziichter.
^ (Handel U7id Bureaudienst) : ßanquiers. Wechselagenten, Geschäftsleute,
Kaufleute, Commis, Bureau- und Magazinangestellte.
Ueber die Wirksamkeit der Prud'hommes entnehmen wir den offiziellen
Mittheilnngen Folgendes:
Frequenz: 1884 1885 1886 1887 1888
Beim Sülinamt eingereichte Klagen . . 658 737 787 890 753
Dahingefallen oder zurückgezogen ... 41 20 32 17 21
Geschlichtet 366 437 477 549 522
= 55,67o 59,3 7o 60,9 Vo 61,6 7o 69,3 7o
An das Schiedsgericht gewiesen . . . 251 280 278 324 210
Zurückgezogen 18 13 23 22 9
In Abwesenheit der Parteien entschieden 38 44 40 54 50
Nach Anhörung „ „ ,,195 222 215 248 153
Von der Appellationskammer „ 5 8 12 7 6
Audienzen des Sühnamtes 279 333 325 366 350
der Schiedsgerichte .... 123 141 144 157 132
Appellationskammer . . 5 8 10 7 5
Zahl der Expertisen 18 15 9 8 6
, verhörten Zeugen 157 307 157 234 249
Im Jahre 1884 zählten sämmtliche Gruppen 11,020 Mitglieder, worunter
die X. (Handel) 2825, die VII. (Nahrungs- und Genußmittel, Wirthschaften)
1321, die I. (ührenmacheroi) 1277 etc. Die meisten Streitfälle in den drei
ersten Jahren kamen verhältnißmäßig vor in Gruppe III (Baugewerbe), nämlich
55,6 auf 100 Mitgl., und in Gruppe VII mit 34,2 Streitfällen auf 100 Mitgl. ;
die geringste relative Frequenz weisen auf die I. Gruppe mit 2,9 Streitfällen
und die II. Gruppe (Edelmetalle) mit 5,2 Streitfällen auf 100 Mitgl.
Die Höhe der Streitwerthe betrug in den drei ersten Jahren (1884 — 86)
für sämmtliche Berufsgruppen zusammen :
n
Schiedsgerichte — 732 — Schiedagerichte
Unter Fr, 50 . . 1061 Fälle
Fr. 51—100 . • 436 ,
, 101—200 . . 256 «
, 201—500 . . 156 ,
Fr. 501 — 1000 . . 39 FäUe
, 1001—5000 . . 37 «
Deber Fr. 5000 . . 10 .
1995 Fälle
Bei 53 ^/o sämmtlicher Streitsachen handelte es sich somit um einen
Streitwerth von weniger als Fr. 50 und bei 21,8 **/o um einen solchen von
Fr 51 — 100. Die höchsten Streitwerthe wies die X. Gruppe (Handel) auf,
nämlich solche von über Fr. 20,000.
Die Art der Streitsachen vertheilte sich in den drei ersten Jahren in
«ämmtlichen Berufsgruppen folgendermaßen : Lohn- und Fntschädigungsforderungen
1995, plötzliche Entlassung 113, plötzlicher Austritt 12, Lehrvertragsbruch 55,
Forderung eines Zeugnisses 5, Vertragsbruch 2, Total 2182.
Die Streitigkeiten über Lohn- und Entschädigungsforderungen betrugen somit
91,3 7o aller Streitfälle.
Als erfreuliche Thatsache darf auch konstatirt werden, daß mit der Zahl
der Streitfälle die Prozentziffer der vom Sühnamt erzielten Vermittlungen stetig
gtjMtiegen ist, von 55,6 ^o aaf 69,3 ^o, gewiß ein sehr günstiges Resultat.
In Bezug auf rasche Erledigung der Streitfälle dürfte das Genfer Schieds-
gericht fast einzig dastehen : Ein Viertel der Klagen wird am ersten Tage, die
Hälfte innerhalb drei Tagen und der letzte Viertel innerhalb zehn Tagen erledigt ;
zu der letztern Kategorie gehören die Einsprachen und Appellationen. Alle
Sitzungen finden Abends von 7 Uhr an statt. Jedes Mitglied bezieht ein Sitzungs-
ircld von Fr. 3, der Gerichtsschreiber eine fixe Besoldung.
Für die Kositn der Prud'hommes-Gerichte hat der Kanton Genf Fr. 12,000
in's Jahresbudget aufgenommen.
Laut den in verschiedenen Kreisen eingezogenen Erkundigungen ist die große
Mehrzahl der Bevölkerung glücklich^ eine solche Institution zu besitzen. Auch
die frühern Gegner derselben haben im Großen Rathe unumwunden zugestanden,
daß die UrtUeile der Prud'hommes unpartt tisch seien.
Das Genfer Volk will nun noch einen Schritt weiter gehen und ein Gesetz
erlassen, wonach die Prud'hommes-Gerichte auch auf die Grundbesitzer, Pächter,
Landarbeiter, Taglöbner und Dienstboten ausgedehnt werden. Das Kantonsgebiet
würde zu diesem Zweck in zwölf Gerichtsbezirke eingetheilt und damit den in
den Landgemeinden wohnenden Parteien der Weg in die Stadt erspart.
Neuenburg. Auch dieser Kaiiton besaß seit 1874 die unter Genf erwähnten
^Tribnnaux d'arbiirage industriell und machte mit ihnen dieselben Erfahrungen,
weßhalb dei* Große Rath am 20. November 1885 ein Gesetz betreffend die g. Seh.
annahm, das demjenigen des Kantons Genf im Wesentlichen entspricht. Der Haupt-
unterschied besteht darin, daß das neuenburgische Gesetz in Art. 1 bestimmt :
In den Ortschaften, welche beim Staab?rath ein bezügliches Gesuch stellen, können
gewerbliclie Schiedsgerichte (Gonseils de prud'homnies) eingeführt werden. Die aus dieser
Einrichtung entstehenden Ausgaben werden zur Hälfte vom Staate, zur Hälfte von der
Gemeinde (Municipalitd) getragen. Bevor das Gesuch um Aufstellung gewerblicher Schieds-
gerichte von den Gemeindebehörden gestellt werden kann, haben die stimmberechtigten
Einwohner der Ortschaft sich darüber auszusprechen.
Während demnach im Kauton Genf die g. Seh. fitr alle Gemeinden obli-
gatorisc/t, sind sie im Kanton Neuenburg, welcher neben rein industriellen auch
rein agrikolc Gemeinden hat, fa/cuHutio, je nach Bedürfniß. Die Zahl und Ein-
theilung der Gruppen bestimmt der Staatsrath. Jedes Schiedsgericht besteht aus
IG — 30 beeidigten Mitgliedern; das Präsidium führen abwechselnd während sechs
Schiedsgerichte — 7^3 — Schiedsgerichte
Monaten ein Arbeitgeber und ein Arbeiter. Jedes Gericht theilt sich in ein Ver-
mitilunfjaamt und in ein Schiedsamt ; ersteres besteht aus zwei Richtern, letzteres
aus dem Präsidenten und vier Richtern. Der Gerichfsschreiber wird vom Staats-
rath ernannt und fix besoldet; er besorgt die Entgegennahme der Klagen, die
Einberufung der Sitzungen, die Protokolle und Ausfertigung der Urtheile. Jeder
Streitfall muß binnen höchstens zwei Tagen nach Einreicbung der Klage dem
Vermittlungsamt, dessen Sitzungen nicht öffentlich sind, unterbreitet werden.
Einsprachen gegen die Kompe^tenz des Schiedsgerichtes haben sofort beim Beginn
der Verhandlungen zu erfolgen; über dieselben entscheiden die ordentlichen Civil-
gericbte. Unbegründete Kompetenzeinreden können mit Fr. 100 gebüßt werden»
Vertretung der Parteien ist nur durch Familien- oder Berufsgenossen und nur in
anerkannten Verhinderungsfällen zulässig. Nichtigkeitsbeschwerden sind nicht
statthaft.
Aebnlich wie im Kanton Genf, haben auch die Neuenburger Prud^hommes
adminisinUioe Befugnisse : Jeder Schiedsgerichtshof wählt in seinem Schöße eine
Spezialkommission, welche beauftragt wird, die Ausführung der Lehrverträge und
die Berufsbildung der Lehrlinge zu überwachen; femer vereinigen sich auf Ver-
langen des Staatsrathes die Schi'jdsgerichtshöfe zu einer Generalversammlung, um
die Fragen zu berathen, welche für die Industrie und den Handel des Landen
von Interesse sind.
In Ausführung dieses Gesetzes hat bis jetzt einzig die Gemeinde Chaux-de^
Fonds j und zwar am 21. März 1887, die Einführung der Prud'hommes-Gerichte
mit 1002 gtgQw 17 Stimmen beschlossen. Der Staatsrath hat dieselben folgender-
maßen gruppirt : L Uhrenwerke ; II. Uhrenschalen (in beiden Gruppen zusammen
sind 52 Spezialitäten aufgeführt); HI. Baugewerbe, Holz- und Metallbearbeitung,.
Gärtner, Dienstmänner, Fuhrleute ; IV. Bekleidung und Putz ; V. Nahrung»- und
Genußmittel, Wirthschafts- und Magazinpersonal; VI. Handel, Vervielfältigung^
Eisenbahnunternehmuugen, Dienstpersonal, Taglöhner.
Die Schiedsgerichte von Chaux-de- Fonds begannen ihre Thätigkeit am iS. Ok-
tober 1886 ; ihre seitherige Thätigkeit gestaltete sich laut offiziellen Mittheilungen
der Gerichtskanzlei wie folgt :
\^^^, , 1887 1888
(vom 18. Okt. an)
Beim Vermittlungsamt eingereichte Klagen . 72 381 477
Dahingefallen oder zurückgezogen. ... 11 79 90
Geschlichtet 39 200 232
= 54 7o 52,5 7u 48,6 7o
Au das Schiedsgericht gewiesen .... 22 96 146
Zurückgezogen 3 9 13
Entschieden nach Anhörung der Parteien 'liq ^^ ^^^
„ in Abwesenheit » » . J 10 5
Audienzen des Vermittlungsamtes .... ? 119 148
„ ^ Schiedsamtes ? 43 63
Wenn das Verhältniß der gütlich vor Vermittlungsamt erledigten Streitfälle
zur Zahl der eingereichten Klagen auch nicht ganz so günstig ist, wie in G^nf,
so darf es doch als ein sehr befriedigendes bezeichnet werden. Im Jahre 1888
hatten 307 Streitfälle = 64 "/o einen Streitwerth von unter Fr. 50 ; ein einziger
Streit werth betrug Fr. 2001—3000. 16 Fälle betrafen Lehrverträge, 5 Kontrakt-
bruch.
Die Kosten für Staat und Gremeinde betragen jährlich je Fr. 2500. Die
Schiedsgerichte — 734 — Schiedsgerichte
Institution hat sich in Chaux-de-Fonds vollständig eingelebt, so daß man sie nicht
mehr entbehren könnte. Die Urtheile werden auch hier als unparteiisch anerkannt.
Waadt Nachdem schon in den Jahren 1874 und 1884 bezügliche Kund-
gebungen erfolglos geblieben, beschloß auf eine erneute Petition der Arbeiter-
vereine der Große Rath des Kantons Waadt im Mä'rz 188B, den Staatsrath mit
Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes zur Einführung der Conseils de prud'hommes
zu beauftragen und bis zu diesem Zeitpunkt alle Streitigkeiten zwischen Arbeit-
gebern, Arbeitern und Angestellten vom Friedensrichteramt und in Fällen, die
über dessen Kompetenz stehen (Fr. 100), von einem vom Friedensrichter zu
ernennenden Yermittleramt endgültig entscheiden zu lassen.
Dem erwähnten Auftrag leistete der Staatsrath im Herbst 1888 Folge.
In seinem Bericht hebt er vorerst die großen Vortheile hervor, welche die
Prud'hommes-Gerichte vor dem System der Friedensrichter mit Zuzug von ge-
werblichen Beisitzern {Arbitracits indastnels) in sich schließen; letzteres System
hatte sich, wie in Genf und Neuen bürg, auch im Kanton Waadt nicht bewährt.
Der Gesetzentwurf acceptirte im Allgemeinen die Organisation der Genfer und
Neuenburger Prud'hommes unter Beriickbichtigung der eigenen Verhältnisse; für
den agrikolen Kanton konnte nur die fakultaUoe Einführung, wie in Neuenburg,
einen Zweck haben; immerhin wurde die Möglichkeit gegeben, daß benachbarte
industrielle Gemeinden sich zu einem Gericbtskreis vereinigen können ; die Kosten
«lud zur Hälfte vom Staat, zur Hälfte von den Gemeinden zu tragen. Jedes
Gericht theilt sich in ein Yermittlungsamt, ein Scbiedsamt und eine Appellations-
kammer; letztere besteht au6 einem Präsidenten und acht Schiedsrichtern, von
welchen keiner in gleicher Sache bereits geurtheilt haben darf. Die Kompetenz
der Prud'hommes-Gerichte reicht bis zu einem Streitwerth von Fr. 3000; diese
Summe übersteigende Streitfälle können nach eidg. Recht vor das Bundesgericht,
solche von über Fr. 500 vor die Appellatiouskammer des Schiedsgerichtes ge-
zogen werden.
Das sind so ziemlich die wesentlichen Merkmale, welche die Organisation
der waadtläudischen Prud'hommes von den vorgenannten unterscheiden.
Im November 1688 wurde das Gesetz vom Großen Käthe angenommen und
bereits im Januar 1889 trafen die Gemeinden Lausanne, Vivis, Yverdon und
Ste-Croix Anstalten zur Einführung der Institution. Der Stadtrath von Lausanne
hat Iblgende G Gruppen vorgesehen : I. Bau- und Transportgewerbe ; II. Schreiner,
Zimmerleute, Drechsler; III. Mechaniker, Gießer; IV. Schneider, Schuhmacher,
Hutmacher; V. Wirthe, Zuckerbäcker, Bäcker. Metzger; VI. Handelsleute,
Banquiers, Typographen, Lithographen.
Baselstadt. Auch hier machte sich schon seit Jahren unter der gewerbe-
treibenden Bevölkerung der Wunsch nach Einführung gewerblicher Schiedsgerichte
geltend. Im Oktober 1887 veröffentlichte das kantonale Justizdepartement den
„Entwurf ein.s Gesetzes betreffend Einführung von Einzelrichtem und g. Seh.*.
Das Gesetz wurde vom Großen Rathe nach zweimaliger Berathung am 29. April
1889 angenommen. Der Ausschluß der Anwälte wurde in zweiter Berathung
verworfen, dagegen die Gebührenfreiheit des Verfahrens bewilligt. Im Uebrigen
entspricht der Entwurf unter möglii:hster Anlehnung an die ordentliche Civil-
rechtspflege im Allgemeinen den schon erwähnten Gesetzen von Genf, Neuenburg
und Waadt, Bemerkenswerth ist, daß der Präsident des Schiedsamtes aus der
Zahl der Civilgerichtspräsidenten entnommen wird und dem Civilgerichtsschreiber
oder dessen Substituten die Protokollführung obliegt. Dienstboten und landwirth-
Schiedsgerichte — 735 — Schiedsgerichte
«tchaftliche Gewerbe sind ausgeschlossen. Das Gesetz wird noch im Jahre 1889
in Kraft treten können.
*
Dies die praktischen Resultate der kantonalen Gesetsf/ebunr/ in Bezug auf
g. Seh. Dieselbe hat im Weitern noch folgende Bestimmungen geschaffen, welche
bis heute nur theoretische Bedeutung haben:
Bern. Die Staatsverfassung von 1846 anerkennt die Berechtigung von
Handelsgerichten (§ 65) und gestiittet der Gesetzgebung, in der Organisation
des Civilgerichtswesens Veränderungen zu treffen, wenn solche für nöthig erachtet
werden (§ 62); der Einwand, die g. Seh. seien verfassungswidrig, erscheint
demnach unberechtigt. Im Fernern bestimmt das Gewerbegesetz von 1849 in
§91: rl^ie Gewerbsleute können sich zu besondern Gewerbe vereinen (Genossen-
schaften), welche bestimmte Bezirke umfassen, konstituiren. Dem Vereinsvorstande
solcher vom Staate anerkannter Gewerbevereine liegt ob: .3) von der
richterlichen Behörde zugewiesene Streitigkeiten zwischen Meister, Gesellen und
Lehrlingen womöglich zu schlichten und hierüber Bericht abzugeben."
Auf Grund dieser Bestimmungen wurde wiederholt der Einführung von
Handels- und Gewerbegerichten gerufen, so z. B. im Jahre 1867 durch eine
von 600 Unterschriften unterstützte Petition, 1883 durch eine solche mit 6050
Unterschriften. Letztere verlangte fakultative gemeindeweise Einführung und
hatte zur Folge, daß der Große Rath einstimmig in das Gesetz betreffend „Ver-
einfachung und Abkürzung des Givilprozeß Verfahrens* , vom 3. Juni 1883,
folgenden Titel VII: „Von den Grewerbegerichten", aufnahm:
§ 386. Zur gütlichen Erledigung von Streitigkeiten, welche zwwchen Fabrikanten
und Handwerksmeistern einer Ortschaft oder eines Bezirkes einerseits und ihren Ar-
beitern, Gesellen, Angestellten oder Lehrlingen andererseits aus Lehr-, Dienst- oder
Werkverträgen auf dem Gebiete des Fabrikbetriebes oder des Handwerks entstehen,
können Gewerbegerichte (Conseils de prud'hommes) aufgestellt werden. Dieselben haben
auch, falls eine gütliche Erledigung nicht möglich ist, alle Streitigkeiten, deren Werth
nicht Fr. 400 übersteigt, endgültig zu entscheiden. Die Organisation der einzelnen Orts-
und Bezirks verbände und der Gewerbegerichte, sowie der Wahlmodus und das Verfahren
sind durch ein Dekret des Großen Käthes festzustellen. Die Verbeiständung der Parteien
durch Anwälte vor den Gewerbegerichten ist untersagt.
Trotz verschiedener Reklamationen seitens der Arbeitgeber und Arbeiter ist
das in obiger Bestimmung vorgesehene Dekret noch nicht ausgearbeitet. Die
Juötizdircktion hält die Prud'hommes-Gerichte für den Kanton Bern nicht ge-
eignet, während die Arbeiter der Uhrenindustrie im Jura, wie auch andere be-
theiligte Kreise, sie lebhaft befürworten.
Solothurn hat in seine Staatsverfassung vom 23. Oktober 1887 folgende
Bestimmung aufgenommen :
„Zur Beurtheüung streitiger Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitern
.s(j11 eine besondere Gerichtsbehörde (gewerbliches Schiedsgericht) aufgestellt werden. Ein
Gesetz bestimmt ihre Organisation und das daherige gerichtliche Verfahren.**
Die Ausführung dieser Verfassungsbestimmung scheint nicht mehr lange auf
sich warten lassen zu wollen.
Aargau. Die Kantonsverfassung von 1885 bestimmt in Art. 60, es solle
die Rechtspflege in Handels-, Gewerbe- und Flurverhältnissen besonders geordnet
werden. Die kompetenten Organe haben über die Einführung g. Seh. Berathung
gepflogen, ohne praktische Resultate zu Tage zu fördern.
Im Kanton Zürich ist die Einführung g. Seh. seit Jahren auf der Tages-
ordnung. Die Entwürfe eines kantonalen Gewerbegesetzes von 187ii/74, sowie
von 1881, enthielten diesbezügliche Bestimmungen; letztere wurden aber vom
Schiedsgerichte — 736 — Schiedsgerichte
Eantonsratk abgelehnt. Ein vom kantonalen Grewerbeverein und sodann von der
kantonalen Gewerbekommission ansgearbeiteter Entwurf sah Gewerbegerichie vor^
welche sowohl Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus dem
IHensivertrag, als solche zwischen Lieferanten und ihren Bestellern ans dem
Werkvertrag beurtheilen sollten, sofern letztere nicht vor das Handelsgericht
gehören und beide Parteien sich nicht für den Prozeßweg entscheiden. Diese
Gewerbegerichte würden gebildet aus Oberrichtem, Bezirksriohtem und G« wer be-
richten); je nach der Höhe des Streitwerthes waren drei Instanzen vorgesehen.
Das Obergericht hat in seinem im Dezember 1887 erschienenen Gutachten diesen
Entwurf sowohl, wie die von der Arbeiterpartei gewünschte Einführung der
Prnd'hommes- Gerichte ablehnend begutachtet, dagegen Vorschläge empfohlen^
welche auf Wahl ständiger Experten für gewerblich- technische Prozesse durch
die Gewerbevereine hinzielen. Der kantonale Verband der Arbeiter- und Grütli-
vereine, mit dem abweisenden obergerichtlichen Gutachten nicht zufrieden, hat
im April 1889 einen InHiativ-Entwurf filr fakultative Einführung der g. Seh.
eingereicht.
Für Zürich und Umgebung hat sich im Juli 1889 ein freiwilliger yj Verband
für Grewerbescläedsgericlite und filr ein Einigung^amt^ konstituirt. Mitglieder
des Verbandes können nur Fach- oder Berufsvereinigungen von Unternehmern
bezw. Meistern oder Arbeitern in Zürich und AuRgemeinden werden. Es sind
demselben folgende sechs Gewerkschaften beigetreten : Steinmetze, Maurer, Zimmer-
leute, Maler, Schreiner und Spengler, somit vorwiegend Baugewerbe. Dieselben
verpflichten sich für ihre Mitglieder zur obligatorischen Benutzung der Schieds-
gerichte und Anerkennung ihrer Entscheide und lllr die Vereine als solche zur
Anerkennung des Einigungsamtes. Der Vorstand besteht aus je zwei Delegirten
und zwei Stellvertretern für jedes dem Verband angehörende Gewerbe, je zur
Hälfte von den betreifenden Meistern und Arbeitern gewählt, sowie aus einem
Präsidenten und Vizepräsidenten, welche weder Meister noch Arbeiter sein dürfen.
Ein rechtskundiger bezahlter Sekretär amtet als Gerichtsschreiber. Die Recht-
sprechung dieser freiwilligen Gerichte und die Funktionen der Richter sind un-
entgeltlich. Die Kosten werden durch die beigetretenen Fach vereine getragen.
Das Einig utigsamt besteht aus dem Gesammt vorstand des Verbandes. Während
des Schiedsverfahrens haben sich beide Parteien jeglicher feindseliger Aeußerungen
oder Handlungen zu enthalten. Zuwiderhandelnde und Solche, welche sich dem
Schiedssprüche nicht unterziehen, können aus dem Verband ausgeschlossen werden.
GraubUnden. Eine vom Großen Rathe eingesetzte Spezialkommission zur
Begutachtuug der fakultativen Einführung g. Seh. hat sich für Ablehnung der
bezüglichen Anregung der Arbeiterschaft ausgesprochen.
Voraussichtlich wird die Frage in nächster Zeit noch in verschiedenen Kan
tonen (z. B. Freiburg und St. Gallen) zur Besprechung gelangen ; die praktischen
Erfolge in den Kantonen Grenf und Neuenburg machen für die Weiterverbreitung
beste Propaganda.
Auf dem Wege freiwilliger Verständigung sind von mehreren gewerblichen
Berufsverbfinden ständige g. Seh. mit Erfolg organisirt worden, so z. B. von
einzelnen Sektionen des Schweiz. Typographenbund, vom Uhr macherverband der
Westschweiz, vom Central verband der ostschweiz. Stickerei Industrie und vom
Schweiz. Metzgermeisterverein; andere haben bezügliche Bestimmungen in ihre
Statuten aufgenommen, eine praktische Ausführung derselben ist uns jedoch nicht
bekannt geworden. Beim Fachgericht für Stickwaarenverkehr (obligatorisches
Schiedsgericht des Stickerei Verbandes) sind vom Oktober 1885 bis März 188i^
Schiedsgerichte — 737 — Schiedsgerichte
665 Streitfölle anhängig gemacht und davon 554 Streitigkeiten durch Haupt-
urtheil erledigt worden; in 121 Fällen erfolgte Klagerlickzug infolge uachträg
licher Anerkennung oder Vergleichs. Der Streitwerth betrug in 14 Fällen mehr
als Fr. 1000, in 14 Fällen zwischen Fr. 500—1000, in 224 Fällen zwischen
Fr. 100—500, in 413 Fällen unter Fr. 100.
■
Schweizerische Literatur : Das Friedensrichteramt und die g. Seh. im Schweiz.
Recht. Von Euf/en Hubert Professor in Basel. Basel, Benno Schwabe, 1886.
— Organisation und Wirksamkeit der g. Seh. Von Werner Krebs, Sekretär
des Schweiz. Gevverbevereins. Heft II und lU der „Gewerblichen Zeitfragen **.
Bern, Kommissionsverlag von W. Büchler, 1887. — Rathschlag und Gesetz-
entwurf betr. Einzelrichter, Sühn verfahren und g. Seh. Basel, Oktober 1888. —
Gutachten des Obergerichts des Kantons Zürich an den Regier ungsrath betr. £in-
führung von Gewerbegerichten. Zürich, 1887. — Instructions pour les concilia-
taires, secretaires et presidents des conseils de prud^hommes. Geneve, 1887. —
Projet de loi sur les conseils de prud'hommes, pr^c^d^ de Texpos^ des motifs,
pour le canton de Vaud. Lausanne, 1888.
Kurrer. Volkswirthschafts-Lexikon d«*r Schweiz. 47
Ergaiizuinreii — 738 — Er^fäiizungen
Einige Ergänzungen znm IL Band.
Die Großzahl der Ergänzungen wird im zweiten Theile des III. Bandes als , Supple-
ment" enthalten sein.
Handelsgerichte s. , Rechtspflege*.
HandelsTerträgre. Im Bestand der Handelsverträge, wie derselbe auf pag. 20 mit-
getheilt ist. sind bis zum Schluß dieses Bandes (September 1889) folgende Aenderungeu
eingetreten :
Die Verträge mit der S ü d a f r i k a n i s c li e n R e p u 1» 1 i k iTransval) und Ecuador
sind perfekt geworden. Firsterer ist am 10. Nov. 1887, der z^veite am 21. Okt. 1889 in
Kraft ^'etreten; beide für die Dauer von 10 Jahren. Es sind lediglich Meistbegilnst ignngs-
verträge ohne Tarif.
Neu ist in die Reihe der Vertragsstaaten Griechenland eingetreten. Eine proTi-
sorische Handelsübereinkunft wurde mit diesem Lande abgeschlossen am 10. Juni 1887.
Sie kann jederzeit gekündet w^erden un<i «lauert ein Jtihr Aber die KändiguDg hinaus.
Sie garantirt den Kontrahenten die Gleichstellung mit der meistbegünstigten Nation.
Kein Tarif.
Mit Deutschland ist am 11. Nov. 1888 eine Zusatzkimventinn zum Vertrajre vom
23. Mai 1881 abges«" blossen w orden. Mit O e s t e r r e i c h - U n g a r n wurde am 23. Nov.
1888 ein i^euer VertrJig vereinbart; ebenso mit Italien am 23. Jan. 1889 und mit
Belgien am 3. Juli 1889. Alle diese Verträtre, mit Ausnahme des letztgenannten, ent-
halten Konventionaltarife. Ihr Ablauf ist einheitlich auf den 1. Febr. 1892 festgesetzt.
Da alsdann auch «lie Verträge mit Frankreich und Spanien zu Ende gehen, so wird
die Schweiz im Laufe des Jahres 1891 mit sämmtlichen Nachbarstaaten, mit Spanien,
Belgien und Rumänien über neue Verträge zu unterhandeln haben.
T'eber den Inhalt olüger Verträge wird sich das Lexikon in den Supplementariikehx
, Deutschland", ^Frankreich**. , Italien**, ^Oesterreich-l.'ngarn'* einläßlicher verbreiten.
Einzelexemplare dieser Vertrüge können kostenfrei von der Schweiz. Bundeskanzlei
in Bern bezogen werden.
Ferner erscheint gegen Ende September 1889 eine vom Schweiz. Handelssekretfir
Dr. A. Eichmann in Bern veranstaltete ,Samndung der Schweiz. Handelsverträge und
der Konventionaltarife aller Länder** (Selbstverlag des Verfassers).
Industrie« Auf pag. 03 beliebe man in Zeile 12 nach dem Worte ^sind* <lie Worte
einzuschalten: „oder erst größere Bedeutung: erlangten".
Industrlepflauzcn s. paj:. "^94. zweite Hälfte, und pag. 320 7*. 5. Zeile oben.
Käse s. auch pag. 3\b "21.
Kn)»itAl s. pag. 274 u. i\\
KurtolTel s. auch pag. 320 /«, 3. Zeile oheu.
Klima s. pag. 249 u. IT.
Konsulutc« Der auf pag. 130 u. If. dieses Bande-s mitgetheilte Konsularbestaud hat
sich bis Mitte September 1889 folgendermaßen geän«lert :
a. S c li w e i z e r i s c h e K o n s u 1 a t e i m Ausland. Es siml neu errichtet worden
Konsulate oder Vizekonsulate : lu Kopenhagen für Dänemark: in Wien für Oesterreich.
ausgenommen den Konsularbezirk Triest; in T/'/Z/ä für Tran-^kaukasien : in Stockholm
für Schweden: in St, Paul für den nordamerikanischen Staat MinnesoUi; in Cordoha
für die arjreiitinischen Provinzen (iordoba, Santiago del F^stero und Tucuman ; mMendoza
für die argentinischen Pnninzt?n San Luis. Mendoza und San Juan; in Concordia für
die argentinisijie Provinz Entre Rios: in Trniguen für die chilenischen Pro\inzen Malleco
und tiautin; lu Pretoria für die südafrikanische Republik: \n Brit<hane für Queensland.
Australien; in Nueva Helvecia für Uruguay.
h. F r e m tl e Konsulate i n d er Sc h w e i z. Es sind neu errichtet worden : Ein
Generalkonsulat für Griechenlandy in Zürich; zwei Vizekonsulate für die Niederlande,
in Bern und (ienf; ein Honorarkonsulat für Serbien, in Zürich; ein Vizekonsulat für
Spanien, in Zürich; ein Konsulat für die Republik Columbia, in Genf; drei Kon.<ulate
für die argentinische Republik^ in Bern. Rellinzona und Neuenburg: ein Vizekousnlat
für die Republik Bolivia, in Nyon : ein Konsulat für «lie Republik Venezuela, in Bern.
Das frühere argentinische Vizekonsulat in San Simone bei (Ihia^^so be.steht nicht.
mehr.
Kredit s. auch pag. 274 u. tl.
Ergänzungen — 739 — Ergänzungen
Knltarregionen s. pag. ^57.
Malerei s. pag. 18S.
Mehl« In der letzten Zeile ist als letzte Zahl zu lesen 40. 56 anstatt 56.
Milch wirthsehaft s. auch pag. 314 (Schlußabsatz) u. ff.
Miinzwesen. Mitte 1889 befanden sich schweizerische Münzen im Werthe von
Fr. 47'992,016 üa Umlauf, nämlich :
Gold: 504,400 Zwanzigfrankenstücke = Fr. 10'088,000.
Silber : 2'095,650 Fünffrankenstücke = Fr. 10'478.250 ; 5'000,000 Zweifrankenstücke
= Fr. 10*000,000 ; 9*000,000 Einfrankenstücke = Fr. 9*000,000 ; 6*000,000 Halbfranken-
stücke = Fr. 3*000,000.
Nickel: 11*000.000 Zwanzigrappenstücke = Fr. 2*200.000; 17'000,000 Zehnrappen-
stücke = Fr. 1*700,000; 18*000,000 Fünfrappenstüoke = Fr. 900,000.
Kupfer: 17*013,300 Zweirappenstücke = Fr. 340.066; 28*550,000 Einrappenstücke
= Fr. 285,500.
Vgl. hiezu pag. 491, Schlußsatz.
Notenbanken. Zahl derselben Ende 1888 : 34. Einbezahltes Kapital Fr. 122*584,000.
Vom Bundesrathe bewilligte Notenemission Fr. 153*100,000. Betrag der wälirend des
Jahres 1888 im Publikum zu-kulirten Noten Fr. 116*771,000— 143793,000 = Fr. 126*306,000
im Durchschnitt oder Fr. 44. 40 per Kopf der Bevölkerung (Frankreich Fr. 71, Belgien
Fr. 65. 20). Baardeckung durchschnittlich 59 % <'^r Notenzirkulation, und zwar zu 72 ^/o
aus Gold, zu 28 **/o aus Silber.
Obstbau s. auch pag. 295, zweite Hälfte, und 320 h, 4. Zeile oben. Die auf pag. 540
ad St. Gallen angegebene Zahl der Gartenobstbäume (82,000) ist in 1*102,061 abzuändern.
Oelsaaten s. pag. 294. Absatz „Industriepflanzeu*^.
Pferdezucht s. auch p. 317/18.
Polytechnikum. In der dem Artikel beigegebenen Tabelle Ist der Name Köhler
(landwirtlischaftliche Abtheilung) zu streichen.
Regenmengen s. pag. 252.
•4-^
Erklärung der Abkürzungen.
kg -^ Kilogramm, q (quintal) = 100 kg. t = Tonne (1000 kg). I = Liter, hl =
Hektoliter (100 Liter), m = Meter, m* = Quadratmeter, m* = Kubikmeter, cm =
Centimeter. mm = Millimeter, km = Kilometer (1000 Meter), km' ^^ Quadratkilometer.
ha = Hektar (100 Aren), d. d. = datirt A. S pag = Amt hebe Sammlnng
der eidgenössischen Gesetze von 1848 bis 1874, Band Seite .... A. S. n. F
pag = Amtliche Sammlung neue Folge (d. i. von 1874 bis auf die Gegenwart),
Band .... Seite frz. := französisch.
f
Verzeichniss der Mitarbeiter.
Anderegg, Alt-Professor und Generalsekretär des Schweiz, landwirthschaftlichen Vereins.
Balmer, Dr., Hans, in Bern.
Billwiller, Direktor d6r meteorologischen Zentralanstalt in Zürich.
Boos-Jegher, Mitglied des Centralvorstandes des Schweiz. Gewerbevereins.
Bräm, Beamter auf dem eidg. Ober-Bauinspektorat.
BrUstlein, Dr., Beamter des eidg. Justizdeparteiiients.
Buser, Beamter des eidg. Zolldepartements.
Christ, H., Dr., in Basel.
Cuttat, Sekretär des eidg. Alkoholamtes.
Dreifuss, Chef des eidg. Auswanderungsbureau.
Durrer, Adjunkt des eidg. statistischen Bureau.
Durrer, Landummann und Nationalrath, in Stans.
Elchmann, Dr., eidg. Handelssekretär.
Farner, administrativer Inspektor des eidg. Eisenbahndepartements.
Frey, Alfred, Sekretär des Schweiz. Handels- und Industrievereins.
Frey, Emil, Sekretär der Kaufmännischen Gesellschaft Zürich.
Geering, Dr., Chef der schweizerischen Handelsstatistik.
Girtanner, Adjunkt des administrativen Inspektors des eidg. Eisenbahndepartements.
Grete, Dr., Vorsteher der agrikulturchemischen Untersuchungsstation.
Habegger, Beamter des eidg. Landwirthscliaftsdepartements.
Häni, Natiorialrath, Bern.
Heinzelmann, Obstbaulehrer am Seminar Mariaberg in Rorschach.
Henking, Dr., Karl, Schaffhausen.
Hess, Statistiker des eidg. Eisenbahndepartements.
Huber, gew. Direktor der zürcherischen Seidenwebschule.
Huber, Dr., Statistiker des eidg. Departements des Auswärtigen.
Kaiser, Dr., gew. Nationalrath.
Kaufmann, Dr., Sekretär des eidg. Industriedepartementes.
Krsmer, Prof. Dr., am eidg. Polytechnikum.
Kramer. Lehrer, Aktuar des Vereins schweizerischer Bienenf^eunde.
Krauer, Dozent für Weinbau am eidg. Polytechnikum.
Lambelet, Sekretär des eidg. statistischen Bureau.
Lang, Beamter des eidg. statistischen Bureau.
Lunge, Prof. Dr., am Polytechnikum Zürich.
Marti, Verwalter auf Rosegg, Kt. Solothurn.
Mertens, Landschaftsgärtner in Riesbach.
Merz, F., Laiidwirthschaftssekretär in Bellenz.
MUhlemann, (llief des bernischen statistischen Bureau.
Mpiier. Chef der Landwirtlisrliafl.«»al)theilung des eidg. Landwirthschaftsdepartements.
Näf, Kantonsstatistiker in Aarau.
Orelli, Adjunkt des eidg. Patentamtes.
Platel, eidg. Münzdirektor.
Rebstein, Prof.. Hottingen.
RIs, Direktor der eidg. Eichstätte.
Rödiger, Kulturtechniker in Bellach-Weyerhof (Solothurn).
Roth, Alfred, Präsident der Oekonomischen Gesellschaft des Oberaargaus, in Wangen (Bern).
Rudin-Schmid, Lehrer, in Basel.
Salvisberg. F., Alt-Kantonsbaunieister, in Bern.
Sandoz, Adjunkt des Inspektors der Emissionsbanken.
t Schatzmann. gew. Direktor der Mi Ich Versuchsstation in Lausanne.
t Scherer, ^'ew. Inspektor der Emissionsbanken.
Scholienberger, Dr., Justizdirektionssekretär, Zürich.
Schumacher, Buchhalter auf dem eidg. Finanzdepartement.
Stehler, Dr., Vorsteher der eidg. Samenkontrolstation.
V. Sury, Beamter auf dem eidfr. 01)erforstinspektorat.
Strickier, Dr., Redaktor der -^'id^^ AbsrhitMle", Bern.
Suter. Sifkretür der eid^. Uherzoildirektion.
Tetmajer, Prof. Dr., Vorsteher der Festigkeitsprüfungsanstalt am Polytechnikum.
V. Tscharner. Dr.. Prä<^ident <les kaiitonai-bernischen Kunstvereins.
Wartmann. Dr., Aktuar des Kaufmänuisrlien Direktoriums, St. Gallen.
Weber. Leo, eidg. Gcsetzgebungs-Sekretar.
Wehrli. Oberst, Zeuirliausdirektor in Zürich.
Weidmann, Heainter des eidg. Landwirthschaftsdepartements.
Welti, eid^r. Puiververwalter.
Vorstände der Aanfonalen landwirthschaftlichen Vereine, Handelsregisterführer etc.